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Metakognition per didaktisch-sozialem Vertrag

Date post: 23-Dec-2016
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18 Johann Sjuts Metakognition per didaktisch-sozialem Vertrag Zusamrnenfassung: Unter gewissen Bedingungen kann Metakognition die Effektivitat von Den- ken und Lemen erhOhen. So ist zu beachten, dass es weder eine inhaltsfreie noch eine unverbind- hche Entwicklung von Metakognition gibt. 1m unterrichtlichen Kontext bedarf Metakognition eines didaktisch-sozialen Vertrags. Der folgende Beitrag nirnmt irn empirischen Teil Bezug auf drei Pilotstudien, die Anlass geben, folgenden Fragen nachzugehen: Wie konnen Organisations- und Elaborationsstrategien helfen, kognitive Komplexitat in Mathematik zu bewaltigen? Wie konnen metakognitive Aktivitaten das Mathematiklemen verbessem? Wie kann ein entsprechen- der didaktisch-sozialer Vertrag zustande kommen? Abstract: Metacognition can, under certain conditions, increase the effectiveness of thinking and learning. Thus it has to be taken into consideration that there is neither a development of meta- cognition lacking content nor obligation. In the teaching context metacognition needs a socially negotiated didactic contract. The following paper refers in its empirical part to three pilot studies which give cause to look into the below questions: How can organizing and elaborating strategies help to cope with the cognitive complexity in mathematics? How can metacognitive activities improve the learning of mathematics? How can a corresponding socially negotiated didactic contract be achieved? 1. Metakognition und Lernen Bei dem Bemtihen, angesichts der Herausforderungen in der Wissensgesellschaft die Ergebnisse des fortwahrenden Lemens zu steigem, gewinnt Metakognition mehr und mehr an Bedeutung. Metakognition basiert auf der Fahigkeit des Menschen, tiber eige- nes Wissen, tiber eigenes Handeln und Denken und somit auch tiber eigenes Lemen reflektieren zu konnen. Metakognition stellt eine "Grundqualifikation zur Durchfiih- rung von Lemprozessen, eine Schliisselqualifikation fur Lemen" (Kaiser & Kaiser 1999, S. 172) dar. Metakognition wird gemeinhin verstanden als Denken tiber das eigene De,nken sowie als Steuerung des eigenen Denkens. Metakognition hat folglich eine deklarative und eine prozedurale (exekutive) Komponente (Kaiser & Kaiser 1999, Seel 2000). Hinzu- kommen muss indes die Aufmerksamkeit fur entsprechende Erfahrungen und Willens- leistungen, also eine motivationale (sensitive) Komponente (Seel 2000). Verkiirzt solI damit von deklarativer, prozeduraler und motivationaler Metakognition die Rede sein. 1.1 Deklarative Metakognition Dieser Bereich von Metakognition beinhaltet das Wissen eines Menschen tiber kogni- tive Gegebenheiten. Metawissen bezieht sich nach Flavell (1983) aufPersonen-, Aufga- ben- und Strategievariablen. Es urnfasst somit das diagnostische Wissen, das jemand tiber das eigene Denken und das anderer Personen besitzt und das sich durchaus generalisieren Hisst, das bewertende Wissen tiber Aufgaben und Anforderungen sowie das strategische Wissen tiber Losungswege und Erfolgsaussichten. Das Metawissen und damit die Entwicklung des so genannten Metagedachtnisses spie- len eine Rolle bei Lem- und Gedachtnisleistungen, also bei Anforderungen des Einpra- (JMD 24 (2003) H. 1, S. 18-40)
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Johann Sjuts

Metakognition per didaktisch-sozialem Vertrag

Zusamrnenfassung: Unter gewissen Bedingungen kann Metakognition die Effektivitat von Den­ken und Lemen erhOhen. So ist zu beachten, dass es weder eine inhaltsfreie noch eine unverbind­hche Entwicklung von Metakognition gibt. 1m unterrichtlichen Kontext bedarf Metakognition eines didaktisch-sozialen Vertrags. Der folgende Beitrag nirnmt irn empirischen Teil Bezug auf drei Pilotstudien, die Anlass geben, folgenden Fragen nachzugehen: Wie konnen Organisations­und Elaborationsstrategien helfen, kognitive Komplexitat in Mathematik zu bewaltigen? Wie konnen metakognitive Aktivitaten das Mathematiklemen verbessem? Wie kann ein entsprechen­der didaktisch-sozialer Vertrag zustande kommen?

Abstract: Metacognition can, under certain conditions, increase the effectiveness of thinking and learning. Thus it has to be taken into consideration that there is neither a development of meta­cognition lacking content nor obligation. In the teaching context metacognition needs a socially negotiated didactic contract. The following paper refers in its empirical part to three pilot studies which give cause to look into the below questions: How can organizing and elaborating strategies help to cope with the cognitive complexity in mathematics? How can metacognitive activities improve the learning of mathematics? How can a corresponding socially negotiated didactic contract be achieved?

1. Metakognition und Lernen

Bei dem Bemtihen, angesichts der Herausforderungen in der Wissensgesellschaft die Ergebnisse des fortwahrenden Lemens zu steigem, gewinnt Metakognition mehr und mehr an Bedeutung. Metakognition basiert auf der Fahigkeit des Menschen, tiber eige­nes Wissen, tiber eigenes Handeln und Denken und somit auch tiber eigenes Lemen reflektieren zu konnen. Metakognition stellt eine "Grundqualifikation zur Durchfiih­rung von Lemprozessen, eine Schliisselqualifikation fur Lemen" (Kaiser & Kaiser 1999, S. 172) dar.

Metakognition wird gemeinhin verstanden als Denken tiber das eigene De,nken sowie als Steuerung des eigenen Denkens. Metakognition hat folglich eine deklarative und eine prozedurale (exekutive) Komponente (Kaiser & Kaiser 1999, Seel 2000). Hinzu­kommen muss indes die Aufmerksamkeit fur entsprechende Erfahrungen und Willens­leistungen, also eine motivationale (sensitive) Komponente (Seel 2000). Verkiirzt solI damit von deklarativer, prozeduraler und motivationaler Metakognition die Rede sein.

1.1 Deklarative Metakognition

Dieser Bereich von Metakognition beinhaltet das Wissen eines Menschen tiber kogni­tive Gegebenheiten. Metawissen bezieht sich nach Flavell (1983) aufPersonen-, Aufga­ben- und Strategievariablen. Es urnfasst somit das diagnostische Wissen, das jemand tiber das eigene Denken und das anderer Personen besitzt und das sich durchaus generalisieren Hisst, das bewertende Wissen tiber Aufgaben und Anforderungen sowie das strategische Wissen tiber Losungswege und Erfolgsaussichten.

Das Metawissen und damit die Entwicklung des so genannten Metagedachtnisses spie­len eine Rolle bei Lem- und Gedachtnisleistungen, also bei Anforderungen des Einpra-

(JMD 24 (2003) H. 1, S. 18-40)

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gens, Behaltens und Erinnerns. 1m giinstigsten Fall sind einem Menschen die eigenen Starken und Schwachen bekannt. Urteilsvermogen dagegen ist gefragt bei der Ein­schatzung der Schwierigkeiten, die eine gestellte Aufgabe enthalt. Eine Bewertung bezieht sich selbstverstandlich auf die Aufgabe selbst, vor aHem aber auf das Verhaltnis zwischen eigenem Leistungsstand und Aufgabenschwierigkeit. Zudem ist ein' Wissen iiber Strategien notig, dariiber, ob sich Losungsideen zur Bewaltigung einer Aufgabe eignen, dariiber, wie wirkungsvoll bestimmte Vorgehensweisen sind.

1.2 Prozedurale Metakognition

Die prozedurale Metakognition verbindet die vor, wahrend und nach einer Aufgaben­bearbeitung liegenden Tatigkeiten des Planens, Uberwachens und Priifens, bei denen eine Person sich gewissermafien selbst iiber die Schulter blickt. Laut zu denken, das eigene Denken und Handeln zu protokollieren, ein Lerntagebuch anzufertigen, sind Regulation und Kontrolle unterstiitzende Methoden. Eine Wirkung von Vorausschau, Innehalten und Riickschau, von Handlungsbegleitung iiberhaupt, kann insbesondere darin liegen, eine Neubestimmung der eigenen Position zu gewinnen.

Das Augenmerk zur Erforschung metakognitiver Strategien hat sich - gerade in der Psychologie - vornehmlich auf Textverstehen und ProblemlOsen gerichtet. Eine ge­zielte Vermittlung und Forderung solcher Strategien ist in der Regel verbunden mit dem selbstregulierten Lernen (Opwis 1998, Boekarts 1999), dem strategischen Lernen (Artelt 2000). Dazu liegen auch Handlungsanweisungen mit gestuften Operationa­lisierungen vor. Zu nennen sind etwa der weiter ausdifferenzierbare Dreischritt des Wiederholens, Organisierens, Elaborierens (Kaiser & Kaiser 1999) und manche ande­ren Rezeptionssequenzen aus der Lesepsychologie.

