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Methoden der Psychologie - Uni Siegen

Date post: 22-Nov-2021
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Skript zu „Psychologie für Pädagogen“ - Methoden der Psychologie - 09.11.16: 11:09 1 Methoden der Psychologie Da die Erforschung der Psyche mit naturwissenschaftlichen Mitteln – also letztendlich im kontrollierten Experiment und mit genauer Messung – das Ziel der modernen Psychologie seit ihrer Gründung im 19ten Jahrhundert war, spielen die Methoden eine wichtige Rolle. Zudem gilt das geflügelte Wort, dass Wissen ohne Kenntnis der methodischen Voraussetzungen, unter denen es zustande gekommen ist, nur halbes Wissen ist. Da der Forschungsgegenstand, die Psyche, zwar Teil der Natur ist, sich aber offenkundig von unbelebter Materie deutlich unterscheidet, ist es in einigen Bereichen nicht einfach, durch kontrollierte Experimente die erstrebten Erkenntnisse zu gewinnen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn nicht objektive Daten, wie Verhalten oder physiologische Prozesse, sondern das subjektive Erleben im Zentrum der Forschung steht und zudem Erkenntnisse ökologisch valide, d.h. auch außerhalb der kontrollierbaren Laborsituation, gültig sein sollen. Was sind nun die Merkmale eines Experiments? Im Kern haben die von Wundt geforderten drei Kriterien an ein wissenschaftliches Experiment auch heute noch Gültigkeit: Willkürlichkeit, Wiederholbarkeit und Variierbarkeit. 1. Willkürlichkeit bedeutet, dass der Beginn, der Verlauf und das Ende des Experiments vom Wissenschaftler bestimmt und planmäßig kontrolliert werden kann. 2. Wiederholbarkeit bezieht sich darauf, dass das Experiment replizierbar sein soll und damit die Ergebnisse überprüft werden können. 3. Variierbarkeit meint, dass die im Experiment untersuchten Einflüsse einer Variablen – wie z.B. störender Lärm bei einer Rechenaufgabe – in verschiedenen Intensitäten oder gestuft eingeführt werden können. Die Erfüllung dieser drei Bedingungen macht es schwer oder gar unmöglich, besonders interessante psychische Phänomene, wie z.B. Schlafwandeln, intensive Emotionen oder Motivationslagen, aber auch Denkprozesse oder die Erinnerung an bedeutsame Lebensereignisse und deren Auswirkungen, experimentell zu untersuchen.
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Skript zu „Psychologie für Pädagogen“ - Methoden der Psychologie - 09.11.16: 11:09

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Methoden der Psychologie

Da die Erforschung der Psyche mit

naturwissenschaftlichen Mitteln – also letztendlich im kontrollierten Experiment und mit

genauer Messung – das Ziel der modernen Psychologie seit ihrer Gründung im 19ten

Jahrhundert war, spielen die Methoden eine wichtige Rolle. Zudem gilt das geflügelte Wort,

dass Wissen ohne Kenntnis der methodischen Voraussetzungen, unter denen es zustande

gekommen ist, nur halbes Wissen ist. Da der Forschungsgegenstand, die Psyche, zwar Teil

der Natur ist, sich aber offenkundig von unbelebter Materie deutlich unterscheidet, ist es in

einigen Bereichen nicht einfach, durch kontrollierte Experimente die erstrebten Erkenntnisse

zu gewinnen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn nicht objektive Daten, wie Verhalten

oder physiologische Prozesse, sondern das subjektive Erleben im Zentrum der Forschung

steht und zudem Erkenntnisse ökologisch valide, d.h. auch außerhalb der kontrollierbaren

Laborsituation, gültig sein sollen.

Was sind nun die Merkmale eines Experiments? Im Kern haben die von Wundt geforderten

drei Kriterien an ein wissenschaftliches Experiment auch heute noch Gültigkeit:

Willkürlichkeit, Wiederholbarkeit und Variierbarkeit.

1. Willkürlichkeit bedeutet, dass der Beginn, der Verlauf und das Ende des Experiments

vom Wissenschaftler bestimmt und planmäßig kontrolliert werden kann.

2. Wiederholbarkeit bezieht sich darauf, dass das Experiment replizierbar sein soll und

damit die Ergebnisse überprüft werden können.

3. Variierbarkeit meint, dass die im Experiment untersuchten Einflüsse einer Variablen –

wie z.B. störender Lärm bei einer Rechenaufgabe – in verschiedenen Intensitäten oder

gestuft eingeführt werden können.

