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Niedrige Stuhlfrequenz beunruhigt Patienten

Date post: 23-Dec-2016
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Page 1: Niedrige Stuhlfrequenz beunruhigt Patienten

14 Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (9)

PflegePraxis Störungen der Darmfunktion

Chronische Obstipation: Fakten und Mythen

Niedrige Stuhlfrequenz beunruhigt PatientenÜber Ursachen und Behandlung der Obstipation sind zahlreiche unbewiesene, oft auch falsche Vorstellungen im Umlauf. Nur selten lässt sich eine Grundkrankheit finden, durch deren Behandlung die Obstipation geheilt werden kann. Diätetische und Verhaltensmaßnahmen sollen versucht werden, sind aber nur beschränkt effektiv. Die heute gebräuchlichen Laxanzien sind wirksam und bei bestimmungsgemäßem Gebrauch auch langfristig sicher.

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Unter Obstipation werden verschie-dene Symptome zusammengefasst. Nur rund ein Viertel der Patienten,

die sich als verstopft bezeichnen, hat weniger als drei Stuhlentleerungen pro Woche. Einige Patienten sind durch eine niedrige Stuhlfrequenz beunruhigt, weil sie durch die lange Verweildauer des Stuhls im Körper eine – unbegründete – Selbstvergiftung befürchten. Für die meisten stehen Völlegefühl, harter Stuhl-gang oder heftiges Pressen zur Stuhlent-leerung im Vordergrund. Bei wiederhol-tem heftigem Pressen sind für manche Betroffene negative Folgen zu befürchten, zum Beispiel bei Hypertonikern oder bei Erkrankungen oder nach Operationen im Bereich des Beckenbodens.

Die chronische Obstipation geht mit einer signifikant verschlechterten Lebens-qualität einher. Dies stellt eine weitere wesentliche Motivation zur Behandlung dar.

Bewegung und ErnährungKörperliche Bewegung kann beim nicht Verstopften zwar einen Stuhlreiz auslösen, Obstipierte sind im Mittel aber nicht we-niger körperlich aktiv als Gesunde. Die Hoffnung, durch Verordnung von mehr Bewegung die Obstipation zu bessern, ist daher weder logisch noch begründet. Zwar führt ballaststoffarme Kost beim Gesunden zu einem kleineren Stuhlvolu-men, eine Analyse der Ernährung zeigt aber keinen Unterschied im Ballaststoff-verzehr zwischen Obstipierten und Kon-trollpersonen. Obstipierte haben im Mit-

tel kleinere Stuhlgewichte und längere Transitzeiten, mit und ohne ballaststoff-reiche Kost. Nur ein Teil der Obstipierten hat einen verzögerten Transit durch den Dickdarm, der auch durch hohe Ballast-stoffzufuhr nicht zu beheben ist. Diese Patienten haben weniger häufig Kontrak-tionswellen im Kolon, die den Darminhalt nach aboral transportieren.

Obstipation als NebenwirkungObstipation kann eine unerwünschte Arz-neimittelwirkung sein (Tab. 1). Die Be-deutung hormoneller Ursachen wird – abgesehen von der Schwangerschaft – meist überschätzt. Neurologische Ursa-chen der Obstipation (Morbus Parkinson, Querschnittslähmung) sind dagegen kaum zu übersehen. Leider lassen sich die wenigsten neurologischen Erkrankungen kausal behandeln. Daher sind diese Pati-enten auf chronische Laxanziengaben angewiesen.

Formveränderungen des Enddarms (z.B. Rektozele, innerer Rektumprolaps), Beckenbodensenkung und Störungen der Sphinkterfunktion können Stuhlentlee-rungsstörungen verursachen. Erkannt werden sie nur mit funktionellen Unter-suchungsmethoden (proktologische Un-tersuchung, Defäkografie), nicht aber mit der Koloskopie.

Größere Rektozelen begünstigen einen Prolaps der Rektumvorderwand. nderer-seits können sie die Defäkation dadurch stören, dass der beim Pressen aufgewandte Druck vollständig zur Dehnung der Rek-tozele verbraucht wird und nicht die

Stuhlaustreibung befördert. Ein Teil des Rektum inhalts bleibt dann in der Rekto-zele. Auch bei der Beckenbodensenkung wird Pressdruck verschwendet.

