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muk02 Religiöse Zeichen im Spielfilm

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muk-publikationen 2 Matthias Wörther Himmel, Hölle, Tod und Teufel Religiöse Zeichen im Spielfilm
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Matthias Wörther

Himmel, Hölle, Todund Teufel

Religiöse Zeichen im Spielfilm

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Herausgegeben von der Fachstellemedien und kommunikation

Schrammerstr. 380333 München

http://www.m-u-k.de

Dokumentation eines Vortrages imRahmen der Münchner Medientage 2001.

Mit freundlicher Genehmigung desBayerischen Landesjugendamtes

November 2001

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Die Vieldeutigkeit der Zeichen

'Das ist ein Zeichen', pflegt Meg Ry-an in 'Schlaflos in Seattle' immerwieder auszurufen, wenn sie glaubt,ein Ereignis, das für alle anderen einZufall ist, in direktem Bezug auf ihreZukunft verstehen zu können. DerFilm gibt ihr Recht, denn das von ihrerhoffte Glück tritt am Ende ein.

Die vermeintlich oder tatsächlich be-deutsamen Zeichen können jedochauch immer weiter von der Wirklich-keit wegführen. Hans-ChristianSchmids authentische Film-Biografie'23 - Nichts ist so wie es scheint' de-monstriert diesen Wirklichkeitsver-lust am Beispiel des Hackers KarlKoch. Beeinflusst von Zahlenmystik,Freimaurerei und dem Kultbuch'Illuminatus' von Robert Wilson be-ginnt Koch, überall die Zahl 23 zuentdecken. Jeder weitere Fund die-ser Zahl in welchem Zusammen-hang auch immer, wird ihm zur Be-stätigung einer Verschwörungstheo-rie, aus deren Bann er sich schließ-lich nicht mehr befreien kann. DieZeichen haben jeden Bezug zurRealität verloren.

Die Bedeutung von 'Zeichen' im wei-testen Sinne, vor allem aber von reli-giösen Symbolen und Ausdrucksfor-men, ist das, was hier unter dem et-was reißerischen Titel 'Himmel, Höl-le, Tod und Teufel' behandelt werdensoll.

Wie kaum ein anderes Medium istder Film ein Raum der Erschaffung,Verwendung, und Interpretation be-deutsamer Zeichen, Bilder, Motiveund Gesten, einer von vielen Versu-chen, unsere Welt- und Lebenser-fahrungen symbolisch zu fassen.Ebenso ist er ein Raum, in dem die-se Zeichen auf breiter Basis rezipiertwerden.

Die Probleme, die sich grundsätzlichbei jeder Deutung von Erfahrungenergeben, wenn man ihnen eine be-sondere, den Alltag übersteigendeQualität zuspricht, hat Luc Besson inseinem Film 'Johanna von Orleans'in einer Schlüsselsequenz auf denPunkt gebracht: Johanna fragt sichim Gefängnis nach dem Scheiternihrer Mission, ob sie mit ihrer Bot-schaft, der Film heißt im Original'The Messenger - die Botin' nicht ei-ner Selbsttäuschung aufgesessenist. War das Schwert, das ihren gött-lichen Auftrag symbolisierte, ebendoch nichts als ein Schwert?

Womit wir mitten im Thema sind. Im-mer, wenn Zeichen verwendet wer-den, muss man sich fragen, was die-se Zeichen bedeuten sollen und inwelchem Sinn sie verstanden wer-den können. Auch die Informations-und Mediengesellschaft greift häufigauf religiöse Bild-, Erzähl- undDenktraditionen zurück. Nicht nur dieRenaissance der Engel bis in die

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Joghurt-Werbung hinein macht deut-lich, dass 'Religiöses', implizit undexplizit, weiterhin eine Rolle spielt.Das Spektrum reicht von Okkultis-mus und Astrologie über Sektiererei,Theorien über die Außerirdischen,neue Mythologien, Scientology,Volksfrömmigkeit und herkömmli-chen Kirchenglauben bis zu dentrockenen Ausführun-gen der wissenschaft-lichen Theologie.

