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Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

Date post: 25-Dec-2016
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Page 1: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||
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Rainer Kaenders | Reinhard Schmidt (Hrsg.)

Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen

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Rainer Kaenders | Reinhard Schmidt (Hrsg.)

Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehenBeispiele für die Förderung eines tieferen Mathematik-verständnisses aus dem GeoGebra Institut Köln/Bonn

STUDIUM

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

HerausgeberProf. Dr. Rainer KaendersReinhard Schmidt

Autoren Horst Bennemann (Kapitel 9)Prof. Dr. Rainer Kaenders (Kapitel 1 und 10)Dr. Oliver Labs (Kapitel 5)Maria Nelles (Kapitel 8)Dr. Wolfgang Riemer (Kapitel 2 und 6)Reinhard Schmidt (Kapitel 1 und 4)Günter Seebach (Kapitel 6 und 7)Prof. Dr. Ysette Weiss-Pidstrygach (Kapitel 3)

1. Auflage 2011

Alle Rechte vorbehalten© Vieweg+Teubner Verlag |Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Lektorat: Ulrike Schmickler-Hirzebruch | Barbara Gerlach

Vieweg+Teubner Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.www.viewegteubner.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge schützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Ur heber rechts ge set zes ist ohneZustimmung des Verlags unzuläs sig und straf bar. Das gilt ins be sondere fürVervielfältigungen, Über setzun gen, Mikro verfil mungen und die Ein speiche rungund Ver ar beitung in elek tro nischen Syste men.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werkberechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und dahervon jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: AZ Druck und Datentechnik, BerlinGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany

ISBN 978-3-8348-1757-0

Page 5: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

Vorwort

If you want to go fast, go alone. If you want to go far, go together. (Warren Buffet)

Langsam aber sicher wird der Einsatz von Technologie zu einem wesentlichen Bestandteildes Unterrichts. Wegen der zunehmenden Verfügbarkeit von günstigen Computern wurde schonin den 1980er und 90er Jahren vorausgesagt, dass sich diese neuen Technologien schnell imMathematikunterricht etablieren würden. Doch in der Schulwirklichkeit ging diese Integrationsehr viel langsamer vonstatten als angenommen.Als ich vor 10 Jahren das GeoGebra Projekt als Student startete, stand zunächst nur die Idee,

dynamische Geometriesoftware und Computeralgebra für typische Anwendungen in der Schulenäher zusammen zu bringen, im Vordergrund. An einen verbreiteten Einsatz der Software inSchulen war nicht gedacht, und so war es mehr oder weniger Zufall, dass 2005 mein KollegeYves Kreis von der Uni Luxemburg vorschlug, den Quellcode von GeoGebra auf eine OpenSource Plattform ins Internet zu stellen, damit er einfacher am Projekt mitarbeiten kann. Wegenzahlreicher Emailanfragen habe ich etwa zur selben Zeit auch das GeoGebra Nutzerforum undein Wiki eingerichtet, wo Lehrer gemeinsam Fragen beantworten und Materialien austauschenkonnten.Die letzten Jahre haben gezeigt, dass eine große Zahl von Enthusiasten herkömmliche Ent-

wicklungsmodelle und Vorstellungen von Innovation über den Haufen werfen können. Der Er-folg von Projekten wie Wikipedia, Linux, Firefox und Moodle beweist eindrucksvoll, dass Zu-sammenarbeit und Austausch wertvolle Resourcen für eine Vielzahl von Lebensbereichen her-vorbringen können. Mit GeoGebra scheint derzeit etwas Ähnliches im Bereich mathematischerSoftware zu passieren. Heute arbeiten bereits mehrere hundert Leute, praktisch alle ehrenamt-lich, an diesem Projekt in der Programmierung, Übersetzung und Dokumentation mit, sodassdie Software inzwischen in 56 Sprachen auf der ganzen Welt eingesetzt wird.Um solche Technologien auch tatsächlich in die Klassenzimmer zu bringen, genügt es aber

nicht, gute Software kostenlos ins Internet zu stellen. Entscheidend ist die Unterstützung an-gehender Nutzer, insbesondere durch gute Materialien und Anregungen - wie in diesem Buchgeschehen - sowie durch entsprechende Fortbildungsangebote für Lehrer. Dem hat sich auch dasinternationale Netzwerk von GeoGebra Instituten verschrieben, wobei dieses Buch ein konkre-tes Produkt entsprechender Bemühungen des GeoGebra Instituts von Köln/Bonn darstellt.Gemeinsam kännen wir mehr erreichen, nicht nur in der Weiterentwicklung einer Softwa-

re, sondern insbesondere auch beim Austausch von Unterrichtsideen und -materialien, so wiees auch die Autoren der verschiedenen Kapitel in diesem Buch tun. Neue Technologien wieGeoGebra bieten uns nicht nur dynamische und interaktive Möglichkeiten zur Behandlung ma-thematischer Themen, sie machen es uns auch leichter, unsere Ideen auszutauschen und zusam-menzuarbeiten.Ich wünsche allen Lesern viel Spaß beim Ausprobieren der hier zu findenden Anregungen

im eigenen Unterricht, und hoffe, Sie bald als aktives Mitglied der GeoGebra Nutzergemeindebegrüßen zu dürfen.

Markus HohenwarterEntwickler von GeoGebra

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VI

Dankwort

An der Entstehung dieses Buches haben neben den Autoren noch einige andere direkt oder indi-rekt mitgewirkt. Besonders danken möchten wir hier Stephan Berendonk, Leon van den Broek,Peter Fitting, Aloisius Görg, Gilbert Greefrath, Bärbel Schmidt und Emese Vargyas sowie UlrikeKlein bei der Textgestaltung und Ulrike Schmickler-Hirzebruch vom Vieweg+Teubner Verlag.

Köln, Juli 2011 Rainer Kaenders und Reinhard Schmidt

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort V

1 Zu einem tieferen Mathematikverständnis 1

1.1 Mathematische Perspektiven auf Stangenvierecke . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2 Von Beispielen lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2 Erziehen im Mathematikunterricht 13

2.1 Probieren versus Konstruieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132.2 Konstruktionen beschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.3 Erziehen zu sauberem Zeichnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.4 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

3 Umfängliches und Diametrales 21

3.1 Konstruktion und algebraische Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263.2 Mathematisches Objekt und Problemlösemethode . . . . . . . . . . . . . . . . 35

4 Auf Entdeckungsreise zu den Nullstellen quadratischer Funktionen 41

4.1 Nullstellen quadratischer Funktionen mit GeoGebra . . . . . . . . . . . . . . . 414.2 Der Kreis von Captain Lill . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464.3 Lills Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494.4 Über Nullstellen hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534.5 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

5 Diskriminante und Nullstellen von Polynomen 57

5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575.2 Nullstellen von zufälligen quadratischen Polynomen . . . . . . . . . . . . . . 585.3 Polynome höheren Grades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625.4 Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

6 Bleistiftrollen - Beurteilende Statistik im Federmäppchen 69

6.1 Mit Bleistiften „würfeln“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706.2 Erst simulieren – Erwartungshaltung aufbauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706.3 Dann experimentieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726.4 Visualisieren in GeoGebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736.5 Vertiefende Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756.6 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766.7 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

7 Ableitungsregeln mit GeoGebra selbst entdecken – nicht nur für Polynome 85

7.1 Tangenten und ihre Steigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

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VIII Inhaltsverzeichnis

7.2 Die Tangentensteigung an der Stelle x = 0 bzw. x = a bei Polynomfunktionen . 897.3 Faktor-, Summen- und Produktregel für Polynome an der Stelle x = 0 . . . . . 937.4 Die allgemeine Ableitungsregel für Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . 947.5 Die Quotientenregel für Polynomquotienten selbstständig entdecken . . . . . . 957.6 Verallgemeinerung auf alle Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 967.7 Die Zahl e wird entdeckt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 987.8 Die allgemeine Exponentialfunktion und ihre Tangentensteigungsfunktion . . . 987.9 Die Ableitung der Umkehrfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007.10 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

8 Die Eulersche Zahl 103

8.1 Wege der Begriffsgenese mit Geogebra durchschauen . . . . . . . . . . . . . . 1038.2 Zur Geschichte der Eulerschen Zahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1038.3 Empirischer Zugang zur Eulerschen Zahl über die stetige Verzinsung . . . . . . 1048.4 Zugang über den Flächeninhalt unter der Hyperbel . . . . . . . . . . . . . . . 1058.5 Graphische Umkehrung der natürlichen Logarithmusfunktion und Ableitung der

Umkehrfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1088.6 Vertiefende Einsichten in den Standardweg mit Geogebra . . . . . . . . . . . . 109

9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos 111

9.1 Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1119.2 Lineare Iteration – Rekursion – Verkettung – Rückkopplung . . . . . . . . . . 1139.3 Quadratische Iteration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1199.4 Hat das Chaos Struktur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1249.5 Kann man Chaos messen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1269.6 . . . und was gibt es noch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1309.7 Anhang: Experimente und Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

10 Funktionen kann man nicht sehen 147

10.1 Nomogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14910.2 Gratwanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16010.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

Sachverzeichnis 167

Autorenverzeichnis 171

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1 Zu einem tieferen Mathematikverständnis

Rainer Kaenders und Reinhard Schmidt

Ein buntes Spielzeugauto mit echten Motor- und Sirenengeräuschen und batteriebetriebenemAntrieb verliert trotz anfänglicher Faszination für Kinder häufig schnell seinen Reiz. Viel mehrfür die Entwicklung leistet ein Baukastensystem, wo Kinder mit ganz unperfekten eigenen Fahr-zeugkreationen spielen, immer neue Möglichkeiten der Erweiterung entdecken und ihrer Phan-tasie freien Lauf lassen können.

Bei GeoGebra handelt es sich um eine Dynamische Mathematiksoftware, die Geometrie, Ta-bellenkalkulation und Algebra vereint und dadurch für den Mathematikunterricht reichhaltigeMöglichkeiten bietet. Neben den inhaltlichen Vorteilen, die in diesem Buch an Beispielen näherbeschrieben werden, bietet das Programm drei wesentliche Vorteile: Es ist für den Mathematik-unterricht entwickelt und den spezifischen Anforderungen angepasst worden. Außerdem ist esfür den privaten Benutzer (also insbesondere für Schülerinnen und Schüler) kostenlos.1 Zudemhandelt es sich um ein Open-Source-Programm, das von vielen Menschen weltweit weiterent-wickelt wird.

Für das Mathematiklernen kann GeoGebra sowohl ein buntes fertiges Spielzeugauto als auchein Baukastensystem mit Raum für eigene Gestaltung und Erforschung sein. In diesem Buchinteressieren wir uns für die Möglichkeiten, das Programm zur Vertiefung des Mathematikver-ständnisses von Schülerinnen, Schülern oder anderen Mathematiklernenden2 einzusetzen. Geo-Gebra kann zur Visualisierung mathematischer Sachverhalte eingesetzt werden, kann aber auchals Katalysator mathematischen Verständnisses dienen. Genau das streben wir an: GeoGebrakann dazu beitragen, Schüler zur Reflexion über Mathematik anzuregen, verschiedene Perspek-tiven von bestimmten Standpunkten auf einen mathematischen Gegenstand zu ermöglichen undschließlich auch Perspektivwechsel, wie beispielsweise zwischen Geometrie und Algebra, vor-zunehmen und zu veranschaulichen.

Aus diesem Anspruch folgt, dass dieses Buch kein Benutzerhandbuch sein möchte. Vielmehrsoll an ausgewählten Beispielen deutlich gemacht werden, wie sinnvoller GeoGebra-Einsatzaussehen kann und wie man mit Hilfe von GeoGebra mehr Mathematik im Mathematikunter-richt stattfinden lassen kann. Wir wollen zeigen, dass GeoGebra hierfür einen wichtigen Beitragleisten kann, dass es bei aller Begeisterung für die neuen Möglichkeiten manchmal aber auchsinnvoll sein kann, einfach den Computer auszuschalten und auf althergebrachte Methoden undHilfsmittel des Unterrichts zurückzugreifen.

1Download unter [Hoh11], http://www.geogebra.org/cms/de/download2In der Folge sprechen wir kurz von dem Schüler, dem Leser, dem Lernenden und meinen damit auch die jeweilsweibliche Form.

R. Kaenders, R. Schmidt (Hrsg.), Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen, DOI 10.1007/978-3-8348-8340-7_1,© Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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2 1 Zu einem tieferen Mathematikverständnis

1.1 Mathematische Perspektiven auf Stangenvierecke

In diesem einleitenden Kapitel wollen wir anhand des Beispiels der Stangenvierecke (d.h. Kon-gruenzklassen von Vierecken, bei denen vier Seitenlängen vorgegeben, die Winkel zwischenden Seiten aber variabel sind) verschiedene mathematische Perspektiven vorstellen, die teilwei-se durch GeoGebra vermittelt und zum Teil davon unabhängig sind.An Stangenvierecken gibt es viel zu entdecken (siehe zumBeispiel zu Aspekten derMathema-

tik [BM56], der Ingenieurwissenschaft [Hal61] und der Mathematikdidaktik [Eng71], [Kae06]und [Kae09]). Zunächst einmal gibt es keinen Grund, hierbei den Computer einzusetzen. Vielebemerkenswerte Phänomene können und sollten an einem „realen“, aus Holz, Metall oder Pappegefertigten Stangenviereck erkundet werden. Das Experimentieren mit dem Realmodell hat denVorteil haptischer und räumlicher Wahrnehmung eines Stangenvierecks und seiner möglichenBewegungen. Änderung der Längen der Seiten und das Verständnis von Zusammenhängen, dienur bei bestimmten Konstellationen der Längen auftreten können, setzen einen gewissen Vorratan Seitenlängen und die Möglichkeit der variablen Verschraubung voraus, z.B. wie bei Märklinbzw. Meccano Baukästen, wie sie früher populär waren. Experimentiert man mit verschiedenenLängen, so kann man z.B. feststellen, dass es so genannte durchschlagende Stangenvierecke gibt– das sind Stangenvierecke, bei denen man alle Stangen auf eine Linie bringen kann. Wenn nichteine der Stangen so lang ist, wie die drei restlichen zusammen, dann gibt es von dieser Positionaus vier unterschiedliche Richtungen, in die man das Stangenviereck bewegen kann, usw. Unddarüber hinaus gibt es Stangenvierecke mit Positionen, die nicht durch eine Bewegung des Stan-genvierecks in der Ebene ineinander überführbar sind. Schon hier werden spannende Fragenaufgeworfen.Doch haben diese mechanischen Modelle ihre Begrenzungen. Es ist immer nur möglich, ei-

nige wenige Varianten von Stangenvierecken zu untersuchen. Manche Überkreuzbewegungenscheitern an überstehenden Stangen oder an der Frage, ob eine Stange von oben oder von untenmit ihrer Nachbarstange zusammengeschraubt wurde.Dies ist der Zeitpunkt, GeoGebra zur Fortsetzung der experimentellen Untersuchungen von

Stangenvierecken zu nutzen. Dies kann durch die Vorgabe eines Applets oder durch die eigen-ständige, dynamische Konstruktion eines Stangenvierecks durch den Schüler erfolgen. Die selb-ständige Konstruktion eines Stangenvierecks mit den positiven Längen a, b, c und d erfordertein Übersetzen der Zusammenhänge des Realmodells in geometrische Zusammenhänge und ge-schieht schrittweise: Man zeichnet in GeoGebra eine Strecke der Länge a, den so genanntenSteg, und zwei Kreise mit Radien d und b, deren Mittelpunkte auf den Endpunkten A und Bder Strecke mit Länge a liegen. Auf den Kreis mit Radius d setzt man einen beweglichen PunktD, um den man einen dritten Kreis mit Radius c schlägt, den man dann mit dem freien Kreisschneidet. Einer der hier entstandenen Schnittpunkte formt mit dem beweglichen Punkt auf demKreis und den beiden Endpunkten der Strecke ein Stangenviereck mit den Längen a, b, c und d.Zieht man nun an dem Punkt D, dann bewegt sich das Stangenviereck. Zieht man jedoch zu

weit, dann verschwindet die Stange der Länge c, die so genannte Koppelstange, da eine solchePosition des Stangenvierecks nicht mehr möglich ist. Die GeoGebra Konstruktion verhält sichalso ganz anders als das mechanische Stangenviereck, das man ja nicht auseinanderziehen kann.Die Frage, wie man diese mechanische Situation stabil auch in GeoGebra herstellen kann,

führt zu einem tieferen Verständnis von Stangenvierecken – zumindest, wenn man eine der geo-metrischen Situation angepasste natürliche Konstruktion sucht. Dazu muss man sich allgemeinGedanken darüber machen, welche Positionen ein Stangenviereck einzunehmen in der Lage ist.

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1.1 Mathematische Perspektiven auf Stangenvierecke 3

Abbildung 1.1: Kurbelmechanismus für ein Stangenviereck: der Punkt C dreht sich auf dem angegebenenKreis und so erhalten wir alle möglichen Diagonalen des Stangenvierecks auf jeweils zwei Weisen. Stehtdie Länge dieser Diagonalen und der Winkel zwischen den Stangen c und d fest, gibt es im allgemeinenimmer noch zwei Möglichkeiten für das Stangenviereck.

Man kann dann etwa einen Kurbelmechanismus wie in Abb. 1.1 betrachten und erhält eine et-was stabilere Situation. Schon hier stellt sich heraus, dass die Diagonalen eines Stangenviereckseine wichtige Rolle spielen. Will man die Konstruktion ganz stabil machen, dann müssen ver-schiedene Fälle unterschieden werden. Tut man dies, so stellt man fest, dass es im Wesentlichenzwei Klassen von Stangenvierecken gibt: Klasse I besteht aus denjenigen Stangenvierecken,bei denen die kürzeste Stange eine ganze Drehung gegenüber allen anderen Stangen vollfüh-ren kann. Klasse II sind die Stangenvierecke, in denen sich keine der Stangen bezüglich eineranderen ganz herum dreht. Auf dem Übergang zwischen den beiden Typen befinden sich diedurchschlagenden Stangenvierecke.Wenn man einen ersten Zugang zu dem Stangenviereck gefunden hat, werden die mathema-

tischen Fragestellungen, die man an das Stangenviereck stellt, komplexer und weniger offen-sichtlich. Ein GeoGebra-Applet erweist sich mehr und mehr als hilfreiches Werkzeug, das dieFortsetzung der Untersuchungen erleichtert und fördert. Durch Hinzufügen bestimmter Streckenund Winkel kann leicht auf ganz spezielle Blickwinkel fokussiert werden, durch Variation derLängen der Viereckseiten lassen sich „beliebige“ Stangenvierecke und Spezialfälle problemloserkunden, und bewegte Punkte lassen sich dadurch gut nachverfolgen, dass man sich ihre Spuroder auch gleich die Ortskurve, auf der sie sich bewegen, anzeigen lässt. Auf diese Weise ent-stehen Vermutungen, und GeoGebra erweist sich als ausgezeichnetes heuristisches Werkzeug.Eine erschöpfende Untersuchung aller möglichen Merkwürdigkeiten von Stangenvierecken

würde den Rahmen dieses Buches bei Weitem sprengen. Aus diesem Grund soll die Aufmerk-samkeit auf die Diagonalen des Stangenvierecks und deren Schnittpunkt gelenkt werden, undmit Hilfe von GeoGebra können wir den Winkel zwischen den Diagonalen und die Ortslinie desSchnittpunkts der Diagonalen betrachten. Zunächst betrachten wir die einfachste Variante einesStangenvierecks: eine Raute.

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4 1 Zu einem tieferen Mathematikverständnis

Abbildung 1.2: Die Spur des Diagonalenschnittpunkts sieht wie eine kreisförmige Linie aus. Stünden dieDiagonalen nicht immer senkrecht aufeinander, wäre eine solche Teleskop-Arbeitsbühne gefährlich.

Wenn man sich von GeoGebra die Ortslinien des Diagonalenschnittpunktes anzeigen lässt,dann sagt uns unsere Intuition, dass es sich dabei um einen Kreis handeln müsste. Was im erstenMoment erstaunen mag, leuchtet sofort ein, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in einer Rautedie Diagonalen stets orthogonal zueinander verlaufen, und dass ihr Schnittpunkt daher auf demThaleskreis liegen muss. Auch bei einer Teleskop-Hebebühne, wie in Abb. 1.2 sieht man, dassdie Diagonalen immer senkrecht zueinander stehen. Dieser bekannte Kontext festigt unserenEindruck von der Orthogonalität der Diagonalen in einem rautenförmigen Stangenviereck.Sehen wir uns nun Drachenvierecke an:

Abbildung 1.3: Hier ist der Kopf schneller als das Applet.

Lässt man sich von GeoGebra die Ortslinie anzeigen, dann wird diese als Teil eines Halbkrei-ses angezeigt. Schon das Bild eines Drachenvierecks mit seinen Diagonalen und der entspre-chenden Symmetrie lässt uns annehmen, dass die Diagonalen rechtwinklig aufeinander stehen.Schauen wir genauer hin, dann bemerken wir, dass eine der beiden Diagonalen des Drachen-

vierecks auf der Mittelsenkrechten der anderen Diagonalen liegt. Auch dies bestätigt unsere

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1.1 Mathematische Perspektiven auf Stangenvierecke 5

Intuition, dass es sich hier wohl um eine korrekte Aussage zu handeln scheint.Im nächsten Schritt wollen wir uns an beliebige Vierecke wagen. Die Ortslinie gibt uns einige

Rätsel auf. Es ist aber deutlich zu sehen, dass es sich nicht um einen Kreis handelt.

Abbildung 1.4: Eine merkwürdige Ortslinie

Direkt verallgemeinerbar ist die obige Einsicht also offenbar nicht. Der Umstand, dass beider Raute und beim Drachenviereck der Winkel zwischen den Diagonalen erhalten bleibt, imbeliebigen Viereck aber nicht, führt zu der Frage, unter welchen Bedingungen der Diagonalen-winkel eines Stangenvierecks konstant bleibt. Da diese Frage normalerweise für Schüler nichtdurch bloßes Nachdenken zu beantworten ist, bietet sich ein GeoGebra-Experiment an. In demExperiment soll für verschiedene Stangenvierecke untersucht werden, in welchem Maß sich derDiagonalenwinkel verändert, wenn man die Position der Seiten variiert.

Abbildung 1.5: Links ändert sich der Winkel stark, rechts bleibt er nahezu konstant.

Die Schüler werden feststellen, dass es für „allgemeine Vierecke“ fast unmöglich ist, denWinkel so einzustellen, dass der Diagonalenwinkel konstant bleibt. Man findet aber Vierecke,

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6 1 Zu einem tieferen Mathematikverständnis

bei denen sich dieser Winkel nur leicht verändert. Ein mögliches Schülerergebnis kann so aus-sehen:

Beobachtung:Je näher der Diagonalenwinkel an 90o liegt, desto weniger verändert er sich.

Bei diesem Schülerergebnis handelt es sich um alles andere als eine mathematische Gewiss-heit, aber es legt folgende Vermutung (nicht die Gewissheit) nahe:Wenn in einem Stangenviereck der Winkel, unter dem sich die Diagonalen schneiden, in einer

bestimmten Position 90◦ beträgt, dann beträgt er in jeder Position 90◦.

Abbildung 1.6: Einmal orthogonal, immer orthogonal?

Dies kann man auf sehr unterschiedliche Weisen zeigen. Zunächst haben wir bei der Kon-struktion eines stabileren Applets für ein Stangenviereck schon gesehen, dass es hilfreich ist,wenn wir zunächst eine der Diagonalen kennen und daraus dann das gesamte Stangenviereckkonstruieren. Hierauf baut ein für Schüler einfach verständlicher Beweis3 auf, der lediglich denSatz des Pythagoras benutzt. Wenn sich die Diagonalen senkrecht schneiden, werden vier recht-winklige Dreieck sichtbar, so dass man aus dem pythagoräischen Lehrsatz vier Gleichungenerhält. Mit den Bezeichnungen aus Abbildung 1.6 gilt offensichtlich:

(1) e21+ f 21 = b2 (2) f 21 +g21 = c2 (3) g21+h21 = d2 und (4) h21+ e21 = a2.

Es soll nun nachgewiesen werden, dass sich die Diagonalen desselben Stangenvierecks in ei-ner beliebigen anderen Position ebenfalls orthogonal schneiden. Hierfür kann man zunächst dieStangen b und c unsichtbar machen und die Lage der Stange d verändern.4 Eine der beiden Dia-gonalen ist dann schon festgelegt. Nun kann die Stange c so eingefügt werden, dass die StreckeAC orthogonal zu BD ist. Wenn die Länge von BC mit der Länge der Stange b übereinstimmt,ist der Beweis geführt.Es ist leicht zu sehen, dass mit den Bezeichnungen aus 1.7 (5) d2 = g22+h22, und erneut hilft

der Satz des Pythagoras:

3Diesen Beweis haben wir von Stephan Berendonk gelernt.4Wegen der besseren Lesbarkeit geben wir den Seiten bzw. Stangen und deren Längen denselben Namen.

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1.1 Mathematische Perspektiven auf Stangenvierecke 7

Abbildung 1.7: Einmal orthogonal, immer orthogonal!

e22+ f 22 = (a2−h22)+(c2−g22)(2),(4)= (h21+ e21−h22)+( f 21 +g21−g22)

= g21+h21−h22−g22+ e21+ f 21(3)= d2−h22−g22+ e21+ f 21

(5)= g22+h22−h22−g22+ e21+ f 21

(5)= e21+ f 21

(1)= b2.

Sobald die Idee zu diesem Beweis da ist, geht es darum, die Manipulation an den Formeln aufdie richtige Weise durchzuführen. Die Überzeugung von der Richtigkeit dieses Sachverhaltesberuht auf der Manipulation.Die Symmetrie im Fall der Drachenvierecke eröffnet uns Zugänge zum Studium allgemeine-

rer Stangenvierecke, die zu einer orthogonalen Position der Diagonalen verformbar sind. Ver-gegenwärtigen wir uns zunächst, dass jede Position eines gegebenen Stangenvierecks eindeutigfestgelegt ist durch die Längen der Diagonalen. Dabei legt eine Diagonalenlänge die Positionschon so fest, dass für die andere Diagonale nur höchstens noch zwei Möglichkeiten bleiben.Wählen wir eine der beiden Diagonalen und falten wir nun das Stangenviereck entlang dieserDiagonalen im Raum auf, dann können wir den Abstand zwischen den beiden Eckpunkten, dienicht auf der Falz liegen, verändern. Im zweiten Schritt falten wir dann das Stangenviereck ent-lang der anderen Diagonalen, so dass es wieder plan wird. Während des gesamten Prozessesbleiben die Diagonalen (oder besser, deren mögliche Richtungsvektoren) senkrecht zueinander.Diese Idee5 ist schön einfach und macht deutlich, dass der Winkel zwischen den Diagonalenwohl immer ein rechter bleibt. Sie liefert ein Argument für diesen Sachverhalt, das uns ein-leuchtet, wenn auch zunächst die Frage offen bleibt: Kann ich je zwei mögliche Positioneneines Stangenvierecks auf diese Weise ineinander überführen?Versucht man den Beweis dieser Beobachtung mit Hilfe der Vektorrechnung zu führen, dann

ergibt sich nach umfangreichen Rechnungen ein viel allgemeinerer Sachverhalt, der wohl nurschwerlich noch mit GeoGebra zu entdecken ist: Fassen wir die Diagonalen als Vektoren auf

5Diese Idee verdanken wir Leon van den Broek.

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8 1 Zu einem tieferen Mathematikverständnis

(wobei wir sie orientieren müssen), dann nimmt das Skalarprodukt dieser beiden Vektoren injeder Position des Stangenvierecks denselben Wert an. Insbesondere wenn es für eine Positionverschwindet, dann ist es in jeder Position gleich Null.Dazu notieren wir die vier Vektoren als v1, v2, v3 und v4 so, dass man das Viereck in dieser

Reihenfolge durchlaufen kann:v1+ v2+ v3+ v4 = 0. (1.1)

Wir möchten nun beweisen, dass

< v1+ v2, v3+ v2 >=< v1, v3 > + < v1, v2 > + < v2, v3 > +|v2|2

konstant ist und tun dies, indem wir bemerken, dass aus (1.1) folgt:

|v4|2 = |v1|2+ |v2|2+ |v3|2+2 · (< v1, v2 > + < v1, v3 > + < v2, v3 >) .

Neben dem Spezialfall für orthogonale Diagonalen sehen wir also auch, dass wenn die Dia-gonalen eines Stangenvierecks in einem spitzen / stumpfen Winkel zueinander stehen, dies injeder möglichen Position des Stangenvierecks der Fall ist.Das heißt, wir können den Sachverhalt, dass das Skalarprodukt der Diagonalen erhalten bleibt,

innerhalb einer Theorie mit den in der Theorie geltenden Grundannahmen – wie etwa in demeuklidischen Vektorraum

(R2,<, >

)– durch die Regeln der Logik zu einem Beweis führen.

Das Skalarprodukt der Diagonalen ist eine Invariante des Stangenvierecks, die dazu beitragenkann, Stangenvierecke zu klassifizieren. Natürlich kann man sich auch fragen, ob eine ähnlicheAussage auch in anderen Theorien, wie etwa in höherdimensionalen euklidischen oder sogarHilberträumen noch sinnvoll formulierbar ist und gegebenenfalls noch gilt (was wir analog zumobigen Beweis sogar bestätigen können).

1.2 Von Beispielen lernen

Das Studium der Stangenvierecke erlaubt uns also viele verschiedene Perspektiven auf die da-zugehörige Mathematik, die alle ihren eigenen Reiz und ihre Bedeutung haben. Viele dieserverschiedenen mathematischen Perspektiven können durch GeoGebra unterstützt werden.Bei der Entdeckung der Strukturen eines Stangenvierecks hat uns GeoGebra entscheidend

weitergeholfen. Es hat zunächst unsere Experimentiermöglichkeiten erweitert, nachdem wir dieGrenzen der Experimente bei den mechanischen Stangenvierecken erfahren haben. Gleichzeitighaben sich durch den Einsatz von GeoGebra neue mathematische Fragen gestellt, wie etwa dieFrage nach einer robusten Konstruktion, d.h. einer Konstruktion, die nicht im Zugmodus zerfällt,wenn man eine Stange zu weit dreht. Dadurch wurde unsere Aufmerksamkeit natürlicherwei-se auf die Rolle der Diagonalen gelenkt. Gerade diese Erfahrung, dass wir ein Stangenvierecküber seine Diagonalen konstruieren können, lag dann schließlich dem ersten unserer Beweiseder Tatsache zugrunde, dass wenn einmal die Diagonalen senkrecht aufeinander stehen, sie diesin jeder Position tun. In diesem Beweis haben wir zunächst eine Diagonale des Stangenvier-ecks konstruiert und dann darauf eine Senkrechte errichtet, von der wir dann mit dem Satz desPythagoras zeigen konnten, dass es sich um die andere Diagonale handelt. Hier sehen wir, wieGeoGebra als Katalysator für tieferes Verständnis wirken und zur mathematischen Entwicklungdes Lernenden beitragen kann. Wir haben gesehen, wie die Untersuchung von Stangenvierecken

Page 17: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

1.2 Von Beispielen lernen 9

mit GeoGebra uns zu höheren Einsichten bringt, für die wir dann schließlich dieses Werkzeugauch nicht mehr benötigen und den Computer wieder ausschalten können.Ein derartiger Lernprozess hängt natürlich stark von der Vorgeschichte des Lernenden, von

der individuellen Motivation etc. ab. Unser vorrangiges Ziel ist zunächst die Entfaltung einergrößeren Vielfalt von Perspektiven auf einen mathematischen Sachverhalt, die mal tief und malschlicht und deren Erwerb mal einfach, mal spielerisch und mal mühsam sein kann. Dabei stelltsich die Frage, wie Vielfalt und Tiefe im mathematischen Können und Verstehen formuliert undwahrgenommen werden können. Die mathematische Qualität des jeweiligen Handelns, des Ver-ständnisses und der Intuition muss angemessen beschreiben werden. In diesem Buch versuchenwir viele Beispiele dafür zu geben, wie Mathematik aus unterschiedlichen und ungewohntenPersektiven betrachtet und tiefer verstanden werden kann. Für den interessierten Leser sei in die-sem Zusammenhang auf das Begriffssystem der mathematischen Bewusstheit6 verwiesen (siehe[KK11]).Selbstverständlich kann ein Buch von begrenztem Umfang nicht flächendeckend für den ge-

samten Schulstoff Einsatzmöglichkeiten von GeoGebra aufzeigen. Die in diesem Buch vorge-stellten Beispiele sollen aber zur Erreichung dieses ambitionierten Anspruchs, mit GeoGebramehr Mathematik zu verstehen, beitragen.Dies kann bedeuten, dass bekannte und bewährte Unterrichtsinhalte neu betrachtet werden,

es kann aber auch bedeuten, dass neue oder auch vergessene mathematische Inhalte Ausgangs-punkt der Untersuchungen sind. Dahinter steht die Intention, die althergebrachte Auswahl derUnterrichtsinhalte kritisch zu überprüfen und darüber nachzudenken, ob angesichts der neuenMöglichkeiten von mathematischer Software wie GeoGebra nicht auch mathematische Begriffeund Zusammenhänge für den Unterricht geeignet sind, die momentan nicht zu den Standardthe-men des Mathematikunterrichts gehören.In diesem Buch werden Wege gesucht, die angesprochenen neuen Möglichkeiten an ausge-

wählten Beispielen vorzustellen. Im Zentrum jedes der Kapitel steht daher ein Beispiel für einennachvollziehbar sinnvollen Einsatz von GeoGebra. Mit Einsatz ist dabei nicht nur ein Applet,sondern auch der Rahmen und die Art und Weise dieses Einsatzes gemeint. Es wird ein wirkli-ches unterrichtliches Problem aufgeworfen, wie es sich den Lehrerinnen und Lehrern stellt oderstellen könnte. Dabei kommt GeoGebra mit seinen reichhaltigen Möglichkeiten zum Einsatz.Die Applets allein werden in der Regel noch nicht die Reflexion über den mathematischen Ge-genstand des Applets gewährleisten. Wir fragen uns jeweils, wodurch diese Reflexion erreichtwird (Aufgabenstellung, Hinweise, Phänomene...).In dem Kapitel Erziehen mit GeoGebra erläutert Wolfgang Riemer, wie GeoGebra helfen

kann, den Sinn exakter Konstruktionen und des Gebrauchs der Fachsprache für Schülerinnenund Schüler transparent zu machen. Dabei werden mit Hilfe von GeoGebra wieder alte Tugen-den, wie das saubere Zeichnen, gefördert und in den Fokus des Mathematikunterrichts gestellt.Im Kapitel Umfängliches und Diametrales geht es um den Einsatz dynamischer Geometrie

beimAufstellen von Vermutungen und Lösen geometrischer Probleme. YsetteWeiss-Pidstrygachuntersucht an ausgewählten Beispielen die im Werkzeug GeoGebra implementierten Möglich-keiten der Variation geometrischer Objekte, Positionen und Methoden und damit verbundeneProblemlösestrategien. Unter anderem interessiert sie die Frage, inwieweit beim Einsatz vonGeoGebra entwickelte Problemlösemethoden wie Variation und Perspektivwechsel in andereKontexte und auf den Gebrauch anderer Werkzeuge übertragbar sind.

6Das englische mathematical awareness wurde in [KK11] mit mathematisches Bewusstsein übersetzt.

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10 1 Zu einem tieferen Mathematikverständnis

Auf Entdeckungsreise zu den Nullstellen quadratischer Funktionen geht es dann im Artikelvon Reinhard Schmidt, der mit Lills Methode auf einen weitgehend unbekannten Zugang zurLösung polynomialer Gleichungen hinweist und schon im Fall quadratischer Gleichungen inter-essante Schlüsse für den Unterricht daraus zieht.Stellt man bei GeoGebra ein allgemeines Polynom eines bestimmten Grades ein, so kann

man für jeden der Koeffizienten einen Schieberegler verwenden. Falls wir nun die Position derSchieberegler willkürlich wählen, was ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass die entsprechendeGleichung etwa zwei Nullstellen hat? Solchen Fragen geht Oliver Labs in seinem Kapitel nachund zeigt uns dabei u.a. ansprechende Visualisierungen von Diskriminante und Nullstellen vonPolynomen.Eine kluge und in der Umsetzung sehr praktikable Möglichkeit, durch Experiment und Simu-

lation in die beurteilende Statistik einzuführen, bietet das Kapitel Bleistiftrollen - BeurteilendeStatistik im Federmäppchen von Wolfgang Riemer und Günter Seebach. Der Einsatz von Geo-Gebra vermag die stochastischen Überlegungen ausgezeichnet zu veranschaulichen.Günter Seebach untersucht in seinem Kapitel Ableitungsregeln mit GeoGebra selbst entde-

cken - nicht nur für Polynome den Einfluss der Koeffizienten eines Polynoms auf dessen lokalesVerhalten um den Nullpunkt, um dann daraus spannende Folgerungen zur Differentialrechnungzunächst bei Polynomen und dann bei beliebigen differenzierbaren Funktionen abzuleiten.Auch Die Eulersche Zahl offenbart mehr von ihren Geheimnissen durch geeigneten Einsatz

von Programmen wie GeoGebra, wie uns Maria Nelles eindrucksvoll in ihrem Artikel vormacht.Das Studium der Iteration einer Funktion scheint schon immer auf Software gewartet zu ha-

ben, die Algebra und Geometrie miteinander in Beziehung setzt. Hier können imposante Ver-anschaulichungen betrachtet und spannende Experimente durchgeführt werden. Virtuos setztHorst Bennemann GeoGebra ein, um das Ausmaß des Chaos in einem Iterationsprozess miteiner einzigen Zahl zu messen.

Funktionen kann man nicht sehen findet Rainer Kaenders und überzeugt uns von dieser Be-hauptung, indem er alternative Bilder bekannter Funktionen durch Nomogramme und Höhen-linien zeigt, die neben der Darstellung mit Hilfe eines Graphen im kartesischen Koordinaten-system verwendet werden können und die Aufmerksamkeit auf ganz andere Eigenschaften undAspekte von Funktionen lenken, die bei klassischen Darstellungsformen zu kurz kommen.Alle Kapitel sollen dazu beitragen, durch Reflexion zu einem tieferen Verständnis von Mathe-

matik beizutragen. Reflektieren heißt einen Standpunkt einnehmen und aus dieser Position dasGeschehen beobachten. Was führt dazu, dass Schüler beginnen zu reflektieren? Zum Beispielkönnen scheinbare Widersprüche (ein kognitiver Konflikt oder eine kognitive Dissonanz) ange-sprochen werden oder alte Fragen in neue Kontexte gesetzt werden. Welcher explizite Stand-punkt wird eingenommen, welche Rolle spielt GeoGebra? Bietet sich ein Perspektivwechsel an,d.h. unter welchen anderen Perspektiven (mit oder ohne GeoGebra) könnte das Problem be-trachtet werden?

Selbstverständlich sind die Experimente, Visualisierungen und Entdeckungen, die durch dieGeoGebra-Applets ermöglicht werden, von zentraler Bedeutung für die Gedankengänge der ein-zelnen Kapitel, und der Leser ist herzlich eingeladen, selbst mit den Applets zu experimentieren.Alle in diesem Buch angesprochenen Applets können auf der Internetseite des GeoGebra-

Instituts KölnBonn betrachtet, erprobt und heruntergeladen werden:

http://www.geogebra-institut.de/buch/download

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Literatur 11

Literatur

[BM56] BLASCHKE, W., MÜLLER, H. R. (1956). Ebene Kinematik. Verlag von R. Olden-bourg, München.

[Eng71] ENGEL, A. (1971). Geometrical Activities for the Upper Elementary School. Educa-tional Studies in Mathematics 3, 353-394.

[Hal61] HALL, A. S. (1961). Kinematics an Linkage Design, Prentice-Hall, Inc., EnglewoodCliffs, N.J..

[Hoh11] HOHENWARTER, M.: Kostenlose Mathematik-Software für Schule, Uni und daheim,Universität Linz, 2011http://www.GeoGebra.org

[Kae06] KAENDERS, R. H. (2006). Kräne und Lemniskaten, Beiträge zum Mathematikunter-richt, GDM Tagung, Osnabrück.

[Kae09] KAENDERS, R. H. (2009). Begeisterung für Mathematik. Nieuw Archief voor Wis-kunde, 5de serie, deel 9, nr.3., 180 - 188.

[KK11] KAENDERS, R. H. & KVASZ, L. (2011).Mathematisches Bewusstsein. In: Helmerich,M., Lengnink, K., Nickel, G., Rathgeb, M. (Hrsg.) Mathematik verstehen - philosophi-sche und didaktische Perspektiven, Vieweg.

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2 Erziehen im Mathematikunterricht

Mit GeoGebra zu den klassischen Tugenden der Elementargeometrie: Konstruieren statt

„Fummeln“ – exakt beschreiben – sauber zeichnen

Wolfgang Riemer

Warum betreiben wir Geometrie? Noch bevor es ab Klasse 8 um Aspekte des Beweisens geht,spielt in den Klassen 6 und 7 die Entwicklung einer positiven Einstellung zu planvollem Vorge-hen beim Konstruieren von Zeichnungen eine zentrale Rolle. Dazu kommt bei der Anfertigungvon Konstruktionsbeschreibungen die Förderung der Fachsprache und eine bewusste (!) Abgren-zung von der Umgangssprache. Trotz einer gehörigen Portion Enthusiasmus waren wir mit denErgebnissen unserer klassischen Bemühungen oft nicht zufrieden – und begannen mit GeoGebrazu experimentieren. . .

2.1 Probieren versus Konstruieren

Beispiel 2.1

Die 6a hat gerade gelernt, mit Schnur oder Zirkel Kreise zu zeichnen und weiß, dass „ein Kreis mit Radius3 cm“ aus allen Punkten besteht, die vom Mittelpunkt M genau 3 cm entfernt sind.Nun sollen die Kinder einen Punkt zeichnen („konstruieren“), der von A(1;3) genau 7 cm und von

B(4;1) genau 5 cm entfernt ist.Mustafa kommt ans Pult. Mit spitzem Bleistift gezeichnet, bietet er Ihnen voller Stolz in seinem Heft

einen solchen PunkteC an. Sie messen nach, es stimmt. Haargenau! Nur leider sind in Mustafas Heft wederZirkelspuren zu finden noch ein Einstich einer Zirkelspitze. Er hat „gefummelt“ „probiert“, nicht „konstru-iert“. Sie haben „schlechte Karten“, wenn Sie Mustafa davon überzeugen wollen, dass sein höchst präzisesZeichenprodukt Ihrem Erwartungshorizont „konstruieren“ nicht entspricht. Aber woher soll Mustafa wis-sen, was Sie unter konstruieren verstehen? Hätten Sie die Verwendung des Zirkels in der Aufgabenstellungfordern müssen? Aber dann wäre ja schon alles verraten gewesen, Mustafa sollte selber auf die Verwen-dung des Zirkels kommen, kam er aber nicht, bei ihm ging es „durch Fummeln“ auch so!

Der Mathematikdidaktiker Van Hiele hat eine Stufentheorie für die Sprache in der Geometrieentwickelt (siehe [Hie86]). Aus Sicht dieser Van Hiele’schen Theorie sind für dieses „Kom-munikationsproblem“ zwischen Mustafa und Ihnen verschiedene Stufen der Entwicklung geo-metrischer Begriffe verantwortlich. Mustafa argumentiert auf der visuell-intuitiven Stufe 0 desanschauungsgebundenen Denkens, die in der Begriffsentwicklung nicht übersprungen werdenkann: Er denkt an seine konkrete Figur in seinem Heft, die er mit seinem Stift gezeichnet hat.Sie argumentieren auf der beschreibenden Stufe 1 oder gar auf der informell-deduktiven Stufe2. Aber anstelle eines Vortrages über das Konstruktionen lassen Sie Mustafa und die anderenSchüler der 6a ihre Zeichnungen mit GeoGebra ausführen (Abb. 2.1a).Wieder präsentiert Mustafa seine Lösung voller Stolz. . . aber statt selber nachzumessen, er-

höhen Sie die Anzahl der Nachkommastellen (Abb. 2.1b) und Mustafa hat mit seiner „Probier-lösung“ keine Chance mehr. Das „Fummeln“ wird zu einem Stunden füllenden Programm, und

R. Kaenders, R. Schmidt (Hrsg.), Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen, DOI 10.1007/978-3-8348-8340-7_2,© Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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14 2 Erziehen im Mathematikunterricht

(a) Einstellung auf eine Nachkommastelle (b) Einstellung auf zwei Nachkommastellen

Abbildung 2.1: Gesucht wird ein Punkt C, der von A 7 cm und von B 5 cm entfernt ist.

immer, wenn man es mit der Maus geschafft hat, den Abstand d(A,C) auf 7,000 einzustellen,verrutscht der Abstand d(B,C) auf einen Wert, der von 3,000 verschieden ist. Erst die Verwen-dung zweier Kreise (Abb. 2.2) führt zum Erfolg.Für Schüler ist das Argument, dass man durch „Probieren“ nur ungenaue Zeichnungen erhält,

überzeugender als die Tatsache, dass „saubere Konstruktionen“ Ergebnisse liefern, die gegen-über dem Ziehen an den Ausgangspunkten invariant sind. „Ziehen an den Ausgangspunkten istunfair, weil die Ausgangspunkte auf dem Papier ja auch fest sind“.

Beispiel 2.2

Wenn man nach der Entdeckung des gleichseitigen Dreiecks mit seinen 60o-Winkeln im Sinne einer of-fenen Aufgabenstellung die Zeichnung eines regelmäßigen Sechsecks „in Auftrag“ gibt (. . . und als Leh-rer dabei insgeheim auf die Zirkelkonstruktion 2.3c hofft. . . ), sind immer auch „Fummelkonstruktionen“(Abb. 2.3a und b) dabei.

Abbildung 2.2: Eine Konstruktion erfüllt auch bei vier Nachkommastellen die geforderten Vorgaben.

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2.2 Konstruktionen beschreiben 15

(a) Ein regelmäßiges Sechseck (b) . . . wird durch Erhöhen der Nach-kommastellen als „Fummelprodukt“entlavt.

(c) Zirkelkonstruktion, die – wennman sie auf dem Papier ausführt– nach einer Begründung dafür„schreit“ dass man nach 5 Schrit-ten genau beim ersten Punkt landenmuss.

Abbildung 2.3: Zur Konstruktion von Sechsecken

2.2 Konstruktionen beschreiben

Neben der aus der Perspektive eins Schülers „beliebig hohen Genauigkeit“ ist es das währenddes Zeichnens erstellte Konstruktionsprotokoll, das GeoGebra didaktisch auszeichnet. DurchAnalyse des Protokolls lernt man, ausgeführte Konstruktionsschritte formal „sauber“ zu be-schreiben, also Umgangs- und Fachsprache voneinander abzugrenzen und Fachsprache bewussteinzusetzen.

Wer solche Konstruktionen schon einmal unterrichtet und Klassenarbeiten korrigiert hat, weiß

• mit welchem Widerwillen Schüler durchgeführte Konstruktionen beschreiben und

• welche „Welten“ zwischen Schülerprodukten und fachsprachlich akzeptablen Lösungenliegen.

