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NJ_01_10

Date post: 18-Jan-2016
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neue justiz
62
Aus dem Inhalt: Strafrechtsalltag in der DDR aus der Sicht eines Rechtsanwalts Der Gesetzentwurf zur Reform des Sanktionen- rechts Die Zulassung als Rechtsanwalt beim Bundes- gerichtshof Reform des Strafverfahrens Änderungen des SchuldrechtsanpassungsG und der NutzungsentgeltVO (Gesetzentwurf) Aus dem Rechtsprechungsteil: BGH: Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Grund- stücksschenkung in DDR OLG Brandenburg: Ansprüche nach SachenRBerG bei baulichen Investitionen des Nutzers aufgrund eines Überlassungsvertrags OLG Dresden: Zur Dauer der Abschiebungshaft Kammergericht: Öffentlicher Antikriegsaufruf zur Verweigerung der Beteiligung am Jugoslawienkrieg vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt LAG Chemnitz: Zur Bemessung des Gegenstands- werts im arbeitsgerichtlichen Verfahren 10 01 55. Jahrgang NOMOS Berlin E 10934 N J Seiten 505-560 Neue Justiz Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern
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Page 1: NJ_01_10

Aus dem Inhalt:

Strafrechtsalltag in der DDRaus der Sicht eines Rechtsanwalts

Der Gesetzentwurf zur Reform des Sanktionen-rechts

Die Zulassung als Rechtsanwalt beim Bundes-gerichtshof

Reform des Strafverfahrens

Änderungen des SchuldrechtsanpassungsG undder NutzungsentgeltVO (Gesetzentwurf)

Aus dem Rechtsprechungsteil:– BGH: Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Grund-

stücksschenkung in DDR– OLG Brandenburg: Ansprüche nach SachenRBerG

bei baulichen Investitionen des Nutzers aufgrundeines Überlassungsvertrags

– OLG Dresden: Zur Dauer der Abschiebungshaft– Kammergericht: Öffentlicher Antikriegsaufruf zur

Verweigerung der Beteiligung am Jugoslawienkriegvom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt

– LAG Chemnitz: Zur Bemessung des Gegenstands-werts im arbeitsgerichtlichen Verfahren

10 0155. Jahrgang

NOMOS Berlin

E 10934

NJSeiten 505-560

Neue JustizZeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern

Page 2: NJ_01_10

RECHTSPRECHUNG

� 01 Verfassungsrecht

BVerfG: §§ 5 Abs. 1 Nr. 3c, 12 Abs. 2 SachenRBerG mit Grundgesetz vereinbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528BVerfG: Zur Verfassungsmäßigkeit von § 121 Abs. 2 SachenRBerG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529BVerfG: § 121 Abs. 2 SachenRBerG mit Eigentums-garantie und Gleichheitssatz vereinbar (Ls.) . . . . 531

� 02 Bürgerliches Recht

BGH:Zur Umwandlung eines VEB und zum Übergang von Volkseigentum an Anlagen . . . . . . . 531BGH:Zum Bestandsschutz bei Eigentumsumschrei-bungen aufgrund fehlerhafter Fiskuserbschaften. . . 532BGH:Zur Sittenwidrigkeit eines vorbehaltlich der Restitution geschlossenen Grundstückskauf-vertrags (Fritsche) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534BGH:Zur Verjährung von Ersatzansprüchen des Vermieters wegen Grundstückskontamination (Maskow) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535

BGH:Zum Unterhaltsabänderungsverfahren und zur Einwendung fehlender Vaterschaft (Grandke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536

BGH:Kein Grundbuchberichtigungsanspruch für Gesamtgrundstück bei Eigentum an nur einer Teilfläche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538

BGH:Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Grund-stücksschenkung in DDR (Essebier) . . . . . . . . . . . . . . 539

BGH:Zur Unwirksamkeit der formularmäßigen weiten Zweckerklärung in Bürgschaftsver-trägen (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540

BGH:Zur Bürgschaft auf erstes Anfordern, wenn die Vorlage bestimmter Urkunden vorausgesetzt wurde (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540

BGH:Zum groben Missverhältnis zwischen Grund-stückskaufpreis und landwirtschaftlichem Verkehrswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541

BGH:Maßgebliche Bilanz für Abfindungsansprüche ausgeschiedener LPG-Mitglieder (Krüger). . . . . . . . 542

S. 528

I

Neue JustizZeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in denNeuen Ländern

55. Jahrgang, S. 505-560

NJ 10/01

REZENSIONEN

Albin Eser/Jörg Arnold (Hrsg.): Strafrecht in Reaktion auf SystemunrechtKnut Amelung

S. 527

INFORMATIONEN S. 515

Herausgeber:

Prof. Dr. Peter-Alexis AlbrechtUniversität Frankfurt a.M. Prof. Dr. Marianne Andrae Universität Potsdam Dr. Bernhard Dombek Rechtsanwalt und Notar, BerlinPräsident der BundesrechtsanwaltskammerDr. Uwe Ewald Max-Planck-Institut für ausländischesund internationales StrafrechtDr. Rainer Faupel Staatssekretär a.D., Potsdam/BerlinGeorg Herbert Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Ernst GottfriedMahrenholz Vizepräsident desBundesverfassungsgerichts a.D.,KarlsruheDr. Wolfgang Peller Berlin Prof. Dr. Martin Posch Rechtsanwalt, Jena Karin Schubert Ministerin der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt Prof. Dr. Jürgen Schwarze Universität Freiburg Prof. Dr. Horst Sendler Präsident des Bundesverwaltungsgerichts a.D.,BerlinDr. Dr. theol. h.c. Helmut SimonBundesverfassungsrichter i.R.,KarlsruheManfred Walther Rechtsanwalt, Berlin Dr. Friedrich Wolff Rechtsanwalt, Berlin

In d iesem Hef t …

S. 514KURZBEITRÄGE

Die Zulassung als Rechtsanwalt beim BundesgerichtshofHans-Ulrich Borchert

S. 505AUFSÄTZE

Strafrechtsalltag in der DDR aus der Sicht eines RechtsanwaltsDietrich Schümann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

Der Gesetzentwurf zur Reform des SanktionenrechtsFolker Bittmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509

DOKUMENTATION

Reform des Strafverfahrens(Diskussionspapier der Regierungskoalition) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521

Änderungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzesund der Nutzungsentgeltverordnung(Gesetzentwurf der Bundesregierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523

S. 521

RAK-REPORT S. 519

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NJ-Abonnentenservice: Die Volltexte der kommentierten und im Leitsatz abgedruckten Entscheidungen können Sie inder Redaktion unter Angabe der Registrier-Nummer kostenlos bestellen. Fax (0 30) 4 42 53 14

II

Neue JustizZeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern

55. Jahrgang, S. 505-560

NJ 10/01

Redaktion: Rechtsanwältin Adelhaid Brandt(Chefredakteurin)Barbara Andrä Dr. Ralf Poscher

Redaktionsanschrift:Anklamer Str. 32, 10115 BerlinTel.: (030) 4 42 78 72/-73Fax: (030) 4 42 53 14e-mail: [email protected]

Internetadresse:http://www.nomos.de/nomos/zeitschr/nj/nj.htm

Erscheinungsfolge: einmal monatlich

Bezugspreise: Jahresabonnement 199,– DM, inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand-kosten

Vorzugspreis: (gegen Nachweis) für Studenten jährl. 50,– DM,inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand-kosten

Einzelheft: 17,50 DM, inkl. MwSt., zzgl. Porto und VersandkostenBestellungen beim örtlichen Buch-handel oder direkt bei der NOMOSVerlagsgesellschaft Baden-Baden. Abbestellungen bis jeweils 30. September zum Jahresende.

Verlag, Druckerei, Anzeigenver-waltung und Anzeigenannahme: Nomos VerlagsgesellschaftWaldseestr. 3-5, 76530 Baden-Baden,Tel.: (0 72 21) 21 04-0Fax: (0 72 21) 21 04-27

Urheber- und Verlagsrechte:Die in dieser Zeitschrift veröffentlich-ten Beiträge sind urheberrechtlichgeschützt. Das gilt auch für die veröf-fentlichten Gerichtsentscheidungenund ihre Leitsätze; diese sind geschützt, soweit sie vom Einsender oder vonder Redaktion erarbeitet und redigiert worden sind. Kein Teil dieser Zeit-schrift darf ohne vorherige schriftlicheZustimmung des Verlags verwendetwerden. Das gilt insbesondere fürVervielfältigungen, Bearbeitungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungenund die Einspeicherung und Verarbei-tung in elektronischen Systemen.ISSN 0028-3231

Redaktionsschluss: 17. September 2001

In d iesem Hef t …

BGH:Zur arglistigen Täuschung durch den Erwerber eines Restitutionsanspruchs (Gruber) . . . . . . . . . . . . 543BGH:Anwendbarkeit von § 85 Abs. 2 ZPO auch im PKH-Verfahren (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544OLG Jena:Meinungsfreiheit, Ehrschutz und »Schmähkritik« (Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544OLG Dresden:Insolvenzanfechtung bei objektiver Gläubiger-benachteiligung in masseinsuffizienten Verfahren(Biehl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545OLG Jena:Zur Zulässigkeit der Sicherungshaft (Ls.) . . . . . . . . 546OLG Brandenburg:Ansprüche nach dem SachenRBerG bei bau-lichen Investitionen des Nutzers aufgrund eines Überlassungsvertrags (Zank). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547OLG Jena:Nur ausnahmsweise Arbeitnehmerstellung eines GmbH-Geschäftsführers im Insolvenzrecht (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549OLG Dresden:Örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichts bei Änderung der Gerichtsbezirke . . . . . . . . . . . . . . . 549OLG Dresden:Anordnung von Sicherungshaft gegen in U-Haft befindlichen Ausländer (Ls.) . . . . . . . . . . . . . 550OLG Naumburg:Mängelgewährleistungsrechte beim Handels-kauf (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550OLG Dresden:Zur Dauer der Abschiebungshaft (Renner). . . . . . . 550Kammergericht:Zurückbehaltungsrecht bzgl. Wärme- und Wasserlieferung durch Wohnungseigentümer-gemeinschaft bei Wohngeldrückständen (Ls.). . . . . 551Kammergericht:Rechtsfähigkeit und Eintragung einer DDR-Vereinigung in das Vereinsregister (Ls.) . . . . . . . . . . 551OLG Brandenburg:10%ige Gebührenermäßigung nach EinigungsV bei überörtlicher Anwaltssozietät . . . . . . . . . . . . . . . . 551OLG Jena:Keine PKH im Verbraucherinsolvenzverfahren bei Masselosigkeit (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552

� 03 Strafrecht

BGH:Beihilfe zur Tötung/Verletzung von Personen durch Mitwirkung an Abfassung der Befehle zur Grenzsicherung der innerdeutschen Grenze (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552Kammergericht:Öffentlicher Antikriegsaufruf zur Verweigerung der Beteiligung am Jugoslawienkrieg vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt . . . . . . . 553

� 04 Verwaltungsrecht

BVerwG:Zur Beeinträchtigung der Lebensräume besonders geschützter Tierarten durch Lückenbebauung (Brandner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555BVerwG:Zur unlauteren Machenschaft bei Grundstücks-überschuldung und nachfolgendem Eigentums-verzicht (Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556BVerwG:Kein Verwalterunrecht bei Veräußerung eines landwirtschaftlichen Betriebs zur Erfüllung einer Altenteilsverpflichtung (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557BVerwG:Ausschluss hauptamtlicher Pateifunktionäre der KPdSU vom Erwerb des Spätaussiedlerstatus (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557BVerwG:Kein Grundsteuerlass bei strukturell bedingtem Wohnungsleerstand (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557BVerwG:Zur Klagebefugnis des Grundstückseigentümers gegen Vermögenszuordnungsbescheid (Ls.) . . . . . . 558BVerwG:Erlösauskehr iSd § 6 Abs. 6a Satz 4 VermG aF umfasst nur den tatsächlich gezahlten Kaufpreis (Gruber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558OVG Frankfurt (Oder):Landrat als Behörde iSd Verwaltungsprozess-rechts (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559

� 05 Arbeitsrecht

LAG Halle:Gegenstandswert bei Freistellung von der Erbringung der Arbeitsleistung durch Prozess-vergleich (Ls.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559LAG Berlin:Gegenstandswert bei Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559LAG Chemnitz:Gegenstandswert bei Verfahren wegenUnwirksamkeit von Betriebsratsbeschlüssen . . . . . 559LAG Berlin:Gegenstandswert bei mehreren Kündigungs-schutzklagen (Ls.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560

Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IIIAktuelle Buchumschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IIIZeitschriftenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Beilagenhinweis: Dieser Ausgabe liegt ein Prospektder Nomos Verlagsgesellschaft bei. Wir bittenfreundlichst um Beachtung.

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IIINeue Justiz 10/2001

TERMINEDas Institut für Bankrecht und Bankwirtschaft an der UniversitätRostock veranstaltet am 15. November 2001 den 7. Rostocker Banken-tag unter dem Thema

»Bürgschaften, Garantien, Patronate«.Nach einem einführenden Vortrag »Bürgschaften, Garantien und Patro-nate aus bankwirtschaftlicher Sicht« von Michael Zeitter (Abteilungs-direktor der Deutschen Kreditbank) werden RiBGH Dr. Gero Fischer zuden Bürgschaften, RA Dr. Jens Nielsen zu den Garantien und Prof.Dr. Norbert Horn zu den Patronaten näher Stellung nehmen.Tagungsgebühr: 130 DMAnmeldung und weitere Informationen: Sekretariat des Instituts fürBankrecht und Bankwirtschaft, Universität Rostock (Frau Piehl), Möll-ner Str. 10, 18109 Rostock. Tel.: (0381) 498 3782

*Die Evangelische Akademie Loccum veranstaltet vom 31.10. bis2.11.2001 eine Tagung

»Die offenen Szenen der Großstädte.Drogenabhängigkeit, Obdachlosigkeit und Prostitution an den

Zentralorten der Städte«.Es sind Diskussionen zu u.a. folgenden Themen vorgesehen: • Offene Szenen – Wie setzen sie sich zusammen, wie entwickeln sie

sich gegenwärtig? Bestandsaufnahme und Problemanzeigen (mitProf. Dr. Wilfried Breyvogel, Universität Essen; Alfred Lessing,Drogenbeauftragter der Stadt Hannover; Polizeidirektor RichardBehrens, Hannover)

• Strategien zwischen Vertreibung, Kriminalisierung und effektiverAusstiegshilfe im nationalen und internationalen Vergleich (mitProf. Dr. Arthur Kreutzer, Universität Gießen; Prof. Dr. Jürgen Rehm,Leiter des Instituts für Suchtforschung, Zürich; Michael Hallstein,Polizeipräsidium Frankfurt/M.)

• Mit verringerten Ressourcen vor wachsenden Aufgaben. Die Wohl-fahrtsverbände in der Krise der Städte (mit Karl-Horst Junge, Sprecherder Wohlfahrtsverbände Essen; Heiner Peterburs, Geschäftsführerder Gemeinnützigen Gesellschaft für Sozialtherapie und Pädagogik,Hannover)

Tagungsort: Evangelische Akademie LoccumTagungsgebühr: 200 DM einschl. Übernachtung u. VerpflegungAnmeldung und weitere Informationen: Evangelische Akademie Loccum,PF 2158, 31545 Rehburg-Loccum. Tel.: (05766) 81-0, Fax: (05766)81-900. E-mail: [email protected]

*Juristische Seminare in Berlin bietet im November 2001 folgendeSeminare an:

»Das Kreditinstitut als Drittschuldner und Gläubiger in der Forderungspfändung«

Referent: Prof. Johannes Behr, BerlinTermin: 12. November 2001

»Produkthaftung im nationalen und internationalen Bereich«Referent: Verena Glaser-Ries, BerlinTermin: 26. November 2001Tagungsgebühr: jeweils 690 DM zzgl. MwStTagungsort: jeweils Hotel SteigenbergerWeitere Informationen: Juristische Seminare in Berlin, Rackebüllerweg2 B, 12305 Berlin. Tel. u. Fax: (030) 743 19 36, e-mail: [email protected]; Internet: www.behr-seminare.de

*Das Kommunale Bildungswerk e.V. veranstaltet im November 2001in Berlin folgendes Spezialseminar:

»Die Wertermittlung nach dem Schuldrechtsanpassungsgesetz und nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz«

Schwerpunkte:• Grundzüge der Verkehrswertermittlung für Grundstücke (Definition

und Rechtsgrundlagen der Verkehrswertermittlung; Anforderungenan ein Verkehrswertgutachten)

• Wertermittlung nach dem SchuldRAnpG• Wertermittlung nach dem SachenRBerGDozent: Obervermessungsrätin Dipl.-Ing. Gisela FabianTermin: 15.11. bis 16.11.2001Seminargebühr: 300 DMWeitere Informationen: Kommunales Bildungswerk e.V., Gürtelstr. 29 a/30,10247 Berlin. Tel.: (030) 293350-0, Fax: (030) 293350-39; E-mail:[email protected]; Internet: http://www.kbw.de

AKTUELLE BUCHUMSCHAURodolfo ArangoDer Begriff der sozialen GrundrechteNomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001302 S., brosch., 98,– DM. ISBN 3-7890-7272-9Das Werk legt dar, warum Grundrechte auf Nahrung, Gesundheit,Bildung, Arbeit und ähnliches unabdingbare Elemente modernerdemokratischer Verfassungsstaaten darstellen. In den Zeiten der Glo-balisierung und des Abbaus des Sozialstaats kommt den sozialenGrundrechten eine besondere Bedeutung zu. Sie bilden eine morali-sche und rechtliche Basis staatlichen und gesellschaftlichen Han-delns, die durch politische Entscheidungen nicht in Frage gestelltwerden kann.

Klaus Bosselmann/Michael SchröterUmwelt und GerechtigkeitLeitlinien einer ökologischen GesetzgebungNomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001180 S., brosch., 58,– DMISBN 3-7890-7382-2Traditionell wird das Prinzip der Gerechtigkeit als eine rein zwischen-menschliche Kategorie verstanden. Dennoch stellt sich unter demGesichtspunkt einer nachhaltigen Entwicklung die Frage der Gerechtig-keit nicht nur in Bezug auf heute lebende und zukünftige Generationen,sondern auch in Bezug auf die natürliche Mitwelt. Das Buch beschreibtökologische Gerechtigkeit und ihre Verankerung im Gesetzesrecht.

Hans-Hermann Dirksen»Keine Gnade den Feinden unserer Republik«Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der SBZ/DDR 1945-1990Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2001939 S., geb., 68,– DM. ISBN 3-428-10217-7Nach 1945 hatten die Zeugen Jehovas in der SBZ ihr Evangelisierungs-werk wieder aufgebaut. Wegen ihrer Verweigerungshaltung in der Zeitdes Hitlerregimes erhielten sie den Status als »Opfer des Faschismus«.Aufgrund ihrer öffentlichen Missionsarbeit entwickelte die SED aberbald einen politischen Argwohn gegenüber der Religionsgemeinschaftund verbot sie 1950. Der Verfasser zeigt auf, wie das SED-Politbüro dieZeugen Jehovas zu verfolgen begann, und analysiert die von Strafge-richten in der DDR gesprochenen Urteile. Weitere Schwerpunkte derDokumentation stellen die Bekämpfung durch das MfS und die Ver-folgung der Wehrdienstverweigerer dar.

Jan MüllerSymbol 89 – Die DDR-Wahlfälschungen und ihre strafrecht-liche AufarbeitungBerlin Verlag Arno Spitz, Berlin 2001465 S., kart., 112,– DM. ISBN 3-8305-0127-7Die Untersuchung befasst sich mit den Manipulationen der DDR-Kommunalwahlen vom Mai 1989. Sie basiert auf einer Auswertungsämtlicher einschlägiger Justizmaterialien aus den inges. 76 Verfahren.Die Dokumente werden unter drei Gesichtspunkten analysiert: Zeit-geschichtliche Rekonstruktion des DDR-weiten Fälschungsgeschehens,rechtstatsächliche Untersuchung von Art und Umfang der unternom-menen Strafverfolgungsaktivitäten, Darstellung der aufgetretenenRechtsprobleme und juristische Bewertung der von den Gerichtengefundenen Lösungswege. Zugleich werden Möglichkeiten und Gren-zen einer »Vergangenheitsbewältigung durch Strafrecht« aufgezeigt.

Claudia ErwinVerfassungsrechtliche Anforderungen an das SchulfachEthik/PhilosophieVerlag Duncker & Humblot, Berlin 2001290 S., brosch., 128,– DM. ISBN 3-428-10278-9Der Religionsunterricht ist im Grundgesetz als ordentliches Lehrfachgarantiert. Aufgrund der ebenfalls verfassungsrechtlich garantiertenFreiheit der Teilnahme an diesem Unterricht sehen die Länder jedochseit langem Bedarf, für abgemeldete Schüler einen Ersatz- oder Alter-nativunterricht einzurichten, der i.d.R. unter der Bezeichnung »Ethik«oder »Philosophie« erteilt wird. Die Autorin gibt einen Überblick überdie schulrechtliche Ausgestaltung sowie über die Verfassungsmäßigkeitder Regelungen. Abgerundet wird die Dissertation durch die imAnhang dargestellten Regelungen der einzelnen Bundesländer, einVerzeichnis der Rechtsgrundlagen in den einzelnen Bundesländernund ein Sachregister.

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Neue Justiz 10/2001IV

Wolfram WaldnerEheverträge, Scheidungs- und Partnerschaftsvereinbarungenfür die notarielle und anwaltliche PraxisErich Schmidt Verlag, Berlin 2001179 S., kart., 58,– DM. ISBN 3-503-06011-1Der Autor gibt in seinem auf die Praxis ausgerichteten Formularbuchgezielte Hinweise für die Vertragsgestaltung. Behandelt werden z.B.bei Eheverträgen die Möglichkeit einer Abwandlung des gesetzlichenGüterstands, bei Scheidungsvereinbarungen die Möglichkeiten undGrenzen einer Regelung des nachehelichen Unterhaltsanpruchs, beiPartnerschaftsvereinbarungen die steuerlich zweckmäßige Gestaltungzur Absicherung des überlebenden Partners.

Dieter BüteDas Umgangsrecht bei Kindern geschiedener oder getrennt lebender ElternAusgestaltung – Verfahren – VollstreckungErich Schmidt Verlag, Berlin 2001215 S., kart., 59,80 DM. ISBN 3-503-06028-6Das KindschaftsrechtsreformG hat tiefgreifende Änderungen auch imUmgangsrecht mit sich gebracht. Der Autor stellt das Umgangsrechtgrundlegend dar und erörtert prozessuale Fragen, Fragen des IPR unddie materiellen Probleme des Umgangsrechts. Ausgewählte Hinweiseauf weiterführende Literatur, Text- und Formularentwürfe sowieGesetzes- und Vertragstexte zum IPR ermöglichen dem Benutzer einenschnellen und umfassenden Überblick.

Hubert W. van Bühren (Hrsg.)Handbuch VersicherungsrechtVon Kopf bis FußDeutscher Anwaltverlag, Bonn 20011.800 S., geb., 198,– DM. ISBN 3-8240-0373-2Das Handbuch behandelt sämtliche Probleme im Zusammenhangmit der Regulierung von Versicherungsansprüchen. Zunächst werdendie Systematik des VVG und die dazu ergangene Rechtsprechungdargestellt; in den weiteren Kapiteln werden dann die in der Praxiswichtigen Versicherungszweige umfassend erläutert. BesonderesAugenmerk wird dabei auf in der anwaltlichen Praxis häufig auftre-tende Fallkonstellationen gelegt. Die Bearbeitung der Mandate wirddurch Musterklagen zum jeweiligen Versicherungszweig und denAbdruck der entsprechenden Versicherungsbedingungen erleichtert.

Heinz Thomas/Hans PutzoZivilprozeßordnungVerlag C. H. Beck, 23., neu bearb. Aufl., München 20011.968 S., in Leinen, 98,– DM. ISBN 3-406-47527-2Das Werk bringt die Kommentierung auf den neuesten Stand undberücksichtigt die wichtigen Änderungen der ZPO, des EGZPO, desGVG und des europäischen Zivilverfahrensrechts wie z.B. das Ges. zurFörderung der außergerichtlichen Streitbeilegung v. 15.12.1999, dasGes. zur Beschleunigung fälliger Zahlungen v. 30.3.2000, das Ges. zurÄnderung von Vorschriften auf dem Gebiet der Anerkennung undVollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssa-chen v. 19.2.2001 sowie das LebenspartnerschaftsG v. 16.2.2001.

Gerhard NothackerJugendstrafrechtFälle und LösungenNomos Verlagsgesellschaft, 3, aktual. Aufl., Baden-Baden 2001228 S., brosch., 29,80 DM. ISBN 3-7890-7278-8Die auf den aktuellen Stand in Gesetzgebung und Literatur gebrachteNeuauflage behandelt die Sanktionen gegenüber straffälligen jungenMenschen im Spannungsfeld zwischen Justiz und Jugendhilfe undzeigt Probleme des Verfahrens beim Vollzug freiheitsentziehenderSanktionen auf. Die Darstellung basiert auf Originalfällen, bereitet aufPrüfungsanforderungen vor und bietet Lösungsvorschläge für in derPraxis strittige Rechtsfragen.

Theodor Kleinknecht/Lutz Meyer-GoßnerStrafprozeßordnungMit GVG und NebengesetzenVerlag C. H. Beck, 45., neu bearb. Aufl., München 20012.050 S., in Leinen, 128,– DM. ISBN 3-406-47733-XDie Neuauflage des Standardkommentars berücksichtigt u.a. das Straf-verfahrensÄndG 1999 mit den Neuregelungen der §§ 131a-131c undden neuen §§ 474-491 StPO zur Erteilung von Auskünften und Akten-

einsicht und zur Verwendung von Informationen für verfahrensüber-greifende Zwecke. Außerdem wird das Ges. zur strafverfahrensrecht-lichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs und zur Änderung desGes. über Fernmeldeanlagen v. 20.12.1999 mit Änderung bzw. Einfü-gung der §§ 153a, 155a, 155b u. 172 kommentiert.

Gerd Michael Köhler/Cornelia Dürig-FriedlDemonstrations- und VersammlungsrechtVerlag C. H. Beck, 4., neu bearb. Aufl., München 2001372 S., kart., 48,– DM. ISBN 3-406-47758-5Die Neuauflage trägt u.a. der Tatsache Rechnung, dass Versammlungenund Aufmärsche rechtsradikaler Parteien und Gruppierungen gegen-über politischen Großdemonstrationen in den Vordergrund getretensind. Neben der Aktualisierung der Kommentierung wurden weitereStraftatbestände (z.B. § 130 StGB) und neue Erläuterungen zu den all-gemeinen Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder aufgenommen.Als Anlage wurden Prüfungsschemata zum VersG beigefügt.

Michael Kittner/Bertram Zwanziger (Hrsg.)ArbeitsrechtHandbuch für die PraxisBund-Verlag, Frankfurt/M. 20012.462 S., geb., 198,– DM. ISBN 3-7663-3250-3Das Nachschlagewerk gibt im Allgemeinen Teil einen umfassendenÜberblick über die Grundlagen des individuellen und kollektivenArbeitsrechts; im Besonderen Teil werden konkrete Einzelthemen ver-tiefend behandelt. Die Konzentration erfolgt auf die für den einzelnenFall notwendigen Inhalte und eine Darstellung der Problemlösungenim Gesamtzusammenhang. Erläutert werden alle im Jahr 2000 neugeregelten oder veränderten Themenbereiche. Ein detailliertes Stich-wortverzeichnis vervollständigt den praktischen Nutzen.

Reinhold Mauer/Andreas KrämerMarketingstrategien für RechtsanwälteVerlag C. H. Beck, 2. Aufl., München 2001300 S., in Leinen, 96,– DM. ISBN 3-406-46867-5Marketing ist die Kunst, Beziehungen zu Mandanten zu knüpfen undaufrecht zu erhalten. Das Werk weckt und schärft das Bewusstsein derAnwaltschaft für Marketing. Freiberufliche Tätigkeit und marktorien-tiertes Handeln sind keine Gegensätze, sondern sich notwendigergänzende Faktoren einer optimalen Rechtsberatung. Die Autoren zei-gen die praktische Umsetzung von Marketingansätzen, deren Darstel-lung durch zahlreiche Abbildungen und Übersichten erleichtert wird.

Uwe WeselRisiko RechtsanwaltKarl Blessing Verlag, München 2001256 S., geb., 42,– DM. ISBN 3-89667-065-4Der Autor zeichnet ein düsteres Bild vom Wirken der Rechtsanwälte inDeutschland: Die große Maschine Justiz und die Rolle der Anwälte als»Organ der Rechtspflege«; der schwierige Beruf des Strafverteidigers;Mammutkanzleien mit Hunderten von Anwälten; Werbung für denBerufsstand, die früher undenkbar war; telefonische Rechtsberatungund ihre Problematik; neuartige Prozessfinanzierungen, die demErfolgshonorar nahe kommen. Das Buch ist die kritische Beschreibungder Risiken, Stärken und Schwächen eines Berufs, der für viele Bürgerwichtig bleibt.

Weitere Neuerscheinungen:

Verfassungsgerichtsbarkeit in der Russischen FöderationVon V. A. Krjazkov und L. V. Lazarev. Berlin Verlag Arno Spitz, Berlin2001. 401 S., kart., 89,– DM. ISBN 3-87061-855-8.

Schiedsgerichtsbarkeit in KroatienVon Hrvoje Sikiric’. Verlag Recht und Wirtschaft, Heidelberg 2001.355 S., kart., 195,58 DM. ISBN 3-8005-1278-5.

VOB/A – leicht gemachtLeitfaden für die Praxis. Von Barbara Meißner. Verlagsgruppe Jehle-Rehm, 2. Aufl., München 2001. 456 S., kart., 58,– DM. ISBN 3-8073-1705-8.

(ausführliche Rezensionen bleiben vorbehalten)

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Neue JustizZeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern

505Neue Justiz 10/2001

Den Zivilrechtsalltag in der DDR hatte Rechtsanwalt L. de Maiziere in NJ1998, 454 ff., geschildert. In dem nachfolgenden Beitrag, einem am 29.6.2001anlässlich einer Tagung des Strafrechtsausschusses der Bundesrechts-anwaltskammer in Schwerin gehaltenen Vortrag, berichtet der Autor überseine Erfahrungen als Strafverteidiger in der DDR. Die sehr persönlichgehaltene Darstellung ist die erlebte Geschichte eines Kleinstadtanwalts,der in die spektakulären Strafprozesse vor dem Obersten Gericht der DDRnie eingebunden war.

Strafverteidigung unter den Bedingungen einer Diktatur

Ich wurde häufig gefragt, wie man unter den Bedingungen der ehem.DDR den Anwaltsberuf ausüben konnte.

Westdeutsche Juristen sind in den Beruf eingetreten unter denBedingungen einer freiheitlichen Demokratie. Die Freiheit, die siehaben, ist ihnen so selbstverständlich wie die Tatsache der freien,selbstbestimmten und unreglementierten Ausübung des Anwalts-berufs. Dies war uns, den zuletzt 603 Rechtsanwälten in der DDR,nicht möglich. In der DDR beherrschte die Politik das Recht. Sieduldete keine Freiheit.

Der Rechtsanwalt ist der Vertreter von Individualinteressen. Sichdiese Aufgabe zu erhalten, machte die Schwierigkeit unseres Berufs inOstdeutschland aus.

Hilde Benjamin formulierte 1951:

»Es geht nicht mehr in erster Linie um den Schutz des Individuumsgegenüber dem Staat und die Analyse aller seelischen Vorgänge, die denTäter zu einer Tat veranlaßt haben könnte. Diese Momente müssenzurücktreten gegenüber der für unsere Strafjustiz entscheidenden Auf-gabe des Schutzes unserer Ordnung und Gesellschaft.«

In dieses Bild passt auch der Satz des berüchtigten Staatsanwalts unterStalin, Andrej Wyschinski: »Richten ist Klassenkampf«.

In Diktaturen geraten die Menschen in Abhängigkeiten, die ihnendas Üben von Eigenständigkeit nimmt. Das Denken wird in bestimmteBahnen gelenkt. Dies beginnt bereits bei den Kindern in der Schule.Anpassung wird honoriert. Dem DDR-Bürger wurde Disziplin undOrdnung anerzogen. Charakterisiert wurde er als höflich, aber zurück-haltend kontrolliert, vorsichtig und gehemmt. Der BürgerrechtlerPastor Schorlemmer hat uns Ostdeutsche mit Tiefseefischen verglichen.Sie können nur unter Druck leben.

Der Psychologe Joachim Matz aus Halle schreibt in seinem Buch »DerGefühlsstau«:

»Unter der zur Schau getragenen Maske schmorte ein gestautes Gefühls-potential von existenziellen Ängsten, Schmerz und Traurigkeit, das vonBewußtsein und Wahrnehmungen ausgeschlossen blieb.«

Diese Abspaltung von Gefühlen war für viele Störungen und Fehlent-wicklungen im real existierenden Sozialismus von großer Bedeutung.Allen war klar, das wahre Gesicht zeigen und ehrliche Meinung sagen,war gefährlich. So wurde das aufgenötigte Gesicht allmählich zurGewohnheit. Nur auf diese Weise konnte man jungen MenschenRepublikflucht als ein kriminelles Delikt glaubhaft machen und siezum Schießen auf Flüchtlinge veranlassen.

Dies war die Situation, unter der wir verteidigt haben.Die psychische Belastung für die Strafverteidiger war oft unerträg-

lich. In vielen Verfahren war ich als Verteidiger tätig, wusste aber, dassich Unrecht nicht verhindern konnte. Geständnisse der Angeklagtenwaren oft erzwungen. Erst nach tagelangem Verhör unter großempsychischen und physischen Druck wurden die Geständnisse unter-schrieben. Ein einmal abgelegtes Geständnis wurde nach § 209 StPOin der Hauptverhandlung zum Gegenstand der Beweisaufnahme

Strafrechtsalltag in der DDR aus der Sicht eines RechtsanwaltsDietrich Schümann, Rechtsanwalt, Parchim*

10 0155. Jahrgang • Seiten 505-560

* Der Autor war von 1990 bis März 2001 Präsident der RechtsanwaltskammerMecklenburg-Vorpommern. Er wurde am 31.3.2001 von der Kammerversamm-lung zum Ehrenpräsidenten gewählt.

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gemacht und war das entscheidende Beweismittel gegen den Ange-klagten.

Nicht selten habe ich Männer in den Haftanstalten der DDR weinensehen. Kaum jemand hatte aus Angst vor Wiederholung der Verneh-mungen die Kraft, sein Geständnis zu widerrufen. Ein solcher Wider-ruf musste sorgfältig überlegt und begründet werden. Erklärte man inder Hauptverhandlung, dass das Geständnis erzwungen worden sei,dann wurde der vernehmende Offizier des MfS herbeigeholt. Er bestrittin seiner Zeugenaussage jeden Zwang, und die Staatsanwaltschafterhob Nachtragsanklage wegen Diffamierung der Mitarbeiter des MfS.Natürlich wieder wegen Boykotthetze. Die Strafe fiel dann entspre-chend hoch aus. – Dies habe ich mehrfach erlebt. So war man als Ver-teidiger mit seinem Rat für den Angeklagten ständig in Gewissensnot.Viele Angeklagte haben ihre erzwungenen Geständnisse vor Gerichtwiederholt, weil sie glaubten, dies wäre das kleinere Übel.

Die Frage eines möglichen Widerrufs musste zwischen Rechtsanwaltund Mandant unter den Bedingungen der Haftanstalt des MfS erörtertwerden; also immer in dem Bewusstsein, dass Gespräche abgehört wer-den. Wie das MfS gewonnene Erkenntnisse einmal verwerten würde,wusste damals niemand. Heute ist bekannt, dass einer unserer Kolle-gen von der Stasi erpresst wurde.

Unser Bemühen lag oft nur darin, dem einzelnen Mandanten inseiner ausweglosen Situation menschlich zur Seite zu stehen. Manbefand sich ständig in einem Zwiespalt. Die Verteidigung wurde zueiner Gratwanderung. Dennoch mussten wir diesen Grat so sichergehen, als wäre er eine breite Straße.

Die Situation nach 1945 und in den ersten Jahren der DDR

Im Jahre 1945 erfolgte der Wiederaufbau der Gerichte nach dem altenGVG von 1877. Der Justizaufbau war anfangs vierstufig. Er wurdespäter in Dreistufigkeit geändert. BGB, ZPO, StGB und StPO blieben– bereinigt von NS-Vorschriften – geltendes Recht.

Als erste wesentliche Änderung erfolgte 1952 die Neufassung derStPO. Dies war mit wesentlichen Einschränkungen der Rechte derVerteidigung verbunden. 1971 verabschiedete die Volkskammer derDDR das StGB. In den Jahren davor wurden mehrere strafrechtlicheNebengesetze erlassen. Von besonderer Bedeutung war die Wirt-schaftsstrafVO aus dem Jahre 1948, die bis 1971 eine außergewöhn-lich große Rolle spielte.

Wie sich Diktaturen gleichen, will ich an diesem Beispiel erläutern:

Die KriegswirtschaftsVO v. 4.9.1939 hatte folgenden Wortlaut:

»Wer Rohstoffe oder Erzeugnisse, die zum lebenswichtigen Bedarf derBevölkerung gehören, vernichtet, beiseiteschafft oder zurückhält unddadurch böswillig die Deckung dieses Bedarfs gefährdet, wird mit Zucht-haus oder Gefängnis bestraft.Es kann auf Vermögenseinziehung erkannt werden.«

Die WirtschaftsstrafVO der DDR lautete:

»Wer Gegenstände, die wirtschaftlichen Leistungen zu dienen bestimmtsind, ihrem bestimmungsgemäßen Gebrauch entzieht, kann mit …bestraft werden.In schweren Fällen kann auf Vermögenseinziehung erkannt werden.«

In der damaligen SBZ wurde die Justiz 1945 konsequent von Mitgliedernder NSDAP gesäubert. Also: Es gab kaum Richter und Staatsanwälte.Justizbeamte und Gerichtsvollzieher wurden als Richter eingesetzt.

Einige Rechtsanwälte waren am Neuaufbau der Justiz beteiligt. Sonstwurden ausgewählte und politisch zuverlässige Bürger in Lehrgängenvon sechs Monaten zu Volksrichtern und Staatsanwälten ausgebildet.Sie sprachen Recht – oder was sie dafür hielten. Sie wussten nichts vonder Unabhängigkeit eines Richters. Im Gegenteil: Sie wurden erzogen,um der Partei zu dienen.

Diese Richter und Staatsanwälte sahen die Rechtsanwälte als einRelikt einer für sie überwundenen alten Gesellschaftsordnung an.

Ein Agreement mit ihnen zu finden war ausgeschlossen. Ich habe esauch nie versucht.

Die SBZ und spätere DDR verstand sich anfangs als antifaschistisch-demokratischer Staat. Kaum jemand kannte den Satz von Walter Ulbricht:

»Es muß alles demokratisch aussehen, aber wir müssen es fest in derHand haben.«

Es wurde in der juristischen Ausbildung unmissverständlich gelehrt,dass nicht der Wortlaut des Gesetzes, sondern das antifaschistisch-demokratische Rechtsbewusstsein des Richters die Auslegung undAnwendung des geltenden Rechts bestimmt.

Diebstahl war nicht gleich Diebstahl. Wohl in der Beschreibung desTatbestands, nicht aber in der Sanktion. Bei Verletzung des sozialis-tischen Eigentums war der Strafrahmen wesentlich höher. Wer dasPortemonnaie einer Rentnerin gestohlen hatte, der konnte mit einergeringeren Strafe rechnen als jemand, der im gleichen Wert Geld ausder Ladenkasse im staatlichen Handel entwendet hatte.

1952 hatte diese Unterscheidung zwischen persönlichem undsozialistischem Eigentum ihren Höhepunkt gefunden im Gesetz zumSchutz des Volkseigentums. Die gesetzliche Mindeststrafe war ein JahrZuchthaus. Hilde Benjamin veröffentlichte dazu einen Artikel im»Neuen Deutschland«, dem Zentralorgan der SED, unter der Über-schrift: »Eine Hand voll Nägel – ein Jahr Zuchthaus«.

Das Politbüro der SED hatte den Bogen allerdings überspannt undes kam 1953 zum Volksaufstand. Das Ergebnis war ein sog. Neuer Kurs.Das Gesetz über das Volkseigentum blieb bestehen, ihm wurde aberdurch eine Richtlinie des Obersten Gerichts die Schärfe genommen.

Bis zur Neuregelung des Strafrechts fehlte es in der DDR an Bestim-mungen zum Staatsschutz. Man machte die Verfassung der DDRzum unmittelbar geltenden Strafrecht. Viele Angeklagte wurden zuhohen Freiheitsstrafen nach einer Verfassungsbestimmung verurteilt.Artikel 6 Verf./DDR aus dem Jahre 1949 hatte folgenden Wortlaut:

»Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen oder Organisatio-nen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Behinderung von Freiheit,Rassen- und Völkerhass, militärische Propaganda, sowie Kriegshetze undalle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung rich-ten, sind Verbrechen im Sinne des StGB.«

Der erste Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR unter dem Vorsitzvon Hilde Benjamin hat in seinem Urteil v. 4.10.1950 den Rechtssatzaufgestellt:

»Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik istein unmittelbar anzuwendendes Strafgesetz.«

Es ist unschwer zu erkennen, dass es sich bei Art. 6 Verf./DDR nicht umeine Strafrechtsnorm handelt, denn es wird kein Tatbestand beschrie-ben. Was Boykotthetze war, bestimmte das Gericht. Subsumtion einesSachverhalts unter dieses Gesetz war praktisch nicht möglich.Boykotthetze war alles, was die staatliche Ordnung kritisch berührte.

Diese Regelung jedoch als Strafrechtsnorm in Frage zu stellen, hättedas »berufliche Aus« bedeutet. Ich passte mich dieser Rechtsprechungan. Man verliert im Laufe der Zeit in einer totalitären Gesellschafts-ordnung das Gefühl für die Anormalität.

Immer wieder wurde das Strafrecht eingesetzt, um politische Zielezu erreichen.

In die Zeit meiner Ausbildung fiel 1953 die »Aktion Rose«, eineEnteignungswelle von Hoteliers an der mecklenburgisch-vorpom-merschen Ostseeküste. Ich erlebte die Strafverfahren als Praktikant nuraus einer gewissen Distanz. Sie haben mich dennoch stark bewegt.Dies war eine der großen Unrechtsaktionen der DDR-Justiz. Der FreieDeutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) baute damals für die Arbeiteraus den Industriegebieten einen Feriendienst auf. Es fehlte an Hotelsund Pensionen.

Hoteliers, die ihre Gäste kontinuierlich versorgen wollten, warenin der Zeit des Mangels auf Vorratswirtschaft angewiesen. Dies war»Hortung von lebenswichtigen Gütern« und führte zur Enteignungnach der WirtschaftsstrafVO.

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In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden generalstabsmäßigbei den Hotels an der Ostsee Hausdurchsuchungen durchgeführt.Natürlich fand man Vorräte über den täglichen Bedarf hinaus. DieVernehmungsmethoden der Stasi sorgten für notwendige Geständ-nisse. Haftbefehl, Anklage und Verurteilung zu hohen Freiheitsstrafenmit Enteignung waren die Folge. 447 Personen wurden in Haftgenommen, 440 Hotels und Pensionen enteignet.

Die größte Haftanstalt in Mecklenburg befand sich in Bützow. Hiersaßen die Hoteliers in Untersuchungshaft. Durch Abordnung vonRichtern der verschiedenen Kreisgerichte wurde faktisch ein Sonder-gericht gebildet.

Über Rechtsmittel entschied der Berufungssenat des BezirksG Schwe-rin, der gleichfalls in Bützow tätig wurde.

In dem Abschlussbericht der Bezirksbehörde der VolkspolizeiRostock von 1953 hieß es:

»Zur Vorbereitung der Aktion wurde ein Vorkommando eingesetzt …Die Aufgabe des Vorkommandos bestand darin, in strengster konspira-tiver Arbeit die zur Überprüfung in Frage kommenden Objekte festzu-stellen und die erforderlichen kriminalpolizeilichen Ermittlungen …durchzuführen.Seitens der Staatsanwaltschaft war es notwendig, in Anbetracht der zuerwartenden Strafverfahren und deren konsequenter Durchführungam Verwahrungsort der Untersuchungsgefangenen Strafkammern zubilden. Aus diesem Grunde wurden vier Staatsanwälte und vier Kreis-richter nach Bützow abgeordnet. Ferner wurden drei Bezirksrichter fürden Berufungssenat ebenfalls nach Bützow geschickt, um die Verfahrenendgültig in Bützow abzuschließen.Eine andere Regelung (Aburteilung in den jeweiligen Kreisen) hättebedeutet, daß der Ausgang der Aktion gefährdet worden wäre.«

Erfahrungen als Strafverteidiger in den 50er Jahren

Nach abgeschlossenem juristischen Studium begann ich meine Aus-bildung als Anwalt im Kollegium der Rechtsanwälte Schwerin. Nurkurze Zeit nach Beginn meiner Ausbildung erkrankte ein SchwerinerAnwalt, der auch umfangreich als Strafverteidiger tätig war. Ich wurdeals Krankheitsvertreter bestellt und bekam Auftrittsbefugnis bei denKreisgerichten und dem BezirksG Schwerin, auch als Verteidiger inStrafsachen. Dies war die wohl härteste Schule meines Berufslebens.

Die StPO soll die Rechte des Angeklagten in einem Strafverfahrensichern. Sie wird gelegentlich als »Magna Charta« des Angeklagtenbezeichnet. 1952 änderte die DDR als erstes der alten noch geltendenGesetze die StPO. Formell blieb das Recht auf Verteidigung bestehen;tatsächlich wurden die Rechte der Verteidigung erheblich eingeschränkt.

Der Verteidiger blieb von der Mitwirkung im Ermittlungsverfahrenausgeschlossen. Mit seinem inhaftierten Mandanten durfte er imErmittlungsverfahren nur mit Zustimmung der StaatsanwaltschaftRücksprache führen. Sie wurde i.d.R. nicht erteilt oder mit der Auflageversehen, dass man nicht über die Strafsache sprechen dürfe. DasGespräch fand dann unter Aufsicht eines Mitarbeiters des MfS statt.

Anklagen und Urteile wurden in politischen Verfahren dem Vertei-diger nicht zugestellt und dem Angeklagten gem. § 180 StPO nur zurKenntnis gegeben. Die Frist für die Zustellung der Anklage und dieLadung zur Hauptverhandlung betrug fünf Tage. Zur Akteneinsichtwar der Verteidiger erst danach befugt. Diese Einsicht in die Aktenerhielt der Verteidiger nur persönlich im Gerichtsgebäude. JederGefangene in der Untersuchungshaft des MfS erhielt eine Registrier-Nummer. Im Telefonverkehr mit der Untersuchungshaftanstalt undder Staatsanwaltschaft durften keine Namen, sondern nur die Gefan-genennummern genannt werden.

In der Hauptverhandlung hatte der Verteidiger kein Recht derdirekten Fragestellung an Zeugen oder Mitangeklagte. Er musste seineFragen über den Vorsitzenden des Strafsenats stellen, der dann denlnhalt der Fragestellung mit seinen Worten – oft natürlich entstellt –formulierte. Häufig wurden die Fragen des Verteidigers zurückge-

wiesen, weil der Sachverhalt aus der Sicht des Gerichts geklärt und dieFrage des Verteidigers überflüssig sei. Der systematische Aufbau einerFragestellung mit einer bestimmten Zielrichtung der Verteidigung wardamit unmöglich. Das formale Recht auf Verteidigung degeneriertezum Aushängeschild.

Vor den Strafsenaten des Bezirksgerichts wurde den Angeklagten gem.§ 76 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt. In den Vernehmungen durchdas MfS wurde dem Angeklagten regelmäßig gesagt, dass ein Verteidigernicht erforderlich sei, weil Staatsanwaltschaft und Gericht alle ent-lastenden Umstände bei der Urteilsfindung berücksichtigen würden.Ihnen wurde empfohlen, auf den Pflichtverteidiger zu verzichten. Sotraten viele Angeklagte ohne jede Vorbereitung auf die Hauptver-handlung vor den Richter und spürten bald, dass sie mit Einwendungenoder schuldentlastenden Momenten nicht gehört wurden. Dann ver-langten sie nach einem Verteidiger. Die Hauptverhandlung wurde abernicht etwa vertagt, sondern nur kurz unterbrochen. Der VorsitzendeRichter rief bei den Anwälten an, um nachzufragen, wer gerade frei sei.Er wurde zum Termin gebeten, erhielt seine Beiordnung als Pflicht-verteidiger, wurde über den Stand des Verfahrens informiert und hattenun – ohne Aktenkenntnis – zu verteidigen. Eine kurze Rücksprache mitdem Mandanten im Gerichtssaal war die einzige Informationsquelle.

Hier konnte die Verteidigung nur eine Alibifunktion erfüllen. DieRolle der Verteidigung wurde auch in der Sitzordnung im Gerichtssaaldeutlich. Der Staatsanwalt saß an der Stirnseite des Richtertischs.Optisch gehörte er zum Gericht. Der Angeklagte saß hinter einerBarriere. Sie trennte den Verteidiger und den Mandanten. Eine Kon-taktaufnahme war nur in den Pausen möglich.

Während meiner Ausbildung in Schwerin fiel das Los, Pflichtvertei-digungen dieser Art zu übernehmen, wiederholt auf mich. Gelegent-lich beantragte ich die Unterbrechung der Hauptverhandlung, ummich ordnungsgemäß vorbereiten zu können. Diese Anträge wurdenimmer abgewiesen. Das Gericht schloss sich fast ausnahmslos demAntrag der Staatsanwaltschaft an. Überzeugende und begründeteArgumente der Verteidigung wurden im Urteil nicht einmal erwähnt.Legte man gegen ein Urteil ein Rechtsmittel ein, dann wurde dieses fastregelmäßig durch Beschluss als »offensichtlich unbegründet« verworfen.

In die Zeit meiner Ausbildung fiel auch die Hauptverhandlunggegen mehrere Offiziere des Medizinischen Dienstes der NationalenVolksarmee der DDR. Der erkrankte Kollege, für den ich als Vertreterbestellt war, hatte die Wahlverteidigung eines dieser Offiziere über-nommen, der dann Hauptangeklagter der Gruppe war. Die Anklagelautete auf Spionage. Diese Hauptverhandlung verlief in sachlicherAtmosphäre. Alle Angeklagten waren geständig. Die Offiziere hattendem westlichen Nachrichtendienst Informationen über Abwehrmaß-nahmen der DDR im Falle eines Atomkriegs geliefert. Es war also derklassische Fall einer Militärspionage. So verteidigte ich ohne nennens-werte Berufserfahrung den Hauptangeklagten. Er wurde als einzigeraus dieser Gruppe zum Tode verurteilt. Es war ein Todesurteil voninsgesamt 72 Todesurteilen in politischen Verfahren, die bis 1982 inder DDR vollstreckt wurden. Nach dem Antrag der Staatsanwaltschaftund dem Urteil fand ich innerlich keine Ruhe. Ich zerbrach fast an derFrage: Hast du als Verteidiger versagt? – Heute wissen wir, dass dieEntscheidung über Leben und Tod eines Angeklagten nicht imGerichtssaal getroffen wurde. Die Entscheidung traf das Politbüro derSED. Richter waren nur Erfüllungsgehilfen.

Die Richter in den politischen Strafsenaten waren besonders aus-gewählt und dienten dem Regime ohne innere Skrupel als Vollstreckerdes Parteiwillens. Wenn sie den Gerichtssaal betraten, dann hatten sieden Angeklagten nach der Aktenlage in ihrer inneren Überzeugungschon für schuldig befunden. Ich erinnere mich an zwei Richter desBezirksG Schwerin, die den Angeklagten bei ihren Bemühungen umVerteidigung mit Zynismus begegneten.

Bei Einwendungen gegen das Ermittlungsergebnis wurden dieAngeklagten teilweise im Gerichtssaal angeschrien. Es drängte sich

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manchmal ein Vergleich zum Volksgerichtshof auf. Mir fehlte es anMut, den Richtern im Gerichtssaal offen entgegenzutreten.

Ein letztes Beispiel:1952 beschloss die 2. Parteikonferenz der SED ihr Programm zum

Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in der DDR. Der politischeund wirtschaftliche Druck verschärfte sich. Ein politisches Ziel war es,den Grund und Boden in eine Form der sozialistischen Bewirtschaf-tung zu überführen. Der Aufbau der LPGen begann. Die Landwirtehatten nach der Größe ihres Bauernhofs landwirtschaftliche Pflicht-ablieferungen zu erfüllen. Man nannte dies »das Soll«. Die Pflichtablie-ferungen zu erfüllen war oft mit Schwierigkeiten verbunden. EinigeAufkäufer des staatlichen Erfassungsbetriebs sahen hier eine Möglich-keit, sich ein »Zubrot« zu verdienen. Sie erteilten den Bauern z.T.Bescheinigungen über abgelieferte pflanzliche Produkte, die tatsächlichnicht geliefert waren. Natürlich musste dieser »Dienst« bezahlt werden.

Manch ein Bauer, der mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zukämpfen hatte, konnte auf diese Weise seine Pflichtablieferung erfül-len. In diesem Zusammenwirken zwischen den staatlichen Aufkäufernund den Bauern lagen durchaus Elemente von Rechtswidrigkeit.

Der Sachverhalt wurde aufgedeckt und zur Ermittlung der Staats-sicherheit übertragen. Es setzte ein regelrechtes »Bauernlegen« ein, dasunter der Bezeichnung »VEAB-Prozesse« in Mecklenburg Justiz-geschichte machte, heute aber weniger bekannt ist als die »AktionRose«. Besonders betroffen davon waren die Landkreise Parchim undLübz, in denen ich tätig war.

Eine Vielzahl von Bauern wurde angeklagt und zu langjährigenZuchthausstrafen verurteilt. Selbst aus Sicht der DDR waren die Strafenunverhältnismäßig hoch. Viele Bauern wurden enteignet.

Ich verteidigte einen Bauern, der den Hof seines Vaters als Pächterbewirtschaftete, einen Hof, der seit 1648 im Eigentum der Familiestand. Er wollte nicht Mitglied der LPG werden, war aber in die Hand-lungen mit den staatlichen Aufkäufern verstrickt. Gegen ihn wurdeauf eine hohe Zuchthausstrafe erkannt. Der Hof wurde enteignet,obgleich der Vater, der noch Eigentümer war, mit den Handlungenseines Sohnes nichts zu tun hatte.

Ein anderer von mir verteidigter Bauer starb nach einem solchenStrafverfahren und seiner Enteignung in geistiger Umnachtung in derPsychiatrie. Er war an den Vernehmungsmethoden des MfS, derEinzelhaft und der Härte des Urteils psychisch zerbrochen. – Menschen-schicksale, die mir in vielfältiger Weise begegnet sind und auch meinpersönliches Leben geprägt haben.

Die Ermittlungen des MfS in diesen Verfahren waren nicht sehrsorgfältig geführt. Aber die Bauern waren geständig. Ich war den Ermitt-lungen des MfS auf die »Schliche« gekommen, so dass ich Fehler in denErmittlungen nachweisen konnte. Das führte zwar nicht zu Frei-sprüchen, wohl aber in mehreren Verfahren zu erheblicher Entlastungfür die Angeklagten. Manche Enteignung wurde vermieden.

Später erfuhr ich, dass das MfS versucht hätte, mich von diesenVerfahren auszuschließen. Dies wäre ihnen aber leider nicht gelungen,da ich ihnen für Ermittlungen gegen mich selbst keine Ansatzpunktegegeben hätte.

Mein Umgang mit der Vergangenheit

Ich sprach bereits von einer Gratwanderung als Strafverteidiger.Manchmal wusste man nicht, wie nahe man selbst am Abgrund stand.

Wenn man in einer autoritären Gesellschaftsstruktur seinen Berufausüben will, dann ist ein Arrangement unverzichtbar. Die entschei-dende Frage ist, wie weit man es eingehen will. Diese Frage hat jederAngehörige eines geistigen Berufs für sich zu beantworten. Er solltediese Entscheidung letztlich dann auch vor sich selbst verantworten.Denn niemand weiß, wie er sich in der konkreten Situation verhaltenhätte.

Ich will mich zu meiner Vergangenheit immer wieder bekennen.Sie ist eine ständige Herausforderung, für die das Gebot gilt: »Du sollstnicht falsch Zeugnis reden wider Dich selbst.«

Für mich gab es zwei Kriterien als Verteidiger in politischen Ver-fahren: Wie weit darf ich gehen, um noch die Interessen des Mandan-ten zu wahren? Wo lag die Grenze meiner eigenen Sicherheit? Damitist auch die Frage beantwortet, ob die Anwaltschaft der DDR Kontakte– oder gar eine Zusammenarbeit – mit der Staatssicherheit pflegte.

Wir haben unseren Beruf immer als eine Pflicht gegenüber denMandanten verstanden. Dies schließt nicht aus, dass einzelne Anwälteauch ihre Mandanten verraten haben. Ein solcher Fall ist im Rahmender Anwaltsüberprüfung auch in Mecklenburg-Vorpommern bekanntgeworden und hat zum Widerruf der Zulassung geführt.

Ich habe mich gebeugt, mich aber nicht unterworfen. Manchmalhabe ich mit zwei Gesichtern gelebt. Ich habe meinen Beruf auch unterden Verhältnissen der DDR geliebt. Ich habe versucht, Freiräume zufinden und zu nutzen. Auch dies war möglich, weil das Verschwie-genheitsgebot – soweit es nicht durch illegale Maßnahmen der Stasiunterlaufen wurde – gewahrt blieb. Dies gab uns Möglichkeiten, dieandere DDR-Bürger nicht hatten.

Zur historischen Wahrheit gehört, dass sich in den 35 Jahren meineranwaltlichen Tätigkeit in der DDR viel verändert hat. Diese Verände-rungen wurden wegen der Bemühungen der Staatsführung der DDR uminternationale Anerkennung notwendig. Sie waren aber auch das Ergeb-nis des Ringens der Anwaltschaft der DDR um ihre originären Rechte.

Die Veränderungen vollzogen sich im Laufe der Jahre in kleinenSchritten: Die Atmosphäre im Gerichtssaal änderte sich. Im Strafrechtwandelte sich die Rolle des Strafverteidigers. Er bekam ein eigenesFragerecht an die Mitangeklagten, Zeugen und Sachverständige. DieStrafrichter folgten begründeten Beweisanträgen der Verteidiger undprüften sachlich die vorliegenden Beweise. In der Strafzumessungkam es zu Abweichungen von den Anträgen der Staatsanwaltschaft.(In politischen Verfahren vor den Bezirksgerichten habe ich diesallerdings nicht erlebt.) Die Verwerfungen von Rechtsmitteln durchBeschlüsse wurden seltener. Es war eine neue Generation von Richternherangewachsen. Sie begannen, sich Gedanken über eine richterlicheUnabhängigkeit zu machen. Sie mussten aber noch das Problem ihrerautoritären Erziehung bewältigen.

Die Anwaltschaft gewann im Laufe der Jahre an Selbstbewusstsein.Die Justiz wurde insgesamt berechenbarer. Dennoch blieb die DDR ein»vormundschaftlicher Staat«, der seine Bürger hinter Mauer undStacheldraht hielt. Wer das Land verlassen wollte, wurde krimina-lisiert, selbst wenn er es auf legalem Wege versuchte.

Mit der Unterzeichnung des Helsinki-Abkommens zur Entspan-nungspolitik in Europa durch die DDR im Jahre 1975 wuchs dieErwartungshaltung der Bevölkerung auf Reisefreiheit. Der Straftat-bestand des § 213 StGB und die Rechtsprechung blieben jedoch unver-ändert. Ich habe mir damals die Frage gestellt, ob ich die von derRegierung der DDR geweckte Hoffnung als Strafmilderungsgrund fürRepublikflucht vortragen solle oder ob nicht sogar konsequenterweiseein Freispruch beantragt werden müsste. Es war ein Stück Anpassung,dass ich diese Konsequenz nicht gezogen habe. § 213 StGB blieb jaweiterhin geltendes Recht.

Ich habe das große Glück erlebt, dass ich aus all diesen Gewissens-zwängen im November 1989 im Zuge der friedlichen Revolutionbefreit wurde.

Aus unserer Anpassung an das System erwächst eine politischeVerantwortung. Ich will versuchen, ihr gerecht zu werden, indem ichdas Nachdenken über die Vergangenheit wachhalte.

Über diesem Vortrag hätte daher ein Wort von Hans Mayer stehenkönnen, der seit 1948 an der Universität Leipzig lehrte und dem 1963dort die Lehrberechtigung entzogen wurde:

»Wir wollen nicht ohne Hoffnung leben. Ein Leben in Hoffnung ist abernur denkbar als ein Leben in der Wahrheit.«

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Das BMJ hat Ende 2000 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reformdes Sanktionenrechts (teilweise abgedr. in NJ 2001, 134 ff.) vorgelegt, mitdem u.a. eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der gemeinnützigen Arbeit,des Fahrverbots und der Verwarnung mit Strafvorbehalt sowie eine Stärkungdes Täter-Opfer-Ausgleichs angestrebt werden. Der Autor unterzieht diewesentlichsten Änderungen aus Sicht des Praktikers einer kritischen Prüfungund gelangt zu dem Ergebnis, dass die an sich erforderlichen Veränderungenim Sanktionenrecht mit dieser Reform nicht erreicht werden können.

I. Vorbemerkung

Bereits die frühere Bundesregierung hielt das strafrechtliche Sanktio-nensystem für reformbedürftig. Deshalb hatte der ehem. Bundesjustiz-minister Edzard Schmidt-Jortzig eine Kommission aus Praktikern undHochschullehrern eingesetzt, die ihren Abschlussbericht1 aber erst imFrühjahr 2000 und damit nach Antritt der neuen Bundesregierungvorlegte. Er erstreckt sich auf eine breite Palette von Vorschlägen, wel-che wie die strafprozessuale Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichsz.T. bereits während der Arbeit der Kommission Gesetz geworden sind2

oder die wie die elektronische Fußfessel erst noch erprobt werden sol-len. Ein Teil der Themen, mit denen sich die Kommission befasste,fand Eingang in den Referentenentwurf des BMJ zur Reform des Sank-tionenrechts v. 8.12.2000.

Nicht aufgegriffen hat der Entwurf erfreulicherweise das rechts-politisch verfehlte Anliegen, die Grenze für die Aussetzung von Frei-heitsstrafen zur Bewährung auf drei Jahre anzuheben. Führt man sichvor Augen, was man sich in Deutschland alles leisten kann, bevor manzu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wird, so zeigt sich,dass eine derartige Regelung die Strafdrohungen der Vorschriften imBesonderen Teil des StGB ad absurdum führen würde.3 InsbesondereWirtschaftsstraftäter, bei denen bestenfalls noch die Aussicht auf Frei-heitsentzug abschreckende Wirkung hat, müssten auch bei von ihnenverschuldeten Millionenschäden kaum mehr mit der Verbüßung einerFreiheitsstrafe rechnen.

Es fehlen zudem Vorschläge zur Einführung einer Verbandsstrafe, zuÄnderungen der strafrechtlichen Bewertung von alkoholbedingtenAuswirkungen auf die Schuldfähigkeit und zur Ablösung der Gesamt-strafe von einer durch eine Zusatzstrafe für Nachtaten ergänzte Ein-heitsstrafe.

II. Zum Inhalt verschiedener Novellierungsvorschläge

1. Erweiterung des Anwendungsbereichs der gemeinnützigen Arbeit

Ein Kernpunkt des Entwurfs ist die Ausweitung der gemeinnützigenArbeit. Sie soll nach dem Willen der Verfasser in vielfältiger Weise alsReaktion auf in strafbarer Weise begangenes Unrecht dienen. Das istproblematischer, als es auf den ersten Blick scheint.

Gemeinnützige Arbeit hat sich in der Vergangenheit sowohl imJugendstrafrecht als auch im allgemeinen Strafrecht bewährt. Hierdient sie als mögliche Auflage nach § 153a StPO sowie als denkbareBewährungsauflage nach § 56b StGB. Dem nicht vermögenden Täterkann auf diese Weise ein Opfer abverlangt werden, welches zugleichDienst an der Gemeinschaft ist. Bei der Bestimmung der Anzahl derArbeitsstunden kann auf die individuellen Umstände des Beschuldig-ten Rücksicht genommen, eine Arbeits- in eine Geldauflage (bei einem

Umrechnungsfaktor zwischen 10 und 20 DM pro Arbeitsstunde)umgewandelt, Belastungsgleichheit hergestellt und so eine als gerechtempfundene Rechtsfolge ausgesprochen werden.

Dieser Vorteil der durch Flexibilität herstellbaren Belastungsgleichheitfehlt, wenn an die Stelle einer ausgesprochenen Geld- oder (bedingtenwie unbedingten) Freiheitsstrafe gemeinnützige Arbeit nach einemschematischen Umrechnungsfaktor tritt.4 Wer zu einer Geldstrafe ineiner bestimmten Tagessatzanzahl verurteilt wurde, der soll nach demEntwurf bei Finanzschwäche eine bestimmte Stundenzahl gemein-nütziger Arbeit leisten, und zwar völlig unabhängig davon, ob er einenschlecht bezahlten 40 Stunden Job hat, mehrere Kinder hüten mussoder arbeitslos ist. Die dadurch auftretende Belastungsungleichheitwäre allenfalls deshalb erträglich, weil gemeinnützige Arbeit alsErsatzstrafe nicht erzwungen werden kann. An ihre Stelle träte jedochdie Ersatzfreiheitsstrafe, die es aber ja tunlichst zu vermeiden gilt!

Bei vom Entwurf nicht vorgesehener gemeinnütziger Arbeit alsHauptstrafe träte hingegen keine Belastungsungleichheit auf, da siesogleich nach den individuellen Verhältnissen bestimmt werdenkönnte. Eine derartige Hauptstrafe begegnete allerdings angesichtsdes Art. 12 GG erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Nach dem Entwurf sähe das Gesetz gemeinnützige Arbeit vor– als Auflage nach § 153a StPO,– als Bewährungsauflage bei einer Verurteilung mit Strafvorbehalt,– als Ersatz für eine uneinbringliche Geldstrafe,– als Bewährungsauflage bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe auf

Bewährung,– als Abwendung einer Freiheitsstrafe auf Bewährung und– als Abwendung einer unbedingten Freiheitsstrafe von bis zu sechs

Monaten Dauer.

a) Grundsätzliche KritikDie Regelungen des Gesetzentwurfs hätten die unerträgliche Situationzur Folge, dass, egal was ausgesprochen würde, der Täter in all den o.g.unterschiedlichen Fällen immer gemeinnützige Arbeit zu leistenhätte.5 Natürlich drohte demjenigen, der keine gemeinnützige Arbeitleistet, irgendwann doch Freiheitsentzug. Und selbstverständlichmüsste er nach ausgesprochener Geldstrafe vor der gemeinnützigenArbeit einen fruchtlosen Zwangsvollstreckungsversuch ertragen. Unter-schiedlich wären aber nur die Zwischenstufen und die Folgen beiUnterlassen, nicht aber die zunächst spürbare Sanktion. Die Bevölke-rung, die ja – man scheut sich, einen derartigen Allgemeinplatz aus-sprechen zu müssen – nicht überwiegend aus Jurist(inn)en besteht,vermag aber die auch für Jurist(inn)en nicht überzeugenden Differen-zierungen des Gesetzes kaum zu verstehen. Sie wird es so empfinden,dass bei Klein- und unterer Mittelkriminalität nur gemeinnützigeArbeit droht. Das ist für das allgemeine Rechtsempfinden von Übel.