Die 'objektiv richtige'Deutung der Zeichenist nicht unser Thema,und, wie der Aus-schnitt aus 'Johanna'zeigt, auch nicht ein-fach. Was uns be-schäftigt, ist die Tatsa-che, dass Motive reli-giöser Herkunft verwendet werden,dass sie, wie auch immer, gedeutetwerden und dass sie gedeutet wer-den müssen. Was wir in Zeichen se-hen, hängt direkt von unseremDenk- und Verständnishorizont abund davon, was wir für wirklich hal-ten.

Ich möchte diese Problematik derZeichen an einigen Beispielen de-monstrieren. Im ersten Teil meinerAusführungen gebe ich einen klei-nen Überblick über die unterschiedli-chen Genre, in denen religiöse Moti-vik im Film auftaucht. Der zweite Teil

widmet sich dann den Endzeitthril-lern und Horrorfilmen und versuchteine kleine Typologie der dort auf-tauchenden Motive. Sie sind dasGenre, in dem Jugendliche am ehe-sten mit religiösen Themen in Berüh-rung kommen und in dem der ganzeFundus der religiösen Zeichen aus-gebeutet wird.

Teil I: Religiöse Motive - Ein Blickin verschiedene Genre

a) Moses in Hollywood und Jesusvon Montreal

Es gibt eine kritische und produktiveAuseinandersetzung mit Himmel,Hölle, Tod und Teufel im Kino, die ei-nen eigenen Vortrag wert ist. Einzu-gehen wäre an dieser Stelle auf vor-wiegend europäische Filme, aufKieslowski, Jarman, Egoyan, NeilJordan oder Lars von Trier, auf 'TheGarden', 'Felicias Reise', 'The But-

Die Botin

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cher Boy' oder 'Breaking the Waves'und viele andere mehr.

Das jedoch sind in aller Regel Filme,die von Jugendlichen kaum gesehenwerden. Sie begegnen den religiö-sen Zeichen viel eher in naiven Um-setzungen vor allem der Bibel undihrer Geschichten und Bilder, zumBeispiel am Karfreitag im Fernse-hen. Der naive Bezug auf die religiö-se Tradition manifestiert sich nichtnur in älteren Monumentalfilmen wie'Die Bibel' oder 'Die zehn Gebote'usw.. Auch in neuen Projekten wieder Bibelverfilmung der Kirch-Gruppe für den TV-Markt lässt sichdiese Form der ungebrochenen Be-bilderung weiterhin finden. Mit Fil-men über das Buch Genesis, überMoses, Josef, Jakob, Jeremia, Salo-mon, David oder Esther wird ver-sucht, biblischen Gestalten und The-men Gegenwärtigkeit zu verleihen.

Ernsthafte Probleme hat mit den'Bibelschinken' eigentlich kaum je-mand. Die breite Zuschauerschaftund vor allem auch Jugendliche se-hen sich in ihren Klischeevorstellun-gen über das Alte Testament bestä-tigt oder begegnen einer ihnen weit-gehend neuen und fremden Ge-schichtenwelt, vielleicht sogar mitNeugier, die aber kaum zu wirklicherBetroffenheit führen wird. Gläubigeund Theologen dagegen entdeckenin diesen Filmen eventuell gewisse

Anknüpfungspunkte, finden es gut,dass überhaupt auf die Bibel Bezuggenommen wird, oder sind sich ei-nig, dass man es so nicht machenkann.

Problematischer wird der Bezug aufdie biblische Tradition, wenn es umdas Neue Testament und die GestaltJesu geht. Das ist so, weil hier dermögliche Gegenwartsbezug sehrviel direkter ist. Jesus und der Glau-be an ihn sind für manche reale unddie eigenen Handlungen mit bestim-mende Größen.

In konservativeren Kreisen der Gläu-bigen ist bei Jesusfilmen schnell vonder Verletzung religiöser Gefühle dieRede. Ob nun 'Das Leben des Brian'oder Scorseses 'Letzte VersuchungChristi': Der Standardvorwurf lautet,es sei nicht der wahre Jesus darge-stellt oder aber, Jesus werde verun-glimpft, bis hin zum Blasphemie-Vorwurf fundamentalistischer Grup-pen.

