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Meine Transalp - Rotwild · 4 Transalp 2012 Transalp 2012 5 Rauschende Trailabfahrt in der Nähe...

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ULI STANCIU Meine Transalp 2012 MIT DEM E-BIKE IM SCHWERSTEN RENNEN DER WELT
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UL I STANC IU

M e i n e T r a n s a l p 2 0 1 2

M i T d e M e - B i k e i M s c h w e r s T e n r e n n e n d e r w e lT

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2 3Transalp 2012 Transalp 2012

e i n f ü h r u n g 04

i n h a l t

01 Etappe: Oberammergau - Imst 06

02 Etappe: Imst - Ischgl 08

03 Etappe: Ischgl - Nauders 10

04 Etappe: Nauders - Scuol 14

05 Etappe: Scuol - Livigno 18

06 Etappe: Livigno - Ponte di Legno 22

07 Etappe: Ponte di Legno - Madonna di Campiglio 26

08 Etappe: Madonna di Campiglio - Riva del Garda 30

F a z i t 33

T r a n s a l p 2 0 1 2

F o t o s : s p o r t o g r a f , P e t e r t M u s c h

M e i n e

U l i s Ta n c i U

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4 54 5Transalp 2012 Transalp 2012

Rauschende Trailabfahrt in der

Nähe von Ponte di Legno

einführungTransalp, die Fünfzehnte. Zum ersten Mal bin ich nicht als Rennleiter dabei,

sondern – wie soll man das nennen? – Beobachter, Berater, Repräsentant,

Gründervater, Grüß-Gott-Onkel, Teilnehmer außer Konkurrenz und möglicher-

weise auch wieder als Ideenhaber. Viele fragen mich mit einem fast traurigen

Ton in der Stimme, warum ich abgetreten bin, ob es mir nicht fehlt, abends

auf der Bühne zu stehen und die Strecke, die Geschichte, die Erlebnisse des

nächsten Tages zu beschreiben. Es fehlt mir nicht wirklich nach so vielen Jah-

ren. Ja, ich habe viel Herzblut da hineingelegt, aber jetzt fühle ich mich sogar

ein bisschen befreit von der Verantwortung, von den Pflichten, von dem Zeit-

druck. Irgendwann muss man übergeben an Jüngere, Platz machen und Neues

schaffen. Immerhin werde ich ja noch die Strecken der nächsten Jahre mitge-

stalten, meine Erfahrung einfließen lassen in den schönsten Event, den ich

kenne: Transalp.

Dieses Jahr will ich zum ersten Mal selbst mitfahren, nicht als Teilnehmer mit

Startnummer, sondern als Beobachter. Bisher bin ich ja immer als Rennleiter

mit dem Motorrad oder dem Geländewagen voraus gefahren, habe die Strek-

ke organisiert. Jetzt will ich mich unter die 1100 Teilnehmer mischen, die

Stimmung im Feld einsammeln. Ich habe zuerst Bedenken, ob ich das über-

haupt schaffen kann, mit 64 Jahren und nur durchschnittlich trainiert. Und so

fälle ich eine für die kommende Entwicklung vielleicht wesentliche Entschei-

dung: Ich werde mit einem E-Bike mitfahren, außer Konkurrenz versteht sich.

Da habe ich die Chance nicht nur den hinteren Teil des Feldes zu beobach-

ten, sondern auch mal in der Mitte oder dem vorderen Teil des Feldes mitzu-

fahren. Anfangs habe ich auch da Zweifel. Kann ich wirklich alle Etappen

schaffen, ist das schwere E-Bike auch für die harten Trails geeignet? Ich

beruhige mich selbst damit, dass ich ja keine Pflicht habe. Ich kann fahren

oder nicht, vielleicht manchmal auch nur eine halbe Etappe. Ein Begleitauto

habe ich organisiert.

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6 7Transalp 2012 Transalp 2012

Am Morgen der ersten Etappe in Oberammergau regnet es in Strömen. Ich bin kurz davor zu sagen: Ok, heute nicht, ich kann ja in den nächsten Tagen immer noch mal mitfahren. Doch dann hört es kurz vor dem Start auf zu regnen. Spontan packe ich mein neues Flyer 29er E-Bike, voll gefedert und mit bester Shimano Ausstattung und stelle mich in die letzte Startreihe. Ich will hinterher fahren und einfach mal gucken wie es ganz hinten im Feld aussieht. Startschuss: Ich rolle mit allen anderen los, kann das Tempo hier hinten locker mithalten, auch in der untersten Fahrstufe „Eco“, die wenig Batterie verbraucht. Ich unterhalte mich kurz mit einem netten Damenteam aus Südafrika, das ganz am Schluss fährt. Dann ziehe ich ein bisschen an. Mühelos kann ich mit dem E-Bike von einem Grüppchen zum anderen weiter nach vorne fahren. Fast alle kennen mich, „Aaahh, der Uli… was machst Du denn hier?“ Ich erkläre jedes Mal kurz, dass ich jetzt als Ex-Rennleiter nur ein Beobachter und Berater bin und dass ich testen möchte, ob wir in den kommenden Jahren nicht einen größeren Teil unseres Streckenteams mit E-Bikes ausstatten können. Denn bei den Genehmigungsverfahren für unser großes Ren-nen haben wir vor allem in den Naturparken, aber auch bei privaten Grundbesitzern immer wieder große Probleme, Erlaubnis für die Motorräder zu erhalten. Das E-Bike wäre hier eine willkommene, lautlose Alternative ohne Emissionen. So erkläre ich meine Mission als Test für das Streckenteam der kommenden Jahre. Alle Teilnehmer nicken verständnisvoll. Ich strecke den Daumen hoch, wünsche gute Fahrt und zuckele weiter nach vorne. Alle sind gut drauf, lachen, schwätzen ein bisschen mit mir. Die Stimmung ist toll. Ich bin begeistert.Nach etwa 20 Kilometern Richtung Plansee fängt es wieder an zu regnen. Jetzt ist mir das völlig egal. Die gute Stimmung im Feld beflügelt mich. Wir biegen ab in einen schmalen, langen Trail. Nach kurzem Stau an einer glitschigen Was-serrinne rolle ich in einer Reihe mit allen ande-ren dahin. Das E-Bike bewährt sich auch hier ausgezeichnet. An den kurzen Anstiegen schalte ich eine Fahrstufe hoch, nutze die Extrapower zusammen mit einem kräftigen Pedaltritt und muss immer wieder aufpassen, dass ich meinem Vordermann nicht hinten drauf fahre. Es macht riesigen Spaß trotz Regen. Und ich fälle hier im

Trail eine weitere Entscheidung: Du fährst die ganze Transalp mit, jeden Meter, egal wie das Wetter ist. Du schaffst das problemlos.Kurz nach den schönen Trails kommt der erste knackige Anstieg, 400 Höhenmeter zum Mäu-erle auf einem Schotterweg. Hier schalte ich auf die Fahrstufe Standard, die meiner Mus-kelkraft noch einmal dieselbe E-Power hinzu-fügt. Mühelos überhole ich Dutzende von Bikern, jedes Mal grüße ich, recke den Daumen hoch und höre immer wieder: „Aaahh der Uli“. Das gute Gefühl überwältigt mich geradezu, ich fliege fast den Berg rauf. Und wenn ich auf meine Pulsuhr schaue, dann beruhigt mich das sehr. Die Herz-frequenz liegt je nach Steigung zwischen 130 und 150 Schlägen. Zum Vergleich frage ich mal einen Teilnehmer, den ich seit langem kenne: „Wie ist denn Dein Puls gerade?“ „165!“ Wow, ich fahre schneller und mit geringerer Herzfrequenz, also weniger Anstrengung. Es ist in keiner Weise so, dass ich mich nicht anstrengen müsste, aber es ist in einem angenehmeren Bereich, weniger mühsam, es macht mehr Spaß, man hält viel län-ger durch. Ich komme fast nie in den anaeroben Bereich. Das ergibt ein sicheres Gefühl: „Ich kann es schaffen, ich werde es schaffen“. Der Berg verliert seinen Schrecken.Nach einer längeren flachen Passage mit einigen kurzen Anstiegen erreichen wir die Freeridestrek-ke von Lermoos – es geht etwa 200 Höhenme-ter hinunter zum Ort auf einem anspruchsvollen Trail. Es ist nass, es ist glitschig. Kein Problem mit meinem Flyer. Ich schieße da runter, über Felsbrocken, nasse Wurzeln, durch ein paar enge Serpentinen. Klappt wunderbar. In Ehrwald steht meine Begleitauto. Ich wechsele die Akkus, esse und trinke und dann geht es los, hinauf zum Marienbergjoch, dem ersten echten Berg dieser Transalp, aber dem steilsten, zumindest im obe-ren Bereich. Wieder fliege ich mit unglaublichem Speed an Dutzenden von Bikern vorbei. Man-che schauen mir ungläubig nach, bis sie völlig erschöpft herauspressen: „Der hat ja ‚ne Bat-terie“. Ganz oben wird es massiv steil – deutlich über 20 Prozent auf einem groben Schotterweg. Alle schieben. Ich schalte den Antrieb meines E-Bikes auf „High“. Jetzt schiebt das Ding richtig an – 350 Watt. Wenn ich meine 250 Watt Muskel-leistung dazu gebe, komme ich auf 600 Watt. Das ist deutlich mehr als die Profis geben können. Ich

Im strömendem Regen kommt

nach 20 Kilometern der feste

Entschluss: Diese Transalp

fahre ich durch - jeden Meter.