Die Erfüllung dieser drei Bedingungen macht es schwer oder gar unmöglich, besonders

interessante psychische Phänomene, wie z.B. Schlafwandeln, intensive Emotionen oder

Motivationslagen, aber auch Denkprozesse oder die Erinnerung an bedeutsame

Lebensereignisse und deren Auswirkungen, experimentell zu untersuchen.

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Allgemein – und das ist für jedes wissenschaftliche Vorgehen typisch – lassen sich folgende

Stufen, die aufeinander aufbauen, unterscheiden. Jede Erkenntnis beginnt mit der genauen

Beobachtung. Wenn durch die sorgfältige Betrachtung von Phänomenen eine genaue

Beschreibung möglich ist, dann ist der nächste Schritt, die Abgrenzung unterschiedlicher

Phänomene nicht mehr weit: Es werden im Beobachtungsraum Klassen, d.h.

Klassifizierungen, gebildet. Nach diesen beiden noch beschreibenden Stufen kann im

nächsten Schritt eine Erklärung versucht werden, mit dem Ziel, Ursachen und

Entstehungsbedingungen nach dem Muster von Wenn-dann-Beziehungen zu nennen. Eine

Überprüfung eines solchen Kausalmodells kann letztendlich nur in einer experimentellen

Situation erfolgen, bei genauer Kontrolle über die untersuchten Variablen. Erst wenn in dem

Experiment die Überprüfung des Modells gelingt, kann eine sinnvolle Vorhersage gemacht

werden, die dann am Ende die Möglichkeit eröffnet, Interventionen vorzuschlagen, um z.B.

ungünstige Entwicklungen zu kompensieren.

Beobachtung und Beschreibung

Der Anfang jeder wissenschaftlichen Forschung ist also nicht das Experiment, sondern die

genaue Beobachtung der Phänomene. Die Frage, die es zu beantworten gilt, heißt: Was ist

das? Der genauen Beobachtung sollte die präzise Beschreibung folgen – ein scheinbar

einfacher und wenig störanfälliger Vorgang, aber Vorsicht ist schon hier geboten. Der

Beschreibungsakt reduziert zwangsläufig die ungeheure Informationsmenge und Vielfalt der

uns umgebenden Umwelt in zweierlei Hinsicht: Zum einen werden nur bestimmte

Ausschnitte beschrieben und zum anderen findet – meistens ohne dass man es bemerkt – eine

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Verallgemeinerung statt. Beides, sowohl die Ausschnittsauswahl wie auch die

verallgemeinernde Klassifizierung, können zu Fehlern mit weitreichenden Konsequenzen

führen. Deshalb sollten hier schon zwei begleitende Fragen immer präsent sein: Fällt etwas

Wichtiges weg? Und: Ist die Verallgemeinerung zulässig? Im Grunde genommen basiert jede

sprachliche Darstellung im Alltag auf diesem Prinzip.

Die Beobachtung ist eine grundlegende Methode der Datengewinnung in den

empirischen Wissenschaften. Man versteht darunter die zielgerichtete und

methodisch kontrollierte Wahrnehmung von Objekten, Ereignissen und

Prozessen. Man unterscheidet verschiedene Klassen der Beobachtung: die

Beobachtung im Feld vs. im Labor, die teilnehmende vs. die nichtteilnehmende

Beobachtung und die unstrukturierte (freie) vs. die strukturierte Beobachtung –

bei letzterer sind die Beobachtungskategorien festgelegt. Neben der

Verhaltensbeobachtung (Fremdbeobachtung) gehört in der Psychologie auch die

Selbstbeobachtung (Introspektion) dazu.

„Wie viel Mühe hat man sich in der Biologie z.B. in deren prätheoretischer Phase zunächst

einmal mit der genauen Beschreibung der untersuchten Sachverhalte gegeben. Eine

gleichartige Phase des ‚Käfer- und Schmetterlingsammelns’ sucht man in der Psychologie

vergebens. Es gibt kaum Ansätze zu einer generellen Morphologie menschlichen Verhaltens

und Erlebens.“ (Dörner in Bischof. S. 24 (Zit. S. 293))

Konrad Lorenz – als Biologe – nannte das übereilte Hinweggehen (eigentlich Hinwegsehen)

über die Beobachtungs- und Beschreibungsphase „… die Modetorheit, auf Beschreibung zu

verzichten“.