Die Grundfrage, die hinter solchenProtesten steht, ist die, auf welcherEbene ein Jesusfilm zu diskutierenund wie seine Zeichen zu lesen sind.Entscheidende Meinungsverschie-denheiten ergeben sich dann, wennman ihn nicht nur im Raum film-ästhetischer, motivgeschichtlicheroder rein theologischer Diskussio-nen betrachtet, sondern sich vonseiner Gestalt und seinen Lehren

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tatsächlich betreffen lässt.

Ein Jesusfilm, der die Frage derauch heute noch möglichen Betrof-fenheit durch die Gestalt Jesu reflek-tiert, ist Denys Arcands Film 'Jesusvon Montreal': Der Schauspieler, derhier Jesus in einem Passionsspieldarstellt, identifiziert sich immer stär-ker mit seiner Rolle, bis er sich nichtmehr von ihr distanzieren kann undwill.

Das Ausmaß von Distanz und Identi-fikation ist letztlich auch entschei-dend, wenn man nach möglichenWirkungen religiöser Themen undZeichen auf die Zuschauer fragt.Identifikation und Distanz: Man siehteinen Schauspieler, der nicht Jesusist, sich aber mit ihm identifiziert hat,und man sieht zufällige Zeugen, dienicht wissen, ob die prophetischenWorte aus dem Matthäus-Evange-lium für sie von Bedeutung sind odernicht.

b) Engel und andere religiöse Ver-satzstücke

Die Regel ist der direkte Zugriff aufaltes und neues Testament im Filmallerdings nicht. Die Regel ist diefreie Verwendung von Versatzstük-ken, von Motiven, die ursprünglichaus religiösen Traditionen stammen,dort aber durchaus zu den Randthe-men gehören können.

Als populäres Beispiel möchte ichdie Engel nennen. Sie haben einegroße volkstümliche Bedeutung, ste-hen aber nicht im Mittelpunkt derchristlichen Lehre. Viele Aussagenüber sie sind mythologischer Naturund theologisch kaum zu begrün-den.

Warum aber finden gerade die Engelsoviel Interesse? Ein schönes An-schauungsbeispiel zur Erläuterungdieser Frage ist Brad Silberlings'Stadt der Engel' von 1998, ein Holly-wood-Remake von Wim Wenders'Der Himmel über Berlin'.

Was Engel heute so beliebt macht,ist ihr Mischwesen und ihre Mittler-funktion zwischen Himmel und Erde.Sie sind nicht Gott, an den man ei-gentlich nicht glaubt, aber auch nichtMenschen, deren mangelhaftes undvielleicht sogar böses Wesen jedemtagtäglich vor Augen steht. DieseStellung zwischen Transzendenzund Immanenz, zwischen Himmel

Jesus von Montreal

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und Erde, bringt 'Stadt der Engel' inpopulärer und eindrucksvoller Weisezum Ausdruck

Engel funktionieren hier als Meta-phern für die Erfahrung der menschli-chen Gespaltenheit und Heimatlosig-keit. Eigentlich könnte diese Welt sehrviel schöner und besser sein, aber sieist es nicht: Deshalb der Blick auf dieTranszendenz, der ETs 'Telefonieren,nach Hause' entspricht.

Auf der anderen Seite reden die bei-den Engel im Film davon, dass demhimmlischen Leben die Sinnlichkeitder Immanenz fehlt: 'Wozu Flügel,wenn man den Wind nicht spürenkann?', also ein Lob des irdischen Da-seins.

Science-Fiction-Filme schreiben nichterst seit Spielbergs 'Unheimlicher Be-gegnung der dritten Art' Macht gerneden Aliens, den Außerirdischen zu.Sie sind uns im Guten wie imSchlechten überlegen. Kubricks Evo-lutions-Mythologie in '2001 - Odysseeim Weltraum' macht das überdeutlich,wenn er behauptet: Wir sind nicht auseigener Kraft die geworden, die wirsind.

