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Walter H. Asam (Hrsg.) Neue Alten-Politik Sicherung der Pflege durch Sozialplanung Walter H. Asam und Peter Winter: Neuordnung und Gemeindeorientierung in der Altenarbeit: Der Saarlouiser Weg Freiburg: Lambertus 1992
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Walter H. Asam (Hrsg.)

Neue Alten-PolitikSicherung der Pflege durch Sozialplanung

Walter H. Asam und Peter Winter:

Neuordnung und Gemeindeorientierung in der Altenarbeit:Der Saarlouiser Weg

Freiburg: Lambertus 1992

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Neuordnung und Gemeindeorientierung inder Altenarbeit:Der Saarlouiser WegWalter H. Asam & Peter Winter

Altenhilfe wurde lange Zeit mit Altenheim gleichgesetzt. Erst ab der Mitteder siebziger Jahre trat eine zweite, eine ambulante Betriebsform, die Sozial-station in Erscheinung. Beide Betriebsformen zusammen deckten bis An-fang der neunziger Jahre personell wie auch finanziell das Gros der Alten-hilfe ab. Andere Betriebs- und Organisationsformen haben bislang nicht an-nähernd eine vergleichbare quantitative Bedeutung gewonnen.

Mit dem Einstieg in die Pflegeabsicherung, der mit dem Gesundheitsre-formgesetz (GRG) 1988 geschaffen worden ist, haben sich die ökonomisch-finanziellen Grundlagen für die gegebene Angebotsstruktur grundlegendgeändert: Zum einen ist eine große (abschätzbare) Menge an zusätzlichenDienstleistungen im ambulanten und teilstationären Bereich zu schaffen,zum anderen wirft der Mengeneffekt unmittelbar grundlegende Ord-nungs- und Organisationsfragen in der Altenhilfe auf.

Der Landkreis Saarlouis hat sich 1986 auf den Weg begeben, durch eine akti-ve, planmäßige Altenpolitik den sich ändernden Bedürfnislagen der altenMenschen gerecht zu werden. Mit dem Altenplan und seiner einstimmigenVerabschiedung 1989 wurden der Konsens hergestellt und die Grundsatz-beschlüsse zu einer Neuordnung in der Altenpolitik und Neuorganisationder ambulanten Dienste getroffen, welche sich von dem Ziel der Bedürfnis-und Gemeindeorientierung leiten lassen.

Der Beitrag skizziert die gedanklichen Hintergründe dieses Entwicklungs-prozesses (Abschnitt 1) und erläutert die konkret geschaffenen Organisa-tionsstrukturen (Abschnitt 2). Diese bieten als betriebliche wie auch alsüberbetriebliche Versorgungsformen die Gewähr, daß die betroffenen Bür-ger in den 90er Jahren eine tatsächliche Alternative zum Altenheim haben.

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1. Die Saarlouiser altenpolitische Alter-native – Rahmenüberlegungen

1.1. Bedarf an Neuordnung und Steuerung vor Ort

Politisch einen Handlungsbedarf zu signalisiere, erfordert immer eine be-sondere Begründung, besonders dann, wenn es dabei um organisatorischeÄnderungen geht. Die Klärung der Neuordnung der Dienste vor Ort ist inunserem Themenzusammenhang aus einer doppelten Perspektive vorzu-nehmen: einerseits aus der Sicht des Mengen- und andererseits aus der Sichtdes Evaluationsproblems.

(1) Das Mengenproblem der zukünftigen Organisation der Altenpolitik er-gibt sich zu Beginn der 90er Jahre im Zusammenhang mit den politischenBemühungen um die Absicherung des Pflegefallrisikos. Bereits der gesetz-liche Leistungsanspruch, welcher sich aus den neuen Leistungen der §§53ff. SGB V ergibt, und in noch stärkerem Maße die beschlossene Pflegever-sicherung machen einen umfangreichen Ausbau der Dienste erforderlich(siehe den Beitrag von Walter H. Asam, S. 9ff.). Aus dieser Mengendimen-sion folgt zwangsläufig ein Bedarf an Veränderung der Organisationsstruk-turen (siehe den Beitrag von Walter H. Asam, S. 132ff. und von Clemens Alt-schiller, S. 121ff.)

Daß in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft die Qualitätsfrage hin-sichtlich der Organisation gestellt werden muß, liegt auf der Hand. Daß diesaber nicht automatisch geschieht, dokumentiert die gesamte Diskussionzur Krise des Sozialstaates. Letztendlich geht es darum, zu hinterfragen, obmit öffentlich finanzierten Milliardenbeträgen gesellschaftlich Sinnvollesproduziert wird. Der „Konsum“ öffentlicher Mittel muß durch einen „Nut-zen“ legitimiert werden. Gerade bei der Diskussion um die Pflegeversiche-rung – vor allem, wie sie von der FDP und die Arbeitegeberseite geführtwurde – wird dieser Zusammenhang greifbar: Ressourcen, die dem übli-chen Produktionsprozeß entzogen werden beziehungsweise die Produk-tionskosten erhöhen, bedürfen der Legitimierung. Im Falle der neuen Lei-stungsansprüche der §§ 53ff. SGB V folgt die Frage: Wie müssen die Lei-stungsträger organisiert sein, damit die – verbesserte – Pflege real „abgesi-chert“ werden kann. Damit beurteilt werden kann, ob Träger der Pflegelei-stungen effizient arbeiten, bedarf es – wenn es keinen Markt gibt – der Über-prüfung durch eine öffentliche Evaluation.

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(2) Zur Qualitäts- beziehungsweise Evaluationsfrage der Trägerleistungensei darauf verwiesen, daß die öffentliche Pflegeabsicherung erst dann insSpiel kam, beziehungsweise das Problem nicht mehr verdrängt werdenkonnte, als das familiäre Pflegearrangement in seiner Brüchigkeit nichtmehr zu übersehen war und ist. Was die gesellschaftlich organisierten Lei-stungsträger betrifft, darf die Evaluationsfrage vor allem vor dem Hinter-grund gestellt werden, was diese bislang – seit dem Jahre 1988(!!) – getan ha-ben, damit der Wille des Gesetzgebers zur Verbesserung der Pflegelei-stungen nach den §§ 53ff. SGB V in der Pflegepraxis wirksam werden kann –für die Pflegebedürftigen und ihre Pflegepersonen.

Wie dünn und ungewiß die strukturellen Voraussetzungen in der alten-und pflegepolitischen Realität sind, auf die man sich zukünftig verlassenwill, sollen die folgenden Ausführungen anreißen: Vergegenwärtigt mansich, welche Organisationsaufgaben noch geleistet werden müssen, damitder erste Schritt der Pflegeabsicherung (SGB V) greifen kann, dann wird derBedarf an Neuorganisation deutlich, der jetzt schon besteht und der sichnoch verschärft, wenn die Pflegeversicherung – in welcher (Finanzie-rungs)Form auch immer – kommt. Auch hier reicht zur Begründung für dieNeuorganisation die makroökonomische „Umsatzzahl“ von ca. DM 26Mrd, welche aus der Pflegeversicherung zur Verfügung stehen werden unddamit damit etwa das Vierfache der ersten Stufe des Einstiegs in die Pflege-absicherung durch das GRG ausmachen (siehe den Beitrag von Walter H.Asam, S. 9ff., und Rudolf Herweck, S. 40ff.)