Was gemeint ist, soll am Beispiel einer einfachen Dreieckskonstruktion erläutert werden:

Beispiel 2.3

Dreieckskonstruktion SSWk (zwei Seiten und der Winkel, der der kürzeren Seite gegenüberliegt.)

• Konstruiere ein Dreieck ABC mit α = 25◦, a = 2,5 cm, c = 5 cm

• Fertige eine Planskizze an.

• Beschreibe die Konstruktion

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16 2 Erziehen im Mathematikunterricht

Abbildung 2.4: Planskizze

Sandras Konstruktionsbeschreibung Musterlösung

(Umgangssprache) (Fachsprache)Ich ziehe einen 6 cm langen Strich. Amrechten Ende (B) steche ich den Zirkelin das Blatt und stelle ihn auf 3,5 cmein. Jetzt zirkle ich einen Halbkreis nachoben. Dieser Halbkreis schneidet denWinkel, den ich vorher am linken Endeder Strecke mit dem Geodreieck einge-zeichnet habe, in zwei Punkten. Jetzt ver-binde ich die erhaltenen Punkte mitein-ander und sehe, dass es zwei Dreieckegibt, die die SSWk-Konstruktion erfül-len.

1. Zeichen eine Strecke c = [A;B] der Länge6 cm.

2. Zeichne einen beliebigen Punkt B′ so, dassder Winkel α = ∠(B;A;B′) die Größe 25◦hat.

3. Bezeichne den Strahl [A;B′) mit b.

4. Zeichne um B einen Kreis k mit Radius3,5 cm.

5. k und b haben zwei Schnittpunkte, die mitC1 undC2 bezeichnet werden.

6. Die Dreiecke ABC1 und ABC2 sind die ge-wünschten Dreiecke.

Abbildung 2.5: Konstrukion mit Protokoll in GeoGebra

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2.3 Erziehen zu sauberem Zeichnen 17

Der unterrichtspraktische Nutzen automatisch erzeugter Konstruktionsprotokolle lässt sichwie folgt umreißen:

1. Konstruktionsprotokolle sind kurz und normiert: Der Befehlsvorrat ist klar abgegrenzt,übersichtlich und leicht sachgerecht einzusetzen.

2. Formulierungen hängen nicht von stilistischen Präferenzen ab. (Statt an die Strecke [A;B]im Punkt A einenWinkel α mit „freiem Schenkel b“ anzutragen, dreht man B um A. . . etc.)

3. Probierschritte in Konstruktionen (vgl. Abschnitt 2.1) werden als solche entlarvt, denn siehinterlassen in der Protokoll-Spalte „Befehl“ keine Spuren.

4. Man erlernt das Beschreiben von Konstruktionen „handlungsorientiert“ durch das Kon-struieren und Nachschauen im Protokoll. Eigene Beschreibungen lassen sich selbsttätigkontrollieren. Das ist eine sehr praktikable und effektive Ergänzung zur Korrektur vonProtokollbeschreibungen in Plenum, in Partnerarbeit oder durch den Lehrer im Heft.

5. Die präzise Beschreibung von Winkeln durch drei Punkte (z. B. α = ∠(B;A;B′), „drehe Bum A auf B′“) braucht erfahrungsgemäß viel Übung. Der durch den Einsatz von Geogebraerzielte Trainingseffekt ist wertvoll.

In der Praxis selbst verfasster Konstruktionsbeschreibungen empfiehlt sich – auch in Klassen-arbeiten, in denen man aus guten Gründen nach wie vor mit Papier und Bleistift arbeitet – eineBeschränkung auf die Protokollspalten „Name“ und „Befehl“, wobei die Werte bei Streckenlän-gen und Winkeln ergänzt werden.

2.3 Erziehen zu sauberem Zeichnen

Trotz der weiten Verbreitung von Geometrieprogrammen scheint es bis heute nicht wünschens-wert, auf Bleistift, Zirkel und Lineal zu verzichten. Das lann man aus Sicht der Van-Hiele’schenStufentheorie begründen: Van-Hiele strebe an, möglichst schnell – sogar schon in der Grund-schule – einen hohen Grad an Abstraktion zu erreichen. Dazu muss man gerade die visuell-intuitive und die beschreibende Stufe ernst genommen und durchlebt werden müssen. Auchwenn es paradox erscheinen mag, sind gerade praktische Übungen mit Zeichnen und Beschrei-ben umso wichtiger, je eher man auch abstrakt mit den Kindern arbeiten möchte.Die Entwicklung einer Sensibilität für Exaktheit beim Zeichnen (ebenso wie für eine saubere

Heftführung und eine lesbare Handschrift) gehört daher zu den unverzichtbaren „Erziehungs-zielen“ im Mathematikunterricht. Mathelehrer mit pädagogischem Ethos heften auch im Smart-board-Zeitalter ein Stückchen Schmirgelpapier an die Seitentafel, um für gut geschärfte Zirkel-spitzen (Abb. 2.6b) zu sorgen. In der Tat ist es immer wieder ein Erlebnis zu sehen, wie sich diedrei Mittelsenkrechten eines Dreiecks auf dem Papier in einem kleinen Dreieck schneiden. Dassorgt für viel mehr Aufmerksamkeit (Faszination, Beweisbedürfnis), als wenn sie sich „ganzgenau“ in einem Pixel des Computerbildschirmes schneiden!Aber warum sollte man Zeichenprogramme nicht nutzen, um die Präzision händischen Zeich-

nens zu überprüfen? Wenn man z. B. eine motivierende „Schatzsuche“ als Wettkampfaufgabeformuliert und anschließend dem Computer die Rolle einer Jury zubilligt, sind äußerst moti-vierende Geometrie-Stunden garantiert, in denen mit hoher Präzision händisch um die Wette

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18 2 Erziehen im Mathematikunterricht

(a) Gezeichnet wird mit Bleistift, dessen Spitzeman immer „vom Lineal weg“ führt (links) undnie in das Lineal hineindrückt (rechts).

(b) Zirkelminen schärfen Profis mit Schleifpapier(flach angeschrägt, nicht rund)

Abbildung 2.6: Sauberes Zeichnen

konstruiert wird. Die Schatzsuche aus Abb. 2.7 ist als Anregung gedacht. Hier treten die Schülerals kleine Teams gegeneinander an.

Auf Goldsuche im Wilden WestenVor langer Zeit erbeuteten die Bonitos bei einem Überfall auf eine Postkutsche eine Kiste mit Gold. Nach-dem die Bonitos bei einer Schießerei ums Leben kamen, blieb das Gold verschollen. Man fand aber eineBeschreibung und einen Plan, auf der die Bahnlinie von Sweetwater nach Santacroce sowie die Orte Red-rock und Blackstone verzeichnet sind.

Abbildung 2.7: Schatzkarte – GeoGebra kann im Maßstab 1:1 drucken.

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2.3 Erziehen zu sauberem Zeichnen 19

Ein cm auf der Karte entspricht in der Wirklichkeit einem km (Maßstab 1:100 000). Zur Kontrolle: Redrockund Blackstone sind 3 Kilometer voneinander entfernt.

Wegbeschreibung

• Zwei Kilometer (irgendwo nördlich) von Blackstone und drei Kilometer von Redrock entfernt stehtein Galgen.

• Von diesem Galgen aus sieht man am Horizont die Bahnstationen Sweetwater und Santacroce. Pei-le nun von diesem Galgen aus eine Richtung so an, dass Sweetwater genauso viele Grad links wieSantacroce rechts erscheint. Genau in diese Richtung gehst du 5 Kilometer. Du erreichst die (inzwi-schen verfallene) Ponderosa-Ranch.

• Nun gehst du 10,5 Kilometer genau nach Osten. Dort lag früher einmal die Bärenhütte. Berate dichmit deinem Nachbarn, wenn du nicht mehr weißt, wo Osten liegt.

• Da du vor einem Sumpfgebiet stehst, musst du einen Umweg machen: Gehe 2 Kilometer nachSüden, 3 Kilometer nach Osten, dann 5,4 Kilometer nach Norden. Hier ist die alte Goldmine. Wennsie mehr als 18,3 Kilometer von Sweetwater entfernt ist, findet man hier noch einzelne Nuggets.Hast du eine Chance?

• Nun gehe auf kürzestem Wege auf die Bahnlinie Sweetwater-Santacroce zu. Wenn du ganz genaugezeichnet hast, liegt das Gold unter der Bahnschwelle vergraben. Wie weit ist deine Bahnschwellevon Sweetwater entfernt?

Nach meiner Zeichnung ist die Entfernung zwischen der Bahnschwelle und Sweetwater km.

Das Team, das dem Schatz nach intensivem Denken und genauem Zeichnen am nächsten kommt, erhältdie Schürfrechte. Ihr habt 10 Minuten Zeit. Wer nicht fertig wird, muss schätzen. Los geht’s.

Die Abbildung 2.8 zeigt die Konstruktion der „exakten Lösung“ mit GeoGebra: der Schatzliegt 15,777 km von Sweetwater entfernt.

Abbildung 2.8: Exakte Konstruktion mit GeoGebra.

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20 2 Erziehen im Mathematikunterricht

Und in Abb. 2.9 sieht man die händisch konstruierten Lösungen von 11 sauber zeichnendenMathelehrern. Die Spannweite beträgt 16,03 km − 15,56 km = 0,460 km! Immerhin liegt der„wahre Wert“ in der Box des zugehörigen Plots.

(a) Grafische Darstellung (b) Tabelle

Abbildung 2.9: Untersuchung der Messfehler von 11 Mathelehrern

Es ist unschwer nachzuvollziehen, dass die „statistische Untersuchung“ der Ungenauigkeitenbei Lehrern wie bei Schülern auf noch größeres Interesse stößt als die Konstruktion des exaktenErgebnisses mit GeoGebra, weil sie mit subjektiven Gefühlen und Spannung verbunden ist: „Woliege ich mit meinem Ergebnis im Vergleich zu den anderen?“

2.4 Resümee

Würde man Papier und Bleistift einer Medieneuphorie folgend unreflektiert durch Bildschirmund Maus ersetzen, ginge trotz begeisterter Schülerblicke vieles vom allgemeinbildenden Kernder Schulgeometrie zwischen den Pixeln verloren. Das ist unter Lehrern unbestritten.Wie hier an den drei Beispielen (Zeichenungenauigkeit, Konstruieren und fachsprachliches

Beschreiben) ausgeführt wurde, bietet ein Perspektivwechsel, ein frühes „digitales Nachdenkenüber händisches Tun“ faszinierende Möglichkeiten gedanklicher Vertiefung und bisher nochwenig ausgetretene Pfade zu einer höheren mathematischen Bewusstheit.

Literatur

[Hie86] VAN HIELE, P. M. (1986). Structure and Insight. Orlando, Academic Press.

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3 Umfängliches und Diametrales

Ysette Weiss-Pidstrygach

GeoGebra kann bei verschiedenen mathematischen Tätigkeiten mittels seiner unterschiedlichenFunktionalitäten erfolgreich als Werkzeug genutzt werden. In diesem Kapitel beschäftigen wiruns mit dem Einsatz dynamischer Geometrie.Unter anderem gehen wir der Frage nach, inwieweit dabei entwickelte Herangehensweisen

und Heuristiken in andere Kontexte und auf den Gebrauch anderer Werkzeuge übertragbar sind.

Konstruieren und Lösen geometrischer Probleme mithilfe dynamischer Geometrie unterschei-det sich in vieler Hinsicht vom traditionellen Konstruieren mit Zirkel und Lineal und daraufbasierenden ProblemlösestrategienZugmodus und die Erstellung von Schiebereglern erlauben kontinuierliches Variieren der Po-

sition, der Größe und der Form mathematischer Objekte. Das Zeichnen von Ortskurven undSpuren ermöglicht die gleichzeitige, vergleichende Betrachtung aller Variationen.Unterschiedliche, voneinander nicht unabhängige Werkzeuge bieten oft mehrere Wege der

Erzeugung und Konstruktion geometrischer Objekte (z.B. senkrechte Gerade,Mittelsenkrechte,konstruierte Mittelsenkrechte, Diagonale eines regelmäßigen Vierecks, Parallele zur Koordina-tenachse ...).Auf verschiedene Weise konstruierte Objekte sind durch unterschiedliche Hilfslinien, al-

so auch unterschiedliche Zeichnungen dargestellt. Der dadurch entstehende größere Vorrat anMustern und Visualisierungen von Zusammenhängen ermöglicht verschiedene Lösungsansätze,kann aber auch die Wiedererkennung von Grundkonstruktionen erschweren.Variation als Problemlösemethode setzt ein zumindest intuitives Verständnis der gesuchten

invarianten Zusammenhänge voraus. Dabei kann exploratives Nachmessen sowohl algebraischeStrategien (Aufstellen von Gleichungen, Berechnungen...) als auch konstruktive geometrischeAnsätze unterstützen.In den ersten beiden Abschnitten betrachten wir anhand konkreter geometrischer Probleme

unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades wie Geogebra Variation von Objekten und Methodenund Variation als Problemlösemethode unterstützt. Im dritten Abschnitt werden einige sich inden Lösungsansätzen wiederholende Strategien, wie Rückwärtsarbeiten und Einzeichnen vonHilfslinien systematisiert.Anhand konkreter geometrischer Probleme vergleichen und analysieren wir verschiedene Tä-

tigkeiten mit dem Werkzeug GeoGebra unter folgenden Aspekten:

• Motivation und Möglichkeiten des Perspektivwechsels,

• Entwicklung und Training heuristischer Strategien beim Gebrauch von GeoGebra,

• Unterstützung des Bedürfnisses zumVermuten, zu Fragen und zumVerbalisieren der Neu-gier.

R. Kaenders, R. Schmidt (Hrsg.), Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen, DOI 10.1007/978-3-8348-8340-7_3,© Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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22 3 Umfängliches und Diametrales

Variation und Erhaltungsgrößen

Dynamische Geometrie kann das Aufstellen von Vermutungen unterstützen. In den meistenLehrbüchern findet man hinreichend Beispiele, in denen Schüler aufgefordert sind, eine Kon-struktion nach Anleitung (meist Skizze) auszuführen, Größen bestimmter Objekte nachzumes-sen, die Objekte dynamisch zu verändern, wieder nachzumessen und zu vergleichen. KanonischeArbeitsaufträge sind: Verändere die Position! Vergleiche die Werte! Formuliere Deine Beobach-tungen! Stelle Vermutungen auf!

Beispiel 1

Zeichne eine Strecke AB und einen Kreis, der dieStrecke AB als Durchmesser hat, erzeuge danneinen Punkt C auf diesem Kreis. Lasse den In-nenwinkel γ des Dreiecks messen und bewege denPunktC. Was stellst Du fest? Formuliere eine Ver-mutung und versuche diese zu beweisen.Elemente der Mathematik, Jahrgang 7, S.116,Aufgabe 6

Die Aufforderung des Beweisens der Vermutung beruht nicht wie die ersten Arbeitsauf-träge auf einer klaren, schrittweisen Instruktion, wir untersuchen diese Aufforderung im An-schluss. Bezeichnen wir die hier geforderten Tätigkeiten mit Experimentaufbau, Experiment-durchführung, Datenerfassung, Datenanalyse, Datendarstellung, so wird die Nähe zum natur-wissenschaftlichen Experiment offensichtlich.

Um die Übertragbarkeit der dabei geübten Herangehensweisen und Strategien in andere Kon-texte zu erhöhen, bietet sich die Verbindung mit einem realen Kontext an:

Beispiel 2

Die Schüler bilden auf dem Schulhof einen Kreis(ein Schüler ist der Mittelpunkt, ein anderer oderzwei aneinandergereihte Schüler bilden mit aus-gestreckten Armen den Radius und platzieren dieMitschüler. Einer der Schüler kann sich einenDurchmesserpartner wählen, indem er den Schü-ler wählt, der aus seiner Sicht vom Mittelpunktverdeckt wird.

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23

Um zu verstehen unter welchemWinkel die Schü-ler die beiden Durchmesserpartner sehen, rich-ten sie die Schuhe nach den beiden Enden desDurchmessers aus: Alle anderen Schüler stehen inClownsposition. ([Kram08])

Die Verwendung von dynamischer Geometrie kann nun zur Überprüfung der folgenden imGruppenexperiment gewonnenen Vermutung genutzt werden: Die Schuhe bildeten etwa dengleichen Winkel und dieser scheint ein rechter Winkel zu sein.

Dabei werden

• reale Situationen in die Sprache der Geometrie übertragen, der Aufbau des Experimentsin eine Konstruktion übersetzt,

• die diskrete Messreihe durch die dynamisch erzeugteMessung allerWerte vervollständigt,

• die beobachteten Gesetzmäßigkeiten und Vermutungen in die Sprache der Geometrie alsZusammenhang geometrischer Objekte übertragen.

Dynamische Geometrie kann (wie im ersten Beispiel) als bedeutend bequemeres und genaue-res Werkzeug zur Bestätigung einer aus Messreihen offensichtlich hervorgehenden Erhaltungs-größe genutzt werden.Da aber durch diese Art Arbeitsauftrag sowohl die schon idealisierte Situation als auch die

Variation (Bewegung des Punktes C entlang einer Kurve) vorgegeben sind, werden Strategi-en zum übertragen und Verallgemeinern der Gesetzmäßigkeiten kaum entwickelt. Oft ist beimExperiment die Realsituation bzgl. möglicher Verallgemeinerungen inspirierender. In unseremBeispiel führt die gemeinsame Ausrichtung der Schuhe auf zwei zueinander nicht diagona-le Mitschüler (Sehnenendpunkte) im Schulhofexperiment zu einer Darstellung des Satzes vomUmfangswinkel.Die im Beispiel 1 in Auftrag gegebene bequeme und genaue dynamische Messung spart Zeit,

ist aber auch weniger einprägsam als das Schulhofexperiment. Bei der Konstruktion mit Zirkelund Lineal und demzufolge statischer Wahl der Positionen des Umfangswinkels ist auch dieMotivation gegeben darüber nachzudenken, ob man mit einer Messung die Größe mehrererWinkel ermitteln kann. Aus pragmatischen Gründen kann in solchen Situationen Symmetrieals heuristische Strategie entdeckt werden.

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24 3 Umfängliches und Diametrales

Beispiel 3

Ein Fußballspieler läuft aufeiner Geraden auf das Torzu. In welchem Momentmuss er schießen, damit erdas Tor unter dem größt-möglichen Winkel sieht?

In diesem Beispiel wird von einer Realsituation ausgegangen und der dynamisch gesetztePunkt zum Erzeugen einer Messreihe genutzt. Die Position des maximalen Schusswinkels kanndurch die Messung für eine konkrete Gerade gefunden werden, die Variation der dynamischenGeraden in der Ebene gibt jedoch kaumAufschlüsse über eine allgemeine Gesetzmäßigkeit bzgl.des größten Abschusswinkels für alle Geraden. Auch das (relativ aufwendige) Realexperimentwürde in dieser Situation keinen neuen Beitrag zur Lösung des Problems liefern.

Wir können nicht unmittelbar eine Bewegung der Gera-den finden, bei welcher der größte Winkel erhalten bleibt.Um das Werkzeug Dynamische Geometrie trotzdem zunutzen, kann die Frage umformuliert werden. Wir suchennicht nach der Position des größten Winkels, sondern fra-gen: Aus welchen Positionen hat der Schütze den glei-chen Schusswinkel? Das Experiment zeigt, auf jeder Ge-raden gibt es bis auf die gesuchte Abschussposition zweiPunkte mit gleichem Abschusswinkel. Betrachtet mandie Positionen auf dem ganzen Fußballfeld so liegen al-le Punkte mit gleichem Schusswinkel auf einem Umkreisdes Tors. Letzterer kann auch durch das Experimentierenmit dem Werkzeug Spur gefunden werden.

Unser mathematisches Objekt bestehend aus einem Punkt auf einer Geraden und einer Strecke(Tor), wird damit um den Umkreis des von den Eckpunkten des Tors und dem Spieler gebildetenDreiecks reicher. Die dynamische Bewegung zeigt, dass der Winkel am größten ist, wenn derUmkreis tangential zur Geraden ist.

Für die Berechnung oder Konstruktion der gesuchten Abschussposition benötigt man jedochkomplexere geometrische Werkzeuge, z.B. den Sekanten-Tangenten-Satz und den Höhensatz .Um den Punkt zu konstruieren, arbeiten wir rückwärts ([Pol95], S. 45 ). Wir nehmen an, dasswir den Berührungspunkt zwischen der Geraden und dem berührenden Kreis schon gefundenhaben. Wir machen eine Skizze der Lösung und analysieren sie nach brauchbaren Werkzeugen.

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25

Wir legen eine Gerade durch die Endpunkte des Tors underhalten einen Schnittpunkt S mit der Geraden.

Wenn wir den Kreis schon als konstruiert voraussetzen, befinden wir uns in der folgendengeometrischen Situation:

Aus einem gegebenen Punkt S sind die Tangenteund eine Sekante an einen Kreis gegeben. Damitkann das Werkzeug Sekanten-Tangenten-Satz an-gewendet werden, danach ist in den Bezeichnun-gen der Skizze (p+q)p = t. Mit anderen Worten,der gesuchte Abstand von S zum AbschusspunktT ist durch

√(p+q)p zu berechnen.

Eine Konstruktion von T ohne Verwendung der Berechnung kann mithilfe folgender Muste-rerkennung erfolgen:Die Identität (p+ q)p = t stellt algebraisch auch Zusammenhänge zwischen den Hypotenu-

senabschnitten und der Kathete im rechtwinkligen Dreieck dar. Mit anderen Worten, (p+q)p=t ist die algebraische Beschreibung des Kathetensatzes.

Um das Werkzeug Kathetensatz zu nutzen, müssen wirdurch Hilfslinien das entsprechende rechtwinklige Drei-eck erzeugen. Die Hilfslinie ist der Thaleskreis mit Ra-dius p+q

2 .Die Position mit dem maximalen Abschusswin-kel kann man nun auf der Geraden durch Abtragen dergefundenen Länge t finden.

Die Verwendung des Sekanten-Tangenten-Satzes für die Konstruktion ist auf den ersten Blicknicht einfach nachzuvollziehen. Ebenso ist es nicht wirklich intuitiv, für die Ermittlung desAbstands den Kathetensatz heranzuziehen, da er aus dem Unterricht eher als eine Aussage überden Zusammenhang von Flächen bekannt ist.Die Argumente werden erst durch das Einzeichnen von Hilfsgeraden, Hilfskreisen und der

Nutzung ausgezeichneter Punkte wie Schnitt- und Mittelpunkte, plausibel.

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26 3 Umfängliches und Diametrales

Auch der letzte Arbeitsauftrag des ersten Beispiels “versuche die Vermutung zu beweisen“,hat das Einzeichnen einer Hilfslinie zum Ziel.Wie die Beispiele zeigen, ist die Nutzung Dynamischer Geometrie zum Entdecken von Zu-

sammenhängen und Erhaltungsgrößen auf sehr unterschiedlichem Niveau möglich- vom instru-ierten Experiment, über selbstständiges Entwerfen von Experimenten zum Finden von Erhal-tungsgrößen und Zusammenhängen bis zum Übertragen und Darstellen von Zusammenhängenmithilfe von Hilfslinien.Oft sind es nachzuzeichnende aber nicht nachvollziehbare Hilfslinien, die dem ungeübten

Schüler Geometrieaufgaben als ungewöhnlich schwierig erscheinen lassen. Dynamische Geo-metrie unterstützt den reflektierten Umgang mit bestimmten ausgezeichneten Punkten, indemdiese für den Gebrauch erst zu Schnittpunkten gemacht werden müssen. Die Intuition für dasEinzeichnen hilfreicher Linien wird durch das Lösen anderer Problemstellungen und noch wich-tiger durch das Reflektieren über die Lösungswege entwickelt.

3.1 Konstruktion und algebraische Berechnung

Wie die letzte Aufgabe zeigt, sind Konstruktionsprobleme oft komplex und vielseitig und imUnterschied zu algebraischen Lösungen weniger auf Algorithmen oder Lösungsschemata zu-rückzuführen. Trotzdem gibt es allgemeine Strategien, die in vielen Situationen Hilfestellungengeben können. Für die erfolgreiche Lösung des dritten Beispiels spielte der Wechsel zwischenkonstruierten Darstellungen und algebraischen Beschreibungen durch Gleichungen eine wichti-ge Rolle.Wir illustrieren dieses Wechselspiel an zwei weiteren geometrischen Problemen.Im ersten Fall ist es nicht schwer, das Objekt zu konstruieren. Für die Berechnung kann man

verschiedene Variationen eines mathematischenWerkzeugs- den Satz vomUmfangswinkel- ver-wenden.Im anderen Fall sind die Berechnungen einfach, die Konstruktion ohne Nutzung der berech-

neten Größen jedoch nicht offensichtlich. Für die verschiedenen Konstruktionen kommen beidiesem Problem sehr unterschiedlicheWerkzeuge zum Einsatz. Wir untersuchen, welche Zugän-ge naheliegender bzgl. Vorerfahrungen aus der Schulmathematik und Gebrauch von GeoGebrasind.

Beispiel 4

Das nebenstehende Bild zeigt zwei sich berühren-de Halbkreise, deren Durchmesser parallele Seh-nen eines Kreises sind.Problemstellung:

Stelle Vermutungen auf, welcher Zusammenhangdargestellt sein könnte!Das Bild ist durch zwei Halbkreise und einenKreis gebildet . Sämtliche Vermutungen werdenalso mögliche Zusammenhänge zwischen den Ra-dien dieser Kreise oder davon abhängige Größenbetreffen.

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3.1 Konstruktion und algebraische Berechnung 27

Um Vermutungen zum Verhältnis der Radien aufzustellen, kann man versuchen, das Bild mitGeoGebra dynamisch zu konstruieren und die Radien und ihre Verhältnisse zu messen.

Konstruktion:Die Konstruktion beginnt mit der Zeichnung eines Krei-ses K mit dynamischen Radius k und Mittelpunkt O unddem Setzen zweier dynamischer Punkte A und B auf demBogen von K. Die Punkte A und B bilden die Eckpunk-te der Sehne AB und den Durchmesser eines Kreises Mmit Radius m. Wir bezeichnen den zu konstruierendenanderen Kreis (bzw. Halbkreis) mit N, sein Radius sei n.Das konstruierte mathematische Objekt ist spiegelsym-metrisch, daher ist das Einzeichnen der Symmetrieachseals Hilfslinie naheliegend und motiviert.

Der Schnittpunkt der Symmetrieachse mit dem Kreis-bogen ist ein ausgezeichneter Punkt und sollte deshalbdurch das Werkzeug Schnittpunkt handhabbar gemachtwerden, wir bezeichnen den Punkt mit C. Offensicht-lich istC auch der Berührungspunkt der beiden Halbkrei-se. Die verbindenden Hilfslinien AC und BC bilden eingleichschenkliges rechtwinkliges Dreiecks ABC.

Verlängern wir die Strecken AC und BC über C hinaus,schneiden sie den Kreis K in zwei Punkten, die wir mit Dund E bezeichnen wollen. Verbinden wir wieder ausge-zeichnete Punkte und Schnittpunkte mit den Symmetrie-achsen, so erhalten wir ein Dreieck DEC, welches ähn-lich zum Dreieck ABC ist. Der Thaleskreis um DEC gibtden gesuchten Halbkreis N.

Für die Konstruktion verwendeten wir als Werkzeug Symmetrie.Da wir das Objekt mit GeoGebra konstruiert haben, können wir die Messwerkzeuge des Pro-

gramms nutzen, um die Zusammenhänge zwischen den drei Radien zu verstehen. Das Nachmes-sen der Radien führt zu der Vermutung m2+n2 = k2. Mit anderen Worten: Die Flächeninhalte

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28 3 Umfängliches und Diametrales

der beiden kleineren Halbkreise sind gleich dem Flächeninhalt der Hälfte des großen Kreises.

Ein anderer Weg zum Aufstellen einer Vermutung bzgl.der Zusammenhänge der Radien der Kreise wäre die Be-trachtung einer besonders einfachen symmetrischen Si-tuation, z.B. n = m. Letzteres kann durch Verwendungdes Zugmodus bzgl. der dynamisch gegebenen Sehne ABunterstützt werden.

Intuitiv könnte man glauben, dass schon durch die Konstruktion die Verhältnisse der Radienverstanden sind. Der Nachweis der Vermutung ist jedoch nicht so offensichtlich wie die Kon-struktion und benutzt mehr als Symmetrieargumente.

Die Vermutung m2 + n2 = k2 weist darauf hin, dass es sich um Zusammenhänge im recht-winkligen Dreieck handelt.

Nach Konstruktion bilden AC undCD einen rechten Win-kel und erfüllen mit der Hypotenuse AD die Gleichheit|AC|2+ |CD|2 = |AD|2.Außerdem ist nach Pythagoras in den entsprechendengleichschenkligen Dreiecken |AC| = √

2 m und |CD| =√2 n

Wenn wir nachweisen, dass auch die Radien DO und AOeinen rechten Winkel bilden, so folgt k2+ k2 = |AD|2 =2m2+2n2, also k2 = m2+n2.

Im Folgenden skizzieren wir verschiedene Beweise, dass der Winkel AOD ein rechter Winkelist und damit der Vermutung k2 = m2+n2.

Die bisher verwendeten Werkzeuge sind Symmetrie und der Satz des Pythagoras.

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3.1 Konstruktion und algebraische Berechnung 29

Eine mögliche Hilfslinie wäre hier der Thaleskreis überAD. Ein Weg des Nachweises wäre dann zu zeigen, dassdie Punkte C und O auf dem Thaleskreis über AD lie-gen. Dieser Ansatz würde wieder auf dem Übertragenund Übersetzen algebraischer Zusammenhänge beruhenund kann durch die Benutzung GeoGebras nur wenig un-terstützt werden.

Bei der Konstruktion der Pokalfigur nutzen wir kanonische Hilfslinien, was soviel bedeutetwie Hilfslinien an denen man nicht vorbei kommt. In diesem Fall waren es Symmetrieachsenund Verbindungsgeraden zwischen ausgezeichneten Punkten und Schnittpunkten mit den Sym-metrieachsen.

Die konstruierte Pokalfigur hat sechs ausgezeichnetePunkte A,B,C,O,D,E. Wir verbinden A und D sowie Bund E. Dadurch erhält man ein Sehnenviereck mit einge-zeichneten Diagonalen. In dieser Konstellation wird derSatz vom Sehnenviereck mit dem Werkzeug Satz vomUmfangswinkel bewiesen.

Beweis 1Der Winkel AOD ist ein Mittelpunktswinkel über derSehne AD. Der Winkel AED ist ein Umfangswinkel überder Sehne AD. Laut Konstruktion ist AED = 45◦, nachdem Satz vom Umfangswinkel ist AOD = 90◦, also einrechter Winkel.

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30 3 Umfängliches und Diametrales

Beweis 2Wir gehen wieder von den ausgezeichneten PunktenA,B,C,O,D,E aus und verbinden A und O, B und O, Ound D, O und E durch die Radien von K. Das resultieren-de mathematische Objekt ist spiegelsymmetrisch.

Geogebra stellt auch Werkzeuge für abbildungsgeometrisches Experimentieren bereit. DieSpieglesymmetrie bzgl. der Spiegelachse ist offensichtlich, die Untersuchung mit dem Werk-zeug Drehung um Punkt mit Drehwinkel zeigt, dass bzgl. der Dreiecke auch eine Drehsymmtrievorliegt.

Das Dreieck AEO kann durch eine 90◦- Drehung aufDBO abgebildet werden. Laut Konstruktion stehen dieGrundseiten im rechten Winkel aufeinander, folglich istauch der Winkel zwischen AO und OD ein rechter Win-kel.

Beweis 3Unter Verwendung des Zug-modus für den dynamischenPunkt A beobachtet man,dass sich unter der Bewe-gung des Punktes A auf Kdie Größe desWinkels AED,die Länge der Sehne AD unddie Länge des Bogens ADnicht verändern.

Dieser Weg wird auch durch die anfängliche Betrachtung des Spezialfalls m = n zum Auf-stellen einer Vermutung unterstützt.

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3.1 Konstruktion und algebraische Berechnung 31

Die Invarianz dieser Größen entspricht der Umkehrungdes Umfangswinkelsatzes . Zieht man A nun in eine be-sonders schöne Position, ist die Rechtwinkligkeit vonAOD offensichtlich.

Beispiel 5

Die nebenstehende Zeichnung taucht oft im Kon-text gotischer Fenster auf.Gegeben eine Strecke AB. Zwei Kreisbögen k mitRadius AB und Mittelpunkten in A und B bildendie Form eines gotischen Fensters.Problemstellung:

Konstruiere einen Kreis, der die beiden Bögen unddie Strecke berührt.

Mit der Analyse dieser Aufgabe haben sich mehrere Autoren beschäftigt ([Pre&Schn05]).Im Unterschied zum ersten Beispiel ist hier die Berechnung einfach. Versucht man jedoch, denKreis ohne Nutzung des berechneten Radius zu konstruieren, so ist die Konstruktion recht an-spruchsvoll.Wir stellen einige der dort beschriebenen Lösungsansätze und eine alternative Konstruktion

kurz vor. Unsere Aufmerksamkeit gilt dabei wieder den verwendeten Werkzeugen und Hilfs-linien. Wie Aufgabe 3 und 4 zeigten, gibt es beim Einzeichnen von Hilfslinien verschiedeneAspekte, wie

• Kanonische Objekte: Setzen von und Verbinden ausgezeichneter Punkte (z.B. aus Sym-metriegründen oder als Verbindungsgeraden vorgegebener Punkte),

• Mustererkennung: Erzeugung gut berechenbarer oder konstruierbarer Objekte (gleich-schenklige, rechtwinklige, gleichseitige Dreiecke, Kreise ...).

Insbesondere interessiert uns, in welcher Darstellung ein mathematischer Satz verwendetwird, um zu verstehen, wie Mustererkennung als Problemlösemethode zum Einsatz kommenkann.

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32 3 Umfängliches und Diametrales

Eine mögliche Berechnung des Radius r des Innenkrei-ses beruht auf auf folgender Überlegung. Wir bezeichnenmit P den Beruehrungspunkt des Kreises k mit dem Bo-gen k′. Dann muss der Strahl von A, durch P durch denMittelpunkt O von k gehen. Der Radius von k kann dannüber den Satz des Pythagoras im Dreieck AMO errechnetwerden. Die Rechnung ergibt r = 3

8R

Unter anderem kann man mithife von GeoGebra durch folgende Konstruktionen den Innen-kreis näherungsweise bestimmen und die entstandene Skizze zum Rückwärtsarbeiten nutzen:

Beide Lösungsvorschläge in [Pre&Schn05] beruhen aufder Konstruktion des Hilfspunktes P, welcher auf derSymmtrieachse des Spitzbogens liegt und von der Grund-seite den Abstand |AB| hat.

Von P schlägt man einen Bo-gen vom Radius |AB| und er-hält dadurch ein Bogendrei-eck. Die Winkelhalbierendedes Bogendreiecks schnei-det die Symmetrieachse imMittelpunkt des Innenkrei-ses

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3.1 Konstruktion und algebraische Berechnung 33

Verbindet man P mit A underrichtet die Mittelsenkrech-te, so bildet der Schnitt-punkt der Mittelsenkrech-ten mit der Symmtrieachseden Scheitelpunkt O einesgleichschenkligen DreiecksAOP. Der Scheitelpunkt istder Mittelpunkt des gesuch-ten Innenkreises.

Das Setzen des Hilfspunktes P setzt eigentlich die Kenntnis der Lösung voraus. Das gege-bene Bogendreieck ist nicht gleichbögig, die Einsichtigkeit des Lösungswegs kommt erst mitdem Symmetrisieren des Dreiecks. Wie auch in den vergangenen Aufgaben versuchen wir, ka-nonische, auf Schulroutinen aufbauende und sich aus der Konstruktion ergebende Hilfslinienfür die Lösung des Problems zu finden. Fertigt man die Skizze nach einem der experimentellenVerfahren mit GeoGebra an, so zeichnet man anstelle der Bögen Kreise. Dies führt zu anderenkanonischen Hilfslinien.

Die Zeichnung ist spiegel-symmetrisch, daher ist eseinleuchtend, die beidenSymmetrieachsen als Hilfs-linien einzuzeichenen, wirbezeichnen die Schnittpunk-te mit D,E,F,G,M

Wir arbeiten wieder rückwärts und nehmen an, wir kennen den Berührungspunkt R zwischenK und den Bögen W . Der Punkt R liegt auf dem Thaleskreis über DB. Das Einzeichnen desentsprechenden rechwinkligen Dreiecks sehen wir im Rahmen geometrischer Schulgrundkennt-nisse als kanonisch an.

Durch das Einzeichnen ergeben sich die Schnittpunkte Sund T des angenommenen Innenkreises mit der Kathetedes Dreiecks, wobei T auf der Parallelen zuDA durch denMittelpunkt des Innenkreises zu liegen scheint.

Das Einzeichnen der Parallelen verstärkt diese Vermu-tung. Die Begründung kann dadurch erbracht werden,dass das entstandene Thalesdreieck ähnlich zum Thales-dreieck DBR ist.

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34 3 Umfängliches und Diametrales

Die Konstruktion hat ein weiteres zu DBRähnliches rechtwinkliges Dreieck erzeugt,dessen EckpunktO der Mittelpunkt des ge-suchten Kreises ist. Kennen wir die LängeOM, so können wir den Innenkreis kon-struieren. Zeichnen wir die Orthogonaledurch T , so finden wir die Länge OS alsSeitenlänge AN eines kongruenten Drei-ecks, die Länge SM ergibt sich also als dieHälfte der Ausgangsstreckenlänge AB.

Die Konstruktion des Innen-kreises, erfolgt durch dasSetzen dreier Punkte, die aufdem gesuchten Kreis liegen:R (durch Konstruktion), R′(durch Symmetrie) und desSchnittpunktes der StreckeAB mit der Symmtrieachse.

Bei der Lösung nutzen wir GeoGebra u.a.:

• zum Anfertigen einer experimentellen Zeichnung, um dadurch eine Vorstellung des ge-suchten Objekts zu erhalten,

• zur Durchführung verschiedener experimenteller Konstruktionen,

• zum Erkunden von Symmetrien, Zusammenhängen, Abhängigkeiten ...,

• zum Rückwärtsarbeiten, indem durch Hilfslinien neue Zusammenhänge (sowohl algebra-isch als auch geometrisch) erzeugt wurden,

• zur Kontrolle durch Messen und Zugmodus vermuteter Eigenschaften,

• zur Konstruktion des gesuchten Objekts.

Der Wechsel zwischen algebraischen Darstellungen und verschiedenen geometrischen Sach-verhalten ist elegant, jedoch oft schwieriger nachzuvollziehen oder experimentell zu initiieren.

Oft bietet sich in diesen Fällen auch eine rein geometri-sche Lösung, für die Fußballaufgabe (Beispiel 2) schla-gen wir folgende Variante vor. Das verwendete Werkzeugist eine zentrische Streckung. Der Leser ist aufgefordertmithilfe der Skizze den Beweis selbst durchzuführen.

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3.2 Mathematisches Objekt und Problemlösemethode 35

Bei allen diesen Tätigkeiten sind für die erfolgreiche selbständige Nutzung zum ProblemlösenGrundkenntnisse von Eigenschaften und Zusammenhängen (zumindest einiger) geometrischerObjekte notwendig. Zwei Berechnungen des Pokalproblems benutzten denselben mathemati-schen Sachverhalt - den Satz vom Umfangswinkel - jedoch in verschiedenen Darstellungen. Umdie entsprechenden Hilfslinien einzeichnen zu können, sollte der Schüler den entsprechendengeometrischen Zusammenhang schon in Darstellungen gesehen haben, die das Wiedererkennenwahrscheinlich machen. Im nächsten Abschnitt betrachten wir u.a. den Satz vom Umfangs-winkel anhand verschiedener Herleitungen und dazugehöriger geometrischer Darstellungen alsWerkzeug zum Lösen geometrischer Probleme.

3.2 Mathematisches Objekt und Problemlösemethode

Hilfslinien und ausgezeichnete Punkte spielen in einer geometrischen Konstruktion eine doppel-te Rolle. Sie verändern das geometrische Objekt in einer Art, dass dadurch entstehende Teilkon-struktionen zur Problemlösemethode werden. Ein rechtwinkliges Dreieck ist ein selbständigesmathematisches Objekt, es ist durch Einzeichnen der Höhe in einem beliebigen Dreieck odernach Einzeichnen des Thaleskreises eine Teilkonstruktion, es ist aber auch z.B. durch den Satzdes Pythagoras, Höhen, Katheten- und Winkelsätze Werkzeug zur Berechnung und zur Kon-struktion. Die WerkzeugeMittelpunkt einer Strecke, Schnittpunkt ermitteln sowie die Erstellungeigener Werkzeuge (Makros) und Animationen verändern Konstruktionsroutinen.Durch die verschiedenenWerkzeuge von GeoGebra (Orthogonale Linie, parallele Linie, Kreis

durch drei Punkte, Kegelschnitt durch fünf Punkte ...) ergeben sich viele interessante Fragestel-lungen zur Genese mathematischer Objekte.

Konstruktion mitKreis mitMittelpunkt, Geradedurch zwei Punkte,Schnittpunkt

Konstruktion mitStrecke, Kreis mitMittelpunkt,Senkrechte,Parallele,Schnittpunkt

Konstruktion mitKreis mitMittelpunkt, Strahl,Mittelsenkrechte,Strecke, Schnittpunkt

Konstruktion mitdem Werkzeugregelmäßiges Vieleck

Offensichtlich haben schon Routinen bei Grundkonstruktionen Einfluss darauf, inwieweit daskonstruierte Objekt als Problemlösemethode in verschiedenen Konstruktionskontexten wieder-erkannt werden kann. Auch Fragestellungen nach der Konstruierbarkeit mit nur einemWerkzeugkönnen zu weitreichenden, komplexen Betrachtungen führen, wie in [Rad&Toe33] anhand derKonstruierbarkeit nur mit Lineal und Kreis ohne gegebenen Mittelpunkt gezeigt wird.Im Folgenden widmen wir uns dem in Beispiel 3 (Pokalproblem) verwendeten geometrischen

Zusammenhang zwischen der Länge der Sehne, des dazugehörigen Bogens und der Größe desUmfangswinkels (auch Sehnenwinkel) in einem gegebenen Kreis.

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36 3 Umfängliches und Diametrales

Wir erinnern nochmals an die entsprechende Hilfslinien , die die Lösung darstellen.

Wir stellen eine Konstruk-tion mit GeoGebra und diefür die Berechnung mithil-fe des Umfangswinkelsatzesnotwendigen Hilfslinien ge-genüber. Es ist notwendigsowohl die Sehne als auchden Mittelpunktswinkel indie Zeichnung einzutragen.

In den meisten Lehrbüchern wird der Umfangswinkelsatz als Verallgemeinerung des Satzesdes Thales hergeleitet. Dabei können folgende geometrische Darstellungen aufgetreten sein.

Die beim Beweis des Umfangswinkelsatzes verwendeten Werkzeuge sind Basiswinkelsatzund der Satz über die Winkelsumme im Dreieck. Die Wiedererkennbarkeit des Basiswinkelsat-zes kann durch die farbige Kennzeichnung gleichschenkliger Dreiecke und der entsprechendenBasiswinkel verbessert werden.

Vergleicht man die für die Berechnung notwendigen Hilfslinien und die in der Herleitungvorkommenden, sieht man, dass sowohl die Verbindungslinie AC zwischen den Endpunkten derSehnen, als auch das Einzeichnen der Radien nicht ohne weiteres übertragen werden kann. DasSehnendreieck, bzw. der Außenkreis eines Dreiecks werden als mathematisches Objekt währendder Herleitung meistens nicht thematisiert.

Eine Hilfestellung für die Lösung des Pokalproblems,könnte die Herleitung des Satzes vom Sehnenviereck dar-stellen. Dabei kann der Satz vom Umfangswinkel wierechts zu sehen, verwendet werden. Weiteres verwende-tes Werkzeug ist der Satz von der Winkelsumme im Drei-eck.

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3.2 Mathematisches Objekt und Problemlösemethode 37

Im Kontext dieser Herlei-tung des Umfangswinkel-satzes kann man die linkeikonische Darstellung ansie-deln. Für die dritte Varianteder Berechnung des Pokal-problems ist jedoch die Wie-dererkennung seiner Um-kehrung (rechts) hilfreich.

Eine andere Herangehensweise, welche die Eckpunkte und Mittelpunkt des Sehnenvierecksverbindenden Radien ins Blickfeld rückt, ist die Herleitung des Satzes vom Sehnenviereck überdas Sehnendreieck, bzw. den Außenkreis eines Dreiecks.

Die Konstruktion des Au-ßenkreises eines Dreieckserfolgt über den Schnitt-punkt der Mittelsenkrech-ten. Offensichtlich müssensich bei einem Viereck, des-sen Eckpunkte auf einemKreis liegen, die Mittelsenk-rechten ebenfalls im Mittel-punkt treffen.

Die Radien sind kanonische Hilfslinien, da sie ausgezeichnete Punkte (Mittelpunkt des Krei-ses und Eckpunkte des Vierecks) miteinander verbinden. Außerdem wird durch sie der gleicheAbstand der Eckpunkte zum Mittelpunkt veranschaulicht.

Der Beweis des Sat-zes vom Sehnenvier-eck erfolgt wiederüber den Basiswin-kelsatz und den Satzvon der Winkelsum-me im Dreieck.

α + γ = β +δ = 180◦

Von hier kann der Umfangswinkelsatz mit einem einfachen Argument geschlossen werden:

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38 3 Umfängliches und Diametrales

Wir halten die Eck-punkte A,B,C desSehnenvierecks festund bewegen denvierten Eckpunkt Dentlang des Kreis-bogens. Dadurch istder Winkel β fixiertund somit konstant.Folglich (Satz vomSehnenviereck) istauch δ konstant.

Trägt man noch die Diagonale des Sehnenvierecks als Sehne ein, so hat man den Satz vomUmfangswinkel.Beim letzten Zugang sind sowohl Erhaltungsmerkmale von Zuständen als auch die Variati-

on von Merkmalen wichtig. Er kommt deshalb (wie auch der abbildungsgeometrische zweiteBeweis der Pokalaufgabe) funktionalen Denkern besonders entgegen. Näheres zur kognitions-psychologischer Unterscheidung prädikativer und funktionaler Typen findet man in [Schw96],bzgl. der damit verbundenen Begriffsbildung siehe [Lam03].Selbstverständlich können alle hier eher bildhaft dargestellten Herleitungsschritte explorativ

mit dynamischer Geometrie unterstützt werden. Die für die Lösung geometrischer Problemenotwendige Intuition für Hilfslinien bedarf jedoch vielfältiger geübter Darstellungen und Dar-stellungswechsel.

Mit unserem kleinen Exkurs haben wir verschiedene Perspektiven beim Lösen geometrischerProbleme eingenommen.Perspektivwechsel wurde dabei auf verschiedene Weise angeregt:

• In allen Beispielen nutzen wir die vielfältigen Möglichkeiten des Werkzeugs GeoGebra,z.B.