1.3 Motivationale Metakognition

Voraussetzung dafiir, dass jemand Metakognition betreibt, sind Bereitschaft und Gespur. Es mussen somit Motivation und Willenskraft fur den Einsatz metakognitiver Strategien vor1iegen. Oder sie miissen entwicke1t werden, etwa dadurch, dass die Lo­sung einer gestellten Aufgabe a1s Herausforderung empfunden wird. Ebenso ist ein Gespur fur das Leistungsvermogen eigener kognitiver Aktivitaten unerlasslich. Eine soIche Sensibilitat ist Folge metakognitiver Erfahrungen. Denn aus diesen Erfahrungen resultieren Fahigkeiten zur Introspektion und zur Einschatzung einer zweckmiilligen Nutzung des eigenen deklarativen und prozeduralen Metawissens.

1m tatsachlichen Vollzug von Metakognition gibt es ein kompliziertes Zusammenspie1 der angesprochenen Komponenten, die sich empirisch kaum trennen lassen (Hasselhorn 1998). Doch so vie11asst sich wohl sagen: Metakognitive Erfahrungen und Empfindun­gen sind erforderlich fur Aufbau und Einsatz metakognitiver Kenntnisse und Strate­gien. Metawissen erganzt die Nutzung metakognitiver Prozesse.

1.4 Befnnde nnd Folgerungen

Die Untersuchungsergebnisse zur Metakognition haben einen Doppelcharakter: Meta­kognition erhOht die Effektivitat von Denken und Lernen, aber Metakognition ist an Bedingungen gebunden.

Zah1reiche empirische Studien belegen die Wirksamkeit von Metakognition (Hassel­horn 1998, Opwis 1998, Kaiser & Kaiser 1999). Hervorzuheben ist dabei die nachge-

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wiesene "Wirksamkeit einer expliziten und gezielten Vennittlung von Strategien, die die Planung von Lemaktivitaten, die Bewertung des eigenen Lernfortschritts an den angestrebten Lernzielen durch aktive Selbstiiberwachung sowie die flexible Regulation des eigenen Lemverhaltens am Ergebnis dieser Bewertung thematisieren" (Opwis 1998, S. 374). Und aus der so genannten Experten-Novizen-Forschung stammt das Ergebnis: "Die Uberlegenheit von Experten gegeniiber Novizen basiert neben ihrem umfangreicheren und geordneteren bereichsspezifischen Wissen auch auf ihrer Hihig­keit, Denk- und Probleml6sungsprozesse reflexiv, und das heillt metakognitiv zu be­gleiten." (Kaiser & Kaiser 1999, S. 171)

Zusammen genommen gilt Metakognition geradezu als Protokompetenz. "Sie ist Be­dingung fur den Erwerb und die Anwendung einer Vielzahl von SchliisselqualifIka­tionen, etwa der zum selbstandigen Umgang mit Problemen, des Selbstlemens, der Flexibilitat. In diesem Sinn optimiert Metakognition Lemen und f6rdert Transfer. Sie setzt die vollen M6glichkeiten frei, iiber die ein Subjekt von seinem Repertoire an kognitiven Strategien her verfugt." (Kaiser & Kaiser 1999, S. 172).

Aber: Versuche, komplexe kognitive Kompetenzen wissensisoliert zu vennitteln, er­weisen sich als weitgehend wirkungslos. Es gibt keine Denkschulung und kein Lemenlemen unter Umgehung einer fachspezifIschen Begriffsbildung und eines fach­spezifischen Methoden- und Fertigkeitserwerbs (Reusser 1998). Und weiterhin: "Deklarative Kenntnisse iiber das Lemen sind im Vergleich zu prozeduralen Fertig­keiten der Lemsteuerung nurvon begrenzter Wirksamkeit." (Weinert & Schrader 1997, S. 327) Kurse und Trainingsprogramme, die versprechen, Expertentum iiber das eigene Lemen zu vermitteln, nahren Illusionen.

Die Konsequenz liegt auf der Hand, namlich, "dass kein Weg urn das zeitaufwendige -auf die abstrakte Systematik von Wissensformen und auf die Charakteristika konkreter situativer und funktionaler Kontexte gleichermafien Riicksicht nehmende - Durch­arbeiten fachlicher Inhalte einschlieBlich des methodischen und abstrahierenden Herauslosens relevanter begrifllich-schematischer und prozesshaft-strategischer Merk­male herumfiihrt" (Reusser 1998, S. 152).

Neben der didaktisch-fachlichen ist die sozial-unterrichtliche Einbindung von aus­schlaggebender Bedeutung. Kein Vorgehen kann die Entwicklung von Metakognition einfach an die Lemenden iibertragen. Selbstandiges Lemen erfolgt nicht dadurch, dass fremdgeleitetes Lemen schlicht vennindert wird, ja eine Uberbetonung des eigen­standigen Lemens verringert sogar dessen Wirkung. Lemende miissen sorgfaltig ange­leitet und auch iiberzeugt werden, den Erwerb langfristigen Wissens mit dem Erwerb metakognitiver Kenntnisse und Fertigkeiten zu verkniipfen und das so aufgebaute Wis­sen wiederum zur Steuerung des eigenen Lemens zu nutzen (Reusser 1998). Lehr­kraften kommt daher die unverzichtbare Aufgabe des Anleitens, Beratens, Unter­stiitzens und Sicherstellens bei der angestrebten Kultivierung von Metakognition zu.

Es gibt also weder eine inhaltsfreie noch eine unverbindliche Entwicklung von Meta­kognition. Anregung und Anwendung metakognitiver Aktivitaten erfolgen, indem Inhaltsbeziige und Unterrichtsabmachungen eingehalten werden. Kurz: Die F6rderung von Metakognition bedarf eines didaktisch-sozialen Vertrags.

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Die Theorie yom didaktischen Vertrag, yom "contrat didactique", stammt aus der fran­zosischen Mathematikdidaktik. Sie befasst sich mit den "impliziten Regeln, die in einer Klasse die Beziehungen zwischen dem Lehrer und den Schiilern bestimmen" (Laborde 1991, S. 39) und hat ihren Ausgangspunkt in den Arbeiten von Brousseau und Chevallard (Laborde 1991).

2. Metakognition im Mathematikunterricht

Vor allem die Psycho10gie widmet sich der Untersuchung von Metakognition in grofier Breite (Boekarts 1996, See12000). Daneben beschiiftigen sich auch die Fachdidaktiken mit dem Thema. Obgleich der interdisziplinare Charakter von Metakognition es eigent­lieh gebietet, gibt es nur wenige wissenschaftliche Verknupfungen.

In der Mathematikdidaktik ist insbesondere das Werk Polyas (z. B. 1949) zu nennen. Polya schlagt fur das Entdecken und das Prob1emlosen im Mathematikunterricht strate­gische und heuristische Prinzipien vor, die zur Entwicklung eines reflexiven Denkens beitragen sollen. Den Begriff Metakognition verwendet er nicht. Gleichwohl hat er die Mathematikdidaktik inspiriert, Reflexion und Metakognition zum Forschungs­gegenstand zu machen. Uber entsprechende Untersuchungen berichten Schoenfeld (1992) und De Corte (1995).

Die in diesem Beitrag nun nachfolgend angesprochenen Moglichkeiten von Meta­kognition beim Mathematiklernen entstammen dem Ansatz, Mathematik als Werkzeug zur Wissensreprasentation (Cohors-Fresenborg 1996, 2001a) aufzufassen. 1m Rahmen des DFG-Projekts "Analyse von Unterrichtssituationen zur Einubung von Reflexion und Metakognition im gymnasialen Mathematikunterricht der S I" hat das Institut fur Kognitive Mathematik der Universitat Osnabriick metakognitive Konzepte und Aktivi­taten zu systematisieren versucht (Cohors-Fresenborg 2001b). Zu verweisen ist weiter­hin auf die Beitrage von Griep (2001), Kaune (1999, 200lc), Sjuts (1999a, 1999b, 200la, 200lb, 200lc, 2002a).

2.1 Metakognition im (kollektiven) Unterrichtsarrangement

Die Fordemng von Metakognition und entsprechender Hand1ungsweisen von Schii­lerinnen und Schtilern bedarf eines bestimmten Unterrichts. Er zeichnet sich aus durch eine stillschweigende Ubereinkunft zwischen Lehrperson und Lerngmppe, sich mit den Unterrichtsinhalten tiefgehend und griindlich auseinander zu setzen, durch Diskursivitat hinsichtlich Verstehen und Verstandigung sowie durch geeignete Aufgabenstellungen zum Denken und Wissen.

2.1.1 Unterricht als Kontrakt

Versucht man einen Unterricht zu beschreiben, der durch metakognitive Aktivitaten gepragt ist, kann man ein Szenarium entwerfen, das folgende Frage nach sich zieht: Wie gelingt es einer mit Metakognition vertrauten Lehrperson, eine diesbeziiglich unkundige Klasse so zu verandern, dass Metakognition zum festen Bestandteil des Mathematiklernens wird? Man kann das Szenarium auch urnkehren, und dann ergibt sich folgende Frage: Was muss eine mit Metakognition nieht vertraute Lehrkraft hin­zulernen, urn eine an Metakognition gewohnte Klasse unter Aufrechterhaltung ent­sprechender Aktivitaten zu unterrichten? 1m Prinzip existieren solche Situationen,

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namlich dann, wenn ein Lehrerwechsel erfolgt. Und mit einem Lehrerwechsel andert sich in der Regel der Unterricht. Es wird ein unausgesprochener und ungeschriebener Vertrag ausgehandelt. Ein neuer Unterrichtskontrakt entsteht.

