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Menschliche Wahrnehmung und Human Factor - Dauerbrenner in der Notfallmedizin

Date post: 07-Feb-2017
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Teamwork + Education © [M] © Mathias Ernert, Deutsche Rotes Kreuz Kreisverband Heidelberg Neue Rubrik Teamwork + Education Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Ausgabe von Notfall + Rettungsmedizin präsentieren wir Ihnen einen weiteren spannenden Beitrag der neuen Rubrik „Teamwork + Edu- cation“. Innerhalb der Rubrik wollen wir Ihnen eine Vielfalt von Artikeln zum Zusammenspiel des in der Notfall- und Rettungsmedizin tätigen Per- sonals (Teamwork) und zur Aus-, Fort- und Weiterbildung (Education) bie- ten – und das von der Präklinik bis in den Schockraum. Wir möchten auch Sie ermuntern, uns mitzuteilen, „wo Ihnen der Schuh drückt“. Haben Sie Themen, über die Sie etwas lesen möchten? Teilen Sie uns diese mit, und wir werden uns bemühen, Ihren Wissensdurst zu stillen. Noch mehr freuen wir uns, wenn Sie selbst einen Beitrag einreichen. Sollten Sie hierzu Fragen haben, scheuen Sie sich bitte nicht, uns anzusprechen. Sie erreichen uns über die E-Mail: [email protected] Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen unserer Rubrik, Ihre Rubrikherausgeber Jan Breckwoldt, Frank Flake und Tobias Helfen Wahrnehmung spielt in der Psy- chologie eine wichtige Rolle. Der Wahrnehmungsprozess wird in drei Stufen unterteilt: Empfinden, Organisieren und Einordnen. Auf der ersten Stufe entsteht z.B. beim Sehen das Abbild eines Objekts auf der Netzhaut. Im zweiten Schritt muss das Gesehene orga- nisiert und zusammengesetzt werden. Menschen, denen diese Fähigkeit fehlt, erleben die Welt als unzusammenhängend und ge- stückelt. Auf der dritten Stufe wird den Sinneseindrücken eine Bedeutung zugeordnet, sie wer- den kategorisiert und einge- schätzt. So wird aus dem gesehe- nen Objekt z. B. ein „Mensch“ oder eine „Pflanze“. Erst dieser letzte Schritt macht eine adäquate Reaktion auf das Wahrgenomme- ne überhaupt möglich. Bestimmte Schemata und Erwartungen wie auch Emotionen beeinflussen die Aufnahmebereitschaft einer Per- son gegenüber bestimmten Rei- Menschliche Wahrnehmung und „Human Factor“ Dauerbrenner in der Notfallmedizin zen, was zu einer selektiven Wahr- nehmung führen kann. Eine wichtige Rolle spielt also der je- weilige Kontext der Situation. Wahrnehmen ist in der Regel im- mer auch in aktives Handeln ein- gebettet. Meist nehmen wir nur das wahr, was für unser Handeln relevant ist oder dem wir Relevanz unterstellen. Andernfalls würden wir ständig von einer Flut von Reizen und Informationen über- wältigt. Auf diesen Erkenntnissen beruhen die in der Notfallmedi- zin so wichtigen Algorithmen und Konzepte. Ein Faktor, der diese Zusammenhänge zusätzlich ver- kompliziert ist der sog. „Human Factor“. Ein Sammelbegriff für psychische, kognitive und soziale Einflussfaktoren, der bereits viel- fach diskutiert wurde. Stichworte hierzu sind z.B. Über- oder Unter- schätzen und Kurzschlussreaktio- nen. Das Zusammenspiel dieser Elemente entscheidet zum Teil ganze Einsatzabläufe und auch die Zeit