– exploratives Nachmessen und Variation von Position und mathematischem Objektin Beispiel 1 und der Fußballaufgabe (Beispiel 3),

– Variieren der Konstruktionsmethoden und Hilfslinien wie bei der Konstruktion desgotischen Fensters (Beispiel 5) und den Beweisen des Umfangswinkelsatzes,

– Wechsel zwischen abbildungsgeometrischen Herangehensweisen und euklidischenÜberlegungen wie bei den verschiedenen Beweisen der Pokalaufgabe (Beispiel 4)und den Lösungen der Fußballaufgabe.

• Wir untersuchten verschiedene durch GeoGebra mehr oder weniger unterstützte Lösungs-varianten, wobei in jedem Fall die Bedeutung eines hinreichenden Vorrats an geometri-schen und algebraischen Grundkenntnissen deutlich sichtbar wurde.

• Reflektieren über den gerade eingeschlagenen Lösungsweg (Konstruktion oder Berech-nung, Variation zum Bestimmen von Invarianten), das bewusste Handhaben von Schnitt-punkten, die kanonische Konstruktion und Nutzung von Hilfslinien zur Analyse und Syn-these offenbarten verschiedene Verläufe der Problemlöseprozesse.

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Literatur 39

• Am Beispiel des Zusammenspiels von Genese und Vernetzung eines mathematischenBegriffs und seiner Rolle als Problemösewerkzeug (verschiedene Herleitungen des Um-fangswinkelsatzes) machten wir die Notwendigkeit von Perspektivwechsel und Variationder Herleitungen und Konstruktionen sichtbar.

Die Verwendung von Makros und Animationen wurden hier nicht betrachtet, sie spielenjedoch bei der Begriffsentwicklung mithilfe dynamischer Geometrie eine wachsende Rolle.Für einen zusammenfassenden Überblick zur Verwendung Dynamischer Geometrie siehe auch[Wei&Wet02] und [His98]. Einführungen in die Dynamische Geometrie, sowie Beispiele undApplets findet man in großer Anzahl und Vielfalt online, für unterrichtsnahe Beispiele sieheauch [Koe&Tön07].

Dank Ich möchte Emese Vargyas für die inspirierenden und hilfreichen Diskussionen zu denim Kapitel behandelten mathematischen Problemen danken.

Literatur

[His98] HISCHER, H. (1998). Computer und Geometrie, Suchen, Entdecken, Anwenden. Franz-becker, Hildesheim.

[Koe&Tön07] KOEPSELL, A. & TÖNNIES, D. (2007). Dynamische Geometrie im Mathema-tikunterricht der Sekundarstufe I. Aulis Verlag Deubner.

[Kram08] KRAMER, M.(2008). Mathematik als Abenteuer. Kap.1, Aulis Verlag Deubner &Co.

[Lam03] LAMBERT, A.(2003). Begriffsbildung im Mathematikunterricht. In: BENDER, P.;HERGET, W., WEIGAND, H.-G., WETH, T.: Lehr- und Lernprogramme für den Ma-thematikunterricht, S. 91–104, Franzbecker, Hildesheim.

[Pol95] POLYA, G.(1995). Schule des Denkens. Vom Lösen mathematischer Probleme. 4.Aufl.Francke Verlag, Tübingen.

[Pre&Schn05] PREDIGER, S. & SCHNORR, K.(2005). Geometrisches Konstruieren – Unter-schiedliche Zugänge am Beispiel eines gotischen Kirchenfensters erfahrbar machen. Dermathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht 57/ 2, S. 79–84.

[Schw96] SCHWANK, I.(1996). Zur Konzeption prädikativer versus funkionaler kognitiverStrukturen und ihrer Anwendung. ZDM 28(6), S. 168–183.

[Rad&Toe33] RADEMACHER, H. & TOEPLITZ, O.(1933). Von Zahlen und Figuren, S.150, 21,Springer.

[Wei&Wet02] WEIGAND, H.-G. & WETH, T.(2002). Computer im Mathematikunterricht.Neue Wege zu alten Zielen, Spektrum Verlag, Heidelberg.

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4 Auf Entdeckungsreise zu den Nullstellen

quadratischer Funktionen

Reinhard Schmidt

Unter den Themen der Schulmathematik nimmt die Bestimmung der Nullstellen quadratischerFunktionen ganz sicher eine exponierte Stellung ein. Dies hat vielerlei Gründe. Erstens gibt eseine ganze Reihe relevanter Probleme in der Welt außerhalb des Mathematikunterrichts, derenLösung die Bestimmung von Nullstellen quadratischer Funktionen benutzt. Zweitens hat dieNullstellensuche in der Mathematikgeschichte eine lange Tradition. Schon vor 3700 Jahren ent-wickelten die Babylonier und später die Griechen Verfahren, mit denen sie Nullstellen findenkonnten.1 Ein auf Euklid zurückgehendes geometrisches Verfahren wird in Kapitel 4.1.3 nä-her beschrieben. Drittens setzen einschlägige Themen der Oberstufenmathematik, insbesondereder Analysis, entsprechende Verfahren voraus. Als Beispiel möge man an die Bestimmung vonrelativen Extremstellen von ganzrationalen Funktionen denken.Auch wenn die Suche nach Nullstellen ein gewinnbringendes Geschäft sein kann, kann sie zu

einer geistlosen Tätigkeit degenerieren. Häufig wird in Schulbüchern nur die algebraische Seiteder Verfahren beschrieben, und diese dienen dann als „Spielwiese“ für Äquivalenzumformungenund den korrekten Gebrauch von Äquivalenzzeichen.In diesem Kapitel soll gezeigt werden, dass es mit Hilfe von GeoGebra möglich ist, statt einer

einseitigen Betonung der Algebra ein Gleichgewicht aus Algebra und Geometrie herzustellenund den Schülerinnen und Schülern den Zusammenhang zwischen beiden Betrachtungsweisendeutlich zu machen. Besonderen Stellenwert nimmt dabei ein Verfahren ein, das früher einmalsehr populär war, inzwischen aber weitgehend in Vergessenheit geraten ist: Die Methode vonLill. Diese Methode funktioniert in besonders anschaulicher Weise für quadratische Funktionen,kann aber auch auf beliebige ganzrationale Funktionen angewendet werden.In der Darstellung der unterschiedlichen Verfahren wird bewusst auf Sachzusammenhänge

verzichtet, weil das primäre Ziel dieses Kapitels in der Rehabilitation geometrischer Herange-hensweisen zur Nullstellensuche bei quadratischen (und allgemeiner bei ganzrationalen) Funk-tionen ist.

4.1 Nullstellen quadratischer Funktionen mit GeoGebra

4.1.1 Sinnvoller Einsatz von GeoGebra

Der naheliegendste Nutzen von GeoGebra zum Lösen quadratischer Gleichungen ist der Einsatzals Funktionenplotter. Auf diese Weise können die wesentlichen Eigenschaften des Graphenentdeckt und teilweise auch experimentell eingesehen werden.

1Ein altbabylonischer Text zum Lösen einer quadratischen Gleichung, der aus der Hammurapi-Dynastie (1700 v. Chr.)stammt, wird beispielsweise in [Alt08] vorgestellt.

R. Kaenders, R. Schmidt (Hrsg.), Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen, DOI 10.1007/978-3-8348-8340-7_4,© Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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42 4 Auf Entdeckungsreise zu den Nullstellen quadratischer Funktionen

Die erste Entdeckung ist die Analogie zwischen der geometrischen und der algebraischenBedeutung von Nullstellen, die insbesondere im Zusammenhang der Schulmathematik grundle-gend und unverzichtbar ist. Eine zweite offensichtliche Entdeckung betrifft den Umstand, dassalle Graphen quadratischer Funktionen achsensymmetrisch zu einer zur y-Achse parallelen Ge-raden durch den Scheitelpunkt sind. Daher besitzen die beiden Nullstellen einer quadratischenFunktion stets den gleichen Abstand zu dieser Geraden.Etwas verblüffend für Schülerinnen und Schüler ist die Tatsache, dass die Gleichung der Sym-

metrieachse (und damit, weil diese immer durch den Scheitelpunkt verläuft, die x-Koordinatedes Scheitelpunktes) unmittelbar aus der Funktionsgleichung abgelesen werden kann. Um dieszu verstehen bedarf es über die geometrischen Entdeckungen hinaus auch etwas Algebra: Wenndie quadratische Funktion die Gleichung f (x) = x2+ px+q besitzt, dann ist es leicht einzuse-hen, dass der Schnittpunkt der Parabel mit der y-Achse bei R(0|q) liegt. Sein Pendant T erhältman durch Spiegelung von R an der Symmetrieachse der Parabel oder rechnerisch durch dieForderung x2+ px+q= q, was natürlich gleichbedeutend mit x2+ px= 0 und also x(x+ p) = 0ist. Daraus erkennt man, dass die x-Koordinate von T den Wert −p hat. Weil die Symmetrie-achse „in der Mitte von R und T verläuft“ (genauer: die Mittelsenkrechte der Strecke RT ist), istihre Gleichung x =− p

2 .

Abbildung 4.1: Geometrie und Algebra

Aus dieser Einsicht können grundsätzlich schon zu diesem frühen Zeitpunkt die Koordinatendes Scheitelpunktes abgeleitet werden: S

(− p2

∣∣ f (− p2 ))bzw. S

(− p2

∣∣∣− p24 +q

), und aus diesen

die Bedingungen für die Existenz von Nullstellen, d. h. es gibt zwei Nullstellen, wenn der Schei-telpunkt unterhalb der x-Achse liegt, eine Nullstelle, wenn der Scheitelpunkt auf der x-Achseliegt und keine Nullstelle, wenn der Scheitelpunkt oberhalb der x-Achse liegt.2

Auf der Grundlage dieser Überlegungen ist es natürlich prinzipiell schon zu einem sehr frü-hen Zeitpunkt möglich, die Scheitelpunktform einzuführen. Dies birgt jedoch die Gefahr einerfrühzeitigen Überbetonung algebraischer Betrachtungsweisen. Die GeoGebra-Applets bietendie Möglichkeit, intensiv am Graphen inhaltlich zu argumentieren, die Verbindung von Geo-

2Natürlich lassen sich diese Überlegungen später mühelos auf allgemeine quadratische Funktionen mit der Funktions-gleichung f (x) = ax2+bx+ c übertragen.

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4.1 Nullstellen quadratischer Funktionen mit GeoGebra 43

metrie und Algebra deutlich zu machen und diese nachhaltig in den Köpfen der Schülerinnenund Schüler zu verankern.Statt sich frühzeitig auf das kalkülhafte Abarbeiten von Standardaufgabenstellungen zu be-

schränken, lassen sich an der Parabel noch mehr Besonderheiten entdecken und für den weiterenUnterrichtsverlauf nutzbar machen.Zu den wichtigsten Eigenschaften von Parabeln gehört sicherlich, dass sich alle Parabeln

nur in der Wahl des Koordinatensystems unterscheiden. Diese erstaunliche Eigenschaft wird imMathematikunterricht selten thematisiert, obwohl sie viel zum tieferen Verständnis von Parabelnund quadratischen Funktionen beitragen kann.

Abbildung 4.2: Es gibt nur eine Parabel.

Mit Hilfe von GeoGebra kann man sehr überzeugend zeigen, dass es – abgesehen von derWahl des Koordinatensystems – nur eine einzige Parabel gibt:Im Beispiel (vgl. Abb. 4.2) wird der Graph der Funktion f mit f (x) = 1

4 (x−3)2−2 betrachtet.In einem ersten Schritt wird die ursprüngliche unglückliche, ungeschickte Wahl des Koordina-tensystems dadurch korrigiert, dass der Koordinatenursprung in den Scheitelpunkt der Parabelverschoben wird. Anschließend zoomt man so lange raus, bis jede Einheit auf ein Viertel ihreralten Länge geschrumpft ist. Das Ergebnis ist eine formschöne Normalparabel.Eine einfache Anwendung dieser Erkenntnis könnte ausnutzen, dass man die Graphen quadra-

tischer Funktionen immer vom Scheitelpunkt aus denken kann: Vom Scheitelpunkt ausgehenderhält man weitere Parabelpunkte dadurch, dass wenn man x Einheiten nach rechts oder linksgeht, man ax2 Einheiten nach oben gehen muss. Kennt man also die Koordinaten des Schei-telpunktes S(xS|yS), dann kann man Nullstellen dadurch suchen, dass man ein x findet, für dasax2 =−yS. Diese Erkenntnis wird im folgenden Kapitel ausgenutzt.

4.1.2 Die pq-Formel geometrisch entdecken

Das Lösen quadratischer Gleichungen gilt in den Augen vieler Schülerinnen und Schülern alsmühseliges Geschäft. Einen willkommenen Ausweg bietet die sogenannte „pq-Formel“. Sielässt sich zwar leicht auswendig lernen, aber die Gefahr, dass sie unverstanden angewendetwird, ist sehr groß. Nachhaltiges mathematisches Verständnis kann sicher nicht dadurch aufge-baut werden, dass die Gültigkeit der Formel einmalig durch Nachrechnen bestätigt und sich imWeiteren nicht mehr um ihre inhaltliche Bedeutung gekümmert wird. Wesentlich sinnvoller istes, die Formel geometrisch herzuleiten. Dieser Ansatz folgt dem Vorschlag von [ES02].Ein geometrischer Zugang zur pq-Formel wird begünstigt, wenn die Schülerinnen und Schü-

ler zunächst untersuchen, wie der Zusammenhang zwischen Nullstellen und Scheitelpunkt ist,

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44 4 Auf Entdeckungsreise zu den Nullstellen quadratischer Funktionen

Abbildung 4.3: Zusammenhang zwischen Nullstellen und Scheitelpunkt - Scheitelpunkt auf der y-Achse

wenn der Scheitelpunkt auf der y-Achse liegt. Unschwer lässt sich entdecken (und später auchnachrechnen), dass für die Nullstellen gilt: xN1 =−√−yS und xN2 = +

√−yS.

Abbildung 4.4: Zusammenhang zwischen Nullstellen und Scheitelpunkt - allgemeiner Fall

Diese Erkenntnis lässt sich auf den allgemeinen Fall übertragen. Hier werden Scheitelpunktund Nullstellen um xS längs der x-Achse verschoben, und für die Nullstellen gilt: xN1 = xS−√−yS und xN2 = xS +

√−yS.Aus den Überlegungen in Kapitel 4.1.1 folgt, weil xS =− p

2 und yS =− p24 +q:

xN1 =− p2−√

p2

4−q und xN2 =− p

2+

√p2

4−q.

Diese beiden Gleichungen haben als (oft unverstandene) pq-Formel einige Berühmtheit er-langt und ihren Teil dazu beigetragen, dass viele Schülerinnen und Schüler in der Mathematiklediglich eine rätselhafte Formelwelt sehen.

4.1.3 Die Geometrie der quadratischen Ergänzung

Ebenso wie die pq-Formel lässt sich auch das Verfahren der „quadratischen Ergänzung“ mitHilfe von GeoGebra geometrisch darstellen. Ein geschickt angelegtes Applet kann nicht nur

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4.1 Nullstellen quadratischer Funktionen mit GeoGebra 45

die Nachhaltigkeit fördern, sondern als Katalysator für mathematische Tätigkeiten dienen. DasVerfahren ist den Ausführungen von al-Khwarizmi nachempfunden3, aber es findet sich, wieeingangs erwähnt, in ganz ähnlicher Form bereits bei Euklid.

Abbildung 4.5: Al-Khwarizmis Trick

Ausgangspunkt soll die Suche nach denNullstellen der Funktion f mit f (x) = x2 +4x−21 sein, also die Suche nach den Lösun-gen der Gleichung x2+4x = 21.Aus historischer Perspektive ist es nahelie-

gend, die einzelnen Terme als Flächeninhaltezu deuten, und diese Sichtweise lässt sich mitGeoGebra wunderbar realisieren (Abb. 4.5).Durch die geometrische Brille betrachtet

ist die Zielsetzung des Verfahrens klar: Qua-drat und Rechteck auf der linken Seite sollen zusammen denselben Flächeninhalt haben wiedas große Quadrat auf der rechten Seite. Zwar kann man im vorliegenden Applet x variieren,aber mit bloßem Augenmaß lässt sich die passende Wahl für x nicht ermitteln. Der einzige Aus-weg besteht darin, die linke Seite „quadratischer“ zu gestalten: Die Hälfte des Rechtecks wirdumgeklappt (Abb. 4.6).

Abbildung 4.6: Der erste Schritt zur Quadratur des Rechtecks

Auf der linken Seite muss nun nur noch ein kleines Quadrat ergänzt werden, und dessenFlächeninhalt ist nicht mehr von x abhängig. Daher kann man das rechte Quadrat um denselbenFlächeninhalt vergrößern (Abb. 4.7).

Abbildung 4.7: Zwei ungleiche Quadrate

Nun lässt sich das x so einstellen, dass das Quadrat auf der linken Seite ebenso groß ist wie

3vgl. z. B. [Kas98]

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46 4 Auf Entdeckungsreise zu den Nullstellen quadratischer Funktionen

das auf der rechten (Abb. 4.8). Es bleiben aber einige Fragen offen:

Abbildung 4.8: Eine Lösung der Gleichung x2+4x = 21

1) Wie genau ist die so gefundene Lösung?2) Gibt es weitere Lösungen?3) Wie sieht die algebraische Entsprechung des Verfahrens aus?4) Wie sieht die geometrische Realisierung aus, wenn die Koeffizienten andere Vorzeichenhaben?

Alle vier Fragen sind für den Unterricht fruchtbar und regen zu mathematischen Überlegun-gen und Argumentationen an.

4.2 Der Kreis von Captain Lill

Im Kapitel 4.1 wurde gezeigt, wie man GeoGebra so einsetzen kann, dass der Zusammenhangzwischen Geometrie und Algebra für die Schülerinnen und Schüler deutlich und ein tieferes Ma-thematikverständnis begünstigt wird. In diesem Kapitel soll ein Verfahren zur Bestimmung derNullstellen quadratischer Funktionen vorgestellt werden, in welchem Geometrie und Algebrauntrennbar miteinander verwoben sind und das Anlässe für vielfältige mathematische Tätigkei-ten schafft. Die in der Schule weitgehend unbekannte Methode, die hier beschrieben werdensoll, geht auf Captain Lill4 zurück. Die Methode ermöglicht es, auf geometrischem Weg Nähe-rungslösungen für die Nullstellen von beliebigen ganzrationalen Funktionen zu ermitteln. Bevordie allgemeine Methode, so wie sie von Eduard Lill in [Lil67] dargestellt wurde, in Kapitel 4.3beschrieben wird, soll in diesem Abschnitt der interessante Spezialfall, die Bestimmung vonNullstellen mit Hilfe des sogenannten „Lill-Kreises“, näher erläutert werden.5

Um eine quadratische Funktion mit Hilfe des Kreises von Lill auf Nullstellen zu untersu-chen, geht man von einem Polynom der Form ax2+bx+ c aus und zeichnet die Punkte A(0|a),B(0|0),C(−b|0) und D(−b|c) sowie das Trapez ABCD in ein Koordinatensystem ein. Anschlie-ßend zeichnet man einen Kreis um den Mittelpunkt der Strecke AD so, dass diese Strecke derDurchmesser des Kreises ist.In der Abbildung 4.9 ist die Situation für die Funktion f (x) = x2− 4x+ 3 dargestellt. Das

dazugehörige GeoGebra-Applet regt zu Erkundungen und Entdeckungen an der dargestellten

4Eduard Lill (1830-1900) war ein österreichischer Hauptmann, Bahnbeamter und Ingenieur. Lill stellte seine Entde-ckung als „Maschine“ zur Bestimmung reeller Nullstellen von Polynomen auf der Weltausstellung in Paris 1867 vor,vgl. http://xoomer.virgilio.it/vannigor/lill_rad_imm_poli.htm (16.05.2011).

5In der Literatur findet man den Lill-Kreis mitunter auch unter dem Namen Carlyle-Kreis.

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4.2 Der Kreis von Captain Lill 47

Abbildung 4.9: Captain Lills Kreis

Parabel an.

Forschungsauftrag:

Im GeoGebra-Applet siehst du einen Kreis und eine Parabel.a) Es fällt auf, dass der Kreis und die Parabel die x-Achse in denselben Punkten

schneiden. Variiere die Parameter a, b und c und untersuche, ob dies immerso ist. Gib ggf. Bedingungen an.

b) Vergleiche deine Beobachtungen mit denen deines Nachbarn. Einigt euch aufeine gemeinsame Vermutung.

c) Versucht eure Vermutung zu beweisen.

Bei der Auseinandersetzung mit dem dargestellten Forschungsauftrag können sehr unter-schiedliche Formen mathematischer Bewusstheit entstehen6, je nachdem ob die Schülerinnenund Schüler bei den Phänomenen stehenbleiben und sie ohne weitere Begründung als allge-meingültig hinnehmen oder ob sie diese auf die eine oder andere Art begründen oder beweisen.In jedem Fall werden die meisten Schülerinnen und Schüler erkennen, dass unabhängig von

der Wahl von b und c die Schnittpunkte der Parabel mit der x-Achse mit denen des Kreiseszusammenfallen, wenn nur a = 1 ist. Für Schülerinnen und Schüler, die gut geübt im Umgangmit algebraischen Umformungen sind, ist es naheliegend, diese Beobachtung durch schlichtesNachrechnen nachzuweisen. Dies gelingt, wenn man erkennt, dass (im Falle a = 1) der Punkt

MLill(− b

2

∣∣ c+12

)der Mittelpunkt und rLill =

√b2+(c−1)2

4 der Radius des Lill-Kreises ist.Als Kreisgleichung erhält man:(

x+b2

)2+(y− c+1

2

)2=

b2+(c−a)2

4.

6Dies wird in [KS11] genauer dargestellt.

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48 4 Auf Entdeckungsreise zu den Nullstellen quadratischer Funktionen

Für die Ermittlung der Schnittstellen mit der x-Achse setzt man y = 0, und nach einiger Al-gebra vereinfacht sich die Gleichung zu x2+bx+c= 0. Dieser Weg ist freilich verhältnismäßiglang und mühselig.Eine wesentlich einfachere Erklärung basiert auf der Strategie, alle Verbindungsstrecken zwi-

schen den relevanten Punkte einzuzeichnen. Verbindet man einen der beiden Schnittpunkte desLill-Kreises mit der x-Achse mit den Punkten A bzw.D, so erhält man drei Dreiecke (Abb. 4.10).

Abbildung 4.10: Captain Lills Kreis und Vietas Wurzelsatz

Der Lill-Kreis entpuppt sich als Thaleskreis, so dass klar wird, dass das dunkle Dreieck recht-winklig ist. Der rechte Winkel des dunklen Dreiecks gewährleistet, dass die beiden hellen Drei-ecke zueinander ähnlich sind.Bezeichnet man nun die beiden Schnittstellen des Kreises mit der x-Achse mit x1 und x2, dann

folgt aus der Ähnlichkeit:

ax1

=x2c⇔ a · c = x1 · x2.

Außerdem gilt, wie man sofort sieht:

x1+ x2 =−b.Mit a = 1 gilt also x1 + x2 = −b und x1 · x2 = c, und nach der Umkehrung des Satzes von

Vieta sind x1 und x2 die Nullstellen der Funktion f mit f (x) = x2+bx+ c.Auf diese Weise ist nachgewiesen, dass die Nullstellen der quadratischen Funktion mit den

Schnittstellen des Lill-Kreises mit der x-Achse übereinstimmen.Auch hier regt die Beschäftigung mit dem Applet zu weiterführenden Überlegungen und Fra-

gen an:1) (Wie) kann man den Lill-Kreis konstruieren, wenn man nur die Nullstellen kennt?2) Was ändert sich, wenn a �= 1?3) Wie argumentiert man, wenn c < 0?4) Welche Überlegungen lassen sich auf Polynome höheren Grades übertragen?

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4.3 Lills Methode 49

Lills Kreis bietet auch über den Standardschulstoff hinaus viele Anregungen. Beispielsweisewird in [Bal07] gezeigt, wie man mit Lills Kreis auch komplexe Nullstellen findet.Es wird also deutlich, dass durch den Einsatz von GeoGebra nicht nur neue und nachhaltigere

Einsichten möglich sind, sondern auch mehr Mathematik im Mathematikunterricht stattfindenkann.

4.3 Lills Methode

4.3.1 Das Hornerschema im neuen Gewand

Die eigentliche Tragweite der Methode, die im Kapitel 4.2 erläutert worden ist, wird erst in ih-rer allgemeineren Form deutlich, als „Lills Methode“.7 Diese Methode erlaubt es, mit Hilfe vonGeoGebra-Applets Näherungslösungen für Nullstellen zu finden, und zwar nicht nur für Funk-tionen zweiter Ordnung, sondern für ganz beliebige ganzrationale Funktionen. Wie schon inden Ausführungen in den vorangegangenen Kapiteln wird deutlich, dass die GeoGebra-Appletszwar als Katalysatoren des Erkenntnisprozesses eine eminent wichtige Rolle spielen können,dass aber gleichwohl die Lehrperson nicht zu ersetzen ist. Um den Ansatz von „Lills Methode“zu verstehen, ist es nämlich von großer Bedeutung, dass den Schülerinnen und Schülern deut-lich wird, dass die wesentliche Idee, die man bei Lills Kreis ausgenutzt hat, die Ähnlichkeit derbeiden hell gefärbten Dreiecke war. Diese Idee lässt sich mühelos übertragen, wie im Folgendendeutlich gemacht wird.Bei Lills Methode geht man von einer beliebigen ganzrationalen Funktion aus; zur besseren

Illustration soll die Funktion f mit f (x) = x4 + 6,5x3 + 14x2 + 11,5x+ 3 betrachtet werden.Durch die Koeffizienten dieses Polynoms wird nun ein Polygonzug P festgelegt: In unseremBeispiel startet man mit dem Koeffizienten von x4 und geht 1 Einheit nach rechts. Dann biegtman im 90o-Winkel nach links ab8, geht 6,5 Einheiten weiter (6,5 ist der Koeffizient von x3),biegt wiederum im 90o-Winkel nach links ab und geht 14 Einheiten weiter, biegt wiederum im90o-Winkel nach links ab und geht 11,5 Einheiten weiter, biegt ein letztes Mal im 90o-Winkelnach links ab und geht 3 Einheiten weiter. Die einzelnen Segmente des Polygons sollen derReihen nach mit p0, p1, p2, p3 und p4 bezeichnet werden.Anschließend wird ein zweiter Polygonzug Q gezeichnet. Das erste Segment von Q beginnt

beim Anfangspunkt von P und endet irgendwo auf p1. DerWinkel zwischen dem ersten Segmentvon Q und p0 soll mit α bezeichnet werden. Vom Endpunkt des ersten Segments von Q biegtman im 90o-Winkel nach links ab, bis man auf p2 trifft. Von dort biegt man im 90o-Winkel nachlinks ab, bis man auf p3 trifft, wiederum biegt man im 90o-Winkel nach links ab, bis man aufp4 trifft. Auf diese Weise entstehen zwischen den beiden Polygonzügen insgesamt 4 zueinanderähnliche Dreiecke. Um die Nullstellen von f bestimmen zu können, kann diese Situation nunin einer GeoGebra-Datei realisiert werden, und zwar so, dass der Winkel α variabel ist (Abb.4.11). Wenn es mit dieser GeoGebra-Datei gelingt, α so einzustellen, dass der Endpunkt vonQ mit dem Endpunkt von P übereinstimmt, dann hat man eine Nullstelle von f gefunden: DieNullstelle ist dann gegeben als xN =− tan(α). Durch geschickte Variation von α findet man aufdiese Weise schließlich alle Nullstellen von f .

7Eine hervorragende Darstellung der Methode von Lill findet man in [Kal09].8Wenn im Funktionsterm negative Koeffizienten auftreten, biegt man nach rechts ab. - Man beachte, dass bei LillsKreis das Polygon nicht nach dieser Vorschrift entstanden ist, dort wurde bei b „falsch“ abgebogen.

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50 4 Auf Entdeckungsreise zu den Nullstellen quadratischer Funktionen

Abbildung 4.11: Der Winkel muss so eingestellt werden, dass die Endpunkte der Polygonezusammenfallen.

Abbildung 4.12: Captain Lills Methode

Diese erstaunliche Feststellung verlangtnach einem Beweis, der jedoch recht einfachzu führen ist. Hierfür soll eine Funktion f mitf (x) = a0x4+a1x3+a2x2+a3x+a4 betrachtetwerden; für die Längen der relevanten Teilstre-cken sollen die Bezeichnungen aus Abbildung4.12 verwendet werden.Der Beweis beinhaltet drei gedankliche

Schritte:Erstens die Anwendung der Definition des

Tangens in jedem der von P und Q gebilde-ten rechtwinkligen Dreiecke, zweitens der Um-stand, dass a1 = a11+a12, a2 = a21+a22 unda3 = a31+a32 und drittens die Zusammenfüh-rung der ersten beiden Schritte.Wenn man den Wert − tan(α) mit x̃ bezeichnet, kann man aus den vier Dreiecken folgende

Gleichungen ablesen:

tanα =a11a0⇔−x̃ =

a11a0⇔ a11 =−a0 · x̃

tanα =a21a12

⇔−x̃ =a11a12

⇔ a21 =−a12 · x̃

tanα =a31a22

⇔−x̃ =a11a22

⇔ a31 =−a22 · x̃

tanα =a4a32

⇔−x̃ =a11a32

⇔ a4 =−a32 · x̃Der zweite Schritt besteht aus den drei folgenden elementaren Umformungen:

a1 = a11+a12⇔ a12 = a1−a11

a2 = a21+a22⇔ a22 = a2−a21

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4.3 Lills Methode 51

a3 = a31+a32⇔ a32 = a3−a31

Im letzten Schritt werden die Gleichungen durch sukzessives Einsetzen zusammengefügt:

a4 = −a32 · x̃= −(a3−a31) · x̃= −(a22x̃+a3) · x̃= −((a2−a21)x̃+a3) · x̃= −((a12x̃+a2)x̃+a3) · x̃= −(((a1−a11)x̃+a2)x̃+a3) · x̃= −(((a0 · x̃+a1)x̃+a2)x̃+a3) · x̃

Daraus ergibt sich sofort:

(((a0 · x̃+a1) · x̃+a2)+a3) · x̃+a4 = 0.

Startet man mit dem ersten der vier durch P und Q festgelegten rechtwinkligenDreiecke, dann gilt zunächst

tan(α) =p11p0⇔ p11 = p0 · tan(α) =−p0x̃.

Wegen p1 = p11+ p12 folgt

p12 = p1− p11 = p0 · x̃+ p1.

Aufgrund der Ähnlichkeit der Dreiecke gilt tan(α) = p21p12, also

p21 = p12 · tan(α) =−p12 · x̃ =−(p0 · x̃+ p1) · x̃.

Weil nun wieder p22 = p2− p21 ist, folgt

p22 = (p0 · x̃+ p1) · x̃+ p2.

Im nächsten Schritt ergibt sich wegen tan(α) = p31p22analog

p31 = p22 · tan(α) =−p22 · x̃ =−((p0 · x̃+ p1) · x̃+ p2) · x̃.

Mit p32 = p3− p31 folgt

p32 = ((p0 · x̃+ p1) · x̃+ p2)+ p3,

und aus tan(α) = p4p32folgt schließlich

p4 = p32 · tan(α) =−p32 · x̃ =−(((p0 · x̃+ p1) · x̃+ p2)+ p3) · x̃,

also(((p0 · x̃+ p1) · x̃+ p2)+ p3) · x̃+ p4 = 0.

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52 4 Auf Entdeckungsreise zu den Nullstellen quadratischer Funktionen

Weil links das Hornerschema für das ursprüngliche Polynom steht, ist gezeigt, dass x̃ eineNullstelle von f ist. Der Zusammenhang zwischen Lills Methode und dem Hornerschema istsicherlich nicht nur für die Schülerinnen und Schüler erstaunlich, sondern auch für viele Lehre-rinnen und Lehrer. Er ergibt sich aber ganz natürlich, wenn das Hornerschema im Vorfeld nichtnur thematisiert, sondern auch geometrisch gedeutet worden ist. Der beschriebene Zusammen-hang unterstreicht nachhaltig, dass mathematische Beweise nicht aus Pflichterfüllung geführtwerden sollen, sondern einen echten Mehrwert bieten können. Dennoch benötigt man für denBeweis nur ein Mindestmaß an mathematischem Vorwissen und Kenntnissen, so dass auch leis-tungsschwächere Schülerinnen und Schüler in der Lage sein sollten, den Beweis zu führen.

4.3.2 Mit Lills Methode zur Linearfaktorzerlegung von Polynomen

Nachdem gezeigt worden ist, dass sich mit Hilfe der Methode von Lill Nullstellen von ganzra-tionalen Funktionen auch höheren Grades finden lassen, kann man einen Schritt weiter gehen.Wenn man nämlich eine Nullstelle xN einer ganzrationalen Funktion n-ten Grades kennt, dannkann man durch Division des Funktionsterms durch (x− xN) zu einer ganzrationalen Funktion(n−1)-ten Grades übergehen und das Verfahren wiederholen. Dabei übernimmt der PolygonzugQ die Rolle des Polygonzugs P und und ein neu zu konstruierender Polygonzug R übernimmtdie Rolle des Polygonzugs Q.Dass die auf diese Weise gefundene neue Nullstelle korrekt ist, lässt sich folgendermaßen

einsehen: Wenn unsere ursprüngliche ganzrationale Funktion den Funktionsterm f (x) = a0xn +a1xn−1 + ...+ an hat und die im ersten Schritt von Lills Methode gefundene Nullstelle xN ist,dann kann man zeigen, dass die Ankatheten von α in den betrachteten Dreiecken der Reihe nachdie Längen a0, a0xN + a1, (a0xN + a1)xN + a2 usw. haben. Dies sind aber genau die Koeffizi-enten des Polynoms f (x)

(x−xN) . Bedenkt man nun noch, dass wegen der Ähnlichkeit der Dreieckedie Längen aller Hypotenusen durch denselben Streckfaktor aus den Längen der entsprechen-den Ankatheten hervorgehen, dann ist die Gültigkeit des beschriebenen Verfahrens gezeigt. Aufdiese Weise erhält man imposante Bilder von der Linearfaktorzerlegung von Polynomen:

Abbildung 4.13: Die Linearfaktorzerlegung eines Polynoms 4. Grades

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4.4 Über Nullstellen hinaus 53

4.4 Über Nullstellen hinaus

Die Tragweite der Methode von Lill geht weit über die Suche nach Nullstellen hinaus. Sehreinfach lässt sich beispielsweise das Monotonieverhalten der untersuchten Funktion mit LillsMethode bestimmen, und auch hier kann eine geeignete GeoGebra-Datei sehr aufschlussreichsein und mathematische Denkprozesse anregen.Eine ausführliche Erörterung würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen. An einem ab-

schließenden Beispiel soll aber noch gezeigt werden, dass Lills Kreis und Lills Methode nichtnur selber reichhaltige und fruchtbare Untersuchungsgegenstände sind, sondern ihrerseits alsmathematisches Werkzeug eingesetzt und zur Lösung vielfältiger Probleme herangezogen wer-den können.

4.4.1 Konstruktion des regelmäßigen Fünfecks

Eine auf den ersten Blick erstaunliche Anwendung von Lills Entdeckungen besteht in der Kon-struktion des regelmäßigen Fünfecks mit Zirkel und Lineal.9 Ein Zusammenspiel von Überle-gungen zu komplexen Polynomen und Lills Kreis, der in diesem Zusammenhang als Werkzeuggebraucht wird, ermöglicht es, eine Konstruktion des regelmäßigen Fünfecks zu verstehen, diemanche Schülerin und manch Schüler in der Sekundarstufe I noch unverstanden auswendig ge-lernt hat.Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Einsicht, dass die Konstruktion des regelmäßigen

Fünfecks gleichwertig ist mit der Konstruktion der komplexen Lösungen der Gleichung z5−1=0. Eine Nullstelle, nämlich z0 = 1, ist trivial. Die übrigen Lösungen lassen sich zwar nicht unmit-telbar mit Zirkel und Lineal allein konstruieren, aber man kennt die Lösungen: Die komplexenNullstellen sind z1 = e

2πi5 , z2 = e

4πi5 , z3 = e

6πi5 und z4 = e

8πi5 . Mit Hilfe von GeoGebra kann

man sie sich nicht nur anzeigen lassen, sie können von GeoGebra auch als komplexe Zahleninterpretiert werden (Eigenschaften→ Algebra→ Komplexe Zahl).

Abbildung 4.14: Die komplexen Lösungen von z5−1= 0 und die Summen s1 = z2+ z3 bzw. s2 = z1+ z4

Es ist klar, dass die Summen s1 = z1+ z4 und s2 = z2+ z3 reell sind, weil z4 = z1 und z3 = z2.Durch einfaches Nachrechnen oder mit Hilfe von GeoGebra lassen sich s1 und s2 bestimmenund darstellen.9Eine schöne Darstellung des hier beschriebenen Verfahrens findet man in [DeT91].

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54 4 Auf Entdeckungsreise zu den Nullstellen quadratischer Funktionen

Im Folgenden wird gezeigt, dass Lills Kreis eine Konstruktion von s1 und s2 mit Zirkel undLineal liefert:

Abbildung 4.15: Konstruktion von s1 und s2 - danach konstruiert sich das Fünfeck fast von selbst...

Es ist leicht zu verifizieren, dass für s1 und s2 die Beziehungen s1 + s2 = −1 und s1 · s2 =−1 gelten, so dass aus der Umkehrung des Satzes von Vieta folgt, dass s1 und s2 die reellenLösungen der Gleichung x2+x−1= 0 sind. Daher lassen sich die Punkte S1(s1|0) und S2(s2|0)mit Hilfe des Kreises von Lill konstruieren. Weil z2 und z3 bzw. z1 und z4 komplex konjugiertsind, sind die Realteile von z2 und z3 jeweils halb so groß wie s1 und die Realteile von z1 undz4 halb so groß wie s2. Aus diesem Grund sind die gesuchten Eckpunkte des regelmäßigenFünfecks gerade die Schnittpunkte der Geraden g1 mit x = s1

2 bzw. g2 mit x = s22 mit dem

Einheitskreis, und eine Konstruktion des regelmäßigen Fünfecks mit Zirkel und Lineal ist nichtnur gelungen, sondern auch auf besonders elegante Weise verstanden.

4.5 Resümee

In diesem Kapitel wurden Möglichkeiten aufgezeigt, geometrische und experimentelle Zugän-ge zu den Standardverfahren der Nullstellenbestimmung zu entwickeln. Dadurch werden dieseVerfahren und ihre Grundideen nicht nur anschaulicher gemacht, sondern es wird vor allemauch ein besseres Verständnis ermöglicht. Auf diese Weise wird unterstützt, dass Mathematikvon den Schülerinnen und Schülern als freudvolles Geschäft und nicht als stupide Anwendungunverstandener Algorithmen erlebt wird.Der Kreis von Captain Lill und die Methode von Lill zeigen, dass es neben den Standardver-

fahren noch weitere Verfahren gibt, die mit großem Gewinn in den Unterricht integriert werdenkönnen. Mit Hilfe des Applets zum Lill-Kreis kann ein tieferes Verständnis von quadratischenFunktionen aufgebaut werden - zugleich wird deutlich, wie GeoGebra denMathematikunterrichtbereichern kann. Die mit dem Lill-Kreis und der Methode von Lill verbundenen Fragen förderndas inhaltliche und vernetzende Denken und regen zum mathematischen Argumentieren an. Au-ßerdem wird deutlich, dass der Lill-Kreis einerseits Objekt gewinnbringender Entdeckungensein kann, dann aber, nachdem man seine Wirkungsweise einmal verstanden hat, als mächtigesWerkzeug eingesetzt werden kann (z. B. zur Konstruktion des regelmäßigen Fünfecks).Mit diesen Anregungen ist der Wunsch verbunden, dass mehr mathematische Probleme dieser

Art Einzug in den Mathematikunterricht halten und dass auf diese Weise den Schülerinnen undSchülern Gelegenheit gegeben wird, mehr Mathematik zu verstehen.

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Literatur 55

Literatur

[Alt08] ALTEN, H.-W., DJAFARI NAINI, A., FOLKERTS, M., SCHLOSSER, H., SCHLOTE,K.-H. & WUSSING, H. (2008). 4000 Jahre Algebra. Springer, 2. Aufl.

[Bal07] BALLEW, P. (2007). Solutions to Quadratic Equations. By analytic and gra-phic methods. Including several methods you probably have never seen. URL:http://www.pballew.net/quadsol.doc (Zugriff vom 03.03.2011).

[DeT91] DETEMPLE, D. W. (1991). Carlyle Circles and the Lemoine Simplicity of PolygonConstructions. In: The American Mathematical Monthly, Volume 98, Issue 2, S. 97–108.

[ES02] ELSCHENBROICH, H. J. & SEEBACH, G. (2002). Dynamisch Geometrie entdecken.Elektronische Arbeitsblätter für Euklid DynaGeo. Klasse 7 - 10. coTec Verlag.

[KS11] KAENDERS, R. & SCHMIDT, R. (2011). Beispiele, Perspektiven und Fragen zur För-derung mathematischer Begriffsentwicklung durch GeoGebra. In: Beiträge zum Mathe-matikunterricht 2011. WTM Verlag.

[Kal09] KALMAN, D. (2009). Uncommon Mathematical Excursions: Polynomia and relatedRealms, The Mathematical Association of America, USA.

[Kas98] KASKE, R. (1998). Quadratische Gleichungen bei al-Khwarizmi. In: mathematik leh-ren, Heft 91, Dez. 1998, 14-18.

[Lil67] LILL, M. E. (1867). Résolution Graphique. Des équations numériques de tous les de-grés à une seule inconnue, et description d’un instrument inventé dans ce but. In: Nou-velles Annales de Mathématique, no 55, S. 359–362.

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5 Diskriminante und Nullstellen von Polynomen

Oliver Labs

Das Lösen quadratischer Gleichungen, z.B. mit Hilfe der sogenannten pq-Formel, ist hinlänglichbekannt. Für eine gegebene Gleichung x2+ px+q= 0 ist es damit ein Leichtes, herauszufinden,ob die Gleichung zwei, eine oder keine Lösung besitzt. Doch wie hängt die Anzahl dieser Lö-sungen von den Koeffizienten p und q ab? Beispielsweise, wenn man die Koeffizienten p und qder Gleichung zufällig aus einem gewissen Bereich wählt, etwa |p|, |q| ≤ a für ein a > 0?Über einen experimentellen Zugang werden wir sehen, wie bei der Beantwortung dieser Fra-

gen auf natürliche Weise implizite Gleichungen auftauchen und wie die neuen Visualisierungs-und Vernetzungsmöglichkeiten der Computerprogramme GeoGebra und Surfer die Untersu-chungen erleichtern können. Nach dem ausführlichen Studium des Falles quadratischer Poly-nome gehen wir kurz auf Polynome vom Grad 3 und 4 ein.

5.1 Einleitung

Welchen Einfluss haben die Koeffizienten von Polynomen auf deren Nullstellen? Ausgehend vonExperimenten mit der Dynamischen Geometrie Software (DGS) betrachten wir zunächst denFall der quadratischen Polynome im Detail, bevor wir auf Polynome höheren Grades eingehen.Kenner Dynamischer Geometrie Software denken bei solchen Fragen vermutlich sofort an

Schieberegler. Um deren Anzahl zu reduzieren, kann man die allgemeine quadratische Glei-chung ax2 + bx+ c = 0 in einer Variablen x mit Koeffizienten a,b,c ∈ R zu einer normiertenGleichung mit nur zwei Parametern umformen: x2+ px+q = 0 mit p = b

a und q = ca . Mit Geo-

Gebra kann man nun die Nullstellen von f (x) := x2+ px+ q experimentell untersuchen; etwamit dem GeoGebra-Applet Schieberegler auf der Webseite zu diesem Kapitel (s. auch Abb. 5.1).Für die Schieberegler wurde dabei die Standardeinstellung von GeoGebra beibehalten, d.h. dieParameter p und q können damit jeweils zwischen −5 und 5 verändert werden.Der Einfluss des Parameters q ist recht einfach zu klären: der Graph des Polynoms wird bei

Variation von q auf und ab geschoben. Doch was genau passiert bei der Veränderung von p?Und vor allem: Für welche Kombinationen von p und q hat f keine, eine oder zwei Nullstellen?Und außerdem: Wieviele Nullstellen hat das Polynom vermutlich, wenn wir die Schiebereglerirgendwie, d.h. zufällig, einstellen? Wieviele Nullstellen hat das Polynom x2+ px+q also ver-mutlich, wenn wir die Parameter p und q zufällig im Bereich von −5 bis 5 oder allgemeiner −abis a wählen? Oder genauer: Wie wahrscheinlich sind die einzelnen Möglichkeiten?Neben GeoGebra setzen wir bei der Untersuchung dieser Fragen auch die Software Surfer

[Mey08] ein, die vom Autor für die Wanderausstellung Imaginary im Jahr 2008 mitentwickeltwurde.

R. Kaenders, R. Schmidt (Hrsg.), Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen, DOI 10.1007/978-3-8348-8340-7_5,© Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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58 5 Diskriminante und Nullstellen von Polynomen

Abbildung 5.1: Per Schieberegler kann man in GeoGebra den Einfluss der Parameter auf das Polynomx2+ px+q experimentell untersuchen.

5.2 Nullstellen von zufälligen quadratischen Polynomen

Um der Beantwortung der Eingangsfragen nach dem Einfluss der Koeffizienten quadratischerPolynome auf deren Nullstellen auf den Grund gehen zu können, wiederholen wir zunächstkurz, wie man Nullstellen quadratischer Gleichungen finden kann. Über Experimente mit Dy-namischer Geometrie Software kommen wir schließlich zu Antworten.

5.2.1 Die Diskriminante normierter quadratischer Polynome

Die Nullstellen eines normierten quadratischen Polynoms x2+ px+q= 0 mit Parametern p,q∈R können wir mit Hilfe quadratischer Ergänzung finden:

0= x2+ px+q =(x+

p2

)2−( p2

)2+q =

(x+

p2

)2−(( p2

)2−q)

.

Die reellen Lösungen dieser Gleichung sind daher, falls ( p2 )2− q > 0 ist, die beiden aus der

pq-Formel bekannten Zahlen x1,x2 ∈ R, nämlich x1,2 = − p2 ±

√( p2

)2−q, weil sich für dieseWerte von x beim Einsetzen in die obige Gleichung 0 ergibt. Man sieht, dass man

• genau zwei reelle Lösungen erhält, wenn der Term unter der Wurzel positiv ist, d.h. wenn

D(p|q) :=( p2

)2−q > 0,

• genau eine (doppelte) Lösung erhält, wenn D(p|q) = 0,

• keine reelle Lösung erhält, wenn D(p|q) < 0 ist.

Die Anzahl der Lösungen der quadratischen Gleichung können wir also an ihren Parame-tern ablesen, indem wir das Vorzeichen von D(p|q) ermitteln. Weil das Vorzeichen des TermsD(p|q) über die Anzahl der Lösungen entscheidet, wird D(p|q) als Diskriminante (von diskri-minare: unterscheiden) des quadratischen Polynoms x2+ px+q = 0 mit den Parametern p undq bezeichnet.