Fur beide Szenarien lassen sich zunachst Bedingungen nennen, unter denen mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Erfolg eintritt. Solche Bedingungen liegen vor, wenn Lehr­person oder Klasse gewisse Grundpositionen nicht vertreten. Sie beziehen sich auf Verarbeitungs- und Verstehensintensitat, auf Denken und Klaren, auf Anspruch und Anstrengung. Fuhlt man sich nicht verpflichtet, auf Verstehen und Durchdringen, auf Absichern und Behalten, auf Prazisieren und Systernatisieren, auf Ruckfragen und Nachfragen, auf Erortern und Ringen, auf Nachdenken und Reflektieren zu bestehen, wird sich keine Unterrichtskultur mit Erfolg versprechenden metakognitiven Aktivi­taten ergeben.

Ebenso lassen sich Bedingungen anfuhren, die ein Gelingen des durch Metakognition gepragten Unterrichts ermoglichen. Dazu gehOren auf Lehrerseite unabweisbar und vor allem fachliche Kompetenz, stoffdidaktische Sicherheit sowie die Fahigkeit zur inhalts­bezogenen und inhaltsubergreifenden Lern-, Denk- und Verstehensprozessanalyse, ebenso ein padagogisches Menschenbild und die Akzeptanz der Individualitat lernender Personen, ja ihre Wertschatzung.

Unter diesen Voraussetzungen kann sich eine Lehrperson auf eine geschulte Klasse gewiss einstellen. Sie kann so auch im anderen Fall einen Unterricht etablieren, in dem sich Wollen und Konnen von Metakognition entwickeln. Angeregt durch die Lehrerin oder den Lehrer, sollte die Lerngruppe sich ein fachliches und sprachliches Repertoire aneignen, sollte sie Rahmungen und Prozeduren aufbauen, sollte sie die erwahnten Raltungen als selbstverstandlich annehmen oder als lohnendes Ziel anstreben. Ober geeignete Aufgabenstellungen, uber geeignete Gestaltungselemente eines diskursiven Unterrichts ist ein Gew6hnungsvorgang m6glich, der zu einem didaktisch-sozialen Vertrag zwischen Lehrperson und Klasse fiihrt.

Innerhalb der aus einem Schulversuch hervorgegangenen Neuorientierung des Mathe­matikunterrichts entsprechend dem Konzept "Mathematik als Werkzeug Zur Wissens­reprasentation" hat sich in verschiedenen Klassen mehrerer Schulen bei unterschied­lichen Lehrkraften gezeigt, dass ein Vertrag in dem gewtinschten Sinne unter gewissen Bedingungen entsteht (Cohors-Fresenborg & Kaune 1993, Sjuts 1993). Der folgende auf Schwank (1993) zUrUckgehende Einstieg aus dem Schillertextbuch "Einfuhrung in die Computerwelt mit Registermaschinen" (Cohors-Fresenborg & Kaune & Griep 1995a) demonstriert beispielhaft, wie der Gewohnungsvorgang im 7. Schuljahrgang eingeleitet werden kann.

Ein Spiege1ei und seine Folgen. Es sagte der Koch zwn Lehrling: ,,Ninun das Ei und schlag es in die Pfanne!" Der Junge tat, wie ihm geheiBen, und bald brutzelten Eigelb, Eierschalen und EiweiB lustig in der Pfanne. Der Koch war entsetzt. Ratte er nicht eine genaue Anweisung gegeben, was der Lehrling zu tun hatte? Er uberlegte und hielt sich den Fluss der erforderlichen Arbeitsschritte vor Augen. Ach, wie unvollstandig war doch seine Anweisung! Der Erfolg seiner Gedankenarbeit war die Entwicklung eines allgemeinen Verfahrens, wie man sich ein Spiegelei brat. Kein dununer Koch!

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Aufgabe 1.1: a) Finde Grande dafur, dass diese Geschichte am Anfang eines Mathematikbuches steht. b) Schildere eine ahnliche Situation. c) Wer hat das Missverstandnis verursacht?

So wie der Koch hier dem Lehrling einen Auftrag erteilt, so konnen wir einen Roboter, der unsere Befehle versteht, mit bestimmten Aufgaben beauftragen. NatUrlich kann der Roboter auch fUr uns Spiegeleier braten, aber darauf kommt es uns hier nicht an. Wir wollen ihn veranlassen, Rechnungen durchzufiihren.

Diese Geschichte vermag den beschriebenen Unterrichtsanspruch gleich zu Beginn des (gymnasialen) Mathematikunterrichts zu etablieren. Es werden umstandslos Fragen thematisiert, die zuvor ungewohnt gewesen sein durften. Ganz bewusst weicht selbst die Reihenfolge der Fragen yom sonst ublichen Vorgehen abo Uber die Analyse von Kommunikationsprozessen - hier: von Gesagtem, Gemeintem und GehOrtem - erfolgt ein Nachdenken uber Mathematik und Mathematik-Verstehen. Und die nachfolgende Betrachtung des Verhaltens von Robotem beim Ausfuhren von Algorithmen "ist so eingefadelt, dass es sich urn eine Kognition im Bereich einfacher metamathematischer Fragestellungen handelt - mit dem Ziel, dadurch Metakognition uber eigenes Begriffs­verstandnis zu induzieren" (Cohors-Fresenborg 2001b, S. 147). Die zu allen Unter­richtsbuchem vorliegenden (Lehrer-)Handbucher (z. B. Cohors-Fresenborg & Kaune & Griep 1995b) sorgen uberdies dafur, dass nicht nur Aufgabenlosungen ausfuhrlich kommentiert sowie Voraussetzungen und Schwierigkeiten erlautert werden, sondem dass uber die Hilfestellung zur Unterrichtsgestaltung Didaktik und Methodik transpa­rent werden.

2.1.2 Diskursivitlit

Ein Unterricht, der nicht hauptsachlich darauf ausgerichtet ist, dass der vorgesehene Stoff vollstandig "dran" gewesen ist, sondern vor allem darauf, dass der behandelte Inhalt zu einem aktiven Wissen der SchUlerinnen und SchUler geworden ist, ruckt die Verstehensdimension in den MiUelpunkt. Dafur steht der Begriff des "verstandnis­intensiven Lernens" (Fauser 2002). Er "solI ausdrucklich herausstellen und beschrei­ben, was zur Qualitat erfolgreichen Lernens wesentlich gehOrt und wie ein solches Lemen gefordert werden kann" (Fauser 2002, S. 60). Metakognition ist konstitutives Merkmal eines solchen Lernens. Dabei kommt einem "verstandigungsintensiven" Vor­gehen eine SchlUsselroHe zu (Fauser 2002). Der diesbezrtgliche Unterricht ist gepragt von Diskursivitat, yom Austausch der individuellen Vorstellungen der SchUlerinnen und Schuler, yom Abgleich ihrer Argumente, von Anspruch und AusmaB ihrer gedank­lichen Klarungen.

Der diskursive Unterricht nimmt die Unterschiedlichkeit der Lemenden ernst; er setzt sich intensiv mit ihren mentalen Konstruktionen und Modellen auseinander. Ein solcher Unterricht verdient auch die Bezeichnung konstruktivistisch, da er auf die individuellen kognitiven Aktivitaten abhebt. Die Lemenden haben ihre Wissenskonstrukte offen zu legen und sie einer Bewahrung auszusetzen, gegebenenfalls zu differenzieren und zu modifizieren.

Nun ist es keineswegs so, dass Diskursivitat ausschlieBlich den Gesprachsunterricht erfordert. Dagegen sprechen vor aHem die bekannten verstandnishemmenden Inter-

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aktionsmuster und die Begrenztheit der kommunikativen "Bedeutungsaushandlung". Lernende kOnnen jedoch durch passende Aufgabenstellungen veranlasst werden, ihre mentalen Konstruktionen mittels der ihnen zur Verfiigung stehenden Artikulations- und Repraseiltationsformen nach millen zu kehren und sie dann einer Analyse zu unter­ziehen. Dafiir ist selbstverstandlich ein sprachliches, auch ein fachsprachliches Instru­mentarium bereitzustellen.

Wandlungsbediirftig fur diese Vorgehensweise sind ebenso Rolle und Verhalten der Lehrpersonen. Lehrkrafte haben das Lerngeschehen zu organisieren und zu moderieren, gleichwohl auch die Aufgabe, den Diskurs zu entfachen, dabei zu provozieren und zu pointieren sowie einem fachlichen und gedanklichen Niveau Geltung zu verschaffen. Sie sind fur Entwurf, Verwirklichung und Einhaltung des zugehOrigen didaktisch­sozialen Vertrags wesentlich verantwortlich.

Auch die Diskursivitat mag mittels eines Beispiels illustriert werden. Es handelt sich urn eine transkribierte Szene aus dem Mathematikunterricht einer 9. Klasse (Kaune 1999, S. 282):

Aufgabe:

Der Graph jeder Funktion, die nach dem Schema p(a, b, c, x) = a(x - bF + c mit a f- 0 defi­niert wird, ist eine Parabel. Saleh eine Parabel wird am Ursprung gespiegelt. Gib fur die gespie­gelte Parabel das zugehorige Funktiansschema an.

Transkript:

Die Losung van A.B.: pia, b, c, x) = -a(x + bF- c stehtan der Tafel.