1.2. Organisationsentwicklung und Sozialplanung: Zur Re-ziprozität der Subsidiarität

Die Schaffung zeit- und problemgerechter Hilfestrukturen ist – wie die So-zialplanung – als ein Prozeß zu verstehen – ein Prozeß, der nicht von heuteauf morgen abgeschlossen sein kann. Vielmehr muß seine eigene dynami-sche Dimension gesehen werden. Nimmt man hierzu das Instrumentariumder „Organisationsentwicklung“ (siehe Abele 1989), dann schärft man da-mit gleichzeitig den Blick auf die unterschiedlichen Betriebs- beziehungs-weise Pflegeeinheiten. Es geht nicht nur um unterschiedliche Pflegeeinrich-tungen oder professionelle Pflegedienste, sondern auch um das gesamtge-sellschaftliche Pflegearrangement, welches sich vor Ort konkretisiert.Pflege läßt sich nicht darauf reduzieren und eingrenzen, was in und um ein„Bett“ in einer stationären Einrichtung geschieht. Vielmehr muß die Orga-

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nisation der Pflege all jene Dimensionen umfassen, welche sich in irgendei-ner Art und Weise – positiv oder negativ – direkt auf die (Versorgungs-)Si-tuation der Pflegebedürftigen auswirken. Die beiden wesentlichen Zugän-ge ergeben sich aus einer mikro- und einer makroökonomischen Betrach-tung der „Dienstleistung ‚Pflege‘“:(a) Mikroökonomisch geht es darum, arbeitsteilige Betriebseinheiten zu kon-zipieren, sodaß sie sich sinnvoll ergänzen. (b) Makroökonomisch betrachtet, muß durch Rahmensetzungen das Zu-sammenwirken so gesteuert werden, daß das Produkt „Pflegeleistung“nicht nur zielgerecht beim „Endverbraucher“, dem Pflegefall, ankommt,sondern auch gleichzeitig alle weiteren Nebenbedingungen, wie beispiels-weise die Sozialgesetzgebung, zielorientiert zusammenwirken.

Aus dieser Zweiteilung ist für die Arbeits- und Zuständigkeitsteilung zwi-schen dem öffentlichen und den freien Trägern ein adäquates Kleid zuschneidern:

(a) In dem Umfang wie die freien Träger – subsidiär – die eigentliche (Pfle-ge)Leistung erbringen, sind sie primär gefordert, eine möglichst bedürfnis-gerechte Pflege mit den gesellschaftlich zur Verfügung gestelltenRessourcen zu gewährleisten. Dies bezieht sich beispielsweise auf ein pfle-gedienliches Zusammenwirken zwischen den Angehörigen und haupt-amtlichem Pflegepersonal. (b) Der öffentliche Träger, die Kommune, muß im Rahmen der Gesamtver-antwortung und allgemeinen Sicherstellungspflicht sich über die zur Ver-fügungstellung der Ressourcen „Gedanken machen“ und im Zuge der„Letztverantwortung“ mit beziehungsweise beim Konsument überprüfen,ob die Pflegeleistungen angemessen erbracht werden. Beide Steuerungs-funktionen sind in ihrer Eigenheit zu sehen – und bedürfen entsprechenderKapazitäten.

Das Zusammenspiel zwischen einer pflegegerechten Leistungserbringungund der bedürfnisorientierten Steuerung durch den öffentlichen Träger istunter dem Begriff der Reziprozität der Subsidiarität wie folgt zu verstehen: Indem Umfang, wie die Leistungserstellung den freien Trägern überlassenwird – in der Regel mit öffentlicher Vollfinanzierung – kann und muß der öf-fentliche Träger die Steuerungsfunktion übernehmen. Je mehr sich der öf-fentliche Träger aus der Leistungserbringung heraushält, desto mehr ist erin seiner Steuerungsfunktion gefragt, – gerade im Sinne seiner Letztverant-wortung gegenüber Bürgern und Bürgerinnen.

Die Konsequenz dieses reziproken Zusammenhanges wird zwar von denfreien Trägern regelmäßig thematisiert, aber nur in einer Richtung: Wenn

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der öffentliche Träger für sich in Anspruch nimmt, daß er steuert, dann sol-len die Ressourcen den freien Trägern zur Verfügung gestellt werden undweniger den eigenen, öffentlichen Leistungseinheiten. Ernstgenommenund gegengelesen heißt dies aber auch: Wenn sich der öffentliche Träger beider Leistungserbringung strikt an das Subsidiaritätsprinzip hält (bezie-hungsweise halten kann), dann spricht nichts gegen die Wahrnehmung der(Rahmen-)Steuerung.

1. 3. Ganzheitliche, gemeindeorientierte Pflege durch effi-ziente soziale Infrastruktur

Ganzheitlichkeit der Pflege ist ebenso wie der Anspruch der Einbettung desPflegearrangements im Gemeinwesen eine unumstrittene Zielformel.

Der Heimansatz der 60er und 70er Jahre mit seinem Betreuungsbias undVollversorgungszwang erfüllt(e) diese Ansprüche nicht.

Verschiedene offene Alternativen wurden in den letzten zwei Jahrzehntenfür die Altenhilfe/-pflege entwickelt und zum Teil realisiert. Der prägnan-teste Ansatz ist die Sozialstation, welche fast die gesamte Leistungspaletteeines Altenheimes ambulant anbietet beziehungsweise richtiger: anbietensollte.

Nicht zuletzt, weil die Sozialstationen die für sie als Zielkategorien formu-lierte SOLL-Leistungskataloge nicht annähernd erfüllten, machte (auch) imLandkreis Saarlouis die Suche nach Versorgungsalternativen nicht in derMitte der 70er Jahre halt, als die Sozialstationsidee Form angenommen hat-te. Die Suche nach angemessenen und arbeitsteiligen Versorgungsformenim Alter fand beispielsweise in der Konzeption des Diakonischen Werkesder EKD e. V. (1978) unter dem Begriff „Verbundsystem“ seinen Ausdruck.Analytisch wurde dort das gesamte Spektrum einer arbeitsteiligen Infra-struktur zur Versorgung älterer Menschen unter dem Oberbegriff „Ver-bundsystem“ entwickelt und zusammengestellt. Was zu Beginn der 90erJahre mit Recht immer noch als vorbildliche Gesamtkonzeption bewertetwerden darf, ist gleichzeitig typisch für das Verdrängen einer eindeutigenRegelung der Steuerung dieses Verbundsystems: Es wird die ganze Vielfaltder unterschiedlichen Einrichtungstypen und deren sachliches Zusam-menspiel vorgestellt. Aber wie der „Betrieb“ des gesamten Verbundes – al-so auf der überbetrieblichen Ebene, beispielsweise in einem Stadtteil odereiner Gemeinde – zurechenbar für den Bürger koordiniert wird, bleibt un-gelöst. Indirekt führt das Verbundsystem wieder auf die Frage nach der

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Rahmensetzung durch eine Sozialplanung zurück: Wer regelt wie das über-betriebliche Gesamtwirken des Verbundes, die Organisationstruktur zwi-schen den Betrieben und welches ist der Gesamtbedarf, welcher durch denInfrastrukturverbund zu decken ist?

Wie weit die Praxis einer arbeitsteiligen und gemeindenahen Infrastrukturim Alter von dem Verbundsystem – wie im Ansatz des Diakonischen Wer-kes beschreiben – entfernt ist, belegen erste Ergebnisse eines Modellpro-gramms des Bundes (siehe den Beitrag von Bernd Breuer, S. 208ff.). Darinwird unter städtebaulichen Gesichtspunkten wird versucht, innerhalb ei-nes „Quartiers“ – quasi die städtebauliche Version des Gemeinwesens –bauliche und sozial(politisch)e Versorgungsstrukturen zu vernetzen. Meistkommen dabei Einrichtungsformen zum Tragen, die exakt aus dem Bauka-sten des Verbundsystems ( des Diakonischen Werkes) stammen. Es wirddeutlich, daß das Zusammenspiel funktioniert, wenn eine (wirkliche) Zu-sammenarbeit stattfindet unter allen Beteiligten stattfindet, eine öffentlicheRahmensetzung vorliegt. (Als höchst relevante Nebenbeobachtung wirdauch festgestellt, daß die Wohlfahrtsverbände – immer noch – eine eindeu-tige Präferenz zeigen, größere und damit quartierübergreifende Einrich-tungen vorzuhalten, statt kleineren, arbeitsteiligen Diensten, welche eineZusammenarbeit zur Sicherung ihrer Funktionsfähigkeit erzwingen wür-den.) Arbeitsteilung setzt Zusammenarbeit voraus. In der Betriebsform:„Heim“ existieren gängige und bewährte Muster der Organisation und Zu-sammenarbeit; Vergleichbares fehlte bislang für den ambulanten Bereichder Altenhilfe.

