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Mathematische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern ... · Mathematische Kompetenzen von...

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24 Ariana Garrote, Elisabeth Moser Opitz & Christoph Ratz Empirische Sonderpädagogik, 2015, Nr. 1, S. 24-40 ISSN 1869-4845 (Print) · ISSN 1869-4934 (Internet) Mathematische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung: Eine Querschnittstudie Ariana Garrote 1 , Elisabeth Moser Opitz 1 & Christoph Ratz 2 1 Universität Zürich 2 Universität Würzburg Zusammenfassung Zum Erwerb von mathematischen Kompetenzen bei Lernenden mit dem Förderschwerpunkt geisti- ge Entwicklung (FGE) liegen im deutschsprachigen Raum kaum Studien vor. Zur teilweisen Schlie- ßung dieser Forschungslücke leistet dieser Artikel einen ersten Beitrag. Die mathematischen Kom- petenzen von 109 Kindern und Jugendlichen mit dem FGE (6;0–18;0 Jahre) aus Deutschland und der Schweiz wurden mittels des Tests TEDI-MATH erhoben und anhand eines aktuellen Modells zur Zahlbegriffsentwicklung interpretiert. Zudem wurden die mathematischen Leistungen von Ler- nenden unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher intellektueller Beeinträchtigung miteinander verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich der Test zum Einsatz im FGE eignet, allerdings Anpas- sungen notwendig sind. Es wird sichtbar, dass ein großer Teil der Schülerinnen und Schüler mit dem FGE über bestimmte Basisfertigkeiten verfügt, dass die Kinder und Jugendlichen jedoch nur teilweise Einsicht über eine präzise Größenvorstellung verfügen. Das stellt sowohl didaktische Kon- zepte in Frage, die einseitig pränumerisches Arbeiten vorsehen, als auch solche, die auf das (abzäh- lende) Rechnen fokussieren. Schlüsselwörter: Intellektuelle Beeinträchtigung, geistige Behinderung, Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, mathematische Kompetenzen, Zahlbegriff, Zählen The mathematical competences of students with mild to moderate intellectual disabilites: A cross-sectional study Abstract There has been little research on the mathematical competence of students with mild to moderate intellectual disabilities (ID) in the German-speaking countries. This article offers new insights into this topic. The mathematical competence of 109 German and Swiss children and adolescents with ID (age 6;0–18;0) was evaluated with the test TEDI-MATH. The interpretation of the results is based on a current model of the development of quantity-number competencies. Furthermore, the math- ematical competences were compared with one another, referring to school age groups and grades of ID. Results show that TEDI-MATH turns out to be suitable for students with ID. A large share of students with ID show basic mathematical skills, but only partially insight into precise quantity per- ceptions. These results question those current concepts which advise the training of skills like clas- sification and seriation or, otherwise, of routinized counting techniques, to solve arithmetical prob- lems. Keywords: Intellectual disability, mathematical competence, number sense, counting competence
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24 Ariana Garrote, Elisabeth Moser Opitz & Christoph Ratz

Empirische Sonderpädagogik, 2015, Nr. 1, S. 24-40ISSN 1869-4845 (Print) · ISSN 1869-4934 (Internet)

Mathematische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistigeEntwicklung: Eine Querschnittstudie

Ariana Garrote1, Elisabeth Moser Opitz1 & Christoph Ratz2

1 Universität Zürich2 Universität Würzburg

ZusammenfassungZum Erwerb von mathematischen Kompetenzen bei Lernenden mit dem Förderschwerpunkt geisti-ge Entwicklung (FGE) liegen im deutschsprachigen Raum kaum Studien vor. Zur teilweisen Schlie-ßung dieser Forschungslücke leistet dieser Artikel einen ersten Beitrag. Die mathematischen Kom-petenzen von 109 Kindern und Jugendlichen mit dem FGE (6;0–18;0 Jahre) aus Deutschland undder Schweiz wurden mittels des Tests TEDI-MATH erhoben und anhand eines aktuellen Modellszur Zahlbegriffsentwicklung interpretiert. Zudem wurden die mathematischen Leistungen von Ler-nenden unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher intellektueller Beeinträchtigung miteinanderverglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich der Test zum Einsatz im FGE eignet, allerdings Anpas-sungen notwendig sind. Es wird sichtbar, dass ein großer Teil der Schülerinnen und Schüler mitdem FGE über bestimmte Basisfertigkeiten verfügt, dass die Kinder und Jugendlichen jedoch nurteilweise Einsicht über eine präzise Größenvorstellung verfügen. Das stellt sowohl didaktische Kon-zepte in Frage, die einseitig pränumerisches Arbeiten vorsehen, als auch solche, die auf das (abzäh-lende) Rechnen fokussieren.

Schlüsselwörter: Intellektuelle Beeinträchtigung, geistige Behinderung, Förderschwerpunkt geistigeEntwicklung, mathematische Kompetenzen, Zahlbegriff, Zählen

The mathematical competences of students with mild to moderate intellectualdisabilites: A cross-sectional study

AbstractThere has been little research on the mathematical competence of students with mild to moderateintellectual disabilities (ID) in the German-speaking countries. This article offers new insights intothis topic. The mathematical competence of 109 German and Swiss children and adolescents withID (age 6;0–18;0) was evaluated with the test TEDI-MATH. The interpretation of the results is basedon a current model of the development of quantity-number competencies. Furthermore, the math-ematical competences were compared with one another, referring to school age groups and gradesof ID. Results show that TEDI-MATH turns out to be suitable for students with ID. A large share ofstudents with ID show basic mathematical skills, but only partially insight into precise quantity per-ceptions. These results question those current concepts which advise the training of skills like clas-sification and seriation or, otherwise, of routinized counting techniques, to solve arithmetical prob-lems.

Keywords: Intellectual disability, mathematical competence, number sense, counting competence

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Das mathematische Lernen von Schülerinnenund Schülern mit dem Förderschwerpunktgeistige Entwicklung (FGE) ist immer nochwenig erforscht und die wenigen vorliegen-den didaktischen Konzepte verfolgen unter-schiedliche Zielsetzungen. Einerseits werdenAnsätze präferiert, die, in Anlehnung an dasZahlbegriffskonzept von Piaget, sogenanntepränumerische Aktivitäten (Klassifikation, Se-riation, Mengeninvarianz, usw.) als Voraus-setzung für den Zahlbegriffserwerb betrach-ten (z.B. de Vries, 2014) und die Auseinan-dersetzung mit numerischen Inhalten zurück-stellen. Andererseits gibt es mehrere Konzep-te, die einseitig das Bearbeiten von Additi-ons- und Subtraktionsaufgaben gewichtenund dazu Abzählhilfen in der Form von„Zahlbildern“, d.h. statischen Darstellungender Mengen 1 – 10 mit farbigen Punkten o.ä.,einsetzen. Beispiele dafür sind „Numicon“(Atkinson, 2006), „Rechnen ohne Stolper-stein“ (Kistler, Schneider & Zeller, 2010),„Yes, we can!“ (Verein Hand in Hand, 2011)oder die „Kieler Zahlenbilder“ (Rosenkranz,1992). Beide Vorgehensweisen sind auf derGrundlage von aktuellen Forschungsergeb-nissen kritisch zu betrachten. Zum einen ha-ben Forschungsarbeiten aus den letzten Jahr-zehnten gezeigt, dass den pränumerischenKompetenzen nicht die Bedeutung für denZahlbegriffserwerb zukommt, die ihnen vieleJahre lang zugeschrieben worden ist (zusam-menfassend siehe Moser Opitz, 2008). Alsbedeutsam für die mathematische Entwick-lung haben sich vielmehr spezifisch numeri-sche Vorkenntnisse (der sogenannte „numbersense“) und insbesondere die Zählkompeten-zen erwiesen (z.B. Desoete, Ceulemans, Ro-eyers & Huylebroeck, 2009; Jordan, Glutting& Ramineni, 2010; Krajewski & Schneider,2009). Zum anderen weisen Ergebnisse einereigenen Pilotstudie (Moser Opitz, Garrote &Ratz, 2014) darauf hin, dass Konzepte, dieeinseitig das Abzählen von Rechenoperatio-nen an Zahlbildern betonen, den mathemati-schen Kompetenzen von Lernenden mit demFGE nur ungenügend Rechnung tragen, dawichtige Ziele mathematischer Bildung undinsbesondere die Erarbeitung der Vorausset-

