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medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

Date post: 22-Jul-2016
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Armutsbekämpfung repolitisieren / Chile: Reise durchs Mapucheland / Migration: Fußball und Flucht / Nicaragua: Kranke Zuckerrohrarbeiter durch Biosprit
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medico international rundschreiben 02|11 www.medico.de
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medico international

rundschreiben 02|11www.medico.de

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rundschreiben 02|11

ISSN 0949-0876

Titelbild: Bitteres Zuckerrohr. Im Jahr 2010exportierte Nicaragua 80 Millionen Liter Bio-ethanol in die EU. Das Süßgras bildet dieBiomasse zur Gewinnung „klimafreundlicherEndenergie“. Mit tödlichen Folgen: chroni-sche Niereninsuffizienz und zehnmal höhereSterblichkeit der Zuckerrohrarbeiter, dazuVerseuchung von Böden und Grundwasserentlang der Plantagen.

Foto: Francesco Zizola|NOOR

editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

als ich im April dieses Jahres eine Veran-staltung in Frankfurt mit der nicaraguani-schen Zuckerrohrarbeiterin Carmen Rios(vgl. S. 24) moderierte, musste ich fest-stellen, mit welcher enormen Geschwin-digkeit die globalen ökonomischen Pro-zesse über Länder wie Nicaragua hin-wegfegen. Carmen Rios ist unheilbar anchronischer Niereninsuffizienz erkrankt.Die Ursache: der Pestizideinsatz auf denZuckerrohrgroßplantagen. Das hat esimmer schon gegeben, sagen Zyniker.Nach dem Motto: Wo gehobelt wird, fal-len Späne. Tatsächlich hatte sich aber inden vergangenen Jahren und Jahrzehn-ten die Großplantagenwirtschaft aus Mit-telamerika zurückgezogen. Nun ist sie inSchallgeschwindigkeit auf den Weltmarktzurückgekehrt. Die Endlichkeit des Erd-öls hat den Energiehunger auf Ersatz-stoffe umgelenkt. Die heißen unter ande-rem Raps, Palmöl, Zuckerrohr, Mais. Der agroindustrielle Komplex, der nichtsmehr mit unserer idyllischen Vorstellungvon Landwirtschaft zu tun hat, überziehtheute jeden Winkel der Erde wieder mitPlantagen. Denn sie sind sehr lukrativ.Damit werden die Lebensbedingungender Menschen handstreichartig verän-dert. Dörfer werden zerstört, Land wirdknapp, Menschen migrieren aus ihrerHeimat und ihren sozialen Zusammen-hängen. Alles, weil es der Markt so will.Mit den Großplantagen zurückgekehrtsind extreme gesundheitliche Belastun-gen. Aus den hochmodernen Zuckerrohr-feldern Brasiliens wird zwar kein Pesti-zideinsatz mehr gemeldet, dafür sind die

Inhalt

Editorial..................................... 2

Kommentar ............................... 4

Interview mit Dr. César

Rodríguez Rabanal................... 6

Projekte – Projektionen............12

Chile ........................................ 14

Migration..................................20

Nicaragua................................ 24

Interview mit Dieter Müller....... 27

Palästina.................................. 28

Symposium der stiftungmedico international.................30

Syrien.......................................34

medico aktiv ........................... 38

medico Materialliste ................40

Service/Impressum ................ 42

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Arbeitsbedingungen derart schwer, dassein Zuckerrohrarbeiter nach etwa 15Jahren an Erschöpfung stirbt. In Chilehat der ökonomische Druck auf Agrar-land zur Folge, dass die Mapuche-Frageimmer noch ungelöst ist (vgl. S. 14). Ne-benan in Argentinien haben sich bereitsÄrzte zusammengeschlossen, die diedramatischen gesundheitlichen Folgendes Pestizideinsatzes auf den riesigenSojafeldern untersuchen, die für denenormen Fleischkonsum Westeuropasund Nordamerikas nötig sind. Missbil-dungen bei Kindern der verarmten Land-bevölkerung sind hier an der Tagesord-nung. Diese Meldungen kommen ausLändern mit Gewerkschaften, Gerichten,Strukturen, die wenigstens den Skandalnoch entdecken. Die sklavereiähnlichenArbeitsbedingungen in den Bergwerkendes Kongo und den Minen Sierra Leonesinteressieren gerade mal kleine zivilge-sellschaftliche Gruppen.

Was mich an der Geschichte von Car-men Rios so bewegte, war auch die Er-kenntnis, dass möglicherweise solcheUnternehmungen wie das Gemeindepro-jekt El Tanque heute nicht mehr zu reali-sieren wären. Der globale ökonomische

Druck auf Land und Territorien ist soenorm, dass Kleinbauern keine Chancemehr haben. Dabei ist das Dorf der wie-derangesiedelten Bauern, das medicoseit dem Hurrikan Mitch 1998 jahrelangvielfältig unterstützte, nach wie vor einesder erfolgreichsten Projekte der nachhal-tigen Armutsbekämpfung (vgl. Interviewauf S. 6). Hier überleben nicht nur Men-schen, hier sind auch wieder soziale Be-ziehungen entstanden. Das ist der besteSchutz gegen den Kreislauf aus Armutund Gewalt.

Die Bedingungen für Inseln der Vernunft– als solche hatten wir El Tanque immerbetrachtet – werden schwieriger. Einzigeine kritische globale Öffentlichkeit kannhieran etwas ändern. Da allerdings gibtes seit den Protesten in Tunesien, Ägyp-ten, aber auch in Syrien (vgl. S. 34)überraschend Positives zu vermelden.Auf dem Symposium der stiftung medicointernational war dies ein Thema. Wir berichten darüber in diesem Heft. Es seiIhnen hiermit anempfohlen.

Herzlichst Ihre

Friedhof von Chichigalpa, Nicaragua: „Letzte Woche wurden hier wieder 10 Menschen begraben,alles Ex-Arbeiter auf den Zuckerrohrfeldern“ (Carmen Rios, März 2011). Foto: Lena Sänger

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kommentar

rst die Gurken, dann Tomaten und Salat, schließlich die Sprossen – ausgerechnetdort, wo Sicherheit groß geschrieben werden sollte, ausgerechnet in Fragen derLebensmittelsicherheit, herrscht Verunsicherung. Und dies nicht erst seit EHEC.

Die Liste der Lebensmittelskandale ist lang: Frostschutzmittel im Wein, BSE, Gammel-fleisch, dioxinbelastetes Viehfutter, Mäusekot im Mozzarella – immer öfter müssen sichdie Behörden, die für Lebensmittelsicherheit zu sorgen haben, mit der Bewältigung vonKrisen beschäftigen.

Ob bei den laufenden Untersuchungen über den Übertragungsweg (die Spros-sen) hinaus auch der Ursprung des EHEC-Durchfallerregers jemals aufgeklärt werdenkann, ist nicht sicher. Solange aber seine Herkunft nicht eindeutig nachgewiesen ist,machen skurrile Erklärungen die Runde. Den Vogel hat die Bild-Zeitung abgeschossen:Die Spur des Todeskeims führe nach Afrika, titelte das Boulevardblatt, „ein extrem ge-fährliches Bakterium aus Zentralafrika, das blutige Darmentzündungen verursacht,paarte sich mit dem in Deutschland bekannten EHEC-Erreger“.

Statt den Ursprung des Unheils in Afrika zu wähnen, ist es höchste Zeit, überdie eigenen Lebenswelten nachzudenken. Denn das steht fest: auch die hiesigen Mi-kroorganismen passen sich an veränderte Umweltbedingungen an, sie variieren ihr Erb-gut und suchen sich neue Übertragungswege. Im Falle von EHEC ist es ganz offenbarzu einem Gentransfer zwischen verschiedenen Erregerstämmen gekommen, was so-wohl im menschlichen Umfeld als auch in Rindern stattgefunden haben könnte.

Und so führt die Spur eher zu uns selbst: in die Viehmast beispielsweise, wiees ein Blogger im „Ärzteblatt“ nahelegt, oder in Krankenhäuser, Arztpraxen und privateHaushalte, wo Krankheitskeime permanent mit allerlei Chemikalien, Desinfektionsmittelnoder Medikamenten in Berührung kommen – und der Selektionsdruck groß ist. Auch deraktuelle EHEC-Erreger verfügt über Gene, die ihn gegen Antibiotika schützen. Bakteriendieses Typs, so Helge Karch, der Leiter des Münsteraner Instituts für Hygiene, seiengegen Antibiotika resistenter geworden. Und so ist nicht auszuschließen, dass der mas-sive Einsatz von Antibiotika in Landwirtschaft und Humanmedizin zum Entstehen desEHEC-Erregers beigetragen hat.

Nachzudenken ist deshalb über den allzu sorglosen Umgang mit Antibiotika,die nicht selten völlig unsachgemäß schon bei leichten Erkältungen oder Bauchgrimmenverordnet und eingenommen werden. Dabei spielen die Erwartungshaltungen der Pa-tienten, ärztliche „Traditionen“ und das Marketing der Pharmaindustrie eine nicht unwe-sentliche Rolle. Franzosen beispielsweise konsumieren dreimal soviel Antibiotika wie

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ResistenzÜber die Vernutzung des Gemeinguts Antibiotikawirksamkeit

Von Thomas Gebauer

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Holländer. In China sollen heute 30 - 40 Prozent aller eingesetzten Medikamente Anti-biotika sein. In den USA ist die Hälfte des Antibiotikaeinsatzes medizinisch unbegründet.Arzneimittel lassen sich Patienten unmittelbar in Rechnung stellen; die Förderung einesrationalen Umgangs mit Arzneimitteln und die Kontrolle der Infektionswege dagegen er-fordern Aufklärung und öffentliches Engagement.

Der übermäßige Gebrauch von Antibiotika ist höchst problematisch: Durch ihnwird die Resistenzentwicklung von Krankheitskeimen beschleunigt. Die Wirksamkeit vonAntibiotika aber ist nicht irgendetwas: sie ist ein bedeutsames Gemeingut, eines, dasüber Leben und Tod entscheiden kann und deshalb der Allgemeinheit gehört. Zu denEigentümlichkeiten diese Gemeingutes zählt, das es nur begrenzt vorhanden ist und mit

jeder, vor allem mit jeder unsachgemäßen Ein-nahme von Antibiotika auch deren Wirksamkeitaufgebraucht wird. Die Welt steuere auf ein„post-antibiotisches Zeitalter“ zu, so kürzlichdie WHO-Generaldirektorin Margaret Chan.

Unter solchen Umständen ist absolut un-verständlich, dass in Europa noch immer etwa50 Prozent aller Antibiotika in der Tierzucht ein-gesetzt werden. Zwar hat die EU 2006 ein Ver-bot von Antibiotika als Futtermittelzusatzstofferlassen, doch werden Antibiotika weiterhingroßflächig veterinärmedizinisch eingesetzt,sozusagen zur Vorbeugung von Krankheiten,aber noch immer mit dem willkommenen Be-gleiteffekt eines beschleunigten Fleischwachs-

tums. Und der zahlt sich aus. US-Wirtschaftsforscher haben errechnet, dass sich derProfit der Viehzüchter durch den Einsatz von Antibiotika um rund neun Prozent steigernlässt. Was Wunder, wenn Anfang des Jahres wieder die Warnung vor vermehrt mit An-tibiotika verseuchtem Hühnerfleisch die Runde machte. Ganz offenbar werden nochimmer Antibiotika unerlaubt zur Wachstumssteigerung in der Viehmast eingesetzt, dasGemeingut Antibiotikawirksamkeit zur unmittelbaren Profitsteigerung privat angeeignet.

Es ist gut, dass derzeit über eine grundlegende EU-Agrarreform nachgedachtwird. Ein Systemwechsel ist vonnöten, weg von einer weiteren Industrialisierung derLandwirtschaft hin zu einer am Gemeinwohl orientierten bäuerlichen, fairen, tier- undumweltgerechten Landwirtschaft, verlangt beispielsweise die „Arbeitsgemeinschaft bäu-erliche Landwirtschaft“ (www.abl-ev.de): Fruchtfolgen statt Monokulturen, eigener Anbauvon Eiweißpflanzen statt Gentechniksoja aus Übersee, der Erhalt von Grünland undWeidevieh. All das aber wird nur gelingen, wenn auch das bisherige System der EU-Agrarsubventionen grundlegend verändert wird. Solange er der mächtigen Agrarlobbygelingt, dass monokulturelle Großbetriebe das Gros der Zahlungen einstecken, bleibenkleinbäuerliche Betriebe auf der Strecke. Erst das Ende der bestehenden Subventions-praxis eröffnet die Chance auf Veränderung – die ganz nebenbei auch dafür sorgenwürde, dass afrikanische Landwirte wieder konkurrenzfähig Gemüse produzieren könn-ten. Womit wir dann doch in Afrika wären, dessen Unheil allerdings zu einem gerütteltMaß aus Europa kommt.

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Keine Koalitionsaussage, sondern Keim der Angst: EHEC-Erregerim Elektronenmikroskop. Foto: Manfred Rohde (HZI)

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Sie haben sich bereits in den achtzi-ger Jahren mit den psychischen Fol-gen von Armut beschäftigt und mitpsychoanalytischen Methoden die Si-tuation der Menschen in den Elends-vierteln von Lima untersucht. Was wa-ren damals die zentralen Ergebnissedieser Beschäftigung?

César Rodríguez Rabanal: Damals be-schäftigte man sich mit der Armut vor al-lem auf dem Gebiet der Ökonomie undder Entwicklungspolitik. Die sogenannten„harten Daten“ der materiellen Armutwurden jedoch nicht mit der Herausbil-dung bestimmter Verhaltensmuster, dieunter solchen Lebensumständen mögli-cherweise entstehen, in Verbindung ge-bracht. Letzten Endes ging es uns umdie Wechselwirkungen zwischen der In-nen- und der Außenwelt des Menschenam Beispiel der Armut: Welche äußerenBedingungen führen dazu, dass Men-schen bestimmte Haltungen und Verhal-tensmuster übernehmen? Und umge-kehrt. Wie tragen diese Haltungen undVerhaltensmuster dazu bei, dass mate-rielle Armut und die Abhängigkeiten sichverewigen? Diesen Ausgangspunkt ha-ben wir später um Untersuchungen zupolitischer Gewalt erweitert.

Die Slumbewohner in Lima hatten dasLand, auf dem sie ihre Hütten errich-

teten, besetzt. Gab es im Gegensatzzu heute politische Strukturen oderFormen der Selbstbestimmung auchunter den Allerärmsten?