danach. Selbstüberschät- zungen, aber auch Unzufrieden- heit oder Selbstzweifel über einem Einsatzablauf, sogar sich manifes- tierende posttraumatische Belas- tungsstörungen, können resultie- ren. Die folgenden, bewusst un- kommentierten Originalinter- views belegen auf dramatische Weise, wie essenziell das tägliche Auseinandersetzen mit diesem Themenkomplex ist. Die inter- viewten Beteiligten eines schwe- ren Verkehrsunfalls aus dem Jahre 2009 hatten außer in der Unfall- nacht bis dato keinen Kontakt mehr zueinander. Sie wurden re- trospektiv ermittelt und zum Er- lebten befragt. Als Leser wird man sich an der ein oder anderen Stelle wiederfinden, sich an eigene Ein- sätze erinnern und vielleicht sogar die eigene Wahrnehmung, Selbst- reflexion und das Handeln im Sinne eines Gedankenanstoßes pflegen und optimieren. „Weil der Fahrer eines mit Trak- toren beladenen Sattelzugs … verkehrsbedingt abbremsen musste, kam er wohl wegen nicht angepasster Geschwindigkeit auf der nassen Fahrbahn ins Schleu- dern. Der Lastwagen brach durch die Mittelleitplanke. Teile des LKW und der sich gelösten Trak- toren begruben zwei PKW, zwei weitere fuhren in die Unfallstelle hinein. Dabei wurden ein 23-jäh- riger Autofahrer lebensgefähr- lich, ein 16-Jähriger und ein 44-Jähriger schwer sowie vier weitere Personen leicht verletzt“. Zeitungsartikel. „Ich war seit einigen Monaten Arzt. Ein Mann stand mit einem Feuerlöscher in der Hand da. Kei- ne Feuerwehr, kein Rettungs- dienst, nur wir beide und einige Umherstehende. Mir fiel das Stichwort „Sichtung“ ein. Drei PKW und der LKW, zum Teil in- und übereinander verkeilt – keine Ahnung wo ich anfangen sollte. Eine junge Frau bot Hilfe an. Ich liess sie „alles was Gehen kann“ zusammenhorten und betreuen, eine gute Idee, fand ich. Dann ka- men die ersten Feuerwehrkräfte. Schnell war klar: kein First Re- sponder und keiner mit Rettungs- diensterfahrung. Ich stellte mich vor: frischer Arzt, Weiterbildung Unfallchirurgie im ersten Jahr. Die Situation wurde sukzessive klarer: ein Patient war bewusstlos eingeklemmt, zwei ansprechbar liegend. Wie viele ansprechbar stehend waren, weiß ich bis heute nicht. Als nächstes kam ein RTW an. Ich stellte mich erneut vor. Die von mir veranlasste Crash-Ret- tung des Eingeklemmten lief. Nachdem der Patient befreit war, immobilisierten wir ihn und ent- schlossen uns aufgrund der Wit- terung für die Weiterversorgung im RTW. Ich überlegte mir die nächsten Schritte der Weiterver- sorgung, die ich schon oft gehört und gesehen, aber nie selbst durchgeführt hatte. Die Angst wuchs. Auf dem Weg zum RTW bemerkte ich eine Notärztin in der Gruppe der „Gehenden“. Ich fragte mich, wo sie herkäme, und vor allem, seit wann sei sie da war? Wir trafen erst im RTW auf- einander. Sie hatte ihren zweiten Notarztdienst, und ich dachte: 324 | Notfall + Rettungsmedizin 2 · 2013 Notfall + Rettungsmedizin · 16:324–326 DOI 10.1007/s10049-013-1697-7 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Redaktion: J. Breckwoldt, Berlin F. Flake, Oldenburg T. Helfen, München
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Neue Rubrik Teamwork + EducationLiebe Kolleginnen und Kollegen,