zungen für das Addieren und Subtrahierenaußer Acht gelassen werden. Viele der bisherzitierten Forschungsergebnisse zum Zahlbe-griffserwerb beziehen sich allerdings aufStichproben aus dem Regelbereich, Studienzum FGE fehlen. Um diese Forschungslückezu schließen soll hier ein Beitrag geleistetwerden, indem die mathematischen Kompe-tenzen einer größeren Stichprobe von Ler-nenden mit dem FGE beschrieben und aufdem Hintergrund eines Modells zur Zahlbe-griffsentwicklung aus dem Regelbereich in-terpretiert werden. Dabei interessiert insbe-sondere, ob sich Unterschiede zwischenSchülerinnen und Schülern aus verschiede-nen Altersgruppen und zwischen Lernendenmit unterschiedlichen Graden intellektuellerBeeinträchtigung (IB) zeigen.

Entwicklung numerischerKompetenzen

Zur Entwicklung des Zahlbegriffs liegen ver-schiedene Modelle vor (z.B. Baroody, 1999;Fritz & Ricken, 2008), die alle davon ausge-hen, dass sich das Zahlverständnis über dasZählen und den Umgang mit Zahlen entwi-ckelt. Die vorliegende Studie stützt sich aufdas überarbeitete Modell der Zahl-Größen-Verknüpfung (ZGV-Modell) von Krajewskiund Ennemoser (2013). Es handelt sich umein Entwicklungsmodell, das die Einsicht indas kardinale Zahlverständnis als einen fort-schreitenden Prozess versteht, der zuerst ineinem kleineren Zahlenraum stattfindet unddann auf höhere Zahlenräume übertragenwird.

Das Modell sieht drei Ebenen vor (vgl.Abb. 1), auf denen jeweils Teilkompetenzenverankert sind. Diese liegen zunächst isoliertvor und werden sukzessive zu Kompetenzenauf einer höheren Ebene miteinander ver-knüpft. Auf der Ebene der Basisfertigkeitenliegt zum einen die angeborene Fähigkeit,Mengen aufgrund ihrer unterschiedlichenAusdehnung oder Fläche bzw. ihres Volu-mens grob voneinander zu unterscheiden,zum anderen die Kenntnis der Zahlwörterbzw. der Erwerb der Zahlwortreihe, letzteres

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jedoch ohne kardinales Verständnis. Aus die-sen Teilkompetenzen kann das einfacheZahlverständnis auf Ebene 2 entstehen, beidem Zahlwörter mit Mengen verknüpft wer-den. Das heißt, die Kinder erwerben bei-spielsweise das Verständnis dafür, dass einsoder zwei „wenig“ und hundert und tausend„sehr viel“ ist. Diese Einsicht ist auch mög-lich, wenn die Zahlwortreihe bis 100 nochnicht beherrscht wird. In einem zweitenSchritt entwickelt sich das präzise Anzahl-

konzept bzw. das kardinale Verständnis vonZahlen, das die Vorstellung beinhaltet, dasszum Zahlwort „Vier“ genau vier Elemente ge-hören, und dass die Anzahl der Elemente mitjedem neu dazu kommenden Zahlwort umeins zunimmt („n+1-Strategie“). Auf Ebene 3wird das relationale Zahlverständnis erwor-ben, d.h. die Einsicht in Zahlbeziehungen.Dazu gehören die Zerlegung und Zusam-mensetzung von Zahlen (z.B. 5 setzt sich aus2 und 3 zusammen) sowie die Differenz zwi-

Abbildung 1: Modell der Zahl-Größen-Verknüpfung nach Krajewski (Krajewski & Ennemoser, 2013, 43)

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schen zwei Zahlen (z.B. der Unterschied zwi-schen 3 und 5 ist 2). Diese Einsicht in die Be-ziehung zwischen einem Ganzen und seinenTeilen gilt als wichtige Voraussetzung für denErwerb der Addition und Subtraktion (Enne-moser & Krajewski, 2007; Langhorst, Ehlert &Fritz, 2012).

Das Modell ist zwar hierarchisch gezeich-net, versteht sich aber nicht als starre Ent-wicklungslogik. Zudem spielt auch eine Rol-le, in welcher Repräsentationsform die Aufga-ben gestellt werden. So kann eine bestimmteKompetenz beispielsweise handelnd bereitserworben sein, in einer abstrakteren Form je-doch noch nicht. Das „Kernstück“ des Mo-dells ist die Entwicklung des präzisen Zahl-verständnisses auf Ebene 2. Dieses stellt eineunabdingbare Voraussetzung dar für den Er-werb der Grundoperationen und gilt als Prä-diktor für die weitere mathematische Ent-wicklung. Diese Schwerpunktsetzung machtdas Modell interessant für die Beschreibungvon mathematischen Kompetenzen von Ler-nenden mit dem FGE, da mathematischeKompetenzen auf einem basalen Niveau dif-ferenziert analysiert werden können.

Forschungsstand

Die Gründe für die auffallend geringe For-schungstätigkeit im FGE sind vielfältig. DieGruppe der Schülerinnen und Schüler mitdem FGE ist ausgesprochen heterogen. Caf-frey und Fuchs (2007) halten auf der Grund-lage eines Forschungsüberblicks fest, dasssich die mathematischen Leistungen von Kin-dern mit einer Lernbehinderung (LearningDisability) und einer leichten geistigen Be-hinderung (MMR, Mild Mental Retardation)zwar unterscheiden, dass eine generelle Ty-pisierung, und damit verbunden auch gene-relle Aussagen zur Förderung, jedochschwierig sind. Zudem ergeben sich Heraus-forderungen bezüglich der Erfassung vonKompetenzen und Fähigkeiten. Nur wenigeIntelligenztests sind unterhalb der zweitenStandardabweichung zuverlässig normiertund für die Diagnose von mathematischenKompetenzen gibt es kaum geeignete Instru-

mente. Auch ist aufgrund von verschiedenenBenachteiligungen der Schülerinnen undSchüler mit dem FGE (Konzentrationsproble-me, sprachliche Beeinträchtigungen) oft kei-ne standardisierte Testdurchführung gewähr-leistet.

Weiter spielen Aspekte wie das Verhaltenim sozialen und emotionalen Bereich oderextreme sozio-kulturelle Entwicklungsbedin-gungen eine Rolle. Zudem häufen sich dieBelege dafür, dass einzelne genetische Syn-drome Entwicklungsbedingungen generie-ren, die zu spezifischen Kompetenzprofilenführen können (für das Williams-Beuren-Syn-drom, vgl. Ansari et al., 2003; für das Down-Syndrom, vgl. Ratz, 2013 oder für das Fragi-le-X-Syndrom, vgl. Murphy, 2009). Trotz die-ser Schwierigkeiten gibt es einige Erkenntnis-se zu den mathematischen Kompetenzen vonLernenden mit dem FGE. Wir beschränkenuns im Folgenden auf Untersuchungen, diesich mit der Zahlbegriffsentwicklung befas-sen und verzichten auf die Darstellung vonInterventionsstudien.

