+ All Categories
Home > Documents > Mathematik fur das Lehramt an der Primar- und ... · Insbesondere entwickelte er die Axiomatik...

Mathematik fur das Lehramt an der Primar- und ... · Insbesondere entwickelte er die Axiomatik...

Date post: 24-Aug-2019
Category:
Upload: ngoque
View: 213 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
184
Mathematik f ¨ ur das Lehramt an der Primar- und Sekundarstufe I sowie an Sonderschulen Grundlagen der Mathematik WiSe 2013/14 Susanne Koch Fachbereich Mathematik Universit¨ at Hamburg [email protected] 7. Februar 2014
Transcript

Mathematik fur das Lehramt an der Primar- undSekundarstufe I sowie an Sonderschulen

Grundlagen der Mathematik

WiSe 2013/14

Susanne KochFachbereich Mathematik

Universitat Hamburg

[email protected]

7. Februar 2014

2

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 3

1 Logik 101.1 Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.2 Junktionen: Verknupfungen von Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.3 Aussageformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201.4 Quantoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231.5 Tautologien und Kontradiktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261.6 Implikation und Kontraposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351.7 Beweistechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

1.7.1 Zum Beweisen von Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391.7.2 Zum Beweisen von Existenz-, Eindeutigkeits- und Allaussagen . . . . . . . . 461.7.3 Vollstandige Induktion - ein Beweisverfahren fur Allaussagen uber N . . . . 49

2 Mengen 532.1 Grundlegende Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532.2 Potenzmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612.3 Mengen-Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622.4 Differenzen von Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702.5 Kartesisches Produkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722.6 Wichtige Teilmengen der reellen Zahlen: Intervalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

3 Die reellen Zahlen 813.1 Korperaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813.2 Anordnungsaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923.3 Vollstandigkeitsaxiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003.4 Existenz k-ter Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

4 Abbildungen 1124.1 Begriffsklarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1124.2 Darstellung von Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

4.2.1 Wertetabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1264.2.2 Pfeildiagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1274.2.3 Graphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

1

Einleitung 2

4.3 Eigenschaften von Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1294.3.1 Ungleichungen zwischen reellwertigen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . 1294.3.2 Injektivitat und Surjektivitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1324.3.3 Monotonie von reellwertigen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1384.3.4 Symmetrie reellwertiger Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

4.4 Komposition von Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1414.5 Wichtige Typen von Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

4.5.1 (Affin-)lineare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1464.5.2 Quadratische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1524.5.3 Potenzfunktionen und Potenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1534.5.4 Polynomfunktionen oder ganzrationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . 1684.5.5 Rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

Anhang 174A.1 Tautologien fur aussagenlogische Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

Literaturverzeichnis 174

Index 176

Einleitung

MATHEMATIK, griech. µαθηµατικη τεχνη (mathematike techne) ≈ ”Kunst des Lernens“

Die Art und Weise, in der Mathematik an der Universitat betrieben wird, unterscheidet sich in ganzerheblichem Maße von der Art und Weise, in der Sie Mathematik an der Schule betrieben haben:Zum einen ist (wie in allen anderen Disziplinen ubrigens auch) das Tempo, in dem die Inhalte ab-gehandelt werden, unvergleichlich viel hoher; zum anderen - und das sind die wichtigeren und die(wissenschaftlich betriebene) Mathematik charakterisierenden Unterschiede - ist das Abstraktions-niveau 1 sehr viel hoher als in der Schule und der Aufbau (mehr oder weniger streng) axioma-tisch: Mathematikerinnen und Mathematiker bemuhen sich immer darum, Begriffe zu definierenoder Zusammenhange aufzudecken, die moglichst allgemeingultig sind und sich auf viele verschie-dene konkrete Situationen bzw. Falle anwenden lassen. Wenn ein derartiger abstrakter Begriff oderZusammenhang dann (nach mehr oder weniger intensiver Forschung) einmal gefunden ist, wird ermoglichst effizient und vor allem prazise ausformuliert. Das hat zur Folge, dass die mathematischeSprache durch eine hohe formale Dichte gepragt ist, die sich der Anfangerin bzw. dem Anfangeroft sehr sperrig darstellt. Dass Mathematik axiomatisch aufgebaut ist, bedeutet, dass (innerhalb je-der mathematischen Teildisziplin) zunachst einige wenige Grundannahmen, die als richtig postuliertwerden und weder zu beweisen noch zu widerlegen sind, zusammengetragen werden (die soge-nannten Axiome) und aus diesen Grundannahmen durch logische Schlussweisen weitere (wahre)Aussagen abgeleitet werden. So werden wir die Menge 2 N := 1, 2, 3, 4, . . . der Ihnen bereits ausder fruhen Kindheit bekannten naturlichen Zahlen durch die sogenannten Peano-Axiome 3 definie-ren und diese Menge durch logische Schlussweisen schrittweise zu den ganzen, rationalen, reellenund komplexen Zahlen4 hin erweitern.Im Zuge dieser Erweiterung werden wir ganz genau analysieren, warum zum Beispiel 3 + 5 = 5 + 3

1lat. abstrahere = abziehen, wegziehen; abstrahieren bedeutet ”verallgemeinern, vom Besonderen absehen und aufAllgemeingultiges reduzieren“

2Der Doppelpunkt vor dem Gleichheitszeichen in N := 1, 2, 3, 4, . . . zeigt an, dass die Gleichheit des ”Objekts“ Nund der Menge 1, 2, 3, 4, . . . hier per Definition festgesetzt wird. Anders ausgedruckt bedeutet das, dass das SymbolN hierdurch als die Menge 1, 2, 3, 4, . . . definiert wird, bzw., dass die Menge 1, 2, 3, 4, . . . kunftig kurzer mit demSymbol N bezeichnet werden kann. Vergleichbares wird uns sehr haufig begegnen!

3GIUSEPPE PEANO, ∗ 27. August 1858 in Spinetta, Piemont, † 20. April 1932 in Turin, war ein italienischer Ma-thematiker, der sich uberwiegend mit mathematischer Logik befasste. Insbesondere entwickelte er die Axiomatik dernaturlichen Zahlen.

4Die Menge der komplexen Zahlen, die ublicherweise mit dem Symbol C bezeichnet wird, ist Ihnen in Ihrer Schul-

3

Einleitung 4

ist (allgemein: das Kommutativgesetz der Addition gilt), weshalb 1 · 1 = 1 ist und wieso ∞ (also

”unendlich“) nicht die großte naturliche Zahl ist. Sie werden einen Eindruck davon bekommen, dassetwas scheinbar Einfaches - wie zum Beispiel der Zahlenstrahl, der zur Veranschaulichung der Men-ge der reellen Zahlen bereits in der Sekundarstufe herangezogen wird - eine enorme mathematischeKomplexitat beinhalten kann. Sie werden dabei (hoffentlich) die Erfahrung machen, dass etwas alsverstanden Geglaubtes plotzlich ganz unverstanden ist und einer neuen, eingehenderen Betrachtungbedarf! Die axiomatische Methode bringt es naturlicherweise mit sich, dass sich manche Inhalte inganz neuem Gewand prasentieren...

Ich will Ihnen mal ein Beispiel fur eine mathematische Aussage geben, welche fur gewohnlich imdritten Fachsemester bewiesen werden wird. Die hier vorkommenden Begriffe (und vielleicht sogarden Inhalt der Aussage) kennen Sie wahrscheinlich aus der Schule:

Satz: Wenn eine differenzierbare Funktion f : R → R an der Stelle x0 ∈ R eine Extremstelle hat,so gilt f ′(x0) = 0.

Sie erkennen, dass - um den Satz zu verstehen - klar sein muss, was R ist, was eine Funktionf : R → R ist, was x0 ∈ R bedeutet, was man unter Differenzierbarkeit zu verstehen hat, waseine Extremstelle ist und was sich hinter dem Ausdruck f ′(x0) verbirgt. Außerdem erkennen Sie,dass ein logischer Zusammenhang zwischen den beiden Teilaussagen ”die differenzierbare Funktionf : R → R hat an der Stelle x0 ∈ R eine Extremstelle“ und ”es gilt f ′(x0) = 0 “ formuliert wird,namlich der, dass die Gultigkeit der ersten Teilaussage die Gultigkeit der zweiten Teilaussage nachsich zieht.An diesem Satz wird vieles, was Mathematik als wissenschaftliche Disziplin charakterisiert, deut-lich:

1. Die Begriffe, uber die man redet, mussen bekannt sein - Mathematikerinnen und Mathematikertreffen hierzu ganz prazise Definitionen.

2. Die prazise definierten Begriffe werden durch logische Schlussweisen miteinander in Bezie-hung gesetzt; die Beziehung wird fur gewohnlich in Form eines Satzes oder eines Lemmas,gelegentlich auch in Form einer Folgerung (auch Korollar genannt) formuliert. Wichtig ist,dass die Gultigkeit dieser Beziehung durch einen Beweis, der logischen Gesetzen genugenmuss, zu belegen ist.

Abgesehen von den Aussagen, die axiomatischen oder definitorischen Charakter haben, muss jedeAussage, die innerhalb einer mathematischen Theorie formuliert wird, bewiesen werden. Und teil-oder ansatzweiseweise haben Sie das sicher auch schon in der Schule so erlebt: Vielleicht haben Siesich da zum Beispiel mal Gedanken daruber gemacht, warum die Aussage

Die Summe zweier gerader Zahlen ist wieder gerade.

zeit vielleicht nicht begegnet; wahrend beispielsweise die Gleichung x2 = −1 in der Ihnen gut vertrauten Menge Rreeller Zahlen bekanntermaßen nicht losbar ist, gibt es in der (R umfassenden Menge) C eine Losung hierfur. Dies hatweitreichende Konsequenzen, die wir spater studieren werden.

Einleitung 5

wahr ist. Vermutlich haben Sie dabei zunachst spezielle Summen betrachtet, zum Beispiel 2+4 oder10+6, und festgestellt, dass die Behauptung fur diese Spezialfalle wegen 2+4 = 6 und 10+6 = 16

tatsachlich korrekt ist. Und dann haben Sie hoffentlich ”gefuhlt“, dass Sie die eingeruckte Behaup-tung damit aber noch nicht wirklich bewiesen haben - denn dort wird ja uber beliebige Summena + b gerader Zahlen a und b gesprochen und nicht nur uber die Spezialfalle a = 2 und b = 4 bzw.a = 10 und b = 6.In der Regel werden Beweise in der Schule nicht so formal ausgedruckt wie an der Universitat,folgende Argumentationskette halte ich aber zum Nachweis der obigen Behauptung auch in derSchule fur denkbar:

Wenn a und b gerade Zahlen sind, dann kann man sie beide als Vielfaches von 2

schreiben. Wenn man nun a und b addiert, so addiert man zwei Vielfache von 2.Damit ist die 2 ein gemeinsamer Faktor beider Summanden, der ausgeklammertwerden kann: Die Summe ist also wieder ein Vielfaches von 2 und damit gerade.

Formal etwas praziser werden wir dieses Paket aus Aussage und dazugehorigem Beweis in Kurzewie folgt ausdrucken:

Satz: Gilt a, b ∈ 2N := 2, 4, 6, 8, . . ., so gilt auch a+ b ∈ 2N.

Beweis:Ist a ∈ 2N, so existiert ein k ∈ N, so dass a = 2k (namlich k = a

2). Analog existiert zu b ∈ 2N ein

l ∈ N, so dass b = 2l (namlich l = b2). Damit ist a + b = 2k + 2l = 2(k + l) und diese Zahl ist

wieder gerade (weil sie ein Vielfaches von 2 ist). q.e.d.5

Nun kommt hinzu, dass Mathematikerinnen und Mathematiker, was ihre (mathematische) Aus-drucksweise betrifft, im Allgemeinen sehr sparsam sind - fur fortgeschrittenere Studierende wurdeman den Satz und die Aussage zumindest an der Tafel etwa wie folgt formulieren:

Satz: a, b ∈ 2N := 2k : k ∈ N ⇒ a+ b ∈ 2N.

Beweis: a, b ∈ 2N⇒ ∃ k, l ∈ N : a = 2k, b = 2l⇒ a+ b = 2k + 2l = 2(k + l) ∈ 2N. 2

Hieran erkennen Sie zum einen, dass etwas durchaus Bekanntes mitunter ungewohnt ausgedrucktwird und zum anderen, dass man - um Mathematik im beschriebenen Sinne betreiben zu konnen- logisch argumentieren konnen muss! (Dies ist ubrigens nicht nur im Rahmen der Mathematiksinnvoll und nutzlich.)Daher wollen wir in unserem ersten Kapitel das Augenmerk auf einige logische Grundlagen rich-ten. Im zweiten Kapitel werden wir uns mit Mengen beschaftigen 6. Sie werden sehen, dass diebeiden Gebiete eng miteinander verwandt und fur die Mathematik in jeder Beziehung grundlegendsind (hatten wir es doch bereits mit ersten Beispielen fur Mengen zu tun: N, 2N, Menge der gan-zen Zahlen, etc.). Im Anschluss daran widmen wir uns dem Begriff der Abbildung bzw. Funktion,

5q.e.d. ist die Abkurzung fur quod erat demonstrandum, was lateinisch ist und was zu beweisen war bedeutet. Al-ternativ kann man an das Ende eines Beweises auch ein Quadrat (also das Symbol 2) setzen. Letzteres werden wir inZukunft vorzugsweise tun.

6An dieser Stelle sei erwahnt, dass wir die Begriffe Aussage und Menge ”naiv“ behandeln werden, also nicht gemaßden strengen Regeln mathematischer Theoriebildung. Das hat damit zu tun, dass alles andere weit uber unser Ziel hinausfuhren wurde und wird ublicherweise in allen Anfangerveranstaltungen fur Studierende der Mathematik so gemacht.

Einleitung 6

den Sie sicher aus der Schule kennen! Einen Schwerpunkt werden wir auf die Untersuchung re-eller Funktionen legen, zu denen auch die linearen und quadratischen Funktionen (allgemeiner:Polynomfunktionen), die Exponential- und Logarithmusfunktionen, Potenzfunktionen wie dieWurzelfunktion und die trigonometrischen Funktionen wie die Sinus-, die Kosinus- und die Tan-gensfunktion gehoren. Im Anschluss hieran werden wir Funktionen als Spezialfalle von sogenann-ten Relationen erkennen. Wichtige Spezialfalle hiervon (die aber nicht notwendig auch Funktionensein mussen) bilden die Aquivalenzrelationen, die in gewissem Sinne so etwas wie ”Filterungen“beschreiben, und die Ordnungsrelationen, die - ihrem Namen entsprechend - ordnen konnen, undzwar auf sehr abstrakte Weise.

In gewissem Sinne stellen viele der bis dahin durchgefuhrten Untersuchungen, genauso wie alle an-deren Uberlegungen, in denen bis hierhin mit naturlichen, ganzen, rationalen oder, noch allgemeiner,reellen Zahlen gearbeitet worden sein wird, einen Vorgriff dar. Denn erst im sich jetzt anschließen-den Kapitel beginnen wir mit dem axiomatischen Aufbau der Zahlbereiche, innerhalb dessen wirzunachst die Menge N der naturlichen Zahlen charakterisieren und formal definieren werden, umim Anschluss hieran auf dieser Menge sowohl die (vertrauten) Rechenoperationen Addition undMultiplikation einzufuhren als auch die Ordnungsstruktur kleiner-gleich zu etablieren.

Wenn ich es mit dem axiomatischen Aufbau der Mathematik ganz genau nahme, durften dienaturlichen Zahlen (und damit erst recht auch deren oben bereits genannte Obermengen, also bei-spielsweise die reellen Zahlen) bis zu diesem Zeitpunkt weder in der Vorlesung noch in den Ubungenvorgekommen sein. Das wurde aber bedeuten, dass ich Sie in den ersten Kapiteln dieser Veranstal-tung nur mit sehr abstrakten Beispielen konfrontieren konnte! Da derartige Beispiele erfahrungs-gemaß jedoch haufig nicht einfach zu begreifen sind, werde ich, was diesen Punkt betrifft, zu Guns-ten einer besseren Verstandlichkeit von einem streng axiomatischen Aufbau der Theorie immer malwieder mehr oder weniger großen Abstand nehmen und vor allem (zunachst einmal) annehmen,dass Sie die verschiedenen Zahlbereiche und die dort jeweils bestehenden Rechenregeln schon ken-nen! Insbesondere setze ich in diesem Zusammenhang einen sicheren Umgang mit Bruchrechnung,Potenz- und Wurzelrechnung, Logarithmen, Termumformungen, etc. voraus! Sollten Sie mit arith-metischen Umformungen wider Erwarten Unsicherheiten oder Schwierigkeiten haben, empfehle ichIhnen dringend, diese selbststandig und zeitnah zu beheben - diese Dinge werden nicht Gegenstandder Veranstaltung sein! 7

Kommen wir nun zuruck zu dem inhaltlichen Aufbau der Vorlesung: Nachdem der Zahlenbereich Nmit einer Addition und einer Multiplikation versehen ist, werden wir bemerken, dass diese Mengebezuglich der ”Gegenspieler“ Subtraktion und Division grundlegend andere Eigenschaften aufweist.Außerdem werden wir uns Gedanken daruber machen, wie man naturliche Zahlen darstellen kannund im Rahmen der Untersuchung sogenannter Stellenwertsysteme ein Ein-Mal-Eins kennenlernen,welches in eine 3x3-Tabelle passt. Im Anschluss daran werden wir den Aufbau der Zahlbereicheweiter treiben und, auf das Konzept der Aquivalenzrelation zuruckgreifend, die Menge der ganzenZahlen und die Menge der rationalen Zahlen einfuhren. Es wird deutlich werden, dass viele Re-chenregeln, die Sie bislang einfach so verwendet haben, aufwendig zu beweisen sind und in der hier

7Die Regeln fur das Rechnen mit reellen Zahlen sind in Abschnitt 1.3 in [AA05] zusammengefasst. Wer seine Re-chenfertigkeiten mittels einer Aufgabensammlung auffrischen will, sei auf [Pos11] und bzw. oder [HR11] verwiesen.

Einleitung 7

dargebotenen Form nie und nimmer in der Grundschule behandelt werden konnten. Trotzdem bin ichuberzeugt davon, dass die Kenntnisse, die ich Ihnen im Rahmen dieser Einfuhrungsveranstaltung inIhr Mathematikstudium nahe bringen mochte, spater im Beruf von fundamental wichtiger Bedeutungsind. Oder konnen Sie jetzt schon ganz genau erklaren, warum 9 − 5 − 3 eigentlich ein unsinnigerAusdruck ist, wahrend man 9 + 5 + 3 bedenkenlos hinschreiben kann? Im Ubrigen werden einigeder Bedeutungen fundamental wichtiger strukturmathematischer Begriffe wie Gruppe, Ring undKorper, die Sie im Rahmen eines Mathematikstudiums auf jeden Fall kennen lernen mussen, beimAufbau der Zahlbereiche auf ganz naturliche Art und Weise deutlich werden.Im weiteren Verlauf werden wir uns intensiv mit Primzahlen und dem Begriff der Teilbarkeitbeschaftigen. Sie werden bemerken, dass die Teilbarkeitseigenschaft und die kleiner-gleich-Relationviel gemeinsam haben und (mindestens) einen Beweis dafur sehen, dass es unendlich viele Primzah-len gibt. In jenem Kapitel werden besonders viele Begriffe thematisiert werden, die Ihnen aus derSchule bereits bekannt sind (z. Bsp. großter gemeinsamer Teiler und kleinstes gemeinsames Viel-faches).