2 Julia: Also, ich meine das auch. Und zwar, weil 0 erst mal, wenn das am Ursprung gespiegelt wird, dann muss die Offnung unten sein und das hat

4 er halt mit dem -a. C .. ) Weil, iihm C .. ) dann C .... ) ... Ahm, das istja einmal an der C .. ) Argumentachse dann gespiegelt und dann mtisste iihm -b, iih,

6 +b hin, da das ja b dann im Minusbereich sein muss und dann muss auch -c hin, -c ... 7 C .. )

8 (Getuschel, Gelachter) Julia: Ja klar. Ahmja, das wird dann an der C ... ) Funktionswertachse gespiegelt

10 und das muss auch im Minusbereich sein, also muss ein Minus dahin. L.: Hmm ... Christoph!

12 Christoph: Ja, Julias ist eigentlich fast richtig, bis auf, dass sie gesagt hat, dass es nach unten geoff net ist. Ich Wtirde eher sagen andersrum als sie ...

14 L.: Kannst du erkliiren, warum das ein Unterschied ist, ob du sagst ,,nach unten geoffnet" oder "andersrum"7

16 Christoph: Weil a istja nicht unbedingt eine positive Zahl, die Variable a, weil es kann auch eine negative sein. Ich glaube, Julia hat sich vorgestellt, dass a

18 einfach nur eine positive Zahl ist, und wenn man da ein Minus vorsetzt, das negativ ist.

In ihrer Analyse erlautert Kaune (1999) zunachst die mentalen Reprasentationen von Parabeln und Bildparabeln der beteiligten Personen, sodann das Verstandnis der auf­tretenden Variablen a, b und c einschlielHich der Inversenbildung. So interpretiert der Schuler Christoph die Inversenbildung (von a) als Formalisierung des Prozesses des Umdrehens der Parabeloffnung. Er zeigt ein entwickeltes Variablenverstandnis, er

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offenbart auch metakognitive Fahigkeiten. "Bemerkenswert ist, dass Christoph sich nicht nur darauf beschrankt, den Fehler in Julias Beitrag aufzudecken, sondem viel­mehr auch erklart, wie es zu diesem Fehler kommen konnte: ,1ch glaube, Julia hat sich vorgestellt, .. .'." (Kaune 1999, S. 283) Erkennbar ist der Zusammenhang von Repra­sentation und Metakognition. Metakognition ist eben dann moglich, wenn geistige Werkzeuge zur Wissensreprasentation zur Verfiigung stehen (Sjuts 2001b). Unter die­sen Bedingungen konnen auch gedankliche Vorstellungen von Mitschiilem aufge­nommen und erortert werden (wie hier bei Julia und Christoph). Eine geeignet akzen­tuierende Moderation durch die Lehrperson untersttitzt die Unterrichtsdiskursivitat, indem die am Gesprach Beteiligten veranlasst werden, genau aufeinander einzugehen. Erfahrungen zeigen, dass daraus insgesamt eine Nachhaltigkeit mathematischer Lehr­Lemprozesse erwachst (Kaune 1999).

Allerdings ist neben der Fahigkeit zur Diskursivitat auch die Bereitschaft dazu von Bedeutung; nur wer imstande und willens ist, verfiigt tiber ein metakognitives "Betriebssystem", das ein "gedankenloses" Betreiben von Mathematik rasch zu erken­nen und zu stoppen vermag (Kaune 2001a).

2.1.3 Aufgabenstellungen

Vor aHem Aufgaben ermoglichen es, auf kognitive und metakognitive Aktivitaten Ein­fluss zu nehmen. Formulierung und Gestaltung von Aufgaben sowie ihre jeweilige Platzierung im Lehr-Lem-Prozess liegen fast uneingeschrankt in der Hand der Leh­rerinnen und Lehrer. Daraus resultiert die Forderung nach einem wohliiberlegten Ein­satz.

1m Hinblick auf die Anregung von Metakognition seien einige Moglichkeiten kurz skizziert. Passende AufgabensteHungen nehmen Bezug aufUnterrichtsszenen, Schiiler­dialoge, auf Fehler und Fehlvorstellungen, aufkognitive Dissonanzen. Verlangt werden Kommentare, Analysen und Hilfestellungen. Dabei ist die Verschriftlichung der eige­nen Gedanken das tragende Prinzip.

Die Gestaltung einer geeigneten Aufgabe fullt haufig aufunterschiedlichen Vorstellun­gen, die mit Verweis auf namentlich erwahnte Personen die Aufgabe einleiten und zum Gegenstand einer Er6rterung werden. Die iiber die Aufgabenstellung evozierten Ant­worten und AuBerungen, die so genannten Eigenproduktionen, beinhalten dann eine Rekonstruktion der den Personen zugeschriebenen Denkvorgange. Mittels der Analyse des Denkens anderer offenbart sich das eigene Denken, mittels der Analyse von Feh­lern und Fehlvorstellungen anderer werden eigene sichtbar und im giinstigsten Fall sogar behoben.

Metakognition anregende Aufgaben liegen mittlerweile in groBer Ftille vor (Kaune 1999, 2001a, 2001b, 2001c, Sjuts 1999a, 1999b, 2001a, 2001b, 2001c, 2002a). Ais beispielhaft mag die folgende Aufgabe mit ausgewahlten, durchaus typischen Schiiler­lOsungen aus dem Mathematikunterricht einer 8. Klasse gelten (Sjuts 1999b, S. 214-217):

Aufgabe:

Ein haufiger Schiilerfehler ist: -a ist eine negative Zahl. Erlautere, wie es zu dieser Fehleinschat­zung kommen kann.

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LOsungen:

(1) Das Minuszeichen vor dem a ist kein Vorzeichen, sondern die Funktion i. Manche Schuler denken jedoch, es ware ein Vorzeichen. In Wirklichkeit ist -a ira).

(II) Die Schuler meinen sicher, das - vor dem a ist ein Vorzeichen, es ist aber ein Funktionszeichen i und i gibt die Gegenzahl an. Wenn a jetzt -4 ist, ist -(-4) = 4 und 4 ist positiv.

(Ill) Zu dieser Fehleinschatzung kommt es haujig, wei! die Schuler oft nicht bedenken, dass das Minuszeichen auch das Funktionszeichen der Funktion i sein kann. Deswegen kann -a auch eine positive Zahl sein, wenn a negativ ist.

(IV) Diese Fehleinschatzung kann deshalb kommen, wei! das - entweder das negative Vorzeichen, das Zeichen des inversen Elementes oder ein Rechenzeichen der Subtrak­tion sein kann. Bei dieser Aufgabe steht es aber fur das Zeichen des inversen Elemen­tes, und nicht das negative Vorzeichen.

Diese aus einem Klassensatz stammenden SchUlerlosungen decken eigene Vorstel­lungen und Fehlvorstellungen zum Variablenverstandnis auf (Sjuts 1999b). Mentale Modelle werden somit durch die Aufgabenstellung nach auBen gekehrt. Sie sind einer Analyse zuganglich. Die angebotenen Hilfeleistungen enthUllen das Denken dieser Personen. Aus der Bewertung (Cohors-Fresenborg & Sjuts 2001) lasst sich dann eine gezielte individuelle Remediation ableiten.

Auch hier ist anzumerken, dass der Nutzen geeigneter Aufgaben sich erst durch Ge­wohnung und Einiibung ergibt, vor allem aber dadurch, dass solche Aufgaben Teil der Unterrichtsanlage insgesamt sind. Die Wirksamkeit hangt entscheidend yom Inein­andergreifen aller Bestandteile des Unterrichts ab (Kaune 2001a). Aufgaben sichem gewissermaBen den didaktisch-sozialen Vertrag. Berichtigungen von Lernzielkontrol­len (Griep 2001) in einer entsprechenden Gestaltung leisten ebenfalls einen unter­stiitzenden Beitrag. Und die Einstellung der Schiilerinnen und SchUler zur Art des Unterrichts spiegelt sich dann in ihren Selbsteinschiitzungen wider (Sjuts 1993).

2.2 Metakognition beim (individuellen) Lernvorgang

Jede Person betreibt mehr oder weniger ausgepragt Metakognition, auch wenn sie sich dessen nicht immer bewusst ist. Ziel schulischen Unterrichts ist es, metakognitive Fahigkeiten in moglichst allen Dimensionen (weiter) zu entwickeln, sie zweckgerichtet und absichtsvoll einzusetzen, ein handlungsbegleitendes Denken so einzuiiben, dass daraus eine vertragliche Abmachung mit sich selbst entsteht.

Dazu ist es notig, Gewohnheiten zu etablieren, vor allem im Bereich der Selbstiiber­wachung (Monitoring), Mechanismen der Selbsteinschiitzung zu verstarken sowie Fahigkeiten der Introspektion (auch der Antizipation und der Empathie) auszubauen.

Die folgenden Ausfiihrungen sollen Ansatzmoglichkeiten aufzeigen. Sie beziehen sich auf Forschungen zur Schulalgebra. Dafiir liegen empirische Befunde aus drei Pilot­studien vor. Diese Studien seien zunachst kurz geschildert. Beteiligt waren drei vonein­ander unabhiingige Versuchsgruppen, die zu ganz unterschiedlichen Zeiten Testauf­gaben zu bearbeiten hatten. Die Versuchsgruppe I bestand aus insgesamt 82 Schiilerin­nen und Schiilem; es handelte sich urn je zwei zehnte Klassen aus zwei Gymnasien.