In mehreren Untersuchungen wird derFrage nachgegangen, ob die Schwierigkeitenvon Schülerinnen und Schülern mit dem FGEbeim Mathematiklernen als Entwicklungsver-zögerung zu verstehen sind, oder ob es sichum Prozesse handelt, die sich spezifisch imFGE zeigen. Bashah, Outhred und Bochner(2003) untersuchten das Verständnis derZählprinzipien und des kardinalen Verständ-nisses an einer Stichprobe von Lernenden imAlter von sieben bis 18 Jahren (IQ zwischen36 und 54). Sie stellten fest, dass die gleichenPhasen der Zählentwicklung zu beobachtensind wie bei Kindern ohne Beeinträchtigun-gen. Eine belgische Forschergruppe (Branka-er, Ghesquière & de Smedt, 2011, 2013) un-tersuchte die Fähigkeit zur Verarbeitung vonZahlen und Anzahlen bei Kindern und Ju-gendlichen mit leichter intellektueller Beein-trächtigung (IQ zwischen 55 und 75) und vonzwei Kontrollgruppen. Eine dieser Gruppenwar bezüglich des chronologischen Altersmit der Gruppe der Kinder mit IB vergleich-bar, bei der anderen handelte es sich um jün-gere Kinder mit vergleichbaren mathemati-

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schen Kompetenzen. Brankaer et al. (2013)kommen zum Schluss, dass sich in allenGruppen dieselben Prozesse zeigen bzw.,dass die Entwicklung der Kinder mit IB verzö-gert und nicht grundsätzlich anders verläuft.Sie folgern, dass es für diese Lernenden wich-tig sei, bereits zu einem frühen ZeitpunktLernangebote zu machen, bei denen Zahlenund Anzahlen verknüpft werden müssen. Zudieser Studie muss kritisch angemerkt wer-den, dass es sich zumindest teilweise um Kin-der mit einer leichten IB handelte (IQ Kriteri-um < 75) und dass Kinder mit einem spezi-fischen Syndrom, von dem bekannt ist, dasses zu besonderen mathematischen Schwie-rigkeiten führt, nicht in die Untersuchungeinbezogen waren. Das heißt, dass bezüglichder ökologischen Validität Einbußen in Kaufgenommen wurden und ein großer Teil derLernenden mit IB aus den Überlegungen aus-geschlossen worden sind.

Ratz (2012) befragte Lehrkräfte zu denZählkompetenzen ihrer Schülerinnen undSchüler (alle IB-Bereiche, Altersgruppe 6 – 21Jahre). Mit Bezug auf das Modell zur Zählent-wicklung von Fuson (1988) zeigte sich, dass24.4% der Lernenden überhaupt nicht zäh-len, 7.2 % die Zahlwortreihe als „Vers“(Ganzheitsauffassung), 28.9 % die unflexibleZahlwortreihe, 10.6 % die flexible Zahlwort-reihe sowie 20.3 % die vollständig reversibleZahlwortreihe beherrschen. 14.3 % allerSchülerinnen und Schüler mit dem FGE kön-nen nach Aussagen der Lehrpersonen mitMaterial bis 10 addieren und 12.1 % könnenin diesem Zahlenraum im Kopf rechnen.

In einer explorativen Studie wurden diemathematischen Kompetenzen von 16 Kin-dern mit dem FGE mit einer leichten bis mit-telgradigen IB und einem Durchschnittsaltervon 7;7 Jahren (7;5 – 8;7) mit dem Test TEDI-MATH (Kaufmann, Nuerk, Graf, Krinzinger,Delazer & Willmes, 2009) untersucht (MoserOpitz, Garrote & Ratz, 2014). Die Kinder mitdem FGE lösten im Durchschnitt etwas mehrals 40 % aller altersentsprechenden Aufga-ben, und zwar, mit Bezugnahme auf das Mo-dell von Krajewski, insbesondere im Bereichder Basisfertigkeiten (Zahlwortreihe aufsa-

gen, Zahlwörter von anderen Wörtern unter-scheiden, Größenvergleich von Zahlen undZahlwörtern, usw.). Hingegen wurden Aufga-ben zum tiefen Zahlverständnis, die als Vo-raussetzung für das Verstehen von Additionund Subtraktion gelten, nur vereinzelt gelöst.Das heißt, dass die Kinder mit dem FGE inder Schuleingangsphase einerseits über weithöhere numerische Kompetenzen zu verfü-gen scheinen, als in den Konzepten, die sichauf das Fördern der Pränumerik beziehen,vorgesehen ist. Andererseits zeigen die Da-ten, dass nur wenige Schülerinnen und Schü-ler Zahlrelationen verstehen und somit eineMinderheit der Lernenden mit dem FGE überdie Voraussetzungen zum Addieren und Sub-trahieren zu verfügen scheint. Das steht imWiderspruch zu den didaktischen Konzep-ten, die auf diese Fertigkeiten den Schwer-punkt legen.

Fragestellung

Auf dem Hintergrund des Forschungsstandeswerden folgende Fragen untersucht:

Welche arithmetischen Kompetenzen zei-–gen Lernende mit einer leichten und mit-telgradigen IB? Zeigen sich Leistungsunterschiede zwi-–schen Lernenden mit einer leichten undeiner mittelgradigen IB?Zeigen sich Leistungsunterschiede zwi-–schen jüngeren und älteren Lernendenmit einer leichten und mittelgradigen IB?Inwiefern lassen sich die arithmetischen–Kompetenzen der Lernenden mit einer IBauf dem Hintergrund des Modells zurZahlbegriffsentwicklung von Krajewski &Ennemoser (2013) interpretieren?Inwiefern eignet sich der eingesetzte Test–(TEDI-MATH, Kaufmann et al., 2009) zurErfassung der arithmetischen Kompeten-zen der Lernenden mit einer leichten undmittelgradigen IB?

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29Mathematische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit FGE

Methode

Instrumente

Zur Erfassung der numerischen Kompetenzenwurde der Test TEDI-MATH (Kaufmann et al.,2009) eingesetzt. Er fußt auf dem Triple-Code-Modell von Dehaene sowie auf Er-kenntnissen zur Zahlbegriffsentwicklung (vgl.ebd., 19ff.). Eine deutsche Normierung liegtfür die Alterspanne vom vorletzten Kinder-gartenjahr bis zum Ende des ersten Schul-halbjahres der dritten Klasse vor. Mit dem In-strument kann somit ein breites Spektrumvon mathematischen Kompetenzen überprüftwerden. Im Gegensatz zu den meisten ma-thematischen Tests ist er zudem nicht curri-culumbasiert – eine wichtige Voraussetzungfür den Einsatz bei Schülerinnen und Schü-lern, die nicht nach Regelschullehrplänen un-terrichtet werden. Der Test beinhaltet 28 Sub-tests bzw. inhaltliche Bereiche1 mit insgesamt303 Items und umfasst den Zahlenraum bis6000. Um möglichst umfassende Informatio-nen zu erhalten, wurden den Lernenden mitdem FGE, unter Berücksichtigung des jeweilsgeltenden Abbruchkriteriums, alle Aufgabenvorgelegt. In die Analysen einbezogen wur-den größtenteils nur die Aufgaben im Zahlen-raum bis 20 (siehe Abschnitt Methoden). Ta-belle 1 gibt einen Überblick über die Sub-tests, die Anzahl der für die Analysen ver-wendeten Items und die Anzahl Items derOriginalversion.

Die Testdurchführung erfolgte in der Ein-zelsituation an zwei Sitzungen (jeweils ca. 45Minuten). Cronbachs Alpha für die einzelnenSubtests liegt, mit Ausnahme von Subtest 5,14 und 15, zwischen .70 und .98 und ent-spricht somit den Anforderungen. Für denSubtest 5 (Zahlwörter von anderen Wörternunterscheiden) liegt Cronbachs Alpha bei.57. Bei dieser Aufgabe müssen Zahlwörter(sieben, elf) von anderen Wörtern (Sonntag,Juli) und „Fastzahlwörtern“ (zweizehn, drölf)unterschieden werden. Dies stellte hohe An-

1 Wir bezeichnen im Folgenden die verschiedenen Inhaltsbereiche als Subtests, obwohl zwei Bereiche (14 und15) nur aus jeweils einem Item bestehen.