Besonders deutlich wird das im Blick auf die Extreme, die gemein-nützige Arbeit als Auflage nach § 153a StPO und zur Abwendung einerunbedingten Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten Dauer. Werdeneinem Ersttäter wegen eines Diebstahls z.B. 60 Stunden gemeinnützigeArbeit auferlegt, so entspricht das nach dem von § 55a Abs. 3 Satz 1

Der Gesetzentwurf zur Reform des Sanktionenrechts Oberstaatsanwalt Folker Bittmann, Halle/Saale

1 Im Internet veröffentl. vom BMJ unter www.bmj.bund.de, Link: Gesetzgebungs-vorhaben.

2 Ges. zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs undzur Änderung des Ges. über Fernmeldeanlagen v. 20.12.1999, BGBl. I S. 2491.

3 Ablehnend auch Kommissionsmitglied König, ZRP 2001, 67 ff.4 Ähnlich Helgerth/Krauß, ZRP 2001, 281, 282.5 Grundsätzliche Bedenken äußerten auch Helgerth/Krauß, ebenda, S. 281 f., und

der Deutsche Richterbund, DRiZ 2001, 174.

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Neue Justiz 10/2001510

StGB-E vorgesehenen Maßstab einem halben Monat Freiheitsentzug.Es liegt auf der Hand, dass das nicht angemessen ist. Die Folge wirdsein, dass die Höhe der Auflagen nach § 153a StPO drastisch zurück-gehen wird. Eine niedrige Auflage wird aber entweder kaum als aus-reichend angesehen werden können mit der Folge, dass vermehrtförmliche Sanktionen verhängt werden, oder, was eher wahrschein-lich ist, dass sie zur Nivellierung des gesamten Strafniveaus führt.6

Und das Gericht muss aufpassen, dass es dem Probanden keine höhereAnzahl gemeinnütziger Arbeitsstunden auferlegt, als er bei Festsetzungder Geldstrafe als deren Ersatz leisten müsste. Beachtet das Gerichtdiesen Zusammenhang nicht, dann schafft es einen Anreiz zumabsichtlichen Bewährungsversagen!

All diese Folgen zeigen: Ohne dass es klar ausgesprochen wird,verfolgt der Entwurf eindeutig das Ziel einer drastischen Senkung desStrafniveaus. Eine solche Herabsetzung mag sinnvoll sein oder nicht.Sie heimlich anzustreben, stimmt jedenfalls verdrießlich.

b) Kritik am UmrechnungsmaßstabDie neuen §§ 43 u. 55a StGB-E regeln die Umrechnungsfaktorensowohl für Geld- und Freiheitsstrafen in gemeinnützige Arbeit alsauch für Geld- in Ersatzfreiheitsstrafe. Weil eine Geldstrafe nur imEntzug finanzieller Mittel bestehe, bei der Ersatzfreiheitsstrafe abernoch der Entzug von Freiheit hinzukomme, soll nur noch ein TagFreiheitsstrafe an die Stelle von zwei Tagessätzen Geldstrafe treten.Der Entwurf verkennt, dass er mit diesem geänderten Umrechnungs-faktor an den Grundfesten des 1975 mit der großen Strafrechtsreformeingeführten Tagessatzsystems rüttelt.7 Es beruht auf dem Gedankender Belastungsgleichheit von armen und reichen Angeklagten und derVergleichbarkeit von Geld- und Freiheitsstrafe: Wer seine gesamteArbeitskraft einsetzen muss, um einen Tagessatz zu erwirtschaften, derhat in dieser Zeit keine Freiheit, etwas anderes zu tun. Er büßt alsonicht nur Geld, sondern auch Freiheit ein. Beides hat er zum Aufbrin-gen der Strafe einzusetzen. Demzufolge ist nur der Umrechnungs-faktor 1:1 systemgerecht.8

Hinzu kommt, dass es auch bei der Ersatzfreiheitsstrafe nicht zwin-gend ist, 24 Stunden täglich in einer Justizvollzugsanstalt verbringenzu müssen. Der Verurteilte, der über einen Arbeitsplatz verfügt, wirddiesen in der Regel beibehalten können. Bei einer Vollzeittätigkeitkann er unter Berücksichtigung von Pausen und Anfahrtswegen 10 bis12 Stunden außerhalb verbringen und sein Haftkostenbeitrag wirdnicht seinen gesamten Verdienst abschöpfen. In dieser Konstellationersetzt (jedenfalls z.T.) der Entzug von Freiheit das Geldopfer und trittnicht insgesamt zu diesem hinzu. Wer aber nichts tut, um die Geld-strafe zu tilgen, für den ist es angemessen, wenn er einen ganzen Tagpro Tagessatz in Unfreiheit zu verbringen hat.

Noch weniger akzeptabel ist es, an die Stelle eines Tagessatzes Geld-strafe nur gerade einmal drei Stunden gemeinnützige Arbeit treten zulassen. Auch wenn man mit der Entwurfsbegründung9 berücksichtigt,dass sich die drei Stunden nicht auf Werktage beziehen, sonderneinschließlich der Wochenenden, Feier- und Urlaubstage »errechnet«wurden, so ist dieser Umrechnungsfaktor unrealistisch niedrig.Wenn das Tagessatzsystem den gesamten Tagesverdienst abschöpfensoll, dann müssen – wie es die Regelungen einiger Bundesländer, dievon der Ermächtigung des Art 293 EGStGB Gebrauch gemacht haben,schon jetzt vorsehen – selbst unter Beachtung der aufgeführten freienZeiten mindestens sechs Stunden pro Tagessatz geleistet werden.

Ein derartiger Umrechnungsfaktor wäre hingegen nicht zu verein-baren mit einer Umwandelung von Geld- in Ersatzfreiheitsstrafe imVerhältnis 2 :1. Dann würde ein Tagessatz nur noch zu einem halbenTag Freiheitsentzug führen, bei sechs Stunden gemeinnütziger Arbeitpro Tagessatz wären also quasi 12 Stunden pro Tag Ersatzfreiheitsstrafezu leisten. Ein derartiges Umwandelungsverhältnis ließe sich unterBezugnahme auf die ursprüngliche Tagessatzanzahl zwar noch sach-gerecht begründen, würde aber zu dem Widerspruch führen, dass sich

dann ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe nur durch 12, ein Tag unbedingterFreiheitsstrafe aber bereits (nach dem Entwurf) durch vier bzw. (nachder dem hier befürworteten Maßstab) durch sechs Stunden gemein-nützige Arbeit tilgen ließe.

Aber auch dann, wenn man wie der Entwurf ein Umrechnungs-verhältnis von drei Stunden gemeinnütziger Arbeit pro Tagessatz vor-sieht, bleibt der Widerspruch bestehen, obwohl er sich dann nur ingeringerer Weise auswirken würde. In diesem Falle nämlich könnte einTag Ersatzfreiheitsstrafe quasi nur durch sechs, ein Tag unbedingterFreiheitsstrafe aber schon durch vier Stunden gemeinnützige Arbeitgetilgt werden. Dieser Widerspruch ließe sich nur dann vermeiden,wenn ein Tagessatz gerade mal zwei Stunden gemeinnütziger Arbeitgleichgesetzt werden würde – eine noch untragbarere Konsequenz!Angemessen ist es demnach lediglich, es beim Umrechnungsfaktorvon 1:1 zwischen Tagessatz und Ersatzfreiheitsstrafe zu belassen undfür die Tilgung eines Tages Freiheitsentzug mindestens sechs Stundengemeinnützige Arbeit vorzusehen.

Völlig unbedacht ist von den Entwurfsverfassern das fatale Signal,das von einem derart niedrigen Umrechnungsfaktor für die rechts-treue Bevölkerung ausgeht: Wer 40 Stunden dafür arbeiten muss, dasser seine Familie gerade so durchbringt, kann es nur als Hohn10

empfinden, wenn ein Verurteilter mit gerade mal der Hälfte – so wirdes trotz rechnerischer Unrichtigkeit empfunden werden – seine Strafeabarbeiten darf!

Systemwidrig ist auch die im Einklang mit den Vorschlägen derKommission vom Entwurf vorgesehene Möglichkeit, die Vollstreckungunbedingt verhängter Freiheitsstrafen von bis zu sechs Monaten durchgemeinnützige Arbeit, wenn auch im Verhältnis 1:4, abwenden zukönnen.11 Nach § 47 Abs. 1 StGB verhängt das Gericht eine Freiheits-strafe unter sechs Monaten nur dann, wenn dies zur Einwirkung aufden Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich ist.Nach dem Entwurf soll selbst dann, wenn das Gericht nicht nur dieFestsetzung einer Freiheitsstrafe für unerlässlich, sondern mangelspositiver Sozialprognose auch deren Vollstreckung für notwendigerachtete, demjenigen, der erstmals zu einer unbedingten Freiheits-strafe verurteilt wurde, die Möglichkeit eingeräumt werden müssen(§ 55a Abs. 1 Satz 2 StPO-E), diese Freiheitsstrafe durch gemeinnützigeArbeit zu tilgen. Der einzige Unterschied zur von § 55a Abs. 2 Satz 1StPO-E – ebenfalls systemwidrig12 – vorgesehenen Tilgung einer Bewäh-rungsstrafe soll im ungünstigeren Umrechnungskurs, 1:4 statt 1:3,bestehen. Es ist schlichtweg unverständlich, dass das gehörige Maßan Schuld, welches bei einer Verurteilung zu einer unbedingtenFreiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten verwirklicht worden seinmuss, durch die (nahezu) gleiche Sanktion ausgeglichen werdenkönnen soll wie ein mit einer Bewährungsstrafe geahndeter wesentlichgeringfügigerer Verstoß.

c) Praktische Probleme für die JustizSollte der Entwurf tatsächlich, so wie er vorliegt, Gesetz werden, dannführte er zu deutlich höherer Belastung der Gerichte.13 Sie müssteneine Vielzahl zusätzlicher Bewährungs- und Abwendungsfälle betreuen

Aufsätze Bittmann, Der Gesetzentwur f zur Re form des Sankt ionenrechts

6 Davor warnen auch Helgerth/Krauß (Fn 4), S. 283 (Abschwächung und Aufwei-chung!); diese Tendenz zeigt sich auch bei der vorgesehenen Neuregelung der§§ 59 ff. StGB, vgl. dazu unter 3.

7 Wie hier Schönke/Schröder/Stree, StGB, 26. Aufl., München 2001, Rn 3 zu § 43StGB u. Rn 4 zu § 40 StGB; a.A. Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., München 2001,Rn 4 zu § 43 StGB.

8 Für dessen Beibehaltung sprach sich auch die Kommission aus; ebenso Kintzi,DRiZ 2001, 198, 201.

9 Begr., S. 17 f.; berechtigt scharfe Kritik üben Helgerth/Krauß (Fn 4), S. 283.10 Ähnlich Helgerth/Krauß (ebenda), S. 283.11 Ablehnend auch Helgerth/Krauß (ebenda), S. 281 f.; Deutscher Richterbund

(Fn 5), S. 174.12 Dagegen auch Helgerth/Krauß (ebenda), S. 282 f.; Deutscher Richterbund (ebenda).13 Helgerth/Krauß (ebenda), S. 282, warnen zu Recht vor bürokratischen und Kon-

trollproblemen.

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511Neue Justiz 10/2001

und die Rechtsfolgenbemessung wäre weit schwieriger als bisher.Es müsste sowohl bei der Höhe der Auflagen nach § 153a StPO als auchbei der Tagessatzanzahl und der Bewährungsauflage immer genauüberprüft werden, ob sie in einem angemessenen Verhältnis zurTilgung oder Abwendung einer im weiteren Verlauf des Verfahrensmöglicherweise unumgänglichen Ersatz-, Bewährungs- oder unbe-dingten Freiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit stünden: Eineelende Rechnerei!

Wenig Mühe verwenden Entwurf und Begründung zudem auf dieFrage, wo denn die zu erwartende zusätzliche Menge gemeinnützigerArbeit abgeleistet werden soll. Es ist schon heute schwer, geeigneteEinsatzplätze zu finden. Um wieviel schwieriger wäre es, wenn die Nach-frage nach solchen Einsatzplätzen um das vermutlich mehr als Zehn-fache zunähme! Da selbst in der derzeitigen Situation die gemeinnützigeArbeit zu einem Teil durch schlichte Anwesenheit, vulgo: Gammeln,»geleistet« wird, bereitet die Vorstellung keine Mühe, dass das inZukunft die Regel und nicht mehr nur die Ausnahme sein würde.

Und wenn es nicht genügend Einsatzplätze gibt, dann kann es demTäter nicht angelastet werden, wenn er seine Auflage nicht erfüllt!Ein Bewährungswiderruf jedenfalls würde ausscheiden, weil kein gröb-licher und beharrlicher Auflagenverstoß festgestellt werden könnte.§ 55a Abs. 4 StGB-E begnügt sich zwar mit einer bloßen Fristsetzungund überlässt es dem Probanden, eine Einsatzstelle zu finden. Beifruchtlosem Fristablauf soll gem. § 454c Abs. 1 Satz 2 StPO-E eineFristverlängerung möglich sein, wenn der Verurteilte nachweist, dasser ohne eigenes Verschulden an der Arbeitsleistung gehindert war.Ansonsten soll das Gericht die Vollstreckung der Strafe anordnen,wenn der Nachweis geleisteter gemeinnütziger Arbeit nicht geführt ist,§ 454c Abs. 2, 1. Halbsatz StPO-E. Es ist aber verfassungsrechtlichhöchst zweifelhaft, ob die Vollstreckung angeordnet werden darf,wenn der Proband trotz Verlängerung der Frist ohne Verschuldengehindert war, die Stunden abzuleisten.14 Scheidet sie aber aus, dannwird weder die ausgeurteilte Strafe vollstreckt, noch werden dieArbeitsstunden geleistet! Die Strafe stünde also nur auf dem Papier.Es würde genügend Täter geben, die darauf spekulierten – und daswären keineswegs die harmlosesten!

Der Mangel an Einsatzstellen hätte auch Auswirkungen auf dieEinstellungen nach § 153a StPO gegen die Auflage, eine bestimmteAnzahl gemeinnütziger Arbeit zu leisten – häufig die einzig realistischeAuflage, die bei einem (nahezu) vermögenslosen Beschuldigten oderAngeklagten in Betracht kommt. Wird die Auflage nicht erfüllt, weilkeine Einsatzstelle zu finden ist und die sozialen Dienste der Justiz bzw.die Gerichtshilfe vermutlich vorrangig zu unbedingter Freiheitsstrafemit Abwendungsbefugnis Verurteilte zu vermitteln trachten, weil es ja(nur) für diesen Personenkreis gilt, Haft zu vermeiden, dann mussohne ausreichenden Anlass eine förmliche Sanktion verhängt werden.Das führt zu zusätzlichen Belastungen der Staatsanwaltschaften undGerichte, nimmt ihnen die wünschenswerte Möglichkeit, sich auf dieSchwerkriminalität zu konzentrieren und verursacht höhere Kosten –und hat doch nur zur Folge, dass dem dann Verurteilten eine Spiral-drehung weiter ebenfalls wieder gemeinnützige Arbeit angebotenwird, eine Möglichkeit, die allerdings erneut leer zu laufen droht.15

2. Stärkung des Täter-Opfer-Ausgleichs

Ein weiteres Anliegen des Entwurfs ist es, den bürgerlich-rechtlichenAnsprüchen des Opfers gegen den Täter stärker als bisher zum Durch-bruch zu verhelfen. Zu diesem Zweck soll das Gericht gem. § 459dAbs. 216 u. 3 StPO-E anordnen können, dass die Vollstreckung derGeldstrafe und/oder der Kosten unterbleibt, wenn der Beschuldigteim Gesetz näher bezeichnete Schadensersatzleistungen erbracht hat.Zusätzlich sieht § 40a StGB-E die Zuweisung von 10% der festgesetz-ten Geldstrafen an gemeinnützige Opferschutzeinrichtungen vor.Beide Vorschläge sind gut gemeint, aber nicht praktikabel.

a) Berücksichtigung von Wiedergutmachungsbemühungen des Täters bei der Geldstrafenvollstreckung

Unter dem Gesichtspunkt der Verfolgung seiner Ersatzrechte ist dasInteresse des Opfers am Strafverfahren ein rein instrumentelles:Die strafrechtliche Verurteilung hilft dem Opfer bei der Verfolgungseiner Rechte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Greift derStaatsanwalt »seinen« Fall aber nicht auf oder stellt er das Verfahrennach § 170 Abs. 2 oder § 153 StPO ein, so ist es darauf angewiesen,seine Ansprüche im Zivilverfahren durchzusetzen. Ihm können hierBeweiserleichterungen zugute kommen, die es im Strafprozess nichtgibt und aus verfassungsrechtlichen Gründen auch nicht geben darf.Es ist dann aber nicht nur auf sich allein gestellt, sondern hat oft nichtden Zugang zu den Beweismitteln, welche der Staatsanwalt beschaf-fen könnte und deren Vorlage erst das Eingreifen der Beweiserleichte-rungen ermöglichen würde. Die im Strafverfahren erhobenen Beweiseversetzen das Opfer also häufig erst in die Lage, seine zivilrechtlichenAnsprüche gegen den Täter mit Aussicht auf Erfolg einzuklagen.Ist ihm dies gelungen, dann allerdings wechselt in seinen Augen dieBedeutung der Strafjustiz. Hat sie den Täter zu Freiheits- oder Geld-strafe verurteilt, so »stört« sie nunmehr bei der Durchsetzung der bür-gerlich-rechtlichen Ansprüche. Es ist also ein durchaus verständlichesAnliegen des Opferschutzes, den Ersatzansprüchen einen, wenn auchbeschränkten, Vorrang vor der Geldstrafenvollstreckung einzuräumen.Möglichkeiten, dem Opfer entgegenzukommen, gibt es sicher viele.

Eine ganz andere Frage lautet, ob es sich dabei unter Gleichheits-gesichtspunkten um ein legitimes Anliegen handelt. Jeder Opferschutz imStrafverfahren ist verbunden mit der Gerechtigkeitslücke: Es kann nur einTeil der Opfer, dieser dann aber in recht komfortabler Weise, unterstütztwerden. Und die Ungleichbehandlung der Opfer, deren Angelegenheit sichdie Strafjustiz annimmt, und derjenigen, deren Fälle nicht zu den Staats-anwaltschaften oder Gerichten gelangen, würde durch den Nachrang derGeldstrafe noch zusätzlich verstärkt. Er nutzte zudem nur dem Opfer einerrelativ geringfügigen Straftat, nicht aber dem einer schwereren, mitFreiheitsstrafe geahndeten Tat! Letztlich wird sich diese Problematik nichtwiderspuchsfrei lösen lassen, solange das Zivilverfahrensrecht gänzlichanderen Maximen folgt als das Strafprozessrecht. Die Tendenz zur Stärkungder Opferrechte im Strafverfahren stellt für die bürgerlich-rechtlichenAnsprüche auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung die Legitimitätdes zivilrechtlichen Beibringungsgrundsatzes in Frage und führt zu einemAssimilationsdruck auf die ZPO in Richtung Amtsermittlungsprinzip.

Das verständliche Anliegen, dem Opfer verstärkt zur Durchsetzungseiner Ansprüche gegen den Täter zu verhelfen, verlangt keineswegs,dass Geldstrafen deswegen erlassen werden. Ist es dem Täter ein Bedürf-nis, das Opfer zu entschädigen, so hat es dazu nicht nur die Möglichkeitbeim Täter-Opfer-Ausgleich, sondern kann auch einseitig damit begin-nen. Derartige Aktivitäten werden allemal strafmildernd berücksichtigt.Wurde der Täter dann aber verurteilt und muss er eine Geldstrafebezahlen, so mag man bei der Vollstreckung den bürgerlich-rechtlichenAnsprüchen zwar den Vorrang einräumen; ein Grund für das eventuellsogar vollständige Unterbleiben der Vollstreckung der verhängtenGeldstrafe und der verursachten Kosten ist aber nicht ersichtlich.

Bi t tmann, Der Gesetzentwur f zur Re form des Sankt ionenrechts

14 Auch Helgerth/Krauß (ebenda), S. 282, halten den Widerruf der Gestattung derTilgung unbedingter Freiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit nur bei schuld-haftem Verstoß des Verurteilten für zulässig.

15 Ein weiteres, hier nicht näher zu beleuchtendes Problem bestünde in denAuswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Würden etliche Tätigkeiten ohne denAnfall von Arbeitskosten erledigt werden, so wären manche der auf diesemSektor tätigen Betriebe nicht mehr konkurrenzfähig und müssten schließen.Die Unternehmen aber, die erhalten blieben, könnten kaum das bisherige Lohn-niveau halten. Demzufolge wäre mit dem vorgeschlagenen Gesetz nicht nur dieNivellierung des Strafniveaus, sondern auch die des Lohnniveaus verbunden.

16 § 459d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 u. 2 StPO-E differenziert in Anlehnung an § 46a StGBzwischen Ersatz, der im Bemühen erbracht wurde, einen Täter-Opfer-Ausgleichzu erreichen, und sonstigen Wiedergutmachungsleistungen. Auch wenn dieRechtsprechung (Nachw. bei Tröndle/Fischer [Fn 7], Rn 3 ff. zu § 46a StGB) mitt-lerweile die Unterschiede zwischen beiden Alternativen herausgearbeitet hat, soist doch nicht – jedenfalls nicht aus dem Gesetzestext selbst – ersichtlich, worinder wesentliche Unterschied zwischen beiden Arten bestehen soll. Da auch dieFolgen nicht unterschiedlich ausgestaltet sind, sollte man, wenn man eine solcheRegelung überhaupt will, eine einfachere Formulierung wählen, womöglich eineeinheitliche Regelung (am besten auch gleich für § 46a StGB) treffen.

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Befürworter einer solchen Regelung mögen darauf verweisen, dassder Täter einen größeren Anreiz verspüren mag, die Ansprüche desOpfers zu befriedigen, wenn er dafür durch vollständigen oder teil-weisen Erlass der Strafe belohnt wird. Eine derartige Argumentationpervertiert aber die Rechtsordnung: Wer den Schaden, den er ange-richtet hat, behebt, wird zwar zu einer milderen Strafe verurteilt alsderjenige, der die Wiedergutmachung verweigert oder sie zu leistennicht in der Lage ist. Die verhängte Geldstrafe muss er dann aber ohnewenn und aber bezahlen. Derjenige hingegen, der sich bitten lässt underst spät zur vielleicht nur teilweisen Erfüllung seiner Rechtspflichtenbequemt, der soll dafür auch noch mit einem quasi Straferlass belohntwerden. Deutlicher kann man es nicht regeln: Der Einsichtige wirdbestraft und der Bockbeinige belohnt! Sollte eine derartige Regelungtatsächlich Gesetz werden, so müsste man jedem Täter raten, sichzunächst jedes Entgegenkommens dem Opfer gegenüber zu enthalten,um sich später für kleine Schritte zur Schadenswiedergutmachungreichlich belohnen zu lassen!

Die Konsequenz kann nur lauten: Vollstreckungserlass wegenSchadensersatzleistungen: Nein! Und wenn Vorrang vor Geldstrafen-vollstreckung, dann für alle Ansprüche aus unerlaubter Handlung.

b) Zuweisung eines Teils der Geldstrafe an OpferschutzeinrichtungenWährend der in § 40a StGB-E aufgegriffene Grundgedanke, einen Teilder Geldstrafen Opfern von Straftaten zugute kommen zu lassen,sicherlich akzeptabel ist, trifft das auf die vorgesehene gesetzlicheAusgestaltung nicht zu.

Unklar ist bereits, was eine Opferschutzeinrichtung ist. Angesichts derverlockenden Einnahmen ist zu erwarten, dass Einrichtungen, diesich jedenfalls auf dem Papier dem Opferschutz verschrieben haben,nur so aus dem Boden sprießen werden. Um einen zweckwidrigenMitteleinsatz zu vermeiden, würde man also zusätzliche Filter ein-bauen und nicht nur die Zulassung regeln, sondern auch das Vereins-gebaren kontrollieren müssen; auch wäre festzulegen, wieviel Prozentder Einnahmen unmittelbar Opfern zugute zu kommen hätten. Dasverlangte einen erhöhten Aufwand und zusätzliche Kosten.

Geregelt werden müsste zudem sowohl das Verhältnis zwischen den10% für die Opferschutzeinrichtung und den 90% für die Staatskasseeinerseits als auch dasjenige zwischen dem Anspruch der Opfer-schutzeinrichtung und den bürgerlich-rechtlichen Ersatzansprüchendes individuellen Opfers andererseits.

Letzteres ist unproblematisch, wird im Gesetzentwurf aber nichtausdrücklich angesprochen: Da die 10% einen Anteil an der Geld-strafe darstellen, genießen sie im Verhältnis zu anderen, also auch zuSchadensersatzansprüchen des Opfers, denselben Rang wie die Geld-strafe. Wird diese nachrangig ausgestaltet, dann trifft das auf sieinsgesamt, also auch auf den Anteil von 10% für die Opferschutzein-richtung zu.

Schwieriger zu regeln ist das Verhältnis zwischen Opferschutz-einrichtung und Staatskasse. Soll letztere als Inkassostelle für die vomGericht bestimmte Opferschutzeinrichtung fungieren oder darf, ggf.muss der Verurteilte direkt an diese bezahlen? Und wie findet einAusgleich statt, wenn er an eine Stelle mehr leistet als ihr gebührt, alsoz.B. 100% an die Staatskasse oder 20% an die Opferschutzeinrichtung?An wen muss er zuerst zahlen? Und was ist, wenn nur Teilzahlungenerbracht werden? Muss der Verurteilte etwa sämtliche Raten im Ver-hältnis 9:1 zwischen Staatskasse und Einrichtung aufteilen? Wie ist zuverfahren, wenn nicht die gesamte Geldstrafe gezahlt wird: Mussaufgeteilt werden oder darf derjenige das ihm Zugewendete auchbehalten, solange es nur seinen Anteil nicht überschreitet? Was gilt imFall der Tilgung durch gemeinnützige Arbeit? Darf sie für die Opfer-schutzeinrichtung erbracht werden? Oder muss der Staat ihr auf jedenFall die 10% Geldstrafe zukommen lassen, weil er ja in den Genuss dergemeinnützigen Arbeit kommt? Oder soll das nur, aber jedenfalls danngelten, wenn Teilzahlungen erbracht wurden? Und muss nicht eine

Regelung geschaffen werden, die gewährleistet, dass alle Opferschutz-einrichtungen gleichbehandelt werden? Wer soll das alles überwachen?

Hier droht ein bürokratischer Wasserkopf mit Kosten weit über demAnteil von 10% der Geldstrafen für eine Opferschutzeinrichtung zuentstehen. Eine derartige Regelung ist nicht sinnvoll. Es genügte vor-zuschreiben, dass ein bestimmter Anteil der Geldstrafen Opfern direktzugute kommen muss. Das könnte über die Einrichtung eines Fondsgeschehen. Die dagegen in der Entwurfsbegründung vorgebrachtenBedenken17 ließen sich sämtlich überwinden.

3. Verurteilung mit Strafvorbehalt

Die im Entwurf vorgesehene Umgestaltung der §§ 59 ff. StGB zu einermit einem erweiterten Anwendungsbereich versehenen »Verurteilungmit Strafvorbehalt« geht weitgehend auf die Vorarbeiten der Kom-mission zurück. Die bisherige »Verwarnung mit Strafvorbehalt« hatsich als flexibles Instrument bei Straftaten am oberen Rand derBagatellgrenze bewährt. Eine Maßnahme nach § 59 StGB ist z.B. danngeeignet, wenn dem Täter die Wiedergutmachung des von ihm ange-richteten Vermögensschadens auferlegt werden soll, er aber aus wirt-schaftlichen Gründen nicht in der Lage ist, ausreichende Leistungenin der knappen Frist von sechs Monaten zu erbringen, die § 153a StPOvorsieht. Es ist dann möglich, ihm das Erbringen monatlicher Scha-densersatzleistungen über immerhin drei Jahre aufzuerlegen. Das dientsowohl dem Opferschutz als auch der Spezialprävention, wird dem Ver-urteilten doch 36 Monate lang jeden Monat wieder sein Unrecht unddie bei Nichterfüllung der Auflage drohende Strafe vor Augen geführt.

Als Nachteil des geltenden Rechts hat sich sein allzu enger Anwen-dungsbereich erwiesen. Das zeigt sich sowohl in der Ausschlussregeldes § 59 Abs. 2 StGB, die nach dem Entwurf völlig zu Recht beseitigtwerden soll, als auch darin, dass § 59a Abs. 2 StGB nur Auflagen, aberkeine Weisungen zulässt und zudem lediglich auf die §§ 56b bis 56eStGB verweist, nicht aber auch auf § 56a StGB mit der Folge, dass eineVerlängerung der Bewährungszeit bestenfalls zur Vermeidung desWiderrufs zulässig ist, §§ 59b Abs. 1, 56f Abs. 2 StGB.18 Es besteht aberrecht häufig das Bedürfnis, die Bewährungszeit zu verlängern, weilauch derjenige Verwarnte, der seine Auflage zuverlässig erfüllt, damitdoch ab und zu einmal in Verzug gerät. Weil in diesen Fällen das Aus-setzen der Auflagenerfüllung regelmäßig auf verständlichen Gründenberuht – meist weil sowieso kaum Geld vorhanden ist und es z.B. ineinem Monat dringend für die Reparatur des für die Berufsausübungerforderlichen Kraftfahrzeugs benötigt wurde –, ist dann ein Widerrufmit der Folge der Verurteilung zu und Vollstreckung der vorbehalte-nen Geldstrafe nicht angemessen und unter Opferschutzgesichts-punkten auch gar nicht sinnvoll. Für diese wenn nicht typische, sodoch immer wieder eintretende Lage bietet das Gesetz keine sinnvolleLösung.

Die Novellierung böte hier beste Gelegenheit zur Abhilfe. Der Ent-wurf greift dieses Problem aber leider überhaupt nicht auf, ja verschärftes, wenn auch sicher unbewusst, noch dadurch, dass er in Überein-stimmung mit der Kommission das Höchstmaß der Bewährungszeitohne überzeugenden Grund auf nur noch zwei Jahre beschränkenwill.19 Aus der Sicht der Praxis sollte es bei erstmaliger Festlegung derBewährungszeit bei der Höchstdauer von drei Jahren verbleiben undzusätzlich § 59a Abs. 2 StGB dahingehend erweitert werden, dass er inZukunft auch auf § 56a Abs. 2 Satz 2 StGB verweist.

Eine Verurteilung mit Strafvorbehalt muss in Zukunft ausgespro-chen werden, wenn die veränderten Voraussetzungen des § 59 Abs. 1

Aufsätze Bittmann, Der Gesetzentwur f zur Re form des Sankt ionenrechts

17 Z.B. Begr., S. 14; wie hier auch Deutscher Richterbund (Fn 5), S. 174.18 Schönke/Schröder/Stree (Fn 7), Rn 3 zu § 59a StGB mN zum Streitstand.19 Die kürzere Bewährungszeit wird vom Deutschen Richterbund (Fn 5), S. 175,

befürwortet. Sie würde allerdings die zusätzlichen Belastungen der (vor allem)Amtsgerichte durch die Umwandlung des § 59 StGB in eine Muss-Vorschrift mitder Folge einer höheren Anzahl von Bewährungsfällen mindern.

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513Neue Justiz 10/2001

Nr. 1 bis 3 StGB-E vorliegen.20 Es wird dabei sehr genau darauf zuachten sein, dass § 59 StGB einerseits den ihm angemessenen Anwen-dungsbereich erhält, er andererseits aber die Geldstrafe nicht auch dortverdrängt, wo deren vorbehaltlose Ausurteilung sinnvoll ist undbleibt. Es wäre nicht sachgerecht, die Neuformulierungen der §§ 59 ff.StGB als Einfallstor für eine weitgehende Ersetzung der Geldstrafedurch ihren bloßen Vorbehalt zu missbrauchen.

4. Fahrverbot als Hauptstrafe

Würde das Fahrverbot wie vom Entwurf vorgesehen für Straftaten, dieim Zusammenhang mit einem Kraftfahrzeug begangen wurden, alsHauptstrafe eingeführt (§ 44 StGB-E), so erhielten die Gerichte zwarein größeres Spektrum, aus dem sie die Rechtsfolgen im Fall der Ver-urteilung schöpfen könnten. Die Praxis würde aber auch vor zusätz-liche Probleme gestellt und hätte höhere Belastungen zu verkraften.

Das Fahrverbot ersetzt bislang in aller Regel die an sich gebotene,aber z.B. aufgrund Zeitablaufs nicht mehr mögliche Entziehung derFahrerlaubnis und erfüllt insoweit eine Auffangfunktion. In der Praxiskommt es nur allzu häufig vor, dass Verfahren in die Berufunggetrieben werden, damit zweitinstanzlich nicht mehr festgestellt wer-den kann, dass der Angeklagte auch jetzt noch ungeeignet zum Führenvon Kraftfahrzeugen ist. Statt der gebotenen Maßregel, Entziehung derFahrerlaubnis, wird dann deklaratorisch ein Fahrverbot verhängt, des-sen Vollstreckung durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnisabgegolten ist. Zwar begründet der bloße Zeitablauf allein noch nichtdie Wiedereignung zum Führen von Kraftfahrzeugen,21 so dass dasBerufungsgericht trotz Ablaufs der erstinstanzlich festgelegten Sperr-frist die Maßregel nebst Mindestsperrfrist von drei Monaten verhän-gen darf. Davon wird aber nur selten Gebrauch gemacht, weil oftmalsdie Voraussetzungen für die Maßregel aufgrund des langen Zeitablaufseben doch nicht mehr vorliegen oder jedenfalls nicht mehr festgestelltwerden können. Entfällt aber die Entziehung der Fahrerlaubnis, so istnicht einzusehen, dass nach dem Entwurf an ihre Stelle unter Wegfallder (meist) Geldstrafe allein das – ggf. abgegoltene – Fahrverbot tretenkönnen soll. Der Angeklagte würde in diesem Fall das Berufungs-gericht ohne jegliche weitere spürbare Sanktion verlassen können!Würde eine derartige Regelung Gesetz, so schüfe man einen über dasbisher schon vorhandene Maß hinausgehenden, geradezu unwider-stehlichen Anreiz nicht nur zum Rechtsmittel, sondern auch zurzeitweisen Sabotage des Verfahrens mit dem Ziel, die Hauptverhand-lungen gnadenlos in die Zukunft zu verschieben. Die Einführung desFahrverbots als Hauptstrafe stünde also im Widerspruch zum Strebennach einem zügigen Verfahren mit einem (möglichst rechtskräftigwerdenden) Urteil alsbald nach der Tat.

Bei Verhängung des Fahrverbots als Hauptstrafe stellte sich zudemverstärkt das Problem der Belastungsgleichheit sowohl im Verhältniszwischen Tätern, die Inhaber einer Fahrerlaubnis sind, und anderen,die keine solche besitzen, als auch hinsichtlich des Grades der Ange-wiesenheit auf die Fahrerlaubnis (Viel-/Wenigfahrer; Berufspendlerund -kraftfahrer; Stadt/Land-Gefälle). Es ist kein Faktor ersichtlich, deres ermöglichen würde, Belastungsgleichheit herzustellen, also gleicheSchuld in eine aufgrund der unterschiedlichen Lebensumständenotwendigerweise ungleiche Dauer des Fahrverbots umzurechnen.Die Gerichte könnten also die Länge des Fahrverbots mangels Vorgabegesetzlicher Kriterien nur – rechtsmittelträchtig – nach den Umstän-den des Einzelfalls bemessen.

Eine Erleichterung der Praxis würde die Einführung des Fahrverbotsals Hauptstrafe sicher nicht bedeuten, ist es doch der Führerscheinbzw. die Fahrerlaubnis, um den/die mehr »gekämpft« wird als gegendie Verurteilung als solche oder die Verhängung einer Geldstrafe.Die Erhebung des Fahrverbots zu einer Hauptstrafe erscheint deshalbals verzichtbar. Sinnvoll wäre allerdings die Verdoppelung der Höchst-dauer des Fahrverbots als Nebenstrafe auf sechs Monate.22

5. Rechtsmittelregelung

Nach dem Entwurf soll gem. § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO-E der Widerrufder Gestattung der Abwendung der Vollstreckung der Freiheitsstrafedurch gemeinnützige Arbeit, der Widerruf der Aussetzung, der Erlassder Strafe, der Widerruf des Erlasses, die Verhängung der vorbehaltenenStrafe und die Feststellung, dass es bei der Verwarnung sein Bewendenhat (§§ 55a, 56f, 56g u. 59b StGB-E), mit der sofortigen Beschwerdeangefochten werden können. Obwohl diese Frage von den OLG unter-schiedlich beantwortet wird und deshalb aus Gründen der Rechts-sicherheit eine gesetzliche Regelung geboten ist, soll – unverständlicher-weise – allerdings nach wie vor ungeregelt bleiben, welcher Rechtsbehelfstatthaft ist, wenn das Gericht gegenteilig entschieden hat.23

III. Zusammenfassung

Die Zielsetzung des Entwurfs, den Strafgerichten auf der Rechtsfol-genseite einen größeren Spielraum einzuräumen, ist sicherlich sinn-voll. Die Mittel, die der Entwurf dazu einsetzen will, sind aber nur zumgeringen Teil geeignet, dieses Ziel zu erreichen.

Die Verabschiedung des Gesetzentwurfs würde zu einer drastischenSenkung des Strafniveaus und dazu führen, dass Täter die ihnen aufer-legten unterschiedlichen Sanktionen, von der Auflage nach § 153a StPObis zur unbedingten Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten Dauer,immer durch gemeinnützige Arbeit tilgen dürften und somit auf glei-che Weise trotz höchst unterschiedlichen Maßes ihrer Schuld getroffenwerden würden. Die Überstrapazierung des an sich sinnvollen Gedan-kens, als Sanktion für begangenes mäßiges Unrecht Arbeitsstundenableisten zu müssen, droht zu einer Überforderung der Einsatzstellen zuführen mit der Folge, dass »Strafen« zu einem nennenswerten Teil nurnoch auf dem Papier stehen würden. Die dem Entwurf zugrundegelegten Umrechnungsfaktoren für Geld- bzw. Freiheitsstrafe undgemeinnützige Arbeit einerseits und für Geld- und Ersatzfreiheitsstrafeandererseits sind unrealistisch niedrig und nicht akzeptabel. Sie wür-den die Praxis zudem zu komplizierten, damit zeitaufwendigen undfehler-, also rechtsmittelträchtigen Rechenoperationen zwingen.

Opferansprüchen den Vorrang vor der Vollstreckung von Geld-strafen einzuräumen, ist sicher sinnvoll. Die im Entwurf vorgeseheneAnrechnung von Schadenersatzleistungen auf die Geldstrafe ist aberebenso abzulehnen wie die geplante Beteiligung von Opfereinrich-tungen an Geldstrafen. Sie führte zu einer unproduktiven und kosten-trächtigen Bürokratisierung und wäre zudem sehr missbrauchs-anfällig. Eine Fondslösung ist vorzugswürdig.

Die vorgesehenen Änderungen der §§ 59 ff. StGB können dazubeitragen, diesem Institut in Zukunft seinen angemessenen Anwen-dungsbereich zu sichern, gehen aber einerseits nicht weit genug undengen andererseits den für die Praxis wünschenswerten Spielraum miteiner Beschränkung der Höchstdauer der Bewährungszeit auf nur nochzwei Jahre unnötig ein.

Die Erhebung des Fahrverbots zur Hauptstrafe ist nicht erforderlich,verführt zu unerwünschten Rechtsmitteln und bringt für die Praxiszusätzliche Belastungen mit sich.

Trotz einiger erfreulicher Ansätze überwiegt also die Kritik deutlich.Das Fazit kann deshalb insgesamt nur lauten: Veränderungen im Sank-tionenrecht hin zu stärkerer Differenzierung: ja; aber besser keine alseine solche Reform!

Bi t tmann, Der Gesetzentwur f zur Re form des Sankt ionenrechts

20 Ablehnend Deutscher Richterbund (Fn 5), S. 174 f.21 Himmelreich, DAR 1997, 305; a.A. Schulz, NZV 1997, 62; siehe auch VG Berlin,

NZV 2001, 139.22 Ebenso Deutscher Richterbund (Fn 5), S. 175.23 Nachw. zum Streitstand bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., Mün-

chen 2001, Rn 13 zu § 453 StPO.

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Neue Justiz 10/2001514

Die Zulassung als Rechtsanwalt beim BundesgerichtshofMinisterialrat Hans-Ulrich Borchert, Potsdam

Voraussetzung für die Rechtsanwaltszulassung beim BGH ist gem. § 164BRAO die Benennung durch den Wahlausschuss für Rechtsanwältebeim BGH. Nachdem das BVerfG Ende vergangenen Jahres das System derSingularzulassung beim OLG für verfassungswidrig erklärt hat, ist auchdie Singularzulassung beim BGH wieder verstärkt in die Kritik geraten.Der Autor plädiert insbesondere für die Abschaffung der zahlenmäßigenBegrenzung der BGH-Anwaltschaft.

1. Vorbemerkung

Bereits in der 12. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags ist imZusammenhang mit der damaligen Novellierung des anwaltlichenBerufsrechts die Frage der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beim BGHerörtert worden. Weder das BMJ noch der Rechtsausschuss des Deut-schen Bundestags haben die Frage in der jetzigen Legislaturperiodebislang aufgegriffen. Die rechtspolitische Diskussion dieses Themas istdurch die Entscheidung des BVerfG v. 13.12.20001 wieder eröffnet.So greift z.B. Römermann 2 in seinem Beitrag »Wegfall der Singular-zulassung – was nun?« die Problematik der BGH-Anwaltschaft auf.Auch Füßer/Schramm 3 und Hartung4 äußern sich kritisch gegenüberder Singularzulassung bei dem BGH. Der Kritik ist aus berufsrechtlicherund verfassungsrechtlicher Sicht beizupflichten.

2. Berufsrechtliche Bewertung

Der Gesetzgeber hat mit Einführung einer besonderen Rechtsanwalt-schaft beim BGH den Zweck verfolgt, eine Anwaltschaft zu schaffen,die sich in besonderem Maße durch wissenschaftliche Arbeit und prak-tische Erfahrung auszeichnet. Von den Befürwortern des geltendenAuswahl- und Zulassungsverfahrens wird angeführt, dass gute underfolgreiche Anwälte nur zu gewinnen seien, wenn ihnen ein ausrei-chendes Betätigungsfeld geboten werde. Einer Vergrößerung der Zahlder beim BGH zugelassenen Rechtsanwälte stehe das Erfordernis derErhaltung der Leistungsfähigkeit der Anwaltschaft beim BGH ent-gegen. Die zahlenmäßige Begrenzung sei geboten, weil ihre Postula-tionsfähigkeit beschränkt sei. Der Geschäftsanfall der Zivilsenate desBGH begrenze praktisch die mögliche Zahl der zugelassenen Rechts-anwälte. Über diese Grenze hinausgehende Zulassungen seien nurmit Minderung der persönlichen Qualifikation möglicher Bewerberzu erkaufen, was unvereinbar mit dem bei der Schaffung der Rechts-anwaltschaft beim BGH verfolgten Gesetzeszweck wäre.

Dem ist insoweit zuzustimmen, als es angesichts der Hauptaufgabedes BGH, als Rechtsmittelgericht für die Rechtseinhaltung und dieVoraussehbarkeit der Rechtsanwendung zu sorgen, sinnvoll erscheint,bei der Zulassung von Rechtsanwälten bei diesem Gericht darauf zuachten, dass die Bewerber sich in besonderem Maße durch eine Kennt-nis der speziellen Materie des Revisionsrechts, belegt durch wissen-schaftliche Arbeit und praktische Erfahrung, auszeichnen. Dies dientletztlich auch dem Schutz der Rechtsuchenden, die angesichts derhohen Streitwerte in Revisionsverfahren in besonderem Maße daraufangewiesen sind, dass ihre Interessen durch anwaltliche Spezialistendes Revisionsrechts vertreten werden.

Nicht zwingend erforderlich ist es aber, zur Gewährleistung diesesQualitätskriteriums an dem bisherigen Zulassungsverfahren fest-zuhalten. Die mit dem derzeitigen Verfahren praktizierte Bedürfnis-prüfung durchbricht das Prinzip der Freiheit von Advokatur. Durch dieRegelung des § 168 Abs. 2 BRAO (»Der Wahlausschuß benennt aus denVorschlagslisten die doppelte Zahl von Rechtsanwälten, die er für …angemessen hält.«) liegt sie unüberprüfbar ausschließlich in den Hän-

den des Wahlausschusses, der praktisch über die angemessene Zahl derRechtsanwälte beim BGH entscheidet.

Schaut man in die Motive des Gesetzgebers anlässlich der Schaffungder ReichsrechtsanwaltsO (RAO), des Vorläufers der BRAO, so ist fest-zustellen, dass dies keineswegs der Absicht des Gesetzgebers entsprach.Das »freie Ermessen« des Präsidiums des Reichsgerichts, das gem. § 99RAO über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei dem RGH zu ent-scheiden hatte, bezog sich nach dem Willen des Gesetzgebers lediglichauf die erforderliche höhere Befähigung für eine Tätigkeit als Rechts-anwalt beim Reichsgericht, nicht hingegen auf einen numerus clau-sus.5 Lediglich die Praxis hat dazu geführt, dass nur eine beschränkteZahl von Rechtsanwälten zugelassen wurde. Die BRAO hat dem schonzu Zeiten des Reichsgerichts praktizierten numerus clausus die gesetz-liche Legitimation verliehen, die aber nicht zwingend ist.

Ebenso wenig ist es notwendig, dass die Auswahl der Rechtsanwältefür die Zulassung als Rechtsanwalt beim BGH durch einen Wahlaus-schuss vorgenommen wird, in dem die berufsrichterlichen Mitgliederdie Überzahl haben. Gemäß § 165 Nr. 1 BRAO besteht der Wahlaus-schuss aus dem Präsidenten und den Senatspräsidenten der Zivilsenatedes BGH (zzt. 13), den Mitgliedern des Präsidiums der BRAK (zzt. fünf)und des Präsidiums der RAK beim BGH (zzt. fünf). Hier stellt sich dieFrage, ob nicht die Bundesrichter sich die Anwälte selbst aussuchen,mit denen sie verhandeln müssen.

Nicht zu überzeugen vermag auch der Hinweis darauf, dass die beimBGH zugelassenen Rechtsanwälte angesichts ihrer beschränkten Mög-lichkeiten, vor anderen Gerichten aufzutreten, durch eine Limitierungder Zulassungen ausreichende Betätigungsmöglichkeiten beim BGHbehalten müssten. Es ist bekannt, dass jedenfalls eine größere Zahlder beim BGH zugelassenen Rechtsanwälte jeweils einen größerenStab juristischer Mitarbeiter beschäftigt, auf die sie Arbeit delegieren.Das spricht eher dafür, dass für weitere Rechtsanwälte beim BGH eineausreichende Betätigungsmöglichkeit vorhanden ist. Ob dies aller-dings nach der Abschaffung der Streitwertrevision auch noch geltenwird, und ob dadurch nicht eine gänzlich neue Situation eintretenwird, steht dahin.

Auch die Sorge, der Wegfall der Bedürfnisprüfung werde zu einemQualitätsabfall führen, erscheint nicht begründet. Denn auch bei einerÄnderung des Zulassungsverfahrens müsste eine Auslese stattfinden,die hohe Anforderungen an die Qualifikation zu stellen hätte.

3. Verfassungsrechtliche Bewertung

Maßstab der verfassungsrechtlichen Bewertung der §§ 164 ff. BRAO istdie durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit. Berufsaus-übungsregelungen bzw. -normen, die in die Freiheit der Berufswahleingreifen, sind grundsätzlich nur dann zulässig, wenn sie verhältnis-mäßig sind. An die Verhältnismäßigkeit von Vorschriften, die dieZulassung eines Rechtsanwalts zum BGH betreffen, sind in Anknüp-fung an die »Facharzt-Entscheidung« des BVerfG6 erhöhte Anforde-rungen zu stellen, weil die Entscheidung für eine Zulassung am BGHeine grundlegende und auf Dauer ausgerichtete berufliche »Lebens-entscheidung« ist und ihr damit Elemente innewohnen, die einerBerufswahl nahe kommen. Bei der Berufswahl sind subjektive Zulas-sungsvoraussetzungen verfassungsgemäß, wenn sie zum Schutzewichtiger Gemeinschaftsgüter erforderlich sind.7 Grundsätzlich ist es

Kurzbe i t räge

1 BVerfG, NJW 2000, 347 ff. Nach dieser Entscheidung können ab 1.7.2002 allebei einem LG länger als fünf Jahre zugelassenen Rechtsanwälte ihre gleichzeitigeZulassung bei dem übergeordneten OLG beantragen.

2 Römermann, BB 2001, 272 ff.3 Füßer/Schramm, MDR 2001, 551 ff.4 Hartung, MDR 2001, 735 ff.5 Vgl. auch Hartung, JZ 1994, 117 ff., 118.6 BVerfGE 33, 125, 161.7 BVerfGE 69, 229, 118.

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Borchert , D ie Zulassung a ls Rechtsanwalt be im Bundesger ichtshof In format ionen

BUNDESGESETZGEBUNG

Auswertung der BGBl. 2001 I Nr. 42 bis 46Das 2. Gesetz zur Familienförderung v. 16.8.2001dient der Umsetzung des BVerfG-Urteils v.10.12.1998, mit dem der Gesetzgeber u.a.verpflichtet wurde, bis spätestens 1.1.2002 diesteuerliche Berücksichtigung des zum Kinder-existenzminimum gehörenden Erziehungs-bedarfs neu zu regeln. Ab 1.1.2002 beträgt dasKindergeld nunmehr für erste, zweite unddritte Kinder jeweils monatl. 154 Euro und fürdas vierte und jedes weitere Kind jeweils179 Euro. Der Kinderfreibetrag wurde auf1.824 Euro je Elternteil erhöht und ein Frei-betrag i.H.v. 1.080 Euro je Elternteil einge-

führt, der den Betreuungs- und Erziehungs-oder Ausbildungsbedarf für alle zu berück-sichtigenden Kinder auch über das 16. Lebens-jahr hinaus zusammenfasst. Der Haushalts-freibetrag für Alleinerziehende wird in dreiStufen abgebaut und entfällt ab 2005. (BGBl. I Nr. 42 S. 2074)

Mit dem 12. Euro-EinführungsG (12. EuroEG)v. 16.8.2001 werden ab 1.1.2002 die Steuer-sätze und Beträge in den Verbrauchsteuer-gesetzen und im FinanzverwaltungsG aufEuro umgestellt. (BGBl. I Nr. 42 S. 2081)

Durch das Gesetz zur Errichtung einer »StiftungJüdisches Museum Berlin« v. 16.8.2001 wird mit

Sitz in Berlin eine rechtsfähige bundesun-mittelbare Stiftung des öffentlichen Rechtserrichtet. Zweck der Stiftung ist es, jüdischesLeben in Berlin und in Deutschland unddie von hier ausgehenden Einflüsse auf dasAusland zu erforschen und darzustellen sowieeinen Ort der Begegnung zu schaffen. DasGesetz tritt am selben Tage in Kraft wie das,die bestehende »Stiftung Jüdisches MuseumBerlin« auflösende Gesetz des Landes Berlin.(BGBl. I Nr. 43 S. 2138)

Das 6. Gesetz zur Änderung des SGG (6. SGG-ÄndG) v. 17.8.2001 ändert und ergänzt ver-schiedene Paragraphen im SGG, GKG und 14weiteren Gesetzen. Neben der Anhebung der

515Neue Justiz 10/2001

deshalb nicht ausgeschlossen, besondere Anforderungen an einenRechtsanwalt zu stellen, der für die Zulassung zum BGH ansteht.Solche Anforderungen können zum Schutz der Rechtspflege – einem»wichtigen Gemeinschaftsgut« – erforderlich sein, da Rechtsanwälte,die in Revisionsverfahren vor dem BGH mitwirken, über besondereKenntnisse und Erfahrungen verfügen müssen.

Für die Frage der Verfassungsmäßigkeit kommt es aber entscheidendauf die Verhältnismäßigkeit in Bezug auf das wichtige Gemeinschafts-gut »Schutz der Rechtspflege« an. Problematisch erscheint hier, dassdem Wahlausschuss keine Kriterien vorgegeben sind, nach denen erdie sachlichen und persönlichen Voraussetzungen (§ 167 Abs. 1 BRAO)für die Zulassung zu bestimmen hat. Der Umstand, dass keine Vor-gaben für die Bestimmung der Eignung der Rechtsanwälte gegebensind, weckt Zweifel an der Geeignetheit der Norm. Den Rechtsanwäl-ten zumutbar dürfte sie jedenfalls nicht sein, da diese sich nicht aufbestimmte Anforderungen, die an BGH-Rechtsanwälte gestellt wer-den, einstellen können.

Das BVerfG hat zu Regelungen, die die Berufswahl betrafen, aus-geführt, dass der Normadressat erkennen muss, von welchen Voraus-setzungen seine Berufsaufnahme abhängig gemacht wird.8 Nichtsanderes kann für Berufsausübungsregelungen gelten, die ebenso wieBerufswahlvoraussetzungen die Berufsfreiheit beschränken.

Objektive Zulassungsvoraussetzungen, die der Einzelne nichtbeeinflussen kann, sind nur verfassungsgemäß, wenn das Ziel, das mitder Grundrechtsbeschränkung angestrebt wird, durch subjektiveZulässigkeitsanforderungen nicht erreicht werden kann. Soll die nach§ 168 Abs. 2 BRAO vorgesehene Bedarfsprüfung bewirken, dass die amBGH zugelassenen Rechtsanwälte besonders qualifiziert sind, so kanndies auch und besser durch subjektive Zulassungskriterien erreichtwerden. Wird die Bedarfsprüfung damit begründet, dass gute underfolgreiche Anwälte für eine Tätigkeit beim BGH nur zu gewinnenseien, wenn ein ausreichendes Betätigungsfeld geboten werde, undwegen der Beschränkung der Postulationsfähigkeit ein solches nurdann gewährleistet sei, wenn die Anzahl der am BGH zugelassenenRechtsanwälte nach objektiven Bedarfskriterien beschränkt werde, soist dazu Folgendes zu bemerken: Abgesehen davon, dass eine solcheArgumentation von der ebenfalls überprüfungsbedürftigen Theseausgeht, dass es zur Qualitätssicherung bei der Beschränkung derPostulationsfähigkeit bleiben müsse, ist dies nur nachvollziehbar,wenn ansonsten die Verdienstmöglichkeiten nicht ausreichten, um

qualifizierte Rechtsanwälte für eine Tätigkeit beim BGH gewinnen zukönnen, und somit auch weniger qualifizierte Rechtsanwälte zugelas-sen werden müssten. Selbst wenn man also von der grundsätzlichenErforderlichkeit der zahlenmäßigen Beschränkung der am BGH zuge-lassenen Rechtsanwälte ausgehen wollte, dürfte die Beschränkung inihrer konkreten Ausgestaltung nicht erforderlich sein.

Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen auch gegen das in den§§ 164 ff. BRAO vorgesehene Zulassungsverfahren. Problematisch istinsbesondere, dass der Rechtsanwalt keinen Anspruch auf Zulassunghat, wenn er bestimmte Voraussetzungen erfüllt und dass er nichtselbst seine Zulassung beantragen kann.

Die verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen liegen derart auf derHand, dass es geradezu fahrlässig erscheint, dass weder die Rechts-politiker im Deutschen Bundestag noch BRAK, DAV und BMJ sichdieses Themas annehmen, obwohl – worauf Hartung9 zu Recht hin-weist – im BMJ seit 1998 ein Kommissionsbericht mit der Empfehlungder Abschaffung der zahlenmäßigen Begrenzung der BGH-Anwalt-schaft vorliegt.

4. Abhilfemöglichkeiten

Um eine eigenständige Rechtsanwaltschaft beim BGH zu erhalten,die sich ohne jeden Zweifel im Sinne einer Qualitätssicherung desRevisionsrechts bewährt hat, erscheint eine Lösung vorzugswürdig, diedurchaus verschärfte subjektive Zulassungsvoraussetzungen aufstellt.Dabei kann auch darüber nachgedacht werden, die derzeitige Alters-grenze von 35 Jahren auf 40 Jahre zu erhöhen und zu verlangen, dassder Beruf des Rechtsanwalts seit zehn Jahren (bisher: mindestens fünf)ohne Unterbrechung ausgeübt wird. Hinzukommen muss als Zulas-sungsvoraussetzung die entsprechende Persönlichkeit und die vorhan-dene Eignung für eine Tätigkeit als Rechtsanwalt in der Revisions-instanz beim BGH.

Im Hinblick auf den Umstand, dass in der Vergangenheit erst dasBVerfG durch seine Entscheidungen Anstöße zu gesetzlichen Neu-regelungen im Recht der rechtsberatenden Berufe gegeben hat, sollteder Gesetzgeber das Problem der Anwaltszulassung beim BGH imKonsens mit Anwaltschaft und BGH alsbald angehen.

8 BVerfGE 87, 287, 317 f. = NJ 1993, 95 (Leits.}.9 Hartung, MDR 2001, 735 ff., 739.

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Pauschalgebühren für Versicherungsträger imsozialgerichtlichen Verfahren dient das imWesentlichen am 2.1.2002 in Kraft tretendeGesetz der Verbesserung des einstweiligenRechtsschutzes und der Entlastung der Sozial-gerichte. (BGBl. I Nr. 43 S. 2144)

Die Neufassung des UmweltinformationsG istin der seit dem 3.8.2001 geltenden Fassungbekannt gemacht worden. (BGBl. I Nr. 45 S. 2218)

GESETZESINITIATIVEN

ZuwanderungBundesinnenminister Otto Schily hat denEntwurf für ein ZuwanderungsG vorgelegt,der u.a. Empfehlungen der Expertenkommis-sion »Zuwanderung« aufgreift. So sollen dasAuslG und das AufenthaltsG/EWG durchneue Regelungen abgelöst und erstmals dasAufenthalts- und das Arbeitserlaubnisrecht ineinem Gesetz zusammengefasst werden. DieZahl der Aufenthaltstitel soll auf zwei ([befris-tete] Aufenthaltserlaubnis und [unbefristete]Niederlassungserlaubnis) reduziert werden.Das Aufenthaltsrecht soll sich künftig an denAufenthaltszwecken (Ausbildung, Erwerbs-tätigkeit, Familiennachzug oder humanitäreGründe) orientieren. Der Gesetzentwurf ist sowohl von den Bun-destagsfraktionen der Grünen und der CDUals auch vom BMJ und dem Auswärtigen Amtkritisiert worden. Der Deutsche Anwaltvereinhat den Referentenentwurf mit Hinweis aufdie Übernahme restriktiver und integrations-hemmender Bestimmungen des Ausländer-rechts abgelehnt. (aus: Pressemitt. des BMI v. 3.8.2001, des DAV

Nr. 29/01 u. F.A.Z. v. 10.9.2001)

JuristenausbildungDie Justizminister der Länder haben am3.9.2001 in Berlin einen Gesetzentwurf zurReform der Juristenausbildung vorgelegt, derEnde Sept. 2001 im Bundesrat beschlossenwerden soll. Die Justizministerkonferenz hattesich Mitte d.J. auf einen entsprechendenGesetzentwurf verständigt, der bei der Aus-bildung stärker als bisher die anwaltschaft-liche Praxis berücksichtigt (siehe Inform. in NJ2001, 413). Die BRAK und der DAV haben denEntwurf begrüßt, gleichzeitig jedoch die For-derung erhoben, für den Vorbereitungsdiensteine zwölfmonatige Ausbildung in Anwalts-kanzleien als Pflichtstation und nicht – wiebeabsichtigt – als Wahlstation vorzusehen.

(aus: Pressemitt. des JM Rheinland-Pfalz u.NRW sowie von BRAK u. DAV v. 3.9.2001)

GrundstücksrechtsbereinigungBei der Anhörung des Rechtsausschusses desBundestags am 30.8.2001 ist der Entwurf

eines GrundstücksrechtsbereinigungsG (sieheInform. in NJ 2001, 413) auf ein geteiltes Echogestoßen. Die im neuen Verkehrsflächen-bereinigungsG vorgesehene Frist (30.6.2007),bis zu der Städte und Gemeinden Ankaufs-rechte an öffentlich genutzten Privatgrund-stücken in den neuen Ländern geltendmachen können, benachteilige – so die AG derGrundbesitzerverbände – »unangemessen«die privaten Eigentümer. Auch WolfgangKrüger vom Deutschen Bauernverband beklagteein den Betroffenen nicht zumutbares »indi-viduelles Notopfer«. Demgegenüber warntenVertreter von Kommunen und Landesregie-rungen davor, dieses Zeitlimit zu unterschrei-ten, da andernfalls Vollzugsprobleme drohten.

(aus: www.Bundestag.de/aktuell v. 30.8.2001)

Organisierte Kriminalität und TerrorismusDie CDU/CSU-Fraktion hat einen Gesetzent-wurf vorgelegt, mit dem der Kampf gegenStraftaten im Rahmen der OrganisiertenKriminalität (OK) und des Terrorismus erleich-tert werden soll (BT-Drucks. 14/6834). DerEntwurf zielt auf eine Erweiterung der Tatbe-stände, die eine Überwachung der Telekom-munikation zulassen. Für den Einsatz sog. ver-deckter Ermittler soll zudem »eine klare undpraxisnahe Rechtsgrundlage« geschaffen wer-den. Da OK und Terrorismus durch ein hohesMaß an Konspirativität geprägt seien, solltennach dem Vorbild der sog. kleinen Kronzeu-genregelung in der StPO weitere Bestimmun-gen zur Strafmilderung geschaffen werden.

(aus: www.Bundestag.de/aktuell v. 7.9.2001)

BUNDESGERICHTE

BGH: Vergatterung von DDR-Grenzsoldaten nur als Beihilfe zum Totschlag strafbar

1974 war ein Bürger an der Grenze von Sol-daten der DDR-Grenztruppen erschossen wor-den. Das LG Berlin hatte den Angekl., der fürdie Vergatterung der Soldaten verantwortlichwar, wegen Anstiftung zum Totschlag zu einerFreiheitsstrafe von elf Monaten mit Bewäh-rung verurteilt. Die mitangekl. Grenzsoldatenwaren jeweils wegen gemeinschaftlichenTotschlags zu neun Monaten Freiheitsstrafemit Bewährung verurteilt worden. Auf dieRevision des Angekl. setzte der BGH mit Urt.v. 7.8.2001 (5 StR 259/01) die Freiheitsstrafeauf neun Monate mit Bewährung herab. Erentschied, dass die Vergatterung von Soldatenan der innerdeutschen Grenze für den Falleines anschließenden tödlichen Schusswaf-fengebrauchs lediglich als Beihilfe zum Tot-schlag strafbar ist. Vorgesetzte in der Grenz-kompanie, die die Soldaten vergattert haben,hätten ihrerseits befehlsgebunden nach strik-ten inhaltlichen Vorgaben gehandelt undkeinen Spielraum mehr gehabt.

(aus: F.A.Z. u. Berliner Zeitung v. 31.8.2001)

BFH: Zur Besteuerung von DDR-ErbfällenDer BFH hat mit Urt. v. 30.5.2001 zu densteuerlichen Folgen eines Erbfalls Stellunggenommen, der vor der Währungsunion am1.7.1990 eingetreten war, für den die Steuernaber erst nach der deutschen Einheit voneinem Finanzamt nach DDR-Recht mit einemSteuersatz von 69,72 v.H. des Erwerbs fest-gesetzt wurden. Das FG hatte die Klage, mit derdie Kl. eine – für sie günstigere – Besteuerungnach dem Recht der Bundesrepublik begehrte,abgewiesen. Die Revision der Kl. blieb erfolg-los. Der BFH entschied, dass der Erwerb vonVermögensgegenständen auf dem Währungs-gebiet der DDR von Todes wegen, für den dieSteuer vor dem 1.7.1990 entstanden ist, nachdem Erbschaftsteuerrecht der DDR zu besteu-ern ist. Wird die Steuer in solchen Fällen erstnach der deutschen Einheit durch Behördender Bundesrepublik festgesetzt, sei das anzu-wendende DDR-Erbschaftsteuerrecht nichtam GG zu messen. Allerdings dürften dieBehörden nicht gegen das Willkür- und Über-maßverbot verstoßen. Der Steuerbelastungeines (in den alten Bundesländern wohnen-den) Erben i.H.v. knapp 70% v.H. komme abernoch keine erdrosselnde Wirkung zu.

(aus: BFH, Urt. v. 30.5.2001 – II R 4/99)

LANDESGERICHTE

LSG Erfurt: Keine Entschädigungsleistung fürKrebserkrankung durch vermeintliche Strahlen-belastung aufgrund des Tschernobylunfalls

Das LSG hat mit Urt. v. 29.8.2001 (L 1 U373/98) die bundesweit erste Anerkennungeiner Berufskrankheit im Zusammenhang mitdem Atomreaktorunfall in Tschernobyl imJahre 1986 aufgehoben, die das SG Nordhau-sen getroffen hatte. Die Kl., Witwe des 1999verstorbenen K. N., hatte von der bekl. Berufs-genossenschaft für Fahrzeughaltungen Ent-schädigungsleistungen aus der gesetzlichenUnfallversicherung begehrt. K. N. war von1982 bis 1994 Betriebsdirektor des ehem. VEBKraftverkehr Mühlhausen. Zum Zeitpunkt desReaktorunfalls hielten sich Lkw’s des Betriebsin dieser Region auf und wurden nach ihrerRückkehr zwecks Beseitigung der Radio-aktivität gewaschen. Diese Aktion wurde vonK. N. persönlich kontrolliert. Im Okt. 1992wurde er an Darmkrebs und im Juli 1995an Prostatakrebs operiert. In seinem 1995gestellten Antrag auf Anerkennung einerBerufskrankheit führte K. N. seine Erkrankungauf den Kontakt mit den in Tschernobylkontaminierten Fahrzeugen beim Reinigen,den Kontakt mit den Luftgebläsen und Filternin den Reparaturhallen sowie auf den verseuch-ten Klärschlamm der betriebseigenen Klär-schlammgrube zurück. Das LSG hat auf dieBerufung der Bekl. das SG-Urteil aufgehobenund ausgeführt, dass nicht erwiesen sei, dass

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die Krebserkrankung von K. N. auf die Über-wachung der Reinigung verstrahlter Lkwzurückzuführen sei. Die Strahlenbelastungsei zudem wesentlich geringer gewesen alszunächst angenommen.

