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Muscheln, Moos und Milchzähne bringen Schadstoffe ans Licht

Date post: 08-Dec-2016
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Nachrichten aus der Chemie | 58 | Mai 2010 | www.gdch.de/nachrichten <Analytik> Muscheln, Moos und Milchzähne bringen Schadstoffe ans Licht Susanne Schmid-Ruzicka In den Alpen erfasst das österreichische Umweltbundesamt mit Bioindikatoren unter anderem persistente organische Schadstoffe. In Großstädten nimmt wegen der Luftverunreinigung die Zahl der Flechten ab: Pflanzen reagieren oft empfindlich auf Umwelteinflüsse und Schadstoffe. Sie sind daher idea- le Bioindikatoren in der Umwelt- kontrolle. Mit natürlichen oder künstlich in das Ökosystem einge- brachten Bioindikatoren kann man heute Schadstoffbelastungen gezielt messen und die Konzentrationen über Jahre verfolgen. Bioindikatoren bei der Kontrolle der Luftverschmutzung sind neben Flechten Graskulturen und Fichten- nadeln (Abbildung 1). Auch mit Moosen (Abbildung 2) lässt sich ei- ne Luftbelastung durch Schwer- metalle oder polycyclische aromati- sche Kohlenwasserstoffe (PAK) nachweisen. Das Umweltbundesamt in Österreich untersucht mit Biomo- nitoring beispielsweise Vegetations- proben im Langzeit-Untersuchungs- gebiet Zöbelboden in Oberöster- reich. Die Prüfstelle analysiert unter anderem Fichtennadeln, Buchen- laub und Streu auf Schwermetalle und persistente organische Schad- stoffe. Auch kleinste Konzentrationen nachweisbar Beim Biomonitoring werden pflanzliche oder tierische Organis- men regelmäßig beobachtet, um die Wirkung von äußeren Faktoren oder eingebrachten Substanzen zu unter- suchen und damit die Umweltquali- tät zu bestimmen. Bioindikatoren sind kontinuierliche Langzeitpro- benehmer: Sie akkumulieren auch sehr geringe Stoffkonzentrationen über längere Zeiträume hinweg und machen sie damit nachweisbar. Wenn Menschen und Tiere belastete Pflanzen verzehren, nehmen auch sie die Schadstoffe auf. Die Belas- tung der Pflanzen zeigt daher auch, welchen Schadstoffen Verbraucher ausgesetzt sind. Biomonitoring ist eine kosten- günstige Methode: Aufwendige In- frastruktur oder technische Einrich- tungen für die Probennahme, wie sie zum Beispiel bei aktiven Luftmes- sungen notwendig sind, entfallen. Schadstoffe in den Alpen erfassen Die Experten im österreichischen Umweltbundesamt führen che- mische Analysen von Pflanzenmate- rial durch, um Aussagen über die Be- lastungen von Ökosystemen zu tref- fen. Das in der Prüfstelle gebündelte Know-how fließt in lokale Erhebun- gen und in bundesweite und inter- nationale Monitoring-Programme ein. Abb. 1. Fichtennadeln sammeln Schadstoffe für das Umweltmonitoring. (Foto: istock/rest) 565
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Page 1: Muscheln, Moos und Milchzähne bringen Schadstoffe ans Licht

Nachrichten aus der Chemie | 58 | Mai 2010 | www.gdch.de/nachrichten

<Analytik>

Muscheln, Moos und Milchzähne bringen Schadstoffe ans Licht

Susanne Schmid-Ruzicka

In den Alpen erfasst das österreichische Umweltbundesamt mit Bioindikatoren

unter anderem persistente organische Schadstoffe.

� In Großstädten nimmt wegen der Luftverunreinigung die Zahl der Flechten ab: Pflanzen reagieren oft empfindlich auf Umwelteinflüsse und Schadstoffe. Sie sind daher idea-le Bioindikatoren in der Umwelt-kontrolle. Mit natürlichen oder künstlich in das Ökosystem einge-brachten Bioindikatoren kann man heute Schadstoffbelastungen gezielt messen und die Konzentrationen über Jahre verfolgen.