Subtests TEDI-MATH (Anzahl verwendeteItems für die Analyse /Anzahl Items pro Sub-test im Original)

1 Zählprinzipien (12/13)

2 Abzählen (9/13)

3 Entscheidung arabische Zahl (8/8)

4 Größenvergleich arabische Zahlen (6/18)

5 Zahlwörter von anderen Wörtern unter-scheiden (7/12)

6 Zahlwörter erkennen (0/12)

7 Größenvergleich Zahlwörter (7/21)

8 Repräsentation Dezimalsystem mit Stäb-chen: Einer und Zehner zusammenfü-gen, bündeln und entbündeln (11/11)

9 Repräsentation Dezimalsystem mit Plätt-chen (10/10)

10 Einer-, Zehner- und Hunderterstellen er-kennen (15/15)

11 Zahlen schreiben nach Diktat (0/28)

12 Zahlen lesen (8/28)

13 Karten mit Objekten nach numerischerGröße ordnen (2/2)

14 Zahlen nach num. Größe ordnen (1/1)

15 Karten mit einer unterschiedlichen An-zahl von Objekten klassifizieren (0/1)

16 Mengeninvarianz (2/2)

17 Numerische Inklusion (3/3)

18 Additive Zerlegung (6/6)

19 Rechnen mit Objektabbildungen (6/6)

20 Addition (10/18)

21 Unvollständige Addition (4/4)

22 Subtraktion (7/15)

23 Unvollständige Subtraktion (4/4)

24 Multiplikation (0/14)

25 Textaufgaben (0/12)

26 Beziehung zwischen Rechnungen erken-nen (0/8)

27 Größenvergleich von Punktemenge (6/6)

28 Numerische Distanz (8/12)

Tabelle 1: Übersicht über die Bereiche des TEDI-MATH

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forderungen an die sprachlichen Kompeten-zen der Schülerinnen und Schüler und kannzur geringen Reliabilität geführt haben. DieSubtests 14 und 15 bestehen nur aus einemItem, zudem stellt der Subtest 15 hohe Anfor-derungen bezüglich der visuellen Differen-zierung. Die Daten der Subtests 5 und 14(Zahlen ordnen) werden trotz des geringenCronbachs Alpha Werts in die Analysen ein-bezogen, da es sich aus theoretischer Per-spektive um wichtige Bereiche handelt. DieErgebnisse werden jedoch mit der gebotenenVorsicht interpretiert. Subtest 15 wird ausdem Datensatz entfernt.

Da es aus forschungsökonomischenGründen nicht möglich war, mit den Proban-dinnen und Probanden einen Intelligenztestdurchzuführen, wurden die Lehrpersonen ge-beten, die Intelligenzbeeinträchtigung in denKategorien der ICD-10 (leichte, mittelgradi-

ge, schwere und schwerste IB) auf der Grund-lage der vorhandenen diagnostischen Gut-achten einzuschätzen.

Stichprobe

Die Stichprobe besteht aus 31 Lernendenmit dem FGE aus Deutschland (ausschließ-lich separative Beschulung) und 78 Lernen-den mit dem FGE aus der Schweiz (18 Ler-nende werden inklusiv geschult, 60 Lernen-de aus der Schweiz besuchen eine Sonder-schule, welche der Förderschule mit demFörderschwerpunkt geistige Entwicklung ent-spricht).

Das Alter der Lernenden reicht von 6;0bis 18;0 Jahre. Es wurden, unabhängig vonden üblichen Stufenbezeichnungen in denzwei Ländern, drei Altersgruppen gebildet:6;0 bis 9;11 Jahre (Schuleingangsphase), 10;0

Anzahl Alter (Monate)

n % M SD

Geschlecht

männlich 67 61.5 133.73 34.28

weiblich 42 38.5 136.48 34.33

Altersgruppen

AG 1 (72 – 119 M) 43 39.4 101.72 11.13

– leichte IB

– mittelgradige IB

– schwere IB

32 74.4 101.09 11.23

10 23.3 103.00 11.58

1 2.3 109.00 -

AG 2 (120 – 155 M) 37 33.9 137.43 10.48

– leichte IB

– mittelgradige IB

– schwere IB

27 73.0 137.19 10.05

9 24.3 138.89 12.56

1 2.7 131.00 -

AG 3 (156 – 216 M) 29 26.6 180.45 18.10

– leichte IB

– mittelgradige IB

– schwere IB

20 69.0 179.25 18.87

9 31.0 183.11 17.00

- - - -

D 31 28.4 128.19 32.34

CH 78 71.6 137.41 34.71

Total 109 100 134.79 34.16

Tabelle 2: Beschreibung der Stichprobe

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31Mathematische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit FGE

bis 12;11Jahre (Mittelstufe) und 13;0 bis 18;0Jahre (Oberstufe). Die Lehrpersonen schätz-ten bei 79 Lernenden eine leichte, bei 28 Ler-nenden eine mittelgradige und bei zwei Ler-nenden eine schwere intellektuelle Beein-trächtigung ein. Tabelle 2 gibt einen Über-blick über die Stichprobenmerkmale.

Methoden

Ziel der vorliegenden Analysen ist es, die ma-thematischen Kompetenzen der Schülerin-nen und Schüler mit dem FGE anhand der Er-gebnisse des TEDI-MATH zu beschreibenund unter Bezugnahme auf das Entwick-lungsmodell von Krajewski und Ennemoser(2013) zu analysieren. Zu diesem Zweckmussten verschiedene Anpassungen der Da-ten vorgenommen werden (Tabelle 3), insbe-

sondere auch, weil der verwendete Test Auf-gaben in einem sehr großen Zahlenraumstellt. Krajewski und Ennemoser (2013) wei-sen darauf hin, dass die Verknüpfung vonZahlen und Zahlwörtern mit Anzahlen zuerstim kleinen Zahlenraum stattfindet und an-schließend in höhere Zahlenräume übertra-gen wird. Wir haben deshalb für die hier be-schriebenen Analysen bei acht Subtests nurdie Aufgaben aus dem Zahlenraum bis 20ausgewählt. Dies erlaubt, Aussagen zumZahlverständnis im kleinen Zahlenraum zumachen.2 Subtests, die nur von einzelnenLernenden bearbeitet worden sind, Subtestsund einzelne Items mit hohen sprachlichenAnforderungen sowie Subtest und Items, diemehrere Kompetenzen überprüfen (z.B. Gra-fomotorik und numerische Kenntnisse beimSchreiben von Zahlen), wurden ausgeschlos-

Anpassungen Subtests und Items

Ausschluss von Items mit Aufgaben imZahlenraum > 20

Vorwärts zählen bis 31 [1.1], Größenvergleich arabi-sche Zahlen [4], Zahlwörter von anderen Wörtern un-terscheiden [5], Größenvergleich Zahlwort [7], Zahlenlesen [12], Addition [20], Subtraktion [22], NumerischeDistanz [28]

Ausschluss von Subtests mit hohemSchwierigkeitsgrad

Auschluss von Subtests und Items, diemehrere Kompetenzen überprüfen

Klassifizieren nach numerischer Grösse [15], Multipli-kation [24], Arithmetische Konzepte [26]

Zahlen schreiben [12], 2.1.3; 2.2.3; 2.5; 2.6

Ausschluss von Subtests mit hohensprachlichen Anforderungen

Zahlwortsyntax [6]: „Ich habe einshundert Murmeln.Kann man das so sagen?“, Textaufgaben [25]

Ausschluss von Items mit „Fastzahl-wörtern (drölf, zweizehn)

Entscheidung Zahlwort [5]

Aufteilung in neue Subtests – 1a Vorwärts zählen in Einerschritten [1.2]– 1b Weiter zählen, rückwärts zählen [1.3; 1.4; 1.6]– 1c Zählen in Schritten > 1 [1.5; 1.7]– 2a Abzählen: Zählakt [2.1.1; 2.2.1; 2.3.1; 2.4.1]– 2b Abzählen: Nennung Anzahl [2.1.2; 2.2.2; 2.3.2;

2.4.2; 2.7]– 8.1 Zehner und Einer zusammenfügen [8.1]– 8.2 Bündeln [8.2]– 8.3 Entbündeln [8.3]

Tabelle 3: Angepasste und ausgeschlossene Subtests und Items

2 Bei Subtest 9 (Repräsentation Dezimalsystem mit Plättchen) und Subtest 10 (Einer-, Zehner- und Hunderter-stellen erkennen) wurde der Zahlenraum nicht eingeschränkt, da die Aufgaben nur im Tausenderraum sinn-voll bearbeitet werden können.