Im Folgenden sollen die jeweiligen Organisationswege im Landkreis Saar-louis skizziert werden, welche sich im Rahmen der Altenplanung herausge-bildet haben.

2. Die Architektur der Saarlouiser Alten-arbeit

2.1. Gemeindebezogene Altenarbeit

Die Saarlouiser Altenpolitik fixiert die Altenarbeit nicht auf den Landkreisbeziehungsweise das Landratsamt, sondern rückt sie nachdrücklich auf die

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Gemeindeebene, auf der die Altenarbeit erfolgen und damit auch dort orga-nisiert werden soll. Der altenpolitische Focus liegt nicht mehr im Alten-heim, auch nicht unter dem Etikett seiner Öffnung. Altenarbeit ist in ihrerpraktischen Umsetzung eine (immer wichtiger werdende) Aufgabe derund in der jeweiligen Gemeinde. Diese Perspektive nahm (und nimmt) di-rekten Bezug auf das sogenannte „Rastede-Urteil“ des Bundesverfassungs-gerichts von 19891, welches in seinem sozialpolitischen Tenor für den Land-kreis Saarlouis den gleichen Gehalt für die Angebotsstrukturierung besitztwie jenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1967, welches das Ver-ständnis der Subsidiarität in der Jugendhilfe klärte: Was das Bundesverfas-sungsgericht 1989 anläßlich einer Entsorgungsproblematik grundsätzlichherausgestellt hat, trifft selbstverständlich auch bei der Versorgung zu: Pri-mär ist die Gemeinde berufen, die Angelegenheiten der örtlichen Gemein-schaft in Selbstverwaltung zu regeln.

Die Angebote der Altenhilfe im Landkreis Saarlouis werden zukünftig imRahmen der kreisangehörigen Gemeinden organisiert. Ausgangspunkt desOrganisationsmodells sind die bisherigen Sozialstationen, welche quasi alsPlatzhalter für alle ambulanten Angebote fungier(t)en. Komplettiert wirddas Gemeindemodell durch neue teilstationäre Einrichtungen.

(1) Der pflegerische Kern: Sozialstation und Mobile Soziale Dienste

Die Entwicklung der Saarlouiser Sozialstationen wurde – wie in anderenBundesländern – wesentlich geprägt durch die Landesförderung bezie-hungsweise die dieser Förderung zugrundeliegenden Richtlinien. Die Sozi-alstationen unterscheiden sich zwar bundesweit wegen unterschiedlicherFinanzierungsspielräume, doch hinsichtlich der Leistungsgrundstrukturweichen die in Saarlouis gemachten Erfahrungen in weiten oder zentralenBereichen nicht von denen anderenorts ab: Was im Landkreis Saarlouismangels Grundfinanzierung nicht angeboten wurde, wird mit hoher Wahr-scheinlichkeit auch andernorts nicht angeboten. Es fehlte in diesem Ange-botsspektrum der nun im § 55 SGB V konkretisierten (Alten)Pflegeansatzaus dem ersichtlich ist, wo und wieviel bisher an Regelfinanzierung aus-stand. Die Leistungspalette der Sozialstationen im Landkreis Saarlouis, defi-niert durch die saarländischen Landesförderungsgrundsätze von 1974,beinhaltet: Behandlungspflege, Pflegemaßnahmen, hauswirtschaftliche

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1 Im sogenannten „Rastede-Urteil“ hat das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1989das Verhältnis der kreisangehörigen Gemeinden zum Landkreis beziehungsweisedie Stellung der kreisangehörigen Gemeinden im Landkreis einer höchstrichterli-chen Klärung unterzogen.

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Hilfen, persönliche Hilfen, Förderung der Begegnung und der Eigenaktivi-täten. Die Grundfinanzierung durch die Krankenkassen deckten jedoch überden § 37 SGB V nur die Leistungen für Kranke ab, insbesondere die Grund-und Behandlungspflege. Entsprechend erfolgte in den Sozialstationen eineSpezialisierung in diesem Bereich, den man als „ambulante Krankenpflege“bezeichnen kann. Das Grundproblem, der Unterscheidung zwischen„krank“ und „pflegebedürftig“, welche die Versicherungsstrukturierun-gen prägt, schlägt voll in der Ausformung der Infrastruktur durch.

Neben den Sozialstationen offerieren verschiedenartigste Mobile SozialeDienste (MSD) ihre Angebote. Deren gemeinsames Kennzeichen bestehtdarin, daß sie mangels Grundfinanzierung ungesichert sind und entspre-chend unzurechenbare Leistungen anbieten. Mit der Verabschiedung desGRG hat sich für die MSD Grundlegendes geändert: Nun ist Pflege im Alterfinanzierbar. Hier sieht der öffentliche Träger, der Landkreis Saarlouis,Handlungsbedarf, damit vorhandene Finanzierungsmöglichkeiten sich inPflege(sach)leistungen niederschlagen.

Die für die ambulanten Dienste entwickelten Organisationsformen leitetensich von folgenden Gesichtspunkten und Erkenntnissen ab:

(a) Die bestehenden Sozialstationen hatten in ihrem 15-jährigen Entwick-lungsprozeß eine Betriebsform gefunden, welche als optimal hinsichtlichder gegenwärtigen Möglichkeiten in der ambulanten Krankenpflege (Vgl.§37 SGB V) bezeichnet werden kann. Dies sollte „konsolidiert und abgerun-det“ werden.(b) Von der alternativen Möglichkeit – befunde aus Begleitforschungen desBundes in anderen Modellstationen legen dies nahe – wurde gedanklichAbstand genommen: von krankenpflegerischen Leistungserbringern wei-tere nichtmedizinische Pflegedienste oder/und weitere hauswirtschaft-liche Hilfen durch getrennte Abteilungen unter dem gemeinsamen Dachder Sozialstation durchführen zu lassen.(c) Die praktische Brisanz personeller Weiterungen für (bewährte) Sozial-stationen wurde durch die Zahl der aktuell Anspruchsberechtigten gemäß §55 SGB V unterstrichen. Will nur jeder Dritte der Anspruchsberechtigten imLandkreis Saarlouis die Sachleistung in Anspruch nehmen, bedeutet dieseine rechnerische Ausweitung der (ganztägigen) Pflegekräfte um zweihun-dert Prozent. Konkret: Bei etwa 60 Pflegekräften in Sozialstationen kämenbei einer Sachleistungsquote von einem Drittel 120 zusätzliche Pflegekräftein den ambulanten Diensten hinzu. Eine Verdreifachung des Personalswürde die bisherige Struktur der Sozialstationen völlig verändern.