Bioindikatoren bei der Kontrolle der Luftverschmutzung sind neben Flechten Graskulturen und Fichten-nadeln (Abbildung 1). Auch mit Moosen (Abbildung 2) lässt sich ei-ne Luftbelastung durch Schwer-metalle oder polycyclische aromati-sche Kohlenwasserstoffe (PAK) nachweisen. Das Umweltbundesamt in Österreich untersucht mit Biomo-nitoring beispielsweise Vegetations-proben im Langzeit-Untersuchungs-gebiet Zöbelboden in Oberöster-reich. Die Prüfstelle analysiert unter anderem Fichtennadeln, Buchen-laub und Streu auf Schwermetalle und persistente organische Schad-stoffe.

Auch kleinste Konzentrationen nachweisbar

� Beim Biomonitoring werden pflanzliche oder tierische Organis-men regelmäßig beobachtet, um die Wirkung von äußeren Faktoren oder eingebrachten Substanzen zu unter-

suchen und damit die Umweltquali-tät zu bestimmen. Bioindikatoren sind kontinuierliche Langzeitpro-benehmer: Sie akkumulieren auch sehr geringe Stoffkonzentrationen über längere Zeiträume hinweg und machen sie damit nachweisbar. Wenn Menschen und Tiere belastete Pflanzen verzehren, nehmen auch sie die Schadstoffe auf. Die Belas-tung der Pflanzen zeigt daher auch, welchen Schadstoffen Verbraucher ausgesetzt sind.

Biomonitoring ist eine kosten-günstige Methode: Aufwendige In-frastruktur oder technische Einrich-tungen für die Probennahme, wie sie

zum Beispiel bei aktiven Luftmes-sungen notwendig sind, entfallen.

Schadstoffe in den Alpen erfassen

� Die Experten im österreichischen Umweltbundesamt führen che-mische Analysen von Pflanzenmate-rial durch, um Aussagen über die Be-lastungen von Ökosystemen zu tref-fen. Das in der Prüfstelle gebündelte Know-how fließt in lokale Erhebun-gen und in bundesweite und inter-nationale Monitoring-Programme ein.

Abb. 1. Fichtennadeln sammeln Schadstoffe für das Umweltmonitoring. (Foto: istock/rest)

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� Umweltanalytik im Umweltbundesamt Österreich

Die Prüfstelle für Umweltanalytik im österrei-

chischen Umweltbundesamt befasst sich seit Jahren

mit Biomonitoring und entwickelt die Methodik an-

wendungsspezifisch laufend weiter.

In der akkreditierten Prüfstelle für Umwelt-, GVO-

und Treibstoffanalytik sind Mitarbeiter Schadstoffen

in allen Umweltmedien auf der Spur, beispielsweise

in Grundwasser, Klärschlamm, Moosen oder Haus-

staub. Das Analysespektrum umfasst unter ande-

rem anorganische und organische Spurenstoffe. Be-

sonderes Knowhow zum Design von Bioindikations-

studien und der Interpretation solcher Daten steu-

ern hausinterne Spezialisten bei.5)

www.umweltbundesamt.at

Ein Beispiel ist das Projekt Mo-narpop (Monitoring Network in the Alpine Region for Persistent and other Organic Pollutants): Hier wur-den Fichtennadeln (Abbildung 1) untersucht und so die regionale Be-lastungsverteilung von persistenten organischen Schadstoffen (POPs) im gesamten Alpenraum erhoben. Das Umweltbundesamt leitete dieses in-ternationale Projekt und führte eine Reihe von chemischen Analysen durch.1) Dazu zählte der größte Teil der als „Dreckiges Dutzend“ be-kannten organischen Schadstoffe, die durch die Stockholmer Konven-tion inzwischen weltweit stark ein-geschränkt sind. Die Behörde ana-lysierte die Proben auch auf Dioxine, Furane, polychlorierte Biphenyle, Chlorpestizide und Flammschutz-mittel.

An 40 entlegenen Alpenstand-orten in Deutschland, Italien, Öster-reich, Slowenien und der Schweiz erfasste Monarpop kontinuierlich über drei Jahre die Schadstoffgehalte in der Luft, in Humus, Mineralbö-den und Fichtennadeln. Instrumen-te auf drei Gipfelstandorten (Sonn-blick, Zugspitze, Weißfluhjoch) oberhalb der Baumgrenze lieferten ganzjährig Messdaten. Sieben Hö-henprofile an Unterstandorten zeig-ten, wie sich die Schadstoffkonzen-trationen mit der Höhe veränderten. Eine Messeinrichtung analysierte kontinuierlich richtungsspezifisch die Luft unter hochalpinen Bedin-gungen.