Der Beschreibung – insbesondere der exemplarischen – wohnt allerdings eine gewisse

Suggestivität inne, da sie mit Bildern und Geschichten arbeitet. Hier sind Menschen beim

Zuhören oder Lesen geneigt, sie ob der Bildhaftigkeit für wahr zu halten – man hat es ja

sozusagen mit eigenen Augen gesehen. Gerade wenn Auffälliges und häufig zu

Beobachtendes in der exemplarischen Darstellung verwandt wird, versagt der kritische

Verstand – dies wissen Politiker und Demagogen nur zu gut.

Klassifikation

Das Ziel, das Beobachtung und Beschreibung in der Wissenschaft verfolgen, ist die

Klassifikation. Mit der Klassifizierung der relevanten Phänomene, seien sie nun

physikalischer, physischer oder psychischer Natur, beginnt jede Wissenschaft. Das schon

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oben beschriebene Forschungsprogramm Wundts begann ebenfalls mit dem Versuch, die im

Bewusstsein auftretenden Inhalte mittels Introspektion genau zu beobachten und sie im

nächsten Schritt zu klassifizieren – wie erinnerlich fand er die beiden Klassen

„Vorstellungen“ und „Gefühle“.

Andere Wissenschaften waren zu dem Zeitpunkt schon deutlich weiter. Das von Carl von

Linné in lateinischer Sprache für die Pflanzenwelt vorgestellte Nomenklatursystem ist

sicherlich eines der bekanntesten. Erst auf dem Boden eines von allen geteilten

Ordnungssystems kann wissenschaftlicher Fortschritt gedeihen. In der Allgemeinen

Psychologie ist es in den letzten 100 Jahren gelungen, konsensuell geteilte Bezeichnungen für

die verschiedenen Oberklassen psychischer Phänomene einzuführen. Die Arbeit daran ist

natürlich noch nicht zu Ende. Am ausführlichsten sind die Beschreibungen von auffälligem

oder problematischem Verhalten und Erleben in den diagnostischen Manualen der klinischen

Psychologie und Psychiatrie.

In der Allgemeinen Psychologie findet die Klassenbildung schon auf der Ebene der

Teilbereiche statt. Wenn man – wie in diesem Einführungstext – die Bereiche Bewusstsein,

Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Lernen, Gedächtnis, Problemlösen, Emotion, Motivation

und Volition unterscheidet, sollte man sie natürlich auch definieren und so voneinander

abgrenzen (lat. definitio = Abgrenzung). Bei einigen gibt es (im Moment) zufrieden stellende

begriffliche Definition. Bei anderen stellt es sich als schwieriger heraus, und dann greift man

zu nützlichen Ergänzungen. So hat man in der Psychologie, wie auch z.B. in der Physik,

neben der begrifflichen Definition à la Brockhaus weitere Möglichkeiten, die Konzepte zu

charakterisieren und voneinander abzugrenzen: die operationalen und die funktionalen

Definitionen. Meistens fließen die drei Definitionsfacetten jedoch ineinander.

Drei Arten wissenschaftlicher Definitionen:

Begriffliche D.: Die Darstellung eines Begriffs durch die Beschreibung seiner

wesentlichen Merkmale. (Bsp.: Frustration = Zustand in einem Organismus, der

durch Unterbrechung einer zielgerichteten Tätigkeit entsteht. Lernen =

Sammelname für verschiedene komplexe Prozesse, die durch Übung oder

Erfahrung zu einer relativ zeitstabilen Verhaltensänderung führen.)

Operationale D.: Zielt weniger auf das Wesen einer Sache, sondern auf die

Operationen oder Messungen ab, mit denen das Konstrukt erfasst wird (Bsp.:

Temperatur = ist das, was das Thermometer misst - nämlich den Wärmezustand.

Oder: Intelligenz = ist das, was der Intelligenztest misst – nämlich die Fähigkeit,

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das Denken auf neue Forderungen einzustellen und bisher unbekannte Probleme

zu lösen.)

Funktionale D.: Die Begriffsbestimmung erfolgt durch die Beschreibung des

Zwecks oder der Funktion. (Bsp.: Emotion = psychische Funktion, die der

schnellen Bewertung, der Verhaltensvorbereitung und der Kommunikation dient.