Engelfilme dagegen neigen zu Inkar-nationsmodellen, sie thematisierenMenschsein und Menschwerdung inder umgekehrten Richtung. Gottselbst Mensch werden zu lassen, dasnun nicht, aber einen Engel schon.Dementsprechend verzichtet NicholasCage als Engel Seth zugunsten vonLiebe und irdischem Leben auf seinehimmlischen Privilegien und wirdMensch.

Der affirmative, unsere Welt beglaubi-gende Charakter solcher Engel-Geschichten ist offensichtlich undletztlich sogar eine versteckte Kritik anJenseitsvorstellungen und dem Glau-ben an die Übermacht der Außerirdi-schen: Das Leben der Himmlischenist steril. Das eigentliche Leben findetauf dieser Erde statt, auch wenn eswesentlich durch Schmerz und Leidmit definiert ist: Maggie, die große Lie-be des Mensch gewordenen EngelsSeth, kommt nach kurzem gemeinsa-mem Glück bei einem Unfall ums Le-ben.

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Religiöses Hollywood: Das ist Kitschund Gefühl, Nutzung von Zeichenkli-schees für eine vielleicht simple, aberpositive und lebensbejahende Bot-schaft: Man kann das Leben leben.Das gilt in ähnlicher Weise zum Bei-spiel für 'Rendezvous mit Joe Black',wo der Tod in Gestalt von Brad Pitt ei-nen smarten Auftritt hat, oder für'Jenseits des Horizonts'. Dort ist esRobin Williams, der mit einem Schut-zengel durch von Dante inspirierteknallbunte Himmel und Höllen tau-melt, um die geliebte Frau zurück zuholen.

c) Im Reich der Mythologien

Wir verlassen den Bereich der explizitbiblischen Zeichen, wenn wir unsFantasyfilmen und anderen'weltanschaulich' getönten Geschich-ten zuwenden, die die Bild- und Er-zählwelten von Legenden, Mythen,Mythologien, Philosophien und literari-schen Erzählungen plündern.

Zwar sind auch hier die Rückbezügezur traditionellen religiösen Bildwelt oftherstellbar. So kann man Spielbergs'ET' durchaus als einen Jesusfilm mitWundern, Heilungen, Passion, Tod,Auferstehung und Himmelfahrt lesen,aber diese Folie ist nicht auf Anhiebund für jeden sichtbar. Auch bei'Starwars', 'Mad Max', 'Batman','Superman', 'Highlander', 'IndianaJones', 'Waterworld', 'AI' und anderenFilmen werden quasi-religiöse Auffas-

sungen über Gut und Böse, über dieZukunft der Menschen, das Schicksalder Welt und das richtige und das fal-sche Leben transportiert.

Im Unterhal-tungsbereichangesiedeltund als leich-te Kost be-trachtet,scheint einekritische Ana-lyse eherüberzogen.

Dennoch muss man sich gerade auchhier die Frage stellen, ob die Zeichennicht bedenkliche Auffassungen trans-portieren. Beispielhaft dafür war dieDiskussion über die Filme'Phenomenon' und 'Battlefield Earth'.Kann man sie als Propagandavehikelvon Scientology verstehen?

Bekanntlich geht das Drehbuch von'Battlefield Earth' auf einen Romanvon Ron L. Hubbard zurück, denGründer von Scientology. Und wieman weiß, ist John Travolta beken-nender Scientologe. In 'BattlefieldEarth' die Gefahr der Beeinflussungoder Manipulation zu wittern, ist alsozunächst nicht abwegig.

Wie für die meisten anderen Fantasy-und Science-Fiction-Filme und über-haupt das ganze Spektrum neo-mythologischer Bildwelten gilt jedoch,dass nur ein überzeugender Bezug

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zum eigenen Denken, zur eigenenLebensgeschichte, zu eigenen Pro-blemen und zu eigenen ErfahrungenWirkungen hervorrufen könnte.'Battlefield Earth' ist da allerdingsschon fast ein unfaires Beispiel.