Ja. Das waren allerdings keine nachhal-tig organisierten Strukturen, sondernvielmehr Überlebensstrategien, die ausder Not entstanden waren, um sich ge-gen die Räumungen durch die Polizeizur Wehr zu setzen. Es gab auch damalsLeute, die damit Geschäfte machen woll-ten oder versuchten aus der Situationpolitisches Kapital zu schlagen. Dieseselbst organisierten Überlebensstruktu-ren werden von außen instrumentalisiert.Da gibt es politischen Opportunismus,Skrupellosigkeit, aber auch das Bedürf-nis dieser Menschen, sich zu behauptenund das besetzte Land, das alles Wüstewar, zu verteidigen. Zu diesem Zweckhaben sie sich regelmäßig getroffen undan diesen Treffen haben wir teilgenom-men. Wir haben uns vorgestellt und er-klärt, dass wir keine psychologisierendenAnsätze hätten, sondern dass wir denUrbanisierungsprozess als Ganzes be-gleiten wollten. Dazu machten wir unsmit den Gegebenheiten vor Ort vertraut,was eine Grundvoraussetzung für einesolche Art von Arbeit ist. Für uns war dieIdentifizierung mit den Menschen und ih-ren Anliegen außerordentlich wichtig, ge-rade weil auch unser Anliegen im weites-

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psychosozial

Armutsbekämpfung repolitisierDer peruanische Psychoanalytiker Dr. César Rodríguez Raba nis von Armutsbekämpfung, in dem Empathie und Sol idarität

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ten Sinne des Wortes ein politisches war.

Wie haben sich der Mikrokosmos Ar-mut und seine psychischen Folgenfür die Menschen in den Jahrzehntendes Neoliberalismus verändert?

Eine Arbeit wie damals ließe sich heutenicht so einfach durchführen, weil solcheOrganisationsformen, wie sie damals bestanden, mit dem wachsenden Indivi-dualismus nur selten entstehen. Würdenwir heute in einem neu entstandenenElendsviertel auftauchen, um uns zu solidarisieren und unsere fachliche Un-terstützung bei der Ansiedlung anbieten,würde sofort die Frage nach unserem Interesse auftauchen: Was wollt ihr vonuns? Welche Geschäfte wollt ihr mit unsmachen? Beinahe alles wird heute imSinne des Geschäfts verstanden. Miss-trauen war zwar auch damals vorhan-den, aber zumindest noch ambivalentausgeprägt. Heute, nach Jahrzehntendes Neoliberalismus, herrscht vor allemein utilitaristisches Denken vor: Wie kannman aus der Arbeit mit uns, Profit fürsich schlagen. Die Folgen des Neolibe-ralismus bestehen vor allem im Verlustvon Solidarität untereinander und in denwachsenden Vorbehalten, sich von unsunterstützen zu lassen.

Ist so auch eine wichtige Ressource

en nal plädiert für ein Verständ- t im Mittelpunkt stehen

Es ist eines der irrwitzigen Phänomene des21. Jahrhunderts: Nie war die Weltbevölke-rung so groß und nie lebte sie auf so eng ge-drängtem Raum. Das Gesicht dieser Urbani-sierung ist die scheinbar wie entfesselt wach-sende Megacity. 15 der 20 größten Stadtre-gionen liegen im globalen Süden und ein Drit-tel der Stadtbewohner leben dort in absoluterArmut. In der hauptstädtischen AgglomerationDhaka wohnen heute 15 Millionen Menschen,1950 waren es noch 500.000. Anders als aufdem Land, kann Gesundheitsfürsorge in die-sem städtischen Raum nicht auf schon beste-hende Gemeinschaft der Betroffenen setzen,sondern muss ein solches solidarisches Mit-und Füreinander erst schaffen. Das wagt dermedico-Partner Gonoshastaya Kendra (GK)jetzt mit der Rickshawpullers Health Coopera-tive. Hier können sich die Fahrer der dreirädri-gen Fahrradrikschas, sie alle leben in Konkur-renz zueinander in slumähnlichen Verhältnis-sen, für einen Euro jährlich gegenseitig kran-kenversichern. medico bezuschusst diesenVorgriff von unten im Kampf um eine gesetzli-che Krankenversicherung. Ihre Spende dafürunter dem Stichwort: Bangladesch.

Das Beispiel Bangladesch

Gesundheit in der Megacity

Rikschafahrer in Dhaka. Foto: medico

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der Selbstheilung verloren gegangen?

Nicht nur der Selbstheilung, sondernauch der Motivation für solidarische Un-terstützung. Wir wollten damals nicht einfach helfen, wir wollten die Menschenin ihrem Recht auf Stadt politisch unter-stützen und auch uns selbst an der Auf-gabe entwickeln. Heute herrscht einkurzsichtiger Pragmatismus vor, der sichauch in der Politik gegenüber der Armutund den Armen wiederfindet. Politik be-steht nur noch aus handfesten Angebo-ten. Geld wird zugeschossen oder Infra-struktur verbessert. Das ist richtig, aberdie Vorstellung von Entwicklung be-schränkt sich dabei eben nur auf das

Materielle. Ein integraleres Konzept vonEntwicklung, das den Menschen mit seinen Potenzialen umfasst, hat leiderimmer weniger Platz.

Die eher technisch ausgerichtetenweltweiten Armutsbekämpfungs-programme treffen auf Menschen, die letztlich nicht in der Lage sind,selbst aus der Armut herauszukom-men. Bleiben sie deshalb auf Dauerunwirksam?

Ohne die ganze Welt zu kennen, würdeich sagen, dass sich dieser Trend aufjeden Fall deutlich abzeichnet. Hier inPeru gibt es zum Beispiel spezielle staat-

Ländliche Armut ist in vielen lateinamerikani-schen Ländern Ausdruck von extremer Aus-weglosigkeit und Vernachlässigung. Aufgrundökologischer und weltwirtschaftlicher Rah-menbedingungen ist die Situation der Klein-bauern und Landarbeiter in Haiti allerdingsbesonders problematisch. Trotzdem, auchhier existiert eine soziale Bewegung der Klein-bauern, Tet Kole, die seit zwei Jahren mit ih-ren 70.000 Mitgliedern auch der internationa-len Bewegung Via Campesina angehört, diesich unter anderem für die Landreform undden Widerstand gegen das Agrobusiness ein-setzt. Seit zwei Jahren gibt es eine brasiliani-sche Solidaritätsbrigade, die Tet Kole ihr Wis-sen in Theorie und Praxis zur Verfügung stellt.Nach dem Erdbeben organisierte sie 1.284Zisternen für vernachlässigte haitianischeDörfer, die der brasilianische Bundesstaat Ba-hia spendete. Die Installation der Zisternenunterstützte medico. Die haitianisch-brasiliani-sche Solidarität geht weiter und wird unter an-derem von medico gefördert. Ihre Spende da-für unter dem Stichwort: Haiti

Das Beispiel Haiti

Solidarität der Kleinbauern

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liche Institutionen für die Vergabe vonMikrokrediten. Die führen Weiterbildun-gen durch, sogenannte „capacitaciones“,bei denen auf einer Veranstaltung Tau-sende von Menschen innerhalb von dreibis vier Stunden im Umgang mit den Mi-krokrediten geschult werden. Nach die-ser Veranstaltung gelten sie als weiter-gebildet und bekommen sogar ein Zeug-nis ausgestellt. Das ist eine Beleidigungder Menschen. Es handelt sich um eineInstrumentalisierung der Armutsbekämp-fung für sehr kurzfristige politische Ziele.Es geht immer nur um Zahlen. Die jetzi-ge Regierung Perus behauptet, die Ar-mut hätte sich erheblich reduziert. Aberwie die Armen leben, wie sie miteinander

umgehen, wie sie sich organisieren undwelche Perspektiven sie im Leben ha-ben, interessiert keinen.

Welche Ansätze kann eine solidari-sche Hilfe verfolgen, die diesen inne-ren wie äußeren Kreislauf der Armuts-zementierung durchbrechen will?

Wir arbeiten wie medico mit Partnern,die im guten Sinne des Wortes politisiertsind. Sie verfügen über langjährige Er-fahrungen im Umgang mit der Armut, imUmgang mit Menschen in Armut und inpraktischer Solidarität. Es fehlt ihnenvielleicht an Fachkenntnissen, die hilf-reich sein könnten. Wir wollen sie nichtzu Psychoanalytikern oder Psychothera-peuten ausbilden. Aber in Selbsterfah-rungsgruppen sollen ihnen Fachkennt-nisse vermittelt und ihre Fähigkeit, aufMenschen aus Armutskontexten einzu-gehen, gefördert werden. Das ist einganz entscheidender Punkt, der in derRegel in der Entwicklungszusammenar-beit vernachlässigt wird.

Aber Traumaarbeit ist doch gerade ein großes Schlagwort in der Entwick-lungspolitik?

Bei den Themen Selbstwertgefühl undTrauma muss man aufpassen. Das Gan-ze ist sehr psychiatrisiert worden, bezie-hungsweise zu Schemen und Schlag-worten verkommen. Alle sprechen nurvon den Folgen des Traumas und habenein bestimmtes Schema beim Umgangdamit vor Augen. Aber im Umgang miteinem konkreten Menschen und seinenGefühlen gibt es keine generellen Ant-worten. Man muss sich immer wieder

9Zisternenbau nach dem Erdbeben.Foto: medico

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aufs Neue mit dem einzelnen Fall be-schäftigen und die Fähigkeit der Men-schen, die vor Ort mit diesen Menschenarbeiten, entsprechend in diese Richtungentwickeln und fördern; immerhin gehtes dabei um Traumatisierungen. In La-teinamerika gibt es immer wieder diePraxis der Workshops, die meistens aneinem Wochenende stattfinden und aufdenen man erklärt bekommt, wie manein anderes, ein besseres Selbstwertge-fühl erlangt. Das ist doch sehr naiv. Viel-

mehr müsste die ständige Begleitungdieser Gruppen im Vordergrund stehen.

Was wären Schwerpunkte einer sol-chen Weiterbildung in Abgrenzungzum allgemeinen Traumadiskurs?

Am Anfang ist es wichtig, eben keineAgenda zu haben, sondern sich erst einmal mit den Menschen zu treffen undsich anzuhören, was sie zu erzählen haben. Dabei sollte man ihnen nicht den

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Das Beispiel Südafrika

Wider den Kreislauf aus Armut und Gewalt

Aus einer Gruppe engagierte Psychologen,die Gefangene und Folteropfer des Apartheid-Regimes therapeutisch unterstützen, ist die-ser langjährige medico-Projektpartner ent-standen. Die Arbeit von Sinani in ausgegrenz-ten und gewaltgeprägten Gemeinden in Kwa-Zulu-Natal ist getragen von der Überzeugung,dass Hilfe für Veränderungsprozesse alle Be-dürfnisse wahrnehmen und ganzheitlich orga-nisiert sein muss. Seit 1995 arbeitet Sinani inca. 20 Gemeinden, in denen politische, so-ziale und häusliche Gewalt eng verschränktsind, extreme Armut und eine hohe HIV-Infek-tionsrate herrscht. Die Gemeinwesenarbeitvon Sinani verbindet die Selbstermächtigungdes Einzelnen mit der Wiederherstellung vonBeziehungen und Verbindungen in den Ge-meinden sowie zu staatlichen Institutionen.Ziel ist es die politischen und sozialen Akteurein den Gemeinden – durch Fortbildungen,Entwicklung von sozialen und wirtschaftlichenProgrammen – in ihrer Selbstermächtigung zustärken. Die langjährige Begleitung der Ge-meinden hat sich als so erfolgreich erwiesen,dass Sinani von staatlichen Stellen zur Fortbil-dung angefordert wird und ein Curriculum er-arbeitet, auf dessen Grundlage Gemeinwe-

senarbeiter und Sozialpädagogen ausgebildetwerden, die in diesen extremen Armuts- undGewaltkontexten tätig sein werden. (Ausführ-

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Eindruck vermitteln, sie seien krank undman würde sie nun als Arzt entsprech-end behandeln. Vielmehr sollte mandeutlich machen, dass sie Menschensind, die unter schwierigen Bedingungenleben, sich daher schwer tun, alleineweiterzukommen. Im Vordergrund sollteauf jeden Fall die Begleitung dieser Per-sonen stehen und nicht die Einengungauf ihre traumatischen Geschichten. Ichselbst habe einmal in Peru einen Work-shop mit ehemaligen Tuberkulosepatien-

ten veranstaltet. Da haben wir erst ein-mal nur über den Alltag dieser Menschengesprochen und erst später über dasThema Tuberkulose. Wir haben sie nichtals Kranke behandelt, sondern als Men-schen, die es schwer haben im Lebenund alleine damit nicht fertig werden, unddadurch ihre Geschichte entmedikali-siert. Es muss doch betont werden, dassniemand allein fertig werden kann mit soetwas Gravierendem wie der Vernach-lässigung durch Amutsverhältnisse undden Katastrophen, die damit so häufigverbunden sind.

Ohne Agenda, das widerspricht denArmutsbekämpfungsprogrammen, dieauf messbare Erfolge abzielen?

Auch ich bin für erfolgreiche Armutsbe-kämpfung. Es kommt dabei ganz daraufan, wie man den Erfolg definiert. Wennman unter Erfolg versteht, dass immermehr Menschen ein Bewusstsein für dieeigene Lage entwickeln, empathisch imUmgang mit anderen werden und Solida-rität ausüben, dann halte ich das für sehrerfolgreich.

Das Interview führte Katja Maurer

Dr. César Rodríguez Rabanal, in Peru geboren, hat in der Bundesrepublik studiert und am Frankfurter Sigmund-Freud-Institut seine psychoanalytische Ausbildung erhalten. Er hat mehrere Bücher zu psycho-sozialen Problemen in peru- anischen Elendsvierteln verfasst.

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liche Informationen zum Arbeitsansatz von Sinani unter: www.medico.de) Das Spenden-stichwort lautet: Südafrika.

Gesprächsrunden gegen die Gewalt.Foto: medico

Foto: Privat

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projekte – projektionen

Demokratie macht gesund!Ägypten: Recht auf Stadt im Slum

er Pharao musste gehen. Und nichtsmehr wird so sein, wie es war. Noch

in den umkämpften Februartagen halfmedico unseren ägyptischen Partnern im People’s Health Movement mit 10.000Euro schnellem Bargeld für die Versor-gung der Verletzten des besetzten Tah-rir-Platzes: Ein mobiles Team aus Ärztenund Krankenschwestern versorgte Ver-wundete, Kollegen der Stiftung Al She-hab leisteten Rechtsberatung. Noch inArbeit ist eine Dokumentation des histori-schen Umbruchs. Doch wie gestaltetsich Zukunft in einer Gesellschaft, diejahrzehntelang Stillstand und Bevormun-dung erlebte? Im Kairoer Viertel Ezbet Al Haggana setzt sich der medico-Part-ner Al Shehab für umfassende Entwick-lung ein. Der Mangel an bezahlbaremWohnraum hat diesen Slum ohne öffent-

liche Planung entstehen lassen, ohnesanitäre, Bildungs- und Gesundheitsein-richtungen. Al Shehab leistet so einenkonkreten Beitrag zur demokratischenNeuentwicklung in Ägypten. Den Bewoh-nern – Einheimischen wie Migranten –wird geholfen, ihre Interessen gegenüberden lokalen Behörden zu vertreten. Un-terstützt durch medico soll in einer Kam-pagne für das Recht auf angemesseneWohnverhältnisse eine zivilgesellschaftli-che Allianz geschmiedet werden, die Ka-pazitäten von Gemeindeaktivisten stärktund die Bevölkerung über ihre Rechte informiert. So soll eine Idee einer Stadtentstehen, welche die Interessen dermarginalisierten Bevölkerungsschichtenberücksichtigt und eine Alternative zuden Plänen der Obrigkeit ist.