1. Etappe: Oberammergau - Imst

atme tief ein und trete voll an. Als ich an ein paar Bikern vorbeipowere, die ihr Bike himmelwärts schieben, höre ich mit einem Ohr: „Ich fall‘ vom Glauben ab… Guck Dir den mal an.“ Ich fahre die 150 supersteilen Höhenmeter voll durch, mit letzter Kraft, aber ich schaffe es mit Puls 175. Glücksgefühl. Erfolgsgefühl. Man kann Steigungen fahren, die man mit dem normalen Bike nie hätte schaffen können. Am Abend spricht mich eine junge Bikerin an, die ich genau dort überholt hatte: „Ich konnte es nicht glauben – da schiebe ich mit Puls 180 und dann fährt einer an mir vorbei. Wahnsinn.“

Sie spricht es nicht aus, aber man merkt an der Begeisterung in ihrer Stimme, dass sie heftig darüber nachdenkt, sich auch ein sportliches E-Bike anzuschaffen. Die schnelle Schotterabfahrt meistere ich mühe-los, den Rest nach Imst rolle ich locker dahin, in der Ebene hält sich mein Puls bei 110 Schlägen. Als ich die 98 Kilometer des ersten Tages in fünf Stunden 30 Minuten bewältigt habe, stellt sich ein totales Glücksgefühl ein. Vor allem: Ich habe mich angestrengt, bin alles getreten, aber ich bin nicht so erschöpft wie viele der anderen Teilnehmer. Ich kann den Tag genießen.

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8 98 9Transalp 2012 Transalp 2012

Erschöpft, aber irgendwie

glücklich. Am Ende der zwei-

ten, schweren Etappe in Ischgl

nach knapp 3300 Höhenme-

tern und sehr durchwachse-

nem Wetter.

2. Etappe: Imst - Ischgl

Mein Entschluss steht: Ich fahre jetzt die ganze Transalp mit. Die Etappe heute ist zwar um 20 Kilometer kürzer als gestern, aber sie hat knapp 3300 Höhenmeter. Das heißt, die Berge sind steiler. Das geht sicher in die Beine, auch auf dem E-Bike. Das Wetter in dieser zweiten Etappe ist feucht-kühl. Es hatte die ganze Nacht geregnet, die Trails sind nass und glitschig. Ich entschließe mich zwei Minuten vor dem Start loszufahren und dann nach einer Engstelle, an der ein langer Stau schon vorprogrammiert war, auf die Spitzengrup-pe zu warten und mich dahinter einzureihen. Ich bin ja ohne Startnummer, also außer Konkurrenz und nur ein Beobachter. Kurz nach Imsterberg, im steilen Anstieg zur Venetalm holen Sie mich ein, die Topfahrer, die Profis, Karl Platt, Alban Lakata, Markus Kaufmann und so weiter. Sie lächeln viel-leicht sogar ein bisschen geringschätzig über den alten Herrn mit seinem E-Bike und feuern mich an: „Hopp Uli“. Ich fahre nur mit halber Kraft bis sie vorbei sind und trete dann hinter ihnen an. Ich kann mithalten, nicht mühelos, aber problemlos. Wenn ich meine E-Bike Power auf „High“ schalte, bin ich sogar schneller als sie, kann das kleine Loch wieder zu fahren. Aber ich lasse sie ziehen, gehe wieder in den Standard Modus und trete genüsslich den Berg rauf. Denn ich muss mit mei-nen beiden Akkus haushalten. Bis Landeck sind es über 1500 Höhenmeter und ich will eines auf kei-nen Fall: Ohne Akkupower dastehen. Denn dann kann ich aufhören. Ohne Akku das 22-Kilo-Teil den steilen Berg rauftreten ist schier unmöglich.Ich reihe mich im Anstieg etwa bei Platz 30 ein. Dort fahren die Top Grandmasters, die über 50jährigen. Das passt zu mir. Bei ihnen kann ich gut mithalten, auch im Standard Modus. Das Akku-Wechseln nach etwa 1100 Höhenmetern dauert nur eine halbe Minute. Danach powere ich wieder los und habe den kleinen Abstand nach kurzem wieder aufgeholt. Oben an der ersten Verpflegungsstelle jubeln mir die Mitarbeiter zu: „Wow Uli, bist Du auch schon da?“ Das hätte doch keiner gedacht, dass ich so weit vorne fahre. Banane, Isodrink, ein paar Nüsse, dann geht’s abwärts. In der langen Schotterabfahrt lasse ich es krachen, der Tacho zeigt über 70 km/h. Trotz-dem überholen mich einige in Kamikaze-Manier. Ich lasse sie ziehen und denke mir: Na wartet, im nächsten Anstieg kriege ich Euch wieder.Und so ist es: Auf der schmalen Asphaltstraße

hinauf zur Pillerhöhe hole ich ein Team nach dem anderen ein, überhole und nehme mir dann das nächste Team vor. Ich bin bergauf schnel-ler als alle anderen, sogar im Standard Modus. Allerdings muss ich ganz schön treten. Mein Puls erreicht jetzt immer wieder die 160er Marke. Egal, das Rennfieber hat mich gepackt. Jetzt will ich sehen, wie weit ich nach vorne fahren kann. Die Trails an der Fliesser Platte meistere ich ziemlich mühelos, fahre hinter den Grandmaster Führen-den her und halte deren Speed locker. Unten in Landeck steht mein Begleitauto mit zwei neuen Akkus. Es dauert eine Zeit, bis ich die umgepackt habe, einen Müsliriegel gegessen und ausgiebig getrunken habe. Eine ganze Reihe von Teams zieht vorbei.Im Anstieg nach Tobadill hole ich die meisten wieder ein. Auch meinen Freund Walter Perkmann aus dem südtiroler Sarntal, der an dritter Stelle der Grandmasters liegt. Ich sage zu ihm: „Hey Walter, das hätte ich nicht gedacht, dass ich ein-mal mit Dir mithalten kann.“ Wir lachen, unter-halten uns ein bisschen und dann ziehe ich an ihm vorbei, fahre immer weiter vor – jetzt in Fahrstufe „High“, denn ich weiß: Jetzt werden meine Akkus bis Ischgl sicher halten. Doch es kommt noch der sehr schwere, technische Trail hinter dem Almstüberl. Davor habe ich jetzt schon Bammel, bei der Nässe. Und ich gehe auf Nummer sicher. Ich schiebe – wie die allermeisten anderen Teil-nehmer auch. Hier möchte ich nicht in Probleme geraten mit dem schweren Teil. Dabei passe ich besonders auf die hinter mir kommenden Teil-nehmer auf, gehe sofort auf die Seite, wenn sie sich nähern. Ich will niemanden behindern. Das klappt, aber ich verliere einige Plätze.Dann geht es auf Asphalt runter nach See im Paz-nauntal. Kein Problem, da fahre ich ganz allein. Jetzt steht noch der abwechslungsreiche, aber sehr zehrende letzte Anstieg nach Ischgl an. Es ist ein Sägezahn-Höhenprofil, viele kleine Aufs und Abs mit insgesamt etwa 600 Höhenmetern. Das geht voll in die Beine. Nach kurzem überhole ich wieder einige Teams und ich merke deutlich wie sehr sie kämpfen, wie sehr sie ausgepowert sind. Mit dem E-Bike macht mir dieses mühsame Stakkato von kurzen Anstiegen kaum etwas aus. Ich wundere mich über mich selbst. 3300 Höhen-meter – das ist wirklich an der oberen Grenze. Mit dem normalen Bike würde ich das kaum schaffen.

Aber jetzt fühle ich mich noch ziemlich frisch. Ich könnte locker noch mehr Höhenmeter fahren. Vermutlich liegt es daran, dass ich überwiegend im aeroben Bereich pedalieren kann, mich also nie so anstrengen muss, dass völlig außer Puste gerate.Im Ziel komme ich nach vier Stunden 37 Minuten

an. Das ist eine gute Zeit für eine so schwere Strecke – ich liege bei etwa Platz 50 im Gesamt-klassement. Eine ganze Reihe von Teilnehmern klopft mir auf die Schulter: „Mensch Uli, auch wenn Du mit dem E-Bike gefahren bist, das ist eine tolle Leistung“. Das motiviert – und ich fasse wieder einen Plan….

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3. Etappe: Ischgl - Nauders

Das Rennfieber hat mich jetzt wirklich gepackt. Ich will wissen, wie weit ich als älterer, inzwischen nach zwei Etappen recht gut trainierter Mensch mit dem E-Bike in diesem schwersten Mountain-bike Rennen der Welt nach vorne fahren kann. Ischgl in der früh – es ist sehr kalt und windig. Für das Idjoch, den mit 2753 Meter Höhe höchsten Pass dieser Transalp sind minus zwei Grad ange-sagt. Ich packe mich dick ein und denke, dass dieser mit 1400 Höhenmetern sehr lange und äußerst steile Anstieg die richtige Gelegenheit sein könnte, um mich mal mit den Top-Profis anzulegen. Ich starte wieder zwei Minuten voraus, um eine extreme Steilstelle am Anfang im Pren-nerhang hinter mir zu haben und niemanden zu behindern. Dort warte ich dann die zwei Minuten, bis die Top Teams zu mir aufschließen. Kurz vor ihnen starte ich wieder in den Asphaltweg zur Idalpe und schaue, ob ich sie auf diesem Abstand halten kann. Ich bin selbst erstaunt, aber es bereitet mir überhaupt kein Problem. Dann knapp vor der Idalpe lasse ich sie bewusst vorbei – die Teams von Alban Lakata und Markus Kaufmann. Ich reihe mich dahinter ein um das Tempo besser kontrollieren zu können. High-Power aus dem E-Motor und aus meinen Beinen. Beides zusam-men reicht, nicht nur um mitzuhalten. Ich könnte sogar schneller sein. Doch nach etwa 1160 Höhenmetern geht der erste Akku zur Neige – die Batterieanzeige blinkt auf der letzten Funzel und ich merke, dass sie nicht mehr die volle Leistung abgibt. Ich muss Akku wechseln. Das muss jetzt gehen wie in der Formel 1. Zackzack. Anhalten, frischer Akku aus dem Rucksack, leerer Akku raus aus dem Bike, wech-seln, weiter. Das ganze dauert nicht viel mehr als 30 Sekunden. Aber das ist so weit vorne in diesem Rennen eine Welt. Die beiden Spitzenteams sind weit voraus und ich werde eingeholt von den Top Masters, den beiden italienischen Ex-Profis Mas-simo de Bertolis und Marzio Deho. Ich reihe mich hinter ihnen ein und kann ihren Speed mit dem neuen Akku locker mithalten. Da fasse ich einen Plan: Ich will wieder zur Spitze aufschließen. Erst rolle ich noch relativ locker hinter den Drittplat-zierten her, hole mehrfach tief Luft, lockere die Beine und schaue, dass meine Herzfrequenz ein bisschen runter kommt. Als sie bei 145 ist, trete ich an. Voll, ich gebe alles und ziehe vorbei. Mas-simo erschrickt fast, als ich mit Speed nach vorne

Mit dem E-Bike schafft man

auch die supersteilen Höhen-

meter zum Idjoch hinauf. Drei-

viertel aller Teiulnehmer mus-

sten hier schieben.

