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Neue Bildungswelten. Lernen in der digitalen Gesellschaft

Date post: 17-Dec-2015
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Digitalisierung und Vernetzung wandeln von Grund auf, wie wir künftig lernen werden. Die rasante Verbeitung und immense Popularität von MOOCs haben einen Umschwung eingeleitet: Technologie ist zugleich Antriebskraft und Vehikel des Wandels im Bildungsbereich. Die traditionellen Bildungsvermittler stehen unter Druck, sich unter den neuen Rahmenbedingungen neu zu erfinden. Lernen und Bildung sowie die auf diesem Feld agierenden Institutionen werden in der digitalen Gesellschaft ein völlig neues Gesicht haben. Die technologische Entwicklung hat einen Stand erreicht, der es nicht zulässt, Technologie einfach über das bestehende System zu stülpen und punktuell auf ihre Unterstützung zu bauen. Die Bildungswelt der Zukunft erfordert vielmehr, die Welt der Technologie mit all ihren neuen Möglichkeiten zusammenzubringen mit der Welt des Lernens.
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BÜRO FÜR ZUKUNFTSFRAGEN f/21 11.2014 zukunftsperspektiven Neue Bildungswelten Lernen in der digitalen Gesellschaft
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  • BRO FR ZUKUNFTSFRAGEN

    f/21

    11.2014

    zukunftsperspektiven

    Neue BildungsweltenLernen in der digitalen Gesellschaft

  • f/21 Bro fr Zukunftsfragen | www.f-21.de2

    Herausgeberf/21 Bro fr ZukunftsfragenMag. Nora S. Stampfl, MBARosenheimer Strae 35D-10781 BerlinTel.: +49 30 69 59 82 58E-Mail: [email protected]

    Neue Bildungswelten.Lernen in der digitalen Gesellschaft Nora S. Stampfl, f/21November 2014Alle Rechte vorbehalten

    FotonachweisSmtliche Fotos stammen von photocase.com:apl_d200 (S. 26), giftgruen (S. 40), kallejipp (S. 10), luxuz::. (S. 63), .marqs (Titel, S. 4 und 6), view7 (S. 14)

    IMPRESSUM

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    INHALT

    BILDUNG IM DIGITALEN ZEITALTER 61

    DAS ENDE DER FLIESSBAND-BILDUNG 102

    TRIEBKRFTE DES WANDELS:WELCHE TRENDS PRGEN DIE NEUE BILDUNGSWELT? 14

    3.1 Vom Information Overload zum just-in-time Wissen 153.2 Mikro-Karrieren prgen die Arbeitswelt von morgen 163.3 Von Pflichtkursen zum hyper-individualisierten Lernen 173.4 Der Aufstieg des Prosumers 183.5 Formale Bildung verliert ihre Monopolstellung 193.6 Big Data zieht in die Bildungswelt ein 203.7 Lernen wird zum Spiel 23

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    WEGBEREITER DER NEUEN BILDUNGSWELT 26

    4.1 MOOCs: Mehr als Vorlesungen aus der Konserve 284.2 Die Netz-Generation: Neue Anforderungen an das Lernen 37

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    AUSBLICK: DIE ZUKUNFT DER BILDUNG 40

    5.1 Merkmale neuer Bildungswelten 41 5.1.1 Offen: Bildung demokratisiert sich 41 5.1.2 Just-in-time & lebenslang: Lernen als stndiger Begleiter 42 5.1.3 Personalisiert: Jedem sein eigener Lernpfad 44 5.1.4 Peer-to-peer: Bildung verlsst den Elfenbeinturm 46 5.1.5 Selbstgesteuert: Von der Lehr- zur Lernveranstaltung 49 5.1.6 Alternative Creditsysteme: Badges statt Abschluss 51

    5.2 Wie wir morgen lernen werden: Vier Szenarien 53 5.2.1 Szenario 1: Edutopia 54 5.2.2 Szenario 2: Bildung Marke Eigenbau 57 5.2.3 Szenario 3: Alles beim Alten 60 5.2.4 Szenario 4: Mass E-Ducation 61

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    Tell me and I forget.Teach me and I remember.Involve me and I learn.

    Benjamin Franklin

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    Digitalisierung und Vernetzung wandeln Informations- und Kommunikationsprozesse ganz radikal. Informati-onen sind flssiger denn je: Nicht nur lassen sie sich einfacher und schneller verbreiten, auch der Zugang zu Informationen ist offener. Nicht zuletzt ndern neue Technologien, allen voran das Internet, daher von Grund auf, wie wir lernen.

    Zudem treffen die technologischen Neuerungen auf eine Reihe von Entwicklungen, die keinen Zweifel lassen: Lehren und Lernen werden knftig in einer neuen Wirk-lichkeit stattfinden. Neben Vorratswissen wird just-in-time Wissen ein hherer Stellenwert zukommen, genauso wie durch die hohe Dynamik der Wissenslandschaft Spezial-wissen gefragter sein wird denn je. Die Individualisierung des Lebens wird sich strker in einem personalisierten Ler-nen spiegeln und Lernende werden sich nicht lnger damit zufrieden geben, Bildung blo zu konsumieren, sie wer-den zu Bildungs-Prosumern. In der vernetzten Welt treten viele neue Bildungs-vermittler auf den Plan und kratzen an der Monopolstellung traditio-neller Player. Schlielich ziehen Big Data und Spiele in die Welt der Bildung ein.

    Diese Entwicklungen lassen die Bildungslandschaft nicht unberhrt. Die traditionellen Bildungsvermittler stehen unter Druck, sich unter den neuen Rahmenbedingungen neu zu erfinden. Lernen und Bildung sowie die auf diesem Feld agierenden Institutionen werden in der digitalen Ge-sellschaft ein vllig neues Gesicht haben.

    Ein Umschwung kndigte sich bereits mit der rasanten Verbreitung und immensen Popularitt von MOOCs (Mas-sive Open Online Courses) an. Seitdem steht fest: Bildung hat sich den virtuellen Raum erobert. MOOCs bilden den Ausgangspunkt, wie Lernen und Lehren in der vernetzten Welt knftig vonstatten gehen. Bildung wird sich demo-kratisieren und offen fr alle sein. Ebenso wird strker denn je Lernen ein lebenslanger Begleiter sein. Bildung

    wird flexibler zugnglich sein und Lernbedarfe werden berall und jederzeit gestillt werden knnen. Zudem ist die Zeit der Flieband-Bildung lngst vergangen: Big Data wird echte Personalisierung ermglichen und jedem Ler-nenden seinen individuellen Lernpfad erffnen. Bildung wird nicht lnger in Korsetts eingezwngt sein, sondern ffnet sich in alle Richtungen durch den Austausch mit anderen. Lernen findet vermehrt peer-to-peer statt. Die starre Rollenverteilung zwischen Lehrenden und Lernen-den weicht auf, stattdessen entstehen Netzwerke des Lernens. Lernen dreht sich gnzlich um die Bedrfnisse und Anforderungen des Lernenden und erfolgt strker selbstgesteuert als bisher. All diese Entwicklungen stellen das uralte Monopol der Vergabe akademischer Zertifikate durch Hochschulen in Frage. Neue Organisationen wer-den neue Arten von Bildungsnachweisen auf neuen We-gen anbieten.

    Wie kann man sich also die Bil-dungswelt von morgen vorstel-len? In vier Sze-narien zeichnen

    wir mgliche Zukunftsentwicklungen bis zum Jahr 2030. Diese kamen durch die Identifizierung zweier zentraler Einflussfaktoren zustande, die einen hohen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Bildungswesens haben, je-doch in ihrem Verlauf noch sehr offen und damit von unse-rem heutigen Standpunkt aus nur sehr schwer einschtz-bar sind: Die Wirkung der technologischen Revolution auf den Bildungssektor (gro/gering) einerseits und die Frage, wer die tonangebende Akteursgruppe im Bildungssektor (Bildungsanbieter/Bildungs-Prosumer) sein wird anderer-seits. Die vier Szenarien verdeutlichen, dass die technolo-gische Entwicklung einen Stand erreicht hat, der es nicht zulsst, Technologie einfach ber das bestehende System zu stlpen und punktuell auf ihre Untersttzung zu bau-en. Die Bildungswelt der Zukunft erfordert vielmehr, die Welt der Technologie mit all ihren neuen Mglichkeiten zusammenzubringen mit der Welt des Lernens.

    KURZGEFASST

    LERNEN WIRD IN EINER NEUEN WIRKLICHKEIT STATT-FINDEN. TECHNOLOGIE IST ZUGLEICH ANTRIEBSKRAFT UND VEHIKEL DES UMSCHWUNGS IM BILDUNGSBEREICH.

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    1BILDUNG IMDIGITALEN ZEITALTER

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    Die Praktiken der Wissensgenerierung und -ver-breitung haben sich im Laufe der Zeit stark gewandelt und sind ein Spiegelbild der umfas-senderen nderungen in unserer Gesellschaft. Denn Tech-nologie definiert beinahe jeden Aspekt unseres Lebens neu. Die moderne Informationsgesellschaft stellt nicht zu-letzt an das Bildungssystem neue Anforderungen. Neue Fhigkeiten sind gefragt: Problemlsungskompetenzen und die Fhigkeit, Neues zu lernen werden wichtiger als das Erweitern des Wissensbestandes. Das schnelllebige digitale Zeitalter ruft zudem nach Autodidakten, die sich selbstgesteuert Wissen aneignen, um dann in komplexen Situationen, die jeweils richtigen Ressourcen zu finden und Probleme zu lsen. Liefert das Bildungssystem des Industriezeitalters die passende Basis, um in der digitalen Welt erfolgreich und innovativ ttig zu sein?

    Mit dem raschen Wandel kann das Bildungssystem bis-her kaum Schritt halten. Immer noch sind Bil-dungsinstitutio-nen und Curricu-la auf eine Welt zugeschnitten, in der man nach Abschluss der Ausbildung in eine Berufs-laufbahn einstieg, die nicht selten ein Leben lang whrte. Die Lebensspanne von Wissen wurde in Dekaden gemes-sen. Heute haben wir es jedoch mit einer grundstzlich vernderten Welt zu tun: Wir stehen einer wachsenden In-formationsflut gegenber und in vielen Lebensbereichen ist Wissen nach Monaten oder Jahren berholt. Mit einem Bildungsabschluss in der Tasche, so die gngige Meinung, ist auch das Lernen abgeschlossen obwohl sich die Welt immer schneller dreht.

    Zudem bestehen Zweifel, ob heute die Mglichkeiten der verfgbaren Technologien voll ausgeschpft werden, um Lernen bestmglich zu frdern. Obwohl Technologie bereits das Lernen verndert allein schon durch die glo-bale Vernetzung einer Masse von Menschen , steht die Anpassung der Bildungsinstitutionen an die neuen Mg-

    lichkeiten und Anforderungen noch auf einem anderen Blatt. Die digitale Revolution wird jedoch nicht vor den Bil-dungseinrichtungen haltmachen, sondern deren grundle-gende Funktionsprinzipien infrage stellen. Denn je mehr das Internet zur herrschenden Infrastruktur fr Wissen wird sowohl als Aufbewahrungsort als auch als globale Austauschplattform , desto strker drngt sich die Fra-ge nach der knftigen Rolle herkmmlicher Bildungsins-titutionen auf. ber Jahrhunderte sind Hochschulen ihrer Rolle Wissensvermittler, Lerngemeinschaft sowie Zertifi-zierungsinstanz mehr oder weniger treu geblieben. Doch die Digitalisierung unserer Gesellschaft hat Einfluss auf smtliche dieser drei Funktionen:

    Hochschulen als Wissensvermittler: Traditionell verfg-ten Hochschulen ber ein Informationsmonopol, das ih-nen nun jedoch durch das Internet streitig gemacht wird, weil Information fr jedermann frei verfgbar wird. Der

    Prozess des Ler-nens wird oben-drein erleichtert, indem Initiativen wie Open Educa-tional Resources, OpenCourseWa-

    re sowie neuerdings MOOCs (Massive Open Online Cour-ses) Informationen kohrent abrufbar machen. Immer noch sind Hochschulen eine wichtige Instanz fr die Ent-wicklung und Verbreitung von Wissen, aber sie teilen sich heute diese Rolle mit vielen anderen Einrichtungen und Individuen.

    Hochschulen als Lerngemeinschaften: Immer strker ver-schwimmen reale und virtuelle Welt nicht zuletzt durch das Heranwachsen einer Generation, die ganz selbstver-stndlich mit den neuen Technologien gro geworden ist und sich parallel und gleichermaen natrlich in beiden Welten bewegt. Whrend fr ltere Generationen online Lernen kaum jemals mehr als eine Ergnzung zum Pr-senzlernen sein kann, spielt fr die Netz-Generation diese Unterscheidung immer weniger eine Rolle. Auch wenn einige Formen des online Lernens effektiver sein mgen

    1 BILDUNG IM DIGITALEN ZEITALTER

    LNGSTE ZEIT SIND HOCHSCHULEN IHRER ROLLE ALS WISSENSVERMITTLER, LERNGEMEINSCHAFT UND ZERTI-FIZIERUNGSINSTANZ TREU GEBLIEBEN. DOCH DIE DIGI-TALISIERUNG KRATZT AM GEWOHNTEN ROLLENBILD.