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5.2 Nullstellen von zufälligen quadratischen Polynomen 59

5.2.2 Ein GeoGebra-Experiment

Um nun eine erste Idee davon zu bekommen, wie viele Nullstellen das Polynom x2 + px+ qbei beliebiger Einstellung der Schieberegler für p und q (s. Abb. 5.1) vermutlich hat, lassenwir GeoGebra zufällig 100 Punkte (p|q) mit p,q ≤ a für einige Werte a wählen und, falls daszugehörige Polynom fpq(x) = x2+ px+ q zwei Nullstellen hat, den Punkt (p|q) rot in die pq-Ebene einzeichnen, bei keiner Nullstelle blau und bei genau einer Nullstelle schwarz. Für a = 6ergibt sich ein Bild wie jenes in Abb. 5.2.

Abbildung 5.2: 100 zufällige Punkte (p|q) wurden von GeoGebra in einem Quadrat gewählt und je nachAnzahl der Nullstellen von fpq(x) = x2+ px+q eingefärbt: blau bei keiner Nullstelle, rot bei zwei Null-stellen, schwarz bei genau einer Nullstelle.

Über die Webseite zu diesem Kapitel können Sie das Experiment mit Hilfe des Knopfes NeueZufallspunkte beliebig oft wiederholen oder den ganzzahligen Parameter a zwischen 0 und 8über den Schieberegler variieren.

Nach einigen Experimenten dieser Art ist eine Vermutung über die Verteilung der Punkte(p|q) naheliegend; es gibt zwei zusammenhängende Bereiche: keine Lösung (blaue Punkte),zwei Lösungen (rote Punkte). Der blaue Bereich scheint dabei in etwa das Innere einer Parabelzu sein, die im Verhältnis zum Quadrat schmaler wird, je größer a wird. Insgesamt kommt alsoder Fall, dass es zwei reelle Lösungen gibt, wesentlich häufiger vor, grob geschätzt im Beispiela = 6 von oben in etwa 70% der Fälle. Der verbleibende Fall, dass es genau eine Lösung gibt,tritt nahezu gar nicht auf.

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60 5 Diskriminante und Nullstellen von Polynomen

5.2.3 Im Parameterraum

Wie können wir uns das Ergebnis des Experiments erklären? Zur Klärung dieser Frage betrach-ten wir die bestimmende Größe D(p|q) =

( p2

)2−q, also die Diskriminante des Ausgangspoly-noms fpq(x), etwas genauer. Es gilt:

fpq(x) hat genau eine Lösung ⇐⇒ D(p|q) = 0 ⇐⇒( p2

)2−q = 0 ⇐⇒ q =14p2.

Die Menge der Parameterpunkte (p|q), für die die Ausgangsparabel fpq(x) = x2+ px+q genaueine Nullstelle hat, bildet in der pq-Ebene also selbst eine Parabel. Entsprechend können wir diePunkte (p|q), die zwei bzw. keine Lösung liefern, charakterisieren:

fpq(x) hat zwei Lösungen: ⇐⇒ D(p|q) > 0 ⇐⇒ q < 14 p2,

fpq(x) hat keine Lösung: ⇐⇒ D(p|q) < 0 ⇐⇒ q > 14 p2.

Tatsächlich liegen die Punkte (p|q) ∈ [−a,a]2, die keine Lösung liefern, also innerhalb einesparabelförmigen Gebietes und diejenigen zu zwei Lösungen außerhalb (s. Abb. 5.3).

Abbildung 5.3: Innerhalb der Parabel q = 14 p2 liegen die Punkte, zu denen die Gleichung x2+ px+q = 0

keine Lösung hat, außerhalb die zu denen mit zwei Lösungen.

Mit Hilfe des GeoGebra-Applets Diskriminante quadratischer Polynome von der Kapitel-webseite (s. auch Abb. 5.4) kann man dies interaktiv nachvollziehen, indem man den PunktR = (p|q) mit der Maus verschiebt, mal auf die Parabel D(p|q) = 0, mal über und mal untersie. Zwei Koordinatensysteme werden dabei gleichzeitig angezeigt, nämlich die pq-Ebene unddie xy-Ebene, damit der Zusammenhang der beiden Gleichungen fpq(x) = x2+ px+q = 0 undD(p|q) = 0 auf einen Blick betrachtet werden kann.

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5.2 Nullstellen von zufälligen quadratischen Polynomen 61

Abbildung 5.4: Über den Punkt R = (p|q) kann man beim Applet die Parameter der quadratischen Funkti-on, die links in rot gezeigt ist, verändern und dabei insbesondere deren Nullstellen betrachten.

5.2.4 Alle Nullstellen auf einen Blick

In Abb. 5.3 hatten wir die Punkte (p|q) je nach der Anzahl der Nullstellen eingefärbt. Stattdessen können wir auch für jeden Punkt (p|q), zu dem es Nullstellen x1 und x2 von fpq(x) =x2+ px+q gibt, auch gleich die beiden Punkte (p|q|x1) und (p|q|x2) in einem dreidimensionalenKoordinatensystem einzeichnen. So erhalten wir ein Bild, das aus allen Punkten (p|q|x) ∈ R

3

besteht, die die Gleichung fpq(x) = x2+ px+q = 0 erfüllen. Abb. 5.5 zeigt ein solches und zu-sätzlich die pq-Ebene, in der die Diskriminante D(p|q) eingezeichnet ist. Die vertikalen Balkensind zwei ausgewählte Geraden, die senkrecht zur pq-Ebene stehen. Die grüne Gerade schnei-det daher die Oberfläche x2+ px+ q = 0 in den beiden Punkten (p|q|x1) und (p|q|x2), für diex2i + pxi + q = 0 gilt; x1 und x2 sind also gerade die Nullstellen des Polynoms x2 + px+ q.Die schwarze Gerade geht durch die Diskriminante (die schwarze Parabel) und berührt daherdie Fläche x2+ px+ q = 0 in genau einem Punkt. Jede vertikale Gerade durch das Innere derParabel schneidet die Fläche nicht, weil sie ja zu Punkten (p|q) gehört, so dass das Polynomx2+ px+q keine Nullstelle hat.Solche Punktmengen können mit Hilfe der Software Surfer, die kostenfrei von [Mey08] her-

untergeladen werden kann, visualisiert werden. Die dort ebenfalls kostenfrei verfügbare Java-Version jSurfer hat zwar in der aktuellen Version (Mai 2011) noch weniger Features, dafür kannman diese Software aber ohne Installation direkt im Browser nutzen. Bei beiden Programmengibt man einfach die Gleichung (allerdings zwingend in den Variablen x,y,z) ein und schon wirddie Menge der Punkte angezeigt und man kann sie auch interaktiv drehen und von allen Seitenbetrachten.

5.2.5 Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen

Wir haben mit Hilfe der Diskriminante verstanden, warum mehr der zufälligen quadratischenPolynome fpq(x) = x2+ px+q zwei Nullstellen besitzen als keine Nullstelle. Um genaue Aus-sagen über die Wahrscheinlichkeit machen zu können, mit der ein solches Polynom zwei Null-stellen besitzt, können wir z.B. den Flächeninhalt innerhalb der Parabel (Abb. 5.3) mit dem Rest

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62 5 Diskriminante und Nullstellen von Polynomen

Abbildung 5.5: Alle Nullstellen der Gleichung x2+ px+q in einem Bild, das nämlich die Punkte (p|q|x)∈R3 zeigt, die die Gleichung x2+ px+q = 0 erfüllen.

des Quadrates vergleichen. Dazu unterscheiden wir zwei Fälle, wie sich die Parabel q = 14 p2

und das Quadrat mit Seitenlänge 2a schneiden (s. dazu Abb. 5.3):

1. Die Parabel schneidet das Quadrat in der linken und rechten Kante bzw. a≥ a24 bzw. a≤ 4.

Durch Integration können wir dann den Flächeninhalt innerhalb der Parabel berechnen:

P0≤a≤4( fpq(x) hat keine Nullstelle) =ParabelflächeninhaltQuadratflächeninhalt

=2a2− 1

6a3

4a2.

2. Die Parabel schneidet das Quadrat in der oberen Kante, d.h. a≤ a24 bzw. a≥ 4.

Pa≥4( fpq(x) hat keine Nullstelle) =ParabelflächeninhaltQuadratflächeninhalt

=4a2√a− 8

6√a3

4a2.

Beispielsweise erhalten wir für a = 6 einen Flächenanteil von etwa 27%, also den im obigenExperiment ungefähr beobachteten Anteil.

5.3 Polynome höheren Grades

Bei Gleichungen höheren Grades werden wir das Problem im Allgemeinen nicht auf zwei Pa-rameter reduzieren können. Im Fall von Polynomen vom Grad 3 geht das aber noch, weshalbwir diesen noch etwas detailiierter betrachten, bevor wir für höhere Grade nur einen knappenAusblick geben.

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5.3 Polynome höheren Grades 63

5.3.1 Polynome vom Grad 3

Wir beginnen mit einem normierten Polynom x3+ ax2+ bx+ c in drei Parametern und führenes mit der Transformation x → x− 1

3a auf eines in zwei Parametern zurück:

(x− 13a)3+a(x− 1

3a)2+b(x− 1

3a)+ c

= x3−ax2+13a2x+

127

a3+ax2− 23a2x+

19a3+bx− 1

3ab+ c

= x3+ px+q

für gewisse Koeffizienten p und q, die nur von a,b,c und nicht von x abhängen.

5.3.1.1 Bestimmung der Diskriminante

Wieviele Nullstellen hat ein zufälliges solches kubisches Polynom? Genauso wie bei quadrati-schen Polynomen suchen wir zunächst nach einer Bedingung an die Parameter p und q, unterder es nur zwei Nullstellen gibt, d.h. dass mindestens eine Nullstelle eine doppelte ist, also:

x3+ px+q = (x− x1)2(x− x2).

Ausmultiplizieren der rechten Seite zu x3− 2x1x2− x2x2+ x21x+ 2x1x2x− x21x2 und Koeffzien-tenvergleich liefert dann:

0 = 2x1+ x2,

p = x21+2x1x2,q = x21x2.

Wir erhalten also nach Einsetzen von x2 =−2x1 in die beiden letzten Gleichungen:

p =−3x21 und q =−2x31.

Damit haben wir eine Parametrisierung t → (−3t2,−2t3) der Menge der Punkte in der pq-Ebenegefunden, die wenigstens eine doppelte Nullstelle liefern.Um eine Bedingung an die Parameter p und q zu finden, in der die Nullstelle x1 nicht mehr

vorkommt, stellen wir fest, dass p3 = −27x61 und q2 = 4x61 ist, so dass 4p3 = −27q2 gilt. Das

Polynom

D(p|q) = 4p3+27q2

wird daher wieder als Diskriminante bezeichnet.Tatsächlich beschreiben die Parametrisierung t → (−3t2,−2t3) und die Bedingung 4p3 +

27q2 = 0 die gleiche Menge von Punkten in der pq-Ebene; jeder Punkt im Bild der Parametri-sierung erfüllt nämlich die Gleichung und die Menge der Punkte, die die Gleichung erfüllen,

besteht ebenfalls nur aus zwei Ästen, wie die Umformung q = ± 23

√− 13 p3 zeigt (s. auch Abb.

5.6).

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64 5 Diskriminante und Nullstellen von Polynomen

Abbildung 5.6: Die Punkte (p|q), für die die Gleichung x3+ px+ q wenigstens eine doppelte Nullstellebesitzt. Diese werden z.B. durch die Bedingung 4p3+ 27q2 = 0 beschrieben, also durch die Punkte, fürdie die Diskriminante 0 ist.

5.3.1.2 Die Diskriminante und die Anzahl der Nullstellen

Genau wie im Fall der quadratischen Gleichung können wir auch hier alle Nullstellen des Poly-noms x3+ px+q gleichzeitig in einem Bild im pqx-Raum darstellen, indem wir dort alle Punkte(p|q|x) ∈R

3 einzeichnen, die die Gleichung x3+ px+q = 0 erfüllen. Wie zuvor ist es hilfreich,die Diskriminante in einer zur pq-Ebene parallelen Ebene mit einzuzeichnen, damit wir durcheine vertikale (zur x-Achse parallele) Gerade gleichzeitig sehen können, wieviele Nullstellendas Polynom besitzt und wo der Punkt (p|q) bzgl. der Diskriminante liegt (Abb. 5.7).

Abbildung 5.7: Die Bilder zeigen die Menge aller Punkte (p|q|x), die die Gleichung x3+ px+q = 0 erfül-len. Wir sehen in einer Graphik also alle Nullstellen aller solcher Gleichungen. Die zur x-Achse parallelenGeraden zeigen, dass zu einem Punkt (p|q) außerhalb der schwarz eingezeichneten Diskriminanten in derroten pq-Ebene genau eine Nullstelle von x3+ px+ q existiert und zu einem Punkt innerhalb der Diskri-minanten drei.

Auf der Webseite [BL06, Nr. 4] läuft die vertikale Gerade in einem vom Autor erstelltenFilm verschiedene Punkte (p|q) ab. Daran sieht man deutlich, welche Bereiche der pq-Ebene zuPolynomen mit einer, zwei bzw. drei Nullstellen gehören (der Fall keiner Nullstelle existiert bei

Page 70: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

5.3 Polynome höheren Grades 65

Polynomen von ungeradem Grad ja nicht wegen des Zwischenwertsatzes).Alternativ können Sie wie bei den quadratischen Polynomen zwei Koordinatensysteme gleich-

zeitig in GeoGebra anzeigen lassen (s. Abb. 5.8 und das zugehörige GeoGebra-Applet auf derKapitel-Webseite) und dann den Punkt R = (p|q) im pq-Koordinatensystem verschieben unddabei betrachten, wie sich der Graph und die Nullstellen des Polynoms x3+ px+ q verändern.Besonders interessant ist es z.B., R auf der Diskriminante entlang hin zum Ursprung des pq-Koordinatensystems zu verschieben und dann auf dem anderen Ast der Diskriminante wiederwegzubewegen. Warum passiert dabei das, was man dabei beobachten kann?

Abbildung 5.8: Das Bild zeigt die Diskriminante D(p|q) = 0 und einen Punkt R = (p|q) in einem pq-Koordinmatensystem sowie den Graph des Polynoms x3+ px+q im xy-Koordinatensystem. In GeoGebrakann man den Punkt R verschieben und beobachten, wie sich der Graph und die Nullstellen entsprechendverändern.

5.3.1.3 Integralrechnung versus Approximation durch ein Vieleck

Um nun die Wahrscheinlichkeit für drei Nulltellen bei einer zufälligen Wahl der Parameter pund q in einem Bereich [−a,a] für ein gewisses a > 0 zu bestimmen, können wir wieder ein

Integral bestimmen. Wegen der Gleichung q =± 23

√− 13 p3 ist die gesuchte Fläche gerade:

F = 2 ·∫ 0

−a23

√−13p3 dp = 2 ·

[4p√−p3

15√3

]p=0p=−a

.

Für a = 4 ergibt sich z.B. ein Flächeninhalt von ungefähr 9,86, also eine Wahrscheinlichkeit fürdas Auftreten von drei verschiedenen Nullstellen von etwa

9,868 ·8 ≈ 15,4%.

Interessieren wir uns aber sowieso nur für eine ungefähre Bestimmung dieses Anteils, könnenwir das Werkzeug GeoGebra hierfür auch einsetzen, um dies zu erledigen. Allerdings geht esmit Hilfe dieser Software auch ohne Integralrechnung: Beispielsweise können wir, wie in Abb.5.9 gezeigt, den Inhalt der Kurve durch ein Vieleck approximieren und GeoGebra dessen Fläche

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66 5 Diskriminante und Nullstellen von Polynomen

ermitteln lassen; zu Fuß wären hierfür nur Kenntnisse über den Flächeninhalt von Dreieckennötig. Die Abweichung beträgt im gezeigten Beispiel nur 0,1; wir erhalten nämlich den Wert9,96 statt den korrekten 9,86. Die Behandlung der Frage ist also erschöpfend auch gänzlichohne Integralrechnung möglich; analog hätten wir freilich auch den Flächeninhalt im Fall derquadratischen Gleichung bestimmen können.

Abbildung 5.9: Eine Approximation des Flächeninhalts der Kurve durch einen Vielecksinhalt. In diesemBeispiel ergeben sich ein Wert von 9,96 statt den korrekten 9,86.

5.3.2 Polynome vom Grad ≥ 4Teilweise können die bisherigen Herangehensweisen auch noch für Grad 4 übernommen wer-den. Wieder kann man das Studium der allgemeinen Gleichung x4+ ax3+ bx2+ cx+ d durcheine geeignete Transformation auf den Fall x4 + px2 + qx+ r zurückführen, der ein Problemmit einem Parameter weniger darstellt. Die Diskriminante D(p|q|r), deren Nullstellenmengeaus jenen Punkten (p|q|r) besteht, für die wenigstens eine doppelte Nullstelle existiert, ist jetztallerdings ein Polynom in drei Variablen p,q,r und außerdem recht aufwändig zu bestimmen.Mit Computer Algebra Software ist dies zwar ohne größere Probleme realisierbar, jedoch ist

es selbst mit einer korrekten Gleichung nicht trivial, auch ein korrektes Bild dazu zu produzieren.Beispielsweise zeigt Surfer nicht den aus der Fläche herausragenden parabelförmigen Ast (s.Abb. 5.10). Das Bild wurde daher mit Hilfe anderer Software (Singular [GPS06] und Surfex[?]) auf Basis umfangreicherer Vorberechnungen hergestellt. Es ist ebenfalls Teil eines Filmes,den der Autor auf [BL06] zur Verfügung stellt.Das Berechnen der Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Möglichkeiten würde in diesem Fall

allerdings das Bestimmen von Rauminhalten erfordern, die durch die Diskriminante im R3 ab-

geteilt werden. Das unterlassen wir hier aber und begnügen uns damit, dass wir aus der Gra-phik wenigstens Schätzungen der Größenverhältnisse der einzelnen Kammern geben können. Insolchen Fällen spielen Visualisierungen also auch für das Finden konkreter Zahlenwerte einezentrale Rolle.Für Polynome von noch höherem Grad sind Visualisierungen nur noch möglich, wenn man

sich auf Mengen von Polynomen beschränkt, die maximal drei Parameter haben. Konkrete Be-rechnungen sind in diesen Fällen noch wesentlich komplizierter, so dass wir darauf gar nichteingehen möchten.

Page 72: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

5.4 Resümee und Ausblick 67

Abbildung 5.10: Das Bild links zeigt die Menge aller Punkte (p|q|r), für die das Polynom x4+ px2+qx+r wenigstens eine doppelte Nullstelle besitzt. Rechts wird im oberen Bereich zusätzlich der Graph desPolynoms für den Punkt (p|q|r) gezeigt, der durch eine kleine blaue Kugel markiert ist. In ähnlicher Weisewird auf der Webseite [BL06, Nr. 15], die Geometrie der Fläche und der Zusammenhang zu der Anzahlder Nullstellen des Polynoms knapp erläutert und durch einen vom Autor erstellten Film illustriert.

5.4 Resümee und Ausblick

Bei der Untersuchung der Nullstellen von Polynomen haben wir gleichzeitig in zwei verschiede-nen Koordinatensystemen gearbeitet und dabei im ParameterraumKurven betrachtet, die sowohldurch implizite (d.h. nicht nach einer Variablen aufgelöste) Gleichungen als auch durch Parame-trisierungen beschrieben werden können. Mit deren Hilfe konnten wir die Eingangsfrage nachder Abhängigkeit der Anzahl der Nullstellen von den Koeffizienten in den Fällen Grad 2 undGrad 3 beantworten. Auch die Wahrscheinlichkeit, mit der zufällige Polynome eine gewisse An-zahl von Nullstellen besitzen, ist für kleine Polynomgrade berechenbar: Steht Integralrechnungzur Verfügung, kann man mit ihrer Hilfe die Flächeninhalte bestimmen, doch auch eine einfacheApproximation der Flächen in GeoGebra durch Vielecke liefert recht genaue Ergebnisse.Mehrere Bereiche der Mathematik wurden bei unserer Untersuchung vernetzt: Einerseits Al-

gebra, Geometrie und Stochastik, andererseits aber auch ebene Koordinaten in verschiedenenKoordinaten-Ebenen und auch ebene und räumliche Koordinaten. Durch die dabei augenfälligwerdenden Zusammenhänge erhält man ein wesentlich facettenreicheres Verständnis der Fragenach dem Einfluss der Koeffizienten auf die Nullstellen von Polynomen, als es die ausschließli-che Behandlung der pq-Formel erlaubt.Bei ähnlichen Betrachtungen treten genauso wie in diesem Artikel immer implizite Gleichun-

gen auf. In nicht zu komplizierten Fällen, wie den vorgestellten, ist es möglich, Punktmengen,die durch solche Gleichungen gegeben sind, auch per Hand oder mit Hilfe von wenig Program-mierung in GeoGebra zu visualisieren und damit, wie oben geschehen, beispielsweise Größen-verhältnisse abschätzen zu können. Für kompliziertere Fälle steht aktuelle Software bereit, diealle Punkte, die solchen impliziten polynomiellen Bedingungen in mehreren Variablen gehor-chen, darstellen kann (GeoGebra für ebene Kurven, also bei zwei Variablen; Surfer für Flächenim Dreiraum, also bei drei Variablen).In einem weiteren Schritt könnte man versuchen, die Geometrie der Situationen genauer zu

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68 5 Diskriminante und Nullstellen von Polynomen

untersuchen; dies wird allerdings schnell sehr komplex. Mögliche Fragen sind etwa: Warumsind die gezeigten Diskriminanten symmetrisch zu einer Achse bzw. zu einer Ebene? Warumhaben die beiden Äste der Diskriminante des kubischen Polynoms im Ursprung die gleicheTangente? Warum treffen sich manche der Flächenteile der Diskriminante des Polynoms vomGrad vier tangential und andere nicht? Zu welchen Parameter-Kombinationen gehört bei dieserDiskriminante der aus der Fläche heraus ragende Parabelast und warum? Auf diese und ähnlicheFragen können wir hier freilich nicht eingehen, aber vielleicht schaffen Sie es ja, einige davonzu beantworten oder verwandte Probleme aufzuwerfen und zu lösen.Einige weiterführende Arbeiten zu durch implizite Gleichungen definierten Kurven und Flä-

chen (auch algebraische Kurven bzw. Flächen genannt) finden sich in den Referenzen, einige mitkonkretem Schulbezug [Beu14, Wie14, Wol66, SD95, Lab08], eine fachdidaktische [Wet93],aber auch einige fachmathematische [Fis94, Rei88]. Außerdem liefert eine Internet-Rechercheeinige interessante Texte, die teils sehr konkrete Vorschläge für eine Verwendung solcher Kur-ven im Unterricht bieten, wie etwa der von Dörte Haftendorns (zu finden auf www.mathematik-verstehen.de unter dem Link „Kurven“).

Literatur

[Beu14] BEUTEL, E. (1914). Algebraische Kurven — Kurvendiskussion. Fr. Grub Verlag, 2.Aufl.

[BL06] V. BOTHMER, H.-C. G. & LABS, O. (2006). Geometrical Animations Advent Calen-dar 2006. URL: http://www.Calendar.AlgebraicSurface.net.

[Fis94] FISCHER, G. (1994). Ebene algebraische Kurven. Vieweg.

[GPS06] GREUEL, G.-M., PFISTER, G. & SCHÖNEMANN, H. (2006). Singular 3.0. A Com-puter Algebra System for Polynomial Computations. URL: http://www.singular.uni-kl.de.

[HL05] HOLZER, S. & LABS, O. (2005). surfex – Interactive Visualization of Real AlgebraicSurfaces. URL: http://www.surfex.AlgebraicSurface.net.

[Kle25] KLEIN, F. (1925). Elementarmathematik vom höheren Standpunkte aus. Berlin: Verlagvon Julius Springer.

[Lab08] LABS, O. (2008). Weltrekordflächen. URL: http://www.Imaginary-Exhibition.com.

[Mey08] MEYER, H., STUSSAK, C., LABS, O. & MATT, A. (2008). surfer – Visualization ofReal Algebraic Surfaces. URL: http://www.Imaginary-Exhibition.com.

[Rei88] REID, M. (1988). Undergraduate Algebraic Geometry. Cambridge University Press

[SD95] SCHUPP, H. & DABROCK, H. (1995). Höhere Kurven. Mannheim: Wissenschaftsver-lag.

[Wet93] WETH, T. (1993). Zum Verständnis des Kurvenbegriffs. Hildesheim: Franzbecker.

[Wie14] WIELEITNER, H. (1914). Algebraische Kurven I. Sammlung Göschen.

[Wol66] WOLFF, G. (1966). Handbuch der Schulmathematik, Band 4. Schroedel.

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6 Bleistiftrollen - Beurteilende Statistik im

Federmäppchen

Wie zwischen Experimentieren und Simulieren Grundge-

danken beurteilender Statistik reifen

Wolfgang Riemer und Günter Seebach

Abbildung 6.1: Beschriftete Bleistift-Würfel

In der beurteilenden Statistik werden Hypothesen mit Hilfe realer Daten auf ihre Gültigkeitüberprüft. Dazu untersucht man zunächst durch Simulation, später mit Wahrscheinlichkeitsrech-nung, welche Daten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wären, wenn die fragliche Hy-pothese gelten würde. Anschließend vergleicht man die Erwartungen mit den realen Daten, denVersuchsergebnissen. Wenn die Abweichungen zu groß sind, bezweifelt man die Gültigkeit derHypothese, man weist sie zurück. Andernfalls behält man sie bei.Dieser Gedankengang ist schon in der Mittelstufe ab Klasse 7/8 hervorragend zu verstehen,

wenn man mit einprägsamen, authentischen (für Schüler relevanten) Problemen arbeitet, nichtzu formal vorgeht und sich zunächst auf Simulationen beschränkt. Im Folgenden soll gezeigtwerden, wie hervorragend sich neben händischen Simulationen auch Simulationen mit GeoGe-bra nutzen lassen.Wunderbare authentische Fragestellungen ergeben sich aus sensorischen Tests (Cola- oder

Schokoladen-Tests mit geraspelten Schokoladensorten [1], [2] oder Hörtests [3] mit CD/MP3-Musik verschiedener Qualitätsstufen). Wer im hektischen Schulalltag den Gang in den Musi-kraum oder klebrige Finger scheut, der findet mit dem hier vorgestellten Bleistiftexperimenteine höchst lohnende Alternative, die praktisch keiner organisatorischen Vorbereitung bedarf.Arbeitsblatt-Vorlagen und Erläuterungen zu den GeoGebra-Simulationen finden sich in den

Abschnitten 6.7.1 bis 6.7.3.

R. Kaenders, R. Schmidt (Hrsg.), Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen, DOI 10.1007/978-3-8348-8340-7_6,© Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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70 6 Bleistiftrollen - Beurteilende Statistik im Federmäppchen

6.1 Mit Bleistiften „würfeln“

Wir beschriften die Seiten eines Bleistifts mit den Augenzahlen 1 bis 6. Das Logo bekommt die6 – und wenn es dann mit 5, 4, 1, 2, 3 in einer Richtung weiter geht, haben die Gegenseiten dieAugensumme 7, wie bei einem richtigen Würfel (siehe Abb. 6.2). Nun kann man mit den Stiften„würfeln“, indem man sie über den Tisch rollen lässt.

Abbildung 6.2: Seiten-Nummerierung

Wer die Versuchsbedingen genauer festlegen möchte, nimmt einen Aktenordner als schiefeEbene, legt das Logo beim Start nach oben und lässt die Stifte abrollen, bis sie liegen bleiben,vgl. dazu Abb. 6.8.Das Hypothesentesten ist bei normalen Spielwürfeln „langweilig“, denn niemand bezweifelt

ernsthaft, dass die „6“ mit der Wahrscheinlichkeit 1/6 kommt. Bei Bleistiften, die eine oft er-heblich unterschätzte Individualität haben, sieht das anders aus. Zwecks Wiedererkennung inverschiedenen Kursen bekommt jeder Bleistift einen Namen – oder wenigstens eine Nummer.Für spannende Qualitätsvergleiche empfiehlt es sich, für jeden Schüler zwei Marken bereitzu-halten. Die Stifte heißen dann z. B. Johann Faber, Johann Herlitz, Andrea Faber, Andrea Herlitz.Bei Ikea bekommt man Klassensätze „kurzer“ Bleistifte auch kostenlos. Doch bevor es ansBleistiftrollen geht, werden Fragestellungen zusammengetragen, eine Erwartungshaltung wirdaufgebaut.

Nahe liegende Fragen

1. Kommt bei meinem Stift die 6 mit Wahrscheinlichkeit 1/6? Wie viele 6er wärendann bei 120 Rollversuchen „normal“?

2. Kann ich meinen Bleistift als „Laplace-Bleistift“ bezeichnen, bei dem alle Sei-ten mit der Wahrscheinlichkeit 1/6 kommen?

3. Gibt es unter den „Bleistiften höchster Qualität“ (Faber-Castell) mehr Laplace-Bleistifte als unter den preiswerteren („Herlitz“ „Ikea“) oder No-name-Produkten?

6.2 Erst simulieren – Erwartungshaltung aufbauen

Es ist für die Entwicklung tragfähiger intuitiver Vorstellungen zur beurteilenden Statistik emp-fehlenswert, die Entscheidungskriterien für die genannten Fragen zunächst auf intuitiver Grund-lage im Klassenverband auszuhandeln und anschließend durch Simulationen abzusichern: Denn

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6.2 Erst simulieren – Erwartungshaltung aufbauen 71

auch die Statistiker haben ihre Entscheidungskriterien (z. B. das Signifikanzniveau) in der „scien-tific community“ nur ausgehandelt.Man lässt dazu jeden Schüler 120-mal mit einem normalenWürfel würfeln und präsentiert die

Häufigkeitsverteilungen auf einer gemeinsamen Folie oder an der Tafel. Es entsteht ein abgesi-chertes Gefühl dafür, wie sich ein Laplace-Bleistift verhalten müsste – und welche „Abweichun-gen vom Normalen“ nicht vorkommen: Für Frage 2 misst man die Abweichungen zwischen dengewürfelten Augenzahlen n1, . . . ,n6 zu der erwarteten Augenzahl 20 durch die Abstandsquadrat-Summe

t =(n1−20)2

20+

(n2−20)220

+ · · ·+ (n6−20)220

,

die um so kleiner ist, je näher die Häufigkeiten bei einer Gleichverteilung liegen. Die Simula-tionen geben dann Auskunft, bis zu welcher Obergrenze dieser Testwert t bei Laplace-Würfelnnormalerweise schwankt. (t bezeichnet man als Chi-Quadrat-Testwert; die Verteilung von t hatdie Dichte f (t) = 0,133 · t1,5 · e−t/2.)120-mal Würfeln dauert mit Auszählen und Zusammentragen der Ergebnisse im Kursverband

ca. 25 Minuten. Das ist eine gute und durch die anschließende Bewertung nachhaltig wirkendeInvestition. Die Erwartungshaltung vor dem realen Bleistiftrollen steigt dadurch enorm.Als Ergebnis solcher händischer Simulationen zeigt sich, dass bei Laplace-Würfeln/Bleistiften

• die Anzahl der Sechser mit ca. 95%-iger Sicherheit zwischen 12 und 28 liegt,

• der Testwert t mit ca. 95%-iger Wahrscheinlichkeit unter 11 liegt.

(a) Häufigkeitsverteilung der Sechser (b) Verteilung der Testwerte t

Abbildung 6.3: Computersimulation des Bleistift-Rollens

Durch eine Computersimulation (n = 1000 Versuche mit je 120 Laplace-Bleistiften, Abb. 6.3)wird das abgesichert.Stochastisch gesehen ist ein Bleistift um so besser, je „gleichverteilter“ (oder „laplacescher“)

die Augenzahlen sind. Um die „stochastische Qualität“ verschiedener Marken zu vergleichen,

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72 6 Bleistiftrollen - Beurteilende Statistik im Federmäppchen

verwendet man den Vorzeichentest. Man bildet Stiftepaare. Jeder Schüler notiert ein „+“, wennder Testwert t bei seinem billigeren Stift kleiner ist, sonst ein „-“. Wenn 30 Schüler im Kurs sind,entspricht das 30 Münzwürfen und bei gleicher Qualität erwartet man mit 95%-iger Sicherheitzwischen 10 und 20 positive Vorzeichen. (Simulation von Münzwürfen oder Binomialverteilungnutzen). Erst bei mehr als 20-mal „+“ würde man die billigen Stifte, bei weniger als 10-mal „+“die teuren Stifte als „stochastisch hochwertiger“ bezeichnen.

6.3 Dann experimentieren

NACH dem Diskutieren und Simulieren gehört die Stunde, in der die Bleistifte tatsächlich ge-rollt werden, zu den schönsten – und „emotional geladensten“ – die man im Mathematikunter-richt erleben kann. Ohne Unterlass werden (während des Rollens) neue Hypothesen generiertund sicher geglaubte verworfen. Jubeln und Fluchen, ungeduldiges Warten und überraschendeFreude erfüllen den Raum: Beurteilende Statistik lebt. (Vgl. Auswertungsvorlage 6.7.2.)Einen Eindruck von den Ergebnissen vermittelt Abb. 6.4:

Abbildung 6.4: Versuchsergebnisse für 11 Bleistiftpaare – Signifikante Abweichungen sind unterlegt.+ bedeutet: Herlitz-Testwert < Faber-Testwert

Wie man erkennt, sind „echte Laplace-Bleistifte“ aller Erwartung zum Trotz selten. Bei 5von 11 Herlitz-Stiften und bei 7 von 11 Faber-Stiften weist der Chi-Quadrat-Test die Hypotheseeiner Gleichverteilung („Laplace-Hypothese“) zurück (rot markierte Zellen in Abb. 6.4).Wenn man sich auf die Bleistiftseite mit der 6 konzentriert, weist der zweiseitige Test bei 3

von 11 Herlitz-Stiften und bei 2 von 11 Faber-Stiften die Hypothese H0: p(6) = 16 zugunsten

von H1: p(6) �= 16 zurück.

Auch der Vorzeichentest belegt, dass Markenstifte nicht besser abschneiden als preiswerteStifte. (In der letzten Spalte, wurde ein + notiert, wenn der Anpassungstestwert bei dem Herlitz-Stift kleiner ist als bei dem zugehörigen Faber-Partner.)

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6.4 Visualisieren in GeoGebra 73

6.4 Visualisieren in GeoGebra

6.4.1 Testwerte im Punktdiagramm

Die realen Testergebnisse lassen sich noch besser beurteilen, wenn man sie in einem Diagrammmit den Ergebnissen vergleicht, die sich ergeben müssten, wenn die fragliche Hypothese stim-men würde. So zeigt Abb. 6.5 die Chi-Quadrat-Testwerte t (aus einer anderen Stichprobe) realerBleistifte im Vergleich mit den Testwerten 1000 simulierter Laplace-Stifte in einem Punktdia-gramm, das Aussagen, wie sie sich aus Abb. 6.4 ergeben, noch plakativer visualisiert.

Abbildung 6.5: Chi-Quadrat-Testwerte realer Bleistifte (Mitte) im Vergleich mit 1000 mit simuliertenLaplace-Stiften

6.4.2 Stochastischer Schwerpunkt

Das stochastische Verhalten von Stiften lässt sich auch gut durch die Mittelwerte („Schwer-punkte“) der Häufigkeitsverteilungen zweidimensional visualisieren: Dazu denken wir uns dierelativen Häufigkeiten der Bleistiftseiten als Gewichte (mit Gesamtmasse 1) in den zugehörigenSeitenmitten P1(0;−1),P2(−sin30◦; cos30◦), . . . ,P6(0;1) konzentriert (Abb. 6.6) und berech-nen den Schwerpunkt S(x;y) nach der Formel

x = (h2+h3−h4−h5) · cos(30◦)y = h6−h1+(h3+h5−h2−h4) · sin(30◦)

Für den Herlitz-Stift von Nils ergibt sich z. B.:

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74 6 Bleistiftrollen - Beurteilende Statistik im Federmäppchen

Abbildung 6.6: Berechnung des Schwerpunktes

x =33+11−18−0

120· cos(30◦)≈ 0,012

y =14−44120

+11+0−33−18

120· sin(30◦)≈−0,335

Die Seitenmittelpunkte, die besonders häufig auftreten, ziehen den Schwerpunkt zu sich her-über. Bei Nils sind das P1, P2 und P4 mit negativen y-Koordinaten. Damit liegt auch der Schwer-punkt unterhalb der x-Achse. Wie weit die Schwerpunkte realer Bleistifte oft von denjenigensimulierter Stifte entfernt sind, zeigt das Punktdiagramm aus Abb. 6.7.

6.4.3 Boxplots

Boxplots werden ab Klasse 6 genutzt, um „stetig verteilte Daten“ zu veranschaulichen. Weil die-se Diagramme auch gestatten Zufallsschwankungen zu messen, eignen sie sich hervorragend,um Gedanken beurteilender Statistik vorzubereiten: Man könnte (im Sinne einer Propädeutik)formulieren: Zwei Mittelwerte (Mediane) unterscheiden sich signifikant, wenn sich die zugehö-rigen „50%-Schwankungsboxen“ nicht oder kaum überschneiden.

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6.5 Vertiefende Aufgaben 75

Abbildung 6.7: Die Schwerpunkte realer Bleistifte (Punkt-Markierung) im Vergleich mit denjenigen1000 simulierter Laplace-Stifte (Kreuz-Markierung) . Innerhalb des Kreises liegen 95% der simuliertenSchwerpunkte.

Auch dazu ein Bleistift-Experiment:Tobias und Dagmar haben ihren Faber- und ih-ren Herlitz-Bleistift einen Aktenordner (Abb.6.8) herunterrollen lassen und dabei die Roll-weiten (in cm) gemessen. Die Verteilungen derRollweiten wurden in Abb. 6.9 als Boxplots vi-sualisiert. Da sich die Boxen (die 50% Schwan-kungsbereiche) nicht bzw. kaum überlappen,kann man „mit Fug und Recht“ behaupten:Faber-Stifte rollen nicht so weit wie Herlitz-Stifte.

t

Abbildung 6.8: Ordner als schiefe Ebene mitden Bügeln als Startposition

6.5 Vertiefende Aufgaben

Wenn man mit der Binomialverteilung und der Sigmaregel (Tabelle 6.1) vertraut ist, wenn manalso über die „Werkzeugkiste“ der beurteilenden Statistik verfügt, bieten die Bleistifte ein schö-nes Übungsfeld zu sinnvollem Hypothesentests und zum Parameterschätzen. Man vergleiche dieAufgabenvorschläge in Abschnitt 6.7.3.

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76 6 Bleistiftrollen - Beurteilende Statistik im Federmäppchen

(a) Tobias’ Rollweitenverteilung (b) Dagmars Rollweitenverteilung

Abbildung 6.9: Rollweitenverteilung als Boxplots

Niveau zweiseitig einseitig Chiquadrat 5df

99% μ±2.576σ : [9.5;30.5] μ +2.326σ = 29.7 15.0995% μ±1.960σ : [12.0;28.0] μ +1.645σ = 26.7 11.0790% μ±1.645σ : [13.3;26.7] μ +1.282σ = 25.3 9.2480% μ±1.282σ : [14.7;25.3] μ +0.842σ = 23.5 7.29

μ = n · p = 120 · 16 = 20 σ =√

n · p(1− p) =√120 · 16 56 = 4.08

χ2 = (n1−20)220 + . . .+ (n6−20)2

20

Tabelle 6.1: Werkzeugkiste der beurteilenden Statistik

6.6 Resümee

Die Nachhaltigkeit von Mathematikunterricht steigt „exponentiell“ mit der Authentizität derBeispiele. Wer selber einmal gezwungen war, eine Hypothese, von deren Gültigkeit er felsenfestüberzeugt war, nach einem Realexperiment zu verwerfen, der wird sich auch viele Jahre nachdem Abitur gerne an Mathematik und an die „Philosophie“ beurteilender Statistik erinnern.Die verständnisfördernde, ja erhellende Rolle händischer und elektronischer Simultationen

wurde in diesem Beitrag herausgestellt.Und wer sich durch ein Experimentieren mit den hier vorgestellten Simulationen von dem

enormen Potenzial überzeugt hat, dass GeoGebra durch die integrierte Tabellenkalkulation in-zwischen auch im Bereich der Statistik besitzt, wird dieses Werkzeug – als ernst zu nehmendeAlternative zu Excel – in Zukunft nicht mehr missen wollen.

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6.7 Anhang 77

6.7 Anhang

6.7.1 Aufgaben

Zweiseitiges Testen

• Kommt die „6“ bei meinem Stift mit der Wahrscheinlichkeit 1/6?(H0: p = 1

6 gegen H1 : p �= 16 )

• Kommen „6“und gegenüberliegende „1“ zusammen mit Wahrscheinlichkeit 1/3? (Waseiner Seite möglicherweise fehlt, kommt der Gegenseite zugute.)(H0: p = 1

3 gegen H1 : p �= 13 )

• Kann ich meinen Bleistift so in zwei Seiten zerlegen, dass Ober- und Unterseite mit glei-cher Wahrscheinlichkeit 1/2 kommen (z. B. Oberseite: 1-4-5, Unterseite 2-3-6)?(H0: p = 1

2 gegen H1 : p �= 12 )

Einseitiges Testen

• Eine Grundschule sammelt Bleistifte, bei denen die 6 häufig (die 1 selten) kommt. (H0 :p = 1

6 gegen H1 : p > 16 oder H1 : p < 1

6 )

Fehlerwahrscheinlichkeiten

• Eine Grundschule nimmt Bleistifte in Zahlung, bei denen die „6“ mindestens mit Wahr-scheinlichkeit 1/3 kommt. Entscheidungsregel: Bei 120 Versuchen mindestens 40-mal die„6“. Formulieren Sie zwei Alternativ-Hypothesen und bestimmen Sie die Wahrscheinlich-keiten der Fehler erster und zweiter Art.

• Eine Grundschule nimmt Bleistifte in Zahlung, bei denen die 1 höchstens mit Wahrschein-lichkeit 5% kommt. Formulieren Sie zwei Alternativhypothesen, eine sinnvolle Entschei-dungsregel und plotten Sie die zugehörige Operationscharakteristik des Tests.

Schätzen

• Schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit der „6“ durch ein 80%, 95%, 99% Konfidenzinter-vall.

Anpassungstest t = (n1−20)220 + (n2−20)2

20 + . . .+ (n6−20)220

• Testen Sie, ob Sie einen Laplace-Bleistift erwischt haben, bei dem ALLE Seiten mit derWahrscheinlichkeit 1/6 kommen.

• Sie brauchen einen Laplace-Bleistift. Der Anpassungstest hat die Hypothese einer Gleich-verteilung nicht zurückgewiesen (so sagen die Angloamerikaner treffend!)

a) bei Jan für n = 120 auf dem 5% Niveau

b) bei Bianca für n = 1200 auf dem 5% Niveau

c) bei David für n = 120 auf dem 1% Niveau

d) bei Simone für n = 1200 auf dem 1%-Niveau

Welchen der 4 Bleistifte kaufen Sie?

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78 6 Bleistiftrollen - Beurteilende Statistik im Federmäppchen

Vorzeichentest

• Sie haben einen teuren und einen billigen Bleistift je 120-mal gerollt. Wenn die Häufigkei-ten des hochwertigen Bleistifts näher an der Gleichverteilung liegen (kleinerer Testwert t)als diejenigen des minderwertigen Stiftes, notieren Sie ein „–“, sonst ein “+“. Zählen Siein Ihrem Kurs die „+“ Ergebnisse und prüfen Sie die Hypothese, ob p(+) = 0,5 zurück-gewiesen werden muss. Testen Sie einseitig oder zweiseitig?

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6.7 Anhang 79

6.7.2 Auswertungsvorlage

Rollen Sie den Bleistift 120-mal mit ein wenig Schwung über Ihren Holztisch. Notieren Sie die120 „gewürfelten“ Augenzahlen in der Tabelle. Zählen Sie danach aus, wie oft die einzelnenAugenzahlen kamen und notiere Sie die Häufigkeiten an den entsprechenden Bleistiftseiten derAbbildung. (Sie können Strichlisten parallel zum Ausfüllen der Tabelle auch an den zugehörigenKanten der Grafik führen, es muss als Summe 120 herauskommen).

Bleistiftnummer / NameMarke:

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10123456789101112

t = 120 ·[( −20)2+( −20)2+( −20)2+( −20)2+( −20)2+( −20)2]=

Bleistiftnummer / NameMarke:

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10123456789101112

t = 120 ·[( −20)2+( −20)2+( −20)2+( −20)2+( −20)2+( −20)2]=

Mein Versuchsergebnis:

Die Anzahl der Sechser liegt näher an 20 Der Testwert t ist kleinerbei dem teuren Stift (+) � bei dem teurem Stift (+) �bei dem billigen Stift (-) � bei dem billigen Stift (-) �

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80 6 Bleistiftrollen - Beurteilende Statistik im Federmäppchen

6.7.3 Simulieren mit GeoGebra

Im Folgenden wird beschrieben, wie man mit GeoGebra die 1000-facheWiederholung einer Zu-fallsversuchsreihe simulieren kann, bei der jeweils 120 mal ein perfekter Laplace-Bleistift ge-rollt wird, und wie man eine solche Simulation unter verschiedenen Gesichtspunkten auswertet(Abb. 6.3, 6.5 und 6.7). Dabei spielt die integrierte Tabellenkalkulation (TK) eine entscheidendeRolle.

Die Simulation einer Versuchsreihe Die Eingabe von A2 = Folge[Zufallszahl[1, 6], k, 1,120] in der Eingabezeile von GeoGebra bewirkt, dass in der Zelle A2 des Kalkulationsblatteseine Liste aus 120 Zufallszahlen aus dem Ganzzahlbereich 1 bis 6 erzeugt wird. Der Parameterk kann dabei als Folgenindex angesehen werden, der von dem Startwert 1 ausgehend bis zumEndwert 120 läuft. Diese Liste kann man sich allerdings nicht komplett anschauen, da sie zulang ist für die Einspielung in der Algebra-Ansicht. Aber man kann das k-te Element mittelsdes Befehls Element[A2,k], wobei k eine Zahl zwischen 1 und 120 ist, bestimmen. Die Taste F9bewirkt eine Neuberechnung der ganzen Liste.

Das Auszählen einer Versuchsreihe Nun wird die in A2 stehende Liste ausgezählt. Es wer-den die Häufigkeiten der Zahlen 1 bis 6 in der Liste bestimmt. Dazu schreibt man die Zahlen1 bis 6 in die Zellen B1 bis G1. In der Eingabezeile notiert man: B2 = ZähleWenn[x == B$1,A2]. Wichtig sind die zwei Gleichheitszeichen, die den Vergleichsoperator ausmachen. NachBetätigung der Eingabetaste steht die Zahl der Einser in der Zelle B2. In die Zellen C2 bis G2schreibt man nun die entsprechend angepassten Befehle: C2 = ZähleWenn[x == C$1, A2],. . . ,G2 = ZähleWenn[x == G$1, A2], am besten wieder, indem man die Eingabezeile nutzt.Das scheint umständlich zu sein: Kundige möchten sicher an dieser Stelle Zellinhalte unter

Verwendung relativer und absoluter Bezüge durch Ziehen an Markierungen kopieren. Leider

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6.7 Anhang 81

gelingt das an dieser Stelle nicht, da der absolute Bezug auf die zufallsbestimmte Liste nicht dieListe sondern deren Definition, also den Zufallsprozess selbst, einsetzt.