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12 1312 13Transalp 2012 Transalp 2012

Der Top-Speed in der Abfahrt

vom Idjoch ins schweizerische

Samnaun zahlt sich aus: Nach

drei Stunden 19 Minuten bin

ich im Ziel - das wäre eine

Platzierung unter den Profis

gewesen.

Wegen der sibirischen Kälte

(minus zwei Grad) am Idjoch

hatte ich mir Latex Handschu-

he von unserem Rescue Team

über die normalen Bike Hand-

schuhe gezogen. Da habe ich

an den Händen nicht gefroren,

sondern geschwitzt.

kurz vor dem Idoch wird der Weg am steilsten – teils über 20 Prozent. Ich keuche, ich trete wie ein Wilder und ich komme näher. Puls 175. Oben am Joch habe ich sie fast erreicht. Ich bin auf etwa 50

fahre. Aber er lächelt auch irgendwie bewun-dernd. Schon nach einer Minute habe ich ein Loch von 200 Metern aufgefahren. Und ich sehe die Spitzenteams vor mir. Da will ich ran. Aber hier,

Meter herangekommen, doch dann sind sie weg, runter in die lange Abfahrt zum schweizerischen Samnaun. Ischgl – Idjoch, 1400 Höhenmeter in einer Stunde und zehn Minuten, ich kann es kaum fassen. Oben steht unser Race-Marshall Holger Meyer mit seinem Motorrad und feuert mich an: „Hey Uli, superstark!“ Das motiviert. Ich gönne mir keine Sekunde Pause und rausche in die Abfahrt. Top Speed. Ich will so schnell wie möglich sein, damit mich die Italiener nicht so bald einholen. Das schwere Flyer E-Bike liegt satt auf dem Schotter. Fahrtechnisch habe ich über-haupt keine Probleme. Der Tacho zeigt bis zu 80 km/h. Manchmal ist mir da schon ein bisschen mulmig. Immer wieder kommen solche Gedanken: Uli, riskier‘ nicht zu viel. Du willst das Rennen zu Ende fahren, gesund in Riva ankommen. Wie oft hatte ich als Rennleiter das meinen Teilnehmern gepredigt: Du kannst in der Abfahrt das Rennen nicht gewinnen, aber Dein Leben verlieren. Also bremse ich vielleicht ein bisschen mehr als die Profis. Aber erst unten, kurz vor Samnaun, holen mich die Italiener ein. Ich gehe zur Seite, lasse sie vorbei und hänge mich dann hinter sie. Ich versuche es zumindest, denn sie fahren brutal schnell. Den Speed kann ich nicht halten. Ich lasse abreißen. Doch in dem flachen Anstieg von Samnaun hinüber ins österreichische Spiss sehe ich die beiden wieder vor mir. Und ich will auf-schließen. Also trete ich wieder voll an und schon nach wenigen Minuten habe ich sie eingeholt. Im Anstieg bin ich einfach stärker, genauer gesagt: mein E-Bike und ich. „Ciao ragazzi, da bin ich wieder“ sage ich zu den beiden von hinten und sie schauen fast erschrok-ken zurück. Aber ich überhole sie nicht mehr. Ich will sie nicht irritieren und auch nicht behindern. Unterhalb von Spiss wartet meine Begleitauto mit einem weiteren Akku. Der Wechsel geht schnell, aber trotzdem schießen die Teams von Karl Platt und Hannes Genze an mir vorbei in den vorletz-ten Anstieg zur Kobleralm. Es dauert keine drei Minuten und ich habe zu ihnen aufgeschlossen. Wieder das gleiche Spiel: Ich fahre locker hinter ihnen, hole Luft, lasse den Puls etwas runter-kommen und dann blase ich zum Angriff. Als ich an meinem alten Freund Karl Platt, dem sieben-fachen Transalp-Sieger vorbeiziehe, lächelt er ein bisschen gequält, sagt aber kein Wort. 400 Höhenmeter weiter oben an der Kobleralm habe ich einen satten Vorsprung herausgefahren. Ich kann die beiden Teams hinter mir gar nicht mehr sehen. Also gehe ich in die Abfahrt, wohl wissend, dass diese Top-Profis hier sicher schneller sind als ich. Aber nicht viel…Ich fahre schnell, aber kontrolliert und schaue

immer wieder kurz nach hinten, um ihnen Platz zu machen, wenn sie denn kommen. Aber sie kommen lange nicht. Erst ganz unten, kurz vor dem Einstieg in einen anspruchsvollen Singletrail sehe ich sie ziemlich weit hinter mir. Ich bremse, lasse sie vorbei, denn ich möchte sie in diesem schmalen Waldpfad nicht behindern. Aber ich hänge mich dann sofort hinter sie, rausche mit Top-Speed über die Wurzeln und Stufen. Das schwere 29er Flyer Bike lässt sich toll kontrollie-ren, es liegt wie ein Downhiller. Unten, als der Trail flacher wird und schließlich wieder leicht ansteigt habe ich auf die Top-Teams vielleicht 100 Meter verloren. Mehr nicht. Ich nehme ein bisschen Druck raus. Die Konzentration in dem Wurzeltrail hat mir den Schweiß auf die Stirn getrieben. Ich erinnere mich an meinen alten Spruch: Bei den wirklich guten Trails schwitzt man bergab mehr als bergauf. Hier ist das so. Dann geht es weiter bis zur Kajetansbrücke. Hier wartet meine Beglei-tung noch einmal mit einem frischen Akku. Der jetzige ist zwar noch nicht leer, aber ich wechsele trotzdem, denn dann bin ich sicher, dass ich es mit einem Akku zum Ziel in Nauders schaffe. So kann ich auch den schweren Rucksack weglassen und vielleicht noch ein bisschen schneller fahren.Mit dem Akkuwechsel verliere ich wieder zwei Platzierungen, aber das ist mir jetzt egal. Auf der Straße zur Schweizer Grenze gebe ich wieder alles und kann mit dem Team des Schweizer Profis Konny Looser mithalten. Im Schlussanstieg über Sclamischott zur Norbertshöhe könnte ich zwar an ihnen vorbeiziehen und noch ein oder zwei Plätze gut machen, aber ich lasse das jetzt. Ich bleibe hinter ihnen und genieße das Gefühl so weit vorne fahren zu können. Als wir nach einer kurzen Trailabfahrt im Ziel in Nauders ankommen bin ich mit drei Stunden 19 Minuten für 2730 Höhenmeter auf dem gesamt neunten Rang. Nur neun Minuten hinter den Siegern. Im Ziel jubeln die Zuschauer. Als mein alter Freund Harry Plo-ner aus Nauders sieht, das ich als 64jähriger mit dem E-Bike auf eine Platzierung unter den Profis gefahren bin, lacht er schallend, klopft mir auf die Schulter und sagt: „Uli, Du bist ein Verrückter.“ Da könnte er Recht haben.Am Abend bei der Pasta Party sprechen mich die derzeitigen Spitzenreiter und Träger des gel-ben Trikots an – Markus Kaufmann und Thomas Stoll. Sie wollen alles über das E-Bike wissen. Am Anfang waren sie dem Ganzen skeptisch gegen-über gestanden, aber nachdem ich heute in ihrer Liga mitfahren konnte, auch bergab, interessiert sie das plötzlich sehr. Fassen sie eventuell sowas als Trainingsgerät ins Auge? Für die Grundlagen-ausdauer wäre das ideal.

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4. Etappe: Nauders - Scuol

Nach der Power-Etappe von gestern nehme ich mir heute ein anderes Programm vor. Ich will zwischen Startbock B und C starten, also etwa in der Mitte. Ich möchte das Rennen auch hier einmal erleben, aus der Sicht eines normalen, gut

trainierten Amateurs. Ich frage meinen Nachfol-ger, den neuen Rennleiter Marc Schneider und den UCI Kommissar Ido Eindor ob etwas dagegen spricht, aber beide lachen nur: Kein Problem, Uli. Da ich ja ohne Startnummer fahre, aber dennoch

offiziell dabei sein möchte, besorge ich mir noch ein Schild für den Lenker: „Official Moto“. Sowas haben unsere Motorradfahrer und ein bisschen passt es ja auch auf mich mit meinem ganz leise schnurrenden Elektrobike.

Zum ersten Mal rolle ich in dem großen Feld mit. Mittendrin, umringt von anderen Bikern. Obwohl ich die Transalp 14 Jahre lang geleitet und natür-lich die Fotos immer betrachtet habe, dieses Gefühl hatte ich noch nie. Es ist schön, einfach

Traumpanorama von der

Hochebene Plamort über den

Reschensee zum Ortler. Im

Rennen bleibt leider nicht viel

Zeit zum Ausblick-Genießen.