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    als andere und online Lernen nicht in jedem Fall den Vergleichstest mit Prsenzformen des Lernens besteht fr das Aneignen von Wissen eignet sich online Lernen besser als fr das Erlernen von praktischen Fhigkeiten , so tritt mit der virtuellen Welt doch ein Lernraum neben Hochschulen, der mit einer global verteilten, viel-fltigen Community an Lernern viele neue Tren aufstt.Hochschulen als Zertifizierungsins-

    tanzen: Mit dem Wegfall des Informa-

    tionsmonopols und dem Entstehen neuer Lernrume wird sich auch die Funktion der Leistungsbeurteilung und -zertifizierung verndern. Insbe-sondere MOOCs haben einen Prozess der Entflechtung von Wissensver-mittlung und Leistungsbeurteilung angestoen und fhren vor Augen, dass die Kernbestandteile heutiger Bildungsinstitutionen (Lehrkrper, Curriculum, Leistungsnachweise)

    nicht notwendigerweise in einer einzigen Institution gebndelt sein mssen. Damit rtteln MOOCs am uralten Monopol von Hochschulen, Abschlsse zu vergeben und damit als Wchter am Eingang zum Arbeits-markt zu agieren.

    Dass die Einkehr des Digitalen in die Bildungswelt an den althergebrach-ten Rollen von Bildungsinstitutionen kratzt, legt nahe: Hochschulen ms-sen einen neuen modus operandi finden, der das alte industrielle Bil-

    dungsmodell durch ein strker kol-laboratives, dezentrales Modell des Lernens und der Wissensproduktion ersetzt. Denn Technologie hat die Kraft, das herkmmliche Bildungs-modell komplett auf den Kopf zu stel-len, indem sie Lernen demokratisiert. Hochschulen werden sich ffnen mssen und die neuen Hilfsmittel von Wikis bis zu virtuellen Welten in den Gang der Wissensgenerierung in-tegrieren. Bei dieser Transformation geht es nicht um Technologie per se. Es geht vielmehr um ein vllig neues Herangehen an Lernen und um ein verndertes Verhltnis zwischen Ler-nenden und Lehrenden.

    Was bislang Wesensmerkmale der Hochschulbildung waren von Bib-liotheken und Hrslen bis hin zu ei-ner Studentenschaft, die mehr oder weniger derselben Altersklasse ent-stammt wird immer weniger tau-gen, Hochschulbildung von morgen zu beschreiben. Das hhere Bildungs-wesen wird sich radikal wandeln und eine Reihe von Entwicklungen kn-digt diesen Umschwung bereits heu-te an:BrckelndeGrenzen: Die traditionel-

    len Grenzen zwischen den Disziplinen werden durchlssiger und porser, whrend sich interdisziplinre Berei-che ausweiten (z.B. Nanotechnologie, Bioethik etc.). Die Professorenschaft wird zunehmend global rekrutiert. Auch die physischen Grenzen lsen sich auf: Wann und wo sich Lernende beteiligen, wird durch open und on-line Bildung sowie kompetenz- und erfahrungsbasierte Zertifizierungs-verfahren immer vielfltiger und we-niger starr als in der Vergangenheit.Grenzenlose Lernorte: Klassenzim-

    mer und Hrsle sind lngst nicht mehr die einzigen Orte der Wissens-vermittlung. Lernende haben prak-tisch einen grenzenlosen Zugang zu Informationen, Lehrenden und anderen Lernenden. Digitale Biblio-

    1 BILDUNG IM DIGITALEN ZEITALTER

    HOCHSCHULEN MSSEN EINEN NEUEN MODUS OPE-RANDI FINDEN, DER DAS ALTE INDUSTRIELLE BILDUNGS-MODELL DURCH EIN STRKER KOLLABORATIVES MODELL DES LERNENS UND DER WISSENSPRODUKTION ERSETZT.

    DAS HHERE BILDUNGSWESEN WIRD SICH RADIKAL WANDELN. BEREITS HEUTE SIND EINE REIHE VON VOR-ZEICHEN FR EINEN UMSCHWUNG ERKENNBAR.

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    theken machen Inhalte unmittelbar zugnglich, wodurch auch Lernende an kleineren Hochschulen Zugang zum Ressourcenreichtum grerer Institutionen erhalten.

    Rollenwandel von Bibliotheken: Im digitalen Zeitalter definieren sich Bibliotheken nicht lnger als Stau-raum fr Gedrucktes. Da sich online Ressourcen immer weiter verbreiten ob Bcher, Zeitschriften oder Da-ten , wandeln sich Bibliotheken zu Informationsdrehscheiben, die str-ker ihrer Rolle als Lotsen durch den Informationsdschungel nachgehen. Fr Lernende gewinnt auerdem die Rolle der Bibliothek als sozialer Raum an Bedeutung.

    Virtuelle Lernumgebungen: Das Netz wird auch im Bildungsbereich immer mehr zum Raum fr sozia-le Interaktion und Bildung von Ge-meinschaften. Whrend der Wert von Hochschulen als physische Orte bestehen bleibt, erfolgt nichtsdesto-trotz ein zunehmender Teil von Inter-aktionen seitens Lernender, Fakultt und Angestellter online. Zudem ent-stehen virtuelle globale Forschungs-organisationen.

    Schnelle, informelle Kommunikati-on: Wissenschaft und Forschung agie-ren strker dialogorientiert. Die Kom-munikation im Wissenschaftsbetrieb erfolgt weniger intensiv ber formel-le Publikationen, vielmehr erfolgen Beitrge von Wissenschaftlern zu einem Forschungsfeld verstrkt ber E-Mails, Blogs und Working Papers.

    Das uralte Geschftsmodell von Hochschulen zu verndern dazu wird es eine Revolution brauchen. Es reicht nicht mehr aus, an einzel-nen Stellschrauben zu drehen. In den USA ist die Revolution bereits in vol-

    lem Gange: Millionen von Menschen haben bereits an MOOCs teilgenom-men, manche Hochschulen ersetzen mit diesem neuen Medium Einfh-rungslehrveranstaltungen und In-vestoren stecken eine Menge Geld in online Plattformen, die die Bildungs-revolution sttzen. In Deutschland gibt es zwar einzelne Professoren, die mit den neuen Mglichkeiten experi-mentieren, die Skepsis gegenber digitalen Lernformen sitzt jedoch tief und von einer Aufbruchstimmung wie in den USA ist man hierzulande weit entfernt. Dabei knnten die Um-wlzungen in der Bildungslandschaft gerade die hufig bemngelte Hoch-schullehre aus dem Dornrschen-schlaf wecken. An MOOCs werden Hochschulen nicht vorbeikommen. Werden Hochschulen knftig aus einer analogen und einer virtuellen

    Sphre bestehen, weil MOOCs in das bestehende Modell integriert wer-den und so hybride Lernumgebun-gen entstehen? Gute online Kurse wrden Ressourcen freimachen und Lehrenden mehr Zeit verschaffen fr individuelles Tutoring. Wird auf lange Sicht Academia als abgeschotteter Bereich aufhren zu existieren, weil Bildungsinhalte und Kurse verstrkt auch von Individuen oder Institutio-nen auerhalb der traditionellen Bil-dungslandschaft angeboten werden? Wird sich Bildung von Institutionen lsen?

    1 BILDUNG IM DIGITALEN ZEITALTER

    IN DEN USA IST DIE BILDUNGSREVOLUTION BEREITS IN VOLLEM GANGE. AUCH HIERZULANDE WERDEN HOCH-SCHULEN AN DEN NEUEN DIGITALEN MGLICHKEITEN NICHT VORBEIKOMMEN.

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    2DAS ENDE DERFLIESSBAND-BILDUNG

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    Whrend des gesamten letzten Jahrtausends bestand kein Zweifel, dass in unserer Gesell-schaft Schulen und Hochschulen die zent-ralen Anlaufstellen fr Wissenserwerb und Lernen sind. Auch haben seit dem Entstehen der ersten Universitten im 11. Jahrhundert in Italien deren grundlegende Struktu-ren und Funktionsweisen selbst die radikalsten Umwl-zungen berlebt, denen Gesellschaften durch technolo-gische Neuerungen ausgesetzt waren: Die Erfindung der Druckerpresse, die Industrielle Revolution, Innovationen in der Kommunikationstechnologie vom Telegraphen und Telefon ber Radio und Fernsehen bis hin zum Inter-net konnten der grundlegenden Art und Weise nichts an-haben, wie Hochschulen Wissen produzieren und verbrei-ten, wie sie Studenten lehren und beurteilen. Zwar wird schon seit Jahren Technologie in den Unterricht integriert aber haben die Ablsung von Kreidetafeln durch White- und Smartboards, von Schieferta-feln und Griffeln durch Tablets wirklich eine g r u n d l e g e n d e nderung ge-bracht? Das Geschftsmodell des Bildungswesens ist ber all die Jahre, in denen die Welt drastischen Vernderun-gen unterworfen war, mehr oder weniger das gleiche ge-blieben.

    Die technologische Entwicklung und die sich dadurch erffnenden Mglichkeiten haben heute jedoch einen Stand erreicht, der das Bildungswesen an einen Wende-punkt bringt. Neue interaktive Webtechnologien zusam-men mit einer weiten Verbreitung von Internetzugang und der zunehmenden Gebruchlichkeit von online-Inter-aktionen tragen dazu bei, dass sich Bildung den virtuellen Raum erobert. Die technologischen Neuerungen sind der-art drastisch und weitreichend, dass es nicht lnger aus-reichen wird, sie einfach in die bestehenden Strukturen zu integrieren. Das bisherige Geschftsmodell des hheren Bildungswesens wird durch den Einzug von Technologie

    in smtliche Lebensbereiche in Frage gestellt und muss von Grund auf erneuert werden.

    Ein radikaler Umschwung kndigte sich an als der Stan-ford-Professor Sebastian Thrun 2011 seine Lehrveranstal-tung Introduction to Artificial Intelligence als online-Kurs im Netz anbot und zwar kostenlos. Zehntausende von Studenten nahmen teil. Und wenngleich die Idee kos-tenloser Internetkurse nicht gnzlich neu war zu diesem Zeitpunkt ist MITs Open Courseware Initiative bereits eine Dekade alt und andere Elite-Universitten wie Yale und Carnegie Mellon folgten dem Beispiel , unterschied sich das Vorgehen Stanfords in einem wesentlichen Punkt: Die Professoren stellten nicht nur ihr Kursmaterial der gesam-ten Welt zur Verfgung, sie lieen Studenten in ihrem glo-bal verteilten Hrsaal auch an Prfungen teilnehmen und stellten erfolgreichen Kandidaten ein Stanford-Zertifikat aus. Ohne auch nur einen Cent zu bezahlen, konnte so-

    dann jedermann einen akademi-schen Leistungs-nachweis einer der angesehens-ten Universitten der USA erwer-

    ben, was zuvor ausschlielich eingeschriebenen Studen-ten vorbehalten war, die sich ihr Studium an der Elite-Uni bis zu fnfstellige Summen im Jahr kosten lieen. Mit dieser aufsehenerregenden Aktion brach eine regelrech-te MOOCs-Mania los und eine Reihe von Organisationen folgte dem Beispiel. Damit war ein Dammbruch eingelei-tet, weil erstmals auf breiter Front Lehrangebote auer-halb der existierenden Bildungs- und Leistungsnachweis-strukturen entstanden.

    Seitdem steht fr die Zukunft der hheren Bildung fest: Hochschulen werden Studenten weltweit erreichen, un-abhngig von Ort und Zeitzone. Vorlesungen werden zu Streaming-Videos in Konkurrenz treten, Prfungen ber das Internet werden zur Norm werden, der akademische Austausch wird in interaktiven online-Foren anstelle von Fachpublikationen stattfinden. Die Beispiele anderer

    2 DAS ENDE DER FLIESSBAND-BILDUNG

    DAS GESCHFTSMODELL DES BILDUNGSWESENS BLIEB SEIT ANBEGINN MEHR ODER WENIGER UNVERNDERT. DOCH HAT DIE TECHNOLOGISCHE ENTWICKLUNG HEU-TE EINEN STAND ERREICHT, DER EINE WENDE EINLEITET.

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    Branchen fhren vor Augen, dass das Internet althergebrachte Geschfts-modelle zerstrt, die auf dem Han-del mit Informationen beruhen. In der Musikindustrie, im Journalismus oder dem Verlagswesen wurden die alten Geschftspraktiken verdrngt, sobald sich ein schnellerer und billi-gerer Weg auftat, Informationen zu teilen. Es ist daher zu erwarten, dass die digitale Revolution auch im Bil-dungswesen ihren Fuabdruck deut-lich hinterlassen wird.