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Gerade vor diesem zahlenmäßigen Hintergrund wird das Saarlouiser Mo-dell hinsichtlich der Arbeitsteilung in der ambulanten Pflege verständlich: dieSozialstationen decken weiterhin die ambulante Krankenpflege ab und dieMSD sollen durch gezielten Aus- und Aufbau zukünftig dafür Sorge tragen,daß die zusätzlichen Leistungen nach § 55 SGB V tatsächlich in Anspruchgenommen werden können. Die Praktikabilität dieses Modells wird durch einige wichtige Details si-chergestellt:

(a) Es erfolgt keine scharfe Trennung zwischen der Krankenpflege nach § 37SGB V in Sozialstationen und der ambulanten Altenpflege nach § 55 SGB Vin den MSD. Vielmehr überlappen sich die Regelleistungen im Bereich derGrundpflege, wie dies auch die entsprechenden Paragraphen beinhalten.Die Abgrenzung erfolgt im Pflegealltag realitätsnah über die Unterschei-dung der Zielgruppen: Kranke und Pflegebedürftige. Die zielgruppenbe-zogene Abgrenzung verkennt nicht die grundsätzliche Problematik derDifferenzierung zwischen „krank“ und „pflegebedürftig“. Bei der gegen-wärtigen und absehbaren gesetzlichen Lage beziehungsweise Rahmenset-zung bedingt diese Problematik die Schaffung von Clearingstellen, welchenach einer Diagnose im Rahmen von Pflegeplänen eine eindeutige Zuord-nung zu den Einrichtungstypen vornehmen.(b) Die Sozialstationen werden im nichtmedizinisch-pflegerischen Bereicheine Entlastung erfahren, welche sie zu einer Verbesserung ihrer Kernlei-stungen nutzen können. Dies wird nicht nur qualitativ von Vorteil sein, son-dern auch in der Ausweitung des jeweiligen Pflegeeinsatzes; zur Zeit ste-hen pro Krankenfall und Tag etwa 10 Minuten zur Verfügung.(c) In dem Umfang wie das Leistungsspektrum der MSD mit „Altenpflege“umschrieben werden kann, bietet sich damit die Chance einer gezielten Pro-fessionalisierung dieses Pflegezweiges. Eine Qualifizierung der ambulan-ten Altenpflege setzt eine Aus- und vor allem Fortbildung des Personalsvoraus; entsprechende Qualifizierungsbemühungen werden gegenwärtigim Landkreis Saarlouis vorbereitet. Ein interessantes Beispiel, wie dafür zu-sätzliches Altenpflegepersonal geschaffen werden kann, gibt der LandkreisTrier-Saarburg: Er hat eine Altenpflegefachschule eingerichtet.

Die Grundzüge des skizzierten Ordnungsmodells im Bereich der ambulan-ten Dienste finden sich auch in den Landesrichtlinien zur Förderung vonMSD wieder, welches die saarländische Landesregierung im Sommer 1992verabschiedet hat.

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(2) Das Gemeindemodell

Der Ausgangspunkt für das Konzept „Gemeindemodell“ (siehe Abbildung1) war die Überlegung, daß der Gang in ein Altenheim immer das Aufgebender eigenen Wohnung beinhaltet und fast immer auch den wegzug aus demWohnumfeld bedingt. Demgegenüber setzt die Altenarbeit in einer Ge-meinde dort an, wo der Mensch lebt, in der Wohnung. Bei einer Eigenheim-quote von 80% im Landkreis Saarlouis werden zukünftig die Wohnungsan-passung oder neuere Überlegungen zu Wohnungstausch zum Tragen kom-men (müssen). Die praktische pflegerische Grundsicherung stellen eine So-zialstation und ein MSD dar. Im Freizeitbereich werden die Aktivitäten derAltenclubs und der Seniorenvereine dahingehend infrastrukturell unter-mauert, daß an einem tragfähigen Begegungsstättenmodell gearbeitet wird.Für die Erreichbarkeit wird ein Fahrdienst sorgen. Der springende Punktdes Gemeindemodells liegt im unmittelbaren Einbezug der Selbsthilfe in allihren Ausformungen. Infrastrukturell bedeutsam ist eine Stützung der pfle-genden Angehörigen durch die Einrichtung eines teilstationären Angebo-tes zur Kurzzeit- und Tagespflege.

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Abbildung 1: Grundmodell der Altenhilfe (aus dem Altenplan desLandkreises Saarlouis 1989: 125).

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Begegnungs-stätte

M obilerSozialerDienst

Sozial-station

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Fahr -dienst

Wohnenin derPflege

Alten-wohnhausAltengerechte Wohnung

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Mit diesem Verbundsystem sich ergänzender Dienste wird versucht, den in§ 3a BSHG geforderten Vorrang der ambulanten Hilfe Wirklichkeit werdenzu lassen. Erst wenn diese Angebote insgesamt nicht mehr ausreichen, mußder alte Mensch den „Gang in ein Heim antreten“.

Voraussetzung, daß dieses Verbundsystem zielgerecht funktioniert, ist eineentsprechende Koordination; dies geschieht mittels eines/r SeniorenMode-ratorIn (siehe unten, S. 253ff.).

Die Qualität des Gemeindemodells erwächst aus der Chance, daß sich die Ge-meinde in ihrer Gesamtheit mit einer derartigen Altenpolitik identifizierenkann. Als Referenz dürfen die Gemeinden Dettenhausen (Dörr 1992) oderauch Urbach, zwei baden-württembergische Gemeinden mit weniger als10.000 Einwohnern, genannt werden. Was dort als Einzelansätze erfolg-reich gestartet wurde, soll flächendeckend im Landkreis Saarlouis imple-mentiert werden. Die Aussichten, daß dies planmäßig in den nächsten Jah-ren geschieht, stehen sehr gut: Von 13 kreisangehörigen Gemeinden haben– Mitte 1992 – bereits fünf Gemeinden den Anfang für gemeindebezogeneAltenarbeit gemacht, bei vier weiteren Gemeinden laufen Vorbereitungsar-beiten.

Das Gemeindemodell ist ein praktikables Organisationsmodell, weil Relati-vierungen in der konkreten Ausformung erfolgen können; um so wichtigersind deshalb konzeptionelle Sicherungen, die ein Abrutschen in den „alterna-tiven“ Heimansatz verhindern:

(a) Die Sozialstationen sind nicht gemeindebezogen organisiert, der Versor-gungsbereich reicht – bei sechs Sozialstationen und 13 kreisangehörigenGemeinden – über Gemeindegrenzen hinaus. Entsprechend relativiert sichdie jeweilige Einbettung ins Gemeindeleben.(b)Der Aufbau der teilstationären Pflegeinfrastruktur erfolgt ab 1992 an vierStandorten – die gewählte Einrichtungsform und -größe verhindert eineheimliche Umwandlung zur tradierten Heimpraxis. Die teilstationärePflegeinfrastruktur ähnelt in ihrer Makrostruktur dem „LudwigsburgerKleeblatt-Modell“: An mehreren Standorten – also dezentral – werden ein-zelne Einrichtungseinheiten errichtet, welche gemeinsam gemanagt wer-den. Zu dieser Organisationsform kamen wir induktiv: Zunächst konzi-pierten wir ein Gästehaus mit 24 Kurzzeit- und 12 Tagespflegeplätzen, wel-ches sich als sogenannter Solitär nicht nur leicht in das Gemeindemodell in-tegrieren läßt, sondern auch die Gewähr bietet, daß das Pflegekonzept einerKurzzeit- und Tagespflege mit Ausrichtung auf die ambulanten Diensteund das Gemeindeleben langfristig durchgehalten wird. Eine Ausbalancie-rung zwischen pflegerischem Anspruch und (Pflegesatz)Effizienz gelang

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nach dem Muster, daß im überregionalen Verbund Synergieeffekte nichtnur im Verwaltungsbereich, sondern auch bei Pflegespezialdiensten er-reicht werden. Gleichzeitig setzt jedoch der Betrieb einer kleinen Einzelein-heit mit insgesamt 36 Plätzen ein Stammpersonal voraus. Wird auf dieseWeise Pflegequalität gewährleistet, schafft dies die Voraussetzung, daß derjeweilige Pflegefall Positives zu berichten hat, wenn er nach seinem „Pfle-geurlaub“ wieder in die Familie zurückkehrt.