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16 1716 17Transalp 2012 Transalp 2012

Nach der Auffahrt zur Bergka-

stelalm führt der schmale, alte

Militärtrail erst durch ehemali-

ge Panzersperren (unten) und

dann leicht kupiert nach Süd-

tirol hinüber.

berauschend schön. Alle rollen so vor sich hin, kaum einer sagt etwas. Es ist wie eine schweigen-de, große Schlange, die aus lauter einzelnen Indi-viduen besteht, die aber alle zusammen wie ein einziger Körper wirken, der sich geschmeidig den Kurven und der Geländeformation anpasst. Alle haben das gleiche Ziel. Ankommen in Riva. Das ist Harmonie, denke ich. Im Anstieg zur Bergka-stelalm zieht sich das Feld auf dem Schotterweg leicht auseinander. Es entstehen immer wieder Lücken, in die ich mit meiner Extrapower locker tretend, aber wie ein Blitz vorstoße. Die Kommen-tare der Teilnehmer sind unterschiedlich: Manche stoßen nur ein verwundertes „Ooaaahhh“ aus, andere sagen: „Aahhh, da kommt der Uli.“ Die meisten kennen mich, wissen, dass ich mit dem E-Bike mitfahre und stellen sofort ihre Fragen: Wie lange hält die Batterie? Wie viel Power hat der Motor? Wie schwer ist das Bike? Wie steil kannst Du bergauf fahren? Wie geht das im Downhill? Was kostet das? Ich beantworte alles brav und während viele Biker voll aus der Puste sind, kann ich ihnen das alles locker erzählen. Keiner ist irgendwie negativ eingestellt. Alle sind neugierig, manche erwägen, sich auch eins anzuschaffen – wenn die Dinger mal leichter und effizienter sind „und wenn ich mal älter bin“, sagt einer. Die Frage, die ich jedoch am häufigsten höre: „Wollen wir tauschen?“ Einem jungen Holländer antworte ich: „Ja, aber dann tauschen wir auch das Alter.“ Er guckt kurz meine grauen Haare an und ant-wortet dann: „OK, aber nur für einen Tag.“ Die anderen lachen.Ich schiebe mich mühelos Grüppchen für Grüpp-chen nach vorne. Ein paarmal schalte ich meine E-Power kurz auf „High“, um zu zeigen, wie groß der Speed-Unterschied ist, wenn ich voll antrete, und jedes Mal höre ich ein bewunderndes Stöhnen von hinten. Obwohl man den Bikern die Anstren-gung in dieser vierten Etappe anmerkt, sind sie alle gut drauf, fröhlich, locker, gesprächsbereit. Viele sagen mir, dass es für sie eine Ehre ist, mal neben mir fahren zu dürfen. Ich winke ab und sage: „Für mich ist es eine Ehre und eine Freude mit Euch zusammen unterwegs zu sein. Ich genie-ße das sehr.“ Manche sagen mit Bedauern in der Stimme, dass sie es schade finden, dass ich als Rennleiter aufhöre. Aber ich erkläre ihnen mei-nen Entschluss: „Irgendwann muss man ohnehin aufhören und jetzt bin ich noch so fit, dass ich mit Euch mitfahren kann. Das ist für mich der größte Spaß und ich denke, das habe ich mir verdient.“ Das verstehen sie. Manche sagen mir, dass sie das Feuer und die Begeisterung beim abendli-chen Streckenbriefing vermissen, aber auch das relativiere ich: „Ich kann ja keinen Klon von mir

herstellen. Jeder Nachfolger würde anders sein als ich, früher oder später.“ Und ich weise auf die nahezu perfekte Streckenorganisation hin, die mein Nachfolger organisiert hat. Das ist doch eine großartige Leistung.Nach der Bergkastelalm kommt der Trail über die Hochebene Plamort, auf dem alle in einer Reihe hintereinander her düsen. Dann der fantastische Blick über den Reschensee zum schneebedeck-ten Ortler, der leider teilweise von Wolken einge-hüllt ist. Die meisten riskieren einen kurzen Blick, aber dann wollen sie weiter – mit Speed auf der Schotterstraße bergab. Ich bin hier im Bereich der ersten hundert in der Gesamtwertung. Hier will man schnell fahren. Ich auch. In der Abfahrt nach Reschen sortiert sich das Feld: Einige Kami-kazes wollen unbedingt vorbei, andere fahren für meinen Geschmack zu langsam. Ich lasse die Schnellen vorbei und denke mir: „Na wartet, im nächsten Anstieg reiche ich Euch wieder nach hinten.“ Und so geschieht es – in dem kurzen Zwischenanstieg lasse ich mit Standard-Power nochmal zehn Teams hinter mir. Dann kommt der Trail, relativ steil, aber nicht allzu technisch. Ich halte mich hinter zwei Bikern, die hier recht ver-nünftig, also mit angepasstem Speed fahren. Ich habe mit meinem schweren E-Boliden überhaupt kein Problem ihnen zu folgen. Das Bike lässt sich im Trail sehr gut beherrschen.Auf der anderen Talseite geht es dann berg-auf zur Reschner Alm. Gleiches Spiel wie vorher: Schwätzchen mit anderen Bikern, Beantworten von Fragen, Klönen über alte Transalp-Zeiten mit allen, die schon mehrfach mitgefahren sind. Es ist wie eine Familie, eine harmonische Transalp Familie. Einer sagt mir, dass er mein Transalp Buch zur Hochzeit geschenkt bekommen hat. Ich frage: „Und, hat die Ehe gehalten?“ Er sagt: „Das war erst vor drei Wochen.“ Alle lachen. Nach der zweiten Verpflegungsstation geht es bergab über einen sanften Wiesentrail und Schotterwege zum Schwarzsee, danach über die Schweizer Grenze. Hier verläuft der Pfad teilweise über schmale Holzplanken, dann wird er extrem technisch und ruppig. Doch meine Furcht, dass ich hier mit mei-nem schweren E-Bike als Hindernis wirken könnte, ist unbegründet. Es schieben fast alle. Ich habe sogar einen Vorteil: Ich habe meine Schiebetaste am Lenker, mit der ich das Bike beim Schieben über den Motor in Fahrt versetzen kann – bis zu sechs km/h. Das hilft. Ich komme fast schneller vorwärts als die anderen.Dann wieder Schotterweg und schließlich eine lange, berauschende Flowtrailabfahrt hinunter nach San Nicla im Unterengadin. Ich habe kein Problem, den Speed der anderen mitzuhalten.

Das Bike liegt satt und die 29er Räder gehen locker über alle Hindernisse. Ich bin begeistert. Untern entern wir den überwiegend geschot-terten Inn-Radweg, der ganz flach ansteigend mit ein paar kurzen Abfahrten bis nach Scuol führt. Nach kurzem formiert sich eine Gruppe, die wie im Teamzeitfahren Windschatten fährt. Ich schiele auf meine Batterieanzeige und sehe, dass nur noch eine „Lampe“ an ist. Die letz-te Funzel, denke ich – und es sind noch zwölf Kilometer. Schaffe ich das? Ich habe zwar noch einen Ersatzakku im Rucksack, aber das Wech-seln würde mich um eine Minute zurückwerfen. Das wäre zwar egal, aber irgendetwas sträubt sich in mir. Ich will es auch so schaffen. Also spare ich, wo es nur geht. Ich fahre in der Gruppe als Letzter im Windschatten, schalte auf Standard und rolle so effizient dahin wie es nur geht.Der Gedanke an den Ladestand der Batterie begleitet einen beim E-Biken eigentlich ständig. Ich schiele immer wieder auf die Anzeige, nehme in jeder kleinen Abfahrt Druck vom Pedal. Dann, nach etwa sechs Kilometern fängt das Ding an zu blinken. Das ist bedrohlich. Jetzt ist wirklich bald Schluss. Ich zittere ein bisschen. Wie lange wird der Akku noch halten? Es geht jetzt flach dahin und ich bin zum Spar-Weltmeister geworden, lut-sche im Windschatten, wo es nur geht, bei einem Speed von 35 km/h, den die Jungs hier liefern. Ich sehe Scuol, ich weiß, da ist noch ein letzter kleiner Asphaltanstieg. Werde ich es schaffen dran zu bleiben. Ein paar hundert Meter vor dem Ziel macht der Akku schlapp. Es ist, als hätte jemand Matsch ins Getriebe gekippt, ich muss plötzlich viel schwerer treten. Egal, ich gehe in

den Wiegetritt und trete wie besessen. Und dann habe ich es geschafft, rolle hinter den anderen ins Ziel und bin glücklich: Drei Stunden 15 Minuten, eine gute halbe Stunde vor denen, mit denen ich zusammen gestartet bin. Heute habe ich mich nicht verausgabt. Durchschnittspuls 126 auf der kurzen Etappe mit 52,66 Kilometern und 1888 Höhenmetern.Einer, mit dem ich mich auf der Fahrt unterhalten hatte, kommt deutlich hinter mir ins Ziel. Er fragt: „Na, wie war‘s?“ Ich sage: „Toll, ich bin schon seit 20 Minuten da.“ „Boooahh“, entfährt es ihm, „und die Trails?“ „Voll runtergehämmert“, sage ich. Klaro. Wer in diesem Rennen nicht auch in den Trails ganz schnell fährt, kann nicht so weit vorne mithalten.

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5. Etappe: Scuol - Livigno

Ich denke, ich spreche allen Transalp Teilnehmern dieses Jahres aus dem Herzen, wenn ich sage: Das war der schönste Bike-Tag meines Lebens. Die Etappe von Scuol nach Livigno bot Traum-wetter, Super-Landschaft und mit dem Passo del

Gallo eine neue Streckenvariante, die absolute Begeisterung hervorruft. Dieser schier endlose Flow-Trail windet sich in perfekt fahrbaren Ser-pentinen oberhalb des Livignosees dahin und man kann in immer mit Top-Speed fahren. Es war

ein Rausch, eine unübertreffliche Erfahrung.Ich starte um genau 8 Uhr 58, zwei Minuten vor dem Feld. Ich will auf der anderen Seite des Inn-tals, im Anstieg nach S-charl so vergleichsweise langsam fahren, dass die Top Teams mich einho-

len und ich mich dahinter einreihen kann. Ich will wissen, ob ich auch hier die 1000 Höhenmeter mit ihnen mithalten kann. Rennleiter Marc Schneider hatte in seinem Briefing gesagt, dass diese ersten 1000 Höhenmeter zum Pass da Costainas ein

Dieses Foto zeigt es: Der alte

Rennleiter (hinten rechts) kann

auf den ersten 1000 Höhen-

metern bei den Top-Profis mit-

halten - dank E-Bike.

Vorne die späteren Gesamt-

sieger Alban Lakata und

Robert Mennen, dahinter die

Leader der Vortage Markus

Kaufmann und Thomas Stoll.