(aus: Pressemitt. des LSG Erfurt v. 22.8.2001u. Berliner Zeitung v. 30.8.2001)

VG Berlin: Islamische Föderation darf an BerlinerSchulen Religionsunterricht erteilen

Das VG hat mit Beschl. v. 29.8.2001 (27 A253/01) einem Eilrechtsschutzantrag derIslamischen Föderation stattgegeben, mitdem diese sicherstellen wollte, dass sie nachden Sommerferien an zwei Grundschulen inFriedrichshain und Mitte islamischen Reli-gionsunterricht erteilen darf. Die Föderation,der Ende 1998 durch das OVG Berlin rechts-kräftig der Rechtsstatus einer Religions-gemeinschaft zuerkannt wurde, verfolgtseit 1980 gegenüber dem Land das Ziel, isla-mischen Religionsunterricht an BerlinerSchulen erteilen zu dürfen. Dies wurde immerwieder abgelehnt, da keine Gewähr bestehe,dass bei der didaktischen Umsetzung derUnterrichtskonzeption tragende Prinzipiendes GG (Art. 2 Abs. 1 u. Art. 3 Abs. 2) beach-tet würden. Das VG hat in seiner Entschei-dung ausgeführt, dass der Schulverwaltungnicht die Befugnis zustehe, die inhaltlicheKonzeption des Religionsunterrichts zu prü-fen. Die Abhaltung von Religionsunterichtsei in Berlin keine Aufgabe der staatlichenSchulen, sondern eigene Angelegenheit derReligionsgemeinschaften. Im Gegensatz zufast allen anderen Bundesländern sei Reli-gionsunterricht nach dem SchulG Bln keinPflichtfach. Er sei Teil der grundrechtlichgeschützten Glaubens- und Bekenntnisfrei-heit, die grundsätzlich keiner staatlichenKontrolle unterliege. Anhaltspunkte dafür,dass der Religionsunterricht der IslamischenFöderation von tragenden Prinzipien derVerfassung und den staatlichen Bildungs-zielen abwiche, seien nicht erkennbar. Dennes genüge nicht, wenn in Einzelfragen ausreligiösen Gründen abweichende Auffassun-gen vertreten würden.

(aus: Pressemitt. des VG Berlin Nr. 38/01)

NEUE BUNDESLÄNDER

BerlinDer Senat hat am 28.8.2001 die Verlängerungdes Gesetzes zur Aufarbeitung der Stasi-Unter-lagen um weitere fünf Jahre gebilligt. Der Ber-liner Landesbeauftragte hat zwischenzeitlichdie Aufgabe übernommen, das Land Branden-burg, das auf die Einrichtung eines eigenenLandesbeauftragten verzichtet hat, insbes.durch Beratung von Opfern der SED-Diktaturzu unterstützen.

(aus: F.A.Z. v. 29.8.2001)

Die 8. VO zur Durchführung des Gesetzes überden Abbau der Fehlsubventionierung im BerlinerWohnungswesen (8. DVO-AFWoG Bln) v.11.7.2001 ist am 12.8.2001 in Kraft getreten.Sie bestimmt für öffentlich geförderte Woh-nungen in den westlichen Bezirken (ohneWest-Staaken), für die sich aus dem gültigenMietspiegel 2000 (ABl. S. 3341) keine Höchst-beträge ermitteln lassen, detailliert aufge-führte monatliche Höchstbeträge. (GVBl.Nr. 33 S. 321)

BrandenburgDie Bbg. KommunalwahlVO (BbgKWahlV) v.5.7.2001 ist am 25.8.2001 in Kraft getreten.Gleichzeitig trat die KommunalwahlVO v.31.7.1993 außer Kraft. (GVBl. II Nr. 14 S. 306)

Mit Bkm. v. 30.7.2001 hat das MdI die Bil-dung der neuen amtsfreien Stadt Mühlberg/Elbe aus den amtsangehörigen GemeindenAltenau, Brottewitz, Fichtenberg, Koßdorf,Martinskirchen und der Stadt Mühlberg/Elbemit Wirkung vom 31.8.2001 genehmigt. DasAmt Mühlberg/Elbe ist damit zum 31.8.2001aufgelöst worden (ABl. Nr. 34 S. 587).

SachsenZum 1.9.2001 hat der 54-jährige VorsRiOLGRainer Lips das Amt des Vizepräsidenten beimLG Dresden übernommen, der die Nachfolgevon Hans Stigler antritt.Bereits mit Wirkung v. 1.6.2001 wurdeHans-Joachim Diener zum Direktor des AGGrimma ernannt. Die Amtseinführung fandam 31.8.2001 statt, auf der gleichzeitig dervormalige Direktor Günter Laudahn verab-schiedet wurde.

(aus: Pressemitt. des Sächs. Staatsmin. der Justiz Nr. 114 u. 118/01)

Zur Verbesserung der Zahlungsmoral hat dasJustizministerium einen Referentenentwurfvorgelegt. Grundlage war der von einer Arbeits-gruppe erarbeitete 20-Punkte-Maßnahmen-katalog (siehe Inform. in NJ 2001, 299). Er wirdnun dem BMJ, den Fraktionen des Bundestagsund des Sächsischen Landtags zugeleitet.

(aus: Pressemitt. des Sächs. Staatsmin. der Justiz Nr. 124/01)

Nach der Justizstatistik 2000 ist bei denZivilgerichten, den ArbG, SG und VG einRückgang des Geschäftsanfalls festzustellen.Spürbar angestiegen sind hingegen die Ein-gangszahlen bei den Familiensachen, Straf-und Bußgeldsachen. Die Verfahrensdauerbetrug bei den AG in Zivilsachen durch-schnittl. 3,9, in Familiensachen 11,6 und inStrafsachen 3,7 Monate. Bei den VG lag sie inHauptverfahren bei 17,4 und in Eilverfahrenbei 8,2 Monaten (ohne Asylverfahren), beiden ArbG bei 3, bei den SG bei 16,4 und beimFG bei 12,5 Monaten.

Im Einzelnen weist die Statistik aus:

2000 gegenüber 1999

AmtsgerichteZivilsachenEingänge 70.907 -1,9%Erledigungen 69.897 -6,3%FamiliensachenEingänge 20.530 +1,2%Erledigungen 20.851 +2,0%StrafsachenEingänge 47.691 +4,3%Erledigungen 47.167 -1,1%LandgerichteZivilsachen (1. Instanz)Eingänge 20.716 -0.5%Erledigungen 20.136 -6,6%Zivilsachen (Berufungsinstanz)Eingänge 3.374 -5,3%Erledigungen 3.420 -3,7%Strafsachen (1. Instanz)Eingänge 602 + 4,3%Erledigungen 595 -4,5%Strafsachen (Berufungsinstanz)Eingänge 3.360 -4,6%Erledigungen 3.412 -1,4%OberlandesgerichteZivilsachen (Berufungen)Eingänge 3.302 -15,9%Erledigungen 3.652 -13,2%Familiensachen (Berufungen u. Beschwerden)Eingänge 1.520 +10.3%Erledigungen 1.476 + 1,4%Strafsachen (Revisionen)Eingänge 333 +18,9%Erledigungen 341 +17,2%Verwaltungsgerichte (Hauptsache- u. Eilverf.)Eingänge 11.925 -12,9%Erledigungen 14.067 -7,5%ArbeitsgerichteEingänge 40.155 -5,0%Erledigungen 41.901 -5,1%SozialgerichteEingänge 13.168 -0,9%Erledigungen 13.026 -0,8%FinanzgerichtEingänge 2.439 -3,5%Erledigungen 2.169 +5,1%

(aus: Pressemitt. des Sächs. Staatsmin. der Justiz Nr. 66/01)

Sachsen hat am 4.9.2001 mit der Entschädi-gung von unter dem SED-Regime verfolgtenSchülern begonnen. Voraussetzung ist dieAnerkennung als verfolgter Schüler nach demBerRehaG und eine Unterbrechung der Ausbil-dung von mindestens fünf Jahren (siehe Inform.in NJ 2001, 133). Bis zum Stichtag 31.5.2001haben 2.577 Betroffene beim zuständigenLandesamt für Soziales in Chemnitz ein Ent-schädigungsgesuch eingereicht; bisher wur-den 780 Fälle anerkannt. Ein Rechtsanspruchauf Entschädigung besteht jedoch nicht.Auch in Mecklenburg-Vorpommern undThüringen wird über eine Entschädigung fürbenachteiligte DDR-Schüler nachgedacht.Von den anderen neuen Bundesländern wirdeine solche Initiative hingegen abgelehnt.

(aus: F.A.Z. u. Berliner Zeitung v. 4.9.2001)

517Neue Justiz 10/2001

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In format ionen

Das Sächsische Enteignungs- und Entschädi-gungsG (SächsEntgEG) v. 18.7.2001 ist am18.8.2001 in Kraft getreten. Es gilt für alleförmlichen Enteignungen, durch die dasEigentum oder sonstige dingliche oder obli-gatorische Rechte an Grundstücken entzogenoder belastet werden, soweit nicht Bundes-recht oder spezielles Landesrecht anzuwen-den ist. Bei In-Kraft-Treten dieses Gesetzesanhängige Enteignungsverfahren sind nachden bisherigen Vorschriften weiterzuführen.Geändert werden das Sächs. StraßenG v.21.1.1993 und das Sächs. WasserG v.21.7.1998. (SächsGVBl. Nr. 9 S. 453)

Die Ausländer- und Asylverfahrenszuständig-keitsVO (AAZuVO) v. 7.8.2001 bestimmt dieAusländerbehörden und Aufnahmeeinrich-tungen und legt deren Zuständigkeiten fest.Sie ist am 30.8.2001 in Kraft getreten; gleich-zeitig trat die AAZuVO v. 13.7.1993 außerKraft. (SächsGVBl. Nr. 10 S. 470)

Sachsen-AnhaltJustizministerin Karin Schubert hat am16.8.2001 den 46-jährigen Jürgen Konrad zumneuen Generalstaatsanwalt des Landes Sach-sen-Anhalt ernannt. Er tritt die Nachfolge vonJürgen Hoßfeld an, der bereits im vergangenenJahr in den Ruhestand getreten war. J. Konradwar seit 1983 als Richter an verschiedenenGerichten in Nordrhein-Westfalen und seitSept. 1996 im Justizministerium des LandesSachsen-Anhalt tätig. Im April 1997 wurde erzum Leitenden Oberstaatsanwalt ernannt.(aus: Pressemitt. des Min. der Justiz LSA Nr. 37/01)

Die Justizministerin von Sachsen-Anhalt,Karin Schubert, und der Berliner Justizsenator,Wolfgang Wieland, haben ein gemeinsamesVorgehen bei der Strafrechtspolitik beschlossen.Ziel der Vereinbarung ist eine Strafverfolgung,die den Opferschutz zum Mittelpunkt hat.Den gesetzlichen Rahmen für diese Zusam-menarbeit bietet u.a. die anstehende Reformdes strafrechtlichen Sanktionensystems, indem auch eine Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs (TOA) vorgesehen ist. Sachsen-Anhalt bietet als einziges Bundeslandseit zehn Jahren einen eigenständigen SozialenDienst an, der flächendeckend umfangreicheHilfe für Opfer und Täter gewährt (u.a.Bewährungshilfe, Führungsaufsicht, TOA,Zeugenbegleitung). In allen Dienststellen desSozialen Dienstes wurden justizeigene Opfer-beratungsstellen eingerichtet. Mit dem TOAfür Jugendliche und Erwachsene wurden imJahre 2000 bspw. 1.670 Täter und 1.443 Opfervon Straftaten zusammengeführt.

(aus: Pressemitt. des Min. der Justiz LSA Nr. 35 u. 39/01)

Zur beabsichtigten Reform des strafrechtlichenSanktionensystems siehe F. Bittmann, NJ 2001,509 ff., in diesem Heft.

Die Justizstatistik 2000 über den Geschäfts-anfall bei den Gerichten des Landes ergibtgegenüber 1999 folgendes Bild:

1999 2000AmtsgerichteZivilprozesssachenEingänge 44.026 42.821Erledigungen 46.981 44.053FamiliensachenEingänge 15.134 14.514Erledigungen 15.518 15.369Strafsachen Eingänge 28.495 28.049Erledigungen 30.379 29.152LandgerichteZivilsachen (1. Instanz)Eingänge 12.774 12.371Erledigungen 13.472 12.582Zivilsachen (Berufungsinstanz)Eingänge 2.372 2.271Erledigungen 2.293 2.315Strafsachen (1. Instanz)Eingänge 422 420Erledigungen 449 402Strafsachen (Berufungsinstanz)Eingänge 1.440 1.490Erledigungen 1.436 1.554OberlandesgerichteZivilsachenEingänge 2.448 2.191Erledigungen 2.649 2.494FamiliensachenEingänge 601 621Erledigungen 580 676StrafsachenEingänge 144 115Erledigungen 131 144Verwaltungsgerichte (Hauptsache- u. Eilverf.)Eingänge 11.193 10.488Erledigungen 11.523 10.945ArbeitsgerichteEingänge 27.282 25.183Erledigungen 27.765 26.139SozialgerichteEingänge 7.997 8.223Erledigungen 6.871 7.654FinanzgerichtEingänge 1.876 1.822Erledigungen 1.372 1.584

Die Verfahrensdauer betrug im Jahr 2000 beiden AG in Zivilsachen durchschnittl. 5,8, inScheidungs- und anderen Eheverfahren 15,6und in Strafsachen 4,9 Monate. Bei den VGlag sie in Haupt- bei 13,6 und in Eilverfahrenbei 3,1 Monaten. Bei den ArbG wurden 67%der Verfahren innerhalb von 3 Monaten undbei den SG 51% der Verfahren innerhalb von12 Monaten erledigt.

(aus: JMBl. LSA Nr. 23)

Die Hochschulgebühren-VO v. 1.8.2001, in Kraftseit 10.8.2001, sieht vor, dass die Hochschulenfür Studiengänge oder Lehrangebote, die nichtzu einem Abschluss iSd § 22 Abs. 1 bis 5 HSG-LSA oder einer staatlichen oder kirchlichenPrüfung führen, Gebühren und Auslagenerheben können. Widerspruchsbehörde ist dieHochschule. (GVBl. LSA Nr. 36 S. 332)

BERUFSORGANISATIONEN

Deutscher AnwaltvereinDie Deutsche Anwaltsauskunft hat am3.9.2001 unter dem Motto »Verkehrsanwälte– wir geben Autofahrern Recht« einen neuenService im Bereich des Verkehrsrechts gestar-tet. Autofahrer können sich jetzt direkt miteinem im Verkehrsrecht tätigen Anwalt anihrem Wohnort verbinden lassen. Der Ser-vice ist unter der bundesweit einheitlichenRuf-Nr. 0 18 05/18 18 05 kostenlos; es ent-stehen bis zur Weiterleitung lediglich dieTelefonkosten i.H.v. 0,24 DM pro Minute.Das Gespräch mit dem Anwalt ist für denAnrufer gänzlich kostenfrei.

(aus: Pressemitt. des DAV Nr. 26/01)

UNIVERSITÄTEN

Studiengang »Medienrecht« in Frankfurt (Oder)Die Juristische Fakultät der Europa-Univer-sität Viadrina in Frankfurt (Oder) bietet abdem Wintersemester 2001/2002 das Fach»Medienrecht« an. Dieser Studienschwer-punkt ist ein Zusatzangebot im Rahmen derrechtswissenschaftlichen Ausbildung undwird mit einem Universitätszertifikat abge-schlossen. Das zweisemestrige Angebot setztsich aus einer medienrechtlichen Vorlesung,einem Seminar mit Abschlussarbeit undeinem Praktikum bei einem Medienunter-nehmen oder einer einschlägig spezialisiertenAnwaltskanzlei zusammen. Wegen der nöti-gen Vorkenntnisse ist die Vorlesung erst fürStudierende ab dem 5. Fachsemester geeignet.Nähere Informationen: Juristische Fakultät,Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg,Tel. (0335) 5534 914.(aus: Pressemitt. der Europa-Universität Nr. 93/01)

PERSONALNACHRICHTEN

BundesgerichtshofAm 5.9.2001 ist die RiOLG Beate Sost-Scheiblezur Richterin am BGH ernannt worden. Siewurde dem insbes. für Staatsschutzdeliktezuständigen 3. Strafsenat zugewiesen.

(aus: Pressemitt. des BGH Nr. 64/01)

BundesarbeitsgerichtMit Ablauf des 31.8.2001 sind die Vors. Rich-ter des Fünften Senats, Gert Griebeling, unddes Neunten Senats, Prof. Dr. Wolfgang Leine-mann, in den Ruhestand getreten.Am 1.9.2001 wurden die RiBAG Dr. Rudi Mül-ler-Glöge, Friedrich Hauck und Franz Josef Düwellzu Vorsitzenden Richtern am BAG ernannt.Dr. R. Müller-Glöge hat den Vorsitz im FünftenSenat, F. Hauck im Achten und F. J. Düwell imNeunten Senat des BAG übernommen.

(aus: Pressemitt. des BAG Nr. 55, 56 u. 58/01)

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Rechtsanwaltskammer BERLIN

Geschäftsstelle: Littenstr. 9, 10179 BerlinTel.: (030) 30 69 31-0, Fax: (030) 30 69 31 99E-Mail: [email protected]; Internet: www.rak-berlin.dePräsident: RA und Notar Kay-Thomas PohlVizepräsidenten: RAin und Notarin Sabine Seip, RA und NotarBernd HäuslerGeschäftsführerin: RAin Marion Pietrusky

TermineAm 7.11.2001 ab 15 Uhr wird eine außerordentliche Kammer-versammlung der RAK im Logenhaus, Emserstr. 12-13, 10719 Berlin-Wilmersdorf, stattfinden. Der Grund: Nach der vorzeitigen Wahl zumAbgeordnetenhaus von Berlin muss ein neuer Richterwahlausschussgewählt werden, zu dem auch ein Rechtsanwalt gehört. Dieser Anwaltwird auf Vorschlag der Anwaltskammer gewählt, so dass die Kammer-versammlung zwei Kandidaten durch Wahl bestimmen muss.Zur Schuldrechtsreform bietet die Anwaltskammer zwei Fortbildun-gen mit Dr. Bernhard von Kiedrowski an. Die erste Veranstaltungfindet am Freitag, dem 30.11.2001, die zweite am Freitag, dem7.12.2001, jeweils in der Akademie für Gesundheits- und Sozial-berufe, Straßburger Str. 56, 10405 Berlin, von 10 bis 17 Uhr, statt.Teilnahmegebühr 150 DM.Am 21.11.2001 wird RA Niko Härting von 18 bis 19.30 Uhr über »Dieelektronische Signatur in der anwaltlichen Praxis« referieren. WeitereInformationen bei der Anwaltskammer.

StandpunktSchuldrechtsmodernisierungsgesetz Der Vorstand der RAK hatte eine Schuldrechtskommission gebildet,die zum Inhalt der geplanten Schuldrechtsreform Stellung nehmensollte. Die Kommission gelangte zu dem Ergebnis, dass aufgrund desübereilten Gesetzgebungsverfahrens und der Unausgereiftheit desaus verschiedenen Ansätzen zusammengeflickten Regierungsentwurfsbei einem In-Kraft-Treten des SchuldrechtsmodernisierungsG zum1.1.2002 eine beträchtliche Rechtsunsicherheit zu erwarten sei. Deraußerordentliche Zeitdruck, unter den die Erörterung des Reform-vorhabens gestellt wurde, habe dazu geführt, dass sich die Diskussionlediglich auf die vorgeschlagenen grundsätzlichen Änderungen kon-zentriert habe. Die Kommission plädiert daher zunächst nur für einekleine Reform des Schuldrechts, die zur Umsetzung der EU-Richtliniezum Verbrauchsgüterkauf notwendig sei.Der Vorstand stimmte diesem Plädoyer, dem sich auch die RAKBrandenburg angeschlossen hat, zu. Die vollständige Stellungnahmekann auf der Internetseite der Kammer abgerufen werden.

Zertifizierung von TätigkeitsschwerpunktenGegen die Zertifizierung von Tätigkeitsschwerpunkten – wie vomVorsitzenden des Landesverbandes Hessen im DAV vorgeschlagen –hat sich der Vorstand gewendet. Eine Zertifizierung etwa durch denDAV oder auch durch andere Verbände wie den ADAC würde aus Sichtder Rechtsuchenden die Qualifikationsleiter Interessensschwerpunkt– Tätigkeitsschwerpunkt – Fachanwaltschaft beeinträchtigen undwiderspräche auch der Regelung in der BORA.

PersonalienEnde August hat es einen zweifachen Wechsel beim Anwaltsgerichts-hof Berlin gegeben: RA Dr. Hoene und Richter am KammergerichtWeichbrodt sind ausgeschieden. Zu neuen Mitgliedern wurdenbestellt: RA Dr. Max Braeuer (II. Senat) und Richterin am Kammer-gericht Dr. Sibylle Schmidt-Schondorf (I. Senat).

Rechtsanwaltskammer BRANDENBURG

Geschäftsstelle: Grillendamm 2, 14776 Brandenburg an der HavelTel.: (03381) 25 33-0, Fax: (03381) 25 33-23Präsident: RA Ulf Schulze, BrandenburgVizepräsident: RA Frank-Walter Hülsenbeck, PotsdamGeschäftsführer: RA Dr. Horst Schulze

WissenswertesÜbertragung der Zulassungskompetenzen auf die RAKDie Kammerversammlung hatte sich 1999 nach kontroverser Dis-kussion mehrheitlich gegen die Übertragung der Aufgaben undBefugnisse der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gem. § 224a BRAOausgesprochen. Der Landesregierung Brandenburg war daher emp-fohlen worden, von § 224a BRAO keinen Gebrauch zu machen.Zwischenzeitlich haben jedoch alle RAK diese Aufgaben übernommen;die RAK Sachsen wird sie zum 1.1.2002 übernehmen. In der Praxisführt diese Uneinheitlichkeit dazu, dass die Kammern, die die Befug-nisse übernommen haben, in Zulassungsangelegenheiten außer mitder RAK Brandenburg auch mit der brandenburgischen Landesjustiz-verwaltung zusammen arbeiten müssen. Wegen dieser aufwendigenVerfahrensweise hat die Kammerversammlung daher am 4.5.2001 aufVorschlag des Vorstands beschlossen, die Zulassungskompetenzen imVerlauf des 2. Halbjahres 2002, spätestens mit Wirkung vom 1.1.2003,zu übernehmen.

Reform der JuristenausbildungDie Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat sich auf der Grund-lage der Beschlüsse der Justizministerkonferenz vom Nov. 2000 und Juni2001 erfolgreich um die Reformierung des grundständigen juristischenStudiengangs durch Einführung einer Zwischenprüfung, eines neuenWahlfachgruppenangebots und einer neuen Studienordnung bemüht.Im Rahmen der Reformierung ist auch die Erweiterung der Studien-inhalte um die Vermittlung interdisziplinärer Schlüsselqualifikationenvorgesehen. Dazu zählt u.a. die Entwicklung von solch unverzichtbarenFähigkeiten und Fertigkeiten moderner Juristinnen und Juristen wieVerhandlungsmanagement, Streitschlichtung, Mediation und Ver-nehmungslehre. Um die bereits im Wintersemester 2001/2002 begin-nenden Lehrveranstaltungen durchführen zu können, ist die JuristischeFakultät auf die Hilfe von auf diesem Gebiet ausgebildeten und in derPraxis erprobten Fachkräften außerhalb der Fakultät angewiesen. Der Vorstand bittet deshalb die in Mediation, Verhandlungsmanage-ment und Streitschlichtung ausgebildeten und erfahrenen Anwälte,bei der Ausbildung der Studierenden unterstützend mitzuwirken undihre Bereitschaft zur Mitarbeit der Geschäftsstelle mitzuteilen.

Rechtsberatungsbedarf bei »Unternehmensnachfolge«Nach einer vom brandenburgischen Wirtschaftsministerium in Auf-trag gegebenen Studie steht bis Ende des Jahres 2005 in rd. 9.300inhabergeführten Unternehmen die Nachfolgefrage an. Wie dieExperten mit einer Umfrage ermittelt haben, soll der Nachfolgerbei rd. 55% der Unternehmen aus der Eigentümerfamilie kommen;bei etwa 11% will ein Mitarbeiter, bei 20% ein externer Nachfolger dasUnternehmen übernehmen; bei 14% ist die Nachfolgefrage nichtgeklärt. Angesichts der bevorstehenden Welle von Betriebsübergabenund des dabei entstehenden Rechtsberatungsbedarfs empfiehlt derVorstand allen Kammermitgliedern, sich über die Handwerkskam-mern und/oder über die IHK Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdamin diesen Prozess vor Ort unterstützend einzubringen. Das Wirtschafts-ministerium hat eine Arbeitsgruppe gebildet, die zur Unternehmens-nachfolge Informationsangebote erarbeiten soll. Daran beteiligt sichu.a. auch die RAK.

RAK-Report

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Rechtsanwaltskammer MECKLENBURG-VORPOMMERN

Geschäftsstelle: Bornhövedstr. 12, 19055 SchwerinTel.: (0385) 5 57 43 85, Fax: (0385) 5 57 43 88Präsident: RA Dr. Axel Schöwe, SchwerinVizepräsidenten: RA Hans-Jörg Schüler, Stralsund, und RADr. Gerold Kantner, RostockGeschäftsführer: RA Franz-Joachim Hofer

Termine20.10.2001: Workshop zum Insolvenzplanverfahren in der Praxisdurch RA Dr. Eberhard Braun (Achern) in Schwerin, Teilnehmer-beitrag: 175 DM; Teilnehmerzahl begrenzt. Anmeldungen bitte an dieGeschäftsstelle der RAK.2.11.2001: »Steuern-Recht-Wirtschaft«, gemeinsame Veranstaltungder Steuerberater, Notare und Rechtsanwälte in Rostock-Warnemünde,Schwerpunktthema: »Freiberufliche Einkünfte optimal gestalten«,Anmeldeformulare werden durch die Geschäftsstelle der RAK separatversandt.21. und 28.11.2001: »Aktuelles Familienrecht«, Fortbildungsveranstal-tungen in Zusammenarbeit mit dem DAI (21.11. in Güstrow; 28.11. inSchwerin); weitere Informationen bei der Geschäftsstelle der RAK.7. und 8.12.2001: Veranstaltung zur Schuldrechtsmodernisierung inRostock; weitere Informationen und Anmeldungen bei der Geschäfts-stelle der RAK.Im letzten Quartal 2001 ist zudem eine Fortbildungsveranstaltung imArbeitsrecht geplant. Anfragen bitte an die Geschäftsstelle.

WissenswertesNach ersten Gesprächen im Frühsommer des Jahres hat am 3.9.2001ein weiteres Gespräch zwischen dem Präsidenten der RAK, RA Dr. AxelSchöwe, und dem Justizminister des Landes, Erwin Sellering, statt-gefunden. Der Minister informierte darüber, dass zur Stärkung derJustiz in Mecklenburg-Vorpommern seit Juli 2001 bereits 10 zusätz-liche Gerichtsvollzieher eingesetzt sind und noch in diesem Jahr10 zusätzliche Richter und 12 Rechtspfleger eingesetzt werden.

Rechtsanwaltskammer SACHSEN

Geschäftsstelle: Atrium am Rosengarten, Glacisstr. 6, 01099 DresdenTel.: (0351) 31 85 90, Fax: (0351) 3 36 08 99E-Mail: [email protected]; Internet: www.rak-sachsen.dePräsident: RA Dr. Günter Kröber, LeipzigVizepräsidenten: RA Markus M. Merbecks, Chemnitz, RAin KarinMeyer-Götz, Dresden, und RAin Dr. Susanne Pohle, LeipzigGeschäftsführer: Jörg Zepnek

TermineDeutsch-Polnisches Anwaltsforum vom 19. bis 21.10.2001 in Görlitz;

WissenswertesAntrittsbesuch beim MinisterpräsidentenDas Präsidium der RAK hat den Ministerpräsidenten des FreistaatesSachsen, Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, am 17.9.2001 zu einem Antritts-besuch getroffen. Zu den Themen gehörten u.a. die Abschaffung desin den neuen Bundesländern geltenden 10%igen Gebührenabschlagsund Fragen der Reform der Juristenausbildung.

Übertragung der Zulassungskompetenzen auf die RAKNachdem festgelegt worden ist, dass die Zuständigkeit für die Zulas-sung zur Rechtsanwaltschaft zum 1.1.2002 auf die RAK übertragenwird, laufen erste Vorbereitungen zur Übernahme dieser Aufgabe.Gemäß Vereinbarung mit dem Präsidenten des OLG wurde im Sept.2001 mit der Einarbeitung der künftig zuständigen Mitarbeiter derKammer begonnen. Hierzu erfolgte vom Präsidenten der RAK am28.8.2001 auch eine Unterredung mit dem Datenschutzbeauftragtendes Sächsischen Landtags, Herrn Dr. Giesen, in Dresden.

Führung durch das neue OLG-GebäudeAm 22.8.2001 führte der Präsident des OLG, Klaus Budewig, dieMitglieder von Präsidium und Vorstand der RAK durch den neuen Sitzdes OLG am Schlossplatz in Dresden. Er befindet sich im Gebäudedes ehem. Sächsischen Ständehauses, das nach langjähriger Sanierungwieder hergestellt wurde und auch die Repräsentationsräume des Säch-sischen Landtags sowie das Landesamt für Denkmalspflege beherbergt.Herr Budewig zeigte u.a. die sieben Gerichtssäle, die jetzt in einem neugebauten Kubus untergebracht sind, der von der historischen Fassadeeingeschlossen ist. In der neuen Bibliothek befindet sich u.a. als Dienst-leistung der RAK ein Kopiergerät zur Nutzung für die Anwaltschaft.

Kontakte zur Notarkammer SachsenAuf Initiative des Präsidiums der RAK fand am 29.8.2001 ein Gesprächzwischen dem Präsidenten der RAK, RA Dr. Kröber, und der Präsidentinder Notarkammer Sachsen, Notarin Bettina Sturm, in Gegenwart derGeschäftsführer statt. Dabei wurden beide Kammern betreffendeFragen erörtert, insbes. Abgrenzungsfragen zur Werbung in der Öffent-lichkeit und Unterschiede bei den jeweiligen Aufgabenbereichen.

StandpunktDie Sächsische Staatsregierung hat am 14.8.2001 die Zustimmung zueinem Gesetzentwurf beschlossen, der ein praxisnäheres Studium vor-sieht. Die Hochschulausbildung soll sich mehr auf den Anwaltsberufkonzentrieren. Der Entwurf sieht die Aufwertung von Wahlfächernund die stärkere Einbeziehung der Universitäten bei der Ablegung derStaatsexamen vor. Anwalt soll danach nur noch werden können, werim Referendariat mindestens ein Jahr Kanzleiausbildung nachweisenkann. Der Entwurf soll in den Bundesrat eingebracht werden.Die RAK begrüßt den Gesetzentwurf. Dieser Schritt, der auch eine kon-zentrierte Ausbildung auf den Anwaltsberuf beinhaltet, war anwalts-seitig zuletzt in einem Gespräch Anfang Juni 2001 beim SächsischenStaatsminister der Justiz gefordert worden. Die Kammer bekräftigt ihreAuffassung, sich aktiv bei einem zu schaffenden Juristen-Ausbildungs-gesetz des Freistaates Sachsen einzubringen.

Rechtsanwaltskammer THÜRINGEN

Geschäftsstelle: Bahnhofstr. 27, 99084 ErfurtTel.: (0361) 6 54 88-0, Fax: (0361) 6 54 88-20E-Mail: [email protected]äsidentin: RA Dr. Michael Burmann, ErfurtVizepräsident: RA Ralf Seeler, GeraGeschäftsführer: RA Dr. Matthias Hechler, Erfurt

WissenswertesAm 22.8.2001 wurde in Erfurt die diesjährige Kammerversammlungzum Ende gebracht. Sie hatte bereits am 13.6.2001 in Mühlhausenbegonnen und war zur Fortsetzung vertagt worden. Die Kammer-versammlung fasste die erforderlichen Beschlüsse zur Einführung des

RAK-Report

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Euro und ergänzte die Entschädigungssatzung für den Vorstand. Siebeschloss eine Änderung der Geschäftsordnung der RAK sowie denjährlichen Kammerbeitrag von gegenwärtig 480 DM ab 1.1.2002 auf200 Euro abzusenken.

PersonalienWahlen zum VorstandIn der Kammerversammlung vom 22.8.2001 wurde der gesamte Vor-stand neu gewählt. Im ersten Wahlgang wurden folgende Kolleginnenund Kollegen mit einer Amtszeit von vier Jahren gewählt: RA RalfSeeler (Gera), RAin Dr. Kathrin Thiele (Erfurt), RA Hermann-MichaelDrechlser (Gera), RA Wunibald Böhmer (Eisenach), RA Dr. JoachimLöhr (Bad Berka), RAin Susanne Elfering (Erfurt), RA Dieter Möhler(Meiningen). Im zweiten Wahlgang mit einer Amtszeit von zweiJahren wurden gewählt: RAin Sabine Thull (Meiningen), RA SvenRothe (Gera), RA Dr. Michael Burmann (Erfurt), RA Udo Freier (Greiz),RAin Ulrike Mendel (Erfurt), RA Dr. Axel Schmidt (Erfurt), RA BurkhardWeinbach (Eisenach). Damit wurden nur fünf der früheren Vorstandsmitglieder, nämlich RASeeler, RAin Dr. Thiele, RA Drechsler, RA Dr. Löhr und RA Dr. Schmidt

wieder gewählt. Alle übrigen Mitglieder des Vorstandes sind erstmalsgewählt worden.

Wahlen zum PräsidiumIn seiner ersten Sitzung vom 28.8.2001 hat der Vorstand das Präsi-dium wie folgt gewählt: Präsident Dr. M. Burmann, VizepräsidentR. Seeler, Schriftführer W. Böhmer, Schatzmeister Dr. J. Löhr, weiteresMitglied des Präsidiums (Öffentlichkeitsarbeit) Dr. A. Schmidt.

Der neue PräsidentDr. Michael Burmann wurde am 13.2.1955 in Delmenhorst geboren.Nach dem Abitur im Jahre 1973 studierte er von 1974 bis 1979 inMarburg und Münster Rechtswissenschaften. 1981 legte er die zweitejuristische Staatsprüfung ab. Von 1981 bis 1984 war er an der Univer-sität Münster als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Im Jahre 1984erfolgte die Promotion zum Dr. jur. Ebenfalls 1984 erfolgte die Zulas-sung zur Rechtsanwaltschaft. Danach war Dr. Burmann zunächstin Hamm als Rechtsanwalt tätig, ab 1986 in Hagen. Seit 1995 istRA Dr. Burmann in Erfurt. Sein besonderes Interesse findet das Ver-kehrs- und Versicherungsrecht.

Dokumentat ion

Reform des StrafverfahrensDie Regierungskoalition hat im Frühjahr 2001 »Eckpunkte einer Reformdes Strafverfahrens« vorgelegt, die auf tiefgreifende Änderung der StPOabzielen. Sie werden nachfolgend im Wesentlichen abgedruckt.

1. Verbesserung des OpferschutzesDen Interessen des Opfers soll auch durch eine verbesserte Informationüber den Ablauf des Strafverfahrens entsprochen werden. VermehrteVerwertungsmöglichkeiten von früheren Beweiserhebungen werden denOpfern oftmals quälende Mehrfachvernehmungen ersparen.Schnellere Verfahrensbeendigung und damit früherer Rechtsfrieden lässt eszu, dass Opfer von Straftaten das erlebte – oft traumatisierende – Geschehenwirklich verarbeiten können. Durch stärkere Nutzung von Gesprächs-möglichkeiten zwischen den Verfahrensbeteiligten bereits in einem frühenStadium kann häufiger als bisher ein Täter-Opfer-Ausgleich dem Opfer dieMöglichkeit geben, den Täter mit den materiellen und immateriellenFolgen der Tat zu konfrontieren. Die Einführung eines strafgerichtlichenWiedergutmachungsvergleichs wird eine endgültige einvernehmlicheEinigung über den Schadensausgleich auch noch in der Hauptverhandlungermöglichen … Ergänzend werden weitere Möglichkeiten zur Verbesserungder Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche im nahen zeitlichenZusammenhang mit dem Ermittlungs- und Strafverfahren geprüft. …

2. Stärkung der Rechte der VerteidigungNach geltender Gesetzeslage haben Verteidiger nur in Ausnahmefällen dasRecht, bei einer Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren anwesend zusein. Das erklärt die derzeitige Praxis, wonach nur in 2,7% der Verfahrenin diesem Abschnitt Beweisanträge durch die Verteidigung gestellt werden.Es erscheint nachvollziehbar, dass Verteidiger es scheuen, eine Beweis-erhebung, etwa eine Vernehmung, zu beantragen, deren Verlauf undErgebnis sie nicht beeinflussen, ja nicht einmal beobachten können. Dabeikönnte ein stärkeres Engagement der Verteidigung effizientere Ermittlun-gen ermöglichen, unnötige Anklagen vermeiden und die Hauptverhand-lung verkürzen helfen. Demzufolge strebt die Reform eine frühere Einbin-dung der – ggf. beizuordnenden – Verteidigung an durch: – Beteiligungsrecht des Verteidigers bei der polizeilichen Beschuldigten-

vernehmung, bei von Verteidigerseite beantragten Beweiserhebungen,bei der richterlichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Vernehmung desMitbeschuldigten sowie weitergehende Anwesenheitsmöglichkeiten(»soll«) bei Vernehmungen von Zeugen und Mitbeschuldigten. …

– Beteiligungsrecht der Verteidigung bei der Auswahl eines Sachverstän-digen kraft Gesetzes. Dadurch soll der materielle Gehalt, der jetzt inNr. 70 Abs. 1 RiStBV geregelt ist, in die StPO aufgenommen werden …Wenn der Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, so soll ermit bestimmten Einwänden gegen die Auswahl des Sachverständigenanalog § 25 Abs. 2 StPO präkludiert sein.

3. Stärkung der Stellung des BeschuldigtenDas Ermittlungsverfahren sollte für alle Beteiligten offener gestaltet wer-den und, so weit es der Untersuchungszweck zulässt, ein »partizipato-risches« Verfahren sein, bei dem die Beteiligten auf der Basis des gleichenInformationsstandes eine möglichst von allen akzeptierte Lösung finden.Ein modernes und gewandeltes Verständnis vom Stil eines Ermittlungs-verfahrens wird im Gesetz zum Ausdruck gebracht, indem klargestellt wird,dass der Beschuldigte so früh wie möglich über ein gegen ihn geführtesVerfahren zu unterrichten ist. Die Grenze bilden die Erfordernisse einereffektiven Strafverfolgung. Durchsuchungen und Telefonüberwachungenetwa müssen weiterhin erfolgversprechend möglich sein.

4. Förderung konsensualer Elemente im ErmittlungsverfahrenDas Rechts- oder Kooperationsgespräch im Ermittlungsverfahren soll informloser, aber doch institutionalisierter Form ein Instrument geben, ummöglichst früh verfahrensstrukturierende Gespräche zu führen. Gerade beikomplexen, sehr umfangreichen Verfahren kann eine frühzeitige Bespre-chung des Sachverhalts und der Beweislage unnötige Fronten und entbehr-liche Ermittlungshandlungen vermeiden helfen. Das Rechtsgespräch kannmit zwei Zielrichtungen geführt werden: als Voraussetzung für die Verfah-rensbeendigung ohne Hauptverhandlung (Einstellung nach § 153a StPOoder Strafbefehl) oder als Vorbereitung der Hauptverhandlung durchReduzierung des Verfahrensstoffes (§ 154 StPO) oder Strukturierung dererforderlichen Beweisaufnahme. …

5. Anhörungstermin im ZwischenverfahrenDem Zwischenverfahren kommt bereits nach geltendem Recht eine Filter-funktion zu. In diesem bislang schriftlichen Verfahrensabschnitt findeteine gerichtliche Prüfung des hinreichenden Tatverdachtes statt, derAngeschuldigte erhält rechtliches Gehör und Gelegenheit, durch Beweis-anträge und Einwendungen auf die Eröffnungsentscheidung Einfluss zunehmen. Den von Dölling/Feltes ermittelten empirischen Daten ist indeszu entnehmen, dass die Möglichkeiten, die das Zwischenverfahren zurEntlastung der Hauptverhandlung bietet, bislang kaum genutzt werden.Die gesetzliche Verankerung eines in geeigneten Fällen nach dem Ermes-sen des Gerichts anzuberaumenden Anhörungstermins im Zwischen-verfahren bietet einen Anreiz, von den vorhandenen Gestaltungsmög-

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lichkeiten dieses Verfahrensabschnitts verstärkt Gebrauch zu machen unddamit die Hauptverhandlung auf die entscheidungserheblichen Fragen zukonzentrieren. Der Anhörungstermin soll der Verfahrensverbesserungdurch offenes Verhandeln und der Erörterung der Frage dienen, ob und ggf.in welchem Umfang auf der Basis von gesichertem Konsens aller Beteilig-ten der Verfahrensaufwand verringert werden kann. Durch Begrenzung desProzessstoffes im Zwischenverfahren kann die Ladung von entbehrlichenZeugen und Sachverständigen unterbleiben. …

6. Eingangsstellungnahme der VerteidigungNach derzeitiger Rechtslage ist ein Erklärungsrecht für den Verteidiger erstnach Vernehmung des Angeklagten und im Rahmen der Beweisaufnahmevorgesehen. Zukünftig soll der Verteidigung das Recht eingeräumt werden,zu Beginn der Hauptverhandlung darzulegen, auf welche Weise dem Anklage-vorwurf entgegengetreten werden soll. Dies wird häufig der Klärung desSachverhaltes und der Vereinfachung des Verfahrens dienen.Das Recht der Verteidigung, nach Verlesung des Anklagesatzes eine Ein-gangsstellungnahme abzugeben, trägt zu mehr Offenheit im Umgang derVerfahrensbeteiligten miteinander und zu einer Konzentration undBeschleunigung der Hauptverhandlung bei.

7. Verstärkte Verwertbarkeit von im Ermittlungsverfahren erhobenen BeweisenDie erweiterte Verlesungsmöglichkeit von Vernehmungsniederschriftenund Urkunden unter Beachtung des Amtsermittlungsgrundsatzes durchdas Gericht kann die Hauptverhandlung von zeitaufwendigen Wiederho-lungen entlasten und erspart Zeugen vielfache Vernehmungen zum selbenGegenstand, wird also ganz erheblich dem Opferschutz dienen.Die Lockerung des Unmittelbarkeitsprinzips ist gerechtfertigt, wenn undso weit die Verteidigung bei Beweiserhebungen in einem früheren Ver-fahrensstadium, insbes. im Ermittlungsverfahren, mitwirken konnte. DieVerlesungsmöglichkeit ist im Übrigen durch die Verpflichtung des Gerichtszur Erforschung der Wahrheit begrenzt. Soweit die Aufklärung des wahrenSachverhalts gebietet, dass sich das Gericht einen persönlichen Eindruckvon der Beweisperson verschafft, oder dass ergänzende Fragen zu beant-worten sind, bleibt es bei der Vernehmung in der Hauptverhandlung.

8. Transparente Hauptverhandlung (Verständigung)Dem Gericht soll die Möglichkeit eröffnet werden, geeignete Verfahrens-abschnitte zum Anlass zu nehmen, in öffentlicher Hauptverhandlungseine vorläufige Beurteilung des jeweiligen Verfahrensstandes in tatsäch-licher und rechtlicher Hinsicht mitzuteilen. Eine gesetzliche Regelung solldie grundsätzliche Billigung eines solchen Verfahrens festschreiben unddadurch klarstellen, dass entsprechende Äußerungen des Gerichts denVorwurf der Befangenheit nicht begründen. Eine solche Mitteilung deserkennenden Gerichts bietet in geeigneten Fällen Gelegenheit, mit allenVerfahrensbeteiligten in Erörterungen über die Frage einzutreten, ob undggf. in welcher Weise die Hauptverhandlung abgekürzt werden kann.Eine gesetzliche Normierung der Verständigung im Strafverfahren trägt derEntwicklung in der Praxis Rechnung. Sie soll in Übereinstimmung mit derRechtsprechung des BGH und des BVerfG die dabei zu beachtenden rechts-staatlichen Anforderungen an verfahrensbeendende Absprachen gewähr-leisten und insbes. auch sicherstellen, dass der Boden für eine schuld-angemessene Strafe nicht verlassen wird.

9. Einsatz technischer MittelDie Justizbehörden müssen umfassend mit moderner Kommunikations-technologie und technischen Hilfsmitteln ausgestattet werden. …So sollen allgemein gebräuchliche audiovisuelle technische Hilfsmittel zurEntlastung der Praxis und im Interesse des Opferschutzes unter Berücksich-tigung der Belange des Betroffenen verstärkt eingesetzt werden können. Ingeeigneten Fällen, insbes. bei Kapitaldelikten, können auch Beschuldigten-vernehmungen im Ermittlungsverfahren durch Bild-Ton-Aufzeichnungendokumentiert werden. Soweit die StPO ein Inhaltsprotokoll vorsieht, solldem Vorsitzenden die Möglichkeit eingeräumt werden, die Tonbandauf-zeichnungen einzelner Vernehmungen anzuordnen. …

10. Optimierung des BerufungsverfahrensDie Berufung – auch zukünftig das Rechtsmittel in den beim Amtsgerichtbeginnenden Verfahren – kann und soll ohne Einbuße an rechtsstaatlicherKontrollmöglichkeit effizienter ausgestaltet werden. …Ausgangspunkt des Berufungsverfahrens soll das erstinstanzliche Urteilsein. Der Berufungsführer soll, um die Vorbereitung der Berufungsver-handlung zu erleichtern und ggf. unnötige Zeugenladungen zu vermeiden,

sein Rechtsmittel – ggf. unterstützt durch einen Verteidiger – zumindestkurz begründen und das damit verfolgte Ziel angeben; die Staatsanwalt-schaft ist hierzu durch Verwaltungsvorschrift (Nr. 156 RiStBV) ohnehinverpflichtet … Die Berufung soll weiterhin auch eine Überprüfung intatsächlicher Hinsicht und neue tatsächliche Feststellungen in der zweitenInstanz ermöglichen, also sich nicht auf eine reine Rechtsüberprüfungbeschränken. Auch deshalb sind die gewollten Anforderungen nicht mitdenen einer Revisionsbegründung gleichzusetzen. Zudem gewährleisten dieauch in zweiter Instanz uneingeschränkt gültige Amtsaufklärungspflicht alsAusdruck der materiellen Wahrheit sowie das Beweisantragsrecht die Prü-fungskompetenz des Berufungsgerichts auch über die vom Berufungsführergeltend gemachten Punkte hinaus. Eine vollständige Überprüfung deserstinstanzlichen Urteils bleibt somit möglich, ohne dass es automatisch zueiner kompletten Wiederholung der Beweisaufnahme kommen muss.Nach geltendem Recht hat das Berufungsgericht die Möglichkeit, über dasunzulässige Rechtsmittel ohne Hauptverhandlung im Beschlussweg zuentscheiden … Dabei soll es bleiben.Nach den vorliegenden rechtstatsächlichen Erkenntnissen hat sich dieAnnahmeberufung nicht im erwarteten Maße bewährt; es spricht deshalbviel dafür, sie aufzugeben.Um schutzbedürftigen Zeugen eine erneute Vernehmung in der zweitenInstanz zu ersparen, soll auch die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen demAmtsgericht – insbes. dem Schöffengericht – und dem Landgericht über-prüft werden. In diese Prüfung soll auch die Zuständigkeitsabgrenzung fürbesonders umfangreiche und schwierige Sachen mit einbezogen werden.Schließlich ist auch die Besetzung der Kleinen Strafkammer zu überprüfen,wenn erstinstanzlich das Schöffengericht entschieden hat. …

11. RevisionFür die beim Amtsgericht beginnenden Verfahren soll es bei der Revisionals Zweitrechtsmittel bleiben. Ebenso soll für die in erster Instanz beimLandgericht angesiedelten Verfahren die Revision zum BGH weiterhin dieÜberprüfungsmöglichkeit und damit die einzige Rechtsmittelinstanz sein.Der erhebliche Ausbau der Stellung der Verteidigung durch frühzeitigeInformation, Akteneinsicht und Mitwirkung bei Beweiserhebungen wirddas Vor-, Zwischen- und Hauptverfahren in einer Weise verbessern, diegerade auch der Stellung des Beschuldigten/Angeklagten und der Qualitätseiner Verteidigung zugute kommt. Es erscheint daher sachgerecht, demRevisionsführer auch bei der Vorbereitung des Revisionsverfahrens einestärkere Mitarbeit abzuverlangen. Es ist daher zu prüfen, ob bei der auf eineSachrüge gestützten Revision strengere Anforderungen an die Begründungzu stellen sind, um dem Revisionsgericht zumindest einen Hinweis zugeben, in welchen Punkten der Revisionsführer das materielle Recht durchdas Urteil verletzt sieht. …Eine effektivere Ausgestaltung des Revisionsverfahrens soll durch einebehutsame Öffnung der Revision für eigene Entscheidungsmöglichkeitenerfolgen. Das bisherige Revisionsrecht erwies sich häufig als umständlich,wenn Zurückverweisungen aufgrund von Fehlern notwendig waren, dieunschwer in der Revisionsinstanz hätten korrigiert werden können …Zukünftig soll das Revisionsgericht in diesen Fällen die Möglichkeit haben,eine eigene Entscheidung zu treffen. Durch den Wegfall von Zurückver-weisungen werden diese Verfahren deutlich verkürzt, vor allem aber denOpfern weitere Vernehmungen in einer neuen Instanz erspart.

12. Aufgreifen weiterer EinzelvorschlägeAus der Vielzahl der Vorschläge zur Änderung der StPO aus den Ländernund der Praxis sollen die sachlich vertretbaren aufgegriffen und in denEntwurf des BMJ einbezogen werden. Bspw. ist die Anpassung der straf-verfahrensrechtlichen Vereidigungsregelungen an die tatsächliche Hand-habung in der Praxis, die Ausdehnung der Hemmungsregelung gem. § 229Abs. 3 StPO auf die Mitglieder des Spruchkörpers, eine Vereinheitlichungder Anwendung des beschleunigten Verfahrens durch die gesetzliche Ver-ankerung einer Frist für die Durchführung der Hauptverhandlung in § 408Abs. 1 StPO und die Vereinfachung und Straffung des Verfahrens zurKlärung der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts in den Fällen des § 7Abs. 2 Nr. 2 StGB zu prüfen. Mittelfristig ist zu untersuchen, ob die Wie-deraufnahmegründe zur Sicherstellung einer effektiven nachträglichenKontrolle von Urteilen ausgeweitet werden müssen.

Anm. d. Redaktion: Die Justizministerkonferenz hat im Juni 2001 in Trier die vom Straf-rechtsausschuss seinerzeit eingesetzte Arbeitsgruppe »Reform der Rechtsmittel inStrafsachen« gebeten, das Vorhaben als Arbeitsgruppe »Reform des Strafverfahrens«zu begleiten und einen ersten Bericht zur Frühjahrskonferenz 2002 vorzulegen.

Dokumentat ion Reform des St rafver fahrens

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523Neue Justiz 10/2001

Änderungen des Schuldrechtsanpassungs-gesetzes und der NutzungsentgeltverordnungIn Umsetzung der Entscheidung des BVerfG v. 14.7.1999 hat die Bundesregierungein Erstes Gesetz zur Änderung des SchuldrechtsanpassungsG (SchuldRAnpG)beschlossen, mit dem zugleich die NutzungsentgeltVO geändert werden soll.Die in den letzten Wochen von den Grundstücksnutzern scharf kritisierteGesetzesnovelle wird nachfolgend in seinen wesentlichen Passagen abgedruckt.

A. Problem und Ziel1. Das BVerfG hat mit dem Beschl. v. 14.7.1999 (BVerfGE 101, 54 = NJ 2000,28) einzelne Bestimmungen des SchuldRAnpG für mit dem GG unver-einbar erklärt und darüber hinaus Änderungen des Gesetzes gefordert.Demnach sollen Regelungen erlassen werden, die eine angemesseneBeteiligung des Nutzers eines kleingärtnerisch genutzten Grundstücks odereines Erholungs- oder Freizeitgrundstücks an den öffentlichen Lasten desGrundstücks sicherstellen. Außerdem soll dem Eigentümer eine besondersgroßen Grundstücks die Möglichkeit eingeräumt werden, im Wege einerTeilkündigung die räumliche Erstreckung des Nutzungsrechts zu reduzieren.2. In der Anwendung der NutzungsentgeltVO (NutzEV) hat sich gezeigt,dass einzelne Vorschriften deshalb Schwierigkeiten bereiten, weil dasGewollte nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht wird. Insbes. die beider Ermittlung des ortsüblichen Nutzungsentgelts zu beachtenden Ver-gleichbarkeitskriterien und die Möglichkeiten der Begründung der Erhöh-ung des Entgelts sind bisher nicht klar genug bestimmt.

B. LösungZu 1. Der Wortlaut des SchuldRAnpG muss an die Rechtslage, wie sie sichnach der Entscheidung des BVerfG darstellt, angepasst werden, soweit ein-zelne Bestimmungen für verfassungswidrig erklärt worden sind. Außerdemsollen Umfang und Verfahren für eine Beteiligung des Nutzers an denöffentlichen Lasten des Grundstücks geregelt werden. Schließlich soll dasGesetz um die Regelung eines Teilkündigungsrechts bei besonders großenGrundstücke ergänzt werden.Zu 2. Mit der Änderung der NutzEVsollen die Vergleichbarkeitskriterien zurErmittlung des ortsüblichen Nutzungsentgelts deutlicher gefasst und diewichtigsten Möglichkeiten der Begründung der Entgelterhöhung in derVerordnung genannt werden. …

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes

Artikel 1Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes

Das Schuldrechtsanpassungsgesetz vom 21. September 1994 (BGBl. IS. 2538), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:1. In § 14 wird nach Satz 1 folgender Satz eingefügt:»Bei einem Vertragsverhältnis nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 besteht der Anspruchnach Satz 1 nur, wenn das Vertragsverhältnis aus den in § 23 Abs. 2 Satz 1Nr. 2 oder Abs. 6 Satz 3 genannten Gründen gekündigt wird.«2. Nach § 20 wird folgender § 20a eingefügt:

»§ 20aBeteiligung des Nutzers an öffentlichen Lasten

(1) Der Grundstückseigentümer kann vom Nutzer eines kleingärtnerischgenutzten Grundstücks, eines Erholungsgrundstücks oder eines Freizeit-grundstücks die Erstattung der ab dem 30. Juni 2001 für das genutzte Grund-stück oder den genutzten Grundstücksteil anfallenden regelmäßig wieder-kehrenden öffentlichen Lasten verlangen, die auf dem Grundstück ruhen.Das Erstattungsverlangen ist dem Nutzer spätestens bis zum Ablauf deszwölften Monats nach dem Ende eines Pachtjahres für die in diesem Pacht-jahr angefallenen Lasten in Textform zu erklären. Nach Ablauf dieser Fristkann eine Erstattung nicht mehr verlangt werden, es sei denn, der Grund-stückseigentümer hat die verspätete Geltendmachung nicht zu vertreten.(2) Die Erstattung der für das genutzte Grundstück oder den genutztenGrundstücksteil nach dem 3. Oktober 1990 grundstücksbezogenen ein-malig erhobenen Beiträge und sonstigen Abgaben kann der Grundstücks-eigentümer vom Nutzer eines kleingärtnerisch genutzten Grundstücks,eines Erholungsgrundstücks oder eines Freizeitgrundstücks bis zu einerHöhe von 50 Prozent verlangen. Das Erstattungsverlangen ist dem Nutzerschriftlich zu erklären. Von dem nach Satz 1 verlangten Betrag wird jähr-lich ein Teilbetrag in Höhe von 10 Prozent zum Ende des Pachtjahres fällig,solange das Vertragsverhältnis besteht. Die Erstattung der Erschließungs-beiträge nach den §§ 127 bis 135 des BauGB kann der Grundstücks-eigentümer nicht verlangen, soweit die Beiträge zinslos gestundet sind.

(3) Vor dem ... [einsetzen: Tag des Inkrafttretens dieses Änderungsgesetzes]ergangene rechtskräftige Entscheidungen bleiben unberührt.3. § 23 Abs. 6 Satz 1 wird wie folgt gefasst:»Für Verträge im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 über Grundstücke, die der Nutzernicht bis zum Ablauf des 16. Juni 1994 bebaut hat, gilt der besondere Kündi-gungsschutz nach den Absätzen 1 und 2 nur bis zum 31. Dezember 2002, fürNutzungsverträge über Garagengrundstücke nur bis zum 31. Dezember 1999.«4. Nach § 23 wird folgender § 23a eingefügt:

»§ 23aTeilkündigung

(1) Erstreckt sich das Nutzungsrecht an einem Erholungs- und Freizeit-grundstück nach dem Vertrag auf eine Fläche von mindestens 1000 Qua-dratmeter, so kann der Grundstückseigentümer den Vertrag abweichendvon § 23 hinsichtlich einer Teilfläche kündigen, soweit dem Nutzer min-destens eine Gesamtfläche von 400 Quadratmetern verbleibt und er diebisherige Nutzung ohne unzumutbare Einbußen fortsetzen kann. Auf dieKündigung ist § 25 Abs. 2 und 3 entsprechend anzuwenden. Die Kündi-gung nach § 25 Abs. 1 bleibt unberührt.(2) Der Grundstückseigentümer hat dem Nutzer die Aufwendungen zuersetzen, die infolge der Einschränkung der räumlichen Erstreckung desNutzungsrechts notwendig sind.(3) Der Nutzer hat die Maßnahmen zu dulden, die zur Gewährleistung derzulässigen Nutzung der gekündigten Teilfläche erforderlich sind.(4) Der Nutzer kann den Grundstückseigentümer auffordern, innerhalbeiner Frist von sechs Monaten ab Zugang der Aufforderung sein Recht zurTeilkündigung nach Abs. 1 auszuüben. Übt der Grundstückseigentümer seinRecht zur Teilkündigung nicht aus, kann der Nutzer nach Ablauf der in Satz 1genannten Frist innerhalb von drei Monaten nach Maßgabe der Sätze 3 und4 kündigen; in dieser Zeit ist die Teilkündigung durch den Grundstücks-eigentümer nach Abs. 1 ausgeschlossen. Die Kündigung durch den Nutzerist zulässig, wenn sich das Nutzungsrecht an einem Erholungs- und Frei-zeitgrundstück nach dem Vertrag auf eine Fläche von mindestens 1.000 Qua-dratmeter erstreckt, die gekündigte Teilfläche mindestens 400 Quadratmeterbeträgt, sie durch den Grundstückseigentümer zumutbar und angemessennutzbar ist und die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses ohne die Teil-kündigung für den Nutzer zu einer unzumutbaren Härte führen würde.Eine angemessene Nutzung durch den Grundstückseigentümer liegt ins-besondere vor, wenn die in einem bebaubaren Gebiet gelegene Teilflächeselbständig baulich nutzbar oder wenn sie in nicht bebaubaren Gebietensonst angemessen wirtschaftlich nutzbar ist. Auf die Kündigung ist § 25Abs. 2 und 3 entsprechend anzuwenden. Der Nutzer hat dem Grundstücks-eigentümer die Aufwendungen zu ersetzen, die infolge der Einschränkungder räumlichen Erstreckung des Nutzungsrechts notwendig sind.

Artikel 2Änderung der Nutzungsentgeltverordnung

Die Nutzungsentgeltverordnung vom 22. Juli 1993 (BGBl. I S. 1339), diezuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:1. § 3 Abs. 2 Satz 1 wird wie folgt gefasst:»Ortsüblich sind die Entgelte, die nach dem 2. Oktober 1990 in derGemeinde oder in vergleichbaren Gemeinden für Grundstücke vergleich-barer Art, Größe, Beschaffenheit und Lage vereinbart worden sind.«2. § 6 Abs. 1 wird wie folgt gefasst:»(1) Will der Überlassende das Nutzungsentgelt nach dieser Verordnungerhöhen, so hat er dem Nutzer das Erhöhungsverlangen in Textform zuerklären und zu begründen. Dabei ist anzugeben, dass mit dem Erhöhungs-verlangen die ortsüblichen Entgelte nicht überschritten werden. ZurBegründung kann der Überlassende insbesondere Bezug nehmen auf1. ein Gutachten des örtlichen zuständigen Gutachterausschusses über die

ortsüblichen Nutzungsentgelte für vergleichbar genutzte Grundstückeoder eine Auskunft des Gutachterausschusses über die in seinemGeschäftsbereich vereinbarten Entgelte nach § 7,

2. ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverstän-digen über die ortsüblichen Nutzungsentgelte für vergleichbar genutzteGrundstücke,

3. entsprechende Entgelte für die Nutzung einzelner vergleichbarer Grund-stücke; hierbei genügt die Benennung von drei Grundstücken.«

Artikel 3 Rückkehr zum einheitlichen Verordnungsrang

Die auf Artikel 2 beruhenden Teile der Nutzungsentgeltverordnungkönnen auf Grund der Ermächtigung des Artikel 232 § 4 Abs. 2 desEinführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche durch Rechtsverord-nung geändert werden.

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Neue Justiz 10/2001524

BegründungB. Die Vorschriften im EinzelnenZu Artikel 1 (Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes)Zu Artikel 1 Nr. 1 (Änderung von § 14 SchuldRAnpG)… Das BVerfG hat die Vorschrift insoweit für verfassungswidrig und nich-tig erklärt, als sie eine Entschädigungspflicht des Grundstückseigentümersauch dann vorsieht, wenn die vorzeitige Vertragskündigung für ihn nichtzu einem Vermögenszuwachs führt. Dies ist der Fall, wenn der Eigentümerden Vertrag kündigt, weil er das Grundstück für seine Zwecke – z.B. für dieErrichtung eines Wohnhauses – nutzen will. Gegen die Entschädigungs-pflicht ist nach Auffassung des Gerichts dagegen verfassungsrechtlichdann nichts einzuwenden, wenn die Kündigung erfolgt, weil der Grund-stückseigentümer sein Grundstück der Nutzung im Geltungsbereich einesBebauungsplans (§ 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) oder einem besonderen Investi-tionszweck iSd InVorG (§ 23 Abs. 6 Satz 3) zuführen will. Die Entschädi-gungspflicht wird daher auf vorzeitige Kündigungen aus den vorgenann-ten Kündigungsgründen beschränkt.

Zu Artikel 1 Nr. 2 (Einfügung von § 20a SchuldRAnpG)Das BVerfG hat in dem Beschl. v. 14.7.1999 festgestellt, dass verfassungs-rechtlich keinen Bestand haben kann, dass weder § 20 SchuldRAnpG nochdie NutzEV die Möglichkeit vorsieht, die Nutzer von kleingärtnerischgenutzten Grundstücken, Erholungs- oder Freizeitgrundstücken an denöffentlichen Lasten dieser Grundstücke angemessen zu beteiligen. DasRegelungsziel, die Nutzungsentgelte sozialverträglich an marktwirt-schaftliche Verhältnisse anzupassen, rechtfertige die einseitige Belastungder Grundstückseigentümer nicht. Das Ziel der Anpassungsregelungen,den Grundstückseigentümern zum Ausgleich für die langen Kündigungs-schutzfristen eine angemessene wirtschaftliche Verwertung ihrer Grund-stücke zu ermöglichen, werde durch Einbußen, die den Eigentümern durchöffentliche Abgaben entstehen können, in Frage gestellt. Das BVerfG hatfestgestellt, dass das Bruttoentgeltsystem, welches der bestehenden Rechts-lage zugrunde liegt, der Einbeziehung der Nutzer in die Lastentragung imWege verfassungskonformer Auslegung des § 20 der NutzEV entgegensteht.Auch eine analoge Anwendung der Vorschriften, die im Bereich der Nut-zung von Kleingärten nach dem BKleingG die Beteiligung der Nutzer anden öffentlichen Lasten regeln, schließt das BVerfG im Hinblick auf dasBruttoentgeltprinzip aus, von dem das SchuldRAnpG ausgeht.Die zu schaffende Regelung zur Beteiligung des Nutzers an den öffent-lichen Lasten des Grundstücks soll die Rechtsverhältnisse an Grund-stücken betreffen, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 aufgrund des Vertrages klein-gärtnerisch oder zu Erholungs oder Freizeitzwecken genutzt werden. Siesoll Garagengrundstücke nicht erfassen. Das BVerfG hat den Gesetzgebungs-auftrag auf Freizeit- und Erholungsgrundstücke beschränkt. Eine Erstreckungauf Garagengrundstücke wäre nicht sachgerecht: Nach dem BVerfG wer-den die derzeit geltenden Nutzungsentgeltregelungen dem Anspruch nichtgerecht, durch die Anpassung der Nutzungsentgelte an marktwirtschaft-liche Verhältnisse zum Ausgleich für die langen Kündigungsschutzfristeneine angemessene wirtschaftliche Verwertung der Grundstücke zu ermög-lichen. Diese Überlegungen treffen auf Garagengrundstücke nicht zu. Fürdiese Grundstücke sieht die NutzEV nicht die stufenweise Anpassung andas Marktniveau vor, sondern erlaubt sie die sofortige Erhöhung bis zurHöhe des ortsüblichen Entgelts (vgl. § 5 Abs. 1 NutzEV). Zudem greift derGedanke eines notwendigen Ausgleichs für lange Kündigungsschutzfristenbei Garagengrundstücken nicht.Nach der Entscheidung des BVerfG sind in die zu schaffende Neuregelungauch die Fälle einzubeziehen, in denen bereits öffentliche Lasten angefal-len sind, die mit den Nutzungsentgelten allenfalls unter weitgehendemVerzicht auf wirtschaftliche Erträge für die Grundstücksüberlassunggedeckt werden konnten. Eine Ausnahme komme in Fällen in Betracht, indenen Klagen auf Heranziehung der Nutzer zur Tragung öffentlicher Lastenrechtskräftig abgewiesen worden sind.Der vorliegende Entwurf lehnt sich an das System der Vorschriften an, dieim Bereich der Nutzung von Kleingärten nach dem BKleingG die Beteili-gung der Nutzer an den öffentlichen Lasten regeln. Diese Orientierung istgerechtfertigt, weil es im Bereich der Nutzung von Erholungs- und Freizeit-grundstücken gleichermaßen gilt, der besonderen soziale Funktion derNutzungsrechte Rechnung zu tragen. Der vom BVerfG erteilte Auftrag istsozialverträglich umzusetzen. Der Grundstückseigentümer soll vor wirt-schaftliche Einbußen, die daraus resultieren, dass er während der Dauer desKündigungsschutzes an der eigenen Nutzung seines Grundstücks gehin-dert, jedoch zur Tragung der öffentlichen Lasten des Grundstücks ver-

pflichtet ist, geschützt sein. Zu berücksichtigen ist insoweit jedoch, dass einTeil der den Lasten zugrunde liegenden Maßnahmen (Erschließungs- undAusbauleistungen) sich unmittelbar erhöhend auf den Wert seines Grund-stücks niederschlagen. Die auf den Nutzer des Grundstücks zukommendezusätzliche finanzielle Belastung soll im Interesse der fortdauerndenNutzungsmöglichkeiten nicht größer als unbedingt geboten ausfallen. …Die Neuregelung geht vor diesem Hintergrund von den folgenden Eck-punkten aus:1. Sie unterscheidet zwischen wiederkehrenden und einmalig erhobenen

öffentlichen Lasten.2. Künftig anfallende wiederkehrende öffentliche Lasten können ab

In-Kraft-Treten des Gesetzes im vollen Umfang auf den Nutzer umge-legt werden.