in dieser Ausgabe von Notfall + Rettungsmedizin präsentieren wir Ihnen einen weiteren spannenden Beitrag der neuen Rubrik „Teamwork + Edu-cation“. Innerhalb der Rubrik wollen wir Ihnen eine Vielfalt von Artikeln zum Zusammenspiel des in der Notfall- und Rettungsmedizin tätigen Per-sonals (Teamwork) und zur Aus-, Fort- und Weiterbildung (Education) bie-ten – und das von der Präklinik bis in den Schockraum.

Wir möchten auch Sie ermuntern, uns mitzuteilen, „wo Ihnen der Schuh drückt“. Haben Sie Themen, über die Sie etwas lesen möchten? Teilen Sie uns diese mit, und wir werden uns bemühen, Ihren Wissensdurst zu stillen. Noch mehr freuen wir uns, wenn Sie selbst einen Beitrag einreichen.

Sollten Sie hierzu Fragen haben, scheuen Sie sich bitte nicht, uns anzusprechen.

Sie erreichen uns über die E-Mail: [email protected]

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen unserer Rubrik, Ihre Rubrikherausgeber Jan Breckwoldt, Frank Flake und Tobias Helfen

Wahrnehmung spielt in der Psy-chologie eine wichtige Rolle. Der Wahrnehmungsprozess wird in drei Stufen unterteilt: Empfinden, Organisieren und Einordnen. Auf der ersten Stufe entsteht z.B. beim Sehen das Abbild eines Objekts auf der Netzhaut. Im zweiten Schritt muss das Gesehene orga-nisiert und zusammengesetzt werden. Menschen, denen diese Fähigkeit fehlt, erleben die Welt als unzusammenhängend und ge-stückelt. Auf der dritten Stufe wird den Sinneseindrücken eine Bedeutung zugeordnet, sie wer-den kategorisiert und einge-schätzt. So wird aus dem gesehe-nen Objekt z.  B. ein „Mensch“ oder eine „Pflanze“. Erst dieser letzte Schritt macht eine adäquate Reaktion auf das Wahrgenomme-ne überhaupt möglich. Bestimmte Schemata und Erwartungen wie auch Emotionen beeinflussen die Aufnahmebereitschaft einer Per-son gegenüber bestimmten Rei-

Menschliche Wahrnehmung und „Human Factor“Dauerbrenner in der Notfallmedizin

zen, was zu einer selektiven Wahr-nehmung führen kann. Eine wichtige Rolle spielt also der je-weilige Kontext der Situation. Wahrnehmen ist in der Regel im-mer auch in aktives Handeln ein-gebettet. Meist nehmen wir nur das wahr, was für unser Handeln relevant ist oder dem wir Relevanz unterstellen. Andernfalls würden wir ständig von einer Flut von Reizen und Informationen über-wältigt. Auf diesen Erkenntnissen beruhen die in der Notfallmedi-zin so wichtigen Algorithmen und Konzepte. Ein Faktor, der diese Zusammenhänge zusätzlich ver-kompliziert ist der sog. „Human Factor“. Ein Sammelbegriff für psychische, kognitive und soziale Einflussfaktoren, der bereits viel-fach diskutiert wurde. Stichworte hierzu sind z.B. Über- oder Unter-schätzen und Kurzschlussreaktio-nen. Das Zusammenspiel dieser Elemente entscheidet zum Teil ganze Einsatzabläufe und auch

die Zeit danach. Selbstüberschät-zungen, aber auch Unzufrieden-heit oder Selbstzweifel über einem Einsatzablauf, sogar sich manifes-tierende posttraumatische Belas-tungsstörungen, können resultie-ren. Die folgenden, bewusst un-kommentierten Originalinter-views belegen auf dramatische Weise, wie essenziell das tägliche Auseinandersetzen mit diesem Themenkomplex ist. Die inter-viewten Beteiligten eines schwe-ren Verkehrsunfalls aus dem Jahre 2009 hatten außer in der Unfall-nacht bis dato keinen Kontakt mehr zueinander. Sie wurden re-trospektiv ermittelt und zum Er-lebten befragt. Als Leser wird man sich an der ein oder anderen Stelle wiederfinden, sich an eigene Ein-sätze erinnern und vielleicht sogar die eigene Wahrnehmung, Selbst-reflexion und das Handeln im Sinne eines Gedankenanstoßes pflegen und optimieren.