Oder Bsp.: Gedächtnis = Die Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen und das Gelernte

zu behalten, um es bei weiteren Erfahrungen einsetzen zu können. [Achtung:

Gedächtnis dient auch als Bezeichnung für die Summe der erinnerbaren Inhalte.]

Oder Beispiel: Aggression = der von einer Absicht geleitete Versuch, eine Person

direkt oder indirekt zu schädigen.).

Die Einordnung eines Phänomens in eine Klasse, also die Klassifikation, ist schon die erste

Form des qualitativen Messens - z.B. wenn man beobachtetes Verhalten auf dem Schulhof als

aktiv oder passiv einstuft oder in einer Arbeitssituation das Verhalten der Gruppenmitglieder

als freundlich, neutral oder unfreundlich einstuft. Nach diesem Prinzip erfolgt auch das erste

Gespräch beim Arzt oder Psychologen, und durch das Vorhandensein bestimmter Symptome

(vorhanden vs. nicht vorhanden) kann dann eine vorläufige Diagnose gestellt werden.

Messniveaus

Nach der qualitativen Einordnung in Klassen, die auch als nominale Zuordnung bezeichnet

wird, kann dann im nächsten Schritt die Ausprägung des Beobachteten genauer bestimmt

werden. Die Fragen dazu sind z.B.: Wie häufig, wie intensiv, wie lange hält es an usw. Die

meisten Fragebögen in der Psychologie haben nicht nur ja oder nein als

Antwortmöglichkeiten, sondern sie verwenden mehrstufige Skalen (z.B sehr stark, stark,

mittel, wenig, gar nicht).

Dieser Schritt von der nominalen zur ordinalen Messung bedeutet, dass nicht nur nach

Klassen sortiert wird (Birnen oder Äpfel), sondern jetzt können Ergebnisse innerhalb einer

Klasse miteinander verglichen und (z.B. der Größe nach) angeordnet werden. Die Größe der

Unterschiede in den Ausprägungen eines Merkmals kann auf dem ordinalen Messniveau noch

nicht gemessen werden.

Dies ist erst dann möglich, wenn die Messung auf Intervall-Skalen erfolgt. Hier wird die

Verwendung von Zahlen nötig, deren Abstände per definitionem gleich sind (der Abstand von

1 zu 2 ist genau so groß, wie der Abstand von 27 zu 28 usw.) – in der Psychologie ist das z.B.

bei der Intelligenzmessung der Fall. Wenn Intervallskalen auch einen absoluten Nullpunkt

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haben (das ist z.B. bei Längen-, Zeit- oder Gewichtsmessungen der Fall), spricht man von

Verhältnis- oder Absolut-Skalen – wie erinnerlich spielen in der kognitiven Psychologie

Reaktionszeitmessungen eine wichtige Rolle, d.h. hier kann auf dieses „höchste“ Messniveau

zurückgegriffen werden.

Die Berücksichtigung des bei einer Messung zur Verfügung stehenden Messniveaus spielt

insbesondere für die statistischen Analysen und Modellbildungen eine wichtige Rolle – darauf

kann hier aber nicht näher eingegangen werden.

Allgemein kann man aber sagen, dass die Verbesserung der Messmethoden zur Verbesserung

der Experimentaltechniken und – last but not least – zu genaueren und besseren Modellen und

Theorien führt.

Gruppenrepräsentanten oder Gruppenkennwerte – Mittelwert, Median und Modus

Wenn Daten zu einer Fragestellung erhoben werden, ist es natürlich sinnvoll, statistische

Kennwerte für die einzelnen Gruppen zu ermitteln, um sie miteinander zu vergleichen. Der

bekannteste Kennwert ist das arithmetische Mittel, auch als durchschnittlicher Mittelwert oder

etwas lax als „Durchschnitt“ bezeichnet. Hierbei werden alle erhaltenen Werte miteinander

addiert und durch die Anzahl der Fälle (N) dividiert. Ein anderer Kennwert ist der Median,

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bei dem der Wert ermittelt wird, der genau 50 % der erhaltenen Daten unter sich und (was die

Konsequenz daraus ist) 50 % über sich – er halbiert die Daten sozusagen. Der Modus (auch

als Modal-Wert bezeichnet) ist der Wert, in dessen Beobachtungsklasse die meisten

Ergebnisse zu finden – es ist sozusagen der am häufigsten gemessene Wert.