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Die Versuchsgruppe II bildeten 16 SchUlerinnen und SchUler, die zur Leistungsspitze aller sechs zehnten Klassen eines anderen Gymnasiums gehOrten. Die Versuchsgruppe III schlieBlich rekrutierte sich aus den jahrgangs- bzw. schulbesten SchUlerinnen und SchUler profilierter Schul en, die nach einer bundesweiten Ausschreibung und einem leistungsbezogenen Auswahlverfahren fur eine Sommerakademie zur "Kognitiven Mathematik" gewonnen worden waren. Diese Gruppe bestand aus 18 Oberstufen­schUlerinnen und -schUlern. Die drei Gruppen unterschieden sich also sehr deutlich im Leistungsverm6gen. Sie reprasentierten ein durchschnittliches, ein iiberdurchschnitt­liches und ein weit iiberdurchschnittliches Niveau.

Den drei Gruppen wurden Aufgaben zur Elementaralgebra vorgelegt, jeweils sechs in zwei verschiedenen Aufgabenformaten. Zwei Beispiele der auf Richtigkeit zu iiberprii­fenden Herleitungen seien genannt, dazu das erste und das zweite Aufgabenformat:

Folgende Herieitungen sind auf ihre Korrektheit zu uberprtifen. Am Ende jeder Herleitung sind die getroifenen Feststellungen anzukreuzen.

((b + 3)(b - 3»2

(b2-9)2

b4 - 81

(b2+ 9)(b2-9)

(b + 3)2(b - 3)2

Diese Herleitung ist korrekt. 0

(1)

(2)

(3)

(4)

Diese Herleitung ist nicht korrekt. 0

Der erste FeWer befindet sich in Zeile (1) 0 ,(2) 0 ,(3) 0 ,(4) 0 .

Folgende Herleitungen sind auf ihre Korrektheit zu uberprtifen. Bekanntlich erhtiht sich die Sicherheit in der Beurteilung, wenn man Schritt fUr Schritt vorgeht und die Konzentration stets auf eine Zeile richtet. Dazu soll das beigefUgte blaue Blatt als Abdeckung benutzt werden und die Herleitung jeweils Zeile fUr Zeile aufgedeckt werden.

1st eine Zeile als nicht korrekt angekreuzt worden, kann zur nachsten Herleitung ubergegangen werden.

(-a - b)(-a + b)

-(a + b)(-a + b) Korrekt. 0 Nicht korrekt. 0

-(a + b)(b - a) Korrekt. 0 Nicht korrekt. 0

-(a2 _ b2) Korrekt. 0 Nicht korrekt. 0

_a2 _ b2 Korrekt. 0 Nicht korrekt. 0

Nach den kaum voneinander abweichenden Ergebnissen zu den zwei Aufgaben­formaten ist zu vermuten, dass die Probanden aller Versuchsgruppen ihre vorhandenen Selbstiiberwachungsmechanismen bei beiden Aufgabenformaten in gleichem AusmaB einsetzten.

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28 Johann Sjuts

2.2.1 Selbstiiberwachung

Die im Test eingesetzten Aufgaben verlangten stets, vorgelegte Termumformungen auf Korrektheit zu uberprtifen. Eine solehe Anforderung ist ohne jeden Zweifel Bestandteil des mathematisehen Kerneurrieulums. Es konnte deshalb angenommen werden, dass erforderliehe Kenntnisse und Fertigkeiten vorhanden waren, Fehlvorstellungen so gut wie gar nieht vorlagen und dass jede Versuehsperson etwaige Fluehtigkeiten oder Naehlassigkeiten bei hinreiehender Konzentration und Aufmerksamkeit selbst zu erkennen vermoehte.

Unter diesen Pramissen sind nun die erreiehten Resultate zu erortern. Die durehsehnitt­liehe Erfolgsquote lag in der Gruppe I bei 40 %, in der Gruppe II bei 75 % und in der Gruppe III bei 85 %. Aueh wenn die Teilnehmerzahlen dieser Pilotstudien nieht hoeh sind und daher alle Deutungen mit einer gewissen Vorsieht aufzunehmen sind, kann man zur weiteren Absieherung noeh eine Teilgruppe heranziehen, namlieh das beste Zehntel der Versuehsgruppe I. Diese Teilgruppe, Gruppe I a genannt, hat wie die Gruppe II eine Erfolgsquote von etwa 75 %. Einige Fragen drangen sieh auf: Warum kommen Sehiilerinnen und SchUler zweier Sehulen unabhangig voneinander uber das unbefriedigende Ergebnis von 40 % nieht hinaus? Wie erklart sieh der deutliehe Sprung zu 75 %, wenn man - sogar auf untersehiedliehe Art - das beste Zehntel eines Jahr­gangs nimmt? Und warum erreiehen diejenigen, die zu den Spitzenkraften eines Landes gehOren, nieht mehr als 85 % im Durehsehnitt?

Hinsiehtlieh der erforderliehen (und wohl aueh vorhandenen) Kenntnisse und der benotigten (und wohl aueh trainierten) Fertigkeiten wird bei den drei Gruppen kein nennenswerter Untersehied bestehen. Somit kann eine bereiehsspezifisehe Wissens­domane (hier: Termumformungen) die aufgetretenen Differenzen nieht erklaren. Zu vermuten ist daher, dass die der prozeduralen Metakognition zuzuordnenden Meeha­nismen der Selbstiiberwaehung, -kontrolle und -iiberpriifung von hoher Bedeutung sind. Dafur sprieht, dass die Wirkung dieser Meehanismen sieh dureh die Veranderung des Aufgabendesigns hin zu einer unmittelbaren, direkten Dberwaehung ("On-line­monitoring") nieht mehr steigern lieB.

Vor aHem der Vergleieh von Aufgaben, die gleiehe Kenntnisse verlangten, aber unter­sehiedliehe Losungsquoten ergaben, stutzt die These, dass Bestandteile von Selbst­uberwaehung, in gewisser Weise also Konzentration, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit, einen hohen Erklarungswert besitzen. So wurde der Fehler in der Umformung

5y - 3y(0,5y + 0,25)

2y(0,5y + 0,25)

haufiger erkannt als der Fehler in der Urnformung

X(X2 - 2)(5x - 12)

x3 - 2x(5x - 12).

In beiden Fallen ware bei Vorhandensein einer Klammer (urn 5y - 3y bzw. x3 - 2x) ja alles riehtig; eine Fehleridentifizierung ist daher mit gleiehem Algebrawissen moglieh. Der Saehverhalt, dass im zweiten Beispiel zwar eine Klammer beseitigt wird (aus X(X2 - 2) wird riehtigerweise x3 - 2x), aber eine neue Klammer erforderlieh wird (weil

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ein Faktor folgt), verlangt irn Vergleich zurn ersten Beispiel eine hOhere Wachsamkeit. Sie kann beispielsweise darin zurn Ausdruck kommen, dass man zusatzlich die Rech­nung in urngekehrter Reihenfolge durchfiihrt.

Die Konsequenz liegt auf der Hand: Ein Vnterricht, der didaktisch das Niveau der fachlichen Griindlichkeit und der per irnpliziter sozialer Vereinbarung den Standard des gedanklichen Aufwands erhOht, verbessert seine Qualitat.

2.2.2 Selbsteinschlitzung

Zur Selbsteinschatzung von Metakognition gehOrt zurn einen die Selbstgewissheit, in der Fachliteratur als "feeling of knowing" (Kaiser & Kaiser 1999) bezeichnet und dort den Kontrollprozessen zugerechnet, zurn and r .en die Selbstauskunft tiber den Einsatz intrapersonaler Steuerungs- und Kontrollvr .gange. Auch hier liefert der Vergleich der drei Versuchsgruppen aufschlussreiche Ergebnisse.

Zu bearbeiten waren nach Erledigung der zu tiberpriifenden Terrnumforrnungen fol­gende Items:

1. Ich bin mir meiner Antworten sieher (1: hbehst unsieher, 5: hbehst sieher).

1: 0 2: 0 3: 0 4: 0 5: 0

2. Ich habe alles genau ge1esen (1: hbehst ungenau, 5: hbehst genau).

1: 0 2: 0 3: 0 4: 0 5: 0

3. Ich habe mieh mit mogliehen Fehlerquellen griindlieh besehaftigt (1: iiberhaupt nieht, 5: sehr griindlieh).

1: 0 2: 0 3: 0 4: 0 5: 0

4. Ich habe meine Antworten griindlieh gepriift (1: iiberhaupt nieht, 5: sehr griindlieh).

1: 0 2: 0 3: 0 4: 0 5: 0

5. Ich habe mir vorgestellt, ieh miisste einer anderen Person gegeniiber Reehensehaft ablegen (1: nie, 5: haufig).

1: 0 2: 0 3: 0 4: 0 5: 0

Die folgende Tabelle enthalt die arithrnetischen Mittelwerte:

Item 1 2 3 4 5

Versuchsgruppe I 3,04 3,67 3,24 3,05 2,09

Versuchsgruppe II 3,44 4,13 3,63 3,44 2,31

Versuchsgruppe III 4,39 4,28 3,67 3,61 2,83

Vnd die nachstehende Graphik veranschaulicht diese Resultate:

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30 Johann Sjuts

5

4,5

4

3,5

3

2,5

2

1,5

1

0,5

0

1 2 3 4 5

Der untere Graph gehOrt zur Versuchsgruppe I, der mittlere zur Versuchsgruppe II und der obere zur Versuchsgruppe III.