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sen. Drei Subtests wurden in acht neue Sub-tests aufgeteilt.

Cronbachs Alpha liegt für die meisten an-gepassten Subtests zwischen .75 und .95. Beidrei Subtests ist die Reliabilität ungenügend(in der Tabelle 3 kursiv markiert)3. Bei denSubtests 4 und 5 könnte die niedrige Reliabi-lität mit dem Umstand zusammenhängen,dass die einzelnen Items mit 50% Ratewahr-scheinlichkeit richtig gelöst werden können(hohe Ratewahrscheinlichkeit auch bei denSubtests 3, 7, 27 und 28). Bei der Interpreta-tion der Ergebnisse werden sowohl die nied-rige Reliabilität als auch das Problem der Ra-tewahrscheinlichkeit berücksichtigt und dis-kutiert.

Im Folgenden werden zum einen Lö-sungswahrscheinlichkeitsanalysen durchge-führt und zum anderen erfolgen Gruppenver-gleiche (Alter, Schweregrad der IB). Wir tundies der besseren Nachvollziehbarkeit wegenmit zwei Ergebnis- und Diskussionsteilen:Zuerst werden die Ergebnisse der Gesamt-stichprobe analysiert und mit Blick auf dasZGV-Modell diskutiert, anschließend erfolgtdie Darstellung der Gruppenvergleiche so-wie die Gesamtdiskussion. Ergebnisse zum

Vergleich mit der Normstichprobe des TEDI-MATH sind in Moser Opitz, Garrote undRatz (2014) dargestellt.

Bezüglich der Analysen zeigt sich folgen-de Schwierigkeit: Die Anzahl und Schwierig-keit der Items pro Subtest im TEDI-MATH istsowohl in der Originalversion als auch in dervon uns angepassten Form sehr unterschied-lich (siehe Tabelle 1). Wir beschränken unsdeshalb auf die Darstellung der mittleren Lö-sungswahrscheinlichkeiten (arithmetischesMittel) bezogen auf die Items der Subtests.Die Items sind alle mit den Werten 0 und 1codiert, wodurch der Mittelwert als Anteilder richtig gelösten Aufgaben gelesen wer-den kann.

Ergebnisse

Beschreibung der Kompetenzen derLernenden

In einem ersten Schritt werden Ergebnisse zuden einzelnen (angepassten) Subtests für dieGesamtstichprobe unter Berücksichtigungdes ZGV-Modells beschrieben.

Abbildung 2: Subtests nach der Lösungswahrscheinlichkeit geordnet (niedrige Cronbachs Alpha sind mit* gekennzeichnet)

3 Abzählen: Zählakt [2a] (Cronbachs Alpha .69), Größenvergleich arabische Zahlen [4] (Cronbachs Alpha .66)und Entscheidung Zahlwort [5] (Cronbachs Alpha .58).

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33Mathematische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit FGE

In der Abbildung 2 sind die Subtests nachder Lösungswahrscheinlichkeit sortiert darge-stellt und auf der Grundlage des ZGV-Mo-dells in vier Bereiche eingeteilt4. Zum Be-reich 1 (Basisfertigkeiten) gehören die Sub-tests Entscheidung arabische Zahl [3], Zahl-wörter von anderen Wörtern unterscheiden[5], Größenvergleich von Punktmengen [27],Abzählen: Zählakt [2a], vorwärts zählen bis 9[1a] und Zahlen lesen [12]. Abgesehen vomZahlen lesen beträgt die Lösungswahrschein-lichkeit bei allen Subtests über 90%. Es han-delt sich hier somit um basale Kompetenzen,über die der größte Teil der untersuchtenSchülerinnen und Schüler verfügt.

Bereich 2 umfasst Aufgaben, bei denendie Zuordnung von Mengen und Zahlen not-wendig ist. Die Subtests Größenvergleichvon arabischen Zahlen [4], GrößenvergleichZahlwörter [7] und Abzählen: Nennung An-zahl [2b] lassen sich der Ebene 2a im ZGV-Modell zuordnen (unpräzise Größenreprä-sentation). Die Lösungswahrscheinlichkeitbeträgt jeweils etwas mehr als 80%. Deutlichschwieriger (Lösungswahrscheinlichkeit zwi-schen 68% und 59%) sind die Subtests Nu-merische Distanz [28], Rechnen mit Objekt-abbildungen [19], Numerische Inklusion[17], Karten mit Objekten nach Anzahl ord-nen [13], Zahlen nach numerischer Größeordnen [14] sowie weiter zählen und rück-wärts zählen [1b]. Hier handelt es sich größ-tenteils um Aufgaben, die eine präzise Grö-ßenrepräsentation (Ebene 2b im ZGV-Mo-dell) erfordern, beispielsweise wenn Zahlenoder Anzahlen in die richtige Reihenfolge ge-

bracht werden müssen. Interessant ist, dassdie Aufgabe zum flexiblen Zählen („Zählevon drei an vorwärts.“) und zum rückwärtszählen in diesem Bereich (und nicht bei denBasisfertigkeiten) liegt. Mögliche Gründe da-für werden im Diskussionsteil dargelegt.

Zum Bereich 3 (Lösungswahrscheinlich-keit 49% bis 34%) gehören die Subtests, diein Tabelle 4 aufgeführt sind. Diese können,teilweise in Abhängigkeit von der Repräsen-tationsform, der präzisen Größenrepräsentati-on und den Anzahlrelationen (Ebene 3 imZGV-Modell) zugeteilt werden. Die Subtests,bei denen es um das Rechnen geht, ordnenwir nicht dem Modell zu, sondern stellen die-se als separate Kategorie dar.

Das Zählen in Schritten grösser als eins[1c] und die Darstellung von Zahlen mit Stäb-chen [8.1] erfordern eine präzise Größenre-präsentation, wobei letzteres besondere An-forderungen verlangt, da Zehnerbündel alsArbeitsmittel verwendet und interpretiertwerden müssen. Der Subtest 18 zur additivenZerlegung (z.B. die Anzahl sechs unter-schiedlich zerlegen) und die Darstellung vonZahlen mit unterschiedlich großen Plättchen[9] bedingen ein relationales Zahlverständnis.