Die Verwendung des arithmetischen Mittels ist dann angemessen, wenn die Daten

intervallskaliert sind und ihre Verteilung in etwa einer Normalverteilung entspricht – dann

kann der Unterschied von zwei erhaltenen Datengruppen relativ einfach auf statistische

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Signifikanz geprüft werden. Falls jedoch das Messniveau der Daten qualitativ ist (bei Ordinal-

und Nominaldaten ist das der Fall), dann ist es angemessen, den Median zu verwenden. Auch

wenn die Daten nicht normalverteilt sind, d.h. bei rechts- oder linksschiefen oder

mehrgipfligen Verteilungen – ist der arithmetische Mittelwert nicht aussagefähig. Der

Modalwert sollte dann mitgeteilt werden, wenn der am häufigsten ermittelte Wert in einer

Gruppe deutlich unter dem arithmetischen Mittel oder dem Median liegt, und bei

zweigipfligen Verteilungen sollten beide Gipfel-Werte mitgeteilt werden. Es ist in allen

Fällen immer empfehlenswert, vor jeder Datenanalyse eine einfache optische Inspektion der

Datenverteilung anhand einer graphischen Darstellung der Häufigkeitsverteilung der Daten

vorzunehmen.

Erklärung – Explikation

Die ersten Schritte wissenschaftlichen Vorgehens bestanden bisher aus Beschreibung und

Klassifikation. Wenn die interessanten Phänomene genau beschrieben und in ein vorhandenes

Klassifikationssystem nachvollziehbar eingeordnet werden können, kann der nächste Schritt

gewagt werden – die Erklärung des Phänomens hinsichtlich seiner Ursachen.

Bei den Beobachtungen werden natürlich auch immer wieder zeitliche Abfolgen auftreten, die

ein Vorher und Nachher offenbaren. Es liegt zunächst einmal nahe, das Vorher als Ursache

des Nachher anzusehen. Bei einfachen Abfolgen, wie z.B. eine Mücke landet auf meiner

Haut, sticht mich und es juckt dann einige Sekunden später, sind Ursache und Wirkung leicht

auszumachen. Die Erklärung ist eindeutig: Das Jucken hat seine Ursache im Mückenstich.

Wenn Ursache und Wirkung nah beieinander liegen, lassen sich auch in der Psychologie

Erklärungen relativ leicht finden – z.B. führt ein plötzlich auftretendes Geräusch zu einer

Orientierungsreaktion oder das mehrmalige Wiederholen von Vokabeln zu einer besseren

Erinnerungsleistung.

Wenn allerdings der zeitliche Abstand größer wird und nicht nur eine Vorläuferbedingung

auszumachen ist, sondern mehrere, die vielleicht noch ineinander verwoben sind, ist es

ungleich schwieriger. Mit dieser Situation sind wir z.B. konfrontiert, wenn es um die

Erklärung des Abschneidens deutscher Schüler in der internationalen PISA-Studie geht oder –

ungleich tragischer – wenn nach den Ursachen für das Amoklaufen eines 17-jährigen Schülers

gefragt wird. In beiden Fällen merkt man in den Interviews mit selbst- und fremdernannten

Experten unterschiedlicher Provenienz, dass viele Ursachenerklärungen ein wissenschaftlich

absicherbares Niveau nicht erreichen. Diese Spekulationen finden leider in den

Stellungnahmen von handlungsgetriebenen Politikern viel zu häufig ihren Platz mit der

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Forderung nach entsprechenden Konsequenzen, und Unsummen von Steuergeldern werden

dann – allerdings getragen von demoskopisch abgesicherten Bevölkerungsmehrheiten – in

hoch spekulative Maßnahmen gesteckt.

