Migration bewegt GewerkschaftenHistorische Perspektiven auf ein Einwanderungsland wider Willen und widerständige Einwanderer
Simon Goeke
Erster Mai 1972 in München Foto: Rudolf Pröhl. Rechte beim Archiv der Münchner Arbeiterbewegung
Demonstration gegen die Diskriminierung beim Kindergeld in München 1974. Foto: Aly Poyraz. Rechte beim DoMiD-Archiv Köln
Erster Mai 1969 in München. Foto: Rudolf Pröhl. Rechte beim Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.
Erster Mai 1968 in München. Foto: Rudolf Pröhl. Rechte beim Archiv der Münchner Arbeiterbewegung. ---------------------------
I. Die Gewerkschaften und Anwerbung
II. Gewerkschaften und Migration – Dilemmata
III. Migrationspolitik der Gewerkschaften
IV. No Integration!?
V. Geschichte und Gegenwart!
Migration bewegt GewerkschaftenHistorische Perspektiven auf ein Einwanderungsland wider Willen und widerständige Einwanderer
Simon Goeke
I. Gewerkschaften und Anwerbeverträge
„Nachdem in den Jahren des
wirtschaftlichen Wiederaufbaus mehr
als zehn Millionen Vertriebene und
Flüchtlinge in den Arbeitsprozeß
eingegliedert waren, kam 1955 die
damals dringend erforderliche
Regelung über die Beschäftigung von
mobilen ausländischen Arbeitern
zustande – erstmalig nicht ohne und
nicht gegen die Gewerkschaften.“
Max Diamant, Bemerkungen zur sozialen und rechtlichen Lage ausländischer Arbeitnehmer, in: Studentische Politik, Heft 1/1970, Jg. 3, S. 44.
I. Gewerkschaften und Anwerbeverträge
„Die sozialen Mängel und Rückstände sind es, die
in Wirklichkeit die Arbeitskräfte vom Baugewerbe
abstoßen und den Mangel an Fachkräften
verursachen. [...] Wir wehren uns deshalb mit allen
uns zur Verfügung stehenden Kräften dagegen, daß
der derzeitige Arbeitskräftemangel, [...] durch die
Hereinnahme von Fremdarbeitern ausgeglichen
werden soll. [...] Der Mangel an Fachkräften im
Baugewerbe kann nicht durch eine Hereinnahme
von ausländischen Arbeitskräften behoben werden,
sondern nur dadurch, daß im Baugewerbe selbst
eine bessere Sozialpolitik als Anreiz für die
Tätigkeit in diesem Gewerbe betrieben wird.“
Georg Leber, Grundsätze und Aufgaben unserer Gewerkschaft. Referat gehalten am 8. September 1955 auf dem 3. ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Bau, Steine, Erden in München. Vgl.: Protokoll IGBSE-Gewerkschaftstag 1955, S. 472.
I. Gewerkschaften und Anwerbeverträge
Bedingungen der Gewerkschaften für eine Öffnung des
Arbeitsmarkts 1956:
1.Beschäftigung aller Arbeitslosen und nicht anerkannter
Flüchtlinge
2.Ausschöpfung aller stillen Arbeitsmarktreserven (insb.
Frauen)
3.Förderung der die Binnenmigration von Arbeitslosen
4.Mechanisierung/Rationalisierung und Förderung des
WinterbausVgl.: Walter Henkelmann, 100.000 italienische Arbeiter nach Deutschland?, in: Die Quelle, Jg. 7, Heft 1, 1956, S. 38 f.
I. Gewerkschaften und Anwerbeverträge
„Die Gewerkschaftsbewegung ist in
ihrem Denken und Handeln weitgehend
international. Unbeschadet dieser
internationalen Solidarität wird jedoch
keine Gewerkschaft eines Landes sich
mit dem Hereinströmen von
Arbeitskräften aus dem Ausland
einverstanden erklären können, solange
im eigenen Lande noch eine nicht
unbeträchtliche Zahl von Arbeitnehmern
arbeitslos ist oder Kurzarbeit leistet.“
Stellungnahme des DGB zur Frage ausländischer Arbeitskräfte, in der Sendung „Aus der Welt der Arbeit“ des NWDR Hamburg am 04.12.1954. Auszugsweise abgedruckt: Eine Stellungnahme des DGB, in: Die Quelle, Jg. 6, 1955, S. 37.
II. Gewerkschaften und Migration – Dilemmata1. Pro und Contra Migration
Contra Migration Pro Migration
Lohndruck durch mehr Angebot an Arbeitskräftenund Bereitschaft zu schlechteren Bedingungen zu arbeiten
Internationale Solidarität
Migranten als potentielle Streikbrecher Volkswirtschaftlicher Gewinn
Abwärtsspirale bei Löhnen und Arbeitsbedingungen
Unterschichtung sorgt für Aufstieg von einheimischen Beschäftigten
Vgl.: Rinus Penninx u.Judith Roosblad (Hg.), Trade unions, immigration, and immigrants in Europe, 1960 - 1993. A comparative study of the attitudes and actions of trade unions in seven West European countries, New York 2000, S. 4-10.