    Technologie hat zu einer Macht-

    verschiebung gefhrt von den Bildungsanbietern (und ihren Zulas-sungsstellen) hin zu den Bildungskon-sumenten. Studenten werden knf-tig vllig neue Wahlfreiheiten haben, ihre Ausbildung zu konstruieren und ganz nach individuellen Bedrfnissen anzupassen. Denn virtuell kann knf-tig jeder Lernwillige jede Bildungs-einrichtung der Welt besuchen. Eine

    Reihe namhafter Universitten von Harvard und MIT bis hin zur Techni-schen Universitt Mnchen haben bereits begonnen, eine Auswahl ihrer Lehrveranstaltungen kostenlos on-line zugnglich zu machen. Erreicht wird mit MOOCs nicht nur ein Viel-faches der blichen Teilnehmerzahl, sondern auch ein hchst differen-ziertes Publikum von den eigenen eingeschriebenen Studenten bis hin zu Menschen in den hintersten Win-

    2 DAS ENDE DER FLIESSBAND-BILDUNG

    keln der Erde, die andernfalls niemals Zugang zu hherer Bildung htten. Nicht nur ffnet sich dadurch jedem Einzelnen, solange er wenigstens ber eine Internetverbindung ver-fgt, ein nie geahnter Bildungshori-zont, auch stachelt die neue Offen-heit den Wettbewerb zwischen den Hochschulen an. Auf einem globalen, virtuellen Bildungsmarktplatz ver-ndern Hochschulen ihre Rolle. Die einstigen Monopolisten der hheren Bildung erhalten bereits Konkurrenz aus den verschiedensten Richtungen: Zu den Herausforderern zhlen etwa Internetplattformen, die MOOCs von verschiedensten Anbietern auf einer einzigen Webseite zum Zugriff bereit-stellen (z.B. Coursera, Udacity), nicht-kommerzielle Anbieter von online Lehrmaterialien (z.B. Khan Academy), kommerzielle Veranstalter von Vor-tragsreihen, online Services wie etwa Apples Plattform iTunes U fr den kos-tenlosen Zugriff und die Verwaltung von Lehrmaterialien und schlielich eine ganze Reihe spezialisierter Trai-ningscenter, die Unterricht und Zer-tifikate fr verschiedenste Branchen und Berufsgruppen anbieten.

    Je strker knftig Technologie In-teraktivitt und weltweite Vernet-zung vorantreibt, desto kleiner wird die Kluft zwischen online und persn-lichen Lernerfahrungen. Galt online Lernen bislang als schwacher Ersatz fr Prsenzveranstaltungen, so wird Lernen im virtuellen Raum mehr und mehr zur Normalitt und allgegen-wrtig sein. Wie selbstverstndlich werden online Lehrangebote neben traditionelle Prsenzveranstaltungen treten und durch die Vereinigung des Besten beider Welten eine insgesamt reichere Lernerfahrung erreichen. Tatschlich legen Forschungsergeb-nisse1 nahe, dass Blended Learning, also die Mischung aus Elementen des Prsenz- sowie web-basierten Unterrichts, sich am effektivsten

    DIE DIGITALE REVOLUTION WIRD AUCH IM BILDUNGS-WESEN IHREN FUSSABDRUCK DEUTLICH HINTERLASSEN UND ZU MACHTVERSCHIEBUNGEN FHREN.

    AUF EINEM GLOBALEN, VIRTUELLEN BILDUNGSMARKT-PLATZ WANDELN HOCHSCHULEN IHRE ROLLE. DIE EINSTIGEN MONOPOLISTEN SEHEN SICH BEREITS EINER BREITEN FRONT VON LEHRANGEBOTEN AUSSERHALB EXISTIERENDER BILDUNGSSTRUKTUREN GEGENBER.

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    2 DAS ENDE DER FLIESSBAND-BILDUNG

    fr das Lernen erweist, weil fr jede Lernsituation jeweils die am besten geeigneten Lernmethoden zum Zug kommen. Der Einzug von Technolo-gie in das Bildungswesen wird mehr Flexibilitt mit sich bringen und ein neues Licht auf Bildungsabschlsse werfen. Knftig muss die Nutzung des universitren Lehrangebots nicht zwangslufig zum Hochschulab-schluss fhren. Immer mehr Studen-ten knnten sich stattdessen dafr entscheiden, nur einzelne Kurse zu besuchen und punktuell, ganz nach den persnlichen Bedrfnissen und Interessen Bildungsnachweise zu erwerben. Auch hier besteht eine Parallele zu Musikindustrie und Jour-nalismus. Ebenso wie in diesen Berei-chen der Trend vom Album hin zum Konsum einzelner Musikstcke und von der fertigen Zeitung hin zur Lek-tre einzelner Artikel geht, werden Studenten nicht mehr einem vorge-zeichneten Lehrplan folgen, sondern zunehmend ihr eigenes kompaktes und zielgerichtetes Bildungsportfolio zusammenstellen. Viele Arbeitgeber werden die Mglichkeit schtzen, sich knftig Mitarbeiter zu suchen, die durch die spezifische Mischung absolvierter Kurse ein Fhigkeitspro-fil aufweisen, das optimal den Unter-nehmensanforderungen entspricht.

    Solcherart mageschneiderte Bil-dungswege versprechen mehr Flexi-bilitt und geben passende Antwor-ten auf die neuen Anforderungen einer Informationsgesellschaft, die sich vor allem durch hohe Dynamik und schnellen Wandel auszeichnet. Lernen kann knftig keine Aufga-be eines einzigen Lebensabschnitts

    mehr sein, auch kann es nicht mehr schablonenhaft fr alle gleich erfol-gen, sondern muss Bestandteil des gesamten Lebens und individuell an-gepasst sein. In vielen Bereichen hat Wissen heute ein stets krzeres Ver-fallsdatum. Just-In-Time Wissen wird immer bedeutender, das heit: Im-mer wieder wird sich jeder Einzelne Wissen aneignen mssen, das er im jeweiligen Moment, in seiner jewei-ligen Arbeitssituation dann gerade bentigt. Welches Wissen in ein paar Jahren in den jeweiligen Arbeitssta-tionen vonnten ist, knnen Hoch-schulen jedoch nicht antizipieren und mit ihren starren Bildungsgngen schon gar nicht abdecken. Die Ver-antwortung, seinen Wissensstand ak-tuell zu halten und immer wieder neu zu lernen, liegt somit strker beim Einzelnen. Fr das Bildungssystem

    bedeuten diese neuen Anforderun-gen vor allem zweierlei: Viel strker als bisher muss ein Augenmerk auf das Lernen des Lernens gerichtet werden. Zudem muss institutionali-sierte Bildung verstrkt lebenslanges Leben frdern und Begleiter durch smtliche Lebensabschnitte sein. Ler-nen in der vernetzten Welt wird sich drastisch wandeln: weg von der one-size-fits-all Flieband-Bildung und hin zu einem flexiblen, effektiven, perso-nalisierten Bildungsmodell.

    LERNEN IN DER VERNETZTEN WELT WIRD SICH DRAS-TISCH WANDELN: WEG VON DER ONE-SIZE-FITS-ALL FLIESSBAND-BILDUNG UND HIN ZU EINEM FLEXIBLEN, EFFEKTIVEN,PERSONALISIERTEN BILDUNGSMODELL.

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    3TRIEBKRFTE DES WANDELS: WELCHE TRENDS PRGEN DIE NEUE BILDUNGSWELT?

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    In der Informationsgesellschaft kommt dem hheren Bildungswesen eine tragende Rolle zu. Insbesonde-re steigen die an Hochschulen gestellten Erwartun-gen und Ansprche: Sie sollen bedarfsgerechte Zugnge zum Arbeitsmarkt herstellen, Innovationsmotor sein und wirtschaftliche Dynamik entfachen sowie durch ihre For-schung Antworten auf die drngenden gesellschaftlichen Fragen geben. Um diesem Leitbild gerecht zu werden, mssen sich Hochschulen schon heute auf zuknftige Ent-wicklungen einstellen.

    Im Folgenden wird eine Reihe von Schlsseltrends be-

    sprochen, die den Wandel in der Welt der Bildung antrei-ben. Vom exakten Verlauf dieser Trends wird es abhngen, mit welcher Schlagkraft, Reichweite und Geschwindigkeit sich ein neues Bildungssystem durchsetzen wird. Eines aber ist sicher: Hochschulbildung wird knftig in einer neuen Wirklichkeit stattfinden. Daher fhrt kein Weg dar-an vorbei, grundlegend ber die momentanen Annahmen, auf denen unser Bildungssystem basiert, nachzudenken. Wie also wird die zuknftige Welt des Lehrens und Ler-nens aussehen?

    3.1 VOM INFORMATION OVERLOAD ZUM JUST-IN-TIME WISSEN

    3 TRIEBKRFTE DES WANDELS

    Wissen ist Macht. Vor Hunderten von Jahren, als Infor-mationen noch gut gehortet wurden und nur einige weni-ge Angehrige der gesellschaftlichen Elite den Informati-onsfluss kontrollierten, beschrieb dieses geflgelte Wort ganz gut die Wirklichkeit. Heute hingegen ist Information nicht mehr rar und wertvoll, ganz im Gegenteil: Informa-tionen prasseln in einer solchen Flle auf uns ein, dass mehr und mehr Menschen das Gefhl bekommen, im In-formationsstrom zu ertrinken. Da-her spricht man vom Information Overload der Zugang zu allen erdenklichen Informationen dieser Welt ist fr viele lngst zur berbelastung geworden. Gleichzeitig hinkt die Mg-lichkeit, Information in ntzliches Wissen und anwendba-re Fhigkeiten zu bersetzen dem exponentiellen Wachs-tum der Informationsmenge hinterher.

    Der unablssige Wandel der Wissenslandschaft hat zur Folge, dass nicht mehr der Zugang zu Information, sondern geeignete Filter, die jeweils passenden Informationen zu

    finden, zum knappen Gut unserer Zeit geworden sind. Zu-dem steigt mit dem stndigen Aufkommen neuer Infor-mationen die Notwendigkeit, andauernd zu lernen und auf dem Laufenden zu bleiben. Neben Vorratswissen wird just-in-time Wissen knftig eine hhere Bedeutung zukom-men: Dahinter steht die Philosophie, Lernen gem den je-weiligen Anforderungen auszurichten und den Fokus vom Lehrenden strker auf den Lernenden zu verschieben, der

    selbstgesteuert Wissenslcken erkennt und die-se schliet. Der hhere Stellen-wert von just-in-

    time Wissen hat zur Folge, dass der Bildungsprozess nie mehr abgeschlossen sein wird. Weil lebenslanges Lernen selbstverstndlich wird, wandelt sich auch die Beziehung zwischen Lernenden und ihren Bildungsinstitutionen: Denn Bildung besteht nicht mehr lnger in einer Periode des zeitlich begrenzten, konzentrierten Wissenserwerbs; Bildung wird zu einer lebensbegleitenden, andauernden bung des Aufbauens, Erneuerns und Erweiterns von

    NICHT MEHR DER ZUGANG ZU INFORMATION, SONDERN GEEIGNETE FILTER, DIE PASSENDEN INFORMATIONEN ZU FINDEN, SIND DAS KNAPPE GUT UNSERER ZEIT.

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    3 TRIEBKRFTE DES WANDELS

    Wissen. In dieser vernderten Bil-dungswelt werden sich das Denken, das Verhalten, die Struktur und die Ergebnisse von Bildungseinrichtun-gen neu justieren. Strker als bisher werden zur Handhabung der Infor-mationsberflle Agilitt und Flexibi-litt Hochschulen kennzeichnen.

    Dazu kommt noch, dass im Zeital-ter des mobilen Internets der Zugang

    zu Informationen allgegenwrtig ist. Dies ndert nicht nur die Art, wie wir kommunizieren und zusammenarbei-ten in Echtzeit und ber nationale Grenzen hinweg , sondern auch wie wir lernen. Lernen lst sich von be-stimmten Kontexten gelernt wird nicht nur im Hrsaal oder zu Hause am Schreibtisch, sondern immer und berall.

    3.2 MIKRO-KARRIEREN PRGEN DIE ARBEITSWELT VON MORGEN

    In der Informationsgesellschaft sind Fhigkeiten, Fertigkeiten und Wissen die Eintrittskarte zum Ar-beitsmarkt. Und wer mit seinem Wis-sensrepertoire nicht am Puls der Zeit bleibt, steht schon bald am Rand der Gesellschaft. Gesamtgesellschaft-lich hat eine unzureichende Investi-tion in Skills zur Folge, dass sich der technologische Fortschritt nicht in Produktivittszuwchse bersetzt und Volkswirtschaften an Wettbe-werbsfhigkeit verlieren. Es ist eine Binsenweisheit, dass das Bildungs-

    system die Bedrfnisse des Arbeits-marktes zu befriedigen hat. Heute jedoch besteht hierbei die zustzli-che Herausforderung, dass die hohe Frequenz, mit der neues Wissen ent-steht, andauernd neue Ttigkeitsfel-der hervorbringt. Das notwendige Wissen wird immer spezialisierter, denn kein einzelner Mensch kann noch mithalten mit der wachsenden Informationsmenge und dem Wis-senszuwachs. Neues Wissen wird generiert, altes Wissen wird obsolet und dazu entstehen noch vllig neue

    Wissensgebiete. Fhigkeiten werden daher immer zersplitterter und es bilden sich viele Nischen, in denen Spezialwissen gefragt ist. Die hohe Dynamik der Wissenslandschaft fr-dert das schnelle Aufkommen von Mikro-Karrieren.