Mitunter wird die formale Art und Weise, in der die Mathematik an einer Universitat betrieben wird,anfangs als sehr ungewohnt und mitunter auch als schwierig oder anstrengend empfunden. Und oftwird die Frage gestellt, ob dieser wissenschaftliche Umgang fur Ihren spateren Lehrberuf uberhauptvon Nutzen ist.Dazu ist zu sagen, dass sich die Inhalte der Mathematikvorlesungen fur die Studierenden derLehramter an der Primar- und Sekundsratufe I sowie an Sonderschulen stark an den HamburgerBildungsplanen fur die entsprechenden Schulstufen orientieren! Es handelt sich hier also nicht umhohere Mathematik, sondern um elementare Mathematik, die - einer universitaren Ausbildung ent-sprechend - wissenschaftlich fundiert vermittelt wird. Die Behandlung der Themen aller Vorlesun-gen des Bachelorstudiums schafft Grundlagenkenntnisse, uber die jede Lehrperson, die bis zur 10.Jahrgangsstufe unterrichtet, verfugen muss, damit beispielsweise mit Fragen, die Schulerinnen oderSchuler stellen konnten, sachgerecht umgegangen werden kann.Die Formulierungen der Veranstaltungsinhalte richten sich an Sie als erwachsene Studierende undnicht an Ihre spatere Schulerschaft: Sie sollen Schritt fur Schritt in die Lage versetzt werden, ma-thematische Inhalte selbststandig zu durchdringen und sich in neue Gebiete oder Fragestellungenselbststandig einzuarbeiten. Die Vorstellungen vom Mathematikunterricht haben sich in der Vergan-genheit stark gewandelt, und auch kunftig ist damit zu rechnen, dass es grundlegende Veranderungengeben wird. Sie mussen also befahigt werden, flexibel auf diese Herausforderungen zu reagieren. Daskann jedoch nur gelingen, wenn Sie uber ein fundiertes Wissen uber die zu behandelnden Themenverfugen, das Sie didaktisch sinnvoll auf die Bedurfnisse Ihrer Schulerinnen und Schuler ”runterbrechen“ konnen. Im Rahmen Ihrer Ausbildung zur Mathematiklehrerin bzw. zum Mathematikleh-rer mussen Sie also auf der einen Seite lernen, wie die mathematischen Inhalte, uber die Sie spaterim Unterricht sprechen werden oder sprechen konnten, einzuordnen und zu verstehen sind, auf deranderen Seite mussen Sie Methoden zur Vermittlung mathematischer Inhalte kennen lernen. AmFachbereich Mathematik werden Sie in erster Linie uber mathematische Inhalte unterrichtet und (imRahmen von (Pro-)Seminaren) gefordert werden, sich solche selbststandig anzueignen. Uber dieMethoden, wie Sie diese Inhalte dann an Ihre Schulerinnen und Schuler weitergeben, werden Sie in

Einleitung 8

den Mathematikdidaktikveranstaltungen, im Rahmen Ihrer Praktika und nicht zuletzt im Vorberei-tungsdienst unterrichtet werden.Ich hoffe, Ihnen damit eine Erklarung fur den inhaltlichen Aufbau der Mathematik-Vorlesungengegeben zu haben. Betrachten Sie es als eine gewinnbringende Gelegenheit, das teilweise be-reits bekannte Wissen zum Beispiel uber Funktionen, Primzahlen, Gleichungssysteme oder Folgenin veranderter Form noch einmal prasentiert zu bekommen. Die dabei zu entdeckenden Zusam-menhange bringen es in der Regel mit sich, dass das ”Mathematik machen“ noch mehr Freude be-reitet!

Zuletzt noch eine Bitte, die die Qualitat dieses Skripts betrifft: Sollten Sie beim Lesen Fehler jeg-licher Art entdecken, ware ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich per E-Mail darauf aufmerksammachen konnten. Ich werde diese Fehler dann korrigieren und Ihnen am Ende des Semesters einekorrigierte Gesamtversion zur Verfugung stellen. Außerdem sollte ich an dieser Stelle sagen, dassdieses Skript an einigen Stellen uber das, was Ihnen in der Vorlesung prasentiert und in den Ubungenzur Bearbeitung ausgehandigt wird, etwas hinausgeht. Das hat großtenteils zeitliche, mitunter aberauch inhaltliche Grunde. Das, was in der Vorlesung und in den Ubungen behandelt wird, solltenSie mindestens aufarbeiten; die Skriptinhalte, die hieruber hinausgehen, konnen Ihnen helfen, diesesVerstandnis zu vertiefen.

Anmerkungen zu den BezeichnungenDas Ende eines Beweises wird im vorliegenden Skript durch das Zeichen 2 kenntlich gemacht. Be-weise von Hilfssatzen werden mit dem Symbol abgeschlossen. Am Ende eines (umfangreicheren)Beispiels findet sich jeweils das SymbolN.

Folgende Bezeichnungen werden wir fur Zahlenmengen verwenden:

N := 1, 2, 3, . . .: Menge der naturlichen Zahlen (die 0 gehort nicht dazu!),

N0 := 0, 1, 2, 3, . . .: Menge der naturlichen Zahlen erweitert um 0,

Z := . . . ,−3,−2,−1, 0, 1, 2, 3, . . .: Menge der ganzen Zahlen,

Q := pq

: p, q ∈ Z, q 6= 0: Menge der rationalen Zahlen,

R: Menge der reellen Zahlen.

R \Q: Menge der irrationalen Zahlen.

Fur den Anfang setze ich voraus, dass Sie diese Mengen und ihre Relationen zueinander kennenund mit ihren Elementen rechnen konnen (s.o.). Im weiteren Verlauf der Vorlesung werden wir diegenannten Mengen formal exakt einfuhren und studieren.

Internetlinks:

• Zum Begriff, zur Geschichte und zu Inhalten und Methoden der Mathematik:http://de.wikipedia.org/wiki/Mathematik

9

• Mathematik-Portal in Wikipedia:http://de.wikipedia.org/wiki/Portal:Mathematik

• Zum Begriff Axiom: http://de.wikipedia.org/wiki/Axiom

• Eine Galerie multimedialer Lernhilfen inkl. Lexikon, interaktiven Tests und mathematischenWerkzeugen:http://www.mathe-online.at/

• Eine Webseite meines ehemaligen Kollegen Hans-Joachim Samaga zum Uben im Internet:http://www.math.uni-hamburg.de/home/cm/lgm/

Und nun viel Spaß bei der Lekture dieses Skriptes und viel Erfolg fur Ihr Mathematikstudium!

Kapitel 1

Logik

Literaturempfehlungen:

3 [Fri07]: FRITZSCHE, K.: Mathematik fur Einsteiger - Vor- und Bruckenkurs zum Studienbe-ginn (4. Auflage). Spektrum Akademischer Verlag (2007).

3 [MM11]: MEINEL, C. und MUNDHENK, M.: Mathematische Grundlagen der Informatik- Mathematisches Denken und Beweisen - Eine Einfuhrung (5. Auflage). Vieweg/Teubner(2011).

3 [Mue09]: MUCKENHEIM, W.: Mathematik fur die ersten Semester. Oldenbourg (2009).

1.1 Aussagen

In der Mathematik wird sehr, sehr viel mit Aussagen gearbeitet. Was hierunter zu verstehen ist, wirddurch die folgende Begriffsklarung 1 festgelegt:

R Eine Aussage ist ein sprachliches bzw. schriftliches Konstrukt, welches eindeutig entscheidbarwahr oder falsch ist, also nie beides zugleich. Ist eine Aussage wahr, so sagt man, dass sie denWahrheitswert w hat, falsche Aussagen dagegen haben den Wahrheitswert f .

Insbesondere muss also die Frage danach, ob eine Aussage wahr oder falsch ist, sinnvoll gestellt wer-den konnen und prinzipiell beantwortbar sein. Bei Fragesatzen, Ausrufen oder Wunschen ist das si-cher nicht der Fall! Daher sind derartige Konstrukte auf jeden Fall keine Aussagen. Im Ubrigen bein-haltet die oben genannte Forderung an Aussagen nicht, dass eine richtige Entscheidung bezuglichGultig- oder Ungultigkeit auf jeden Fall hier und jetzt oder irgendwo und irgendwann getroffen

1Hier handelt es sich nicht um eine prazise Definition im mathematisch strengen Sinne: Wir greifen namlich inner-halb der Begriffsklarung auf verschiedene Begriffe zuruck, die selber wieder nicht prazise definiert worden sind. Etwasahnliches wird uns passieren, wenn wir festlegen wollen, was unter einer Menge zu verstehen sein soll. Das Bestre-ben, die Begriffe Aussage und Menge formal exakt zu definieren, wurde uns jedoch viel Zeit kosten und von unseremeinzuschlagenden Weg weit abbringen. In Anbetracht der Tatsache, dass die mathematisch etwas ”unsauberen“ Begriffs-klarungen uns im Folgenden nicht in Schwierigkeiten bringen werden, wollen wir uns also damit begnugen.

10

1.1 Aussagen 11

werden konnen muss (derartige Entscheidungsfindungen konnen mitunter ganze Generationen vonWissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beschaftigen 2), aber es muss sichergestellt sein, dassgrundsatzlich genau einer der beiden Falle ”trifft zu“ oder ”trifft nicht zu“ eintritt.

Beispiel 1.1Aussagen in unserem Sinne sind also beispielsweise die folgenden:

A Heute ist Montag.

B Die Temperatur in diesem Zimmer betragt mehr als 20 C.

C 2 + 7 = 10.

D Es gibt unendlich viele Primzahlen.

E Im Jahr 2100 wird der Meeresspiegel gegenuber heute um 1,30 m angestiegen sein.

F Jede gerade naturliche Zahl, die großer als zwei ist, ist als Summe zweier Primzahlen darstell-bar (GOLDBACH-Vermutung 3).

G Fur keine naturliche Zahl n, die großer ist als zwei, existieren drei positive ganze Zahlenx, y, z, so dass xn + yn = zn ist (Großer Satz von FERMAT 4).

Keine Aussagen im angegebenen Sinn sind dagegen folgende Konstrukte:

H Weihnachten steht vor der Tur.

I Was gibt es morgen in der Mensa?

J Fahrrader anlehnen verboten!

K Ich wurde gerne mal auf dem Mond spazieren gehen.

L 5− 7.

M Ich luge (jetzt) gerade. 5. N

2Der Wahrheitswert des Satzes Die Ausdehnungsgeschwindigkeit des Universums nimmt zu ist sicherlich nicht leichtzu ermitteln; dennoch handelt es sich hier um eine Aussage. Am 4. Oktober 2011 haben die US-amerikanischen Astro-physiker SAUL PERLMUTTER, BRIAN P. SCHMIDT und ADAM G. RIESS den Nobelpreis fur Physik erhalten, weil sieeinen wichtigen Beitrag zur Entscheidung der Frage nach der Richtigkeit dieser Aussage geleistet haben.

3CHRISTIAN GOLDBACH, ∗ 1690 in Konigsberg (Preußen), † 1764 in Moskau, war ein deutscher Mathematiker.Er formulierte die nach ihm benannte Vermutung 1742 in einem Brief an den uberaus erfolgreichen MathematikerLEONHARD EULER, ∗ 1707 in Basel, † 1783 in St. Petersburg. Die GOLDBACH-Vermutung ist bis heute weder bewiesennoch widerlegt, sie stellt eines der bedeutendsten offenen Probleme der Zahlentheorie dar.

4PIERRE DE FERMAT, ∗ Beginn des 17. Jh., † 1665, war ein franzosischer Mathematiker. Er formulierte die Aussagedes Großen Satzes von FERMAT 1637 so allgemein wie oben angegeben, lieferte aber nur fur den Fall n = 4 einenexpliziten Beweis. EULER konnte die Aussage fur den Fall n = 3 beweisen. In ihrer Allgemeinheit blieb die Aussageaber bis Mitte der 1990er Jahre eines der beruhmtesten ungelosten Probleme der Mathematik - und wurde von daher auchals FERMATsche Vermutung bezeichnet. Erst dann gelang es dem britischen Mathematiker ANDREW WILES, ∗ 11. April1953 in Cambridge, assistiert von seinem ehemaligen Doktoranden Richard Taylor, ∗ 19. Mai 1962, die FERMATscheVermutung zu beweisen.

5Dieser Satz geht auf BERTRAND RUSSELL, ∗ 18. Mai 1872, † 2. Februar 1970, einen britischen Philosophen, Ma-

1.1 Aussagen 12

Interessant ist auch die Frage, ob das auf dem Plakat des Hamburger Thalia-Theaters mit dem Programm fur den Monat September 2013 in großen Let-tern abgedruckte schriftsprachliche Konstrukt eine Aussage darstellt odernicht - und wenn es eine Aussage darstellt, ob diese wahr ist oder falsch?

In der Vorlesung werden wir daruber etwas ausfuhrlicher nachdenken. Furweitere Einzelheiten zu den hier angerissenen ”logisch schwierigen“ Kon-strukten mochte ich Sie auf die Masterarbeit [K.13] mit dem Titel Aus-gewahlte Antinomien der naiven Mengenlehre von INT-VEEN verweisen.Hier werden die Begriffe Paradoxon und Antinomie klar gegeneinander ab-gegrenzt und mehrere Antinomien im Detail studiert.

Im Folgenden werden wir Aussagen oft durch lateinische Großbuchstaben A,B,C, . . . abkurzen.Das sieht dann beispielsweise aus wie folgt:

A := ”7 ist eine Primzahl“. (1.1)

Auf Seite 3 war uns das um den Doppelpunkt erweiterte Gleichheitszeichen, also das Symbol :=,schon einmal begegnet. Dort wurde hierdurch das auf der Seite des Doppelpunktes stehenden Sym-bol N durch die rechts des Gleichheitszeichens stehende Menge 1, 2, 3, 4, . . . der naturlichen Zah-len definiert. Allgemein verwendet man das Symbol := (lies: [. . . ] ist definitionsgemaß gleich [. . . ]),um einen links des Doppelpunktes stehenden (bis dahin unbekannten) Ausdruck durch den rechts desGleichheitszeichens stehenden bekannten Ausdruck zu definieren; anders ausgedruckt: Man weistdem links stehenden und bis dahin bedeutungslosen Ausdruck den rechts stehenden, bereits mit Be-deutung versehenen, Ausdruck zu. Die linke Seite fungiert also als Bezeichner fur die rechte Große.Andere Beispiele hierfur sind x := 5, y := −7 und z := (x + y)2. Nachdem den (Zahl-)Variab-len x und y die Werte 5 und 7 zugewiesen worden sind, erhalt man z = 4. An dieser Stelle stehtubrigens nur noch ein gewohnliches Gleichheitszeichen, weil diese Gleichheit keine Definition mehrist, sondern direkt aus den Zuweisungen der konkreten Werte zu den Variablen x und y und aus derDefinition von z folgt. 6

Nach der Zuweisung (1.1) konnen wir sagen, dass A eine wahre Aussage ist, oder dass A wahrist, oder - noch kurzer -, dass A gilt. Hatten wir dagegen die Definition A := ”8 ist eine Primzahl“vorgenommen, ware A eine falsche Aussage gewesen.

Bevor wir nun zum nachsten Abschnitt ubergehen, sei noch ein Wort zu dem (gerade verwendeten)Begriff der (Zahl-)Variablen gesagt: Der Begriff soll im Rahmen dieser Veranstaltung formal nicht

thematiker und Logiker zuruck. Es handelt sich hierbei um eine Zuspitzung einer Formulierung von EPIMENIDES (etwa6. Jh. v. Chr.), die aufgrund ihres paradoxen Charakters schon lange vor RUSSELL vielfach diskutiert wurde. Zu Beginndes 20. Jahrhunderts entwickelte dieser Satz jedoch die Kraft, eine Grundlagenkrise der Mathematik hervorzurufen.Vielleicht konnen Sie dies ansatzweise nachvollziehen, wenn Sie versuchen zu entscheiden, ob der Satz wahr ist odernicht. . .

6Es sei noch angemerkt, dass das Symbol := auch umgekehrt werden kann: Der neu zu erklarende Ausdruck hateinfach immer nur auf der Seite des Doppelpunktes zu stehen. Das oben gegebene Beispiel hatte man also auch durch

”7 ist eine Primzahl“ =: A beschreiben konnen.

1.2 Junktionen: Verknupfungen von Aussagen 13

exakt definiert werden. Wir wollen uns aber dennoch explizit darauf einigen, ihn so zu verwenden,wie Sie es aus der Schule bereits kennen:

R Wir verstehen unter einer Variablen ein Zeichen, fur welches beliebige Ausdrucke einer be-stimmten Art eingesetzt werden konnen. Eine Variable hat damit selber keine Bedeutung, abersie zeigt an, an welcher Stelle ein bedeutungsvolles Objekt eingesetzt werden kann. Die Men-ge aller bedeutungsvollen Objekte, die an Stelle einer Variablen x eingesetzt werden durfen,nennt man den Variabilitatsbereich von x und bezeichnet ihn mit V(x).

In der Schule haben Sie meistens mit Zahlvariablen gearbeitet; darunter verstehen wir Variablen,deren Variabilitatsbereich eine Zahlenmenge, etwa N,Z,Q oder R, ist. Im Zusammenhang mit denbinomischen Formeln sind Ihnen solche Variablen mit Sicherheit schon begegnet:

(a+ b)2 = a2 + 2ab+ b2 (1. Binomische Formel)

(a− b)2 = a2 − 2ab+ b2 (2. Binomische Formel)

(a+ b)(a− b) = a2 − b2 (3. Binomische Formel)

Hierbei sind a und b Zahlvariablen mit Variabilitatsbereich V(a) = R und V(b) = R: Die Formelnsind fur jede Ersetzung von a und b durch reelle Zahlen korrekt.

1.2 Junktionen: Verknupfungen von Aussagen

(Verschiedene) Aussagen konnen mittels bestimmter Symbole, sogenannter Junktoren 7 (oder auchKonnektoren 8), zu neuen Aussagen verknupft werden. Fur uns werden die funf Junktoren

¬,∧,∨,⇒,⇔

von Bedeutung sein. Dabei unterscheidet man den einstelligen Junktor ¬, der auf eine Aussageangewendet wird, von den zweistelligen Junktoren ∧, ∨,⇒ und⇔, die jeweils auf ein Paar aus zweiAussagen angewendet werden. Sind A und B Aussagen, so konnen wir aus diesen per Junktion alsobeispielsweise die Ausdrucke ¬A (oder ¬B),A∧B,B∧A,A∧A,B∨B,A⇒ B,A⇒ A oderB ⇔A bilden. (Beachten Sie, dass hier keineswegs gefordert wird, dass die beiden Aussagen, auf diedie zweistelligen Junktoren angewendet werden, verschieden voneinander sind! Die Wirkungsweiseeines Junktors ist in gewisser Weise mit der Wirkungsweise des + - Zeichens vergleichbar: SeineAnwendung macht nur Sinn, wenn (mindestens) zwei Zahlen zur Addition vorliegen, aber diesebeiden mussen nicht verschieden voneinander sein!)Wichtige Einzelheiten zum sprachlichen Umgang mit den ersten vier Junktoren lassen sich Tabelle1.1 entnehmen; hier seien A und B beliebige Aussagen. Im darauf folgenden Beispiel 1.2 werdenfur A und B dann konkrete Aussagen verwendet.

7lat. iungere = verknupfen, verbinden8engl. to connect = verknupfen, verbinden

1.2 Junktionen: Verknupfungen von Aussagen 14

Junktor Name der Junktion Sprechweise

¬ ¬A: Negation (von A) ”nicht A“

∧ A ∧B: Konjunktion (von A und B) ”A und B“

∨ A ∨B: Disjunktion (von A und B) ”A oder B“

⇒ A⇒ B: Implikation (von A und B) ”aus A folgt B“ oder

”wenn A, dann B“ oder

”A ist hinreichend fur B“ oder

”B ist notwendig fur A“.

Tabelle 1.1: Junktionen und ihre Sprechweisen.

Beispiel 1.2A Sei A := ”Madrid ist die Hauptstadt von Spanien“, B := ”Madrid ist die Hauptstadt von

Schweden“ und C := ”Madrid ist die Hauptstadt von Deutschland“.Dann ist A wahr, und B und C sind falsch. Außerdem ist

1. (¬A) = ”Madrid ist nicht die Hauptstadt von Spanien“,9

2. (A ∧ B) = ”Madrid ist die Hauptstadt von Spanien und (Madrid ist die Hauptstadt) vonSchweden“,

3. (A ∨C) = ”Madrid ist die Hauptstadt von Spanien oder (Madrid ist die Hauptstadt) vonDeutschland“,

4. (B ∨ C) = ”Madrid ist die Hauptstadt von Schweden oder (Madrid ist die Hauptstadt)von Deutschland“,

5. (B ⇒ A) = ”wenn Madrid die Hauptstadt von Schweden ist, dann ist Madrid die Haupt-stadt von Spanien“.