Bei aller Zweifelhaftigkeit von Selbstauskunften (Artelt 2000) sind doch zwei Ergeb­nisse augenfilllig. Erstens: Die Differenz der Erfolgsquoten der drei Versuchsgruppen findet eine Entsprechung in den Selbsteinschiitzungen. Es gibt bei keinem Item eine Abweichung in der Reihenfolge. Zweitens: Besonders deutlich sind die Abstande bei der Selbstgewissheit, beim "feeling of knowing". Uber Detailanalysen lassen sich nun weitere Deutungshypothesen gewinnen.

Die Unterschiede der Versuchsgruppen hinsichtlich Selbstgewissheit sind gerade an­gemerkt worden. Dabei ragt der hohe Wert der Versuchsgruppe III heraus. Die weit uberdurchschnittlichen SchUlerinnen und SchUler haben nicht nur ein ausgepragtes "feeling of knowing", sondem woW ebenso ein hohes Selbstvertrauen, ein hohes Selbstbewusstsein. Sie sind nicht nur in Mathematik, sondem - nachgewiesen durch ihre Zeugnisnoten - in fast allen Unterrichtsfachem aufierordentlich erfolgreich. Einige von ihnen haben einen Schuljahrgang oder sogar zwei Schuljahrgange ubersprungen. Die meisten haben uberdies an aufierschulischen Sonderveranstaltungen, an Wett­bewerben und Olympiaden teilgenommen. Sie haben sich dem Kraft:emessen und dem Leistungsvergleich mit anderen gestellt. Ihre Selbstsicherheit grundet sich auf Konnen und Erfahrung.

Zu betrachten sind sodann die Resultate zu Item 2. Die Versuchsgruppen II und III geben an, alles deutlich genauer gelesen zu haben als Versuchsgruppe I. Nun ist hier nieht in erster Linie eine Textverstehenskompetenz von Bedeutung, allenfalls beim

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Lesen des Aufgabentextes, sondern vor aHem eine Genauigkeit im Erfassen der vorge­legten algebraischen Ausdrticke. Der verstandige Umgang mit Symbolen gehOrt zum Anforderungsprofil "Formalisierung von Wissen" (Cohors-Fresenborg & Sjuts 2001), das ausdrtickt, inwieweit die Wahrscheinlichkeit, eine Aufgabe zu losen, von der Fahigkeit abhangt, zugehOrige Werkzeuge einzusetzen. Werkzeuge zur Formaiisierung von Wissen sind niitzlich oder sogar unverzichtbar, sie betreffen indes nicht nur die ErsteHung, sondern auch die Erfassung von Formalisierungen. Genau dieser Teil spielt bei den Termumformungen eine Rolle. Und diesbeziiglich weist die Versuchsgruppe I gegeniiber den anderen eingestandenermaJkn eine klar geringere Genauigkeit auf.

Die Unterschiede der Versuchsgruppen . flederholen sich bei Item 3 und 4. Vergleichs­weise hoch und kaum voneinander unterscheidbar liegen die Gruppen II und III, deut­lich darunter die Gruppe I. Uberdurchschnittliche Schiller beschaftigen sich also grtindlicher mit Fehlerquellen, sie prtifen ihre Antworten grtindlicher als der Durch­schnitt. Man konnte annehmen, sie tun das, obwohl sie selbstsicherer und fachlich souveraner sind, man konnte aber ebenso gut sagen, sie sind besser, weil und indem sie das tun.

Am wenigsten wichtig bei allen Versuchsgruppen ist eine fremde Autoritat, der gegen­iiber die Probanden Rechenschaft abzulegen sich vorstellen. Zwei Interpretationen sind denkbar. Einerseits hangen Korrektheit oder Nichtkorrektheit einer Termurnformung iiberhaupt nicht von Personen abo Dass die Probanden ihre Antworten nicht an eine Person kniipfen, sondern an die Sache, ist richtig und so gesehen auch begri.illenswert. Andererseits Hisst die Selbstauskunft auch vermuten, dass die Probanden nicht immer Rechenschaft ablegen konnen, also nicht fur aHe Termumformungen Argumente nen­nen konnen, wie das bei einer Herleitung im Sinne eines strengen Beweises erforderlich ware. Dann ware ihre nicht vorhandene Sicherheit Ausdruck eines Mangels an inhalt­lichem Begrtindungswissen.

FUr die bereits erwahnte Teilgruppe I a ergibt sich bei den Selbstauskiinften folgende Bilanz:

Item 1 2 3 4 5

Versuchsgruppe I a 3,25 3,88 3,63 3,25 2,25

Die Teilgruppe I a liegt insgesamt naher an der Gruppe II als an der Gruppe I. Dieses Ergebnis ist angesichts der genannten Erfolgsquote von 75 % erwartungsgemlill. Bemerkenswert ist, dass wiederum bei keinem Item eine Abweichung in der Reihen­folge festzusteHen ist. Angesichts der Probandenzahlen und der Vorbehalte gegeniiber Selbstauskiinften erscheint es aber ratsam, die Interpretationen nicht zu iiberdehnen.

2.2.3 Kognitive Komplexitlit

Die Deutung der Ergebnisse darf nicht vemachlassigen, dass die Aufgaben gewisse Schwierigkeiten enthalten, die den Probanden mehr oder weniger komplexe Denk­vorgange abverlangen. Die Teile, die zur Losung einer Aufgabe gehOren, konnen unter­schiedlich zusammengesetzt sein. Die kognitive Komplexitat beinhaltet, "ob die Losung einer Aufgabe mittels paralleler und damit gleichzeitig zu berticksichtigender

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32 Johann Sjuts

Denkschritte erfolgt oder ob eine Staffelung von Denkschritten in einer zu beachtenden Reihenfolge stattfindet." (Cohors-Fresenborg & Sjuts 2001, S .151)

Zu verweisen ist emeut auf die bereits genannten Beispiele:

Erstes Beispiel:

5y - 3y(0,5y + 0,25)

2y(0,5y + 0,25)

Hier uberlagem sich Denkvorgange. Die vorgelegte Rechnung 5y - 3y = 2y suggeriert Richtigkeit. Zu beachten ist aber gleichzeitig, dass nicht der ganze Term 5y - 3y mit der nachfolgenden Klammer zu multiplizieren ist, sondem nur der zweite Teil des Terms. Urn die Nichtkorrektheit festzustellen, muss man folglich einen Gedanken­schritt zurUckgehen.

Zweites Beispiel:

X(X2 - 2)(5x - 12)

x3 - 2x(5x - 12).

Auch hier uberlagem sich Denkvorgange. Zunachst ist festzustellen, dass das Ausrech­nen von X(X2 - 2) zulassig ist. Dann ist diese Rechnung unter korrekter Anwendung des Distributivgesetzes durchzufuhren. Schliefilich ware aber der richtig errnittelte Term x3

- 2x in Klammem zu setzen, da er ja insgesamt mit dem folgenden Term zu multipli­zieren ist. Die Nichtkorrektheit erschliefit sich also dadurch, dass man zwei Gedanken­schritte zurUckgeht.

Es erscheint durchaus plausibel, den geringeren Erfolg beim zweiten Beispiel auch auf die Komplexitat der Denkvorgange zurUckzufuhren. Und auch der Unterschied in den Erfolgsquoten der Versuchsgruppen bei ein und derselben Aufgabe lasst sich zu einem Teil so erklaren. Wer in der Lage ist, mehrere Denkvorgange parallel oder gestaffelt zu bewaltigen, Ohne den Uberblick zu verlieren, begeht weniger Fehler.

Zugleich bietet diese Analyse auch didaktische Hinweise. Bei Termumformungen der erwahnten Art handelt es sich urn Herleitungen, urn Beweise. Beweise sind eine Schrittfolge; jeder Schritt ist durch Axiome, logische Grundregeln oder bereits bewie­sene Satze zu legitimieren. Es lassen sich mehrere Schritte zu einem zusammenfassen; urngekehrt lasst sich ein Schritt in mehrere zerlegen.

So ware also folgendes Vorgehen denkbar:

X(X2 - 2)(5x - 12)

(X(X2 - 2»(5x - 12) (nach dem Assoziativgesetz)

(X3 - 2x)(5x - 12) (nach dem Distributivgesetz)

Und darnit wird klar, dass es keine legitime Umformung zu

x3 - 2x(5x - 12)

gibt.

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Indem man Herleitungen als Schrittfolgen auffasst, werden sie auch von erdriickenden kognitiven und emotionalen Anspruchen befreit. Ein soIches Vorgehen bietet den Ler­nenden eine Modellvorstellung, die die individuellen Bediirfnisse hinsichtlich der Anzahl der Herleitungsschritte erkHirt und die Frage nach einer Evidenzbasis beant­wortet. Herleitungen und Beweise werden durchsichtig. Man kann sich tiber sie ver­standigen und ihre Erfordernisse identifizieren, ohne vom Erfolg ausgeschlossen zu sein (Sjuts 1999b).