Spendenstichwort: Ägypten

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Das schöne Leben Libanon: Zukunftskurse im Palästinenserlager

ie Resonanzen des „arabischenFrühlings“ waren auch im Libanon zu

spüren – zumindest unter der palästinen-sischen Jugend. Bereits vor drei Jahrenentstand die Initiative Nashet aus einerStudentengruppe, die mit der verknöch-erten Parteipolitik der palästinensischenLinken nichts mehr anfangen konnte. Die

Aktivisten machten den Jugendlichen im Ein El Hilweh Camp, dem größten palästinensischen „Flüchtlingslager“ imLibanon, lieber konkrete Angebote, wieihr trübsinniger Alltag sich verbessernkönnte: ein „Girls-Club“ für Teenies nachder Schule, Schreib- und Videokurse,dazu Ausflüge in die Berge. Seit die ara-

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Das Haus der flüchtigen DingeEl Salvador: Museum für Sprache und Bilder

arlos Henríquez Consalvi ist ein alterWeggefährte von medico. Bis Mitte

der 1990er Jahre leitete er den Guerilla-sender Radio Venceremos, dann eröff-nete er 1999 das Museo de la Palabra y la Imagen (MUPI - Museum von Wortund Bild). Hier werden historische undkulturelle Objekte der revolutionärenKommunikation gesammelt; etwa diekomplette Ausstattung und Sendungenvon Radio Venceremos, dazu Audio- undVideoproduktionen der verschiedenenGuerillaorganisationen. Täglich wird dasMuseum von zwei Schulklassen ausdem ganzen Land besucht. Das MUPIveröffentlicht in unregelmäßigen Abstän-den ein thematisches Magazin zur Inter-pretation der Geschichte und der sozio-kulturellen Entwicklung des Landes. Einekommende Ausgabe zum Thema Migra-tion wird durch medico ermöglicht. Dieökonomisch erzwungene Abwanderungsetzt die Migranten nicht nur ungeahnten

Gefahren auf ihrem Weg nach Nordenaus, Rückzahlungen aus der Diasporaverändern auch den Alltag und die Le-bensträume in den Herkunftsgemeinden.Die Publikation wendet sich speziell anSchulen in jenen Landkreisen, die be-sonders von der Migration betroffen sind.2.500 Schüler sollen nicht nur erfahren,was es heißt sich auf den Weg zu ma-chen, sondern auch: wie eine Perspek-tive zu Hause aussehen könnte.

Spendenstichwort: El Salvador

bische Straße vibriert, verstärkt der me-dico-Partner auch sein Profil in den Dis-kussionen um die Zukunft der Palästi-nenser im Libanon: In Gesprächsrundenmit libanesischen Jugendlichen in Saida,geht es auch darum, die „Gettoisierung“des Camps (und der palästinensischenLager allgemein) zu überwinden. Am 15.Mai, dem jährlichen Erinnerungstag derNakba (Flucht und Vertreibung 1948)fuhr auch Nashet mit zwei Bussen an dieisraelische Grenze. “Als die ersten Ju-gendlichen sich dem Grenzzaun näher-ten, begann die libanesische Armee zu

schießen. Dann eröffneten israelischeSoldaten das Feuer. Sie hatten es be-sonders auf all jene abgesehen, die palästinensische Flaggen trugen. 11 wurden getötet, 120 verletzt.” Nashet betont, dass der letzte Weg zur Grenzespontan erfolgte und besonders vieleKids unter 18 Jahren teilnahmen. An-gesichts der tödlichen Gefahr solcherFanale, will Nashet jetzt verstärkt mit seinen Angeboten und in Debatten in der Community präsent sein – damit es sich lohnt zu leben.

Spendenstichwort: Libanon

C

Sender der Befreiung: Guerillaradio im Museum. Foto: MUPI

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üdchile im Sommer. Die unasphal-tierte Küstenstraße windet sichdurch die hügelige Landschaft. Zur

Linken lugt immer wieder der tiefblaue Pa-zifik hervor, landeinwärts bestimmen groß-flächige Eukalyptusplantagen und Kiefern-wälder das Bild. Dann gerät der KüstenortTirúa in den Blick. Das Dorf mit seinen ein-fachen Holzhäusern, 200 Kilometer süd-lich von Concepción, beherbergt nur einViertel der 10.000 Bewohner der Ge-meinde. Die meisten von ihnen gehörender mit rund einer Million Mitgliedern be-deutendsten ethnischen Minderheit Chilesan, den Mapuche.

Vor über einem Jahr wurde dasDorf von den Ausläufern des schwerenErdbebens erfasst: Drei Flutwellen dran-

chile

Zwanghafte ModernisEine Reise durch das Mapuche-Gebiet

Der Journalist Gerhard Dilger ist für medico in die Mapuche-Region ge-reist, in der wir Nothilfemaßnahmenunseres langjährigen ProjektpartnersCODEPU nach dem großen Erdbe-ben im Februar 2010 förderten. Auseiner Projektbesichtigung wurde eineReise in die Tiefen des Konflikts, in dem die Mapuche immer noch umdie Realisierung ihrer Grundrechtekämpfen. Sie haben mächtige Geg-ner. Denn in der Mapuche-Regiongeht der ungebremste kapitalistischeRaubbau an der Natur vor allen Din-gen auf ihre Kosten.

S

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gen über die Fluss-mündung hereinund schwemmten35 Holzhäuserweg. Dort stehenbis heute Notunter-künfte. Tote warenkeine zu bekla-gen, doch Dutzen-de Fischerfamilienverloren ihre Aus-rüstung.

Zu ihnen ge-hört auch JorgeDíaz, der mit Frauund sechs Kindernein ärmliches Holz-haus direkt an derLandstraße Rich-tung Concepciónbewohnt. „200.000Pesos (gut 300 Eu-ro) waren meineNetze wert“, klagtder Mann mit demgrauen Schnurr-bart, während er

mit seinen Söhnen ein Netz flickt. Seithersei es nur langsam aufwärts gegangen.Doch dann erschütterte Anfang Januarwieder ein Beben die Küste und rücktedas 17 Jahre alte Haus mehrere Zentime-ter seewärts über die zahlreichen Beton-und Holzpflöcke, die nun bedenklichschief im Grund stecken. Gloria Colipi,die rührige Allroundaktivistin der Men-schenrechtsgruppe CODEPU, sieht sichdas Malheur an.

Die 34-jährige Sozialarbeiterinsorgt dafür, dass beim Bau und der Reno-vierung von 20 Häusern in Tirúa mit me-dico-Spendengeldern alles nach Planläuft. Mit Díaz und seiner Frau geht sieden Kostenvoranschlag durch, der neueZinkblechverkleidungen, Pflöcke, Holz-

bretter und Türen umfasst – zwei einhei-mische Zimmerleute werden die Renovie-rungsarbeiten übernehmen. Noch sind sieallerdings bei der Familie Guanupil imsüdlichen Teil der Gemeinde tätig.

Statt Araukarien nur Eukalyptus

Der Feldweg zu ihnen führt über sanfteHügel an stattlichen Landgütern vorbei, angelb leuchtenden Ginstersträuchern undan Brachland, wo früher einmal dichterPrimärwald voller Araukarien stand. Vonden Urwaldriesen zeugen nur noch ver-kohlte, in den Himmel ragende Stamm-reste. Danach wurde hier Eukalyptusangepflanzt, sagt Gloria, die selbst ausdem nördlichen Teil der Gemeindestammt, gut 30 Kilometer entfernt.

Das Ehepaar Juan und Lidia delCarmen Guanupil wohnt zusammen mitzwei Töchtern und vier Enkeln auf 18Quadratmetern, die gerade repariert wer-den. „Dieses Land gehörte bereits meinenUrgroßeltern“, sagt das 63-jährige Fami-lienoberhaupt Juan. Doch während derPinochet-Diktatur (1973-90) hatten sich inder Region große Forstkonzerne auf demMapucheland eingenistet, die Guanupilswurden in den Ort abgedrängt. 1998schließlich, als die Indigenen in ganz Süd-chile wieder selbstbewusster auftraten,besetzten sie ihr Land wieder.

„Nach langem Kampf, haben wires vom Staat zurückbekommen“, erzähltJuan Guanupil. „Seit letztem Jahr habenwir sogar fließendes Wasser“, sagt erstolz, „früher mussten wir eine halbeStunde zum nächstgelegenen Brunnenlaufen“. Gekocht wird mit Gas, Strom lie-fert ein Dieselgenerator. Ein Schulbusbringt die Kinder ins Dorf. Die Modernisie-rung erfasst auch die abgelegenstenLandstriche Tirúas, laut Statistik immer

ierung

15Lleu-Leu See, Chile: Nachhaltiger Tourismus stattLachszuchtfarmen. Fotos: Gerd Dilger

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noch eine der ärmsten Kommunen Chiles.Heute baut die Kleinbauernfamilie aufeinem Hektar Kartoffeln an, dazu Bohnen,Erbsen und Paprika. Zwei Gänse und einpaar Hühner sausen aus einem kleinenHolzschuppen. Hin und wieder wird einEukalyptusbaum vom Rande des Grund-stücks an die Forstmultis verkauft, dafürgibt es sogar staatliche Fördergelder. DieGuanupils überleben eherschlecht als recht. So ruhendie Hoffnungen auf Enkel-tochter Ismenia, 14. Dasschüchterne Mädchen isteine gute Schülerin, soebenhat sie ein Stipendium fürein katholisches Internat er-halten.

Keine Förderung mehr

NGOs wie medico springendort ein, wo eigentlich derchilenische Staat gefordertwäre. Unter der rechten Re-gierung in Santiago gehtdas Engagement für dieMapuche wieder zurück.Ein Beispiel: Unter MichelleBachelet gab es in Tirúa einProgramm zur Wiederbelebung der tradi-tionellen Mapuche-Heilkunde. Westlichausgebildete Ärzte und „machis“, traditio-nelle Heilerinnen, arbeiteten dabei zusam-men. Damit ist es vorbei.

Einer, der die CODEPU-Arbeitdiskret unterstützt, ist Adolfo Millabur, 44,ein alter Hase nicht nur der Lokalpolitik.1996 wurde der zierliche Mann mit demwachen Blick zum ersten Mapuche-Bür-germeister Chiles gewählt, zwölf Jahrelang führte er die Geschicke der Ge-meinde. Er gehört zu einer ganzen Gene-ration der indigenen Politiker, die prag-matisch die Freiräume genutzt haben, die

sich ihnen nach dem Ende des Pinochet-Regimes eröffneten.

Tirúa wurde zu einem Zentrumeiner neuen, offenen, als „Bewegung“konzipierten Mapuche-Organisation füralle indigenen Küstenbewohner, der „Ter-ritorialen Lafkenche-Identität“. Durch jah-relange Lobbyarbeit gelang es den Akti-vistinnen und Aktivisten, das chilenische

Parlament zur Annahme eines Gesetzes„zum Schutz des Urvölker-Küstenraums“zu bewegen. Das war 2008, aber bisheute sind keine Ausführungsbestimmun-gen verabschiedet worden, vor allem dieMarine stellt sich quer.

Illusionslos zieht Millabur Zwi-schenbilanz. Einen Durchbruch für dieMapuche hätten auch die 20 Jahre unterden Christ- und Sozialdemokraten nichtgebracht: „Das Misstrauen sitzt tief, dashat historische Gründe. Hier gibt es dieOpposition zwischen ‘Chilenen’ und ‘Ma-puche’, ganz anders als etwa in Bolivien,wo sich jeder Indígena selbstverständlich

Familie Guanupil, zwei Töchter und vier Enkel, lebt auf 18 Quadrat-metern. Nach langem Kampf erhielten sie ihr Land zurück.

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als Bolivianer fühlt. Hier ist der Krieg, dervor 130 Jahren mit dem Sieg der Chilenenendete, noch nicht ad acta gelegt.“

Im Interesse der Forstkonzerne

Auch für einen Bruch mit der Pinochet-Ärafehle dem Establishment der „politischeWille“, meint er. Bis heute ist die Verfas-sung aus dem Jahr 1980 in Kraft. Rechtefür die indigenen Völker, die sonst überallin Amerika zumindest auf dem Papier ste-hen, wurden bei diversen Reformen igno-riert. „In den Schulen wird die Sichtweiseder chilenischen Führungsschicht verbrei-tet“, sagt Millabur, „viele Junge glaubenheute, die Diktatur war die Schuld derLeute, die zuviel verlangt haben“.

Auch deshalb ist das Menschen-rechtsprojekt so wichtig, das Gloria Colipiund das CODEPU-Team in Santiago ge-rade abschließen: Es wird ebenfalls vonmedico gefördert. Über mehrere Jahre

hinweg befragte sie Einwohner aus Tirúa,die unter dem Pinochet-Regime politischverfolgt wurden.

Etwa Osvaldo Millahual, 54, derdamals in der Gruppe Admapu aktiv war,mehrmals verhaftet wurde und bis heutepolitisch aktiv geblieben ist. Besondersbedrückt ihn die „Invasion“ durch dieForstkonzerne: Die Monokulturen ließendie Grundwasserspiegel sinken, es gebeimmer weniger medizinische Pflanzen.„Wir leben doch von der Mutter Erde,ohne Erde bin ich nichts“, sagt er.

„Der Staat hält den Forstkonzer-nen immer noch mit denselben Methodenwie in der Diktaturzeit den Rücken frei“,findet Millahual, „wenn sich die ‘peñis’, dieBrüder, erheben, dann kommt die Repres-sion“. Andererseits bestreitet er nicht,dass es in den letzten Jahrzehnten auchFortschritte gegeben hat: „Die Wege sindbesser geworden, auch die Häuser, esgibt keine Rattenlöcher mehr.“

17Fischer Jorge Diaz lebt mit seiner achtköpfigen Familie in einerHolzhütte. Das Erdbeben vernichtete seine Arbeitsausrüstung.

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Wikileaks enthüllt Diffamierung

In den letzten 15 Jahren ist der Wider-stand gegen den Raubbau militanter ge-worden, radikale Mapuche der „Coordi-nadora Arauco Malleco“ (CAM) habenwiederholt Lastwagen der Forstkonzernein Brand gesteckt. Der Staat schlägt miteinem Antiterrorgesetz Pinochets zurück,das mittlerweile noch verfeinert wurde.Und Wikileaks-Depeschen zeigen, dassBachelets Innenminister die USA darumbat, eine Verbindung zwischen den Mapu-che und der kolumbianischen FARC-Gue-rilla zu konstruieren. Obwohl der US-Bot-schafter die Lage ganz nüchtern beur-teilte, hielt sich die Version über die an-gebliche Terrorismus-Connection hart-näckig in den Medien.