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die Wasserflasche auf. Eine Minute später rase ich wieder los. Es hat mich niemand überholt. Ich muss wirklich sehr schnell gewesen sein. Dann geht es auf Schotter etwa 350 Höhenmeter hin-auf zum Passo Alpisella. Traumlandschaft. Im Anstieg überhole ich ein Team, ein zweites liegt vor mir. Kurz vor dem Pass hole ich auch sie ein. Es sind die zweitplatzierten Masters Andreas Lahner und Hansi Grasegger. Ich kenne beide gut. Als ich vorbeiziehe, ist Andreas total erstaunt welchen Speed ich fahre. Ich sage: „In der Abfahrt lasse ich Euch wieder vor, ich will Euch nicht behindern.“ Kurz danach bin ich oben am Pass und schau nach hinten. Der Abstand zu den bei-den ist so groß, dass ich beschließe sofort weiter zu fahren. Rennfieber. Bis unten werden sie mich schon nicht einholen.Also schieße ich den schmalen Schotterweg runter, mit einer Mischung aus Konzentration, Vorsicht und Aggression. Ich will heute schnell sein wie die Profis. Erst ganz unten kurz vor dem Livignosee holen mich die beiden ein und ich hänge mich auf der langen ebenen Strecke am See entlang hinter sie. Meine Akku-Anzeige blinkt schon wieder, ich werde noch einmal wechseln und die beiden ziehen lassen müssen. Schade. Das Wechseln neben dem Radweg geht schnell und ich powere wieder los. Im Anstieg zur Tea dal Plan sehe ich die beiden wieder vor mir. Hansi hat Mühe. Er ist fertig und ich kann wieder ranfahren. Dann kommen die Trails oberhalb von Livigno, die viele Teilnehmer hassen, weil die kurzen supersteilen und fiesen Rampen richtig Körner kosten. Ganz zum Schluss der Etappe müsste sowas nicht mehr sein. Mit dem E-Bike macht mir das kaum was aus. Ich drücke alles hoch mit Schwung, E-Power und Pedalkraft. Ich bleibe in den kupierten Trails jetzt hinter den bei-den schnellen Masters und rolle 20 Meter hinter ihnen ins Ziel. Meine Zeit: Drei Stunden 30 Minu-ten, 15 Minuten hinter den Siegern, das entsprä-che dem zwölften Gesamtrang. Durchschnittspuls 143, Durchschnittsgeschwindigkeit 19,6 km/h auf knapp 70 Kilometer und 2531 Höhenmeter.

falora wird der Schotterweg auf 150 Höhenmeter extrem steil. Das erinnert mich ans Marienber-gjoch. Power auf High und ich trete alles hoch. Oben bin ich total aus der Puste, aber fasziniert. Ich erinnere mich, als ich vor neun Jahren diese Strecke mit meinem Freund Wolfgang Renner ausgekundschaftet habe und wir beide hier geschoben haben….Dann geht es durch allerschönste Landschaft, erst auf einem Almweg, dann auf einem Trail zum Passo del Gallo. Hier hole ich das Team Daniel Gathof und Guido Thaler ein. Wir schwätzen kurz und rasen dann hintereinander über den Trail. Knapp hinter dem Pass stoppen die beiden. Guido hat einen Platten. Helfen darf ich nicht. Also rase ich weiter. Die beiden werden zum Schlauch wechseln sicher zwei bis drei Minuten brauchen. Das genügt mir, um bergab so viel Vorsprung rauszuholen, dass die beiden mich nicht einho-len und ich sie nicht behindere. Aber die Gefahr hätte nicht bestanden, denn ich rausche den Trail runter wie ein Besessener. Absolutes Renntempo mit meinem schweren Flyer. Der Trail ist berau-schend, glatt, keine Hindernisse, der Untergrund ist mit ganz kurzem Gras bewachsen, man fährt wie auf einem Teppichboden. Die vorderen Teams sind nicht zu sehen, hinten auch niemand. Ich fahre ganz allein – und das in einem Rennen mit 1100 Teilnehmern. Ich staune. Welches Glück. Unten steht unser Marshall Holger Meyer an einem Hangrutsch und warnt vor drei superengen Serpentinen und einem ganz schmalen Trail am Steilhang. Ich springe vom Bike und laufe hastig hinunter. Auf der anderen Seite geht es steil bergauf. Da hilft meine Schiebetaste. Das Bike zieht mich den steilen Pfad hoch. Dann springe ich wieder auf uns rase weiter.Der Trail zieht sich nahezu endlos dahin, erst leicht bergauf, dann leicht bergab. Mit High-Power pendelt mein Tacho immer um die 40 km/h. Schneller - so denke ich - können die Top-Teams hier auch nicht fahren. An der Verpflegungsstelle vor dem Lago di Cancano halte ich kurz an, stopfe zwei Stück Banane in mich rein und fülle

blinkt. Der Wechsel ist angesagt. Schade eigent-lich, denn damit muss ich die Spitzengruppe ziehen lassen. Die warten ja nicht auf mich. Was gäbe ich jetzt für einen doppelt oder dreifach so starken Akku …. Ich habe mich gedanklich auf einen ganz schnellen Akkuwechsel vorberei-tet: Anhalten, Rucksack runter, neuer Akku raus, Schlüssel aus der Rückentasche des Trikots, alter Akku aus dem Bike, neuer Akku rein, Rucksack auf und weiter. Es dauert gut 30 Sekunden. Schneller schaffe ich es nicht. Schade.So fahre ich jetzt ganz allein auf dem flach ansteigenden Traumtrail zum Pass da Costainas hinauf. Vor mir ist keiner mehr zu sehen, hinter mir auch keiner. Ich komme mir plötzlich gar nicht mehr vor wie in einem Rennen. Trotzdem fahre ich was das Zeug hält. Ich möchte auch heute die bestmögliche Zeit fahren. Hinter dem Pass geht es sehr steil auf Schotter bergab. Ich schieße an ein paar Wanderern und anderen Bikern vor-bei. Unten wartet die erste Verpflegungsstelle. Ich werde etwas langsamer und da powern zwei weitere Biker an mir vorbei. Im jetzt kommenden kurzen, aber sehr steilen Anstieg bin ich wieder an ihnen dran, immer mit Highpower. Da kann ich sie sogar überholen. Ich sage: „Sorry, ich musste Akku wechseln.“ Antwortet der eine von beiden stöhnend: „Ja, das müsste ich auch.“ Ich ziehe vor, glücklicherweise, denn da ist ein Gatter geschlossen. Ich springe von Rad öffne es und die beiden Rennfahrer können ungehindert durch. Dann geht es auf supersteilen Trails bergauf. Die beiden drücken alles durch und ich auch. Ich bin noch nie so steile Trails bergauf gefahren. Unglaublich. Ich wundere mich über mich selber. Das sich das als „alter Knacker“ noch schaffe. „Das E-Bike macht mich jünger“, denke ich. Aber für weitere Gedanken habe ich keine Zeit.Die Trails gehen wieder in einen Schotterweg über, dann erreichen wir die Straße zum Ofen-pass. Ich powere wieder mit Vollspeed hoch, denn oben wartet mein Begleitauto mit zwei neuen Akkus. Blitzartig wechsele ich, schütte einen halben Liter Wasser runter, packe einen Power-Riegel ein und düse wieder los. Inzwischen haben mich einige Teams überholt, aber dahinter kommt lange nichts. Das ist gut, denn so kann ich an diesen Teams dranbleiben und muss nicht befürchten, dass von hinten jemand aufholt. Ich rase einen kurzen Trail hinunter, dann führt die Schotterstraße zur Alp Buffalora. Dutzende von Rennbegleitern stehen hier, um ihre Teams zu versorgen. Als ich etwas hinter den anderen vor-beifliege, feuern mich alle an: „Hopp Uli! Super, Du bist ganz vorne dabei.“Ich trete was das Zeug hält. Hinter der Alp Buf-

Geschenk seien, so leicht wären sie zu fahren. Ich weiß, dass er im Prinzip Recht hat, denn der Anstieg ist flach, die Naturstraße glatt und ganz leicht zu fahren, aber 1000 Höhenmeter sind nun mal 1000 Höhenmeter, auch mit dem E-Bike. Ich gondele langsam auf dem schmalen Asphaltweg nach oben und peile immer wieder nach hinten, um zu sehen, wann sie kommen, unsere Top-Stars. Es dauert keine zwei Minuten, da sind sie 100 Meter hinter mir. Ich trete an, Akku-Power auf „High“, Speed immer über 20 km/h. Bergauf, wohlgemerkt. Ich kann den Abstand gut halten, wenn ich voll trete. Aber ich darf nicht ein einziges Mal auch nur kurz ausruhen, dann kommen sie sofort näher.Ich trete voll und halte den Abstand, bis das Asphaltband in die breite Schotterstraße über-geht. Dann gehe ich ganz nach rechts, winke die sechs Spitzenteams vorbei und reihe mich dahinter ein. Die Straße ist hier so flach, dass wir mit Tempo 40 vorwärtskommen. Ich fahre am Limit, aber die Top-Teams offenbar auch: Lakata, Genze, Platt, Looser, Kaufmann, de Bertolis und ihre Partner. Als die Straße etwas steiler wird, nehmen sie Druck raus, glücklicherweise. Mein Puls pendelt bei 160. Hier im Anfang wollten sie wohl austesten wer am schnellsten ist und ob ein Team attackieren kann. Bisher kann keiner. Wir rasen dahin, fliegen durch den kleinen Ort S-charl, wo die Schotterstraße grober und steiler wird. Das ist mein Vorteil. Je steiler, desto langsa-mer werden sie und desto mehr kann ich meinen E-Motor ausnutzen. Jetzt halte ich locker mit. Es ist faszinierend auf dem Bike in diesem Renntem-po mit den Profis bergauf zu fahren, für mich eine ganz neue Erfahrung. Ohne E-Bike hätte man das nie. Und dabei sehe ich das Renngeschehen vor mir wie in einem Cinemascope Film. Die Rücken der Athleten, die glänzend rasierten Beine, die Hinterräder, die kleine Staubfahnen aufwirbeln. Die Traumlandschaft fliegt vorbei, der Schotter knirscht leise, ansonsten herrscht Schweigen. Keiner sagt etwas. Alle treten wie besessen.Dann lösen sich zwei. Das Team von Konny Loser attackiert und zieht davon. Die anderen lassen sie fahren. Ihr Abstand im Gesamtklassement ist zu groß, als dass das gefährlich werden könnte. An der Alp Astras haben wir die 1000 Höhen-meter Marke erreicht. Ich tippe auf mein Navi, um die Daten mit einem Blick zu erfassen: 1000 Höhenmeter in genau 58 Minuten. Durchschnitts-geschwindigkeit 19,6 km/h. Bergauf! Und ich noch dabei. Ich kann es kaum fassen. So schnell und so faszinierend habe ich noch nie einen Berg bezwungen. Ich bin euphorisch. Doch dann holt mich die Realität wieder ein: Meine Akkuanzeige

Ob auf Schotter oder in her-

ben Trails - wie hier hinter dem

Pass da Costainas - bewährte

sich das Flyer E-Bike sehr gut.