B In diesem Beispiel geht es um eine Person, nennen wir sie Emma, die in ihrer Mittagspausein ein Restaurant geht, in dem am Eingang ein Schild steht mit der Aufschrift ”Zu jedemMittagstischgericht gibt es ein Freigetrank!“. Wir definieren Aussagen P und Q wie folgt: SeiP :=”Emma bestellt ein Mittagstischgericht“ und Q :=”Emma bekommt ein Freigetrank“.Wenn wir davon ausgehen, dass die Speisekarte neben den Mittagstischgerichten auch nochandere Gerichte enthalt, kann P wahr oder falsch sein. Das Gleiche gilt fur Q. Nun betrachtenwir einige Junktionen von P und Q:

1. (¬P ) = ”Emma bestellt kein Mittagstischgericht“,

9An dieser Stelle steht das Gleichheitszeichen = ohne den Doppelpunkt, weil die Aussage ¬A nicht mehr definiertwerden muss, sondern sich, nachdemA bereits eine Aussage zugewiesen wurde, aus dieser Zuweisung und der Definitionder Negation ergibt.

1.2 Junktionen: Verknupfungen von Aussagen 15

2. (P ∧Q) = ”Emma bestellt ein Mittagstischgericht und bekommt ein Freigetrank“,

3. (P ⇒ Q) = ”wenn sich Emma ein Mittagstischgericht bestellt, bekommt sie ein Freige-trank“,

4. (P ⇒ ¬Q) = ”wenn sich Emma ein Mittagstischgericht bestellt, bekommt sie keinFreigetrank“.

Jede dieser Aussagen-Junktionen ist selber wieder eine Aussage und hat damit einen der Wahr-heitswerte w oder f . Uber den Wahrheitswert von ¬P konnen wir nichts sagen, weil wir nichtwissen, ob Emma ein Mittagstischgericht bestellt oder nicht. Zu dem gleichen Schluss mussenwir beim Nachdenken uber den Wahrheitswert der 2. Aussage kommen. Doch im 3. und 4.Fall verhalt es sich anders: Vom gesunden Menschenverstand her wurden wir die 3. Aussagesicherlich als wahr und die 4. Aussage als falsch bezeichnen... aber wieso konnen wir diesenJunktionen (im Gegensatz zu den vorangegangenen) einen Wahrheitswert zuweisen, ohne zuwissen, wie es um die Wahrheitswerte ihrer Bestandteile P und Q (bzw. P und ¬Q) steht?Was ist denn, wenn sich Emma kein Mittagstischgericht bestellt, P also falsch und ¬P wahrist? Wir werden auf diese Fragen zuruckkommen.

C Sei S :=”PTOLEMAUS 10 hat Recht“ und T :=” Die Sonne dreht sich um die Erde“. Interessantsind die Junktionen

1. (S ⇒ T ) = ”wenn PTOLEMAUS Recht hat, dreht sich die Sonne um die Erde“ und

2. (S ⇒ ¬T ) = ”wenn PTOLEMAUS Recht hat, dreht sich die Sonne nicht um die Erde“.N

Wie oben bereits erwahnt, sind Junktionen von Aussagen selber wieder Aussagen und damit entwe-der wahr oder falsch. Doch wie sind die Wahrheitswerte von Junktionen zu ermitteln?

In der zweiwertigen Aussagenlogik, mit der wir uns befassen, wird ein Junktor dadurch definiert,dass man angibt, wie der Wahrheitswert einer nur diesen Junktor enthaltenden Junktion vom Wahr-heitswert der in ihr vorkommenden Aussagen abhangt. Die konkreten Aussagen sind dabei volligirrelevant.

Zur Verdeutlichung betrachten wir ein Beispiel: Die Konjunktion

”Berlin hat mehr Einwohner als Hamburg und Hamburg hat mehr Einwohner als Koln“

soll als wahr betrachtet werden, weil beide Teilaussagen, ”Berlin hat mehr Einwohner als Hamburg“und ”Hamburg hat mehr Einwohner als Koln“, wahr sind. Dagegen soll die Konjunktion

”Berlin hat mehr Einwohner als Hamburg und Koln hat mehr Einwohner als Hamburg“

10CLAUDIUS PTOLEMAUS, ∗ um 100 n. Chr. in Agypten, † um 175 n. Chr., vermutlich in Alexandria, war Mathema-tiker, Geograph, Astronom, Astrologe, Musiktheoretiker und Philosoph. PTOLEMAUS schrieb eine heute als Almagestbezeichnete Abhandlung zur Mathematik und Astronomie in 13 Buchern. Sie war bis zum Ende des Mittelalters einStandardwerk der Astronomie und enthielt eine Darstellung des geozentrischen Weltbildes, das spater nach ihm Pto-lemaisches Weltbild genannt wurde. Hiernach steht die Erde im Zentrum des Universums und wird vom Mond, derSonne und den Planeten umkreist.

1.2 Junktionen: Verknupfungen von Aussagen 16

als falsch betrachtet werden, weil hier eine wahre und eine falsche Aussage mit und verknupft wer-den. Vollig analog wird aber auch die Konjunktion

”Wale sind Saugetiere und Amseln sind Vogel“

aus den beiden wahren Teilaussagen ”Wale sind Saugetiere“ und ”Amseln sind Vogel“ als wahrbetrachtet, wohingegen

”Wale sind Saugetiere und Amseln sind Amphibien“

als falsch ausgewertet wird, weil die zweite Aussage jetzt falsch ist. Zur Auswertung der Konjunk-tion betrachten wir also nicht den konkreten Inhalt der beteiligten Teilaussagen, sondern nur derenWahrheitswert! Im Zuge dieser Abstraktion werden wir nun sogenannte Aussagenvariablen ein-gefuhrt:

Eine Aussagenvariable ist eine Variable, an deren Stelle nur genau einer der beiden Wahrheitswertew oder f eingesetzt werden darf; der Variabilitatsbereich von Aussagenvariablen ist also die Men-ge 11 w, f. Regelhaft werden wir Aussagenvariablen mit einem der lateinischen Kleinbuchstabenp, q, r, s, . . . bezeichnen. Anstelle von Ausdrucken wie A ∧ B oder A ⇒ B, in denen A und B ir-gendwelche konkreten Aussagen sind, betrachten wir also Ausdrucke wie p∧q oder s⇒ r, in denenp, q, r und s Aussagenvariablen sind und damit jeden der Werte w oder f annehmen konnen.

Mittels dieser Abstraktion ist es moglich, Junktoren mittels sogenannter Wahrheitstafeln zu de-finieren; eine Wahrheitstafel zu einem Junktor ist eine Tabelle, in der in jeder Zeile genau einemogliche Belegung der in der entsprechenden Junktion vorkommenden Aussagenvariablen mit ei-nem der Wahrheitswerte w oder f enthalten ist, und in der alle moglichen Belegungen vorkommen.Tabelle 1.2 stellt die Wahrheitstafel fur die Negation dar. Die Wahrheitstafeln zur Definition der

p ¬p

w f

f w

Tabelle 1.2: Wahrheitstafel zur Definition der Negation.

zweistelligen Junktoren ∧, ∨ und⇒ sind in Tabelle 1.3 zusammengefasst.

R Das Symbol ∨ bezeichnet kein ausschließendes oder (im Sinne von entweder ... oder ...). Istbeispielsweise E := ”Ich esse ein Brotchen“ und F := ”Ich trinke einen Kaffee“, so ist E ∨Fauch wahr, wenn ich ein Brotchen esse und dazu einen Kaffee trinke.

Schauen wir uns jetzt die Junktionen aus Beispiel 1.2 auf ihren Wahrheitswert hin an:

Fortsetzung I von Beispiel 1.2A Nach Definition aller Junktoren ist

11Auf Mengen kommen wir im folgenden Kapitel ganz ausfuhrlich zu sprechen.

1.2 Junktionen: Verknupfungen von Aussagen 17

p q p ∧ q p ∨ q p⇒ q

w w w w w

w f f w f

f w f w w

f f f f w

Tabelle 1.3: Wahrheitstafel zur Definition der zweistelligen Junktoren ∧,∨ und⇒.

1. (¬A) = ”Madrid ist nicht die Hauptstadt von Spanien“ falsch,

2. (A ∧B) = ”Madrid ist die Hauptstadt von Spanien und Schweden“ auch falsch,

3. (A ∨ C) = ”Madrid ist die Hauptstadt von Spanien oder Deutschland“ wahr,

4. (B ∨ C) = ”Madrid ist die Hauptstadt von Schweden oder Deutschland“ falsch,

5. (B ⇒ A) = ”wenn Madrid die Hauptstadt von Schweden ist, dann ist Madrid die Hauptstadtvon Spanien“ wahr (!), denn B ist falsch und jede Implikation aus etwas Falschem ist wahr,

5?. (A ⇒ B) = ”wenn Madrid die Hauptstadt von Spanien ist, dann ist Madrid die Hauptstadtvon Schweden“ falsch, denn A ist wahr und B ist falsch.

B Wie oben teilweise schon angesprochen, ist

1. (¬P ) = ”Emma bestellt kein Mittagstischgericht“ falsch, falls sich Emma ein Mittagsgerichtbestellt, und wahr, falls sie es nicht tut,

2. (P ∧Q) = ”Emma bestellt ein Mittagstischgericht und bekommt ein Freigetrank“ wahr, fallssich Emma ein Mittagsgericht bestellt (P also wahr ist); denn in diesem Fall ist, nach derAnkundigung des Restaurants, auch Q wahr,

3. (P ⇒ Q) = ”wenn sich Emma ein Mittagstischgericht bestellt, bekommt sie ein Freigetrank“gemaß der Definition der Implikation nur falsch, wenn P wahr und Q falsch ist; Q kann abernicht falsch sein, wenn P wahr ist - das widersprache namlich der Ankundigung auf demSchild vor dem Restaurant (in den Ubungen werden Sie ubrigens explizit beweisen, dass dieImplikation (

P ∧ (P ⇒ Q))⇒ Q

fur alle vier moglichen Wahrheitswertkombinationen von P und Q wahr ist 12); also ist dieImplikation P ⇒ Q unabhangig von dem Wahrheitswert fur P wahr! Insbesondere bedeutetdas, dass die Aussage auch dann wahr ist, wenn sich Emma kein Mittagstischgericht bestellt(also P falsch ist) - lassen Sie sich das mal ganz in Ruhe durch den Kopf gehen: Und dann

12Dies entspricht der Tatsache, dass(p ∧ (p⇒ q)

)⇒ q eine Tautologie (siehe Abschnitt 1.5) ist.

1.2 Junktionen: Verknupfungen von Aussagen 18

werden Sie sehen, dass dies Ihrer Intuition in keiner Weise widerspricht: Denn die Implikation

”Wenn es regnet, wird die Straße nass“ ist sicherlich unabhangig davon, ob es regnet odernicht, korrekt. Und unabhangig davon, ob Emma sich ein Mittagstischgericht bestellt odernicht, bekommt sie ein Freigetrank, wenn sie es tut. Aus der Richtigkeit einer ImplikationP ⇒ Q durfen Sie also weder die Richtigkeit von P noch die Richtigkeit von ¬P folgern.

Schließlich ist

4. (P ⇒ ¬Q) = ”wenn sich Emma ein Mittagstischgericht bestellt, bekommt sie kein Frei-getrank“ entsprechend der Ankundigung des Restaurants, also wieder nach Voraussetzung,falsch.

C Da PTOLEMAUS mit seinen Behauptungen nicht richtig lag, ist sowohl

1. (S ⇒ T ) = ”wenn PTOLEMAUS Recht hat, dreht sich die Sonne um die Erde“ als auch

2. (S ⇒ ¬T ) = ”wenn PTOLEMAUS Recht hat, dreht sich die Sonne nicht um die Erde“

wahr. Dass S ⇒ T richtig ist, stimmt mit unseren umgangssprachlichen Gewohnheiten uberein!Zu akzeptieren, dass auch die zweite Aussage richtig sein soll, fallt vielleicht etwas schwerer. Esmacht aber wenig Sinn, sich uber diesen Aspekt zu wundern oder gar aufzuregen - die Definition derJunktoren ist im Prinzip willkurlich, wir mussen damit einfach den Vorgaben entsprechend umgehen.

N

R In einer wahren Implikation A⇒ B bezeichnet man die erste Aussage A als Voraussetzung,Pramisse oder hinreichende Bedingung fur B, die zweite Aussage B als Folgerung, Kon-klusion oder notwendige Bedingung fur A. Auf die Begriffe hinreichend und notwendigwerden wir in Abschnitt 1.6 noch einmal zuruckkommen.

Zu Beginn dieses Abschnitts war erwahnt worden, dass fur uns auch der Junktor ⇔ wichtig seinwurde. Bisher ist uns der aber nicht begegnet, das wollen wir jetzt nachholen:

Junktor Name der Junktion Sprechweise

⇔ p⇔ q: Aquivalenz (von p und q) ”p ist aquivalent zu q“ oder

”q genau dann, wenn p“ oder

”q dann und nur dann, wenn p“

Tabelle 1.4: Zu den Sprechweisen der Aquivalenz.

Fortsetzung II von Beispiel 1.2Bezugnehmend auf unsere oben behandelten Beispiele erhalten wir mit den Vereinbarungen ausTabelle 1.4 zum sprachlichen Umgang mit dem Aquivalenz-Junktor 13 folgende Aussagen:

13lat. aequus = gleich und valenz = Wertigkeit, Aquivalenz bedeutet also Gleichwertigkeit

1.2 Junktionen: Verknupfungen von Aussagen 19

A 6. (A⇔ C) = ”Madrid ist die Hauptstadt von Spanien genau dann, wenn Madrid die Hauptstadtvon Deutschland ist“,

B 5. (P ⇔ Q) = ”Emma bestellt ein Mittagstischgericht genau dann, wenn sie ein Freigetrankbekommt“. N

Wie Tabelle 1.4 zu entnehmen ist, soll durch den⇔-Junktor eine Aquivalenz, also Gleichwertigkeit,von zwei Aussagen ausgedruckt werden. Dabei sollen zwei Aussagen als aquivalent bzw. gleichwer-tig betrachtet werden, wenn sie entweder beide wahr oder beide falsch sind. So erklaren sich dieEintrage in der den Aquivalenz-Junktor definierenden Wahrheitstafel 1.5.

p q p⇔ q

w w w

w f f

f w f

f f w

Tabelle 1.5: Wahrheitstafel zur Definition der Aquivalenz.

Fortsetzung III von Beispiel 1.2Demnach ist

A 6. (A⇔ C) = ”Madrid ist die Hauptstadt von Spanien genau dann, wenn Madrid die Hauptstadtvon Deutschland ist“ falsch, denn A ist wahr, C aber nicht,

B 5. (P ⇔ Q) = ”Emma bestellt ein Mittagstischgericht genau dann, wenn sie ein Freigetrankbekommt“ entweder wahr oder falsch: Es konnte namlich sein, dass Emma ein Freigetrankbekommt (Q also wahr ist), obwohl sie kein Mittagstischgericht bestellt (P also falsch ist):Dann hatten die Teilaussagen P undQ verschiedene Wahrheitswerte und die Junktion P ⇔ Q

ware falsch. Fur den Fall, dass sie ein Mittagstischgericht bestellt, erhalt sie nach Vorausset-zung auch ein Freigetrank: In diesem Fall waren P und Q also beide wahr und damit auch dieAquivalenz. N

Ubrigens ist auch eine Aussage wie ”Die Elbe fließt durch Hamburg genau dann, wenn 3 + 2 = 5

ist“ wahr, weil ja beide Teilaussagen wahr sind; inhaltlich brauchen diese Bestandteile miteinandernichts zu tun zu haben.

Beispiel 1.3Mit Aquivalenzen bzw. den sie anzeigenden Aquivalenzpfeilen haben Sie in der Schule bereits zu tungehabt: Dort konnten Sie zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Rechnung wie der folgendenaufgetreten sein:

3x = 57∣∣ : 3

⇔ x = 19(1.2)

1.3 Aussageformen 20

Was bedeutet das nun ganz genau? Die vor und hinter dem Aquivalenzpfeil stehenden Konstrukte3x = 57 und x = 19 mussen entweder beide falsch oder beide wahr sein, damit Aquivalenz vorliegt(und der Pfeil gerechtfertigt ist). Nun lasst sich dies aber so einfach gar nicht entscheiden: DerWahrheitswert z.Bsp. von x = 19 hangt namlich ganz entscheidend davon ab, welche Zahl wir furx einsetzen: x = 19 ist also gar keine Aussage! Wie wir mit derartigen Dingen umzugehen haben,erfahren wir im nachsten Abschnitt. N

1.3 Aussageformen

Aussageformen stehen in engem Zusammenhang mit Aussagen:

R Eine Aussageform ist ein sprachliches oder schriftliches Konstrukt, welches eine oder meh-rere Variablen enthalt und welches zu einer Aussage wird, wenn man jede der vorkommendenVariablen durch jeweils ein Element aus deren Variabilitatsbereich ersetzt.

Beispiel 1.4A Siehe Beispiel 1.3: Sei x eine Variable mit Variabilitatsbereich V(x) = R und 14

B(x) := (x = 19).

Dann ist B(19) die Aussage 19 = 19, also wahr. B(17) hingegen ist die Aussage 17 = 19 unddamit falsch. Allgemein ist B(x) fur jedes x 6= 19 falsch (klar?!).

B Sei z eine Variable mit Variabilitatsbereich V(z) = N und

P (z) := ”z ist eine Primzahl“ .

Auch von diesem Satz ist nicht zu entscheiden, ob er wahr oder falsch ist, bevor man dieVariable z durch einen konkreten Wert aus dem Variabilitatsbereich von z ersetzt hat: P (7) istwahr und P (8) ist falsch. Wie ist es mit P (1) und P (2)?

C Sei u eine Variable mit Variabilitatsbereich Z = . . . ,−3,−2,−1, 0, 1, 2, 3, . . . und

L(u) := (2u > u) und L′(u) := (2u ≥ u).

Fur welche u ist L(u) wahr? Und fur welche ist L′(u) wahr?

D Seien v, w Variablen mit Variabilitatsbereich V(v) = V(w) = 0, 1, 2, 3 und sei

Z(v, w) := (v < w).

Dann ist Z(0, 0) falsch, Z(0, 1) wahr, ebenso Z(0, 2) und Z(0, 3). Wie verhalt es sich fur dieAusdrucke, in denen v = 1 oder v = 2 oder v = 3 ist?

14In naher Zukunft werden alle unsere Aussagen mathematischer Natur sein. Der Ubersichtlichkeit zuliebe werdendie Anfuhrungszeichen dann immer weggelassen. Um mit den Rechenzeichen innerhalb der Aussageform und dem Zu-weisungszeichen := oder =: vor bzw. nach der Aussageform nicht durcheinander zu geraten, werden die Aussageformendaruber hinaus mitunter in Klammern gesetzt.

1.3 Aussageformen 21

E Seien a, b, c Variablen mit Variabilitatsbereich V(a) = V(b) = V(c) = R. Dann ist

D(a, b, c) := (a2 + b2 = c2)

eine Aussageform, die beispielsweise immer dann wahr ist, wenn es sich bei a und b umdie beiden Kathetenlangen in einem rechtwinkligen Dreieck und bei c um dessen Hypotenu-senlange handelt (wie heißt der entsprechende Satz?!). D(2, 3, 4) hingegen ist falsch.

F Sei y eine Variable mit Variabilitatsbereich V(y) = R und

A(y) := (y = |y|).

Dann ist A(y) wahr, falls y ≥ 0 und falsch, wenn y < 0. N

Allgemein notiert man eine Aussageform 15 also in der Form A(x1, . . . , xn), wobei x1, . . . , xn die inder Aussageform frei vorkommenden Variablen bezeichnen (hierbei ist n eine beliebige naturlicheZahl); das A kann selbstverstandlich durch jedes andere Symbol ersetzt werden - ublicherweisewerden hierfur lateinische Großbuchstaben verwendet. Durch Ersetzen aller Variablen x1 bis xndurch konkrete Elemente aus deren Variabilitatsbereich(en) V(x1) bis V(xn) erhalt man dann eineAussage, deren Wahrheitswert in der Regel von der Wahl der eingesetzten Elemente abhangt.

Ebenso wie Aussagen konnen Aussageformen mittels der oben eingefuhrten Junktoren zu sehr kom-plex verknupften Aussageformen werden. Die Bestimmung von deren Wahrheitswert ist naturlichimmer nur in Abhangigkeit der fur die Variablen eingesetzten Werte moglich.

Beispiel 1.5Sei x eine Variable mit Variabilitatsbereich 1, 2, 3, 4, 5 und

P (x) := ”x ist Primzahl“ und Q(x) := ”x ist eine gerade Zahl“.