3. Wissen, Kognition und Metakognition

Die bisherigen Darlegungen geben Anlass, verschiedenen Fragen nachzugehen, die einerseits die mathematikdidaktische Forschung, andererseits die Gestaltung von Mathematikunterricht betreffen. In besonderer Weise geht es urn denjeweiligen Rang, den Wissen, Kognition und Metakognition einnehmen. Dabei sei "Wissen" verstanden als zusammenfassender Begriff fur angeeignete inhaltsbezogene Kenntnisse und Fertig­keiten, "Kognition" als die mit Erwerb, Organisation und Gebrauch von Wissen verbundene geistige Aktivitat und "Metakognition", wie dargelegt, als Empfinden, Kennen und Steuern der eigenen Kognition.

3.1 Schulmathematik als Sprache und Werkzeug

TIMSS und PISA haben die Bedeutung von mathematischer Grundbildung, von "mathematicalliteracy", ins offentliche Bewusstsein geruckt: tIber die Mathematik als Sprache und Werkzeug zu verfiigen, ist in der Wissensgesellschaft Voraussetzung fur eine Teilhabe an der KuHur und damit Ziel einer auf Erkenntnis und Emanzipation ausgerichteten Bildung. Wie hat demzufolge ein entsprechender Mathematikunterricht auszusehen? Innerhalb der Mathematikdidaktik lassen sich Antworten ausfindig machen in Konzeptionen, die die bislang dominierende stoffdidaktische Sieht urn eine kognitionstheoretische ergiinzen. Diese Konzeptionen beruhen auf Theorien zu men­talen Konstruktionen und kognitiven Werkzeugen; sie verkntipfen Wissen, Kognition und Metakognition.

Besonders die anglo-amerikanische mathematikdidaktische Forschung hat sich mit mentalen Modellen, mit konstruktivistischen Lernarrangements und mit zentralen kognitiven mathematischen Werkzeugen beschaftigt. Dem Ansatz von Schoenfeld (1992), wonach Abstraktion, symbolische Darstellung und symbolische Handhabung die zentralen Werkzeuge sind, die das mathematische Denken ausmachen, ist im deutschsprachigen Raum die bereits erwahnte Theorie der Mathematik als Werkzeug zur Wissensreprasentation vergleichbar. Sie bildet die Grundlage fur ein Unterrichts­konzept ("Osnabrucker Curriculum"), das besonderen Wert legt auf die Berucksich­tigung kognitiver Prozesse und metakognitiver Aktivitaten der Schiilerinnen und Schuler.

Ausfuhrliche Darlegungen und Auswertungen liegen an anderer Stelle vor (Cohors­Fresenborg & Kaune 1993, Sjuts 1999b, Cohors-Fresenborg 2001a, Cohors-Fresenborg & Schwippert & Klieme 2002). Hier sei zweierlei hervorgehoben, die Rolle von Meta­kognition und die diesbeztigliehe Bedeutung von Referenzsystemen. Wenn weitgehend Einigkeit herrscht, dass Metakognition, insbesondere das Nachdenken tiber das Zustan­dekommen mathematischer Ideen und das Erortern von Begriffsbildungen und

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34 Johann Sjuts

Problemlosungen, ein wertvoller und deshalb flir Verstehensintensitat auf die Dauer unverzichtbarer Bestandteil mathematischer Aktivitat ist, stel1t sich die Frage, warum es denn so schwierig ist, eine solche Tiitigkeit friihzeitig im Unterricht zu praktizieren. Eine Erkliirung liegt wohl darin, dass Metakognition ein kulturelles Spatprodukt (Cohors-Fresenborg 2001b) ist. Erst wenn umfangreiche Erfahrungen zur Mathematik vorliegen, neigt man dazu, vom Zufa1ligen zum Bewussten uberzugehen. Und erst dann, so scheint es, wird, wenn uberhaupt, die eigentliche Reflexion uber Ideen-, Begriffs- und Problemlosungsgenese in Wort und Gesprach zum Ausdruck gebracht­damit aber eben an das Ende mathematischer Lehr-Lemprozesse gesetzt.

Allerdings ist fraglich, ob dieses durch vermeintliche Selbstverstandlichkeit gepragte Vorgehen didaktisch geboten ist. Denn schon und gerade beim Aufbau mathematischer Vorstellungen treten bekanntermafien Fehler, Irrtiimer und Unzulanglichkeiten auf. Aus all dem resultiert, die eingangs und hier erorterten Postulate zu verbinden, namlich weder Metakognition ohne lemgegenstandlichen Bezug noch Lemen ohne Meta­kognition stattfinden zu lassen. Metakognition gibt es sinnvollerweise nur in Parallelitat zur Kognition, nicht nachgeordnet, nicht ubergeordnet, sondem nebengeordnet als erforderliche Begleitung und Erganzung (Sjuts 2001b).

Gelingen kann eine friihzeitige und altersgemiille Verknupfung etwa in der Weise, wie mittels der Geschichte "Koch und Spiegelei" gezeigt. Die dort nachfolgende Auffor­derung, sich fur einen Roboter zu uberlegen, was man im Grunde selbst tun solI, verla­gert das Denken auf die Metaebene, indem man das Handeln des Roboters und somit sein eigenes von millen organisiert. Durch das Roboter-Paradigma ist die Werkzeug­auswahl vorgegeben. Und damit liegt ein Bezugssystem vor, das Abschiitzungen uber Zulassigkeit und Zweckmiilligkeit der Werkzeuge ermoglicht, was dann ja in gleicher Weise fur daS eigene Denken gilt. Ebenso wird diese Methode in den Aufgabenstellun­gen benutzt. Denn in gewissem Sinne entspricht jede in einer Aufgabe namentlich erwahnte Person einem Roboter. Wie der Roboter durch eine Anweisung von millen gesteuert wird, so wird der Person durch einen Ratschlag von millen geholfen. In beiden Fallen muss der Befehls- oder Ratgeber sich mindestens der Voraussetzungen des Pendants vergewissem (Sjuts 1999b).

Mit der axiomatischen Methode verfiigt die Mathematik uber ein Mittel, Wissens­bestande global zu ordnen, in sich zu sichem und weiter zu entwickeln (Cohors­Fresenborg 2001a). Damit stehen fur weite Teile der Schulmathematik Referenz­systeme bereit, urn der lembegleitenden Metakognition Orientierung und Mafistab zu geben. Denn Axiomensysteme sind Regel- und Vertragswerke. Und es ist gerade das Vertragswerkekonzept, das eine tragfahige Modellvorstellung fur Begriffsbildungen und Herleitungen in der Schulalgebra aufzubauen vermag (Sjuts 1993, 1999b). Die Beobachtung in den Pilotstudien zum moglicherweise fehlenden Begriindungswissen deutet darauf hin, dass den Probanden bei der SelbstUberwachung kein zuverlassiger Bezugsrahmen zur Verfiigung stand. Fur die Verbesserung des Mathematikunterrichts, insbesondere im Umgang mit formalen Wissensreprasentationen und bei den durch­gangig auftretenden formalen Operationen in der Term- und Gleichungsalgebra, ware es somit von Interesse, inwieweit metakognitive Aktivitaten tatsachlich einen sicheren Platz tinden. Genauer als bisher ware zu untersuchen, inwieweit Planung, liber­wachung und Kontrolle per Vertragswerkvorstellung eine referentielle Bindung erhal­ten.

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3.2 Metakognition als Strategie zur Uberwindung von Komplexitiit

Die Befunde der oben dargestellten Pilotstudien werfen aufierdem Fragen auf, die die in den Aufgaben enthaltenen Schwierigkeiten und deren Bewaltigung betreffen. Ver­gleichbare Fragen treten auch bei der Interpretation von TIMSS- und PISA-Ergebnissen auf. Anlage und Auswertung des PISA-Tests bilden die Basis einer Entwicklung von Kompetenzstufen und Schwierigkeitsmodellen (Neubrand u. a. 2001, Neubrand u. a. 2002). Mathematische Kompetenz zeigt sich danach im verstandnisvollen Umgang mit Mathematik und in der Fahigkeit, mathematische Begriffe und Verfahren als Werk­zeuge in einer Vielfalt von inner- und aufiermathematischen Kontexten einzusetzen. Tragfahige mentale Modelle bilden die Verankerung. Die in der internationalen und nationalen Erhebung eingesetzten (insgesamt 117) PISA-Testaufgaben lassen sich fur weitere Betrachtungen unterscheiden nach technischen Aufgaben, rechnerischen Modellierungsaufgaben und begrifilichen Modellierungsaufgaben (Neubrand u. a. 2002).

1m Zusammenhang mit den Aufgaben der dargelegten Pilotstudien sind hier lediglich die (insgesamt 24) technischen PISA-Aufgaben von Belang. Sie werden verstanden als "Aufgaben, bei denen es ausschlielHich darauf ankommt, einen schon vorgegebenen Ansatz aufgrund bekannter Algorithmen oder Prozeduren abzuarbeiten" (Neubrand u. a. 2002, S. 103). Und gerade fur die technischen PISA-Aufgaben gilt, so die Autoren, dass die curriculare Herkunft des Wissens einen Einfluss auf die Schwierigkeit hat (Neubrand u. a. 2002). Das curriculare Wissen wird drei Stufen zugeordnet: So gibt es Grundkenntnisse (wie Grundrechenarten), einfaches Wissen aus der Sekundarstufe I (wie Bruchzahl- oder Prozentbegrifl) und anspruchsvolles Wissen (fortgeschrittene Verfahren bis zu quadratischen Gleichungen).