2.2. Das kommunale Steuerungsmodell

Die Konkretisierungen des Gemeindemodells wie auch die genannten Aus-balancierungen in der Praxis werfen die Frage auf, wie ein derartiges Kon-strukt umgesetzt werden kann, insbesondere bei den konkreten Anspruch,das oben erwähnte „Dettenhausener Modell“ in Serie zu geben und flächen-deckend eine arbeitsteilige, familiennahe Pflegeinfrastruktur auf- und aus-zubauen. Das Steuerungsmodell besteht aus drei integrierten Bestandtei-len: Ein Umsetzungsprogramm – quasi die „Betriebssoftware“ und die Leit-stelle „Älter werden“ auf der Kreis- und die SeniorenModeratorInnen aufder Gemeindeebene –quasi die „Hardware“.

(1) Das Umsetzungsprogramm

Das Bild des Umsetzungsprogramms als Betriebssoftware verdeutlichexakt die Aufgaben, welche damit geleistet werden sollen: Es legt die inhalt-liche Grundarchitektur der anstehenden Arbeitsprogrammpakete fest,welche in den nächsten Jahren abgearbeitet werden müssen, damit die Rea-lisierung tatsächlich erfolgen kann. Bei der Erstellung eines Altenplans ha-benwir eine zentrale Unterscheidung in grundsätzliche inhaltlichen Rah-menbedingungen („Rahmenkonzept“) und in den zeitlichen Fahrplan,wann die einzelnen Maßnahmenprogramme in Details entwickelt werden(„Umsetzungsprogramm“), vorgenommen. Man kann also einerseits vonder „Makrostruktur“ der Altenpolitik sprechen, welche sich beispielsweiseauf die Ebene der Einrichtungen und Dienste bezieht, und andererseits vonder „Mikrostruktur“, welche für die jeweiligen Einrichtungen und Dienstedie entsprechenden Betriebskonzepte definiert.

Damit lassen sich unterschiedliche Reichweiten von Planungsbegriffen diffe-renzieren: Planung als Erstellung eines Rahmenkonzeptes, welches durchdie politische Entscheidung ratifiziert wird, und Planung als Umsetzung ei-ner politischen Entscheidung, das heißt Programmierung eines Realisie-

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rungskonzeptes (von politischen Entscheidungen). Beide zusammen erge-ben eine Planung im weiterem Sinn.

Das Umsetzungsprogramm (siehe Abbildung 2) betont den Beteiligungs-gesichtspunkt in den nächsten Jahren. Die Leistungsträger erhalten einenzeitlichen Überblick, wie, wann und wo sie sich als potentielle Träger ein-bringen können. Hier greift die Überlegung des Multitasking: Was in derPraxis für besondere Belastungen bei der Bearbeitung durch den Planerführt, ist das parallele Ausarbeiten und Realisieren unterschiedlichsterMaßnahmenpakete.

Das Umsetzungsprogramm hat nicht nur nach innen, sondern vor allemnach außen eine Orientierungsfunktion. In dem Umfang wie zum Beispieleinzelne Maßnahmen aufeinander aufbauen, ist die Reihenfolge von ent-scheidender Bedeutung. Für die planerische und politische Glaubwürdig-keit kann eine unzutreffende Einschätzung über das Timing, daß z.B. „ge-bremst“ wird, von negativer Wirkung sein. Ein Beispiel:

Zunächst müssen die Mobilen Sozialen Dienste ausgebaut werden und das Pro-blem des altengerechten Wohnraumes hinreichend gemeistert sein, bevor mandarangehen kann, das Programmelement „Betreutes Wohnen“ zu organisierenund öffentlich als solches anzubieten.

Nicht um ein planloses „stop-and-go“ kann es bei der Umsetzung gehen,sondern um ein komplexes Arbeitsprogramm, das auf mehreren Pro-grammebenen wirkt und sich gegenseitig ergänzen beziehungsweise stüt-zen muß. Beispiel: Zum Startzeitpunkt des Ausbauprogramms der Pfleg-einfrastruktur muß parallel die berufsbegleitende Qualifizierung anlaufenkönnen.

Nicht nur die Klärung von Sachfragen, sondern vor allem auch das richtigeTiming entscheidet über den Erfolg der Planung. Wie beim klassischen„Fahrplan“ müssen bei der Sozialplanung die „Anschlüsse“ passen. Die in-haltliche Struktur des Plans muß kompatibel sein zur Zeitstruktur der Pro-grammierung und Umsetzung.

Einem anderen Zusammenhang zwischen dem Faktor Zeit und Inhalt wirdim Saarlouiser Steuerungsmodell ebenfalls besondere Aufmerksamkeit ge-schenkt; nämlich dem Entwicklungs- und Lernprozeß in jenen Bereichen,von denen man weiß, daß hinreichendes Wissen noch nicht vorliegt und wodieses selbst und mit den Umsetzungspartnern erst geschaffen werdenmuß. Zwei Instrumente sollen diesen Organisationsentwicklungsprozeß för-dern:

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Programminfrastruktur;Leitstelle „Älter werden“

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(a) ein Informations- und Dokumentationssystem, welches erlaubt, alle re-levanten Entwicklungen und Prozesse zu dokumentieren und auszuwer-ten. Der Kernpunkt wird dabei eine fallbezogene Pflegedokumentationsein. Die gemeinsame und partnerschaftliche Verarbeitung der Daten zu In-formationen und Erfahrungen soll nicht nur eine Marktübersicht undTransparenz gewährleisten, sondern einen sich selbst verstärkenden Pro-zeß der Übernahme jener Problemlösungswege auslösen, welche sich beider Realisierung neuer Maßnahmenwege als erfolgreich erweisen. Was aufder betriebswirtschaftlichen Ebene als Controlling thematisiert wird, kannund soll auch auf der überbetrieblichen Ebene – in der Gemeinde und demLandkreis – gelten. Weniger die technische Seite stellt uns heute vor nen-nenswerte Probleme; wichtiger erscheint der Einbezug aller Akteure, auchdas Personal auf allen Ebenen. Damit beispielsweise die Pflegedokumen-tation als Input zur Fortbildung wirken kann und so ein Lernen am eigenenArbeitsbereich ermöglicht, darf sich der Datenzugang nicht nur auf die Ebe-ne der Geschäftsführung beschränken, sondern muß das Pflegepersonal inseiner Vielfalt zur Verfügung stehen.(b) Der offene Zugang zu allen (Prozeß-)Daten ist eine notwendige Voraus-setzung zur Kooperation; als Kooperationsform werden verschiedene Pla-nungsgruppen auf der Kreis- wie auch der Gemeindeebene installiert. Aufder Kreisebene werden sie von der Leitstelle moderiert, die örtliche Arbeits-gemeinschaft ist eine Aufgabe der SeniorenModeratorInnen.

(2) Die Leitstelle auf der Kreisebene

Die Leitstelle „Älter werden“ definiert sich primär über das skizzierte Um-setzungsprogramm; es stellt die „Dienstanweisung“ dar und ist der eigeneArbeits- und Zeitplan. Die grundlegende Frage stellt sich in Bezug auf dieKapazitäten personeller und technischer Art und deren Organisation, mitdenen diese Arbeit geleistet werden soll. Daß eine neue, perspektivische Al-tenpolitik immer auch die Kapazitätsfrage stellt, ist nicht neu und läßt sicheindrücklich am Beispiel Augsburg zeigen (Pfaff/Asam 1980, Asam 1984),wo die Leitstelle mit einer Verzögerung von sieben Jahren installiert wurde.Die Funktionen einer Leitstelle müssen bedacht sein, denn nur aus diesenläßt sich sinnvoll die Antwort auf die Kapazitätsfrage ableiten, denn dieLeitstelle ist kein „perpetuum mobile“. Das Aufgabenspektrum basiert aufden Entwicklungsarbeiten der einzelnen Maßnahmenprogramme. Sowohldie inhaltliche Ausarbeitung wie auch deren Realisierung ist nach innenund außen zu dokumentieren. Damit ist nicht nur eine Öffentlichkeitsarbeittraditioneller Art (Pressemitteilungen u.ä.) angesprochen, sondern vor al-lem auch die Überlegung, durch ein Imagekonzept eine entsprechende„corporate identity“ zu schaffen.