Dann sind P (1) undQ(1) falsch: Also sind auch P (1)∧Q(1) und P (1)∨Q(1) falsch; P (1)⇒ Q(1)

und P (1)⇔ Q(1) hingegen sind wahr. Weitere Falle sind Tabelle 1.6 zu entnehmen:Achten Sie darauf, dass die Wahrheitswerte der einzelnen Junktionen fur verschiedene Werte derVariablen x verschieden sein konnen! N

Fortsetzung von Beispiel 1.3

Verwendet man (vgl. Beispiel 1.4 A ) die Bezeichnungen

A(x) = (3x = 57)

undB(x) := (x = 19),

15Eine Aussageform A(x) mit einer Variablen x beschreibt eine Eigenschaft, die fur die fur x einzusetzenden Objektevorliegen oder nicht vorliegen kann - die durch Einsetzen entstehende Aussage ist ja wahr oder falsch. Man sagt, dass dieVariable x auf diese Weise ein Pradikat erhalt und nennt die Theorie der Aussageformen daher auch Pradikatenlogik;sie ist als Erweiterung der bisher behandelten Aussagenlogik zu verstehen.

1.3 Aussageformen 22

x P (x) Q(x) ¬P (x) P (x) ∧Q(x) ¬P (x) ∨Q(x) P (x)⇒ Q(x) ¬P (x)⇔ Q(x)

1 f f w f w w f

2 w w f w w w f

3 w f f f f f w

4 f w w f w w w

5 w f f f f f w

Tabelle 1.6: Wahrheitstafel zu verschiedenen Junktionen zweier Aussageformen.

wobei x eine Variable mit Variabilitatsbereich R sei, so ist (1.2) gleichbedeutend mit der Aquivalenz

A(x)⇔ B(x). (1.3)

Diese kann nun so weder wahr noch falsch sein, da weder A(x) noch B(x) wahr oder falsch sind.Wir mussen fur x wieder konkrete Werte einsetzen, um die Richtigkeit von (1.3) uberprufen zukonnen. Nun konnen wir aber, anders als in Beispiel 1.5, nicht jeden fur x einsetzbaren Wert einzelnbehandeln, denn V(x) = R! Aber zum Gluck ist das an dieser Stelle auch gar nicht notig: In Beispiel1.4 A haben wir schon gesehen, dass der Wahrheitswert von B(x) nur davon abhangt, ob x = 19

oder x 6= 19 gilt: Also unterscheiden wir in Tabelle 1.7 nur diese beiden Falle:

Fall/Aussagen A(x) = (3x = 57) B(x) = (x = 19) A(x)⇔ B(x)

x = 19 w w w

x 6= 19 f f w

Tabelle 1.7: Wahrheitstafel zu Beispiel 1.3.

Der einzige Eintrag, der vielleicht nicht ganz so offensichtlich ist, ist der unten links: Warum ist,wenn x 6= 19 ist, 3x = 57 falsch? Nun, angenommen, 3x = 57 ware korrekt. Dann konnte manschlussfolgern, dass auch x = 19 wahr ist, indem man die ganze Gleichung durch 3 teilt. Daswidersprache aber der Voraussetzung, dass x 6= 19 ist. Da uns die Annahme, dass 3x = 57 gilt, ineinen Widerspruch fuhrt, kann sie also nicht korrekt sein - und genau das sollte ja gezeigt werden 16.Insbesondere haben wir so festgestellt, dass die Aquivalenz A(x) ⇔ B(x) fur jedes x ∈ V(x) = Rkorrekt ist. Man sagt auch

”fur alle x ∈ R gilt A(x)⇔ B(x)“ (bzw. ”fur alle x ∈ R gilt 3x = 57⇔ x = 19“)

und schreibt dafur kurzer

∀x ∈ R : A(x)⇔ B(x) (bzw. ∀x ∈ R : 3x = 57⇔ x = 19).

16Wir haben hier einen kurzen, aber klassischen sogenannten Beweis durch Widerspruch gefuhrt. Auf die generelleStruktur dieser Methode und weitere Details hierzu werden wir in Abschnitt 1.7 noch naher eingehen.

1.4 Quantoren 23

Dabei ist ∀ der sogenannte Allquantor, auf den wir im nachsten Abschnitt naher zu sprechen kom-men werden. N

1.4 Quantoren

Neben den bislang behandelten Junktoren ¬,∧,∨,⇒,⇔ sind fur uns drei sogenannte Quantoren17

von großer Bedeutung, der Allquantor ∀, der Existenzquantor ∃ und der Eindeutigkeitsquantor∃1, der manchmal auch mit dem Symbol ∃! gekennzeichnet wird. Durch ihren Einsatz lassen sichaus Familien von Aussageformen Aussagen machen. Informationen zur Verwendung der Symboleund zur Sprechweise sind Tabelle 1.8 zu entnehmen 18. Darin ist A(x) eine beliebige Aussage undW(x) eine Teilmenge 19 des Variabilitatsbereichs von x, also eine Menge von Werten, die man furdie Variable x einsetzen kann.

Aussagetyp Quantor Schreibweise Sprechweise bzw. Bedeutung

Allaussage ∀ ∀x ∈ W(x) : A(x) ”fur alle x inW(x) gilt A(x)“

Existenzaussage ∃ ∃x ∈ W(x) : A(x) ”es existiert mindestens ein x in W(x), furwelches A(x) gilt“

oder

”es existiert ein x inW(x), fur welchesA(x)

gilt“

Eindeutigkeits-aussage

∃1 ∃1 x ∈ W(x) : A(x) ”es existiert genau ein x in W(x), fur wel-ches A(x) gilt“

Tabelle 1.8: Zum Gebrauch der Quantoren.

Die Konvention daruber, wann eine Allaussage, eine Existenzaussage oder eine Eindeutigkeitsaus-sage wahr oder falsch ist, stimmt mit unserem intuitiven Verstandnis hierfur uberein: Die Allaussage∀x ∈ W(x) : A(x) ist wahr, falls A(x) fur alle moglichen Werte x aus der MengeW(x) wahr ist,die Existenzaussage ∃x ∈ W(x) : A(x) ist wahr, falls man mindestens ein x in W(x) angebenkann, fur welches die Aussage A(x) wahr ist und die Eindeutigkeitsaussage ∃1 x ∈ W(x) : A(x) istwahr, falls es ein Element, nennen wir es x∗, in der MengeW(x) gibt, so dass A(x∗) wahr ist undfur alle von x∗ verschiedenen Elemente x ausW(x) gilt, dass A(x) falsch ist. In diesem Fall sagenwir auch, dass es genau ein x inW(x) gibt, fur welches A(x) gilt.

17lat. quantum = wie viel18Das Elementsymbol ∈ werden wir im folgenden Kapitel im Kontext der Mengenlehre genau besprechen. Man liest

es (enthalten) in.19Eine prazise Definition des Begriffs Teilmenge werden wir in Kapitel 2 vornehmen. An dieser Stelle sind Sie mit

Ihrem intuitiven Verstandnis dieses Begriffs sicherlich noch gut bedient.

1.4 Quantoren 24

Beispiel 1.6A Wir betrachten die Aussageform

E(x) := (x = |x|).

Hierbei sei x eine Variable mit Variabilitatsbereich V (x) = Z. Dann istE(1) wahr und E(−1)

falsch (da | − 1| = 1 6= −1). Die Allaussage

A :=∀x ∈ Z : E(x)

=∀x ∈ Z : x = |x|

ist falsch, weil zum Beispiel E(−1) falsch ist. Dagegen ist die Existenzaussage

B :=∃x ∈ Z : E(x)

=∃x ∈ Z : x = |x|

wahr: Um das zu belegen, kann man fur x jede nicht negative ganze Zahl, zum Beispiel 1,heranziehen. Die Eindeutigkeitsaussage

C :=∃1 x ∈ Z : E(x)

=∃1 x ∈ Z : x = |x|

ist wieder falsch - uberlegen Sie sich, wieso.

Die ”freie“ Variable x ist in jeder der drei um einen Quantor erganzten Versionen A,B,C vonE(x) durch diesen Quantor ”gebunden worden“, wodurch aus der Aussageform drei verschie-dene Aussagen geworden sind.

B Fur jede naturliche Zahl n sei U(n) die Aussageform ”n ist ungerade“ und P (n) die Aussa-geform ”n ist eine Primzahl“. Dann kann man eine wahre Allaussage U durch ”Bindung“ derVariablen n mittels des Allquantors wie folgt definieren:

U := ∀ n ∈ N mit n ≥ 3︸ ︷︷ ︸kunftig: n∈3,4,5,...

: P (n)⇒ U(n).

Die gegenuber U leicht modifizierte Allaussage

V := ∀n ∈ N : P (n)⇒ U(n)

hingegen ist falsch. Wieso?!

C Sei, fur alle naturlichen Zahlen x, die Aussage E(x) := x+ 5 = 7 erklart. Weiter sei

E := ∃x ∈ N : E(x).

Die Richtigkeit der Aussage E konnen wir belegen, indem wir mindestens eine naturlicheZahl x angeben, fur die E(x) richtig ist, hier also x = 2. Genauso richtig ist die Eindeutig-keitsaussage

F := ∃1 x ∈ N : E(x),

1.4 Quantoren 25

denn die Gleichung x+ 5 = 7 wird ausschließlich durch die naturliche Zahl 2 gelost. Entspre-chend ist die Allaussage

G := ∀x ∈ N : E(x)

naturlich falsch.

D Nun wollen wir eine Aussageform in zwei Variablen betrachten: Dazu sei x eine Variablemit Variabilitatsbereich V(x) = N und z eine Variable mit Variabilitatsbereich V(z) = Z.Definiert man

D(x, z) := x > z, (1.4)

so ist beispielsweiseD(10, 3) wahr undD(3, 10) falsch. Wenn wir nun die Aussage, dass es zujeder naturlichen Zahl x eine ganze Zahl z gibt, so dass x > z ist, formal ausdrucken wollen,konnen wir das mittels der Quantoren wie folgt bewerkstelligen:

A :=∀x ∈ N : ∃ z ∈ Z : x > z

=∀x ∈ N : ∃ z ∈ Z : D(x, z).

Insbesondere ist A ist nun keine Aussageform mehr: Durch die Quantifizierung mittels zweierQuantoren sind die beiden vorher ”freien“ Variablen x und z in der Aussageform D(x, z)

gebunden worden: A ist eine wahre Aussage, denn man kann fur jedes x ∈ N (beispielsweise)z = 0 wahlen. Beachten Sie, dass jedoch die folgenden jeweils nur mittels eines Quantorsgebundenen Versionen von (1.4) nach wie vor Aussageformen sind:

B(x) := ∃ z ∈ Z : x > z (hier ist z gebunden),

C(z) := ∀x ∈ N : x > z (hier ist x gebunden).

Wahrend B(x) fur jedes x ∈ N wahr ist (sonst ware auch A nicht wahr, klar?!) ist C(0) wahr,aber C(1) falsch. Uberlegen Sie sich, fur welche anderen Werte von z die Aussageform C(z)

noch wahr ist.

Die folgenden beiden Beispiele versteht man vollig analog:

E ∃n ∈ N : ∀m ∈ 2N : n ≤ m (namlich n = 1).

F ∀n ∈ N : ∀m ∈ N : ∃ t ∈ N : m+ n = t.Kurzer kann man das auch schreiben, indem man die Variablen mit ubereinstimmenden Varia-bilitatsbereichen, die demselben Quantor unterworfen werden, gemeinsam hinter den entspre-chenden Quantor schreibt: ∀m,n ∈ N : ∃ t ∈ N : m+ n = t.

G Sei A(x, y) := x · y = 1. Dann ist die Aussage

A1 :=∀x 6= 0 : ∃ y 6= 0 : A(x, y)

=∀x 6= 0 : ∃ y 6= 0 : x · y = 1,

1.5 Tautologien und Kontradiktionen 26

in der zunachst die Variable y und im Anschluss daran die Variable x ”gebunden“ wird, wahr(man muss nur y = 1

xwahlen, was wir ja machen konnen, da x 6= 0 ist), aber die durch

umgekehrte Bindung der Variablen entstehende Aussage

A2 :=∃ y 6= 0 : ∀x 6= 0 : A(x, y)

=∃ y 6= 0 : ∀x 6= 0 : x · y = 1

falsch, weil man fur verschiedene x-Werte auch verschiedene y−Werte verwenden muss, umx·y = 1 zu erfullen. Hieran sehen Sie, dass man die Reihenfolge von Existenz- und Allquantornicht einfach vertauschen darf! N N

R Mithilfe der genannten Quantoren lassen sich also aus Aussageformen Aussagen machen.Generell gilt, dass man durch den Einsatz eines Quantors je eine freie Variable binden kann.Hat man also eine Aussageform mit n freien Variablen, so muss man mindestens n Quantoreneinsetzen, um hieraus eine Aussage zu machen.

1.5 Tautologien und Kontradiktionen

Kommen wir noch einmal zuruck zu Beispiel 1.3: Eventuell haben Sie in der Schule anstelle derAquivalenz

3x = 57∣∣ : 3

⇔ x = 19

die Implikation

3x = 57∣∣ : 3

⇒ x = 19(1.5)

gesehen?!

Dass diese Implikation fur alle x ∈ R wahr ist, ist leicht einzusehen: Im Fall x = 19 ist 3x = 57

wahr und - nach Division beider Seiten durch 3 bzw. nach Voraussetzung - auch die rechte Aussagex = 19. Im Fall x 6= 19 ist 3x = 57 falsch - und aus etwas Falschem darf man bekanntlich allesfolgern: Die Implikation ist also auch in diesem Falle wahr.Daruber hinaus uberlegt man sich aber auch ganz leicht, dass die umgekehrte Implikation

3x = 57⇐ x = 19, (1.6)

ublicherweise eher notiert in der Form

x = 19∣∣ · 3

⇒ 3x = 57(1.7)

1.5 Tautologien und Kontradiktionen 27

ebenfalls fur alle reellen xwahr ist. Damit stellt sich die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischenden beiden Aussageformen

3x = 57⇔ x = 19

und(3x = 57⇒ x = 19) ∧ (x = 19⇒ 3x = 57︸ ︷︷ ︸

auch: 3x=57⇐x=19

),

oder allgemeiner zwischen den Aussagenp⇔ q

und(p⇒ q) ∧ ( q ⇒ p︸ ︷︷ ︸

auch: p⇐q

),

gibt: Tatsachlich ist das Symbol ⇔ fur die Aquivalenz keineswegs zufallig gewahlt worden: DieAussage p ⇔ q hat namlich fur jede mogliche Belegung der Aussagenvariablen p und q mit ei-nem der Wahrheitswerte w oder f den gleichen Wahrheitswert wie die entsprechende Version von(p ⇒ q) ∧ (q ⇒ p). In Tabelle 1.9 lasst sich das einfach ablesen (3. und 6. Spalte). Die Aussagep ⇔ q ist also wahr, wenn die Aussage p die Aussage q impliziert und die Aussage q die Aussagep impliziert; ist diese Konjunktion nicht wahr, so ist auch p ⇔ q falsch. Daher zeigt der Impli-kationspfeil im Aquivalenzsymbol in beide Richtungen. Sprachlich wird dieser Tatsache durch diealternativen Formulierungen p gilt genau dann, wenn q gilt oder p gilt dann und nur dann, wenn qgilt Rechnung getragen (siehe Tabelle 1.4).

p q p⇔ q p⇒ q q ⇒ p (p⇒ q) ∧ (q ⇒ p) (p⇔ q)⇔((p⇒ q) ∧ (q ⇒ p)

)

w w w w w w w

w f f f w f w

f w f w f f w

f f w w w w w

Tabelle 1.9: Zur Bedeutung der Aquivalenz.

Durch die letzte Spalte der Wahrheitstafel in Tabelle 1.9 wird ubrigens belegt, dass die Aquivalenzp ⇔ q aquivalent ist zu der Konjunktion (p ⇒ q) ∧ (q ⇒ p), denn die Aussagen p ⇔ q und(p ⇒ q) ∧ (q ⇒ p) haben ja fur jede mogliche Kombination von w und f fur p und q den gleichenWahrheitswert. Genauso richtig ware es aber auch zu sagen, dass (p ⇒ q) ∧ (q ⇒ p) aquivalentist zu p ⇔ q (klar?!); daher sagt man allgemeiner auch, dass die beiden Aussagen p ⇔ q und(p⇒ q)∧ (q ⇒ p) (logisch) aquivalent zueinander sind. Und damit haben wir auch schon ein erstesBeispiel fur eine Tautologie behandelt: Bevor wir diesen Begriff definieren, mussen wir aber erstnoch klaren, was eine aussagenlogische Formel ist:

1.5 Tautologien und Kontradiktionen 28

R Unter einer aussagenlogischen Formel versteht man einen Ausdruck, in dem Aussagenva-riablen und Wahrheitswerte 20 (also w oder f ) durch aussagenlogische Junktoren verknupftsind. 21

Beispiel 1.7Seien p, q, r Aussagenvariablen, also Variablen mit Variabilitatsbereich V(p) = V(q) = w, f.Dann sind

A q ⇒ r

B p ∧ (q ∨ ¬r)

C (p⇒ q) ∧ (q ⇒ p)

D (p⇔ q)⇔((p⇒ q) ∧ (q ⇒ p)

)

E w ∨ p

aussagenlogische Formeln. Derartige Formeln werden wir im Folgenden gelegentlich mit griechi-schen Kleinbuchstaben 22 abkurzen. N

Definition 1.1 Sind mehrere Aussagenvariablen p, q, r, . . . gegeben, aus denen durch Junktion(en)aussagenlogische Formeln φ, ψ und χ gebildet werden, so nennt man

(a) φ eine Tautologie (oder allgemeingultige Aussage) genau dann, wenn φ fur alle moglichenWahrheitswerte der Aussagenvariablen p, q, r, . . . wahr ist,

(b) φ eine Kontradiktion genau dann, wenn φ fur alle moglichen Wahrheitswerte der Aussagen-variablen p, q, r, . . . falsch ist,

(c) die Aussagen χ und ψ logisch gleichwertig oder logisch aquivalent (zueinander) genaudann, wenn die Aussage χ⇔ ψ eine Tautologie ist. In diesem Fall schreibt man auch χ ≡ ψ.

R Fur die Wahrheitswertbestimmung konnen demnach logisch aquivalente Formeln durcheinan-der ersetzt werden. Sind also zum Beispiel ϕ, ψ, χ und τ aussagenlogische Formeln, fur dieϕ ≡ ψ und χ ≡ τ gilt, so ist ϕ∧χ ≡ ψ∧ τ . Dies ist eine ganz wichtige Beobachtung, von derwir im Folgenden noch sehr oft Gebrauch machen werden! Insbesondere wird uns diese Tat-sache ermoglichen, auf den ersten Blick recht komplizierte aussagenlogische Formeln durchsehr viel einfachere zu ersetzen.

20Die Wahrheitswerte konnen hier als konstante Aussagenvariablen interpretiert werden.21Analog verstehen wir unter einer Zahlformel einen Ausdruck, in dem Zahlvariablen durch Rechenoperationen

und/oder (Un-)Gleichheitszeichen verknupft sind.22 Da die lateinischen Buchstaben fur die Bezeichnungen in der Mathematik oft nicht ausreichen, verwendet man auch

das griechische Alphabet, und zwar die großen wie die kleinen Buchstaben! Machen Sie sich also mit der Schreibweiseund Aussprache vertraut (siehe Tabelle 1.10).

1.5 Tautologien und Kontradiktionen 29

Name Kleinbuchstabe GroßbuchstabeAlpha α A

Beta β B

Gamma γ Γ

Delta δ ∆

Epsilon ε, ε E

Zeta ζ Z

Eta η E

Theta θ, ϑ Θ

Iota ι I

Kappa κ K

Lambda λ Λ

Mu µ M

Nu ν N

Xi ξ Ξ

Omikron o O

Pi π Π

Rho ρ, % P

Sigma σ, ς Σ

Tau τ T

Ypsilon υ Υ

Phi φ, ϕ Φ

Chi χ X

Psi ψ Ψ

Omega ω Ω

Tabelle 1.10: Das griechische Alphabet.