„Weil der Fahrer eines mit Trak-toren beladenen Sattelzugs … verkehrsbedingt abbremsen musste, kam er wohl wegen nicht angepasster Geschwindigkeit auf der nassen Fahrbahn ins Schleu-dern. Der Lastwagen brach durch die Mittelleitplanke. Teile des LKW und der sich gelösten Trak-toren begruben zwei PKW, zwei weitere fuhren in die Unfallstelle hinein. Dabei wurden ein 23-jäh-riger Autofahrer lebensgefähr-lich, ein 16-Jähriger und ein 44-Jähriger schwer sowie vier weitere Personen leicht verletzt“.

Zeitungsartikel.

„Ich war seit einigen Monaten Arzt. Ein Mann stand mit einem Feuerlöscher in der Hand da. Kei-ne Feuerwehr, kein Rettungs-

dienst, nur wir beide und einige Umherstehende. Mir fiel das Stichwort „Sichtung“ ein. Drei PKW und der LKW, zum Teil in- und übereinander verkeilt – keine Ahnung wo ich anfangen sollte. Eine junge Frau bot Hilfe an. Ich liess sie „alles was Gehen kann“ zusammenhorten und betreuen, eine gute Idee, fand ich. Dann ka-men die ersten Feuerwehrkräfte. Schnell war klar: kein First Re-sponder und keiner mit Rettungs-diensterfahrung. Ich stellte mich vor: frischer Arzt, Weiterbildung Unfallchirurgie im ersten Jahr. Die Situation wurde sukzessive klarer: ein Patient war bewusstlos eingeklemmt, zwei ansprechbar liegend. Wie viele ansprechbar stehend waren, weiß ich bis heute nicht. Als nächstes kam ein RTW an. Ich stellte mich erneut vor. Die von mir veranlasste Crash-Ret-tung des Eingeklemmten lief. Nachdem der Patient befreit war, immobilisierten wir ihn und ent-schlossen uns aufgrund der Wit-terung für die Weiterversorgung im RTW. Ich überlegte mir die nächsten Schritte der Weiterver-sorgung, die ich schon oft gehört und gesehen, aber nie selbst durchgeführt hatte. Die Angst wuchs. Auf dem Weg zum RTW bemerkte ich eine Notärztin in der Gruppe der „Gehenden“. Ich fragte mich, wo sie herkäme, und vor allem, seit wann sei sie da war? Wir trafen erst im RTW auf-einander. Sie hatte ihren zweiten Notarztdienst, und ich dachte:

324 | Notfall + Rettungsmedizin 2 · 2013

Notfall + Rettungsmedizin · 16:324–326 DOI 10.1007/s10049-013-1697-7 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Redaktion:J. Breckwoldt, Berlin F. Flake, Oldenburg T. Helfen, München

8 © Peter Atkins / fotolia.com

Korrespondenzadresse

Dr. med. Tobias HelfenKlinik für Allgemeine, Unfall-, Hand und Plastische Chirurgie Klinikum der Universität München Nußbaumstraße 20 80336 München Tobias.Helfen@ med.uni-muenchen.de

Compliance with Ethics Guidelines

Conflict of Interest. T. Helfen declares that he has no conflict of interest.

This article does not contain any stu-dies with human or animal subjects.

„Na prima!“. Der Patientenzu-stand: Hypotonie, Tachykaride, multiple, zum Teil offene Extre-mitätenfrakturen. Ich war froh, dass sie da war und auch das RTW-Team war super. So lang-sam realisierte ich wieder, dass da noch so viele andere Patienten waren, ich aber keine Ahnung hatte, was mit denen war, sich aber offenbar jemand gekümmert hatte, da ab sofort, und von mir völlig unbemerkt, Individualver-sorgung lief. Zusammenfassend war der Unfall für mich furcht-bar. Alleine, in meiner damaligen Position, in dieser Situation, schlechte initiale Kommunika-tion mit der Kollegin, völliges Vergessen der anderen Patienten und im Nachhinein ziemliche Angst, etwas falsch gemacht zu haben. Ich war mir ziemlich si-cher, dass der Patient, auf den ich mich vielleicht fälschlicherweise fokussiert hatte, den Unfall nicht überleben würde. Klar wurde mir auch: Notarzt werde ich erst ein-mal nicht“.

Junger Arzt als Ersthelfer.

