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Medizinrecht

Date post: 07-Feb-2017
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Das OLG Naumburg (Beschl. v. 27.2.2013 – 1 U 145/12) hatte sich mit den Anforderungen an die Substantiierungspflicht bei Arzthaftungsprozessen ausei- nanderzusetzen. Der Sachverhalt Die Klägerin knickte am 12.11.2007 mit dem Fußgelenk um. In der Notaufnahme gefer- tigte Röntgen- und Belastungs- aufnahmen blieben ohne Befund, die weitere Behandlung erfolgte daher bei dem u.a. beklagten Hausarzt, in dessen Behandlung sich die Klägerin am 20.11.2007 begab. Dieser veranlasste das An- legen eines Zinkleimverbandes, die Kühlung und Hochlagerung des Fußes und stellte die Arbeits- unfähigkeit fest. Am Folgetermin wurde zur Thromboseprophyla- xe Heparin gespritzt. Eine weite- re Röntgenuntersuchung blieb wiederum ohne Befund. Am 20.12.2007 wurde von Seiten des Hausarztes die Arbeitsfähig- keit der Klägerin festgestellt. In der Folgezeit wurden eine MRT Untersuchung und eine Arthro- skopie des Gelenks durchgeführt. Vom 14.3.2008 bis 27.3.2008 be- fand sich die Klägerin wegen des Verdachts einer Lungenembolie, der sich trotz spezifischer Unter- suchungen nicht bestätigte, in stationärer Behandlung. Im An- schluss folgte eine Vielzahl weite- rer Untersuchungen. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagten die Existenz einer Unterschenkelvenen- thrombose verkannt hätten, die schließlich zu einer Lungenem- bolie geführt habe. Die Embolie sei zu verhindern gewesen, wenn bereits am 20.11.2007 und nicht erst am 26.11.2007 Heparin ge- spritzt worden wäre. Die Vor- instanz hatte die Klage auf Scha- densersatz und Schmerzensgeld abgewiesen. Dagegen hat sich die Klägerin mit der Berufung ge- wendet. Sie ist der Ansicht, dass das Landgericht ihren Vortrag nicht habe als unsubstantiiert beurteilen dürfen. Die Entscheidung des Gerichts Das Gericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und dabei betont, dass an die Sub- stantiierungspflicht bei Arzthaf- tungsprozessen nur maßvolle und verständige Anforderungen gestellt werden dürfen. Insoweit sei es ausreichend, dass der Pa- tient den Ablauf der Behandlung darstelle und angebe, dass sie misslungen ist. Nicht ausreichend sei aber ein rein spekulativer Vortrag, wie vorliegend die Behauptung der Existenz einer Thrombose, wofür es trotz zahlreicher Unter- suchungen nicht den geringsten Anknüpfungspunkt in der Be- handlungsgeschichte gebe. Anmerkung Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast stellt den Patien- ten im Arzthaftungsprozess we- gen eines behaupteten Behand- lungsfehlers vor besondere Schwierigkeiten, da er die medi- zinischen Vorgänge und Zusam- menhänge im Allgemeinen nur unvollkommen zu überblicken vermag. Der verfassungsrechtli- che Anspruch auf ein faires Ver- fahren und das Gebot der Waf- fengleichheit hat daher nach st. Rechtsprechung u.a. zur Folge, dass an die Substantiierungs- pflicht des Patienten hinsichtlich des medizinischen Sachverhalts nur maßvolle und eher geringe Anforderungen gestellt werden dürfen. Danach ist der Patient nicht verpflichtet, sich zur ord- nungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzu- eignen oder ein Sachverständi- gengutachten einzuholen, son- dern er darf sich auf einen Vor- trag beschränken, der die Ver- mutung eines fehlerhaften Ver- haltens des Arztes aufgrund der Folgeerscheinungen gestattet. Ein Mindestmaß an nachvoll- ziehbarem Vorbringen, das in sich schlüssig ist, muss der kläge- rische Vortrag freilich enthalten. Letzteres erachtet das Gericht mit der Vorinstanz in der vorlie- genden Entscheidung zutreffend für nicht gegeben. RAin Dr. iur. C. Achterfeld, Köln Zusammenfassung aus: Achterfeld C (2014) MedR 32: 174-175, DOI: 10.1007/s00350-014-3647-x Gynäkologe 2014 · 47:404–405 DOI 10.1007/s00129-014-3390-4 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 © Franjo - Fotolia Anforderungen an die Substantiierungs- pflicht im Arzthaftungsprozess 8 8 An die Substantiierungspflicht des Patienten hinsichtlich des medizinischen Sachverhalts dürfen nur maßvolle und eher geringe Anforderungen gestellt werden Medizinrecht 404 | Der Gynäkologe 6 · 2014
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Page 1: Medizinrecht