Korrelationen

Häufig ist es in Feldstudien – also in Untersuchungen außerhalb von Laborsituationen in wirklichen Lebenssituationen - schwierig, aus der Vielfalt der möglichen Beobachtungen Ursachen und Wirkungen zu identifizieren. Dies ist z.B. bei der PISA-Studie der Fall. Man kann nicht mit Sicherheit feststellen, ob und wie stark sich die beobachteten Merkmale gemeinsam verändern oder ob sie voneinander unabhängig sind und ob sie sich vielleicht gegenseitig beeinflussen. Möglicherweise gibt es ja nicht nur eine Ursache, sondern gleich mehrere. Um sich über die Zusammenhänge der beobachteten Phänomene – Variablen nennt man sie, wenn schon Möglichkeiten zur Messung vorliegen – Klarheit zu verschaffen, kann man deren Korrelationen berechnen. Die errechneten Korrelationskoeffizienten (r) können zwischen -1 und +1 liegen, wobei gilt: Je näher der Wert an 1 liegt (egal ob positiv oder negativ), desto größer der Zusammenhang zwischen den Variablen, wenn er dagegen gegen 0 geht, besteht kein Zusammenhang zwischen den Variablen. Bei einem ermittelten hohen Korrelationskoeffizienten (z.B. r = 0,67) gibt es also einen starken Zusammenhang zwischen den Variablen (z.B. Körpergewicht und Körpergröße) und man kann bei Kenntnis des Wertes einer Variablen (z.B. beim Körpergewicht) die Ausprägung der anderen Variable (z.B. Körpergroße) vorhersagen, und dies umso sicherer, je höher die Korrelation ausfällt. Ein positiver Wert (z.B. r = 0,66) indiziert, dass die korrelierten Variablen sehr häufig gemeinsam niedrige, mittlere und hohe Ausprägung besitzen. Ein negativer Wert (z.B. r = -0,59) bedeutet ebenfalls, dass ein Zusammenhang besteht, aber in umgekehrter Hinsicht, d.h. wenn die eine Variable hoch ausfällt, ist die andere niedrig und umgekehrt.

Als Illustration kann eine Feldstudie dienen, in der unter anderen zwei Variablen erfasst wurden: Zum einen wurde mittels verschiedener Indikatoren die Stärke der elterlichen Zuwendung ihren Kindern gegenüber erfasst, und zum anderen wurden Intelligenztests mit den Kindern durchgeführt. Es zeigte sich, dass die Häufigkeit elterlicher Zuwendung (EZ) und die Höhe der Intelligenz der Kinder (IK) relativ hoch positiv korrelieren (r = 0,59) Aus diesem Ergebnis ergibt sich also ein relativ enger Zusammenhang zwischen EZ und IK: Niedrige IK findet sich häufig bei niedriger EZ, mittlere IK findet sich häufig bei mittlerer EZ und hohe IK findet sich häufig bei hoher EZ. Dieser Zusammenhang wurde schnell aufgegriffen und führte zu der populären Formel, dass Zuwendung zu einer Intelligenzsteigerung führe. Aus dem gefundenen Zusammenhang zweier Variablen wurde eine simple und einleuchtende kausale Wirkung geschlussfolgert. Man kann aufgrund der Korrelation allerdings auch eine andere - genauso wenig absicherbare - kausale Schlussfolgerung ziehen: Intelligente Kinder fordern die Zuwendung von Eltern mehr heraus und möglicherweise macht auch der Umgang mit ihnen mehr Spaß. Intelligenz wird dann als Ursache und nicht als Auswirkung von Zuwendung angesehen. Wohlgemerkt beide kausalen Schlussfolgerungen sind aufgrund von Korrelationen nicht zulässig! Dieser Gedanke, Korrelationen vorsichtig und sorgfältig zu interpretieren, kann an dem beschriebenen Beispiel noch weiter illustriert werden. In einer später folgenden Studie zu dieser Fragestellung fand sich ein anderes, geradezu konträres Ergebnis. Hier wurde eine negative Korrelation zwischen EZ und IK gefunden (r = -0,46). In Worte gefasst

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bedeutet das: Je höher die Intelligenz der Kinder, umso weniger Zeit verbringen die Eltern mit ihnen. Dies würde, wenn man die oben beschriebene kausale Schlussfolgerung auch hierbei anwendet, zu der absurden Konsequenz führen, dass sich die Eltern von ihren Kindern fernhalten sollten, um die Intelligenzentwicklung zu fördern. Allerdings wurde hier eine entscheidende Moderatorvariable gefunden, die den Zusammenhang erklärbar machte - die beiderseitige elterliche Berufstätigkeit. Diese hat zwei Konsequenzen: Erstens führte dies zu weniger verbrachter Zeit mit den Kindern, aber gleichzeitig zu höherem Einkommen, das wiederum die Finanzierung anspruchsvoller Freizeitaktivitäten der Kinder möglich machte (Reiten, Tennis, Musikunterricht usw.).