    Die gesamte Arbeitswelt ist in ei-nem Wandel begriffen, weil die Wis-sensspezialisierung zu einer vern-derten Unternehmensorganisation fhrt: Die Grenzen nach auen hin werden durchlssiger, denn immer mehr hoch spezialisierte Mikro-Un-ternehmer werden ihre Arbeitskraft als Dienstleistung verkaufen. Wie selbstverstndlich werden neben ei-nen festen Kern aus angestellten Mit-arbeitern solche Arbeitsnomaden tre-ten, die von Projekt zu Projekt ziehen und ihre spezialisierten Kenntnisse Unternehmen auf einer just-in-time Basis anbieten. Diese Entwicklung bringt neben dem externen Spezialis-ten eine zweite Gattung Arbeiter her-vor: den Generalisten, der die Spezia-listen koordiniert und den berblick ber das groe Ganze bewahrt.

    In diesem neuen Arbeitsumfeld werden Menschen im Laufe ihres Berufslebens in verschiedensten Un-ternehmen in abwechselnden Positi-onen ttig sein. Das Bildungssystem

    DIE HOHE DYNAMIK DER WISSENSLANDSCHAFT FR-DERT DAS AUFKOMMEN VON MIKRO-KARRIEREN.

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    3 TRIEBKRFTE DES WANDELS

    muss dementsprechend lebenslange Lernmglichkeiten offerieren, die diese stndigen Spurwechsel in der Karriere sowie das damit verbunde-ne Re-Skilling untersttzen. Anpas-sungsfhigkeit und Flexibilitt auf der einen Seite werden ein effektives Bildungssystem der Zukunft kenn-

    zeichnen, auf der anderen Seite muss dieses aber auch eine wachsende Nachfrage nach hherer Bildung be-friedigen knnen. Mehr hher quali-fizierte wissensbasierte Jobs sowie steigender Wohlstand werden zu einem weiteren Anstieg der Studen-tenzahlen fhren.

    3.3 VON PFLICHTKURSEN ZUM HYPER-INDIVIDUALISIERTEN LERNEN

    uere Vorgaben der Lebensge-staltung gibt es nicht mehr, kollekti-ve Werte verlieren an Verbindlichkeit und gesellschaftliche Standards feh-len. Fr Familien- und Haushaltsfor-men, Lebensstile und Lebensmuster, aber auch die Berufswahl sind jegli-che Leitplanken abhanden gekom-men. Der Einzelne muss in jeder Situ-ation kontextabhngig entscheiden, wie das eigene Leben zu gestalten ist. Dem Individuum wird heute eine immer grere Zahl von Entschei-dungen abverlangt, nichts ist mehr vorgegeben, Rollenerwartungen sind berkommen und von normati-ven Erwartungen und Ansprchen ist man entbunden. Gleichzeitig steigt in unserer Welt aber die Zahl der Opti-onen sowie verfgbaren Informati-onen stndig an. Dies stellt den Ein-zelnen vor ein Dilemma: auf nichts ist mehr Verlass, alles will immer wieder neu entschieden werden.

    Im Nachfrageverhalten spiegelt sich die Individualisierung in einer strkeren Diversifizierung der Wn-sche: die Zahl zur Auswahl stehender Angebote vervielfacht sich. Im Kon-sumbereich ist heute kaum noch ein Wunsch denkbar, dem kein Angebot gegenbersteht und in der ver-netzten Welt werden Nachfrage und Angebot reibungslos zusammenge-bracht. Im Netz findet jedes Nischen-

    angebot seinen Nachfrager und kann aufgrund der zu Null tendierenden Lagerkosten in der online Welt tat-schlich auch verkauft werden. Die-ses als The Long Tail2 bekannt ge-wordene Phnomen bedeutet, dass online Anbieter heute einen nicht un-erheblichen Teil ihres Umsatzes mit Nischenprodukten machen.

    Ebenso wie im Konsumbereich Ein-heitsgren immer weniger Akzep-tanz finden, wird dies im Bildungs-bereich sein. Mageschneiderte Bildungsangebote auch wenn sie blo in kleinen Nischen nachgefragt werden mssen Bestandteil der

    Bildungslandschaft werden. Die be-ruflichen Laufbahnen sind nicht mehr vorgegeben, es gibt keine vorge-stanzten Lebenslufe mehr. Weil aus der Normalbiografie eine Wahlbio-grafie wird, passen auch die vorge-fertigten Bildungswege nicht mehr gleichermaen fr jeden Einzelnen. So unterschiedlich heute Berufskar-rieren verlaufen, so individuell muss auch Ausbildung erfolgen. Die vorge-schriebene Agenda fr alle wird daher immer mehr der Bastelausbildung fr jedes Bildungsbedrfnis weichen.

    IN EINER WELT UNENDLICHER OPTIONEN SIND VORGE-FERTIGTE BILDUNGSWEGE FEHL AM PLATZ.

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    3 TRIEBKRFTE DES WANDELS

    3.4 DER AUFSTIEG DES PROSUMERS

    In der vernetzten Gesellschaft wird Mitmachen gro geschrieben. Kaum jemand gibt sich im Internet noch damit zufrieden, vom Spielfeldrand aus zuzusehen, jeder will mit dabei sein. Die alten einseitigen Kommu-nikationskanle sind lngst ersetzt durch Rume, in denen jeder mit je-dem kommuniziert. Was mit der Ein-fhrung von Kommentarfeldern am Ende von online Artikeln begann, hat sich ausgewachsen zur Umwlzung

    ganzer Industrien, weil die Grenze zwischen Sender und Empfnger, zwischen Produzent und Konsu-ment nicht mehr klar zu ziehen ist. Der Prosumer beherrscht heute das Netz und dringt in immer weitere Be-reiche vor und demokratisiert diese: Im Internet kann heute jedermann ebenso einfach publizieren wie dies jahrhundertelang einer ausgewhl-ten Schar von Journalisten vorbe-

    halten war, YouTube ermglicht den Betrieb eines eigenen Fernsehkanals und jedem Hobbyfotografen steht es offen, Bilder im Internet zu zeigen und zum Verkauf anzubieten. Dieses in der virtuellen Sphre bereits weit fortgeschrittene Zusammenwachsen der Konsumenten- und Produzenten-rolle wird sich auch in die Welt der physischen Produkte fortsetzen: Mit der Technologie des 3D-Printings ist die Herstellung aller mglichen Dinge nicht mehr an die Fliebnder groer

    Fabriken gebunden, sondern kann in jedermanns Wohnzimmer erfolgen.

    Der Drang des Netzbewohners zur Partizipation ist enorm. Anstatt sich berieseln zu lassen schaffen Prosu-mer ihre Inhalte selbst. Der Wunsch, seine Gedanken und Ideen der Welt mitzuteilen und sich mit anderen aus-zutauschen wird durch nichts besser belegt als durch die immense Anzahl von Blogs, die rege Beteiligung in Fo-ren und Chats, die Massen an hoch-geladenen Videos oder die selbst ge-schaffenen Charaktere, Geschichten und Abenteuer in online Mehrspieler-Games. Diese Mglichkeiten der Kol-laboration und des Ideenaustausches werden auch Eingang finden in die Welt des Lernens. Daher werden auf den Ideen des Prosumings aufbau-ende Lernkonzepte starken Aufwind erleben. Mit den weit verbreiteten always on Tablet Computern und Smartphones sowie der Myriade an Kollaborationstools wird informelles just-in-time Lernen fr jedermann zur Normalitt. Wann immer wir etwas wissen, also lernen wollen, kennen wir heute den Weg zu diesem Wis-sen oder zumindest kennen wir je-manden, der uns hilft und wir haben die passenden Werkzeuge zur Hand, wann und wo immer wir mchten Zu-gang zu erhalten. Der Prosumer ber-nimmt die Initiative fr sein Lernen. Lernen ist nicht lnger an Klassenzim-mer und Hrsle gebunden, sondern erfolgt an den verschiedensten Or-ten, im eigenen Tempo und entspre-chend der individuellen Bedrfnisse. Dabei werden wir immer strker kol-laborativ lernen. Lernen wird keine einsame Ttigkeit mehr sein, sondern zu zweit oder in Gruppen stattfinden, wobei sich der Einzelne die Ressour-cen und Fhigkeiten der anderen zu-nutze macht, indem Fragen geklrt,

    DIE GRENZE ZWISCHEN PRODUZENT UND KONSUMENT FLLT. PROSUMER DRINGEN IN IMMER MEHR BEREICHE VOR UND WERDEN AUCH LERNEN DEMOKRATISIEREN.

    IN UNSERER ALWAYS ON-WELT WIRD INFORMELLES JUST-IN-TIME LERNEN ZUR NORMALITT.

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    DER PROSUMER BERNIMMT DIE INITIATIVE FR SEIN LERNEN UND FHRT EINE AKZENTVERSCHIEBUNG VOM LEHREN ZUM LERNEN HERBEI.

    3 TRIEBKRFTE DES WANDELS

    Feedback gegeben oder Lernfort-schritte kontrolliert werden. Dabei ist jedermann Lernender und Lehrender zugleich. Das Internet weitet solche Lernrume und -gruppen weltweit aus und erffnet damit Zugang zu einem kaum vorstellbar reichen und vielfltigen Ressourcenpool.

    Der Prosumer fhrt eine Akzent-verschiebung vom Lehren zum Ler-nen herbei. Unsere Vorstellungen vom Lernen sind traditionell durch ein Bild geprgt, in dem Lehrende ihr Wissen an Lernende weitergeben. Der Fokus lag seit jeher beim Lehren-den, der das Tempo, die Inhalte und die Methodik bestimmte. Aber auch bildet der Lehrende einen Engpass frs Lernen: Denn fr jedes neue The-ma braucht es einen neuen Experten. In einer Welt, in der die Frequenz, in der neues Wissen generiert und Ge-wusstes obsolet wird, stndig steigt, ist ein Bildungssystem, das den Fokus auf den Lehrenden legt daher hchst ineffizient. Lehrende agieren als Steu-erventil, nach Belieben schalten sie

    den Fluss an Informationen an und aus. Indem der Lernende strker in die Verantwortung genommen wird, wird Lernen weniger abhngig von Experten, aber auch zeit-, orts- und situationsunabhngiger. In einem solchen System werden Lehrende ihre Rolle wandeln vom inhaltlichen Experten zum Coach und Berater.

    Experten werden Lernmaterialien erarbeiten, die dann jedoch von Ler-nenden strker in Eigenregie wann und wo sie wollen, in einer Geschwin-digkeit, die als angenehm und ange-messen empfunden wird, bearbeitet werden. Dazu noch werden Lernen-de mehr Freiheit genieen, Themen zu whlen, die dem eigenen Inter-esse und den jeweiligen Wissensbe-drfnissen entsprechen.

    3.5 FORMALE BILDUNG VERLIERT IHRE MONOPOLSTELLUNG

    Das Hochschulwesen war einst das Zuhause der wichtigsten Forschung und brachte die Mehrheit der be-deutendsten Entdeckungen hervor. Jedoch ist Academia nicht lnger die zentrale Macht in der Schaffung von Wissen. Die Quelle der Wissens-schpfung hat sich gewandelt und steht in der vernetzten Welt auf einer breiteren Basis. Das Internet hat eine globale Ideenmaschine hervorge-bracht, in der Informationen rasend schnell und weltweit ausgetauscht werden und Menschen unterschied-lichster Herkunft und Erfahrung, un-abhngig von Werdegang und Aus-

    bildung ihr Scherflein beitragen. So entsteht ein globales Netzwerk aus Denkern und Bastlern, die an einem gigantischen Brainstorming teilha-ben. Der Mehrwert dieser Ideenma-schine entsteht vor allem dadurch,

    dass durch Vernetzung einer groen Menge von Wissenstrgern das Gan-ze mehr ist als die Summe seiner Tei-le. Das Wissen steckt vor allem im Netzwerk selbst und nicht blo in

    DAS INTERNET IST EINE GLOBALE IDEENMASCHINE, IN DER DAS GANZE MEHR IST ALS DIE SUMME SEINER TEILE.

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    3 TRIEBKRFTE DES WANDELS

    den einzelnen Kpfen.3 Durch seine Vielseitigkeit und Schnelligkeit ist die-ses Wissensnetzwerk der langsamen, grndlichen Wissensgenerierung und dem akademischen Austausch auf Basis von Peer-Review Publikationen in mancherlei Hinsicht berlegen. Als Folge erhht sich die Taktzahl wis-senschaftlicher Entdeckungen, was wiederum zu beschleunigter Innova-tionsttigkeit beitrgt.