3. Einmalig erhobene öffentliche Beiträge und Abgaben können dagegengrundsätzlich auch dann umgelegt werden, wenn sie vor In-Kraft-Treten der Neuregelung beim Grundstückseigentümer angefallen sind.Sie können maximal bis zur Hälfte auf den Nutzer umgelegt werden.Die Erstattungspflicht des Nutzers wird zeitlich gestreckt und erlischtspätestens, wenn das Vertragsverhältnis beendet ist. Bei der Vorberei-tung des Entwurfs im Rahmen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe warerwogen worden, für Erschließungsbeiträge nach dem BauGB eineErstattung auszuschließen und diese Beiträge nach dem Vorbild derentsprechenden Regelung für Kleingärten nach dem BKleingG demGrundstückseigentümer solange zinslos zu stunden, wie das demSchuldRAnpG unterfallende Vertragsverhältnis andauert. Eine solcheRegelung unterliegt jedoch nicht der Gesetzgebungskompetenz desBundes. Sie ist den Ländern vorbehalten. Vor diesem Hintergrundsieht § 20a Abs. 2 Satz 4 nunmehr vor, dass ein Erstattungsverlangendes Eigentümers hinsichtlich der Erschließungsbeiträge nach demBauGB ausgeschlossen ist, soweit diese Beiträge zinslos gestundet sind.

Zu Absatz 1Nach Abs. 1 kann der Grundstückseigentümer entsprechend der Vorgabedes BVerfG ab dem 30.6.2001 vom Nutzer die Erstattung der regelmäßigwiederkehrenden öffentliche Lasten verlangen. Zu dieses Lasten zählendie Grundsteuer sowie grundstücksbezogene Benutzungsgebühren wieAbfall-, Abwasser-, Wasser- und Straßenreinigungsgebühren. Soweit derGrundstückseigentümer Gebührenschuldner ist und als solcher inAnspruch genommen wird, kann er die Kosten auf den Nutzer umlegen.Der Nutzer kann aber nur in dem Umgang an den Lasten beteiligt werden,wie das Grundstück, für das sie anfallen, durch ihn genutzt wird; die Nut-zung eines Flächenanteils eines Grundstücks hat demzufolge eine anteiligeUmlage der Lasten zur Folge. Der Grundstückseigentümer muss dem Nut-zer das Erstattungsverlangen in Textform erklären. Die Erklärung muss derGrundstückseigentümer innerhalb von 12 Monaten nach dem Ende desPachtjahres für die in dem betreffenden Pachtjahr angefallenen Lasten vor-nehmen. Diese Befristung dient der Rechtssicherheit und Rechtsklarheitund soll eine Geltendmachung von Erstattungen für einen sehr langezurückliegenden Nutzungszeitraum ausschließen. Ausnahmsweise kannder Grundstückseigentümer auch nach dem Ablauf der Frist eine Erstat-tung dann verlangen, wenn er die verspätete Geltendmachung nicht zuvertreten hat. Solche nicht zu vertretende Verspätungen können ihreUrsache zum Beispiel darin haben, dass eine als Last auf dem Grundstückruhende Zahlungsverpflichtung dem Grundstückseigentümer gegenübererst später geltend gemacht worden ist.Zu Absatz 2Die Beteiligung des Nutzers an den einmalig erhobenen Beiträgen undAbgaben regelt Abs. 2. Der Grundstückseigentümer kann verlangen, dasssich der Nutzer bis zur Hälfte an diesen Aufwendungen beteiligt. Nach derVorgabe des BVerfG gilt dies auch für Beiträge und Abgaben dieser Art, dievor In-Kraft-Treten der Vorschrift, jedoch nach dem 3.10.1990 angefallensind. Das Erstattungsverlangen ist in Schriftform zu erklären. Die Regelunggilt für Beiträge nach den Kommunalabgabengesetzen der Länder, wieAnschluss- und Straßenbaubeiträge. Sie gilt aber auch für Erschließungs-beiträge nach den §§ 127 ff. des BauGB und für Ausgleichsbeträge nach den§§ 154 f. des BauGB, die vom Grundstückseigentümer erhoben werden,wenn ein Grundstück in ein förmliches Sanierungsverfahren (§§ 136 ff.BauGB) oder in eine förmliche Entwicklungsmaßnahme (§§ 165 ff. BauGB)einbezogen worden ist. Zur Beteiligung an den vom 3.10.1990 an bis zumIn-Kraft-Treten dieses Gesetzes angefallenen Beiträgen und Abgaben kannder Nutzer auch dann herangezogen werden, wenn er im Wege einesNutzerwechsels mit Zustimmung des Grundstückseigentümers erst nachder Erhebung dieser Lasten in das Vertragsverhältnis eingetreten ist.

Dokumentat ion Änderungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes …

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525Neue Justiz 10/2001

Erstreckt sich der Nutzungsvertrag räumlich auf einen Teil des Grund-stücks, so ist der zu erstattende Betrag entsprechend anteilig zu ermitteln.Nach Satz 2 werden von dem Betrag, dessen Erstattung der Grundstücks-eigentümer gegenüber dem Nutzer geltend macht, jährlich aber nur einTeilbetrag i.H.v. 10% fällig. Die auf diese Weise zeitlich über höchstens10 Jahre gestreckte Erstattung soll die auf den Nutzer zukommende finan-zielle Mehrbelastung sozialverträglich ausfallen lassen. Die Teilbeträgewerden jeweils zum Ende des Pachtjahres fällig. Der Nutzer schuldet siedem Grundstückeigentümer aber nur so lange, wie das Vertragsverhältnisbesteht. Nach der Beendigung des Vertrages sollen keine weiteren Beträgefällig werden, weil der Nutzungsvorteil auf Seiten des Nutzers nicht mehrvorhanden ist. In Fällen, in denen das Vertragsverhältnis nicht zum Endeeines Pachtjahres beendet wird, haben die Beteiligten es in der Hand, sichüber eine entsprechende Anteilszahlung für das begonnene letzte Nut-zungsjahr einvernehmlich zu verständigen.Der Anspruch auf Erstattung von Erschließungsbeiträgen nach den §§ 127bis 135 des BauGB gem. Satz 1 ist nach Satz 2 ausgeschlossen, soweit demEigentümer diese Beiträge zinslos gestundet sind.Zu Absatz 3Von den neuen Regelungen bleiben rechtskräftige Entscheidungen derGerichte unberührt, die die Beteiligung des Grundstücksnutzers an denöffentlichen Lasten zum Gegenstand haben.

Zu Artikel 1 Nr. 3 (Änderung von § 23 Abs. 6 Satz 1 SchuldRAnpG)Das BVerfG hat mit dem Beschl. v. 14.7.1999 § 23 insoweit für mit Art. 14des GG unvereinbar und nichtig erklärt, als die Kündigung von Garagen-grundstücken auch nach dem Ablauf des 31.12.1999 Beschränkungenunterliegt und nicht nach den allgemeinen Vorschriften des BGB erfolgenkann. Nach dem bisherigen Wortlaut des Satzes 1 besteht für Garagen-grundstücke der Kündigungsschutz bis zum 31.12.2002. Die Änderungpasst den Wortlaut des Gesetzes an die neue Rechtslage an.

Zu Artikel 1 Nr. 4 (Einfügung von 23a SchuldRAnpG)Das BVerfG hat in dem Beschl. v. 14.7.1999 verfassungsrechtlich bean-standet, dass § 23 SchuldRAnpG dem Eigentümer für besonders große –bebaute oder unbebaute – Erholungs- und Freizeitgrundstücke nicht dieMöglichkeit einer Teilkündigung eröffnet. Wenn Teile des Grundstücksabtrennbar und vom Grundstückseigentümer selbständig nutzbar sind,lasse es sich nicht rechtfertigen, dem Nutzer das gesamte Grundstück biszum Ablauf der Bestandsschutzfrist zu belassen und den Grundstücks-eigentümer von jeglicher Nutzung auszuschließen. Vor diesem Hinter-grund geht die Neuregelung von den folgenden Eckpunkten aus:1. Der Eigentümer erhält das Recht zur Teilkündigung, wenn die genutzte

Fläche größer als 1.000 m2 ist. Dem Nutzer müssen jedoch mindestens400 m2 verbleiben und er muss die bisherige Nutzung ohne zumutbareEinbußen fortsetzen können.

2. Mit der Einschränkung des räumlichen Umfangs der Nutzung beimNutzer anfallende notwendige Aufwendungen muss der Eigentümerdem Nutzer ersetzen.

3. Der Nutzer soll zur Duldung solcher Einwirkungen verpflichtet sein,die zur zulässigen Nutzung der gekündigten Teilfläche durch denEigentümer oder einen berechtigten Dritten erforderlich werden.

4. Dem Nutzer wird ein – subsidiäres – Teilkündigungsrecht eingeräumt,wenn der Eigentümer sein Teilkündigungsrecht trotz entsprechenderAufforderung nicht ausübt und die Fortsetzung des unverändertenNutzungsrechts für der Nutzer ansonsten zu einer unzumutbarenHärte führen würde.

Die Rechtsfolgen der Teilkündigung ergeben sich im Übrigen aus den§§ 11 ff.; eventuelle Entschädigungsansprüche richten sich mithin nachden §§ 12 u. 14.Zu Absatz 1Das BVerfG hat die Einführung eines Teilkündigungsrecht des Eigentümers»für besonders große Erholungs- und Freizeitgrundstücke« verlangt.Eine genauere Bestimmung der Größe eines genutzten Grundstücks, dieeine solche Teilkündigung rechtfertigt, enthält die Entscheidung nicht.Einen Anhaltspunkt liefert die Urteilsbegründung, in der ausgeführtwird, dass ein Recht zur Teilkündigung auch deshalb erforderlich ist,weil »auch nach dem Recht der DDR bei großen Erholungsgrundstückenund einem nur für eine Teilfläche gegebenen Nutzungsbedarf des Eigen-tümers die Möglichkeit einer Grundstücksteilung und einer entspre-chenden Änderung des Nutzungsvertrages …« in Betracht kam. Der inBezug genommenen Entscheidung des OG der DDR v. 23.8.1983(NJ 1983, 507) lag ein Vertrag über die Nutzung eines 1.084 m2 großen

Grundstücks zugrunde. Das im März 2000 dem BMJ vorgelegte rechts-tatsächliche Gutachten des Instituts für Stadtforschung und Struk-turpolitik GmbH (IfS) zur Praxis der NutzEV und des SchuldRAnpG(BT-Drucks. 14/3612) enthält folgende Feststellungen zur Größe derErholungsgrundstücke:

»Die durchschnittlich Größe der Grundstücke, die dem SchuldRAnpG unter-fallen, beträgt 575 m2. Ein über 1000 m2 großes Grundstück nutzen 14%.Mit durchschnittl. 721 m2 sind die Grundstücke in Brandenburg am größtenund mit durchschnittl. 422 m2 in Thüringen am kleinsten.«

Die vorliegenden Angaben lassen es als gerechtfertigt erscheinen, alsMaßstab für ein »besonders großes Grundstück« eine Mindestfläche von1.000 m2 in Ansatz zu bringen. Abzustellen ist dabei nicht auf die Größeeines Grundstücks im rechtlichen Sinne, sondern auf die Fläche, die nachdem Vertrag genutzt wird, weil sich das vertragliche Nutzungsrecht übermehrere Grundstücke erstrecken kann.Die Vorschrift muss aber auch Vorgaben dazu enthalten, in welchemUmfang der Gesetzgeber ein Teilkündigungsrecht für zulässig hält. DemEigentümer die Möglichkeit zu eröffnen, die Nutzung des Grundstücksdurch den Vertragspartner beliebig räumlich einzuschränken, erscheintnicht gerechtfertigt und würde zusätzlich Konfliktpotential schaffen.Es wird deshalb bestimmt, dass dem Grundstücksnutzer mindestens eineTeilfläche von 400 m2 zur Nutzung verbleiben muss. … Der Nutzer soll– wie vom BVerfG vorgegeben – die bisherige Nutzung ohne zumutbareEinbußen fortsetzen können. Zu welchen Auswirkungen diese Vorgabeführt, hängt stark von der jeweiligen Situation im Einzelfall ab. Nach die-sem Kriterium wird bspw. zu entscheiden sein, auf welche Flächengrößesich das Teilflächenkündigungsrecht erstrecken kann und wie diese Flächein der Natur zugeschnitten wird. Die Lage und der Umfang vorhandenerBebauung, der Zuwege und der Versorgungsleitungen, aber auch mar-kanter Bepflanzungen können für die Beurteilung des Grades von Ein-bußen in der künftigen Grundstücksnutzung und der Zumutbarkeit derTeilkündigung ausschlaggebend sein. Dabei wird aber davon ausgegan-gen, dass Nutzungseinbußen im bestimmten Umfang hinzunehmen sind.Auch Aufwendungen in einem bestimmten Umfang werden dem Nutzerabverlangt werden können. Die Möglichkeit, hierfür ggf. Ersatz zu ver-langen, wird durch Abs. 2 eröffnet.Satz 2 verweist hinsichtlich von Rechtsfolgen und Modalitäten der Teil-kündigung auf § 25 Abs. 2 u. 3. Die Verweisung auf Abs. 2 stellt klar, dassim Falle der Teilkündigung der Nutzungsvertrag über die verbleibendeRestfläche fortgesetzt wird, der Nutzer die entsprechende Anpassungdes Nutzungsentgelts verlangen kann und das angepasste Nutzungsentgeltvom Beginn des Kalendermonats an geschuldet wird, in dem die Teil-kündigung wirksam wird. …Schließlich wird klargestellt, dass von der Ausübung des Teilkündigungs-rechts das Kündigungsrecht des Grundstückseigentümers nach § 25 nichtberührt wird (Satz 3).Zu Absatz 2Dem Nutzer soll ein Anspruch auf Ersatz derjenigen Aufwendungen gegenden Grundstückseigentümer eingeräumt werden, die erforderlich werden,weil er sich in der Nutzung des Grundstücks räumlich einschränken muss.Solche notwendigen Aufwendungen können bspw. aus der Verlegung oderErneuerung von Grundstückseinfriedungen resultieren. Denkbar ist auch,dass im Einzelfall die Versetzung eines einfachen Bauwerks (z.B. einesschlichten Geräteschuppens) Ersatzansprüche nach dieser Vorschriftbegründet.Zu Absatz 3Die Nutzung der gekündigten Teilfläche durch den Eigentümer oder einendazu berechtigten Dritten kann Maßnahmen erfordern, die sich auf dieAusübung die Nutzungsrechts des Nutzers auswirken. Bspw. kann es für dieGewährleistung der zulässigen Nutzung der gekündigten Teilfläche erfor-derlich sein, auf vorhandene Einrichtungen, die der Nutzer errichtet oderinstalliert hat oder von ihm genutzt werden, zurückzugreifen. So kann sichdie Mitbenutzung einer Versorgungsleitung oder der Anschluss an einesolche als erforderlich erweisen. Auch die Mitbenutzung eines Weges kanneine unumgängliche Voraussetzung für die Nutzung des Restgrundstücksdarstellen. In diesem Sinne erforderliche Maßnahmen hat der Nutzer nachAbs. 3 zu dulden. Damit verbundene Störungen und Beeinträchtigungenhat er in gebotenem Umfang hinzunehmen. Als allgemeines Prinzip jederRechtsausübung ist im Rahmen der Duldung die Zumutbarkeit zu prüfen.Hierbei kommt es auf die persönlichen Verhältnisse des Nutzers an, auf dieDauer und Schwere der Beeinträchtigung sowie auf die Dringlichkeit dervom Grundstückseigentümer oder einem berechtigten Dritten geplanten

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Maßnahmen. Die Duldungspflicht setzt mit der Wirksamkeit der Teilkün-digung ein.

Zu Absatz 4Abs. 4 soll dem Umstand Rechnung tragen, dass auch auf der Seite desNutzers eines besonders großen Grundstücks ein berechtigtes Interesse ander räumlichen Beschränkung des vertraglichen Nutzungsrechts bestehenkann. Dem Nutzer soll deshalb unter bestimmten Umständen ebenfalls dasTeilkündigungsrecht zustehen. Die vertragsgestaltende Wirkung, die vonder Ausübung des Teilkündigungsrechts ausgeht, erlaubt es jedoch nicht,das Teilkündigungsrecht des Nutzers dem des Grundstückseigentümers»gleichrangig« gegenüberzustellen. Konkurrierende Teilkündigungsrechtewürden zu erheblicher Rechtsunsicherheit und u.U. zu nicht interessen-gerechten Ergebnissen führen. Dem Nutzer wird in Abs. 4 daher ein nach-rangiges, ein subsidiäres Teilkündigungsrecht eingeräumt. Ihm soll dasRecht nur dann zustehen, wenn der Grundstückseigentümer sein Recht zurTeilkündigung nicht ausübt. Deshalb soll der Nutzer den Eigentümerzunächst auffordern, von seinem Teilkündigungsrecht nach Abs. 1Gebrauch zu machen. Dem Eigentümer wird für seine Entscheidung dazueine Überlegungsfrist von sechs Monaten eingeräumt. Diese Frist erscheintausreichend. Sie ist aber auch geboten, denn der Eigentümer wird für dievon ihm abverlangte Entscheidungen u.U. Überlegungen und Prüfungen– z.B. zu den Möglichkeiten einer sinnvollen eigenen oder fremdenNutzung einer zu kündigenden Teilfläche – anstellen müssen, zu denen erin aller Regel in der Vergangenheit nicht veranlasst war. Erst wenn derEigentümer sein Recht nach Abs. 1 innerhalb dieses Zeitraums nichtgenutzt hat, steht dem Nutzer ein eigenes Teilkündigungsrecht zu. Er hatdrei Monate lang Zeit, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Währenddieser Zeit ist eine Teilkündigung durch den Eigentümer aus Gründen derRechtssicherheit ausgeschlossen (Satz 2, 2. Halbs.); nach deren Ablauf istsie – sofern die Voraussetzungen nach Abs. 1 vorliegen – wieder unein-geschränkt zulässig.Die Teilkündigung soll dem Nutzer eines besonderes großen Grundstückszustehen, so dass auch hier eine Mindestgröße der genutzten Fläche von1.000 m2 eine Voraussetzung darstellt. Da es nicht gerechtfertigt erscheint,die Bestimmung des räumlichen Umfangs der Restfläche vollständig in dasErmessen des Nutzers zu stellen, soll dem Eigentümer infolge der Teil-kündigung eine Fläche von mindestens 400 m2 zur Verfügung stehen. …Dem Nutzer soll die Teilkündigung außerdem nur dann möglich sein,wenn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für ihn ansonsten zueiner unzumutbaren Härte führen würde. Diese zusätzliche Kündigungs-voraussetzung rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass die Teilkündigungdes Nutzers eine Ausnahmeregelung darstellen muss. Im Unterschiedzum Grundstückseigentümer, der den weitgehenden Kündigungsschutzdes Nutzers nach § 23 gegen sich gelten lassen muss und bis zum2.10.2015 nur unter besonderen Voraussetzungen zur Vertragskündigungberechtigt ist, kann der Nutzer den Vertrag jederzeit kündigen. DieGewährung eines Teilkündigungsrechts bedarf daher einer besonderenBegründung. Ein solches Recht kann nur dann gerechtfertigt sein, wennin der Person des Nutzers Umstände vorliegen, bei denen eine fort-dauernde Nutzung des großen Grundstücks für ihn eine unzumutbarenHärte darstellen würde. Eine solche unzumutbare Härte kann insbes. vor-liegen, wenn der Nutzer alters- oder krankheitsbedingt nicht mehr odernur mir erheblichen Schwierigkeiten zur Bewirtschaftung des Grund-stücks in der Lage ist. Demgegenüber werden finanzielle Belange dieUnzumutbarkeit der weiteren Nutzung des bisherigen Grundstücks unddie Möglichkeit der Teilkündigung nur in besonderen Ausnahmefällenbegründen können.Die Nutzung der gekündigten Teilfläche muss dem Grundstückseigen-tümer zumutbar sein. Die Zumutbarkeit umfasst nicht nur die persönlicheNutzung der Fläche, sondern auch Möglichkeiten der Überlassung anDritte zur Nutzung. In die notwendigen Prüfungen des Einzelfalls sindUmstände in der Person des Grundstückseigentümers (z.B. sein Wohnortund die Entfernung zum Grundstück; sein Alter) ebenso einzubeziehen,wie objektive Faktoren, bspw. die Möglichkeiten, die der Grundstücks-markt für eine Vermietung oder Verpachtung des Grundstücks bietet. Diegekündigte Teilfläche muss außerdem durch den Grundstückseigentümereiner angemessenen Nutzung zugeführt werden können. Hier steht derwirtschaftliche Aspekt im Vordergrund. In einem bebaubaren Gebiet mussdie Teilfläche selbständig baulich nutzbar, ansonsten muss eine angemes-sene anderweitige wirtschaftliche Nutzung der Teilfläche möglich sein. DieAnforderungen an die Nutzungsmöglichkeit der Teilfläche sind denennachempfunden, die für Flächenbegrenzungen in der Sachenrechtsberei-

nigung gelten. Was baulich nutzbar bedeutet, legt § 13 Abs. 2 des SachenR-BerG fest. Danach wird auf die gegenwärtige oder in absehbarer Zeit vor-zunehmende bauliche Nutzung abgestellt. Maßgeblich sind die geltendenoder in absehbarer Zeit zu erwartenden bauplanungs- oder ordnungs-rechtlichen Vorgaben.Wie für das Recht des Eigentümers zur Teilkündigung nach Abs. 1 wirdauch für das Recht des Nutzers hinsichtlich der Kündigungsfrist und zurAnpassung des Nutzungsentgelts auf § 25 Abs. 2 u. 3 verwiesen (Satz 5).Wie im Falle der Teilkündigung durch den Grundstückseigentümer sollauch hier dem gekündigten Vertragspartner ein Anspruch auf Ersatz vonAufwendungen eingeräumt werden, die in einem engen Zusammenhangmit der Teilkündigung und der durch sie hervorgerufenen Reduzierungder räumlichen Ausdehnung des Nutzungsrechts stehen. Der Anspruchbezieht sich auf Aufwendungen, die dadurch notwendig werden, dass diebisher allein vom Nutzer genutzte Grundstücksfläche nunmehr von zweiParteien genutzt wird. Es kann sich dabei etwa um Aufwendungen füreine erforderliche zusätzliche Einfriedung des Grundstücks handeln.Denkbar ist auch, dass zur Nutzung der gekündigten Teilfläche einezusätzlicher Durchgang in einer vorhandenen Einfriedung geschaffenwerden muss.

Zu Artikel 2 (Änderung der NutzungsentgeltVO)

Zu Artikel 2 Nr. 1 (Änderung von § 3 Abs. 2)Gelegentlich haben sich in der Praxis bei der Ermittlung der Höhe desortsüblichen Nutzungsentgelts im Vergleichsverfahren nach § 3 Abs. 2Interpretationsschwierigkeiten hinsichtlich der Vergleichbarkeitskriterienergeben. Die Kriterien für den Vergleich der Grundstücke sollen deshalbkonkretisiert werden. Neben der nach Satz 3 für den Vergleich zu berück-sichtigenden tatsächlichen Nutzung des Grundstücks (zu kleingärtneri-schen Zwecken, als Erholungs- oder Freizeitgrundstück oder als Garagen-standort) und der Art und dem Umfang der Bebauung gibt es eine Reiheweiterer Merkmale, die für die Vergleichbarkeit von Grundstücken Bedeu-tung haben. Dies können die Art und Beschaffenheit eines Grundstückssein. Beschaffenheit und tatsächliche Eigenschaften des Grundstücks wer-den u.a. durch die Grundstücksgestalt, die Bodenbeschaffenheit, Umwelt-einflüsse oder die tatsächliche Nutzbarkeit bestimmt (vgl. § 5 Abs. 5 derWertVO). Auch die Grundstücksgröße ist ein Beschaffenheitsmerkmal, sollaber der Klarheit halber ausdrücklich als Vergleichskriterium erwähnt wer-den. Schließlich stellt die konkrete Lage des Grundstücks ein wesentlichesVergleichsmerkmal dar. Lagemerkmale sind u.a. die Verkehrsanbindung, dieNachbarschaft sowie ebenfalls Umwelteinflüsse (vgl. § 5 Abs. 6 der WertVO).

Zu Artikel 2 Nr. 2 (Änderung von § 6 Abs. 1)Mit der VO zur Änderung der NutzEV v. 24.7.1997 (BGBl. I S. 1920) ist § 6Abs. 1 NutzEV ergänzt worden. Mit Satz 2 wurde dem Grundstückseigen-tümer aufgetragen. die Erhöhung schriftlich zu erläutern. Nach Satz 3 istdazu anzugeben, dass die ortsüblichen Entgelte mit dem Erhöhungs-verlangen nicht überschritten werden. Halbs. 2 besagt, dass bei einemHinweis auf Entgelte für die Nutzung vergleichbarer Grundstücke zurErläuterung die Benennung von drei Grundstücken genügt.In der Praxis haben sich Anwendungsschwierigkeiten ergeben. Die bish.Fassung der VO lässt insbes. nicht hinreichend erkennen, dass demGrundstückseigentümer weitere Mittel zur Begründung der Erhöhung zurVerfügung stehen und welche dies im Einzelnen sind. Eine Beschränkungallein auf den Hinweis auf entsprechende Entgelte für die Nutzung ver-gleichbarer Grundstücke war jedenfalls nicht beabsichtigt. Die Begründungdes Regierungsentwurfs enthält die Feststellung, dass der Grundstücks-eigentümer »zur Erläuterung auf das Gutachten eines Sachverständigenoder eines nach § 192 des BauGB eingerichteten Gutachterausschussesverweisen oder auf vergleichbare Grundstücke und die für diese Grund-stücke vereinbarten Entgelte hinweisen …« kann (vgl. BR-Drucks. 381/97,S. 19). Um dies auch im Verordnungstext klar zum Ausdruck zu bringen,soll in § 6 Abs. 1 eine Aufzählung derjenigen Hilfsmittel zur Begründungdes Erhöhungsverlangens aufgenommen werden, derer sich die Grund-stückseigentümer zweckmäßigerweise hauptsächlich bedienen. Es kannsich dabei um ein Gutachten des örtlichen zuständigen Gutachteraus-schusses über die ortsüblichen Nutzungsentgelte für vergleichbar genutzteGrundstücke, um eine Auskunft des Gutachterausschusses über die inseinem Geschäftsbereich vereinbarten Entgelte, um ein Gutachten einesöffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen über die ortsüb-lichen Nutzungsentgelte für vergleichbar genutzte Grundstücke oder umden Hinweis auf entsprechende Entgelte für die Nutzung einzelnervergleichbarer Grundstücke handeln. Der Grundstücksnutzer wird damit

Dokumentat ion Änderungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes …

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im Ergebnis besser als bisher in die Lage versetzt, anhand des jeweils inBezug genommenen Begründungsmittels zu überprüfen, auf welchenÜberlegungen des Eigentümers das Erhöhungsverlangen beruht und ober die Erhöhung als berechtigt zu akzeptieren vermag. Zugleich werdendem Grundstückseigentümer die häufigsten und üblicherweise genutzten

Begründungsmittel verdeutlicht. Die Aufzählung ist nicht abschließend.Es reicht – wie bisher – auch jede andere Darlegung der Gründe aus, ausdenen der Grundstückseigentümer die Annahme herleitet, dass mit demErhöhungsverlangen das ortsübliche Entgelt nicht überschritten wird(BR-Drucks. 381/97, S. 19). …

Änderungen des Schuldrechtsanpassungsgesetzes … Rezens ionen

Albin Eser/Jörg Arnold (Hrsg.)Strafrecht in Reaktion auf SystemunrechtVergleichende Einblicke in TransitionsprozesseMax-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht,Freiburg i.Br. 2000Band 1: Internationales Kolloquium Freiburg 1999, 477 Seiten, brosch., 64 DMBand 2: Deutschland, 662 Seiten, brosch., 68 DM

Das zehnjährige Jubiläum des Mauerfalls im Jahre 1999 war Anlass für vie-lerlei Aktivitäten, die dazu dienten, sich einen Überblick über die Früchteder strafrechtlichen Forschung zu verschaffen, die der Fall des EisernenVorhangs und der Untergang der kommunistischen Diktaturen ausgelösthat. In diesem Zusammenhang stehen auch die beiden hier anzuzeigendenBände. Der erste ist aus einer internationalen Tagung entstanden, die dasFreiburger MPI für ausländisches und internationales Strafrecht im Juni1999 zur Behandlung staatlich in 23 Ländern dieser Erde zu verantwor-tenden Unrechts veranstaltete. Der zweite Band gibt einen Überblick überden Umgang mit diesem Problem speziell in Deutschland. Beide Bändesind Berichte über erste Ergebnisse eines größeren Projekts des Instituts mitdem Titel, den die Bücher tragen.

Band 1 ist in Deutsch, Englisch, z.T. auch in Spanisch abgefasst. Er stelltzunächst das Forschungsprojekt vor. Dann folgen in alphabetischer Reihen-folge Kurzberichte über das sog. Systemunrecht und seine strafrechtlicheBewältigung in Argentinien, Brasilien, Bulgarien, Chile, China (VR),Deutschland, Estland, Ghana, Georgien, Griechenland, Guatemala, Korea,Litauen, Mali, Polen, Portugal, Russland, Spanien, Südafrika, Tschechien,Ungarn, Uruguay und Weißrussland. Deutschland wird nur im Hinblickauf den Umgang mit der DDR-Periode abgehandelt; die NS-Zeit bleibtaußer Betracht. Abgeschlossen werden die Kurzberichte mit einem Vortragüber die Verfolgung von Systemunrecht durch Drittstaaten, in dem der inSpanien lehrende Prof. Bergalli sich eingehend mit dem Fall Pinochet befasstund für die Strafverfolgung durch andere Staaten wirbt.

Die Berichte lesen sich wie ein »Pitaval der Staatsverbrechen« in der2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie vereinen in bunter Folge Mordkomplottszur Aufrechterhaltung von Einmann-Diktaturen in Afrika und Südamerika,Gewaltmaßnahmen zur Unterdrückung der Opposition gegen mehr oderweniger totalitäre, nachstalinistische, rassistische und faschistische Regi-mes auf der iberischen Halbinsel, in Südafrika und in den Ländern deskommunistischen Ostblocks sowie Massenvertreibungen und -vernich-tungen durch Organe des Staates oder von ihm gestützter Kräfte, wie siefür die stalinistische Periode der kommunistischen Länder, aber z.B. auchfür die Indianerpolitik mittelamerikanischer Diktaturen kennzeichnendwaren. Ebenso bunt sind die Reaktionen der Gemeinwesen, die nach derÜberwindung der undemokratischen Herrschaftsgebilde entstanden sind.Gewisse Bemühungen um eine Rehabilitierung der Opfer finden sich zwarin fast allen Ländern, wenn auch in sehr unterschiedlicher Intensität.Aber die gegen die Täter gerichteten Reaktionen reichen vom schlichtenNichtstun, wie in Russland und Weißrussland, über Amnestiegesetze, wievor allem in der spanischsprachigen Welt, und auf die Versöhnunggerichtete Wahrheitskommissionen, wie in Südafrika und Guatemala, biszur teilweisen Strafverfolgung, wie z.B. in Griechenland, oder gar einemflächendeckenden Einsatz des Strafrechts, wie er offenbar nur in Deutsch-land angestrebt, allerdings auch hier letzlich nicht erreicht wurde.

Der Umstand, dass die Vorträge nicht nach Sachgesichtspunktengeordnet sind, macht deren Lektüre nicht gerade spannender, entspringtaber wohl der wissenschaftlichen Zurückhaltung der Herausgeber. Siehatten ein System der täterorientierten Reaktionen auf staatliches oderstaatsgestütztes Unrecht zur Hand (S. XIX) und haben dieses aufgrund derTagungsbeiträge verbessert (S. XX), wollten es aber offenbar niemandenaufdrängen. Nach diesem System fallen 15 Länder in die Kategorie der»Schlussstrichmodelle« (acht davon nur teilweise), fünf in die Kategorie der»Strafverfolgungsmodelle« (darunter Deutschland), nur zwei (Südafrikaund Guatemala) in die Kategorie der »Versöhnungsmodelle«.

Eine Zusammenfassung der Diskussion und das Resümee der Veranstal-ter schließen sich an. Hier geht es vor allem um die Einordnung der ein-

zelnen Länder in das skizzierte Kategoriensystem und um Mutmaßungenüber die Gründe für die unterschiedlichen Reaktionen bei der Aufarbeitungdes vergangenen Unrechts. Letzteres mündet in den Ruf nach einer inter-disziplinären Auswertung des in den Beiträgen gesammelten Materials, mitdem man aber bei den Projektleitern offene Türen einrannte. Was der Teil-nehmer an der Tagung in der Wiedergabe der Schlussbeiträge vermisst, sinddie mehrfach formulierten Vorbehalte gegen eine Ahndung von nationa-lem Systemunrecht durch andere Staaten oder durch internationaleGerichte. Was der Deutsche, der geneigt ist, den Nationalstaat für überholtzu halten, da von durchaus weltbürgerlich menschenrechtsbewusstenStrafrechtskollegen des Auslands zu hören bekam, glich zuweilen einerNachhilfestunde im Fach »Geographie der politischen Mentalitäten« undrät zu einer sehr nüchternen Einschätzung der befriedenden, Wunden derKollektivseele heilenden Wirkung derartiger Bewältigungsstrategien.

Band 2 enthält den Länderbericht über die Behandlung des kommunis-tischen Systemunrechts in Deutschland. Er ist in mehrere Einzelbeiträgegegliedert, die von Mitarbeitern des MPI in Freiburg verfasst wurden.Nach einer als »Vorverständnis« (?) überschriebenen Einführung in dieGeschichte der DDR und die kriminogenen Seiten ihrer politischen Ver-hältnisse werden die strafrechtsrelevanten Deliktsbereiche abgehandelt.Dieser Hauptteil beginnt mit einer Darstellung der normativen Ausgangs-lage bei der Verfolgung der DDR-Kriminalität und behandelt dann nach-einander die Gewalttaten an der innerdeutschen Grenze, Rechtsbeugung,Delikte im Bereich des MfS (z.B. Verschleppung, Bruch des Briefgeheim-nisses, Haftmisshandlungen, Verstecken westdeutscher Terroristen), DDR-Spionage, Wahlfälschungen, Wirtschaftskriminalität und Doping (!). EinAbschnitt über Rehabilitierung und Einsicht in Stasi-Unterlagen, eineSchlussbetrachtung über Alternativen zur Strafverfolgung und rechtspoli-tische Fragen sowie ein Anhang mit statistischen Angaben schließen denBand ab.

Die aufgezählten Einzeldarstellungen geben ganz ausgezeichneteÜbersichten über die Behandlung des DDR-Unrechts in der deutschenJustiz und die hierüber in der Literatur geführte Diskussion. Dass denBeiträgen jene leichte Öde fehlt, die juristischen Länderberichten oftanhaftet, liegt daran, dass die Herausgeber ihren Mitarbeitern die Freiheitließen, eigene Meinungen zu formulieren. Davon wird häufig, nicht immerim Einklang mit dem »mainstream« Gebrauch gemacht, »Eigenes« dabeiaber immer scharf von »Herrschendem« getrennt und letzteres stetskorrekt dargestellt. Was man sich noch gewünscht hätte, wäre einegeschlossene Aufarbeitung der rechtstheoretischen Grundvorstellungen,von denen die Rechtsprechung ausgegangen ist (Naturrechtlicher oderpositivistischer Ansatz? Formelle oder materiale Gerechtigkeitsauffas-sungen? Normatives oder faktisches Verständnis der Rechtsgeltung? etc.).Der Rezensent hat in zwei Zwischenberichten über das hier behandelteThema entsprechende Versuche unternommen (Amelung, GA 1996,51 ff.; leicht verändert in: Ders., Die strafrechtliche Bewältigung desDDR-Unrechts durch die Justiz der Bundesrepublik [1996]), doch sinddiese gewiss verbesserungsfähig.

Bewertet wird am Ende auch das sich abzeichnende Gesamtergebnis derStrafverfolgung des DDR-Unrechts. Trotz mancher Einzelkritik, z.B. an derRechtsprechung des BGH zur Schuld einfacher Mauerschützen, kommendie Autoren Kreicker und Ludwig zu einem positiven Gesamturteil. Diesesstützen sie darauf, dass die deutsche Justiz einerseits die Unerträglichkeitund Strafwürdigkeit wesentlicher Unterdrückungsmaßnahmen des SED-Regimes verdeutlicht, andererseits aber überwiegend milde, der Ver-söhnung dienliche Strafen ausgesprochen habe, und überdies die Opferrehabilitiert worden seien. Sieht man von der finanziellen Seite der Reha-bilitierung ab, so ist diesem Urteil zuzustimmen. Der Rezensent würdesogar noch einen Schritt weiter gehen und – einem verbreiteten Urteilzuwider – den Anteil der Gerichte an der geschichtlichen Aufarbeitung desDDR-Unrechts hervorheben. Denn vielfach haben erst die konkretenVerfahren, über die Medien vermittelt, den Menschen konkretes System-unrecht bewusst gemacht, das sonst zwischen den Buchdeckeln histori-scher Kompendien verborgen geblieben wäre.

Prof. Dr. Knut Amelung, Dresden

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01 VERFASSUNGSRECHT

� 01.1 – 10/01

Sachenrechtsbereinigung/Ankaufsberechtigung/Grundstücksnutzungaufgrund Überlassungsvertrags/Investitionen/EigentumsgarantieBVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 15. März 2001 –1 BvR 533/99

SachenRBerG § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c, § 5 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. c,§§ 12 Abs. 2, 61; GG Art. 14

Die Einbeziehung bestimmter baulicher Investitionen von Nutzernfremder Grundstücke im Beitrittsgebiet, die das Grundstück aufgrundeines Überlassungsvertrags vom staatlichen Verwalter erhalten haben,in den Anwendungsbereich des SachenRBerG ist mit der Eigentums-garantie vereinbar. (Leitsatz der Redaktion)

Die Beschwerdef. ist in ungeteilter Erbengemeinschaft mit weiterenPersonen Eigentümerin eines mit einem Einfamilienhaus bebautenGrundstücks im Beitrittsgebiet. Die Kl. des Ausgangsverfahrens bewoh-nen das Grundstück aufgrund eines mit dem Rat der Gemeinde alsstaatlichem Verwalter geschlossenen Überlassungsvertrags, der aufLebenszeit der Nutzer gilt und unkündbar ist. Mit vertraglicherGestattung und staatlicher Bauzustimmung unterkellerten die Kl. dasEinfamilienhaus teilweise und erweiterten es. Die Grundfläche desHauses betrug 1971 47,52 qm, nach der Erweiterung 100,25 qm. DieKl. begehren den Ankauf des Grundstücks nach dem SachenRBerG.

Das LG hat ihre Ankaufsberechtigung gem. § 61 SachenRBerG fest-gestellt, das OLG die dagegen eingelegte Berufung der bekl. Grund-stückseigentümer zurückgewiesen. Die Kl. seien nach § 1 Abs. 1 Nr. 1Buchst. c, § 5 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. c und § 12 Abs. 2 SachenR-BerG anspruchsberechtigt. Das Ankaufsrecht des Nutzers nach diesenVorschriften verstoße nicht gegen Art. 14 GG. Der BGH hat die Revi-sion der Bekl. nicht angenommen.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde hat sich die Beschwerdef. gegendas Urteil des OLG gewandt und die Verletzung von Art. 14 GG gerügt.

Die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:II. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzuneh-

men. … Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfas-sungsrechtliche Bedeutung nicht zu, weil die für ihre Beurteilungmaßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das BVerfG bereitsentschieden sind (vgl. vor allem BVerfGE 98, 17 = NJ 1998, 639 [bearb.v. Schramm]; 101, 54 = NJ 2000, 28). … Die angegriffene Entscheidungverstößt nicht gegen Art. 14 GG.

1. Die vom OLG angewandten Regelungen in § 1 Abs. 1 Nr. 1Buchst. c, § 5 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. c und § 12 Abs. 2 SachenR-BerG sind mit der Eigentumsgarantie vereinbar.

a) Das dem Nutzer eines fremden Grundstücks in § 15 Abs. 1 iVm§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2, 3 Nr. 1, Abs. 3, § 61 u. § 68 SachenRBerGeingeräumte Ankaufsrecht steht mit Art. 14 Abs. 1 GG in Einklang.Zur Begründung kann auf den … Nichtannahmebeschluss der Kam-mer v. 22.2.2001, NJ 2001, 419 m. Anm. Schramm, verwiesen werden.Die Regelung über dieses Recht bestimmt danach in zulässiger WeiseiSv Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG den Inhalt und die Schranken des (Grund-stücks-)Eigentums, und zwar unabhängig davon, ob der Nutzer andem von ihm errichteten, renovierten oder in der Nutzungsartveränderten Gebäude (vgl. § 12 Abs. 1 SachenRBerG) selbständigesEigentum erworben hat.

b) Nichts anderes gilt in den Fällen, in denen der Nutzer, der dasGrundstück aufgrund eines Überlassungsvertrags erhalten hat, Aus-und Umbauten vorgenommen hat, durch die die Wohn- oder Nutz-fläche des bei der Überlassung des Grundstücks bereits vorhandenenGebäudes um mehr als 50% vergrößert wurde, oder Aufwendungen für

bauliche Investitionen getätigt hat, deren Wert die Hälfte des Sach-werts des Gebäudes ohne Berücksichtigung der baulichen Investi-tionen des Nutzers zum Zeitpunkt der Vornahme der Aufwendungenüberstieg (§ 12 Abs. 2 SachenRBerG).

Mit der Einbeziehung dieser baulichen Maßnahmen in dasSachenRBerG und der damit verbundenen Ausdehnung des Ankaufs-rechts verfolgt der Gesetzgeber dasselbe legitime Regelungsziel wie inden übrigen vom SachenRBerG erfassten Fällen (vgl. dazu denKammerbeschl. v. 22.2.2001, II. 1. a) cc) bbb) [1]). Sie führt auch zueinem angemessenen, die Belange des Grundstückseigentümers hin-reichend berücksichtigenden Interessenausgleich.

aa) Der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland konnte bei dernach der Wiedervereinigung notwendig gewordenen Angleichung inder DDR begründeter dinglicher, schuldrechtlicher oder auch nurfaktisch entstandener Nutzungsverhältnisse an das Rechtssystem desBGB Nutzungen aufgrund sog. Überlassungsverträge nicht ignorieren.

Bei diesen handelt es sich um vor dem 3.10.1990 geschlossene Verträge,durch die bisher staatlich verwaltete (§ 1 Abs. 4 VermG) Grundstückedurch den staatlichen Verwalter oder die von ihm beauftragte Stelle gegenLeistung eines Geldbetrags für das Grundstück sowie etwa aufstehendeGebäude und gegen Übernahme der öffentlichen Lasten einem anderenzur Nutzung überlassen wurden (vgl. Art. 232 § 1a EGBGB). Die Verträgewurden für 20 oder 30 Jahre, in Einzelfällen auch auf Lebenszeit desÜberlassungsnehmers, abgeschlossen. Dem Nutzer wurde während derVertragsdauer ein grundbuchlich gesichertes Vorkaufsrecht eingeräumtund unverbindlich die Möglichkeit zum Erwerb des Grundstücks nachdem Ende der Vertragszeit in Aussicht gestellt. Er hatte die üblicherweiseeinem Grundstückseigentümer zustehenden Rechte und Pflichten. Ausdiesem Grund haben die Überlassungsnehmer häufig in der Erwartung, dasGrundstück über die Vertragszeit hinaus behalten und später einmalkaufen zu können, wie ein Eigentümer das Grundstück bebaut oderVerwendungen in ein schon aufstehendes Gebäude vorgenommen. Ohnedie Aufwendungen wäre das Gebäude oftmals verfallen (vgl. BT-Drucks.12/5992, S. 103 zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c, S. 110 zu § 11 Abs. 2; BVerfGE101, 54 [56]; Zank/Simon, NJ 1999, 57 [58]).

Die Überlassungsverträge vermittelten demnach trotz ihrer nur schuld-rechtlichen Natur den Nutzern eine eigentümerähnliche Rechtsstellung.Die Nutzer konnten darauf vertrauen, die von ihnen errichteten, aus- undumgebauten Gebäude auf lange Zeit, in einzelnen Fällen, wie auch hier, bisan ihr Lebensende, nutzen zu können. Dieses Vertrauen und die eigen-tümerähnliche Rechtsstellung waren Grundlage für von ihnen – oft miterheblichem Aufwand – getätigte Investitionen.

bb) Vor diesem Hintergrund kann es verfassungsrechtlich nichtbeanstandet werden, dass der Gesetzgeber die erforderliche Rechts-angleichung in Bezug auf die Überlassungsverträge nicht ausschließ-lich im SchuldRAnpG vorgenommen, sondern über die Einbeziehungdieser Verträge in dieses Gesetz oder in die Sachenrechtsbereinigunganhand der Art des Überlassungszwecks und des Umfangs der vomNutzer getätigten baulichen Investitionen entschieden hat.

Überlassungsverträge zu Erholungs- und Freizeitzwecken sind vomGesetzgeber generell in die Schuldrechtsanpassung einbezogen worden(vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 SchuldRAnpG), weil er diesen Zwecken für dieNutzer nicht dieselbe Bedeutung wie der Nutzung eines fremdenGrundstücks zu Wohnzwecken beigemessen und es daher für nichtsachgerecht erachtet hat, dem Interesse der Nutzer am dauerndenFortbestand der Nutzung zu Freizeitzwecken grundsätzlich Vorrang vorden Eigentümerinteressen auf Herausgabe des Grundstücks zu geben(vgl. BT-Drucks. 12/5992, S. 98 zu § 2 Abs. 1 Nr. 1). Bei Überlassungs-verträgen zu Wohnzwecken hat der Gesetzgeber demgegenüber nachdem Umfang der baulichen Investitionen des Nutzers differenziert.

Hat dieser auf dem ihm unbebaut überlassenen Grundstück einEigenheim (vgl. § 5 Abs. 2 SachenRBerG) errichtet, stehen ihm dieAnsprüche nach dem SachenRBerG zu (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c,§ 5 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Buchst. c, § 12 Abs. 1 SachenRBerG). Er hat dasgleiche schutzwürdige Interesse an der weiteren Nutzung des von ihmerrichteten Eigenheims wie jeder andere Nutzer, der ein fremdesGrundstück berechtigterweise bebaut hat. Da der Gesetzgeber demInteresse dieser Nutzer am Fortbestand ihrer Nutzungsbefugnisgegenüber dem Interesse der Grundstückseigentümer, die volle Verfü-

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gungs- und Nutzungsbefugnis über ihre Grundstücke wiederzuerlan-gen, Vorrang geben und daher den Nutzern ein Wahlrecht zwischeneiner Erbbaurechtsbestellung und dem Ankauf des Grundstücks ein-räumen durfte (vgl. Kammerbeschl. v. 22.2.2001 unter II. 1. a) [b] [aa]),kann auch die Einbeziehung der Überlassungsnehmer, die auf demihnen überlassenen Grundstück ein Eigenheim errichtet haben, in dieSachenrechtsbereinigung von Verfassungs wegen nicht beanstandetwerden. In den Fällen, in denen der Überlassungsnehmer dagegen einauf dem Grundstück bereits aufstehendes Haus nur bewohnt undkleinere Reparaturen ausgeführt hat, die üblicherweise auch ein Mietervornimmt, hat der Gesetzgeber dagegen keinen Grund für eine Ver-dinglichung und eine Beteiligung des Nutzers am Bodenwert gesehen(vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 34 ff. SchuldRAnpG; …).

Für die mehrheitlich zwischen diesen beiden Extremen liegendenFälle beurteilt sich die Frage, ob dem Nutzer die Ansprüche nach demSachenRBerG zustehen oder er nur einen bestimmten Kündigungs-schutz genießt (vgl. §§ 38, 39 SchuldRAnpG), anhand der in § 12 Abs. 2SachenRBerG genannten Kriterien. Der Gesetzgeber ist davon ausge-gangen, dass Um- und Ausbauten, die die Wohn- oder Nutzfläche desGebäudes um mehr als 50% vergrößern, und bauliche Aufwendungen,die die Hälfte des seinerzeitigen Gebäudewerts überstiegen, so erheb-lich sind, dass sie einer Neuerrichtung gleichzustellen sind. Dies istim Hinblick auf den weiten Regelungs- und Gestaltungsspielraumdes Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 101, 54 [75 f.]) verfassungsrechtlichnicht zu beanstanden. Solche Maßnahmen übersteigen in aller Regeldie Aufwendungen, die ein Mieter oder sonst nur schuldrechtlichNutzungsberechtigter in Bezug auf das von ihm genutzte Objekt tätigt.Dies beruhte … auf der eigentümerähnlichen Rechtsstellung, die denNutzern aufgrund des Überlassungsvertrags vermittelt wurde. MitRücksicht auf diese Stellung haben die Nutzer in den Fällen des § 12Abs. 2 SachenRBerG erhebliche wirtschaftliche Werte in dem Bewusst-sein geschaffen, diese sehr langfristig nutzen und schließlich sogarerwerben zu können. Der Gesetzgeber durfte unter diesen Umständendas schutzwürdige Vertrauen der Nutzer an der weiteren Nutzungdieser Werte bei der Neugestaltung der Eigentumsordnung berück-sichtigen, ihm gegenüber dem Interesse der Eigentümer an derWiedererlangung der vollen Verfügungs- und Nutzungsbefugnisseüber ihre Grundstücke stärkeres Gewicht beimessen und infolgedessenden Nutzern ein Wahlrecht zwischen einer Erbbaurechtsbestellungund dem Ankauf des Grundstücks einräumen.

Dies gilt umso mehr, als den Grundstückseigentümern bis zurWiedervereinigung im Wesentlichen keine Verwertungs- und Nutzungs-befugnisse mehr zustanden. Sie konnten auch nicht damit rechnen,diese Befugnisse jemals wiederzuerlangen. Ihnen sind solche Befug-nisse auch nicht in der Gemeinsamen Erklärung v. 15.6.1990 einge-räumt oder zumindest in Aussicht gestellt worden.

� 01.2 – 10/01

Sachenrechtsbereinigung/Ankaufsberechtigung/EigentumsgarantieBVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 16. Mai 2001 – 1 BvR 933/99

SachenRBerG § 121 Abs. 2; GG Art. 14 Abs. 1 u. 3

Die Regelung der Anspruchsberechtigung gem. § 121 Abs. 2 SachenR-BerG ist, soweit sie das Verhältnis zwischen Grundstücksnutzer undGrundstückseigentümer betrifft, dem das Grundstückseigentumnach dem VermG zurückübertragen worden ist, mit der Eigentums-garantie vereinbar. (Leitsatz der Redaktion)

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage der Verfassungsmäßigkeitdes § 121 Abs. 2 SachenRBerG.

Der Beschwerdef. ist Eigentümer eines mit einem Einfamilienhausbebauten Grundstücks im Beitrittsgebiet. Ihm ist das Grundstück nach

dem VermG mit bestandskräftigem Bescheid vom Dez. 1993 zurück-übertragen worden. Die Kl. des Ausgangsverfahrens mieteten 1963eine Wohnung des Hauses, das sie seit 1991 allein bewohnen. 1990kauften sie das Grundstück vom Rat der Gemeinde; der Kaufvertragwurde nicht vollzogen. Nunmehr begehren sie den Ankauf nach demSachenRBerG v. 21.9.1994 (BGBl. I S. 2457). Das LG hat der Klage aufFeststellung der Anspruchsberechtigung der Kl. nach diesem Gesetzstattgegeben. Das OLG hat die Klage dagegen abgewiesen. Der BGHhat auf die Revision der Kl. die Entscheidung des LG wiederhergestellt(NJ 1999, 428): Die Kl. hätten gegen den Beschwerdef. Ansprüche nach§ 121 Abs. 2 SachenRBerG. Diese Vorschrift bestimme, jedenfallssoweit sie das hier zu beurteilende Verhältnis des Nutzers zum Resti-tutionsberechtigten betreffe, in zulässiger Weise Inhalt und Schrankendes Grundeigentums iSv Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdef. gegendas Urteil des BGH und rügt die Verletzung von Art. 14 Abs. 1 u. 3 GG.§ 121 Abs. 1 u. 2 SachenRBerG sei verfassungswidrig. § 121 Abs. 2SachenRBerG enthalte eine Legalenteignung; § 121 Abs. 2 SachenR-BerG verstoße gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.Er umfasse Fälle, in denen wie hier eine Restitution vor In-Kraft-Tretendes SachenRBerG erfolgt und Eigentum des Restitutionsberechtigten wie-der begründet worden sei, ohne dass dieses mit einem Ankaufsrecht desNutzers belastet gewesen wäre. Der Restitutionsberechtigte habe nichtvorhersehen können, dass ihm das zurückerlangte Eigentum unterBerufung auf einen sog. hängenden Kaufvertrag wieder entzogen werde.

Die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg

Aus den Entscheidungsgründen: II. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzuneh-men. … Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfas-sungsrechtliche Bedeutung nicht zu, weil die für ihre Beurteilungmaßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das BVerfG bereitsentschieden sind (vgl. vor allem BVerfGE 95, 48 = NJ 1997, 17; 101, 54= NJ 2000, 28; 101, 239 = NJ 2000, 81). …

Die angegriffene Entscheidung verstößt weder gegen Art. 14 GG nochgegen die Grundsätze zum Schutz gegenüber rückwirkenden Gesetzen,der in dieser Norm eine eigenständige Ausprägung erfahren hat (…).

1. Die vom BGH angewandte Regelung des § 121 Abs. 2 SachenR-BerG ist, soweit sie das hier in Rede stehende Verhältnis zwischenGrundstücksnutzer und Grundstückseigentümer betrifft, dem dasGrundstückseigentum nach dem VermG zurückübertragen wordenist, mit der Eigentumsgarantie vereinbar.

a) Eine Überprüfung dieser Regelung am Maßstab des Art. 14 GG istnicht wegen Art. 135a Abs. 2 oder Art. 143 Abs. 3 GG entbehrlich.§ 121 Abs. 2 SachenRBerG betrifft keine der in Art. 135a Abs. 2 GGgenannten Verbindlichkeiten und regelt auch nicht in Umsetzung derGemeinsamen Erklärung der beiden deutschen Regierungen zur Rege-lung offener Vermögensfragen v. 15.6.1990 (BGBl. II S. 1237) Entschä-digungsmodalitäten im Zusammenhang mit der Wiedergutmachungrechtsstaatswidriger Vermögensverluste in der DDR (vgl. … BVerfGE 84,90 [128 f.] = NJ 1991, Sonderh., I). Auch ist § 121 Abs. 2 SachenRBerGkeine Regelung, die in Durchführung des Art. 41 EV (…) vorsieht, dassEingriffe in das Eigentum im Beitrittsgebiet nicht mehr rückgängiggemacht werden. Er setzt vielmehr die Restitution des betreffendenGrundstücks oder Gebäudes voraus (vgl. BVerfG, 2. Kammer des ErstenSenats, VIZ 2000, 491 [492] = NJ 2000, 533 mwN).

b) Das dem Nutzer eines fremden Grundstücks in § 15 Abs. 1 iVm§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2, 3 Nr. 1, Abs. 3, § 61 u. § 68 SachenRBerGeingeräumte Ankaufsrecht steht mit Art. 14 Abs. 1 GG in Einklang.Die Regelung über dieses Recht bestimmt in zulässiger Weise denInhalt und die Schranken des (Grundstücks-)Eigentums iSv Art. 14Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, ZOV 2001,92 [93 ff.] = NJ 2001, 419 m. Anm. Schramm). Dies gilt auch für die Fälledes § 121 Abs. 2 SachenRBerG.

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aa) In der Ausdehnung des Ankaufsrechts auf die Nutzer, die dieVoraussetzungen dieser Vorschrift erfüllen, liegt keine Enteignung derbetroffenen Grundstückseigentümer iSv Art. 14 Abs. 3 GG. Enteig-nung ist der staatliche Zugriff auf das Eigentum des Einzelnen. IhremZweck nach ist sie auf die vollständige oder partielle Entziehungkonkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteterRechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgabengerichtet (vgl. BVerfGE 101, 239 [259]). Darum geht es dem § 121Abs. 2 SachenRBerG nicht. Ziel der Regelung ist es vielmehr, Rechts-verhältnisse, die in der DDR aufgrund von Kaufverträgen über Eigen-heime und Eigenheimgrundstücke entstanden sind, an das Immobi-liarsachenrecht des BGB anzugleichen und dabei die betroffenenprivaten Interessen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.§ 121 Abs. 2 SachenRBerG bestimmt daher wie die Regelungen überdas Ankaufsrecht in den übrigen vom SachenRBerG erfassten Fällen(…) Inhalt und Schranken des (Grundstücks-)Eigentums.

bb) Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Inhalts- undSchrankenbestimmung (vgl. dazu BVerfGE 101, 54 [75 f.]; 101, 239[259]; BVerfG, ZOV 2001, 92 [93 f.]) sind dabei gewahrt.

aaa) § 121 Abs. 2 SachenRBerG dient einem legitimen Regelungsziel.Mit der Einbeziehung der von der Vorschrift erfassten Käufer vonEigenheimen und Eigenheimgrundstücken in die Sachenrechtsberei-nigung sollen die für diesen Personenkreis mit der Restitution dieserImmobilien verbundenen Härten abgemildert werden (vgl. BVerfG,VIZ 2000, 491 [492 f.]). Zugleich sollen nach der Stellungnahme derBundesregierung wirtschaftliche Chancengleichheit und sozialeSicherheit der betroffenen Bevölkerungskreise in den neuen Länderngewährleistet (…) sowie endgültiger Rechtsfrieden hergestellt werden.Das liegt im öffentlichen Interesse.

bbb) Die Ausdehnung des Ankaufsrechts nach dem SachenRBerGauf die in § 121 Abs. 2 SachenRBerG erwähnten Nutzer führt auch zueinem angemessenen, die Belange der betroffenen Grundstückseigen-tümer hinreichend berücksichtigenden Interessenausgleich.

(1) Bei der Wiedervereinigung stand der Gesetzgeber vor der Aufgabe, zurHerbeiführung des Rechtsfriedens einen sozial verträglichen Ausgleichherzustellen zwischen einerseits dem Interesse der früheren Eigentümerund ihrer Rechtsnachfolger, Wiedergutmachung für den während derTeilung Deutschlands erfolgten rechtsstaatswidrigen Verlust von Vermö-genswerten zu erlangen, und andererseits dem Interesse der Erwerbersolcher Vermögenswerte oder ihrer Rechtsnachfolger, die Vermögenswertezu behalten. Bei der Abwägung zwischen diesen widerstreitenden Interes-sen hatte der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Er durftesich zugunsten der früheren Eigentümer und ihrer Rechtsnachfolger fürden Grundsatz entscheiden, teilungsbedingt entzogene oder erzwungener-maßen veräußerte Vermögenswerte seien vom Erwerber in Natur zurück-zugeben (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 iVm § 1 VermG), brauchte diesen Grundsatzjedoch nicht ausnahmslos zu verwirklichen. Vielmehr konnte er in § 4Abs. 2 Satz 1 VermG den Ausschluss der Restitution im Fall des redlichenErwerbs vorsehen, um einen sozial verträglichen Ausgleich zu erreichen(vgl. BVerfGE 95, 48 [58 f.]; 101, 239 [259 ff.]). Der Gesetzgeber durfte zurSicherung des Vorrangs der Restitution in § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG aucheinen Stichtag festlegen, bis zu dem der Vertrauensschutz Vorrang genießtund ab dem die Restitution zugunsten des früheren Eigentümers oder seinesRechtsnachfolgers uneingeschränkt zum Zuge kommt. …

(2) Dies hinderte den Gesetzgeber aber von Verfassungs wegennicht, bei der abschließenden sachenrechtlichen Behandlung restitu-ierter Grundstücke die auf den Erwerb gerichteten Erwartungen derKäufer von Eigenheimen und damit bebauten Grundstücken sowie dieauf den Fortbestand ihres Eigentums gerichteten Erwartungen der-jenigen, die noch vor der Restitution des Gebäudes oder Grundstücksals Eigentümer im Grundbuch eingetragen worden waren, zu berück-sichtigen. Diese Erwartungen wurden vor allem durch das Ges. überden Verkauf volkseigener Gebäude v. 7.3.1990 (GBl. I S. 157; imFolgenden: VerkaufsG; vgl. §§ 2, 4 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes und dazuauch BVerfGE 101, 239 [241 f.]) und dessen Vollzug durch die Staats-organe der DDR nach den ersten freien Wahlen zur Volkskammer her-vorgerufen. Das Handeln staatlicher Stellen war ab diesem Zeitpunktgeeignet, bei den Bürgern der DDR Vertrauen in seine Rechtmäßigkeit

zu begründen. Zwar ist das Vertrauen in den Fortbestand der auf derGrundlage des VerkaufsG erworbenen Rechte durch die von derRegierung der DDR erlassene VO über die Anmeldung vermögens-rechtlicher Ansprüche v. 11.7.1990 (GBl. I S. 718) zerstört worden (vgl.BVerfGE 101, 239 [267]). Dies berechtigte den Gesetzgeber, im Wegeeiner echten Rückwirkung die Restitution auch in den Fällen anzu-ordnen, in denen die in das Grundbuch eingetragenen Käufer zwarredlich gehandelt, den Kaufvertrag aber erst nach dem 18.10.1989angebahnt und abgeschlossen hatten (…), verwehrte ihm jedoch nichtdie Beachtung der Interessen sowohl dieser als auch der nicht mehrins Grundbuch gelangten Käufer im Rahmen des SachenRBerG.

Der Gesetzgeber durfte vielmehr berücksichtigen, dass insbes. die– verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende (vgl. BVerfGE 101, 239[261 f.]) – Auslegung des Erwerbsbegriffs in § 4 Abs. 2 VermG durchdie Verwaltungsgerichte und die Stichtagsregelung des § 4 Abs. 2 Satz 2VermG für etliche Käufer von Eigenheimen und Eigenheimgrund-stücken zu Härten geführt hatten. Die Regelung über den Restitu-tionsausschluss wegen redlichen Erwerbs hat es nicht vermocht, diedamit angestrebte Befriedung des Verhältnisses zwischen Alteigen-tümern und Nutzern herbeizuführen. Der Gesetzgeber hat daher mitder Bestimmung des § 121 Abs. 2 SachenRBerG diesen Konflikt ausdem Vermögensrecht herausgelöst und dem im SachenRBerG nor-mierten Grundsatz der hälftigen Teilung des Bodenwerts unterworfen.Damit wird vermieden, dass allein den Interessen der Alteigentümeroder allein den Interessen der Nutzer Geltung verschafft wird. DemAlteigentümer bleibt sein Restitutionsanspruch in den Fällen erhalten,in denen sein Eigenheim oder Grundstück erst nach der politischenWende in der DDR veräußert worden ist; er wird insoweit nicht aufeine Entschädigung nach dem EntschG verwiesen. Der Erwartung derNutzer, gekaufte Gebäude und Grundstücke zu erwerben, wird durchderen Einbeziehung in die Sachenrechtsbereinigung Rechnunggetragen. Dies stellt sich als sachgerechter und angemessener Aus-gleich der widerstreitenden Interessen zwischen Alteigentümern undNutzern dar und ist deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstan-den (vgl. auch BVerfGE 102, 254 [306 f.] = NJ 2001, 83).

ccc) Das im Gewährleistungsbereich des Art. 14 Abs. 1 GG zu berück-sichtigende Vertrauensschutzprinzip zwingt nicht zu einer anderenBeurteilung. § 121 Abs. 2 SachenRBerG enthält vor allem keine ver-fassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung.

(1) Allerdings bewirkt die Vorschrift in den Fällen, in denen derNutzer sein Ankaufsrecht ausübt, eine echte Rückwirkung. Der Grund-stückseigentümer, dem das Eigentum am Grundstück nach demVermG zurückübertragen worden ist, muss das Grundstück nach § 121Abs. 2 iVm Abs. 1, § 15 Abs. 1 und den §§ 61 ff. SachenRBerG an denNutzer verkaufen und ihm in Erfüllung des Kaufvertrags das restitu-ierte Eigentum übertragen. Damit verliert er sein gerade wiedererlangtes Eigentum an den Nutzer. Das begegnet jedoch keinen ver-fassungsrechtlichen Bedenken.

(2) Zwar ist eine echte Rückwirkung verfassungsrechtlich grund-sätzlich unzulässig. Das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund imVertrauensschutz hat, tritt aber zurück, wenn sich kein schützenswer-tes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte.Ferner kommt Vertrauensschutz nicht in Betracht, wenn überragendeBelange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheitvorgehen, eine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot erfordern (vgl.BVerfGE 101, 239 [263 f., 268] mwN). So liegt der Fall hier.

(a) Schützenswertes Vertrauen auf den uneingeschränkten Verbleibdes restituierten Eigentums beim Alteigentümer konnte in Fällen derhier in Rede stehenden Art nicht entstehen.

Mit dem 2. VermRÄndG v. 14.7.1992 (BGBl. I S. 1257) hat der Gesetz-geber zur Aufrechterhaltung des status quo der bei der Wiedervereinigungim Beitrittsgebiet vorgefundenen Nutzungsverhältnisse bis zur Bereini-gung des Sachenrechts das sog. sachenrechtliche Moratorium eingeführt(vgl. dazu BVerfGE 98, 17 [21 ff.] = NJ 1998, 639 [bearb. v. Schramm]). Nutzer

Rechtsprechung Ver fassungsrecht

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fremder Grundstücke erhielten danach in Anbetracht der bis dahin – recht-lich oder faktisch – entstandenen Nutzungsverhältnisse in näher beschrie-benen Fällen ein gesetzliches Besitzrecht (vgl. Art. 233 § 2 a Abs. 1 Satz 1EGBGB). Ein solches Besitzrecht steht auch demjenigen zu, der ein auf demGrundstück errichtetes Gebäude gekauft oder den Kauf beantragt hat(vgl. Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 1 Buchst. d EGBGB). Gem. Satz 3 des Art. 233§ 2a Abs. 1 EGBGB, der durch Art. 2 § 5 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. aaSachenRÄndG v. 21.9.1994 (BGBl. I S. 2457) eingefügt worden ist, bestehtdieses Besitzrecht u.a. in den Fällen des § 121 SachenRBerG bis zur Bereini-gung der Rechtsverhältnisse nach dem SachenRBerG fort. Diese Regelungist ebenso wie das Sachenrechtsmoratorium (vgl. dazu BVerfGE 98, 17 [36 ff.])mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar (vgl. BVerfG,2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 13.3.2001 – 1 BvR 1974/98).

Mit Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 1 Buchst. d EGBGB sind die nicht vollzo-genen, sog. hängenden Kaufverträge über Gebäude in das Sachenrechts-moratorium einbezogen worden, weil die Nutzer mit dem Abschluss desKaufvertrags alles ihnen Mögliche getan haben, um das Gebäude zuerwerben (…). Ob diese Vorschrift – wie § 121 Abs. 2 SachenRBerG(vgl. dazu BGH, VIZ 1999, 605 [606]) – über ihren Wortlaut hinaus auchauf Kaufverträge über Eigenheimgrundstücke anzuwenden ist, ist eineeinfachrechtliche Frage, die von den Zivilgerichten zu beantworten ist.Eine entsprechende Auslegung erscheint jedenfalls nicht von vornhereinausgeschlossen, wenn berücksichtigt wird, dass nach § 4 Abs. 2 VerkaufsGbeim Kauf eines Eigenheims das volkseigene Grundstück hinzu-erworben werden konnte und sachliche Gründe dafür, warum nur derGebäudekäufer und nicht auch derjenige, der zum Gebäude außerdemdas Grundstück gekauft hat, zum Besitz des gekauften Vermögenswertsberechtigt sein soll, nicht ersichtlich sind. Daher mussten die Grund-stückseigentümer zumindest in Fällen der vorliegenden Art damitrechnen, dass künftige Regelungen über die Bereinigung sachenrecht-licher Nutzungsverhältnisse sowohl nicht vollzogene als auch bereitsvollzogene Kaufverträge über Gebäude und bebaute Grundstücke unddamit auch ihr restituiertes Eigentum erfassen würden.