Zum Bereich 4 (Lösungswahrscheinlich-keit 25% bis 18%) gehören die Subtests Erken-nen von Stellenwerten [10], unvollständigeSubtraktion [23], Bündeln [8.2] und Entbün-deln [8.3]. Das heißt, es handelt sich, nebenRechenfähigkeiten, um Aufgaben zur Einsichtin den Zahlaufbau, was Verstehen von Zahlre-lationen in mehrstelligen Zahlen (Hunderter,Zehner und Einer) erfordert. Unerwartet ist die

Ebene 2b: präzises Anzahlkonzept

Ebene 3: Größenrelationen

Rechnen

– Zählen in Schritten > 1 [1c]– Handelndes Zusammenfügen

Einer/Zehnern [8.1]

– Repräsentation Dezimal-system mit Plättchen [9]

– Additive Zerlegung [18]

– Addition [20] – Unvollst. Addition [21] – Subtraktion [22]

Tabelle 4: Zuteilung der Subtests zu zwei Ebenen des ZGV-Modells5

4 In einer Publikation von Moser Opitz, Garrote & Ratz (2014) wurde bereits eine erste Zuteilung der Aufga-ben des TEDI-MATH zum ZGV-Modell vorgenommen. Diese wird mit den hier vorliegenden Ausführungenspezifiziert bzw. anhand der Analysen mit den Daten der Gesamtstichprobe korrigiert.

5 Der Subtest zur Mengeninvarianz [16] wurde nicht dem Modell zugeordnet (siehe Text).

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34 Ariana Garrote, Elisabeth Moser Opitz & Christoph Ratz

niedrige Lösungswahrscheinlichkeit des Sub-tests 10 zum Erkennen von Stellenwerten(Hunderter, Zehner und Einer in einer Zahl be-nennen). Mögliche Ursachen dafür werden imfolgenden Diskussionskapitel besprochen.

Diskussion der Kompetenzen derLernenden vor dem Hintergrund desZGV-Modells

Die nach Lösungswahrscheinlichkeit geord-neten Subtests bilden vier Bereiche, die sichweitgehend mit dem ZGV-Modell erklärenlassen, wobei an einigen Stellen Diskussions-bedarf besteht.

Die Analysen zeigen, dass die Schülerin-nen und Schüler mit dem FGE vor allem überKompetenzen im Bereich der Basisfertigkei-ten und des einfachen Zahlverständnissesverfügen, und zwar insbesondere über dieunpräzise Größenrepräsentation. Aufgaben,die eine präzise Größenrepräsentation erfor-dern und insbesondere diejenigen, mit denendas Verständnis von Anzahlrelationen über-prüft wird, weisen eine deutlich niedrigereLösungswahrscheinlichkeit auf.

Auffallend ist, dass der Subtest Zahlen le-sen [12] deutlich schwieriger ist als die ande-ren Subtests, die den Basisfertigkeiten zuge-ordnet sind, bzw. gleich schwierig ist, wiedas Vergleichen von arabischen Zahlen [4]und von Zahlwörtern [7]; Kompetenzen, diezu Bereich 2 gehören. Dafür gibt es zwei Er-klärungen. Erstens besteht sowohl bei denzwei zuletzt genannten Subtests und beizwei Subtests im Bereich 1 (Entscheidungarabische Zahl [3] und Vergleich Punktmen-gen [27]) das Problem der hohen Ratewahr-scheinlichkeit. Zweitens erfordert das Zah-lenlesen die aktive Benennung von Zahlen,während bei den anderen Aufgabenrichtig/falsch-Entscheidungen getroffen wer-den mussten. Diese Faktoren könnten zurniedrigen Lösungswahrscheinlichkeit desSubtest Zahlen lesen [12] geführt haben.

Der Subtest zur Mengeninvarianz [16]wurde nicht dem Modell zugeordnet, da inder Aufgabenstellung eine Vermischung vonvisuellem Mengenvergleich und Zählkompe-

tenzen stattfindet (vgl. auch Baroody, 1987).Die Daten werden dennoch in die Analyseneinbezogen, da die Aufgabe in Konzepten,die das pränumerische Arbeiten betonen, im-mer wieder auftaucht. Die Lösungswahr-scheinlichkeit von 42% zeigt, dass die Ein-sicht in das Konzept der Mengeninvarianzdeutlich schwieriger ist als viele spezifischnumerische Aufgaben. Didaktische Konzep-te, die Mengeninvarianz als Voraussetzungzum Arbeiten mit Zahlen erachten (z.B. deVries, 2014), sind vor diesem Hintergrundkritisch zu betrachten.

Unerwartet ist die niedrige Lösungswahr-scheinlichkeit der Subtests zum flexiblenZählen, zum rückwärts Zählen und zum Zäh-len in Schritten größer als eins [1b und 1c].Das weist darauf hin, dass diese Kompetenzvon den Lernenden im FGE nicht als „Vers“erworben werden kann, sondern dass dazueine präzise Größenrepräsentation notwen-dig zu sein scheint. Besonders einleuchtendist das für das Zählen in Schritten: Erst wenneine präzise Größenrepräsentation vorhan-den ist, ist es auch möglich, in Schritten zuzählen.

Zum Bereich 3 ist kritisch anzumerken,dass es sich um einen „Mischbereich“ han-delt, der Subtests zum präzisen Anzahlkon-zept, zu den Größenrelationen und zumRechnen enthält. Hier müsste insbesondereüberprüft werden, welche Rolle die Verwen-dung von allfälligen Arbeitsmitteln (Bündelund Stäbchen) spielt. Es kann auch die Fragegestellt werden, warum bestimmte Rechen-aufgaben (z.B. Addition und Subtraktion) bes-ser gelöst wurden als Subtests, die das Zahl-verständnis überprüfen. Das kann damit zu-sammenhängen, dass Aufgaben wie 2+2, 4-2 oder 5+0 auch ohne Größenvorstellunggelöst und als „Vers“ memoriert werden kön-nen. Zudem ist nicht erfasst worden, ob dieAufgaben mit Hilfe von Zählstrategien gelöstworden sind. Auch hier müssten somit einer-seits Anpassungen der Testaufgaben erfolgenund andererseits Abzählstrategien erfasstwerden.

Nicht erstaunlich ist die hohe Schwierig-keit der Subtests im Bereich 4. Bündeln [8.2],

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35Mathematische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit FGE

Entbündeln [8.3] und die unvollständige Sub-traktion [23] erweisen sich auch bei Lernen-den im Regelbereich als besonders an-spruchsvoll (Moser Opitz, 2013). Unerwartetist hingegen, dass sich das Erkennen von Ei-ner-, Zehner- und Hunderterstelle als schwie-rig erweist. In unseren ersten Analysen (Mo-ser Opitz, Garrote & Ratz, 2014) sind wir da-von ausgegangen, dass diese Aufgabe auchmechanisch und ohne kardinales Verständnisgelöst werden kann („vorne die Zehner, hin-ten die Einer“). Für die Lernenden mit demFGE scheint diese Interpretation nicht zuzu-treffen. Dies könnte zum einen an densprachlichen Anforderungen generell liegen(Begriffsverständnis), andererseits auch da-ran, dass die Begriffe Einer, Zehner und Hun-derter im Unterricht nicht verwendet wordensind. Um hier genauere Informationen zu er-halten, wären weitere Untersuchungen nötig.

Gruppenvergleiche

In einem nächsten Schritt interessiert, ob sichzwischen Lernenden unterschiedlichen Al-ters Leistungsunterschiede zeigen. Aussagenüber die Entwicklung mathematischer Kom-petenzen von Schülerinnen und Schülern mitdem FGE können nur mit einer Längsschnitt-studie gemacht werden. Es kann hier somitnur überprüft werden, ob sich Leistungsun-terschiede in den drei Altersgruppen zeigen.Da die Voraussetzung der Normalverteilung

und der Varianzhomogenität gravierend ver-letzt ist und zudem die Gruppe der Schüle-rinnen und Schüler mit leichter IB mehr alsdoppelt so groß ist als die Gruppe mit dermittelgradigen und schweren IB, werdennichtparametrische Verfahren eingesetzt. Wirführen die Berechnungen der Übersichtlich-keit halber auf der Ebene der vier beschriebe-nen Bereiche bzw. Subtestgruppen durch(Cronbachs Alpha Bereich 1= .92 [35 Items],Bereich 2 = .95 [44 Items], Bereich 3 = .98[46 Items], Bereich 4 = .94 [27 Items]). Ta-belle 5 gibt einen Überblick über Mittelwer-te und Standardabweichungen. Insgesamtzeigt sich eine große Leistungsheterogenität.Erwartungsgemäß ist die Varianz bei den an-spruchsvolleren Bereichen am größten.