Aber auch in anderen Filmen fehlenIdentifikationsfiguren, formale Qualitä-ten, schlüssige Aussagen oder ande-res, worauf eine vielleicht verführeri-sche Faszination beruhen könnte. DieZeichen bleiben beliebig, genre-immanent oder nichtssagend. Mankann 'Starwars' gut finden, ohne seinLeben an der Starwars-Ideologie aus-zurichten.

Dennoch sollte man die breitvorhandene Pseudoreligiositätin diesen Filmen nicht ausdem Blick verlieren, selbstwenn Beispiele für gezielte In-doktrinationen kaum zu findensind und die Fadenscheinig-keit der vertretenen Weltdeu-tungen offenkundig ist. Mit denaufwändigen Verfilmungenvon 'Herr der Ringe' und'Harry Potter' am Horizont istzumindest zu fragen, warumeine rationale, technikorientierte Ge-sellschaft soviel Interesse und Spaßan diesem Genre hat. Was dort anKosmologie, Philosophie oder Mytho-logie geboten wird, sollte eigentlichvon vornherein als bloße Unterhaltungoder ironisches Spiel verstanden wer-den. Ob das aber immer der Fall ist,

darf man bezweifeln. Dass HoroskopeUnsinn sind, ist jedenfalls auch nichtüberall konsensfähig.

Teil II: Religiöse Motive im Horror-und Actionfilm

Ihren Schwerpunkt hat die Verwen-dung religiöser Themen und Motiveund die Begegnung von Jugendlichendamit jedoch zweifellos im Thriller undHorrorfilm. Im Unterschied zu den bis-her besprochenen Genre tritt hier In-haltliches im Regelfall noch stärkergegenüber dramatischer Erzählungund drastischer Bildwirkung zurück.Gesucht wird der schockierende Ef-

fekt, der sich blutiger Opfer, dämoni-scher Einbrüche aus dem Jenseits,grausamer Rituale und geheimnisvol-ler Exorzismen bedient. Das Paradig-ma für dieses Genre ist und bleibt Wi-liam Friedkins 'Der Exorzist' von 1973.

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a) 'Stigmata' - Pop und Schock

Ein auf breite Konsumierbarkeit ange-legtes neueres Beispiel solch religiö-ser Effektespektakel ist Rupert Wain-wrights relativ erfolgreicher Film'Stigmata', der eine weitgehendschlüssige Geschichte mit perfekterFotografie, Pop-Musik, Zeitgeistde-sign und optischer Opulenz verbindet.Die Nähe zu Videoclips und der Äs-thetik von Werbefilmen ist unverkenn-bar.

Was für den Filmkritiker zwar gekonnt,aber doch kalt und glatt wirkt unddementsprechend abgehakt wird,kann bei jugendlichen Betrachterntrotzdem zu weitergehender Ausein-andersetzungen führen. Vor allem Be-rufsschullehrer berichten, dass durchdiesen Film im Unterricht Fragen nachder Realität von Stigmatisierungenauftauchten. Auch die zu den belieb-ten Verschwörungstheorien passendeBehauptung des Films, der Vatikanunterdrücke den Text des Thomas-Evangeliums (das man in jeder Apo-kryphensammlung nachlesen kann)war bei Schülern und Schülerinnenimmer wieder Thema. Dieses sachli-che Interesse der Schüler belegt dieMöglichkeit gleichsam dialektischerWirkung der religiösen Motivik. Wasdie Macher als Spiel mit Elementenaus dem Symbolfundus sehen, wirdJugendlichen zur tatsächlichen Frage,weil sie sich mit dem Genre Thrillerauskennen, nicht jedoch mit den reli-

giösen Bildwelten: der Wirklichkeits-bezug und Realitätsgehalt von'Stigmatisierung' oder 'Thomas-Evangelium' sind für sie nicht interpre-tierbar. Es sind fremde Zeichen in ei-ner ansonsten vertrauten Welt.

b) Dogma - Satire und apokalypti-sches Massaker

Am anderen Rand des Spektrums derreligiösen Thriller steht der Film'Dogma' von Kevin Smith. Während

sich 'Stigmata' Bedeutung nur an-maßt, will 'Dogma' satirisch mit derReligion, in diesem Fall dem Katholi-zismus, abrechnen. Mit seinen Aus-drucksmitteln ist der Film dabei wederwählerisch noch besonders ge-schmackssicher.