    Somit hat sich in der vernetzten Ge-sellschaft der Erwerb von Wissen ra-dikal verndert. Tausende von Jahren lang mussten Lernende Lehrer und

    Experten finden, die ihnen Wissen vermittelten. Mit der Erfindung der Druckerpresse wurden Hochschulen mit ihren Bibliotheken zu Verwaltern und Speichern von Wissen. Im digita-len Zeitalter sind Informationen ber-all und jederzeit abrufbar, zudem war es nie einfacher, sich mit anderen auszutauschen. So wird sich die Rolle von Hochschulen drastisch wandeln, wurde ihre Aufgabe doch von Anbe-ginn vorrangig in zweierlei gesehen: Wissen zu liefern und eine Lernge-meinschaft zu bilden, innerhalb derer Lernende die Bedeutung des Wissens erfassen sollten. Diese Rollen teilen die Hochschulen sich heute mit vie-len anderen Institutionen und Indivi-duen, die insbesondere mit Hilfe des

    Internets das alte Bildungsmonopol der Hochschulen angreifen. Zwar wird virtuelles Lernen nicht in jedem Fall Lernsituationen von Angesicht zu Angesicht ersetzen knnen, in vielen Fllen aber vor allem, wo es um den Erwerb von Wissen und nicht von Fer-tigkeiten geht bieten sie Lernenden fruchtbare virtuelle Lernumgebun-gen, in denen sich virtuelles Lehren als ebenso effektiv wie der persnli-che Unterricht herausstellt. Schlie-lich kndigen die aktuellen Entwick-lungen an, dass Hochschulen auch auf ihrem dritten ureigenen Aufgaben-feld ihre Vorrangstellung einben: die Zertifizierung von Lernenden, die die Beherrschung des Lehrstoffs nachgewiesen haben. Bereits geben einige Anbieter von MOOCs nach er-folgreicher Teilnahme am online Kurs Zertifikate oder zumindest Teilnah-mebesttigungen aus. Freilich beruht der Wert dieser Nachweise auf nichts anderem als dem Ansehen der ausge-benden Stelle oder Person sowie der Transparenz des Vergabeprozesses. Nichtsdestotrotz knnte diese Pra-xis ber kurz oder lang den Wert von Hochschulabschlssen auf eine har-te Probe stellen. Zum einen wird die Zahl von Organisationen, die solche systemfremden Nachweise verge-ben, weiter ansteigen. Und zum an-deren werden sie eine entsprechen-de Qualitt vorausgesetzt mit ihrer weiteren Verbreitung stetig grere Akzeptanz unter Arbeitgebern und innerhalb der Gesellschaft finden.

    3.6 BIG DATA ZIEHT IN DIE BILDUNGSWELT EIN

    IN DER VERNETZTEN GESELLSCHAFT WANDELT SICH DER ERWERB VON WISSEN RADIKAL. DAS BILDUNGSMONO-POL DER HOCHSCHULEN GERT DADURCH INS WANKEN.

    Technologie hat heute immensen Einfluss auf unser gesamtes Leben. Ganz nebenbei fallen bei den gewhn-lichsten unserer Lebensuerungen

    Daten an, die gesammelt, archiviert und ausgewertet werden. Der Da-tenberg wchst unaufhrlich. Daten sind das Futter von Algorithmen, die

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    3 TRIEBKRFTE DES WANDELS

    auf dieser Basis ununterbrochen un-ser Verhalten analysieren. Weil Algo-rithmen nicht nur stille Beobachter sind, sondern ihre Berechnungen Weichenstellungen im echten Le-ben nach sich ziehen, haben sie etwa Einfluss darauf, was wir tun, was wir kaufen, welche Informationen wir zu Gesicht bekommen. Somit haben sie die Macht, uns mit ihrer Einschtzung ber unsere Prferenzen in bestimm-te Richtungen zu schubsen.

    Auch im Bildungsbereich spielen Daten und Algorithmen eine zuneh-mend wichtige Rolle. Denn auch im Bildungsbereich wchst durch die Zunahme elektronisch untersttzter Lernangebote und -prozesse der Da-tenberg kontinuierlich an. Learning Analytics oder Educational Data Mining machen sich zur Aufgabe, Daten ber Lernende und deren Lern-kontext zu erheben, zu aggregieren und zu analysieren. Die reichlich ver-fgbare Datenmasse und die Kraft der Algorithmen werden genutzt, um Lernfortschritte zu berwachen und zu untersuchen, zuknftige Leis-tungen vorauszusagen und mgliche Probleme frhzeitig zu erkennen. Auf diese Weise trgt Big Data dazu bei, Lernbedarfe przise zu ermitteln und Lehrinhalte und -methoden ent-sprechend anzupassen.

    Die verschiedensten Applikationen digitalisieren das Bildungswesen. Mit Hilfe von BubbleScore beispielsweise knnen Lehrende Multiple Choice Tests via mobile Endgerte durchfh-ren oder die ausgefllten (Papier-)Testbgen einscannen. Testergebnis-se liegen sodann detailliert digital vor und knnen im Zeitablauf verfolgt und ausgewertet werden. Eine ganz-heitlichere Sicht auf Lernende bieten digitale Kurse, die genauestens regis-trieren, was wann gelernt wird, wel-cher Fortschritt dabei erzielt und wel-ches Niveau erreicht wurde. Durch die Digitalisierung der Bildungswelt

    kann im Wesentlichen jeder Maus-klick eines Lernenden aufgezeichnet und ausgewertet werden. Big Data gibt hierbei genauestens Aufschluss darber, welche Themen Lernende bereits beherrschen, welche Lcken noch bestehen und welche Unter-richtseinheiten unter den gegebenen Umstnden am besten geeignet sind, diese Lcken zu schlieen. Wurden Lernerfolge bislang hauptschlich durch standardisierte Tests erhoben, so erlaubt Big Data einen differenzier-teren Blick und eine ganzheitlichere

    Einschtzung des Lernfortschritts.Damit ndert Big Data die Art und

    Weise, wie gelehrt und damit auch, wie gelernt wird. Beispielsweise nutzt die US-amerikanische Wichi-ta State University den Predictive Analytics-Werkzeugkasten, um Bil-dungsangebote zu verbessern und an den konkreten Bedrfnissen der Studenten auszurichten. Noten, Semesterwochenstunden, ob Stu-

    denten nebenbei einem Voll- oder Teilzeitjob nachgehen, wie die famili-re Untersttzung ausfllt und vieles mehr geht in die Analyse ein. Deren Ergebnis weist dann schon im Vorfeld darauf hin, welche Studenten auf Probleme whrend der Ausbildung stoen werden.

    Mit den rasant wachsenden Daten-massen, den Fortschritten in Daten-analyse und -interpretation lsst sich ein immer klareres Bild der Prozesse des Lehrens und Lernens zeichnen

    AUCH IM BILDUNGSBEREICH SPIELEN DATEN UND AL-GORITHMEN EINE IMMER WICHTIGERE ROLLE. BIG DATA VERNDERT, WIE GELEHRT UND GELERNT WIRD.

    ALGORITHMEN BERWACHEN LERNFORTSCHRITTE, SAGEN ZUKNFTIGE LEISTUNGEN VORAUS UND HELFEN DABEI, LERNPROBLEMEN FRHZEITIG ZU BEGEGNEN.

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    3 TRIEBKRFTE DES WANDELS

    und in der Folge wird es mglich, Bil-dung fr individuelle Lernende ma-zuschneidern anstatt sie en masse zu vermitteln. Ein datengetriebenes Bildungsmodell ist jedoch nicht nur fokussiert auf individuelle Lernleis-tungen, sondern kann auch genutzt werden, um Lehrplne, Studienpro-gramme, das Lehrpersonal und Insti-tutionen zu analysieren. Auf Basis der Datenanalyse knnen Kurse verbes-sert oder neue Kurse entwickelt wer-den. Werden Daten einzelner Lernen-der mit jenen ihrer Peers oder jenen

    ihrer Lehrer in Relation gesetzt, wre es beispielsweise mglich, Teams aus schwcheren und strkeren Lernen-den zu bilden oder Lernende dabei zu untersttzen, Peers mit hnlichen Interessen zu finden. Es knnten Schwellenwerte definiert werden, bei deren Erreichen Lernende die Mglichkeit htten, von der Rolle des Mentees in jene des Mentors zu wechseln. Mazahlen knnten eben-

    so angeben, wie gut verschiedene Lernende zusammenarbeiten und wie ausgiebig Einzelne zur Lernum-gebung beigetragen haben. Daten wrden Aufschluss darber geben, wie verschiedene Lernende am bes-ten lernen. Wie aufmerksam arbeiten Lernende am Klassen-Wiki? Arbeiten sie intensiv an einer Sache oder sprin-gen sie kreuz und quer durch den Lernstoff? Weil Big Data Informatio-nen in Echtzeit zur Verfgung stellt, knnen zudem augenblicklich Anpas-

    sungen im Unterricht vorgenommen werden. Insgesamt fhrt ein daten-getriebenes Bildungsmodell somit auch zu Lehrplnen, die flssig und offen gegenber nderungen sind. In jedem Fall setzt der Einzug von Big Data in den Bildungsbereich eine in-tensive Auseinandersetzung mit dem Lernen voraus. Ein datengetriebenes Bildungsmodell fhrt daher zwangs-lufig zu einem besseren Verstndnis des Meta-Lernens: Je effektiver die Analyse der Lernerfolge gelingt, des-to mehr lernen wir ber das Lernen.

    Wie bei allen Big Data Anwendun-gen gibt es auch im Bildungssektor noch eine Reihe von Herausforde-rungen zu meistern: Es gilt Daten ver-schiedenartiger Quellen zu kombinie-ren, die hufig in unterschiedlichen Formaten vorliegen. Bercksichtigt werden mssen Bedenken hinsicht-lich der Verletzung von Privatsph-re durch Anfertigen umfangreicher Profile sowie das Gefhl, dass Ler-nende reduziert werden auf Zahlen und Daten. Dies gilt umso mehr als in einer Zukunftsvision der datenge-triebenen Bildung nicht nur solche Kennzahlen eingehen, die originr dem Bildungsbereich entstammen, sondern ein vollumfngliches Profil jedes einzelnen Lernenden angefer-tigt wird, in das auch Informationen darber einflieen, was jemand im Fernsehen sieht, was jemand isst und kauft, mit wem und worber jemand spricht, welche Bcher jemand liest und vieles mehr. Schlielich werden Bildung und Lernen durch die gesam-te Lebenserfahrung geformt und auf Basis eines kompletten Lebensprofils liee sich ein noch effektiverer Lern-pfad maschneidern.

    Solche Zukunftsvisionen machen klar: Big Data darf keinesfalls als blo-e IT-Aufgabe betrachtet werden. Gerade im Bildungsbereich wird es darum gehen, exakt zu verstehen, wo einerseits die technischen Potentiale

    BIG DATA DURCHLEUCHTET LERNPROZESSE UND ER-LAUBT, BILDUNG FR JEDEN EINZELNEN MASSZU-SCHNEIDERN STATT SIE EN MASSE ZU VERMITTELN.

    BIG DATA IST MEHR ALS EINE IT-AUFGABE. DIE VERMES-SUNG VON LERNPROZESSEN BILDET DIE SPEERSPITZE BEI DER TRANSFORMATION DES BILDUNGSWESENS.

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    3 TRIEBKRFTE DES WANDELS

    3.7 LERNEN WIRD ZUM SPIEL

    sowie andererseits die pdagogische Ntzlichkeit liegen. Ungeachtet die-ser groen Herausforderungen und der Komplexitt, die Learning Analy-tics innewohnt, bilden die datenm-ige Abbildung und Auswertung von

    Lernprozessen die Speerspitze bei der Transformation des Bildungswe-sens und macht Konzepte wie Game-Based Learning (vgl. Kap. 3.7) und Flipped Classroom (vgl. Kap. 4.1) erst mglich.

    Bereits seit Jahrzehnten spielen Kinder und Jugendliche Computer-spiele, jedoch waren diese nie zuvor derart verbreitet und populr wie heute. Digitale Spiele sind zum Mas-senphnomen geworden und zie-hen sich durch alle Altersstufen und Bildungsschichten. Seit einiger Zeit finden sie nun auch ihren Weg in den Bildungsbereich und dies ist kaum verwunderlich: Weil Spiele einige Lehren bereithalten fr die Gestal-tung von Lernsituationen, versuchen Lerninstitutionen immer fter, jene Entschlossenheit, jenen Enthusias-mus und jene Ausdauer, die man bei Computerspielern beobachten kann, auch aus Lernenden herauszukitzeln. Scheitert man in der virtuellen Welt, wagt man einen neuerlichen Versuch, solange bis man in den nchsten Le-vel aufgestiegen ist diese Beharr-lichkeit bei gleichzeitiger Freude am Tun ist der Grund, warum Game-Based Learning so effektiv ist.

    Spielen und Lernen sind in der menschlichen Entwicklung sowie auch im Tierreich seit jeher eng verknpft. Spielen ist das wichtigste Vehikel fr Kinder, um zu lernen. Und immer mehr Forscher gelangen zu der Erkenntnis, dass wir whrend der gesamten Lebensspanne spielend lernen. Seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wird die durch die ins-titutionalisierten Formen der Bildung herbeigefhrte klare Trennung zwi-schen Lernen und Spielen unter dem Schlagwort Edutainment aufgeho-

    ben. Die Verbindung von Bildungsin-halten mit spielerischen und unter-haltenden Elementen steht seitdem in Pdagogik, Psychologie und ver-wandten Disziplinen hoch im Kurs. Insbesondere der Boom von Compu-terspielen treibt die Kombination von Lernen und Spiel voran.

    Aber nicht nur ihre Popularitt, auch die spezifischen Eigenschaften der Interaktivitt oder der Mglich-keit des gemeinsamen oder vernetz-ten Spielens rcken dieses Medium verstrkt in den Fokus bei der Inno-vation rund ums Lernen und Lehren. Dem spielebasierten Lernen werden auch deswegen groe Zukunftsaus-sichten zugeschrieben, weil eine mit digitalen Spielen sozialisierte Gene-

    ration neue Anforderungen an Lern-prozesse und Informationsvermitt-lung stellt. Die so genannten Digital Natives die Ureinwohner des Net-zes suchen und verarbeiten Infor-mationen anders als vorherige Gene-rationen. Beispielsweise zieht die mit

    EINE MIT DIGITALEN SPIELEN SOZIALISIERTE GENERATI-ON STELLT NEUE ANFORDERUNGEN AN LERNPROZESSE UND INFORMATIONSVERMITTLUNG.