Millahual wohnt im Norden derGemeinde, ganz in der Nähe des Lleu-Leu-Sees. Auf einem Garagentor in der

Nähe wird der „bewaffnete Kampf“ gegeneine geplante Eisen- und Magnetitmineproklamiert. „Die Minenkonzessionen, dieschon seit Jahren im Gespräch sind, be-drohen und spalten uns“, sagt der erfah-rene Aktivist, „es wird Auseinanderset-zungen geben“.

Auf dem Spiel steht der 40 Qua-dratkilometer große See, der durch dasBergbauprojekt auf der gegenüberliegen-den Seite des Ufers verseucht würde.Schon jetzt ziehen sich dort riesige Kie-fernplantagen über den Hang. Dennoch,der See selbst ist nahezu unberührt: VorJahren haben die Einheimischen einLachszuchtprojekt verhindert.Stattdessensetzen sie auf nachhaltigen Tourismus.

In dieser Idylle wohnt Gloria Co-lipi. Auch wenn ihr die Aktivitäten derCAM-Leute nicht geheuer sind, solidari-sierte sie sich letztes Jahr mit dem mona-telangen Hungerstreik politischer Häft-

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linge und beteiligte sich an einem Protest-marsch in die Provinzhauptstadt Temuco.„Am Ortseingang wurden 32 von uns ver-haftet, acht Stunden lang auf einer Poli-zeiwache festgehalten, sie haben unsbeschimpft, bedroht, sie wollten uns ein-schüchtern“, erinnert sie sich. Dass ihrHandy abgehört wird, kann sie sich gutvorstellen. In ihrem Engagement fürCODEPU bestärkt sie das eher noch: DasOral-History-Projekt soll nun auf die Zeitvor und nach der Diktatur ausgeweitetwerden.

Zwanghafte Modernisierung

Viele weiße Chilenen verstehen nicht,dass sich die Indígenas nicht mit Verbes-serungen ihres Lebensstandards zufrie-dengeben wollen, oder mit den Landrück-gaben, die durchaus weitergehen. DerMapuchekenner José Bengoa stellt denKonflikt seit den 1990ern in den Kontexteiner „zwanghaften Modernisierung“. Eswachse der Wohlstand, aber eben auchdie Ungleichheit. „Praktisch alle traditio-nellen Formen des Zusammenlebens“ inChile würden dabei zerstört, ein tiefes Un-behagen sei die Folge.

Zugleich bewegen sich die Jün-geren wie selbstverständlich zwischenStadt und Land hin und her, zwei Drittelder Mapuche wohnenin den Städten. Und jehöher das Bildungsni-veau, desto mehr An-ziehungskraft entfaltetder ethnisch inspi-rierte, aber sehr mo-derne Entkoloniali-sierungsdiskurs, dendie akademisch aus-gebildete Führungs-schicht der Mapucheentwickelt hat.

Mit Geld allein sei dieser kom-plexe Konflikt, die „Spirale der Verständ-nislosigkeit und der Gewalt“ sicher nichtzu lösen, mahnt Bengoa. Vom Staat for-dert er statt der juristischen eine politischeAuseinandersetzung. Doch der geht denMapuche nur millimeterweise entgegen:So wurden 17 Angeklagte, die wegen ei-ner angeblichen Attacke auf einen Staats-anwalt in Tirúa fast zwei Jahre in Un-tersuchungshaft saßen, jetzt allesamt vomTerrorismusvorwurf freigesprochen, vierFührungsmitglieder der CAM sollen aller-dings nach einem dubiosen Prozess zuHaftstrafen verurteilt werden.

„Es wäre schön, wenn wir unsnicht immer nur verteidigen müssten,gegen die Justiz, die Regierung, die Forst-konzerne, den Bergbau“, sagt Adolfo Mil-labur. „Wir müssten wieder in die Offen-sive kommen, zum Beispiel in der Debatteum eine neue Verfassung, die jetzt lang-sam beginnt.“ Wie soll das gehen, wodoch die Mapuche alles andere als einigsind? Millabur bleibt optimistisch: „Uneinssind wir manchmal über die Methoden,aber die Geschichte mit dem Hungerstreikhat uns auch zusammenrücken und denKonflikt sichtbar werden lassen.“

Gerhard Dilger

Projektstichwort

Seit Mitte der 1980er Jahre unterstützt medico kontinuierlichdie Arbeit der chilenischen MenschenrechtsorganisationCODEPU. Neben ihrem Einsatz für die juristische, gesell-schaftliche und psychosoziale Aufarbeitung der Diktaturver-brechen hat CODEPU die Verteidigung von Minderheiten-rechten immer als Arbeitsschwerpunkt gesehen. Darausentstanden ist eine langjährige Arbeit mit den Mapuche.Daran haben die Nothilfemaßnahmen nach dem Erdbebenim Februar 2010, die von medico gefördert wurden, ange-knüpft. Diese Arbeiten können Sie unterstützen unter demStichwort: Chile.

19Gloria Colipi (CODEPU) überprüft die durch medico-Spenden finanzierten Baumaßnahmen.

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Auch wenn Migranten zumeist mitnicht mehr als sich selbst unterwegssind, tragen sie doch eine ganzeWelt in sich, die sich nicht nur ausder Erfahrung erlittener Ungerechtig-keit und Ausgrenzung zusammen-setzt, sondern zugleich ihre Kämpfeum Anerkennung, Lebenssicherheitund Glück umfasst. Ein Interview mitRomeo Boukar, der nach seiner Ab-schiebung die Selbsthilfeorganisa-tion ARARCEM (Association desRefoulés d’Afrique Centrale au Mali)in Bamako (Mali) gegründet hat.

Ein großes Problem der Migranten ist,dass sie oft im Transit stecken blei-ben oder direkt abgewiesen werdenund dies dann als individuelle, per-sönliche Schuld wahrnehmen. Kannstdu ein Beispiel nennen?

Boukar: Diese Erfahrungen habe ich alsMigrant selbst gemacht. Als ich vor fünf

Jahren nach Mali kam war ichlustlos und hatte keinerlei Per-

spektive. Meine Versuche,nach Europa zu migrieren,waren gescheitert und ich

suchte den Grundfür die verwei-gerte Migration

migration

„Im Scheitern lag ein Anfang“Warum der Fußballspieler Romeo Boukar aus Kamerun eine Infür abgeschobene Migranten in Mali gründete.

2O

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Das kann ich bestätigen. Ich selbst wur-de schon sechs Mal von der Polizei auf-gehalten. Grundproblem ist aber vor al- lem die latente Fremdenfeindlichkeit. Immer, wenn sich an einem Ort mehrereAusländer/innen versammeln, machtsich unter der einheimischen Bevölke-rung Angst breit und die Polizei wird ge-rufen. Das liegt aber auch an den man-gelnden Integrationsbemühungen ge-genüber den Migranten.

Kannst du dir erklären, weshalb diePolizei so häufig und rabiat gegenMigranten vorgeht?

Gerade in letzter Zeit hat die Zahl der Migranten vor allem in den Städten sehrschnell und sehr stark zugenommen. Dawerden bestehende Vorurteile und Ängs-te schnell größer und die Migranten nochstärker ausgegrenzt. Dann ist es einfa-cher, sie hinter Gitter zu bringen als siezu integrieren, zumal sich die Polizist/in-nen durch Bestechungsgelder ein Zubrotverdienen können.

Welche Erfahrungen hast du selbstals Migrant gemacht bis du in Mali ge-landet bist und die ARACEM gegrün-det hast?

Nachdem mein Vater ein Jahr zuvor ge-storben war, habe ich 2004 die Schuleaufgegeben und Kamerun mit meinemBruder verlassen. Als professionellerFußballer habe ich dann zunächst beieinem Erstligaverein in Benin gespielt.Über ein kurzes Engagement bei einerFußballmannschaft in Niger kamen meinBruder und ich schließlich nach Algerien.Dort ist uns dann die Idee gekommen,

bei mir selbst. Erst durch die Arbeit mitARACEM konnte ich meine Probleme inetwas Positives umwandeln. Dabei stell-te ich fest, dass es nicht die einzelnenEuropäer sind, die uns die Einreise ver-weigern, sondern die europäische Politik.In Zusammenarbeit mit europäischenPartner/innen versuchen wir bei ARA-CEM den anderen Migranten zu erklä-ren, dass es nicht ihre eigene Schuld ist,die zum Scheitern ihrer Migrationsversu-che führt, sondern die der europäischenMigrationspolitik.

Die Polizei soll gerade in jüngster Zeitmassiv gegen Migranten vorgehen,auch in Mali.

itiative

21Verlassenes Land: Gewalt und anhaltende Lebensunsicherheitzwingen die Menschen zur Flucht.Foto: Max Hirzel

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Stahlzäunen zuzog, sind heute noch im-mer die Narben an Armen und Beinen zu sehen. Nach zwei Monaten im Ge-fängnis wurden mein Bruder Patrice undich schließlich aus Marokko nach Maliabgeschoben und mit ein- bis zweitau-

nach Europa auszuwandern. Deshalbsind wir nach Marokko gefahren und ha-ben dort 2005 mit vielen anderen Mig-ranten versucht, die spanische ExklaveMelilla zu stürmen. Von den Verletzun-gen, die ich mir bei dieser Aktion an den

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send anderen Migranten an der Grenzeausgesetzt. Zu Fuß sind wir in kleinenGruppen ins 265 Kilometer entfernte Ki-ta gelaufen und von dort mit Lastwagennach Gao gefahren. Von den 30 Perso-nen unserer Gruppe, sind am Ende nur17 angekommen. Die anderen haben wirentweder verloren oder sind gestorben.

Was geschah dann nach deiner An-kunft in Gao?

In Gao angekommen, wurden wir allevon der Polizei registriert. Unsere Na-men wurden auf Zettel geschrieben, miteinem Stempel versehen und für jedenkopiert. Mit diesen Behelfsausweisensind wir weiter nach Bamako, wo wir,nach knapp zwei Monaten auf der Stra-ße, ein verlassenes Haus gefunden ha-ben, das sich bereits andere Migrantenals Unterkunft genommen hatten. Aufeinem Forum, das zum Gedenken dertoten Migranten abgehalten wurde, habeich viele Europäer getroffen, die mir em-pfahlen, eine Organisation zu gründen,die die Interessen der Migranten gebün-delt vertritt. Zusammen mit Patrice habeich schließlich 2006 ARACEM gegrün-det, die nach einigen formalen Querelen2007 auch vom Staat als legale Organi-sation anerkannt wurde. Damals war ich 17. Seitdem widmen wir uns den Problemen von Migranten in und um Ba-mako. Das heißt, wir sorgen für Unter-kunft, Ernährung und medizinischeVersorgung. Nach sieben Monaten hat-ten wir bereits 1.300 Migranten betreut.Wir haben einen Ort geschaffen, an dem die Menschen aufgefangen werdenkönnen.

Das Interview führte Martin Glasenapp während des Weltsozialforums 2011 in Dakar,Senegal.

Projektstichwort

Die Selbsthilfegruppe ARACEM kümmert sich inBamako, der Hauptstadt Malis, um die zahlrei-chen Migranten aus den zentralafrikanischenLändern, die oftmals auf dem Weg nach Nord-afrika und dem Mittelmeer den Transitraum Malidurchqueren, oder die aus Europa abgeschobenwurden. Der Flughafen Bamako ist das Dreh-kreuz für fast alle, die aus dem frankophonenEuropa nach Westafrika abgeschoben werden.Erschwerend für diese Unglücklichen kommthinzu, dass nur wenige zentralafrikanische Län-der (Kamerun, beide Kongos, Tschad, Zentral-afrikanische Republik, Gabun) in Bamako eineBotschaft unterhalten. Wer also mittellos nachMali abgeschoben wurde, ist auf die Solidaritätanderer angewiesen. Die ARACAM gründetesich auch in Reaktion auf die Geschehnisse inCeuta und Melilla im Jahr 2006, wo bei einerMassenflucht nach Europa Hunderte Menschenverletzt wurden und Dutzende ums Leben ka-men. Seitdem betreibt die ARACEM ihr Haus derSolidarität, in dem Migranten mit Lebensmittelnund dringend benötigten Medikamenten versorgtwerden. Aktuell ist angesichts des Krieges in Li-byen der Bedarf besonders hoch, mussten dochviele Migranten aus Zentralafrika fliehen und sit-zen nun erneut in Bamako fest. medico unter-stützt die ARACEM seit 2009 mit einem jährlich-en Zuschuss zum Gesamtbudget – damit unserPartner ohne bürokratischen Aufwand da han-deln kann, wo die Hilfe schnell gebraucht wird.Das Stichwort lautet: Migration.

Fluchtursache reichtumMigration und Rohstoffhan-del in Afrika

informativ & kostenlos: die neue

medico-Broschüre (44 s.). Gold,Diamanten, Baumwolle und Fischbe-stände: In den Ländern Mali, SierraLeone und der Westsahara zeigt sich,

dass gerade der Reichtum an Rohstoffen die Migrations-bewegungen innerhalb Afrikas und nach Europa hervor-ruft. Bestellung siehe Materialliste (S. 40).

Bewegungen der Migration sind der mensch-liche Preis einer kapitalistischen Globalisierung,die sich allein für die Ressourcen Afrikas inte-ressiert. Foto: Max Hirzel

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ie Katastrophe um Fukushima hateiner breiten Öffentlichkeit nicht nurdie Gefahr der Kernkraft, sondern

auch die dahinter liegende Wahrheitschmerzhaft bewusst gemacht: Die Gren-zen des Wachstums und damit auch dieGrenzen unseres Lebens- und vor allenDingen Mobilitätsmodells sind erreicht. InFukushima fühlen wir uns selbst betroffen.Auch in Deutschland könnte ein AKW-Unglück unsere Gesundheit bedrohen.Aber öffnet diese Erkenntnis auch unsereEmpathiefähigkeit für die Menschen, dieschon lange andernorts mit ihrem Lebenund ihrer Gesundheit für den ungebrems-ten Energiehunger bezahlen?

Carmen Rios Urbina, eine nica-raguanische Zuckerrohrarbeiterin, reistegemeinsam mit dem nicaraguanischenJournalistikstudenten Camilo Navas Co-

rea durch Deutschland und kann eine sol-che dramatische Geschichte erzählen.Und – selten genug – im Gespräch mitden beiden entsteht eine kurz aufblitzendeErkenntnis, wie klein die Welt gewordenist. An der Geschichte von Carmen wirddeutlich, mit welcher Wucht ökonomischeund sogar vermeintlich ökologische Ent-scheidungen, die in Europa getroffen wer-den, fragile Gesellschaften wie die nica-raguanische extrem verändern und be-drohliche Folgen für die Menschen haben.Ein Beispiel ist die großflächige und mitenormer Geschwindigkeit vorangetrie-bene Monokultur von Zuckerrohr. Die ni-caraguanische Firma Pellas, auch Pro-duzent des berühmten Schnapses Flor deCaña, baut als erstes mittelamerikani-sches Unternehmen seit 2007 den Zu-ckerrohr nicht nur für die Rumproduktion,

D

nicaragua

Wenigstens das Recht auf eine Eine ehemalige Zuckerrohrarbeiterin berichtet von den gesschädlichen Folgen des Bioethanol-Booms für die Menschen

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sondern zur Her-stellung von Bioet-hanol an. Pellasexportiert in dieUSA und nachEuropa.