Es geht um zwei aus dem Himmelnach Wisconsin verbannte Engel, dieihre Rückkehr erzwingen und damitauch die Fehlbarkeit Gottes beweisenwollen. Am Ende richten sie deswe-gen ein apokalyptisches Massaker

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an, dem Gott durch Vergebung undStrafe ein Ende setzt.

Was hier und an anderen Stellen desFilms an drastischen Effekten benutztwird, geht im Ganzen des Films inlangatmigen Diskursen unter. DerenWortlastigkeit und die vorausgesetzteKenntnis dogmatischer Lehräußerun-gen lassen viele Gags nur für Theolo-gen verständlich erscheinen. Auchhier also weithin 'fremde Zeichen', die-ses Mal jedoch in einem Zusammen-hang, der weniger Interesse als Un-verständnis und Langeweile hervor-ruft.

c) 'End of Days' - Overkill der Zei-chen

Wenn aber der tatsächliche Sinn reli-giöser Zeichen und ihr Stellenwert Ju-gendlichen normalerweise unbekanntist, wie verstehen sie diese Zeichendann, etwa wenn sie wie in 'End ofDays' mit Arnold Schwarzenegger all-gegenwärtig sind?

Die Ebene, auf der die religiöse Sym-bolik vom breiten Publikum, und damitauch von den Jugendlichen verstan-den wird, ist die Ebene des Klischees.Auch die säkulare Gesellschaft istnoch so durch die traditionell christli-che Symbolwelt bestimmt, dass siereligiösen Zeichen eine vage, durchRessentiments, Unkenntnis und Inter-esse an Extremen bestimmte Bedeu-tung zuweisen kann, die genügt, um

einen zumindest für möglich gehaltenRaum religiöser und pseudoreligiöserPhänomene aufzubauen. In diesemRaum kann dann der eigentlich ausdem gesellschaftlichen Diskurs ver-dammte Teufel wieder auftreten, ohnedass das von vornherein als irrationalabgelehnt wird.

Im Folgenden ist eine kleine Typolo-gie solcher Klischees zusammenge-stellt. Alle Szenenbilder stammen aus'End of Days', einem nahezu vollstän-digen Kompendium der Motive, die inunserem Zusammenhang von Inter-esse sind.

Bild 1 und 2 zeigen Rom und NewYork, mythische Orte. In beiden sinddas himmlische Jerusalem wie dieHure Babylon mit zu denken. Der Vati-kan kann sowohl der Fels des Glau-bens und letzte Bastion gegen dasBöse sein, wie er eben auch als Zen-trum übler Verschwörungen und Täu-schung der betrachtet wird.

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New York ist die große Stadt, Symbolvon Turmbau und menschlicher Hy-bris, andererseits aber auch Vor-schein der befriedeten Stadt Gottesam Ende der Zeiten. Noch als Kli-schee spannen diese beiden Ort ei-nen endzeitlichen Horizont auf.

Bild 3 gibt Vers 7 aus Kapitel 20 derOffenbarung des Johannes wieder:"Wenn die tausend Jahre vollendetsind, wird der Satan aus seinem Ge-fängnis freigelassen werden." Kein re-ligiös angehauchter Thriller oder Hor-rorfilm, der ohne Bezug auf die Apo-kalypse auskommt. Fast schon unver-meidlich taucht dabei die Zahl desTieres, 666, auf, von der im 13. Kapi-tel die Rede ist. Ob tatsächliches Zitatoder erfundene Stellen, in 'God's Ar-my' mit Christopher Walken etwa wirdaus Kapitel 23 zitiert, obwohl die Apo-kalypse nur einundzwanzig Kapitelhat: ohne geheimnisvolle Texte gehtes nicht. Zum Klischee gehört dannweiterhin, dass solche Texte erst ent-deckt werden, aus fremden und selte-nen Sprachen zu übersetzen sind, et

was ganz anderes bedeuten, als derWortsinn nahelegt, verschlüsselt vor-liegen, vom Vatikan unterdrückt wur-den, wahre Prophezeiungen enthaltenusw.