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Die Leitstelle übernimmt die Fachberatung sowohl der SeniorenModera-torInnen auf Gemeindeebene, berät aber auch auf Wunsch alle freien Trä-ger. Eine besondere Querschnittsfunktion, vor allem wegen deren unmittel-barem Steuerungsgehalt, ist die Übersetzung von Maßnahmenkonzeptenin Förderungsrichtlinien und die Abwicklung des altenpolitischen Zu-schußwesens.

Im Landkreis Saarlouis wird zwar der „goldene Zügel“ des Geldes durch-aus als Steuerungsressource gesehen und genutzt; weit mehr zeitlicher Auf-wand wird jedoch in den gesamten Komplex des Know-How-Transfers ge-steckt. Dies betrifft zwar auch die angesprochene Fachberatung, jedochwird wegen dem Neuigkeitsgehalt der Saarlouiser Altenpolitik weit mehrAufwand in die Vermittlungs- und Überzeugungsarbeit auf allen Ebeneninvestiert.

Eine zentrale Rolle spielt die Abstimmung mit der Landesebene sowohl insachlichen wie auch finanziellen Fragen (Siehe den Beitrag von Roland Bo-rosch S. 70ff. und Walter Werner und Alfred Woller, S. 97ff.). Ein typischesBeispiel dafür ist die Frage der Altenpflegeausbildung: In dem Umfang, wiezusätzliches Altenpflegepersonal benötigt wird und qualifiziert werdenmuß, stellt sich die Frage nach der entsprechenden Landesgesetzgebung,auch wenn diese ggf. nur Ausführungsbestimmungen eines Bundesge-setzes liefern müßte. Dabei geht es – trotz der gewichtigen finanziellen Fra-gen– wesentlich um die (noch offenen) Inhalte der Ausbildung, die einerKlärung durch die Gesetzgebung bedürfen.

Ähnliche Diskussionen sind mit den Krankenkassen geführt worden. In demUmfang, wie die Pflegeproblematik auf absehbare Zeit nicht ingesamt ausder Sozialhilfe herauskommt, sondern weiterhin vielleicht sogar zu eherkomplizierteren Abgrenzungsfragen führt, steigt der Abstimmungsauf-wand zwischen dem Sozialhilfeträger und den Krankenkassen beträcht-lich. Die Rolle der Leitstelle besteht in der Verdeutlichung, daß diese Ab-stimmungsproblematik nicht nur unter verwaltungstechnischen Gesicht-punkten sauber geregelt wird, sondern daß die „altenpolitischen Chancen“real genutzt werden.

In dem Zusammenhang muß auf die sozialplanerische Steuerungsfunktiondes Landkreises – der Leitstelle „Älter werden“ – besonders hingewiesenwerden: Zwar werden beträchtliche Finanzmittel im Bereich der (häusli-chen) Pflege über die Krankenkassen zur Verfügung gestellt; doch betrifftdies nur die laufenden Kosten. Der örtliche Sozialhilfeträger hat die Aufga-be, darauf hinzuwirken, daß entsprechende Dienste im ausreichenden Um-fang bereitstehen. Damit ist nicht nur die Sicherstellungsfrage angeschnit-ten, sondern die allgemeine sozialpolitische Aufgabe der Gesamt- und Pla-nungsverantwortung der Kommune im Bereich der sozialen Infrastruktur.

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Die Frage nach dem Umfang und der Struktur der Angebote im Altenbe-reich wird geprägt von der Ausgangslage der Altenhilfe allgemein undkonkretisiert durch den Vergleich mit der Jugendhilfe: Im Bereich der Al-tenpolitik und -administration gibt es kein Kinder- und Jugendhilfegesetzund kein Jugendamt. Geht man von der These aus, daß die Altenpolitik län-gerfristig zu einer ähnlichen Bedeutung – gerade hinsichtlich der vorzuhal-tenden Angebote – wachsen wird, dann kommt der Entwicklungsfunktionder Leitstelle Schlüsselfunktion zu. Die Leitstelle wurde im Landkreis Saar-louis bewußt als ein Organisationsversuch gestartet, weil man sich der Neu-artigkeit und des Suchens bewußt war. Nach mehr als zwei Jahren kannman es als bewährt betrachten, professionelle Verwaltungskompetenz mitebensolcher Sozialplanungkompetenz gemeinsam mit dieser Aufgabe zubetrauen. Darüberhinaus wird generell und für Spezialaufgaben mit Erfolgauf externe Beratungskompetenz zurückgegriffen. Die direkte organisato-rische Anbindung selbst ist weniger von Bedeutung als die Möglichkeit desämterübergreifenden Arbeitens und des unmittelbaren Zusammenspielsmit den Gemeinden und den freien Trägern. Die Nähe zur Verwaltungs-spitze des Landkreises ist generell zu fordern; denn gerade in der Startphaseist dies von einiger Bedeutung nach innen wie nach außen: Der Landrat ver-körpert als Verwaltungsspitze und faktisches Scharnier zum Kreistag dasalltägliche politische Bewußtsein im Landkreis, daß die Altenpolitik undder Altenplan planmäßig zum Tragen kommt.

(3) SeniorenModeratorInnen in den Gemeinden

Von den 13 kreisangehörigen Gemeinden haben 1991 drei Gemeinden ei-ne/n SeniorenModeratorIn eingestellt, bei weiteren fünf laufen derzeitkonkrete Vorbereitungen, sodaß man 1992 das Planziel des Umsetzungs-programms erreichen kann: In acht Kreisgemeinden wird Altenarbeit alsGemeindearbeit konkret aufgegriffen und umgesetzt. Schlüssel und Angel-punkt der Altenarbeit ist der/die SeniorenModeratorIn; seine/ihre Aufga-ben können der unten (Siehe S. 256ff.) abgedruckten Tätigkeitsbe-schreibung entnommen werden. (Siehe auch den Beitrag von Sabine undBodo Strauch S. 223ff.).

Der entscheidende Punkt des Steuerungsmodells auf der Gemeindeebeneist die Anbindung beim öffentlichen Träger: Auch hier gilt die Reziprozität desSubsidiaritätsprinzips. Was sich theoretisch-konzeptionell plausibel ma-chen läßt, wurde auch im Rahmen eines 3jährigen Landesmodellpro-gramms zu sogenannten „Arbeitsgemeinschaften Altenhilfe“ im Saarlandunterstrichen: Die Koordination aller freien Träger durch einen der freien

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Träger selbst durchführen zu lassen, wird so lange gut gehen, wie nichts „Fi-nanzrelevantes“ zu koordinieren ist. Von dieser Art von Altenarbeit in derGemeinde weicht unser Ansatz ab: Altenpolitik ist immer auch finanzrele-vant, konkret: Wenn beispielsweise die Frage nach einem Kreiszuschuß füreine Einrichtung in der Gemeinde gestellt wird, dann sollte dies im Rahmender örtlichen Arbeitsgemeinschaft diskutiert und vorbereitet werden. We-nig Sinn macht es, wenn beispielsweise mehrere vergleichbare Anträge zurEinrichtung und Förderung gleicher Einrichtungen von unterschiedlichenTrägern an die Leitstelle gestellt werden, ohne daß diese in der örtlichen Ar-beitsgemeinschaft diskutiert wurden und der SeniorenModerator zumin-dest nachrichtlich informiert wurde.