Die 1000-facheWiederholung Nachdem in der Zeile 2 der TK 120 Zufallszahlen erzeugt undausgezählt sind, soll dies 1000 mal wiederholt werden. Das klingt komplizierter als es ist: Manmarkiert die Zellen A2 bis G2 und zieht nun an dem kleinen Quadrat in der rechten unteren Eckedie Markierung bis zur Zeile mit der Nummer 1001.

Die Verteilung der 6er im Balkendiagramm und im Boxplot (vgl. Abb. 6.3) Man markiertin der TK die Zellen G2 bis G1001, die die Häufigkeiten der 6-er enthalten, ruft dann mittelsrechter Maustaste ein Kontextmenü auf und wählt: Liste erzeugen. In der Algebra-Ansicht stelltman fest, dass eine Liste mit der Bezeichnung L1 erzeugt wurde, in der sich die Inhalte dermarkierten Zellen wiederfinden. Mit dieser Liste erzeugt man zunächst ein Balkendiagrammüber den Befehl b=Balkendiagramm[L_1,1] in der Eingabezeile. Dabei bedeutet der zweite Pa-rameter, hier also die 1, dass jeder Balken des Diagramms die Breite 1 haben soll. Wegen derProportionen ist es sinnvoll, das Verhältnis der Einheitengrößen auf der x- und y-Achse geeignetzu verändern. Das macht man z. B., indem man an einer freien Stelle im Geometriefenster dierechte Maustaste drückt und über die Option xAchse:yAchse das Verhältnis 1:5 anwählt. Mitdem Mausrädchen kann man außerdem geeignet zoomen und bei gedrückter Shift-Taste undlinker Maustaste sind die Inhalte der Geometrie-Ansicht natürlich auch verschiebbar.Den Boxplot erhält man über den Befehl box_6=Boxplot[210,10,L_1]. Dabei bedeuten der

erste Parameter, hier also 210, die vertikale Verschiebung des Boxplots und der zweite Para-meter, hier die 10, gibt die vertikale Breite des Boxplots, beide in y-Einheiten, an. Schließlicherzeugt man ein Kontrollkästchen, um Boxplot und Balkendiagramm nach Belieben aus- undeinblenden zu können. Wir blenden beide aus.

Die Chi-Quadrat-Testwerte t Die Chi-Quadrat-Testwerte (im Folgenden kurz t-Werte ge-nannt) sollen in der Spalte H der TK berechnet werden. Das erfordert die Eingabe von H2= (B2- 20)2 / 20 + (C2 - 20)2 / 20 + (D2 - 20)2 / 20 + (E2 - 20)2 / 20 + (F2 - 20)2 / 20 + (G2 - 20)2 / 20 inder Eingabezeile. Dann markiert man die Zelle H2 und kopiert sie durch Ziehen am kleinen Qua-drat in der rechten unteren Ecke in die Zellen H3 bis H1001. Wieder generiert man wie oben eineneue Liste L2, diesmal aber aus den t-Werten (Markieren von H2 bis H1001, rechte Maustaste:Liste erzeugen). Die Befehle t=Balkendiagramm[L_2,1] und box_t=Boxplot[180,10,L_2] las-sen wiederum das zugehörige Balkendiagramm und den Boxplot entstehen.Im Falle der t-Werte wählt man aber auch noch als zusätzliche Veranschaulichung eine Punkt-

wolke: Zu diesem Zweck erzeugt man zu jedem t-Wert einen Punkt mit einer zufälligen y-Koordinate im Bereich −200 ≤ y ≤ −100 und dem jeweiligen t-Wert als x-Koordinate. Jederdieser Punkte wird normalerweise automatisch in der Geometrie-Ansicht angezeigt, wenn er ineiner Zelle der TK steht. Damit aber nicht auch noch der Punktname eingespielt wird, wähltman in der Menüzeile unter Einstellungen → Objektname anzeigen die Option: Keine neuenObjekte. Nun erzeugt man die Punkte durch Eingabe von I2 = (H2, 100 random() - 200) gefolgtvon einer Kopieraktion nach I3 bis I1001 durch Ziehen am kleinen Quadrat der Zelle I2. ZumSchluss wird nun auch die Anzeige dieses Balkendiagramms, dieses Boxplots und der Punkt-wolke von einem zweiten Kontrollbutton abhängig gemacht. Im Falle des Balkendiagramms unddes Boxplots ist das leicht bei der Erstellung des Kontrollbuttons durch entsprechende Auswahl

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82 6 Bleistiftrollen - Beurteilende Statistik im Federmäppchen

möglich. Im Falle der Punktwolke geht das so: Angenommen, der Kontrollbutton heißt zeiget(den Namen, der nicht mit der im Geometriefenster eingespielten Bezeichnung verwechselt wer-den darf, findet man über die rechte Maustaste im Menü Eigenschaften beim Klicken auf denKontrollbutton) , dann markiert man die Zelle I2 und ruft auch hier über das Kontextmenü (rech-te Maustaste) die Option Eigenschaften auf. Nun zeigen sich verschiedene Registerkarten, vondenen man “Erweitert“ auswählt. Unter der Rubrik “Bedingung“ um das Objekt anzuzeigen,gibt man nun zeiget an. Nochmals zieht man I2 anschließend bis nach I1001 hinunter. Nunmehrist die Einspielung der t-Punkte davon abhängig, ob ein Häkchen bei zeiget eingetragen ist odernicht.

Die stochastischen Schwerpunkte

Um das Programm nicht zu überlasten, nutzt man für die Anzeige der stochastischen Schwer-punkte eine Datei, in der keine t-Werte ermittelt sind, in der also lediglich wie oben beschrieben1000 Testreihen mit je 120 Zufallsversuchen simuliert und ausgezählt sind. Nun trägt man inder Eingabezeile ein H2= (C2 + D2 - E2 - F2) / 120 cos(30◦), d. h. in der Zelle H2 wird die x-Koordinate des Datenschwerpunktes der ersten Versuchsreihe berechnet. Entsprechend sorgt I2=(G2 - B2) / 120 + (D2 + F2 - C2 - E2) / 120 sin(30◦) in der Eingabezeile eingetragen für die Be-rechnung der entsprechenden y-Koordinate in der Zelle I2. Nun sollen die zugehörigen Punkteerzeugt werden. Diese werden, einmal in einer Zelle der TK stehend, auch in der Geometrie-Ansicht eingespielt. Damit aber nicht zusätzlich noch der Punktname eingespielt wird, wählenwir – wie auch oben beschrieben – in der Menüzeile unter Einstellungen→Objektname anzei-gen die Option: Keine neuen Objekte. Dann stellt man das Verhältnis xAchse:yAchse über dasKontextmenü der Geometrie-Ansicht auf 1:1 und zoomt so, dass die Koordinatenbereiche von-0.6 bis 0.6 den Bildschirm füllen. Die Eingabe J2=(H2,I2) in der Eingabezeile erzeugt nun denersten Datenschwerpunkt. Man markiert die Zelle J2 und kopiert sie durch Ziehen an ihremkleinen Quadrat in der rechten unteren Ecke bis in die Zelle J1001.

Die Abstände vom Nullpunkt und der 95% Kreis Man erzeugt den Nullpunkt durch Ein-gabe von N=(0,0) in der Eingabezeile und dann den Abstand des Punktes J2 vom Nullpunktin der Zelle K2 durch Eingabe von K2=Abstand[J2,N]. Auch die Zelle K2 kopiert man durch

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Literatur 83

Ziehen bis in die Zelle K1001. Um nun die 95% Grenze durch einen geeigneten Kreis um denNullpunkt kenntlich zu machen, geht man folgendermaßen vor: Man sortiert die Abstände auf-steigend und nimmt das Element mit der Nummer 950 als Kreisradius. Dazu markiert man K2bis K1001 und erzeugt über die rechte Maustaste aus diesen Zellelementen die Liste L1. Wirschreiben in die Eingabezeile L_2=sortiere[L_1] und erhalten so die sortierte Liste L2 der Null-punktabstände. Den gesuchten Radius legt man durch Eingabe von R=Element[L_2,950] auf dieVariable R, so dass man durch Eingabe von k=Kreis[N,R] den gewünschten 95% Kreis um denNullpunkt N ziehen kann. Selbstverständlich erzeugt jede Betätigung der F9-Taste eine komplettneue Simulation.

Literatur

[1] RIEMER, W. & PETZOLD, W. (1997). Geschmackstests – Spannende und verbindendeExperimente. In:mathematiklehren, SammelbandWege in die Stochastik (2008) und Heft85.

[2] RIEMER, W. (1994). Schmeckt Lindt-Schokolade besser als Alpia? Sensorische Experi-mente im Mathematikunterricht. In: mathematiklehren, Heft 62.

[3] RIEMER, W. (2009). Soundcheck: CD contra MP3. Ein Hörtest als Einstieg in die Sto-chastik. In: mathematiklehren, Heft 153.

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7 Ableitungsregeln mit GeoGebra selbst entdecken

– nicht nur für Polynome

Günter Seebach

Nur wenn Schülerinnen und Schüler ein klares Ziel vor Augen haben und den Sinn neuer Be-griffsbildungen und Verfahren verstehen, werden sie auch den vorgeschlagenen Weg gerne ver-folgen. Besonders wird es ihnen dann Freude machen, wenn sie aus eigener Initiative herausselbstständig die Entdeckungen machen können, die zum weiteren Verständnis nötig sind.Im Folgenden werden wir sehen, wie Schülerinnen und Schüler im Anschluss an eine – nicht

zu kurze – Motivationsphase die wichtigsten Ableitungsregeln für Polynome an der Stelle x = 0sehr schnell selbstständig finden können. Danach erweitern wir die Gültigkeit dieser Regelnüber eine induktive Methode auf die Menge der reellen Zahlen.Auch die Quotientenregel können Schülerinnen und Schüler (weitgehend) selbstständig auf-

finden, wenn wir uns wieder auf die Stelle x= 0 und zunächst auf Polynomquotienten beschrän-ken. Der Gültigkeitsbereich wird anschließend erneut auf den gesamten Definitionsbereich derFunktion erweitert. Im Anschluss daran werden wir sehen, dass sich mit diesen Beweisideen dieangesprochenen Ableitungsregeln sogar für beliebige differenzierbare Funktionen begründenlassen.Danach untersuchen wir die allgemeine Exponentialfunktion experimentell und stellen fest,

dass sich auch hier ein Blick auf die Tangentensteigung an der Stelle x = 0 lohnt.Abschließend wird uns eine GeoGebra-Datei unmittelbar die Ableitungsregel für Umkehr-

funktionen vermitteln.Vorweg noch eine Begriffsklärung:

Natürlich nutzen wir die Möglichkeit des Programms GeoGebra, Tangenten und ihre Steigun-gen zu gegebenen Funktionsgraphen und sogar die zugehörigen Ortslinien zu konstruieren. Dashierzu intern notwendige Differenzieren wird als Blackbox angesehen. Letztendlich gilt es, dieFunktionsweise dieser Blackbox zu verstehen. Wir sprechen deshalb auch so lange von einerTangentensteigungsfunktion, bis wir einen Weg gefunden haben, diese Funktion auch analy-tisch zu bestimmen. Dann erst nennen wir sie Ableitungsfunktion (oder auch einfach Ableitung,in Zeichen: f ′(x)) und bezeichnen das entsprechende Verfahren entweder als Ableiten oder Dif-ferenzieren.

7.1 Tangenten und ihre Steigungen

Für jeden Lernprozess ist Motivation eine Grundvoraussetzung. Dabei reicht es natürlich nicht,auf die Wirkung guter DGS-Dateien alleine zu setzen. Ganz wichtig ist nach meiner Erfahrungdie Vorbereitung der Lerngruppe vor dem Einsatz des Computers. Hier helfen oft einfache Tafel-bilder, anhand derer zielführende Fragen aufgeworfen werden, die im Idealfall zu kontroversenDiskussionen führen. Sind die einen der Meinung, dass eine gewisse Aussage gilt und bezwei-feln dies andere, so wird mit Spannung das Experiment anhand einer geeigneten Applikation

R. Kaenders, R. Schmidt (Hrsg.), Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen, DOI 10.1007/978-3-8348-8340-7_7,© Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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86 7 Ableitungsregeln mit GeoGebra selbst entdecken – nicht nur für Polynome

Abbildung 7.1: Zum ersten Beispiel

am Computer durchgeführt und das Ergebnis ausgewertet. Im Anschluss haben die Schülerin-nen und Schüler dann ihre eigenen Fragen beantwortet bekommen und nicht die, von denen dieLehrerin bzw. der Lehrer gerne gehabt hätte, dass es ihre Fragen gewesen wären. Das schafftZufriedenheit mit dem Unterricht sowohl auf Seiten der Schülerinnen und Schüler als auch aufder Lehrerseite.

In der Analysis geht es in erster Linie darum, den Kurvenverlauf von Funktionen zu unter-suchen. Da stehen die Steigung des Graphen, die Extrema und die Krümmung im Mittelpunktdes Interesses. In einem ersten Beispiel nehmen wir uns eine Aufgabe vor, die hier natürlichnur experimentell gelöst werden kann. Eine rechnerische Lösung muss so lange zurückgestelltwerden, bis die Theorie zur Verfügung steht.

Gegeben sind der Aufriss eines symmetrischen äußeren Kegels sowie der eines inneren Ke-gels, der ebenfalls symmetrisch ist aber seine Spitze im Mittelpunkt des Grundkreises des äuße-ren Kegels hat (siehe Abb. 7.1).

Die Frage lautet:Wie wird qualitativ der Graph der Funktion aussehen, die das Volumen in Abhängigkeit von derLage von P angibt und wo wird das Volumen Extrema haben?

Auch diese Aufgabe sollte erst ohne Computer vorbereitet werden. Einfache Tafelskizzenzum erwarteten ungefähren Verlauf der Volumenfunktion können eine Erwartungshaltung beiden Schülerinnen und Schülern erzeugen. Auch eine Tangente kann im Sinne einer lokal gutangepassten linearen Näherung mit ihren im Verlauf verschiedenen Steigungen computerfreivorbereitet werden.

Anschließend erlaubt die Datei-1 (Abb. 7.2) nun nicht nur neben den Aufrissen der Kegel auchden Graphen der Volumenfunktion in den Blick zu nehmen und im Zugmodus zu untersuchen.Es lässt sich auch eine Tangente und sogar die zugehörige Funktion der Tangentensteigungenzeigen. Man wird erkennen, dass das Maximum der Volumenfunktion an der rechten Nullstelleder Tangentensteigungsfunktion liegt und dass diese Funktion an die bekannten Parabeln erin-nert.

Der Begriff der Tangentensteigungsfunktion soll anhand einer weiteren Datei gefestigt wer-den (Abb. 7.3).

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7.1 Tangenten und ihre Steigungen 87

Abbildung 7.2: Datei-1

Abbildung 7.3: Datei-2

Die Aufgabe:Ein rotes Polynom f, dessen Koeffizienten durch Schieberegler eingestellt werden können, so-wie Strecken, die an den kleinen grünen Punkten so gedreht werden sollen, dass sie tangentialzum Graphen von f verlaufen, sind gegeben. Zu jedem Streckenstück gehört zudem ein blauerPunkt, dessen x-Koordinate gleich der des zugehörigen grünen Berührpunktes ist, und desseny-Koordinate die Steigung des zugehörigen Streckenstückes ist. Auch durch die blauen Punkte

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88 7 Ableitungsregeln mit GeoGebra selbst entdecken – nicht nur für Polynome

verläuft auf Wunsch eine Polynomfunktion.Auch der Einsatz dieser Datei kann computerfrei an der Tafel oder im Heft gut vorbreitet

werden:Man gibt den Schülerinnen und Schülern ausgedruckte Graphen mit einem Koordinatenraster

und fordert sie auf, anhand eines an den Graphen tangential angelegten Lineals dessen Steigungabzuschätzen. Danach soll ein Punkt konstruiert werden, der die x-Koordinate vom jeweiligenBerührpunkt erbt und dessen y-Koordinate die Steigung der Geraden ist, die durch das Linealdargestellt wird. Eine solche Übung ist mühsam, aber sie schafft einen unmittelbaren Zugang zuder Funktionsweise von Datei-2 (Abb. 7.3) und damit zur Tangentensteigungsfunktion.Mit Hilfe einer dritten Datei soll die Rolle der Tangentensteigungsfunktionen nun weiter un-

tersucht werden. Hier können über die F9-Taste durch Zufallszahlen gesteuerte (rote) Graphenganzrationaler Funktionen f , die von 2., 3. oder 4.Grad sind, automatisch eingespielt werden.Mit verschiebbaren Parallelen zur y-Achse sollen nun Bereiche mit unterschiedlichem Stei-gungsverhalten des Graphen separiert werden. Die anschließend eingespielte (blaue) Tangen-tensteigungsfunktion g soll dann in ihrem Verlauf zu diesen Bereichen in Beziehung gesetztwerden.

Abbildung 7.4: Datei-3

Es ergeben sich dabei naheliegende erste Beobachtungen:

• Graph f steigend⇒ g≥ 0• Graph f fallend⇒ g≤ 0• Graph f maximal⇒ g-Übergang +/-

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7.2 Die Tangentensteigung an der Stelle x = 0 bzw. x = a bei Polynomfunktionen 89

• Graph f minimal⇒ g-Übergang -/+

• Extremum bei f ⇒ Nullstelle bei g

Und auch die Extrema von g können in den Blick genommen werden:

• Bei Maxima von g findet man einen Übergang (Linkskurve→ Rechtskurve) bei f

• Bei Minima von g findet man einen Übergang (Rechtskurve→ Linkskurve) bei f

Offenbar enthält also die Tangentensteigungsfunktion sehr viel Information über den Gra-phen der Ausgangsfunktion. Es wird sich somit lohnen, eine Methode zu entwickeln, solcheTangentensteigungsfunktionen aus dem ursprünglichen Funktionsterm zu berechnen. . .

7.2 Die Tangentensteigung an der Stelle x = 0 bzw. x = a beiPolynomfunktionen

In der folgenden Datei (Abb. 7.5) liegt nun der Schlüssel für den hier vorgestellten Zugang zuden Ableitungsfunktionen.

Abbildung 7.5: Datei-4-1

Vordergründig ist nichts Neues erkennbar. Gegeben ist eine (rote) Polynomfunktion 4. Gra-des, deren Koeffizienten an Schiebereglern einstellbar sind – zusammen mit einer Tangente.Verändert man nun die Koeffizienten, so sieht man, dass abgesehen von a0 alle Veränderungenauch Einfluss auf die Tangentensteigung haben, wenn P nicht gerade auf der y-Achse liegt. Sokann es sinnvoll sein, die Schülerinnen und Schüler aufzufordern, die Datei ruhen zu lassen.Nun kann eine Erwartungshaltung aufgebaut werden, indem man um eine Einschätzung bittet:

Welcher Koeffizient wird die Tangentensteigung an der Stelle x=0 am meisten beeinflussen?

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90 7 Ableitungsregeln mit GeoGebra selbst entdecken – nicht nur für Polynome

Überraschenderweise ergibt die Untersuchung mit Hilfe der Datei-4, dass die Tangentenstei-gung an der Stelle x= 0 exakt durch den linearen Koeffizienten der Polynomfunktion, d. h. durcha1, gegeben ist und die übrigen Koeffizienten gar keinen Einfluss darauf zu haben scheinen. Wirmüssen hier natürlich sehr vorsichtig sein, da diese rein experimentelle Beobachtung erst nocheiner theoretischen Absicherung bedarf.

Aber:Wie beweist man etwas über Tangenten, wenn man Tangenten mathematisch genau eigentlichnur vom Kreis her kennt?

Um an dieser Stelle weiter zu kommen, blenden wir in der Datei-4 auch eine Sekante ein,d. h. eine Gerade, die den Graphen von f nicht nur an der Stelle x = 0 schneidet, sondern auchan der Stelle x = h.

Lässt man h nun betragsmäßig immer kleiner werden, so erkennt man einerseits, dass sich die-se Sekante immer mehr der roten Tangente annähert, aber andererseits verschwindet sie spurlosin dem Augenblick, in dem sie eigentlich in die Tangente übergehen sollte. . .

Abbildung 7.6: Datei-4-2

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7.2 Die Tangentensteigung an der Stelle x = 0 bzw. x = a bei Polynomfunktionen 91

Nun ist der Augenblick gekommen, das Beobachtete theoretisch zu verarbeiten und den Com-puter erst einmal auszuschalten. Die Rechnung ergibt für jeden beliebigen Grad n des Polynoms:

Sekantensteigung(0,h) =f (0+h)− f (0)

h

=anhn + · · ·+a3h3+a2h2+a1h+a0−a0

h=

(anhn−1+ · · ·+a3h2+a2h+a1

)

Obwohl der Grenzwertbegriff in der Schule aus Zeitgründen nicht mehr mathematisch exaktentwickelt werden kann, führen wir ihn nun in dem Sinne ein, dass wir uns fragen, welcher Zahlsich der Quotient beliebig nähert, wenn h betragsmäßig immer kleiner wird:

Unter der Tangentensteigung f ′(x) der Funktion f an der Stelle x verstehen wir denGrenzwert der Sekantensteigung:

f ′(x) = limh→0

f (x+h)− f (x)h

Und die Rechnung ergibt somit für h→ 0 als Tangentensteigung eines Polynoms f an derStelle x = 0:

f ′(0) = limh→0

f (0+h)− f (0)h

= limh→0

anhn + · · ·+a3h3+a2h2+a1h+a0−a0h

= limh→0

(anhn−1+ · · ·+a3h2+a2h+a1

)= a1

Also war die Vermutung f ′(0) = a1 in der Tat völlig richtig:

Die Tangentensteigung eines Polynoms an der Stelle x= 0 ist sein linearer Koeffizienta1.

Aber jetzt werden sich aufmerksame Schülerinnen und Schüler die Frage stellen, welchenWert denn eine solch (scheinbar) singuläre Feststellung für die große Idee hat, die Tangen-tensteigungsfunktion für den gesamten Definitionsbereich von f zu bestimmen. Diesem Zielkommt man mit der folgenden Beobachtung einen entscheidenden Schritt näher:

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92 7 Ableitungsregeln mit GeoGebra selbst entdecken – nicht nur für Polynome

Die Tangentensteigung ändert sich nicht, wenn man einen Graphen parallel zu den Achsendes Koordinatensystems verschiebt.

Damit können wir nun die Tangentensteigung des Graphen von f an jeder beliebigen Stellex = a bestimmen, indem wir den Graphen um (−a) in x-Richtung verschieben und dann dieTangentensteigung des verschobenen Graphen, d. h. des Graphen der Funktion f (x+ a) an derStelle x = 0 bestimmen.Bestimmen wir beispielsweise so einmal die Tangentensteigung der Funktion f (x) = x3+2x2

an der Stelle x = a:Das Auflösen der Klammern und Zusammenfassen nach absteigenden x-Potenzen ergibt:

f (x+a) = (x+a)3+2(x+a)2 = x3+3ax2+3a2x+a3+2x2+4ax+2a2

= x3+(3a+2)x2+(3a2+4a)x+(a3+2a2)

Sieht man sich nun den linearen Koeffizienten dieser Funktion an, d. h. die Tangentensteigungan der Stelle x= 0 des um (−a) verschobenen Graphen von f , so erkennt man: f ′(a) = 3a2+4aund geht man nun noch zu der üblichen Variablen x über, so ergibt sich:

f (x) = x3+2x2⇒ f ′(x) = 3x2+4x

Nebenbei bemerkt:In der Datei-4 kann man mit solchen Beispielen experimentieren, wenn man die Option Ver-

schobene Funktion zeigen anwählt und P auf der x-Achse verschiebt.Die ursprüngliche Beobachtung ist also bei weitem nicht so singulär, wie es zunächst er-

scheint.Diese Schlussweise verdient noch eine genauere Analyse:

Hier wird mathematisch induktiv argumentiert, eine Methode, die – auch in der Schulmathema-tik – durchaus üblich ist, die man aber selten als Beweismethode thematisiert:

Man beweist zunächst einen Spezialfall und verallgemeinert anhand einer geeigneten Invari-anz.Beispielsweise kann die Bestimmung des Flächeninhalts von Parallelogrammen wegen der

Scherungsinvarianz auf die Bestimmung des Flächeninhalts von Rechtecken zurückgeführt wer-den, oder die zentrische Streckung von einem beliebigen Punkt aus in Kombination mit zweiVerschiebungen auf die zentrische Streckung vom Nullpunkt aus, oder man denke nur an dasVerfahren der Vollständigen Induktion, bei dem sich die Gültigkeit einer Aussage von n aufn+1 vererbt, d. h. invariant bleibt.

Streng genommen haben wir an dieser Stelle nun bereits unser erstes Ziel komplett erreicht,zu jeder Polynomfunktion die zugehörige Tangentensteigungsfunktion – oder wie wir nach demoben ausgeführten Beweis auch sagen können: die Ableitungsfunktion – zu bestimmen. Aller-dings ist in jedem Einzelfall eine Rechnung erforderlich wie im obigen Beispiel. Vielleicht gibtes ja noch eine einfachere Alternative zu diesem Verfahren. . .

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7.3 Faktor-, Summen- und Produktregel für Polynome an der Stelle x = 0 93

7.3 Faktor-, Summen- und Produktregel für Polynome an der

Stelle x = 0

An dieser Stelle des Unterrichts ist wieder zunächst eine computerfreie Phase sinnvoll. DieFrage, die jetzt gestellt werden sollte, ist die folgende:Gegeben sind: Ein Faktor c sowie zwei Polynomfunktionen

f (x) = anxn + · · ·+a2x2+a1x1+a0 und g(x) = bmxm + · · ·+b2x2+b1x1+b0

Gesucht ist jeweils die Tangentensteigung (oder die Ableitung) der folgenden Funktionen anx = 0 zu

1. h1(x) := c · f (x)2. h2(x) := f (x)+g(x)

3. h3(x) := f (x)−g(x)

4. h4(x) := f (x) ·g(x)

Mit Blick auf die linearen Koeffizienten sind die Lösungen in allen vier Fällen auch für dieSchülerinnen und Schüler sehr leicht zu finden:

Zu (1):

h1(x) := c · f (x) = c(anxn + ·+a2x2+a1x1+a0) = canxn + · · ·+ ca2x2+ ca1x1+ ca0,

d. h.:

h′1(0) = c ·a1 = c · f ′(0), die Faktorregel an der Stelle x = 0;

Zu (2) und (3):

h2/3(x) = f (x)±g(x) = (anxn + . . .+a2x2+a1x1+a0)± (bmxm + . . .+b2x2+b1x1+b0)

= . . .+(a2±b2)x2+(a1±b1)x+(a0±b0),

d. h.:

h′2/3(0) = a1±b1 = f ′(0)±g′(0), die Summen- und Differenzregel an der Stelle x = 0.

Zu (4):

h4(x) := f (x) ·g(x) = (anxn + · · ·+a2x2+a1x1+a0) · (bmxm + · · ·+b2x2+b1x1+b0)= (. . .)x2+(a1 ·b0)x+(a0 ·b1)x+(a0 ·b0) = (. . .)x2+(a1 ·b0+a0 ·b1)x+a0 ·b0,

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94 7 Ableitungsregeln mit GeoGebra selbst entdecken – nicht nur für Polynome

d. h.

h′4(0) = a1 ·b0+a0 ·b1 = f ′(0) ·g(0)+ f (0) ·g′(0), die Produktregel an der Stelle x = 0.

Dabei reicht es auch, wenn man zunächst nur von Polynomen etwa vom Grad 4 ausgeht. Dannkann man leicht alle Summanden aufschreiben.

Und was lässt sich diesmal über die Gültigkeitsbereiche sagen?Selbstverständlich können wir alle vier Regeln auch an einer beliebigen Stelle x = a unter-

suchen, wenn wir nur wieder die beteiligten Funktionen um (−a) in x-Richtung verschieben.Dann haben wir die uns interessierenden Tangentensteigungen nach x = 0 verlagert, wo ja allevier Regeln nachgewiesenermaßen gelten. Die induktive Methode erlaubt also auch an dieserStelle die Verallgemeinerung.So haben wir nun für alle x ∈ R nachgewiesen:

(I) Für jedes Polynom f (x) und jede reelle Zahl c gilt: (c · f )′(x) = c · f ′(x), dieFaktorregel

(II) Für je zwei Polynome f (x) und g(x) gilt: ( f +g)′(x) = f ′(x)+g′(x), die Sum-menregel

(III) Für je zwei Polynome f (x) und g(x) gilt: ( f −g)′(x) = f ′(x)−g′(x), die Diffe-renzregel

(IV) Für je zwei Polynome f (x) und g(x) gilt: ( f ·g)′(x) = f ′(x) ·g(x)+ f (x) ·g′(x),die Produktregel

Alle 4 Regeln lassen sich experimentell mit Hilfe der GeoGebra-Dateien Datei-5, Datei-6 undDatei-7 auch für beliebige Stellen x = a verifizieren.Selbstverständlich kann man die Reihenfolge des Vorgehens auch umkehren: Lassen Sie Ihre

Schüler doch erst anhand der genannten Dateien die jeweiligen Ableitungsregeln entdecken undbeweisen Sie diese im Anschluss so, wie es oben ausgeführt wurde. Jede Lehrerin, jeder Lehrerkann am besten selbst abschätzen, welcher Weg zu seiner Lerngruppe am besten passt.

7.4 Die allgemeine Ableitungsregel für Polynome

In einem weiteren Schritt untersuchen wir nun die Ableitung der Funktion f (x) = xn an einer be-liebigen Stelle x = a, d. h. wir betrachten den linearen Koeffizienten der Funktiong(x) := f (x+a), also die Tangentensteigung der um (−a) verschobenen Funktion f an x = 0:Es gilt:

g(x) = (x+a)n =(nn

)xn +

(n

n−1)axn−1+ · · ·+

(n1

)an−1x+

(n0

)an,

und damit ergibt sich: f ′(a) = (xn)′(a) = g′(0) =(n1

)an−1 = nan−1, d. h. es folgt

(V) f (x) = xn⇒ f ′(x) = nxn−1

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7.5 Die Quotientenregel für Polynomquotienten selbstständig entdecken 95

Insgesamt können wir jetzt jedes Polynom überall ableiten:Die Summanden von f (x) = anxn + · · ·+a2x2+a1x1+a0 können mit Hilfe von (I) und (V)

so abgeleitet werden:(akxk)′(x) = k ·akx(k−1)

und wiederholte Anwendung der Summenregel führt schließlich zu:

(VI) f (x) = anxn+ · · ·+a2x2+a1x1+a0⇒ f ′(x) = n ·anxn−1+ · · ·+2 ·a2x1+a1,

die allgemeine Ableitungsregel für Polynome.

Im Anschluss an dieses Ergebnis können nun in gewohnter Weise Extremwertaufgaben be-handelt und die üblichen Kriterien hierfür unter Einbeziehung von 2. und 3. Ableitung erarbeitetwerden.Auf entsprechende Ausführungen verzichten wir hier.

7.5 Die Quotientenregel für Polynomquotienten selbstständig

entdecken

Wir zeigen nun, wie Schülerinnen und Schüler selbstständig auch die Quotientenregel entdeckenkönnen, zumindest für Polynome im Zähler und Nenner und an der Stelle x = 0.Gehen wir also aus von f (x) = anxn + · · ·+a2x2+a1x1+a0 und

g(x) = bmxm + · · ·+b2x2+b1x1+b0 und von g(0) = b0 �= 0.Dann ergibt sich die Tangentensteigung an der Stelle x = 0 für die Quotientenfunktion zu:

limh→0

fg (h)− f

g (0)

h= lim

h→0

anhn+···+a2h2+a1h1+a0bmhm+···+b2h2+b1h1+b0

− a0b0

h

= limh→0

(anhn + · · ·+a2h2+a1h1+a0)b0−a0(bmhm + · · ·+b2h2+b1h1+b0)(bmhm + · · ·+b2h2+b1h1+b0)b0h

=limh→0((anhn−1+ · · ·+a2h1)b0+b0a1−a0(bmhm−1+ · · ·+b2h1)−a0b1)

limh→0(bmhm + · · ·+b2h2+b1h1+b0)b0

=b0a1−a0b1

b20=

g(0) · f ′(0)− f (0)g′(0)g(0)2

=NAZ−ZAN

N2

Über den Ausdruck NAZ−ZANN2 kann man sich wundern. Er stellt eine (bayerische) Eselsbrücke

dar: NAZ steht hier für Nenner mal Ableitung des Zählers und gleichzeitig als Kurzform fürden Namen IGNAZIUS und ZAN steht für Zähler mal Ableitung des Nenners und erinnert andas Wort ZAHN: Ein Ignazius ohne Zahn ist nun einmal besser vorstellbar als ein Zahn ohneIgnazius. . .Natürlich sind hier auch Grenzwertsätze für Funktionen benutzt worden, für deren ausführli-

che Behandlung in der Schule allerdings meist die Zeit nicht reicht. Deswegen wird ihre Gültig-keit an dieser Stelle vorausgesetzt. Das macht Lehrerunterstützung sicher nötig.Mit mathematischer Induktion lässt sich nun erneut der Gültigkeitsbereich auf den gesamten

Definitionsbereich der Quotientenfunktion ausweiten, d. h. es gilt die

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96 7 Ableitungsregeln mit GeoGebra selbst entdecken – nicht nur für Polynome

Abbildung 7.7: Datei-8

(VII) Quotientenregel: Für Polynome f und g und für alle x mit g(x) �= 0 gilt(fg

)′(x) =

g(x) · f ′(x)− f (x)g′(x)g(x)2

Mit Hilfe der Datei-8 (Abb. 7.7) kann diese Regel ebenfalls für Zähler- und Nennerpolynomevon maximal 3.Grad verifiziert werden.

7.6 Verallgemeinerung auf alle Funktionen

Nachdem wir jetzt die wichtigsten Ableitungsregeln für Polynome und Polynomquotienten ge-funden haben, stellt sich natürlich die Frage, ob diese Regeln auch für weitere Funktionen geltenund ob sie sich vielleicht sogar entsprechend beweisen lassen.Gehen wir doch noch einmal zurück zur Sekantensteigungsfunktion an der Stelle x = 0:

s0(x) =f (x)− f (0)

xDer Grenzwert dieser Funktion limx→0 s0(x) =: f ′(0) ist die Tangentensteigung an der Stel-

le x = 0. Bei Polynomfunktionen ist dies immer der lineare Koeffizient a1, womit für dieseFunktionen auch die Existenzfrage geklärt ist. Wenn wir aber jetzt den Bereich der Polynom-funktionen verlassen wollen, müssen wir unser Vorgehen etwas modifizieren.

Wir beginnen mit der folgenden Definition:Die Funktion f heißt differenzierbar an der Stelle a genau dann, wenn

limx→a sa(x) := limx→af (x)− f (a)

x−a =: f ′(a) existiert, und wir nennen dann f ′(a) die Ableitung vonf an der Stelle a.Auch diesmal konzentrieren wir uns auf die Stelle x = 0, da wir wieder mit Hilfe mathema-

tischer Induktion unsere Ergebnisse verallgemeinern wollen. Wir formen unsere Definition alsoäquivalent so um, dass sie speziell auf x = 0 zugeschnitten ist:

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7.6 Verallgemeinerung auf alle Funktionen 97

Die Funktion f heißt differenzierbar an der Stelle x = 0 genau dann, wenn es eine an derStelle x = 0 stetig ergänzbare Funktion s0(x) und eine Umgebung U(0) gibt, so dass für allex ∈U(0) gilt:

f (x) = f (0)+ x · s0(x). Dann ist f ′(0) = s0(0) = limx→0

s0(x).

Gehen wir nun also davon aus, dass c ∈R eine reelle Zahl ist, und dass die Funktionen f undg an der Stelle x = 0 differenzierbar sind, dass es also an x = 0 stetig ergänzbare Funktionens0 und t0 gibt, so dass f (x) = f (0) + x · s0(x) und g(x) = g(0) + x · t0(x) für alle x aus einerUmgebung der 0 gilt, und dass f ′(0) = s0(0) sowie g′(0) = t0(0) gilt.Damit ergeben sich die Ableitungsregeln folgendermaßen:

I. (c · f )(x) = c · f (0)+x · (c · s0)(x) und auch (c · s0)(x) ist stetig ergänzbar an x = 0 mit demWert (c · f )′(0) = c · s0(0) = c · f ′(0), die Faktorregel.

II. ( f ±g)(x) = ( f (0)+ x · s0(x))± (g(0)+ x · t0(x)) = ( f (0)±g(0))+ x · (s0(x)± t0(x)) undauch s0(x)± t0(x) ist stetig ergänzbar an x = 0 mit dem Wert ( f ± g)′(0) = s0(0)± t0(0),die Summen- bzw. Differenzregel.

III. ( f ·g)(x) = ( f (0)+ x · s0(x)) · (g(0)+ x · t0(x))= ( f (0) ·g(0))+ x · ( f (0) · t0(x)+ s0(x) ·g(0)+ x · s0(x) · t0(x))

und auch f (0) · t0(x)+ s0(x) · g(0)+ x · s0(x) · t0(x) ist stetig ergänzbar an x = 0 mit demWert ( f ·g)′(0) = f (0) · t0(0)+ s0(0) ·g(0) = f (0) ·g′(0)+ f ′(0) ·g(0), die Produktregel.

IV. Zur Herleitung der Quotientenregel setzen wir zusätzlich voraus, dass die Nennerfunktionkeine Nullstelle an x = 0 hat und betrachten die Differenzenquotientenfunktion

1x

(fg(x)− f

g(0))

=1x

(f (0)+ x · s0(x)g(0)+ x · t0(x) −

f (0)g(0)

)

=g(0) · ( f (0)+ x · s0(x))− f (0)(g(0)+ x · t0(x))

x(g(0)+ x · t0(x)) ·g(0)=

g(0) · s0(x)− f (0) · t0(x)(g(0)+ x · t0(x)) ·g(0) .

Die Grenzwertbildung liefert:(fg

)′(0) = lim

x→0g(0)s0(x)− f (0) · t0(x)(g(0)+ x · t0(x)) ·g(0) =

g(0) · f ′(0)− f (0) ·g′(0)(g(0))2

,

die Quotientenregel.

Jetzt steht nur noch der Hinweis aus, dass die soeben bewiesenen Regeln auch an jeder vonNull verschiedenen Stelle des Koordinatensystems gelten, an denen die entsprechenden Voraus-setzungen gegeben sind:Wenn beispielsweise die Funktionen f und g an der Stelle x = a differenzierbar sind, dann

sind auch f1(x) := f (x+ a) und g1(x) := g(x+ a) an der Stelle x = 0 differenzierbar mit denAbleitungswerten f ′1(0) := f ′(a) und g′1(0) := g′(a) und die Gültigkeit der Ableitungsregelnüberträgt sich so von der Stelle x = 0 auf die Stelle x = a.

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98 7 Ableitungsregeln mit GeoGebra selbst entdecken – nicht nur für Polynome

7.7 Die Zahl e wird entdeckt

Wenden wir uns nun noch den Exponentialfunktionen zu. Offenbar haben die Graphen der Tan-gentensteigungsfunktionen hier große Ähnlichkeit mit den Graphen der Ausgangsfunktionen.Sehr einfach gelingt die Entdeckung der Euler’schen Zahl e mit Hilfe der Datei-9 (Abb. 7.8),wenn man e als die Basis definiert, bei der die Tangentensteigungsfunktion sogar mit der Aus-gangsfunktion zusammen fällt: Mit einem Schieberegler kann man die Basis a der (roten) Funk-tion f (x) = ax verändern, während auch ihre (blaue) Tangentensteigungsfunktion eingespieltwird. Für a = e = 2.718 . . . findet eine Überdeckung beider Graphen statt!Experimentell haben wir also gefunden:

f (x) = ex⇒ f ′(x) = ex = f (x)

Abbildung 7.8: Datei-9

Natürlich ist es nun spannend, die eigentliche Bedeutung dieses Zusammenhangs näher zuuntersuchen, d. h. Wachstumsfunktionen als solche zu erkennen. Das aber gehört nicht zumThema dieses Kapitels.

7.8 Die allgemeine Exponentialfunktion und ihre

Tangentensteigungsfunktion

Offenbar gibt es eine recht unmittelbare Beziehung zwischen der Exponentialfunktion und ihrerTangentensteigungsfunktion, die im besonderen Fall sogar zur Gleichheit führt.Das ermutigt, einen Versuch zu starten, in dem in Datei-10 (Abb. 7.9) die (blaue) Tangen-

tensteigungsfunktion mit einer Vielfachen der ursprünglichen Funktion (hier lila dargestellt)verglichen wird.Mit Hilfe der Zoomfunktion und der Cursor-Tasten bei der Einstellung des Schiebereglers

Faktor können wir sehr genau die lila Funktion mit der blauen Tangentensteigungsfunktion zur

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7.8 Die allgemeine Exponentialfunktion und ihre Tangentensteigungsfunktion 99

Deckung bringen. Nun bleibt die im Aufgabentext enthaltene Frage nach der Beziehung zwi-schen diesem jetzt passenden Faktor und der Tangentensteigung der Ausgangsfunktion f . Suchtman durch Ziehen an P die Stelle, an der die Tangentensteigung die Größe des passenden Fak-tors hat, so ergibt sich wieder eine Überraschung: Die passende Tangentensteigung findet sichoffensichtlich an der Stelle x = 0.

Abbildung 7.9: Datei-10

D. h. experimentell begründet vermuten wir nun die folgende Beziehung:

f (x) = ax⇒ f ′(x) = f ′(0) · f (x) = f ′(0) ·ax für a > 0.

Das lässt sich nun natürlich auch rechnerisch unmittelbar erkennen:

limh→0

ax+h−ax

h= ax · lim

h→0ah−a0

h= ax · f ′(0),

allerdings wieder unter Verwendung der Grenzwertsätze.

Insbesondere ergibt sich so natürlich auch: (ex)′(0) = e0 = 1.

Es bleibt noch die Frage, was die Tangentensteigung an der Stelle x = 0 der Funktion f (x) =ax, d. h. was also f ′(0)mit der Zahl a zu tun hat. Um diese Frage zu untersuchen, nutzen wir dieDatei-11 (Abb. 7.10).

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100 7 Ableitungsregeln mit GeoGebra selbst entdecken – nicht nur für Polynome

Abbildung 7.10: Datei-11

Offenbar ergibt das Experiment: f (x) = ax⇒ a = e f′(0) ⇒ f ′(0) = ln(a) und somit folgt:

f (x) = ax⇒ f ′(x) = ln(a) ·ax

7.9 Die Ableitung der Umkehrfunktion

Den Graph der Umkehrung f−1 einer umkehrbaren Funktion f erhält man durch Spiegelungdes Graphen von f an der 1. Winkelhalbierenden. Ein Punkt P(x, f (x)) des Graphen, der zusam-men mit seiner Tangente t an den Graph von f gespiegelt wird, geht dabei über in einen PunktP′( f (x),x) des Graphen von f−1 und die Tangente in eine Tangente t ′ an den Graph von f−1 imPunkt P′ (vgl. Abb. 7.11).Aus den beiden Dreiecken in der Umgebung des Nullpunktes entnimmt man leicht die Stei-

gungen der Tangenten: m(t ′) = cb = 1

bc

= 1m(t) und damit folgt: ( f

−1)′( f (x)) = 1f ′(x) .

Setzt man nun noch x anstelle von f (x) und dann entsprechend f−1(x) anstelle von x, so folgtdie Ableitungsregel der Umkehrfunktion unmittelbar:

(f−1)′

(x) =1

f ′ ( f−1(x))

Speziell ergibt sich damit die Ableitung der allgemeinen Logarithmusfunktion:

log′a(x) =1

(ax)′(loga(x))=

1ln(a)x

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7.10 Resümee 101

Abbildung 7.11: Datei-12

Analog lässt sich die Regel (IX) natürlich auch zur Ableitung der Wurzelfunktionen verwen-den.

7.10 Resümee

Wie wir gesehen haben, eröffnet die Fokussierung auf die Stelle x = 0 zunächst im Falle dereinfachsten Funktionen, der Polynome, einen sehr unmittelbaren Weg hin zu den meisten Ab-leitungsregeln. Lediglich die Kettenregel wird hier so nicht erreicht. Interessant ist dabei abernicht nur, dass die Schülerinnen und Schüler diesen einmal eingeschlagenen Weg weitgehendselbstständig beschreiten können. Interessant ist auch die induktive Schlussweise, mit der dieallgemeine Gültigkeit dieser Regeln überraschend einfach und zugleich überzeugend verallge-meinert werden kann. Diese Schlussweise, deren Bedeutung weit über die hier aufgeführtenBeispiele hinausragt, als Beweismethode zu entdecken, hat nach meiner Einschätzung einenganz besonderen Wert.Die GeoGebra-Dateien dienen zunächst der Ideenfindung. Erst die dynamische Untersuchung

der Tangentensteigungsfunktion in der Zusammenschau mit dem Graphen der Ausgangfunkti-on lässt die Bestimmung der Tangentensteigungsfunktion als lohnendes Ziel erkennen. Danngibt das besondere Verhalten der Tangentensteigung bei Polynomen an der Stelle x = 0, das

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102 7 Ableitungsregeln mit GeoGebra selbst entdecken – nicht nur für Polynome

wiederum anhand einer Datei entdeckt wird, Anlass, unabhängig vom Computereinsatz überdiese Beobachtung nachzudenken und dabei die wichtigsten Ableitungsregeln zu entdecken.Alle Regeln, die so durch mathematische Überlegungen erschlossen wurden, können dann aberauch wieder mit geeigneten GeoGebra-Dateien verifiziert werden. Streng genommen ist dieseÜberprüfung zwar in Naturwissenschaften unbedingt erforderlich, nicht aber im Rahmen derMathematik. Allerdings ist im Unterricht die experimentelle Bestätigung eines theoretischenErgebnisses immer wertvoll.Während im Falle der Polynome und auch der gebrochen-rationalen Funktionen alle Ergeb-

nisse auch bewiesen wurden, haben wir bei den Exponentialfunktionen nur gesehen, wie manschnell experimentell zu interessanten Beobachtungen und Ableitungsregeln finden kann. Hierbedarf es in Leistungskursen sicher noch weiterer Begründungen.Die letzte Datei schließlich zur Ableitung der Umkehrfunktion kann gleichzeitig sowohl als

Ideengeber für die zu entdeckende Regel als auch für deren Beweis angesehen werden.Insgesamt sind hier mathematische Überlegungen und experimenteller Computereinsatz so

miteinander verschränkt, dass weitgehend selbstständiges Entdecken, Begründen und Verifizie-ren der wichtigsten Ableitungsregeln für Schülerinnen und Schüler in kurzer Zeit möglich wird.

Dank:

Die Idee, Polynomfunktionen an der Stelle x= 0 zu untersuchen, verdanke ich dem langjährigenFachmoderator und Studiendirektor i. R. Herrn Dr. Jürgen von den Steinen, Solingen.