Auf Bild 4 sieht man ein Zeichen fürLucifer. In 'End of Days' wird ein Mäd-chen damit gezeichnet, das als Frauein Kind des Teufels gebären soll.Aber auch jede Menge anderer Sym-bolzeichen von okkulter, astrologi-scher oder theologischer Herkunftspielen in religiösen Thrillern eine Rol-le. Das reicht vom Pentagramm überin die Haut von Opfern geritzte Hiero-glyphen bis zu kosmischen Erschei-nungen wie den Kometen.

Bild 5 und 6 umreißen den Horizontder kirchlichen Ikonografie.Bild 5 zeigt den Erzengel Michael, derden abtrünnigen Engeln entgegen ge-treten ist und auch als Drachentöterdargestellt wird, wobei der Drache fürSatan steht, Bild 6 einen Ausschnittaus dem kaum überschaubarenSpektrum an Heiligen, Märtyrern, Bi-

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schöfen usw., das in der Kunst, auf Al-tären oder Votivtafeln im Lauf vonJahrhunderten Gestalt gewonnen hat.Dazu gehören dann auch Kerzen, Ro-senkränze, Kreuze, Amulette, Schut-zengel, weinende Statuen und Er-scheinungen von Maria, Wunderhei-lungen usw. Auch heute noch könnensich vage Frömmigkeit und magi-sches Denken problemlos an derarti-gen Vorgaben und Dingsymbolen festmachen.

Auf Bild 7 sehen wir das schon er-wähnte Mädchen. In 'End of Days'wird es nicht nur mit dem Zeichen Sa-tans versehen, sondern auch mit demBlut einer Schlange getauft und demTeufel geweiht. Das Gegenbild unddie Folie dazu ist natürlich das KindJesus. Neugeborene transportierenim Guten wie im Bösen Verheißun-gen, sind der kommende Messiasoder sollen die Herrschaft über dieWelt übernehmen. Erneut also dasbereits erwähnte Inkarnationsmotiv:Gott wird Mensch, der Teufel wird

Mensch und seine Umkehrungen: einMensch hält sich für Gott, ein Menschwird zum Teufel.

Damit sind wir wieder im Umfeld derJesusgestalt. Bild 8 zeigt eine Stigma-tisierung, also das äußere Zeichender inneren Identifikation mit der Pas-sion Jesu, Bild 9 einen Gegenspielerdes Teufels, der grausam ermordetund an die Decke über seinem Kran-kenbett genagelt wurde: Kreuzigung

als Foltermethode. Opfer- und Tö-tungsrituale aller Art werden so alsAbart oder Ausfluss religiöser Vorga-ben legitimiert. Exzessiv ist das etwain David Finchers 'Sieben' der Fall, wodie sieben Todsünden das Muster fürgrausame Morde abgeben.

In Bild 10 begegnen wir dann der di-rekte Identifikation mit Christus. Ar-nold Schwarzenegger heißt in 'End ofDays' nicht zufällig Jericho Cane. DieInitialen und seine wie das bekannteGemälde von Dalí ins Bild gesetzte

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Kreuzigung kennzeichnen ihn als dasOpfer, das gebracht werden muss, umdas Böse oder den Teufel aufzuhal-ten. Man findet dasselbe Motiv in'Terminator 2' oder zahlreichen ande-ren Filmen, etwa in Krimis. Das Opfereines Guten unterbricht den Gewalt-und Verhängniszusammenhang.

Auf Bild 11 steht Arnold alias JerichoCane am Scheideweg. Die Ermor-dung von Frau und Kind haben ihnvom Glauben abfallen lassen: Das istdie Standardfassung der Theodizee-problematik im Thriller. Nachdem ertatsächlich dem Teufel begegnet ist,muss er jetzt entscheiden, auf wel-cher Seite er steht. Linker Hand des-halb auch wieder der Erzengel Micha-el als mahnendes Vorbild. Was wir imFilm erleben ist eine Konversion oderanders gesagt, der Zusammenbrucheines Verblendungszusammenhangs.Er kann die Zeichen endlich wiederrichtig lesen.