Gesundheits-schäden durch Pestizide

Am 31. März 2011waren die beidennicaraguanischenAktivisten auf ei-ner gemeinsamenVeranstaltung vonmedico internatio-nal, der Städte-freundschaft Gra-nada – Frankfurt,dem Klimabünd-nis und Attac inFrankfurt. ImHaus am Dom,

einer katholischen Bildungsstätte, mitBlick auf die hell erleuchteten Türme dergroßen Banken, berichtete Carmen Riosdavon, wie der Zuckerrohranbau systema-tisch die Gesundheit der Arbeiter und derBewohner der Anbauregionen zerstört.Chronische Niereninsuffizienz heißt dieKrankheit, die zwischen 2005 und 20115.341 Tote unter den Zuckerrohrarbeiternder Bezirke von León und Chinandega ge-fordert hat.

Für die „Nicaraguanische Verei-nigung der an Niereninsuffizienz Erkrank-ten“, deren Vorsitzende Carmen Rios ist,liegen die Ursachen auf der Hand. Dermassive Pestizideinsatz auf den riesigenZuckerrohrplantagen unter anderem dernicaraguanischen Firma Pellas sei die Ur-sache für die um ein Vielfaches höher lie-gende Prävalenz der Krankheit in diesen

Regionen. Die nicaraguanische Selbsthil-fevereinigung von Carmen Rios gründe-ten Zuckerrohrarbeiter, die bei Pellas an-gestellt waren und sofort entlassen wur-den, als bei ihnen die Krankheitssymp-tome auftraten. Seit Jahren kämpfen dieEntlassenen und ihre Familien mit vielenProtestmärschen und der Einrichtung vonDauercamps in der Hauptstadt Managuaum die Anerkennung der Niereninsuffi-zienz als Berufskrankheit. Dazu hat dasnicaraguanische Parlament mittlerweileein Gesetz erlassen und die entlassenenArbeiter, die noch leben, erhalten eine Be-rufsunfähigkeitsrente durch das öffentlicheSozialsystem (zwischen 50 und 120 Dol-lar, alles noch unter der Armutsgrenze).Pellas hingegen ist nach wie vor nicht be-reit anzuerkennen, dass die Krankheitdurch den Pestizideinsatz hervorgerufenwird. Die Firma zahlte einigen protestie-renden Arbeitern eine einmalige Entschä-digung, allerdings ohne die Tatsache derVerantwortung anzuerkennen. Die Bewe-gung sollte ruhig gestellt werden.

Das ist aber nur teilweise gelun-gen. Mittlerweile campieren Betroffe-ne wieder in Managua, um ihren Forde-rungen nach Entschädigung durch dasUnternehmen Gehör zu verschaffen. „Wirkämpfen’“, so Carmen Rios, „um Medika-mente, Entschädigung und das Recht aufeinen Sarg.“ Carmen Rios weiß, wovonsie spricht. Sie selbst leidet an der Krank-heit und lebt mit der bitteren Erkenntnis,dass ihre Lebenszeit deshalb begrenzt ist.„Ich hinterlasse sechs Kinder“, sagt dieMittvierzigerin.

Moderne Sklavenarbeit

Der Journalistikstudent Camilo Navas un-terstützt mit seiner Gruppe „BoykottiertPellas!“ die Arbeit der Betroffenen. DieseGruppe junger nicaraguanischer Studen-

n Sarg undheits-

in Nicaragua

Plantagenarbeit im Zeichen der Klimakrise: Zuckerrohr-schneider in Chichigalpa, Nicaragua. Foto: Reuters

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ten hat mit den Zuckerrohrarbeitern aucheine Realität ihres Landes kennen gelernt,die von Managua fast so weit weg ist wievon Frankfurt aus betrachtet. Interessan-terweise haben die jungen Studenten denkämpfenden Landarbeitern, die häufig An-alphabeten sind, nicht nur ihre Internet-kenntnisse zur Verfügung gestellt, son-dern auch das Thema über die direkte Be-troffenheit hinaus recherchiert. Sie stellendie Verbindung zum Agrotreibstoff her,sind informiert über die US-amerikanischeund europäische Politik. Sie haben re-cherchiert, dass die gesamte Regiondurch Verschmutzung des Trinkwassersbetroffen ist, und haben enthüllt, dass dieFirma Pellas lügt, wenn sie behauptet, siewürde nur noch saubere Zuckerrohrplan-tagen betreiben. Camilo zeigte in Frank-furt Fotos von Arbeitern, die in demWasser baden, in dem sie gleichzeitig diePestizidkanister reinigen. Schutzkleidungfür die Arbeitergibt es nicht.Weder beimMischen derPestizide nochbeim Aussprü-hen. Die FirmaPellas wäschtihre Hände inU n s c h u l d .Denn auch inNicaragua ent-ledigt mansich höherer

Löhne und der Beachtung der Ge-setze durch die Einschaltung vonLeiharbeitsfirmen. Camilo berichtet,dass Pellas seine Zuckerrohrproduk-tion für den Bioethanol mittlerweile imgroßen Stil im Nachbarland Hondurasausbaut. Das Land ist noch ärmer alsNicaragua. Umso schutzloser sind dieLandarbeiter den unerträglichen Ar-

beitsbedingungen ausgeliefert, weil es zurArbeit auf den Plantagen keine Alternativegibt. Die Produktion von Bioethanol frisstnicht nur die Landflächen, auf denen Le-bensmittel angebaut werden können, sieschafft auch wieder die Bedingungen fürsklavereiähnliche Arbeitsverhältnisse.

Bei der Veranstaltung im Hausam Dom saßen viele, die sich noch mitFreude an die Zeiten großer Nicaragua-Solidarität erinnern. Damals ging politi-sche Solidarität häufig einher mit derHoffnung, die Nicaraguaner könnten unszeigen, wie ein anderes besseres Lebenzu gestalten wäre. Heute dagegen gibt eskeine dauerhafte Hoffnung für die Zucker-rohrarbeiter und all die anderen, denen imgroßen Stil Land und die Gesundheit ge-raubt wird, wenn es nicht gelingt, denEnergiehunger und die Wachstumsideolo-gie bei uns zu stoppen.

Katja Maurer

Projektstichwort

Auch medico-Projekte in Nicaragua sind direkt von den beschrie-benen gesundheitsschädlichen Folgen des Zuckerrohranbaus be-troffen, weil sie sich ebenfalls in den betroffenen Provinzen Leónund Chinandega befinden. Nicht nur der ökonomische Druck aufdie Landflächen macht unserem integrierten Ansiedlungsprojektin La Palmerita zu schaffen. Auch die Trinkwasser-Verschmut-zung betrifft La Palmerita massiv. Das medico-Büro in Managuasteht in kontinuierlichem Kontakt mit den an NiereninssuffizienzErkrankten. Derzeit wird an einem gemeinsamen Projekt zu Ge-sundheitsauswirkungen der Zuckerrohrplantagen gearbeitet. DasProjektstichwort für Spenden lautet: Nicaragua.

Camilo Navas und Carmen Rios: Info-tour in Deutschland. Foto: Schneider

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Welche Auswirkungen hat der Ener-giehunger der privilegierten Länderauf Mittelamerika?Dieter Müller: Der Druck auf die Agrarflä-chen ist enorm gestiegen. Kleinere undmittlere Bauern werden verdrängt. Dabeisind Aufkaufangebote durchaus auch mitDruck verbunden. In Guatemala wird im-mer wieder erzählt, dass Aufkäufer un-verhohlen drohen: „Entweder du wirst mituns handeleinig oder wir mit deiner Wit-we.“ Auch in den von medico gefördertenländlichen Projekten in Palmerita und ElTanque tauchen immer wieder Landkäu-fer auf.

Gibt es eine Renaissance der Groß-plantagenwirtschaft?Eindeutig. Im Zuckerrohr sieht man esam deutlichsten. Bis vor wenigen Jahrengingen die Anbauflächen zurück. Heutewerden die Flächen für den Zuckerrohr-anbau massiv ausgeweitet. Außerdemvollzieht sich eine Transnationalisierungund eine erhebliche Konzentration derlokalen Zuckerrohrunternehmen. Einigewenige Konglomerate beherrschen denZuckerrohrmarkt in Mittelamerika. u.a.die nicaraguanische Unternehmens-gruppe Pellas oder die guatemaltekischePantaleon-Gruppe.

United Fruit kehrt nicht zurück?Im Bereich des Zuckerrohrs nicht. Beider Ölpalme, ebenso ein Wachstums-

markt des Agrobusiness, sind das großeausländische Konzerne aus den USA,Kanada oder Frankreich, die sich aller-dings lokale Tochtergesellschaft auf-bauen.

Die Agroindustrie ist weltmarktfähig.Gelingt es wenigstens über Steuerneine gewisse Umverteilung?Da sind die mittelamerikanischen Ländernach wie vor Bananenrepubliken. Diegroßen Unternehmen zahlen fast keineSteuern. Aber sie werben wie Pellas mitihren sozialen Projekten. Sie finanzierenunter anderem Schulen oder Gesund-heitsstationen. Auch werden finanzielleAnreize genutzt, um einzelne Repräsen-tanten der lokalen Bevölkerung auf ihreSeite zu ziehen. Das schadet dem Wi-derstand, der sich an vielen Orten gegendiese Landnahme regt.

Ist der Kampf ums Land also einesder zentralen Felder sozialer Ausei-nandersetzungen?Hinter der Landfrage verbirgt sich die so-ziale Frage, und diesbezüglich hat es inden letzten Jahrzehnten keine wirklichgrundlegenden Veränderungen gegeben.Die in die Armut gedrängten Menschenin Mittelamerika haben keine Perspekti-ve, weder auf dem Land noch in derStadt. Es bleibt oft als einziger Auswegdie Migration.

Hotspot LandfrageDieter Müller, medico-Repräsentant für Mittelamerika,über die Rückkehr der Großplantagen-Wirtschaft

Page 28: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

n einem Land der vielen sichtbarenund unsichtbaren Grenzen war Ju-liano Mer Khamis eine zutiefst irri-

tierende Erscheinung. Israeli und Paläs-tinenser zugleich, trug er die Grenze insich. Er ließ sich nicht in das eine oder an-dere Lager zwängen, sondern zog es vor,auf der Mauer zu sitzen. Ein ungeschütz-ter Ort. Vor seinem Freedom Theatre imFlüchtlingslager Jenin wurde er am 4. Aprilermordet.

Das Erbe der Mutter

Nach Jenin im besetzten Westjordanlandkam er in den Fußstapfen seiner Mutter,Arna Mer. 1987 gründete die überzeugteKommunistin im Flüchtlingslager ein Kin-dertheater. Es war nicht leicht für dieseungewöhnliche Frau, das Vertrauen derBevölkerung zu gewinnen, denn bis dahinhatten Israelis das Lager nur als Soldatenbetreten. Juliano begleitete seine Mutterimmer wieder mit der Kamera. Arna starb1994, und mit ihr das Theater. Währendder Zweiten Intifada erkannte Juliano ei-nige der Kinder von damals in den Nach-richten wieder. Er machte den Film „ArnasKinder“. Ein bewegendes Porträt seinerMutter und ihres Lebenswerks. Zugleichdokumentiert er Leben und Tod einiger Ju-gendlicher, die in Arnas Theater mitgewirkthatten. Aus den lachenden Heranwach-senden waren hartgesottene Kämpfer ge-worden, die auch vor Attentaten aufZivilisten nicht zurückschreckten.

Der Verlust und die Ausweglosig-keit, die „Arnas Kinder“ dokumentiert, hin-derten Mer Khamis nicht daran, in dieFußstapfen seiner Mutter zu treten. Das2006 neugegründete Freedom Theatrewar ein geschützter Raum, in dem jungeMenschen ihre im Alltag erlebten Erfah-rungen von Gewalt und Ohnmacht aufar-beiten konnten. Das so gewonneneSelbstwertgefühl ließ tradierte Hierarchienund reaktionäre Denkmuster hinterfragen.Auf der Bühne konnten die Jugendlichensprechen, gehört und gewürdigt werden.Es wurde die erste palästinensischeSchauspielschule eröffnet, und ihre Pro-duktionen – orchestriert von Mer Khamis,der sich zu einem formidablen Regisseurentwickelte – gehörten zum Besten, was

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palästina

Kein Ort mehr für GrenzgängerDas Freedom Theatre Jenin nach dem Mord an seinem Direktor

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das palästinensische Theater zu bietenhatte.

Im Licht der Theaterscheinwerferwurde ein Zweifrontenkampf geführt:gegen die Besatzung, die Jenins Bewoh-ner zu Gefangenen macht; und gegen dieinfolge von Isolation und Besatzung er-

starkenden Denk- und Er-klärungsmuster reaktionä-rer Provenienz. Diese dop-pelte Auseinandersetzungfand ihren Höhepunkt inder skandalumwitterten In-szenierung von GeorgeOrwells Parabel „Farm derTiere“, in der junge Paläs-tinenser durch Besatzung(die Menschen) und eige-ne Obrigkeit (die Schwei-ne) um ihre Lebenschan-cen gebracht werden.

Im Freedom Thea-tre herrschte eine unge-wöhnliche Atmosphäre; eswar eine Mischung aus al-ternativem Kunstbetrieb, indem Menschen aus aller

Welt durcheinanderwirbeln, und suburba-nem Jugendzentrum, zudem ein Hortpalästinensischer Gastfreundschaft. Daskam nicht bei allen gut an, obwohl ZakariaZubeidi, Jenins Held der zweiten Intifada,und andere lokale Akteure ans Theaterangebunden waren und sich bemühten,dessen Akzeptanz bei der Bevölkerung zuverbessern. In den letzten zwei Jahren er-lebte das Theater bereits zwei Brandan-schläge.

Unsichere Zukunft

Und dann wurde Juliano Mer Khamis er-schossen. Zur Gedenkfeier im israeli-schen Haifa kamen zweitausend Men-schen, die Creme der israelischen Kultur-

szene und des Friedenslagers, Juden undAraber. Der Schock stand vielen ins Ge-sicht geschrieben. Der palästinensischePremierminister Salam Fayyad, die Fatah,die Hamas verurteilten den Mord. Doch ander Gedenkfeier in Jenin beteiligten sichnur wenige. Zurück bleibt der Eindruck,dass Jenin heute ein anderer Ort ist – fins-terer als vor über 15 Jahren, als der TodArnas die Menschen in „ihrem“ Jenin zu-tiefst berührte. Kann das Freiheitstheaterüberleben? Abgesehen von der Unmög-lichkeit, den Mentor, das künstlerischeGravitationszentrum dieser Institution zuersetzen, hängt nun ein Damoklesschwertüber Jenin: Der kaltblütige Mord und diezaghafte Reaktion vor Ort offenbaren, wieexplosiv die Situation geworden ist. Beein-flusst von jahrzehntelanger islamistischerPropaganda aus Saudi-Arabien, scheinenTeile der palästinensischen Bevölkerungin einen Strudel selbstzerstörerischer Ge-walt abzudriften.