Das OLG Naumburg (Beschl. v. 27.2.2013 – 1 U 145/12) hatte sich mit den Anforderungen an die Substantiierungspflicht bei Arzthaftungsprozessen ausei­nanderzusetzen.

Der SachverhaltDie K läger in k nickte am 12.11.2007 mit dem Fußgelenk um. In der Notaufnahme gefer-tigte Röntgen- und Belastungs-aufnahmen blieben ohne Befund, die weitere Behandlung erfolgte daher bei dem u.a. beklagten Hausarzt, in dessen Behandlung sich die Klägerin am 20.11.2007 begab. Dieser veranlasste das An-legen eines Zinkleimverbandes, die Kühlung und Hochlagerung des Fußes und stellte die Arbeits-unfähigkeit fest. Am Folgetermin wurde zur Thromboseprophyla-xe Heparin gespritzt. Eine weite-re Röntgenuntersuchung blieb wiederum ohne Befund. Am 20.12.2007 wurde von Seiten des Hausarztes die Arbeitsfähig-keit der Klägerin festgestellt. In der Folgezeit wurden eine MRT Untersuchung und eine Arthro-skopie des Gelenks durchgeführt. Vom 14.3.2008 bis 27.3.2008 be-fand sich die Klägerin wegen des Verdachts einer Lungenembolie, der sich trotz spezifischer Unter-suchungen nicht bestätigte, in stationärer Behandlung. Im An-schluss folgte eine Vielzahl weite-rer Untersuchungen.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagten die Existenz einer Unterschenkelvenen-thrombose verkannt hätten, die schließlich zu einer Lungenem-bolie geführt habe. Die Embolie sei zu verhindern gewesen, wenn bereits am 20.11.2007 und nicht erst am 26.11.2007 Heparin ge-spritzt worden wäre. Die Vor-

instanz hatte die Klage auf Scha-densersatz und Schmerzensgeld abgewiesen. Dagegen hat sich die Klägerin mit der Berufung ge-wendet. Sie ist der Ansicht, dass das Landgericht ihren Vortrag nicht habe als unsubstantiiert beurteilen dürfen.

Die Entscheidung des GerichtsDas Gericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und dabei betont, dass an die Sub-stantiierungspflicht bei Arzthaf-tungsprozessen nur maßvolle und verständige Anforderungen gestellt werden dürfen. Insoweit sei es ausreichend, dass der Pa-tient den Ablauf der Behandlung darstelle und angebe, dass sie misslungen ist.

Nicht ausreichend sei aber ein rein spekulativer Vortrag, wie vorliegend die Behauptung der Existenz einer Thrombose,

wofür es trotz zahlreicher Unter-suchungen nicht den geringsten Anknüpfungspunkt in der Be-handlungsgeschichte gebe.

AnmerkungDie Verteilung der Darlegungs- und Beweislast stellt den Patien-ten im Arzthaftungsprozess we-gen eines behaupteten Behand-lungsfehlers vor besondere Schwierigkeiten, da er die medi-zinischen Vorgänge und Zusam-menhänge im Allgemeinen nur unvollkommen zu überblicken vermag. Der verfassungsrechtli-che Anspruch auf ein faires Ver-fahren und das Gebot der Waf-fengleichheit hat daher nach st. Rechtsprechung u.a. zur Folge, dass an die Substantiierungs-pflicht des Patienten hinsichtlich des medizinischen Sachverhalts nur maßvolle und eher geringe Anforderungen gestellt werden dürfen. Danach ist der Patient