Was Cane hindert, das Kind des Teu-fels auf einem Altar in Konfrontationmit dem Gekreuzigten im Hintergrundzu zeugen (Bild 12), ist der freie Wille.Er schlägt dem Teufel durch seinefreie Entscheidung ein Schnippchen,dieselbe Lösung, die für Keanu Ree-

ves als Anwalt in 'Im Auftrag des Teu-fels' angeboten wird. Beide müssenmit dem Tod dafür büßen.

In Bild 13 und 14 tritt endlich der Teu-fel selbst auf, links in moderner Ver-kleidung, rechts in seiner'eigentlichen' Gestalt als höllischeFratze. Er besitzt übermenschlicheKräfte, einen Hang zur Lüsternheit,ein gewisses Maß an Vorauswissenund die Mittel, um in Versuchung zuführen und zu töten. Am Ende ist erdann aber doch eine Ausgeburt vonFeuer und Schwefel, die zur Hölle fah-ren muss.

Es droht jedoch auch in 'End of Days'nie wirklich der Sieg des Bösen.Selbst im Horrorfilm können und wol-len wir uns nicht von der generellenHeilszusage verabschieden die dalautet: Am Ende wird alles gut.

Zusammenfassung

a) Es gibt im Kino einen naiven Um-gang mit religiösen Traditionen, der imGrunde mit der bildersüchtigen Volks-frömmigkeit verwandt ist. Dazu wirdman auch Scorceses 'Letzte Versu-chung Christi' rechnen müssen.'Jesus von Montreal' ist im Vergleich

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dazu hoch reflektiert. Probleme mitdiesem naiven Zugriff auf Religion gibtes dann, wenn man sich einer kom-plexeren Betrachtung verweigert. Reli-gion ist kein einfaches, sondern einvielschichtiges Phänomen.

b) Das Unterhaltungskino bedient sichin breitem Umfang aus dem Arsenalder Religionen, wenn es um Schick-sal, Vorsehung und den Sinn des Le-bens geht. Es verwendet diese Requi-siten durchgehend affirmativ. Hierkann zum Problem werden, dass dievermittelte Lebenssicht, wenn nichtgerade falsch, so doch schlichtweg zusimpel ist. Kitsch kann zeitweise undin bestimmten Lebensphasen durch-aus desorientierende Auswirkungenhaben.

c) Bedenklicher ist oft die Melange anMythologien und deren Versatzstük-ken, die im Adventure-, Science-Fiction und Fantasy-Bereich zu findenist. Da es sich um eine Form von Ek-lektizismus handelt, vermischen sichhier die unterschiedlichsten Elementezu nicht unbedingt leicht zu beurtei-lenden Pseudo-Weltanschauungen.Sie zu werten oder gar zu kritisierenwird auch dadurch erschwert, dasswir das Motto 'anything goes' auf un-

sere Fahnen geschrieben haben.

d) Eine Verbindung von religiösen Kli-scheevorstellungen mit Action undHorror wie in 'End of Days' wird dannproblematisch, wenn Klischees undtatsächlich vertretene Meinungen in-einander übergehen, d.h. wie immergeartete existenzielle Bezüge zumFilmgeschehen hergestellt werden.Wer nicht an den Teufel glaubt, kannsich trotzdem vor bösen Mächten, ei-ner jenseitigen Welt, schicksalhaftenNotwendigkeiten und Endzeitkatastro-phen fürchten.

e) Wenn jemand behauptet: Das istein Zeichen, sollte man nie verges-sen, dass Zeichen beliebig sind undnur in bestimmten Horizonten eindeu-tige Bedeutungen besitzen. Die mei-sten Probleme entstehen dann, wennman glaubt, Zeichen müssten nicht in-terpretiert werden, sondern behaup-tet, es sei doch klar, was sie bedeu-ten. Die Erschließung dieser mit ihrenZusammenhängen wechselnden Be-deutungen ist auch die Basis für eineBeurteilung ihrer Relevanz für Frage-stellungen des Jugendschutzes.

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