Dabei zeigte sich: Die Schadstoff-gehalte sind an den Randregionen der Alpen am höchsten. Hochrech-nungen bestätigen, dass verschiede-ne POPs in den Alpenraum gelangen – die Alpen stellen eine Senke für POPs dar, die sich über die Luft aus-breiten.

Das Umweltbundesamt analysiert Fichtennadeln routinemäßig bei Er-hebungen auf Schwermetalle und or-ganische Schadstoffe. In Industrie-regionen oder verkehrsbelasteten Gebieten werden auch bestimmte Moosarten untersucht, unter ande-rem auf Schwermetalle oder poly-cyclische aromatische Kohlenwas-serstoffe.2)

Seit 1990 beteiligt sich Österreich an flächendeckenden Schwermetall-untersuchungen im Rahmen des Emep-Programms (European Moni-toring and Evaluation Program) so-wie der Genfer Luftreinhaltekonven-tion. Das Programm kontrolliert grenzüberschreitende Schadstoff-transporte und nimmt in einem fünfjährigen Zyklus regelmäßig Pro-ben von Moosen an 220 Standorten in Österreich.

2005 hatten fast alle Schwer-metallkonzentrationen gegenüber den Jahren zuvor abgenommen. Die deutlichste Reduktion zeigte Blei – Ursache ist die flächendeckende Einführung von bleifreiem Benzin in ganz Mittel- und Westeuropa seit der 90er-Jahre. An einzelnen Standorten stiegen die Schwermetallkonzentra-tionen jedoch. Das war beispielswei-se im Nordosten Österreichs der Fall – verantwortlich sind Einflüsse aus der Schwerindustrie der östlich an-grenzenden Nachbarländer und aus dem Ballungsraum Wien. An einigen Orten ist die Ursache für die erhöh-ten Schwermetallkonzentrationen bisher unbekannt.

Analysen von Wasserorganismen

� Manche Chemikalien reichern sich bevorzugt in Wasserorganismen an. Unter bestimmten Bedingungen können Schadstoffe, die im Wasser oder im Sediment in nur sehr gerin-gen Konzentrationen vorliegen, zu einer hohen Belastung in Fischen, Muscheln (Abbildung 3) oder Kreb-sen führen. Durch eine chemische Analyse von Gewebeproben auf Schadstoffe lässt sich nicht nur die Belastung der Tiere selber beurtei-len; es zeigt sich auch, welche der im Gewässer vorhandenen Schadstoffe besonders bioverfügbar sind.

Das Umweltbundesamt beteilig-te sich an der weltweit größten wis-senschaftlichen Flussexpedition des Jahres 2007. Im Rahmen der Joint Danube Survey 23) testeten Wissenschaftler die Donau entlang des gesamten Flusslaufs (2375 km) und auf einem Großteil ihrer Ne-benflüsse auf Schadstoffe und Was-serqualität. Das Umweltbundesamt

Abb. 2. Bioindikator Etagenmoos. (Foto: Maria Deweis)

Abb. 3. Teichmuscheln speichern Schadstoffe.

�Blickpunkt� Analytik 566

Nachrichten aus der Chemie | 58 | Mai 2010 | www.gdch.de/nachrichten

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untersuchte Wasser, Sedimente, Schwebstoffe und Muscheln auf zinnorganische Verbindungen und Chloraromaten. Wie sich zeigte, steigt die Wasserqualität – die Be-mühungen der Donau-Länder, die Schadstoffbelastung zu reduzieren, waren also erfolgreich. Allerdings müssen die organischen Schadstoffe noch weiter reduziert werden.

Schadstoffe im Menschen finden

� Schadstoffbedingte Erkrankun-gen des Menschen erkennen und präventiv behandeln sind die Ziele im Humanbiomonitoring. Dabei werden potenzielle Schadstoffe be-ziehungsweise deren Metabolite bei-spielsweise in Haaren, Harn und Blut nachgewiesen. Das Expositi-ons-Monitoring quantifiziert, wie stark ein Organismus mit einer Sub-stanz belastet ist, die möglicherweise schädlich ist. Das Effekt-Monitoring hingegen weist die Wirkungen von Schadstoffen nach; die Belastung muss also bereits zu messbaren Ver-änderungen des Stoffwechsels oder der Erbsubstanz geführt haben.