(b) Abgesehen davon ist die durch § 121 Abs. 2 SachenRBerGbewirkte echte Rückwirkung auch durch überragende Belange desgemeinen Wohls gerechtfertigt. Mit dieser Regelung soll zwar denErwerbserwartungen der Käufer von Eigenheimen und Eigenheim-grundstücken Rechnung getragen werden. Sie dient aber nicht nur denPrivatinteressen dieser Käufer. Vielmehr sollen … im öffentlichenInteresse auch die wirtschaftliche Chancengleichheit und die sozialeSicherheit dieses Personenkreises gewährleistet werden. Die Einbezie-hung der Käufer von Eigenheimen und damit bebauten Grundstückenin die Sachenrechtsbereinigung verfolgt ferner den ebenfalls im öffent-lichen Interesse liegenden Zweck, endgültig Rechtsfrieden zwischendiesen Käufern und den betroffenen Grundstückseigentümern herzu-stellen. Diese Gemeinwohlziele sind – wie auch die Bundesregierungin ihrer Stellungnahme angenommen hat – so gewichtig, dass sie eineAusnahme vom Rückwirkungsverbot zu Lasten der Grundstücks-eigentümer rechtfertigen können.

� 01.3 – 10/01

Sachenrechtsbereinigung/Ankaufsberechtigung/Eigentumsgarantie/GleichheitssatzBVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 23. Mai 2001 – 1 BvR1392/99

SachenRBerG § 121 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1, 14 Abs. 1 u. 3

Die Regelung der Anspruchsberechtigung gem. § 121 Abs. 2 SachenR-BerG ist sowohl mit der Eigentumsgarantie als auch mit dem Gleich-heitssatz vereinbar. (Leitsatz der Redaktion)

Anm. d. Redaktion: In der Begründung zu dieser Entscheidung wird weit-gehend auf den BVerfG-Beschluss v. 16.5.2001, NJ 2001, 529, in diesem Heft,verwiesen. Der in dieser Sache im einstweiligen Anordnungsverfahren ergan-gene Beschluss v. 11.1.2000 ist abgedruckt in NJ 2000, 309.

02 BÜRGERLICHES RECHT

� 02.1 – 10/01

Umwandlung eines VEB/Übergang des volkseigenen Vermögens/NutzungsentschädigungBGH, Urteil vom 17. November 2000 – V ZR 318/99 (OLG Jena)

ZGB § 459 Abs. 1; LPGG § 18 Abs. 2; TreuhG §§ 11 Abs. 2, 23; UmwVO § 7; EGBGB § 5 Abs. 1 Satz 1; BGB §§ 812, 987 ff.

Die Wirksamkeit der Umwandlung eines VEB ist von der Eintragungdes Unternehmens neuer Rechtsform in das Handelsregister abhängig.War die Eintragung vor dem 1.7.1990 (Tag des In-Kraft-Tretens desTreuhG) bereits erfolgt, wurde die entstandene Kapitalgesellschaftgem. § 1 Abs. 4 TreuhG der Treuhandanstalt als Anteilseignerin unter-stellt und zugleich gem. § 23 TreuhG nachträglich mit ihren Betriebs-grundstücken als Anlagevermögen ausgestattet; erfolgte die Ein-tragung erst nach dem 1.7.1990 wurde die Umwandlung durch dasIn-Kraft-Treten des TreuhG überholt und bewirkte den Übergang desvolkseigenen Vermögens, das am 1.7.1990 dem VEB zur Nutzungüberlassen war und sich deshalb in seiner Fondsinhaberschaft befand.(Leitsatz der Redaktion)

Der VEB K. beabsichtigte Ende der 80er Jahre, seinen Kohleumschlag-platz nach H. zu verlegen. Die hierfür benötigten Grundstücke wurdenbis dahin von der LPG Pflanzenproduktion »S.« H. landwirtschaftlichgenutzt. Sie standen im Eigentum der Genossenschaftsbauern undwaren in die LPG eingebracht. Am 15.10.1987 schlossen der VEB unddie LPG einen schriftlichen Vertrag über den Entzug der landwirt-schaftlichen Nutzfläche und die Inanspruchnahme der Grundstückefür den Bau einer Brücke über die Leine sowie einer Straße durch denVEB. Mit den genehmigten Bauarbeiten wurde 1987 begonnen. Durchnotarielle Erklärung v. 22.6.1990 sollte der VEB auf der Grundlage derUmwVO umgewandelt werden. Am 10.8.1990 wurde das neue Unter-nehmen, dessen Rechtsnachfolgerin die Kl. ist, in das Handelsregistereingetragen. Die Kl. führte die vom VEB begonnenen Bauarbeiten ander Brücke und der Straße zunächst fort, stellte sie jedoch bald danachim Zuge der Umstellung der Energiewirtschaft in den neuen Bundes-ländern ein. Spätestens seit 1991 nutzte sie die inzwischen fertiggestellte Brücke und die weitgehend fertig gestellte Straße nicht mehr.

1992 erwarb die bekl. Stadt die von dem VEB und der Kl. für den Bauder Brücke und der Straße genutzten Grundstücke zu Eigentum undgab die von ihr fertig gestellte und ausgebaute Straße und die BrückeAnfang 1992 zur Nutzung durch den öffentlichen Verkehr frei.

Die Kl. verlangt von der Bekl. Entschädigung für die Nutzung derBrücke und der Straße für den Zeitraum vom 1.3.1992 bis zum28.2.1998 i.H.v. jährl. 70.000 DM. Sie hat beantragt, die Bekl. zur Zah-lung von 420.000 DM nebst Zinsen seit dem 30.5.1992 zu verurteilen.

LG und OLG haben die Klage abgewiesen.Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung des angefochtenen OLG-

Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerufungsG.

Aus den Entscheidungsgründen: I. Das BerufungsG meint, der Kl. stünden gegen die Bekl. keine Ansprüche aufZahlung eines Nutzungsentgelts zu, weil sie nicht Eigentümerin der Brückeund des Straßenkörpers geworden sei. Zwar sei nach § 459 Abs. 1 ZGB vonGrund und Boden getrenntes Anlageneigentum als Volkseigentum entstan-den. Das Volkseigentum an den Anlagen sei indes später infolge der Privati-sierung und Umwandlung des VEB in die Kl. nicht nach den Bestimmungendes TreuhG auf diese übergegangen. Das TreuhG finde keine Anwendung,weil es erst nach der Umwandlung des VEB in die Kl. in Kraft getreten sei.

Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allenPunkten stand.

II. 1. Zu Recht nimmt das BerufungsG allerdings an, an dem vondem VEB errichteten Straßenkörper und der Brücke sei gem. § 459Abs. 1 ZGB iVm § 3 der VO über die Sicherung des Volkseigentums bei

Ver fassungsrecht

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Neue Justiz 10/2001532

Baumaßnahmen von Betrieben auf vertraglich genutzten, nicht volks-eigenen Grundstücken v. 7.4.1983 (GBl. I S. 129) Volkseigentum ent-standen. Der zwischen dem VEB K. und der LPG geschlossene Vertragüber den dauerhaften Entzug der Bodennutzung v. 15.10.1987 ist einVertrag im Sinne der genannten Bestimmungen. Dass er dazu diente,die Grundstücke der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung zu ent-ziehen und der gewerblichen Nutzung zuzuführen, steht dem nichtentgegen. Die LPG konnte nämlich gem. § 18 Abs. 2 Buchst. h LPGGBoden sozialistischen Betrieben und Einrichtungen auch zu einer der-artigen Nutzung übertragen und so die Grundlage für die Entstehungvon Volkseigentum bei der Errichtung von Gebäuden und Anlagenschaffen. Ein Vertrag mit dem Eigentümer war aufgrund des der LPGzustehenden umfassenden Bodennutzungsrechts nicht erforderlich(vgl. ZGB-Komm., 1985, § 459 Erl. I. 1) und hätte diesem widersprochen.

2. Dem BerufungsG kann jedoch nicht darin gefolgt werden, dass dasVolkseigentum nicht nach § 11 Abs. 2 Satz 2 TreuhG in das Eigentumder Kl. übergegangen sei. Die Anwendung dieser Bestimmung scheitertnicht daran, dass das TreuhG erst nach der Umwandlung des VEB inKraft getreten ist. Die durch die notarielle Erklärung v. 22.6.1990 aufder Grundlage der UmwVO v. 1.3.1990 (GBl. I S. 107) beabsichtigteUmwandlung des VEB wäre nämlich nach § 7 UmwVO erst mit derEintragung des Nachfolgeunternehmens in das Handelsregister am10.8.1990 wirksam geworden (Jürgens, DB 1990, 3162). Die Umwand-lung wurde deshalb durch das In-Kraft-Treten des TreuhG am 1.7.1990überholt (BGH, Urt. v. 2.10.1997, ZIP 1998, 86, 87; BVerwG, ZOV 1999,215, 216). Die Umwandlung kraft Gesetzes bewirkte gleichzeitig denÜbergang des volkseigenen Vermögens, das am 1.7.1990 dem VEB zurNutzung überlassen war und sich deshalb in seiner Fondsinhaberschaft(vgl. dazu Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundes-gebiet, 2. Aufl., § 18, Rn 158; Teige, VIZ 1994, 58, 59) befand.

Im Übrigen hätte die Rechtsvorgängerin der Kl. auch dann dasEigentum an der Straße und der Brücke erlangt, wenn die Umwand-lung nach der UmwVO noch vor In-Kraft-Treten des TreuhG vollzogenworden wäre; denn nach § 23 TreuhG greift der in § 11 Abs. 2 TreuhGangeordnete Eigentumsübergang auch bei Umwandlungen, die aufGrund der UmwVO »vorgenommen« worden sind. Insoweit wirdunausgesprochen auf § 7 Satz 1 UmwVO Bezug genommen, der dieWirksamkeit der Umwandlung von der Eintragung des Unternehmensneuer Rechtsform abhängig macht. War die Eintragung vor dem1.7.1990 bereits erfolgt, wurde die entstandene Kapitalgesellschaftgem. § 1 Abs. 4 TreuhG der THA als Anteilseignerin unterstellt undzugleich gem. § 23 TreuhG nachträglich mit ihren Betriebsgrund-stücken als Anlagevermögen ausgestattet (BGH, Urt. v. 2.10.1997, aaO;Busche, RVI Bd. 3, § 23 TreuhG, Rn 1 ff.).

3. Das nach § 11 Abs. 2 TreuhG begründete und gem. Art. 231 § 5Abs. 1 Satz 1 EGBGB fortbestehende Eigentum der Kl. ist nicht dadurchuntergegangen, dass sie die Straße und die Brücke nicht mehr nutzt.Die Nutzungsaufgabe vor dem 22.7.1992 hat lediglich zur Folge,dass die Bekl. die Erfüllung von Ansprüchen nach dem SachenRBerGverweigern kann (§ 29 Abs. 1 SachenRBerG), sie bewirkt aber keineVeränderung der bestehenden Eigentumsverhältnisse (OVG Sachsen-Anhalt, JMBl. LSA 1998, 342).

4. Solange das Eigentum der Kl. an der Brücke und an der Straße fort-besteht, sind ihr auch die Nutzungen aus dem Eigentum zugeordnet.Macht die Bekl. sie sich zu eigen, kann die Kl. zivilrechtlich zu einemAusgleich verpflichtet sein. Ob ein solcher Anspruch besteht, hängtallerdings mit davon ab, ob die Straße und die Brücke dem öffent-lichen Verkehr gewidmet worden sind. Ist das der Fall, scheidenAnsprüche aus §§ 987 ff. BGB bzw. § 812 BGB aus. War die Widmungrechtmäßig, kommt vielmehr eine Entschädigung nach den dafürgeltenden Grundsätzen in Betracht. War die Widmung dagegen rechts-widrig, ist ein Anspruch unter dem Gesichtspunkt des enteignungs-gleichen Eingriffs denkbar, der allerdings voraussetzt, dass die Kl. vonder Möglichkeit des Primärrechtsschutzes Gebrauch gemacht hat (…).

� 02.2 – 10/01

Grundbuchberichtigung/Grundstücke/Überführung in Volkseigentum/Eigentumsumschreibungen/fehlerhafte Fiskuserbschaften/Bestands-schutzBGH, Urteil vom 8. Dezember 2000 – V ZR 489/99 (OLG Dresden)

EGBGB Art. 237 § 1

a) Art. 237 § 1 EGBGB erfasst unter dem Tatbestandsmerkmal der»sonstigen Überführung in Volkseigentum« auch rein faktischeVorgänge, falls diesen ein staatlicher Wille und nicht nur ein Versehenzugrunde lag. b) Danach können in Ausnahmefällen auch Eigentumsumschreibun-gen aufgrund fehlerhafter Fiskuserbschaften Art. 237 § 1 EGBGBunterfallen.

Die Kl. nimmt die Bekl. auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigungin Anspruch.

Am 25.1.1974 verstarb A. O. E. in L., zu deren Nachlass das umstrit-tene, mit einem Mehrfamilienhaus bebaute Grundstück in L. gehörte.Im handschriftlichen Testament v. 28.10.1973 hatte sie bestimmt:

»Mein letzter Wille Meine Cosine M. H. … Meine Nichte S. O. … Meine Cosine R. D. …Meine Betreuerin Ch. M. … Sind meine Erben zu gleichen Teilen. Mein Mietgrundstück L., A.straße 28 soll dem VEB G. zur Verfügung gestellt werden. …«

Nachdem der Rat der Stadt L. und die Miterbin O. die Erbschaft aus-geschlagen hatten, stellte das Staatliche Notariat L. durch Beschluss v.17.9.1974 fest, dass »ein anderer Erbe als die Deutsche DemokratischeRepublik, …, nicht vorhanden ist«. In Abteilung I des Grundbuchswurde daraufhin am 16.10.1974 für das Grundstück »Eigentum desVolkes, Rechtsträger: VEB G.« vermerkt. Auf der Grundlage einesZuordnungsbescheids nach § 2 VZOG wurde am 22.8.1993 die StadtL. als Eigentümerin des Grundstücks in das Grundbuch eingetragen,anschließend am 20.10.1993 die Bekl. aufgrund einer Umwandlungs-erklärung gem. § 58 UmwG aF v. 10.12.1990.

Die im Testament der A. O. E. benannte R. D. ist am 26.4.1979 ver-storben und u.a. von der Kl. beerbt worden. Da ein Teil der weiterenErben nach R. D. unbekannt ist, ordnete das zuständige NachlassG fürdiese Nachlasspflegschaft an.

Die Kl. hat zuletzt die Zustimmung der Bekl. zur Eintragung von M. H.,Ch. M., ihrer selbst und der weiteren, auch der unbekannten Erbennach R. D., als Eigentümer des umstrittenen Grundstücks verlangt.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kl. hat dasOLG der Klage stattgegeben. Es hat die Auffassung vertreten, dasGrundbuch sei unrichtig, weil die Kl. und die weiteren Erben nachA. O. E. und R. D. Eigentümer des Grundstücks seien. Der Beschlussdes Staatlichen Notariats v. 17.9.1974, durch den die DDR als gesetz-licher Erbe festgestellt worden sei, stehe dem nicht entgegen, weil erdurch die Feststellung der testamentarischen Erbfolge widerlegt sei.Das Testament v. 28.10.1973 sei dahin auszulegen, dass der VEB G.nicht zum Erben eingesetzt, sondern lediglich als Vermächtnisneh-mer bedacht worden sei. Aber selbst wenn das Testament als Erb-einsetzung auch des VEB G. verstanden werde, könne die Bekl. ihreEigentümerstellung nicht auf Art. 237 § 1 EGBGB stützen; denndiese Vorschrift regele lediglich den Bestandsschutz bei Mängeln derGrundstücksübertragung, heile aber nicht das Fehlen des Über-tragungsaktes selbst.

Die Revision der Bekl. hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen: III. Die Ausführungen des BerufungsG halten einer rechtlichen Über-prüfung nicht stand. …

1. Allerdings wird der geltend gemachte Grundbuchberichtigungs-anspruch (§ 894 BGB iVm Art. 233 § 2 Abs. 1 EGBGB) inhaltlich nicht

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durch Bestimmungen des VermG verdrängt. Die Eintragung des Volkseigentums im Grundbuch stellt als solche nach st.Rspr. desSenats keine Enteignung iSd § 1 Abs. 1 lit. a oder b VermG dar; dies giltvor allem dann, wenn in diesemVorgang der Wille der beteiligtenStellen hervortritt, die Folgen eines anderweit, wie hier durch denErbfall, bereits herbeigeführten Eigentümerwechsels nachzuvoll-ziehen (Senat, Urt. v. 19.6.1998,WM 1998, 1832, 1833 mwN = NJ 1998,595 [bearb. v. Kolb] ). Ebenso wenig sind die Voraussetzungen desbesonderen Restitutionstatbestands für die Erbausschlagung aus § 1Abs. 2 VermG gegeben; denn aus dem Klägervorbringen ergibt sichkein Hinweis auf eine Überschuldung des Grundstücks. Schließlichfindet sich auch kein Anhaltspunkt für unlautere Machenschaften iSd§ 1 Abs. 3 VermG.

2. Nicht zu beanstanden ist die Auffassung des BerufungsG, dasGrundbuch sei durch die Buchung des Grundstücks als Eigentum desVolkes zunächst unrichtig geworden. a) Das BerufungsG hat die Anordnung im Testament der A. O. E. v.28.10.1973, nach der dem VEB G. das umstrittene Grundstück »zurVerfügung zu stellen« sei, als Zuwendung eines Vermächtnisses ange-sehen. Dieses lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die vorgenommeneAuslegung ist möglich und verstößt nicht gegen anerkannte Aus-legungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze.

Entgegen der Auffassung der Revision hat das BerufungsG auch diegesetzliche Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB beachtet und dabeiden Umstand erörtert, dass die Erblasserin mit der Zuwendung desGrundstücks nahezu über ihr gesamtes Vermögen verfügt hat. Da dieErben den Anspruch aus dem Vermächtnis gem. § 2174 BGB (vgl. § 8EGZGB) unstreitig nicht erfüllt haben, konnte Volkseigentum nichtdurch Übereignung des Grundstücks an den Staat als Rechtsinhaber(vgl. BGH, WM 1995, 990, 991 = NJ 1995, 378) entstehen.

b) Zu Volkseigentum ist das umstrittene Grundstück auch nichtdurch eine Fiskuserbschaft geworden. Die Vermutung zugunsten desFiskus als des gesetzlichen Erben, die aus dem Feststellungsbeschlussdes Staatlichen Notariats, das die Aufgaben des Nachlassgerichtwahrgenommen hat (§ 2 der VO über die Errichtung und Tätigkeit desStaatlichen Notariats v. 15.10.1952, GBl. S. 1055), gem. § 1964 Abs. 2BGB folgt, ist durch den unstreitigen Sachverhalt widerlegt. EinErbrecht zugunsten des Staates konnte nicht begründet werden, weillediglich eine der mehreren testamentarisch eingesetzten Erbinnendie Erbschaft ausgeschlagen hatte und so zumindest noch drei Mit-erbinnen mit im Wege der Anwachsung erhöhten Erbteilen (§ 2094BGB) verblieben waren, die die gesetzliche Erbfolge und damit dasErbrecht des Staates (§ 1936 BGB) ausschlossen.

Ein Anspruch auf Grundbuchberichtigung steht der Kl. aber gleich-wohl nicht zu, weil die Bekl. in der Folge des nach Art. 237 § 1 Abs. 1EGBGB eingetretenen Bestandsschutzes Eigentum an dem umstritte-nen Grundstück erlangt hat und damit der Inhalt des Grundbuchsnicht länger der wirklichen Rechtslage widerspricht.

3. Die Revision beanstandet zu Recht die Auslegung des Art. 237 § 1EGBGB durch das BerufungsG. Dieses hat auf der Grundlage seinesVerständnisses, wonach Art. 237 § 1 EGBGB keinen Bestandsschutz bei»Fehlen des Übertragungsaktes selbst«, sondern nur bei Mängeln derGrundstücksübertragung gewähre, die Vorschrift im gegebenen Fallnicht angewandt (ähnl. OLG Dresden, VIZ 1998, 330 = NJ 1998, 435[bearb. v. Fritsche]). Dem ist nicht zu folgen. Die Auslegung desBerufungsG ist mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu vereinbarenund lässt überdies die Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweckder Bestimmung außer Acht.

Art. 237 § 1 EGBGB erfasst schon seinem Wortlaut nach nicht nurfehlerbehaftete Fälle des Ankaufs oder der Enteignung von Grund-stücken, sondern mit dem Tatbestandsmerkmal der »sonstigenÜberführung« auch rein faktische Vorgänge, wie etwa die schlichteBuchung als Volkseigentum, falls dem ein staatlicher Wille und nichtnur ein Versehen zugrunde lag (MünchKomm-BGB/Busche, 3. Aufl.,

Art. 237 § 1 EGBGB, Rn 7; Schmidt-Räntsch, ZfIR 1997, 581, 583; engerwohl Czub, VIZ 1997, 561, 566 »Rechtshandlungen«). Der Gesetzgeberhat sich mit diesem Auffangtatbestand bewusst an § 1 Abs. 1 MauerGangelehnt, um die Gesamtheit aller Akte anzusprechen, aufgrundderer in der DDR Grundstücke oder selbständiges Gebäudeeigentumin Volkseigentum übernommen worden sind (so Beschlussempfeh-lung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestagsv. 20.3.1997, BT-Drucks. 13/7275 S. 35, 41; vgl. auch Czub, VIZ 1997,561, 566). Die Einbeziehung faktischer Vorgänge in den Anwendungs-bereich des Art. 237 § 1 EGBGB ist schließlich auch deshalb erfor-derlich, weil es in der früheren DDR durch die Nichtbeachtung vonVerfahrensvorschriften in einer Vielzahl von Fällen zu faktischemVolkseigentum gekommen war, die rechtlich zwar zweifelhaft waren,in der Rechtswirklichkeit der DDR aber nicht in Frage gestellt wurden.Wegen der Verunsicherung der Bevölkerung in den neuen Bundes-ländern durch zahlreiche Rechtsstreitigkeiten über den Bestand der sogeschaffenen Eigentumslagen soll es Zweck des Art. 237 § 1 EGBGBsein, in den Fällen des faktischen Übergangs von Grundstücken inVolkseigentum durch einen Bestandsschutz Rechtssicherheit undRechtsfrieden zu schaffen (BVerfG, WM 1998, 1631, 1633). Mit diesemZiel ist es nicht zu vereinbaren, nach den Umständen der Entstehungzu unterscheiden und Volkseigentum, das aufgrund rein faktischerVorgänge geschaffen wurde, von Anfang an den Bestandsschutz zuversagen.

4. Fehlerhafte Fiskuserbschaften können danach als »sonstige Über-führung in Volkseigentum« in Ausnahmefällen Art. 237 § 1 EGBGBunterfallen (vgl. Senatsurt. v. 24.4.1998, WM 1998, 1829, 1830 = NJ1998, 590 [bearb. v. Maskow]; Senatsurt. v. 19.6.1998, WM 1998, 1832,1833; MünchKomm-BGB/Busche, aaO, Rn 7; Palandt/Bassenge, BGB,59. Aufl., Art. 237 § 1 EGBGB; a.A. OLG Dresden, VIZ 1998, 330). Nachdieser verfassungsrechtlich unbedenklichen Vorschrift (BVerfG, aaO)sind Fehler bei der Überführung eines Grundstücks in Volkseigentumnur zu beachten, wenn das Grundstück nach der ordnungsgemäßenVerwaltungspraxis, den allgemeinen Verwaltungsvorschriften undVerfahrensgrundsätzen, die im Zeitpunkt der Überführung maßgeb-lich waren, nicht wirksam in Volkseigentum hätte überführt werdenkönnen oder wenn die Überführung mit rechtsstaatlichen Grund-sätzen schlechthin unvereinbar war (vgl. BVerfG, aaO; Senatsurt. v.10.10.1997, WM 1998, 81, 82 = NJ 1998, 420 [bearb. v. Maskow]; Senats-urt. v. 9.10.1998, WM 1999, 91, 93 = NJ 1999, 198 [bearb. v. Fritsche]).

a) Entscheidend für den Bestandsschutz nach Art. 237 § 1 EGBGBist danach zunächst, dass die Entstehung von Volkseigentum nach denvorhandenen Vorschriften in der Sache erreichbar war (Senatsurt. v.9.10.1998, aaO; vgl. auch Schmidt-Räntsch, aaO; MünchKomm-BGB/Busche, aaO, Rn 9). Dies ist vorliegend der Fall. Allerdings hätte,wie oben bei III. 2. b) dargestellt, eine Fiskuserbschaft nach § 1964Abs. 1 BGB vom Staatlichen Notariat nicht festgestellt werden dürfen.Auch werden fehlerhafte Fiskuserbschaften regelmäßig keinenBestandsschutz begründen können, wenn vorhandene Erben dasErbrecht des Staates ausschließen (Senatsurt. v. 19.6.1998, aaO); denndie Übernahme in Volkseigentum war nach den maßgeblichenerbrechtlichen Bestimmungen gerade nicht zu erreichen.

Vorliegend ist jedoch als Besonderheit zu beachten, dass dem Staataufgrund des Vermächtnisses im Testament v. 28.10.1973 gegenüberden Erben nach § 2174 BGB ein Anspruch auf Übereignung desumstrittenen Grundstücks zustand. Zwar ist das Vermächtnis zugun-sten des VEB G. ausgebracht. Da dieser aber nicht selbst Rechtssubjekt,sondern nur Rechtsträger von Volkseigentum sein konnte, ist dieVermächtnisanordnung dahin zu verstehen, dass Volkseigentum inRechtsträgerschaft des VEB begründet werden sollte. War danachdurch Erfüllung des Vermächtnisses gemäß den erbrechtlichenBestimmungen Volkseigentum erreichbar, so muss die Fehlerhaftigkeitder Eigentumsumschreibung aufgrund der zu Unrecht angenommenFiskuserbschaft ausnahmsweise außer Betracht bleiben.

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b) Der Wirksamkeit der Überführung des Grundstücks in Volks-eigentum steht eine krasse Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichenGrundsätzen (Art. 237 § 1 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Satz 2 EGBGB) nichtentgegen. Dem Vorbringen der Kl. lassen sich weder Hinweise aufeinen schwerwiegenden Verstoß gegen die Prinzipien der Gerechtig-keit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit, noch Anhalts-punkte für einen Willkürakt entnehmen. Da kein Sachverhalt vorliegt,der dem Tatbestand von § 1 VermG unterfällt, ist Bestandsschutz auchnicht durch Art. 237 § 1 Abs. 3 EGBGB ausgeschlossen (vgl. Senatsurt.v. 30.4.1999, VIZ 1999, 542; Senatsurt. v. 12.5.2000, WM 2000, 1758,1760 = NJ 2000, 649 [bearb. v. Fritsche]).

5. Aufgrund des Bestandsschutzes für die Überführung des Grund-stücks in Volkseigentum hat die nach Art. 233 § 2 Abs. 2 EGBGBverfügungsbefugte Stadt L. (Senatsurt. v. 17.11.1998, WM 1999, 746,748), die Rechtsmacht erlangt, das Umwandlungsverfahren gem. § 58UmwG aF iVm § 57 Abs. 3 Nr. 2 des Ges. über die Selbstverwaltung derGemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung)v. 17.5.1990 (GBl. I S. 255) durchzuführen (BGH, WM 1999, 101, 102= NJ 1999, 144 [bearb. v. Kühnholz]). Für Umstände, die dem Eigentums-übergang auf die Bekl. nach §§ 58 Abs. 2, 55 Abs. 1 Satz 2 UmwG aFentgegenstehen könnten, ist nichts dargetan. Auf die vom BerufungsGaufgeworfene Frage, ob ein etwaiges Anwartschaftsrecht auf dasEigentum von der Bezeichnung des Grundstücks in der Übersichtnach §§ 58 Abs. 4 Nr. 3, 52 Abs. 4 Nr. 1 UmwG aF umfasst ist, kommtes nicht mehr an.

� 02.3 – 10/01

Abtretung von Restitutionsansprüchen/Grundstückskaufvertrag/ Sittenwidrigkeit/Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung/WertermittlungBGH, Urteil vom 26. Januar 2001 – V ZR 408/99 (OLG Dresden)

BGB § 138 Abs. 1

1. Verträge über den Erwerb von Grundstücken, die vorbehaltlich derRestitution der Grundstücke abgeschlossen werden, sind Grund-stückskaufverträge.2. Für die Beurteilung, ob ein Vertrag wegen groben Missverhältnis-ses zwischen Leistung und Gegenleistung nach § 138 Abs.1 BGBnichtig ist, kommt es auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an.Vereinbaren die Parteien nachträglich eine Preisänderung, so ist derZeitpunkt der Änderung für die Beurteilung der Sittenwidrigkeitmaßgeblich.3. Für die Wertfeststellung zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit istbei Mietwohngrundstücken in erster Linie die Ertragswertmethodeanzuwenden. Die Sachwertmethode ist dann angezeigt, wenn dieMieteinnahmen sehr gering sind und nicht den wirklichen Wert desGrundstücks widerspiegeln. Aufgewendete Abbruchkosten sind vomWert – gleich nach welcher Methode er ermittelt wurde – abzuziehen.(Leitsätze des Bearbeiters)

Problemstellung:Der Rechtsstreit betraf die Forderung auf Herausgabe eines Teilbe-trags aus einem Verkaufserlös. Der Bekl. vertrat als Rechtsanwalt denzwischenzeitlich verstorbenen Ehemann der Kl. in einem Restitu-tionsverfahren, das vier Grundstücke betraf. Im Nov. 1990 erwarb ervon dem Mandanten aufgrund einer Vollmacht, die ihn vom Verbotdes Selbstkontrahierens befreite, diese Grundstücke zum Preis von150.000 DM vorbehaltlich der Restitution. Die Kl. »genehmigte«den Vertrag Ende Mai 1991; zugleich traten die Eheleute an den Bekl.für den Fall, dass der Verfügungsberechtigte die Grundstücke aneinen Dritten veräußern sollte, die ihnen zustehenden Entschä-digungsansprüche ab. Später wurden die Grundstücke an den Bekl.restituiert.

Der Bekl. veräußerte dann im Zeitraum von Jan. 1992 bis Mai 1994diese und zwei weitere hinzuerworbene Grundstücke zum Gesamt-preis von 5,95 Mio.DM an eine Immobiliengesellschaft.

Die Kl. machte mit Teilklage eine Erlösauskehr i.H.v. 100.000 DMgeltend. Sie ist der Auffassung, dass der Vertrag vom Nov. 1990 undder Abtretungsvertrag vom Mai 1991 sittenwidrig seien.

Der Klage wurde vom LG und vom OLG stattgegeben.Der BGH hat auf die Revision des Bekl. die OLG-Entscheidung

aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung an dasBerufungsG zurückverwiesen.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Der BGH tritt der Auffassung der Vorgerichte, die o.g. Verträge seienwegen § 138 BGB nichtig und daher sei die geltend gemachte Forde-rung aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 818 Abs. 2 BGB begründet, nicht bei.Er stellt zunächst klar, dass maßgeblich für die Beurteilung der Sitten-widrigkeit der Vertrag vom Nov. 1990 sei. Zu diesem habe die Kl. dannihren Betritt erklärt. Hierbei handele es sich um einen Grundstücks-kaufvertrag, der später geschlossene Abtretungsvertrag und die Resti-tution seien nicht der Schuldgrund, sondern Elemente des Erfüllungs-geschäfts. Daran ändere auch die Vorbehaltsklausel nichts, denn dieWürdigung des Verhaltens der Parteien, insbes. die Frage der Ausnut-zung einer Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Partnersdurch eine der Parteien, könne verständigerweise nur für den Zeit-punkt des Vertragsabschlusses gestellt werden.

Allerdings sei im konkreten Falle nach dem Vortrag des Bekl. zuunterstellen, dass der Ehemann der Kl. im Nachgang eine Preiserhö-hung von 74.000 DM ausgehandelt habe. Wenn dem so sei, dannmüsse die Sittenwidrigkeit für den Zeitpunkt der damit ausgehandel-ten Vertragsänderung bewertet werden. Da es nicht auf die Abtretungankomme, sondern auf den Grundstückskaufvertrag, bedürfe einesolche Änderung der notariellen Beglaubigung. Jedoch könne derFormmangel mit Eintragung des Bekl. in das Grundbuch geheilt sein.

Im Hinblick auf die Wertermittlung sieht sich der BGH zu demHinweis veranlasst, dass bei Mietwohngrundstücken i.d.R. das Ertrags-wertverfahren anzuwenden sei. Die Anwendung der Sachwertmethodemüsse begründet werden. Sie könne sachgerecht sein, wenn dieMieteinnahmen so gering seien, dass die Ertragswertmethode nichtden wirklichen Wert des Grundstücks widerspiegele.

Zudem habe der Bekl. geltend gemacht, Abrisskosten i.H.v.276.188,02 DM getragen zu haben. Diese müssten von dem Wert desGrundstücks abgezogen werden, und zwar unabhängig von demangewendeten Wertermittlungsverfahren. Bei der Sachwertmethodeergebe sich das aus der Tatsache, dass andernfalls keine Vergleichbar-keit zu unbebauten Grundstücken hergestellt werden könne. Bei derErtragswertmethode seien die Abrisskosten vom gesondert zu ermit-telnden Bodenwert abzuziehen, da ertraglose Bauwerke abgerissenwerden müssten, um eine ertragreiche Bebauung sicherzustellen.

Kommentar:Die Entscheidung ist weniger wegen des Ergebnisses hervorzuheben,denn da wesentliche Voraussetzungen nicht ermittelt bzw. berück-sichtigt wurden, konnte keine Selbstentscheidung des BGH erfolgen.Vielmehr hat der BGH dargestellt, welche Tatsachen aufgeklärtwerden müssen, um zu einer begründeten Einschätzung der Sitten-widrigkeit eines Grundstückskaufvertrags zu kommen. In diesemZusammenhang sei noch einmal darauf hingewiesen, dass nach derBGH-Rspr. Sittenwidrigkeit unter folgenden Voraussetzungen anzu-nehmen ist:– es muss ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegen-

leistung bestehen;– der begünstigte Teil des Vertrags muss aus verwerflicher Gesinnung

handeln (vgl. BGH, Urt. v. 9.10.1996 mwN, NJ 1997, 88 = VIZ 1997,105).

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535Neue Justiz 10/2001

Der BGH nimmt eine Vermutung für die verwerfliche Gesinnungdann an, wenn das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegen-leistung besonders krass ist. Eine solche Relation wird im Allgemeinenbestehen, wenn der Verkehrswert des Grundstücks annähernd doppeltso hoch ist wie der Kaufpreis (vgl. auch BGH, NJW 2001, 1127; LGRostock, NJ 2001, 489 [bearb. v. Fritsche] ).

Wenn die Sittenwidrigkeit unter diesen Prämissen nicht festgestelltwerden kann, könnte allenfalls die Anpassung des Vertrags wegenVeränderung maßgeblicher Umstände infrage kommen. Jedoch liegendann die Voraussetzungen auf einer anderen Ebene. Maßgeblich ist,ob die Parteien beim Abschluss des Vertrags bestimmte Tatsachenoder Umstände – auch ohne sie im Vertrag als solche ausdrücklich zubenennen – zur Grundlage ihrer Vereinbarungen erhoben haben(BGHZ 129, 236 = NJ 1995, 446 [Leits.]; 129, 297 = NJ 1995, 558 [Leits.];131, 209 = NJ 1996, 259; 135, 333; vgl. dazu auch BGH, NJ 2000, 598[bearb. v. Fritsche] – Behandlung von Grundstücksüberlassungsver-trägen mit Altenteilsvereinbarung).

Es verblüfft zunächst, dass bei einem Erlös aus dem Weiterverkaufvon fast 6 Mio. DM (allerdings unter Einbeziehung weiterer Grund-stücke, deren Wert ebenfalls abgezogen werden müsste) und einemKaufpreis von 150.000 DM nicht von vornherein die Sittenwidrigkeitdes Vertrags anzunehmen ist. Jedoch ist zu bedenken, dass dieerhebliche Wertsteigerung, die Grundstücke in den neuen Bundes-ländern in dem Zeitraum von 1990 bis 1994 erfahren haben und diedem Bekl. offenbar einen erheblichen Spekulationsgewinn eingebrachthat, für sich genommen weder die Sittenwidrigkeit des Vertragsbegründet noch ausreicht, um die Anpassung des Vertrags verlangen zukönnen. Also kommt es auf die penible Feststellung der Wertverhält-nisse zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bzw. der Vertragsänderungan, wenn eine solche stattggefunden hat. Der Zeitpunkt der Vertrags-erfüllung ist hingegen unmaßgeblich (BGHZ 100, 353; 107, 92).

Prof. Dr. Ingo Fritsche, Fachhochschule für Rechtspflege NRW

� 02.4 – 10/01

Ansprüche wegen Kontamination von Grundstücken/Haftung desMieters/VerjährungBGH, Urteil vom 7. Februar 2001 – XII ZR 118/98 (OLG Jena)

BGB §§ 558, 606, 854; EGBGB Art. 231 § 6, 232 § 1; ZGB § 280;VertragsG/DDR §§ 107, 113 Abs. 2 Satz 1; ZPO § 270 Abs. 3;ZPO/DDR § 10 Abs. 1 Nr. 3

1. Die sechsmonatige Verjährungsfrist des § 558 Abs. 1 BGB fürErsatzansprüche des Vermieters wegen Veränderungen oder Ver-schlechterungen der Mietsache ist auch auf rechtlich einem Miet-oder Pachtvertrag gleichgeartete Nutzungsverträge und auf sämt-liche mit mietvertraglichen oder mietvertragsähnlichen Ansprüchenauf Beseitigung oder Schadensersatz konkurrierende Ansprüche ausdemselben Sachverhalt anzuwenden.2. Für den Beginn der Verjährung nach § 558 Abs. 1 BGB ist ohneBelang, ob schon vor der Rückgabe des vermieteten Grundstücks eineUntersuchung auf Kontamination möglich war. (Leitsätze des Bearbeiters)

Problemstellung:Die Kl. ist Eigentümerin eines Tankstellengrundstücks, das nach ihrerAusreise aus der DDR in Volkseigentum überführt worden war.Die Bekl. ist Rechtsnachfolgerin der elf oil AG, die wiederum Rechts-nachfolgerin des VEB Minol ist, der seit 1956 auf dem Grundstück eineTankstelle betrieb. Ende 1993 stellte die elf oil AG den Tankstellen-betrieb ein, ohne die Schlüssel zu dem (verschlossenen) Tankstellen-gebäude zurückzugeben. Im Febr. 1994 entfernte sie auf dem Grund-stück befindliche Betonanlagen und ließ den Stromzähler aus demTankstellengebäude ausbauen. Bis zu diesem Zeitpunkt bezog sieStrom auf dem Grundstück und beglich Stromrechnungen.

Mit Schreiben v. 21.4.1994 an die Kl. erklärte sie dieser gegenüberihre Bereitschaft, ihr Nutzungsrecht an dem Grundstück aufzugeben,verbunden mit dem Hinweis, sie sei zumindest bis gegen Ende des1. Halbj. 1993 zum Besitz berechtigt gewesen.

Auf dem Grundstück befinden sich Tankstellenaufbauten sowie indas Erdreich eingelassene Kraftstofftanks. Das Erdreich ist durchRückstände von Mineralstoffen kontaminiert.

Bereits vor der Rückübertragung des Grundstücks forderte die Kl.die Rechtsvorgängerin der Bekl. mit Schreiben v. 4.9.1993 auf, mitRücksicht auf die Einstellung des Tankstellenbetriebs die aufstehendenBaulichkeiten zu entfernen und das Grundstück in den ursprüng-lichen Zustand zurückzuversetzen.

Nach der Rückübereignung verlangte sie mit ihrer am 20.7.1994 beiGericht eingegangenen und der Bekl. am 8.9.1994 zugestellten Klagein erster Linie Beseitigung der Anlagen und Zahlung eines Betragszwischen 150.000 und 200.000 DM für die Kosten der Beseitigung derKontamination.

Ähnliches forderte sie mit außergerichtlichem Schreiben v.22.5.1995 und kündigte an, nach Ablauf einer von ihr gesetzten Fristbis 19.6.1995 die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandsabzulehnen und statt dessen Schadensersatz in Geld zu verlangen.

Das LG wies die Klage ab. Auch die Berufung der Kl., die in ersterLinie auf Feststellung der Verpflichtung der Bekl., die Kosten für dieBeseitigung sämtlicher Anlagen und der Kontamination zu tragen,gerichtet war, blieb ohne Erfolg.

Die Revision der Kl., mit der in erster Linie das Feststellungsbegeh-ren weiterverfolgt wird, führte zur Aufhebung des Berufungsurteilsund Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Einen auf Feststellung gerichteten Hauptantrag hält der BGH für zuläs-sig, weil der Kl. eine Bezifferung nicht möglich, zumindest aber nichtzumutbar ist, solange nicht feststeht, in welchem Umfang das Grund-stück saniert werden muss, was hier der Fall ist.

Mit dem BerufungsG ist der BGH der Meinung, dass die sechs-monatige Verjährungsfrist des § 558 Abs. 1 BGB für Ersatzansprüchedes Vermieters wegen Veränderungen oder Verschlechterungen derMietsache auch auf Nutzungsverträge anzuwenden ist, die rechtlicheinem Miet- oder Pachtvertrag gleichgeartet sind, und dass dieseRegelung auch auf sämtliche mit mietvertraglichen oder mietver-tragsähnlichen Ansprüchen auf Beseitigung oder Schadensersatzkonkurrierende Ansprüche aus demselben Sachverhalt anzuwendenist, auch insoweit, als diese auf das Eigentum oder auf unerlaubteHandlung gestützt werden. Der Nutzungsberechtigte kann die Einrededer Verjährung nach einem Wechsel des Eigentümers am Grundstückauch dem neuen Eigentümer gegenüber geltend machen.

Das RevisionsG beanstandet auch nicht, dass das OLG sich mit derFeststellung begnügt hat, dass ein Nutzungsvertrag bestanden habe.Wenn nämlich ein unentgeltlicher Nutzungsvertrag (Grundstücks-leihe) vorgelegen habe, finden zwar die Regelungen des Art. 232 §§ 2u. 3 EGBGB keine Anwendung, so dass gem. Art. 232 § 1 EGBGB auchüber den 2.10.1990 hinaus das Recht der DDR weitergalt. Das führtdann zur Anwendung des VertragsG und, weil dieses keine Regelungüber die Grundstücksleihe enthält, zur Anwendung des ZGB. Aber dieVerjährung derartiger Ansprüche richtet sich gem. Art. 231 § 6 Abs. 1Satz 1 EGBGB wiederum nach den Vorschriften des BGB, mithin nach§ 606 BGB, der seinerseits auf § 558 Abs. 2 u. 3 BGB verweist, es seidenn, dass die Ansprüche am Tag des Wirksamwerdens des Beitrittsbereits verjährt waren.

Insofern kommt gem. Art. 231 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB DDR-Rechtzur Anwendung, also das VertragsG. Nach dessen § 113 Abs. 2 Satz 1begann die Verjährung von Schadensersatzansprüchen am ersten Tagdes Monats, der auf den Tag folgte, an dem die Forderung hätte geltendgemacht werden können.

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Neue Justiz 10/2001536

In der Spruchpraxis der Staatlichen Vertragsgerichte der DDR wurdedarunter der objektiv frühest mögliche Zeitpunkt der Schadensrech-nung verstanden (vgl. Komm. zum Vertragsgesetz, 2. Aufl.1989, § 113,Anm. 2.4). Voraussetzung für den Beginn der Verjährung war somit dieKenntnis oder das Kennenmüssen des Geschädigten vom Eintritt desSchadens, seinem Umfang und seinem Verursacher. Selbst wenn manim Hinblick auf eine auch nach dem Prozessrecht der DDR zulässigeFeststellungsklage die Kenntnis des Schadensumfangs nicht als erfor-derlich ansähe, sind Anhaltspunkte dafür, dass der Rechtsträger desGrundstücks vor dem Wirksamwerden des Beitritts Kenntnis von denKontaminationen des Grundstücks hatte, weder vorgetragen nochersichtlich. Somit kommt es auch im Falle eines unentgeltlichenNutzungsverhältnisses allein darauf an, wann die Kl. oder ihr Rechts-vorgänger als Verfügungsberechtigte das Grundstück zurückerhaltenhaben. Die bloße Möglichkeit, das Grundstück bereits vor Besitzer-langung auf Kontaminationen untersuchen zu können, löst den Laufder Verjährung noch nicht aus.

Die Übertragung des Grundstücks auf die Kl. ist mit Unanfecht-barkeit des Rückgabebescheids v. 11.3.1994 vollzogen, die frühestensam 12.4.1994 eingetreten sein kann, so dass die sechsmonatige Ver-jährungsfrist, wäre sie erst an diesem Tag in Lauf gesetzt worden, selbstbei einer Zustellung der Klage am 8.9.1994 noch nicht abgelaufen war.

Eine Verjährung sämtlicher in Betracht kommender Anspruchs-grundlagen würde somit gem. § 558 Abs. 2 BGB voraussetzen, dass derLandkreis W. als Verfügungsberechtigter das Grundstück von der Bekl.vor dem 8.3.1994 zurückerhalten hat, wenn man auf die Zustellungder Klage abstellt, oder vor dem 20.1.1994, wenn man die Zustellungder am 20.7.1994 eingereichten Klage als noch »demnächst erfolgt«iSd § 270 Abs. 3 ZPO ansieht.

Der Ansicht des BerufungsG, dass der Rechtsträger das Grundstückvor dem maßgeblichen Zeitpunkt zurückerhalten habe, folgt der BGHnicht. Es hat weder eine förmliche Rückgabe des Grundstücks nocheine Ortsbesichtigung unter Beteiligung des Landkreises stattge-funden. Die Einstellung des Betriebs der Tankstelle ist nicht gleich-bedeutend mit der Aufgabe der Nutzung des Grundstücks und erstrecht nicht mit der Beendigung des Nutzungsverhältnisses. Zu einereinverständlichen Aufhebung ist nichts vorgetragen worden, und esbleibt offen, welche Kündigungsfristen ggf. einzuhalten waren.

Die Kl. muss sich zwar Umstände entgegenhalten lassen, die vor derBestandskraft des Rückgabebescheids die Rechtsstellung des verfü-gungsberechtigten Rechtsträgers betrafen. Für den Beginn der Verjäh-rung ist aber ohne Belang, ob sie oder Dritte das Grundstück schon vordem Rückerwerb ungestört hätten untersuchen können.

Außer den bereits genannten Besitzhandlungen spricht auch die imSchriftsatz der Bekl. v. 21.4.1994 der Kl. gegenüber erklärte Bereit-schaft, das Nutzungsrecht aufzugeben, verbunden mit dem Hinweis,zumindest »bis gegen Ende des ersten Halbjahrs 1993 zum Besitz desGrundstücks berechtigt gewesen zu sein«, gegen eine vollständige undunzweideutige Besitzaufgabe.

Weil der Zeitpunkt der Rückgabe des Grundstücks weiterer Auf-klärung bedarf, war die Sache an das BerufungsG zurückzuverweisen.

Kommentar:Wenn von der Bekl. mit Schreiben v. 21.4.1994 die Bereitschaftbekundet wurde, ihr Nutzungsrecht an dem Grundstück aufzugeben,so spricht das an sich dafür, dass sie zu diesem Zeitpunkt der Meinunggewesen ist, dass das Nutzungsrechtsverhältnis noch bestanden habe,und dann kann der Zeitpunkt der Besitzübergabe nur später liegen, mitder Konsequenz, dass die Verjährung noch nicht eingetreten ist.Insofern hätte die Argumentation vereinfacht werden können.

Schwer nachvollziehbar ist die Auffassung des BGH, dass Verjährungdann eingetreten sein könnte, wenn der Rechtsträger des Grundstücksvor dem Wirksamwerden des Beitritts Kenntnis von den Kontamina-tionen des Grundstücks hatte. Die Sensibilisierung gegenüber Boden-

kontaminationen war in der DDR wesentlich geringer als in der BRDund hat insgesamt im letzten Jahrzehnt erheblich zugenommen, wasauch in dem Erlass des BBodSchG seinen Ausdruck gefunden hat.

Die Auffassung des BGH läuft darauf hinaus, von einem Rechtsträgerin der DDR zu verlangen, Schadensersatzansprüche wegen Kontamina-tionen bei laufendem Nutzungsverhältnis geltend zu machen. Das gehtm.E. zu weit. Vorliegend wären damit die Ansprüche auf Entfernungder Baulichkeiten und anderer vertragsgemäßer Grundstückseinrich-tungen ohnehin nicht erfasst. Ansprüche wegen Kontaminationenverjähren aber im Ergebnis innerhalb wesentlich längerer Fristen.

Der BGH dehnt die Anwendung der Verjährungsvorschrift des § 558Abs. 1 BGB (gem. MietrechtsreformG v. 19.6.2001 jetzt § 548 Abs. 1)sehr weit aus und und stellt keine Verbindung zu Spezialvorschriftenher . Die wichtigste hier einschlägige Spezialvorschrift ist das Ges. zumSchutz des Bodens v. 17.3.1998, BGBl. I S. 502. Nach § 4 Abs. 3 diesesGesetzes sind sanierungspflichtig der Verursacher einer schädlichenBodenveränderung oder Altlast sowie dessen Gesamtrechtsnachfolger(was häufig der Mieter sein wird), der Grundstückseigentümer und derInhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück (was ebenfallsein Mieter sein kann).

Hinsichtlich der Kostentragungspflicht für angeordnete Maßnah-men besteht zwischen mehreren Verpflichteten untereinander einAusgleichsanspruch nach dem Maß der Verursachung, der innerhalbvon drei Jahren nach Beitreibung der Kosten (bei Ausführung derMaßnahmen durch die anordnende Behörde) bzw. nach Beendigungder Maßnahme zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verpflichtete vonder Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt und ohne Rücksichtauf diese Kenntnis innerhalb von 30 Jahren nach Beendigung derMaßnahmen verjährt. Zuständig sind die ordentlichen Gerichte.Da die Verjährung frühestens nach Beendigung der Maßnahmeneinsetzt, kann sich die Haftung auch des Mieters, vor allem als Verur-sacher, über Jahrzehnte erstrecken

Vorstehend brauchte der BGH die Beteiligten nicht auf diese Vor-schriften zu verweisen, da er den Anspruch der Kl. als nicht verjährtansah. Wenn der BGH das – wie die Vorinstanz – nicht getan hätte,hätte wohl zwischen der Beseitigung von Aufbauten und Grund-stückseinrichtungen und der Kontamination unterschieden werdenmüssen, wobei die Kl. bei entsprechenden behördlichen Anord-nungen trotz Eintritts der Verjährung nach § 558 Abs. 1 BGB einenAusgleichsanspruch gehabt hätte. Eine Vorschusspflicht ist im Gesetznicht vorgesehen, könnte aber von der Rspr. gerade für Fälle wie denhier vorliegenden entwickelt werden.

Angesichts der langen Verjährungsfristen des BBodSchG, die aller-dings von spezifischen Voraussetzungen ausgehen, ist die Anwendungder kurzen Verjährungsfrist des § 558 Abs. 1 BGB auf Kontaminationennicht unproblematisch.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Dietrich Maskow, Berlin

� 02.5 – 10/01

Unterhaltsabänderungsverfahren/Einwendung fehlender VaterschaftBGH, Urteil vom 21. Februar 2001 – XII ZR 276/98 (OLG Dresden)

ZPO § 323 Abs.1 u. 2

Zu den Grenzen für die Durchbrechung der Rechtskraft des Ersturteils,die in einem Abänderungsverfahren nach § 323 Abs. 1 ZPO zu beach-ten sind.

Problemstellung:Die Parteien streiten im Verfahren nach § 323 ZPO um die Abänderungeines Unterhaltstitels. Der Bekl. beruft sich darauf, nicht Vater der Kl.zu sein.

Der Bekl. hatte im Mai 1981 die Vaterschaft für die im Febr. 1981geborene Kl. anerkannt und sich zu Unterhaltsleistungen verpflichtet.

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537Neue Justiz 10/2001

Im Sep. 1981 heiratete er die Mutter der Kl. Im Febr. 1982 reichte erdie Scheidungsklage ein, nahm sie aber im Jan. 1983 in der Berufungs-instanz zurück. Mit rechtskräftigem Urteil vom Juli 1982 stellte dasKreisG Dresden-Nord auf Klage des Bekl. fest, dass die Vaterschafts-anerkennung rechtsunwirksam sei, da die Mutter der Kl. erwiesener-maßen schon schwanger war, bevor sie den Bekl. kennengelernt hatte.Die danach erhobene Vaterschaftsanfechtungsklage des Bekl. vomFebr. 1983 gem. § 61 FGB nahm er im März 1983 zurück.

Die Ehe des Bekl. mit der Mutter der Kl. wurde im Aug. 1984 geschie-den. Seine Berufung gegen die Verurteilung zur Unterhaltsleistung andie Kl. von zunächst 120 M und dann 140 M bis zur Erreichung derwirtschaftlichen Selbständigkeit wurde vom BezirksG Dresden durchBeschl. v. 29.10.1984 zurückgewiesen. Die im Dez. 1993 erhobeneKlage auf Anfechtung der Vaterschaft wurde ebenfalls zurückgewiesen,da die Frist zur Anfechtung abgelaufen sei. Die Unterhaltszahlungenentsprechend dem Urteil von 1984 stellte der Bekl. im April 1993 ein.

Mit Stufenklage vom März 1995 hat die Kl. die Erhöhung der aus-geurteilten Unterhaltsbeträge verlangt. Das FamilienG hat der Klageinsoweit stattgegeben als es den Unterhalt für die Zeit v. 1.7.1995 bis31.12 1995 auf 410 DM, ab 1.1.1996 auf 402 DM und ab 1.1.1997 auf392 DM festgelegt hat. Die Berufung, mit der der Bekl. geltend macht,nicht der Vater der Kl. zu sein, blieb erfolglos. Mit der zugelassenenRevision verfolgt der Bekl. seinen Abweisungsantrag weiter.

Der BGH hat das Urteil aufgehoben und die Sache an das Beru-fungsG zurückverwiesen, soweit es die Höhe des Unterhalts für die Zeitab 1.9.1998 betrifft, ansonsten aber die Revision zurückgewiesen.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Ob der Bekl. der Vater der Kl. ist, sei im vorliegenden Abänderungs-verfahren nach § 323 Abs. 1 ZPO nicht erneut zu prüfen. Das gelteauch für die Frage, ob der Bekl. den nach DDR-Recht durch Vater-schaftsanerkennung und Eheschließung mit der Mutter begründetenStatus der Kl. nur mit einer Vaterschaftsanfechtungsklage nach § 61FGB oder mit der (vorgenommenen) Anfechtung der Vaterschafts-anerkennung hätte beseitigen können, (der Senat habe diese Fragebislang offen gelassen, vgl. Senatsurt. v. 24.3.1999, NJ 1999, 544 [bearb.v. Grandke] = FamRZ 1999, 778, 779). Der Bekl. sei durch Urteil desKreisG Dresden-Nord vom Aug. 1984 verpflichtet, Unterhalt an die Kl.zu zahlen. Das Urteil sei durch Beschluss des BezirksG Dresden vomOkt. 1984, mit dem die Berufung des Bekl. zurückgewiesen wurde,rechtskräftig geworden. Durch die Bindungswirkung dieses Urteils seider Bekl. mit dem Einwand, nicht Vater der Kl. und deshalb nichtunterhaltspflichtig zu sein, ausgeschlossen. Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1EV blieben rechtskräftige Urteile der Gerichte der DDR nach demBeitritt grundsätzlich wirksam.

§ 323 Abs. 1 ZPO schaffe als prozessualer Anwendungsfall derclausula rebus sic stantibus (so BGH 34, 110, 115 ff.) eine Möglichkeit,bei der Verurteilung zu wiederkehrenden Leistungen Abänderungs-klage auf Grund eingetretener Veränderungen zu erheben. Nur imRahmen dieser Änderungen sei eine solche des Urteils zulässig. DieVorschrift eröffne weder den Weg für eine neuerliche Wertung des altenSachverhalts noch für Einwendungen gegen den Grund des Anspruchs(so BGH, Urt. v. 16.5.1979, NJW 1979, 1656, 1657 = FamRZ 1979, 694).

Aus dem Ziel des § 323 Abs. 1 ZPO ergäben sich die Grenzen für denEinbruch in die Rechtskraft, den die Abänderungsklage zu bewirkenvermag. Selbst wenn die Grundlagen des Ersturteils möglicherweiseunrichtig beurteilt worden seien, könne das den Umfang der recht-lichen Bindung nicht beeinflussen, auch nicht aus Gründen derBilligkeit (so BGH, Urt. v. 16.5.1979, aaO, vgl. auch Senatsurt. v.8.12.1982, FamRZ 1983, 260 mwN).

Bzgl. der Verpflichtung des Bekl. dem Grunde nach, der Kl. Unter-halt zu leisten, habe sich seit Erlass des Ersturteils nichts geändert.Der Bekl. habe schon damals geltend gemacht, nicht der Vater der Kl.zu sein und seine Vaterschaftsanerkennung wirksam angefochten zu

haben. Damit habe sich das BezirksG befasst und im Ergebnis dennochdie Kl. als eheliches Kind des Bekl. statusrechtlich angesehen und ihndeshalb zum Unterhalt verpflichtet. Unabhängig von der Richtigkeitdieser Beurteilung könne sie vom Bekl. nicht mehr angegriffen werden.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der SenatsentscheidungBGHZ 98, 353, 360 ff., zu § 323 Abs. 2 ZPO. Danach gelte die für denKl. der Abänderungsklage angeordnete Präklusion von Abänderungs-gründen nicht ebenso für den Bekl. Dieser könne zur Verteidigung desErsturteils gegen das Abänderungsbegehren des Kl. auch solche Tat-sachen einbringen, die bereits während des Erstprozesses vorgelegenhaben, aber dort nicht vorgetragen worden waren. Doch auf dieseWeise verteidige der Bekl. das Ersturteil gerade nicht. Er räume die vomFamilienG vorgenommene Anpassung jedenfalls für die Zeit bis zum31.8.1998 ausdrücklich ein, hält aber das Ersturteil für falsch undsich dem Grunde nach nicht für unterhaltspflichtig. Dass eine solcheVerteidigung des Bekl. gegen das Ersturteil zulässig sei, ergebe sich ausder Senatsentscheidung BGHZ 98, 353, gerade nicht.

Den Vortrag der Kl., sie habe ab 1.9.1998 ein Lehrverhältnis begon-nen und erhalte im ersten Ausbildungsjahr 575 DM, im zweiten 775 DMund im dritten 875 DM Ausbildungsvergütung, habe das BerufungsGnicht beachtet, denn der Bekl. habe »dies nicht aufgegriffen undseinem Vortrag zu eigen gemacht«. Das halte einer rechtlichen Über-prüfung nicht stand. Die Kl., die wegen veränderter Verhältnisse eineErhöhung der im Ersturteil festgesetzen Unterhaltsrente begehrt,müsse darlegen, dass sie in Höhe des geltend gemachten Anspruchsbedürftig ist (§ 1602 Abs. 1 BGB). Angaben zu ihrem Einkommengehörten somit zur Schlüssigkeit der Klage. Sie seien bei der Entschei-dung in jedem Fall zu berücksichtigen unabhängig davon, ob der Bekl.sich den Vortrag zu eigen mache oder nicht. Auch sei es lebensfremdanzunehmen, dass der Bekl., der die Abweisung der Klage anstrebt,sich diesen Vortrag nicht stillschweigend zu eigen machen wollte.

Die Ausbildungsvergütung sei grundsätzlich bedarfsminderndanzurechnen (Senatsurt. v. 8.4.1981, FamRZ 1981, 541, 542 = NJW1981, 2462 mN). Deshalb könne das Urteil insoweit keinen Bestandhaben. Die abschließende Entscheidung durch das BerufungsG müssedie berufsbedingten Aufwendungen und sonstigen Mehrbedarfbeachten und klären, inwieweit das anrechnungsfähige Einkommender Kl. evtl. deren Mutter zugute komme. Für die Zeit nach derVolljährigkeit der Kl. sei der Unterhalt ohnehin neu zu berechnen.

Kommentar:Dem Urteil ist zuzustimmen. In Bezug auf den Rahmen, in dem der§ 323 ZPO eine Abänderung zulässt, wird die bisherige und wohl auchunstreitige Rspr. bestätigt.

Zur Vaterschaft selbst sei Folgendes angemerkt: Nach der Kommen-tarmeinung in der DDR konnte ein Mann, der die Vaterschaft aner-kannt und dann die Mutter des Kindes geheiratet hatte, nur dieVaterschaft nach § 61 FGB anfechten. Die im § 59 FGB geregelteAnfechtung der Anerkennung der Vaterschaft sollte auf Grund derhinzugetretenen Ehe nicht zulässig sein. (FGB-Komm. 1970, § 54Anm. 6, u. FGB-Komm. 1982, § 54 Anm. 4). Aus dem Gesetz direkt wardas aber nicht zu entnehmen. Der Hintergrund der Kommentierungwar die größere Strenge bei § 61 FGB in den Anforderungen an dieFeststellung der Nichtvaterschaft, was aber im vorliegenden Fall ohneBedeutung gewesen wäre. Da es bei § 59 wie § 61 FGB im Statusver-fahren um die Vaterschaft ging (eine Ehelichkeitsanfechtung kanntedas FGB nicht mehr), das KreisG der Klage nach § 59 FGB entsprochenhatte, das die Unwirksamkeit der Anerkennung feststellende Urteilrechtskräftig geworden war und auch keine Kassation erfolgt ist,hätte das Gericht bei Scheidung der Ehe davon ausgehen müssen.Die damalige Entscheidung war also tatsächlich fehlerhaft. Der BGHhat diese zu Recht unerörtert gelassen, weil sie im Verfahren nach§ 323 ZPO nicht beachtet werden kann.

Prof. Dr. Anita Grandke, Berlin

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Neue Justiz 10/2001538

� 02.6 – 10/01

Grundbuchberichtigung/Umwandlung einer Wirtschaftseinheit/Fonds-inhaberschaft/TeilflächeBGH, Urteil vom 23. Februar 2001 – V ZR 463/99 (OLG Naumburg)

TreuhG/DDR § 11 Abs. 2 Satz 2

Ist ein in Rechtsträgerschaft der Gemeinde stehendes Grundstücksowohl von einer Wirtschaftseinheit als auch von der Gemeindegenutzt worden, so hat die Umwandlung der Wirtschaftseinheit nichtden Übergang der gesamten Fläche des Grund und Bodens in dasEigentum der Kapitalgesellschaft bewirkt.

Die Kl. ist durch Umwandlung im Sommer 1990 aus dem VEB C. her-vorgegangen. Der VEB beantragte 1971 die Genehmigung zum Baueines Verwaltungsgebäudes auf einem Teil eines 6.464 qm großenGrundstück in S. (Flurstück 57/3). Auf dem Grundstück unterhieltdie Bekl. einen Kindergarten, der 1980/81 mit erheblichem Kosten-aufwand umgebaut wurde und den sie auch heute noch betreibt.Die Genehmigung wurde am 30.7.1971 mit der Auflage erteilt, vorBaubeginn das erforderliche Baugelände »in die Rechtsträgerschaftdes Investträgers« zu überführen. Dies unterblieb; der in Anspruchgenommene Geländeteil wurde lediglich durch einen Zaun zu dem»Kindergartengelände« abgeteilt. Das Gebäude wurde im Grundmit-telfonds des VEB geführt. Mit Vertrag v. 20.3.1992 verkaufte die THAihre Geschäftsanteile an der Kl. an eine Privatperson. Das Flurstück57/3 wurde 1992 durch Zuordnungsbescheid der Bekl. übertragen undsie als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen.

Die Kl. machte mit der Behauptung, sie sei nicht nur Eigentümerindes Gebäudes, sondern auch des gesamten Grundstücks 57/3, auf demdas Gebäude erbaut worden ist, einen Grundbuchberichtigungs-anspruch geltend. LG und OLG haben die Klage abgewiesen.

Die Revision der Kl. blieb ebenfalls erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen: I. Das BerufungsG verneint einen Grundbuchberichtigungsanspruch,weil die Kl. jedenfalls nicht Eigentümerin des gesamten Grundstücks sei.

Sie habe das Eigentum insbes. nicht gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 TreuhG imZuge der Umwandlung erlangt, weil nicht der VEB als ihr Rechtsvorgänger,sondern der Rat der Stadt S. Rechtsträger des Grundstücks, der VEB ledig-lich Fondsinhaber des aufstehenden Verwaltungsgebäudes gewesen sei.Dieser Fall sei im TreuhG nicht geregelt. Es sei deshalb unter Berücksich-tigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ein nach den Maßstäbender jeweils sachnahen gesetzlichen Regelungen zur Vermögenszuordnunginteressengerechter Ausgleich zwischen denjenigen herzustellen, dieAnspruch auf das Eigentum an früher volkseigenem Grund und Bodenerheben. Allenfalls dann, wenn ausschließlich der Fondsinhaber dasGrundstück eines kommunalen Rechtsträgers betrieblich genutzt habe,könne das Volkseigentum mit Umwandlung des Fondsinhabers bzw. mitIn-Kraft-Treten des TreuhG auf die aus ihm hervorgegangene Kapital-gesellschaft übergegangen sein. Hier habe aber das Grundstück nicht nurformal in Rechtsträgerschaft des Rats der Stadt S. gestanden, sondern dienebis heute infolge des Betriebs eines Kindergartens (jedenfalls auch) kom-munalen Zwecken. Das Volkseigentum an dem Grundstück sei deshalb inForm einer realen Teilung sowohl an die Kl. als auch an die Bekl. über-gegangen. Die Kl. habe daher nur Eigentum an der Teilfläche, auf der dasVerwaltungsgebäude stehe, erwerben können; das rechtfertige den auf dasGesamtgrundstück bezogenen Grundbuchberichtigungsanspruch nicht.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand. II. Der von der Kl. geltend gemachte Grundbuchberichtigungs-

anspruch gem. § 894 BGB besteht nicht, weil sie … jedenfalls nichtEigentümerin des gesamten Grundstücks ist.

Das BerufungsG geht zutreffend … davon aus, dass die Kl. Eigentuman dem früher volkseigenen Grundstück nur gem. § 11 Abs. 2 Satz 2TreuhG erworben haben könnte.