(4) Leitstelle und SeniorenModeratorIn

Das Saarlouiser zweistufige Steuerungsmodell hebt nicht nur die jeweiligespezifische Funktion der Leitstelle und der SeniorenModeratorInnen her-vor, sondern ebenso die notwendige Komplementärfunktion der beiden.Von genereller Bedeutung ist die Unterscheidung von professioneller Sozi-alplanung mit den überregionalen Scharnierfunktionen und die ebensoprofessionelle Gemeinwesenarbeit, welche zwar planerische Aufgabenmitübernimmt, aber ihren Schwerpunkt im wesentlichen auf die Sozialar-beit setzt. Wie weit die Sozialarbeit dabei neben dem Gemeinwesen- undGruppenbezug auch in Einzelsituationen auf Einzelpersonen eingehenkann, sei hier dahingestellt. Wichtig erscheint primär die gegenseitige Uner-setzbarkeit von professioneller Sozialarbeit und Sozialplanung gerade beimAusbau der Altenarbeit als Gemeindearbeit zu sehen. Die gegenseitige Be-dingtheit wird überzeugend und anschaulich durch ein bereits abgeschlos-senes und ausgewertetes Modellprogramm des Landeswohlfahrtsverban-des Baden (Safian 1989) nachgezeichnet: Koordination in der Gemeindesetzt das Vorhandensein einer kommunalen Rahmensetzung durch eine Al-tenplanung voraus. Ist diese nicht gegeben, läuft die sozialarbeiterische Ko-ordination latent Gefahr, durch sozialplanerische Nachbesserungen struk-turell überlastet zu werden. Ebenso eindeutig wird in Baden-Württembergbelegt, daß kommunale Sozialplanung latent und direkt Gefahr läuft, in So-zialarbeit, insbesondere in Einzelfallhilfe abzugleiten, wenn sie durch Sozi-alarbeiter allein ausgeführt wird (Berner 1992).

Ähnlich wie beim ambulanten Dienst, so sichert auch beim Zusammen-wirken von Sozialplanung und Sozialarbeit der Grundsatz der Überlap-pung der Arbeitsbereiche die Praktikabilität und Kompatibilität im Alltag.Nicht nur in den Pflegemodellen selbst, sondern auch in den Steuerungsan-sätzen auf der Kreis- und Gemeindeebene läßt sich nicht mit einem „entwe-

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der-oder“, sondern nur mit einem „sowohl als auch“ arbeiten. Altenpla-nung und ihre Realisierung kann nur so gut sein wie die Altenpflege und dieSozialarbeit, mit der sie partnerschaftlich arbeiten muß.

3. Alles beim Alten?

Sozialplanung ist ein dynamischer Prozeß. Die Erfahrungen mit dem skiz-zierten Ordnungs- bzw Organisationsmodell stammen aus einem weiter-reichenden Zeitzusammenhang:

Zwar wurde die Leitstelle im Landkreis Saarlouis „erst“ im Januar 1990 eingerich-tet, aber der sozialplanerisch induzierte Entwicklungsprozeß in der Altenpolitik inSaarlouis läuft bereits seit 1986. Zudem ist als weiterer Bezugspunkt auf einen kon-zeptionell gleichartigen, parallelen Sozialplanungsprozeß in der Jugendpolitik zuverweisen, der bereits 1982 in Gang gesetzt wurde und vergleichbare strukturelleFolgen zeitigt(e) (beispielsweise die Einrichtung von JugendpflegerInnen in denGemeinden).

Obwohl dieser Vergleich sozialplanerisch seine besonderen Reize hat, soll unter al-tenpolitischen Gesichtspunkten auf einen anderen Erfahrungsstrang Bezug ge-nommen werden; auf die Altenpolitik in Augsburg: auch dort fand nicht erst nachder Installation einer Leitstelle „Älter werden“ im Jahr 1987 Altenpolitik statt. Viel-mehr ist davon auszugehen, daß eine solche immer praktiziert wird, zumindestimplizit von den freien Trägern. Die dortigen altenpolitischen Vorstudien in denJahren 1975ff. begonnen, welche dann in einen Altenplan mündeten, der der Stadt-verwaltung im Mai 1980 vorgelegt wurde, alle Ausschüsse passierte, aber wegenparteipolitischen Querelen erst im November 1983 im Stadtrat verabschiedet wur-de. Nicht zuletzt wegen dieser Verzögerung entstand etwas, was geradezu typischfür zahlreiche Kommunen in den 70er und 80er Jahren war: Der Stadtrat ließ sich ei-nen Altenplan erarbeiten und sah damit die Aufgabe, eine Altenpolitik zu machen,als erledigt an.

An dem Beispiel aus Augsburg läßt sich anschaulich nachvollziehen, daß zueiner Altenpolitik nicht nur ein Altenplan gehört, sondern auch eine ent-sprechende personelle Ausstattung, welche ein derartiges Rahmenkonzeptumsetzen kann. An den durch Konrad Hummel (1990) gut dokumentiertenJahren 1987-1990 wird auch deutlich, daß es nicht nur um die Frage perso-neller Kapazitäten, sondern auch um organisatorisch passende Strukturengeht, welche insbesondere nicht konträr zu den bereits Vorhandenen liegen– in einer anderen Terminologie: Eine neue Vernetzung darf die bestehen-den Netzwerke nicht ignorieren, sondern sollte idealerweise an diesen an-

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Page 21: NAP Asam Winter - ikos-consult.de fileNeuordnung und Gemeindeorientierung in der Altenarbeit: Der Saarlouiser Weg Walter H. Asam & Peter Winter Altenhilfe wurde lange Zeit mit Altenheim

setzen. Besonders reizvoll am Augsburger Modell ist, daß es über mehr alszehn Jahre dokumentiert, wie unterschiedliche Arbeitsansätze, insbeson-dere professioneller Sozialarbeit und Sozialplanung, positiv zusammen-spielen müssen, um Erfolg zu haben.

Altenarbeit beziehungsweise Altenpolitik kommt ohne Sozialplanungnicht über die inhärenten Grenzen der Sozialarbeit hinaus, und umgekehrt:Sozialplanung ohne ein Umsetzungsscharnier zur Sozialarbeit und Alten-pflege bleibt ein blutleeres Stück Papier. Will man eine integrierte Altenpo-litik, kommt man nicht um eine Vernetzung in der Form herum, daß auf derBetriebsebene eine Neuordnung und Steuerung innerhalb eines ordnungs-politischen Ansatzes erfolgt, der dem Grundsatz der Reziprozität der Subsi-diarität Rechnung zollt.

LiteraturAbele, P. (1989): Organisations- und Teamentwicklung in der Sozialverwaltung. Theo-

retische Konzepte und Anwendungsmöglichkeiten. München.

Asam, W. H. (1984): Bedürfnisorientierte Sozialplanung contra bürgerferne Parteipoli-tik? Planungsaspekte aus der Sicht eines Betroffenen. In: Spiegelberg, R. / Lewkowicz,M. (Hrsg.): Sozialplanung in der Praxis. Fallstudien und Analysen. Opladen, S. 49 – 78.

Berner, M. (1992): Die Arbeit der Kreisaltenberater in Baden-Württemberg. In: Langen, I.&/Schlichting, R. (Hrsg.) (1992). Altern und Altenhilfe auf dem Lande. München, S.159 – 177.

Der Landrat des Landkreise Saarlouis (Hrsg.) (1990): Altenplan des LandkreisesSaarlouis, Saarlouis. (2. fortgeschriebene Fassung).

Langen, I. & Schlichting, R. (Hrsg.)(1992): Altern und Altenhilfe auf dem Lande. Mün-chen.

Diakonisches Werk der EKD (Hrsg.) (1978): Verbundsystem – Eine Untersuchung überMöglichkeiten und Erfahrungen in der Zusammenarbeit von Einrichtungen undDienste der Altenhilfe, Stuttgart.