Gemaß Tabelle 1.9 stellt die Formel D in Beispiel 1.7, also (p⇔ q)⇔((p⇒ q) ∧ (q ⇒ p)

), eine

Tautologie dar: In der letzten Spalte taucht ja nur der Wahrheitswert w auf. Damit konnen wir auch(p⇔ q) ≡

((p⇒ q) ∧ (q ⇒ p)

)schreiben.

Nun wollen wir weitere Beispiele fur Tautologien studieren:

Beispiel 1.8A Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten

Ein besonders einfaches Beispiel fur eine Tautologie ist, wie man anhand der Wahrheitstafel1.11 schnell erkennt, die Formel

p ∨ (¬p). (1.8)

(1.8) bezeichnet man auch als das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten, denn innerhalbder hier von uns studierten Aussagenlogik gibt es nur genau zwei Wahrheitswerte: Fur jedeAussage A gilt, dass entweder sie selbst oder ihre Negation ¬A wahr ist.

1.5 Tautologien und Kontradiktionen 30

p ¬p p ∨ ¬p

w f w

f w w

Tabelle 1.11: Wahrheitstafel fur das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten.

B Intuitiv besonders naheliegend sind die folgenden Tautologien, von denen in der Wahrheitsta-fel 1.12 exemplarisch (1.9) und (1.11) nachgewiesen werden.

p ∧ q ⇒ p (1.9)

p ∧ q ⇒ q (1.10)

p⇒ p ∨ q (1.11)

q ⇒ p ∨ q (1.12)

(p⇒ q) ∧ (p⇒ r)⇔ (p⇒ (q ∧ r)) (1.13)

(p⇒ q) ∨ (p⇒ r)⇔ (p⇒ (q ∨ r)) (1.14)

Was die anderen Aussagen betrifft, uberzeugen Sie sich bitte durch Aufstellen der entspre-

p q p ∧ q p ∨ q p ∧ q ⇒ p p⇒ p ∨ q

w w w w w w

w f f w w w

f w f w w w

f f f f w w

Tabelle 1.12: Wahrheitstafel zu (1.9) und (1.11).

chenden Wahrheitstafeln selbststandig davon, dass hier tatsachlich Tautologien vorliegen -insbesondere (1.13) und (1.14) sind dabei interessant.

R Sie sollten mir ubrigens generell nichts glauben, was ich Ihnen ohne Beweis einfachso dahin schreibe (weder hier in das Skript noch an die Tafel) - von der Richtigkeitder entsprechenden Behauptungen mussen Sie sich durch - mitunter vielleicht auch maletwas anstrengendes - Nachdenken immer selber uberzeugen!

Klavierspielen lernt man ja auch nicht, indem man einem Pianisten dabei zuschaut. . .

C Transitivitat 23 der ImplikationSind p, q und r Aussagenvariablen, so ist die Aussage

((p⇒ q) ∧ (q ⇒ r)

)⇒ (p⇒ r) (1.15)

23Das Wort Transitivitat kommt vom lateinischen Wort transitivus, was ”auf ein Objekt ubergehend“ bedeutet.

1.5 Tautologien und Kontradiktionen 31

eine Tautologie, wie man an der Wahrheitstafel 1.13 sofort sieht. Die Bedeutung dieser Formelkann gar nicht hoch genug eingeschatzt werden - Sie werden sehen, dass wir immer wiederdarauf zuruckgreifen!

p q r p⇒ q q ⇒ r (p⇒ q) ∧ (q ⇒ r) p⇒ r (p⇒ q) ∧ (q ⇒ r)⇒ (p⇒ r)

w w w w w w w w

w w f w f f f w

w f w f w f w w

f w w w w w w w

f f w w w w w w

w f f f w f f w

f w f w f f w w

f f f w w w w w

Tabelle 1.13: Zur Transitivitat der Implikation.

Ubrigens sollten Sie mal untersuchen, ob hiervon auch die Umkehrung (d.h., dass p ⇒ r dieKonjunktion (p⇒ q) ∧ (q ⇒ r) impliziert) gilt?

D Weitere einfache, aber wichtige Tautologien, die Sie teilweise sicherlich an elementare Re-chenregeln bezuglich der Addition und Multiplikation auf N erinnern, sind in Tabelle 1.14 zu-sammengefasst 24. Wir wollen uns hier nur den De Morganschen Gesetzen 25 im Detail widmen- die anderen Formeln uberprufen Sie bitte wieder selbststandig! Auf die Abtrennungsregel,auch Modus ponens 26 genannt, kommen wir in Abschnitt 1.7 zuruck.

Im ersten de Morganschen Gesetz (DMI) wird die Konjunktion negiert:

¬(p ∧ q)⇔ ¬p ∨ ¬q. (1.16)

In Worten bedeutet dies folgendes: ¬(p ∧ q) ist genau dann wahr, wenn ¬p oder ¬q wahr ist;anders ausgedruckt ist p∧q genau dann falsch, wenn p oder q falsch ist. Dies ist plausibel, wiefolgendes Beispiel verdeutlicht: Nehmen Sie einmal an, Sie wollten eine Straße uberqueren.Ist dann P := ”rechts ist frei“ undQ := ”links ist frei“, so gehen Sie sicher erst los, wenn P∧Q

24Diese Tautologien gelten alle auch dann noch, wenn man die Aussagenvariablen p, q, r durch aussagenlogischeFormeln ϕ,ψ und χ ersetzt. Eine Begrundung hierfur ist in Abschnitt A.1 im Anhang zu finden.

25AUGUSTUS DE MORGAN, ∗ 27. Juni 1806 in Madurai, Indien, † 18. Marz 1871 in London, war englischer Mathe-matiker und Mitbegrunder der formalen Logik.

26lat. modus, hier = Schlussweise und ponere = setzen, stellen, legen; modus ponens bedeutet also ”setzende Schluss-weise“; dies ist so zu verstehen, dass durch das Annehmen der Voraussetzungen p und p⇒ q die Folgerung q ”gesetzt“wird.

1.5 Tautologien und Kontradiktionen 32

Abk. Tautologie Bedeutung

(K⇔) (p⇔ q)⇔ (q ⇔ p) Kommutativitat von⇔

(K∧) (p ∧ q)⇔ (q ∧ p) Kommutativitat von ∧ t

(K∨) (p ∨ q)⇔ (q ∨ p) Kommutativitat von ∨

(A∧)((p ∧ q) ∧ r

)⇔(p ∧ (q ∧ r)

)Assoziativitat von ∧

(A∨)((p ∨ q) ∨ r

)⇔(p ∨ (q ∨ r)

)Assoziativitat von ∨

(DI)(p ∨ (q ∧ r)

)⇔((p ∨ q) ∧ (p ∨ r)

)Distributivitat I

(DII)(p ∧ (q ∨ r)

)⇔((p ∧ q) ∨ (p ∧ r)

)Distributivitat II

(DN)(¬(¬p)

)⇔ p Doppelnegation

(DMI) ¬(p ∧ q)⇔ ¬p ∨ ¬q De Morgansches Gesetz I

(DMII) ¬(p ∨ q)⇔ ¬p ∧ ¬q De Morgansches Gesetz II

(MP)(p ∧ (p⇒ q)

)⇒ q Abtrennungsregel / Modus ponens

Tabelle 1.14: Wichtige Tautologien.

gilt. Anders ausgedruckt: Sie gehen nicht los, wenn P oder Q falsch ist, also von mindestenseiner Seite ein Fahrzeug kommt. Mathematisch uberzeugen wir uns von der Richtigkeit von(1.16) mittels der Wahrheitstafel 1.15.

p q p ∧ q ¬(p ∧ q) ¬p ¬q ¬p ∨ ¬q ¬(p ∧ q)⇔ (¬p ∨ ¬q)

w w w f f f f w

w f f w f w w w

f w f w w f w w

f f f w w w w w

Tabelle 1.15: Zur Negation der Konjunktion: Das erste de Morgansche Gesetz.

Im zweiten de Morganschen Gesetz (DMII) wird die Disjunktion negiert:

¬(p ∨ q)⇔ ¬p ∧ ¬q. (1.17)

Auch hierfur gibt es zahlreiche Alltagsbeispiele: Stellen Sie sich vor, Sie erwarten einPackchen: Einer E-Mail entnehmen Sie die Information P := ”das Packchen wird am Diens-tag geliefert“ und einem Paketverfolgungsdienst, dass Q := ”das Packchen wird am Mittwochgeliefert“ richtig ist. Dann ist P ∨ Q falsch (also ¬(P ∨ Q) wahr) genau dann, wenn das

1.5 Tautologien und Kontradiktionen 33

Packchen weder am Dienstag (also ¬P ) noch am Mittwoch (also ¬Q, zusammen ¬P ∧ ¬Q)bei Ihnen ankommt.

Von der formalen Richtigkeit von (1.17) uberzeugen Sie sich bitte selbststandig.

Die de Morganschen Gesetze stellen eine Moglichkeit dar, durch Verwendung der Negationeine Konjunktion als eine Disjunktion und eine Disjunktion als eine Konjunktion darzustellen,namlich wie folgt:

p ∧ q (DN), S.32⇔ ¬(¬(p ∧ q)

)⇔ ¬(¬p ∨ ¬q),

p ∨ q (DN), S.32⇔ ¬(¬(p ∨ q)

)⇔ ¬(¬p ∧ ¬q).

Insbesondere kann man also die Formel p∨ q als eine Junktion darstellen, in der nur die Junk-toren ¬ und ∧ vorkommen. Der Vollstandigkeit halber sei ohne Beweis ein Satz angegeben,der diesen Sachverhalt verallgemeinert:

Satz 1.1 Sei φ eine aussagenlogische Formel. Dann gibt es eine zu φ logisch aquivalenteaussagenlogische Formel ψ, in der nur die Junktoren ∧ und ¬ vorkommen.

Beweis: Siehe [MM11], S. 142f. 2

E Transitivitat der AquivalenzAus der Transitivitat der Implikation konnen wir nun einfach ableiten, dass auch dieAquivalenz transitiv ist. Dies druckt sich in der folgenden Tautologie aus:

((p⇔ q) ∧ (q ⇔ r)

)⇒ (p⇔ r) (1.18)

Wegen (p⇔ q)⇒((p⇒ q) ∧ (q ⇒ p)) und (q ⇔ r)⇒

((q ⇒ r) ∧ (r ⇒ q)) impliziert die

Voraussetzung in (1.18) die Formel

((p⇒ q) ∧ (q ⇒ p)

)∧((q ⇒ r) ∧ (r ⇒ q)

),

aus der man durch mehrfaches Anwenden der⇒-Beziehung in (A∧) und (K∧) (s. S. 32) auf

((p⇒ q) ∧ (q ⇒ r)

)∧((q ⇒ p) ∧ (r ⇒ q

))

schließen kann. Nach (1.9) folgt hieraus aber zum einen, dass

(p⇒ q) ∧ (q ⇒ r),

was - wegen der Transitivitat der Implikation (siehe (1.15)) - die Implikation p⇒ r nach sichzieht, und zum anderen, dass

(r ⇒ q) ∧ (q ⇒ p),

1.5 Tautologien und Kontradiktionen 34

was die Implikation r ⇒ p nach sich zieht. Insgesamt haben wir so (wieder mit der Transiti-vitat der Implikation) gezeigt, dass

((p⇔ q) ∧ (q ⇔ r)

)⇒((p⇒ r) ∧ (r ⇒ p)

)︸ ︷︷ ︸

⇔(p⇔r)

(1.21)

gilt. Das schließt den Beweis, dass die Aquivalenz transitiv ist, ab. Ebenso, wie wir dieTransitivitat der Implikation noch sehr oft ausnutzen werden, wird uns die Transitivitat derAquivalenz viel Arbeit erleichtern! N

Nachdem Sie nun zahlreiche Tautologien behandelt haben, sollen Sie aber auch noch ein Beispielfur eine Kontradiktion kennen lernen:

Beispiel 1.9A Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch

Unter dem Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch versteht man die Formel

p ∧ (¬p). (1.22)

Unabhangig vom Wahrheitswert von p und damit erst recht unabhangig von der durch p re-prasentierten Aussage ist die Konjunktion einer Aussage und ihres Gegenteils immer falsch,wie Wahrheitstafel 1.16 zeigt.

p ¬p p ∧ ¬p

w f f

f w f

Tabelle 1.16: Wahrheitstafel fur das Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch.

R Da Tautologien aussagenlogische Formeln sind, die allein aufgrund ihrer logischen Strukturimmer wahr sind, unabhangig davon, welche Wahrheitswerte die einzelnen Bausteine der For-mel haben, bleiben derartige Konstrukte auch dann immer wahr, wenn man die einzelnen Aus-sagenvariablen, die in einer solchen Formel verknupft werden, durch Aussageformen ersetzt:Die Formel bleibt fur alle Elemente aus dem Variabilitatsbereich der Aussageform richtig. Aufdiese Weise kann man geschickt richtige Allaussagen formulieren, wie das folgende Beispielzeigt: Sei fur alle naturlichen Zahlen die Aussageform P (n) :=”n ist eine Primzahl“ defi-niert. Dann ist beispielsweise P (3) wahr, ¬P (3) falsch, P (4) falsch und ¬P (4) wahr. DieDisjunktion P (n) ∨ ¬P (n) ist aber fur jedes n wahr, da p ∨ ¬p eine Tautologie ist. Also istauch

∀n ∈ N : P (n) ∨ ¬P (n)

wahr.

1.6 Implikation und Kontraposition 35

Zum Abschluss dieses Abschnitts seien noch ein paar Worte zur Klammersetzung bei Ver-knupfungen von Aussagen bzw. Aussagenvariablen gesagt. Der Ubersichtlichkeit zuliebe treffenwir folgende Vereinbarungen:

• Klammern werden weggelassen, wenn der Wahrheitswerteverlauf der betrachteten Formel vonder Klammersetzung nicht abhangt. Beispielsweise konnen wir also wegen der Assoziativitatder Konjunktion p ∧ q ∧ r anstelle von (p ∧ q) ∧ r oder p ∧ (q ∧ r) schreiben.

• ¬ bindet starker als ∧, ∨, ⇒ und ⇔: Anstelle von (¬p) ∧ q schreiben wir also ¬p ∧ q. Zuunterscheiden hiervon ist ¬(p ∧ q)!

• ∧ und ∨ bindet starker als⇒ und⇔: Beispielsweise schreiben wir anstelle von((¬p)∨ q

)⇔

(p ⇒ q) kurzer ¬p ∨ q ⇔ (p ⇒ q). Beachten Sie, dass wir hier die hinteren Klammern nichtweglassen durfen! Wir haben ja keine Bindungspriorisierung fur⇒ und⇔ vereinbart.

1.6 Implikation und Kontraposition

Im Zusammenhang mit den de Morganschen Gesetzen haben wir die Konjunktion und die Disjunk-tion negiert. Nun wollen wir untersuchen, was es bedeutet, die Implikation zu negieren. Zunachstuberzeugen Sie sich dazu (bitte selbststandig) von folgender Tautologie:

(p⇒ q)⇔ ¬p ∨ q. (1.23)

Beispiel 1.10Sei P := ”ich komme mit ins Kino“ und Q := ”ich bin punktlich“. Dann ist P ⇒ Q die Aussage

”wenn ich ins Kino mitkomme, bin ich punktlich“. Was leiten Sie aus einer derartigen Informationim realen Leben ab? Wohl, dass Sie auf jeden Fall nicht lange vor dem Kino warten - wenn diebetreffende Person nicht punktlich ist, wird sie namlich gar nicht erscheinen. Anders ausgedruckt:Die Person ist punktlich oder sie kommt nicht mit ins Kino - und das entspricht der Aussage Q∨¬Pbzw. ¬P ∨Q, wie in (1.23) behauptet. N

Diese logisch aquivalente Formulierung fur p⇒ q illustriert gut, warum man die Implikation p⇒ q

als wahr definiert, wenn p falsch ist: Ist namlich p falsch, so ist ¬pwahr und damit ¬p∨q unabhangigvom Wahrheitswert von q auch wahr.

Intuitiv verstandlich ist ubrigens auch die Tautologie

¬(p⇒ q)⇔ p ∧ ¬q, (1.24)

von der man sich unter Ruckgriff auf das zweite de Morgansche Gesetz und die Doppelnegation¬(¬p) ⇔ p leicht uberzeugen kann. Folgt also nicht aus der Richtigkeit von p die von q, so istdas gleichbedeutend damit, dass p wahr und q falsch ist. Auch dies wollen wir an einem Beispielverdeutlichen:

1.6 Implikation und Kontraposition 36

Beispiel 1.11Seien Aussageformen E(k) := ”das Kuchenutensil k ist ein Besteckteil“ und F (k) := ”dasKuchenutensil k ist eine Gabel“ gegeben (der Variabilitatsbereich von k sei die Menge allerKuchenutensilien). Dann ist offensichtlich - egal, ob k nun wirklich eine Gabel ist oder nicht -F (k) ⇒ E(k) wahr. Dagegen ist zum Beispiel E(Loffel) ⇒ F (Loffel) nicht wahr. In diesem Fallist also ¬(E(Loffel)⇒ F (Loffel)) wahr (korrespondiert zur linken Seite in (1.24)). Und tatsachlichist der Loffel ein Besteckteil (E(Loffel) also wahr) und keine Gabel (¬F (Loffel) also auch wahr),was bedeutet, dass E(Loffel) ∧ ¬F (Loffel) wahr ist (korrespondiert zur rechten Seite in (1.24)).Die Implikation E(k) ⇒ F (k) ist also falsch, wenn die Voraussetzung E(k) zwar erfullt ist, dieFolgerung F (k) aber nicht eintritt. Logisch, oder? N

Nun kommen wir zur sogenannten Kontraposition, die uns eine sehr hilfreiche Beweismethode lie-fern wird:

Definition 1.2 Sind p und q aussagenlogische Variablen, so bezeichnet man die Implikation

¬q ⇒ ¬p

als die Kontraposition von p⇒ q.

Die entscheidende Tatsache ist nun die, dass eine Implikation und ihre Kontraposition logischaquivalent sind, d.h. es gilt

(p⇒ q) ≡ (¬q ⇒ ¬p). (1.25)

Mit (1.23) ist das ganz schnell einzusehen:

(p⇒ q)(1.23)≡ ¬p ∨ q (K∨)≡ q ∨ ¬p (DN)≡ ¬(¬q) ∨ ¬p (1.23)≡ (¬q ⇒ ¬p).

R Die Kontraposition ¬q ⇒ ¬p von p ⇒ q ist nicht zu verwechseln mit der Umkehrungq ⇒ p von p ⇒ q! Betrachten wir zur Illustration wieder die Aussagen aus Beispiel 1.11:Die Kontraposition der wahren Aussage F (k) ⇒ E(k) (also ”wenn k eine Gabel ist, dann istk auch ein Besteckteil“) ist die ebenso wahre Aussage ¬E(k) ⇒ ¬F (k) (also ”wenn k keinBesteckteil ist, ist es auch keine Gabel“). Die Umkehrung E(k) ⇒ F (k) ist dagegen (wieoben bereits erlautert) beispielsweise nicht richtig, wenn k ein Loffel oder ein Messer ist.

R Die Tautologie (1.25) ist der Grund fur die in Tabelle 1.1 bereits einmal erwahnte alternativeSprechweise fur die Implikation p ⇒ q: ”q ist notwendig fur p“: Gilt namlich q nicht, so giltp auch nicht, d.h., p kann hochstens gelten, wenn q auch gilt. Aber Achtung: Dass q gilt, istkeine Garantie fur die Gultigkeit von p. Letzteres ware die Aussage q ⇒ p, also genau dieUmkehrung von p⇒ q.

Und nun noch einmal alles zusammen:

p⇒ q spricht sich als ”p ist hinreichend fur q“ oder als ”q ist notwendig fur p“,

1.7 Beweistechniken 37

p⇐ q spricht sich als ”p ist notwendig fur q“ oder als ”q ist hinreichend fur p“,

p⇔ q spricht sich folglich als ”p ist notwendig und hinreichend fur q“; genauso richtigware aber auch die Formulierung ”q ist notwendig und hinreichend fur p“.

An diese Begrifflichkeiten sollten Sie sich so schnell wie moglich gewohnen!

1.7 Beweistechniken

Wir knupfen jetzt an die Einleitung an, in der bereits erwahnt wurde, dass der wohl gravierendsteUnterschied zwischen ”Uni-Mathematik“ und ”Schul-Mathematik“ die axiomatische Methode ist,nach der Mathematik wissenschaftlich betrieben wird.