Es ist keine gute Zeit für Grenz-gänger. Doch Julianos Weggefährten wol-len das Wagnis fortsetzen. Der Mord sollnicht der Schlusspunkt des Freiheitsthea-ters sein.

Tsafrir Cohen

Projektstichwort

Die Weggefährten von Juliano Mer Khamishoffen auch nach seiner Ermordung auf dieAusstrahlungskraft des Theaters. Ihr nächstesProjekt ist das Playback Theatre. Ein interakti-ves Theatererlebnis in Jenin und Umgebung,in dem das Publikum eigene Geschichten er-zählt, die dann von Schauspielern und Musi-kern improvisatorisch inszeniert werden. Einekraftvolle Art, gemeinsamen Kampf und Wider-standskraft zur Sprache zu bringen. Unterstüt-zen Sie das Freiheitstheater in Jenin. DasStichwort lautet: Israel-Palästina.

29Der Tag danach: Trauer im Freedom Theatre Jenin. Foto: Reuters

Page 30: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

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ine neue Erzählung verbreitet sichwie ein Lauffeuer in der globalisier-ten Welt. Eine Erzählung von

Selbstermächtigung, von der Möglichkeitjedes und jeder Einzelnen politisch einzu-greifen und von der Fähigkeit zu sozialemund demokratischem Miteinander. Ob inStuttgart, Kairo, Madrid oder Athen, plötz-lich und unerwartet taucht eine Bewegungauf, die drei Paradigmen der neoliberalenGlobalisierung von Grund auf in Zweifel

zieht: Geld und Gier sei das einzige wirk-lich innovative Handlungsmotiv, es gebekeine Alternative zur herrschenden Ord-nung und es existiere keine Gesellschaft– und also keine Solidarität. Das diesjäh-

rige Symposium der stiftung medico inter-national beschäftigte sich unter dem Titel„Rückeroberung des öffentlichen Raums?Der Souverän meldet sich zurück“ am 13.Mai mit diesen revolutionär anmutendenDemokratiebewegungen, die bei allen un-terschiedlichen politischen und ökonomi-schen Kontexten auf ganz neue Weisepolitische und soziale Teilhabe einfordern.

Das 6. Stiftungssymposium warwie immer ein Ort der Reflexion und De-

batte, an demmehr Fragen ge-stellt als Antwortengegeben wurden.Zum ersten Malaber debattiertenReferentinnen undReferenten, Teil-nehmerinnen undTeilnehmer nichtüber die negativenPhänomene undAuswirkungen desNeoliberalismus,sondern über ge-meinsame Hand-lungshorizonte,die sich aus derGlobalisierung er-geben. Das war

ein ganz neues Gefühl. Und niemandhätte sich zu diesem Zeitpunkt vorstellenkönnen, dass wenig später von den „Indi-gnados“, den „Empörten“, viele Plätze inSpanien wochenlang besetzt gehalten

stiftung medico international

Renaissance der Polismedico-Stiftungssymposium zu Demokratie und Öffentlichkeit

E

Erklärung der Empörung: Hannes Rockenbauch, Stuttgart-21-Gegner. Foto: medico

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würden. Oder dass sich in Griechenlandganz neue Protestkulturen entwickelnwürden, über die der griechische Polito-loge Seraphim Seferiades in der tageszei-tung kürzlich sagte: „Was wir in letzter Zeiterleben, ist völlig neu. Die Leute warenes leid, auf Demonstrationen zu gehenund aus einer Position der Schwäche dieimmer gleiche Forderung an die Macht zuadressieren.“ Nun fühle sich die Polis alsaktiver Träger aufgerufen, die politischeGestaltung selbst in die Hand zu nehmen.Hunderttausende Menschen halten öffent-liche Plätze besetzt und führen kollektiveDebatten, die in gemeinsamen Resolutio-nen münden. Da ist es wieder – das Tah-rir-Platz-Phänomen. Auch in Griechenlandnennen sie sich übrigens frei nach Sté-phane Hessels Bestseller Empört Euch„empörte Bürger“.

Auf dem Stiftungssymposiumbeschrieb Professor Alexander Demirovicdiese Protestkulturen als „Demokratisie-rung der Demokratie“. Seine Analyse desunerträglichen politischen Stillstands, dendie bundesrepublikanische Gesellschaft inden letzten Jahrzehnten erlebte, weil dieBürger zwar „mitgenommen, aber nichternst genommen“ würden, stieß auf regeZustimmung. Die Nutzung der Demokratiedurch die Politik, so Demirovic, habe au-toritäre Züge. Private Stiftungen würdenunter dem Stichwort „effizientere Ent-scheidungsstrukturen“ staatsstreichartigeFormen von Politik predigen.

Diesem Denken hat die Protest-bewegung von Stuttgart 21 einen herbenSchlag versetzt. Hannes Rockenbauch,seit vielen Jahren an der Protestbewe-gung gegen Stuttgart 21 beteiligt, be-schrieb dabei, dass das alles (wie auch inNordafrika) so plötzlich nicht gekommenist, wie es der medialen Öffentlichkeit er-scheint. „Aus den Medien“, so Rocken-bauch, „kann man die Entstehung dieser

Bürgerbewegung nicht verstehen.“ Bereits2007 habe es große Demonstrationengegen die Bahnhofspläne gegeben. DieMedien hätten nie darüber berichtet. DreiJahre lang habe sich eine eigene Öffent-lichkeit unbeachtet von den Medien entwi-ckelt. In Stuttgart, so scheint es, hat mandie Ohnmacht der Nische längst verlas-

Vernunft und ZornGeorg Schramm für medico

„Die Vernunft kann sich mit größerer Wuchtdem Bösen entgegenstellen, wenn der Zornihr dienstbar zur Hand geht“, dieses Zitat vonPapst Gregor ist einer von Georg SchrammsLieblingssätzen in seinem Programm „MeisterYodas Ende“, das er am Abend des Stiftungs-symposiums in Frankfurt aufführte. 17.810 Eurokamen bei der Benefiz-Vorstellung für medico zusammen. Dank seiner ungebremst zornigenFigur Lothar Dombrowski kann Schramm, der nebenbei noch im Kuratorium der medico-Stif-tung sitzt, seiner Empörung freien Lauf lassen.

Das tat er nicht zuletzt bei der Preisverleihungdes Kleinkunstpreises Baden-Württemberg. DieCDU-Notablen, noch vor ihrer Abwahl, im Publi-kum quittierten Dombrowskis Äußerungen mitBuhrufen, während das Publikum auf den hinte-ren Bänken johlte. Schramm ließ unter anderemverlauten, dass es wohl nach dem Regierungs-wechsel weitere teure „Endlager für abgebranntePolitiker“ geben werde: „Sie werden wohl dem-nächst bei der DLRG Reden halten müssen“,bekam Staatsminister Rau zu hören. „Eine Lan-desregierung, die nicht in der Lage ist, einenPflasterstein von einer Kastanie zu unterschei-den, hat nichts anderes verdient, als in den Or-kus der Bedeutungslosigkeit gestoßen zu wer-den.“ Der Forderung einiger CDU-Politiker nachRückgabe des Preisgeldes gab Schramm nichtnach. Das hatte er bereits medico für die Unter-stützung von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt.

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ie Tatsache, dass wir einmal alle vierJahre wählen gehen dürfen, ist kein aus-reichendes Merkmal für Demokratie. Das

ist Konsens bis hinein in den politischen Main-stream. Aber gleichzeitig strebt man wie in Hes-sen die Ausdehnung der Legislaturperioden auf5 Jahre an. Genau genommen wird damit deröffentliche Raum verknappt. Während der Wirt-schaftskrise kam es zu staatsstreichartigen For-men der Politik: Kleine Gremien entschiedenanhand eines vierseitigen Papiers von US-No-tenbank-Chef Bernanke die Kleinigkeit von 800Milliarden Dollar zur Rettung der Banken. Ähn-liche Vorgänge gab es auch in Deutschland.

Die Möglichkeiten sich Gehör zu ver-schaffen, sind in hohem Maße ausgehebelt.Man kann noch und noch protestieren – aberes bewirkt nichts. Das ist die Erfahrung in ganzEuropa. Allein in Österreich demonstriertenHunderttausende gegen die Rentenreform derRegierung Schüssel-Grasser. Jetzt stellt sichheraus, dass fast jeder in dieser Regierung kor-rupt war und reif für den Staatsanwalt ist. Aberdie Rentenreform wird nicht zurückgenommen.

Entstehen des Protests in Stuttgart sahRockenbauch in zwei Momenten. DerBahnhofsneubau sei als ein Angriff auf dieHeimat empfunden worden, hinter demsich eine lange Geschichte von Enteig-nungen des Sozialen verberge. Und auchhier wieder das Demokratiethema: Diealte Arbeitsteilung „Ihr regiert, wir lassenuns regieren“ sei von den Stuttgartern auf-gekündigt worden.

sen. In vollem Selbstbewusstsein der ei-genen Stärke, erklärte Rockenbauch inFrankfurt, stellen sich die protestierendenStuttgarter schon lange nicht mehr dieFrage, ob die großen Medien anwesendseien. Das mag auch damit zu tun haben,dass sich diese Bewegung über vieleJahre gegen ein mächtiges Meinungskar-tell in den wichtigen lokalen Medien zurWehr setzen musste. Die Gründe für das

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Demokratisierung der Demokratie

Alex Demirovic zum Stillstand der Politik

Was wir dringlich brauchen ist eineDemokratisierung der Demokratie. In der politi-schen Theorie beschäftigen wir uns unter demStichwort „Radikale Demokratie“ seit vielenJahren damit. Das schließt viele Aspekte ein.Es kann unkonventionelle Formen des Enga-gements geben, Beteiligungsforen jedweder Artzu vielerlei Themen. Neue Akteure entstehenzu neuen Themen, und es bedarf neuer Betei-ligungsformen, die wir als deliberative Demo-kratie bezeichnen.

Es gibt bereits vieles: Konsensrun-den, Schlichtungen, Bürgerdialoge. Aber häufigwerden diese Gespräche so ähnlich benutztwie das Parlament. Sie werden instrumentali-siert. Man bringt die Bürger zusammen, be-schäftigt sie und hält sie im Leerlauf derDeliberation, der Beratungsrunden hin. Die we-sentlichen Fragen werden nicht verhandelt. Beialler Demokratie- und Öffentlichkeitsrhetorikdümpeln wir vor uns hin. Das ist die paradoxeLage: Wir haben keine autoritäre Entwicklung,aber die Nutzung der Demokratie hat autoritäreAspekte.

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Page 33: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

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Dass man von ein und demsel-ben spricht und die vermachteten globa-len Strukturen dann doch einen Unter-schied machen, zeigte sich im Beitrag vonDr. Arshin Adib-Moghaddam von der Uni-versität London. Seine Bewertung der Be-wegungen im arabischen Raum, aberauch im Iran hätte ebenso auf die Protestein europäischen Zentren zutreffen können.Es handle sich um „postmoderne Revol-ten“, die über keine einheitliche Ideologiemehr verfügten: „Es gibt kein Hauptquar-tier und keinen Führer“, so Adib-Moghad-dam. Diese Pluralität ist dank der Tech-nologie der neuen Medien möglich. Auchwenn die Ambivalenz der neuen Medienallenthalben betont wurde, bleibt dieseTatsache. Adib-Moghaddam verwies je-doch auf die Diskrepanz in der Wahrneh-mung der Ereignisse im arabischenRaum. Über die Entwicklungen in Saudi-Arabien und Bahrein verlieren die Medienkaum ein Wort. Hier den Status quo zu er-halten liege in „unserem“ strategischen In-teresse. Das habe die „homogenisierteÖffentlichkeit“ (Demirovic) verinnerlicht.

Warum, so mag man sich fragen,beschäftigt sich eine Hilfsorganisation wiemedico international mit diesen Themen?Geschäftsführer Thomas Gebauer ver-wies in seinen einleitenden Worten darauf,warum gerade für medico das Thema vongeradezu brennendem Interesse ist. Mitdem Niedergang der sozialen Bewegun-gen sei auch der für medico relevante öf-fentliche Raum verwaist: „Die letztenbeiden Dekaden haben wir als schwierigeJahre empfunden, in denen wir mit inten-siver Netzwerkarbeit, mit der Arbeit in klei-nen Zirkeln, mit unzähligen und nicht im-mer gut besuchten Veranstaltungen, mitWebseiten-Angeboten, Kampagnen undKonferenzen unseren Beitrag dazu leiste-ten, diesen öffentlichen Raum am Lebenzu erhalten.“ Punktuelle Erfolge, darunter

auch eigene, wie in der Minenkampagne,seien zwar erreicht worden, aber „voran-getrieben von NGO-Netzwerken und ebendeshalb schwer über den jeweiligen An-lass hinaus zu verstetigen“. Als Teil vonglobaler kritischer Öffentlichkeit, die sichfür die Verwirklichung des Menschen-rechts auf Gesundheit und darin für politi-sche und soziale Teilhabe aller Menscheneinsetzt, stellt sich die Frage, ob sich indiesen Aufständen und Revolten eine glo-bale Demokratiebewegung zu erkennengibt. Das wäre dann mehr als ein Punkt-sieg.

Katja Maurer

Das Stiftungssymposium können Sie vollständig auf der Webseite nachhören unter:www.medico.de/stiftungssymposium

ie Gründung der medico-Stiftung wareine der wichtigsten Maßnahmen, mitdenen medico die Unabhängigkeit sei-

ner Arbeit sichert und sich der zunehmendenTendenz zur politischen Instrumentalisierungder Hilfe erwehrt. Bis heute haben sich rund80 Stifterinnen und Stifter mit einer Einlage indas Stiftungsvermögen beteiligt oder die Stif-tung in ihrem Testament berücksichtigt. Ausden Zinsen des dauerhaft angelegten Vermö-gens können so medico-Projekte gefördertwerden, die kaum auf öffentliche Zuschüsseoder mediale Öffentlichkeit hoffen können.

Wenn Sie sich vorstellen können, Stifterin oder Stifter zu werden, schicken wir Ihnengern unverbindlich Informationen zu.