Dörr, K. (1992): Altenzentrum „Haus im Park“: Eine Einrichtung als Beispiel eines ländli-chen Altenhilfezentrums. In: Langen, I. / Schlichting, R. (Hrsg.) (1992). Altern und Al-tenhilfe auf dem Lande. München, S. 195-208.

Hummel, K (1990): Auf dem Weg zum Altenhilfenetzwerk.: Freiheit statt Fürsorge. In:Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 21, S. 19 – 51.

Kommunaler Altenplan der Stadt Augsburg. (Entwurf: Pfaff, M./Asam, W. H. u. a. 1984;Ergebnisse der öffentlichen Beteiligung 1981; Verabschiedung/Drucklegung1983/84) Augsburg.

Safian, K.: Programm zur Fortentwicklung der ambulanten Hilfen für alte Menschen.Ein Beitrag zur kooperativen Gestaltung der ambulanten Altenhilfe in den Städtenund Landkreisen, Karlsruhe 1989

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Anhang: Tätigkeitsbeschreibung für Se-niorenModeratorInnen in den Städtenund Gemeinden des Landkreises Saar-louis

I. GrundsätzeDie Tätigkeit des/der SeniorenModerators/in (SM) leitet sich aus dem Al-tenplan des Landkreises Saarlouis und seinem Umsetzungsprogramm ab.Ziel ist es insbesondere, gemeindebezogene Altenarbeit planmäßig auszu-bauen und zu fördern. Die wesentliche Aufgabe besteht in der Moderationzwischen allen Beteiligten und Betroffenen. Zum einen soll er/sie zwischenallen Organisationen und Gruppen vor Ort vermitteln können; zum ande-ren soll er/sie das Rahmenkonzept des Altenplanes des Landkreises auf dieörtlichen Verhältnisse übertragen sowie desweiteren umgekehrt auch dieEntwicklungen vor Ort in den Planungsprozeß des Landkreises Saarlouiseinbringen können.Voraussetzung hierfür ist, daß er/sie in dem Wirkungsfeld Gruppen- undgemeinwesenorientierter Sozialarbeit Erfahrung einbringt und über aus-reichend Kenntnisse in Sozialrecht, -verwaltung und -planung verfügt.

II. AufgabenfelderDie Tätigkeit umfaßt schwerpunktmäßig folgende Aufgaben/Arbeitsfel-der:

1. Information und Öffentlichkeitsarbeit(z.B. allgemeine Information zu Altersfragen; Gestaltung einer „Senioren-seite“ im Gemeindeblatt; Herausgabe eines Seniorenführers; Informationaller Ärzte/Beratungseinrichtungen u.a. über altersrelevante Angeboteund Hilfen).

2. Vereins- und Organisationsberatung sowie organisatorische Vorleistun-gen/Unterstützung für die Praxis vor Ort(z.B. Beratung von Vereinen und Organisationen bei deren Orientierungauf die Arbeit mit Senioren; Vermittlung von Fachreferenten/innen an dieOrganisationen; der/die SM soll weniger Veranstaltungen selbst anbietenund organisieren, als vielmehr durch organisatorische Vorleistungen dar-aufhinwirken, daß in Eigeninitiative der Vereine/Verbände und Organisa-tionen Veranstaltungen durchgeführt werden).

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3. (Selbsthilfe-)Gruppeninitiierung und -Beratung(z.B. Unterstützung von selbstorganisierten Gruppen bei der Gruppenfin-dungsphase und Beratung in Krisensituationen).

4. Dokumentation(z.B. Dokumentation aller altenbezogenen Veranstaltungen und Maßnah-men in der Gemeinde/Stadt; Auswertung laufender Erfahrungen und ihreNutzung bei der weiteren Entwicklung der Altenarbeit).

5. Organisation von Erfahrungsaustausch(z.B. durch einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch zwischen allen Akti-ven der Gemeinde/Stadt und/oder eines Orts- beziehungsweise Stadttei-les soll gewährleistet werden, daß die langjährige Erfahrung der Ehrenamt-lichen nicht verloren gehen, sondern kontinuierlich ausgetauscht und anneue ehrenamtlich Tätige weitergegeben werden).

6. Geschäftsführung einer Arbeitsgemeinschaft(innerhalb einer zu schaffenden Arbeitsgemeinschaft der vor Ort tätigenTräger und Organisationen in der Altenarbeit sollen alle Maßnahmen undDienste in der Gemeinde/Stadt koordiniert werden; die Geschäftsführungsoll dergestalt durchgeführt werden, daß eine verbindliche Abstimmungzwischen allen Beteiligten möglich ist).

7. Beratung bei Nutzung(z.B. Beratung von Hilfesuchenden und gegebenenfalls ihrer Angehörigenhinsichtlich relevanter Angebote, insbesondere bei Zu- oder Übergangssi-tuationen; Abklärung von Versorgungsarrangements).

8. Vermittlung zwischen allen Einrichtungen und Diensten(in jenen Fällen, wo die Vermittlung einzelner Klienten/innen zwischenden Diensten besondere Fragen und Probleme aufwirft oder wenn Betroffe-nen einen geeigneten Dienst suchen, übernimmt der/die SM die Vermitt-lung zu einem passenden Hilfsangebot).

9. Unterstützung und Mitwirkung bei der Fort- und Weiterbildung(Bei der kreisbezogenen Fort- und Weiterbildung wirkt der/die SM aktivmit, indem er/sie die Erfahrungen vor Ort in die Förderung der Altenarbeitauf der Kreisebene einbringt und andererseits die Erkenntnisse und Ar-beitsergebnisse auf der Kreisebene vor Ort wieder einfließen läßt).

10. Erstellung und Pflege einer altenbezogenen Infrastrukturdatei(Aufbau einer Datei, in der alle Angebote im Bereich der Altenarbeit einerGemeinde/Stadt erfaßt sind. Gerade eine zielgerichtete Vermittlung vonInformationen setzt eine laufende Aktualisierung voraus).

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11. Mitwirkung in Gremien – Gemeindemodellierung(z.B. Vertretung der altenbezogenen Sachfragen in Gemeindegremien undVertretung der Gemeinde in der Planungsgruppe öffentliche Träger aufKreisebene)

III. Persönliche Voraussetzungen

Die berufliche Eingangsqualifikation der SM soll eine Sozialarbeiterausbil-dung sein, welche nach Möglichkeit durch einschlägige Zusatzausbil-dungen vertieft worden ist.

Erwartet werden fundierte Kenntnisse und Praxiserfahrung zu den unter-schiedlichen Methoden und Ansätzen der Sozialarbeit, von der Beratungeinzelner Betroffener über die Förderung von Gruppen bis zu Aktivitäten,welche das gesamte Gemeinwesen berühren.

Die Person soll alle Akteure unterstützen und moderieren, so daß in Koope-ration der Träger und der Gemeinde/Stadt eine koordinierte Altenarbeitverwirklicht werden kann und nach außen deutlich wird, doch stehen dieAkteure in keinem Dienst- oder Abhängigkeitsverhältnis zum/zur SM.Von daher sind nicht nur hohe fachliche Anforderungen vorausgesetzt, da-mit er/sie die sachliche Überzeugungarbeit (Fachberatung) leisten kann,sondern auch eine ausgeprägte persönliche Fähigkeit und Bereitschaft, umauf die Gegebenheiten bisheriger Arbeitsweisen/Aktivitäten einzugehenund sie akzeptieren zu können. Der/die SM muß die Gewähr bieten, daß dievermittelnde Funktion des/der SM nicht zu Lasten inhaltlicher Erforder-nisse in der neuartigen Ausgestaltung der Altenarbeit vor Ort geht.

Erwartete wird eine kontaktfreudige Persönlichkeit mit Befähigung zurTeamarbeit.

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