A

W W

A 1

A 2

A 3 A 4

A 5

...

Abb. 1.1 Eine mathematische Theorie als Baum.

Um diese Methode zu veranschaulichen, stellen wir uns einen Baum oder einen großen Strauch vor(siehe Abbildung 1.1): Dessen Wurzelwerk umfasst alle Axiome einer mathematischen Theorie 27:Axiome sind Aussagen, die selber weder zu beweisen noch zu widerlegen sind, die aber das Initi-

27Das Wort Axiom kommt aus dem Griechischen und bedeutet als wahr angenommener Grundsatz.

1.7 Beweistechniken 38

algefuge einer durch logische Argumente aufzubauenden Theorie darstellen; sie werden sozusagenals wahr festgesetzt. Die Gesamtheit dieser Axiome bezeichnen wird in Bild 1.1 mit A bezeichnet.Im Stamm und in der Baumkrone befinden sich alle Aussagen, die sich durch logische Schlusseaus Aussagen in A ableiten lassen und die daher auch als wahre Aussagen bezeichnet werden 28.Die Gesamtheit aller wahren Aussagen bezeichnen wir als ”Wahrheiten“ und kurzen sie mit W ab(insbesondere ist also A in W enthalten). Zu jeder Aussage W aus W gibt es demnach eine KetteA1 → A2 → . . . → An → W (hierbei ist n eine nichtnegative ganze Zahl 29 - im Bild gilt n = 5)von Aussagen, an deren Ende W steht und fur deren Glieder A1, . . . , An und W , i.F. stellvertretendA genannt, jeweils eines der folgenden Kriterien erfullt ist (vgl. [Fri07], S. 28 f.):

(1.) A ist ein Axiom aus der Menge A.

(2.) A ist eine Definition. Damit fuhrt A nur eine neue Bezeichnung fur etwas bereits Bekanntesein.

(3.) A ist eine Tautologie, also eine allgemeingultige Aussage.

(4.) A entsteht aus einer bereits als wahr nachgewiesen, aus mehreren Teilen bestehenden, AussageB, indem man eine Teilaussage aus B durch eine aquivalente Aussage ersetzt. Man spricht indiesem Zusammenhang vom Ersetzungsprinzip.

(5.) Es gibt in der Kette vor A eine Aussage B und die Implikation B ⇒ A. Zur Erlauterungdieses Kriteriums sei folgendes gesagt: Es ist einfach sich zu uberlegen, dass die Implikationp∧(p⇒ q)⇒ q eine Tautologie ist (vgl. Seite 32). Diese heißt, wie in Tabelle 1.14 bereits an-gegeben, auch Abtrennungsregel (bzw. Modus ponens), weil sie es mit sich bringt, dass ausder Richtigkeit einer Aussage B und der Richtigkeit der zusammengesetzten Aussage B ⇒ A

die Richtigkeit der allein stehenden Aussage A folgt. Die Abtrennungsregel ist grundlegendfur das Fuhren sogenannter direkter Beweise. Auf die Details hierzu kommen wir in Kurze zusprechen.

(6.) A ist eine wahre Existenz-, Eindeutigkeits- oder Allaussage.

Die Kette A1 → A2 → . . . → An → W bezeichnet man dann als Beweis fur die Aussage W . Umschriftlich auszudrucken, dass W durch logische Schlusse aus dem AxiomensystemA ableitbar ist,schreibt man

A ` W.

Die mathematischen ”Wahrheiten“, also die Elemente ausW , lassen sich in zwei Kategorien eintei-len: Die Axiome und die Definitionen bedurfen keines logischen Beweises, alle ubrigen Aussagenjedoch haben den Charakter einer mathematischen Behauptung und mussen - mehr oder wenigeraufwandig - bewiesen werden. Hierfur ist grundlegend zu wissen, wie man eine Implikation A⇒ B

28Streng genommen musste man statt wahr immer wahr bezuglich des Axiomensystems A sagen.29Ist W ein Axiom ausA, so ist n = 0; da die Indizes der Kettenglieder Ai aufsteigend sind und bei 1 beginnen, kann

fur n = 0 vernunftig keine ” Vorkette“ A1 → . . . → An = A0 gebildet werden. Diese ” Unmoglichkeit“ ist so zuinterpretieren, dass die ” Vorkette“ die Lange 0 hat, also gar nicht existiert.

1.7 Beweistechniken 39

beweist: Zum einen benotigt man Implikationen, um das Ersetzungsprinzip anwenden zu konnen(wir erinnern uns daran, dass die Aquivalenz p⇔ q logisch gleichwertig ist zu der Konjunktion ausden beiden Implikationen p ⇒ q und q ⇒ p), zum anderen sind sie wesentlicher Bestandteil derAbtrennungsregel, gemaß der sehr viele Beweise gefuhrt werden. In einem zweiten Unterabschnittwerden wir uns den Beweismethoden fur Existenz- Eindeutigkeits- und Allaussagen widmen.

Bevor nun gleich auf verschiedene Beweismethoden im Detail eingegangen wird, sei noch erwahnt,dass mathematische Behauptungen meistens in Form von Satzen, manchmal auch in Form von Lem-mata30, Propositionen31 oder Korollaren32 formuliert werden (siehe dazu auch das Beispiel aufSeite 5). In der englischsprachigen Literatur werden Satze als Theoreme bezeichnet. Sehr ”kleine“Satze werden haufig auch als Behauptungen bezeichnet.

1.7.1 Zum Beweisen von Implikationen

Um nachzuweisen, dass A⇒ B eine wahre Aussage ist, muss man zeigen, dass

(a) A falsch ist

oder

(b) B wahr ist, falls A wahr ist.

Der Fall (a) ist an dieser Stelle inhaltlich uninteressant (weil hier nichts zu zeigen ist: die Implika-tion ist ja unabhangig von B wahr, wenn A nicht stimmt); daher wollen wir im Folgenden davonausgehen, dass die Pramisse A wahr ist; dann muss noch gezeigt werden, dass damit auch B gultigist. Hierfur gibt es im Wesentlichen drei verschiedene Methoden, namlich die des

(1.) direkten Beweises,

(2.) indirekten Beweises,

(3.) Widerspruchsbeweises.

Die Methoden unter 2. und 3. sind eng miteinander verwandt und werden mitunter gar nicht rich-tig unterschieden. Sie werden jedoch erkennen, dass es durchaus einen nennenswerten, vielleichtkleinen, aber feinen Unterschied gibt! Nun zu den Methoden im Einzelnen:

30Ein Lemma ist eine mathematische Aussage, die den Charakter eines Hilfssatzes hat. Die entsprechende Aussagewird also formuliert, um mit ihrer Hilfe spater einen anderen, evtl. bedeutenderen Satz zu beweisen. Das Wort Lemmaist griechischen Ursprungs, ληµµα bedeutet Einnahme, Annahme, der Plural von Lemma ist Lemmata, mitunter wirdjedoch auch von Lemmas geredet.

31Eine Proposition beinhaltet fur gewohnlich eine Aussage, auf die in dem Beweis eines nachfolgenden Satzeszuruckgegriffen wird. Das Wort ist lateinischen Ursprungs, proponere bedeutet vortragen, bekannt machen.

32Ein Korollar ist eine mathematische Aussage, die den Charakter einer Folgerung hat. Die entsprechende Aussagewird also als Konsequenz einer anderen Behauptung, meist eines Satzes, formuliert. Das Wort Korollar ist lateinischenUrsprungs, corollarium bedeutet Zugabe, Geschenk.

1.7 Beweistechniken 40

Der direkte Beweis

Zum direkten Beweis lasst sich eigentlich nicht viel sagen: Man muss eben nachweisen, dass Bwahr ist, wenn A wahr ist. Hierzu darf man zusatzlich zu der Voraussetzung A all jene Wahrheitenhinzuziehen, die bereits bewiesen sind. Mitunter lasst sich aus diesen Wahrheiten und der Voraus-setzung A jedoch nicht in einem einzigen Schritt auf B schließen. Dann schlussfolgert man aus derGultigkeit von A die Gultigkeit einer Aussage Z1, hieraus die Gultigkeit einer Aussage Z2, darausdann die Gultigkeit einer Aussage Z3 usw., bis man schließlich aus der Gultigkeit einer Aussage Znauf die Gultigkeit von B schließen kann - hierbei ist n eine nichtnegative ganze Zahl, die die Anzahlan Zwischenschritten angibt, die benotigt werden, um B aus A zu folgern (im Fall n = 0 schließtman also ohne Umwege aus A auf B). Wir demonstrieren das einmal an einem Beispiel:

Beispiel 1.12Satz 1.2 Wenn m eine reelle, von 0 verschiedene Zahl ist, ist die Gleichung mx + 3 = 5 in derUnbekannten x losbar.

Setzen wir

G := m 6= 0,

H := ∃x ∈ R : mx+ 3 = 5,

so ist die Behauptung gleichbedeutend mit der Implikation G⇒ H , die nun bewiesen werden soll:

Beweis: SeiZ1 := ∃x ∈ R : mx = 2.

Elementare Rechenregeln liefern die Richtigkeit von G ⇒ Z1; in Z1 kann man mit der Vorausset-zung namlich x = 2

mwahlen.

Die Richtigkeit der Implikation Z1 ⇒ H wird durch eine Addition von 3 auf beiden Seiten derGleichung mx = 2 begrundet.

Insgesamt haben wir damit also(G⇒ Z1) ∧ (Z1 ⇒ H) (1.26)

bewiesen. Kurzer schreibt man (1.26) ubrigens als

G⇒ Z1 ⇒ H.

Die Transitivitat der Implikation (1.15) liefert dann die gewunschte Aussage G⇒ H . 2

In der Praxis wird man den Beweis, nachdem man etwas Ubung hat, so kleinschrittig nicht aufschrei-ben - hier wurde man sich etwa auf Folgendes beschranken:

Beweis: m 6= 0⇒ ∃x ∈ R : mx = 2 (namlich x = 2m

)⇒ ∃x ∈ R : mx+ 3 = 5. 2

N

1.7 Beweistechniken 41

Es kann durchaus passieren, dass das Schließen von A nach B nicht so schnell geht das von G

nach H im vorangegangenen Beispiel, wo die Anzahl n der Zwischenschritte nur 1 betrug. Aberunabhangig von der Anzahl der durchzufuhrenden Zwischenschritte ist allen direkten Beweisen vonA⇒ B gemein, dass man die Gultigkeit vonA annimmt und hieraus durch eine Kette von logischenSchlussen und Ruckgriff auf bereits bewiesene oder bekannte Tatsachen bei der Behauptung B an-kommt. Ubrigens muss man bei diesem Vorgehen die Voraussetzung A nicht unbedingt im erstenBeweisschritt schon verwenden.Bevor wir uns der nachsten Methode widmen, wollen wir uns ein paar Gedanken zur Negation desAll- und des Existenzquantors machen: Auch wenn wir die gleich formulierten Zusammenhangean dieser Stelle noch nicht beweisen konnen 33, wird es Ihnen nicht schwer fallen, sie nachzuvollzie-hen; sie entsprechen unserer Intuition in hohem Maße! Um diese nicht zu ubergehen, beginnen wirmit einem realitatsnahen Beispiel:

Beispiel 1.13A Zunachst behandeln wir eine Allaussage: Sei

A := ”alle Studierenden (eines speziellen Kurses) haben an der

Orientierungseinheit teilgenommen“.

Die Negation dieser Aussage ist dann 34

¬A = ”es gibt (mindestens) eine(n) Studierenden (in dem speziellen Kurs), die

oder der nicht an der Orientierungseinheit teilgenommen hat“.

Wollen wir uns mit einer formalen Umsetzung dieses Beispiels versuchen, mussen wir auf(bislang nur sehr oberflachlich zur Verfugung gestellte, intuitiv aber gut verstandliche) Kennt-nisse uber den Umgang mit Mengen zugreifen: Sei S die Menge aller Studierenden des be-trachteten Kurses und fur jedes s ∈ S (also fur jede(n) spezielle(n) Studierende(n) s) dieAussageform

O(s) := ”s hat an der Orientierungseinheit teilgenommen“

definiert. Dann konnen wir A und ¬A wie folgt beschreiben:

A = ∀ s ∈ S : O(s) ¬A = ∃ s ∈ S : ¬O(s).

33Fur einen Beweis der Regeln zur Negation von Existenz- und Allquantor benotigen wir eine mengentheoretischeBegrundung dieser Quantoren und mengentheoretische Methoden, um hiermit umzugehen. In Abschnitt 2.3 wird dasnachgeholt werden.

34Manche Menschen wurden spontan vielleicht sagen, dass die Negation von A die Aussage ”alle Studierenden (desKurses) haben nicht an der Orientierungseinheit teilgenommen“ ist - tatsachlich ist dies aber nur ein sehr spezieller Fallaller durch die Negation beschriebenen Moglichkeiten. Sie mussen sich uberlegen, dass wir innerhalb einer zweiwertigenLogik operieren und A ∨ ¬A eine wahre Aussage sein muss. Wo wurden wir denn die Falle, in denen genau ein, zweioder 7 Studierende des Kurses nicht an der Orientierungseinheit teilgenommen haben, ”verstauen“ wollen, wenn es nurdie Moglichkeiten ”alle haben teilgenommen“ und ”alle haben nicht teilgenommen“ gabe?!

1.7 Beweistechniken 42

B Nun widmen wir uns einer Existenzaussage: Sei dazu

B := ”es gibt eine(n) Studierende(n), die oder der in Eimsbuttel wohnt“.

Dann ist

¬B = ”es gibt keine(n) Studierende(n), die oder der in Eimsbuttel wohnt“

⇔ ”alle Studierenden wohnen nicht in Eimsbuttel“.

Definieren wir nun fur jedes s ∈ S die Aussageform

L(s) := ”s wohnt in Eimsbuttel“,

so schreiben sich B und ¬B formal als

L = ∃ s ∈ S : L(s) ¬L = ∀ s ∈ S : ¬L(s). N

Insbesondere haben also der Allquantor und der Existenzquantor bei der Negation ihre Rollen ”ver-tauscht“!

In einem Satz, den wir mit mengentheoretischen Methoden erst in Abschnitt 2.3 beweisen konnen,halten wir die allgemeine Regel fur die Negation von Existenz- bzw. Allaussagen fest:

Satz 1.3 Ist x eine Variable mit Variabilitatsbereich V(x) und A(x) eine Aussageform, so gelten furdie Verneinung von Existenz- und Allaussagen die folgenden Regeln 35:

¬(∀x ∈ V(x) : A(x)) ⇔ ∃ x ∈ V(x) : ¬A(x), (1.29)

¬(∃x ∈ V(x) : A(x)) ⇔ ∀ x ∈ V(x) : ¬A(x). (1.30)

Beweis: Wird in Abschnitt 2.3 gefuhrt. 2

Der indirekte Beweis

Beim indirekten Beweis der Aussage p⇒ q macht man Gebrauch von der Aquivalenz (1.25):

(p⇒ q) ≡ (¬q ⇒ ¬p).

Statt p⇒ q nachzuweisen, zeigt man die Gultigkeit der logisch gleichwertigen Kontraposition ¬q ⇒¬p: Man nimmt also ¬q an und schließt hieraus durch eine Kette logischer Argumente auf ¬p.

R Der indirekte Beweis einer Aussage ist also der direkte Beweis ihrer Kontraposition.

Auch dies wollen wir einmal an einem Beispiel demonstrieren; hierbei handelt es sich um die Um-kehrung der Behauptung in Beispiel 1.12:

35Statt des ⇔-Zeichens konnte man hier auch ein ≡-Symbol verwenden, um anzuzeigen, dass die Aquivalenz furjeden Variabilitatsbereich und jede mogliche Aussageform A(x) korrekt ist!

1.7 Beweistechniken 43

Beispiel 1.14Satz 1.4 Sei m eine reelle Zahl. Wenn die Gleichung mx + 3 = 5 in der Unbekannten x losbar ist,ist m 6= 0.Verwenden wir die AbkurzungenG undH aus dem vorangegangenen Beispiel, so ist jetzt die Impli-kation H ⇒ G zu zeigen. Wir wollen das indirekt beweisen, also betrachten wir die Kontraposition

¬G⇒¬H= ” Ist m = 0, so ist die Gleichung mx+ 3 = 5 in der Unbekannten x nicht losbar.“

Die Kontraposition ¬G⇒ ¬H beweisen wir nun direkt:

Beweis:

¬G = (m = 0)⇒ ∀x ∈ R : mx+ 3 = 0x+ 3 = 3⇒⇒ ∀x ∈ R : mx+ 3 6= 5

(1.30)⇔ ¬(∃x ∈ R : mx+ 3 = 5) = ¬H. 2

N

Bemerkung 1.1 Die Kombination der Behauptungen in Beispiel 1.12 und 1.14 liefert dieAquivalenz der Losbarkeit der Gleichung mx + 3 = 5 in der Unbekannten x und der Unglei-chung m 6= 0. Denn mit G ⇒ H und H ⇒ G gilt auch G ⇔ H . Darauf werden wir gleich nochzuruckgreifen.

Der Widerspruchsbeweis

Wie bereits angedeutet, stellt der Widerspruchsbeweis eine Variante des indirekten Beweises dar:Und zwar hat man hier zusatzlich zu den Aussagen A und B noch eine Aussage Φ, von der mansicher weiß, dass sie stimmt36. Damit ist die Implikation

Φ⇒ (A⇒ B) (1.32)

dann und nur dann wahr, wenn die Implikation A ⇒ B wahr ist. Es reicht also, die Richtigkeit derImplikation (1.32) nachzuweisen. Und dies tut man indirekt, d.h. man beweist

¬(A⇒ B)⇒ ¬Φ(1.24)≡ A ∧ ¬B ⇒ ¬Φ. (1.33)

Da man zeigt, dass aus der Annahme, dass die Pramisse A die Aussage B nicht nach sich zieht,eine falsche Aussage (namlich ¬Φ) folgt, nennt man dieses Beweisverfahren Beweis durch Wi-derspruch bzw. Widerspruchsbeweis. Denn die Konklusion ¬Φ steht naturlich im Widerspruchzu der wahren Aussage Φ - Sie erinnern sich an die Kontradiktion Φ ∧ ¬Φ vom ausgeschlossenenWiderspruch?! Ubrigens wird das Ende von Widerspruchsbeweisen oder der Widerspruch innerhalbeines Widerspruchsbeweises haufig durch das Blitzsymbol gekennzeichnet.

36Diese wahre Aussage Φ ist in aller Regel nicht zu Beginn der Uberlegungen zum Beweis bekannt - auf sie stoßt manwahrend der Beweisfuhrung eher zufallig.

1.7 Beweistechniken 44

Beispiel 1.15A Zunachst einmal beweisen wir Satz 1.4, also H ⇒ G, wobei wie oben

G= (m 6= 0)

und

H= (∃x ∈ R : mx+ 3 = 5)

gilt, mittels eines Widerspruchsbeweises (oder, wie man auch sagt: durch Widerspruch): Dazugehen wir von H ∧ ¬G aus und schlussfolgern hieraus eine falsche Aussage:

Beweis: Angenommen, es existiert ein x ∈ R, sagen wir x′, mit mx′ + 3 = 5 (das ist H) undes gilt m = 0 (das ist ¬G). Dann gilt mx′ + 3 = 0x′ + 3 = 5, also 3 = 5.

Hier ist also ¬Φ = (3 = 5) und damit Φ = (3 6= 5), was ohne jeden Zweifel wahr ist. Auf Φ

sind wir tatsachlich durch die Beweisfuhrung ”gestoßen“, im Vorhinein war uns die Bedeutungder Ungleichung 3 6= 5 fur den Beweis nicht bewusst.

B Satz 1.5 Seim eine reelle Zahl. Wenn die Gleichungmx+3 = 5 in der Unbekannten x losbarist, ist die Losung eindeutig 37 bestimmt.

Mit H wie im vorangegangenen Beispiel und

F := ” die Losung der Gleichung mx+ 3 = 5 ist eindeutig“

haben wir die Implikation H ⇒ F nachzuweisen. Im Prinzip mussen wir also von H ∧ ¬Fausgehen und daraus eine falsche Aussage ableiten. Da H jedoch aquivalent ist zu G (sieheBemerkung 1.1), konnen wir nach dem Ersetzungsprinzip genauso gut von G ∧ ¬F ausgehenund daraus den Widerspruch ableiten. Das soll im Folgenden getan werden:

Beweis: Angenommen, die Gleichungmx+3 = 5 ist losbar (d.i.H), alsom 6= 0 (d.i.G), undes existieren (mindestens) zwei verschiedene Losungen x1, x2, also x1 6= x2, fur die Gleichung(d.i. ¬F ); dann gilt

mx1 + 3 = 5,

mx2 + 3 = 5.