1. Die Vorschrift findet gem. § 23 TreuhG auf die aufgrund der VOv. 1.3.1990 zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrie-ben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften (GBl. I S. 107) ausdem VEB hervorgegangene Kl. Anwendung (Senatsurt. v. 17.11.2000,

NJ 2001, 531, in diesem Heft). Dem steht nicht entgegen, dass fürvolkseigene Grundstücke in Rechtsträgerschaft u.a. von Städten gem.§ 1 Abs. 5 TreuhG der Anwendungsbereich des TreuhG eingeschränktwird (so aber OLG Dresden, OLG-NL 1996, 178, 179; Teige/Rauch, VIZ1996, 728, 729). § 1 Abs. 5 TreuhG bestimmt lediglich, dass »dieVorschriften dieses Paragraphen« nicht für volkseigenes VermögenAnwendung finden, dessen Rechtsträger u.a. Städte sind. Daraus folgtnicht, dass solche Grundstücke dem Anwendungsbereich des TreuhGgenerell entzogen sind, sondern nur, dass sie nicht dem Privatisie-rungsgebot durch die THA unterfielen (BVerwG, VIZ 1999, 529, 531 =NJ 1999, 328 [bearb. v. Gruber]; Gehling, VIZ 1997, 459, 462; Höhner,VIZ 1996, 730, 731). Auch ist ein Eigentumserwerb zugunsten der Kl.nicht schon nach § 1 Abs. 1 Satz 2 u. 3 TreuhG ausgeschlossen. Kom-munalen Aufgaben dienendes Vermögen ist nicht kraft Gesetzes vonder Privatisierung ausgenommen oder mit quasi-dinglicher Bindungs-wirkung der Kommunalisierung vorbehalten (BVerwG, … VIZ 1999,529, 531; Busche, Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen inder ehemaligen DDR [RVI], § 1 TreuhG Rn 14).

2. Die Revision räumt ein, dass § 11 Abs. 2 TreuhG den hier gege-benen Fall des Auseinanderfallens von Rechtsträgerschaft an Grundund Boden und Fondsinhaberschaft an aufstehenden Gebäuden nichtregelt. Mit ihrem Einwand, entgegen der Ansicht des BerufungsG habesich hierfür die Rechtsauffassung durchgesetzt, dass das Eigentum anin der Rechtsträgerschaft einer anderen Wirtschaftseinheit stehendemGrund und Boden dann der Fondsinhaberschaft an den aufstehendenGebäuden folge, vermag sie im vorliegenden Fall nicht durchzudringen.

a) Sinn und Zweck des TreuhG ist, die unternehmerische Tätigkeitdes Staats durch Privatisierung der Wirtschaftsgüter zurückzuführen,die Wettbewerbsfähigkeit der bisher volkseigenen Unternehmenherzustellen, den schon vor der Umwandlung genutzten Grund undBoden sowie das Betriebsvermögen für wirtschaftliche Zwecke bereit-zustellen und so der umgewandelten Wirtschaftseinheit die Grundlagefür die unternehmerische Tätigkeit und ihre Wettbewerbsfähigkeit zusichern (Senat, Urt. v. 9.1.1998, VIZ 1998, 259, 262 = NJ 1998, 533[Leits.]; BVerwGE 97, 31, 35 = NJ 1995, 336 [Leits.]; BVerwG, VIZ 1999,529, 530). Mit der in § 11 Abs. 2 TreuhG vorgesehenen Zuordnungsollte auch die Trennung von Grund- und Gebäudeeigentum auf-gehoben werden (Senat, aaO).

b) Das BVerwG hat aus der primär marktwirtschaftlichen Zielset-zung des TreuhG den Schluss gezogen, dass bei einem Auseinander-fallen von Rechtsträgerschaft und Fondsinhaberschaft und einerNutzung des Grundstücks ausschließlich zu betrieblichen Zwecken desFondsinhabers das Eigentum an dem Grundstück auf die im Zuge derUmwandlung nach dem TreuhG aus dem Fondsinhaber hervorgegan-genen Kapitalgesellschaft übergegangen ist (BVerwGE 97, 31).

c) In Lit. und Rspr. wird der Fall des Auseinanderfallens von Rechts-trägerschaft und Fondsinhaberschaft unterschiedlich beurteilt. Teil-weise wird die Auffassung vertreten, die Fondsinhaberschaft sei zubevorzugen und bewirke prinzipiell den Eigentumsübergang fremderRechtsträgergrundstücke auf den Fondsinhaber (OLG Naumburg, VIZ1994, 558, 560; Bausch, RVI, SystDarst VIII Rn 20; Knüpfer, WiR 1992,181, 184; Kroker/Teige, VIZ 2000, 199; Lambsdorff/Stuth, VIZ 1992,348, 351 f.; Mutter/Tobuschat, DZWir 1994, 300, 303; Teige, VIZ 1994,58, 61; ders., VIZ 1998, 658, 659; Teige/Rauch, VIZ 1996, 728, 729;Schmitt-Habersack, in: Kimme, Offene Vermögensfragen, § 11 TreuhGRn 19, aber differenzierend für große Grundstücke in Rn 22). AndereAutoren wollen den Eigentumsübergang vorrangig an die Rechtsträger-schaft anknüpfen (Busche, RVI, § 11 TreuhG Rn 12; ders. VIZ 1999, 505,511; Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht in den neuen Bundesländern,2. Aufl., S. 836; Schmidt-Räntsch/Hiestand, ZIP 1993, 1749, 1751).

d) In seinem Urt. v. 9.1.1998 (aaO) hat der Senat für den Fall, dassein Gebäude auf einem volkseigenen Grundstück einer Wirtschafts-einheit überlassen wird, während der Boden von mehreren Fonds-inhabern oder Nutzern gemeinsam genutzt wird und eine Grund-

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539Neue Justiz 10/2001

stücksteilung zu aufwendig, technisch unmöglich oder aus anderenGründen unzweckmäßig ist, entschieden, dass dann im Hinblick aufdie Regelung des § 3 Abs. 5 Satz 2 DDR-AO über die Rechtsträgerschaftan volkseigenen Grundstücken (v. 7.7.1969, GBl. II S. 433), wonachder Fondsinhaber in diesen Fällen alle Rechte und Pflichten einesRechtsträgers erhält, der Fondsinhaberschaft der Vorrang gebührt undBruchteilseigentum entstehe.

e) Im vorliegenden Fall verhilft der Revision eine Anknüpfung andie Fondsinhaberschaft der Rechtsvorgängerin der Kl. jedoch nicht zudem von ihr gewünschten Erfolg. Denn eine entsprechende Anwen-dung des § 11 Abs. 2 Satz 2 TreuhG muss dem Sinn und ZweckRechnung tragen. Grundlage für die wirtschaftliche Betätigung derRechtsvorgängerin der Kl. war – im Unterschied zu dem der Entschei-dung des BVerwG, BVerwGE 97, 31, zugrunde liegenden Sachverhalt– von Anfang an nicht das gesamte Grundstück, sondern nur eineTeilfläche, während auf der übrigen Fläche bereits seit 1960 einkommunaler Kindergarten betrieben wurde. Um der umgewandeltenWirtschaftseinheit die Aufrechterhaltung des Betriebs zu sichern, istdeshalb gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 TreuhG allenfalls die Zurechnung deshierfür notwendigen Grundstücksanteils für das Verwaltungsgebäude,nicht aber des gesamten Grundstücks zweckentsprechend und gerecht-fertigt. Das entspricht im Übrigen … dem in § 2 Abs. 2 der 5. DVO(v. 12.9.1990, GBl. I S. 1466) enthaltenen Rechtsgedanken, wonachvolkseigene Grundstücke, die zugleich durch Wirtschaftseinheiten inRechtsträgerschaft und auf Grundlage eines unbefristeten Nutzungs-vertrags bewirtschaftet wurden, in dem im Nutzungsvertrag bezeich-neten Umfang als geteilt gelten. Lässt sich eine Realteilung nicht vor-nehmen, ist es möglich, Bruchteilseigentum der Nutzer entstehen zulassen (vgl. Senat, Urt. v. 9.1.1998, aaO, S. 262; Lambsdorff/Stuth, VIZ1992, 348, 352). Auf die von der Revision in diesem Zusammenhangaufgeworfene Frage, ob die Bekl. im Rahmen der Kommunalisierunggem. Art. 21, 22 EV und nicht über § 11 Abs. 2 Satz 2 TreuhG Eigentuman dem Grundstück erworben haben kann, kommt es mithin nicht an.Umgekehrt steht einem teilweisen Eigentumsübergang aber jedenfallsnicht entgegen, dass die Teilflächen bisher noch unvermessen unddamit rechtlich unselbständig sind (BVerwG, VIZ 1999, 529, 531; Kortz,ZOV 1999, 182, 184; Kroker/Teige, VIZ 2000, 199).

� 02.7 – 10/01

Pflichtteilsergänzungsanspruch/Grundstücksschenkung in der DDRBGH, Urteil vom 7. März 2001 – IV ZR 258/00 (OLG Brandenburg)

BGB §§ 2325 Abs. 1, 2329 Abs. 1 Satz 1; EGBGB Art. 235 § 1

§§ 2325, 2329 BGB sind auch auf Schenkungen anzuwenden, die einnach der Einigung Deutschlands verstorbener Erblasser in der ehem.DDR unter der Geltung des ZGB vorgenommen hatte.

Problemstellung:Die Kl. verlangt Schadensersatz vom Bekl., der sie bei der Verfolgungvon Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen als Anwaltvertreten hat. Die Kl. ist eine Tochter des am 24.6.1992 gestorbenenErblassers. Dieser setzte durch Testament einen nicht von ihmabstammenden Erben ein und verschenkte mit notariellen Verträgenv. 28.6. und 28.9.1990 im Gebiet der DDR gelegene Grundstücke anein Ehepaar. Die Beschenkten wurden am 13.11.1991 u. 24.6.1992als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Eine Klage gegen denAlleinerben auf Pflichtteilsergänzung wegen dieser Grundstücks-schenkungen wurde abgewiesen, weil der Anspruch verjährt sei.

Der daraufhin von der Kl. gegen den Bekl. erhobenen Klage auf Zah-lung eines der Pflichtteilsquote der Kl. entsprechenden Teils des Wertsder verschenkten Grundstücke wurde durch das LG stattgegeben.

Das BerufungsG wies die Klage jedoch mit der Begründung ab, dass,selbst wenn Schenkungen, die der Erblasser noch unter der Herrschaft

des ZGB gemacht hat, zu Ansprüchen aus §§ 2325, 2329 BGB führenkönnten, Pflichtteilsergänzungsansprüche hier nicht in Betrachtkämen, da die Kl. im Zeitpunkt der vorgenommenen Schenkungennicht pflichtteilsberechtigt gewesen sei.

Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils undzur Zurückverweisung der Sache an das BerufungsG, das nun insbes.der Frage der anwaltlichen Pflichtverletzung nachzugehen hat.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Der nach dem 3.10.1990 gestorbene Erblasser wird nach dem BGBbeerbt (Art. 235 § 1 EGBGB). Deshalb kommt es für die Pflichtteils-berechtigung der Kl. nicht auf das ZGB, sondern auf § 2303 Abs. 1Satz 1 BGB an. Danach genügt, dass sie ein (durch Verfügung vonTodes wegen von der Erbfolge ausgeschlossener) Abkömmling desErblassers ist. Eine Unterhaltsberechtigung gegenüber dem Erblasserist nicht erforderlich. Dementsprechend kann es auch für den Schutz-bereich des § 2325 Abs. 1 BGB nur darauf ankommen, ob die Kl. imZeitpunkt der Schenkung bereits die Tochter des Erblassers war. Das istunstreitig.

Dass dem Erblasser bei Abschluss der Schenkungsverträge einespätere Pflichtteilsberechtigung der Kl. möglicherweise nicht klargewesen ist, weil das BGB in der ehem. DDR noch nicht in Kraftgetreten war, und dass auch die Kl. aus diesem Grunde damals nochnicht mit einer Beteiligung an den verschenkten Vermögenswertengerechnet haben könnte, ist nicht entscheidend: § 2325 Abs. 1 BGBwirkt objektiv und führt zu einer Art Wiedereinsetzung in den vorigenStand (BGH, NJW 1997, 2676 = NJ 1998, 85 [bearb. v. Lüdecke] ).

Der Senat hat allerdings in einem Beschl. v. 14.12.1994 (ZEV 1995,335 = FamRZ 1995, 420; dazu krit. Kummer, ZEV 1995, 319) für frag-lich gehalten, ob Schenkungen, die ein Erblasser vor dem 3.10.1990in der DDR vorgenommen hat, beim Tod des Erblassers nach dem3.10.1990 der im ZGB nicht vorgesehenen Pflichtteilsergänzungunterliegen. An den damals bestehenden Bedenken hält der Senatnach erneuter Sachprüfung jedenfalls im Hinblick auf den hier zubeurteilenden Fall nicht fest.

Aus Art. 235 § 1 EGBGB lassen sich Einschränkungen der Anwend-barkeit des BGB auf Erbfälle nach dem 3.10.1990 nicht entnehmen.Zu der Parallelvorschrift des Art. 213 EGBGB hat das RG entschieden,dass bei einem nach Einführung des BGB gestorbenen Erblasser die§§ 2325, 2329 BGB auch auf Schenkungen anzuwenden sind, dievor dem 1.1.1900 unter der Herrschaft eines Rechts vorgenommenwurden, das eine solche Pflichtteilsergänzung nicht kannte (RGZ 58,124).

b) Nach der Rspr. des BVerfG ist die tatbestandliche Anknüpfungeiner Rechtsnorm an Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkün-dung (»unechte« Rückwirkung) grundsätzlich zulässig, stößt aber – jenach dem Gewicht der gegenläufigen schutzwürdigen Interessen,insbes. des Vertrauens in den Bestand der geltenden Rechtslage – aufdurch Abwägung zu ermittelnde Grenzen, die sich letztlich aus demGrundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben (BVerfGE 92, 277, 325 =NJ 1995, 363; BVerfGE 97, 67, 78 = NJW 1998, 1547, 1548). SoweitPflichtteilsergänzungsansprüche die Erberwartungen des eingesetztenErben schmälern (und insofern auch die Testierfreiheit des Erblassersbeschränken), überwiegt gegenüber dem – auch vom ZGB nichtgeschützten – Vertrauen auf den uneingeschränkten Bestand letzt-williger Verfügungen das Anliegen des Gesetzgebers an der Einheit derRechtsordnung nach der Einigung Deutschlands (so auch OLGDresden, ZEV 1999, 272; Schubel-Wiedenmann, JZ 1995, 858, 864 f.).Stärker betroffen ist dagegen ein Beschenkter, der unter dem ZGBunangreifbar Eigentum erworben hatte (für seinen Schutz vorPflichtteilsergänzungsansprüchen Schubel-Wiedenmann, aaO, S. 866;Kuchinke, DtZ 1996, 194, 199). Auch für ihn gilt jedoch, dass erunentgeltlich erworben hat; eine Folge der Schwäche des unentgelt-lichen Erwerbs ist der Anspruch aus § 2329 BGB (MünchKomm-Frank,

Bürger l i ches Recht

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§ 2325 Rn 10a; MünchKomm-Leipold, Art. 235 § 1 EGBGB Rn 42).Diese Belastung des Beschenkten wird gemildert durch das Recht, dieHerausgabe des Geschenks durch Zahlung des fehlenden Betrags abzu-wenden (§ 2329 Abs. 2 BGB); für dessen Berechnung kommt es gem.§ 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB auf den Wert im Zeitpunkt der Schenkungan, wenn der Wert in diesem Zeitpunkt geringer ist als im Zeitpunktdes Erbfalls. Das trifft im Allgemeinen bei Grundstücksschenkungenin der ehem. DDR zu und führt zu weit unter dem Verkehrswert nachder Einigung Deutschlands liegenden Beträgen (vgl. BGH, Beschl. v.14.12.1994, aaO). Bei dieser Sachlage sind die Folgen, die sich für denBeschenkten aus der Einführung von §§ 2325 ff. BGB in den neuenBundesländern ergeben, im Hinblick auf die große Bedeutung dervom Gesetzgeber erstrebten Rechtseinheit hinzunehmen.

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass sich der Eigentumserwerbder Beschenkten erst nach dem 3.10.1990 durch Eintragung im Grund-buch vollendet hat. Schon bei Abschluss der Schenkungsverträgev. 28.6. u. 28.9.1990 konnte auf das uneingeschränkte Fortbestehendes ZGB nicht mehr vertraut werden. Der Vertrag zwischen derBundesrepublik Deutschland und der DDR über die Herstellung derEinheit Deutschlands, der das In-Kraft-Treten des Bundesrechts in denneuen Ländern vorsah, ist am 31.8.1990 abgeschlossen worden.

Kommentar:1. In der Lit. (u.a. Schube-Wiedenmann, aaO; Kuchinke, aaO; Fass-bender, DNotZ 1994, 359) war die nun höchstrichterlich entschiedeneFrage, ob Schenkungen, die der Erblasser vor dem 3.10.1990 in derDDR vorgenommen hat, der im ZGB nicht vorgesehenen Pflichtteils-ergänzung unterliegen, umstritten. In seinem Beschl. v. 14.12.1994(aaO) hatte der BGH diese Frage offen gelassen. Die instanzgerichtlicheRspr. war uneinheitlich. So hat das OLG Rostock (ZEV 1995, 333)die §§ 2325, 2329 BGB ohne nähere Begründung uneingeschränktangewandt. Das OLG Jena (OLG-NL 1999, 110) hat entschieden, dass§ 2329 BGB auf eine Schenkung, die vor dem 3.10.1990, vollzogenwurde, keine Anwendung findet. Eine Anwendung der Vorschriftwürde die Verletzung des Vertrauens- und Bestandsschutzes, demdie Überleitungsvorschriften gerade dienen sollen, bewirken. KeineVerletzung des Vertrauensschutzes sah es jedoch in dem Fall gegeben,wo die Grundbucheintragung erst nach dem 3.10.1990 erfolgt war(OLG-NL 1999, 108). In dieselbe Richtung geht auch ein Urteil desOLG Dresden (NJ 1999, 432).

2. Gem. Art. 235 § 1 EGBGB finden auf Erbfälle nach dem 3.10.1990die Vorschriften des BGB Anwendung. Dies gilt grundsätzlich auch fürdas Pflichtteilsrecht und damit den Pflichtteilsergänzungsanspruch.Nach der Rspr. des BGH (NJ 1998, 85 [bearb. v. Lüdecke]) erfasst derSchutzzweck dieses Anspruchs aber nur denjenigen, der zum Zeit-punkt des Schenkungsversprechens schon Pflichtteilsberechtigter war.Vorliegend stellt der BGH ohne weitere Begründung für die Pflicht-teilsberechtigung nicht auf das ZGB, sondern auf das BGB ab, um diesezu bejahen. Dies ist aus zwei Gründen zu kritisieren:

Bei der Frage der Pflichtteilsberechtigung zum Zeitpunkt des Schen-kungsversprechens ist, da es sich um einen abgeschlossenen Vorganghandelt, auf das zu dieser Zeit geltende Recht abzustellen. Art. 235 § 1EGBGB betrifft nur noch nicht abgeschlossene Vorgänge. Es handeltsich hier um ein Substitutionsproblem, d.h. es ist zu fragen, ob die Kl.nach dem ZGB eine der Pflichtteilsberechtigung des BGB vergleichbareStellung innehatte. Im Übrigen widerspricht der BGH der von ihm fürdas Erfordernis der Pflichtteilsberechtigung gegebenen Begründung,wonach Ziel der Schutz des Bestands im Zeitpunkt der Schenkung sei.Ist zu diesem Zeitpunkt kein Pflichtteilsberechtigter vorhanden, danndarf der Beschenkte vorbehaltlos auf den Bestand der Schenkungvertrauen. Bei Anwendung dieses Grundsatzes wäre also ebenfallsdas ZGB zu befragen. Gem. § 396 Abs. 1 ZGB war nur der Ehegatte injedem Fall pflichtteilsberechtigt; Kindern, Eltern und Enkeln stand einAnspruch nur bei Unterhaltsberechtigung im Zeitpunkt des Erbfalls

zu. Mangels Sachverhaltsangaben kann die Frage der Pflichtteils-berechtigung nicht eindeutig beantwortet werden. Es spricht jedochvieles dafür, dass die Kl. nach dem ZGB nicht pflichtteilsberechtigt war.Der BGH hätte daher die Revision aus diesem Grunde abweisenmüssen. Oder sollte sich hier eine allmähliche Distanzierung vomErfordernis der Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt der Schenkung,wie von der Lit. (vgl. Otte, ZEV 1997, 375; Tiedtke, DNotZ 1998, 85)gefordert, abzeichnen?

3. Intensiv setzt sich der Senat mit der verfassungsrechtlichenProblematik der »unechten« Rückwirkung auseinander. Zuzustim-men ist ihm insofern, als das Anliegen des Gesetzgebers an derEinheit der Rechtsordnung nach der Einigung Deutschlands gegen-über den geschmälerten Erberwartungen des eingesetzten Erbenüberwiegt. Die Erberwartung wurde auch unter dem ZGB nichtgeschützt.

Nicht zu folgen ist jedoch seiner Argumentation hinsichtlich desBeschenkten. Hat ein Beschenkter unter dem ZGB unangreifbarEigentum erworben, fällt er unter den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG.Das Interesse an Rechtseinheit und ein Hinweis auf die Schwäche desunentgeltlichen Erwerbes können diesen Schutz nicht ohne weitereseinschränken (vgl. auch OLG Jena, aaO, S. 110). Hinzukommenmüssen weitere Aspekte, die den Vertrauensschutz des Beschenktenerschüttern, wie z.B. die Tatsache, dass der Abschluss der Schen-kungsverträge zu einem Zeitpunkt erfolgte, in dem auf das uneinge-schränkte Fortbestehen des ZGB nicht mehr vertraut werden konnte.Vorliegend kam es darauf jedoch nicht an, da die Grundbucheintra-gung erst nach dem 3.10.1990 erfolgt war.

4. Einer weiteren Klärung bedarf die Berechnung des Pflichtteils-ergänzungsanspruchs. Unstreitig findet das NiedrigstwertprinzipAnwendung. Grundsätzlich ist für die Bestimmung des Werts zumZeitpunkt der Schenkung auf die Grundbucheintragung abzustellen(BGHZ 65, 75; OLG Dresden, ZEV 1999, 272). Angesichts der z.T.ungewöhnlich langen Zeiträume zwischen Einigung und Eintragunghat das OLG Jena (OLG-NL 1999, 108) darauf hingewiesen, dass zuerwägen wäre, ob als maßgeblicher Zeitpunkt nicht ein früheresDatum anzunehmen sei. Der BGH (ZEV 1995, 335) hat hingegenbetont, dass angesichts der in der ehem. DDR sehr niedrigen offiziellenGrundstückswerte den Interessen des Pflichtteilsberechtigten unterdem Gesichtspunkt eines höheren »inneren« Werts bei erkennbarvorübergehenden Preisbegrenzungen geholfen werden könne. Imvorliegenden Urteil benutzt der Senat den Verweis auf die niedrigenGrundstückswerte dazu, um zu begründen, dass die Lasten desBeschenkten im Hinblick auf die große Bedeutung der Rechtseinheithinzunehmen sind. Auch dies wird bei der Suche nach einemAusgleich zwischen den Interessen des Beschenkten und denen desPflichtteilsberechtigten zu beachten sein.

Jana Essebier, wiss. Mitarbeiterin, Universität Potsdam

� 02.8 – 10/01

Bürgschaft/formularmäßige weite ZweckerklärungBGH, Urteil vom 29. März 2001 – IX ZR 20/00 (OLG Brandenburg)

BGB § 765; AGBG § 9

a) Eine formularmäßige weite Zweckerklärung ist auch dannregelmäßig unwirksam, wenn der Bürge eine juristische Person ist. b) Zur Haftung des Bürgen für zukünftige Forderungen gegen denHauptschuldner trotz Unwirksamkeit der formularmäßigen weitenZweckerklärung.

� 02.9 – 10/01

Bürgschaft auf erstes Anfordern/Vorlage von UrkundenBGH, Urteil vom 26. April 2001 – IX ZR 317/98 (OLG Naumburg)

Rechtsprechung Bürger l i ches Recht

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541Neue Justiz 10/2001

BGB § 765

Wird in einer Bürgschaft auf erstes Anfordern die Vorlage einerschriftlichen Bestätigung des Hauptschuldners über ihm erbrachteLeistungen vorausgesetzt, braucht der Bürge ohne Vorlage einersolchen Urkunde grundsätzlich auch dann nicht zu leisten, wenn derHauptschuldner – eine GmbH – inzwischen wegen Vermögenslosig-keit im Handelsregister gelöscht worden ist.

� 02.10 – 10/01

Grundstückskaufpreis/landwirtschaftlicher VerkehrswertBGH, Beschluss vom 27. April 2001 – BLw 14/00 (OLG Dresden)

GrdstVG § 9 Abs. 1 Nr. 3

Bei der Feststellung, ob der für ein Grundstück vereinbarte Kaufpreisin einem groben Missverhältnis zu seinem landwirtschaftlichen Ver-kehrswert steht, ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen,wenn der Antrag auf Genehmigung erst erhebliche Zeit nachAbschluss des Kaufvertrags gestellt worden ist.

Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag v. 4.12.1991 verkaufte derBeteiligte zu 2 dem Beteiligten zu 1 zur Bebauung ein landwirtschaft-lich genutztes Grundstück mit etwa 3,7 ha Größe für 449.520 DM(12 DM/qm). Am 25.8.1994 beantragte der Urkundsnotar die Geneh-migung des Vertrags bei der beteiligten Behörde. Diese erließ am1.9.1994 einen Zwischenbescheid zur Verlängerung der in § 6 Abs. 1Satz 1 GrdstVG bestimmten Frist, um der Sächsischen L. GmbH dieEntscheidung über die Ausübung ihres Vorkaufsrechts nach demReichssiedlungsG (RSiedlG) zu ermöglichen. Am 24.10.1994 erklärtedie Sächsische L. GmbH, von ihrem Vorkaufsrecht keinen Gebrauchzu machen. Im Genehmigungsverfahren bekundeten drei Landwirteund ein Agrarunternehmen Interesse am Erwerb des Grundstücks zueinem Preis zwischen 1 und 5 DM/qm.

Mit Bescheid v. 17.11.1994 hat die beteilige Behörde die Erteilungder beantragten Genehmigung abgelehnt. Hiergegen stellte der Betei-ligte zu 1 Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Das LandwirtschaftsG hat die Genehmigung erteilt.Auf die Beschwerde der beteiligten Behörde und des Regierungs-

präsidiums C. hat das OLG die Entscheidung des LandwirtschaftsGaufgehoben und den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückge-wiesen, weil der Kaufvertrag v. 4.12.1991 nicht genehmigungsfähig sei.Die Genehmigung könne nicht erteilt werden, weil der vereinbarteKaufpreis in einem groben Missverhältnis zum Wert des Grundstücksstehe. Der angemessene Preis für das Grundstück betrage allenfalls1,30 DM/qm, seit die Gemeinde W. ihre Absicht aufgegeben habe, dasGrundstück als Baugebiet auszuweisen.

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 u. 2 hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen: III. 1. … Gegenstand des Kaufvertrags ist ein landwirtschaftlichgenutztes Grundstück. Verkauf und Auflassung des Grundstücks sinddaher gem. § 2 Abs. 1 GrdstVG genehmigungspflichtig. Da das Grund-stück mehr als 0,5 ha groß ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 SächsAGGrdstVG[SächsGVBl. 1994, 1252], § 2 der VO über die Bestimmung derFreigrenze nach dem LandpachtverkehrsG und der Mindestgröße derdem siedlungsrechtlichen Vorkaufsrecht unterliegenden Grund-stücke [SächsGVBl. 1994, 689]), hatte die beteilige Behörde gem. § 6Abs. 1 Satz 2, § 12 GrdstVG die Entscheidung der Siedlungsbehörde,des Staatlichen Amts für landwirtschaftliche Neuordnung Wu.,über die Ausübung des Vorkaufsrechts einzuholen. Siedlungsunter-nehmung iSv § 1 Abs. 1 RSiedlG ist die Sächsische L. GmbH. Obdiese bei Abschluss des Kaufvertrags am 11.12.1991 in das Handels-register eingetragen war, ist für die Wirksamkeit der Verlängerung der

Entscheidungsfrist durch den Zwischenbescheid v. 1.9.1994 ohneBedeutung.

2. Die Entscheidung des BeschwerdeG ist auch insoweit nicht zubeanstanden, als sie zwischen dem heutigen Wert des Grundstücksund dem vereinbarten Kaufpreis ein grobes Missverhältnis feststelltund daher den Vertrag v. 4.12.1991 gem. § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG alsnicht genehmigungsfähig ansieht.

a) Ein Missverhältnis liegt vor, wenn der vereinbarte Kaufpreis denWert des Grundstücks erheblich übersteigt. Übersteigt der vereinbarteVertragspreis den landwirtschaftlichen Verkehrswert um mehr als50%, ist i.d.R. von einem groben Missverhältnis iSv § 9 Abs. 1 Nr. 3GrdstVG auszugehen (Senat, Beschl. v. 2.7.1968, V BLw 9/68, NJW1968, 2057, 2058; OLG Frankfurt, RdL 1955, 309; Lange, GrdstVG,§ 9 Anm. 5a; Pikalo/Bendel, GrdstVG, § 9, S. 605). Zur Feststellung desMissverhältnisses ist der Kaufpreis dem landwirtschaftlichen Verkehrs-wert gegenüberzustellen. Landwirtschaftlicher Verkehrswert ist derWert, der bei einem Verkauf von einem Landwirt an einen anderenLandwirt durchschnittlich erzielt wird (Senat, Beschl. v. 2.11.1957,RdL 1958, 14). Handelt es sich bei dem verkauften Grundstück umBauerwartungsland, ist eine hierdurch bewirkte Wertsteigerung auchbei einem Verkauf unter Landwirten zu berücksichtigen, weil auchunter Landwirten eine absehbare Möglichkeit, ein Grundstück alsBaugrundstück zu nutzen, zu einer Preissteigerung führt (Senat,Beschl. v. 2.7.1968, aaO; …; Pikalo/Bendel, aaO, § 9, S. 599).

Hierzu hat das BeschwerdeG festgestellt, dass bei Abschluss desVertrags der landwirtschaftliche Verkehrswert des Grundstücks nichterheblich hinter dem vereinbarten Kaufpreis zurückblieb, weil dieGemeinde W., der die Planungshoheit zukam, seinerzeit beabsichtigte,das Grundstück in einem Flächennutzungsplan als Bauland auszu-weisen. Damit kam dem Grundstück bei Abschluss des Kaufvertragsdie Qualität von Bauerwartungsland zu. Ein Flächennutzungsplan mitdiesem Inhalt wurde jedoch nicht beschlossen. Im Gegenteil, dieGemeinde hob im Sept. 1992 ihre Beschlüsse zur Aufstellung einesFlächennutzungsplans dieses Inhalts auf. Folge hiervon ist, dass demGrundstück seither die Qualität von Bauerwartungsland nicht mehrzukommt und sein Verkehrswert nach den rechtsfehlerfrei getroffenenFeststellungen des OLG auf allenfalls 1,30 DM/qm gesunken ist.

b) Hierauf ist für die Entscheidung abzustellen. Ziel des GrdstVG istes, zur Verbesserung der Agrarstruktur beizutragen (…). Die zurVeräußerung landwirtschaftlich genutzter Grundstücke notwendigeGenehmigung kann daher nicht erteilt werden, wenn der vereinbartePreis den Ertragswert des Grundstücks weit übersteigt und der Mehr-preis nicht durch die Erwartung gerechtfertigt ist, das Grundstückwerde in absehbarer Zeit bebaubar werden. Zu einem derartigen Preiseinen Kaufvertrag zu schließen, ist kein Landwirt bereit. Steht fest, dassdie der Preisvereinbarung im Kaufvertrag zugrunde liegende Annahme,das Grundstück werde in absehbarer Zeit bebaubar sein, fehl geht,scheidet daher eine Genehmigung des Vertrags aus, wenn der verein-barte Kaufpreis in einem groben Missverhältnis zum landwirtschaft-lichen Verkehrswert des Grundstücks steht.

Daran ändert sich nicht dadurch etwas, dass bei zeitnaher Antrags-stellung die Genehmigung zu erteilen gewesen wäre, weil innerhalbdes der Behörde für die Entscheidung zustehenden Zeitraums (§ 6Abs. 1 GrdstVG) das Ausbleiben der Bebaubarkeit nicht bekanntgeworden wäre (Pikalo/Bendel, aaO, § 9, S. 549, 569; …). Bei derPrüfung der Frage, ob der vereinbarte Kaufpreis in einem grobenMissverhältnis iSv § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG zum landwirtschaftlichenVerkehrswert steht, ist nach dem Beschluss des Senats v. 2.7.1968(V BLw 10/68, RdL 1968, 205, 206) zwar grundsätzlich von dem Preisauszugehen, der für Grundstücke gleicher Art und Lage im Zeitpunktdes Vertragsschlusses bezahlt wird. Ob hieran festzuhalten ist, kanndahin gestellt bleiben. Wird der Genehmigungsantrag erst lange nachAbschluss des Vertrags gestellt (hier 2 3/4 Jahre) und hat sich zwischen-zeitlich das Preisgefüge wesentlich geändert, kann zur Feststellung

Bürger l i ches Recht

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Neue Justiz 10/2001542

eines Missverhältnisses zwischen dem vereinbarten Preis und demlandwirtschaftlichen Verkehrswert nicht auf einen nicht mehr reali-sierbaren Wert abgestellt werden. Einen derartigen Wert zum Krite-rium der Frage zu machen, ob die Genehmigung zu erteilen ist, läuftdem Ziel des GrdstVG zuwider, die Agrarstruktur zu schützen. Zumin-dest im Falle verzögerter Antragstellung findet der allgemeine Grund-satz Anwendung, dass nach dem Sach- und Rechtsstand im Zeitpunktder Entscheidung der Behörde bzw. der letzten mündlichen Verhand-lung des Gerichts zu befinden ist (vgl. … MünchKomm-BGB/Schwab,3. Aufl., § 1828 Rn 16; Soergel/Zimmermann, BGB, 13. Aufl., § 1828Rn 8; Eyermann/Schmidt, VwGO, 11. Aufl., § 113 Rn 45; Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., § 113 Rn 217). Die gegenteilige Auffassungder Rechtsbeschwerde hätte zur Folge, dass ein Rechtsgeschäft wirk-sam würde, das mit dem Zweck der vom GrdstVG angeordnetenGenehmigungsbedürftigkeit offensichtlich nicht zu vereinbaren ist.

� 02.11 – 10/01

Landwirtschaftsanpassung/maßgebliche Bilanz für LPG-Abfindungs-ansprücheBGH, Beschluss vom 27. April 2001 – Blw 27/00 (OLG Jena)

LwAnpG § 44 Abs. 6

1. § 44 Abs. 6 LwAnpG setzt voraus, dass es sich bei der ordentlichen Bilanznach Beendigung der Mitgliedschaft um eine solche der LPG handelt.2. Folgt dem Ausscheiden des Mitglieds keine ordentliche Bilanz mehr,weil die LPG inzwischen umgewandelt wurde, so ist auf die Umwand-lungsbilanz abzustellen.

Problemstellung:Der Ast. ist 1965 in die LPG H. eingetreten, in die er landwirtschaftlicheNutzflächen und einen Inventarbeitrag von 8.820 DM eingebracht hat.Aus der LPG H. ging später die LPG »F.« R. hervor. Mit am selben Tagbei dieser LPG eingegangenen Schreiben v. 19.11.1991 kündigte derAst. seine Mitgliedschaft und forderte seinen Inventarbeitrag zurück.Zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt erhielt er eine Zahlung von9.064 DM. Die LPG wandelte sich mit Beschl. v. 2.12.1991 in die Agrar-gesellschaft R. mbH um, die am 22.12.1992 in das Handelsregistereingetragen wurde. Später wurde diese GmbH in die Ag. umgewandelt.

Der Ast. meint, ihm stünden weitere Abfindungsansprüche i.H.v.13.856 DM zu. Seinen auf Zahlung dieses Betrags neben Zinsengerichteten Antrag hat das LandwirtschaftsG zurückgewiesen. Seinesofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Das BeschwerdeG gingdavon aus, dass dem Ast. an sich Abfindungsansprüche in der geltendgemachten Höhe zustünden, jedoch sei das Eigenkapital der Ag. nichtausreichend, um die Ansprüche zu befriedigen. Auszugehen seinämlich von der Bilanz zum 31.12.1992, aus der sich ein Eigenkapitalvon 569.706,44 DM ergebe, dem indes Gesamtinventarbeiträge von782.882,45 DM gegenüberstünden. Unter Berücksichtigung dessenkönne der Ast. auf seine Ansprüche nur mit einer Quote von 72,77%bedacht werden. Die an ihn geleistete Zahlung übersteige bereits densich daraus ergebenden Betrag.

Die Rechtsbeschwerde des Ast. führte zur Aufhebung der Entschei-dung des OLG und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigenEntscheidung.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:An sich zutreffend ist das BeschwerdeG von § 44 Abs. 6 LwAnpG aus-gegangen, wonach das Eigenkapital aufgrund der Bilanz zu ermittelnist, die nach Beendigung der Mitgliedschaft als ordentliche Bilanzaufzustellen ist. In der Konsequenz dieser Regelung liegt es, dass aus-geschiedene Mitglieder an der Veränderung des Eigenkapitals zwischendem Zeitpunkt ihres Ausscheidens und dem nächsten Bilanzstichtagteilhaben (Senat, BGHZ 124, 192, 198 = NJ 1994, 142 [Leits.]).

Von diesem Grundsatz weicht die Senatsentscheidung v. 1.7.1994(Blw 10/93, Agrarrecht 1994, 297, 298 = NJ 1994, 487) nur für einengesetzlich normierten Sonderfall ab. Nach § 51a Abs. 3 Satz 3 LwAnpGist für die Ermittlung des Eigenkapitals abweichend von § 44 Abs. 6der Zeitpunkt der Geltendmachung des Abfindungsanspruchs maß-geblich, wenn ein vor dem 7.7.1991 ausgeschiedenes Mitglied (odersein Erbe) den ihm zustehenden Anspruch in der Zeit zwischen dem7.7.1991 und dem Umwandlungsbeschluss geltend gemacht hat. Umeinen solchen Fall handelt es sich hier nicht. Die Rechtsbeschwerdekann folglich darauf ihre Rechtsauffassung, es müsste auf einenfrüheren Bilanzstichtag abgestellt werden, nicht stützen.

Gleichwohl kann im konkreten Fall zur Ermittlung des Eigen-kapitals nicht auf die Bilanz der Ag. v. 31.12.1992 abgestellt werden.Maßgeblich ist vielmehr die Umwandlungsbilanz der LPG »F.« R. § 44Abs. 6 LwAnpG setzt nämlich voraus, dass es sich bei der ordentlichenBilanz nach Beendigung der Mitgliedschaft um eine solche der LPGhandelt. Das folgt aus dem Regelungszweck des § 44 LwAnpG, der demausscheidenden Mitglied eine seiner Beteiligung an der LPG ent-sprechende Abfindung zuerkennen will. Das bedingt, dass der Abfin-dungsanspruch nur auf der Vermögensgrundlage der LPG, nicht desNachfolgeunternehmens ermittelt werden kann. Bei dem Anspruchnach § 44 LwAnpG ist daher für die Ermittlung des Eigenkapitalsentgegen dem Wortlaut des § 44 Abs. 6 LwAnpG auf die Umwand-lungsbilanz der LPG abzustellen, wenn nach dem Ausscheiden desLPG-Mitglieds keine andere ordentliche Bilanz mehr aufzustellen ist.

Die Rechtsbeschwerde weist zu Recht darauf hin, dass sich andern-falls auch ungerechtfertigte Unterschiede zu dem Barabfindungs-anspruch nach § 36 LwAnpG ergeben. Dieser Anspruch gewährt demaus Anlass der Umwandlung ausscheidenden LPG-Mitglied eine seinerBeteiligung an der LPG entsprechende Barabfindung (vgl. Senat, BGHZ131, 260, 262 ff. = NJ 1996, 166 [Leits.]; Wenzel, Agrarrecht 2000, 349,350 f.). Zwischen dem Barabfindungsanspruch nach § 36 LwAnpG unddem Abfindungsanspruch nach § 44 LwAnpG besteht, wie auch § 36Abs. 3 LwAnpG zeigt, ein Gleichklang. Durch beide Normen sollsichergestellt werden, dass das ausscheidende Mitglied wertmäßig soabgefunden wird, wie es seiner genossenschaftlichen Beteiligungentsprach. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass § 36 LwAnpGdas aus Anlass der Umwandlung ausscheidende Mitglied erfasst,während § 44 LwAnpG den Fall der Kündigung vor der Auflösung derLPG regelt. Dieser gleiche Regelungszweck hat nicht nur zur Folge,dass die Barabfindung nach § 36 nur dann angemessen ist, wenn sieden Anspruch nach § 44 LwAnpG nicht unterschreitet. Er bedingtauch die Anwendung gleicher Bewertungsmaßstäbe. Die Eigenkapital-ermittlung kann sich immer nur auf das Vermögen der LPG beziehen.Folgedessen ist, dass für den Barabfindungsanspruch stets dieUmwandlungsbilanz maßgeblich ist, für den Abfindungsanspruchnach § 44 LwAnpG die erste ordentliche Bilanz nach dem Ausschei-den des Mitglieds (§ 44 Abs. 6 LwAnpG). Folgt dem Ausscheidenjedoch keine ordentliche Bilanz mehr, weil die LPG inzwischenumgewandelt wurde, ist auch in dem Fall des § 44 LwAnpG auf dieUmwandlungsbilanz abzustellen.

Kommentar:Der vorliegende Beschluss des BGH hat nach wie vor praktischeBedeutung. Auch nach mehr als zehn Jahren des In-Kraft-Tretens desLwAnpG ist eine Reihe von Verfahren zur Geltendmachung vonAbfindungsansprüchen ausgeschiedener LPG-Mitglieder bei denLandwirtschaftsG anhängig. Unter Berücksichtigung der ab 1.1.2001nach § 3b LwAnpG schrittweise einsetzenden Verjährung für Abfin-dungsansprüche ist indes auch ein Anstieg von Neuzugängen vonAnträgen zur Geltendmachung weiterer Abfindungsansprüche nach§ 44 LwAnpG nicht auszuschließen.

§ 44 LwAnpG ist mit »Vermögensauseinandersetzung in der LPG«überschrieben. Nachvollziehbar geht deshalb der BGH im Wege der

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Auslegung davon aus, dass ein Abfindungsanspruch eines ausschei-denden LPG-Mitglieds nur anhand eines Vermögensstatus der LPG zuermitteln ist. Eine nach Vollendung der Umwandlung (Register-eintragung nach § 34 LwAnpG) erstellte Bilanz ist allein dem aus derUmwandlung hervorgegangenen Nachfolgeunternehmen zuzuord-nen. Nur für diesen Fall stellt die Umwandlungsbilanz die letzte Bilanzder LPG dar und nachfolgende Veränderungen des Eigenkapitalsgehen nicht zu Lasten des ausgeschiedenen LPG-Mitglieds.

In einer Vielzahl von Fällen war jedoch der Zeitraum zwischenUmwandlungsbeschluss und dem mit der Registereintragung verbun-denen Vollzug der Umwandlung erheblich, so dass eine in diesemZwischenzeitraum erstellte weitere ordentliche »LPG-Bilanz« nach wievor für die Bestimmung der tatsächlichen Höhe des Abfindungs-anspruchs des ausgeschiedenen LPG-Mitglieds heranzuziehen ist.Die vom BGH im Wege der Auslegung vorgenommene Abgrenzungerscheint hierdurch aber nicht widerspruchsfrei. Letztlich entscheidetdamit ein weitgehend außerhalb der Einflusssphäre der beteiligtenParteien liegender Umstand – der Eintragungszeitpunkt der Umwand-lung in das zuständige Register –, ob das ausgeschiedene LPG-Mitgliedüber die Umwandlungsbilanz hinaus bis zur nächsten ordentlichenLPG-Bilanz an der Veränderung des Eigenkapitals teilnahm.

Grundsätzlich hiervon zu trennen ist hingegen die vom BGH nichterörterte Frage, dass die Abfindungsansprüche des ausscheidendenMitglieds erst nach Feststellung der Jahresbilanz fällig werden. ImUnterschied zur Regelung des § 44 Abs. 6 wird hier also ausdrücklichvon der Jahresbilanz ausgegangen. Mit der Rechtsfrage der Fälligkeiteines Abfindungsanspruchs werden sich die LandwirtschaftsG vordem Hintergrund der verstärkt aufkommenden Verjährungsproble-matik zukünftig stärker auseinandersetzen müssen.

Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Krüger, Berlin

� 02.12 – 10/01

Erwerb eines Restitutionsanspruchs/Anfechtung wegen arglistigerTäuschung/SittenwidrigkeitBGH, Urteil vom 23. Mai 2001 – VIII ZR 51/00 (Kammergericht)

BGB § 123 Abs. 1

Zur arglistigen Täuschung durch den Erwerber eines Restitutionsan-spruchs, der es vor Abschluss des Abtretungsvertrags übernommenhatte, die Belange der Veräußerin in deren Namen gegenüber demAmt für offene Vermögensfragen wahrzunehmen, und ihr für dieDurchsetzbarkeit des Anspruchs – und damit auch für dessen Bewer-tung – wesentliche Informationen vorenthielt.

Problemstellung:Die Kl. meldete im Okt. 1990 beim ARoV vermögensrechtlicheAnsprüche für ein Grundstück in Berlin an, für das ihr Ehemann 1980Eigentumsverzicht erklärt hatte. Mit notariellem Vertrag v. 1.9.1993verkaufte sie das Grundstück in Erwartung der Rückübertragung zumPreis von 1.150.000 DM an den Bekl., einen Immobilienhändler.Dieser beauftragte auf eigene Kosten, aber im Namen und mit Voll-macht der Kl. Rechtsanwalt S. mit der Wahrnehmung ihrer Interessenim Restitutionsverfahren. Der Anwalt stützte das Restitutionsbegehrengegenüber dem ARoV auf den Überschuldungstatbestand, der sich ausdem Grundbuch ergebe. Am 27.1.1997 kündigte das ARoV die Ableh-nung des Antrags an, da eine Überschuldungssituation nicht feststell-bar sei, weil die eingetragenen Grundpfandrechte 1980 in erheblichemUmfang nicht mehr valutiert hätten. Am 31.1.1997 unterrichteteRechtsanwalt S. den Bekl. über die angekündigte Ablehnung und fügtehinzu, er halte den Standpunkt des ARoV für angreifbar. Am 5.2.1997teilte der Bekl. der Kl. mit, die Rückgabe des Grundstücks sei abgelehntworden, die Weiterverfolgung des Anspruchs werde Jahre dauern undnicht ohne einen kostenintensiven Verwaltungsrechtsstreit verlaufen.

Zugleich bot er an, den Restitutionsanspruch für 100.000 DM zukaufen. Mit Bescheid v. 12.3.1997 lehnte das ARoV die Rücküber-tragung an die Kl. ab. Diese schrieb am selben Tag an den Bekl., dasssie überzeugt sei, ihrem Anspruch werde in zweiter Instanz stattge-geben, doch würden ihr die Mittel und Erfahrungen zur Durchsetzungdieses Anspruchs fehlen. Sollte der Bekl. sein Angebot auf 120.000 DMerhöhen, sei sie daher bereit, ihm den Anspruch zu überlassen. Beidiesem Preis sei im Falle der Rückgabe ein hoher Gewinn für den Bekl.zu erwarten. Am 19.3.1997 schrieb Rechtsanwalt S. dem Bekl., fallsnicht nachgewiesen werde, dass die Grundpfandrechte 1980 nochvalutierten, müsse geprüft werden, ob in der Zeit nach dem Eigen-tumsverzicht vernünftigerweise Instandsetzungsmaßnahmen hättendurchgeführt werden müssen, die bei einer Kreditaufnahme zu einerdauernden Überschuldung geführt hätten. Könne Letzteres bewiesenwerden, sei der Tatbestand der zweiten Anspruchsalternative des § 1Abs. 2 VermG, die unmittelbar bevorstehende Überschuldung desGrundstücks, erfüllt (BVerwGE 98, 87 = NJ 1995, 546). Zugleich riet erzu einer Fortsetzung des Verfahrens. Am 20.3.1997 teilte der Bekl.Rechtsanwalt S. mit, Unterlagen über den schlechten Zustand desHauses könne er innerhalb von vier Wochen beschaffen.

Mit notariellem Vertrag v. 21.3.1997 hoben die Kl. und der Bekl. denGrundstückskaufvertrag v. 1.9.1993 auf und schlossen einen Kauf-vertrag über den Restitutionsanspruch. Nach diesem Kaufvertraghatte der Bekl. vier Wochen nach Vorliegen eines bestandskräftigenRückübertragungsbescheids 120.000 DM an die Kl. zu zahlen.Rechtsanwalt S. legte anschließend im Auftrag des Bekl. Widerspruchgegen den Bescheid des ARoV ein und stützte diesen nun auch auf diebevorstehende Überschuldung. Daraufhin kündigte das ARoV an, dasGrundstück werde nun doch rückübertragen.

Mit Anwaltsschreiben v. 3.2.1998 erklärte die Kl. die Anfechtung desam 21.3.1997 geschlossenen Vertrags wegen arglistiger Täuschungüber die Erfolgsaussichten des Restitutionsanspruchs. Mit ihrer Klagebegehrte sie die Feststellung, dass der Abtretungsvertrag v. 21.3.1997nichtig ist.

Das LG und das KG haben die Klage abgewiesen.Die Revision der Kl. hatte Erfolg.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Der BGH bejaht eine wirksame Anfechtung. Es liege eine Täuschungdurch Unterlassen vor. Der Bekl. habe der Kl. für ihren Entschluss zumVerkauf wesentliche Informationen vorenthalten, ihr insbes. die vonRechtsanwalt S. im Schreiben v. 19.3.1997 erörterte Anspruchsalter-native einer unmittelbar bevorstehenden Überschuldung verschwie-gen sowie dessen Rat, das Verfahren fortzusetzen, und ihr damit einunvollständiges Bild für ihre eigene Einschätzung der Durchsetzbar-keit ihres Rückübertragungsanspruchs vermittelt. Auch habe er die Kl.nicht von seinem eigenen Antwortschreiben v. 20.3.1997 in Kenntnisgesetzt, worin er ankündigte, er könne binnen vier Wochen Unter-lagen über den schlechten Zustand des Hauses beibringen. Damit habeder Bekl. pflichtwidrig gehandelt, denn es habe eine Aufklärungs-pflicht wegen eines besonderen Vertrauensverhältnisses bestanden.Die Pflichten, die dem Bekl. der Kl. gegenüber oblagen, seien weit überdie Aufklärungs- und Offenbarungspflichten hinausgegangen, die derVertragspartner eines Austauschvertrags dem anderen Teil gegenübereinzuhalten hat. Der Bekl. habe es übernommen, die Kl. im Restitu-tionsverfahren zu vertreten und er sei umfassend für sie tätig gewor-den. Aufgrund dieser Vollmacht, seiner Vermittlerrolle zwischen derKl. und dem Rechtsanwalt, seiner überlegenen Geschäftserfahrung,des Vertrauens, das die Kl. ihm erkennbar entgegengebracht habesowie im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung, die das Restitu-tionsverfahren für die Kl. besaß, sei der Bekl. ihr daher in gesteigertemMaße zu sachgerechter Information verpflichtet gewesen.

Diese Täuschung sei arglistig erfolgt, denn das Vorenthalten wich-tiger Informationen sei nur damit zu erklären, dass der Bekl. damit

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Neue Justiz 10/2001544

rechnete, die Kl. würde sich bei umfassender Kenntnis anders ent-scheiden. Die Täuschung sei auch ursächlich für die Aufhebung desVertrags über den Verkauf des Grundstücks für 1.150.000 DM und fürdie Veräußerung des Restitutionsanspruchs zum Preis von 120.000 DMgewesen. Für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangszwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung genüge es,dass der Getäuschte Umstände dartue und ggf. beweise, die für seinenEntschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die Fehlvorstellungnach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechts-geschäfts Einfluss auf die Entschließung habe. Diese Voraussetzungenseien hier erfüllt, denn es widerspreche der Lebenserfahrung, dass dieKl. vom Grundstückskaufvertrag zurückgetreten wäre und ihrenRestitutionsanspruch für 120.000 DM verkauft hätte, wenn sie gewussthätte, dass andere Restitutionsgründe in Betracht kommen, die bislangnoch nicht geltend gemacht wurden.

Kommentar:Während die Zahl der offenen Restitutionsverfahren abnimmt, nehmendie Fälle zu, in denen ein zumindest aus heutiger Sicht ungünstigerKaufvertrag über einen solchen Anspruch oder ein restituiertesGrundstück rückabgewickelt werden soll. Auch wenn der BGH im vor-liegenden Fall die Vertragsanfechtung für begründet hielt, so macht erzugleich klar, dass im Regelfall eine Rückabwicklung nicht möglich ist.Dies ergibt sich aus den Ausführungen des KG zu § 138 BGB, die imRevisionsverfahren vom BGH nicht beanstandet wurden. Das KGhatte ausgeführt, der Vertrag v. 21.3.1997 sei nicht nach § 138 Abs. 1BGB als wucherähnliches Geschäft sittenwidrig, denn ein auffälligesMissverhältnis zwischen dem Wert des Restitutionsanspruchs unddem Kaufpreis von 120.000 DM habe bei Vertragschluss nicht bestan-den. Zwar sei das Grundstück seinerzeit mindestens 700.000 DM wertgewesen, die Durchsetzbarkeit des Restitutionsanspruchs sei jedochangesichts des Ablehnungsbescheids des ARoV v. 12.3.1997 zweifel-haft gewesen. Die Berufung auf Sittenwidrigkeit wird daher nur inextrem gelagerten Fällen erfolgreich sein (vgl. dazu auch BGH, NJ2001, 534 [bearb. v. Fritsche], in diesem Heft).

Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem. § 123 BGB istnach obiger Rspr. nur möglich, wenn der Käufer zugleich eine Ver-trauensstellung bei der Durchsetzung des Restitutionsanspruchs ein-nahm und diese missbraucht hat. Bei einem gemeinsamen Irrtum derParteien kommt ferner eine Vertragsanpassung wegen Wegfalls derGeschäftsgrundlage in Betracht (BGH, NJ 2001, 370 [bearb. v. Fritsche] ).In den restlichen Fällen hat der Vertrag Bestand.

Prof. Dr. Joachim Gruber, D.E.A. (Paris I), Westsächsische Hochschule, Zwickau

� 02.13 – 10/01

Prozesskostenhilfe-Verfahren/Wiedereinsetzung bei Revisionsfrist-versäumung/Verschulden des BevollmächtigtenBGH, Beschluss vom 12. Juni 2001 – XI ZR 161/01 (OLG Naumburg)

ZPO §§ 85 Abs. 2, 117 Abs. 4, 119 Abs. 1 Satz 1, 233

a) Nach Ablehnung eines Prozesskostenhilfegesuchs kann Wieder-einsetzung gegen die Versäumung der Revisionsfrist nur gewährtwerden, wenn innerhalb der Frist ein ordnungsgemäßer Prozess-kostenhilfeantrag gestellt worden ist. b) In der Rechtsmittelinstanz darf die nach § 117 Abs. 4 ZPO erforder-liche Vorlage einer ordnungsgemäß ausgefüllten Vordruckerklärungnur dann durch die Bezugnahme auf einen in der Vorinstanz vorge-legten Vordruck ersetzt werden, wenn zugleich unmissverständlichmitgeteilt wird, dass seitdem keine Änderungen eingetreten sind. c) § 85 Abs. 2 ZPO findet sowohl im Prozesskostenhilfe-Verfahren alsauch im Verfahren über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in denvorigen Stand Anwendung.

� 02.14 – 10/01

Meinungsfreiheit/Ehrschutz/»Schmähkritik«OLG Jena, Beschluss vom 6. November 2000 – 1 W 498/00 (LG Erfurt)(rechtskräftig)

GG Art. 5 Abs. 1 u. 2; BGB §§ 823, 1004

1. Meinungsäußerungen sind durch Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt, sofernes sich nicht um sog. Schmähkritik handelt. Eine »Schmähkritik«liegt vor, wenn für den sich Äußernden nicht die Sache, sondern dieDiffamierung des anderen im Vordergrund steht.2. Zum Vergleich eines Bürgermeisters mit Diktatoren und zurWertung, »der ist schlimmer als Hitler«.

Problemstellung:Das LG hatte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügungabgelehnt, mit der der Ast., der Bürgermeister der Gemeinde X.,erreichen wollte, dass es der Ag. unterlasse, sich in Bezug auf ihn, denAst., zu äußern oder äußern zu lassen:

»In den letzten 50 Jahren gab es mehrere Diktatoren in Deutschland;nunmehr leiden die Bürger der Gemeinde unter dem Diktator (Namedes Ast.), und der ist schlimmer als Hitler. Ihr werdet schon alle nocherwachen; aber dann ist es zu spät«.

Nach dem Vorbringen des Ast. soll diese Äußerung vom Ag. in deröffentlichen Sitzung des Gemeinderats im Gemeindehaus von X. am15.6.2000 gemacht worden sein.

Das LG hatte seine Entscheidung darauf gestützt, es sei schonzweifelhaft, ob die Äußerung nicht vom Grundrecht auf freie Mei-nungsäußerung gedeckt sei. Weiter lasse der Ast. offen, in welchemZusammenhang die Äußerung gefallen sei. Schließlich mangele es ander Wiederholungsgefahr.

Das OLG hielt die dagegen eingelegte Beschwerde des Ast. fürunbegründet.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Das OLG ist der Ansicht, die Äußerung des Ag., deren Unterlassung derAst. erreichen wolle, stelle eine Meinungsäußerung und keine Tat-sachenbehauptung dar, weil es sich um eine Vermengung wertenderund tatsächlicher Bestandteile handele, die nicht ohne Sinnver-fälschung streng getrennt werden könnten. In solchen Fällen müssedie Äußerung insgesamt als Meinungsäußerung betrachtet werden.Die Verwendung schlagwortartiger Bezeichnungen wie z.B. »Nazi«,»Faschist«, »Kommunist« oder – wie hier – »Diktator« könne in ganzunterschiedlicher Weise erfolgen. Der Bedeutungsgehalt dieser Begriffereiche von einer »streng historischen Terminologie« bis hin zumsubstanzlosen Schimpfwort. Solche Bezeichnungen seien deshalb inihrem Kontext zu beurteilen. Sie hätten dann Tatsachencharakter,wenn mit ihr die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe gemeintsei. Handele es sich hingegen um eine Einstufung des Betreffenden ausder Sicht des Erklärenden, sei ein Werturteil gegeben.

Die beanstandete Äußerung stelle für sich betrachtet nicht bereitsaufgrund ihres Inhalts eine sog. reine »Schmähkritik« dar, die aus demSchutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG herausgenommen sei, weil sie sicherkennbar nicht in der Herabsetzung der Person des Ast. ohne jeg-lichen Bezug zu Tatsachenbehauptungen erschöpfe. Nach der – wennauch heftig angegriffenen – Rspr. des BVerfG seien Werturteile bis zurGrenze der »Schmähkritik« zulässig, wobei der letztgenannte Begriffim Interesse der Meinungsfreiheit nicht weit, sondern eng ausgelegtwerden müsse. »Schmähkritik« liege nur dann vor, wenn für den»Beleidiger« subjektiv statt der Auseinandersetzung in der Sache dieDiffamierung der Person im Vordergrund stehe.

Entscheidend bei der Beurteilung der Zulässigkeit derartiger Äuße-rungen sei immer die genaue Analyse des Zusammenhangs, in demdiese gefallen seien, und eine sorgfältige Abwägung des Rechts aufpersönlichen Ehrschutz einerseits und des Rechts auf freie Meinungs-

Rechtsprechung Bürger l i ches Recht

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äußerung andererseits. Dies setze aber im Verfahren des einstweiligenRechtsschutzes voraus, dass alle maßgeblichen Tatsachen vom Ast.vorgetragen und glaubhaft gemacht würden. Daher obliege es demAst., das Nichtvorliegen sich aus dem Sachverhalt ergebender »naheliegender Einwendungen« (des Ag.) darzulegen. Dem sei aber der Ast.trotz des Hinweises des LG, »er lasse offen, in welchem Zusammenhangdie behauptete Äußerung gefallen sei«, auch mit dem Beschwerde-vorbringen nicht nachgekommen, obwohl dies unabdingbare Voraus-setzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung gewesen sei.

Kommentar:Der Erfolg des Antrags scheitert nach Ansicht des OLG zum einen daran,dass die umstrittene Äußerung des Ag. als Meinungsäußerung demSchutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfällt und dass zum andereneine Analyse des Zusammenhangs, in dem die Äußerung gefallen seinsoll, wegen des unzureichenden Vortrags des Ast. nicht möglich ist.

Die Entscheidungsgründe, soweit sie die Einordnung der Äußerungdes Ag., die Gemeinde leide »unter dem Diktator [Name des Ast.], …der schlimmer als Hitler« sei, als Werturteil betreffen, folgen derst.Rspr. des BVerfG und des BGH. Für den Erfolg einer auf die Unter-lassung einer ehrverletzenden Äußerung gerichteten einstweiligenVerfügung ist die Rechtswidrigkeit der Handlung iSd § 823 Abs. 1 u. 2BGB verlangt. Die umstrittene Äußerung darf daher nicht durch dasGrundrecht auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt sein. Wert-urteile unterfallen stets dem Schutzbereich des Grundrechts, Tat-sachenbehauptungen jedenfalls dann, wenn sie Grundlage für dieBildung von Meinungen oder in anderer Weise meinungsbezogen sind(BVerfGE 61, 1 [8]; BGH, NJW 1998, 3047 [3048] = NJ 1998, 593 [bearb.v. Jutzi] ). Dass das OLG hier in der Äußerung des Ag. ein Werturteilsieht, ist folgerichtig (vgl. zur Bezeichnung als »Jude« BVerfG, EuGRZ2000, 487 [489]).

Allerdings träte die Meinungsäußerung – worauf das OLG zu Rechthinweist – regelmäßig hinter dem Ehrschutz aus Art. 2 Abs. 1 iVmArt. 1 Abs. 1 GG zurück, wenn sich die Äußerung als Angriff auf dieMenschenwürde, Formalbeleidigung oder »Schmähkritik« darstellte(BVerfGE 93, 266 [294]; BVerfG, EuGRZ 2000, 487 [490]). Das OLGbetont daher in seinem Beschluss – nicht ohne kritisch auf die denEntscheidungen des BVerfG zugrunde liegenden Sachverhalte zu ver-weisen –, dass eine den Schutzbereich des Grundrechts erst gar nichteröffnende »Schmähkritik« nur in engen Grenzen anzunehmen ist(vgl. dazu BVerfGE 93, 266 [294]; BVerfG, NJW-RR 2000, 1712; BGHZ143, 199). Dass hier vom Ag. allein eine Diffamierung der Person desBeschwerdef. bezweckt war, lässt sich, worauf das OLG nachvoll-ziehbar hinweist, dem vom Ast. dargestellten Sachverhalt nicht ent-nehmen. Da auch polemische oder verletzende Formulierungen eineÄußerung nicht dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG entziehen(vgl. BVerfGE 61, 1 [7]; 93, 266 [289]; krit. Schmitt Glaeser, NJW 1996,873; Kriele, NJW 1994, 1897), hat das Unterlassungsbegehren nurdann Erfolg, wenn bei der nach Art. 5 Abs. 2 GG geforderten Abwä-gung die Belange des Ehrschutzes diejenigen der Meinungsfreiheitüberwiegen. Das BVerfG hat stets hervorgehoben, dass das Ergebnisdieser Abwägung von der Verfassung nicht vorgegeben ist (BVerfGE93, 266 [293]), dass aber die verfassungsrechtliche Anforderung geradedarin besteht, die Umstände des konkreten Falls möglichst genau zuberücksichtigen (BVerfGE 7, 198 [212]; 97, 391 [401 f.]).

Im vorliegenden Fall scheitert das Begehren des Ast. im Verfahrendes einstweiligen Rechtsschutzes daran, dass sein Vortrag keinehinreichenden und glaubhaft gemachten Angaben dazu enthält, inwelchem Zusammenhang die behaupteten Äußerungen gefallen sind.Daher vermag der zugrunde liegende Sachverhalt nicht als Beispiel fürdie Berechtigung einer insbes. nach den »Soldaten sind Mörder«-Beschlüssen des BVerfG (BVerfGE 93, 266) heftig aufgeflammten Kritikan der Bestimmung der Grenzen der Meinungsfreiheit durch dasBVerfG zu dienen.

Literaturhinweis: Seifarth, »Der Einfluß des Verfassungsrechts auf zivilrechtlicheEhrschutzklagen«, NJW 1999, 1287.

RinVG Susanne Walter, zzt. wiss. Mitarbeiterin am BVerfG,Hamburg/Karlsruhe

� 02.15 – 10/01

Insolvenzrecht/Anfechtungsvoraussetzungen/»Benachteiligung derInsolvenzgläubiger« in masseinsuffizienten VerfahrenOLG Dresden, Beschluss vom 21. Januar 2001 – 13 W 1650/00 (LG Leipzig)(rechtskräftig)

GesO §§ 10 Abs. 1, 13 Abs. 1; ZPO §§ 114, 116

1. Das ungeschriebene Merkmal der objektiven Gläubigerbenach-teiligung im Rahmen der Gesamtvollstreckungsanfechtung setztvoraus, dass die Masse ausreicht unter Hinzurechnung der anfecht-bar weggegebenen Gegenstände eine, wenn auch geringe, Quotean die Gesamtvollstreckungsgläubiger zu zahlen. Gläubiger in die-sem Sinne sind auch diejenigen mit Forderungen nach § 13 Abs. 1Nr. 3 GesO.2. Steht die objektive Gläubigerbenachteiligung noch nicht fest,weil sie vom Ausgang anderweitiger Rechtsstreite des Gesamtvoll-streckungsverwalters abhängt, so besteht bei Vorliegen der übrigenAnfechtungsvoraussetzungen jedenfalls dann hinreichende Aussichtauf Erfolg der Anfechtungsklage (§ 114 ZPO), wenn dem Verwalter indem anderweitigen Verfahren Prozesskostenhilfe gewährt wurde. Ineinem solchen Fall ist den Gläubigern regelmäßig nicht zuzumuten,die Kosten des Rechtsstreits aufzubringen.

Problemstellung:Die Anwendung der insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriftenin massearmen (§ 207 InsO) oder in masseunzulänglichen Insolvenz-verfahren (§ 208 InsO) ist in vielfacher Hinsicht problematischund weitgehend ungeklärt. Diese Fragen werden zzt. heftig disku-tiert und sind Gegenstand zahlreicher insolvenzrechtlicher Publi-kationen (vgl. nur LG Hamburg, ZIP 2001, 711; LG Stralsund, ZIP2001, 936).