Die Diagnostik beruht im Wesentlichen auf der Anamnese und dem körperlichen Befund. Eine rektale Untersuchung gehört zur Basisuntersuchung, vor allem bei ent-sprechenden Symptomen. Eine Kolosko-pie ist nur indiziert, wenn eine organische Kolonerkrankung in Betracht kommt oder sie zur Früherkennung von Darm-krebs ohnehin anstünde; zur Diagnostik bei chronischer Obstipation trägt sie nichts bei. Auch Laboruntersuchungen sind meist überflüssig.

Behandlung nur bei LeidensdruckBessern sich die Beschwerden unter einer hoch dosierten Probe behandlung mit Ballaststoffen (Weizenkleie oder Präpa-rate aus Flohsamen) ausreichend, erübrigt sich eine weitere Diagnostik. Die Transit-zeitmessung dient in erster Linie der Ob-jektivierung der Angaben des Patienten. Eine Defäkationsstörung wird am besten mit der Defäkografie abgeklärt. Doch da die Untersuchung unangenehm und die Strahlenbelastung erheblich ist, ist sie nur selten angezeigt. Die allermeisten Pati-enten können vom Hausarzt beraten und behandelt werden; eine Überweisung zum Facharzt bleibt den schwer zu behandeln-den Patienten vorbehalten. Die chro-nische Obstipation ist harmlos und daher nur behandlungsbedürftig, wenn Leidens-druck besteht. Die wichtigste Maßnahme ist die Aufklärung darüber, dass durch

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seltenen Stuhlgang keine Nachteile für die Gesundheit zu erwarten sind (keine „Selbstvergiftung“), und dass es keine mini mal erforderliche Stuhlfrequenz gibt.

Eine Reihe von Maßnahmen zur Be-handlung der chronischen Obstipation wird immer wieder auch in Lehrbüchern kritiklos empfohlen, obwohl ihre Wirk-samkeit nicht belegt oder sogar widerlegt ist. So hat eine Steigerung der Trink-menge über die „normalen“ etwa 1,5 Liter keine therapeutische Wirkung. Körper-liche Bewegung ist zwar zweifellos ganz allgemein gesundheitsfördernd. Ein po-sitiver Effekt auf die Obstipation ließ sich aber nicht zeigen.

Bei Weitem nicht alle Patienten sind mit den oben genannten Maßnahmen ausrei-chend behandelbar. Daher besteht ein Bedarf nach pharmakologischer Behand-lung der Obstipation. Die im Handel er-hältlichen Laxanzien sind sicher, und auch gegen ihre langfristige Anwendung ist bei gegebener Indikation und korrekter Do-sierung nichts einzuwenden. Da die La-xanzienbehandlung meist als Selbstmedi-

kation betrieben wird, fragt sich aller-dings, ob die Patienten zu einem vernünf-tigen Umgang mit diesen Mitteln in der Lage sind. Eine Umfrage unter fast 2.000 Käufern von Picosulfat mit einem Rück-lauf von 95,7 % der Bögen ergab, dass 96 % der Befragten nicht mehr als die empfoh-lene Dosis (5-10 mg/Dosis) einnahmen. Die Indikation war bei 99 % bestim-mungsgemäß (niedrige Frequenz 49 %, harter Stuhl 44 %, Pressen 35 %).

Dies zeigt, dass die Patienten von we-nigen Ausnahmen abgesehen verantwor-tungsbewusst mit dieser Art der Selbst-medikation umgehen.

Wasserbindende LaxanzienOsmotische Salze (z.B. Glaubersalz) kom-men zum Teil in natürlichen Quellen vor und sind seit Langem im Gebrauch. Bei langfristiger Anwendung kann der Ge-schmack problematisch sein.

Bei Herz- und Nierenkranken wurde von Elektrolytstörungen berichtet. Ma-crogol (Polyethylenglycol, Molekularge-wicht 3.350– 4.000) wird seit Jahrzehnten

zur Darmreinigung vor der Koloskopie eingesetzt. Es hat sich auch in der Dauer-behandlung der Obstipation bewährt. Auch Disaccharide und Zuckeralkohole werden häufig eingesetzt. Sie führen aber zu Blähungen und sind bei langsamem Transit schlecht wirksam.