Wenden Sie sich bitte an: Gudrun Kortas, Tel. 069/944 38-28, [email protected],www.stiftung-medico.de

stiftungmedico international

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Page 34: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

Damaskus, den 28. April 2011:

Wie ihr sicherlich mitbekommen habt,überschlagen sich die Ereignisse in Sy-rien momentan. Auf meiner Fahrt vonAleppo nach Damaskus konnte ich se-hen, wie um Städte wie Homs und HamaCheckpoints eingerichtet wurden, an de-nen Soldaten und bewaffnete Zivilistenmit Maschinenpistolen die wenigen nochfahrenden Autos kontrollierten. Selbst inVororten von Damaskus sind entlang derAutobahn Sicherheitsbeamte mit Maschi-nengewehren positioniert. Spätestensseit den Protesten vom letzten Freitag istallen Damaszenern klar, dass der Auf-stand auch sie erreichen wird. Für die

Demonstranten gibt es kaum ein Zurückmehr. Zuviel wurde riskiert, zu viele ha-ben sich in die Öffentlichkeit gewagt, zuviele sind jetzt schon gestorben. Die Bru-talität der letzten Tagen ist kaum fassbar:Auf offener Straße werden Menschen er-schossen, ganze Ortschaften vom Militärbelagert, Strom- und Telefonleitungengekappt. Aufzuhören hieße, sich wehr-los der staatlichen Repression auszuset-zen. Von Freitag zu Freitag wird die Situ-ation immer festgefahrener. Anders als inÄgypten oder Tunesien stehen den De-monstranten nicht nur die Polizei, son-dern große Teile des Sicherheitsapparatsgegenüber. Die Freiheitsbewegung wirdvor allem regional getragen, fast alle De-monstrationen werden fast autonom inden jeweiligen Regionen organisiert undsind oft wenig vernetzt. Meistens sind eseinfache Leute, die auf die Straße ge-hen – was sich auch daran zeigt, dasssich der Protest vor allem in kleinerenOrten abspielt. Interessant ist, dass dieBewegung wie in Ägypten auf die sonstüblichen Ressentiments gegen Israelbzw. die USA verzichtet.

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arabischer frühling

Der syrische SommerEindrücke einer Reise in das Herz eines Aufstandes

Mitte März erreichte der arabischeFreiheitsfunken auch Syrien. Aberanders als in Tunesien und Ägyptenschlägt das syrische Regime blutigzurück und verstärkt so die – nachüber 40-jähriger Alleinherrschaft derBaath-Partei – tiefsitzende Kultur der Angst. Der Klimaaktivist EliasPerabo reiste noch vor den erstenProtesten nach Damaskus. Unge-plant inmitten einer Protestwelle gelandet, suchte er Kontakt zu syri-schen Aktivisten und beschrieb inEmails seine Eindrücke. medico dokumentiert hier einige Auszüge.

Page 35: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

Damaskus, den 5. Mai 2011:

Die Lage ist geradezu explodiert, das Mi-litär rückt mit Panzern und schweremGeschütz in verschiede Orte vor, eineriesige Verhaftungswelle hat begonnen.Ein Aktivist sagte: „Bis jetzt wurden wirins Gefängnis gesteckt, jetzt weiß nie-mand, wohin die Menschen kommen.”Doch trotz der Toten scheint die Angstbei vielen gebrochen. Es ist nicht ein-fach, den Charakter der Proteste bündigeinzuschätzen. Die Bewegung ist sehrheterogen, wird von keiner besonderenSchicht oder Altersgruppe dominiert, einKonglomerat von Aktivisten, lokalen Ver-einen und Gruppen, Nachbarschaftsini-tiativen, dazu viele Einzelpersonen. Cha-rakteristisch dafür ist schon der Anfangder Proteste am 6. März, in der Klein-stadt Daraa. Nach der Festnahme von15 Kindern und Jugendlichen wegen re-gimekritischer Graffitis demonstriertenerst 200 Menschen, meist Familienange-hörige, aber über Nacht, nachdem diePolizei in die Menge gefeuert hatte, wur-den es Tausende. Auch der Fokus derProteste änderte sich rasant: AllgemeineRufe nach Frieden und Gerechtigkeitwurden schnell von politischen Forderun-gen nach dem Ende der Notstandsge-setze abgelöst. Das Verdienst der Akti-visten in Daraa ist auch, dass sie dieErsten waren, die ein regionales Komiteegründeten. Dass ausgerechnet die Mo-scheen zum Ausgangsort der Protestewurden, liegt daran, dass sie mittlerweiledie einzigen Orte sind, an denen mansich noch relativ frei versammeln kann.Anderen Möglichkeiten, etwa Fußball-spielen, wurden schnell Riegel vorge-schoben – alle Großveranstaltungen inSyrien sind verboten, selbst die traditio-nellen christlichen Osterprozessionenwurden abgesagt. Trotzdem spielt dieReligion eine untergeordnete Rolle, die

Muslimbrüder schafften es nicht, denAufstand zu prägen. Einer der beliebtes-ten Sprechchöre lautet: „Wir brauchenkeine Bruderschaft, wir brauchen einenSchritt nach vorn.“ Für die Aktivisten wirdneben der Kampagne gegen das Re-gime die zweite Herausforderung darinbestehen, den religiösen Fundamentalis-ten keinen Raum zu lassen.

Beirut, den 12. Mai 2011:

Vor wenigen Tagen bin ich in den Liba-non ausgereist. Hier arbeite ich mit RamiNahkle zusammen, einem syrischen Ak-tivisten, der Anfang des Jahres aus Da-maskus fliehen musste und inzwischeneine der ganz zentralen Figuren des Wi-derstands ist. Wir systematisieren Infor-mationen, prüfen ihren Wahrheitsgehaltund vermitteln Augenzeugen und Inter-views an die internationale Presse. Da-mit der Informationsfluss nicht abreißt,bringen wir auch Hardware (Satellitente-lefone, Minikameras etc.) ins Land. DieMenschen gehen immer selbstbewussterauf die Straße. Uns erreichen Videos, indenen sich Demonstranten den Anwei-sungen der Sicherheitskräfte lautstarkwidersetzen. Andere geben mit Nameund Gesicht Interviews, in denen sie dieAbdankung von Assad fordern. All dieswar vor Wochen undenkbar. Ein Repor-ter von-Al Jazeera sagt: „Die Angst hatdie Seiten gewechselt.“ Mit 800 toten

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Steine gegen Panzer, Daraa, 25. April. Fotos: Reuters (1), LCCSyria (3)

Protest mit Blumen, Banyas, 7.Mai.

Page 36: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

Demonstranten ist der syrische Frühlingdennoch der blutigste der arabischenAufstände, vom Bürgerkrieg in Libyenabgesehen. Das Regime versucht dieImpulse und Aktionen der Protestbewe-gung systematisch zu brechen: Mindes-tens zwei Gefangenen- und Folterlagerin Fußballstadien wurden eingerichtet.Problematisch ist allerdings die mangeln-de Beteiligung der Mittelschichten inAleppo und Damaskus. Seit einigen Ta-gen erleben wir einen Wandel im staatli-chen Umgang mit den Demonstrationen.Wir nennen es die „Iran-Strategie“. ZuAnfang setzte Assad auf einen Mix vonvorgetäuschter Dialogbereitschaft undbrutalem Schusswaffeneinsatz. Aber dieAbschreckung funktionierte nicht, die De-monstrationen wuchsen mit jedem Toten.Jetzt setzt das Regime auf Massenfest-nahmen: Unmengen Leute werden alleinwegen ihrer Zugehörigkeit zu bestimm-ten Zielgruppen für mindestens eineWoche verhaftet und gefoltert, zuletztTausende Männer im Alter zwischen 20und 35 Jahren in Daraa und Baniyas. Inden Vororten von Damaskus trifft es Be-wohner ganzer Straßenzüge. Soldatender 4. Division der Armee oder der Präsi-dentengarde umstellen die Viertel,Scharfschützen postieren sich auf denDächern, dann werden die Leute festge-nommen. Die Vorteile liegen auf derHand: Deutlich weniger Tote, also weni-ger Beerdigungen samt folgender De-monstration – entsprechend niedrigereinternationale Empörung. Dass die meis-ten Inhaftierten nach einer Woche wiederentlassen werden, liegt nicht nur an Ka-pazitätsengpässen, sondern folgt einemperfiden Kalkül. Die Betroffenen sollenvon dem Grauen, den körperlichen undseelischen Misshandlungen erzählen,um andere damit abzuschrecken. Sowurde vor gut zwei Jahren die grüne Re-

volution im Iran niedergeschlagen. Es erstaunt deshalb auch nicht, dass es inden letzten Wochen zu einem massivenGeheimdienstaustausch zwischen Tehe-ran und Damaskus gekommen ist.

Beirut, den 26. Mai 2011:

Heute erreichte uns eine merkwürdigeAnfrage: eine Aktivistin aus Syrien, seitlängerer Zeit im Untergrund, konnte ihreKatzen nicht in ihr neues Versteck mit-nehmen. Jetzt fragt uns ihre Freundin,ob wir nicht jemanden kennen, der dieKatzen aufnehmen könnte. Vor dem Hin-tergrund, dass inzwischen in Syrienmehr als eintausend Menschen von Si-cherheitskräften erschossen wurden,Gräber mit unbekannten Leichen aufge-taucht sind, viele Hunderte Menschenvermisst und Tausende noch verhaftetsind, scheint es geradezu absurd, dasswir uns um ein Katzenasyl kümmern sol-len. Gleichzeitig sind solche Alltagsge-schichten für die Betroffenen im ständi-gen Ausnahmezustand eminent wichtig.Das Risiko der Aktivisten wird in ganzanderer Weise plastisch. Die Geschichteist aber auch symbolisch für den Wandeldes Protestes. In den letzten Wochen istklar geworden, dass der syrische Früh-ling sich nicht zu einem Momentum ent-wickelt, wo die Kalender einfach wegge-worfen werden, um alles auf die Kartedes schnellen Umbruches zu setzen.Hoffentlich langfristig tragfähige Struktu-ren lösen den spontanen Aufstand lang-

36 Dank an Al Jazeera, Qamishli, 10. Juni

Page 37: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

sam ab. Es gibt jetzt 15 lokale Komitees,über Internet und vertrauenswürdigeKontaktpersonen landesweit vernetzt.Assad hat es bislang nicht geschafft, dieProteste unter Kontrolle zu bringen. EineUrsache liegt in dem Umstand, dass derProtest sich anders als im Iran, in Ägyp-ten und Tunesien nicht in den Zentrenabspielt, sondern über das ganze Landverteilt ist. Allein letzten Freitag gab es inüber 50 Orten Syriens Demonstrationen.

Berlin, 8. Juni 2011:

Es ist vorbei. Selbst pessimistische Ana-lysten müssen eingestehen, dass As-sads Zeit abläuft. Aber es wäre naiv, da-rin bereits den Erfolg der Proteste zu se-hen, und es wäre fahrlässig, die Stärkedieses Regimes zu unterschätzen. Nachüber 1.400 Toten, nach der Folterungund Tötung des 13-jährigen Hamza, vorallem aber, nachdem die Proteste mit50.000 Menschen in Hama erstmals einekritische Zahl erreichten, forderten Exil-syrer auf einer großen Konferenz in An-talya am 2. Juni den sofortigen Rücktrittdes Präsidenten. Demonstranten gabenam darauffolgenden Freitag die klare Pa-role aus: „Keine Gespräche, bevor dasRegime nicht gestürzt ist“. Wahrschein-lich ist, dass Assad den eingeschlagenenmilitärischen Weg fortsetzt. Zwar gibt esbereits zahlreiche Soldaten, die Schieß-befehle verweigern (und oft darauf hinsofort erschossen werden), und es häu-fen sich Desertionen, aber es ist schwer

vorstellbar, dass größere Teile der über310.000 Mann starken Armee den Be-fehl verweigern würden bzw. sich auf die Seite der Demokratiebewegung stellen.Die Armee ist so aufgebaut, dass in jederBrigade mindestens ein der Assad-Fami-lie nahe stehender Alawit die Führungoder die Stellvertretung inne hat. Wennes deshalb einerseits keinen Grund fürgroßen Optimismus gibt, muss man andererseits erinnern, dass vor vier Mo-naten keiner einen solchen Umbruch erahnt und vorauszusagen gewagt hätte.Klar scheint nur eines: Das Regime wirdfallen – es gilt jetzt daran zu arbeiten,dass es so wenig Opfer wie möglich gibt.

Elias Perabo ist ein langjähriger Klimaaktivist,der hauptsächlich in Deutschland lebt. In denletzten Jahren koordinierte er die Anti-Kohle-kampagne der Klima-Allianz.

Projektstichwort

Das Netzwerk Local Coordination Commit-tees of Syria (LCCSyria) ist eine Dachorga-nisation lokaler Komitees, die sich im Zugedes aktuellen syrischen Aufstandes bildeten.Die lokalen Koordinationsausschüsse orga-nisieren Treffen sowie Demonstrationen undtragen per Web 2.0 die aktuellen Entwick-lungen. Im LCCSyria arbeiten junge Internet-aktivisten mit Menschenrechtlern und Oppo-sitionellen zusammen, die schon seit Jahrenim Widerstand gegen das Regime stehen.Das Netzwerk forderte unlängst, dass Ba-schar al-Assad endgültig abtreten müsse,damit das Land eine demokratische Chancebekommt. Eine international überwachteKonferenz solle eine neue Verfassung erar-beiten. Es müsse verhindert werden, dassSyrien ins Chaos stürze, erklärte das LCC-Syria weiter. medico wird dem jungen Netz-werk der syrischen Demokratie solidarischzur Seite stehen. Zukünftig sind auf unsererWebseite seine Nachrichten zu verfolgen.Das Spendenstichwort lautet: medico.

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Kinderdemonstration, Hama, 10. Juni

Page 38: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

ie sahen zu,wie sie imMeer ertran-

ken“. Der jungeMann erzählt ineinem erschüttern-den Video, wie einFlüchtlingsboot inRichtung Italien un-terging und die Be-satzung einer Küs-tenwache teil-nahmslos das Ster-ben beobachtete. Indem Flüchtlingsla-ger Choucha an dertunesisch-libyschenGrenze sitzen rund4.000 Flüchtlingeaus Eritrea, Soma-lia, der Elfenbeinküste, dem Sudan undanderen Ländern fest. Sie flohen vor demKrieg um Tripolis, saßen in libyschen Ge-fängnissen, wurden misshandelt, gefoltertoder ausgeraubt; wieder andere warenbereits auf See, wurden abgefangen oderkenterten.