Literatur

[Dud10] Bossek, H. & Heinrich, R. (Hrsg.). (2010). Lehrbuch Mathematik Gymnasiale Ober-stufe, Einführungsphase NRW, Berlin: Duden-Paetec.

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8 Die Eulersche Zahl

Unterrichtsbausteine zur Unterstützung genetischer Lernprozesse mit GeoGebra

Maria Nelles

„Euler war als Mathematiker ein großer Experimentator. Er spielte mit Formeln so, wie einKind mit seinem Spielzeug und führte alle möglichen Substitutionen durch, bis er etwas In-teressantes erhielt. [...] Euler hatte genug Vertrauen in seine eigenen Formeln und verliehihnen eine inhaltliche Bedeutung [...] Obgleich Euler viele seiner Ergebnisse nicht auf stren-ge Weise herleitete, hat jede der hier erwähnten Formeln den Strengetest bestanden.“1

8.1 Wege der Begriffsgenese mit Geogebra durchschauen

Die obigen Worte Eli Maors ermutigen zu einer Unterrichtskultur, die neben der Vorbereitungzentraler Prüfungen Raum lässt für Lust am Denken und Erfinden von Mathematik. Der Wegzum Verständnis von Mathematik nach der genetischen Methode geht auf die Suche nach demProzess des Entstehens von Mathematik. Die Lernenden gewinnen so einen Einblick in die Ge-nese von Mathematik. Zentrale Merkmale eines genetischen Unterrichts sind: Anschluss an dasVorverständnis des Lernenden, Einbettung in historische Problemkontexte, Zulässigkeit der in-formellen Einführung von Begriffen aus dem Kontext heraus, Hinführung zu strengeren Überle-gungen über intuitive und heuristische Ansätze, allmähliche Präzisierung und Erweiterung desGesichtskreises durch Standpunktverlagerung.Folgt man bei der Begriffsdefinition der Eulerschen Zahl dem historischenWeg, so kann Geo-

Gebra bei den verschiedenen Zugängen zur Eulerschen Zahl die Begriffsbildung durch Visuali-sierung unterstützen. Durch Nutzung und Vernetzung von Tabellenkalkulation, Algebratool undGeometrietool kann die numerische Approximation von e bereits in der Klasse 9 einen erstenZugang zu e ermöglichen und einen reflektierten Umgang mit dem Grenzwertbegriff vorberei-ten. Im Rahmen der Integralrechnung eröffnet das Problem der Quadratur der Hyperbel eineüberraschend einfache vertiefende Anwendung der Ober- und Untersummen. Die vorgestell-ten Geogebra Applets sind in der Funktion einer „White Box“ schnell durchschaubar, so dassdie Lernenden beim eigenständigen Erstellen der Geogebra Dateien über den reflektierten Kon-struktionsprozess Mathematik verstehen.

8.2 Zur Geschichte der Eulerschen Zahl

Die Eulersche Zahl e weist im Gegensatz zur Kreiszahl π eine erst 400 jährige Geschichteauf. Sie wurde bereits in der 1618 von Edward Wright (1558–1615) veröffentlichten englischenÜbersetzung der Arbeit von John Napier (1550 - 1617) über Logarithmen erwähnt. Darüberhinaus gibt es eine Spekulation, wie man die konvergente Folge an =

(1+ 1

n

)n, deren Grenzwert

1[Mao96], S. 153–154

R. Kaenders, R. Schmidt (Hrsg.), Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen, DOI 10.1007/978-3-8348-8340-7_8,© Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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104 8 Die Eulersche Zahl

für n→ ∞ die Zahl e ist, entdeckte. Die Zahl e war den Mathematikern wenigstens ein halbesJahrhundert vor der Entdeckung der Integral- und Differentialrechnung bekannt. Wahrscheinlicheher durch empirische Beobachtung als durch eine strenge mathematische Herleitung. Nachder Erfindung der Integral- und Differentialrechnung führte das Problem der Fläche unter derHyperbel y = 1

x zur natürlichen Logarithmusfunktion und dann über deren Umkehrfunktionin anderer Weise zur selben Zahl e. Euler (1707-1783) benutzte bereits 1727 (Euler war zudiesem Zeitpunkt 20 Jahre alt) in einemManuskript den Buchstaben e für die Eulersche Zahl. Erstellte die Exponentialfunktion gleichberechtigt neben die Logarithmusfunktion, indem er beideunabhängig voneinander definierte. 1737 bewies Euler die Irrationalität von e. Charles Hermitebewies 1873, dass e transzendent ist. Noch heute gibt es viele nicht bewiesene Vermutungen imZusammenhang mit der Eulerschen Zahl. Es ist beispielsweise bis heute nicht bekannt, ob dieZahl e+π ≈ 5,8958 algebraisch oder transzendent ist.2

8.3 Empirischer Zugang zur Eulerschen Zahl über die stetige

Verzinsung

Vermutlich trat die Zahl e erstmals im Zusammenhang mit der Zinseszinsformel auf. DieserZugang kann bereits in der Klasse 9 im Zusammenhang mit der Zinseszinsrechnung genutztwerden. Ein Kapital von 1 C wird mit einem (unrealistischen) Zinssatz von 100% verzinst.Dabei wird das Kapital n mal im Jahr zum Zinssatz von jeweils 1

n verzinst. Berechnet wirddie Höhe des Kapitals am Ende des 1. Jahres bei jährlicher, monatlicher, täglicher, stündlicher,minütlicher, sekündlicher Verzinsung.

Abbildung 8.1: Stetige Verzinsung

Bei einmaliger Verzinsung verdoppelt sich das Kapital (100%=1): a1 = (1+1)

Halbjährliche Verzinsung (50%=0,5): a2 =(1+ 1

2

)(1+ 1

2

)= 2,25

n-malige Verzinsung: an =(1+ 1

n

)nMit der Tabellenkalkulation von Geogebra können die Lernenden die Kapitalentwicklungen

auf verschiedenen Wegen berechnen. Mit Hilfe einer Liste lassen sich die in der Tabellenkalku-lation von Geogebra berechneten Werte als Punkte speichern und so in der Verbindung mit der

2[Mao96]

Page 109: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

8.4 Zugang über den Flächeninhalt unter der Hyperbel 105

Grafikansicht die Monotonie und Beschränktheit der Folge an in elementarer Weise veranschau-lichen.GeoGebra kann diesen Zugang also durch Experimente und Rechnungen unterstützen, die in

diesem Umfang weder mit der Hand noch Hilfe eines Taschenrechners möglich wären. Dabeikönnen die Ausgangsbedingungen immer wieder verändert werden, so dass die Struktur dieserProblemstellung erfahren werden kann.

8.4 Zugang über den Flächeninhalt unter der Hyperbel

Ausgehend von der Frage, warum der Flächeninhalt unter der (krummlinigen) Hyperbel im In-tervall [1;e] genau 1 ist, bietet sich in Anlehnung an den historischen Kontext die unterrichtlicheMöglichkeit nochmals auf die Definition des Riemann Integrals und damit zu den Obersummenbzw. Untersummen zurückzukehren.Dabei ist zu bemerken, dass die Riemann-Summen nicht erfunden worden sind, um Integrale

auszurechnen, das konnte man entweder durch den Hauptsatz der Differential- und Integralrech-nung oder durch Simpson-Integrale viel effektiver. Riemann hat diese Integration eingeführt umuneigentliche Integrale eindeutig definieren zu können, d. h. Grenzwerte endlicher Integrale, de-ren Integrationsgrenzen sich simultan bestimmten Werten oder Unendlich annähern. Auch hierwird das Riemann-Integral zum konzeptuellen Verständnis benutzt und nicht mit der Intentioneingeführt, den numerischen Wert von Integralen zu approximieren, was auch dem genetischenPrinzip widerspräche.Offensichtlich hat die Obersumme bei äquidistanter Intervalleinteilung den Nachteil, dass die

Rechtecke wegen der betraglich großen Steigung von f im vorderen Teil des Intervalls starkvom zu bestimmenden Flächeninhalt abweichen.

Abbildung 8.2: Flächeninhalt unter der Hyperbel

8.4.1 Quadratur der Hyperbel nach einer Idee von Fermat und St. Vincent

Fermat (1607-1667) hatte nun die Idee, dass zur besseren Anpassung der Rechtecke an f de-ren Breiten so verändert werden müssen, dass in den Bereichen mit betraglich großer Steigungauch eine feinere Intervalleinteilung vorliegt. Der belgische Jesuit St. Vincent (1584-1667) ver-öffentlichte schon 16473 einen überraschenden Zusammenhang zwischen der natürlichen Lo-

3[Edw79]

Page 110: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

106 8 Die Eulersche Zahl

garithmusfunktion und der rechtwinkligen Hyperbel. Er entdeckte, dass die Rechtecke gleicheFlächeninhalte haben, wenn die x-Werte im Intervall [1;b] so gewählt werden, dass sie einegeometrische Folge bilden. Das bedeutet, dass der Gesamtflächeninhalt der Rechtecke (Ober-summe) mit geometrisch wachsendem Abstand von 1 um feste Beträge zunimmt. Die Folge derObersummen ist also arithmetisch. Das gilt auch, wenn man für n→ ∞ zum Grenzwert über-geht. Also ist der Zusammenhang zwischen dem Flächeninhalt unter der Hyperbel und demAbstand von 1 bis zur variablen Stelle b logarithmisch. Damit gestaltet sich die Integration derHyperbelfunktion überraschend einfach:4

Abbildung 8.3: Integration nach Fermat

Mit x1 = 1; x2 = q; x3 = q2; xn+1 = qn = b ergibt sich die folgende Darstellung des Integrati-onsintervalls: [1;b] = [1;q]∪ [q;q2]∪ [q2;q3]∪ ...∪ [qn−1;qn]

Wie man leicht sieht, haben alle Rechtecke den gleichen Flächeninhalt:A1 = 1

1 (q−1); A2 = 1q (q

2−q); A3 = 1q2 (q

3−q2);... An = 1qn−1 (q

n−qn−1) wobei gilt: q = n√b

4[Edw79], S.154–158

Page 111: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

8.4 Zugang über den Flächeninhalt unter der Hyperbel 107

b∫1

1x dx = lim

n→∞On = lim

n→∞

n∑i=1

qi−qi−1qi−1

= limn→∞

n∑i=1

(q−1)= lim

n→∞n · (q−1)

= limn→∞

n · ( n√b−1)

= limn→∞

n · (b 1n −1)

Mit der Substitution h = 1n folgt

5:

= limh→0

bh−1h = ln(b)

Die Eulersche Zahl wird dann durch ln(e) = 1 definiert. Bekanntlich führt der in den aktuel-len Schulbüchern ausführlich beschriebene Standardweg ausgehend von der Frage „Was ist dieAbleitung von ax?“ über den Grenzwert des Differenzenquotienten zum gleichen Term. Derbeschriebene Perspektivwechsel „Flächeninhalt unter der Hyperbel“ verleiht diesem eine neuevertiefende mathematische Bedeutung.

Ein Rechteck der Höhe 1a bzw.1b und der Breite b−a für 0< a< b hat den gleichen Flächen-

inhalt wie ein Rechteck der Höhe 1ca bzw.

1cb und der Breite cb− ca. Felix Klein (1849-1925)

hatte die Idee, dies zu benutzen um für 0< a< b bei dem Integral L(a,b) =b∫a

1x dx zu bemerken:

6

L(ca,cb) = L(a,b), falls c > 0

Diese Identität gilt, da sie für jede Riemannsche Ober- und Untersumme gilt. Also gilt sieauch auch im Grenzwert, d.h. für das Integral. Sollte a> b sein, setzen wir L(a,b) = L(b,a) undes gilt dann genauso L(ca,cb) = L(a,b) für c > 0. Offensichtlich gilt auch

L(a,b) = L(a,c)+L(c,b) für a < c < b oder b < c < a.

Nun kann mit diesen Regeln ein solcher Ausdruck L(a,b) normiert werden, d.h. L(a,b) =L(1, ba ) und es reicht, die Funktion L(1,x) für x > 0 zu betrachten. Die Additivität des Integralswird dann zu L(1,x) + L(1,y) = L(1,x) + L(x,x · y) = L(1,x · y), also: L(1,x · y) = L(1,x) +L(1,y). Diese Funktion L(1,x) nennen wir auch Logarithmus naturalis und schreiben ln(x) =L(1,x).7

Geogebra bietet nun die Möglichkeit vertiefende mathematische Erkenntnisse durch Abstrak-tion eines beispielgebundenen Vorgehens zu gewinnen. Die Lernenden können durch Vernet-zung von Tabellenkalkulation und Grafikansicht Intervalleinteilungen für verschiedene q kon-struieren, sowie konkrete Flächeninhaltsberechnungen durchführen. Eine breite induktive Er-fahrungsbasis kann durch händisches Vorgehen nicht erworben werden. Nebenbei sichert diekonkrete Konstruktion der Obersummen das grundlegende Verständnis und Behalten des Ver-fahrens in ganz erstaunlicher Weise, da Konstruktionsfehler fast immer zum Nachdenken übermathematische Inhalte führen.

5[Mey10]6Die Idee geht zurück auf St. Vincent (1647)7[Fre73], S. 290–291

Page 112: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

108 8 Die Eulersche Zahl

8.5 Graphische Umkehrung der natürlichen

Logarithmusfunktion und Ableitung der Umkehrfunktion

Numerische Annäherung an die natürliche Exponentialfunktion und deren Ableitung und geo-metrische Interpretation der InversenregelFolgt man weiter der historischen Genese, so steht die Definition der Exponentialfunktion als

eigenständige Funktion erst am Ende der historischen Entwicklung. Die Definition des Loga-rithmus über den Flächeninhalt unter der Hyperbel führte zunächst auf die Exponentialfunktionals Umkehrfunktion der so definierten Logarithmusfunktion. Elementargeometrische Betrach-tungen führen dann zur Inversenregel.

Abbildung 8.4: Graphische Umkehrung

Für hinreichend kleines h wird die Funktion f (x) = xh−1h definiert. Die Umkehrfunktion wird

durch Spiegelung an der ersten Winkelhalbierenden erzeugt. Die von h abhängige Umkehrfunk-tion wird als die natürliche h-Exponentialfunktion exph(x) definiert. Mit Hilfe der Tangente unddem passenden Steigungsdreieck im beweglichen Punkt A können konkrete Ableitungswerte derUmkehrfunktion exph(x) berechnet werden und in der Tabellenansicht mit den Funktionswertender wirklichen Exponentialfunktion ex verglichen werden.Fast nebenbei wird eine analytische Präzisierung mit Hilfe der Inversenregel (Regel der Ab-

leitung der Umkehrfunktion bei bekannter Ableitung der Ausgangsfunktion) vorbereitet. Diegraphische Darstellung liefert darüber hinaus eine geometrische Begründung der Inversenregelohne begriffliche Strenge, da die Differenzierbarkeit vorausgesetzt wird, so dass die Inversen-regel bei geeigneten Bezeichnungen aus den Steigungsdreiecken abgelesen werden kann, z. B.m(x) = f ′(x) und m∗(y) = f ′(y).Der Vorteil des Geogebra Einsatzes liegt hier u.a. darin, dass durch die Konstruktion der

Page 113: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

8.6 Vertiefende Einsichten in den Standardweg mit Geogebra 109

h-Exponentialfunktion der historische Weg konsequent nachvollzogen wird. Dies ist ohne Geo-gebra nicht in dieser Weise möglich. Die Konstruktion der Steigungsdreiecke bringt Übersichtin die komplexe Notation der Inversenregel, die durch die geometrische Interpretation sicherauch nachhaltiger in vorhandene Begriffsstrukturen der Lernenden eingeordnet werden kann.Numerische Näherungen für die Ableitungswerte der h-Exponentialfunktion können durch Be-wegung von A aus dem Steigungsdreieck der h-Exponentialfunktion berechnet werden und soden Standardweg vorbereiten.

8.6 Vertiefende Einsichten in den Standardweg mit Geogebra

Durch Rückgriff auf den Differentialquotienten gelangt man zu den folgenden Erkenntnissen:

f ′(x) = limh→0

ax+h−ax

h= lim

h→0ax(ah−1)

h= ax · lim

h→0ah−1h

Der Term limh→0

ah−1h lässt sich nicht weiter vereinfachen. Mathematisches Anschauen der er-

haltenen Terme liefern folgende Einsichten:

1. Für limh→0

ah−1h = 1 hat man eine Exponentialfunktion, die mit ihrer Ableitungsfunktion

übereinstimmt.

2. limh→0

ah−1h = lim

h→0a0+h−a0

h = f ′(0)

Abbildung 8.5: Exponentialfunktionen und ihre Ableitungen

Beide Einsichten lassen sich durch Geogebra experimentell gewinnen. Mit Hilfe eines Schie-bereglers lassen sich Graphen von Exponentialfunktionen zu verschiedenen Basen a dynamisch

Page 114: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

110 8 Die Eulersche Zahl

erzeugen, so dass die Lernenden den gesuchten Zusammenhang zwischen den Graphen vonf und f ′ selbst entdecken können. Dies kann dann eine nachhaltige Motivation für die obenbeschriebene analytische Herangehensweise erzeugen. Der Schieberegler ermöglicht in einemweiteren Applet die dynamische Variation der Tangentensteigungen für verschiedene Basen aan der Stelle 0 und bereitet so die unter 2. beschriebene Erkenntnis vor.

Ausblicke und weiterführende Aspekte

Mit der Folge an =(1+ 1

n

)nlässt sich zeigen, dass naives Umgehen mit Grenzwerten zu falschen

Ergebnissen führen kann. Man könnte der Versuchung unterliegen, dass der Ausdruck(1+ 1

n

)nfür große n gegen 1 strebt, da 1n für große n gegen Null strebt und jede Potenz von 1 bekanntlich1 ist. Andererseits könnte man argumentieren, dass der eben genannte Ausdruck gegen ∞ strebt,da 1+ 1

n stets größer als 1 ist und die Potenz einer Zahl, die größer als 1 ist für unbeschränktes ngegen ∞ strebt. Je nach Argumentation erhält man unterschiedliche Ergebnisse. Die gewonneneVermutung, dass die Folge an =

(1+ 1

n

)ntatsächlich konvergiert kann mit Hilfe des Satzes über

die Konvergenz monotoner und beschränkter Folgen unter Verwendung der bernoullischen Un-gleichung für besonders begabte und interessierte Schülerinnen und Schüler angeboten werden.Mit der allgemeinen binomischen Formel kann aus an =

(1+ 1

n

)ndie Reihendarstellung von

e, also e =∞∑i=1

1n! gewonnen werden und die Konvergenzgeschwindigkeit beider Folgen unter-

sucht werden. Der Standardweg führt auf die Differentialgleichung f = f ′ und kann die Be-handlung einfacher Differentialgleichung in der Schule einleiten.

Literatur

[Edw79] EDWARDS, C. H. (1979). The Historical Development of the Calculus. Springer, Hei-delberg.

[Fre73] FREUDENTHAL, H.(1973). Mathematik als pädagogische Aufgabe. Bd.1, Klett, Stutt-gart.

[Mao96] MAOR, E.(1996). Die Zahl e: Geschichte und Geschichten. Birkhäuser, Berlin.

[Mey10] http://elib.mi.sanu.ac.rs/files/journals/tm/25/tm1322.pdf (Zugriffsdatum: 28.05.2011)

[SKL11] SCHMIDT, G., KÖRNER, H., LERGENMÜLLER, A.(2011). Mathematik: Neue WegeAnalysis II. Schroedel, Braunschweig.

[TKW00] TIETZE, U. P., KLIKA, M. WOLPERS, H.(2000). Mathematikunterricht in der Se-kundarstufe II, Bd.I. Vieweg, 2. Auflage, Braunschweig.

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9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

Horst Bennemann

Ich sitze an meinem Schreibtisch, rechts neben mir mein Taschenrechner – ein altes Exemplarmit Leuchtziffern, die nie erlöschen, weil der Rechner, seit die Akkus defekt sind, am Netz hängt.Auf ihm steht noch die letzte Zahl irgendeiner vorangegangenen Rechnung. Ich tippe auf diecos-Taste – nochmals, immer wieder – und beobachte, was passiert. Die Zahlen springen aufund ab, scheinen sich aber einer bestimmten Zahl zu nähern. Welche Zahl ist das? Ist es egal,mit welcher Zahl ich starte? Was wäre, wenn ich eine andere Funktionstaste benutzt hätte (sin,tan, Wurzel,. . . )? Warum passiert das, was ich gerade beobachte – kann ich mir ein Bild davonmachen?

In diesem Kapitel werden wir die mathematische Basis dieser Spielerei experimentell erfor-schen. Dabei werden unerwartete Dinge passieren. Selbst unter einfachsten Rahmenbedingun-gen – wir werden in erster Linie lineare und quadratische Funktionen betrachten – wird sich eineüberraschende Komplexität im Kontext dieser Mathematik entfalten und eine unglaublich tiefeStruktur sichtbar werden.Die hier vorgestellten Gedanken sind nicht ganz neu – gehören aber zur modernen Mathe-

matik. Sie wurden Ende der 1980er Jahre populär, als PCs in der Lage waren, die Muster, diebei Iterationen entstehen, sichtbar zu machen. Während es damals aber noch recht mühsam war,diese Rechnungen durchzuführen (man musste dafür programmieren können und viel Rechen-zeit einplanen), ist es mit moderner Hardware und dynamischer Geometriesoftware mit wenigenMausklicks möglich, ein wie oben beschriebenes System durchzurechnen, Rechenschritte undErgebnisse zu veranschaulichen und dabei Parameter dynamisch zu ändern. Der hier aufgezeigteWeg liefert ein Grundgerüst an Ideen, an dem noch viel ergänzt und ausgearbeitet werden kann.Auf einige dieser Stellen wird hinweisen, andere müssen selbst entdeckt werden.

9.1 Relevanz

Moderner Mathematikunterricht ist u. a. dadurch gekennzeichnet, dass er den Schülerinnen undSchülern Gelegenheiten zum selbstständigen Entdecken gibt, ihnen individuelle Lernwege er-möglicht, sie fördert und fordert, zum sinnstiftenden Kommunizieren anregt und dabei digitaleMedien lernwirksam und unterstützend einsetzt. Aus neurowissenschaftlicher Sicht wird formu-liert1:

• Zu Lernendes muss bedeutsam sein.• Lernen ist das Weben von Netzen und Knüpfen von Zusammenhängen.• Vorwissen ist von großer Bedeutung.• Lernen braucht „Aktivierung“, z. B. emotionale Beteiligung.

1Neurowissenschaftliche Binsenweisheiten, Vortrag von Frau Dr. Hille, Transferzentrum für Neurowissenschaften undLernen, Universität Ulm, in Bonn, Oktober 2009

R. Kaenders, R. Schmidt (Hrsg.), Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen, DOI 10.1007/978-3-8348-8340-7_9,© Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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112 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

• Das Gehirn lernt besonders gut, wenn etwas besser ist als erwartet.• Erfolgserlebnisse führen zu schnellem und nachhaltigem Lernen.

In dem hier vorgestellten Kapitel werden viele dieser Aspekte berücksichtigt. Ein exempla-risches Beispiel jeweils zu Beginn eines neuen Abschnitts bietet einen Anknüpfungspunkt, derspäter im Rahmen der Interpretation wieder aufgegriffen werden kann. Es werden Möglich-keiten aufgezeigt, an das Vorwissen anzuknüpfen, durch entsprechende analoge wie digitaleArbeitsblätter selbstständig experimentell Mathematik zu treiben, überraschende Ergebnisse zudiskutieren und eigenen Fragestellungen nachzugehen. Durch die bereitgestellte Software wirddie erfolgreiche Bearbeitung der Fragen unterstützt. Obwohl die Grundideen leicht zu verstehensind, ergibt sich bei weiterer Beschäftigung mit der Thematik eine fast beliebige Tiefe. Wie weitdie Schülerinnen und Schülern gehen, können sie selbst bestimmen, indem sie den Anregungennachgehen, die zur Verfügung stehende Software experimentell weiter nutzen, abwandeln oderfür vollkommen neue Fragestellungen adaptieren (z. B. für komplexe Zahlen).Zentrale mathematische Gegenstände dieses Kapitels finden sich sowohl in der SI als auch

in der SII, so dass sich sowohl eine geschlossene Behandlung der hier vorgestellten Fragenzu Beginn der Oberstufe anbietet, als auch eine wiederholte Einflechtung in gerade aktuelleThemen. Insbesondere werden folgende inhaltsbezogene Kompetenzbereiche angesprochen:

• Lineare und quadratische Funktionen• Graphen von Funktionen• Verkettung von Funktionen• Abbildung• Steigung• Rekursion• Iteration• Grenzwert• Konvergenz• Fixpunkt• Zufall• Betrag• Folgen und Reihen

Durch die Verknüpfung von Rekursion und Iteration mit Funktionen erscheinen diese Ge-genstände in einem neuen Licht. Sind Iterationen den Schülerinnen und Schülern im Zusam-menhang mit irrationalen Zahlen (Näherung von

√2 durch Intervallschachtelung oder Heron-

Verfahren) bekannt oder begegnen ihnen später beim Newton-Verfahren oder im Rahmen derMatrizenrechnung, so ergibt sich hier ein neuer, ergiebiger Zusammenhang: Der Funktionsbe-griff wird um einen bedeutsamen Aspekt bereichert. Für das Erlernen, Verstehen und kreativeAnwenden von Mathematik ist es – wie oben erwähnt – wichtig, dass verschiedene Themen-bereiche der Mathematik nicht isoliert betrachtet werden, sondern durch Querbezüge vernetztwerden. Dabei ermöglicht die Software, stets den Funktionsterm, Tabellenwerte und die grafi-sche Darstellung im Blick zu behalten.Die hier mit Hilfe von GeoGebra erzeugten bildlichen Darstellungen von Prozessen und Zu-

ständen haben neben dem informativen Gehalt auch einen besonderen ästhetischen Reiz.Die Möglichkeit, mathematische Zusammenhänge unter diesen verschiedenen Blickwinkeln

grafisch sichtbar zu machen, ist ein zentraler Aspekt dieses Kapitels. Die Rolle, die die neuen

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9.2 Lineare Iteration – Rekursion – Verkettung – Rückkopplung 113

Veranschaulichungsmöglichkeiten durch PC-Software beim Erkenntnisprozess spielen können,drückt Mitchell Feigenbaum (der Namensgeber des Feigenbaum-Diagramms) wie folgt aus:

Ende Sommer 1976 war die Theorie fertiggestellt. Das ganze Bild war vollstän-dig entwickelt, doch es fehlte der Beweis. [. . . ] Dem Beweis zu folgen ist extremmühsam, obwohl er noch nicht das ganze Bild abdeckt. Sicherlich wäre er niemalsentstanden, hätte man nicht gewußt, daß des dort etwas zu beweisen gibt, und wasman beweisen muß. [Pei92]

In diesem Kapitel werden die aus den Beobachtungen gewonnenen Erkenntnisse jedoch nichtim strengen Sinne bewiesen. Die Argumentationsketten liefern aber eine nachvollziehbare undim Rahmen von Schulunterricht hinreichende Begründung für das beobachtete Verhalten derIterationen.

9.2 Lineare Iteration – Rekursion – Verkettung –

Rückkopplung

Die zu Beginn des Kapitels erzählte Spielerei – das wiederholte Drücken der cos-Taste – zeigtdie typischen Merkmale einer Iteration. Mit diesem Begriff wollen wir zunächst im Rahmen ei-nes mathematischen Experiments erste Erfahrungen sammeln. Allerdings wählen wir zum Ein-stieg ein einfacheres Beispiel: Im Experiment 1 ist x0 eine beliebige Startzahl. Diese wird miteiner ebenfalls beliebigen Zahl m multipliziert. Als Ergebnis erhalten wir x1. Diese Zahl wirdwieder mit m multipliziert. Das Ergebnis ist x2. Das kann man immer so fortsetzen: Ist die Zahlxn erreicht, wendet man die Funktion f (x) = m · x auf xn an und erhält xn+1 = f (xn) = m · xn.Bildlich kann man den Prozess wie in Abb. 9.1 darstellen.

Abbildung 9.1: Iteration – Rückkopplung – Rekursion – Verkettung

Diesen fortgeführten Prozess – mit dem zuletzt erhaltenen Ergebnis wird wieder weiterge-rechnet – nennt man Iteration (von lateinisch iterare: wiederholen), die zugehörige Gleichungxn+1 = f (xn) nennt man Rekursionsformel (Rekursion bedeutet Selbstbezüglichkeit, von lat. re-currere: zurücklaufen). Ein Beispiel für ein typisches physikalisches rekursives System erhältman, wenn man ein Mikrofon, das an einen Verstärker mit Lautsprecher angeschlossen ist, vor

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114 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

diesen Lautsprecher hält (eine Situation die man in jedem Konzert vermeiden sollte, da ein lau-ter, schriller Ton entsteht, der im Extremfall zur Zerstörung der Anlage führen kann). Oder manfilmt mit einer Videokamera das von ihr erzeugte Bild vom Monitor ab. Diese Beispiele machendeutlich, warum man in diesem Zusammenhang auch von rückgekoppelten Systemen redet.Stellt man für einen Folgenwert den Bezug zum Startwert dar, so ergibt sich:

xn = f ( f ( f (. . .( f︸ ︷︷ ︸n−mal

(x0)) . . .))) = ( f ◦ f ◦ f . . .◦ f )︸ ︷︷ ︸n−mal

(x0)

Ich verkette also die Funktion f n-mal hintereinander mit sich selbst, wende sie auf x0 an underhalte so xn. Die Begriffe Iteration, Rekursion und Verkettung stellen hier also drei verschiede-ne Blickrichtungen auf einen Vorgang, einen rückgekoppelten Prozess, dar.

Zum ersten Experiment:In den letzten Monaten ist der Goldpreis durchschnittlich in jedem Monat um 1% gestiegen.Wenn das so weiter geht, entwickelt sich ein Anfangskapital x0 aus Gold wie folgt:

x0 → 1,01 · x0 = x1 → 1,01 · x1 = x2 → 1,01 · x2 = x3 → ···oder allgemein:

xn+1 = m · xn; n ∈ N

Im ersten Experiment wird diese Iteration – auch unabhängig vom Kontext – untersucht. DieDaten werden in Form einer Zeitreihe dargestellt.

Experiment 1: lineare Iteration (Abb. 9.2)

Datei: Experiment1.ggb (Ansicht: Grafik, Tabelle Spalte A-B)

Abbildung 9.2: Lineare Iteration

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9.2 Lineare Iteration – Rekursion – Verkettung – Rückkopplung 115

Untersucht wird hier, wie

• das Verhalten der Iteration vom Parameter m abhängt,

• das langfristige Verhalten aussieht,

• sich das Verhalten im Kontext interpretieren lässt.

Durch dieses Experiment lernen die Schülerinnen und Schüler systematisches Arbeiten mitFallunterscheidungen, den Betrag sinnvoll einzusetzen, werden auf den Grenzwertbegriff vor-bereitet und üben das Interpretieren von Diagrammen im Sachkontext.

Das erste Experiment zeigt, dass eine lineare Iteration zu exponentiellem Wachs-tum/Zerfall führt, also ein Verhalten, das durch Konvergenz gegen 0, Divergenz odergleich bleibende Werte gekennzeichnet ist, je nach dem, ob 0< |m|< 1, |m|> 1 oderm = 0 ist. Der Startwert spielt für das langfristige Verhalten keine Rolle. Zunächstüberraschend ist vielleicht, dass m < 0 zu alternierenden Folgenwerten führt.

Für die Iteration entscheidend war der lineare Term xn+1 = f (xn) = m · xn. Wie ändert sichdas Verhalten, wenn eine Konstante c hinzutritt?

Ein Immobilienbesitzer plant wie folgt: Von dem vorhandenen Kapital x0 (z. B.: Startwertx0 = 2) wird er im Laufe eines Jahres 75% investieren müssen (Unterhaltungsaufwand, Reno-vierung, Modernisierung, Neuinvestition, . . . ). Am Jahresende hat er also ein Viertel des Vor-jahreskapitals (0,25 · x0) und die neuen Einnahmen (z. B.: c = 3): x1 = 0,25 · x0+3.Wie entwickelt sich sein Kapital, wenn diese Bedingungen über Jahre stabil bleiben?

Experiment 2 (Abb. 9.3)

Datei: Experiment2.ggb (Ansicht: Grafik)

Abbildung 9.3: Affine Iteration

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116 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

In diesem Experiment wird untersucht, wie

• das Verhalten der Iteration von den Parametern m und c abhängt,

• das langfristige Verhalten aussieht,

• sich das Verhalten im Kontext interpretieren lässt.

Die im ersten Experiment erarbeiteten Begriffe und Darstellungsformen werden hier geübtund vertieft. Die Erklärung des Grenzwertes erfordert jedoch einen argumentativ deutlich hö-heren Aufwand und vertiefte Einsichten. Für einige Schülerinnen und Schüler wird es zunächstvöllig unklar sein, warum die Folge im Falle der Konvergenz auf den y-Wert des Schnittpunktesder Geraden mit der Winkelhalbierenden zuläuft.Um dieser Frage nachzugehen, hat sich eine andere Darstellung des Iterationsprozesses als be-

sonders hilfreich herausgestellt – die graphische Iteration. Sie berücksichtigt, dass die x-Achseund die y-Achse durch den Rückkopplungsprozess vollkommen gleichwertig sind: Der y-Wertf (xn) ist ja der nächste x-Wert xn+1. Graphisch kann man den Iterationsprozess daher wie inAbb. 9.4 darstellen.

Abbildung 9.4: Das Spinnwebdiagramm – graphisches Iterieren

Der Startwert x0 wird auf der x-Achse markiert und mit dem Punkt P1(x0, f (x0)) auf dem Gra-phen von f verbunden. Nun muss der Wert y0 = f (x0) = x1 auf die x-Achse übertragen werden.Dies geschieht durch eine Spiegelung an der Winkelhalbierenden y = x. Entscheidend dabei istder Punkt Q1(y0,y0) = Q1(x1,x1) auf der Winkelhalbierenden, der durch die zur x-Achse par-allelen Strecke P1Q1 erreicht wird. Von dort geht es weiter zum Punkt P2(x1, f (x1)) auf demFunkktionsgraphen. Durch fortgesetztes Einzeichnen dieser Strecken kann die Iteration – auchohne Rechnung – aus dem Funktionsgraphen und der Geraden y = x konstruiert werden. Gra-phische Iteration ist eine sehr informative Methode, um die Dynamik des Iterationsprozessesbildlich darzustellen. Das entstehende Diagramm des Iterationspfades wird als Spinnwebdia-gramm bezeichnet.Da diese Darstellungsform ungewohnt ist, sollte sie zunächst unabhängig vom PC erprobt

werden. In Übung 1 sind einige Funktionsgraphen und Startwerte für Iterationen vorgegeben.

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9.2 Lineare Iteration – Rekursion – Verkettung – Rückkopplung 117

Durch graphisches Iterieren mit Lineal und Bleistift kann die Folge zügig erzeugt, eine Werte-tabelle erstellt und die zugehörige Zeitreihe skizziert werden. Die gemeinsame Darstellung alsSpinnwebdiagramm, Tabelle und Zeitreihe erleichtert das Verständnis für die Zusammenhänge.Im Anschluss sollen die Ergebnisse wieder geordnet und mit Hilfe der Begriffe Einwärtstreppe– Auswärtstreppe – Einwärtsspirale – Auswärtsspirale charakterisiert werden.Das folgende Experiment ermöglicht es, die Vermutungen zu überprüfen. Durch das Anzei-

gen der Iterationsfolge werden in dem Diagramm zwei Darstellungen überlagert und damit dieBeziehungen dieser Darstellungsformen wie in Übung 1 beobachtbar. Zusätzlich kann das Ta-bellenfenster eingeblendet werden.

Experiment 3: (Abb. 9.5)

Datei: Experiment3.ggb (Ansicht: Grafik)

Abbildung 9.5: Einwärtsspirale

Analyse des Iterationsverhalten

Der Schnittpunkt der Winkelhalbierenden mit dem Funktionsgraph ist Fixpunkt derIteration: xn+1 = f (xn) = xn. Aus xn+1 = m · xn + c = xn ergibt sich der Schnittpunktzu S =

(c

1−m∣∣∣ c1−m

)Exemplarisch wird hier hier das Verhalten für die letzte der in Tabelle 9.1 beschriebe-nen Situationen berechnet. Die anderen Nachweise können ähnlich erfolgen.

Sei m > 1; xs = c1−m ; xn = xs + ε , ε > 0− xn liegt also rechts von xs.

xn+1 = m · xn + c = m · c1−m +m · ε + c = m·c

1−m +m · ε + c·(1−m)1−m = m·c+c−c·m

1−m +m · ε =c

1−m +m · ε > c1−m + ε = xn.

Der Abstand zum Fixpunkt wächst also in jedem Schritt mit dem Faktor m, somitlimn→∞ xn = +∞. Für ε < 0 ergibt sich entsprechend: xn+1 < xn und limn→∞ xn =−∞.

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118 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

Übersicht über die bisherigen Ergebnisse der Iteration

Tabelle 9.1: Übersicht über affine Iterationen

Steigung m Fixpunkte Beschreibung des Graphen Typischer Graph

m <−1 Repeller Auswärtsspirale

m =−1 Fixpunkt-Paar 2er-Periode

−1< m < 0 Attraktor Einwärtsspirale

m = 0 Super-Attraktor Eine Stufe

0< m < 1 Attraktor Einwärtstreppe

m = 1 c < 0 kein Fixpunktc = 0 für jeden Start-wert x0 ist F(x0|x0)ein Fixpunktghjghc > 0 kein Fixpunkt

gleichmäßige Abwärtstreppekonstante Folgefdf fd fdfgdg fsd grggg trew htewhhtwh htrhrw hthwrt htrehj ghjgleichmäßige Aufwärtstreppe

m > 1 Repeller Auswärtstreppe

Weitere Beobachtung: Je flacher der Graph der zugehörigen Funktion verläuft, desto schnellerkonvergiert die Iteration. Wenn der Graph die Winkelhalbierende schneidet, ist die Steigungallein entscheidend für das Iterationsverhalten.

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9.3 Quadratische Iteration 119

9.3 Quadratische Iteration

Für den Einstieg in dieses Kapitel soll zunächst wieder eine konkrete Situation vorgestellt wer-den, die dann modelliert wird. Im weiteren Verlauf werden wir immer mal wieder auf diesenKontext zurück kommen, aber auch rein innermathematischen Fragestellungen nachgehen.

In einer Käserei werden Pilze in Petrischalen gezüchtet, mit denen dann ein Rohkäse „ge-impft“ wird, um aus ihm die gewünschte Käsesorte zu entwickeln. Ziel ist es, optimale Wachs-tumsbedingungen für den Pilz in der Petrischale herzustellen.

Wir wollen uns das Wachstum der Pilze in der Petrischale genauer ansehen. Anfangs stehtdem Pilz in der Schale reichlich Platz zur Verfügung – der Rand, die Begrenzung seines Le-bensraums, hat keinen Einfluss, so dass man von einem exponentiellen Wachstum ausgehenkann. Wie weiter oben gesehen, entspricht dies einer linearen Iteration: Die Pilzgröße zum je-weils nächsten Zeitpunkt – und damit der von ihm benötigte Platz xn+1 – ist proportional zumvorher eingenommenen Platz:

xn+1 = m · xnExponentielles Wachstum ist jedoch unbegrenzt. Um realitätsnah zu sein, muss der endliche

Lebensraum einer Petrischale in das Modell einfließen. Gehen wir davon aus, dass die Größeder nächsten Pilzgeneration proportional zum noch zur Verfügung stehenden Platz ist (je weni-ger Platz zur Verfügung steht, desto weniger kann der Pilz noch wachsen) und normieren dengesamten zur Verfügung stehenden Platz auf 1 (= 100%), so ist der noch verbleibende Platz fürdie (n+1)-te Generation 1− xn. Damit ergibt sich: xn+1 ist proportional zu 1− xn oder

xn+1 = c · (1− xn).

Werden beide Proportionalitäten berücksichtigt, so erhalten wir:

xn+1 = a · xn · (1− xn).

xn kann dabei nur Werte aus dem Intervall [0;1] annehmen, d. h. der Pilz füllt einen bestimm-ten Bruchteil des zur Verfügung stehenden Platzes aus. Mehr als die Petrischale steht ihm ja nichtzur Verfügung. Der Faktor a berücksichtiget dabei alle Rahmenbedingungen, die das Wachstumdes Pilzes beeinflussen können (Nährboden, Temperatur, Licht, verfügbarer Platz, · · · ). Wir stel-len uns nun zur Aufgabe, mit Hilfe des Faktors a das Pilzwachstum zu steuern und zu optimieren.

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120 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

Experiment 4: (Abb. 9.6)

Datei: Experiment4.ggb (Ansicht: Grafik, Grafik 2)

Der Bildschirm besteht hier aus zwei Grafik-Fenstern, die am besten wie in Abb. 9.6 ange-zeigt anordnet werden. Das linke Fenster zeigt die graphische Iteration, das rechte Fenster dieZeitreihe der Bedeckung. Zu Beginn sollte a = 0,5 sein. Die Tabellenansicht kann gegebenen-falls eingeblendet werden.

(a) (b)

Abbildung 9.6: Graphische Iteration und Zeitreihe mit 0< a < 1

Wir können erkennen, dass die Rahmenbedingungen für unseren Pilz offensichtlich schlechtgewählt sind: Die von ihm eingenommene Fläche schrumpft gegen Null – unabhängig vomAusgangswert x0 stirbt der Pilz aus – der Ursprung ist ein Attraktor der Iteration.Unser Ziel ist es nun, den Parameter a so zu ändern, dass unser Pilz möglichst schnell und

zuverlässig die größtmögliche Fläche einnimmt.Dazu soll in dem Experiment der Parameter a zunächst im Bereich 0 ≤ a ≤ 3 verändert, das

Verhalten beschrieben und möglichst überzeugend begründet werden.In diesem Parameterbereich tritt ein zur linearen Iteration vergleichbares Verhalten auf, so

dass ein Transfer der entsprechenden Ergebnisse grundsätzlich möglich ist. Da in allen voran-gegangenen Argumentationen die Steigung eine zentrale Rolle spielte, ist es naheliegend, indiesem Rahmen für Argumentationen mit der Steigung die Ableitung der Funktion heranzuzie-hen. Eine der zentralen Ideen der Analysis, den Funktionsgraph lokal durch seine Tangente zuapproximieren, spielt hier eine entscheidende Rolle.

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9.3 Quadratische Iteration 121

Beobachtungen und Begründungen

Für das Verständnis der beobachteten Vorgänge wird es nützlich sein, charakteristischeGrößen zu erfassen.

• Iteration: xn+1 = a · xn · (1− xn)

• Funktion: f (x) = a · x · (1− x)

• Ableitung der Funktion: f ′(x) = a−2ax• Schnittstellen mit der Winkelhalbierenden:f (x) = x⇔ ax−ax2 = x⇔ ax2−ax+ x = 0also⇔ ax2+(1−a)x = 0⇔ x = 0∨ x = a−1

a = 1− 1a

O(0;0); S( a−1

a ;a−1a

)• Damit die zweite Schnittstelle im Intervall [0;1] liegt, muss gelten:

1. 0≤ 1− 1a ⇔ 1

a ≤ 1⇔ 1≤ a

2. a−1a ≤ 1 ist für a > 0 immer erfüllt.

• Steigung im Ursprung: f ′(0) = a

• Steigung im zweiten Schnittpunkt: f ′( a−1

a

)= a−2a · a−1a = a−2a+2= 2−a.

Für die Argumentationen werden wir uns gelegentlich auf die Einsichten bei linea-ren Funktionen stützen, da der Graph von f lokal durch seine Tangenten angenähertwerden kann.

Bereich 0< a < 1:In diesem Parameterbereich schneidet derGraph von f die Gerade y = x im Inter-vall [0;1] nur im Punkt O(0;0). Daher gibtes keinen weiteren Fixpunkt der Iteration.Der Ursprung ist ein Attraktor und die Ite-rationsfolge eine Einwärtstreppe, da für dieSteigung im Schnittpunkt gilt: f ′(0) < 1(vgl. Argumentation bei Geraden). Wie beiden linearen Funktionen ist zu beobachten:Je kleiner a ist, desto schneller konvergiertdie Folge gegen Null (vgl. Spalte A der Ta-bellenansicht).

Abbildung 9.7: Graphische Iteration mit 0< a < 1

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122 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

Bereich 1< a < 2:Für a > 1 gibt es einen weiteren Fixpunkt: S

( a−1a ;

a−1a

). Die

Steigung in diesem Punkt ist stets positiv: f ′( a−1

a

)= 2−a > 0.

Aus der Behandlung der linearen Funktionen wissen wir, dass Sdamit ein Attraktor ist und die Iterationsfolge eine Einwärtstrep-pe.

Abbildung 9.8: GraphischeIteration mit 1< a < 2

Bereich 2< a < 3:In diesem Parameterbereich ist die Steigung im Schnittpunkt ne-gativ, sie liegt zwischen 0 und −1: 0 < f ′

( a−1a

)= 2− a < −1.

Der Schnittpunkt ist also weiterhin ein Attraktor, die Iterations-folge allerdings eine Einwärtsspirale – in der Zeitreihe sehenwir die Werte abwechselnd von oben und von unten gegen denGrenzwert streben.

Abbildung 9.9: GraphischeIteration mit 2< a < 3

In allen bisher beobachteten Fällen ist zu erkennen, dass das langfristige Verhalten der Itera-tion weitgehend unabhängig vom Ausgangswert x0 ist.Das folgende Experiment liefert komplexere Ergebnisse als alle vorherigen. Die Vielfalt an

Strukturen – die scheinbare Strukturlosigkeit – lässt Raum für echte Entdeckungen. Diese las-sen sich leichter, spontaner mitteilen, wenn die Schülerinnen und Schüler zu zweit am PC sitzen.

Bereich 3< a < 4:In diesem Bereich gilt: f ′

( a−1a

)= 2− a < −1. Bei Geraden

hatten wir hier den Schnittpunkt als Repeller erkannt, die Ite-ration verlief als Auswärtsspirale und für die Folgenglieder galt:limn→∞ |xn|= +∞.Auch hier wird eine Auswärtsspirale sichtbar, die allerdingsnicht beliebig anwächst, sondern zunächst in eine 2er-Periodeübergeht. Für weiter wachsendes a werden dann neue Phänome-ne dominant. Dies ist nachvollziehbar, da die xn-Werte ja in demIntervall [0;1] „gefangen“ sind, die Spirale sich nicht wie beiGeraden unendlich ausdehnen kann – mehr Platz als die ganzePetrischale kann der Pilz ja nicht einnehmen. Abbildung 9.10: Graphische

Iteration mit 3< a < 4

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9.3 Quadratische Iteration 123

Während man a langsam erhöht, erreicht man markante Stellen:Bis ca. a = 3,449 ergibt die Zeitreihe wie oben beschriebeneinen periodischen Wechsel zwischen zwei Werten. Danachspaltet sich diese Periode auf in eine „Doppelperiode“: groß –klein – mittelgroß – mittelklein – . . . Dieses Phänomen nenntman naheliegend Periodenverdopplung. Bei a = 3,54 hat wie-der eine Periodenverdopplung stattgefunden, so dass jetzt eine8er-Periode zu erkennen ist. Danach wird es schwierig Musterzu erkennen. Bei a = 3,63 tritt plötzlich eine 6er-Periode auf– etwas völlig Neues! Bei a = 3,74 eine 5er-Periode und beia = 3,832 ist wieder – umgeben von chaotischen Verhalten –eine 3er-Periode erkennbar. Abbildung 9.11: Periodisches

Verhalten

Im restlichen Bereich bis a= 4 dominiert chaotisches Verhalten.Dabei wächst das Intervall, in dem xn-Werte auftreten, ständig.Bei a = 4 verteilen sich die Folgenglieder über das ganze Inter-vall [0;1] und springen völlig unvorhersehbar hin und her. DieseUnvorhersehbarkeit wird deutlich, wenn man den Anfangswertleicht verändert: Man sieht, dass kleine Änderungen des An-fangswertes im Gegensatz zum nicht-chaotischen Bereich lang-fristig zu völlig unterschiedlichen Werten führen. Dieses Phä-nomen ist unter dem Namen „Schmetterlingseffekt“ in die Li-teratur eingegangen: Die Bezeichnung stammt von einer bild-haften Veranschaulichung dieses Effekts von Edward N. Lorenzam Beispiel des Wetters. „Kann der Flügelschlag eines Schmet-terlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?“, so derTitel seines Vortrags im Jahr 1972 während der Jahrestagung derAmerican Association for the Advancement of Science. [Lor72].