    COMPUTERSPIELER LEGEN EIN HCHSTMASS AN ENT-SCHLOSSENHEIT, ENTHUSIASMUS UND AUSDAUER AN DEN TAG. DIES VERSUCHT GAME BASED LEARNING AUCH AUS LERNENDEN HERAUSZUKITZELN.

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    3 TRIEBKRFTE DES WANDELS

    Warum Lernen in Videospielen so leicht fllt

    Welche Lehren halten Spiele fr das Lernen bereit? Immerhin haben Spiele die Macht, Menschen ber lange Strecken hinweg das Meistern herausfordernder, kognitiver Aufgaben abzuverlangen. Insbesondere Multiplayer Games weisen eine Reihe von Merkmalen und Prinzipien auf, die als Vorlage fr die Gestaltung von Lernprozessen dienen knnten. Denn Herangehensweisen in virtuellen Welten zeichnen sich stets durch begeisterte, tatkrftige soziale Interaktionen aus.

    Videospieler weisen extreme Selbstmotivation auf. Im Spiel kommt es darauf an, unmittel-bar und entschieden Hindernisse aus dem Weg zu rumen. Und eben dieser Aufgabe stellen sie sich ohne Zgern. Auch wenn der Spieler scheitert, entsteht keine Frustration, sondern er wagt einfach einen neuerlichen Versuch. Zudem glauben Videospieler immer daran, dass es eine realistische Chance auf Erfolg gibt. Damit ein Bildungssystem das gleiche Ma an Motivation und Begeisterung aus Lernenden herausholt, muss es Relevanz erzeugen. Oftmals werden in Lernprozessen Probleme vllig losgelst von Kontexten dar-gestellt, ohne dass sie fr Lernende relevant sind. In der Welt der Videospiele hingegen dreht sich alles um Erforschung und Erkun-dung: Ein Problem wird erkannt, sobald man darauf stt und dies erzeugt Relevanz. Spielerisches Lernen stellt direkte und bedeu-tungsvolle Verbindungen zu Problemen und Aufgabenbereichen her. Lernen findet heute zumeist in abgeschotteten Klassenzimmern und Hrslen statt. Innerhalb des Elfenbein-turms zeigt sich aber kaum die praktische An-wendbarkeit und Relevanz von Lerninhalten. In Videospielen ist es jeweils die unmittelbare Dringlichkeit, die die Problemlsung lebhaft und mitreiend gestaltet. Die Integration von Spielprinzipien in das Bildungswesen knnte nun einerseits jene Dringlichkeit herstellen, unmittelbar anstehende Aufgaben zu l-sen, aber andererseits auch den Boden dafr bereiten, die eigene Ausbildung als relevant, bedeutend und ntzlich zu erleben.

    Spielen verbindet. Videospieler bauen Be-ziehungen und Nhe zu anderen Spielern auf und vertrauen darauf, dass andere zur kollektiven Anstrengung beitragen. Video-spieler entwickeln ein profundes Verstndnis von Kooperation und deren Vorteilen. Im Bildungswesen knnten Spiele daher Inhal-te, Struktur und das Medium bereitstellen,

    um soziale Interaktion auf bestimmte Prob-lemfelder zu fokussieren. Ein spielebasierter Curriculum wre imstande, Lernenden einen guten Grund fr Lernen, Interaktion und Zusammenarbeit an die Hand zu geben. Auf diese Weise wrde sich der Lernprozess ber die Grenzen des Klassenzimmers, des Hr-saals und der gesamten Hochschule hinweg fortsetzen.

    Oftmals unterscheiden sich Spielaufgaben bei nherer Betrachtung kaum von dem, was gemeinhin als Arbeit betrachtet wird. Nichtsdestotrotz verschafft das Spiel seinen Nutzern ein hohes Ma an Freude und Zu-friedenheit. Menschen lieben es, harte Nsse zu knacken und Erfolgserlebnisse zu feiern. Lehrveranstaltungen und die damit verbun-denen Aufgaben werden hingegen zumeist als notwendiges bel empfunden, als etwas, das abgearbeitet werden muss ohne jegli-che Freude und Enthusiasmus. Gelnge es, nur ein Quntchen jener fokussierten Auf-merksamkeit, kreativen Lsungsfhigkeit und begeisterten Ausdauer in das Bildungswesen zu integrieren, wren Lernprozesse um ein Vielfaches effektiver.

    Insbesondere in Multiplayer Games fhrt der problembezogene Charakter von Spielen dazu, dass sich Spieler als Teil eines gre-ren Ganzen fhlen. Menschen genieen das Gefhl, gemeinsam mit anderen an einer Aufgabe zu arbeiten. Daher motivieren Spiele zum stndigen Weitermachen. Das Lsen von jedweden Problemen, die sich im Spielverlauf in den Weg stellen wird stets als Beitrag zum groen Ganzen betrachtet. uerst selten ver-schafft das heutige Bildungswesen Lernenden jene grere Bedeutung wie Videospiele dies schaffen. Game Based Learning knnte eine Brcke schlagen zwischen Theorie und An-wendung und einen Raum fr die Interaktion mit der echten Welt ffnen.

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    3 TRIEBKRFTE DES WANDELS

    dem Internet und Computerspielen gro gewordene Generation ein ver-netztes und exploratives Lernen den herkmmlichen linearen und struktu-rierten Formen vor.4

    Game-Based Learning baut auf dem Prinzip auf, dass Spielen stets intrinsisch motiviert ist. Der Lernen-de muss daher weder gezwungen noch mit Belohnungen verfhrt werden, er widmet sich aus vllig freien Stcken einer bestimmten Ttigkeit. Damit wird Spiel auch zu einem machtvollen Mittel, um den Zustand des Flow5 zu erreichen, also jenes Glcksgefhl, in das Men-schen geraten, wenn sie gnzlich in einer Beschftigung aufgehen, ihre Aufmerksamkeit fokussieren, gegenber jeglicher Ablenkung im-mun sind und ihr Zeitgefhl verlieren. Spiel bietet zudem ein hohes Ma an Authentizitt und unterscheidet sich insofern von knstlichen, aus dem Kontext gerissenen Formen des Ler-nens wie es herkmmlich blich ist. Zumeist nutzt Game-Based Learning eine Geschichte oder Handlung, um Lernende zu begeistern sowie ihnen die Mglichkeit zu verschaffen, in einem risikolosen Umfeld das echte Leben zu imitieren, dessen Komple-

    xitten zu erleben und darin eigene Erfahrungen zu sammeln. Spiele ma-chen Fortschritte klar sichtbar und laden zum Experimentieren und (fol-genlosen) Fehler-Machen ein. Zudem bieten sie Umgebungen, in denen Problemlsungsfhigkeiten und Kre-ativitt an Herausforderungen er-probt werden knnen, die jenen der realen Welt nachempfunden sind. Spielerisches Lernen frdert auer-dem das selbstndige Erforschen von

    Themen, das je nach der individuellen Interessenlage auch ein Abschweifen zulsst, um mehr herauszufinden und Themen zu vertiefen. Game-Based Learning gibt Lernenden die Mglich-keit, sich Wissen anzueignen, mit der Anwendung dieses Wissens zu expe-rimentieren und hierzu Feedback zu erhalten und all dies in einer siche-ren virtuellen Welt. Whrend Lernen-de mit einer interaktiven Erfahrung belohnt werden, erhalten Lehrende aufschlussreiche Informationen ber den Lernfortschritt.

    GAME BASED LEARNING BAUT DARAUF AUF, DASS SPIELEN INTRINSISCH MOTIVIERT IST. DER LERNENDE WIDMET SICH DAHER GERNE UND FREIWILLLIG DEM LERNEN.

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    4WEGBEREITER DERNEUEN BILDUNGSWELT

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    Das Bildungssystem steht seit Jahren unter massi-vem Druck: Die Informationsgesellschaft fordert gut ausgebildete Arbeitskrfte, dabei soll ange-sichts immer knapperer Budgets die Ausbildung schnell und kostengnstig sein. Daher ergeht regelmig der Ruf nach mehr Effizienz und Produktivitt im Bildungswe-sen. Im Zuge des Technologiebooms meinte man wie in anderen Branchen auch der Einsatz von Technologie knne das Bildungswesen ganz einfach transformieren, um die Kosten bei gleicher oder sogar hherer Bildungs-qualitt im Griff zu behalten. Computer, Tablets und in-teraktive Whiteboards zogen in den Unterricht ein und kommuniziert wurde immer fter via Internet doch die zunehmende Einkehr von Technik in die Bildungsanstal-ten konnte die hochfliegenden Erwartungen bislang nicht erfllen.

    Denn nicht al-lein schon durch ihren Einsatz bringt Techno-logie disruptive Innovation.6 Es ist nicht Tech-nologie an und fr sich, sondern die Art und Weise des Einsatzes, die den Unterschied macht. Ihre wahre trans-formative Kraft entfaltet Technologie erst dann, wenn sie dazu beitrgt, die althergebrachten Praktiken und Regeln zu durchbrechen. Die bisher in den altbewhrten Unter-richt integrierten technischen Mittel mgen zwar dafr gesorgt haben, diesen schneller, einfacher und bequemer zu machen, aber erst der Bruch herkmmlicher Methoden durch die Integration von Technologie erffnet vllig neue und bessere Wege des Unterrichts, die ohne den Einsatz der Informationstechnologie nicht mglich wren.7 Hatte man bislang die Vorteile der technologischen Innovatio-nen isoliert betrachtet, so zeichnet sich immer strker ab, dass die digitale Revolution umfassende systemische und strukturelle nderungen mit ungeahnten Potentialen fr den Bildungserfolg bringt.

    Dass wir heute an der Schwelle zu einer Bildungsrevolu-

    tion stehen, an der Technologie den Status Quo in Frage stellt und die altbekannten Spielregeln ndert, hat vor al-lem zwei Grnde: Zum einen erlaubt der technologische Reifegrad heute gnzlich neue Anwendungsmglichkei-ten. Anstatt lediglich neue technische Gimmicks in das bestehende Bildungsmodell zu integrieren, erlaubt Tech-nologie heute neue Arten des Lernens und erffnet neu-en Zielgruppen Zugang zu Bildung. In einer immer strker vernetzten Welt halten neue Bildungsmodelle Einzug, die Raum bedeutungslos werden lassen. Das Netzwerk bietet eine Architektur fr Partizipation und Kollaborati-on unabhngig von Zeit, Ort, Alter oder bisherigem Bil-dungsweg und beruflicher Station. Weil Materialien digital vorliegen, knnen sie immer und immer wieder benutzt und beliebig geteilt werden. Bibliotheken werden sich

    nicht mehr durch den Umfang ih-res Bestandes a u s z e i c h n e n , sondern durch die Qualitt ihrer Navigationsfunk-tion durch das Di-

    ckicht an Informationen. Zugang wird entscheidender als Besitz. Zudem hat das Wissensmonopol von Schulen und Hochschulen durch die Informationstechnologie Risse be-kommen, indem sich neue Plattformen der Wissensent-stehung herausbildeten: Wikipedia, Facebook und andere Social Media-Plattformen ermglichen einen massenhaf-ten, globalen Austausch und manchmal sogar kollektive Intelligenz. Mit ihrer Fhigkeit, Menschen, Ideen und Res-sourcen zu verbinden sowie Reichweite und Personali-sierung zu erhhen, ndert die Informationstechnologie die Spielregeln der bisherigen Wissensvermittlung und ermglicht dadurch vllig neue Modelle im Bildungswe-sen. Speziell Massive Open Online Courses (MOOCs) bil-den die Speerspitze zu einer vllig neuen Auffassung von Bildung.

    Zum anderen herrscht heute ein anderer Umgang mit Technologie. Die immense Verbreitung der Informations-

    4 WEGBEREITER DER NEUEN BILDUNGSLANDSCHAFT

    WIR STEHEN AN DER SCHWELLE ZU EINER BILDUNGS-REVOLUTION, AN DER TECHNOLOGIE DEN STATUS QUO IN FRAGE STELLT UND DIE ALTEN SPIELREGELN NDERT. INSBESONDERE MOOCS BEREITEN DEN BODEN FR VL-LIG NEUE MODELLE IM BILDUNGSWESEN.

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    MOOCS SIND WELTWEIT AUF DEM VORMARSCH. DIE KOS-TENLOSEN, FREI ZUGNGLICHEN UND AN EINE GROSSE TEILNEHMERZAHL GERICHTETEN ONLINE KURSE WER-DEN DAS BILDUNGSWESEN DEMOKRATISIEREN.

    4.1 MOOCS: MEHR ALS VORLESUNGEN AUS DER KONSERVE

    und Kommunikationstechnologie lsst virtuelle und reale Welt immer weiter zusammenwachsen; sich ber die neuen Medien auszutauschen ist zur Normalitt geworden. Insbeson-dere eine junge Zielgruppe, die mit Internet gro geworden ist, bewegt sich wie selbstverstndlich im virtu-

    ellen Raum und bildet daher auch anders gelagerte Anforderungen an ihre Lernwelt aus. Eine neue Generati-on von Lernenden greift ganz selbst-verstndlich auf die elektronischen Mglichkeiten zurck und treibt ein von Zeit und Ort unabhngiges Ler-nen weiter voran.