nicht verpflichtet, sich zur ord-nungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzu-eignen oder ein Sachverständi-gengutachten einzuholen, son-dern er darf sich auf einen Vor-trag beschränken, der die Ver-mutung eines fehlerhaften Ver-haltens des Arztes aufgrund der Folgeerscheinungen gestattet. Ein Mindestmaß an nachvoll-ziehbarem Vorbringen, das in sich schlüssig ist, muss der kläge-rische Vortrag freilich enthalten. Letzteres erachtet das Gericht mit der Vorinstanz in der vorlie-genden Entscheidung zutreffend für nicht gegeben.

RAin Dr. iur. C. Achterfeld, Köln

Zusammenfassung aus: Achterfeld C (2014) MedR 32: 174-175,

DOI: 10.1007/s00350-014-3647-x

Gynäkologe 2014 · 47:404–405 DOI 10.1007/s00129-014-3390-4 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

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Medizinrecht

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OVG NRW

Ein eingetragener Verein, der Se-minare, Kongresse und Work-shops anbietet, um Erkenntnis-sen der erweiterten Quantenphy-sik insbesondere in der Human-medizin zu integrieren, hatte bei der Ärztekammer die Anerken-nung einer Kongressveranstal-tung mit dem Titel “Gesundheit durch Frequenzen (Licht, elek-tromagnetische Wellen, Farben, Klang)“ als ärztliche Fortbil-dungsmaßnahme beantragt. Die Antragstellung erfolgte rechtzei-tig vor Durchführung der Ver-anstaltung. Es wurden Fortbil-dungspunkte nach Kategorie B, mehrtägiger Kongress und für die Referenten nach Kategorie F –wissenschaftliche Vorträge, Veröffentlichungen beantragt.

Die Ärztekammer lehnte die Anerkennung der Veranstaltung als ärztliche Fortbildungsmaß-nahme mit der Begründung ab, dass die vermittelten Inhalte nicht auf der Grundlage des all-gemein anerkannten medizini-schen Wissenschaftsverständ-nisses beruhen. Die Ablehnung erfolgte erst nachdem die Ver-anstaltung bereits stattgefunden hatte.

Das OVG entschied auf die Fortsetzungsfeststellungsklage des Veranstalters, dass solange eine nachträgliche Anerkennung einer Veranstaltung für die teil-nehmenden Ärzte noch von Nut-zen ist, auch der für die jeweilige Zertifizierung antragsbefugte Veranstalter wegen der damit für ihn verbundenen Werbewirkung noch ein Rechtschutzinteresse hat, einen etwaigen Anspruch auf Zertifizierung gerichtlich durchzusetzen. Allerdings sieht das Gericht in der Ablehnung

der Zertifizierung keine He-rabsetzung des Ansehens des Klägers, denn darin liege keine Bewertung der Vereinstätigkeit des Klägers oder seiner Fähig-keit Fortbildungsveranstaltun-gen durchzuführen. Das Gericht bestätigt die Versagung der An-erkennung als ärztliche Fortbil-dungsmaßnahme.

Die Zertifizierung von Fort-bildungsveranstaltungen oder besser, die Anerkennung von Fortbildungen als ärztliche Fort-bildungsmaßnahmen bedeutet, dass Ärzte, die entsprechen-de Fortbildungen absolvieren, damit ihre berufs- und sozial-rechtliche Fortbildungspf licht erfüllen können. Ärzte müssen in einem fünfjährigen Fort-bildungszeitraum 250 Fortbil-dungspunkte sammeln, um ein Fortbildungszertifikat erwerben zu können. Für einzelne Fortbil-dungsmaßnahmen vergibt die Ärztekammer nach einem bun-desweit konsentierten Schlüssel, den sog. Einheitlichen Bewer-tungskritierien Fortbildungs-punkte. Als ärztliche Fortbil-dung werden wissenschaftliche und verfahrenstechnische Er-kenntnisse, die zum Erhalt und zur Fortentwicklung der ärzt-lichen Kompetenz notwendig sind, anerkannt. Davon um-

fasst ist die Vermittlung fach-spezifischer, interdisziplinärer und fachübergreifender (Er-)kenntnisse sowie die Einübung praktischer Fähigkeiten, auch Lerninhalte, die der Verbesse-rung sozialer Kompetenzen, der Kommunikation und der Füh-rungskompetenz dienen, sowie Methoden der Medizindidaktik, des Qualitätsmanagements so-wie der evidenzbasierten Medi-zin.