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6. Etappe: Livigno -Ponte di Legno

Der Trail vom Passo di Val

Trela hinunter ins Val Pettini

versetzt alle Biker in Verzük-

kung.

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Vor dieser Etappe hatten alle Teilnehmer Respekt. Ich auch. 107 Kilometer und 3451 Höhenmeter. So eine Monsterstrecke fährt man nicht jeden Tag, man kann sowas kaum trainieren, man muss es im Rennen packen – oder auch nicht. Jeder wusste, dass es sehr hart wird. Rennleiter Marc Schneider hatte nach einem Beratungsgespräch mit mir angekündigt, dass man die Strecke an der zwei-ten Verpflegung in Grosotto um 15 Uhr schließen würde. Denn da läge noch der supersteile Morti-rolo Pass vor einem, mit 1400 Höhenmetern am Stück, dann einem ruppigen Singletrail hinunter ins Val Camonica und am Schluss nochmal 300 Höhenmetern hinauf nach Ponte di Legno. Wer da nicht am mittleren Nachmittag in Grosotto eintrifft, der wird den Rest vermutlich nicht vor der Dunkelheit schaffen.Ich fühle mich am Morgen in Livigno nicht wirklich wohl. Vermutlich hatte das Renntempo am Vortag mich mitgenommen, vielleicht war aber auch eine Nervosität vor der Monsteretappe im Spiel. Ich beschließe kurzfristig als Letzter zu starten und mir den obligatorischen Stau in der sehr steilen Auffahrt zum Pass d’Eira hautnah anzuschauen. Schon nach 15 Minuten Ortsrunde stecke ich drin. Ganz hinten. Es geht im langsamen Schritt-Tempo vorwärts. Neben mir sehe ich ein junges Mäd-chen mit einem Single-Speed Bike. Ich frage sie, warum sie Singlespeed fährt. Sie antwortet, dass das gut sei für den ganzen Körper, man müsse mit jedem Muskel arbeiten. Ich sage, dass man damit dann aber keinen steilen Berg raufkommt, auch wenn man mit jedem Muskel arbeitet. Das sei ihr egal, sagt sie. Ich sage, dass es doch die Errungenschaft des Mountainbikes sei, dass es eine breit gefächerte Schaltung hat, mit der man auch steile Berge fahren kann. Sie spricht von dem Guru, der dieses Singlespeed Mountainbike konstruiert hat und setzt ihn auf gleiche Stufe mit Gary Fisher. Vermutlich ist sie in ihn verliebt. Ich schüttele den Kopf und gehe langsam weiter auf dem steilen Waldweg.Weiter oben mündet der steile Weg in eine Schot-terstraße. Aber auch hier schieben noch viele, weil auch die weiter vorne steil und grob wird. Ich schwinge mich auf mein E-Bike, schalte auf Fahrstufe „High“ und fahre teils auf dem seitli-chen Grasstreifen, teils auf der parallel laufen-den, steilen Freeridestrecke bergauf. Eine junge Frau ruft: „Uli, Du Angeber.“ Ich kontere: „Das bin nicht ich. Das ist mein Akku, der so stark ist.“ Ich überhole Dutzende von schiebenden Teilneh-mern und denke, dass wir hier unbedingt eine andere Auffahrt finden müssen. Und sei es auf der Hauptstraße. Denn die 450 Höhenmete zum Passo d’Eira hinauf brauche ich allein 55 Minuten

– und ich fahre schon einen größeren Teil. Da verlieren alle schiebenden Teilnehmer viel Zeit, die dann am Schluss dieser langen Etappe fehlt.Oben am Pass beginnt ein Singletrail hinüber nach Trepalle und zum Passo Trela, den alle in meinem Umfeld ganz gut meistern. Wir fahren alle ein einer Reihe hintereinander her. Über-holen unmöglich. Der Speed wird diktiert von einem langsameren Teilnehmer, der weiter vorne fährt. Vor dem Passo Trela wieder eine sehr stei-le Rampe. Einer muss absteigen, alle anderen dahinter auch. Nächster Stau, alle schieben ein-trächtig hintereinander her. Das dauert. Als ich weiter oben in einem flacheren Stück kurz anhalte um auf mein Bike aufzusteigen und loszufahren, drängelt sich ein Holländer vor und blockiert mich. Ich sage: „Oh Mann, das ist doch blöd. Lass mich doch wenigstens losfahren, oder glaubst Du, dass diese Sekunde für Deine Platzierung was ausmacht?“ Er zuckt nur mit den Schultern. Nach wenigen Metern überhole ich ihn wieder und später im Ziel sehe ich, dass er mehr als drei Stunden hinter mir ankommt.Die Trailabfahrt vom Passo Trela zur Malga Trela ist ein Genuss, die Schotterabfahrt durch den Canyon des Val Pettini auch. Dann geht es über 20 Kilometer flach dahin auf einem breiten Schotterweg, erst entlang dem Lago di Cancano, später über die Decauville, eine ehemalige Trasse einer Transporteisenbahn zum Staudammbau. Ich hänge mich hinter eine kleine Gruppe und wir gondeln mit einem 26er Schnitt durch die hoch-alpine Landschaft. Ich lasse die Seele baumeln und genieße es heute mal locker zu gleiten. Im kleinen Ort Arnoga wartet ein Bike Fotograf, der mich beim Akku-Wechseln ablichtet. Ich frage ihn, wie viele denn schon durch sind und er meint: „Heute bist Du ganz schön weit hinten.“ Das spornt mich ein bisschen an. Ich rolle los zum Passo di Verva, einer teils steilen und sehr grob-schottrigen alten Militärstraße. Anfangs fahre ich allein, doch dann sehe ich ganze Gruppen von Bikern vor mir, die langsam, schwitzend und leise stöhnend den Berg raufzuckeln. Ich schalte mei-nen Flyer E-Racer auf „High“ und sprinte locker an Ihnen vorbei. Dabei pfeife ich leise die Melodie von Jesus Christ Superstar, weil mich dieser Berg irgendwie an Golgatha erinnert. Alle mühen sich hier hinauf im Schweiße ihres Angesichts. Plötz-lich höre ich einen sagen: „Ooh der Uli mit seinem E-Bike. Der pfeift ein Liedchen und ich pfeife auf dem letzten Loch.“Ich recke mal wieder meinen Daumen hoch, wün-sche gute Fahrt und ziehe weiter zügig nach oben. Oben am Pass sitzen viele und ruhen sich aus. Ich mache ich keine Sekunde Pause. Ich will

diese lange Etappe schaffen und ich weiß: Wir haben jetzt die längste Abfahrt dieser Transalp vor uns – 1700 Höhenmeter runter nach Grosotto im Valtellina und dann nochmal 1800 Höhenme-ter hinauf nach Ponte di Legno. Die Abfahrt auf der extrem groben Schotterstraße ist kernig. Ich lasse es voll laufen und überhole sicher 15 bis 20 Biker. Am Rande sehe ich immer wieder welche, die ihren Platten flicken. Glücklicherweise hatte ich bisher keinen einzigen Defekt. Ab Eita geht es in einen sehr schönen, recht schmalen Waldweg, der nach Rovoledo hinunter führt. Offenbar bin ich jetzt schon in die vordere Hälfte vorgestoßen, denn hier fahren alle recht zügig. Wir rauschen gemeinsam bergab. Unten kommt noch eine län-gere Asphaltabfahrt, dann wieder Schotter mit einem kurzen stockfinsteren Tunnel und dann Grosotto mit der Verpflegungsstation.Ich trinke viel, esse eine Banane und Powerriegel, mache Fotos mit dem lokalen Bikeguru Vincenzo Osmetti, öle nochmal meine Kette und dann gehe ich ihn an, den berüchtigten Mortirolo, einen der steilsten Pässe der Alpen. Die schmale Stra-ße ist frisch asphaltiert und es sollte eigentlich gut rollen, wenn es nicht so sacksteil wäre. Mit dem E-Bike in Powerstufe „High“ merke ich die Steigung aber kaum. Ich trete sicher genauso heftig wie alle anderen Biker, aber dabei bin ich mindestens doppelt so schnell. Ich fliege an ihnen vorbei und höre von hinten immer wieder ein stöhnendes „Aahh, der Uli.“ Auf den 1400 Höhenmetern überhole ich sicher an die 400 Teilnehmer. Fast oben frage ich ein Team: „Wo seid Ihr gestartet?“ „Block B“, sagen sie. Aha, ich bin also aus letzter Position schon ziemlich weit vorgefahren. Kurz vor dem höchsten Punkt spüre ich die Müdigkeit in den Knochen auch. Meine Beine brennen, mein Rücken tut weh von dem schweren Rucksack mit dem Ersatzakku. Ich wäre jetzt gerne schon im Ziel. Doch es steht noch ein ruppiger, teils sehr technischer Singletrail