    4 WEGBEREITER DER NEUEN BILDUNGSLANDSCHAFT

    Massive Open Online Courses (MOOCs) sind die bislang letzte Stufe in der Evolution von Open Educatio-nal Resources (OERs). Seitdem die UNESCO8 2002 den Begriff der Open Educational Resources prgte, avan-cierten diese zu einer weltweiten Be-wegung mit keinem geringeren Ziel als globale Bildungsressourcen zu entwickeln und diese der gesamten Menschheit zugnglich zu machen. Was mit dem offenen Zugang zu In-halten begann, setzte sich mit dem freien Zugang zu online Kursen fort

    und mglicherweise wird die Zu-kunft den offenen Zugang zu einem vollstndigen Lehrplan sehen, der zu einem Abschluss einer anerkannten Bildungsinstitution fhrt.

    Das Akronym MOOCs steht fr Massive Open Online Courses und bedeutet so viel wie gratis Vorlesun-gen fr alle:

    M Massive: Die rumliche Be-schrnkung auf Hrsle wird ber-wunden, rtlich und zeitlich un-abhngig steht der Zugang zur Bildungsveranstaltung jedermann of-

    fen. Teilnehmen knnen so viele Stu-denten wie die gerumigsten Hrsle dieser Welt nicht fassen knnen. Die grten MOOCs erreichen sechsstel-lige Teilnehmerzahlen.

    O Open: Die Offenheit von MOOCs bezieht sich auf unterschiedliche Aspekte. Die online-Kurse sind kos-tenfrei und weisen keinerlei Zulas-sungsbeschrnkungen auf. Weder die Zahl der Teilnehmer ist nach oben hin beschrnkt noch mssen diese bestimmte Bildungs- oder sonstige Voraussetzungen aufweisen. Bei ei-nigen MOOCs bezieht sich das Cha-rakteristikum der Offenheit auch auf die Infrastruktur, die Lernziele und die verwendeten Tools, die durch die Teilnehmenden selbst definiert wer-den.

    O Online: Weil MOOCs rein web-basiert sind, ermglichen sie einen freien, ortsunabhngigen Zugang. Das Netz fungiert als gemeinsamer Kursraum, die Kommunikation luft online ab.

    C Course: Im Gegensatz zu OERs, die Bildungsressourcen ber das Netz frei zugnglich machen, sind MOOCs als Lehrveranstaltungen konzipiert. Sie sind als Kurse organisiert und verfgen daher ber feste Start- und Endpunkte, einen oder mehrere Leh-rende, Betreuungsangebote und an-dere Kursteilnehmer.

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    4 WEGBEREITER DER NEUEN BILDUNGSLANDSCHAFT

    Die bekanntesten MOOCs-Plattformen

    Coursera wurde im April 2012 von zwei Professoren der Stanford University gegrndet und verfgt ber ein breit gefchertes Angebot von ber 400 Kursen

    von Naturwissenschaften ber Kunst und Recht bis hin zu Informatik. Die Kurse stammen von mehr als hundert Partnerinstitutionen aus ber 20 Lndern, darunter Eliteuniversitten wie Stan-ford, Yale und Princeton. Aus Deutschland steuern die Ludwig-Maximilians-Universitt Mnchen sowie die Technische Universitt Mnchen Inhalte bei. Da ein Groteil der Partner aus den USA stammt, ist die Kurssprache vorwiegend Englisch. Die Teilnahme an den MOOCs ist kostenlos. Um-satz generiert Coursera einerseits durch kostenpflichtige Zertifikate fr die erfolgreiche Absolvie-rung von Kursen sowie andererseits durch Karriereservices wie beispielsweise die Vermittlung von Kursteilnehmern an Jobanbieter.

    edX ist eine kooperative MOOCs-Plattform des Massachusetts Institute of Techno-logy (MIT) und der Harvard University und ging im Mai 2012 an den Start. Neben den Grndungspartnern bieten ber 60 weitere namhafte Universitten aus der ganzen Welt Kurse an, darunter die Technische Universitt Mnchen. Die mehr als

    300 MOOCs aus den unterschiedlichsten Bereichen von Architektur bis Medizin sind kostenlos fr jedermann zugnglich. ber drei Millionen Lernende aus aller Welt nutzten bisher dieses Ange-bot und schrieben sich 6,5 Millionen mal in Kurse ein (Stand: Oktober 2014).

    Udacity hatte seine Geburtsstunde Anfang 2012 mit Sebastian Thruns Experiment, seinen Kurs Introduction to Artificial Intelligence an der Stanford University kos-tenlos ins Netz zu stellen. Seitdem wchst das Kursangebot stetig und hat einen starken Fokus auf Informatik. Udacity arbeitet eng mit Unternehmen aus dem Technologiesektor (z.B. Google, Cloudera, NVIDIA) zusammen und setzt vor allem auf berufliche Weiterbildung. Mit ausgewhlten Technologiepartnern (z.B. AT&T) entwickelt Udacity neuerdings spezielle Abschlsse (Nanodegrees), die von eben diesen Partnern anerkannt werden und in 6 bis 12 Monaten fr 200 US-Dollar im

    Monat fit machen sollen fr Einstiegspositionen.

    Khan Academy wurde 2008 von Salman Khan gegrndet. Die Idee zum Unter-nehmen entstand aus privatem Nachhilfeunterricht, den der MIT- und Harvard-Absolvent ab Ende 2004 seiner Cousine mit Hilfe des Doodle Notepads von Yahoo! gab. Als Khan seine Lehrvideos spter bei YouTube einstellte, fanden sie schnell so groen Anklang, dass Khan seinen Job als Hegde Fund Analyst an den Nagel hing und sich gnzlich auf seine Khan Academy konzentrierte. Heute bietet die Platt-form eine Vielzahl verschiedener Tutorials zu den verschiedensten Themen von Algebra ber Biologie und Physik bis zu Programmierung. Weniger steht hierbei die universitre Bildung als vielmehr jene weiterfhrender Schulen im Vorder-grund. Die kurzen Videos sowie begleitenden bungen werden allesamt von

    Salman Khan selbst erstellt. Khan Academy wird durch Spenden finanziert und stark von der Bill & Melinda Gates Stiftung sowie von Google untersttzt.

    Iversity bringt MOOCs nach Deutschland. Der Berliner Anbieter wurde 2008 gegrndet und konzentriert sich anders als die meisten Anbieter aus den USA nicht auf die Kooperation mit Eliteuniversitten, sondern arbeitet mit einzelnen

    fachlich und didaktisch qualifizierten Hochschullehrern zusammen. Das (momentan sehr kleine ) Kursangebot ist kostenlos fr jedermann zugnglich. Ein Teil der Kurse stammt aus einem Wettbe-werb, zu dem Iversity gemeinsam mit dem Stifterverband aufgerufen und 250.000 Euro fr die Pro-duktion von zehn online Kursen ausgelobt hat. Einige der angebotenen MOOCs knnen mit einer Prsenzprfung abgeschlossen und auf ein Hochschulstudium angerechnet werden.

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    4 WEGBEREITER DER NEUEN BILDUNGSLANDSCHAFT

    Immer mehr Universitten gehen dazu ber, Lehrveranstaltungen auf Video aufzuzeichnen, mit Aufgaben und Quizzes anzureichern sowie eine soziale Komponente hinzuzufgen (Chatrooms, Wikis, Facebook-Grup-pen etc.) und das Ganze online zur kostenlosen Teilnahme anzubieten. Die Grnde dafr sind aber nicht rein

    philanthropischer Natur. Ganz im Sinne der OER-Bewegung werden MOOCs von vielen zwar als Instru-ment gesehen, um Bildung zu demo-kratisieren und Menschen bis in den hintersten Winkel der Erde Zugang zu hherer Bildung zu verschaffen. Diese neueste Form des computer-gesttzten Lernens gibt Hochschulen zustzlich auch unglaubliche Flexibili-tt im Umgang mit den eigenen ein-geschriebenen Studenten. Denn ist ein MOOC erst einmal erstellt, bleibt das Engagement der Lehrenden auf ein Minimum beschrnkt, whrend eine immense Zahl an Lernenden er-reicht wird. Die frei gewordene Zeit kommt dem strkeren Austausch mit Studenten zugute und kann auf Prsenzlernformen wie Diskussion, Problemlsung oder ben des Lern-stoffes verwendet werden. MOOCs zwingen dazu, die Art und Weise des herkmmlichen Lehrens zu berden-ken und schaffen Freirume, alterna-tive Modelle zu erproben, wie etwa das Konzept Flipped Classroom, das sich auf frei verfgbare Lernma-terialien sttzt, um insgesamt eine intensivere Lernerfahrung zu errei-chen.

    Die Idee der online Bildung ist nicht neu und auf den ersten Blick scheinen MOOCs gegenber lteren Varianten von E-Learning und Fernstudium kei-ne groen Unterschiede zu bringen: wurden die Inhalte frher in Textform dargeboten, erfolgt dies heute in Bewegtbildern und Ton, wurden die Lehrmaterialen in den Anfangstagen des Distant Learnings per Postbote ins Haus gebracht, erfolgt der Zugriff heute ber das Internet. Das Neue an der heutigen Bewegung ist ihre Popularitt und das Interesse, das MOOCs innerhalb krzester Zeit ent-facht haben. Obwohl MOOCs kaum den Kinderschuhen entwachsen sind, ist eine unvergleichliche Experimen-tierfreudigkeit zu beobachten. Bei

    Flipped Classroom: Unterricht auf den Kopf gestellt

    Der Groteil der Unterrichtszeit wird heute auf die Wissensver-mittlung typischerweise im Frontalunterricht verwandt. Fr die Verarbeitung dieser Informationen durch die Lernenden ist dabei kaum Zeit vorgesehen. Vertiefen und Einben des Lernstoffes erfolgt in Eigenregie oder in Lerngruppen auer-halb der offiziellen Unterrichtszeit. Diese Lehrstruktur macht es schwierig, mit verschiedenen Ausgangsvoraussetzungen der Lernenden oder mit unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten umzugehen.Flipped Classroom begreift sich als eine Umkehrung dieser traditionellen Lehrstruktur: Geht man davon aus, dass Lernen ein zweistufiger Prozess ist Informationstransfer gefolgt von Aufnahme und Kontextualisierung der Information , dann liegt der Schritt nahe, die erste Phase (Informationsvermittlung) in ein vorgelagertes Selbststudium zu verlegen. Lernende erhalten Zugang zu Inhalten in Form von etwa Bchern, Videos oder on-line Ressourcen und befassen sich damit vor den gemeinsamen Prsenzveranstaltungen. In diesen wird damit Raum geschaffen fr die praxisnahe Anwendung neu erworbener Wissensinhal-te, fr Diskussionen, bungen, aktive Problemlsungsprozesse und einen echten Austausch mit dem Lehrenden.

    VERSTEHEN

    ERINNERN

    ANWENDEN

    ANALYSIEREN

    EVALUIEREN

    ERSCHAFFEN

    TraditionellerUnterricht

    FlippedClassroom

    Traditioneller Unterricht vs. Flipped Classroom in Zusammenhang mit Lernzielen9.

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    4 WEGBEREITER DER NEUEN BILDUNGSLANDSCHAFT

    genauerer Betrachtung sind MOOCs eben doch viel mehr als die online Umsetzung von Vorlesungen: Sie be-inhalten Tests und Aufgaben, bieten vielfltige Interaktionsmglichkei-ten, frdern aktives Lernen, beinhal-ten Mechanismen, die an Computer-spiele erinnern und sind zudem ein wirkungsvolles Instrument zur Erfor-schung von Lernvorgngen.

    Eine grundlegende Innovation ge-genber herkmmlichen Formen des online Lernens sind die in MOOCs integrierten Interaktionsmglich-keiten. Lernende knnen sich in moderierten Foren mit anderen Teil-nehmern austauschen; es entstehen begleitende Diskussionen, Unklarhei-ten werden aufgeworfen und Fragen von Peers beantwortet. Auf diese Weise entsteht eine Lerncommunity, die dem Gedanken Rechnung trgt, dass es in unserem vernetzten Zeit-alter kaum noch mglich ist, Grenzen um Wissensgebiete zu ziehen, wie dies bei herkmmlichen Lehrange-boten fast durchweg der Fall ist. Eine wesentliche Funktion von MOOCs ist es, Menschen zusammenzubringen und durch deren aktive Beteiligung das Explorative zu frdern. In den erfolgreichsten MOOCS treffen Tau-sende kluger Kpfe aus den verschie-densten Teilen der Welt aufeinander, die die unterschiedlichsten Bildungs-profile aufweisen und aus smtlichen Altersstufen kommen.