„Ich hatte Angst. Ich schwor mir, niemandem zu sagen, dass ich et-was mit Medizin zu tun habe. Mir ging soviel durch den Kopf. Von unterlassener Hilfeleistung bis Klage wegen „etwas am Patienten falsch gemacht“ zu haben. Ich hat-te meine Berufswahl verflucht. Da war ein junger Mann, der offenbar alles organisierte. Er redete mit Polizisten und Feuerwehrleuten und ging die Fahrzeuge ab. Ich fragte ihn ob ich helfen kann, sag-

te aber nichts von meinem Stu-dium. Ich bekam die Aufgabe „Sammele alles, was Stehen kann, hinter der Leitplanke!“ Ich war er-leichtert, der Aufgabe sah ich mich gewachsen. Ich sammelte etwa fünf scheinbar beteiligte Personen ein. Einige hatten Schnittwunden und Schmerzen, aber sie waren si-cher besser daran als die Men-schen im Auto. Was mit denen passierte, weiß ich gar nicht genau. Ich organisierte Decken und Licht, dann kamen immer mehr Feuer-wehr- und Rettungswägen. Ir-gendwann war jeder Patient ab-transportiert. Ich war froh, etwas Sinnvolles getan zu haben, auch wenn ich ein schlechtes Gewissen hatte, als einzige der Ersthelfer, die etwas mit Medizin zu tun hatte, alle anderen im Stich gelassen zu haben“.

Medizinstudentin als Ersthelfer.

„Die Anfahrt gestaltete sich schwierig und lange, da es wie im-mer keine Rettungsgasse gab und das Verkehrsaufkommen sehr hoch war. An der Einsatzstelle er-kundeten die Kollegen des Rüst-wagens die Lage. Die Erste Rück-meldung war: 1-mal schwerstver-letzt eingeklemmt, 2-mal wahr-scheinlich schwerverletzt nicht eingeklemmt, ca. 5 -mal leicht ver-letzt. Ein Unfallchirurg war als Ersthelfer vor Ort. Ge plant war seinerseits zunächst die Crashret-tung des eingeklemm ten Patien-ten, ihm stellte ich die meisten Kräfte zur Verfügung. Nach Ein-treffen der weiteren Kräfte erfolg-ten die Sicherstellung des Brand-

schutzes und das Sichern der Fahrzeuge. Die eintreffenden Ret-tungs dienst fahrzeuge versorgten nach und nach die Patienten. Ins-gesamt lief der Einsatz geordnet ab, die eingeklemmte Person wur-de zügig befreit, die Zusammen-arbeit mit dem Rettungsdienst verlief reibungslos”.

Einsatzleiter Feuerwehr.

„Bei Ankunft waren ein junger Ersthelfer und ein Feuerwehr-team an einem der Fahrzeuge. Der Ersthelfer sagte, er sei Arzt. Kurze Zeit dachte ich darüber nach, ob dies sein kann. Ich mei-ne so vom Alter her. Ich hatte je-doch nicht mehr weiter darüber nachgedacht, wohl auch weil die Begriffe und Pläne von ihm schon medizinisch fundiert klangen. Es schien auf jeden Fall irgendwie gepasst zu haben, da soweit ich mich erinnere, alles zügig und koordiniert ablief. Meinen zwei-ten Mann (RA) schickte ich zur Triage um der Leitstelle Rückmel-dung zu geben. Nach Befreiung des am schwersten verletzten und eingeklemmten Patienten um den wir uns zunächst kümmerten, gingen wir zur Weiterversorgung in den RTW, in den dann auch unsere Notärztin dazukam. Zu-sammen mit den beiden Ärzten versorgten wir den Patienten rasch und suffizient, wir melde-ten einen Schockraum an und fuhren los. Rückblickend bin ich mit der Patientenversorgung sehr zufrieden“.

Rettungsassistent, Ersteintreffender RTW.