bevor und dann noch der zwölf Kilometer lange, einigermaßen flache Schlussanstieg nach Ponte di Legno.Ich habe diesen sehr technischen Trail noch gut in Erinnerung. Bei der Recherche hatte sich mein Begleiter aus Ponte di Legno hier überschlagen und sich eine blutige Nase geholt. Das soll mir nicht passieren. Ich halte deshalb kurz an und stelle den Sattel auf Halbmast. Da kommt man besser über die Felsbrocken in der supersteilen Abfahrt. Ich rausche runter mit meinem schweren Teil und komme erstaunlich gut zurecht. Nur ein-mal muss ich absteigen, weil ein paar Teilnehmer vor mir laufen. Dann schwinge ich mich wieder in den Sattel und überhole sogar einen von Ihnen. Weiter geht es auf einem gepflasterten Weg bergab, der einer Federgabel-Teststrecke alle Ehre machen würde. Ich hämmere im Renntempo runter, bin hier mal wieder ganz allein und hole später weitere Biker ein.Unten im Val Camonica überqueren wir die Hauptstraße und dann zieht sich ein Schotterweg noch 300 Höhenmeter flach bergauf nach Ponte di Legno. Das gibt uns allen den Rest. Alle sind völlig kaputt, kämpfen um jeden Höhenmeter. Auch ich, trotz E-Bike. Da merkt man die knapp 3500 Höhenmeter genauso in den Beinen. Als ich endlich nach sechs Stunden 53 Minuten ins Ziel komme, bin ich völlig fertig, obwohl mein Durchschnittspuls heute nur bei 122 lag. Ich lege mich erst mal auf eine Wiese und schnaufe. Nach zehn Minuten geht es mir besser und ich hole mir an der Zielverpflegung eine Semmel und ein Stückchen süßen Kuchen. Kurz danach geht es mir viel besser. Ich hatte Unterzucker, Hungerast nennen das die Biker. Später nach einer Massage und einer großen Pizza und einem italienischen Salat geht es mir viel besser, besser eigentlich als je zuvor in dieser Transalp. Ich habe Zuversicht. Es sind nur noch zwei Etappen. Die werde ich auch noch schaffen.

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7. Etappe: Ponte d. L. - Madonna

Wieder so ein schweres Teil. Zwar nur 72 Kilo-meter, aber wieder über 3200 Höhenmeter. Viele lamentieren: „Warum zwei so schwere Etap-pen hintereinander? Und warum kurz vor dem Schluss?“ Na ja, die Orte liegen nun mal so weit auseinander und dazwischen wollen wir ja gute Mountainbikestrecken und keine Asphaltstraße. Kürzer und leichter geht es da kaum. Meine Beine sind gut. Ich starte heute aus Block B, dem Block

der gut trainierten Amateure. Vor uns sind die Profis und die ganz schnellen Amateure. Wie weit werde ich heute nach vorne fahren können? Schon im neutralisierten Gewühle nach dem Start merke ich, dass das nicht einfach sein wird. Alle drängeln nach vorne. Ich halte mich zurück und warte auf meine Gelegenheit im langen Anstieg Richtung Rifugio Bozzi. Schon auf einem kur-zen Stück der Gavia Passstraße greife ich an,

überhole Dutzende, auch das Grandmaster-Team von Walter Perkmann. Dann geht es in einen allerliebsten Trail, den ich mit Fullspeed abhake, und danach stürme weiter bergauf. Auf der lan-gen, relativ groben Schotterstraße, die auf 2400 Höhenmeter hinauf führt, fahre ich dann Attacke. Ein Team nach dem anderen lasse ich hinter mir, schnaufe, keuche, recke hie und da den Daumen hoch und höre immer wieder: „Aah der Uli… Hey

wollen wir tauschen?“Kurz vor dem höchsten Punkt bin ich an den Top-Master Heinz Zörweg mit seinem Teamkollegen rangefahren, mit dem ich mich kurz unterhalte. Dann geht es in einen der schönsten Trails die-ser Transalp, die Alta Via Camuna. Ich lasse die beiden vor, will niemanden behindern. Der Trail zieht sich über elf Kilometer am Hang entlang mit Traumpanorama in die Gletscher der Presanella.

Von Ponte di Legno geht es

über das perfekt restaurierte

Dörfchen Case di Viso hinauf

zur Alta Via Camuna, einem 11

Kilometer langen Supertrail

mit Blick in die Gletscher der

Presanella.

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Der Trail ist sehr schmal, aber glatt, man kann überall prima rollen, erst leicht bergab, später leicht bergauf. Ich fahre wie der Teufel. Trotzdem höre ich plötzlich hinter mir Geräusche. Da ist ein Team noch schneller als ich. Kein Problem, ich fahre kurz nach links raus in die Wiese, lasse dieses und noch ein weiteres Team durch und hänge mich gleich dahinter. Aber die sind echt schneller als ich. Ok, akzeptiert. Ich lasse sie ziehen und denke: in der nächsten Auffahrt habe ich Euch wieder.Wir erreichen nach schier endloser Trailpassage die Schotterstraße oberhalb des Passo Tonale. Hier hatte ich die Verpflegung erwartet. Sie war aber nicht da. Ich habe kein Wasser mehr und Durst. Wo ist die Verpflegung? Erst nach weiteren 100 Höhenmetern bergauf taucht sie auf. Glück-licherweise. Ich bin völlig ausgetrocknet, saufe eine ganze Flasche Wasser in mich rein und stop-fe noch einen Powerriegel hinterher. Dann geht es weiter in eine sehr schöne, ziemlich leichte Abfahrt, erst über eine alte Militärstraße, dann über einen recht glatten Waldweg. Vor mir ist ein junges Mixed Team. Vor allem die Dame fährt traumhaft, sehr schnell und eine gute Linie. Ich bleibe hinter ihnen und beobachte sie – wieder so ein Cinemascope-Erlebnis: Als würden meine Augen wie eine Kamera hinter ihnen her fliegen. In einem kurzen Gegenanstieg schließe ich auf und sage den beiden: „Hey, Ihr fahrt super ab.“ Das Mädchen lächelt. Wir rasen weiter bergab, schließen zum erst-platzierten Grandmaster Team auf. Ich sehe das an den Trikots. Mit ihnen rauschen wir auf Asphaltsträßchen durch kleine Ortschaften. Leute klatschen, Kinder johlen. Alles fliegt vorbei, am Ende erinnert man kaum noch daran, wo das war. Unten in Fucine queren wir die Hauptstraße. Dort steht mein Begleitauto mit den Ersatzakkus. Ich muss anhalten, die anderen Teams ziehen lassen. Kein Problem, die hole ich bergauf schon wieder. Ich stopfe nochmal einen Riegel rein, fülle die Wasserflasche auf und rase weiter. Hier stehen viele Support Leute an der Straße, um ihre Teams zu versorgen. Alle jubeln mir zu, als ich im Wiegetritt an ihnen vorbeiziehe. Eine ruft: „Hey Uli, bist gut unterwegs.“ Ja, das Gefühl habe ich auch.Im steilen Anstieg hole ich wieder ein paar Teams ein. Meine Freunde aus Irland wollen wissen, wie viele Höhenmeter es noch sind. Ich sage: „1400“. „Ok“, ruft er zurück, „we gonna make that.“ Wei-ter oben komme ich an der zweiten Verpflegung-stelle vorbei. Sie liegt eigentlich zu nah. Meine Flasche ist noch voll, denke ich, und fahre vorbei. Kurz danach gucke ich am Bike runter und sehe:

Die Flasche ist weg. Ich muss sie verloren haben. Aber wo? Es ging doch nur bergauf, ohne große Hindernisse und Gerüttel. Komisch. Ich drehe um, um mir an der Verpflegung noch Wasser zu besorgen, denn auch mit dem E-Bike sind 1400 Höhenmeter zu viel ohne Wasser. Schon nach ein paar Metern sehe ich eine junge Englände-rin mit vielen Flaschen in einer Tasche, die ihr Team versorgen will. Ich frage sie ob sie mir eine davon abtreten kann. „Na klar“, sie reicht mit eine gelbe Flasche und schon kann ich weiter. „Many thanks“, rufe ich ihr zu.Im sehr steilen Anstieg zur Malga alta di Fazzon kann ich wieder mehrere Teams hinter mir lassen. Später wird der Anstieg auf dem Schotterweg so steil, dass sogar einige Top-Fahrer, die hier vorne fahren, absteigen und schieben. Ich kämpfe mich mit letzter Kraft an ihnen vorbei – fahrend. Irgendwie möchte ich allen zeigen, dass auch ein älterer Herr mit dem E-Bike hier noch fahren kann. Trotzdem macht es große Mühe. Ich pfeife aus dem letzten Loch, als wir in einen Trail nach links abbiegen, der am Anfang völlig unfahrbar ist: riesige Felsbrocken, im steilen Anstieg. Ich würge das schwere Bike da rüber, auch die Schiebetaste hilft hier nicht wirklich. Mir tropft der Schweiß von der Stirn. Kurz danach kommen auch noch mehrere sehr steile Stufen. Auch hier nutze ich die Schiebehilfe, aber dennoch muss ich mit aller Kraft schieben. Als ich danach kurz verschnaufe, läuft ein Team an mir vorbei. Die beiden haben ihre leichten Bikes geschultert. „Wollen wir tau-schen?“ rufe ich ihnen hinterher. Nutzt ja nix, sage ich mir. Du bewältigst jeden Meter dieser Transalp, also vorwärts. Nach kurzem Schieben wird der Trail wieder fahrbar und ich sitze wieder auf.Kurz danach folgt der nächste Akkuwechsel und dann geht es in den letzten massiv steilen Anstieg zum Rifugio Orso Bruno. Mit meinem letzten vollen Akku kann ich es schaffen. Die Teams vor mir kämpfen mit der Steilheit und dem groben Schotter, sie suchen sich natürlich immer die Ideallinie, nämlich dort, wo es am glattesten ist. Wenn ich sie überholen will, muss ich ins grobe Geläuf ausweichen. Eine andere Chance habe ich nicht. Also schalte ich auf Fahrstufe „High“ und trete an mit aller Kraft, die ich habe. Ich schaf-fe es jedesmal, sogar in dem übelsten Unter-grund. Meine Trittfrequenz ist allerdings auch im kleinsten Gang extrem niedrig, Windmühlengang nennen das die Biker. Aber ich habe vorne nun mal nur ein mittleres Kettenblatt – wegen des Antriebsritzels. Der Motor hilft zwar auch bei diesem langsamen Tritt, aber eine weitere Getrie-beuntersetzung wäre hier sehr wünschenswert.