Der ärztlichen Berufsaus-übung dienende gesundheits-systembezogene, wirtschaftliche und rechtliche Inhalte können ebenso Berücksichtigung fin-den. Im entschiedenen Fall hat die Kammer die Anerkennung versagt, weil aufgrund der vor-gelegten Unterlagen nicht davon ausgegangen werden konnte, dass die während des Kongresses vermittelten Inhalte auf einem allgemeinen Wissenschaftsver-ständnis und einer entsprechen-den wissenschaftlichen Evidenz beruhen.

Ass. iur. U. Hespeler, Stuttgart

Zusammenfassung aus: U. Hespeler (2014) MedR 32:116–119,

DOI: 10.1007/s00350-014-3627-1

Infobox Lesetipp

Weitere interessante Beiträge aus der Zeitschrift MedR Medizinrecht, Ausgabe 02/2014 und 03/2014 finden Sie unter dem folgenen Link: http://link.springer.com/journal/350/30/9/page/1

9 Oder gehen Sie mit Ihrem Smartphone direkt auf dieHomepage der Zeitschrift MedR Medizinrecht!

Anerkennung von ärztlichen Fortbildungsmaßnahmen

Ticker

405Der Gynäkologe 6 · 2014 |

▶ Unrichtiges ärztliches Attest bei nur telefoni-scher „Befunderhebung“

§ 278 StGB Ausstellen unrichtiger GesundheitszeugnisseÄrzte und andere approbierte Medi-zinalpersonen, welche ein unrichti-ges Zeugnis über den Gesundheits-zustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wenn ein ärztliches Attest bei Gericht vor-gelegt werden soll, in dem eine Bett-lägerigkeit wegen akuter Beschwer-den bescheinigt wird, liegt ein unrichtiges ärztliches Gesundheits-zeugnis vor, wenn es nur auf einer telefonischen Befunderhebung be-ruht. Denn ein Attest dieser Art ent-hält die konkludente Behauptung, der ärztliche Befund sei durch eine persönliche Untersuchung des Pa-tienten veranlasst gewesen. Das das Attest zur Vorlage bei Gericht dient, macht sich der Arzt gemäß §  278 StGB strafbar.Aktenzeichen: OLG Frankfurt, 04.05.1977, AZ: 2 S 146/77Entscheidungsjahr: 1977

▶ Werbung mit „Spitzen-mediziner“

In einem Ärzteverzeichnis wurden aus verschiedenen Fachbereichen Ärzte vorgestellt, die als Spitzenme-diziner oder Top-Fachärzte bezeich-net wurden. Gegenüber den Lesern wurde der Eindruck erzeugt, dass durch aufwendige Recherchen diese „Spitzenkräfte” ermittelt wurden. Eine Werbung mit einer Spitzen-gruppenstellung („Spitzenmedizi-ner“) ist unzutreffend, wenn die vor-gestellten Mediziner tatsächlich nicht zu einer Spitzengruppe gehö-ren, deren Qualifikation einen deut-lichen und nachhaltigen Vorsprung gegenüber dem Durchschnitt der auf dem jeweiligen Gebiet tätigen Fachärzte aufweist. Hinzu kam, dass die Ärzte, die als Spitzenmediziner dargestellt wurden, für den Eintrag erhebliche Beträge zahlen mussten. Es handelt sich bei dem Verzeichnis um eine von den präsentierten Ärz-ten durch hohe Entgelte mitfinan-zierte Werbeplattform. Dies sei für den Verbraucher aber nicht ersicht-lich.Aktenzeichen: OLG Karlsruhe, 07.05.2012, AZ: 6 U 18/11Entscheidungsjahr: 2012


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