    Die Videos sind aufgebrochen in kleine Einheiten, denen leichter zu folgen ist als der Aufnahme einer ganzen Vorlesung. Zudem agieren diese Videoeinheiten als Module, die jedem Lernenden erlauben, seinen eigenen Lernpfad einzuschlagen und im eigenen Tempo vorzugehen. Auf diese Weise tragen MOOCs einen Groteil zu einer Abkehr vom alten one-size-fits-all Modell der Bildung bei und fhren hin zu mehr Persona-lisierung im Bildungswesen. Auch das

    elektronische Format von MOOCs ermglicht Lernenden, das Lern-tempo selbst zu bestimmen, indem Passagen beliebig wiederholt oder bersprungen sowie nach Gutdn-ken Pausen eingelegt werden kn-nen: Nachweislich erzielen Lernende bessere Lernergebnisse, wenn sie in E-Learning-Umgebungen in der Lage sind, ihr Tempo selbst zu whlen, in-dem sie Videos anhalten und durch Klick auf Weiter in den nchsten Lernabschnitt wechseln knnen als Lernende, denen der Inhalt in einem

    fort prsentiert wird.10 Zudem liegt dieser Eigenheit von MOOCs die Idee zugrunde, dass der Kursfortschritt durch die erlangten Kenntnisse und nicht die abgesessene Zeit erfolgen solle. Dies wird trotz der ungnstigen Betreuungsrelation in diesen Mas-senkursen mglich, weil durch die da-tenmige Abbildung des Verhaltens der Lernenden der Lernerfolg trans-parent ist, indem gemessen wird, wie

    lange Lernende fr Aufgaben benti-gen oder sich mit gewissen Inhalten aufhalten, wie hufig sie bestimmte Passagen wiederholen und vieles mehr. Mit Hilfe von Big Data knnen darauf aufbauend nicht nur Aussagen ber die Lernfortschritte einzelner Lernender getroffen werden, dar-ber hinaus bietet die Auswertung der Datenmasse auch wertvolle Einblicke, wie gelernt wird, um daraufhin die In-halte zu optimieren. Beispielsweise kann aus der Analyse des Verhaltens

    MOOCS SCHREIBEN INTERAKTIVITT GROSS UND BRIN-GEN TAUSENDE KLUGER KPFE AUS DEN VERSCHIEDENS-TEN TEILEN DER WELT ZUSAMMEN.

    MOOCS SIND MEHR ALS VIDEOAUFZEICHNUNGEN VON VORLESUNGEN. IN KOMBINATION MIT BIG DATA BILDEN SIE DIE SPEERSPITZE ZU PERSONALISIERTER BILDUNG.

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    4 WEGBEREITER DER NEUEN BILDUNGSLANDSCHAFT

    beim Betrachten von Lehrvideos auf die ideale Dauer solcher Videos ge-schlossen werden. Tests werden eingesetzt, um die Effektivitt der MOOCs im Hinblick auf den Lerner-folg zu messen. Das Experimentieren mit neuen Videos, Tests oder Lernme-thoden macht innerhalb von Minuten Daten verfgbar, die Aussagen ber den Erfolg der jeweiligen Manah-

    men zulassen. MOOCs dienen somit auch als wichtiges Vehikel, um mehr ber Lernvorgnge zu lernen und in der Folge optimierte Lernumgebun-gen zu schaffen und effektiver zu leh-ren. Herkmmlich dauerten solche Experimente Jahre wenn sie denn berhaupt durchgefhrt wurden. Nie zuvor war im Bildungsbereich eine solche Masse an Daten in einer der-

    artigen Detailliertheit verfgbar wie heute. Somit katapultieren MOOCs den Bildungsbereich in unsere da-tengetriebene Gesellschaft, in der Bildungsentscheidungen nach dem-selben Muster mglich werden, nach dem beispielsweise der Versandhnd-ler Amazon seine Webseite optimiert und Buchempfehlungen ausspricht.

    Zudem ist in MOOCs der Lern- mit dem Beurteilungsprozess eng ver-woben. Der Lernerfolg wird nicht wie herkmmlich am Ende des ge-samten Kurses im Rahmen einer groen Prfung bewertet, sondern die Leistungsbeurteilung beglei-tet das Lernen kontinuierlich. Tests und Bewertungen kehren whrend des gesamten Ablaufes von MOOCs stndig wieder und geben nicht nur Aufschluss darber, ob der Lernende zum Fortschreiten mit dem nchs-ten Lernsegment bereit ist, sondern motivieren auch durch laufendes un-mittelbares Feedback. Der Lernende wei somit stets, wo er steht, was

    MOOCS DIENEN NICHT ZULETZT ALS VEHIKEL, UM MEHR BER DAS LERNEN ZU LERNEN UND DARAUFHIN OPTI-MIERTE, EFFEKTIVE LERNUMGEBUNGEN ZU SCHAFFEN.

    MOOCs: Die wichtigsten Meilensteine

    Rund um MOOCs hat sich ein regelrechter Hype entwickelt. Dabei steckt diese neueste, noch recht junge Form der Open Educational Resources noch in den Kinderschuhen und wird noch lange nicht den eigenen Idealen gerecht. Das groe Interesse an MOOCs sowie die Experimentierfreu-digkeit, die sie entfacht haben, legen allerdings nahe, dass MOOCs eine bedeutende Rolle in der Gestaltung zuknftiger Bildungswelten spielen werden. Das Nachdenken ber das derzeitige Bil-dungsmodell haben sie jedenfalls schon einmal angestoen.

    2008 2011 2012 2014

    Der erste MOOCFr den Kurs Connectivism and Connective Knowledge von Ste-phen Downes und George Siemens an der University of Manitoba wird zum ersten Mal der Begriff MOOCS verwendet. Als Experiment wird der Kurs auch online angeboten. Schlielich nehmen 25 eingeschrie-bene Studenten teil; zudem melden sich zur groen berraschung der Professoren 2.200 Teilnehmer fr die kostenlose online Version des Kurses an.

    DurchbruchDie beiden Stanford-Professoren Sebastian Thrun und Peter Norvig entschieden sich, ihren Kurs Int-roduction to Artificial Intelligence ber das Internet abzuhalten. Circa 150.000 Teilnehmer schreiben sich ein, wovon 23.000 den Kurs erfolg-reich abschlieen.Diesem Erfolg folgen rasch zwei weitere MOOCs der Stanford-Pro-fessoren Andrew Ng und Daphne Koller.

    GrndungenMIT und Harvard University rufen edX, eine Open Source Plattform fr MOOCs ins Leben. Sebastian Thrun grndet Udacity. Andrew Ng und Daphne Koller grnden Coursera.

    The Year of the MOOCDie New York Times ruft 2012 zum Jahr der MOOCs aus.

    VerbreitungDie Zahl angebotener MOOCs steigt rasant. Es entstehen mehr und mehr MOOCs in anderen Spra-chen als Englisch - hauptschlich Spanisch und Franzsisch.

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    4 WEGBEREITER DER NEUEN BILDUNGSLANDSCHAFT

    richtig verstanden und was weniger beherrscht wurde.

    In der Beurteilung von Leistungen bei Hausaufgaben oder Tests, die im Laufe der online-Kurse abgeliefert werden, liegt denn auch eine beson-dere Herausforderung fr MOOCs. Leistungsbeurteilung ist im Rahmen der akademischen Bildung ein derart wichtiges Feld, dass sie sich als Achil-lesferse in der weiteren Verbreitung von MOOCs erweisen, aber gleicher-maen Quelle von bahnbrechenden Innovationen im Bildungsbereich sein knnte. Aufgrund der enormen Teil-nehmerzahlen und der daraus resul-tierenden ungnstigen Betreuungs-relation sind andere Feedback- und Bewertungsverfahren notwendig als sie in traditionellen Lehrveran-staltungen zum Zug kommen. Zwei Wege haben sich mittlerweile eta-bliert: Aufgaben werden entweder so aufbereitet, dass sie automati-siert berprft werden knnen (z.B. Multiple-Choice Tests, Fragebgen, Programmier- oder mathematische Aufgaben) oder dass die Beurteilung ber Crowdsourcing erfolgen kann. So nutzt beispielsweise Coursera Peer Assessment fr Aufgaben, die die Kapazitten einer automatischen Prfung sprengen wrden und lsst Teilnehmer jeweils die Arbeiten ande-rer Teilnehmer beurteilen. Fortschrit-te in der Erforschung der Knstlichen Intelligenz, sodass Maschinen Texte und Nutzer verstehen lernen, wer-den knftig den maschinellen Bewer-tungsverfahren erweiterte Aufga-benfelder erffnen. So wurde bereits experimentell nachgewiesen, dass Software sogar bei der Beurteilung kurzer Essays menschlichen Lesern in nichts nachsteht.11 edX fhrte Anfang 2013 bereits ein System ein, das auf Basis Knstlicher Intelligenz Essays und schriftliche Testantworten be-wertet.12 Technologie bietet auch zu-nehmend Wege, online-Schummeln

    zu unterbinden. War es bislang ntig, Prfungen in regionalen Testcentern abzulegen, was natrlich dem Gedan-ken des zeit- und ortsunabhngigen Lernens von MOOCs widerspricht, so knnen Prfungen heute ebenso gut vor dem heimischen Bildschirm geschrieben werden. Denn entspre-chende Technik berwacht jeden Mausklick und Tastendruck der Prf-linge. ber Webcams und Screen-Sharing knnen die Prflinge aus der Ferne whrend der Prfung be-

    obachtet werden. Mit Hilfe von Aus-weiskontrollen, Unterschriften und sogar der Kontrolle des Tippstils wird sichergestellt, dass Test- und Kursteil-nehmer identisch sind. Eine weitere Mglichkeit der Kontrolle besteht in der Videoaufnahme des Prflings und der spteren Mglichkeit der Be-trachtung des Films (im Schnelldurch-lauf). Auch Big Data liefert Mittel und Wege, um etwa sicherzustellen, dass

    Texte tatschlich vom Lernenden selbst verfasst wurden: durch den Abgleich mit Datenbanken oder on-line Ressourcen knnen Plagiate aus-geschlossen werden. Die Frage der ehrlichen Testdurchfhrung ist umso wichtiger, als mehr und mehr MOOCs Abschlussprfungen und Zertifikate anbieten. Bislang standen das reine Interesse am Thema und die Mg-lichkeit an der Wissensvermittlung von Top-Universitten teilzuhaben im Vordergrund. Die Vergabe von

    LEISTUNGSBEURTEILUNG IM RAHMEN VON MOOCS ZHLT ZU DEREN GRSSTEN HERAUSFORDERUNGEN, WIRD GLEICHZEITIG ABER AUCH QUELLE VON BAHNBRE-CHENDEN INNOVATIONEN IM BILDUNGSBEREICH SEIN.

    SPTESTENS WENN DIE ABSOLVIERUNG VON MOOCS ZU EINEM ABSCHLUSS FHRT, IST DAS BILDUNGSSYSTEM AN EINEM WENDEPUNKT ANGEKOMMEN.

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    4 WEGBEREITER DER NEUEN BILDUNGSLANDSCHAFT

    MOOCS VEREINEN EFFEKTIV UNTERRICHTSQUALITT, GERINGERE KOSTEN UND ERWEITERTE ZUGANGSMG-LICHKEITEN DURCH UNBEGRENZTE SKALIERBARKEIT.

    Leistungsnachweisen ist noch hchst uneinheitlich geregelt und es existie-ren bislang keine einheitlichen Stan-dards. Fr den weiteren Erfolg und eine fortschreitende Etablierung im Rahmen herkmmlicher Prsenzstu-dien ist es unabdingbar, dass MOOCs nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch glaubwrdige Qualifizierungs-

    nachweise vergeben. Sptestens wenn die Absolvierung von MOOCs zu einem Abschluss einer akkredi-tierten Hochschule fhrt, ist das Bil-dungswesen an einem Wendepunkt angekommen. Vereinzelt gibt es be-reits Einrichtungen, die die Teilnahme an MOOCs auf die regulren Studien anrechnen so vergibt etwa die Uni-

    versitt Freiburg Credit Points fr ei-nen Udacity-Kurs.

    MOOCs schaffen also das scheinbar Unmgliche und vereinen hohe Qua-litt mit geringen Kosten: Da MOOCs immer auch eine Visitenkarte eines Professors im Netz darstellen, wird viel Aufwand in deren Erstellung ge-steckt. Je fortgeschrittener MOOCs sind, desto mehr berlegungen flie-en in die didaktische Aufbereitung des Lernstoffes. Gemeinhin wird bei MOOCs grerer Wert auf die Erfah-rungen und den Erfolg der Lernen-den gelegt als bei Prsenzveranstal-tungen. Diese sind immer einmalige Veranstaltungen, whrend MOOCs fr einen lngeren Zeitraum im Netz bleiben und von einer schier endlosen Menge an Studenten betrachtet wer-den knnen. Dies ist auch der Grund dafr, warum inhaltliche Fehler bei ersteren mglicherweise unbemerkt bleiben, whrend sie in MOOCs keine Chance haben: Irgendwann werden Unklarheiten und Unstimmigkeiten jemandem aus der groen Masse der Betrachter auffallen. Trotz der hohen Qualitt und enormen Reich-weite bleiben die Kosten von MOOCs dennoch gering: Die notwendigen technischen Hilfsmittel sind heute gnstig, wenn nicht sogar kostenlos, jedermann zugnglich und einmal ins Netz gestellt kosten MOOCs prak-tisch nichts mehr, obwohl sie weiter-hin ihren Nutzen entfalten. MOOCS vereinen effektiv Unterrichtsquali-tt, geringere Kosten und erweiterte Zugangsmglichkeiten durch unbe-grenzte Skalierbarkeit. Durch all die-se Eigenschaften bereichern sie die Ausbildung in entwickelten Lndern und erffnen vllig neue Bildungs-chancen in rmeren Lndern, in de-nen vielen der Zugang zu Bildung bis-lan


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