Es geht um die Frage, ob Insolvenzanfechtungsvorschriftenanwendbar sind, wenn der Verwalter die Insolvenzanfechtung vonRechtshandlungen aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung nachAnzeige der Masseunzulänglichkeit geltend machen will. In diesemFall ist zwar zunächst kein Grund zu erkennen, nach dem zu erklärenist, weshalb die Begünstigten benachteiligender Rechtshandlungennur deshalb von der Insolvenzanfechtung verschont bleiben sollen,weil die Masse nicht ausreicht, um die Verfahrenskosten zu deckenoder zumindest sämtliche Ansprüche sonstiger Massegläubiger zubefriedigen. Nach dem Wortlaut des § 129 Abs. 1 InsO jedoch, der dieallgemeinen Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung regelt, müs-sen die Rechtshandlungen Insolvenzgläubiger benachteiligen, was inmasseinsuffizienten Verfahren nicht der Fall ist. In einem masse-armen Verfahren gem. § 207 InsO werden nicht mehr sämtlicheVerfahrenskosten, in einem masseunzulänglichen Verfahren gem.§ 209 InsO werden jedenfalls nicht mehr sämtliche sonstigen Masse-gläubiger bezahlt werden können. In beiden Fällen ist eine Befrie-digung der Insolvenzgläubiger voraussichtlich nicht möglich. Damitfehlt es formal an einer Benachteiligung der Insolvenzgläubiger wie siefür die Insolvenzanfechtung notwendig wäre, weil in diesem Fall dieQuote bei Null liegen muss. Zu klären ist, wie in diesen Verfahrenvorzugehen ist und ob trotz Masseinsuffizienz Insolvenzanfechtungenzulässig sind.

Das OLG hat im vorliegenden Verfahren der Ast. als Gesamtvoll-streckungsverwalterin mit der aus den Leitsätzen ersichtlichen Argu-mentation Prozesskostenhilfe gewährt.

Bürger l i ches Recht

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Neue Justiz 10/2001546

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Hinreichende Aussicht auf Erfolg habe die Klage unter dem Aspekt des§ 10 Abs. 1 Ziff. 4 GesO, wonach Rechtshandlungen des Schuldnersanfechtbar sind, wenn sie nach Zahlungseinstellung gegenüber Perso-nen vorgenommen wurden, denen zzt. der Handlung die Zahlungs-unfähigkeit bekannt war oder sein musste, und wenn sie die Gläubigerobjektiv benachteiligen. Die Zahlungen an die Ag. hätten mit einer fürdas PKH-Verfahren hinreichenden Sicherheit zu einer objektivenGläubigerbenachteiligung geführt. Hierfür sei mehreres erforderlich.

Zum einen müsste durch die angefochtenen Rechtshandlungen dieAktivmasse gemindert oder die Passivmasse vermehrt worden sein.Im vorliegenden Fall handele es sich um eine Minderung der Aktiv-masse durch Zahlung auf eine Insolvenzforderung, weil diese Beträgeanderenfalls der Gläubigergesamtheit zur Verfügung gestanden hätten.Das sei nur ausgeschlossen wenn es sich um ein Bargeschäft handelt,also um den sofortigen Austausch von Leistung und Gegenleistung.Zum anderen dürfte die Insolvenzmasse nicht zu einer vollständigenBefriedigung der Gläubiger ausreichen. Dabei spreche eine Vermutungfür eine nicht ausreichende Masse, was vom Anfechtungsgegner zuwiderlegen sei. Bei masseinsuffizienten Verfahren liege die fehlendeBenachteiligung der Insolvenzgläubiger aber auf der Hand.

Schließlich müsse die Masse unter Hinzurechnung des anfechtbarWeggegebenen ausreichen, um zumindest eine, wenn auch geringeQuote an die Insolvenzgläubiger zu leisten; anderenfalls wären nur dieMassegläubiger benachteiligt (so schon zum alten Recht Jaeger/Henkel, KO, 9. Aufl., § 2 Abs. 9 Rz 100).

Zu Gunsten der Massegläubiger greife die Insolvenzanfechtungindessen nicht. Als Insolvenzgläubiger im anfechtungsrechtlichenSinne gelten allerdings auch die sog. unechten Massegläubiger nach§ 13 Abs. 1 Nr. 3 GesO, die ihre Forderungen bereits vor Verfahrens-eröffnung begründet haben und insofern eigentlich zu den Insolvenz-gläubigern gehörten, weil diese Arbeitnehmerforderungen materiellInsolvenzforderungen darstellen und nur aus sozialen Gründen zuMasseverbindlichkeiten hochgestuft wurden.

Kommentar:Das OLG Dresden stellt sich mit seiner Entscheidung auf die Seite desLG Stralsund (aaO), das mit Urt. v. 15.2.2001 mit im Wesentlichengleicher Begründung zur Rechtslage nach der InsO entschieden hat,dass eine Anfechtung ausgeschlossen ist, wenn zu erwarten steht, dasseine erfolgreiche Anfechtung lediglich den Massegläubigern, nichtaber auch den Insolvenzgläubigern zugute kommt.

Der Begriff der Insolvenzgläubiger ist in den §§ 38, 39 InsO legaldefiniert. Massegläubiger behandelt die InsO demgegenüber in§§ 53 ff. Nach der Gesetzessystematik ist insofern eindeutig, das imRahmen der Insolvenzanfechtung gem. § 129 InsO nur die Insol-venzgläubiger iSv §§ 38, 39 InsO in ihrer Gesamtheit gegen Benach-teiligung geschützt werden sollen.

Insofern ist dem OLG Dresden zuzugeben, dass der Gesetzgebertrotz der Regelungen zu künstlichen Masseforderungen der Arbeit-nehmer gem. § 59 Abs. 1 Nr. 3 KO bzw. gem. § 13 Abs. 1 Nr. 3 GesOnunmehr für die InsO, ohne ausdrückliche Ausnahmen für dieInsolvenzanfechtung vorzusehen, die strikte Trennung zwischenInsolvenzgläubigern und Massegläubigern durchgehalten hat.

Das Gericht übersieht jedoch, dass dem Insolvenzverwalter dieMöglichkeit genommen wird, die Insolvenzmasse durch Realisierungvon Anfechtungsrechten anzureichern, obgleich ihm in masseinsuffi-zienten Verfahren gem. § 208 Abs. 3 InsO die weitere Verwertung derInsolvenzmasse obliegt. Hierzu zählt unstreitig auch die Insolvenz-anfechtung, mit der häufig die einzig verfügbaren Vermögensgegen-stände zur Insolvenzmasse realisiert werden.

Zudem hat das Gericht nicht berücksichtigt, dass dieses masseinsuf-fiziente Verfahren auch wieder zur Zulänglichkeit der Insolvenzmasseführen kann und eine Rückkehr ins Regelinsolvenzverfahren möglich

ist. In diesem Fall wäre der Ausschluss der Insolvenzanfechtung nichtmehr zu begründen (so auch jüngst Pape, ZIP 2001, 901 ff.).

Der Insolvenzverwalter muss selbstverständlich auch im masse-unzulänglichen Verfahren, zu dessen Fortführung er nach § 208 Abs. 3InsO verpflichtet ist, die Möglichkeit haben, Insolvenzmasse durchAnfechtungsprozesse, die u.U. auch zu einer Rückkehr ins Regelinsol-venzverfahren führen können, zu realisieren.

Schließlich – und das ist wohl der entscheidende Gesichtspunkt –ist für die Gläubigerbenachteiligung nicht der Zeitpunkt der Geltend-machung des Anfechtungsrechts, sondern vielmehr der Zeitpunkt desWirksamenwerdens der anfechtbaren Rechtshandlung maßgeblich.Wenn zu diesem Zeitpunkt durch eine Rechtshandlung eine Benach-teiligung der Gläubiger verursacht wird, führt dies auch stets zu einerBeeinträchtigung der Befriedigung der späteren Insolvenzgläubiger.Massegläubiger sind zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorhanden.Auf dieser Grundlage käme auch das OLG Dresden unter Beibehaltungseiner Prämisse, formal müssten immer die Insolvenzgläubiger benach-teiligt sein, zu der zutreffenden Auffassung, dass eine Insolvenz-anfechtung auch in einem masseinsuffizienten Verfahren zulässig ist.

Im Übrigen ist der formalen Auslegung des § 129 InsO, in masseinsuf-fizienten Verfahren käme es nicht zur Benachteiligung der Insolvenz-gläubiger, entgegenzuhalten, dass in § 129 InsO nicht die Rede davonist, dass die Anfechtung stets auch den Insolvenzgläubigern zugutekommen muss. Vielmehr hat die Vorschrift den Inhalt, dass der insol-venzrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz vorverlagert wird undzum Zeitpunkt des Eintritts der Wirkung der Rechtshandlung (so § 140Abs. 1 InsO) eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger gegeben ist.

Vom praktischen Ergebnis her hätte die Auffassung des OLG Dres-den zudem für den Fall, dass es im Anschluss an das mangels Masseeingestellte Insolvenzverfahren zu einem Restschuldbefreiungs-verfahren kommt (diese Möglichkeit ist in § 289 Abs. 3 InsO aus-drücklich vorgesehen), widersinnige Wirkungen. Dieser Fall hätte dieKonsequenz, das der Empfänger anfechtbarer Leistungen diese unan-getastet behalten könnte, während die Insolvenzgläubiger an diestrikten Beschränkungen der siebenjährigen Wohlverhaltensperiodegebunden wären, nach deren Beendigung sie den Verlust ihrerAnsprüche in Kauf nehmen müssten. Empfänger gläubigerschädigen-der Leistungen könnten diese allein wegen der fehlenden Zulänglich-keit der Masse unangetastet behalten. Die übrigen Insolvenzgläubigerjedoch müssten ihrem vollständigen Anspruchsverlust entgegensehen.

Es steht zu erwarten, das über diese Fragen Anfang kommendenJahres durch weitere OLG entschieden wird (Berufung bei OLGRostock anhängig gegen das o.g. Urteil des LG Stralsund).

Dabei ist zu hoffen, das die Insolvenzanfechtung im masseinsuf-fizienten Verfahren für zulässig gehalten wird. Für Empfängeranfechtbarer Leistungen wäre damit – und das ist auch für dieInsolvenzberatung besonders bedeutsam – kein Anreiz mehr gegeben,Anfechtungsprozesse möglichst lange in der Hoffnung zu verschlep-pen, bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht mehr in Anspruchgenommen zu werden.

Rechtsanwalt Dr. Kristof Biehl, Potsdam

� 02.16 – 10/01

Ausländerrecht/Freiheitsentziehung/Abschiebungshaft/Zulässigkeitder SicherungshaftOLG Jena, Beschluss vom 26. Februar 2001 – 6 W 119/01 (LG Mühlhausen)

AuslG § 57; FGG §§ 12, 27; FreihEntG § 3

1. Zur Klärung der Frage, ob gem. § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG die Siche-rungshaft unzulässig ist, weil, aus Gründen, die der Ausländer nicht zuvertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten dreiMonate durchgeführt werden kann, ist gem. § 12 FGG von Amtswegen zu ermitteln, auf welchen konkreten Tatsachen sich die Erwar-

Rechtsprechung Bürger l i ches Recht

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tung der Ausländerbehörde gründet, die Abschiebung könne inner-halb von drei Monaten durchgeführt werden. Müssen für den Betrof-fenen zunächst die für die Heimreise erforderlichen Passdokumentebeschafft werden, bedarf es insbes. Feststellungen darüber, ob und ggf.wann die Ausländerbehörde die Beschaffung von Passersatzpapieren indie Wege geleitet hat, ob der Betroffene insoweit seiner Mitwirkungs-pflicht nachgekommen ist und wann nach den Erfahrungen der Aus-länderbehörde bzw. der zuständigen konsularischen Abteilung derzuständigen Botschaft mit der Ausstellung von Passersatzpapierengerechnet werden kann. Ist der Betroffene im Besitz eines gültigenReisepasses und verschleiert er seine Identität, spricht vieles dafür,dass der Betroffene eine über drei Monate hinausgehende Verzöge-rung seiner Abschiebung selbst zu vertreten hat.2. In einem Freiheitsentziehungsverfahren erforderliche Ermittlungenmüssen im Hinblick auf den geltenden Grundsatz der Verfahrensbe-schleunigung nicht zwingend im Wege der förmlichen Beweiserhebungdurchgeführt werden (vgl. Senatsbeschl. v. 27.5.1998, 6 W 313/98).

� 02.17 – 10/01

Sachenrechtsbereinigung/Anspruchsberechtigung bei Überlassungs-verträgen/WertermittlungOLG Brandenburg, Urteile vom 1. März 2001 – 5 U 215/98 (LG Potsdam)und vom 22. März 2001 – 5 U 65/99 (LG Potsdam) (beide rechtskräftig)

SachenRBerG §§ 12 Abs. 2, 5 Abs. 1 Ziff. 3c; WertV §§ 21 bis 24;EGBGB § 1a; BGB § 994

Hat ein Nutzer zu DDR-Zeiten ein Grundstück auf der Grundlageeines Überlassungsvertrags zu Wohnzwecken genutzt und in Aus-füllung des Überlassungsvertrags bauliche Investitionen am und imWohnhaus vorgenommen, so ist seine Anspruchsberechtigung nachdem SachenRBerG zu bejahen, wenn der Wert der nachweisbarenInvestitionen zusammen mit dem in § 12 Abs. 2 SachenRBerG vor-gegebenen Wert nicht nachweisbarer Investitionen sowie unter Hin-zurechnung notwendiger Aufwendungen im Zeitraum vom 3.10.1990bis 20.7.1993 die Hälfte des Sachwerts des Gebäudes zum Zeitpunktder Vornahme der nachweisbaren Investitionen überstiegen hat.(Leitsatz des Bearbeiters)

Problemstellung:Beide Rechtsstreite betreffen die Anspruchsberechtigung von Nutzern,die zu DDR-Zeiten in Ausfüllung eines Überlassungsvertrags an den zuWohnzwecken überlassenen Gebäuden auf staatlich verwalteten(West-)Grundstücken bauliche Investitionen vorgenommen haben.

In dem Verfahren Az. 5 U 215/98 handelte es sich bei den vomNutzer vorgenommenen nachgewiesenen baulichen Maßnahmen umlaufende Werterhaltungsarbeiten am Wohngebäude, die Erweiterungder Wohnfläche durch Anbau einer Veranda sowie um die Installationeiner neuen Heizungsanlage 1993.

Gegenstand der im Verfahren Az. 5 U 65/99 vom Gericht zu bewer-tenden Nutzerinvestitionen waren der Einbau eines Bades sowie dasAnlegen einer Abwassersammelgrube im Jahre 1973, der Anbau einesdurch einen Zwischenbau mit dem Hauptgebäude verbundenenNebengebäudes sowie der Einbau einer Heizung im Jahre 1980.

In beiden Fällen hatte das LG nach Einholung von Sachverständi-gengutachten die Anspruchsberechtigung der Nutzer bejaht.

Die gegen diese Urteile eingelegte Berufung des Grundstückseigen-tümers wurde in beiden Verfahren vom OLG zurückgewiesen.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Das OLG hat zunächst in beiden Fällen festgestellt, dass die Nutzer dieGrundstücke auf der Grundlage eines Überlassungsvertrags genutzthaben; die in Art. 232 § 1a EGBGB vorgegebenen Merkmale diesesVertragstyps wurden bejaht.

Gem. § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SachenRBerG ist im Zuge der Prüfungeiner möglichen Anspruchsberechtigung des Überlassungsnehmersder Wert der Aufwendungen des Nutzers zum Zeitpunkt ihrer Vor-nahme dem hälftigen Sachwert des Gebäudes ohne Berücksichtigungdieser Aufwendungen gegenüberzustellen. Diese Gegenüberstellunghat zu einem oder mehreren Wertermittlungsstichtagen zu erfolgen,an denen die Investitionen des Nutzers ihren Abschluss gefundenhaben. Nach der Gesetzesformulierung ist es ausreichend, wenn derWert der Investitionen des Nutzers zu irgendeinem Zeitpunkt dieHälfte des Sachwerts des Gebäudes überschritten hat.

Um die baulichen Investitionen des Nutzers wertmäßig mit demGebäudesachwert in Beziehung setzen zu können, ist zum Werter-mittlungsstichtag der Sachwert des Gebäudes ohne Berücksichtigungder Aufwendungen des Nutzers unter Anwendung der §§ 21 ff. Wert-ermittlungsVO (WertV) zu ermitteln. Dieser auf den jeweiligen Wert-ermittlungsstichtag zu ermittelnde Gebäudeneuwert ist gem. §§ 23, 24WertV um die Alterswertabschreibungen und um Wertminderungenwegen Baumängeln und Bauschäden zu reduzieren. Auf diese Weiseergibt sich der auf den Wertermittlungsstichtag bezogene Gebäude-sachwert ohne Berücksichtigung der Investitionen des Nutzers.

Zum Wertermittlungsstichtag ist außerdem der Wert der baulichenInvestitionen des Nutzers zu ermitteln, da dieser Wert mit dem zuvorermittelten Gebäudesachwert in Beziehung gesetzt werden muss.Zu berücksichtigen sind insofern zunächst die nachgewiesenen Auf-wendungen des Nutzers aus dem Zeitraum vom Abschluss des Über-lassungsvertrags bis zum Ablauf des 2.10.1990. Wegen der Schwierig-keiten der Gegenüberstellung der zu DDR-Zeiten auf der Grundlagedes damaligen anderen Preisgefüges vorgenommenen Investitionenmit dem nach jetzigen Wertermittlungsmaßstäben ermitteltenGebäudesachwert auf DM-Basis erfolgt die wertmäßige Gewichtungder Nutzerinvestitionen am zweckmäßigsten auf der Grundlage vonWägungstabellen, die geeignet sind, den Anteil der Nutzerinvesti-tionen am Wert des Gesamtgebäudes zu ermitteln. Dabei geht eszunächst um die Feststellung des prozentualen Anteils der Nutzer-investitionen unter Zugrundelegung des (fiktiven) Gebäudeneuwertsund nicht etwa um den prozentualen Anteil der Nutzerinvestitionenzum auf den Wertermittlungsstichtag ermittelten tatsächlichenGebäuderestwert. Der Wert nachgewiesener Investitionen des Nutzerszur Vergrößerung der Wohnfläche oder von Anbauten am vorhan-denen Wohngebäude sind unter Zugrundelegung der §§ 21 ff. WertVgesondert zu ermitteln und den übrigen nachgewiesenen Investi-tionen hinzuzurechnen. Dem so ermittelten Wert ebenfalls hinzu-zurechnen sind die Aufwendungen des Nutzers für notwendigeVerwendungen im Zeitraum vom 3.10.1990 bis 20.7.1993. Bei derAuslegung des Begriffs »notwendige Verwendungen« ist von denhöchstrichterlichen Orientierungen zu § 994 BGB auszugehen. Danachist eine Verwendung als notwendig anzusehen, die zur Erhaltung oderordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Sache nach objektivemMaßstab zum Zeitpunkt der Vornahme erforderlich ist.

Im Verfahren Az. 5 U 65/99 wurde die vom Nutzer im April 1993durchgeführte Erneuerung der Heizungsanlage als eine solche notwen-dige Verwendung angesehen, da ein eingeholtes Sachverständigen-gutachten ergeben hatte, dass die Erneuerung der Heizungsanlagedeshalb erforderlich gewesen sei, weil die alte Anlage nicht mehr demStand der Technik und insbes. der HeizungsanlagenVO entsprochenhabe. Die wertmäßige Einbeziehung der notwendigen Verwendungenhat im Grundsatz in der Weise zu erfolgen, dass die vom Nutzer auf-gewendeten Beträge den zuvor ermittelten Werten hinzuzurechnensind. Schließlich sind den so ermittelten Beträgen (nachgewieseneInvestitionen und notwendige Verwendungen) außerdem die in § 12Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. SachenRBerG vorgegebenen pauschaliertenBeträge für nicht nachgewiesene Investitionen des Nutzers hinzu-zurechnen, und zwar auch dann, wenn der Nutzer Nachweise schein-bar sämtlicher von ihm behaupteten Investitionen erbracht hat.

Bürger l i ches Recht

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Diese Vorgehensweise hat ihre Berechtigung, da nach der Lebens-erfahrung ein lückenloser Nachweis von Investitionen und Eigen-arbeit über einen Zeitraum von oftmals mehr als 30 Jahren kaum jegelingen wird. Ausgangswert der Berechnungen der Pauschalsätze istder Gebäuderestwert, wobei die Gesetzesfassung allerdings offen lässt,welcher Zeitpunkt für die Berechnung des hier anzusetzendenGebäuderestwerts maßgeblich ist.

In beiden Entscheidungen hatte sich das Gericht außerdem mit demEinwand auseinander zu setzen, die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Satz 1Nr. 2 SachenRBerG sei verfassungswidrig, da hier ein unzulässigerEingriff in das durch Art. 14 GG garantierte Eigentumsrecht vorliege.Diese Ansicht wurde vom Gericht unter Hinweis auf den im konkre-ten Fall gegebenen weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wieer bereits im Beschluss des BVerfG zum SchuldRAnpG (NJ 2000, 28)konstatiert worden ist, zurückgewiesen.

Kommentar:Beide Entscheidungen sind für die Praxis von gewichtiger orientie-render Bedeutung für die Auslegung und praktische Handhabung derkomplizierten gesetzlichen Regelung des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2SachenRBerG. Nachdem das OLG Brandenburg bereits mit einerEntscheidung v. 14.5.1998 (ZOV 1998, 368) zur Anspruchsberech-tigung eines Nutzers auf der Grundlage eines Überlassungsvertrags beieiner durch bauliche Investitionen bewirkten Erweiterung der Wohn-fläche iSv § 12 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 SachenRBerG Stellung bezogen hat,wird mit diesen beiden Urteilen – soweit erkennbar obergerichtlicherstmalig – zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 12 Abs. 2 Ziff. 2SachenRBerG und den damit verbundenen praktischen Fragen insbes.der Wertermittlung Stellung bezogen. Schon deshalb dürfte insbes.der vorstehend in der Zusammenfassung der Entscheidungsgründeskizzierte Algorithmus der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungennach dieser Norm für sämtliche Verfahren solcher kompliziertenFallgestaltungen weichenstellende Bedeutung haben. Dem Gericht istin seiner Vorgehensweise und Argumentation auch im Wesentlichenzuzustimmen. Unter Berücksichtigung der teilweise sehr widersprüch-lichen Veröffentlichungen auf diesem Gebiet halte ich vor allem diefolgenden Grundaussagen der Urteile für hervorhebenswert:

In die Bewertung der Nutzerinvestitionen sind zunächst sämtlichenachweisbaren baulichen Investitionen einzubeziehen. Die Nach-weisführung über durchgeführte bauliche Maßnahmen kann auchdarin bestehen, dass der vom Gericht eingesetzte Sachverständige inseiner Ortsbesichtigung die Durchführung der Arbeiten bestätigtfindet und entsprechend dokumentiert. Unerheblich ist, ob dieNutzerinvestitionen zu einer etwaigen Wertsteigerung des Gebäudesgeführt haben oder nicht oder ob die Investitionen zu DDR-Zeitenetwa notwendig gewesen wären. Selbst der nachgewiesene Austauscheines möglicherweise noch funktionsfähigen Gasherds durch einenneuen Gasherd ist wertmäßig in die Nutzerinvestitionen einzube-ziehen. Die gesetzliche Orientierung der Einbeziehung früherer Inves-titionen des Nutzers mit ihrem Restwert bezieht sich auf solche vordem Wertermittlungsstichtag liegende Nutzerinvestitionen, die aberzwingend nach Abschluss des Überlassungsvertrags vorgenommenworden sein müssen. Vor Abschluss des Überlassungsvertrags vomNutzer in seiner Eigenschaft als Mieter vorgenommene Investitionenhaben grundsätzlich außer Betracht zu bleiben.

Die Gewichtung der Nutzerinvestitionen unter Zugrundelegung derin der Gutachterpraxis üblichen Wägungstabellen wird vom Gerichtausdrücklich bestätigt. Die Notwendigkeit dieser Vorgehensweiseergibt sich daraus, dass die an sich nicht vergleichbaren DDR-Wertgrößen mit den jetzigen Wertverhältnissen kompatibel gemachtwerden müssen. Ausdrücklich ausgeschlossen wurde vom Gericht dienach dem Gesetzeswortlaut unzutreffende Methode, nicht den Wertder Investition, sondern lediglich die nach heutigen Maßstäbenoftmals nur sehr geringen Aufwendungen des Nutzers in Mark der

DDR der Berechnung zugrunde zu legen, wie dies vereinzelt in derFachliteratur empfohlen wurde. Zutreffend weist das Gericht daraufhin, dass nur eine Bemessung des Werts der Investitionen am Wert desGesamtgebäudes auch die Eigenleistung des Nutzers berücksichtigt,wenn hierdurch werthaltige Ergebnisse erzielt worden sind.

Von größter Wichtigkeit sind aus meiner Sicht auch die Orien-tierungen beider Urteile zur Art und Weise der Ermittlung des Anteilsund des nominalen Werts der nachgewiesenen Nutzerinvestitionen,da erst dadurch klargestellt wird, welche Werte hier miteinander inBeziehung zu setzen sind. Danach sind die nachgewiesenen Nutzer-investitionen (auf der Grundlage von Wägungstabellen gewichteteroder nach §§ 21 ff. WertV ermittelter Wert neu geschaffenen Raums)in jedem Fall zunächst mit dem Neuherstellungswert des Gebäudesbezogen auf den jeweiligen Wertermittlungsstichtag in Beziehung zusetzen. In einem der entschiedenen Fälle wurde so bezogen auf denWertermittlungsstichtag 31.12.1985 ein Herstellungswert des Gebäu-des von 341.148,94 DM ermittelt und die nachgewiesenen Nutzerinves-titionen von 14,9% mit einem nominalen Wert von 50.831,19 DMfestgestellt. Erst danach ist bezogen auf den Wertermittlungsstichtag31.12.1985 und ausgehend vom Baujahr des Gebäudes die Wert-minderung wegen Alters und Reparaturrückstaus vorzunehmen, wasim konkreten Fall zu einem Gebäuderestwert ohne Nutzerinvestitio-nen i.H.v. 130.915,91 DM geführt hat, so dass der hälftige Betrag von65.457,95 DM als Kriterium für die Beantwortung der Frage anzusehenwar, ob der Wert der Investitionen die Hälfte des Gebäudesachwertsper 31.12.1985 überstiegen hat oder nicht. Diese Frage wurde vomGericht hier unter Einbeziehung der notwendigen Verwendungenund der Pauschalwerte für nicht nachgewiesene Investitionen bejaht.

Für bemerkenswert halte ich auch die Orientierung des Gerichts zuder Frage der Einbeziehung von Nutzerinvestitionen, die sich nichtunmittelbar auf das überlassene Wohngebäude bezogen haben.Zwar hat das OLG die Frage weiter offen gelassen, ob vom Nutzererrichtete Nebengebäude, insbes. Garagen, in die Wertberechnung derNutzer-investitionen einzubeziehen sind, jedoch hat er im Zusam-menhang mit der Errichtung einer Abwassergrube durch den Nutzerausgeführt, dass solche Investitionen des Nutzers zu berücksichtigensind, die dem Gebäude unmittelbar funktional zuzuordnen sind.Das Gericht verweist insoweit auf eine analoge Entscheidung des BGHv. 15.3.1999 (NJ 1999, 542).

Auch weitere Fragen bleiben nach den Entscheidungen des OLGBrandenburg noch unbeantwortet. Dies bezieht sich insbes. auf die inder Fachliteratur kontrovers diskutierte Frage, wie die gesetzlichenPauschalwerte des § 12 Abs. 2 Ziff. 2a u. b SachenRBerG für nichtnachweisbare bauliche Investitionen zu ermitteln und in die Wert-berechnung der Nutzerinvestitionen einzubeziehen sind. Nach wie vorist unklar, welcher Wertermittlungsstichtag der Ermittlung des Gebäude-restwerts zugrunde zu legen ist, obwohl die Beantwortung dieser Fragefür die Ermittlung der Nominalwerte erhebliche Bedeutung hat.Wird nämlich vom Gebäuderestwert zum Zeitpunkt der Begründung desÜberlassungsvertrags ausgegangen, ergeben sich nominal geringere Werteals bei Zugrundelegung des Gebäuderestwerts zu einem späteren Zeit-punkt. In der Sachverständigenpraxis hat sich nach meinen Beobach-tungen allerdings wohl durchgesetzt, dass der Gebäuderestwert bezogenauf den vom Sachverständigen festgesetzten Wertermittlungsstichtagder Durchführung der Nutzerinvestitionen in Ansatz zu bringen ist.

Weiterhin unbeantwortet ist auch die Frage, ob diese gesetzlichvorgegebenen Pauschalwerte lediglich bis zum jeweiligen Wertermitt-lungsstichtag oder für den gesamten Zeitraum der Existenz des Über-lassungsvertrags in Ansatz zu bringen sind. Nach meiner Ansicht führtaber das Anliegen des Gesetzgebers, auf diese Weise sämtliche weitereInvestitionen des Nutzers in die Bewertung einzubeziehen, die nachder Lebenserfahrung nicht lückenlos nachgewiesen werden können,worauf das OLG ausdrücklich Bezug nimmt, zwingend zu der Kon-sequenz, dass diese Pauschalwerte über den gesamten Zeitraum bis

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549Neue Justiz 10/2001

2.10.1990 zu errechnen und in die Wertberechnung der Nutzer-investitionen einzubeziehen sind. Das LG Potsdam hat in mehrerenVerfahren auch bereits in dieser Weise entschieden. Bedauerlicher-weise hat das OLG diese Frage weiterhin offen gelassen. Der Sach-verhalt in beiden Verfahren hat allerdings eine Entscheidung dieserFrage auch nicht zwingend erfordert. Möglicherweise wird ja eine fürdie Zukunft nicht auszuschließende gesetzliche Klarstellung einegerichtliche Entscheidung verzichtbar machen.

Was schließlich die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 12 Abs. 2SachenRBerG anbelangt, sei darauf hingewiesen, dass das BVerfG mitBeschl. v. 15.3.2001 (NJ 2001, 528, in diesem Heft) diese Frage endgültigdadurch entschieden hat, dass die Verfassungsbeschwerde, die sichübrigens gegen das eingangs erwähnte Urteil des OLG Brandenburgv. 14.5.1998 (aaO) richtete, nicht zur Entscheidung angenommen hat.

Literaturhinweis:Zank/Simon, »Ansprüche nach dem SachenRBerG bei baulichenInvestitionen des Nutzers auf der Grundlage eines Überlassungsver-trages«, NJ 1999, 57 ff.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Horst Zank, Potsdam

� 02.18 – 10/01

Insolvenzrecht/Arbeitnehmerstellung/GmbH-GeschäftsführerOLG Jena, Urteil vom 14. März 2001 – 7 U 913/00 (LG Gera)(rechtskräftig)

GesO § 13 Abs. 1 Nr. 3a; BGB § 611

1. Der Geschäftsführer einer GmbH ist auch dann, wenn er keinewesentliche Beteiligung an der Gesellschaft besitzt, regelmäßig nichtals Arbeitnehmer anzusehen. 2. Auch im Insolvenzrecht kommt dem Geschäftsführer nur dannausnahmsweise eine Arbeitnehmerstellung zu, wenn er als echterFremdgeschäftsführer durch ein soziales Abhängigkeitsverhältniszur GmbH geprägt und dadurch schutzwürdig ist, wobei nicht dieOrganstellung, sondern die Frage nach der Weisungsgebundenheitdas entscheidende Argument ist, was sich anhand der Prüfkriteriendes BAG (ZIP 1992, 1497) bemisst. 3. Darauf, dass sich der Geschäftsführer im Innenverhältnis überdie durch Geschäftsführervertrag bestimmten Regelungen hinaustatsächlich etwa stärker den Weisungen seines Mitgesellschaftersunterworfen hat, kann sich der Geschäftsführer hierbei nicht berufen.

� 02.19 – 10/01

Nachlassverfahren/Änderung der Gerichtsbezirke/örtliche Zustän-digkeitOLG Dresden, Beschluss vom 19. März 2001 – 7 AR 79/01 (AG Dresden)

FGG § 73 Abs. 1

1. Bei Zuständigkeitsveränderungen durch Änderung der Gerichts-bezirke bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichtsnach der Zuständigkeitsregelung im Zeitpunkt des Erbfalls. 2. Nur diese klare Anknüpfung gewährleistet die erforderliche Rechts-sicherheit.

Mit dem am 1.1.2001 in Kraft getretenen Ges. über die Justiz im Frei-staat Sachsen v. 24.11.2000 (SächsJG) wurden die Zuständigkeiten derAmtsgerichte dahingehend neu geschnitten, dass Ottendorf-Okrillanunmehr zum Zuständigkeitsbereich des AG Kamenz gehört.

In einer Nachlasssache (der Erblasser war am 31.12.2000 verstorben)hatte sich das AG Dresden für unzuständig erklärt und die Sache zwecksBestimmung des örtlich zuständigen Gerichts dem OLG vorgelegt.

Das OLG hat als zuständiges Gericht das AG Dresden bestimmt.

Aus den Entscheidungsgründen: Die Vorlagevoraussetzungen gem. § 5 FGG sind gegeben …

Das gem. § 73 Abs. 1 FGG zuständige Gericht ist nicht das AGKamenz, wie das NachlassG Dresden meint, sondern das AG Dresden,weil der Wohnsitz des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls zum Bezirkdes AG Dresden gehörte. In Lit. u. Rspr. ist anerkannt, dass im Zivilprozess für bereits anhän-gige Verfahren sich die Zuständigkeit eines Gerichts bei Veränderungder Gerichtsbezirke nicht ändert (vgl. MünchKomm-Lüke, ZPO, § 261Rn 90; BayObLG, JW 1926, 2451). Es handelt sich hier um eineAusprägung des Grundsatzes der sog. perpetuatio fori, der vor allemmit dem Gedanken der Prozessökonomie begründet wird (vgl. Zöller-Greger, 22. Aufl., Rn 12 zu § 261 ZPO). Dies entspricht auch der h.M.zu § 73 FGG, wonach ebenfalls eine einmal begründete Zuständigkeitbis zur Erledigung aller dem NachlassG obliegenden Geschäfte beste-hen bleibt, selbst wenn sich die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungenändern (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14. Aufl., Rn 51 zu § 73 FGG).

Auch § 71 des SächsJG v. 24.11.2000, der auf das Ges. über dieZuständigkeit der Gerichte bei Änderungen der Gerichtseinteilung inder im BGBl. III, Gliederungsnr. 300/4, veröffentlichten bereinigtenFassung auch für das FG-Verfahren verweist, spricht für diese Auffas-sung. Nach Art. 1 § 1 des Ges. über die Zuständigkeit der Gerichte beiÄnderungen der Gerichtseinteilung wird durch die Änderung einesGerichtsbezirks die Zuständigkeit des Gerichts für die bei ihm anhän-gigen Sachen nicht berührt.

Die oben dargestellten Gedanken müssen im Nachlassverfahrenaber auch dann gelten, wenn der Gerichtszuschnitt nach dem Erbfall,aber vor der Anhängigkeit eines Erbscheinsverfahrens geändert wird.

Würde man für die Zuständigkeitsfrage nicht auf den Zeitpunkt desErbfalls, sondern den der Antragstellung abstellen, ergäbe sich dieGefahr von Manipulationen (Abwarten mit der Antragstellung bis zurgesetzlichen Änderung der Bezirke) und vor allem der Parallelverfah-ren bei verschiedenen Gerichten. Hat bei mehreren Erben z.B. ein Erbeeinen Teilerbschein vor Änderung der Zuständigkeitsbezirke bean-tragt, so wäre dieser Teilerbschein von dem bisher zuständigen Nach-lassG zu erteilen, der nach Zuständigkeitsänderung beantragte weitereTeilerbschein aber von dem nunmehr neu zuständigen NachlassG.Auch bei Vorhandensein von Testamenten, die nicht alle gleichzeitigabgeliefert werden, würde sich das Problem ergeben, dass ein Teilbei dem bisher zuständigen Gericht, ein weiterer Teil bei dem neuzuständigen Gericht abzuliefern und dort zu eröffnen wäre. …

Das Gesetz (§ 73 Abs. 1 FGG) unterscheidet nicht zwischen den ein-zelnen Angelegenheiten, auf die das NachlassG Dresden abstellen will,sondern knüpft für »die örtliche Zuständigkeit« an den Wohnsitz desErblassers an. Der Gesetzgeber hat offensichtlich eine Änderung derGerichtsbezirke nicht vorhergesehen. Die Regelung des § 4 FGG zeigtaber deutlich, dass es zu den Intentionen des Gesetzgebers gehörte,dass ein einziges Gericht für mehrere Angelegenheiten denselbenErblasser betreffend zuständig sein sollte.

Richtig ist zwar, dass damit das AG Dresden auch für Erbfällezuständig bleiben wird, die sich vor dem 1.1.2001 ereignet haben undin denen in späteren Jahren durch neue Anträge (z.B. Erbscheins-anträge nach eingetretener Nacherbfolge, Wegfall der Testaments-vollstreckung usw.) wieder Tätigkeiten entfaltet werden müssen. Dieskann aber in jedem Erbfall eintreten und spricht gerade dafür, eineeindeutige klare Anknüpfung vorzunehmen, die unabhängig vonspäteren Zuständigkeitsänderungen zweifelsfrei sagt, welches Gerichtzuständig ist.

Soweit das NachlassG ältere Entscheidungen anderer OLG zitiert, indenen dies anders gesehen wurde, ist darauf hinzuweisen, dass allegenannten Entscheidungen außer Praktikabilitätserwägungen keineeigene Begründung geben, sondern auf die Entscheidung des KG inKGJ/32 A 6 aus dem Jahre 1906 verweisen. Diese Entscheidung befasstsich aber vor allem mit dem Spannungsfeld zwischen dem FGG als

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Neue Justiz 10/2001550

Reichsgesetz und den landesgesetzlichen Zuständigkeitsregelungen»der Einzelstaaten« und argumentiert damit, dass durch landesgesetz-liche Abänderungen »auch die konkrete Wirkung des § 73 FGG eineveränderte werde«. Dies ist eine Argumentation, die mit dem heutigenVerständnis von Rechtssicherheit, auch unter Berücksichtigung desGrundsatzes der perpetuatio fori, nicht vereinbar ist.

� 02.20 – 10/01

Ausländerrecht/Freiheitsentziehung/Abschiebungshaft/Sicherungs-haft gegen in Untersuchungshaft befindliche PersonOLG Dresden, Beschluss vom 2. April 2001 – 15 W 478/01 (LG Dresden)

AuslG §§ 57, 64 Abs. 3, 103 Abs. 2; FGG §§ 27, 29; FreihEntG § 3;VwVfG § 46

1. Der Anordnung von Sicherungshaft gem. § 57 AuslG steht es nichtentgegen, dass sich der Betroffene zum Zeitpunkt der Haftanordnungin Untersuchungshaft befindet, wenn erkennbare Anhaltspunktedafür bestehen, dass er vor Ablauf von drei Monaten aus der Unter-suchungshaft entlassen wird und die Abschiebung aus ihm zurechen-baren Gründen (hier: fehlende Passersatzdokumente) weder aus derHaft heraus noch im unmittelbaren Anschluss an die Entlassungdurchgeführt werden kann.2. Sicherungshaft gegen einen in Untersuchungshaft befindlichenAusländer kann auch angeordnet werden, wenn die Staatsanwalt-schaft noch keine (positive) Einvernehmenserklärung nach § 64 Abs. 3AuslG abgegeben hat, weil das fehlende Einvernehmen im Falle spä-terer Abschiebung jederzeit nachgeholt werden kann.

� 02.21 – 10/01

Handelskauf/MängelgewährleistungsrechteOLG Naumburg, Urteil vom 3. April 2001 – 9 U 8/01 (LG Stendal)(rechtskräftig)

HGB § 377

1. Die den Käufer betreffende Obliegenheit zur unverzüglichenMängelrüge entfällt auch dann nicht, wenn die Untersuchung tat-sächlich (hier: Gewicht) oder technisch schwierig oder aufwendig ist. 2. Ein versteckter Mangel iSv § 377 Abs. 2 Halbs. 2 HGB liegt dannnicht vor, wenn er bei einer den Anforderungen von § 377 Abs. 1 HGBgenügenden Untersuchung der Ware entdeckt worden wäre. 3. Die Kenntnis des Verkäufers von einem Mangel reicht für dieAnnahme eines arglistigen Verschweigens iSv § 377 Abs. 5 HGB dannnicht aus, wenn der Mangel offensichtlich ist, weil in einem solchenFall der Täuschungsvorsatz fehlen kann. 4. Ein Rügeversäumnis führt zum Verlust auch von Ansprüchen auspositiver Vertragsverletzung, wenn sich der Schadensersatzanspruchals »Gewährleistungsanspruch im weitesten Sinne« darstellt, der aufeinem Mangel der Sache beruht. Dagegen greift § 377 HGB dann nichtein, wenn der Verkäufer eine nicht mit einem Sachmangel oder einerzugesicherten Eigenschaft zusammenhängende Nebenpflicht verletzt.

� 02.22 – 10/01

Ausländerrecht/Freiheitsentziehung/Abschiebungshaft/Höchst-dauer der SicherungshaftOLG Dresden, Beschluss vom 24. April 2001 – 15 W 581/01 (LG Leipzig)

AuslG § 57; FGG §§ 27, 29; FreihEntG § 3

1. Eine Verlängerung von Sicherungshaft über die regelmäßigeHöchstdauer von sechs Monaten hinaus ist auch dann, wenn derAusländer seine Abschiebung verhindert, wegen des verfassungs-rechtlichen Gebots der Verhältnismäßigkeit nur zulässig, wenn die

Haft dadurch nicht länger andauert, als es zur Sicherung ihres Zwecks,die Abschiebung zu ermöglichen, erforderlich ist.2. Das setzt voraus, dass die Ausländerbehörde die Abschiebungernstlich betreibt und konkrete Maßnahmen zu ihrer Vorbereitungtrifft; sind Passersatzpapiere zu beschaffen, muss die Ausländer-behörde mit der gebotenen Beschleunigung alle ihr nach dem Standder Ermittlungen eröffneten Möglichkeiten nutzen, die wahre Iden-tität des ausreisepflichtigen Ausländers zu ermitteln.

Problemstellung:Der Beschwerdef., ein im April 2000 illegal eingereister Ausländerungeklärter Identität, wurde unmittelbar nach der Einreise ohne Aus-weisdokumente festgenommen. Am Tag darauf wurde Sicherungshaftangeordnet und in der Folgezeit mehrmals verlängert, zuletzt vom28.2. bis 31.5.2001. Ein am 25.7.2000 eingeleitetes Asylverfahrenwurde am 31.8.2000 bestandskräftig negativ abgeschlossen. DieAusländerbehörde versuchte vergeblich, die Staatsangehörigkeit unddie sonstigen Personalien des Beschwerdef. mit Hilfe der Botschaft unddes BKA festzustellen.

Die Beschwerde des Beschwerdef. gegen die letzte Haftverlängerunghatte beim LG keinen Erfolg.

Das OLG gab der weiteren sofortigen Beschwerde statt.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Das OLG hat den Antrag der Ausländerbehörde auf Verlängerung derHaft über den 28.2.2001 hinaus abgewiesen, weil es im vorliegendenFall nicht gerechtfertigt sei, die gesetzliche Höchstdauer von 18 Mona-ten auszuschöpfen. Zwar ermögliche § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG dieVerlängerung über die regelmäßige Höchstdauer von sechs Monatenhinaus auf längstens 18 Monate, wenn der Ausländer seine Abschie-bung verhindere, und es spreche viel dafür, dass diese Voraussetzunghier erfüllt sei, weil der Beschwerdef. sich seiner Ausweisdokumenteentledigt habe und seine wahre Identität durch Falschangaben vor-sätzlich verschleiere. Die Ausschöpfung der gesetzlichen Höchstdauersetze aber voraus, dass die Ausländerbehörde mit der gebotenenBeschleunigung alle ihr eröffneten Ermittlungsmöglichkeiten nutze.Hieran fehle es.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdef. habe die Sicherungshaftnicht – inzwischen – den Charakter einer unzulässigen Beugehaftangenommen. Die Ausländerbehörde habe aber das Verfahren nichtin dem gebotenen Maße beschleunigt. Ihr habe schon im Juli 2000 dernegative Bescheid der Botschaft vorgelegen. Es könne noch akzeptiertwerden, dass sie während des Asylverfahrens von eigenen Identifizie-rungsmaßnahmen zunächst abgesehen habe. Zweifelhaft sei aber, obdie erneute Einschaltung der Botschaft am 21.9.2000 sinnvoll gewe-sen sei, da dieser schon beim ersten Mal ein vom Beschwerdef. selbstin kyrillischer Schrift ausgefüllter Antrag auf Passersatzpapiere vorge-legen habe und Probleme bei der Transkription in lateinische Schriftnicht die Ursache für die Identifikationsschwierigkeiten hätten seinkönnen. Jedenfalls sei der erneute Versuch mit der Vorstellung desBeschwerdef. in der Botschaft am 26.9.2000, zumindest aber mit derenerneutem negativen Bescheid v. 12.10.2000 gescheitert. Die Behördehabe nicht bis 15.11.2000 zuwarten dürfen, bevor sie die Angaben imAsylverfahren aufgegriffen und erneut bei der Botschaft einen Pass-ersatz beantragt habe. Angesichts der höchst ungewissen Erfolgsaus-sichten wäre zu erwägen gewesen, den erst am 12.2.2001 eingeleitetenweiteren Versuch mit Hilfe des BKA parallel zu dem Verfahren vor derBotschaft zu betreiben.

Kommentar:Die Entscheidung des OLG befasst sich mit Rechts- und Tatsachen-fragen, die im Kern verwaltungsrechtlicher Art sind und schon deshalbden Instanzgerichten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit bisweilen nichtunerhebliche Schwierigkeiten bereiten.

Rechtsprechung Bürger l i ches Recht

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551Neue Justiz 10/2001

Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterlicheAnordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn dies aus imEinzelnen gesetzlich bestimmten Gründen geboten ist (vgl. § 57 Abs. 2AuslG). Die Abschiebungshaft dieser Art ist (anders die Vorberei-tungshaft nach § 57 Abs. 1 AuslG) generell für bis zu sechs Monatenzulässig und kann, falls der Ausländer die Abschiebung verhindert, umlängstens ein Jahr verlängert werden (§ 57 Abs. 3 AuslG). Hat derAusländer die Unmöglichkeit der Abschiebung innerhalb von dreiMonaten nicht zu vertreten, ist die Sicherungshaft überhaupt unzu-lässig (§ 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG; dazu BVerfG (Kammer), Beschl. v.15.12.2000, EZAR 048 Nr. 53 = NVwZ-Beil. 2001, 26; OLG Jena, Beschl.v. 26.2.2001, u. OLG Dresden, Beschl. v. 2.4.2001, NJ 2001, 546 u. 550(jew. Leits.), in diesem Heft).

Da es sich bei der Abschiebungshaft um eine Freiheitsentziehung füreinen ganz bestimmten Zweck handelt, unterliegt sie in mehrfacherHinsicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit. Insbesondereist die Ausländerbehörde als Herrin des Verfahrens gehalten, dieAbschiebung mit größtmöglicher Beschleunigung zu betreiben. DieseAufgabe belastet die Länderbehörden nicht unerheblich, weil zwarBundesbehörden allgemein zur Amtshilfe und bei Asylbewerbern auchzu eigenen Maßnahmen (vgl. §§ 16, 43b AsylVfG) verpflichtet sind, diezwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht aber oft nicht nur ander fehlenden Mitwirkung des Ausländers scheitert, sondern auch ander mangelnden Kooperationsbereitschaft mancher Herkunftsstaaten(vgl. Bericht der Unabhängigen Kommission »Zuwanderung«, 2001,S. 150-159).

Das OLG weist zunächst zutreffend den Einwand des Beschwerdef.zurück, die Verlängerung der Haft stelle sich als Beugehaft dar, erinnertaber zu Recht daran, dass Abschiebungshaft nicht dazu dienen darf,Mitwirkungshandlungen des Ausländers zu erzwingen (vgl. OLG Frank-furt/M., EZAR 048 Nr. 19 = NVwZ-Beil. 1997, 6). Der Schwerpunkt desBeschlusses liegt auf der Betonung der Verpflichtung der Ausländer-behörde zur absoluten Beschleunigung der Abschiebung, hier der vonAmts wegen zu treffenden Maßnahmen zur Beschaffung von Pass-ersatzpapieren, ohne die eine Abschiebung nicht durchzuführen ist(vgl. dazu auch BGHZ 133, 235 = EZAR 048 Nr. 30; BayObLG,21.2.2001, EZAR 048 Nr. 54). Die zunächst erforderlichen Maßnahmenzur Identifikation müssen unter Heranziehung des Ausländers (vgl. § 70Abs. 1 AuslG; § 25 DVAuslG) und möglichst effektiver Ausnutzung derzur Verfügung stehenden Mittel und Methoden in Zusammenarbeitmit hierfür kompetenten inländischen Behörden und den Vertre-tungen der Herkunftsstaaten durchgeführt werden. Um eine Verlet-zung des Übermaßverbots zu vermeiden, muss der Haftrichter sowohlden Zeitablauf der ausländerbehördlichen Ermittlungen und sonstigenMaßnahmen überprüfen als auch deren Geeignetheit, insbes. die Artund Weise des Vorgehens sowie die Auswahl und den Einsatz tauglicherMittel. Zu Recht untersucht das OLG daher die von der Ausländer-behörde getroffenen Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung imEinzelnen, vor allem die Zeiten der Untätigkeit und deren Ursachen.Zu Recht bezweifelt es die Sachdienlichkeit einer erneuten Einschal-tung der Botschaft. Zu Recht beanstandet es auch die zeitliche Verzö-gerung des nochmaligen Amtshilfeersuchens an das BKA. Zu Rechtsieht das OLG schließlich davon ab, mögliche Gründe für die schlep-pende Arbeitsweise der Behörde außerhalb des konkreten Verfahrens zuermitteln, wie z.B. Personalknappheit, Arbeitsüberlastung oder Mängelin der technischen Ausstattung; denn damit könnte eine Verlängerungder Freiheitsentziehung nicht gerechtfertigt werden.

VorsRiVGH Dr. Günter Renner, Melsungen

� 02.23 – 10/01

Wohnungseigentum/Wohngeldrückstände/Zurückbehaltung vonWasser- u. WärmelieferungKammergericht, Beschluss vom 21. Mai 2001 – 24 W 94/01 (LG Berlin)

WEG §§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 3; BGB §§ 273, 858

Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist bei erheblichen Wohn-geldrückständen eines Wohnungseigentümers für die Vergangenheitberechtigt, gegenüber dem säumigen Wohnungseigentümer undauch seinem Mieter die Versorgung der vermieteten Räume mitHeizung und Wasser bis zum Ausgleich der Rückstände zu unter-binden (a.A. OLG Köln, NJW-RR 2001, 301).

� 02.24 – 10/01

Rechtsfähigkeit und Eintragung einer DDR-Vereinigung in das Vereins-register/Mindestmitgliederzahl eines DachverbandsKammergericht, Beschluss vom 29. Mai 2001 – 1 W 2657/00 (LG Berlin)

BGB §§ 21, 56; EGBGB Art. 231 § 2; VereinigungsG/DDR §§ 14, 22

1. Zum Erhalt der Rechtsfähigkeit einer bei In-Kraft-Treten des Ver-einungsG der DDR v. 21.2.1990 aufgrund staatlicher Anerkennungrechtsfähigen Vereinigung war ihre Eintragung in das Vereini-gungsregister erforderlich. Die richterliche Anordnung der Regis-trierung und Aushändigung einer Urkunde über diese genügtennicht.2. Nach formell rechtskräftiger Zurückweisung des aufgrund desVereinigungsG gestellten Eintragungsvertrags ist das auf diesenAntrag eingeleitete Verfahren beendet und eine »Nachholung« derEintragung nunmehr in das Vereinsregister ausgeschlossen.3. Auf eine erneute Anmeldung der Vereinigung zur Eintragung indas Vereinsregister finden seit dem 3.10.1990 ausschließlich dieVorschriften des BGB Anwendung.

Anm. d. Redaktion: Gegenstand dieses Verfahrens ist ein – erfolglos geblie-bener – Antrag des Gehörlosen- und Schwerhörigenverbands der DDR aufEintragung in das Vereinsregister.

� 02.25 – 10/01

Rechtsanwaltsgebühren/Ermäßigung nach EinigungsV/überörtlicheSozietätOLG Brandenburg, Beschluss vom 31. Mai 2001 – 5 W 137/00 (LG Potsdam)

ZPO §§ 78, 91 Abs. 1 u. 2; EinigungsV Anl. I, Kap. III, Sachg. A, Abschn. III, Nr. 26 Buchst. a

Auch nach der zum 1.1.2000 erfolgten Änderung des § 78 ZPO ist inden neuen Bundesländern die Erstattungsfähigkeit der Kosten einesRechtsanwalts auf 90% beschränkt. Das gilt auch bei Beauftragungeines in den alten Ländern ansässigen Rechtsanwalts, der einerüberörtlichen Sozietät mit Kanzleisitz in den alten und in den neuenLändern angehört. (Leitsatz der Redaktion)

Mit seiner Klage hatte der Kl. die Zahlung eines Betrags i.H.v. 45.285,40DM verlangt. Der Bekl. ließ sich in dem Verfahren vor dem LG Pots-dam durch einen im Westteil Berlins ansässigen Rechtsanwalt einerüberörtlichen Sozietät vertreten, die auch über eine Kanzlei in Pots-dam verfügt. Das LG wies die Klage durch rechtskräftiges Urteil ab undlegte dem Kl. die Kosten des Rechtsstreits auf.

Die Bekl. zu 1) hat beantragt, gegen den Kl. zwei 10/10 Gebührenaus einem Streitwert von 45.285,40 DM gem. § 31 Abs. 1 Nr. 1 u. 2BRAGO zzgl. der Pauschale gem. § 26 BRAGO in einer Gesamthöhevon 2.890 DM festzusetzen. Das LG hat die vom Kl. an die Bekl. zu 1)zu erstattenden Kosten auf 2.605 DM nebst Zinsen festgesetzt undhierbei die Gebühren auf 90% gekürzt, da die Bekl. zu 1) in der Lagegewesen sei, einen Anwalt am Ort des Prozessgerichts zu beauftragen.Dessen Gebühren wären gem. EinigungsV nur i.H.v. je 1.282,50 DMzu erstatten.

Bürger l i ches Recht

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Neue Justiz 10/2001552

Dagegen hat die Bekl. zu 1) sofortige Beschwerde eingelegt. Sie istder Auffassung, die Gebührenermäßigung nach dem EinigungsV findevorliegend keine Anwendung, da sowohl sie als auch ihre Prozess-bevollmächtigten im alten Bundesgebiet ansässig seien. Jedenfalls mitIn-Kraft-Setzung von § 78 ZPO in allen Bundesländern zum 1.1.2000sei es nicht mehr geboten, sich durch einen am Prozessgericht zuge-lassenen Rechtsanwalt vertreten zu lassen.

Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Das sofortige Beschwerde der Bekl. zu 1) hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen: II. … Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die demGegner erwachsenen Kosten nur insoweit zu erstatten, als sie zurzweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung not-wendig waren. Nach § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind die gesetzlichenGebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts der obsiegenden Partei zuerstatten. Bei Rechtsstreitigkeiten vor Gerichten der neuen Bundeslän-der, in denen gem. Anl. I zum EinigungsV, Kap. III, Sachg. A, Abschn. II,Nr. 26, Maßg. a iVm §§ 1, 3 KostGErmAV v. 15.4.1996 regelmäßig eineGebührenermäßigung um 10% eingreift, ist seit langem umstritten,ob und wann die höheren Gebühren eines im alten Bundesgebietansässigen Anwalts im Rahmen des § 104 ZPO erstattungsfähig sind.

Dies ist von der Rspr. der OLG in solchen Fällen mehrheitlich abge-lehnt worden, in denen die obsiegende Partei gem. § 78 ZPO einen voreinem Gericht der neuen Bundesländer postulationsfähigen Rechts-anwalt zu beauftragen hatte. Dies galt auch dann, wenn sich die in denalten Bundesländern ansässige Partei durch eine überörtliche Sozietätvertreten ließ und der die Sache hauptsächlich bearbeitende Rechts-anwalt ebenfalls in den alten Bundesländern ansässig war (vgl. zuletztOLG Jena, NJW 2001, 685 [= NJ 2001, 257] mit abl. Bespr. von Nol-ting, NJW 2001, 660 mwN auch aus der Rspr. zur Gegenauffassung;ebenso zuvor OLG Brandenburg, 8. Zivilsen., OLGR 1997, 267 = NJ1998, 36; OLG Nürnberg, OLGR 1998, 382). Zur Begründung wurdevor allem darauf verwiesen, dass die Partei bereits aus prozessualenGründen gehalten sei, die Prozessvollmacht einem in den neuenBundesländern postulationsfähigen Rechtsanwalt zu erteilen, für denaber die Gebührenermäßigung Anwendung finde.

Diese Begründung trägt nach der Änderung des § 78 ZPO zum1.1.2000 nicht mehr. Nach § 78 Abs. 1 ZPO nF kann die Partei nun-mehr jeden bei einem LG zugelassenen Rechtsanwalt mit ihrer Ver-tretung beauftragen. Mandatiert eine Partei aus den alten Bundes-ländern für einen vor einem Gericht der neuen Länder geführtenProzess einen in den alten Bundesländern ansässigen Rechtsanwalt,greift im Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant die Gebühren-ermäßigung nach der genannten Maßgabe des EinigungsV nicht. DerAnwalt kann von seinem Mandanten die vollen gesetzlichen Gebüh-ren beanspruchen. Ob der Annahme des OLG Jena (aaO) zu folgen ist,dass eine Hinweispflicht des Anwalts auf die niedrigeren Gebühren-ansprüche eines in den neuen Ländern ansässigen Rechtsanwaltsbestehe und dieser bei Verstoß gegen diese Pflicht zum Schadensersatzin Höhe des Differenzbetrags zwischen den Gebührensätzen ver-pflichtet sei, bedarf hier keiner Entscheidung.

Der Senat folgt jedoch, wenn auch mit anderer Begründung, imErgebnis weiterhin der bisher überwiegenden Rspr. § 91 Abs. 2 Satz 12. Halbs. und Satz 2 ZPO ist – über die dort geregelte Frage der Reise-kosten und Zeitversäumnis hinaus – der allgemeine Rechtsgedanke zuentnehmen, dass die Partei bei der Wahl eines auswärtigen Rechts-anwalts die Kosten niedrig zu halten hat. Hierzu zählt aber auch dieObliegenheit, eine am Ort des Prozessgerichts bestehende Gebühren-ermäßigung auszuschöpfen. Dem steht auch § 91 Abs. 2 Satz 11. Halbs. ZPO nicht entgegen, der die Erstattungsfähigkeit der gesetz-lichen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts anordnet. Für dieZeit des Fortbestands der – rechtspolitisch durchaus fragwürdigen –Gebührenermäßigung in den neuen Bundesländern existieren zwei

unterschiedliche Regelungen der gesetzlichen Gebühren eines Rechts-anwalts. In den neuen Bundesländern ist hierbei auch nach Änderungdes § 78 ZPO als Regelfall weiterhin die auf 90% ermäßigte Gebühranzusehen. Dass eine andere als diese Regelgebühr erstattungsfähigsein soll, ist § 91 Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. ZPO nicht zu entnehmen.Auch der Sinn und Zweck der Gebührenermäßigung der genanntenMaßgabe des EinigungsV würde durch die Möglichkeit einer Erstat-tung der vollen Gebühr im Rahmen des § 104 Abs. 1 ZPO in Fragegestellt. Es würde dem Anliegen des EinigungsV widersprechen, wenndie durch die Regelung begünstigte, typischerweise weniger einkom-mensstarke Partei mit Lebensmittelpunkt in den neuen Ländern beieinem dort geführten Rechtsstreit zwar an ihren eigenen Rechtsanwaltnur 90% der Gebühren nach der BRAGO zu zahlen, im Falle desUnterliegens dem Gegner für dessen Anwalt jedoch 100% dieserGebühren zu erstatten hätte. Eine volle Erstattungsfähigkeit derGebühren würde schließlich bei überörtlichen Sozietäten mit (min-destens) einem in den alten Bundesländern zugelassenen Rechtsan-walt die Umgehungsmöglichkeit eröffnen, das Mandat auch bei einemin den neuen Ländern geführten Prozess diesem Rechtsanwalt zuerteilen, um den Ansatz der vollen Gebühr zu rechtfertigen.

Durch die Beschränkung der Erstattungsfähigkeiten der Kosteneines auswärtigen Anwalts wird auch die freie Anwaltswahl nichtunzulässig beschränkt. Diese bleibt weiterhin gewährleistet, auchwenn die durch die Einschaltung eines auswärtigen Anwalts entste-henden Mehrkosten nicht erstattungsfähig sind.

Anm. d. Redaktion: Eine gegenteilige Auffassung vertritt das Kammergerichtin seinem Beschl. v. 8.5.2001, NJ 2001, 434.

� 02.26 – 10/01

Verbraucherinsolvenzverfahren/ProzesskostenhilfeOLG Jena, Beschluss vom 19. Juni 2001 – 6 W 178/01 (LG Mühlhausen)

InsO § 26; ZPO § 114

Der Senat folgt der überwiegenden Rechtsprechung, wonach im Ver-braucherinsolvenzverfahren bei Masselosigkeit Prozesskostenhilfe nichtbewilligt werden kann, so dass der Insolvenzantrag zurückzuweisen ist,wenn der angeforderte Auslagenvorschuss nicht eingezahlt wird.

03 STRAFRECHT

� 03.1 – 10/01

Tötung bzw. Verletzung von Flüchtlingen durch Minen/Beihilfe/VerbotsirrtumBGH, Urteil vom 26. April 2001 – 4 StR 30/01 (LG Schwerin)

StGB §§ 17 Abs. 1, 22, 27, 212, 223a (aF)

1. Die Staatspraxis der DDR, die die vorsätzliche Tötung von Flücht-lingen durch Schusswaffen, Selbstschussanlagen oder Minen zurVermeidung einer Flucht aus der DDR in Kauf nahm, war wegen offen-sichtlichen, unerträglichen Verstoßes gegen elementarste Gebote derGerechtigkeit und gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechtenicht geeignet, die Täter zu rechtfertigen (wie BGHST 40, 218, 232 =NJ 1994, 532 m. Anm. Prantl ). Wegen der Offensichtlichkeit derRechtswidrigkeit scheidet daher ein Schuldausschluss aus, wenn nichtim Einzelfall ganz besondere Umstände gegen eine Erkennbarkeit desStrafrechtsverstoßes für den Täter sprechen.2. Zur Frage der Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums iSd§ 17 Satz 1 StGB hinsichtlich der Mitwirkung bei der Abfassung derBefehle zur Grenzsicherung sowie der Bedienung, Wartung undInstandhaltung der Minensperranlagen. (Leitsätze der Redaktion)

Rechtsprechung Bürger l i ches Recht

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553Neue Justiz 10/2001

Anm. d. Redaktion: Das Verfahren betrifft die Tötung und Verletzung vonost- und westdeutschen Personen durch detonierende Minen im Zeitraumvon 1979 bis 1983 an der innerdeutschen Grenze. Das LG Schwerin hattedrei Offiziere der Grenztruppen vom Vorwurf des Totschlags, des versuchtenTotschlags, der Beihilfe zum versuchten Totschlag, der schweren Körper-verletzung bzw. der Beihilfe hierzu wegen Vorliegens eines unvermeidbarenVerbotsirrtums freigesprochen. Den Angekl. habe – so das LG – die Ein-sichtsfähigkeit in das Unrecht ihres Tuns wegen ihrer doktrinären Einbindungin die alle gesellschaftlichen Bereiche beherrschende Ideologie der SEDgefehlt; etwaige Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Tuns hätten sie auchnicht durch Nachdenken beseitigen können. Dieser Argumentation ist derBGH entgegengetreten. Er hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft dasUrteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidungan eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des LG Rostock zurück-verwiesen.

� 03.2 – 10/01

Öffentliche Aufforderung zu Straftaten/Antikriegsaufruf/Militärein-satz der Bundeswehr im Kosovo/MeinungsfreiheitKammergericht, Urteil vom 29. Juni 2001 – (3) 1 Ss 388/00 (115/00)(LG Berlin) (rechtskräftig)

StGB § 111; WStG §§ 16, 20; GG Art. 5 Abs. 1

Der im April 1999 an die Soldaten der Bundeswehr gerichtete Aufruf,ihre weitere Beteiligung am Jugoslawien-Krieg zu verweigern, erfülltnicht den Tatbestand des § 111 StGB. Er ist vielmehr als Appell an dasGewissen aller Beteiligten zu charakterisieren und drückt allgemeineAblehnung gegen militärische Lösungen als Mittel politischer Kon-fliktbewältigung aus. Das Bestreben, über dieses Ziel eine geistigeAuseinandersetzung in der Öffentlichkeit herbeizuführen, ist vomGrundrecht auf freie Meinungsäußerung iSd Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt.(Leitsatz der Redaktion)

Der Angekl. hatte zusammen mit 28 weiteren Erstunterzeichnerneinen Aufruf an alle Soldaten der Bundeswehr, die am Jugoslawien-Krieg beteiligt sind, unterzeichnet, der am 21.4.1999 in der »Tageszei-tung« erschien. Außerdem wurde der Aufruf mit einem Anschreibendes gesondert Verfolgten Th. vom 4. bis 7.5.1999 an verschiedeneEinrichtungen im Bonner Raum verteilt.

In dem Aufruf hieß es:

»Wir rufen alle Soldaten dazu auf, sich nicht weiterhin an dem Krieggegen die Bundesrepublik Jugoslawien zu beteiligen. Dazu rufen wir diedirekt an den Bombardements beteiligten Piloten, die Truppen inMazedonien und alle an der Logistik der Kriegsführung beteiligtenSoldaten auf – zum Beispiel im Verteidigungsministerium. Die Verwei-gerung kann sich auf Art 4 Abs. 3 GG (Kriegsdienstverweigerung ausGewissensgründen) oder auf § 22 Soldatengesetz stützen: Befehle, die dieMenschenwürde verletzen oder deren Befolgung eine Straftat bedeutet,dürfen nicht ausgeführt werden.Bei dem Krieg gegen Jugoslawien handelt es sich um einen völker-rechtswidrigen Angriffskrieg, der gemäß Art. 26 GG verboten ist. DieVölkerrechtswidrigkeit ergibt sich aus der UN-Charta, die auch für dieBundesrepublik Deutschland Gültigkeit besitzt. …Die Bombardements machen alle zu Opfern des Krieges, ob dies Solda-ten oder Zivilisten sind. Die 2. Phase des NATO-Angriffs richtet sich vorallem gegen die Truppen der serbischen Armee. Jedoch werden von denBombenangriffen Menschen in Serbien, Montenegro und im Kosovounterschiedslos verängstigt, verletzt oder getötet. Im Schatten diesesBombardements können die Massaker und Vertreibungen im Kosovoweiter betrieben werden. …Ziel des Angriffskrieges sollte es sein, eine humanitäre Katastropheabzuwenden. Doch diese ist jetzt erst recht durch die NATO herbei-gebombt worden. …Eine Beteiligung an diesem Krieg ist nicht zu rechtfertigen. VerweigernSie deshalb Ihre Einsatzbefehle! Entfernen Sie sich von der Truppe!Lehnen Sie sich auf gegen diesen Krieg!