Auch wenn es sich hier nicht um einenLängsschnitt handelt, ist zwischen bestimm-ten Gruppen ein Leistungsanstieg in Abhän-gigkeit vom Alter in allen vier Bereichen er-kennbar (Abbildung 3).

Die Altersgruppe 1 unterscheidet sich inallen Bereichen signifikant von der Alters-gruppe 2 (Bereich 1: U = 553.00, z = -2.36,p < .05; Bereich 2: U = 567.00, z = -2.21,p < .05; Bereich 3: U = 445.50, z = -3.38,p < .001; Bereich 4: U = 470.00, z = -3.21,p < .001). Die Altersgruppen 1 und 3 unter-scheiden sich ebenfalls in allen Bereichen(Bereich 1: U = 252.00, z = -4.37, p <.001; Bereich 2: U = 332.50, z = -3.34, p <.001; Bereich 3: U = 270.00, z = -4.07, p <

Bereich 1 Bereich 2 Bereich 3 Bereich 4

M SD M SD M SD M SD

Altersgruppen

AG 1 .86 .16 .60 .25 .22 .26 .09 .12

AG 2 .91 .16 .73 .25 .49 .35 .30 .29

AG 3 .96 .11 .80 .27 .59 .34 .37 .31

IB

Leichte .93 .12 .76 .24 .49 .35 .29 .29

Mittelgradige und schwere .84 .21 .52 .26 .19 .25 .08 .14

Tabelle 5: Mittelwerte und Standardabweichungen der Lösungswahrscheinlichkeiten in den Bereichen 1 bis 4 getrennt nach Altersgruppen und Schweregrad der intellektuellen Beeinträchtigung

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36 Ariana Garrote, Elisabeth Moser Opitz & Christoph Ratz

Abbildung 3: Leistungsprofil der drei Altersgruppen (N = 109) in den vier Subtest-Bereichen

Abbildung 4: Leistungsprofil der Lernenden mit einer leichten und mittelgradigen bis schweren Intelli-genzminderung (N = 109) in den vier Subtest-Bereichen

.001; Bereich 4: U = 247.00, z = -4.38, p <

.001). Zwischen der Altersgruppe 2 und 3zeigen sich nur im Bereich 1 signifikante Un-terschiede (U = 352.00, z = -2.52, p < .05),bedingt durch deutlich unterschiedliche Mit-telwerte bei den Subtests Vorwärts zählen[1a] und Zahlen lesen [12].

Die Leistungen der Lernenden wurdenauch getrennt nach Schweregrad der Intelli-

genzbeeinträchtigung betrachtet. Dazu wur-den die Lernenden mit einer mittelgradigenund schweren IB zusammengefasst (n = 30)und mit der Gruppe der Lernenden mit einerleichten IB (n = 79) verglichen.

Erwartungsgemäß zeigen sich zwischenden beiden Gruppen signifikante Leistungsun-terschiede (Abbildung 4) und die Lernendenmit einer leichten IB erreichen, abgesehen

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37Mathematische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit FGE

vom Bereich 1, überall signifikant höhereLeistungen als die Kinder und Jugendlichenmit einer mittelgradigen bis schweren IB (Be-reich 2: U = 568.00, z = -4.19, p < .001;Bereich 3: U = 611.50, z = -3.89, p < .001;Bereich 4: U = 638.00, z = -3.75, p < .001).

Diskussion

In der hier vorgestellten Studie wurden diemathematischen Kompetenzen einer Stich-probe von Schülerinnen und Schüler mitdem FGE untersucht und unter Bezugnahmeauf das ZGV-Modell von Krajewski und En-nemoser diskutiert. Da es keine Instrumentefür die Erhebung von mathematischen Kom-petenzen bei Lernenden mit dem FGE gibt,wurde der Test TEDI-MATH eingesetzt. Die-ser differenziert erstens gut im unteren Leis-tungsbereich und erfasst zweitens ein breitesSpektrum mathematischer Kompetenzen.Dies ist eine wichtige Voraussetzung für denEinsatz bei Schülerinnen und Schüler mitdem FGE. Allerdings erwies sich gerade die-se inhaltliche „Breite“ bei den Analysen alshinderlich, da im Test Aufgaben im Zahlen-raum bis 6000 gestellt werden. Erschwerendfür die Analysen ist zudem die stark variie-rende Anzahl Items pro Subtest sowie dieMöglichkeit zum Raten bei mehreren Sub-tests. Hier müssten im Rahmen einer Weiter-entwicklung des Tests Anpassungen vorge-nommen werden.

Da sich das präzise Anzahlkonzept zuerstim kleinen Zahlenraum entwickelt, wurde fürdie hier vorgenommenen Analysen bei denmeisten Subtests nur der Zahlenraum bis 20berücksichtigt. Dabei mussten aufgrund voninhaltlichen Überlegungen einzelne Itemsund Subtests aus dem Datensatz entfernt wer-den bzw. es erfolgte eine neue Subtesteintei-lung. Das führte bei zwei der verwendetenSubtests zu unbefriedigenden Reliabilitäts-werten.

Ausgehend von subtestbezogenen Lö-sungswahrscheinlichkeiten wurden auf demHintergrund des ZGV-Modells vier Bereichegebildet und analysiert. Im Bereich 1, in dem

die untersuchte Stichprobe besonders hoheFähigkeiten zeigt, handelt es sich um Basis-fertigkeiten, die das visuelle Vergleichen vonAnzahlen, das Erkennen von Zahlwörternund Zahlen sowie das Lesen von Zahlen er-fordern. Allerdings weisen zwei dieser Sub-tests eine unbefriedigende Reliabilität auf(Abzählen [2a] und Zahlwörter von anderenWörtern unterscheiden [5]). Um zuverlässigeAussagen zu diesem Bereich der Basisfertig-keiten machen zu können, müsste somit eineWeiterentwicklung und Validierung der Auf-gaben stattfinden.

Die Aufgaben im Bereich 2 (Lösungs-wahrscheinlichkeit 85% bis 59%) umfassenAufgaben zum einfachen Zahlverständnis.Auch hier müsste aufgrund der niedrigen Re-liabilität eines Subtests (Größenvergleich ara-bische Zahlen [4]) und der hohen Ratewahr-scheinlichkeit von mehreren Subtests (4, 7,und 28) eine Anpassung der Testaufgabenvorgenommen werden. Ein deutlicher Unter-schied zeigt sich zwischen den Aufgabenzum unpräzisen und präzisen Anzahlkon-zept. Letztere weisen eine niedrigere Lö-sungswahrscheinlichkeit auf.

Der Bereich 3 setzt sich aus unterschied-lichen Aufgaben (präzises Anzahlkonzept,Größenrelationen und Rechnen) zusammen.Hier fällt insbesondere die niedrige Lösungs-wahrscheinlichkeit des Zählens in Schrittengrösser als eins auf. Interessant ist, dass insge-samt drei Aufgaben, die wichtig sind für diepräzise Größenrepräsentation (rückwärts zäh-len und flexibel zählen, Zählen in Schrittengrößer als eins und Benennen von Einer- undZehnerstelle), eine niedrige Lösungswahr-scheinlichkeit aufweisen. Es handelt sich da-bei um Kompetenzen, die auch ohne Einsichtins präzise Anzahlkonzept gelöst werdenkönnen z.B. in dem die Zahlenfolge 10, 20,30 … 100 (Subtest 1c) als Vers auswendig ge-lernt wird oder die Begriffe Zehner und Einermechanisch den Stellen zugewiesen werden.Die niedrige Löschungswahrscheinlichkeitder Subtests weist darauf hin, dass Schülerin-nen und Schüler mit dem FGE dies scheinbarnicht oder nur vereinzelt tun. Gerade das Me-morieren von Zahlenfolgen könnte mit Ein-

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38 Ariana Garrote, Elisabeth Moser Opitz & Christoph Ratz

schränkungen bezüglich der Merkfähigkeitzusammenhängen.