Der experimentelle Ansatz – das Experiment

Die Ursache(n) eines bestimmten Phänomens kann (können) in großen Bereichen der

Psychologie letztendlich nur experimentell zweifelsfrei geklärt werden: also in der

absichtlichen Herbeiführung des zu untersuchenden Geschehens unter kontrollierten

Bedingungen zum Zwecke seiner genauen Beobachtung und Messung. Das absichtliche und

planmäßige Herstellen bedeutet, dass ein Vorgang, auf den man unter natürlichen

Bedingungen möglicherweise lange warten müsste, in einer passenden Situation und zu einem

passenden Zeitpunkt hervorgerufen wird (Willkürlichkeit s.o.). Dazu müssen die

angenommenen Ursachen künstlich hergestellt – man nennt das operationalisiert - werden,

aber alle anderen Einflüsse möglichst konstant gehalten werden. Die angenommene Ursache

wird im Experiment als unabhängige Variable (u.V.) bezeichnet, die in verschiedenen

Intensitätsgraden wirksam gemacht wird (Variierbarkeit s.o.). Die Auswirkungen dieser

experimentellen Bedingungen werden dann in den Reaktionen der Probanden gemessen.

Diese Reaktionen werden als abhängige Variablen (a.V.) bezeichnet und können in der

Psychologie das Erleben, das Verhalten wie auch physiologische Prozesse betreffen. Die

Reaktionen auf die experimentellen Bedingungen werden dann mit den Reaktionen einer sog.

Kontrollgruppe verglichen. Die Probanden in der Kontrollgruppe durchlaufen ebenfalls den

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gesamten Versuchsablauf mit allen Messungen (a.V.), aber es werden keine experimentellen

Bedingungen (u.V.) eingeführt. Nur durch diesen Vergleich der Ergebnisse aus der

Kontrollgruppe mit den Experimentalgruppen kann die tatsächliche Wirkung der untersuchten

unabhängigen Variablen beurteilt werden.

Der Vergleich der Ergebnisse in der Experimental- und Kontrollgruppe erfolgt meist durch

statistische Prüfverfahren. Es wird dabei die Wahrscheinlichkeit ermittelt, inwiefern der

Unterschied durch Zufall entstanden ist oder nicht. Man hat sich darauf geeinigt, dass eine

Zufallswahrscheinlichkeit von 5 Prozent und weniger als signifikanter Unterschied bezeichnet

wird - d.h. es ist dann mit 95-prozentiger Sicherheit auszuschließen, dass der Unterschied

zwischen den Gruppen durch Zufall entstanden ist. Anders gesagt, es ist zu 95 % sicher, dass

die Experimentalbedingung die Ursache des Unterschiedes ist.

Der Placebo-Effekt

In der Pharmaforschung geht man recht ähnlich vor, wenn die Wirkung eines neuen Medikaments geprüft wird. Hier wird es dann die Experimentalgruppen geben, die das neue Medikament in verschiedenen Dosen über einen definierten Zeitpunkt einnehmen – über den Zeitraum werden von Beginn an Messungen des Erlebens, Verhaltens und physiologische Messungen vorgenommen. Weitere Experimentalgruppen bekommen die bisher eingeführten Präparate – hier wird ebenfalls komplett gemessen. Zudem wird eine Kontrollgruppe eingeführt, die keine Medikamente in dem Zeitraum bekommt – auch hier wird komplett gemessen. Zuletzt wird eine Erwartungs-Kontrollgruppe eingeführt, die häufig als Placebo-Gruppe bezeichnet wird. Den Probanden in dieser Kotrollgruppe wird kein wirksames Medikament gegeben, sondern ein unschädliches und unwirksames Präparat, das allerdings genauso beschrieben wird wie das tatsächliche neue Medikament. Durch die Einführung dieser Erwartungs-Kontrollgruppe wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Erwartung einer Wirkung häufig schon allein ausreicht, um eine Wirkung zu erzielen – dieses rein psychische Phänomen gilt in der Medizin genauso wie in der Psychologie.

Nur durch die Ergebnisvergleiche der verschiedenen Experimental- und Kontrollgruppen lassen sich Rückschlüsse auf die tatsächliche Wirksamkeit des neuen Medikaments ziehen.

Wissenschaft allgemein:

„Es ist die Aufgabe jeder Wissenschaft, neue und interessante Tatsachen und

Zusammenhänge ans Licht zu fördern … und damit Information zu reduzieren.“

(aus: Bischof, N. (2008). Psychologie- Ein Grundkurs für Anspruchsvolle. Stuttgart: Kohlhammer. S 205 und S.

247, kursiv im Original)

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