Das österreichische Umweltbun-desamt untersuchte den Zusammen-hang zwischen Luftqualität und Kin-dergesundheit. Dabei hat die Prüf-stelle auch Haarproben und aus-gefallene Milchzähne von Kindern analysiert.4) (Abbildung 4) Das Er-gebnis der Studie: Je höher die Kon-zentration bestimmter Innenraum-schadstoffe desto schlechter die Lungenfunktion und die kognitive Leistungsfähigkeit der Kinder.

Susanne Schmid-Ruzicka, Programm Stoffe &

Analysen, Umwelt bundesamt Österreich

Literatur

1) I. Offenthaler; R. Bassan; C. Belis et al,

„MONARPOP –Technical Report. Federal

Ministry of Agriculture, Forestry, Envi-

ronment and Water Management“,

Wien, 2008, ISBN 3–902338–93–8.

www.monarpop.at/

2) H. G. Zechmeister; S. Dullinger; D. Hohen-

wallner et al.: „Pilot Study on Road Traffic

Emissions (PAHs, Heavy Metals) Measu-

red by Using Mosses in a Tunnel Experi-

ment in Vienna, Austria“. Environmental

Science and Pollution Research, 2006, 13

(6), S. 398 – 405.

3) Joint Danube Survey 2: www.icpdr.org/

jds/(letzter Abruf am 15.3.2010)

4) P. Hohenblum; M. Kundi; C. Gundacker et

al.: „Luki – Luft und Kinder. Einfluss der In-

nenraumluft auf die Gesundheit von Kin-

dern in Ganztagsschulen“. Report,

REP-0182. Umweltbundesamt, Wien,

2008. www.umweltbundesamt.at/

fileadmin/site/publikationen/

REP0182.pdf (letzter Abruf am 15.3.2010)

5) P. Weiss; I. Offenthaler; R. Öhlinger; J.

Wimmer: „Higher plants as accumulative

bioindicators“. In: Markert B.A., Breure

A.M., Zechmeister H.G. (Hrsg.): Bioindica-

tors and Biomonitors – Principles, con-

cepts and applications. Elsevier, Amster-

dam, 2003, 465–500.

Abb. 4. Hohe Konzentrationen bestimmter Innenraumschadstoffe

senken die kognitive Leistungsfähigkeit von Schulkindern.

. (Fotos: Umweltbundesamt Österreich)

Kurz notiert

Neues Verfahren weist mit Lipiden Proteine nach

� Mit Gittern aus Lipiden lassen sich Proteine optisch nachweisen, und zwar ohne die übliche Farb-stoffmarkierung. Das berichten Wissenschaftler der Universität Münster und des Karlsruher Insti-tute of Technology (KIT) in Nature Nanotechnology. Die Forscher hat-ten mit der Dip-Pen-Nanolithogra-phie Membranlipide zu Gittern übereinander geschichtet. Gelöste Proteinmoleküle docken an be-stimmten Lipiden an, verändern die Struktur des Gitters – und damit auch seine optischen Eigenschaf-ten. Diese Methode eigne sich für eine neue Art von Biosensoren, schreiben die Forscher. doi:10.1038/nnano.2010.17

Auf der Suche nach Nachweis-verfahren für Mykotoxine

� Mehrere Mykotoxine in Lebens-mitteln gleichzeitig nachweisen – daran arbeitet zurzeit die Bundes-anstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Die Verbindun-gen seien strukturell so unter-schiedlich, dass ein einziges Stan-dardverfahren nicht ausreiche, schreibt die BAM: Viele Analysen-verfahren müssten miteinander kombiniert werden.

Die Europäische Union hat be-reits für elf Mykotoxine Grenzwerte festgelegt. Diese Verbindungen kom-men in schimmligen Lebensmitteln vor und wirken krebserregend, neu-rotoxisch, teratogen oder immun-suppressiv. www.bam.de

US-Regierung entscheidet über die Übernahme von Varian

� Die Europäische Kommission hat der Übernahme von Varian durch Agilent Technologies zuge-stimmt. Voraussetzung ist jedoch der Verkauf von vier Geschäfts-bereichen. Jetzt muss noch die US-Regierung den Kauf genehmigen. Die Unternehmen haben sich auf ei-nen Preis von 1,5 Mrd. US-Dollar geeinigt. www.agilent.com, www.varian.de

Fußballergebnisse tippen

� Am 1. Juni startet Eppendorf ein kostenloses Online-Tippspiel zur Fußball-WM. Zu gewinnen gibt es drei Apple iPads. www.eppendorf.com/eppicup

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