Es ist nicht wahr, daß es zwischen Wegschauen und Bomben keineAlternative gibt. Statt den Krieg fortzusetzen, muß ganz neu verhandeltwerden. Das ist nicht die Aufgabe der NATO. Die UN und Russland müs-sen in die Suche nach einer konstruktiven und dauerhaften Konflikt-lösung für den Balkan einbezogen werden. …Es kann geschehen, daß sich weigernde Soldaten mit Verfahren nachdem Wehrstrafengesetz wegen Gehorsamsverweigerung, Fahnenfluchtoder Meuterei überzogen werden. Wir werden in diesem Fall denBetroffenen nach unseren Kräften beistehen und in der Öffentlichkeitfür ein Klima sorgen, damit eine strafrechtliche Verurteilung verhindertwird. Gemäß unserem Verständnis der Menschenwürde trägt jeder dieVerantwortung für seine Entscheidung selbst. Wir erklären zugleich, alleunsere Möglichkeiten zu nutzen, um Verweigerern und Deserteuren derjugoslawischen Armee oder der albanischen UCK zu helfen, insbeson-dere denen, die die Bundesrepublik Deutschland als Fluchtort erreichen.Es gilt: Aktive Soldaten sind potentielle Mörder. Und Opfer eines mör-derischen Krieges. Deserteure und Kriegsdienstverweigerer jedoch sindFriedensboten.«

Das AG hatte den Angekl. von dem Vorwurf freigesprochen, öffentlichdurch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat nämlich zuFahnenflucht (§ 16 WStG) und Gehorsamsverweigerung (§ 20 WStG)aufgefordert zu haben (§ 111 Abs. 1 u. 2 StGB).

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG dieses Urteilaufgehoben, das Verfahren hinsichtlich der Versendung des Aufrufsan verschiedene Einrichtungen wegen eines Verfahrenshindernisseseingestellt und den Angekl. wegen öffentlicher Aufforderung zu Straf-taten durch die Veröffentlichung am 21.4.1999 zu einer Geldstrafe von15 Tagessätzen zu je 80 DM verurteilt.

Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angekl. als auch die Staats-anwaltschaft Revision eingelegt.

Das KG hat den Angekl. freigesprochen.

Aus den Entscheidungsgründen:2. … a) Unter einer »Aufforderung« ist nach gesicherter Rspr. und Lit.jede – ggf. auch konkludente – Kundgebung zu verstehen, die denWillen des Täters zu erkennen gibt, von dem Aufgeforderten einbestimmt bezeichnetes kriminelles Tun oder Unterlassen zu verlan-gen (so schon RGSt 4, 106, 108). Schon die Formulierung »Aufforde-rung« fordert mehr als bloße Information (vgl. LG Bremen, StV 1986,439, 441) und auch mehr als lediglich politische Unmutsäußerungenoder Provokation; zu Recht hat schon das RG (RGSt 47, 411, 413; 63,170, 173) bloßes Anreizen im Sinne berechnender Stimmungsmachefür Straftaten nicht ausreichen lassen. Unter der Schwelle tatbe-standsrelevanter »Aufforderung« liegt auch die bloße Befürwortungvon Straftaten; erforderlich ist vielmehr eine über eine bloße Befür-wortung hinausgehende bewusst-finale Einwirkung auf andere mitdem Ziel, in ihnen den Entschluss zu bestimmten strafbaren Hand-lungen hervorzurufen (vgl. BGHSt 32, 310, 311; 31, 16, 22; 28, 312,314). Außerhalb des Tatbestands liegen schließlich auch bloßeMeinungsäußerungen, mögen sie im Einzelfall bei dem einen oderanderen Adressaten auch deliktische Pläne auslösen (vgl. NK-Paeff-gen, StGB, § 111 Rn 12). Anders als bei bloßen Meinungsäußerungenmuss bei einer »Aufforderung« gerade die Erwünschtheit des ange-sonnenen kriminellen Geschehens deutlich werden, so dass auchvon einem Appellcharakter als konstituierendem Kriterium einer»Aufforderung« gesprochen werden kann (vgl. BayObLG, NJW 1994,396; OLG Karlsruhe, NStZ 1993, 389, 390; OLG Köln, NJW 1988,1102, u. MDR 1983, 338). Vor diesem Hintergrund werden zu tatbestandsmäßiger »Aufforde-rung« zwangsläufig nur solche Bekundungen, die auch den Eindruckder Ernstlichkeit erwecken; ein solcher Eindruck ist nur zu bejahen,wenn der Auffordernde nach dem Gesamtzusammenhang seinerErklärung zumindest damit rechnet, seine Äußerung werde vom Leseroder Zuhörer gerade als zweckgerichtete Aufforderung zur Begehungbestimmter Straftaten verstanden (vgl. BGHSt 32, 310).

In Fällen der vorliegenden Art kann der Appellcharakter und damiteine tatbestandsrelevante »Aufforderung« nicht allein schon im

Straf recht

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Hinblick darauf bejaht werden, dass in dem von dem Angekl. mit-unterzeichneten Aufruf ausdrücklich von »Fahnenflucht« und»Befehlsverweigerung« die Rede ist. Das BVerfG hat in langjähriggefestigter Rspr. (grundlegend: BVerfGE 7, 198, 210 ff.) immer wiedernachdrücklich betont, dass bei der Auslegung von Meinungsäuße-rungen, die in einer die Öffentlichkeit besonders berührenden Frageeine Einflussnahme auf den Prozess allgemeiner Meinungsbildungzum Ziel haben und von hier aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1GG unterfallen, der Inhalt der Erklärung unter Heranziehung desgesamten Kontextes, in dem sie steht, und nicht zuletzt auch vordem Hintergrund des gesellschaftlichen, sozialen und politischenGeschehens, in dem sie gefallen sind, zu ermitteln ist (vgl. BVerfGE93, 266, 297). Demzufolge darf eine am Grundrecht der freien Mei-nungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) orientierte Auslegung von Straftat-beständen nicht sklavisch am Wortlaut einer Äußerung festhalten,sondern hat den gewollten spezifischen Erklärungsinhalt zu ergrün-den und dabei auch den Kontext der gesamten Erklärung mit zubedenken.

Für die Ermittlung des Aussageinhalts von Flugblättern und ähn-lichen Aufrufen ist daher darauf abzustellen, wie die Erklärung voneinem unvoreingenommenen Durchschnittsleser verstanden wird(vgl. BGH, NJW 2000, 3421). Dabei ist die isolierte Betrachtungeines umstrittenen Äußerungsteils (vorliegend etwa die Forderung:»Entfernen Sie sich von der Truppe«) in aller Regel nicht zulässig.Mit zu berücksichtigen ist der gesamte Kontext samt aller erkenn-baren sonstigen Umstände. Für die insoweit gebotene Abwägungkommt es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenenRechtsgüter an, wobei es – anders als bei reinen Tatsachenbehaup-tungen – grundsätzlich keine Rolle spielt, ob die pointiert vorge-tragene Meinung im Einzelfall »richtig« ist oder nicht. Da es Sinnjeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung ist,Aufmerksamkeit zu erregen, sind angesichts der heutigen Reizüber-flutung aller Art einprägsame, teilweise auch überpointierte Formu-lierungen hinzunehmen (vgl. BVerfGE 82, 236, 267; 24, 278, 286).Dies gilt insbes., wenn der Äußernde damit nicht eigennützige Zieleverfolgt, sondern sein Beitrag dem geistigen Meinungskampf ineiner die Öffentlichkeit besonders berührenden Frage dient (vgl.BGH, NJW 2000, 3421, 3422).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben des BVerfG und – ihmfolgend – des BGH wertet der Senat den hier in Rede stehenden Aufruftrotz der Formulierungen »Verweigern Sie deshalb Ihre Einsatz-befehle!« und »Entfernen Sie sich von der Truppe!« lediglich als kriti-sche Meinungsäußerung in einer politisch über Deutschland hinaushoch brisanten und für die gesamte Weltöffentlichkeit bedeutungs-vollen Frage.

Die Deutung, dass es den Mitunterzeichnern des Aufrufs geradedarauf ankam, einzelne Soldaten zum Desertieren zu bewegen, wärezu eng und würde dem Gewicht des Art. 5 GG nicht gerecht. DenUnterzeichnenden ging es ersichtlich um pazifistische Ziele und nichtdarum, in einer militärischen Auseinandersetzung einer Seite zumNachteil der gegnerischen durch massenhafte Befehlsverweigerungenoder Fahnenflucht zum Sieg zu verhelfen. Auch im Hinblick darauf,dass die Bundesregierung – wie allgemein bekannt – nur Freiwillige zumKosovo-Einsatz herangezogen hat, ist zu bezweifeln, dass ernsthaft einekonkrete Handlungsanweisung zu kriminellem Verhalten bezwecktwar. Die Veröffentlichung der inkriminierten Anzeige gerade in der»TAZ«, einer dem politisch »linken« Spektrum zuzurechnenden Tages-zeitung, ist ein weiteres Indiz, dass nicht ernsthaft mit der Gefahrmassenhafter Befehlsverweigerungen zu rechnen war und die Unter-zeichner dies auch nicht beabsichtigten (vgl. Busse, NStZ 2000, 635).

Für eine bloße Meinungsäußerung spricht ferner trotz der z.T.überspitzten Formulierungen die Sorgfalt der Begründung, die zwarin vielen Einzelaussagen höchst umstritten ist, aber von namhaftenVertretern in Wissenschaft und Politik mit vertreten wird (vgl. dazu

unten b). Ein weiteres Beweisanzeichen ergibt sich aus der Auswahlder Institutionen und Organisationen, denen der Aufruf zusätzlichzur Veröffentlichung in der »TAZ« zur Kenntnis gebracht wurde; auchinsoweit liegt der Schluss nahe, dass es den Unterzeichnern mehr umUnterstützung im politischen Streit oder Sensibilisierung bisherAndersdenkender ging, als darum, taugliche Täter für eine Massen-Fahnenflucht zu finden.

Zusammenfassend ist der inkriminierte Aufruf als Appell an dasGewissen aller Beteiligten zu charakterisieren; er drückt allgemeineAblehnung gegen militärische Lösungen als Mittel politischer Kon-fliktbewältigung aus und ist bestrebt, über dieses Ziel eine geistigeAuseinandersetzung in der Öffentlichkeit herbeizuführen, kann abernicht als rechtsfeindliche »Aufforderung« zu kriminellem Verhaltengewertet werden. Dem ist auch nicht entgegenzuhalten, dass dieUnterzeichner des Aufrufs ihren Standpunkt auch durch vorsichtigereFormulierungen hätten verdeutlichen, insbes. hätten darauf verzich-ten können, gerade zur Fahnenflucht aufzufordern. Denn nach derRspr. des BVerfG sind selbst weitüberzogene Formulierungen noch vonArt. 5 GG gedeckt, sofern damit gerade eine bestimmte Meinungs-bildung in einer die Allgemeinheit tief berührenden Frage bezwecktwird (vgl. BVerfGE 82, 236, 267).

b) Die Aufforderung nach § 111 StGB muss sich auf eine »rechts-widrige Tat« beziehen. Die Gehorsamsverweigerung der in demAufruf angesprochenen Soldaten wäre nicht rechtswidrig, wenn derBefehl unverbindlich wäre. Ob der NATO-Einsatz im Kosovo-Krieg,wie in dem Aufruf behauptet wird, ein nach Art. 26 Abs. 1 GGverfassungswidriger »Angriffskrieg« war, ist fraglich. Die wohl herr-schende Ansicht in der Lit. (vgl. u.a. Laubach, ZRP 1999, 278;Maurer, JZ 1999, 696; Wilms, ZRP 1999, 227 ff.; Denninger, ZRP2000, 192 ff.) versteht unter »Angriffskrieg« nur solche bewaffnetenAggressionen, die nach den Regeln des Völkerrechts »eindeutig« alsvölkerrechtswidrige Aggressionsakte zu verstehen sind, d.h. in impe-rialer Absicht darauf angelegt sind, das friedliche Zusammenlebender Völker mit militärischen Mitteln zu stören; ausdrücklich ausge-nommen werden bewaffnete Einsätze, die ausschließlich aus huma-nitären Gründen, d.h. zur Wahrung elementarer Menschenrechteerfolgen. Umstritten ist auch die Frage, ob der NATO-Einsatz imKosovo-Krieg als Verstoß gegen Art. 2 UN-Charta völkerrechtswidrigwar oder aber als humanitäre Intervention zugunsten der Kosovo-Albaner durch universelles Völkergewohnheitsrecht gedeckt wurde.Käme es auf diese Vorfragen zur Rechtswidrigkeit der angesonnenenTaten an, müsste nach Art. 100 Abs. 2 GG die Entscheidung desBVerfG eingeholt werden. Da es jedoch … bereits an einer tatbe-standsmäßigen »Aufforderung« fehlt, können diese Fragen hierdahingestellt bleiben.

3. Nach alledem war das angefochtene Urteil in vollem Umfangaufzuheben, und der Angekl. war aufgrund eigener Sachentscheidungdes Senats (§ 354 Abs. 1 StPO) freizusprechen. Dies gilt auch für denvon dem BerufungsG wegen eines angenommenen Verfahrens-hindernisses eingestellten Verfahrensteil; denn die Gründe für denFreispruch treffen auch für den Tatkomplex vom 4. bis 7.5.1999 zu.

(mitgeteilt von Dr. Elke Steven, Köln)

Anm. d. Redaktion: In einer Serie von gleichartigen Prozessen seit Nov.1999 wurden nach einer Pressemitt. des Komitees für Grundrechte undDemokratie e.V. v. 23.7.2001 vom AG Berlin 33 Angekl. freigesprochen,sieben wurden verurteilt. Da die Staatsanwaltschaft bzw. die VerurteiltenRechtsmittel einlegten, lagen den Kammern des LG Berlin insges. 40 Ver-fahren vor. Bisher kam es hier zu 13 Freisprüchen und zwei Verurteilungen,gegen die die Verurteilten bzw. die Staatsanwaltschaft wiederum Revisioneinlegten.Siehe auch AG Berlin-Tiergarten, Urt. v. 4.11.1999 u. 2.3.2000, NJ 2000, 159u. 433. Zur militärischen Intervention der NATO in Jugoslawien siehe denBeitrag von W. Hummer/J. Mayr-Singer, NJ 2000, 113 ff.

Rechtsprechung Strafrecht

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555Neue Justiz 10/2001

04 VERWALTUNGSRECHT

� 04.1 – 10/01

Naturschutz/Lebensräume besonders geschützter Tierarten/Bebauung einer BaulückeBVerwG, Urteil vom 11. Januar 2001 – 4 C 6/00 (OVG Magdeburg)

BNatSchG §§ 8, 8a Abs. 2 (1998), Abs. 6 (1993), 20 Abs. 3 Satz 1,20f Abs. 1 Nr. 1, 31; BauGB §§ 34 Abs. 1, 48

1. Durch das Verbot des § 20f Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG werden nichtallgemein die Lebensräume oder Lebensstätten wildlebender Tier-arten der besonders geschützten Arten geschützt, sondern nur dieausdrücklich genannten Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten;insbes. die Nahrungsreviere der Tiere fallen nicht unter das Beschä-digungs- und Zerstörungsverbot der Vorschrift.2. Innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (§ 34 BauGB)kann § 20f Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG (naturschutzrechtlicher Arten-schutz) eine baurechtlich zulässige Bebauung einer Baulücke, die mitBäumen und Sträuchern bewachsen ist, in denen heimische Vögelnisten und brüten, nicht schlechthin hindern.3. Allerdings dürfen durch die Bebauung Tiere oder Pflanzen derbesonders geschützten Arten nicht absichtlich beeinträchtigt werden;verboten sind gezielte Beeinträchtigungen von Tieren und Pflanzen,nicht dagegen Beeinträchtigungen, die sich als unausweichlicheKonsequenz rechtmäßigen Handelns ergeben.4. Die Baugenehmigungsbehörde hat ggf. die erforderlichen Anord-nungen zu treffen, damit die geschützten Lebensstätten durch dasBauvorhaben nicht mehr als unvermeidbar beeinträchtigt werden.

Problemstellung:Die Kl. beabsichtigte, auf einem ca. 3.300 qm großen, im Innenbereichgelegenen Grundstück ein Polizeirevier zu errichten, welches anschlie-ßend an das Land Sachsen-Anhalt vermietet werden sollte. Das Grund-stück war zuvor jahrelang brachgelegen, weshalb sich eine Vegetationaus Bäumen und Sträuchern gebildet hatte, innerhalb derer eineAnzahl von naturschutzrechtlich besonders geschützten Vögelnbrütete und nistete. Eine ebenfalls besonders geschützte (und vomAussterben bedrohte) Fledermausart nutzte das Grundstück alsNahrungsrevier. Die zunächst erteilte Baugenehmigung wurde unterHinweis auf § 20f BNatSchG zurückgenommen.

Die hiergegen eingelegte Klage hatte vor dem VG Erfolg, wurde abervom OVG zurückgewiesen. Nachdem die Kl. das Polizeirevier unter-dessen auf einem anderen Grundstück errichtet hatte, beantragt sienunmehr vor dem BVerwG die Feststellung, dass die Rücknahme derBaugenehmigung rechtswidrig gewesen sei. Mit diesem Antrag hattedie Kl. Erfolg.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Das BVerwG hält die Rücknahme der Baugenehmigung bereits des-wegen für rechtswidrig, weil die Behörde (wie auch das OVG) verkannthätten, dass nur die in § 20f BNatSchG benannten Nist-, Brut-, Wohn-oder Zufluchtstätten dem besonderen Artenschutz unterliegen, nichtaber der Lebensraum besonders geschützter Tiere insgesamt, insbes.auch nicht deren Nahrungsreviere, Jagd- und Überwinterungsplätze.Aber selbst unter Zugrundelegung, dass die Voraussetzungen des § 20fAbs. 1 Nr. 1 BNatSchG im vorliegenden Fall erfüllt sind, dass also einZerstörungsverbot zugunsten der besonders geschützten Tiere besteht,kommt der Senat zu der Auffassung, dass das Polizeirevier hätteerrichtet werden dürfen.

Nach § 20f Abs. 3 Satz 1 BNatSchG gilt das Zerstörungsverbot desAbs. 1 Nr. 1 nicht bei der Ausführung eines nach § 8 BNatSchGzugelassenen Eingriffs, soweit hierbei Tiere oder Pflanzen der beson-ders geschützten Arten nicht absichtlich beeinträchtigt werden.Das BVerwG kommt zu dem Schluss, dass Bauvorhaben im Innen-

bereich dem Zerstörungsverbot des § 20f Abs. 1 Satz 1 BNatSchGgrundsätzlich nicht unterliegen. Dies folgere aus § 8a Abs. 2 BNatSchG.Der Gesetzgeber des Investitionserleichterungs- und WohnbaulandG(v. 22.4.1993, BGBl. I S. 466), durch den eine gleichsinnige Vorschrifterstmals in das BNatSchG aufgenommen wurde, habe mit dieserRegelung beabsichtigt, dass Vorhaben innerhalb der im Zusammen-hang bebauten Ortsteile, die nach § 34 BauGB zulässig sind, nicht amNaturschutzrecht scheitern sollen. Deshalb könne der naturschutz-rechtliche Artenschutz eine baurechtlich zulässige Bebauung einerBaulücke auch dann nicht schlechthin hindern, wenn sie im Laufe derJahre mit Bäumen und Sträuchern überwachsen sei und wenn inihnen heimische Vögel nisteten.

Gleichwohl habe der Bauherr auch in diesen Fällen sein Vorhabenso zu planen, dass Nist-, Brut-, Wohn- und Zufluchtstätten dergeschützten Arten wildlebender Tiere nicht mehr als unvermeidbarbeeinträchtigt werden. Bei der Ausführung eines nach § 8 BNatSchGzugelassenen Eingriffs verlören die artenschutzrechtlichen Bestim-mungen nur ihre Bedeutung als absolute Bauverbote. Dies gelte freilichseit dem In-Kraft-Treten des Investitionserleichterungs- und Wohn-baulandG nicht mehr für Vorhaben innerhalb der im Zusammenhangbebauten Ortsteile, die nach § 34 BauGB baurechtlich zulässig seien.Deswegen sei insoweit ein Verzicht auf die Prüfung eines naturschutz-rechtlichen Eingriffs vorgenommen worden (§ 8a Abs. 2 BNatSchG).Um ihrem Sinn und Zweck gerecht zu werden, nämlich das Bauen imInnenbereich zu erleichtern und namentlich Baulücken zu schließen,bedürfe diese Vorschrift (bzw. ihre Vorgängerin, § 8a Abs. 6 BNatSchGaF) einer erweiternden Interpretation. Nach dem objektiven Sinn desGesetzes seien damit Innenbereichsvorhaben nicht nur von derEingriffsregelung des § 8 BNatSchG freigestellt, sondern auch dietypischerweise mit dem naturschutzrechtlichen Eingriff verbundenenunvermeidlichen Verstöße gegen die artenschutzrechtlichen Verbotedes § 20f Abs. 1 u. 2 BNatSchG seien gestattet, wenn eine Baulücke imInnenbereich in baurechtlich zulässiger Weise bebaut werden soll.Verboten ist demnach lediglich die »absichtliche« Beeinträchtigungder geschützten Tier- und Pflanzenarten, wobei sich der Begriff»absichtlich« nicht an strafrechtlichen Vorsatzkategorien messen lasse.Beeinträchtigungen, die sich als unausweichliche Konsequenz recht-mäßigen Handelns ergeben, seien demnach nicht »absichtlich«.

Für die Bebaubarkeit von Grundstücken im unbeplanten Innen-bereich bedeute dies, dass sie grundsätzlich nicht an § 20f Abs. 1 Nr. 1BNatSchG scheitern könne. Aus der Vorschrift könnten aber Anforde-rungen an das Vorhaben, insbes. an die Dimensionierung des Baukör-pers, seine Lage auf dem Baugrundstück u.a.m. entnommen werden.Die im Baugenehmigungsverfahren zu beteiligende Naturschutz-behörde könne darauf hinwirken. Einer Befreiung nach § 31 BNatSchGbedürfe es hingegen nicht.

Kommentar:Diese Entscheidung versetzt den Belangen des Natur-, insbes. desArtenschutzes, im unbeplanten Innenbereich den Todesstoß. Sie kannweder vom Ergebnis noch von der Begründung her überzeugen.Auch wenn es richtig ist, dass Baulücken im Innenbereich möglichstgeschlossen werden sollten, so ist doch – auch in Ansehung desArt. 20a GG – damit nicht gesagt, dass ein (mittlerweile) von beson-ders schützenswerten Arten bewohntes Terrain unbesehen wiedereiner baulichen Nutzung zugeführt werden sollte. Die weitere Argu-mentation des BVerwG, dass solche Grundstücke typischerweise fürden Artenschutz weniger bedeutsam seien als Grundstücke in derfreien Natur, kann ebenfalls nicht überzeugen. Wenn eine Speziesvom Aussterben bedroht ist, dann ist sie zu schützen, und zwar unab-hängig davon, wo sie nun gerade siedelt. Im Übrigen ist bemerkens-wert, dass sich der Senat, was die Auslegung des § 20f Abs. 1 Nr. 1BNatSchG betrifft, sehr genau an den Wortlaut des Gesetzes hält (dabeihätte hier eine erweiternde Auslegung zumindest auf die Nahrungs-

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räume der Tiere recht nahe gelegen, denn was nützt einem Tier derschönste Nistplatz, wenn es keine Nahrung findet?), wohingegen ersich bei der Auslegung des § 8a Abs. 6 BNatSchG 1993 (jetzt: § 8aAbs. 2 BNatSchG) außerordentlich großherzig erweist. Auch die Inter-pretation der »absichtlichen« Beeinträchtigung besonders geschützterTiere oder Pflanzen eröffnet dem Bauherren weiteste Spielräume:Solange sein Vorhaben baurechtlich zulässig ist und solange er nichtin den Bauantrag schreibt, er beabsichtige sein Vorhaben in dieserForm, um damit geschützte Tier- oder Pflanzenarten zu zerstören,solange wird die Naturschutzbehörde machtlos sein.

An diesem Befund wird auch die vom Bundeskabinett am 30.5.2001beschlossene Novellierung des BNatSchG (ein link zum download desEntwurfstextes findet sich unter http:www.bundesumweltministe-rium.de) nichts ändern. Die dort vorgesehene Regelung zum Schutzvon Nist-, Wohn-, Brut- oder Zufluchtstätten besonders geschützterTiere (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 Reg.Entw.) entspricht wörtlich der geltendenRegelung des § 20f Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Auch daran, dass Bau-vorhaben im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) nicht der Ein-griffsregelung unterfallen (§ 8a Abs. 2 BNatSchG) wird sich durch denReg.Entw. nichts ändern (dort § 21 Abs. 2). Ob im parlamentarischenGesetzgebungsverfahren insoweit noch Korrekturen vorgenommenwerden, bleibt abzuwarten, ist aber eher zu bezweifeln.

Dr. Thilo Brandner, Humboldt-Universität zu Berlin

� 04.2 – 10/01

Vermögensrecht/Rückübertragung/Grundstücksüberschuldung/Eigen-tumsverzicht/unlautere Machenschaften/BerechtigtenfeststellungBVerwG, Urteil vom 28. März 2001 – 8 C 4/00 (VG Magdeburg)

VermG § 1 Abs. 2 u. 3

1. Die Überschuldung eines Grundstücks und der nachfolgendeEigentumsverzicht beruhen dann nicht iSv § 1 Abs. 2 VermG auf derNiedrigmietenpolitik der DDR, wenn jemand in der DDR aus freiemEntschluss ein bereits in hohem Maße sanierungsbedürftiges Gebäudeerworben hat (wie Beschl. v. 1.10.1998 – 8 B 117/98 – Buchholz 428§ 1 VermG Nr. 161, S. 504).2. Die Verknüpfung der Genehmigung eines Eigenheimneubaus mitdem vorherigen Verzicht auf das Eigentum an einem Mietwohn-grundstück kann im Hinblick auf die in der Rechtsordnung der DDRerkennbare Zielsetzung, die Anhäufung von Wohnimmobilien in einerHand zu vermeiden, nur dann als unlautere Machenschaft gem. § 1Abs. 3 VermG gewertet werden, wenn konkret festgestellt wird, dasseine derartige Koppelung gegen die Gesetze oder die ordnungs-gemäße Verwaltungspraxis der DDR verstoßen hat.3. Der beigeladene Verfügungsberechtigte kann die ihn bis dahinnicht unmittelbar belastende Feststellung der Berechtigung in einemdie Rückübertragung wegen eines Ausschlussgrunds ablehnendenRestitutionsbescheid auch noch erstmals im Revisionsverfahrenangreifen (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 27.10.1998 – 7 C 35/97 –ZfB 1999, 23 = RÜ BARoV 1998 Nr. 19, S. 35).

Problemstellung:Die Stadt W. beabsichtigte Ende 1981, das mit einem Wohnhausbebaute streitige Grundstück für über 90.000 M zu sanieren. Dies teiltesie den Kl., welche das Anwesen kaufen wollten, mit. Die Kl. wolltendas Wohnhaus – anders als die Stadt – aus Kostengründen schrittweisesanieren. Die Stadt wies darauf hin, dass die Kl. ggf. zwangsweise ver-pflichtet würden, einen entsprechenden Kredit aufzunehmen. 1982kauften die Kl. das Grundstück und wurden als Eigentümer im Grund-buch eingetragen. Im Kaufvertrag war die geplante Sanierung erwähnt.1983 bekräftigte die Stadt gegenüber den Kl. den Hinweis, den Kreditim Weigerungsfalle zwangsweise von ihnen aufnehmen zu lassen;nach Angaben der Kl. wurden Umfang und Kosten des Projekts plötz-

lich deutlich erhöht. Im selben Jahr bot die Stadt den Kl. »den Neu-bau eines Eigenheims bei freier Wahl von Standort und Haustyp an«mit der Maßgabe, einen Hausbau jedoch nur dann zu genehmigen,wenn sie zuvor auf das streitige Anwesen verzichten würden, weilnach dem Gesetz niemand ein Eigenheim bauen dürfe, der schon einHaus besitze. Im Dez. 1983 verzichteten die Kl. auf das Grundstückund erhielten im Gegenzug einen Eigenheimbauplatz. Das streitigeAnwesen wurde 1984 in Volkseigentum überführt. Eine Sanierung desmaroden Hauses erfolgte nicht. Das Gebäudeeigentum wurde 1990von der Stadt an die Beigel. (Handwerker) veräußert.

Das Vermögensamt lehnte die von den Kl. beantragte Rücküber-tragung des Grundstücks mit der Begründung ab, dass zwar eineBerechtigung gem. § 1 Abs. 2 VermG vorliege, die Restitution jedochgem. § 4 Abs. 2 Buchst. b VermG ausgeschlossen sei, da der Verkauf desGrundstücks an die Beigel. auf der Grundlage von § 1 des VerkaufsGv. 7.3.1990 für Gewerbezwecke an Gewerbetreibende erfolgt sei.

Auf die Klage der Kl. bejahte das VG die Berechtigung nach § 1 Abs. 2und zusätzlich nach Abs. 3 VermG. Ein Ausschlussgrund gem. § 4Abs. 2 Buchst. b VermG liege indes nicht vor, weshalb das Grundstückin das Eigentum der Kl. zurückzuübertragen sei.

Auf die Revision der Beigel. hat das BVerwG das VG-Urteil aufgeho-ben und das Verfahren zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das VGzurückverwiesen.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Nach Ansicht des BVerwG liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2VermG nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist das VermG anzuwenden»für bebaute Grundstücke und Gebäude, die auf Grund nicht kosten-deckender Mieten und infolgedessen eingetretener oder unmittelbarbevorstehender Überschuldung durch Enteignung, Eigentumsver-zicht, Schenkung oder Erbausschlagung in Volkseigentum übernom-men wurden«. Hier bestehe jedoch kein Zusammenhang zwischennicht kostendeckenden Mieten, dem maroden, baufälligen Wohn-haus und dem 1983 durch die Kl. erklärten Eigentumsverzicht. DerUrsachenzusammenhang fehle nämlich, wenn »ein Alteigentümeraus freiem Entschluss in der DDR ein in hohem Maße reparaturbe-dürftiges bebautes Grundstück gekauft hat und zwischen Erwerb undVerzicht nur ein unerheblicher Zeitraum – wie hier von weniger alszwei Jahren – lag«. Die ökonomische Zwangslage sei dann geradenicht durch staatlich festgesetzte Niedrigmieten herbeigeführt worden(Beschl. v. 1.10.1998 – 8 B 117/98 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 161,S. 504 f., mwN; zum Erwerb eines sanierungsbedürftigen Hauses imHinblick auf § 1 Abs. 2 VermG: BVerwG, Urt. v. 19.3.1996 – Buchholz428 § 2 VermG Nr. 16 = NJ 1996, 599).

Zu dem vom VG bejahten Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 3VermG sei der Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt worden.§ 1 Abs. 3 VermG betreffe Ansprüche an Vermögenswerten sowieNutzungsrechte, die aufgrund unlauterer Machenschaften, z.B. durchMachtmissbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung von seitendes Erwerbers, staatlicher Stellen oder Dritter erworben wurden. Das VGhabe die unlauteren Machenschaften damit begründet, dass derEigenheimbau »nicht grundsätzlich« habe davon abhängig gemachtwerden werden »können«, dass kein weiteres Grundeigentum vorhan-den sei. Nicht erläutert habe das VG aber, was unter »grundsätzlich« zuverstehen sei. Die zu dieser Problematik ergangenen Bestimmungenwürden eher auf das Gegenteil hindeuten, wonach es Zielsetzung derDDR gewesen sei, die Anhäufung von Grundbesitz – und insbes. vonWohnimmobilien – in einer Hand möglichst zu vermeiden: § 3 Abs. 4Buchst. c GVVO v. 15.12.1977; § 2 Abs. 3 des Ges. über die Verleihungvon Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken v. 14.12.1970(zu beidem BVerwG, NJ 1999, 274 [bearb. v. Schmidt]); § 2 Abs. 2 und§ 10 Abs. 1 DB zum Ges. über den Verkauf volkseigener Eigenheime …v. 19.12.1973. Das VG hätte deshalb im Einzelnen benennen müssen,gegen welches gesetzliche Verbot der DDR die Verknüpfung des Eigen-

Rechtsprechung Verwaltungsrecht

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tumsverzicht mit der Neubaugenehmigung verstoßen haben könnte.Möglicherweise habe auch eine entsprechende Verwaltungspraxisbestanden (hierzu Abschn. III Nr. 12 der Gemeins. Richtlinie der Minis-terien des Innern und der Finanzen zur Regelung des Verfahrens derLeitung und Kontrolle des Grundstücksverkehrs v. 16.5.1978 idF v.19.5.1983 abgedr. [in: Schriftenreihe BARoV, H. 1, Dok. 25]). Selbstwenn die Verknüpfung gegen die DDR-Rechtsordnung und Verwal-tungspraxis verstoßen haben sollte, müsse »dem Vorgang über die ein-fache Rechtswidrigkeit hinaus ein manipulatives, sittlich vorwerfbaresElement anhaften«. Dagegen spräche die »nicht unerhebliche Gegen-leistung in Form der bevorzugten Überlassung eines Bauplatzes«, dafür,dass den Kl. als Alternative zum Eigentumsverzicht in rechtswidrigerWeise kostenträchtige städtische Sanierungsmaßnahmen verbundenmit dem Auszug aus dem Haus und der Verweigerung einer erneutenZuweisung der alten Wohnung nach Abschluss der Sanierung in Aus-sicht gestellt worden seien. Hierzu seien noch Zeugen zu vernehmen.

Das BVerwG äußert sich abschließend zu der Frage, ob der Verfü-gungsberechtigte im Verfahren vor dem VG auch die Berechtigten-feststellung hätte angreifen müssen, obwohl er von der ihn schützen-den Wirkung des Restitutionsausschlussgrunds ausgegangen war:Die Stadt W. hatte vor dem VG nämlich keinen Antrag gestellt, dieBerechtigung der Kl. abzulehnen. Den Verfügungberechtigten treffezwar – so das BVerwG – grundsätzlich eine derartige »Anfechtungslast«(BVerwGE 111, 129 [133] = Buchholz 428 § 37 VermG Nr. 26 S. 10 [13]= NJ 2000, 498 [Leits.]). Er dürfe sich jedoch ausnahmsweise vor demVG auf die Verteidigung des angefochtenen Bescheids beschränken,»solange wegen des darin festgestellten Ausschlusstatbestands dieRückgabe des streitigen Vermögenswerts nicht angeordnet ist«.

Kommentar:Bei der Erörterung des Schädigungstatbestands der unlauterenMachenschaften gem. § 1 Abs. 3 VermG ist erstaunlicherweise vomBVerwG ein Gesichtspunkt nicht angesprochen worden, obwohl ersich m.E. aufdrängt: Die Problematik des lediglich vorgeschobenenEnteignungszwecks. Die Stadt W. hatte angekündigt und mit allenMitteln versucht, das streitige Wohnhaus in kürzester Zeit sanieren zulassen. Nachdem das Grundstück 1984 dann endlich in Volkseigen-tum überführt worden war, geschah jedoch nichts. Das Grundstückwurde vielmehr 1990 in diesem maroden Zustand an einen Hand-werker, der seit 1984 in dem Anwesen wohnte, veräußert. Der 7. Senatdes BVerwG hatte bereits entschieden, dass § 1 Abs. 3 VermG auch dieFälle einer willkürlichen Enteignung erfasst, »in denen ein gesetzlichzugelassener Enteignungszweck offensichtlich nicht zugrunde gelegenhat und die staatlichen Organe in Ausnutzung ihrer Machtstellungeine formelle Rechtsgrundlage erkennbar nur vorgeschoben haben,um zu gänzlich anderen Zwecken das Eigentum an dem Vermögens-wert zu erlangen« (so Leits. zum Beschl. v. 4.1.1994, NJ 1994, 233 =VIZ 1994, 185). Zwar ging im vorliegenden Fall der Überführung inVolkseigentum die Eigentumsverzichtserklärung der Kl. voraus. DenKl. war jedoch auch mit einem Zwangskredit gedroht worden, den dieBehörden anordnen und gem. § 457 ZGB (»Aufbauhypothek durchstaatliche Anordnung«) hypothekarisch hätten sichern lassen können.Hätte der Staat mit seiner Drohung ernst gemacht, weil die Kl. hart-näckig an dem Anwesen festgehalten und den Eigentumsverzichtnicht erklärt hätten, bestünde kein Zweifel, dass im Falle der tatsäch-lich gar nicht realisierten Bau- und Sanierungsmaßnahmen ein Fall derunlauteren Machenschaften vorliegen würde.

Im Übrigen hätten die Kl. sich auch zivilrechtlich zur Wehr setzenmüssen: Die 1983 erklärte Verzichtserklärung gem. § 310 Abs. 1 ZGBhätten die Kl. gem. § 70 ZGB aufgrund rechtswidriger Drohung derstaatlichen Behörden anfechten können, wobei die Anfechtungsfristerst am 3.10.1990, dem Tag des Beitritts der DDR zur BundesrepublikDeutschland, zu laufen begonnen hätte.

RD Udo Michael Schmidt, Sächs. LARoV, Dresden

� 04.3 – 10/01

Vermögensrecht/Unternehmensrestitution/Vergenossenschaftung/Veräußerung durch staatlichen VerwalterBVerwG, Urteil vom 28. März 2001 – 8 C 6/00 (VG Magdeburg)

VermG §§ 1 Abs. 1 Buchst. c, 3 Abs. 1, 6 Abs. 1, 6 u. 6a

1. Die Einbringung einer einzelbäuerlichen Landwirtschaft in die LPG(Typ III) hat zur Stilllegung des Betriebs geführt.2. Die Veräußerung eines landwirtschaftlichen Betriebs durch den staat-lichen Verwalter zur Erfüllung einer Altenteilsverpflichtung stellt keineschädigende Maßnahme iSv § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG dar (Einzelfall).

Anm. d. Redaktion: Zur Verneinung von Verwalterunrecht iSv § 1 Abs. 1 Buchst. cVermG siehe folgende BVerwG-Entscheidungen: Urt. v. 24.10.1996, NJ 1997,209, bei Veräußerung eines Nachlassgrundstücks; Urt. v. 28.4.1998 – Buchholz428 § 1 VermG Nr. 150, S. 457, zur Veräußerung eines Gegenstands durch eineBruchteilsgemeinschaft, an der der staatliche Verwalter beteiligt war; Urt. v.26.6.1997 – Buchholz § 1 VermG Nr. 114, S. 349, betreffend das DDR-Verteidi-gungsG; Urt. v. 18.11.1997, NJ 1998, 162 (Leits.) bei Veräußerung zu Zweckendes Braunkohlentagebaus; Beschl. v. 9.8.2000 – 8 B 110/00 (n.v.) zum AufbauG.

� 04.4 – 10/01

Aufnahme als Spätaussiedler/Statusausschluss/hauptamtlicher Partei-funktionär der KPdSUBVerwG, Urteil vom 29. März 2001 – 5 C 17/00 (OVG Münster)

BVFG § 5 Nr. 2 Buchst. b u. c

1. Die Statusvorschriften des § 5 Nr. 2 Buchst. b u. c. BVFG idF des Art. 6Nr. 1 HaushaltssanierungsG erfassen auch deutsche Volkszugehörige,die ihren Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebescheids vor demIn-Kraft-Treten des HSanG gestellt haben (wie BVerwGE 99, 133 [135 ff.]).2. § 5 Nr. 2 Buchst. b BVFG geht davon aus, dass derjenige, der in denAussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrecht-erhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich alsbedeutsam gilt, den Schutz dieses Systems genoss, für ihn also die fürVolksdeutsche sonst bestehende Gefahrenlage nicht fortbestand.3. Hauptamtlich tätig gewesene Parteifunktionäre der KPdSU sind alsdas kommunistische Herrschaftssystem tragend nach § 5 Nr. 2Buchst. b BVFG vom Erwerb des Spätaussiedlerstatus ausgeschlossen(hier: Ausschluss einer hauptamtlich angestellten Funktionärin einesRayonkomitees).4. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme desGesetzgebers in § 5 Nr. 2 Buchst. c BVFG, die ursprünglich für dieVolksdeutschen bestehende Gefahrenlage bestehe auch bei dem-jenigen Volksdeutschen nicht fort, der mindestens drei Jahre mit demInhaber einer Funktion iSv Nr. 2 Buchst. b in häuslicher Gemeinschaftgelebt hat.

Anm. d. Redaktion: Mit Urteil vom selben Tage (5 C 24/00) hat der Senatentschieden, dass ebenso politische Offiziere der Sowjetarmee vom Erwerb desSpätaussiedlerstatus ausgeschlossen sind.

� 04.5 – 10/01

Grundsteuererlass/WohnungsleerstandBVerwG, Urteil vom 4. April 2001 – 11 C 12/00 (VG Magdeburg)

AO § 227; GrStG § 33; BewG §§ 9, 19 ff., 74 ff.

Sind Wohnungen wegen des strukturell bedingten Überangebots ineiner Gemeinde nicht vermietbar, rechtfertigen darauf beruhendeErtragsminderungen keinen Grundsteuererlass nach § 33 GrStG.

Anm. d. Redaktion: Siehe dazu die Information in NJ 2001, 242.

Verwaltungsrecht

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Neue Justiz 10/2001558

� 04.6 – 10/01

Vermögenszuordnung/selbständiges Gebäudeeigentum/Klagebefugnis des GrundstückseigentümersBVerwG, Urteil vom 5. April 2001 – 3 C 24/00 (VG Dresden)

EGBGB Art. 233 § 2b

Hat die Behörde gem. Art. 233 § 2b Abs. 2 Satz 1 EGBGB entschieden,dass Gebäudeeigentum entstanden ist und wem es zusteht, so fehltes dem betroffenen Grundstückseigentümer, der nur die Feststellungangefochten hat, wem das Gebäudeeigentum zusteht, an der Klage-befugnis.

� 04.7 – 10/01

Vermögensrecht/Rückübertragung von Unternehmen/Erlösauskehr/Investitionsverpflichtung/Arbeitsplatzgarantie/VertragsstrafeBVerwG, Urteil vom 17. Mai 2001 – 7 C 19/00 (VG Greifswald)

VermG § 6 Abs. 6a Satz 4 aF; InVorG § 16 Abs. 1 Satz 1

Der auszukehrende Erlös iSd § 6 Abs. 6a Satz 4 VermG aF (jetzt:Satz 3) umfasst nur den tatsächlich gezahlten Kaufpreis. Vom Erwer-ber übernommene Investitionsverpflichtungen oder Arbeitsplatz-garantien sind ebenso wenig wie eine vom Veräußerer bewirkte Ent-schuldung des veräußerten Unternehmens als Bestandteil des Erlösesdem Kaufpreis hinzuzurechnen.

Problemstellung:Die Kl. wendet sich gegen einen vermögensrechtlichen Bescheid,durch den der Bekl. zugunsten der Beigel. die Auskehr des Erlöses ausder Veräußerung eines Unternehmens angeordnet hat.

Die Beigel. sind Rechtsnachfolger der früheren Gesellschafter derL. KG, die in den 50er Jahren in Volkseigentum überführt wurde unddann als VEB S. firmierte. Dieses Unternehmen wurde 1990 aufGrundlage der VO zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten,Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften v. 1.3.1990(GBl. I S. 107) in die S. GmbH umgewandelt. Einziger Gesellschafterwar die Kl., die mit notariellem Vertrag v. 17.9.1990 ihren Geschäfts-anteil an die W. AG veräußerte. In dem Kaufvertrag verpflichtete sichdie Käuferin, der S. GmbH ein Kapital von 27,5 Mio. DM zur Ver-fügung zu stellen, die Belegschaft von 316 Mitarbeitern weiter-zubeschäftigen und die auf dem Unternehmen lastenden Altkreditevon ca. 19 Mio. DM abzulösen. Der Kaufpreis betrug 142.654,31 DM.In einem Ergänzungsvertrag v. 1.10.1991 vereinbarten die Kl. und dieW. AG, dass in Abweichung vom ursprünglichen Kaufvertrag dieKl. die S. GmbH von Altkrediten i.H.v. 5 Mio. DM entschuldenwerde, ohne dass dafür der Kaufpreis erhöht werde, wofür im Gegen-zug die W. AG mind. 40 Mio. DM investieren und mind. 400 Dauer-arbeitsplätze schaffen werde. Sollten die Investitionen hinter demgenannten Gesamtbetrag zurückbleiben oder die Arbeitsplatzgaran-tie nicht eingehalten werden, müsse die W. AG »Ausgleichsabgaben«leisten.

1997 lehnte der Bekl. die Rückübertragung des Unternehmens andie Beigel. ab, da das Unternehmen veräußert worden sei. Die Beigel.hätten stattdessen einen Anspruch auf Erlösauskehr. Die Kl. seiverpflichtet, aus der Veräußerung ihres Geschäftsanteils als Erlös denBetrag von 13.281.054,31 DM an die Beigel. auszukehren, denn zumErlös gehörten nicht nur die effektiv gezahlten 142.654,31 DM,sondern auch Zuschläge, die sich aus der Investitionszusage, derArbeitsplatzgarantie und der Teilentschuldung ergäben und insges.mit 13.138.400 DM zu bewerten seien.

Die Kl. hat beantragt, den Bescheid des Bekl. insoweit aufzuheben,als ein Anspruch auf Erlösauskehr festgestellt wird, der den Betrag von142.654,31 DM übersteigt.

Das VG gab der Klage statt.

Die Revision des Bekl. hatte keinen Erfolg.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:Der Begriff des Erlöses iSv § 6 Abs. 6 a Satz 4 VermG aF (jetzt sachlichunverändert Satz 3, vgl. Art. 1 Nr. 1 VermRÄndG v. 15.9.2000, BGBl. IS. 1382) setze zweierlei voraus: Zum einen müsse es sich um eine Geld-leistung handeln, zum anderen müsse diese Geldleistung den Charak-ter einer Gegenleistung für den veräußerten Vermögenswert haben.Dies folge aus der Definition des Erlöses in § 16 Abs. 1 Satz 1 InVorG,die auch für § 6 Abs. 6 a Satz 4 VermG aF gelte; denn beide Vorschrif-ten verfolgten dasselbe Ziel, nämlich dem Berechtigten im Falle derUnmöglichkeit der Rückgabe des Vermögenswerts als Surrogat dieLeistungen zukommen zu lassen, die der Verfügungsberechtigte für dieVeräußerung des Vermögenswerts erhalten hat.

Übernehme der Erwerber neben der Pflicht zur Zahlung des Kauf-preises weitere Verpflichtungen, seien diese nicht mit ihrem in Geldausgedrückten Gegenwert dem Erlös hinzuzurechnen. § 6 Abs. 6aVermG unterscheide zwischen der Herausgabe des Erlöses (Satz 4 aF)und der Zahlung des Verkehrswerts (Satz 5 aF). Die Systematik desGesetzes stehe daher der Ansicht des Bekl. entgegen, dass »Erlös« derWert des Unternehmens sei, von dem die Vertragsparteien zur Ermitt-lung des Kaufpreises sonstige Verpflichtungen des Erwerbers mit derenWert abgezogen hätten. Zwar solle der Berechtigte durch die Aus-gleichsansprüche nach § 6 Abs. 6a VermG wirtschaftlich so gestelltwerden, als würde ihm der Vermögenswert (das Unternehmen)zurückübertragen (vgl. etwa BGH, NJ 1999, 657 [bearb. v. Gruber] );dies werde jedoch dadurch sichergestellt, dass er anstelle des erzieltenErlöses ggf. den Verkehrswert des Vermögenswerts beanspruchenkönne.

Diese Auffassung werde dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeberden ordentlichen Gerichten die Zuständigkeit für die weiterge-henden Ansprüche auf Zahlung des Verkehrswerts mit der Begrün-dung zugewiesen habe, die Vermögensämter wären mit der Fest-stellung des Verkehrswerts überfordert (BT-Drucks. 12/2480, S. 75).Der Gesetzgeber sei dabei augenscheinlich davon ausgegangen, dassdie Feststellung des Erlöses den Vermögensämtern keine Schwierig-keiten bereite. Dem entspreche eine Auslegung des Begriffs »Erlös«,die nur darauf abstellt, welche Geldleistung dem Veräußerer nachdem Vertrag zufließen soll.

Daraus folge, dass weder die Investitionszusagen noch die Arbeits-platzgarantie oder die Entschuldung von den Altkrediten unter denBegriff »Erlös« fallen. Anders verhielte es sich nur, wenn zum einendie Vertragsparteien die Nachzahlung eines erhöhten Kaufpreises fürden Fall vereinbart hätten, dass Investitionszusagen und Arbeitsplatz-garantien nicht eingehalten werden, und zum anderen nach einemVerstoß gegen diese Pflichten ein erhöhter Kaufpreis nachentrichtetworden wäre. Eine derartige Vereinbarung hätten die Vertrags-parteien jedoch nicht getroffen; vielmehr hätten sie sich in demErgänzungsvertrag v. 1.10.1991 auf eine selbständige Ausgleichs-abgabe – nach Art einer Vertragsstrafe – für den Fall verständigt, dassdie gegebenen Investitions- und Arbeitsplatzgarantien nicht einge-halten werden.

Auch die nachträgliche Entschuldung von Altkrediten sei nicht zuberücksichtigen. Dabei sei unerheblich, ob die Kl. im Falle einerRückübertragung des Unternehmens an die Beigel. das Unternehmenebenfalls entschuldet hätte. Dies folge schon daraus, dass der auszu-kehrende Erlös als Surrogat an die Stelle des an sich zurückzu-übertragenden Unternehmens trete, dessen Rückübertragung durchdie Veräußerung unmöglich geworden sei. Der Berechtigte könnedeshalb nicht die Auskehr sonstiger finanzieller Leistungen verlangen,die er außerhalb des VermG im Falle der Rückübertragung des Vermö-genswerts neben diesem zusätzlich erhalten hätte. Ein Ausgleich werdenur insoweit geleistet, als originär dem Berechtigten zustehendeAnsprüche durch die Veräußerung untergehen.

Rechtsprechung Verwaltungsrecht

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559Neue Justiz 10/2001

Kommentar:Das BVerwG stellt klar, dass das Vermögensamt nur über die Auskehrdes vom Verfügungsberechtigten vereinnahmten Kaufpreises zu ent-scheiden hat. Es verwirft eine verbreitete Auffassung (vgl. z.B. Bern-hardt, in: Rädler/Raupach/Bezzenberger, Vermögen in der ehem. DDR,22. Erg.Lfg., § 6 VermG Rn 214), nach der zwischen Erlös und Kauf-preis zu unterscheiden ist. Streitigkeiten über die Frage, in welcherHöhe denn das Vermögensamt den Kaufpreis unter wirtschaftlichenGesichtspunkten angesichts der vom Käufer übernommenen vertrag-lichen Verpflichtungen zur Schaffung von Arbeitsplätzen etc. anzu-setzen hat, werden durch die Auslegung des BVerwG vermieden.Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten wird in Zukunft daher nur dieFrage sein, ob der nominelle Kaufpreis dem Verkehrswert entspricht,was der Berechtigte und der Verfügungsbefugte dann ggf. vor denZivilgerichten klären müssen.

Probleme können bei der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Ver-mögensämtern und Zivilgerichten allerdings dann noch auftreten,wenn unklar ist, ob es sich bei einer Zahlungsverpflichtung für den Fallder Nichterfüllung der Vertragspflichten um eine Kaufpreisnachzah-lung oder um eine Vertragsstrafe handelt. Klar ist dies dann, wenn derVertrag nach In-Kraft-Treten des InVorG im Juli 1992 geschlossenwurde: Angesichts § 8 Abs. 2 Satz 2 InVorG, der zwingend die Verein-barung einer Vertragsstrafe im Kaufvertrag vorsieht, spricht die Ver-mutung dafür, dass es sich bei der Nachzahlung um eine Vertragsstrafehandelt. Zuvor hatte die THA aber auch Vertragsmuster verwandt, dienur eine Kaufpreiserhöhung vorsahen (vgl. J. Heß, Unternehmens-verkäufe der Treuhandanstalt, 1997, S. 125 ff.). Das BVerwG tendiertin seiner Entscheidung dazu, im Zweifelsfall eine Vertragsstrafe anzu-nehmen. Es hat in der von den Parteien als »Ausgleichsabgabe«bezeichneten Klausel wohl deshalb keine Kaufpreisnachzahlungs-klausel gesehen, weil diese Klausel »nach Art einer Vertragsstrafe«,so das BVerwG, nur eine pauschale Summe festsetzte und nicht demgenauen Wert der Vertragspflichten entsprach.

Dieser Ansicht ist auch unter wertenden Gesichtspunkten zuzu-stimmen. Zum einen geht es um die Auslegung einer Vertragsklausel,was Aufgabe der Zivilgerichte und nicht der Vermögensämter ist.Zum anderen kann der Berechtigte danach bei einem wegen dervertraglichen Verpflichtungen sehr niedrig angesetzten Kaufpreis zwarden Verkehrswert verlangen, die Vertragsstrafe bzw. vertragsstrafe-ähnliche Pauschalzahlung verbleibt aber beim Verkäufer. Dadurchwird vermieden, dass der Berechtigte durch die Unmöglichkeit derRestitution besser gestellt wird als er im Falle der Rückgabe des Ver-mögensgegenstands stünde. Auch dieser Aspekt spricht dafür, dass imZweifel nicht eine – dem Berechtigten vom Vermögensamt zuzuspre-chende – Kaufpreisnachzahlung vorliegt, sondern dass es sich um eineVertragsstrafe handelt.

Prof. Dr. Joachim Gruber, D.E.A. (Paris I), Westsächsische Hochschule, Zwickau

� 04.8 – 10/01

Landrat als Behörde iSd Verwaltungsprozessrechts/vorläufiges Rechts-schutzverfahren/PassivrubrumOVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 14. Februar 2001 – 2 B 391/00.Z (VG Cottbus)

VwGO §§ 78 Abs. 1 Nr. 2, 80 Abs. 5; BbgVwGG § 8 Abs. 2 Satz 1

Anträge nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung deraufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage sind in entsprechen-der Anwendung des § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO iVm § 8 Abs. 2 Satz 1 Bbg-VwGG gegen den Landrat zur richten unabhängig davon, ob er alsBehörde des Kreises im (eigenen oder übertragenen) Wirkungskreisdes Kreises oder als untere Landesbehörde tätig wird.

(mitgeteilt von RiOLG Jürgen Schmidt, Frankfurt [Oder])

05 ARBEITSRECHT

� 05.1 – 10/01

Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit/Freistellung von derErbringung der Arbeitsleistung/ArbeitsentgeltLAG Halle, Beschluss vom 22. November 2000 – 1 Ta 133/00 (ArbG Magdeburg)

BRAGO §§ 10 Abs. 1, 23 Abs. 1; ZPO § 3; ArbGG § 12 Abs. 7

1. Wird ein Arbeitnehmer aufgrund eines Prozessvergleichs von derErbringung der Arbeitsleistung unwiderruflich unter Fortzahlungdes Arbeitsentgelts freigestellt, kommt als Gegenstandswert deranwaltlichen Tätigkeit für den Prozessvergleich der Betrag deswährend des Freistellungszeitraums zu leistenden Arbeitsentgelts inBetracht. Für die wirtschaftliche Bewertung des Werts der Freistel-lung kann nämlich im Zweifel auf die Höhe des arbeitsvertraglichvereinbarten Entgelts für den Zeitraum der Freistellung abgestelltwerden. Letztlich maßgebend ist jedoch jeweils die Situation imkonkreten Fall.2. Das Fehlen einer Klausel, mit der auf die Anrechnung von Zwischen-verdienst während des Zeitraums der Freistellung auf das fortzuzah-lende Arbeitsentgelt durch den Arbeitgeber verzichtet wird, kann dieFreistellungsvereinbarung wirtschaftlich wertlos machen.

� 05.2 – 10/01

Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit/Einstellung von Arbeit-nehmern/Zustimmung des BetriebsratsLAG Berlin, Beschluss vom 6. April 2001 – 17 Ta 6049/01 (Kost) (ArbG Berlin)

BRAGO § 8 Abs. 2; BetrVG § 99 Abs. 1 u. 4

1. Der Streit der Betriebsparteien über die Zustimmung des Betriebs-rats zu einer personellen Einzelmaßnahme iSd § 99 Abs. 4 BetrVGstellt eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit dar, die nach§ 8 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. BRAGO zu bewerten ist. Dabei ist eineentsprechende Anwendung des § 12 Abs. 7 ArbGG nicht möglich.2. Sind mehrere personelle Einzelmaßnahmen iSd § 99 Abs. 1 BetrVGGegenstand des Beschlussverfahrens, so ist grundsätzlich jede vonihnen zu bewerten und anschließend ein Gesamtwert zu bilden.Handelt es sich um voneinander unabhängige Maßnahmen, so sindderen Werte ohne Wertabschlag zu addieren. Beruhen die Maßnah-men hingegen auf einer einheitlichen unternehmerischen Entschei-dung, so ist dies bei der Wertfestsetzung zu berücksichtigen und derWert der weiteren Maßnahmen angemessen herabzusetzen.

� 05.3 – 10/01

Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit/Unwirksamkeit vonBetriebsratsbeschlüssenLAG Chemnitz, Beschluss vom 9. April 2001 – 4 Ta 371/00 (ArbG Leipzig)

BRAGO §§ 8 Abs. 2 Satz 2, 10; BetrVG § 33

Zur Bemessung des Gegenstandswerts im arbeitsgerichtlichenVerfahren. (Leitsatz der Redaktion)

Das ArbG hat den Gegenstandswert zum Zwecke der anwaltlichenGebührenberechnung auf 12.000 DM festgesetzt und in den Gründenausgeführt, für das Verfahren sei gem. §§ 8 Abs. 2, 10 BRAGO ein Werti.H.v. 12.000 DM in Ansatz zu bringen, da dieser Betrag in Anbetrachtder zu behandelnden tatsächlichen und rechtlichen Fragen angemes-sen sei.

Gegen diese Wertfestsetzung haben die Prozessbevollmächtigten(Beschwerdef. zu 1 u. 2) Beschwerde eingelegt, mit der sie eine Fest-setzung des Gegenstandswerts auf 28.000 DM erstreben.

Die Beschwerden hatten teilweise Erfolg.

Verwaltungsrecht

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Neue Justiz 10/2001560

Aus den Entscheidungsgründen:II. … Bei der Festsetzung des Gegenstandswerts nach § 8 Abs. 2 Satz 2BRAGO für eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit hat, soweit die-ses möglich ist, eine Bewertung unter individuellen Gesichtspunktenzu erfolgen. Neben dem Umfang und der Schwierigkeit einer Sacheund dem daraus resultierenden Arbeitsaufwand für den Rechtsanwaltfindet insbes. die Bedeutung der Angelegenheit für die Beteiligten,deren ideelles und materielles Interesse bei der Gegenstandswertfest-setzung Berücksichtigung. Eine Festsetzung auf den in § 8 Abs. 2 Satz 2BRAGO genannten Wert von 8.000 DM (…) kommt nur in Betracht,wenn Anhaltspunkte für eine individuelle Bewertung der Angelegen-heit nicht gegeben sind. Bei dem Betrag von 8.000 DM handelt es sichnicht um einen Regelwert, sondern um einen Hilfswert (…).

In Anlehnung an diese Grundsätze ergibt sich, dass weder der vor-liegend vom ArbG festgesetzte Gegenstandswert von 12.000 DM nochder von den Beschwerdef. zu 1 u. 2 … angestrebte Gegenstandswert von28.000 DM ermessensgerecht ist. Vielmehr entspricht ein Gegenstands-wert von 24.000 DM billigem Ermessen iSv § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO.

Das zugrunde liegende Beschlussverfahren, in dem die Ast. zu 1. undder Betriebsrat der V. Versicherung AG darüber streiten, ob die in derSitzung v. 30.8.2000 gefassten Beschlüsse … nichtig bzw. unwirksamsind, hat einen Streitgegenstand, der einem Verfahren nach § 33 iVm§ 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG entspricht. Dabei ist das ArbG nur befugt,die Rechtsunwirksamkeit von Betriebsratsbeschlüssen festzustellen,wenn sie wegen Rechtswidrigkeit nichtig sind. …

Nach Auffassung des BeschwerdeG ist es nicht sachgerecht, beiStreitigkeiten dieser Art den Gegenstandswert von formellen Fragen– etwa der Anzahl der Beschlüsse des Betriebsrats sowie der Anzahl derBetriebsratsmitglieder – abhängig zu machen. § 8 Satz 2 Halbs. 2 BRAGOnennt … die wertbestimmenden Faktoren zwar nicht selbst, doch ausdem Zweck der Vorschrift lässt sich entnehmen, dass in erster Linie aufdie tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Sache abzustellenist, da diese die Arbeit des Rechtsanwalts bestimmen. Andererseitserscheint es auch nicht ermessensgerecht, den Gegenstandswert vorlie-gend entsprechend der Auffassung der Beschwerdef. zu 1 u. 2 auf 28.000DM festzusetzen. Eine solche Festsetzung kommt … nur dann in Betracht,wenn Anhaltspunkte für eine individuelle Bewertung der Angelegenheitinsbes. nach ihrer Bedeutung für die Beteiligten nicht gegeben sind.

Für Beschlussverfahren wie das zugrunde liegende sind vorliegendjedoch hinreichende Anhaltspunkte für eine individuelle Bewertunggegeben.

Im Einzelnen hatte das Gericht sich mit der Frage der Nichtigkeitder Betriebsratsbeschlüsse aufgrund einer fehlerhaften Ladung, derBehauptung der Teilnahme eines falschen Ersatzmitglieds und derFrage der Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzung im Wesentlichenauseinanderzusetzen. Der Inhalt der einzelnen Beschlüsse war nurinsoweit maßgeblich, als die Frage einer ausreichenden Mitteilung derTagesordnung an die Betriebsratsmitglieder zu prüfen war. Auf denWert einer individualrechtlichen Streitigkeit über eine Versetzung oderdie Einstellung eines Arbeitnehmers konnte nicht zurückgegriffenwerden, denn unabhängig von der individualrechtlichen Beurteilungder Maßnahmen des Arbeitgebers waren vorliegend betriebsverfassungs-rechtliche Fragen zu beurteilen. Somit ging es nicht um die inhaltlicheRichtigkeit der gefassten Beschlüsse des Betriebsrats, sondern nurdarum, ob hier seitens des Betriebsrats in der Beschlussfassung for-melle Mängel in der Sitzung des Betriebsrats v. 30.8.2000 vorliegen.

Insoweit sind die in der obigen Sitzung zu den TOP 2., 4., 8. (…)gefassten Beschlüsse in drei Kategorien zu unterteilen, wobei die TOP 7.u. 8., in denen es um die Behauptung der Teilnahme eines falschen

Ersatzmitglieds und die Behauptung einer fehlerhaften Ladung vorlie-gend ging, zusammengefasst werden können. Damit handelte es sich beiden TOP 2. (…), 4. (…) und 7./8. (…) arbeitsgerichtlich um drei ver-schiedene Komplexe. Während es in den TOP 7. u. 8. um die materiell-rechtliche Frage der fehlerhaften Ladung und der Behauptung derTeilnahme eines falschen Ersatzmitglieds ging, betrafen die TOP 2. u. 4.jeweils u.a. die Frage der Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzung.

Aufgrund der hier gebildeten drei Kategorien war von einem Gegen-standswert i.H.v. 8.000 DM für jede Kategorie auszugehen, so dasssich hier ein Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit desBeschwerdef. zu 1 u. 2 i.H.v. insges. 24.000 DM ergibt (3 x 8.000 DM).

Soweit der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdef. zu 1 bei seinerWertberechnung die Anzahl der Betriebsratsmitglieder mit dem Hilfs-wert nach § 8 Abs. 2 BRAGO multipliziert, wird mit dem ArbG daraufhingewiesen, dass selbst im Bereich der Anfechtung der Betriebs-ratswahl die Rspr. nicht einheitlich ist (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, NZA1992, 667).

Soweit der Beschwerdef. zu 2 … ausführt, dass vorliegend auch elfeinzelne Verfahren hätten geführt werden können, was zu einemGegenstandswert von 88.000 DM geführt hätte, nachdem jedoch dieBeschlussanfechtungen gebündelt erfolgt seien, der Regelstreitwertvon 8.000 DM um 2.000 DM für jeden weiteren – auch angeblichenBeschluss – insges. also auf einen Betrag von 20.000 DM + 8.000 DM= 28.000 DM anzusetzen sei, geht auch diese Ansicht des Beschwerdef.zu 2 vorliegend fehl, da eben keine elf Verfahren geführt wurden,so dass eine solche Betrachtung … außen vor bleiben kann. UnterBeachtung der hier erfolgten Angriffspunkte sind vielmehr die zumGegenstand des Beschlussverfahrens bestimmten Beschlüsse desBetriebsrats nach den vorliegenden Angriffspunkten zusammenfas-send in drei Kategorien zu gliedern (vgl. oben).

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit der Beschwerdef.zu 1 u. 2 beträgt somit insges. 24.000 DM.

� 05.4 – 10/01

Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit/KündigungsschutzklageLAG Berlin, Beschluss vom 10. April 2001 – 17 Ta 6052/01 (Kost) (ArbG Berlin)

BRAGO § 10; ArbGG § 12 Abs. 7

1. Jede Kündigungsschutzklage stellt eine eigene BestandsstreitigkeitiSd § 12 Abs. 7 ArbGG dar und ist gesondert zu bewerten.2. Werden mehrere Kündigungen in einem Rechtsstreit angegriffen,so sind die Werte der Kündigungsschutzklagen zusammenzurechnen.Der Wert einer Kündigungsschutzklage ist jedoch auf den Wert einerweiteren Kündigungsschutzklage anzurechnen, soweit sich die Kün-digungsschutzanträge innerhalb eines Zeitraums von drei Monatenzeitlich überschneiden. Der Umfang der Berechnung richtet sich nachder Zeitspanne, die zwischen den in den jeweiligen Kündigungengenannten Beendigungszeitpunkten liegt, wobei die gegen diezuletzt ausgesprochene Kündigung gerichtete Klage ihren Wertbehält. Liegen die Beendigungszeitpunkte drei Monate oder längerauseinander, findet eine Anrechnung nicht statt.

Anm. d. Redaktion: In Rspr. und Lit. bestehen unterschiedliche Auffassungendarüber, in welcher Weise der Wert einer Bestandsstreitigkeit festzusetzen ist,wenn sich der Arbeitnehmer gegen mehrere Kündigungen seines Arbeitsver-hältnisses wendet. Vgl. zum Meinungsstand Germelmann/ Matthes/Prütting,ArbGG, 3. Aufl. 1999, § 12 Rn 99 ff.; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rn 137 ff.;Meier, Streitwerte im Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2000, Rn 183 ff. jew. mwN.

Rechtsprechung Arbei t s recht

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VIINeue Justiz 10/2001

ZEITSCHRIFTENÜBERSICHT

Völkerrecht/EuroparechtG. E. Konstantinow, Die Anklage gegen Milosevic im System des Jugos-lawien-Tribunals, ZRP 2001, 359-363B. W. Wegener, Die Neuordnung der EU-Gerichtsbarkeit durch den Ver-trag von Nizza, DVBl. 2001, 1258-1263

Verfassungsrecht/StaatsrechtM. Herdegen, Die Menschenwürde im Fluß des bioethischen Diskur-ses, JZ 2001, 773-779M. Morlok/H. M. Heinig, Feiertag! Freier Tag? Die Garantie des Sonn-und Feiertagsschutzes als subjektives Recht im Lichte des Art. 139WRV, NVwZ 2001, 846-851B. Pieroth/Th. Kingreen, Das Verbot von Religions- und Weltanschau-ungsgemeinschaften, NVwZ 2001, 841-846M. Sichert, Das Parteiverbot in der wehrhaften Demokratie. KeineToleranz gegenüber den Feinden der Toleranz!?, DÖV 2001, 671-681

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