Die Signifikanztests zeigen, dass die älte-ren Schülerinnen und Schüler der Gruppen 2und 3 in allen Bereichen über höhere Kom-petenzen verfügen als die Kinder in derSchuleingangsphase. Zwischen der Gruppe 2und 3 zeigen sich hingegen nur im Bereichder Basisfertigkeiten signifikante Unterschie-de. Für dieses (erwartungswidrige) Ergebnisgibt es Diskussionsbedarf. Unser Befunddeckt sich mit der Studie von Ratz (2012), wodie Lehrkräfte für die Schülerinnen und Schü-ler der Hauptschulstufe höhere Zählkompe-tenzen als für diejenigen der Berufsschulstufeangaben. Das ist insofern besonders interes-sant, weil die Signifikanz bezüglich Bereich 1durch Unterschiede bei Subtests zustandekommt, bei denen, wie in der Untersuchungvon Ratz auch, Zahlen benannt werden müs-sen und somit sprachliche Aspekte (die kor-rekte Verwendung von Zahlwörtern) eineRolle spielen. In vielen Subtests in den Berei-chen 2 und 3 mussten nur Entscheidungenüber richtig und falsch getroffen werden. Dasweist auf zwei Aspekte hin, die für weitereUntersuchungen und insbesondere bei derEntwicklung von Diagnoseaufgaben berück-sichtigt werden müssen: Zum einen müsstenäher untersucht werden, ob bei Schülerin-nen und Schülern mit dem FGE Unterschiedebestehen zwischen Aufgaben, die einen akti-ven Umgang mit Zahlen erfordern (Zahlenbenennen, ordnen usw.) und Aufgaben, beidenen dies nicht der Fall ist. Zum anderenmüsste der Einfluss von Sprachkompetenzenauf den Umgang mit Zahlen und vor allemZahlwörtern näher untersucht werden.

Da sich zwischen Gruppe 2 und 3 abge-sehen vom Bereich 1 keine signifikanten Leis-tungsdifferenzen zeigen, stellt sich die Frage,ob es bei den Schülerinnen und Schülern mitdem FGE im Verlauf der Schulzeit zu einerStagnation bezüglich der mathematischenEntwicklung kommt. Um diese Frage zu be-antworten, müsste eine Längsschnittstudiedurchgeführt werden.

Auch bezüglich des Schweregrads der IBzeigen sich Unterschiede zwischen den zwei

Gruppen leichte und mittelgradige bisschwere IB, allerdings nicht bezogen auf denBereich 1. Das weist darauf hin, dass je nachintellektueller Beeinträchtigung unterschied-liche Zielsetzungen bezüglich der mathema-tischen Bildung gewichtet werden müssen.

Hinsichtlich einer Gesamteinschätzungder mathematischen Fähigkeiten von Schüle-rinnen und Schülern mit dem FGE zeigt sich,dass alle Gruppen (unabhängig vom Alterund vom Grad der hier berücksichtigten IB)über numerische Kompetenzen insbesondereauf der Ebene 1 (Basisfertigkeiten) im ZGV-Modell verfügen. Die klassische Invarian-zaufgabe, die oft als Voraussetzung zum Ar-beiten mit Zahlen betrachtet wird, ist deut-lich schwieriger. Didaktische Konzepte, diedas Arbeiten mit Zahlen zugunsten von prä-numerischen Kompetenzen zurückstellen,sind demzufolge, und insbesondere auch aufdem Hintergrund der referierten Forschungs-ergebnisse, kritisch zu betrachten, da damitdie bereits vorhandenen numerischen Kom-petenzen der Lernenden nur ungenügend be-rücksichtigt werden.

Weiter lassen die Daten den Schluss zu,dass auch der Erwerb des einfachen Zahlver-ständnisses für viele Schülerinnen und Schü-ler mit einer leichten und mittelgradigen IBein erreichbares Ziel darstellt. Hingegen er-weisen sich Aufgaben, die Einsicht in Zahlre-lationen oder Rechenkompetenzen erfor-dern, als deutlich schwieriger. Wie bereitsbei Moser Opitz, Garrote und Ratz (2014)diskutiert worden ist, sind auf dem Hinter-grund dieser Ergebnisse die häufig eingesetz-ten didaktischen Ansätze, die einseitig dasRechnen mit Abzählen an Arbeitsmitteln be-tonen, kritisch zu betrachten, da davon aus-zugehen ist, dass viele Schülerinnen undSchüler mit dem FGE nicht oder nur teilwei-se über die notwendigen Voraussetzungenfür das Rechnen verfügen.

Die hier vorliegenden Daten zeigen, dassfür viele Schülerinnen und Schüler mit demFGE der Aufbau eines einfachen Zahlver-ständnisses angezeigt ist und somit Lernange-bote wichtig sind, bei denen Zahlen und An-zahlen verknüpft werden müssen (vgl. Bran-

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39Mathematische Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit FGE

kaer et al., 2013). Dies ist gerade im Hinblickauf Kompetenzen, die hinsichtlich der Bewäl-tigung von lebenspraktischen Anforderungenrelevant sind (insbesondere für den Umgangmit Geld), besonders bedeutsam. Mit einereinseitigen Gewichtung des zählenden Bear-beitens von Rechenaufgaben ist die Erarbei-tung der Verknüpfung von Zahlen und Zahl-wörtern mit Anzahlen nicht gewährleistet, dader Fokus nur auf dem Zählen in Einer-Schrit-ten liegt. Somit besteht die Gefahr, dass denSchülerinnen und Schülern der Erwerb zen-traler mathematischer Kompetenzen vorent-halten wird. Notwendig sind somit spezifi-sche Aktivitäten, welche die Lernenden un-terstützen, Größenvorstellung, d.h. Kompe-tenzen zum einfachen Zahlverständnis, zuentwickeln. Im Hinblick auf den Umgang mitGeld sollte möglichst früh auch an einer un-präzisen Größenrepräsentation von großenZahlen gearbeitet werden.

Abschließend sei noch auf Grenzen derUntersuchung hingewiesen: Bei der von unsuntersuchten Stichprobe handelt es sich nichtum eine Abbildung der Gesamtgruppe derSchülerinnen und Schüler mit dem FGE, son-dern um solche mit leichter und mittelgradi-ger IB. Obwohl sich der Test TEDI-MATHgrundsätzlich im FGE gut einsetzen lässt, ha-ben die hier vorliegenden Analysen gezeigt,dass einige Testaufgaben angepasst werdenmüssten, insbesondere hinsichtlich sprachli-che Anforderungen und dem Problem der Ra-tewahrscheinlichkeit.

Um Konzepte für die mathematische Bil-dung von Schülerinnen und Schülern mitdem FGE weiter zu entwickeln sind somitweitere Forschungsarbeiten und didaktischeÜberlegungen notwendig; Konzepte, die denKompetenzen der Schülerinnen und Schülermit dem FGE Rechnung tragen und sie wederunterfordern noch überschätzen.

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Ariana GarroteUniversität Zürich Institut fürErziehungswissenschaftLehrstuhl Sonderpädagogik Bildung undIntegrationHirschengraben 48CH-8001 Zü[email protected]

Erstmalig eingereicht: 07.05.2014Überarbeitung eingereicht: 25.09.2014Angenommen: 13.10.2014


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