Hieraus folgt nun mx1 + 3 = mx2 + 3, was nach Subtraktion von 3 auf beiden Seiten derGleichung zu mx1 = mx2 fuhrt. Eine weitere Subtraktion von mx2 auf beiden Seiten derGleichung und die Anwendung des Distributivgesetzes liefert dann die Identitat

m(x1 − x2) = 0. (1.34)

37Neben Existenzbeweisen spielen Eindeutigkeitsbeweise eine ganz wichtige Rolle in der mathematischen Theorie.Oft sind Existenz- und Eindeutigkeitsaussagen sogar innerhalb eines Satzes kombiniert, z. Bsp. immer dann, wenn dieExistenz einer eindeutig bestimmten Losung behauptet wird.

1.7 Beweistechniken 45

Nach Voraussetzung H , die aquivalent ist zu G, gilt m 6= 0. Also konnen wir in (1.34) durchm teilen. Das liefert

x1 − x2 = 0⇔ x1 = x2.

Die Identitat x1 = x2 steht aber im Widerspruch zu der Voraussetzung, dass es zwei verschie-dene Losungen zu der Gleichung gibt.

Damit muss unsere Voraussetzung ¬(H ⇒ F ) ≡ (H ∧ ¬F ) falsch gewesen sein - und dieImplikation H ⇒ F also korrekt! In diesem Fall hat man also aus der Aussage H ∧¬F auf F ,und damit insbesondere auf ¬Φ := ¬F ∧ F geschlossen. Damit gilt hier Φ = F ∨ ¬F , was,unabhangig von der speziellen Bedeutung von F , wahr ist.

Der Vollstandigkeit halber sei auch noch ein indirekter Beweis fur die letzte Behauptung, alsoH ⇒ F angegeben:

Beweis: Angenommen, es gibt zwei verschiedene Losungen x1 6= x2 ∈ R (das ist ¬F ). Dannfolgt aus mx1 + 3 = 5 = mx2 + 3 die Gleichheit m(x1 − x2) = 0, die - wegen x1 − x2 6= 0 -die Gleichung m = 0 nach sich zieht 38. Doch m = 0 ist ¬G und damit aquivalent zu ¬H . 2

N

Wenngleich der Widerspruchsbeweis an dieser Stelle vielleicht noch etwas unubersichtlich erscheint,sollten Sie sich mit der genauen Struktur dieser Methode intensiv auseinandersetzen; denn gegenuberden anderen beiden Methoden hat der Widerspruchsbeweis einen bedeutenden Vorteil:Obwohl manA⇒ B zeigen will und eigentlich ja nur eine Voraussetzung, namlichA, zur Verfugunghat, kann man wahrend des Beweises die zweite Aussage ¬B verwenden.Außerdem ist zu beachten, dass man im Vorhinein nicht wissen muss, wie Φ zu definieren ist. Diese

” große Unbekannte“ , die das Verfahren im Moment vielleicht noch etwas undurchsichtig erscheinenlasst, offenbart sich im Laufe des Beweises fur gewohnlich ganz von alleine.

R Unter Anfangerinnen und Anfangern wird zwischen indirektem Beweis und Widerspruchs-beweis oft nicht ganz sorgfaltig unterschieden. Wahrend sie beim indirekten Beweis von ¬Bausgehen, um ¬A nachzuweisen, gehen sie beim Widerspruchsbeweis von ¬B∧A aus, um ei-ne falsche Aussage herbeizufuhren. Sollte diese falsche Aussage darin bestehen, dass sie ¬Aschlussfolgern (was ja nicht sein darf, weil sie von A ausgegangen waren), war der Beweisnur dann wirklich ein Widerspruchsbeweis, wenn Sie die Aussage A bei der Beweisfuhrungwirklich verwendet haben! Wenn Sie einfach nur aus ¬B auf ¬A schließen konnten, war derBeweis indirekt!

Um Ihnen die Differenzierung zwischen den verschiedenen Beweismethoden zu erleichtern, sindin Tabelle 1.17 die wichtigsten Charakteristika der drei Beweismethoden fur Implikationen nocheinmal zusammengefasst:

38Ware x1 − x2 = 0, so durfte durch diese Differenz nicht geteilt werden.

1.7 Beweistechniken 46

Methode nachzuweisende Implikation

direkter Beweis A⇒ B

indirekter Beweis ¬B ⇒ ¬A

Widerspruchsbeweis A ∧ ¬B ⇒ ¬Φ (wobei Φ eine wahre Aussage ist)

Tabelle 1.17: Methoden zum Beweisen von Implikationen.

1.7.2 Zum Beweisen von Existenz-, Eindeutigkeits- und Allaussagen

Existenzaussagen

Fur den Beweis einer Existenzaussage der Form ∃x ∈ V(x) : A(x) ist ein entsprechendes Ele-ment a ∈ V(x) mit der gewunschten Eigenschaft A(a) anzugeben: Mit unserer oben eingefuhrtenSchreibweise ` fur die Ableitbarkeit aus dem Axiomensystem lasst sich die Beweisregel wie folgtdarstellen:

Wenn A ` a ∈ V(x)

und A ` A(a)

, dann A ` ∃ x ∈ V(x) : A(x).

Beispiel 1.16Behauptung: ∃ z ∈ Z : z3 − z2 + z = −39.

Beweis: Wir wissen, dass a := −3 eine ganze Zahl ist. Fur dieses a ist A(a) := z3 − z2 + z = −39

wahr. 2

Gibt es ubrigens noch andere Moglichkeiten fur die Wahl von a? N

Allaussagen

Ein ahnliches Schema wie fur Existenzaussagen lasst sich auch fur Allaussagen der Form ∀x ∈V(x) : A(x) aufstellen:

Wenn A ` x ∈ V(x)⇒ A(x) (mit einem Beweis, der von x gar nicht abhangt bzw. fur alle x

gleichermaßen gilt),

dann A ` ∀x ∈ V(x) : A(x).

Auch hierzu betrachten wir ein Beispiel:

Beispiel 1.17Satz 1.6 Wenn z eine gerade Zahl ist, so ist z2 auch eine gerade Zahl.Formaler wurde die Behauptung so formuliert werden:

∀ z ∈ Z : z gerade ⇒ z2 gerade. (1.37)

1.7 Beweistechniken 47

Wichtig ist, dass Sie erkennen, dass der Satz eine Aussage darstellt, die nicht nur fur irgendeinespezielle gerade Zahl gilt, sondern fur alle beliebigen geraden Zahlen! In der formalen Fassung(1.37) erkennt man das ubrigens viel besser als in der prosaischen Variante! Es reicht also nichtzu zeigen, dass mit −2 auch (−2)2 = 4, mit 4 auch 42 = 16 gerade ist etc. - nein, Sie mussen diespezielle Struktur einer beliebigen, aber festen geraden Zahl auszunutzen, um zu zeigen, dass derenQuadrat auch immer gerade ist. Dazu definieren wir jetzt erst einmal ganz prazise, was ”gerade“(oder ”geradzahlig“) uberhaupt bedeutet:

Definition 1.3 Eine ganze Zahl z ∈ Z heißt gerade (oder geradzahlig) :⇔ ∃ k ∈ Z : z = 2k.

Hier bedeutet das Symbol :⇔ (ahnlich wie das Symbol :=, mittels dem eine Gleichheit definiertswurde), dass die Aquivalenz der linken und der rechten Seite von :⇔ hier definiert, also festgesetzt,wird. Dem prosaischen Begriff ”gerade“ wird auf diese Weise eine formale Eigenschaft zugewie-sen, die den Begriff ”charakterisiert“ und mit der man im Folgenden, wie Sie gleich sehen werden,gut ”rechnen“ kann. (Versuchen Sie sich ubrigens bitte mal selbst an einer Definition des Begriffsungerade (oder ungeradzahlig).)

Um nun zu zeigen, dass die Implikation (z gerade ⇒ z2 gerade) wirklich fur jede ganze Zahlz korrekt ist, wahlen wir uns jetzt eine ganze Zahl z aus, von der wir sagen, dass sie beliebig,aber fest ist. Das soll heißen, dass wir nicht etwa das konkrete Element −17 oder das konkre-te Element 23 auswahlen, sondern ein abstraktes Element, das jedes konkrete sein kann! Nunkann dieses Element z ungerade oder gerade sein: Wenn es ungerade ist, also aus der Menge. . . ,−5,−3,−1, 1, 3, 5, . . . kommt, ist die Voraussetzung ”z gerade“ falsch; und damit ist die Im-plikation (z gerade ⇒ z2 gerade) in diesem Fall trivial 39 Also brauchen wir nur noch den Fall zubetrachten, in dem z gerade und damit die Voraussetzung ”z gerade“ wahr ist: Wir fassen unsereUberlegungen in einem kompakten Block zusammen, dabei werden oberhalb der Aquivalenzpfeilemitunter die Begrundung fur die Richtigkeit des Implikationspfeils notiert:

z geradeDef. ”gerade“⇒ ∃ k ∈ Z : z = 2k

z=2k⇒z2=(2k)2⇒ ∃ k ∈ Z : z2 = (2k)2

Potenzgesetz⇒ ∃ k ∈ Z : z2 = 22 · k2elem. Arith.⇒ ∃ k ∈ Z : z2 = 2 · 2k2

⇒ ∃ l ∈ Z : z2 = 2 · l (namlich l = 2k2)Def. ”gerade“⇒ z2 gerade.

Aufgrund der Transitivitat (1.15) der Implikation folgt aus dieser Kette von Implikationen die Rich-tigkeit von

z gerade⇒ z2 gerade. (1.38)

39lat. trivialis = jedermann zuganglich, altbekannt; als trivial bezeichnen Mathematiker eine Schlussfolgerung, dieals sehr leicht zu erfassen angesehen wird. Die Einschatzung daruber, was trivial ist und was nicht, ist aber naturlich sehrsubjektiv. Gerade Anfangerinnen und Anfanger sollten mit dieser Begrifflichkeit außerordentlich vorsichtig umgehenund im Zweifel lieber einen Beweisschritt zu viel als zu wenig ausfuhren. In diesem Zusammenhang mochte ich Ihnendas lesenswerte Buch Das ist o. B. d. A. trivial! von ALBRECHT BEUTELSPACHER, [Beu09], empfehlen.

1.7 Beweistechniken 48

Da wir bei der Begrundung von (1.38) nirgendwo die konkrete Form von z verwendet haben, sondernden Beweis fur ein beliebiges gerades z durchgefuhrt haben, konnen wir hieraus die Allaussage

∀ z ∈ . . . ,−4,−2, 0, 2, 4, . . . : z gerade ⇒ z2 gerade (1.39)

folgern; wie oben bereits erortert, ist

∀ z ∈ . . . ,−3,−1, 1, 3, . . . : z gerade ⇒ z2 gerade (1.40)

aber auch wahr (falsche Pramisse!). Die Zusammensetzung von (1.39) und (1.40) liefert dann dieBehauptung (1.37). N

Sofern es um Allaussagen der Form ∀n ∈ N : A(n) geht und kein fur alle naturlichen Zahlen ngleichermaßen gultiger Beweis fur A(n) zu fuhren ist, kann das Beweisprinzip der vollstandigenInduktion, das in direktem Zusammenhang zur Definition der Menge der naturlichen Zahlen stehtund im folgenden Abschnitt kurz vorgestellt wird, von großer Bedeutung sein. Sie werden zahlreicheGelegenheiten haben, dieses uberaus wichtige Beweisverfahren zu uben und anzuwenden.

R Sehr wichtig ist an dieser Stelle folgende Bemerkung: Will man eine Allaussage ∀x ∈ W(x) :

A(x) widerlegen (also zeigen, dass sie falsch ist), so reicht es aus, ein sogenanntes Gegen-beispiel anzugeben; hierunter versteht man ein Element aus W(x), fur das A(x) falsch ist.Betrachten wir zur Verdeutlichung mal die Aussage

R := ∀x ∈ Z : x2 > 0.

Um zu beweisen, dass R falsch ist, also ¬R wahr ist, mussen wir wegen

¬R = ∃x ∈ Z : ¬(x2 > 0)⇔ ∃x ∈ Z : x2 ≤ 0

(siehe (1.29) in Satz 1.3) mindestens ein Element x ∈ Z angeben, fur das die Eigenschaftx2 > 0 nicht gilt: Hierfur konnen wir x = 0 wahlen; in diesem Fall ist also 0 ∈ Z dasGegenbeispiel.

Diese Bemerkung ist so wichtig, weil Anfangerinnen und Anfanger mitunter dazu neigen, ma-thematische Behauptungen ganz allgemein durch Angabe von Beispielen beweisen zu wollen:Die Angabe eines (Gegen-)Beispiels reicht aber nur aus, um

– Existenzaussagen zu beweisen oder

– Allaussagen zu widerlegen.

Um die Allaussage∀n ∈ N : n ≤ n2

zu beweisen, reicht es nicht aus, zu zeigen, dass 1 ≤ 1 = 12, 2 ≤ 4 = 22, 3 ≤ 9 = 32, . . .. Soviel mussen Sie bis hierher verstanden haben!

1.7 Beweistechniken 49

Eindeutigkeitsaussagen

Eine Eindeutigkeitsaussage stellt in gewissem Sinn eine Kombination aus einer Existenz- und einerAllaussage dar. Fur den Beweis von ∃1 x ∈ V(x) : A(x) ist namlich ein Element, nennen wir esa ∈ V(x) anzugeben, so dass A(a) ∧ ∀x ∈ V(x) mit x 6= a : ¬A(x) gilt.Formal sieht das wie folgt aus:

Wenn A ` a ∈ V(x)

und A ` A(a)

und A ` ∀x ∈ V(x) mit x 6= a : ¬A(x)

, dann A ` ∃1 x ∈ V(x) : A(x).

Beispiel 1.18Satz 1.7 ∃1 x ∈ Z : x2 = 0.

Beweis: Fur die ganze Zahl x = 0 ist x2 = 02 = 0. Fur jede andere ganze Zahl x ∈ Z, also x 6= 0,

gilt x2 = |x|2 = |x| · |x||x|>0> 0 · 0 = 0, also insbesondere ¬(x2 = 0). 2

N

1.7.3 Vollstandige Induktion - ein Beweisverfahren fur Allaussagen uber N

Gegeben sei eine Allaussage der Form

∀n ∈ N : A(n). (1.42)

Falls man die Implikation n ∈ N ⇒ A(n) durch einen fur alle n ∈ N gleichermaßen gultigen Be-weis verifizieren kann, folgt hieraus sofort die Gultigkeit von (1.42). Mitunter ist dies aber nichtmoglich! Alternativ kann man dann versuchen, eine sogenannte vollstandige Induktion durch-zufuhren. Bevor wir hierzu ein mathematisches Beispiel betrachten, wollen wir ein Gedankenexpe-riment durchfuhren, das die Funktionsweise des Verfahrens ganz gut veranschaulichen sollte:

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Klasse mit unendlich vielen Schulerinnen und Schulern undwollen die gesamte Klasse mit Hilfe einer Telefonkette uber einen Unterrichtsausfall am nachstenMorgen informieren. Fur die Durchfuhrung dieser Telefonkette sind die Schulerinnen und Schulerzu Anfang des Schuljahres durchnummeriert und damit beauftragt worden, im gegebenen Fall dieje-nige Person anzurufen und zu informieren, deren Nummer auf die eigene Nummer folgt (zugegebe-nermaßen realitatsfern gehen wir bei diesem Experiment davon aus, dass es moglich ist, dass an ei-nem Nachmittag unendlich viele Telefonate gefuhrt werden und dass jede(r) Schuler(in) ihren/seinenNachfolger(in) tatsachlich erreicht).

Was mussen Sie nun als Lehrperson tun, wenn Sie alle Schulerinnen und Schuler informiert wissenwollen, sich dabei aber ganz sicher darauf verlassen konnen, dass jedes Klassenmitglied seinenAuftrag ausfuhrt?

1.7 Beweistechniken 50

Abb. 1.2 Telefonkette zur Veranschaulichung des Beweisverfahrens der vollstandigen Induktion.

Nun, als Lehrperson mussen Sie nur die Schulerin bzw. den Schuler mit der Nummer 1 informieren.Diese(r) ruft dann nach Voraussetzung die Nummer 2 an, diese nach Voraussetzung die Nummer 3etc. In Abbildung 1.2 ist dies veranschaulicht worden.

Um die Situation zu formalisieren, definieren wir die Aussageform

A(n) := ”die/der Schuler(in) mit der Nummer n wird informiert“

mit der Variablen n und Variabilitatsbereich V(n) = N.Die Tatsache, dass sich die Lehrperson ganz sicher darauf verlassen kann, dass jedes Klassenmit-glied seinen Auftrag ausfuhrt (also die Person mit der nachfolgenden Nummer informiert, sobald esselber informiert worden ist), bedeutet formal folgendes:

∀n ∈ N : A(n)⇒ A(n+ 1).

Wenn nun das erste Kind von der Lehrperson angerufen und informiert wird, ist auch A(1) wahr undman hat insgesamt die Aussage

T :=(A(1) ∧

(∀n ∈ N : A(n)⇒ A(n+ 1)

)).

Entscheidend ist der nun folgende logische Zusammenhang 40:

Behauptung: T ⇒ (∀n ∈ N : A(n)).

Beweis: Die Implikation T ⇒ A(1) ist offensichtlich. Weiter gilt, wenn man nur den Allaussa-genteil fur n = 1 auswahlt

T ⇒(A(1) ∧

(A(1)⇒ A(2)

)) Modus ponens=⇒ A(2).

40Die in der Behauptung formulierte Schlussfolgerung ist das letzte der sogenannten PEANO-Axiome zur Definitionder Menge der naturlichen Zahlen, das sogenannte Induktionsaxiom; wenn man dieses Axiom ”kennt“, ist hier also garnichts zu beweisen. Der hier dennoch angedeutete Beweis erfullt den Zweck, nachzuvollziehen, inwiefern das Induk-tionsaxiom die naturlichen Zahlen charakterisiert. Uber die PEANO-Axiome werden wir zu einem spateren Zeitpunktnoch genauer sprechen.

1.7 Beweistechniken 51

Doch wenn T die AussageA(2) impliziert, impliziert es auch (Allaussagenteil fur n = 2 auswahlen)

T ⇒(A(2) ∧

(A(2)⇒ A(3)

)) Modus ponens=⇒ A(3).

Ganz analog zeigt man so, dass T ⇒ A(3), T ⇒ A(4) etc., insgesamt also tatsachlich

T ⇒ (∀n ∈ N : A(n))

gilt. 2

Um die Allaussage ∀n ∈ N : A(n) nachzuweisen, ist es also essentiell,

(I) A(1) und

(II) die Allaussage ∀n ∈ N : A(n)⇒ A(n+ 1)

nachzuweisen. Um (II) zu verifizieren, wahlt man ein beliebiges n ∈ N aus und zeigt, dass A(n)⇒A(n + 1) wahr ist. Im Prinzip besteht das hier vorgestellte Beweisverfahren der vollstandigen In-duktion also aus zwei Schritten; oftmals wird der zweite Schritt jedoch noch einmal unterteilt in dieFormulierung der sogenannten Induktionsvoraussetzung A(n) und den sogenannten Induktions-schluss: Das ist der Nachweis von A(n + 1) (unter Verwendung von A(n)). Insgesamt erhalt manso das folgende Schema:

Schema zur vollstandigen Induktion:Induktionsanfang (kurz: IA (n = 1)):Man beweist A(1).

Induktionsvoraussetzung (kurz: IV):Fur ein beliebiges aber festes n ∈ N sei A(n) wahr.

Induktionsschluss (kurz: IS (n → n+ 1)):Man zeigt, dass fur das feste n aus der IV (mit A(n)) auch A(n+ 1) gilt.

Das Verfahren werde nun an einer sehr beruhmten Formel, die der Legende nach von CARL FRIED-RICH GAUSS 41 im Alter von neun Jahren entdeckt wurde, demonstriert:

Satz 1.8 (Gaußsche Summenformel) ∀n ∈ N :n∑

i=1

i := 1 + 2 + 3 + . . .+ n =n(n+ 1)

2.