Die EU bezahlte Colonel Gad-dafi, damit er uns alle jene vom Leib hält,die in Europa ein besseres Leben such-ten. Im öffentlichen Streit über die Flücht-linge wird oft verschwiegen, dass dievorwiegend jungen Leute, ob aus demMaghreb oder dem subsaharischen Afri-ka, nicht nur vor Armut und Not geflohen

sind, sondern auch vor einem Mangel anFreiheit. Für sie ist dieses Europa an derGrenze eine traumatische Erfahrung:Kontrolle, Lagerhaft und Abschiebung. DieEU ist in Nordafrika nicht bereit zu respek-tieren, dass neu errungene Freiheits-rechte auch die Freiheit der Mobilität miteinschließt. Alexis de Tocqueville notierteeinmal den zynischen Satz: „Der gefähr-lichste Moment für eine schlechte Regie-rung kommt gewöhnlich, wenn sie sich zureformieren beginnt.“ Das europäischeGrenzregime ist eine solche „schlechteRegierung“. Und sie beginnt nervös zuwerden. In diesem Frühjahr starben be-

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medico aktiv

Europa muss helfen!Unterschriftenaktion von medico und Pro Asyl zur Aufnahmevon Flüchtlingen aus Libyen

S

Sechs Minuten Wahrheit: Video „Voices Of Choucha“ auf www.medico.de

Page 39: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

m Juni organisierte medico einegemeinsame israelisch-palästinen-sische Delegation mit Vertretern

der medico-Partner Al Mezan aus Gaza,Ärzte für Menschenrechte - Israel und Al Haq aus der Westbank ins politischeBerlin. Gespräche wurden geführt imKanzleramt, im Auswärtigen Amt, bei denFraktionen im Bundestag, im Auswärti-gen und Menschenrechtsausschuss so-wie mit verschiedenen zivilgesellschaftli-chen Akteuren. Unsere Partner plädier-ten dafür, die aktuelle innerpalästinensi-sche Versöhnung zu fördern, da die Kon-kurrenz zwischen Hamas und Fatah zuschwerwiegenden Menschenrechtsver-letzungen geführt hat. Die bestehendeisraelische Blockade von Gaza war stetsThema, nicht zuletzt, weil der Platz vonMahmoud Aburahma von Al Mezan leerbleiben musste: Es bedurfte acht langer

reits 1.600 Flüchtlinge beim Versuch dasMeer zu überqueren. Die Politik reagiertzynisch wie kaltherzig. Berlusconi be-zeichnete die Schutzsuchenden ausNordafrika als „menschlichen Tsunami“.Sarkozy lehnt jede Visaerteilung ab, Kanz-lerin Merkel ebenso. Die Innenministervon Bayern und Hessen wollen wiederGrenzkontrollen einführen. Dabei geht esbislang um lediglich 25.000 Flüchtlinge –bei derzeit etwa 500 Millionen EU-Einwoh-nern. Es ist an der Zeit, dass sich dage-gen eine durchsetzungsfähige demokra-tische Koalition bildet, die endlich eine so-fortige humanitäre Hilfe im Mittelmeer um-setzt. Hier braucht es keine Interventions-

armee. Es reicht die helfende Hand. DieAufnahme aller Flüchtlinge wäre das Ge-bot der Stunde. Darüber hinaus: ein Mo-ratorium für alle Frontex-Einsätze, sowiedie Untersuchung aller Vorwürfe von Men-schenrechtsverletzungen. Dies wäre einAnfang vom Ende der Unfreiheit an Eu-ropas Außengrenzen.

medico fordert gemeinsam mitPro Asyl und aktivistischen Netzwerkenwie „welcome to europe“ die sofortigeHilfe für die Flüchtlinge in Choucha. Un-terzeichnen Sie den Appell „Fluchtwegeöffnen, Flüchtlinge aufnehmen!“ online aufwww.medico.de

Martin Glasenapp

I

Lobbygespräche für gleiche Rechtemedico-Partner aus Israel/Palästina im politischen Berlin

Tage Bürokratie, um den Gazastreifen zu verlassen. Er kam deshalb verspätetin Berlin an. Bemerkbar war das Unbe-hagen der Gesprächspartner, unabhän-gig davon ob sie zur Regierung oder Op-position gehören, angesichts der aktuel-len israelischen Regierungspolitik. Wäh-rend bei unserer letzten Delegationsreiseim Februar 2010 viele noch die Hoffnungäußerten, der ohnehin eher virtuelle Frie-densprozess könne wiederbelebt wer-den, sehen heute viele den unerträglich-en Status quo der Besatzung. Was zutun sei? Während sich deutsche Politikerbekanntlich eher zurückhalten und Druckauf die Konfliktparteien ablehnen, forder-ten unsere Partner aus Israel und Paläs-tina, dass sich deutsche Politik konse-quent für die Menschenrechte im Le-bensalltag von Palästinensern wie Isra-elis einsetzen sollte.

Tsafrir Cohen

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Page 40: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

Reisen in die Zivilgesellschaftmedico-Projekte und ihre Kontexte aus der Nahsicht

Im Rahmen der „Reisen in die Zivilgesellschaft“, die die Berliner tageszeitung veranstaltet,werden auch regelmäßig Projektpartner von medico besucht. Die Kooperation von taz undmedico hat sich insbesondere bei den Reisen nach Palästina/Israel bewährt.

Vom 2. – 11. September und 21. – 30. Oktober werden die nächsten Reisen angeboten. Vom 11. – 26. Februar findet eine Reise nach Guatemala statt, die von unserem medico-Kollegen vor Ort, Dieter Müller, vorbereitet und geleitet wird.

Weitere Informationen unter: http://www.taz.de/4/taz-reisen/

Neu: Fluchtursache reichtum

Migration und Rohstoffhandel in Afrika

(44 S.) Gold, Diamanten, Baumwolleund Fischbestände: In einigen Län-dern Westafrikas zeigt sich, dass ge-rade der Reichtum an Rohstoffen dieMigrationsbewegungen innerhalb Afri-kas und nach Europa hervorruft.

Sie finden hier eine Auswahl der Materialien,die medico mit viel Sorgfalt erstellt und zu In-formations- und Bildungszwecken kostenfrei(mit einigen gekennzeichneten Ausnahmen)zur Verfügung stellt.

Sie helfen medico und den Projektpartnernsehr, wenn Sie zur Weiterverbreitung dieserMaterialien beitragen! Machen Sie Freunde,Bekannte, Arbeitskollegen auf das rundschrei-ben, die medico-Stichworte, die Minenzeitungaufmerksam!

Die vollständige Liste unserer Materialien stehtim Internet bereit: unter www.medico.de fin-den Sie über „Kontakt Service Presse/Publika-tionen und Material“ die hier abgebildeten undalle weiteren Publikationen zum Bestellen oderHerunterladen.

Für Nachfragen stehen wir ihnen gerne

unter tel. (069) 944 38-0 zur Verfügung.

Neu: medico-Jahresbericht

2010

(36 S.) Projekte, Netzwerke, Aktionen, Kampagnen: derGesamtüberblick mit Grund-sätzen und Finanzbericht.

Neu: auf rohstoffraub

Kampagnenmaterial zur EU-Rohstoffinitiative

Weltweit steigt die Nachfrage nachRohstoffen. Die EU sichert sich denschrankenlosen Zugang. Verlierersind die Länder des globalen Südens.Attac und medico fordern mit derKampagne gegen Rohstoffraub eine

radikale Abkehr von der auf Wachstum ausgerichteten Wirt-schaftspolitik. Bestellen Sie Plakate, Flyer oder Aufkleber.

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Liebe Leserinnen und Leser,

materialliste

Page 41: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

bestellcoupon

______ medico-Jahresbericht 2010

______ Broschüre: Fluchtursache Reichtum

______ Auf Rohstoffraub: Plakat DIN A2

______ Auf Rohstoffraub: Flyer (8 Seiten)

______ Auf Rohstoffraub: Aufkleber, 60x40 mm

______ Broschüre: stiftung medico international

______ medico-Stichwort: Afghanistan

______ medico-Kurzvorstellung

______ Plakat DIN A1 WHY?

______ medico-Praxis-Plakat DIN A1: Sri Lanka

______ medico-Praxis-Plakat DIN A1: Afghanistan

______ medico-Praxis-Plakat DIN A1: Simbabwe

______ medico rundschreiben 04 | 10

______ medico rundschreiben 01 | 11

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medico international Burgstraße 106 D-60389 Frankfurt am Main

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WhY? Jahr für Jahr sterben Flüchtlingean den Außengrenzen Europas

(DIN A1) Das Plakat können Sie kosten-los bei uns bestellen. Damit es unversehrtbei Ihnen ankommt, verschicken wir es in einer Plakatrolle. Weil dadurch die Ver-sandkosten sehr hoch sind (7,40 €), würden wir uns über eine Spende freuen.spendenstichwort: migration.

medico-Kurzvorstellung

(16 Seiten, DIN A6) Hilfe in der Not istunumgänglich. Ein politisches Verständ-nis von Hilfe geht aber darüber hinaus.medico und seine Partner stellen sich in12 Projektbeispielen vor.

Gesundheit ist mehr als die

abwesenheit von Krankheit

(Plakate, DiN a1)

medico-Plakate für Gesundheitszentren,Arztpraxen oder andere öffentliche wieprivate Orte. Damit sie unversehrt beiIhnen ankommen, verschicken wir sie ineiner Plakatrolle. Weil dadurch die Ver-sandkosten sehr hoch sind (7,40 €),

würden wir uns über eine Spende freuen. spendenstichwort:

Gesundheit.

stichwort afghanistan

(16 S. DIN A5-Heft) Arbeitsalltag und Beispiele der medico-Projektarbeit in Afghanistan, verbunden mit einer Kurz-vorstellung von medico und seinem Gesundheitsverständnis.

Broschüre stiftung

medico international

(16 S.) Übersicht über Ziele, Satzung,Struktur und steuerliche Aspekte derstiftung medico international.

Anzahl:

Page 42: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

adressänderung:

Bitte geben Sie bei Änderungen Ihrer Adresse auchIhre alte Anschrift und/oder die Spendernummer an.So ermöglichen Sie es uns, Sie zu „finden“, und hel-fen zugleich mit, Verwaltungskosten zu sparen.

einmalige spende:

Für Spenden ab 50 € schicken wir Ihnen eine Spen-denbescheinigung zu. Für alle Spenden unter die-sem Betrag empfehlen wir Ihnen, Ihrem Finanzamteine Kopie Ihres Kontoauszugs zusammen mit ei-nem Abriss eines medico-Überweisungsformularseinzureichen. Auf der Rückseite des Abrisses befin-den sich Informationen zum Freistellungsbescheid.Selbstverständlich stellen wir Ihnen auch für Spen-den unter 50 € auf Anfrage eine Spendenbescheini-gung aus. Wenn Sie mehr als einmal im Jahr spen-den, schicken wir Ihnen keine Einzelquittung, son-dern gerne zu Beginn des Folgejahres eine Jahres-spendenbescheinigung zu.

Fördermitgliedschaft:

Die Fördermitgliedschaft bei medico sieht keine Pro-jektbindung vor. Vielmehr unterstützen Sie damit un-sere gesamte Projekt- und unsere unabhängigeÖffentlichkeitsarbeit. Die regelmäßigen Beiträge un-serer Fördermitglieder ermöglichen es uns, langfris-tige und verbindliche Projektkooperationen einzuge-hen, aber auch flexibel zu reagieren, wenn akuteHilfe notwendig ist. Der jährliche Förderbeitrag liegt

Spendeninformation

bei mind. 120 €. Das wäre z.B. der relativ kleine Be-trag von 10 € monatlich. Für Leute mit wenig Geld(Auszubildende, Erwerbslose, Studierende) beträgtder jährliche Förderbeitrag 60 €. Für alle regelmäßi-gen Spenden (Fördermitgliedsbeiträge, Einzugser-mächtigungen und Daueraufträge) schicken wir Ih-nen jeweils im Januar des darauffolgenden Jahreseine Sammelbestätigung zu, auf der alle Spendendes Jahres aufgeführt sind.

spendenquittungstelefon:

Tel. (069) 944 38-11, Fax: (069) 944 38-15 oderE-Mail: [email protected]

Bankverbindung:

medico international, Spendenkonto 1800, Frank-furter Sparkasse, BLZ 500 502 01

Vielen Dank, dass Sie unsere Arbeit mit einer Spen-de unterstützen! medico international ist gemeinnüt-zig und Ihre Spende ist steuerlich absetzbar.

stiftung medico international:

Wenn Sie, statt einer Spende – die unmittelbar in dieProjektförderung fließt – über eine Einlage in die stif-tung medico international – deren Wirkung auf Dauerangelegt ist – nachdenken, dann senden wir Ihnengerne weitere Informationen. Sie können sich auch direkt an Frau Gudrun Kortaswenden: Tel. (069) 944 38-28 oder per Email: [email protected]

Herausgeber:medico internationalBurgstraße 106D-60389 Frankfurt am Main

Tel. (069) 944 38-0Fax (069) 43 60 02

E-Mail: [email protected]: www.medico.de

Redaktion: Katja Maurer (verantwortl.),Thomas Gebauer, Martin Glasenapp

Korrektorat: Marek ArltGestaltung: ostpol

Spendenkonto: 1800 Frankfurter Sparkasse BLZ 500 502 01

impressum

42service

hinweis: Das medico-rundschreiben ist auf Reprint-Papiergedruckt, das zu 80% aus Recyclingpapier und zu 20%aus Primärfaser aus nachhaltiger Forstwirtschaft besteht.

Page 43: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

Jahresbericht 2010Die gründliche medico-Gesamtschau

Exemplarisches:- Gesundheit: Wiederaufbau nach der Flut in Pakistan

- Nothilfe: Nachbarschaftshilfe in Haiti

- Menschenrechte: Migration und Partnernetzwerke in Mali

- Vernetztes Handeln: Sri Lanka Advocay / Bündnis Entwicklung Hilft

- Strategische Öffentlichkeit: Für eine weltweite Gesundheitsbewegung

Übersicht:- medico vor Ort: Alle weltweiten Partner und Projekte

- Transparenz: Finanzbericht inkl. Bilanz, Gewinne und Verluste

- stiftung medico international: Debatten und Vernetzung

(36 Seiten kostenlos). Ein Anruf oder eine Email genügen.

Tel. (069) 944 38-0, [email protected]

Page 44: medico-Rundschreiben 02/2011: Bitterer Zucker

medico international

KAMPAGNENSTART VON MEDICO UND ATTAC Weltweit steigt die Nachfrage nach strategisch wichtigen Rohstoffen, zu derengrößten Konsumenten Deutschland gehört. Die Europäische Union (EU) fordertin ihrer von deutschen Interessen dominierten Rohstoffinitiative (2011) denschrankenlosen Zugang zu den begehrten Bodenschätzen. Dabei wird massiverDruck auf die Exportländer ausgeübt. Viele der begehrten Industriemineralien lie-gen in den Böden der Länder des globalen Südens. Die EU nutzt Handels- undInvestitionsabkommen, um den kostengünstigen Zugang zu Rohstoffen zu errei-chen und schlägt dabei handfeste Vorteile für Unternehmen heraus; bindendeRegeln für transnationale Konzerne gibt es kaum. Die Folge sind unzumutbareArbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen in den Produktionsstätten.Die Abbaumethoden schädigen die Gesundheit der lokalen Bevölkerung, zerstö-ren die Umwelt und machen die Böden für eine landwirtschaftliche Nutzung un-brauchbar. attac und medico fordern eine radikale Abkehr von der auf Wachstumausgerichteten Wirtschaftspolitik und betonen das Recht der Entwicklungsländer,ihre Exporte und Investitionen im öffentlichen Interesse selbst zu regulieren.

Machen Sie mit bei unserer Kampagne! Bestellen Sie Flyer, Plakate undAufkleber. Beteiligen Sie sich an der Protestaktion unter www.medico.de


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