Pro Mitgliederwerbung Contra Mitgliederwerbung
Internationale Solidarität Hoher Aufwand an Resourcen
Glaubwürdigkeit als Arbeitnehmervertretung
Reduzierung einer Gefahr von Entsolidarisierung
Bei kurzfristiger Migration kann Organisierung als Fehlinvestition gelten
Erfahrungsaustausch und Gewinnung einer oft besonders aktiven Gruppe
Einheimische Mitglieder kann Aufwand als nicht gerechtfertigt sehen
II. Gewerkschaften und Migration – Dilemmata2. Pro und Contra Mitgliederwerbung
Vgl.: Rinus Penninx u.Judith Roosblad (Hg.), Trade unions, immigration, and immigrants in Europe, 1960 - 1993. A comparative study of the attitudes and actions of trade unions in seven West European countries, New York 2000, S. 4-10.
Contra Pro
Solidarität wird durch Sonderbehandlung geschwächt
Solidarität verlangt nach Umverteilung von den Starken zu den Schwachen
Spezifische Vertretung verstärkt die Marginalisierung
Ungleichheit erfordert affirmative Aktionen
Gewerkschaften sind nicht der Ort für Sonderinteressen
Gute Erfahrungen bei der spezifischen Interessenvertretung anderer Gruppen (Frauen, Jugend, Angestellte)
II. Gewerkschaften und Migration – Dilemmata3. Pro und Contra spezifische Interessenvertretung
Vgl.: Rinus Penninx u.Judith Roosblad (Hg.), Trade unions, immigration, and immigrants in Europe, 1960 - 1993. A comparative study of the attitudes and actions of trade unions in seven West European countries, New York 2000, S. 4-10.
Lohnentwicklung Reallohnsteigerungen
Arbeitszeit Verkürzung der Arbeitszeit durch Migration
Unterschichtung Fahrstuhleffekt für einheimische Arbeitnehmer
Volkswirtschaftlicher Nutzen Mehr Einnahmen als Ausgaben durch Migration
Export von Arbeitslosigkeit
Organisationsentwicklung Gute Erfolge bei Werbung von Migranten
Streikbrecher Solidarisches Verhalten der Migranten während
Tarifauseinandersetzungen
III. Migrationspolitik der Gewerkschaften1. Was waren die Erfahrungen mit Migration?
III. Migrationspolitik der Gewerkschaften1. Was waren die Erfahrungen mit Migration?
Erster Mai 1963 in München. Foto: Rudolf Pröhl. Rechte beim Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.
III. Migrationspolitik der Gewerkschaften1. Was waren die Erfahrungen mit Migration?
Erster Mai 1963 in Mannheim. Foto aus: Joachim Hoffmann, Metallarbeiter kontra Monopole. Zum Streikkampf der westdeutschen Metallarbeiter im Frühjahr 1963. Berlin 1963, S. 92.
Streikkundgebung der IG Metall 1963 in Mannheim. Foto aus: Joachim Hoffmann, Metallarbeiter kontra Monopole. Zum Streikkampf der westdeutschen Metallarbeiter im Frühjahr 1963. Berlin 1963, S. 91.
„Insgesamt zeigen die Streikerfahrungen aus
den letzten Jahren, wie sehr […] der Prozeß der
Eingliederung der ausländischen Arbeitnehmer
sichtbare Fortschritte gemacht hat. […]
Diejenigen Strategen, die immer noch hoffen,
die ausländischen Arbeitnehmer, im Ernstfall
gegen ihre deutschen Arbeitskollegen in Front
bringen zu können, verrechnen sich gründlich.“
III. Migrationspolitik der Gewerkschaften1. Was waren die Erfahrungen mit Migration?
Peter Steiner, "Streikerfahrung mit ausländischen Arbeitnehmern", in: Der Gewerkschafter, Nr.4/1966, S. 156.
Maßnahmen der Gewerkschaften:
● Internationale Zusammenarbeit
● Einrichtung von Beratungs- und
Betreuungsbüros mit ausländischen
Gewerkschaftsfunktionären
● Fremdsprachige Publikationen
● Schulung
III. Migrationspolitik der Gewerkschaften2. Betreuung und Werbung
Reaktion der ausländischen Beschäftigten auf die Arbeitsbedingungen:
● Fluktuation und Mobilität als Kampfmittel
● Wilde Streiks im Bergbau Anfang der1960er Jahre
● „Italiener-Streik“ in Wolfsburg
● Ford-Streik 1973
● Pierburg-Streik 1973
III. Migrationspolitik der Gewerkschaften3. Konflikte
IV. No Integration!?
● Integration als Antwort aufkonkrete Forderungen
● Gleiche Rechte oder Integration?
● Aufruf:
Demokratie statt Integration
„Die Rede von der Integration ist die Feindin der Demokratie!“
„Wenn Integration irgendetwas bedeuten kann, dann doch nur, dass alle drin stecken!“
www.demokratie-statt-integration.kritnet.org
Staatliche Kategorisierungen von Migration
– Sagen nichts über Migrationsmotiv aus
– Geben allein Aufschluss über gesetzlichen Rahmen
– Was unterscheidet einen heutigen Asylbewerbervon einem „Gastarbeiter“ der 1960er Jahre?
– Aus gewerkschaftlicher Perspektive keinUnterschied
V. Geschichte und Gegenwart