Abbildung 9.12: ChaotischesVerhalten

Um diese „sensible Abhängigkeit“ der Werte voneinander erfahrbar zu machen, dient Übung2. Alle Schülerinnen und Schüler erhalten identische Arbeitsblätter, die mit Bleistift und Linealso exakt wie möglich bearbeitet werden sollen. Dennoch werden sich nach wenigen Iterations-schritten deutliche Unterschieden bemerkbar machen. Noch ein paar Schritte weiter ist gar keinZusammenhang mehr sichtbar.

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124 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

Experiment 5 (Abb.9.13)

Datei: Experiment5a.ggb (Ansicht: Grafik2)

(a) Zeitreihe zur Sensitivität – langfristig entwickelnsich benachbarte Startwerte völlig unterschiedlich.

(b) Spinnwebendiagramm zur Sensitivität

Abbildung 9.13: Zu Experiment 5

In diesem Experiment wird dieser Effekt weiter untersucht. Insbesondere wird hier gezeigt,dass der Effekt für chaotisches Verhalten typisch ist. Als Darstellung wird die Zeitreihe gewählt,in der das Iterationsverhalten benachbarter Startwerte x0 und x0 + ε, |ε| < 0,1 verfolgt undzusätzlich die Differenzfolge eingeblendet werden kann.Es zeigt sich, dass für Werte a < 3,5 die Differenzfolge (in der Regel) eine Nullfolge ist. Für

Werte a > 3,6 tauchen (in der Regel) in der Differenzfolge immer wieder „große“ Werte auf.Ausnahmen bilden die a-Werte mit periodischem Verhalten der Folge.Zur weiteren Veranschaulichung der Divergenz benachbarter Startwerte dient eine Version

des Spinnwebdiagramms (Datei: Experiment5b.ggb). Hier wird das Intervall zwischen zwei be-nachbarten Werten iteriert, so dass die Ausweitung dieses Intervalls beobachtet werden kann.

9.4 Hat das Chaos Struktur?

Wir konnten beobachten, dass das langfristige Verhalten unserer Iteration nur in einem Teilbe-reich leicht vorhersehbar ist. Im Bereich 0< a < 1 konvergiert die Folge offensichtlich gegen 0– Folgenglieder mit n > 100 lassen sich am Bildschirm nicht mehr von 0 unterscheiden. Für diefolgenden Parameterwerte steigen die Grenzwerte mit wachsendem a, und ab a= 3 gibt es einenperiodischen Wechsel zwischen 2, später 4 und 8 Werten. Dann beginnt der chaotische Bereich.Wir wollen versuchen, uns mit GeoGebra ein genaueres Bild davon machen als in Experiment4b. Dort wurde ein Diagramm skizziert, aus dem für jedes a zwischen 0 und 3,5 die Grenzwerteder Iteration ablesbar sind.

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9.4 Hat das Chaos Struktur? 125

Experiment 6: (Abb. 9.14)

Datei: Experiment6.ggb (Ansicht: Grafik, Grafik2, Tabelle)

Um das langfristige Verhalten der Iteration zu studieren genügt es, für jedes a zwischen 0 und4 zunächst 500 Folgenglieder auszurechnen, die nicht im Diagramm erscheinen (hier soll sichdie Iteration erstmal auf ihr langfristiges Verhalten „einpendeln“). Die nächsten 100 Folgenwer-te werden in dem a-xn-Diagramm festgehalten. Das entstehende Diagramm geht auf MitchellFeigenbaum zurück und wird entsprechend Feigenbaum-Diagramm (siehe Abb. 9.14) genannt.

Abbildung 9.14: Feigenbaum-Diagramm der Iteration xn+1 = a · xn · (1− xn)

Die Datei Experiment6.ggb erzeugt eine animierte Grafik, in der a automatisch die Werte 0bis 4 (und zurück) durchläuft. Dabei wird ständig der Startwert x0 gewechselt, um die Unab-hängigkeit des Grenzverhaltens von den Anfangswerten zu demonstrieren. Im Grafikfenster 2entsteht eine vergrößerte Kopie des Diagramms für den besonders interessanten Bereich zwi-schen a= 3 und a= 4. Deutlich werden in diesem Diagramm die Periodenverdopplungen durchBifurkationen des Graphen sichtbar. Im intermittierend chaotischen Bereich treten die „Inselnder Ordnung“ hervor. Auch die mit wachsendem a > 3 beobachtete Zunahme des Bereichs, indem sich die Iterationsfolge bewegt, wird deutlich. Erstaunlich auch die Selbstähnlichkeit inner-halb des Diagramms – das Muster der Periodenverdopplung z. B. ist an vielen Stellen sichtbar.

In weiteren Experimenten können die Schülerinnen und Schüler untersuchen, ob in den Ab-ständen der Periodenverdopplung ein Muster erkennbar ist. Dazu ist in dem zweiten Grafikfens-ter eine verschiebbare Gerade eingebaut, um Werte leichter ablesen zu können. Feigenbaum hatbei diesen Untersuchungen eine universelle Konstante (ähnlich π) entdeckt, die Feigenbaum-konstante.

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126 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

9.5 Kann man Chaos messen?

Chaotische Iterationen zeigen eine starke sensitive Abhängigkeit von den Anfangswerten (Schmet-terlingseffekt – vgl. Experiment 5). Das heißt, dass jeder Fehler bei der Bestimmung der An-fangswerte – mag er noch so klein sein – langfristig zu völlig anderen Ergebnissen führt alsder korrekte Startwert. Da man aber in Realsituationen Werte nie 100% genau bestimmen kann(z. B.: Wie groß war in unserem Eingangsbeispiel die vom Pilz bedeckte Fläche zu Beginn derBeobachtung?) sind in chaotischen Systemen keine zuverlässigen Aussagen über viele Iterati-onsschritte möglich. Es ist also wichtig zu wissen, ob ein System in einem chaotischen Bereicharbeitet oder nicht. Ziel dieses Teils ist, ein zuverlässiges Maß, eine Zahl zu finden, die an-gibt, ob sich das System/die Iteration im chaotischen Bereich befindet oder nicht. Das, was dasFeigenbaum-Diagramm bildlich darstellt, soll durch eine charakterisierende Zahl beschriebenwerden. Erstrebenswert ist natürlich, dass die Zahl nicht nur Chaos von Ordnung unterscheidet,sondern auch einen Grad von Chaos und Ordnung liefert.Da die Verhältnisse bei der quadratischen Iteration schon recht unübersichtlich sind, kehren

wir zunächst zurück zur linearen Iteration und versuchen, dort eine Idee zu entwickeln. Wirbetrachten also: xn+1 = m · xn – unsere Goldpreis-Iteration. Ziel ist es, zu erfassen, wie sichder Abstand eines „richtigen“ Wertes von einem benachbarten „falschen“ Wert x̃0 im Laufe derIteration entwickelt. Ist der Fehler zu Beginn ε (eine gegenüber den Werten xi kleine Zahl), alsox̃0− x0 = ε , so gelten die Aussagen in Tabelle 9.2.

Tabelle 9.2: Entwicklung benachbarter Startwerte bei der linearen Iteration

Iteration mit Start-wert x0

Iteration mit „fehlerhaftem“ Startwert x̃0 = x0+ ε Fehler ε0 = ε

x1 = m · x0 x̃1 = m · x̃0 = m · (x0+ ε) = x1+m · ε ε1 = m · εx2 = m · x1 = m2 · x0 x̃2 = m · x̃1 = m · (x1+m · ε) = m · x1+m2 · ε ε2 = m2 · ε

= x2+m2 · εx3 = m · x2 = m3 · x0 x̃3 = m · x̃2 = m · (x2+m2 · ε) = m · x2+m3 · ε ε3 = m3 · ε

= x3+m3 · ε. . . . . . . . .

xn = mn · x0 x̃n = xn +mn · ε εn = mn · ε

Das Verhältnis von Anfangsfehler und Fehler nach n Iterationen ist:∣∣∣∣εnε0

∣∣∣∣=∣∣∣∣ εnεn−1

· εn−1εn−2

· · · · · ε1ε0

∣∣∣∣=∣∣∣∣ εnεn−1

∣∣∣∣ ·∣∣∣∣εn−1εn−2

∣∣∣∣ · · · · ·∣∣∣∣ε1ε0∣∣∣∣= |m| · |m| · · · · · |m|= |m|n

Da es auf die Vorzeichen der Faktoren m nicht ankommt, schreibt man den Term |m| übli-cherweise in der Form |m| = eλ . m war im Rahmen der linearen Iteration charakteristisch fürdas langfristige Verhalten der Iteration. Diese Rolle soll jetzt – im allgemeinen Fall – λ über-nehmen. Beispielsweise kann man die bisherigen Beobachtungen so übersetzen:

λ > 0 heißt |m|> 1: Die lineare Iteration zeigte hier eine unbeschränkt wachsende Auswärts-spirale oder Auswärtstreppe . Bei quadratischen Iterationen ist hier ein chaotisches Verhalten zuerwarten, da die Iterationswerte ja im Intervall [0;1] gefangen sind. Sie müssen in jeden Schrittwieder auf dieses Intervall „zurückgefaltet“ werden.

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9.5 Kann man Chaos messen? 127

λ < 0 heißt 0 < |m| < 1: Hier war bei der linearen Iteration ein konvergentes Verhalten zubeobachten, also ist auch im allgemeinen Fall kein Chaos zu erwarten.

λ = 0 kennzeichnet demnach die Grenze zwischen Chaos und Ordnung.

Für das Verhältnis von Anfangsfehler und Fehler nach nIterationen schreiben wir also:∣∣∣∣εnε0

∣∣∣∣=∣∣∣∣ εnεn−1

∣∣∣∣ ·∣∣∣∣εn−1εn−2

∣∣∣∣ · · · · ·∣∣∣∣ε1ε0∣∣∣∣= eλn

Anschaulich entspricht der Term∣∣∣ εi+1

εi

∣∣∣ dem „Streckungs-faktor“ des Fehlers. Bei linearen Iterationen ist dies dieSteigung der Funktion an der Stelle xi (vgl. Abb. 9.15).

Abbildung 9.15: Iteration vonFehlerintervallen

Während sich bei linearer Iteration die Steigung nicht ändert, ist sie im allgemeinen Fallan jeder Stelle anders. Wir können aber die Idee von oben übertragen, indem wir für jedenIterationsschritt die entsprechende Steigung der Funktion an dieser Stelle einsetzen2:∣∣∣∣εi+1εi

∣∣∣∣⇔ ∣∣ f ′(xi)∣∣2 .Damit erhalten wir:

∣∣∣∣εnε0

∣∣∣∣=∣∣∣∣ εnεn−1

∣∣∣∣ ·∣∣∣∣εn−1εn−2

∣∣∣∣ · · · · ·∣∣∣∣ε1ε0∣∣∣∣= ∣∣ f ′(xn−1)∣∣ · ∣∣ f ′(xn−2)∣∣ · · · · · ∣∣ f ′(x0)∣∣= eλn

Logarithmieren ergibt:

ln∣∣∣∣εnε0

∣∣∣∣= ln∣∣ f ′(xn−1)∣∣ · ∣∣ f ′(xn−2)∣∣ · · · · · ∣∣ f ′(x0)∣∣= n−1

∑i=0ln∣∣ f ′(xi)∣∣= λn

Auflösen nach λ ergibt:1n

n−1∑i=0ln∣∣ f ′(xi)∣∣= λ .

Bemerkung: Der oben angegebene Term erfasst das Verhalten einer Iteration am besten, wenn

2Genauer gilt: limε→0∣∣∣ εi+1

εi

∣∣∣= | f ′(xi)|

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128 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

möglichst viele Iterationswerte – am besten alle – zur Berechnung von λ herangezogen werden.Dann ergibt sich für λ :

λ = limn→∞

1n

n−1∑i=0ln∣∣ f ′(xi)∣∣ (Lyapunov-Exponent).

Diese Zahl wird nach Alexander Michaelowitsch Lyapunov (1857 – 1918) benannt. Der Ein-fachheit halber werde ich auch den Näherungswert mit endlich vielen n Lyapunov-Exponentnennen.Um ein Gefühl für den Exponenten zu erhalten, sollten Schülerinnen und Schüler die folgen-

de Übung machen. Da hier nur 10 Iterationsschritte ausgewertet werden, ist die Aussagekraftdes berechneten Exponenten natürlich eingeschränkt. Für eine erste Orientierung reicht es aber.

Übung 3 (Abb. 9.16)

Datei: Übung3.ggb (Ansicht: Tabelle)

Abbildung 9.16: GeoGebra-Tabelle zur Bestimmung des Lyapunov-Expo-nenten

1n

n−1∑i=0ln∣∣ f ′(xi)∣∣= λ

Hier ist n = 10, i durchläuft die Werte 0 bis 9. In B3 steht ein beliebiger Startwert x0 aus demIntervall [0;1], hier x0 = 0,1. Die weiteren Werte B4 bis B12 sind die Werte der Iteration xn+1 =a ·xn · (1−xn). In Spalte C stehen die entsprechenden Werte der Ableitung f ′(x) = a−2ax. DieSpalte D wird aus der Spalte C wie in D1 angegeben berechnet. Unten steht die Summe. Teiltman D14 durch 10, so ergibt sich der Lyapunov-Exponent für n = 10.Durch das Austesten verschiedener Parameterwerte a können die Schülerinnen und Schüler

hier vertrauen in diese Berechnung gewinnen. Für a zwischen 0 und 3 ergeben sich erwar-tungsgemäß negative Exponenten – also Ordnung, für Werte nahe bei 4 entsprechend positiveExponenten – ein Indiz für Chaos.Natürlich wollen wir uns jetzt einen Überblick darüber verschaffen, wie der Lyapunov-Exponent

bei genauerer Berechnung für beliebige a aussieht. Die entsprechende Datei Experiment7.ggb

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9.5 Kann man Chaos messen? 129

Abbildung 9.17: Lyapunov-Exponent

ist im Wesentlichen so aufgebaut, wie die Tabelle in Abb. 9.16. Sie berücksichtigt allerdingsdeutlich mehr Iterationsschritte und zeigt automatisch den Wert des Lyapunov-Exponenten ineinem a-λ -Diagramm an. Als Ergebnis erhalten wir das Bild 9.17.In einem abschließenden Experiment 7 soll dieses Diagramm nun interpretiert und auf seine

Aussagekraft hin getestet werden. Ein Vergleich mit dem Feigenbaum-Diagramm – insbeson-dere im interessanten Bereich zwischen a = 3 und a = 4 – zeigt, dass der Lyapunov-Exponentsehr genau die Bereiche der Ordnung von denen mit chaotischem Verhalten trennt.

Abbildung 9.18: Lyapunov-Exponent und Feigenbaum-Diagramm

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130 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

9.6 . . . und was gibt es noch?

Mit der Datei Chaos-Iteration-Ausblick 1.ggb können weitere Funktionen untersucht werden.Die Auswahl der in der GeoGebra-Tabelle abgelegten Funktionen erfolgt bequemmit Hilfe einesSchiebereglers. Insbesondere kann nun den eingangs – im Rahmen der Taschenrechnerspielerei– gestellten Fragen nachgegangen werden: Die Funktionen cos(x) und

√x sind aus der Tabelle

wählbar.Mit der Datei Chaos-Iteration-Ausblick2.ggb kann der Frage nachgegangen werden, wie sich

die Iterationswerte im Intervall [0; 1] verteilen. Das Feigenbaum-Diagramm zeigt zwar die Ortean, wo die Werte liegen, verrät aber nichts über die Häufigkeit, mit der einzelne Werte auftreten.Ein Histogramm kann hier Aufschluss geben.

Literatur

[Pei92] PEITGEN, H.-O. (1992). Chaos: Iteration, Sensitivität, Mandelbrotmenge. Ein Arbeits-buch. Springer-Verlag.

[PJSa92] PEITGEN, H.-O.; JÜRGENS, H.; SAUPE, D. (1992). Bausteine des Chaos – Fraktale.Klett-Cotta/Spinger-Verlag.

[PJSb92] PEITGEN, H.-O.; JÜRGENS, H.; SAUPE, D. (1992). Chaos – Bausteine der Ordnung.Klett-Cotta/Spinger-Verlag.

[Lor72] Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Schmetterlingseffekt Abgerufen am30. 05. 2011.

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9.7 Anhang: Experimente und Übungen 131

9.7 Anhang: Experimente und Übungen

9.7.1 Experiment 1

Datei: Experiment1.ggb (Ansicht: Grafik, Tabelle Spalte A-B)In den letzten Monaten ist der Goldpreis durchschnittlich in jedem Monat um 1% gestiegen.

Wenn das so weiter geht, entwickelt sich ein Anfangskapital x0 aus Gold wie folgt:

x0 → 1,01 · x0 → 1,01 · x1 = x2 → 1,01 · x2 = x3 → ···

oder allgemein:xn+1 = m · xn; n ∈ R

Abbildung 9.19: Lineare Iteration

Öffnen Sie diese Datei so, dass das Grafikfenster und das Tabellenfenster sichtbar sind. ImGrafikfenster wird die „Zeitreihe“ der Iteration dargestellt.Sie können den Startwert durch Anklicken und Verschieben direkt ändern und den Faktor m

mit dem Schieberegler im Grafikfenster.

• Stellen Sie x0 = 5 und m wie im Text angegeben ein und interpretieren Sie den Verlaufder Zeitreihe.

Untersuchen Sie das Verhalten der Iterationswerte systematisch:

• Welches Verhalten kann unterschieden werden?• Listen Sie das unterschiedliche Verhalten durch Fallunterscheidung vollständig auf. Ferti-gen Sie dazu eine Tabelle an, in der für einen Zahlenbereich von m das typische Verhaltenin Worten beschrieben und der typische Verlauf der Zeitreihe als Graph skizziert werden.

• Wie hängt das (langfristige) Verhalten mit dem Startwert und dem Parameter m zusam-men? Begründen Sie das Verhalten.

• Für welche Parameterwertem lässt sich das Experiment im obigen Kontext interpretieren?

Page 136: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

132 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

9.7.2 Experiment 2

Datei: Experiment2.ggb (Ansicht: Grafik)Ein Immobilienbesitzer plant wie folgt: Von dem vorhandenen Kapital x0 (z. B.: Startwert

x0 = 2) wird er im Laufe eines Jahres 75% investieren müssen (Unterhaltungsaufwand, Reno-vierung, Modernisierung, Neuinvestition, . . . ). Am Jahresende hat er also ein Viertel des Vorjah-reskapitals (0,25 ·x0) und die neuen Einnahmen (z. B.: c = 3) zur Verfügung: x1 = 0,25 ·x0+3.

Abbildung 9.20: Affine Iteration

Wie entwickelt sich sein Kapital, wenn diese Bedingungen über Jahre stabil bleiben?Stellen Sie zunächst die Anfangsbedingungen wie oben angegeben ein.

• Beschreiben Sie die Beobachtungen im Kontext.• Verändern Sie nun die Anfangsbedingungen, die Investitionen, die Einnahmen.• Was ändert sich? Studieren Sie das Verhalten der Iteration – unabhängig von der Interpre-tation. Für welche Einstellungen ist die Simulation im Kontext nicht sinnvoll interpretier-bar?

• Fertigen Sie eine Tabelle entsprechend Experiment 1 an.• Erklären Sie, warum sich die Iteration wie beobachtet verhält.

Um das Verhalten der Iteration besser verstehen zu können, kann die zugehörige Funktionf (x) = m · x+ c, die Winkelhalbierende y = x und die Asymptote eingeblendet werden.

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9.7 Anhang: Experimente und Übungen 133

9.7.3 Übung 1a: Iteration xn+1 = m · xn + c

Zeichnen Sie oben den Iterationspfad zu dem gegebenen Anfangswert ein. In die vorbereiteteTabelle können Sie nun die Iterationswerte übertragen. Im Diagramm unten erzeugen Sie ausden Tabellenwerten die Zeitreihe.

Tabellenwertex0 x1 x x x x x x x x

Zeitreihe

Page 138: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

134 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

9.7.4 Übung 1b: Iteration xn+1 = m · xn + c

Zeichnen Sie oben den Iterationspfad zu dem gegebenen Anfangswert ein. In die vorbereiteteTabelle können Sie nun die Iterationswerte übertragen. Im Diagramm unten erzeugen Sie ausden Tabellenwerten die Zeitreihe.

Tabellenwertex0 x1 x x x x x x x x

Zeitreihe

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9.7 Anhang: Experimente und Übungen 135

9.7.5 Übung 1c: Iteration xn+1 = m · xn + c

Zeichnen Sie oben den Iterationspfad zu dem gegebenen Anfangswert ein. In die vorbereiteteTabelle können Sie nun die Iterationswerte übertragen. Im Diagramm unten erzeugen Sie ausden Tabellenwerten die Zeitreihe.

Tabellenwertex0 x1 x x x x x x x x

Zeitreihe

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136 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

9.7.6 Übung 1d: Iteration xn+1 = m · xn + c

Zeichnen Sie oben den Iterationspfad zu dem gegebenen Anfangswert ein. In die vorbereiteteTabelle können Sie nun die Iterationswerte übertragen. Im Diagramm unten erzeugen Sie ausden Tabellenwerten die Zeitreihe.

Tabellenwertex0 x1 x x x x x x x x

Zeitreihe

Page 141: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

9.7 Anhang: Experimente und Übungen 137

Zusammenfassung der Ergebnisse aus Übung 1a – 1d

In Übung 1____ und Übung 1____ ergeben sich Iterationstreppen .blaIn Übung 1____ und Übung 1____ ergeben sich Iterationsspiralen.blaIn Übung 1____ und Übung 1____ ist der Schnittpunkt der Geraden ein anziehender

Fixpunkt (Attraktor).blaIn Übung 1____ und Übung 1____ ist der Schnittpunkt der Geraden ein abstoßender

Fixpunkt (Repeller).

Ordnen Sie die Begriffe den vier Iterationspfaden zu:Einwärtstreppe – Auswärtstreppe – Einwärtsspirale – Auswärtsspirale

Äußern Sie Vermutungen: Für welche Funktionsterme ergeben sich welche Iterationspfade?

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138 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

9.7.7 Experiment 3

Datei: Experiment3.ggb (Ansicht: Grafik)Das folgende Experiment ermöglicht es, die Vermutungen aus Übung 1 zu überprüfen. Die

Funktion kann durch Verschieben des Schnittpunktes P mit der y-Achse und eines weiterenfreien Punktes verändert werden. Untersuchen Sie auch die Spezialfälle m = 0, m = 1 undm = −1. Durch das Einblenden der Iterationsfolge werden in dem Diagramm zwei Darstellun-gen überlagert und damit die Beziehungen dieser Darstellungsformen beobachtbar: Die Punkte(xn|xn+1) der graphischen Iteration (Spinnweb-Diagramm) und die Punkte (n|xn) der Iterations-folge (Zeitreihe).

Abbildung 9.21: Einwärtsspirale

Begründen Sie das Verhalten der Iteration mit entsprechender Fallunterscheidung.

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9.7 Anhang: Experimente und Übungen 139

9.7.8 Experiment 4

Datei: Experiment4.ggb (Ansicht: Grafik, Grafik2)

(a) (b)

Abbildung 9.22: Graphische Iteration und Zeitreihe mit 0< a < 1

Der Bildschirm besteht hier aus zwei Grafik-Fenstern, die am besten wie angezeigt anordnetwerden. Das linke Fenster zeigt die graphische Iteration, das rechte Fenster die Zeitreihe derBedeckung. Zu Beginn sollte a = 0,5 sein.Wir können erkennen, dass die Rahmenbedingungen für unseren Pilz offensichtlich schlecht

gewählt sind: Die von ihm eingenommene Fläche schrumpft gegen Null – unabhängig vomAusgangswert x0 stirbt der Pilz aus – der Ursprung O(0|0) ist ein Attraktor der Iteration.Unser Ziel ist es nun, den Parameter a so zu ändern, dass unser Pilz möglichst schnell und

zuverlässig die größtmögliche Fläche einnimmt.Untersuchen Sie folgende Fragen, die Sie jeweils im Kontext interpretieren:

Erster Teil: Variieren Sie a nur zwischen den Werten 0 und 3!

• Wie hängt die Iterationsfolge jeweils vom Anfangswert ab?• Für welche a ist O(0|0) ein Attraktor/Repeller? Argumentieren Sie mit der Steigung vonf im Ursprung.

• Für welche a ergibt sich neben O(0|0) ein weiterer Schnittpunkt S mit der Winkelhalbie-renden?

• Welchen Einfluss hat die Steigung von f im Schnittpunkt S? Bestimmen Sie einen Termfür die Steigung von f in S.

• Charakterisieren Sie die Situationen für verschiedene Werte von a mit den Begriffen Ein-wärtstreppe – Auswärtstreppe – Einwärtsspirale – Auswärtsspirale

• Wie kann man sich das beobachtete Verhalten erklären? Wie ist der Zusammenhang mitlinearen Funktionen?

• Warum macht es Sinn, den Parameterbereich für a auf das Intervall [0;4] zu beschränken?

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140 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

Experiment 4 – Fortsetzung

Zweiter Teil: Variieren Sie nun a zwischen den Werten 3 und 4

Versuchen Sie, das langfristige Verhalten der Iteration möglichst genau zu beschreiben. Vari-ieren Sie den Parameter a dazu sehr kleinschrittig.

• Gibt es Bereiche mit einheitlichem Verhalten?• Neben nichtperiodischen Bereichen gibt es vereinzelt a-Werte mit periodischem Verhal-ten. Welche Perioden treten bei welchen a-Werten auf?

• Wie lässt sich periodisches Verhalten für das Wachstum des Pilzes interpretieren?• Welchen Wertebereich nehmen die Iterationswerte in nichtperiodischen Bereichen an?• Wie hängt das langfristige Verhalten mit dem Anfangswert zusammen?• Erstellen Sie zur Übersicht ein Diagramm, in dem zu jedem a-Wert die letzten 10 Werteaus der Tabellen-Ansicht der Iteration eingetragen sind.

Tipp: Sie können a sehr fein am Schieberegler steuern, indem Sie den Punkt auf dem Schie-beregler von a kurz anklicken und dann mit den Pfeiltasten links/rechts den Wert von a ändern.

(a) Langfristig periodisches Verhalten (b) Chaotisches Verhalten

Abbildung 9.23: Graphische Iteration mit a = 3,6 und a = 4

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9.7 Anhang: Experimente und Übungen 141

9.7.9 Übung 2

Zeichnen Sie oben den Iterationspfad zu dem Anfangswert x0 = 0,1 ein. In die vorbereiteteTabelle können Sie nun die Iterationswerte übertragen. Im Diagramm unten erzeugen Sie ausden Tabellenwerten die Zeitreihe. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit denen Ihrer Mitschüler.

Tabellenwertex0 x1 x x x x x x x x

Zeitreihe

Page 146: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

142 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

9.7.10 Experiment 5

Datei: Experiment5a.ggb (Ansicht: Grafik2)Übung 2 hat gezeigt, dass sich – im Gegensatz zu Übung 1 – kleinste Fehler so fortpflanzen,

dass es zu erheblichen Abweichungen vom richtigen Wert kommt. Führen Sie die Übung 2 nunmit dem PC durch (vgl. Abb. 9.24a).Stellen Sie den Regler für a auf 4 ein, fügen Sie das Häkchen bei Sensitivität ein und ver-

ändern Sie ε (die Differenz zum Startwert x0). Beobachten Sie das Verhalten der Iterationen(blau: Startwert x0, rot: Startwert x0+ ε , grün: Differenz der Folgenwerte). Sie erkennen, dassdie Glieder der Differenz-Folge nach wenigen Schritten von derselben Größenordnung sind wiedie Folgenglieder selbst!Variieren Sie jetzt a. Deutlich ist zu erkennen, dass die Iteration im Bereich a < 3 ein völlig

anderes Verhalten zeigt, als nahe bei 4. Wo beginnt das Chaos? Kann man eine Grenze angeben?Was ist an den „besonderen Stellen“ (periodisches Verhalten) aus Experiment 4b zu beobachten?Kann man den vom Rechner bestimmtenWerten trauen? Diskutieren Sie in Ihrer Tischgruppe.

(a) Sensitivität 1 (b) Sensitivität 2

Abbildung 9.24: Sensitivität

Eine alternative Darstellung der Iteration benachbarter Startwerte veranschaulicht die DateiExperiment5b.ggb. Hier können Sie die Folge eng benachbarter Werte im Spinnwebdiagrammverfolgen (vgl. Abb. 9.24b).

Page 147: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

9.7 Anhang: Experimente und Übungen 143

9.7.11 Experiment 6

Datei: Experiment6.ggb (Ansicht: Grafik, Grafik 2, Tabelle)Öffnen Sie die Datei und wechseln Sie auf das erste Grafikfenster.Die Datei erzeugt eine animierte Grafik, in der a automatisch die Werte 0 bis 4 (und zurück)

durchläuft. Zu jedem Wert von a werden 600 Folgenglieder ausgerechnet. Die ersten 500 Fol-genglieder erscheinen jedoch nicht im Diagramm, da sich die Folge erst auf ihr langfristigesVerhalten einpendeln soll. Um die Unabhängigkeit des Grenzverhaltens von den Anfangswer-ten zu demonstrieren, wird ständig der Startwert x0 gewechselt – das entstehende Bild ist trotzSensitivität bereits nach endlich vielen Iterationswerten weitgehend stabil.Im Grafikfenster 2 entsteht eine vergrößerte Kopie des Diagramms für den besonders inter-

essanten Bereich zwischen a = 3 und a = 4.Nachdem der Parameterbereich einmal vollständig durchlaufen wurde, können Sie die Ani-

mation stoppen.

• Vergleichen Sie das Diagramm mit Ihrem selbst erstellten Diagramm.• Benennen Sie die verschiedenen Bereiche (konvergent, periodisch – 2er-, 4er-, . . . 3er-Periode, chaotisch)

• Wo finden Periodenverdopplungen statt?• Im chaotischen Bereich treten „Inseln der Ordnung“ hervor. Beschreiben Sie die Iterati-on in diesen Bereichen. Überprüfen Sie Ihre Aussagen mit dem Programm Experiment5a.ggb.

• Für a = 4 treten scheinbar zufällig Zahlen aus dem Intervall [0;1] in der Iterationsfol-ge auf. Wie unterscheidet sich die Iterationsfolge von einer echten Zufallsfolge ? Tipp:Skizzieren Sie die Folgenglieder (ohne Verbindungsstrecken) jeweils in einem Spinnweb-Diagramm.

• Viele Teile des Diagramms sehen ähnlich aus wie das gesamte Diagramm – man sprichtauch von Selbstähnlichkeit. Identifizieren Sie solche Bereiche.

Abbildung 9.25: Feigenbaum-Diagramm

In weiteren Experimenten können Sie untersuchen, ob in den Abständen der Periodenver-dopplung ein Muster erkennbar ist. Dazu ist in dem zweiten Grafikfenster eine verschiebbareGerade eingebaut, um Werte leichter ablesen zu können. Feigenbaum hat bei diesen Untersu-chungen eine universelle Konstante (ähnlich π) entdeckt, die Feigenbaumkonstante.

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144 9 Iteration: Ein Weg zu Ordnung & Chaos

9.7.12 Übung 3

Erzeugen Sie in GeoGebra eine Tabelle wie in Abb. 9.26 (oder öffnen Sie die DateiÜbung 3.ggb, Ansicht: Tabelle).

Abbildung 9.26: GeoGebra-Tabelle zur Bestimmung des Lyapunov-Exponenten

1n

n−1∑i=0ln∣∣ f ′(xi)∣∣= λ

Hier ist n = 10, i durchläuft die Werte 0 bis 9. In B3 steht ein beliebiger Startwert x0 aus demIntervall [0;1], hier x0 = 0,1. Die weiteren Werte B4 bis B12 sind die Iterationswerte xn+1 =a · xn · (1− xn).In Spalte C stehen die entsprechenden Werte der Ableitung f ′(xi) = a−2axi. Spalte D wird

zeilenweise aus der Spalte C berechnet. Unten steht die Summe. Teilt man D14 durch 10, soergibt sich der Lyapunov-Exponent für n = 10.

• Der Lyapunov-Exponent wurde so konstruiert, dass sich mit ihm Aussagen über das Ver-halten von Iterationen gewinnen lassen: Fassen Sie diesen Zusammenhang noch einmalin eigenen Worten zusammen.

• Variieren Sie a in E2 und beobachten Sie den Exponenten – insbesondere sein Vorzeichen.• Suchen Sie Parameterwerte a, so dass λ positiv, Null, negativ ist. Beschreiben Sie dieIteration für diese Parameterwerte.

• Führen Sie die Untersuchungen mit einem anderen Startwert durch.

Page 149: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

9.7 Anhang: Experimente und Übungen 145

9.7.13 Experiment 7

Datei: Experiment7.ggb (Ansicht: Grafik)Öffnen Sie die Datei Experiment7.ggb im Grafikfenster, so dass es das gesamte Fenster ein-

nimmt. Erwartungsgemäß startet der Graph im negativen Bereich, zeigt aber für wachsendeWerte eine erstaunliche Fülle an Details. Diese sollen jetzt untersucht werden.

• Die ersten drei Nullstellen des Graphen sind klar erkennbar. Was kennzeichnet diese Stel-len im Feigenbaum-Diagramm und im Iterationsverhalten?

• Wechseln Sie in das zweite Grafikfenster. Hier ist der rechte Bereich des Graphen vergrö-ßert dargestellt, so dass weitere Nullstellen sichtbar werden. Überprüfen Sie, ob die obengefundenen Aussagen auch hier gelten.

• Auch im Bereich a > 3,5 nimmt der Lyapunov-Exponent negative Werte an, die für Ord-nung stehen. Überprüfen Sie dies, indem Sie a-Werte mit negativem Lyapunov-Exponentenaus diesem Bereich in die Datei Experiment 5a.ggb einsetzen.

• Im Bild 9.27 sind das Feigenbaum-Diagramm und der Graph des Lyapunov-Exponentenüberlagert. Interpretieren Sie Zusammenhänge.

Abbildung 9.27: Lyapunov-Exponent und Feigenbaum-Diagramm

Page 150: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

10 Funktionen kann man nicht sehen

Rainer Kaenders

Mathematik kann man nicht sehen. Auch Funktionen kann man nicht sehen – aber man kannversuchen sie darzustellen. Im Mathematikunterricht permanent anwesend ist die Darstellungvon Funktionsgraphen in kartesischen Koordinaten. Doch viele andere Arten der graphischenRepräsentation sind möglich und haben ihren eigenen Reiz. Verschiedene Darstellungen eröff-nen häufig einen Blick auf Funktionen, den die jeweils anderen Sichtweisen nicht gewähren.So ist das kartesische Koordinatensystem etwa durch den Schnitt zweier Kurven gut in der La-ge, Stellen zu finden, an denen zwei Funktionen denselben Wert annehmen. Auch die Summezweier Funktionen ist darzustellen. Es ermöglicht den Graphen quadratischer oder reziproker(d.h. Kehrwertfunktionen wie wie x → c

x für eine Konstante c) Funktionen mit klassischen Kur-ven, der Parabel und der Hyperbel, in Verbindung zu bringen. Auch kann man die Zuordnung ei-ner Stelle x0 zu ihrer lokalen linearen Approximation selbst wieder als Funktion – als Ableitung– auffassen. Die Hintereinanderausführung oder das Produkt zweier Funktionen hingegen, wer-den im Allgemeinen nur schwer so darstellbar, dass die einzelnen Komponenten noch erkennbarsind – zumindest, wenn es über lineare Substitutionen hinausgeht. Das kartesische Koordinaten-system suggeriert viele spezielle Vorstellungen von Funktionen und ihren Eigenschaften, wieetwa von ihren Symmetrien oder ihrer Ableitung etc. , die mehr zu dieser Darstellungsformgehören als zu der Funktion selbst. Eine Variation der Darstellungsformen und der Wechselzwischen ihnen ist daher didaktisch wertvoll und wichtig.Die speziellen Eigenschaften mancher Funktionen, wie zum Beispiel linearer, quadratischer,

reziproker, trigonometrischer oder exponentieller Funktionen erhalten jeweils ein anderes Ge-sicht und offenbaren durch diese vielen Ansichten erst wirklich ihr tieferes Wesen. Zu jederDarstellungsweise gibt es spezielle Funktionen, die in dieser Darstellungweise ihre besonderenEigenschaften besonders schön geometrisch offenbaren, wie etwa die Exponentialfunktionenbei den Spiralen und die Kehrwertfunktionen bei den Nomogrammen.Für spezielle Funktionen gibt es oft ganz spezielle geometrische Weisen, graphische Bilder zu

erzeugen, wie beispielsweise die Darstellung der trigonometrischeen Funktionen am Einheits-kreis oder die Erzeugung mancher Kurven durch mechanische Geräte. Was hierbei jeweils alsFunktion aufgefasst wird, hängt oft mehr von den gewählten Koordinaten als von der Konstruk-tion ab. Hier werden wir auf solche Darstellungen, die stark an bestimmte Funktionentypen ge-bunden sind, nicht eingehen. Auch weitere Funktionsrepräsentationen wie Tabellen, Pfeilketten

Abbildung 10.1: Nomogramm der Exponentialfunktion x → ex

R. Kaenders, R. Schmidt (Hrsg.), Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen, DOI 10.1007/978-3-8348-8340-7_10,© Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Page 151: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

148 10 Funktionen kann man nicht sehen

Abbildung 10.2: Nomogramm der Funktion x → x3

Abbildung 10.3: Nomogramm der Funktion x → tan(x)

Abbildung 10.4: Nomogramm der Funktion x → sin(x)+ 12 x.

oder Maschinchen bleiben hier unbesprochen. In diesem Kapitel interessieren wir uns vielmehrfür Darstellungsweisen, die für alle – oder zumindest für eine große Klasse von Funktionen, wieetwa die mit nicht-negativen Werten – funktionieren.War es früher eine mühsame Geduldsarbeit, verschiedene Darstellungen von Funktionen zu

erstellen, so ist es heute mit Programmen wie GeoGebra leicht möglich, virtuos mit den ver-schiedensten geometrischen Repräsentationen von Funktionen umzugehen. Dabei eröffnet sicheine Vielzahl mathematisch spannender Fragen, wie die Nomogramme und Höhenliniendarstel-lungen zeigen. Ein Programm wie GeoGebra eröffnet hier eine fruchtbare Quelle für überra-schende Vernetzungen. Solche alternativen Funktionsdarstellungen geben daher Gelegenheiten,die Inhalte aus verschiedenen Bereichen des Mathematikunterrichts, z.B. aus Geometrie, Alge-bra und Analysis, sinnvoll miteinander zu verbinden und den Transfer dieser Inhalte in andereKontexte zu üben. Und nicht zuletzt können auch geometrische Standardargumentationen undalgebraische Standardumformungen anhand alternativer Funktionsdarstellungen geübt werden.Mit der Einführung des Funktionsbegriffs können parallel verschiedene Darstellungen schon inder Mittelstufe den Schülern nahegebracht werden. Hilfreich sind zunächst Zeichungen mit derHand und schließlich Konstruktionen mit Werkzeugen wie GeoGebra, wodurch die Möglich-keiten natürlich beträchtlich erweitert werden. Durch alternative Funktionsdarstellungen kanndie Interpretation mancher Begrifflichkeiten zu Funktionen losgelöst werden von der Darstel-lung im kartesischen Koordinatensystem. So wird ein abstrakter Funktionsbegriff vorbereitet,der von Kontexten losgelöst und mit Bedeutung versehen ist.Für die Lektüre dieses Kapitels empfiehlt sich eine aktive Haltung. Generell empfehle ich,

sich die Sachverhalte zunächst ohne den Einsatz von Software vorzustellen, sie dann mit einemProgramm wie GeoGebra zu konstruieren und dann mit dem Verstand zu analysieren und dieeinzelnen Schritte zu rekapitulieren. Oder anders gesagt: Am besten liest man dieses Kapitel,indem man sich die Ideen nur grob anschaut, sie durch GeoGebra experimentell mit Leben

Page 152: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

10.1 Nomogramme 149

erfüllt und dann abschließend durch die genaue Lektüre gegebenenfalls bestätigt oder widerlegtfindet, was man selbst schon zuvor herausbekommen hat. Am Ende der Abschnitte finden sichAufgaben, deren Bearbeitung das Studium des Kapitels vertiefen kann, aber zum Verständnisnicht zwingend notwendig ist.

10.1 Nomogramme

Der Begriff Nomogramm steht für eine Reihe von Darstellungen funktionaler Zusammenhängemit Hilfe von Liniendiagrammen, die früher vor allem zur graphischen Lösung verschiedenerTypen von Gleichungen eingesetzt wurden (siehe [Dor77], S. 381 - 388). Im Allgemeinen tragendie Linien die unterschiedlichsten Skalen – der Art der Gleichung entsprechend. Wir stellen hierdie einfachste solche graphische Darstellung mit gleichgroßen äquidistanten Skalen vor, die inder Mathematikdidaktik zwar bekannt1, doch auch in Vergessenheit geraten ist. Der Einfachheithalber nennen wir die auf die unten dargelegte Weise erzeugten Funktionsgraphen schlicht No-mogramme. Wir zeigen hier, dass diese Nomogramme nicht nur die Funktionen selbst sondernauch manche ihrer Eigenschaften zur Schau stellen.Das Prinzip dieser Nomogramme ist denkbar einfach. Wir zeichnen zwei parallele Zahlen-

strahlen in einem positven Abstand 2a voneinander mit gleichen Maßstäben, so dass sich diebeiden Ursprünge, d. h. jeweils die Zahl 0, direkt gegenüber liegen. Der Abstand 2a ist dabeizunächst beliebig gewählt. Den unteren Zahlenstrahl wollen wir Definitionsgerade nennen undden oberen Wertegerade. Zu einer Zahl x auf der Definitionsgeraden bezeichne U(x) den zu-gehörigen Punkt in der Ebene und analog gehört zu y auf der Wertegeraden der Punkt W (y)in der Ebene. Nun verbinden wir einen Punkt U(x) auf der Definitionsgerade, der einer Zahlx auf der Skala entspricht, durch einen Pfeil mit dem Punkt W ( f (x)) auf der Wertegeraden,welchem die Zahl f (x) auf diesem Zahlenstrahl entspricht. Wir betrachten hier auch Funktio-nen, die aufgrund ihrer Funktionsvorschrift nur auf einem Teil der Definitionsgeraden – derDefinitionsmenge – definiert sind, ohne dass wir dies im Einzelnen immer spezifizieren. In denAbbildungen 10.1 bis 10.4 sehen wir eine Reihe solcher Graphen von bekannten Funktionen,die einen mehr oder weniger guten Eindruck dieser Funktionen vermitteln. Manchmal entstehenästhetisch ansprechende Bilder und manchmal erinnern die Bilder an Mikado.Eine einfache Eigenschaft sehen wir gleich: Möchten wir herausfinden, an welchen Stellen

zwei Funktionen f und g den gleichen Wert annehmen, d.h. in kartesischen Koordinaten denSchnitt der beiden Graphen ermitteln, dann müssen wir hier nach zwei identischen Pfeilen Aus-schau halten, wenn wir die Nomogramme von f und g übereinander legen. Dies ist offensichtlichviel schwieriger zu sehen als ein Schnittpunkt zweier kartesischer Funktionsgraphen.

10.1.1 Komposition

Bei diesen Diagrammen bekommen wir einen Eindruck davon, dass es sich bei Funktionen umAbbildungen von Mengen handelt. Wir sehen sofort, ob wir es mit einer injektiven, surjektivenund gegebenenfalls bijektiven Abbildung zu tun haben. Die Bilder verallgemeinern die graphi-schen Darstellungen von Abbildungen endlicher Mengen durch Venn-Diagramme und Pfeile,

1Z. B. findet man die Idee der Nomogramme bei Van Doormolen [Doo78] oder später bei Malle (z.B. in [Mal93],S. 265 oder [Mal00]). Auch Spivak ([Spi67], S. 79) benutzt Nomogramme in seinem Buch Calculus. Aufwww.dynagraph.de findet man ähnliche Applets zur Kovariation von Hans-Jürgen Elschenbroich.

Page 153: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

150 10 Funktionen kann man nicht sehen

Abbildung 10.5: Konvergenz gegen den goldenen Schnitt durch Iteration der Funktion g(x) = 1+ 1x .

mit denen allgemeine Zuordnungen angegeben werden. Hierdurch bereiten sie einen allgemei-neneren Abbildungsbegriff vor.Besser als einige andere Darstellungsformen bieten die Nomogramme die Möglichkeit, die

Komposition zweier Funktionen f und g, d. h. die Hintereinanderausführung f ◦g, geometrischzu sehen.Ein Nomogramm der Hintereinanderausführung zweier Funktionen f und g kann man erhal-

ten, indem man das Nomogramm von f auf das Nomogramm von g setzt und die Pfeile wieVektoren addiert. Hieraus können wir eine Reihe von Folgerungen ziehen:

• Die Funktion x → x mit einem Nomogramm von ausschließlich senkrechten Pfeilen stelltdie identische Funktion dar.

• Zu einer invertierbaren Funktion f erhält man das Nomogramm der inversen Funktionf−1, indem wir das Numogramm von f horizontal an der Mittelgeraden, der Geraden inder Mitte parallel zwischen Definitions- und Wertegerade, spiegeln.

• Involutionen, d. h. zu sich selbst inverse Funktionen, sind genau die Funktionen, derenNomogramme spiegelsymmetrisch an der horizontalen Geraden in der Mitte zwischenDefinitions- und Wertegeraden sind. Zum Beispiel haben die Funktionen x → −x oderx → 1

x solche Nomogramme.

• Projektionen, d. h. Funktionen π(x) mit der Eigenschaft π ◦π = π , sind ebenfalls leichtzu erkennen. Beschränkt auf die Bildpunkte der Funktion π handelt es sich um die iden-tische Abbildung. So sind etwa konstante Funktionen oder die Betragsfunktion x → |x|solche Projektionen. Auch die Gauß-Klammer Funktion x → �x� oder die Funktion x →Frac(x) = x−�x� sind Beispiele von Projektionen.