„Es war mein zweiter Notarzt-dienst und ich war ziemlich ner-vös. Dann sah ich das Szenario vor uns. Ein Schlachtfeld. Wir wurden bei Ankunft von einem Feuerwehrmann empfangen. Er schilderte uns die Lage. Ich war beruhigt, als er mir mitteilte: „Da hinten läuft alles, da ist ein Ober-arzt Unfallchirurgie, der zufällig hintendran war“. Ich sah eine eingerichtete Verletztensammel-stelle. Eine junge Frau teilte mir mit, dass von diesen Patienten hier, es waren etwa fünf bis sechs, noch keiner richtig angesehen wurde. Einige Minuten später kam der ärztliche Kollege mit der RTW-Besatzung und einem Pa-tienten auf der Trage Richtung RTW. In realitas handelte es sich bei dem Kollegen um einen Wei-terbildungsassistenten im ersten Jahr. Obwohl er kein Oberarzt Unfallchirurgie war, war ich den-noch froh, dass er da war. Seine Triagierung war adäquat, ebenso

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Teamwork + Education

die bis dato organisierte Ressour-cenverteilung. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass der einge-klemmte Patient unter Berück-sichtigung der aktuellen Kräfte unser Fokus sein sollte. Ohne uns zu kennen arbeiteten wir sehr gut zusammen. Gott sei Dank gelang auch alles auf Anhieb. Der Patient war hoch instabil. Mittlerweile bekam ich Rückmeldung, dass ein weiterer Notarzt eingetroffen war. Wir gaben unseren Patienten le-bend, aber maximal instabil im Schockraum ab. Was aus ihm wurde, weiß ich nicht, außer dass er noch in der Nacht in die Uni-klinik verlegt wurde.

Ersteintreffende Notärztin.

„Ich konnte nichts mehr machen, ich verlor die Kontrolle über die Zugmaschine. Durch mich wur-de viel Leid ausgelöst, ich denke täglich daran und war bis vor kurzem in Therapie. Was nach dem Unfall genau geschah, weiß ich nicht. Ich gab, glaube ich, einem Mann einen Feuerlöscher vom LKW und saß dann alleine am Straßenrand, bis mich ein Polizist mitnahm. Die Unfall-opfer trafen sich alle hinter der Leitplanke. Ich traute mich nicht vom Fleck. Das Schlimmste war, zunächst nicht zu wissen, wie viele Menschen ich verletzt oder gar getötet hatte“.

Unfallverursachender LKW-Fahrer.

„Wir hatten nur eine eingedrückte Motorhaube, und uns hatte bis auf Nacken- und Schulterprellungen nichts gefehlt. Eine junge Frau hat sich großartig um uns geküm-mert und gesagt, wo wir uns in Sicherheit bringen können. Sie brachte Decken und machte aus Verbandkästen einige Verbände auf diverse Wunden“.

Unfallbeteiligte Leichtverletzte.

Wahrnehmung ist ein schwer greif- und bearbeitbarer, jedoch hochrelevanter und unbedingt zu

berücksichtigender Faktor. Eine vollständige Eradikation der hier-aus resultierenden Fehleinschät-zungen, Fehlentscheidungen und Belastungen wird aufgrund des heterogenen Kollektivs der Betei-ligten (vom teilnahmslosen Zeu-gen bis hin zum Führungsstab) niemals gelingen. Eine Optimie-rungsgrundlage an diesem Punkt ist die strukturierte Einsatznach-besprechung zumindest aller Ret-tungskräfte. Obwohl wenige vali-de Daten zu dieser Kultur in Deutschland vorliegen, scheint eine deutliche Zunahme erkenn-bar. Vielfach stellten sich hier sog. Routineeinsätze als komplexer he-raus als zunächst angenommen. Ziel aller muss es sein, sich ein-brennende Fehleinschätzungen, Handlungen und Erlebnisse zu reduzieren, was hiermit durchaus gelingen kann.

„Nicht die Dinge selbst beunru-higen den Menschen, sondern seine Sichtweise der Dinge“.

Epiktet, griechischer Philosoph

Anmerkung der Redaktion: Der schwerverletzte Patient über-lebte und ist heute wohlauf..