Dann würde auch der Motor in einem wesentlich besseren Drehmomentbereich laufen und meine Trittfrequenz wäre wesentlich effektiver.Egal, ich fahre alles durch. Ich bin sicher, die Teams, die ich hinter mir gelassen habe, benei-den mich. Oben am Orso Bruno geht es in eine flach abfallende Schotterstraße auf der ich mal wieder ganz allein hinunter schieße. Madonna di Campiglio ist nah, nur noch zehn Kilometer. Do vorher müssen wir noch durch ein Sumpfgebiet. Es ist ein offizieller Weg, aber voller Matschlöcher und nasser Wiesen. Ich springe vom Bike und schiebe. Ich möchte hier nicht mit dem Vorderrad im Morast versinken und über den Lenker in den Matsch fallen. Das Schieben des schweren Bikes macht Mühe, auch mit Schiebehilfe. Zwei Teams überholen mich, sie haben ihre leichten Bikes über der Schulter. Nach dem Sumpf kommt ein kurzes Stück Straße, dann ein netter Waldtrail und schließlich die Einfahrt nach Madonna di Campiglio. Ich laufe überglücklich nach vier Stun-

den und 41 Minuten ein. Das entspricht dem 65. Gesamtrang, es ist knapp 50 Minuten nach den Siegern, aber immer noch vor den Top Damen und den Top Grandmasters, obwohl ich weit hin-ter ihnen gestartet war. Durchschnittliche Herz-frequenz heute: 131, höchster Puls 164, trotz der steilen Anstiege. Ich fühle mich wohl. Ich glaube, ich bin inzwischen ganz gut trainiert.

In der Auffahrt zur Alta Via

Camuna kann ich Dutzende

von Bikern überholen. In

Madonna di Campiglio komme

ich nach vier Stunden 41

Minuten an - für meine Ver-

hältnisse bei 3200 Höhenme-

tern eine absolute Superzeit.

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8. Etappe: Madonna - Riva

Wieder ein neuer Plan für die 8. Etappe. Ich starte mit meinem Flyer E-Bike 45 Minuten voraus. Das hat zwei Gründe: Erstens möchte ich nicht die Zwölf-Kilometer Abfahrt am Anfang im neutra-lisierten Trubel mit all seiner Unfallgefahr dahin rollen. Und zweitens – das ist der viel wichtigere Grund – möchte ich herausfinden, ob unsere Vor-fahrer, die mit ihren Mopeds normalerweise eine Stunde vor dem Start losfahren, um die Strecke zu kontrollieren, das auch mit dem E-Bike schaf-fen können. Im Prinzip könnten sie dann auch vor den Top Bikern im Ziel ankommen, denn ihr Job besteht ja nur darin, eventuelle Schwierigkeiten auf der Strecke zu beseitigen, vor Baustellen oder umgefallenen Bäumen zu warnen oder von bösen Buben abmontierte Schilder zu ersetzen. Zeit hätten sie also sicher genug, wenn sie ordentlich antreten.Das tue ich im Anfang auch, rase die erste Abfahrt runter und fahre dann im gewohnten E-Speed den Berg rauf. Kurz danach holt mich unser Vor-fahrer Dieter Happ mit seinem Motorrad ein. Als ich ihm von meiner Vision erzähle, dass er künftig mit dem E-Bike die Strecke kontrollieren könne, guckt er etwas betreten. Das mit dem Selber-Treten gefällt ihm gar nicht. Moped wäre ihm viel lieber. Na ja, aber die Mopeds machen Krach und Gestank und irgendwie passt das nicht zu unserem Event. Das sieht er ein und knattert dann weiter. Ich fahre ganz leise weiter und kann seinen Speed natürlich nicht halten. An der ersten Verpflegung werde ich mit Hallo begrüßt: „Uli, Du bist aber früh da, heute…“ Auch da erzähle ich von meinem Plan. Die finden das alle gut. Ich warte eine Viertelstunde und mache mich dann auf die Socken, immer weiter bergauf. Kurz vor dem Passo Bregn da l’Ors fängt es an zu regnen. Ich trete die letzten supersteilen Höhenmeter zum Pass hinauf und erreichte dort den Trail, der später in eine Schotterstraße ins Val d’Agola mündet. Der Regen wird stärker, immer stärker. Als ich die Schotterstraße erreiche, schüttet es, es kübelt so, dass auf dem Schotter der Dreck hochspritzt. Was soll ich machen? Das gleiche wie alle anderen hinter mir: Weiterfahren – bis zum Ziel. Ich lasse es rollen. Der Regen ist so stark, dass ich nach Kurzem bis auf die Haut nass bin. Ich sehe kaum noch etwas, weil permanent nicht nur Regen von oben, sondern auch vom Vor-derrad aufgespritzter Schmutz in mein Gesicht prasselt. Mein einziger Trost: Den Teilnehmern

hinter mir wird es auch nicht besser gehen.Ich lasse es also laufen und ergebe mich in die-ses Regen-Schicksal. Ich denke: „Dafür bin ich jetzt nun wirklich nicht über die Alpen nach Ita-lien gestrampelt.“ Die Abfahrt will und will nicht enden. Meinen Plan, heute quasi als Vorfahrer zu

wirken, habe ich längst aufgegeben. Ich will nur noch ankommen, egal wie. Es sind 1400 Höhen-meter bergab, erst auf Schotter, dann auf einem schmalen Asphaltweg. Der Regen ist inzwischen so stark geworden, dass das Wasser in Strömen über den Asphalt fließt. Wenn ich durch diese

Ströme fahre spritzt das Wasser in hohen Fon-tänen auf. Ich beginne zu frieren, trotz dicker Regenjacke. Je mehr ich nach unten komme, desto mehr schlottere ich. Klar, Chill-Effekt. Egal, ich muss da durch, wie alle anderen auch. Ich sage mir immer wieder: Du schaffst es. Du gibst

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jetzt nicht auf.Endlich erreiche ich die Straße nach Stenico. Die führt leicht bergauf, ich muss also treten und hoffe dabei ein bisschen warm zu werden. Aber es nutzt nichts, ich friere trotzdem. Dann kommt Stenico und ein steiler Waldtrail bergab Richtung Ponte Arche. Ich sehe kaum etwas, weil sich so viel Dreck in meinen Augen gesammelt hat, aber irgendwie schaffe ich es die Straße im Tal zu erreichen. Ich radele wie wild, weil ich weiß, dass in Ponte Arche mein Supportauto wartet. Als ich es endlich neben der Kirche sehe, bitte ich, sofort den Motor starten und die Heizung auf volle Pulle zu drehen. Ich setze mich klitschnass auf den Bei-fahrersitz und wechsele erst mal die Klamotten, ziehe zusätzlich Beinlinge und eine Regenhose an, eine zweite Regenjacke und frische Hand-schuhe. Langsam wird mir etwas wärmer. Dann, nach einer knappen halben Stunde sehe ich das

führende Team vorbeirasen, Alban Lakata. Ich springe aus dem Auto, wechsele noch schnell den Akku an meinem Bike und sprinte hinterher. Es regnet immer noch aus vollen Rohren.Aber ich kann die beiden nicht kriegen. Sie sind weg. Von Dasindo ins Val Lomasone radele ich ganz allein, weder vor mir noch hinter mir kann ich andere Teilnehmer erkennen. Dann kommt die üble Schiebepassage durch den Wald hinauf nach Treni. Da würge ich mein schweres E-Bike mit der Schiebetaste langsam hoch, bis ich hinter mir etwas höre. Da kommen einige Top-Teams im Laufschritt daher, die leichten Bikes über der Schulter. Ich mache Platz, lasse sie vorbei und versuche hinter ihnen her zu hecheln. Keine Chance, so schnell bin ich nicht. Schließlich zie-hen noch die Top Masters Massimo de Bertolis und Marzio Deho an mir vorbei. Hinter ihnen kann ich mich einigermaßen halten, bis wir oben den Schotterweg erreichen. Der führt ein kleines Stück bergauf, dann wieder bergab und schließ-lich geht es nach links in den Abschluss dieses Rennens, einen typischen, sehr ruppigen Garda-see-Trail, einen Karrenweg mit großen, gesetzten Steinen, die jetzt im Regen tückisch glatt sind. Diesen Trail bin ich schon ein Dutzend Mal mit dem Bike gefahren. In einem früheren Rennen sogar mit meiner Motocross-Maschine. Aber da war es immer trocken.Jetzt ist das anders. Jetzt will ich nichts mehr riskieren. Ich will nur noch ankommen. Also schie-be ich. Jetzt will ich mich wirklich nicht mehr auf die Schnauze legen. Ein paar Teams überholen mich noch, die meisten schieben auch, nur weni-ge fahren. Weiter unten, wo es etwas weniger ruppig wird, schwinge ich mich auch wieder in den Sattel und fahre hinter einem Team her, dessen Speed ich nun bis ins Ziel halten kann. Und wie es der Himmel will, hört kurz vor dem Lago der Regen auf. Ich rolle nach drei Stunden 31 Minuten über die Ziellinie und bin glücklich. Ich habe es geschafft. Die Leute klatschen, als der Sprecher mich ankündigt, als den Vater der Transalp, der mit dem E-Bike die ganze Strecke gefahren ist. Man hängt mir eine Finisher-Plakette um (obwohl ich gar nicht in der Wertung bin) und sofort umringt mich eine Menge Leute. Alle fragen mich nach dem E-Bike, nach meinen Eindrücken. Ich lächele und gebe Antwort. Ich bin glücklich und begeistert von diesem Erlebnis: Craft Bike Transalp, „mein“ Rennen, das mein Leben enorm bereichert hat – und jetzt bin ich es selbst mit dem E-Bike gefahren. Ich gehe zum Stand von Craft und genehmige mir dort ein Freibier, das der freundliche Sponsor allen Teilnehmern anbietet. Es schmeckt köstlich.


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