ProkinetikaDa die chronische Obstipation oft auf einer Bewegungsstörung des Dickdarms beruht, ist es logisch, eine Besserung durch reine Prokinetika zu versuchen. Dafür kommt der 5-HT4-Agonist Proca-loprid in Betracht, der sich in mehreren großen Studien als wirksam und sicher erwiesen hat. Procaloprid ist derzeit zwar nur für Frauen zugelassen; die Studiener-gebnisse lassen aber wenig Zweifel an der Wirksamkeit auch bei Männern.

Stimulierende LaxanzienUnter dem Begriff „stimulierende Laxan-zien“ werden Bisacodyl, Natrium-Pico-sulfat und die Anthrachinone zusammen gefasst. Sie vereinen die beiden vorge-

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PflegePraxis Störungen der Darmfunktion

TAB. 1 POTENZIELL OBSTIPIERENDE MEDIKAMENTE

Medikament Maßnahme *

Antihypertensiva (Kalzium-antagonisten, Clonidin)

Änderung des Wirkprinzips (z. B. ß-Blocker, ACE-Hemmer)

trizyklische Antidepressiva SSRI (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer)

Antiepileptika Laxanzien

Opiate Laxanzien oder Kombinationspräparat aus Oxycodon und Naloxon

Parkinsonmittel Laxanzien

* Bei manchen Medikamenten ist ein Präparatewechsel sinnvoll, bei anderen nur die zusätzliche Gabe eines Abführ-mittels. Stets ist zunächst zu prüfen, ob das Medikament abgesetzt oder die Dosis reduziert werden kann.

TAB. 2 WICHTIGE ANAMNESTISCHE HINWEISE

Symptom Maßnahme bzw. Deutung

Alarmsymptome: ▶ Kürzliche Änderungen der Stuhlgewohnheiten ▶ Blut beim Stuhl ▶ Allgemeines Krankheitsgefühl ▶ Anämie

▶ Organische Ursache ausschließen

Vorurteile ▶ „Täglicher Stuhlgang muss sein!“ ▶ Angst vor Selbstvergiftung

▶ Aufklärung und Beruhigung

Ernährungsanamnese ▶ ggf. Ballaststoffverzehr steigern ▶ Frühstück mit Zeit für Toilettenbesuch

Medikamentenanamnese ▶ vgl. Tab. 1

Stuhlgewohnheiten: ▶ Seltener oder harter Stuhlgang

▶ Spricht für kologene Obstipation mit oder ohne langsamen Transit

▶ Pressen zur Entleerung trotz weichen Stuhls ▶ Blockadegefühl im Enddarm ▶ Unvollständige Entleerung ▶ Manuelles Nachhelfen

▶ Spricht für Entleerungsstörung

TAB. 3 DIE WICHTIGSTEN LAXANZIEN

Gruppe Beispiel (Dosis) Wirkungsweise Nachteil

Salze (salinische Laxanzien)

▶ Glaubersalz, Bittersalz, Magnesiumoxid (5–10 g)

▶ Osmotische Wasserbindung ▶ Elektrolytstörung ▶ Geschmack

lösliche Makromoleküle ▶ Macrogol (10–20 g) ▶ Osmotische Wasserbindung ▶ Geschmack (v. a. elektrolythaltige Präparate)

Zuckerstoffe ▶ Laktulose, Sorbit, Laktose, Lactitol (10–30 g)

▶ Osmotische Wasserbindung ▶ Bakterienmasse nimmt zu

▶ Bei schwerer Obstipation schlecht wirksam ▶ Blähungen

„Stimulanzien“ ▶ Bisacodyl, Picosulfat (5–10 mg) ▶ Sennoside (10–20 mg)

▶ Prokinetisch, antiabsorptiv ▶ Bakterielle Aktivierung von Anthrachinonen und Picosulfat im Kolon

▶ evtl. Bauchgrimmen

5-HT₄-Agonisten ▶ Prucalopride ▶ Prokinetisch ▶ Wenig Erfahrung

nannten Wirkmechanismen miteinander: Sie hemmen die Flüssigkeitsresorption und wirken sehr stark prokinetisch. Sti-mulierende Laxanzien müssen nicht täg-lich genommen werden, ein bis zwei Ein-nahmen wöchentlich reichen bei fast der Hälfte der Patienten aus.