Page 154: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

10.1 Nomogramme 151

• Man kann auch eine dritte Zahlengerade parallel zwischen die beiden Zahlengeraden ein-ziehen und die Funktion in die Komposition zweier Funktionen zerlegen. Wir werdenspäter sehen, dass das obere Nomogramm dann nicht notwendigerweise eine Funktiondarstellen muss. Auch ist es möglich, die dritte parallele Gerade außerhalb der beidenZahlenstrahlen zu wählen und die Abbildung durch den Umweg über diese Gerade zuzerlegen.

• Iterationen von Funktionen werden sichtbar. In Abbildung 10.5 sehen wir die Iterationeiner Abbbildung. Allgemein erkennen wir die Bereiche, in denen die Iteration konver-giert oder divergiert. In kartesischen Koordinaten entspricht dies den Web-Graphen oderNetzgraphen, aus denen die Konvergenz einer Iteration weniger gut sichtbar wird.

Aufgabe

Geben Sie zwei reellwertige Funktionen f und g mit zugehörigen Definitionsmengen Df und Dg an (underzeugen Sie deren Nomogramme in GeoGebra), für die gilt: f ◦ g = idDg aber g ◦ f �= idDf . Zeigen Sie,dass allgemein für alle Funktionen f und g mit dieser Eigenschaft gilt: g ist injektiv und g ◦ f ist eineProjektion.

10.1.2 Lineare Funktionen

Interessant sind in dieser Sichtweise schon die linearen Funktionen, die wir hier nun untersuchenwollen. Zunächst zeichnen wir statt der Pfeile des Nomogramms solche Geraden, auf denen diePfeile liegen, und erkennen dabei zwei Fälle: alle Geraden dieser Familie sind parallel oder allediese Geraden schneiden sich in einem Punkt.Mit entsprechenden Applets in GeoGebra kommt man schnell zu der Vermutung, dass die

Nomogramme von linearen Funktionen alle wie folgt aus einer Familie von Geraden erhaltenwerden: Wir betrachten entweder einen festen Punkt in der Ebene und das Geradenbüschel allerGeraden, die durch diesen Punkt verlaufen oder wir betrachten die Familie aller zu einer festenGeraden parallelen Geraden. Nun zeichnen wir beliebig die beiden Zahlengeraden in die Ebene,so dass durch jeden Punkt der Definitionsgeraden genau eine Gerade aus der Familie von Gera-den verläuft und diesen Punkt mit einem Punkt der Wertegeraden verbindet, was wir auch durcheinen Pfeil angeben können. Insgesamt erkennen wir fünf Fälle:

(a) Die Geraden der Familie sind parallel. Hier handelt es sich jeweils um Transla-tionen, d. h. Funktionen der Form x → x+ c für ein c ∈ R.

In allen anderen Fällen schneiden die Geraden sich in einem Punkt S, den wir das Zentrumder linearen Funktion nennen wollen.

(b) S liegt auf der Wertegeraden. Hier handelt es sich um eine konstante Funktion.

(c) S liegt zwischen den Zahlenstrahlen. Hier handelt es sich um eine lineare Funkti-on mit negativer Steigung, d.h. y = mx+b mit m < 0.

(d) S liegt unterhalb der Definitionsgeraden. Das ist der Fall, wenn die Steigung derlinearen Funktion größer als 1 ist.

(e) S liegt oberhalb oder auf der Wertegeraden. Hier sehen wir eine lineare Funktion,deren Steigung kleiner als 1 oder gleich 1 ist.

Page 155: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

152 10 Funktionen kann man nicht sehen

Abbildung 10.6: Nomogramme zweier linearer Funktionen

Abbildung 10.7: Nomogramm der Betragsfunktion x → |x|.

Es wird deutlich, dass eine lineare Funktion y = mx+b nichts als eine zentrische Streckungvon einem Punkt außerhalb der Definitionsgeraden ist. Genauer gesagt: eine zentrische Stre-ckung mit Zentrum S außerhalb der Definitionsgeraden und Streckungsfaktor m, die auf diePunkte der Definitionsgeraden angewandt wird. Bei linearen Funktionen des Typs l(x) = mxsehen wir mit Hilfe von Ähnlichkeit von Dreiecken die Linearität im algebraischen Sinne:l(x1 + x2) = l(x1) + l(x2) für x1, x2 ∈ R. Wir sehen nun auch, dass wenn wir etwa bei einemsolchen Nomogramm eine der beiden Zahlengeraden parallel verschieben, so schalten wir voroder hinter die Abbildung noch eine weitere lineare Abbildung, wodurch wir lineare Funktionenauf unendliche viele Weisen als Komposition linearer Funktionen darstellen können.Die Nullstellen einer linearen Funktion finden wir leicht, wenn wir diejenigen Pfeile, die auf

der Wertegeraden in 0 enden, zu ihrem Fußpunkt auf der Definitionsgeraden zurückverfolgen.Dies ist ein einfaches Beispiel dessen, was man eine zeichnerische Lösung einer linearen Glei-chung nennen kann. In 10.1.5 werden wir ein allgemeines Verfahren der zeichnerischen Lösungquadratischer Gleichungen mit Hilfe von Nomogrammen vorstellen.

Aufgabe

Gegeben sind eine Definitions- und Wertegerade im Abstand von 2a in einem kartesischen Koordinaten-system, so dass die Definitionsgerade – samt Maßstab – mit der x-Achse des Koordinatensystems zusam-menfällt. Weiter sei eine lineare Funktion mit der Vorschrift y=mx+b für reelle Zahlen m und b gegeben.SeiW = (b, 2a) der Bildpunkt der Null auf der Wertegeraden.

1. Zeigen Sie, dass das Zentrum S der linearen Abbildung ein Punkt S auf der Ursprungsgeraden durchW ist, für den gilt: |SW ||SO| = |m|.

2. Berechnen Sie, abhängig von m und b, die Koordinaten des Zentrums S, in dem sich alle verlänger-ten Geraden des Nomogramms dieser linearen Abbildung schneiden.

3. Seien zwei lineare Abbildungen mit Zentrum S und S′ gegeben, deren Komposition wir darstellen,indem wir die zughörigen Nomogramme übereinander zeichnen und dann Beginn- und Endpunkteverbinden. Zeigen Sie, dass das Zentrum dieser neuen linearen Abbildung auf der Geraden durch Sund S′ verläuft.

Page 156: Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen ||

10.1 Nomogramme 153

Abbildung 10.8: Funktion mit Vorschrift f (x) = x− 4a22x und einer Parabel als Ableitungskurve.

10.1.3 Lineare Approximation

Die Betrachtung von linearen Funktionen legt auch nahe, zu einer Funktion f die lineare Ap-proximation in der Umgebung eines Punktes x0 zu betrachten. Es stellt sich also die Frage, wiedas Differenzieren in Nomogrammen aussieht.

Dazu bezeichnen wir für eine Stelle x auf der Definitionsgeraden mit gx die Gerade, welchedie Definitionsgerade in U(x) und die Wertegerade in W ( f (x)) schneidet, d.h. die Gerade, dieentsteht, wenn man den entsprechenden Pfeil an der Stelle x verlängert. Wir betrachten nun eineStelle x0 und für eine kleine Zahl h ∈ R eine benachbarte Stelle x0+h auf der Definitionsgera-den. Auf der Wertegeraden finden wir dann die entsprechenden Werte f (x0) und f (x0+h). Seinun S(x0,h) der Schnittpunkt der Geraden gx0 und gx0+h.

Hier sehen wir nun, dass die Funktion f lokal durch die lineare Funktion approximiert wird,deren Zentrum man als Grenzwert des Schnittes der Geraden gx0 und gx0+h findet. In der folgen-den Zeichnung für die Funktion x → x2 sehen wir dies sogleich intuitiv ein und es ist eine guteÜbung, diesen Sachverhalt in diesem Beispiel auch explizit nachzuweisen.

Ähnlich wie in der Aufgabe am Ende von 10.1.2 kann man beweisen, dass gilt:

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154 10 Funktionen kann man nicht sehen

Abbildung 10.9: Nomogramm der Funktion x → a2x , wobei der Abstand zwischen den Zahlengeraden 2a

beträgt.

Gegeben sei eine differenzierbare Funktion f :U→R auf einer offenenMengeU ⊂R.Die lineare Approximation der Funktion f in x0 oder Tangentialfunktion von f in x0wird nun durch die lineare Funktion mit Zentrum S(x0) := limh→0 S(x0,h)mit gleicherDefinitions- und Wertegeraden wie bei f gegeben.S(x0) ist so bestimmt, dassW ( f (x0)) das Bild des PunktesU(x0) unter der zentrischenStreckung in S(x0) mit Faktor f ′(x0) ist, d.h.

|W ( f (x0))S(x0)||U(x0)S(x0)| =

∣∣ f ′(x0)∣∣ ,wobei S(x0) genau dann zwischenU(x0) undW ( f (x0)) liegt, falls f ′(x0)≤ 0.

In der Darstellung der Nomogramme können wir also jeder Stelle x auf der Definitionsgeradendas Zentrum der linearen Approximation der Funktion f in x zuordnen. Damit erhalten wirnicht, wie bei den kartesischen Koordinaten, eine Ableitungsfunktion sondern eine durch dieDefinitionsgerade parametrisierte Ableitungskurve S( f ) : x → S(x). Dies ist die Hüllkurve allerGeraden gx =U(x)W ( f (x)).

Die Ableitungskurve von linearen Funktionen mit einer von 1 verschiedenen Steigung ist eineinzelner Punkt. Nun gibt es viele klassische Kurven, die als Ableitungskurve einer Funktionentstehen. Häufig kann man entsprechende Funktionen suchen, deren Nomogramme diese Hüll-kurven als Ableitungskurve haben.

Als Beispiel hierzu betrachten wir das Nomogramm einer reziproken Funktion q : x → a2x

für eine positive reelle Zahl a (siehe Abb. 10.9). Das Nomogramm dieser Funktion entstehtwie folgt: Man zeichne alle Tangenten an einen festen Kreis K mit Radius a und MittelpunktM. Definitions- und Wertegerade seien zwei sich gegenüberliegende Tangenten, so dass jeweilsdie Nullen der Zahlengeraden den Kreis berühren. Eine solche Tangente verbindet jeweils eineStelle x �= 0 auf der Definitionsgeraden mit einem q(x) auf der Wertegeraden. Neben dieserTangenten, die den Kreis in einem Punkt B berührt, haben wir mit der Definitions- und derWertegeraden noch zwei weitere Tangenten an den Kreis. Es ist nun leicht einzusehen, dass dasDreeick U(x0)MW (q(x0)) rechtwinklig ist. Daraus folgt, dass auch die DreieckeU(0)U(x0)MundW (0)MW (q(x0)) zueinander ähnliche rechtwinklige Dreiecke sind, was zur Folge hat:

x0a =

aq(x0)

. Nebenbei sehen wir auch die Ableitungskurve dieser Funktion, nämlich den Kreis K.

Als zweites Beispiel betrachten wir die Funktion mit Vorschrift f (x) = x− 4a22x , die eine Pa-

rabel als Ableitungskurve hat (siehe Aufgabe).

Ein weiteres schönes – aber auch exotisches – Beispiel wird durch die Ableitungskurven der

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10.1 Nomogramme 155

folgenden beiden Funktionen gegeben:

f1(x) = x

(1− 2d(√

d+ x+√d− x

)2)und f2(x) = x

(1− 2d(√

d+ x−√d− x)2)

,

wobei d = 2a den Abstand zwischen Definitions- und Wertegerade bezeichnet. Die Nomogram-me dieser beiden Funktionen besitzen eine Deltoide als Ableitungskurve. Der Nachweis dieserTatsache würde hier jedoch zu weit führen.2

Wir betten nun die Situation in ein kartesisches Koordinatensystem ein und leiten eine For-mel her für die Koordinaten des Zentrum S(x) der lokalen linearen Approximation von f in x.Dazu seien die Definitions- und Wertegerade im Abstand von 2a in einem kartesischen Koor-dinatensystem eingezeichnet, so dass die Definitionsgerade – samt Maßstab – mit der x-Achsedes Koordinatensystems zusammenfällt. Das Zentrum an der Stelle x habe nun die KoordinatenS(x) = (p(x),q(x)) = (p,q).

In dieser Zeichnung sehen wir durch Ähnlichkeitsbetrachtungen, dass gilt:

f (x)− px− p

= f ′(x) und2a−q−q = f ′(x).

Dies können wir umstellen und erhalten:

p(x) =f ′(x)x− f (x)f ′(x)−1 = x− x− f (x)

1− f ′(x)und q(x) =

2a1− f ′(x)

.

Falls wir die Hilfsfunktion h definieren durch h(x) = x− f (x), dann verkürzt sich die Formel zu:p(x) = x− h(x)

h′(x) und q(x) = 2ah′(x) . Ist also eine differenzierbare Funktion f gegeben, können wir

die parametrisierte Ableitungskurve berechnen. Umgekehrt sehen wir, dass wir nicht zu jederbeliebigen (stückweise differenzierbaren) Kurve x → (p(x),q(x)) eine Funktion f mit dieserAbleitungskurve finden können: p, q und f müssen den obigen Bedingungen genügen, d.h. fmuss Lösung einer Differentialgleichung sein.Falls es gelingt, zu einer Kurve x → (p(x),q(x)) eine Funktion f zu finden, die diesen Bedin-

gungen genügt, dann können wir also auf diese Weise die Ableitungskurve integrieren.

2Eine mögliche Herangehensweise zur Herleitung dieser Funktionsvorschriften benutzt, dass die Deltoide die Hüllkur-

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156 10 Funktionen kann man nicht sehen

Abbildung 10.10: Die Ableitungskurven der Funktionen f1 und f2 formen gemeinsam eine Deltoide.

Wenn man über höhere Ableitungen sprechen möchte, bedarf es eines größeren Aufwandesdie Ableitungskurve wieder selbst als Funktion zu sehen. Hier ist die Darstellung in kartesi-schen Koordinaten sicher überlegen. Eine einfache Frage wie etwa, was es bedeutet, dass fürdie Ableitung der Exponentialfunktion exp(x) = ex gilt: exp′(x) = exp(x), fällt hier schwer zuinterpretieren.

Aufgabe

1. Auf einer Geraden durch U(x0) unf W ( f (x0)) gibt es genau zwei Punkte mit|W ( f (x0))S(x0)||U(x0)S(x0)| =

| f ′(x0)|. Zeigen Sie, dass es sich hierbei jeweils um das Zentrum der linearen Approximation derFunktion f in x0 und der Funktion − f in x0 handelt.

2. Zeigen Sie, dass die Funktion mit der Vorschrift f (x) = x− 4a22x eine Ableitungskurve hat, die auf

einer Parabel verläuft.

3. Zeigen Sie, dass eine Funktion f , deren Ableitungskurve ganz auf der senkrechten Gerade durchdie Nullpunkte von Definitions- und Wertegerade liegt, von der Form f (x) =Cx oder f (x) =C|x|für eine KonstanteC ∈ R ist.

10.1.4 Verschieben der Definitions- und Wertegeraden

Im kartesischen Koordinatensystem kennen wir Verwandschaften zwischen Funktionen, indemwir die Koordinatensysteme verändern. So sehen wir zum Beispiel, dass es trotz vieler unter-schiedlicher Graphen quadratischer Funktionen im Grunde nur eine Parabel gibt. Entsprechende

ve aller Simsongeraden eines Dreiecks ist. In dem Beispiel hier oben habe ich ein gleichschenkliges rechtwinkligesDreieck gewählt, dessen Hypotenuse auf der Defintionsgeraden und dessen rechter Winkel auf der Wertegeradenliegt.

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10.1 Nomogramme 157

Abbildung 10.11: Zerlegung einer linearen Funktion in die Komposition dreier linearer Funktionen

Fragen kann man sich auch bei den Nomogrammen stellen. Wie verändert sich etwa die Funk-tionsvorschrift einer Funktion, wenn wir die Werte- oder die Defintionsgerade verschieben unddie Geradenfamilie des Nomogramms beibehalten?

Bei den linearen Funktionen haben wir gesehen, dass wenn wir die Definitions- oder dieWertegerade nach oben oder nach unten verschieben, wir uns das Ergebnis auch als Hinterein-anderausführung dreier linearer Funktionen vorstellen können.

Falls wir ein Nomogramm einer Funktion f mit einem Abstand von 2a zwischen Definitions-und Wertegerade gegeben haben, dann können wir die Wertegerade um den Betrag 2b für einb ∈ R anheben (bzw. auch absenken, bei negativem b). Welche Funktion g gehört dann zu demNomogramm mit der ursprünglichen Familie von Geraden und um 2b verschobener Wertegera-de? Mit Ähnlichkeit von Dreiecken leitet man schnell her, dass gilt:

Verschieben der Wertegeraden um 2b: Sei eine Funktion f mit einem Nomogrammder Breite 2a gegeben. Wir betrachten

g(x) = λ f (x)+ μx

mit λ = 1+ ba sowie μ =− b

a und insbesondere λ + μ = 1.Dann entsteht das Nomogramm der Funktion g aus dem Nomogramm von f , wennman die Definitionsgerade um 2b nach oben verschiebt.

Verschieben wir nun die Definitionsgerade, dann kann es sein, dass das Resultat keine Funk-tion mehr ist. Denken Sie zum Beispiel an eine lineare Funktion mit negativer Steigung, bei derwir die Definitionsgerade so anheben, dass sie durch das Zentrum verläuft.

Sei g nun die Funktion, die durch das Nomogramm von f beschrieben wird, bei dem dieDefinitionsgerade um 2c nach unten verschoben wurde. Wir stellen uns nun vor, dass wir demAusgangsnomogramm der Funktion f mit einer Breite von 2a ein Nomogramm der Breite 2cmit derselben Familie von Geraden vorschalten, dass durch eine zugehörige Funktion h gegebenwird. Falls eine solche Funktion h existiert, dann gilt: f ◦ h = g und g(t) = λh(t) + μt mitdiesmal λ = 1+ a

c sowie μ =− ac . Dies können wir nun umschreiben zu f ◦h(t) = λh(t)+ μt,

bzw. 1μ f ◦h(t)− λμ h(t) = t. Damit sehen wir:

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158 10 Funktionen kann man nicht sehen

Abbildung 10.12: Falls man bei einem Nomogramm der Funktion f (x) = −x3+2x die Definitionsgeradenach unten verschiebt, erhält man ein Nomogramm der Funktion g(t) =−t+2 3

√t.

Verschieben der Definitionsgeraden um 2c nach unten: Falls es eine Funktion hgibt, für die gilt:

α f ◦h(t)−βh(t) = t

mit α = − ca und β =

(1+ c

a

), d.h. für F(x) = α f (x)−β x gibt es eine Funktion h,

so dass F ◦ h = id. Dann hat die Funktion g = f ◦ h das Nomogramm mit derselbenWertegeraden, derselben Familie von Geraden wie f und einer um 2c nach untenverschobenen Definitionsgeraden.

Zum Beispiel können wir das Nomogramm der Breite 1 der konstanten Funktion f (x) = 0betrachten und dann die Wertegerade um 1 anheben und erhalten dann: g(x) = 2 ·0−1 ·x =−x,was natürlich auch zu erwarten war.Wenn wir die Definitionsgerade nach unten verschieben wollen, ist es viel schwieriger, ein

Beispiel zu finden, da man ja die Definitionsgerade auf eine Höhe schieben muss, wo sich keinezwei Geraden der Geradenfamilie schneiden, da sonst kein Nomogramm einer Funktion entsteht.Will man doch ein Beispiel für eine solche Verschiebung finden, fängt man am besten mit

der Funktion h und der dazu inversen Funktion F an. Wir betrachten ein Nomogramm einernoch zu spezifizierenden Funktion f der Breite 1. Nehmen wir nun h(t) = 3

√t, dann ist die

Funktion F(x) = x3 invers hierzu. Angenommen, wir verschieben die Funktion f , die wir janoch ermitteln wollen, um 1 nach unten. Dann sind α =−1 und β = 2. Also x3 =− f (x)−2x,woraus wir ableiten: f (x) =−x3+2x und g(t) = f ◦h(t) =−t+2 3

√t.

Das heißt (siehe Abb. 10.12), wenn wir bei einem Nomogramm der Funktion f (x) = x3+2xder Breite 1 die Definitionsgerade um 1 nach unten verschieben, dann erhalten wir ein Nomo-gramm der Funktion g(t) = t + 2 3

√t. Auf diese Weise werden eigenartige geometrische Ver-

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10.1 Nomogramme 159

Abbildung 10.13: Nomogramm zur graphischen Lösung aller quadratischen Gleichungen. D der Gaphikabgebildet.

wandschaften zwischen Funktionen sichtbar, die algebraisch nicht zu sehen sind.

Aufgabe

1. Zeigen Sie, dass die Funktion, deren Nomogramm aus den Tangenten eines Kreises besteht, der dieDefinitions- und die Wertegerade jeweils in einem Punkt berührt, gegeben wir durch die Funktions-vorschrift x → a2

x .

2. Zeigen Sie, dass die Ableitungskurve von x → a2x auf dem oben angesprochenen Kreis verläuft.

3. Gegeben sei ein Nomogramm der Breite 1 der Funktion f (x) = − ln(x)− 2x. Zeigen Sie, dass siedurch Verschieben der Definitionsgeraden nach unten ein Nomogramm der Funktion g(t) =−t−2eterhalten.

10.1.5 Gleichungen lösen

Schließlich können wir Nomogramme auch als Abbildungen des gesamten R2 auf einen Zah-

lenstrahl auffassen. Damit kann man Gleichungen lösen, was wir am Beispiel der allgemeinenquadratischen Gleichung erläutern werden. Dies ist eine klassische Anwendung von Nomo-grammen, die früher zum Werkzeug von Ingenieuren gehörte (siehe [Dor77], S. 381 ff.). Wir

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160 10 Funktionen kann man nicht sehen

zeigen, wie man die Lösungen jeder quadratischen Gleichung an einem einzigen Nomogrammablesen kann.Dazu betrachten wir die allgemeine Form der quadratischen Gleichung x2+ px+ q = 0 und

stellen diese um: q=−xp−x2. Für ein festes x0 gilt für alle (p,q)∈R2 mit q=−x0p−x20, dass

die jeweilige Gleichung q = −xp− x2 die Zahl x0 als eine Lösung hat. Damit können also allequadratischen Gleichungen, die x0 als Lösung haben, durch die Punkte (p,q) auf der Geradenq =−x0p− x20 wiedergegeben werden.Für jedes x0 ∈R erhalten wir eine solche Gerade und können diese Geraden alle in die Ebene

zeichnen. Durch jeden Punkt der Ebene verlaufen zwei, eine oder keine von diesen Geraden –je nachdem, ob die entsprechende quadratische Gleichung zwei, eine oder keine Lösung hat.Bilden wir den Punkt (p,q) nun auf die Schnittpunkte (a,0) bzw. (a1,0), (a2,0) der möglichenGeraden durch diesen Punkt mit der x-Achse ab, so wissen wir, dass die Gleichungen x2+ax= 0bzw. x2+a1x = 0 und x2+a2x = 0 dieselben Lösungen haben wie x2+ px+q = 0. Wir sehenalso, dass die Abbildung (p,q) → −a bzw. (p,q) → −a1 und (p,q) → −a2 eine quadratischeGleichung auf ihre Lösungen abbildet, so sie denn existieren. Im Nomogramm kann man dieseLösungen gleich ablesen oder mit dem Lineal abmessen.Zum Beispiel finden wir die Lösung der Gleichung x2 + 3x− 5 = 0, indem wir den Punkt

mit den Koordiaten (3,−5) aufsuchen. Verfolgen wir nun die beiden Geraden durch diesenPunkt bis zu ihrem Schnittpunkt mit der x-Achse, so sind die x-Koordiaten der Schnittpunktedie Lösungen der Gleichung mit umgekehrtem Vorzeichen.

Aufgabe

1. Zeigen Sie, dass die Lösung einer allgemeinen Gleichung dritten Grades z3+az2+bz+c= 0 durcheine lineare Substitution auf eine Gleichung der Form x3+ px2+q= 0 zurückgeführt werden kann.

2. Konstruieren Sie mit GeoGebra ein allgemeines Nomogramm zur Lösung von Gleichungen derForm x3+ px2+q = 0.

10.2 Gratwanderung

In diesem Abschnitt des Kapitels möchten wir auf eine weitere Darstellung von Funktioneneingehen: die Darstellung durch Höhenlinien. In der Didaktik ist diese Funktionsdarstellungschon vor Jahrzehnten wiederholt vorgeschlagen worden, wie etwa durch Hans Freudenthal (in[Freu73], Bd. II S. 484 oder in [Freu83], S. 554). Freudenthal bezieht sich dabei jedoch gleichauf Funktionen zweier Veränderlicher, die ja auf natürliche und direkteWeise durch Höhenlinienrepräsentiert werden können.Gleichwohl kann man sich fragen, wie man sich ein Bild einer einzigen Funktion durch Hö-

henlinien machen kann. Erscheinen bei der kartesischen Darstellung eindimensionaler Funktio-nen besondere Stellen, wie Nullstellen, Extrema oder Wendepunkte, der Funktion immer isoliertvoneinander, so gewähren die Höhenlinien einen Blick auf die relative Lage dieser Punkte zu-einander. Daher entsteht durch Höhenlinien eine globalere Perspektive auf Funktionen als es diekartesische Darstellung vermag. Zudem können Programme wie GeoGebra in Windeseile diekompliziertesten Darstellungen erzeugen und werden in Zukunft immer noch leistungsfähigerhierin.Da man in GeoGebra den Graphen einer Funktion mit einer Geraden so schneiden kann,

dass das Programm die Schnittpunkte alphabetisch durchnummeriert, ist es zum Beispiel mög-lich, ein Kreisdiagramm zu einer Funktion anzufertigen, wie es in Abb. 10.14 zu sehen ist. Die

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10.2 Gratwanderung 161

Abbildung 10.14: Höhendiagramm mit Kreisen: Der Verlauf von h entspricht dem Profil entlang der Gera-den, die durch die Mittelpunkte aller Kreise verläuft.

Sprünge, die man hier bei den Radien der Kreise beobachtet, machen diese Darstellung nochnicht sehr ansprechend.Instruktiver und einer Funktion natürlich zuzuordnen sind Höhenliniendiagramme wie in

Abb. 10.15. Aufgrund ihrer Gestalt wollen wir diese Diagramme Toblerone-Diagramme nen-nen. Dabei gehen wir zunächst von einer Fläche aus, die die Gestalt eines Satteldachs hat mit100 % Gefälle an den Dachflächen, d.h. der Winkel zwischen Dachschrägen dieses Satteldachsund der Horizontalen beträgt 45◦. Die zugehörige Funktion in zwei Variablen wird dann gege-ben durch: D(x,y) = M− |y|, wobei M := maxx f (x). Ein Toblerone-Diagramm entsteht danndurch die Höhenlinien der Funktion

F(x,y) =min( f (x),D(x,y)) .

Reizvoll ist dabei, dass man den Graphen der Funktion in kartesischen Koordinaten und seinSpiegelbild ebenfalls in diesen Toblerone-Diagrammen wiedererkennen kann.Die oben angesprochene globalere Sichtweise auf eindimensionale Funktionen lässt sich sehr

schön entwickeln, wenn man Schüler in einem Linienpapier, wie dem oben vorgegebenen, selbstein solches Toblerone-Diagramm mit der Hand erstellen lässt. Man sieht dann die relative Lageder lokalen Maxima und Minima zueinander. In kartesischen Koordinaten betrachtet man Ex-trema lokal. So werden lokale Extreme gleicher Höhe, zwischen denen noch eventuell andereExtrema liegen, unabhängig voneinander wahrgenommen. In den Toblerone-Diagrammen wer-den verschiedene lokale Extrema direkt miteinander durch Höhenlinien in Beziehung gesetzt.

10.2.1 Produkt und Summe zweier Funktionen

Höhenlinien eignen sich auch mitunter dazu, den Aufbau von Funktionen als Produkt oder Sum-me besser zu beleuchten.

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162 10 Funktionen kann man nicht sehen

Abbildung 10.15: Links ein Toblerone-Diagramm einer Funktion mit einer Zeichenvorlage rechts.

Zum Beispiel kann man eine Funktion h(x) = f (x) ·g(x), die als Produkt zweier FunktionenH(x,y) = f (x) · g(y) darstellbar ist, mit Hilfe der beiden Faktoren f (x) und g(x) durch Hö-henlinien darstellen, indem wir sie als Funktionen zweier Veränderlicher f (x) · g(y) auffassen.Dadurch ensteht eine Fläche {(x,y,z)| z = f (x,y)}, wobei die Funktion h(x) = f (x) ·g(x) als dasProfil über der Diagonalen entsteht.Auf diese Weise kann man etwa den Beweis des wichtigsten Schrittes der Produktregel ver-

anschaulichen:1h

( f (x0+h) ·g(x0+h)− f (x0) ·g(x0))

=1h

(f (x0+h) ·g(x0+h)− f (x0+h) ·g(x0)

)− 1h

(f (x0+h) ·g(x0)− f (x0) ·g(x0)

).

In der Abbildung 10.16 sehen wir, wo wir Terme wie f (x0+h) ·g(x0) außerhalb der Diagonalenverorten können. Hierdurch erscheint die Addition und anschließende Subtraktion von f (x0+h) · g(x0) viel natürlicher als in der rein algebraischen Darstellung: Der Ab- oder Aufstieg vonf (x0+ h) · g(x0+ h) zu f (x0) · g(x0) geschieht über die Zwischenstation f (x0+ h) · g(x0). Vonf (x0+ h) · g(x0+ h) zu f (x0+ h) · g(x0) bleibt f (x0+ h) konstant und von f (x0+ h) · g(x0) zuf (x0) ·g(x0) verändert sich g(x0) nicht.Auch die Summe zweier Funktionen f (x)+g(x) ist darstellbar durch Höhenlinien, indem wir

zunächst die folgende Funktion zweier Veränderlicher betrachten:

H(x,y) = y f (x)+(1− y)g(x), wobei y ∈ [0, 1].

Die Summe der beiden Funktionen findet sich nun als das Höhenprofil auf der horizontalenmittleren Linie zwischen den Geraden y = 0 und y = 1.

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10.3 Ausblick 163

Abbildung 10.16: Höhenlinien zum Produkt zweier Funktionen f (x) ·g(y) in zwei Veränderlichen.

Abbildung 10.17: Die Summe zweier Funktionen als das Höhenprofil auf der horizontalen mittleren Linie.

10.3 Ausblick

Mit den Darstellungen durch Nomogramme und Höhenlinien haben wir hier nur zwei Alter-nativen zur Darstellung von Funktionen in kartesischen Koordinaren ausführlicher dargestellt.

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164 10 Funktionen kann man nicht sehen

Abbildung 10.18: Logarithmische Spirale

Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Möglichkeiten zur Darstelung von Funktionen, die vonProgrammen wie GeoGebra unterstützt werden und didaktisch wertvoll sein können. Dazu gehö-ren neben den klassischen Darstellungen über Tabellen und Funktionsterme auch noch weiterealternative geometrische Darstellungen. Die dahinterliegenden Ideen wollen wir hier nur kurzanreißen.

10.3.1 Andere Koordinaten

Weitere Herangehensweisen an die Darstellung von Funktionen benutzen andere Koordinaten-systeme in der Ebene als das kartesische. Da bieten sich zunächst Polarkoordinaten an. ReelleFunktionen (mit positiven Werten), werden dann zu Spiralen. Dabei werden konstante Funktio-nen zu Kreisen und lineare Funktionen werden zu archimedischen Spiralen.Besonders interessant sind stetige Spiralen mit der folgenden bemerkenswerten Eigenschaft:

Das Drehen der Spirale bewirkt genau dieselbe Veränderung des Bildes wie das Verkleinernoder Vergrößern der Spirale.Betrachten wir die Funktion r(ϕ) des Radius vom Umdrehungswinkel, so muss gelten, dass

die Drehung um jeden festen Winkel θ eine Streckung aller Radien mit einem festen Faktor λθbewirkt. Das heißt, dass für alle ϕ ∈ R gilt:

r(ϕ +θ) = λθ · r(ϕ).

Zunächst sehen wir, dass dann auch folgt: λθ r(ϕ−θ) = r(ϕ), d.h. r(ϕ−θ) = λ−1θ r(ϕ). Wieder-holen wir den Schritt r(ϕ +θ) = λθ ·r(ϕ), dann erhalten wir fürm∈N die Identität r(ϕ +mθ) =λm

θ · r(ϕ). Für n ∈N gilt weiterhin: r(ϕ +θ) = r(ϕ +n 1nθ) = λ n1n θ· r(ϕ), woraus wir schließen,

dass λ n1n θ

= λθ . Fassen wir dies zusammen, dann sehen wir, dass für alle rationalen Zahlen mn

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10.3 Ausblick 165

gilt: r(ϕ + mn θ) = λ

mn

θ · r(ϕ). Aufgrund der geforderten Stetigkeit gilt somit für alle reellen Zah-len x ∈ R:

r(ϕ + xθ) = λ xθ · r(ϕ).

Sei nun λ := λ1. Damit erkennen wir, dass es sich bei r(x) um nichts anderes als eine Exponen-tialfunktion handelt: r(x) = r(0+ x) = λ xr(0).In der Spiraldarstellung offenbarten also Exponentialfunktionen w(x) ihre zentrale algebrai-

sche Eigenschaft, w(x1+x2)w(0) = w(x1)

w(0) · w(x2)w(0) für alle x1, x2 ∈ R, dadurch, dass das Drehen der zu-

gehörigen Spirale genau dieselbe Veränderung des Bildes bewirkt wie das Verkleinern oderVergrößern dieser Spirale.Eine weiteres Koordinatensystem formen die Bipolarkoordinaten: Bei zwei im Abstand c

voneinander gegebenen festen Punkten F1 und F2 in der Ebene, werden mit zwei positiven Ko-ordinaten (r1,r2) die Abstände eines Punktes P zu F1 und F2 angegeben. Man sieht sofort, dasszwei Punkte in der Ebene außerhalb der Geraden F1F2 dieselben Koordinaten haben können.Dies tritt genau dann ein, wenn die Punkte durch Spiegelung an F1F2 ineinander übergehen.In diesen Koordinaten nehmen die Graphen mancher spezieller Funktionen wohlbekannte

Formen an. So werden konstante Funktionen zu Kreisen, lineare Funktionen, wie r1 =−r2+dfür d > c, werden zu Ellipsen und Funktionen r1 = r2 + d für 0 < d < c zu Hyperbeln. DieGraphen von Funktionen r1 = d

r2für c > 0 heißen Cassini Ovale und für den Spezialfall d = c2

erhält man die berühmte Lemniskate von Bernoulli. Bemerkenswert ist auch, dass kartesischeUrsprungsgeraden mit positiver Steigung in dieser Darstellung zu Kreisen werden, den Apollo-niuskreisen.

10.3.2 Andere Skalen

Eine einfache Art und Weise, die Vielfalt der Funktionsdarstellung ohne großen Aufwand zuerhöhen, ist der Einsatz zweier senkrecht aufeinander stehender Koordinatenachsen mit anderenSkalen. Zum Beispiel sind die logarithmischen Skalen nichts anderes als ein klassisches Beispielfür solche alternativen Skalen. Solche Skalen werden gegeben durch streng monoton steigendeFunktionen x(u) und y(v). Da, wo die üblicherweise die Zahl u bzw. v an der Koordinatenach-se steht, schreiben wir nun x(u) bzw. y(v). Statt eines kartesischen Graphen einer Funktion fbetrachten wir nun: {

(u,v) ∈ R2 ∣∣ y(v) = f (x(u))

}.

Im Fall der logarithmischen Skalen etwa ist eine (oder beide) der Funktionen x(u) bzw. y(v)gegeben durch x(u) = 10u oder y(v) = 10v. Hier kann man nun viele interessante Dinge unter-suchen: Welche Funktionen werden durch Ursprungsgeraden, welche durch allgemeine affineGeraden beschrieben, wenn man die Geraden in diese Koordinatensysteme zeichnet. WelchenEinfluss hat die Steigung? Was bedeutet Differenzieren? ...Neben den logarithmische Skalen bieten sich noch andere Skalen an wie Potenzfunktionen

und Kombinationen verschiedener Skalen. Hieraus kann eine Quelle für viele sinnvolle Übungenund kleine zu erforschende Fragen werden.

10.3.3 ... und mehr

Die Darstellung von Funktionen bleibt ein offenes Thema. Es gibt sicher noch weitere Dar-stellungsmöglichkeiten, wie z.B. durch Smith-Diagramme, die hier nicht besprochen wurden.

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166 10 Funktionen kann man nicht sehen

Die hier diskutierten Darstellungsformen können auch miteinander verknüpft werden. Dabeientstehen viele Fragen, wie etwa: Wie sieht das Newton-Verfahren aus der Perspektive der No-mogramme aus? Was bedeutet lokale lineare Approximation für die Spiraldarstellung und gibtes dort sinnvollerweise eine Ableitungsfunktion bzw. -spirale? Wie können einfache Differenti-algleichungen (wie f ′ = f oder f ′′ =− f ) im Rahmen von Nomogrammen oder durch die Brilleder Spiralen interpretiert werden? Manche dieser Fragen können uns zu neuen Einsichten führenund manche zeigen die Begrenztheit der entsprechenden Darstellung auf.Funktionen kann man nicht sehen. Und doch haben wir wichtige Aspekte sichtbar machen und

kleine Geheimnisse lüften können. Dabei bleibt zu entdecken, zu rechnen, zu argumentieren, zubeweisen und zu begreifen. Bei diesem Unterfangen können Programme wie GeoGebra helfen,Mathematik zu betreiben und tiefer zu verstehen.

Literatur

[Dor77] DOMORJAD A.P. (1977). Enzyklopädie der Elementarmathematik II. Hochschul-bücher für Mathematik (8), P.S. Alexandrov, A.I. Markuschewitsch, A.J. Chintschin(Red.),VEB Verlag der Wissenschaften, Berlin.

[Freu73] FREUDENTHAL, H. (1973). Mathematik als pädagogische Aufgabe. Band 1,2, Klett,Stuttgart.

[Freu83] FREUDENTHAL, H. (1983). Didactical Phenomenology of Mathematical Structures.Kluwer Academic Publishers, Doordrecht.

[Mal00] MALLE, G. (2000). Zwei Aspekte von Funktionen: Zuordnung und Kovariation. Ma-thematik lehren, Heft 103.

[Mal93] MALLE, G. (1993). Didadaktische Problem der elementaren Algebra. Vieweg Verlag,Wiesbaden.

[Spi67] SPIVAK, M. (1967). Calculus. Publish or Perish Inc., Berkeley.

[Doo78] VAN DOORMOLEN, J. (1978). Didaktik der Mathematik. Vieweg Verlag, Wiesbaden.

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Sachverzeichnis

Ableitungsfunktion, 85Ableitungskurve, 153, 154Ableitungsregel für Polynome, 95abstrakter Funktionsbegriff, 148al-Khwarizmi, 45algebraische Fläche, 68algebraische Kurve, 68Andere Skalen, 165Anpassungstest, 77Anzahl der Lösungen einer Gleichung, 58Approximation eines Flächeninhalts, 65Attraktor, 120, 137

Begriffsentwicklung, 13beurteilende Statistik, 69Binomialverteilung, 75Bipolarkoordinaten, 165Boxplot, 74

Captain Lill, 46Carlyle-Kreis, siehe Lill-KreisCassini Ovale, 165Chi-Quadrat-Testwert, 71

Definitionsgerade, 149Deltoide, 155Diagonalenschnittpunkt, 4differenzierbar, 96differenzierbare Funktion, 154Differenzregel, 93Diskriminante eines kubischen Polynoms, 63Diskriminante eines quadratischen Polynoms, 58Diskriminante mit drei Variablen, 66dreidimensionales Koordinatensystem, 61Dreieck, 156dynamische Geometrie als Werkzeug, 21–24

Ellipsen, 165entdecken, 1, 8, 14, 23, 26, 41, 43, 46, 85, 94, 95,

98, 101, 110, 111, 166Entscheidungskriterium, 70Erhaltungsgrößen, 22Euklid, 41

Euler, 103Eulerschen Zahl, 103experimentieren, 2, 13, 22–24, 26, 30, 33, 34, 41,

57–59, 69, 72, 75, 85, 92, 94, 98, 102,105, 109, 111, 148

Exponentialfunktion, 98, 104, 147

Fachsprache, 13Faktorregel, 93Fehlerwahrscheinlichkeit, 77Feigenbaum, 113, 125, 129Fermat, 105Fixpunkt, 117, 118, 137Flächeninhalt, 61, 65Flächeninhalt unter der Hyperbel, 105Fummelkonstruktion, 14Funktion

ganzrationale, 41, 49, 62, 63, 66lineare, 151–153quadratische, 41, 58

Funktionenplotter, 41Funktionsdarstellung, 160

GeoGebra-Experiment, 5geometrische Verwandschaften, 158Geradensteigung, 88Gleichungen, 159Gleichverteilung, 72Graph eines Polynoms, 57Grenzwert, 91Grenzwertsätze, 95

Höhenlinien, 160Höhenliniendiagramme, 161Höhensatz, 24Hüllkurve, 154heuristische Ansätze, 103heuristische Strategie, 21, 23heuristisches Werkzeug, 3Hilfslinie, 25–27, 29, 33–37historischen Genese, 108Hornerschema, 49Hyperbeln, 165

R. Kaenders, R. Schmidt (Hrsg.), Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen, DOI 10.1007/978-3-8348-8340-7,© Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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168 Sachverzeichnis

Hypothese, 69

Imaginary, 57implizite Gleichung, 67Integralrechnung, 65Invarianz, 92Inversenregel, 108Involutionen, 150Iteration, 111, 113, 150, 151

affine, 118graphische, 116, 121lineare, 113–115, 126quadratische, 119

Katalysator mathematischen Verständnisses, 1Kathetensatz, 25, 35klassische Kurven, 154Koeffizient, 57Koeffizientenvergleich, 63komplexe Zahlen, 53Komposition, 149konstante Funktion, 151Konstruktionsbeschreibung, 13Konstruktionsprotokoll, 15Konvergenz gegen den goldenen Schnitt, 150kubisches Polynom, siehe Polynom vom Grad 3

Lemniskate von Bernoulli, 165Lill-Kreis, 46Lills Methode, 49lineare Approximation, 153, 154linearer Koeffizient, 90Linearfaktorzerlegung, 52logarithmische Skalen, 165Logarithmusfunktion, 100, 104Lyapunov, 128Lyapunov-Exponent, 128, 129, 144, 145

Medieneuphorie, 20

Nachhaltigkeit, 76Nomogramm, 149, 157normierte Gleichung, 57Nullstelle, 41, 46, 49, 52, 57, 152

komplexe, 49

Ortskurve, 3

Parabel, 43, 59, 153, 154Parallelverschiebung, 92Parameter eines Polynoms, 57

Parameterraum, 67Parameterschätzen, 75Parametrisierung einer Kurve, 63Polarkoordinaten, 164Polynom, 49, 57, 87Polynom vom Grad 3, 62Polynom vom Grad 4, 66pq-Formel, 43, 58Produktregel, 93, 162Projektionen, 150Punktdiagramm, 73Punktmenge, 61

quadratische Ergänzung, 58quadratische Ergänzung, 44quadratische Gleichung, 45, 57, 160quadratisches Polynom, 57Quotientenregel, 95

Rückkopplung, 113Raute, 3regelmäßiges Fünfeck, 53Rekursion, 112, 113relative Lage, 161Repeller, 118, 122Repräsentationen von Funktionen, 148Riemann-Integral, 105robuste Konstruktion, 8

Satteldach, 161Satz vom Sehnenviereck, 29, 36, 37Satz vom Umfangswinkel, 23, 26, 29, 31, 35–37Schätzungen von Größenverhältnissen, 66Schätzen, 77Schatzsuche, 17Scheitelpunkt, 42Scherungsinvarianz, 92Schieberegler, 57Schnittpunkt, 160Sekante, 90Sekanten-Tangenten-Satz, 24, 25Sekantensteigung, 91Sigmaregel, 75signifikant, 74Simsongerade, 156Simulation, 70Spiraldarstellung, 165Spirale, 117, 118, 122, 164

logarithmische, 164Stangenviereck, 2Steigung, 151

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169

stetige Verzinsung, 104stochastischer Schwerpunkt, 73Streckungsfaktor, 152Stufentheorie, 13, 17Summenregel, 93Surfer, 57Symmetrie, 29, 30, 42Symmetrie bei Kurven, 68

Tangente, 90, 154, 159Tangentensteigungsfunktion, 85Tangentialfunktion, 154Testen

einseitig, 77zweiseitig, 77

Testwert, 71Toblerone-Diagramm, 161Translation, 151transzendent, 104Treppe, 126, 137

Umkehrfunktion, 100Umkreis, 24

Van Hiele, 13Variation, 21–24, 38, 39Variieren, 21, 38Verkettung, 112, 113Vernetzung innermathematisch, 67Verschieben, 156Verschiebung, 158Vollständige Induktion, 92Vorzeichen, 58Vorzeichentest, 72, 78

Wahrscheinlichkeit, 61, 65Werkzeug, 54Wertegerade, 149

Zahlenstrahl, 149zeichnerische Lösung, 152Zeitreihe, 114, 117, 124, 131, 134, 138zentrische Streckung, 152Zentrum, 151, 157Zinseszinsformel, 104Zirkel und Lineal, 53Zufall, 112, 143zufallige Polynome, 58

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Autorenverzeichnis

Horst Bennemann

Studienseminar für Lehrämter an SchulenAbteilung Gymnasium/GesamtschuleGodesberger Allee 13653175 Bonn

[email protected]

Prof. Dr. Rainer Kaenders

Universität zu KölnMathematisch-Naturwissenschaftliche FakultätSeminar für Mathematik und ihre DidaktikGronewaldstr. 250931 Köln

[email protected]

Dr. Oliver Labs

Universität zu KölnMathematisch-Naturwissenschaftliche FakultätSeminar für Mathematik und ihre DidaktikGronewaldstr. 250931 Köln

[email protected]

Maria Nelles

Studienseminar für Lehrämter an SchulenAbteilung Gymnasium/GesamtschuleGodesberger Allee 13653175 Bonn

[email protected]

Dr. Wolfgang Riemer

Studienseminar für Lehrämter an SchulenAbteilung Gymnasium/GesamtschuleClaudiusstr. 150678 Köln

[email protected]

Reinhard Schmidt

Studienseminar für Lehrämter an SchulenAbteilung Gymnasium/GesamtschuleHindenburgstraße 2851766 Engelskirchen

[email protected]

Günter Seebach

Im alten Garten 1353773 Hennef

[email protected]

Prof. Dr. Ysette Weiss-Pidstrygach

Mathematisches InstitutJohannes GutenbergUniversität MainzStaudinger Weg 955099 Mainz

[email protected]

R. Kaenders, R. Schmidt (Hrsg.), Mit GeoGebra mehr Mathematik verstehen, DOI 10.1007/978-3-8348-8340-7,© Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011


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