Uber den Ausfall des PIS A-Tests ergeben sich empirisch ermittelte Schwierigkeits­werte. Da sowohl Personen mit ihren Fahigkeiten als auch Aufgaben mit ihren Schwie­rigkeitswerten auf ein und derselben Skala angeordnet sind, kann man auf dieser Skala Kompetenzstufen definicren. Fur die mathematische Grundbildung sind das funf Niveaus (Baumert u. a. 2001). Und so ergeben sich fur die 24 technischen PISA-Auf­gaben drei curriculare Wissensstufen und funf Kompetenzstufen. Die uberwiegende Anzahl der PISA-Aufgaben befindet sich auf den drei unteren Kompetenzstufen. Zur zweithOchsten Kompetenzstufe gehOren drei PISA-Aufgaben, die einerseits "mathe­matische Grundtechniken (wie Termurnformungen)" (Neubrand u. a. 2002, S. Ill) verlangen, andererseits alle der fortgeschrittenen curricularen Wissensstufe zugeordnet werden. Auf der hochsten Kompetenzstufe gibt es nur noch eine PISA-Aufgabe. Sie wird demgemiill zu hOheren algebraischen Techniken gerechnet und ebenfalls der fortgeschrittenen curricularen Wissensstufe zugeordnet. Bei dieser Aufgabe handelt es sich urn eine zu losende quadratische Gleichung (Neubrand u. a. 2002).

Die Autoren kommen aufgrund des verwendeten probabilistischen Testmodells zu dem Schluss, dass die Schwierigkeitswerte der technischen PISA-Aufgaben fast ausschlieB­lich durch ihre curricularen Wissensanforderungen bestimmt sind. lodes betonen sie, dass lediglich die Gesamt -Schwierigkeit rekonstruiert worden ist und dass aufierdem kognitive Prozesse im Spiel sein k6nnen, uber die ausdriicklich (noch) nichts gesagt wird (Neubrand u. a. 2002). Entsprechende Hinweise finden sich auch in einer weiteren PISA-Analyse (Knoche & Lind u. a. 2002). Somit ist nicht ausgeschlossen, dass der

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Schwierigkeitsgrad einer technischen Aufgabe mit niedriger curricularer Wissensanfor­derung dennoch hoch bzw. der einer anderen mit fortgeschrittener curricularer Wissensanforderung dagegen gering sein kann. So konnte eine Bruchrechenaufgabe sehr schwierig, eine zu losende quadratische Gleichung recht einfach sein. Offenbar sind solche Aufgaben im PISA-Test nicht vorgekommen.

Wie passen nun die Ergebnisse der Pilotstudien zu den hier zitierten Kategorien? Benutzt man die eben dargelegte Tenninologie, sind die Aufgaben der Pilotstudien, bei denen ja die Richtigkeit von Tennumfonnungen zu uberpriifen war, zum einfachen curricularen Wissen der Sekundarstufe I zu zahlen. Den Ergebnissen der Probanden­gruppen zufolge kann man auf einen hohen Schwierigkeitsgrad schliefien. Somit gibt es Aufgaben, die lediglich einfaches curriculares Wissen betreffen, aber erst auf einer hohen Kompetenzstufe gelost werden.

Eine bereits Hinger zuruckliegende Studie (Gundlach 1968) zeigt einen nicht unahn­lichen Befund. Studienanfangem im Fach Mathematik waren Aufgaben zur Schul­mathematik vorgelegt worden, unter anderen auch eine Bruchrechenaufgabe, ein lineares Gleichungssystem mit zwei Variablen und eine quadratische Gleichung, also technische Aufgaben. Ein bzw. zwei Semester spater hatten diese Studenten dann Auf­gaben zur Hochschulmathematik zu losen. Die Zusammenhange waren bemerkenswert, insbesondere zwischen der Brucbrechenaufgabe und dem Studienerfolg. Die Fahigkeit, eine Bruchrechenaufgabe zu losen, war offenbar ein gutes Qualitatsmerkmal, auf den Erfolg im Mathematikstudium zu schliefien (Gundlach 1968). Dieses angesichts aller Unterschiede von Schul- und Hochschulmathematik paradox anmutende Ergebnis fiihrt erst recht zur Frage: In welchem Ausmafi erklart die zu einer Aufgabe gehOrende curri­culare Wissensstufe die mathematische Kompetenz derjenigen, die diese Aufgabe IOsen?

Aus einer anderen Studie (Nagerl u. a. 1975) stammen Testergebnisse von Studien­anfangem im Fach Medizin uber deren Umgang mit Mathematik. Diese Tests enthiel­ten neben Aufgaben zu linearen Funktionen auch mehrere zum Bruchrechnen und zu Tenn- und Gleichungsumfonnungen, wiederum also technische Aufgaben. (Beispiels­weise sollte die Gleichung 3(x + b) = 2x nach x aufgelst werden.) Die Aufgaben erfordertes einfaches curriculares Wissen. Dabei kam heraus, dass es umso mehr Schwierigkeiten machte, solche Kenntnisse zu nutzen, je weiter sich eine Aufgabe von dem entfemte, was vom vordergrundigen Aussehen und von der Variablensymbolik her vertraut war. Auch wirkte sich die Anzahl der Termumformungsschritte auf die Losungswahrscheinlichkeit aus.

Beide Studien stimmen also datin uberein, dass die Schwierigkeit technischer Aufga­ben nicht allein in den Wissensanforderungen zu suchen sind. Die Komplexitat in der Bearbeitung kann namlich auch datin liegen, dass ein "Verrechnen" stattfindet oder dass die "formale Gewandtheit im Umgang mit Klammerausdrucken" (Gundlach 1968, S. 23) nicht ausreicht, darin, dass Aufgaben nicht "im gewohnten Gewande auftreten" (Nagerl u. a. 1975, S. 150) oder die Anzahl von Tennumfonnungsschritten sich erhOht.

Aus diesen Ergebnissen lassen sich - mit aller Vorsicht - Annahmen ableiten, die dann einer weiteren Erforschung bedurfen. Die zentrale These ist, dass das Sachwissen, die Fahigkeit im Einsatz kognitiver Werkzeuge und die denkbegleitende Metakognition zusammen genommen Kompetenz bzw. Erfolg in Mathematik erklaren.

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Entsprechende Forschungsaufgaben fallen somit jenem kognitionstheoretisch fundier­ten Bereich der Mathematikdidaktik zu, den man mit kognitiver Stoffdidaktik um­schreiben konnte (Sjuts 2002b). Untersuchungen innerhalb einer kognitiven Stoff­didaktik hatten per se Interventionscharakter. Sie wtirden ja das Mathematiklemen analysieren mit der Zielsetzung, Verbesserungen ausfindig zu machen. Einige Schwer­punkte, die sich aus dem vorliegenden Beitrag ergeben, seien abschlieBend noch kurz skizziert.

Das, was Mathematiklehrkrafte immer wieder beobachten und beklagen, was auch die hier dargelegten Studien deutlich belegen, ist der Mangel an Nachhaltigkeit. Mathe­matiklemen ist allzu sehr kurzfristig wirkendes Verhaltenstraining. Wichtig ist dagegen anschlussfahiges Wissen, das ja zum Vorwissen fur nachfolgendes Lemen wird und als wichtigste kognitive Ressource gilt. Herauszufinden ist also: Welche kognitiven und metakognitiven Mechanismen bewirken Nachhaltigkeit?

Zu untersuchen sind Komplexitat kognitiver Anforderungen und ihre Bewaltigung. Nach den PISA-Ergebnissen sind kognitive Grundausstattung und Decodierfahigkeit (Baumert u. a. 2001) wenig beeinflussbare GroBen. Somit hat sich die Aufmerksamkeit mehr der Verfugbarkeit des Vorwissens und dem Einsatz solcher Strategien zuzuwen­den, die helfen, individuelle Starken zu nutzen und Schwachen zu beseitigen. Also: Welche stoffdidaktischen Konzepte und Arrangements enthalten Organisations- und Elaborationsstrategien als integrale Bestandteile?

Das Zurechtfinden in neuen (inner- wie auBermathematischen) Situationen bedingt Flexibilitat, besser noch: Universalitat. WasgehOrt zu einem mathematisch-geistigen Betriebssystem (Cohors-Fresenborg 2001a), das nicht nur einen so genannten Transfer unterstellt, sondem von vomherein tragfahige Modellvorstellungen und leistungsfahige Werkzeuge umfasst?

Offenbar gibt es neben komplexen auch elementare Anforderungen, die zu erfullen es ausgewiesenermaBen geistiger Prazision und Disziplin bedarf. Vermeidungsstrategien sind wenig hilfreich. Intuitive (nieht-formale) von praziser (formaler) Mathematik trennen zu wollen, steht der verstandnisintensiven Sorgfalt, Griindlichkeit, Sicherheit und Transparenz, ja dem Vertrauen darin, entgegen. Wie ist also ein Mathematikunter­richt anzulegen, der dafur sorgt, dass eine metakognitive Selbstiiberwachung unum­ganglich dazu gehOrt?

Isolierte MaBnahmen zu stofilichen, kognitiven und metakognitiven Bestandteilen des Lemens greifen in aller Regel zu kurz. Veranderungen konnen nur als Veranderungen von Gewohnheiten gelingen (Artelt 2000). Wie kann ein entsprechender didaktisch­sozialer Vertrag zustande kommen?

Literatur:

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