Nebenwirkungen sind seltenNebenwirkungen sind nur bei chronischer Überdosierung zu erwarten; bei vernünf-tiger Dosierung wurden sie nie beschrie-ben, insbesondere keine Hypokaliämie, obwohl vor dieser immer wieder gewarnt wird. Nur wenige Patienten mit lang-samem Transit berichten über eine Ge-wöhnung an die Substanzen und wechseln hin und wieder das Präparat. Systema-tische Untersuchungen zu dieser Frage fehlen. Es liegen allerdings zwei retrospek-tive Befragungen vor: An der einen nah-men Patienten teil, die über Jahre Pico-sulfat eingenommen hatten, an der ande-ren Querschnittsgelähmte, die regelmäßig Bisacodyl einnahmen. Zwar hatten viele Patienten die Dosis ein wenig erhöht, in keinem Fall wurde jedoch die empfohlene Höchstdosis überschritten. Eine Gewöh-nung an stimulierende oder andere La-xanzien ist daher auch bei langfristiger Einnahme nicht zu befürchten.

Das synthetische Laxans Bisacodyl wird durch Hydrolasen der Darmschleimhaut in die aktive Substanz BHPM (bis-[p-hydroxyphenyl]-pyridyl-2-methan) um-gewandelt. Da ein Effekt auf den Dünn-darm unerwünscht ist, ist es ausschließ-lich als Dragee und nicht in Tropfenform verfügbar. Ein eleganter alternativer Weg wurde in Form des Sulfatesters des Bisa-

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Prof. Dr. med. Stefan Müller-LissnerAbteilung Innere Medizin Park-Klinik Weissensee Schönstr. 80, 13086 Berlin [email protected]

▶ Die chronische Obstipation verlangt wenig technische Diagnostik.

▶ Eine organische Kolonerkrankung manifestiert sich nicht als chronische Obstipation, wiederholte Koloskopien sind unsinnig.

▶ Die niedrige Stuhlfrequenz ist nur eines unter mehreren Symptomen bei Obstipation. Eine minimal erforderliche Stuhlfrequenz gibt es nicht.

▶ Obstipation verschlechtert die Lebensqualität.

▶ Die Rolle der Trinkmenge für die Entstehung und Behandlung der Obstipation wird grob überschätzt.

▶ Ballaststoffe lohnen einen Versuch, sind aber kein Wundermittel und werden von einigen Patienten schlecht vertragen.

▶ Die verfügbaren Laxanzien sind wirksam und sicher. Eine Gewöhnung ist nicht zu befürchten.

FA Z IT FÜ R D I E PFLEG E

codyls, Natrium-Picosulfat, gefunden. Erst durch bakterielle Spaltung im Kolon wird es der Aktivierung durch die Hydrolasen zugänglich. Daher kann es in Tropfenform gegeben werden und ist feiner dosierbar. Bei Stuhlentleerungsstörungen kann Bisaco-dyl (im Gegensatz zu den anderen genannten Laxanzien) auch als Zäpfchen eingesetzt werden.

Die Anthrachinone liegen als Glykoside vor. Dies führt dazu, dass sie im Dünndarm nicht resorbiert werden und auch nicht wirken können. Erst im Dickdarm entsteht durch bakterielle Spaltung das wirksame Rhein-Anthrone. Aus der Gruppe der Anthrachinone sind zahlreiche Präparate im Handel. Am besten untersucht sind die reinen Sennoside. Die zu Werbezwecken oft herausgestellte Eigenschaft „rein pflanzlich“ ist weder von Vor- noch von erkennbarem Nachteil. Die bräunliche Verfärbung der Kolonschleimhaut nach Anthrachinonen (Melanosis coli) ist funktionell bedeutungslos.


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