Ein Leben retten. 100 Pro ReanimationBundesweiter Aufruf zur Beteiligung an der „Woche der Wiederbelebung“

Ein plötzlicher Herzstillstand kann jeden treffen. Ob-

wohl jeder helfen könnte, tun es die wenigsten. In

Deutschland ist die Helferquote beim Herzstillstand

im internationalen Vergleich sehr gering: Nur in 17%

der Fälle werden einfache, aber lebensrettende Maß-

nahmen ergriffen. Hier setzt die vom Bundesminis-

terium für Gesundheit (BMG) gestützte Kampagne „Ein Leben retten. 100 Pro

Reanimation“ des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten e. V. (BDA) und

der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V.

(DGAI) in Kooperation mit dem German Resuscitation Council e.V. und der

Stiftung Deutsche Anästhesiologie an. Unter dem Motto „Ein Leben retten.

100 Pro Reanimation“ findet vom 16. bis 22.9.2013 die „Woche der Wieder-

belebung“ statt. Die Aktionswoche ist ein bundesweites Event, welches das

Bewusstsein in der Bevölkerung für Erste Hilfe schärfen und zum Handeln im

Notfall motivieren soll. Die Initiatoren rufen dazu auf, das Thema regional

und individuell mitzugestalten. Für alle teilnehmenden Kliniken, Praxen oder

auch Rettungsdienste stehen ab Mai unter www.einlebenretten.de kosten-

freie Servicematerialien für öffentlichkeitswirksame Aktionen zum Down-

load bereit.

„Prüfen. Rufen. Drücken!“ lautet die Devise: Prüfen, ob die Person noch at-

met. Unter der europaweit gültigen Notrufnummer 112 den Rettungsdienst

rufen. Fest und mindestens 100 Mal pro Minute in der Mitte des Brustkorbs

drücken und nicht aufhören, bis Hilfe eintrifft. „Mit der Erhöhung der Wie-

derbelebungsrate durch Laienhelfer könnten in Deutschland jährlich ca.

5.000 Menschenleben gerettet werden“, so Christian Werner, Präsident der

DGAI. Im Rahmen der bundesweiten Kampagne „Ein Leben retten. 100 Pro

Reanimation“ fordern der BDA und die DGAI ihre Kollegen und Kollegin-

nen dazu auf, sich während der „Woche der Wiederbelebung“ mit eigenen

Aktionen oder als Initiator für Veranstaltungen mit Kooperationspartnern

aus dem persönlichen Gesundheitsnetzwerk zu beteiligen. Die beiden Ver-

bände setzen z. B. in Form von Info-Vorträgen, Wiederbelebungstrainings

und Flashmobs spannende Impulse für regionale Aktionen in Schulen, Be-

trieben, öffentlichen Einrichtungen oder Rettungsdienststellen. So werden

Hemmschwellen in der Bevölkerung vor der Ersten Hilfe abgebaut und die

Wiederbelebungsrate in Deutschland gesteigert. „Damit die Woche der Wie-

derbelebung ein großer Erfolg wird, sollten möglichst viele Mitglieder des

Gesundheitssystems diese Woche aktiv bei sich vor Ort mitgestalten“, lädt

Götz Geldner, Präsident des BDA, ein. „Denn Reanimation ist einfach – Jeder

kann ein Leben retten!“

Kostenfreier Aktionskoffer – Materialien für erfolgreiche Aktionen

Um die Teilnehmer bei der Durchführung von öffentlichkeitswirksamen

Maßnahmen rund um die Woche der Wiederbelebung zu unterstützen,

steht ab Mai unter www.einlebenretten.de ein Aktionskoffer zum kosten-

freien Download bereit. Zentrales Tool ist der „PR-Leitfaden“ mit Anregun-

gen und Tipps für eine erfolgreiche Kommunikation im eigenen Netzwerk

mit Medien und Kooperationspartnern. Außerdem befinden sich im Koffer

Vorlagen für Vorträge, Ankündigungen oder auch Poster und Flyer.

Quelle: http://www.100-pro-reanimation.de

326 | Notfall + Rettungsmedizin 2 · 2013


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