Beweis (durch vollstandige Induktion): Fur alle n ∈ N ist hier A(n) :=

(n∑i=1

i = n(n+1)2

).

IA: Hier ist A(1) nachzuweisen: Setzt man n = 1, so gilt zum einen

n∑

i=1

i =1∑

i=1

i = 1,

41CARL FRIEDRICH GAUSS ∗ 30.4.1777, † 23.2.1855, ist einer der beruhmtesten Mathematiker der Weltgeschichte.

1.7 Beweistechniken 52

zum anderen aber auchn(n+ 1)

2=

1 · 22

= 1.

Also ist die Formel fur diesen Spezialfall gultig.

IV: Fur ein beliebiges n ∈ N gelte sA(n), d.h. es ist

n∑

i=1

i =n(n+ 1)

2.

IS (n → n+ 1): Nun ist zu zeigen, dass

A(n+ 1) =

(n+1∑

i=1

i =(n+ 1)((n+ 1) + 1)

2

)

gilt; dazu durfen wir A(n) verwenden: Es ist

n+1∑

i=1

i = (1 + 2 + . . .+ n) + (n+ 1)

=n∑

i=1

i+ (n+ 1)

IV=n(n+ 1)

2+ (n+ 1)

=n(n+ 1) + 2(n+ 1)

2

=(n+ 1)(n+ 2)

2

=(n+ 1)

((n+ 1) + 1

)

2. 2

Vielleicht erscheint Ihnen diese kurze Charakterisierung mathematischer Beweismethoden sehr ab-strakt - vor dem Hintergrund, dass Sie aller Wahrscheinlichkeit nach in der Schule mit derartigenDenkmethoden noch nicht konfrontiert worden sind, ist das auch gut nachvollziehbar! Ich wollteIhnen aber dennoch einmal moglichst genau erklart haben, was es heißt, eine mathematische Be-hauptung zu beweisen. Fur die Praxis wird Ihnen viel Ubung deutlich mehr nutzen als die hiesigenAusfuhrungen. Und von daher werden Sie in den Hausaufgaben noch viel Gelegenheit bekommen,das Beweisen zu trainieren! Wichtig ist jedoch in jedem Fall, dass Sie sich jedes Mal sehr sorgfaltiguberlegen, was eigentlich die Pramisse und was die Konklusion in den von Ihnen zu bearbeitendenBeweisaufgaben sind.

Kapitel 2

Mengen

Nun ist es an der Zeit, den schon mehrfach genannten Begriff der Menge genauer unter die Lupezu nehmen. Nachdem wir den Begriff definiert haben, werden wir lernen, wie man mit Mengen

”rechnen“ kann und dabei feststellen, dass es eine ganz enge Verbindung zwischen Mengen undAussagen gibt. Im Prinzip lasst sich namlich jeder logische Zusammenhang in die Mengenspracheubersetzen und umgekehrt. Aufgrund dieses Dualismus ist es auch nicht zwingend erforderlich, eineEinfuhrung in die Grundlagen der Mathematik mit dem Thema Logik zu beginnen; genauso gutkonnte man mit dem Thema Mengenlehre beginnen und die Ergebnisse hierzu spater in logischeAusdrucke ubersetzen. Beispielsweise in [Kie13] wird so vorgegangen.

2.1 Grundlegende Begriffe

Eine genaue Definition des Mengenbegriffs konnen und wollen wir an dieser Stelle nicht vornehmen;der Aufwand hierfur stunde in keinem Verhaltnis zu dem Nutzen, den wir daraus ziehen konnten.Wir halten es hier eher wie mit den Aussagen: Wir wollen mit Mengen umgehen konnen, ohne unsganz genau festzulegen, was eine Menge eigentlich ist. Fur unser Verstandnis ist die folgende, aufden großen deutschen Mathematiker GEORG CANTOR 1 zuruckgehende Festlegung ausreichend 2:

1GEORG FERDINAND LUDWIG PHILIPP CANTOR, ∗ 1845 in Sankt Petersburg, † 1918 in Halle an der Saale, gilt alsder Begrunder der Mengenlehre.

2Innerhalb der CANTORSCHEN Mengenlehre, die auch als naive Mengenlehre bezeichnet wird, ist es moglich,Mengen zu definieren, die zu widerspruchlichen Aussagen (Antinomien) fuhren. Ein Beispiel fur eine solche Menge istdie sogenannte Russellsche Menge R (benannt nach dem Logiker BERTRAND RUSSELL, der uns im Zusammenhangmit der Definition von Aussagen schon begegnet ist, s. S. 11): Die Russellsche Menge enthalt alle Mengen, die sich nichtselbst als Element enthalten; formal: R := x : x ist Menge ∧ x /∈ x. Wenn man nun der Frage nachgeht, ob R inR enthalten ist, folgt aus der Annahme, dass es so ist - also R ∈ R gilt -, dass R /∈ R aufgrund der Definition von R.Das kann also nicht richtig sein. Aus der Annahme, dass R /∈ R folgt aber, dass R ∈ R, wieder aufgrund der Definitionvon R. Insgesamt hat man somit fur die Russellsche Menge R die Kontradiktion R ∈ R ⇔ R /∈ R nachgewiesen, dieauch als Russellsche Antinomie bezeichnet wird. Die Bildung derartig ”unvernunftiger“ Mengen muss innerhalb einerwiderspruchsfreien Mengentheorie naturlich ausgeschlossen werden. Die Axiomatisierung einer solchen Theorie ist denMathematikern ERNST ZERMELO (∗ 1871, † 1953) und ADOLF FRAENKEL (∗ 1891, † 1965) zu Beginn des 20. Jh.gelungen; innerhalb dieser sogenannten axiomatischen Mengenlehre ist die Russellsche Menge keine Menge (sieheauch http://de.wikipedia.org/wiki/Naive_Mengenlehre).

53

2.1 Grundlegende Begriffe 54

R Eine Menge ist eine Zusammenfassung von wohlbestimmten und wohlunterschiedenen Ob-jekten unseres Denkens oder unserer Anschauung zu einem Ganzen. 3

Statt von Objekten spricht man heute von Elementen einer Menge. In CANTORs Festlegung bedeutet

• wohlbestimmt, dass es eindeutig feststellbar ist, ob ein Objekt/Element x zu einer Menge Mgehort (in Zeichen: x ∈M , in Worten: ”x ist Element vonM“) oder nicht (in Zeichen: x /∈M ,in Worten: ”x ist nicht Element von M“),

• wohlunterschieden, dass jedes Objekt/Element maximal einmal in einer Menge vorkommt.

Schauen wir uns erstmal ein paar Beispiele an:

Beispiel 2.1A Die Menge aller Studienanfangerinnen und Studienanfanger an der Uni Hamburg im Winter-

semester 2013/14.

B Die Menge N der naturlichen Zahlen.

C Die Menge aller geraden ganzen Zahlen.

D Die Menge aller Studierenden, die heute mit dem Fahrrad zum Geomatikum gekommen sind.

E Die Menge aller Buchstaben, aus denen das Wort MATHEMATIK gebildet wird. N

Die mathematische Darstellung einer Menge kann auf verschiedene Weisen erfolgen: Besondersschon ist der Fall, in dem dies mittels einer Aussageform (siehe Abschnitt 1.3) moglich ist: Dazusei A(x) eine Aussageform in einer 4 freien Variablen x mit Variabilitatsbereich V(x). Dann schreibtsich die Menge M aller Elemente x, fur die die Aussage A(x) wahr ist, als

M = x ∈ V(x) : A(x). (2.1)

Man sagt, M ist die Menge aller x mit (der Eigenschaft) A(x) und nennt M auch denGultigkeitsbereich von A(x). Insbesondere gilt so fur alle x ∈ V(x):

A(x)⇔ x ∈M, ¬A(x)⇔ x /∈M. (2.2)

R Beachten Sie, dass - anders als bisher - A(x) in der Mengendefinition (2.1) nicht nur als Aus-sage (x ist ja hinter dem Doppelpunkt fest, also ist A(x) eine Aussage), sondern als wahreAussage interpretiert wird; anstelle der vielleicht unmissverstandlicheren, aber langlicherenFormulierung x ∈ V(x) : A(x) ist wahr beschreibt man die Menge nur wie in (2.1) an-gegeben. Diese Interpretation werden wir im Folgenden der Ubersichtlichkeit halber auch in

3Diese Festlegung ist wieder keine Definition im eigentlichen mathematischen Sinne, da der neue Begriff Mengenicht auf schon vorher definierte und damit bekannte Begriffe zuruckgefuhrt wird. So ist beispielsweise nicht prazisegeklart, was Objekte unseres Denkens oder unserer Anschauung uberhaupt sind.

4Zu Aussageformen in mehreren Variablen korrespondieren ebenfalls Mengen; diese sind jedoch regelhaft Teil-mengen sogenannter kartesischer Produkte von Mengen. Da wir diesen Begriff erst spater kennen lernen werden, be-schranken wir uns hier erst einmal auf Aussageformen in einer Variablen.

2.1 Grundlegende Begriffe 55

anderen Situationen ubernehmen. Haben wir also bisher immer gesagt/geschrieben, dass ”dieAussage A wahr ist“, so formulieren wir anstelle dessen kunftig nur noch ”A gilt“ oder - nochkurzer - ”A“. Wenn Sie schriftlich ausdrucken wollen, dass die Summe aus 5 und 3 die Zahl 8ergibt, so schreiben Sie ja auch nur die Gleichung 5 + 3 = 8 auf und nicht den Satz 5+3=8 isteine wahre Aussage. Mit anderen Worten: Von allen Aussagen nehmen wir zukunftig - sofernnicht ausdrucklich etwas anderes gesagt wird - an, dass sie wahr sind!

Beispiel 2.2A R+ := x ∈ R : x > 0 (das ist die Menge aller positiven reellen Zahlen); hier ist V(x) = R

und A(x) = (x > 0).

B 2Z := z ∈ Z : ∃ k ∈ Z : z = 2k (das ist die Menge aller geraden ganzen Zahlen); hier istV(x) = Z und A(x) = (∃ k ∈ Z : x = 2k).

C 3N0+1 := x ∈ N : 3 teilt x−1 (das ist die Menge aller naturlichen Zahlen, die beim Teilendurch 3 den Rest 1 lassen); hier ist V(x) = N und A(x) = ”3 teilt x− 1“. N

R Statt x ∈ Z : ∃ k ∈ Z : x = 2k schreibt man haufig kurzer 2k : k ∈ Z. Analog konnteman z. Bsp die Menge aller ganzen Zahlen, die beim Teilen durch 4 den Rest 3 lassen, durchz ∈ Z : ∃k ∈ Z : z = 4k + 3 oder durch 4k + 3 : k ∈ Z =: 4Z + 3 beschreiben.

Alternativ kann man bestimmte Sorten von Mengen durch Aufzahlung aller oder wenigstens einigerihrer Elemente zu beschreiben versuchen; in diesem Fall schreibt man die Elemente (durch Kommatavoneinander getrennt) zwischen die sogenannten Mengenklammern und .Beispiel 2.3

A M := 1, 3, 5, 7, 9 ist die Menge aller ungeraden Zahlen zwischen 0 und 10.

B M,A, T,H,E, I,K ist die Menge aus Beispiel 2.1 D .

C G := 1, 2, 3, . . . , 999 998, 999 999, 106 ist eine Darstellung fur die Menge aller naturlichenZahlen, die kleiner oder gleich 1 Million sind.Alternativ schreibt man hierfur G = k : k = 1, . . . , 106 oder G = k ∈ N : k ≤ 106.Nur genau eine dieser Darstellungen ist exakt? Welche ist das? Und warum?

D N := 1, 2, 3, 4, 5, . . . ist eine Darstellung fur die Menge der naturlichen Zahlen. N

Enthalt eine Menge endlich viele Elemente - man spricht dann von einer endlichen Menge -, kannman die Menge auf diese Weise zumindest im Prinzip exakt beschreiben (siehe Beispiele A , B

).

In Fallen, in denen die Menge viele Elemente enthalt, ist eine derartige Darstellung aber oft zuaufwandig: Man erleichtert sich dann die Arbeit, indem man (an einer oder mehreren geeignetenStelle(n)) Fortsetzungspunkte . . . einfuhrt und stillschweigend an die Leserin bzw. den Leser appel-liert, diese in der gewunschten Weise zu deuten. Dass dies nicht unproblematisch ist, sehen Sie amfolgenden Beispiel: In 1, 2, 3, . . . , 7, 8, 9wurden Sie . . . vermutlich als die Folge 4, 5, 6 interpretie-ren, in a, b, c, . . . , j, k, l aber wohl eher als d, e, f, g, h, i. Ein und dasselbe Symbol, . . . , bedeutet

2.1 Grundlegende Begriffe 56

demnach ja nach Kontext etwas anderes. Um Missverstandnisse zu vermeiden, werden die Fort-setzungspunkte daher nur relativ selten eingesetzt. Abgesehen von dieser Doppeldeutigkeit konnenDarstellungen wie 1, . . . , 9 namlich auch noch dahingehend problematisch sein, dass in diesemFall zu ”offen“ bleibt, ob hier die naturlichen Zahlen zwischen 1 und 9 oder nur die ungeradenVertreter gemeint sind.Das Verfahren der Aufzahlung wird mitunter auch fur Mengen mit unendlich vielen Elemen-ten, sogenannte unendliche Mengen, angewendet (siehe Beispiel D

). In solch einem Fall

kann die Aufzahlung naturlich gar nicht vollstandig sein! Auch hier ist es also ganz wich-tig, dass die Fortsetzungspunkte zweifelsfrei gedeutet werden konnen; anhand des Beispiels1, 4, 71, 714, 6541, 59024, . . . sehen Sie, dass es unerlasslich sein kann, zusatzliche Informationenuber die Definition einer Menge zu liefern, wenn man nur einige wenige Elemente explizit auflistenkann 5. Und wenn Sie versuchen, die unendliche Menge der reellen Zahlen durch Auflistung ihrerElemente zu beschreiben, werden Sie sicherlich schnell merken, dass hierbei noch ganz andere Pro-bleme auftreten 6. (In Abschnitt 2.6 werden wir ubrigens lernen, wie man besonders interessanteTeilmengen der reellen Zahlen, die sogenannten Intervalle, effizient beschreiben kann.)

Trotz all der hier genannten Schwierigkeiten ist es mitunter naheliegend, eine Menge durchAufzahlung zu ”definieren“. Wenn man sich der dabei potentiell auftretenden Schwierigkeiten be-wusst ist, stellen diese regelhaft auch kein Problem mehr dar.

R Auf die Reihenfolge kommt es bei der Auflistung der Elemente in einer Menge nicht an!So beschreibt beispielsweise 1, 2, 3, 4, 5 genau die gleiche Menge wie 5, 3, 1, 4, 2 (siehedazu auch Definition 2.1 zur Gleichheit zweier Mengen).

R Die Elemente in einer Menge sind wohlunterschieden, d.h., dass jedes Element in einer Men-ge nur einmal vorkommt:

1, 1, 2 stimmt also mit 1, 2 uberein!

Dies erklart auch, warum in Beispiel 2.3 B der Buchstabe M in der Menge nur einmal auf-taucht, obwohl er in dem Wort MATHEMATIK zweimal vorkommt.

Nachdem der Mengenbegriff nun geklart ist, sollen eine Reihe mengentheoretischer Begriffe ein-gefuhrt werden, die uns das ”Rechnen“ mit Mengen ermoglichen. Viele dieser Begriffe und derdamit im Zusammenhang stehenden Aussagen korrespondieren unmittelbar zu Begriffen und Zu-sammenhangen, die wir in Kapitel 1 behandelt haben. Damit wirft dieser Dualismus ein ganz neuesLicht auf bereits bekannte Inhalte.

5Um zu sehen, welche Menge im angegeben Beispiel gemeint ist, bilden Sie mal fur n = 1, 2, 3, . . . die Ausdrucke32n − 5n; im Gegensatz zu der im Text angegebenen Darstellung ist die Beschreibung x ∈ N : ∃n ∈ N : x =

32n − 5n = 32n − 5n : n ∈ N eindeutig6Wenngleich sowohl N als auch R unendlich sind, gibt es doch einen sehr wichtigen, von CANTOR entdeckten,

Unterschied zwischen diesen beiden ”Unendlichkeiten“: man unterscheidet abzahlbar unendliche von uberabzahlbarunendlichen Mengen. An spaterer Stelle kommen wir hierauf im Detail zuruck.

2.1 Grundlegende Begriffe 57

Die zunachst folgende Definition formalisiert einen (aus der Schule evtl. schon bekannten) Begriff,mit dem Mengen in Relation7 zueinander gesetzt werden konnen: die Inklusion oder Teilmengen-beziehung: Logisch entspricht diesem Begriff die Implikation.

Definition 2.1 Seien M,N beliebige Mengen. Dann gilt

(a) M ⊆ N :⇔ ∀x : x ∈ M ⇒ x ∈ N ; in Worten: M ist enthalten in N oder M ist Teilmengevon N ,

(b) M = N :⇔M ⊆ N ∧N ⊆M ; in Worten: M ist gleich N ,

(c) M ⊂ N :⇔ M ⊆ N ∧ ¬(M = N); in Worten: M ist echt enthalten in N oder M ist eineechte Teilmenge von N .

Bemerkung 2.1 Beachten Sie, dass aus der Definition der Mengengleichheit unter (b) und derAquivalenz (p⇒ q) ∧ (q ⇒ p) ≡ p⇔ q folgt, dass fur zwei beliebige Mengen M und N gilt:

M = N ⇔ (∀x : x ∈M ⇔ x ∈ N).

Damit entspricht die Gleichheit von Mengen logisch der Aquivalenz.

Anschaulich gesprochen ist eine Menge M Teilmenge einer Menge N , wenn jedes Element, das inM liegt, auch in N liegt. Diese Teilmengenbeziehung lasst sich mittels eines sogenannten Venn-Diagramms 8 gut veranschaulichen: In Abbildung 2.1 sind die Mengen M und N durch geome-trische Figuren (hier: Ellipsen; es konnten aber auch Kreise, Rechtecke etc. sein) veranschaulichtworden. Die Tatsache, dass jedes Element aus M auch in N enthalten ist, druckt sich dadurch aus,dass die M darstellende Figur innerhalb der N darstellenden Figur liegt.

Abb. 2.1 Venn-Diagramm zur Teilmengenbeziehung.

7Das ist nicht nur umgangssprachlich zu verstehen, wir werden den Begriff der Relation im folgenden Kapitelmathematisch definieren und sehr genau studieren.

8JOHN VENN,∗ 4. August 1834 in Drypool, † 4. April 1923 in Cambridge, war ein englischer Mathematiker, dersich vornehmlich mit Logik und Wahrscheinlichkeitstheorie beschaftigte. Der Vorteil, den Venn-Diagramme gegenuberanderen gelaufigen Mengendiagrammen haben, ist der, dass sie alle moglichen Relationen der vertretenen Mengendarstellen. Daher sind sie in gewissem Sinne, obwohl es sich um Bilder handelt (die fur gewohnlich nur Spezialfalledarstellen), als Beweismittel geeignet.

2.1 Grundlegende Begriffe 58

Nach Definition 2.1 sind zwei Mengen M und N gleich, wenn sie genau die gleichen Elementeenthalten, d.h., dass jedes Element, das in M vorkommt, auch in N enthalten ist, und jedes Element,das zu N gehort, auch in M enthalten ist. Sind zwei Mengen M und N nicht gleich, so schreibtman M 6= N anstelle von ¬(M = N). Anwendung des ersten DE MORGANschen Gesetzes auf dieDefinition der Mengengleichheit liefert, dass in diesem Falle entweder M keine Teilmenge von N ,in Zeichen M * N , oder N keine Teilmenge von M , also N * M , ist (klar?!). Ersteres bedeutetnach den Regeln fur die Negation einer Allaussage, dass es mindestens ein x gibt, so dass x ∈ M ,aber nicht x ∈ N gilt, zweiteres wurde entsprechend die Existenz eines x mit x ∈ N ∧ x /∈ M

bedeuten (sorgfaltig gepruft?!).

Beispiel 2.4A Die Menge aller weiblichen Erdenburgerinnen ist eine Teilmenge der Menge aller Er-

denburgerinnen und Erdenburger.

B Ist M := 2N := x ∈ N : ∃ k ∈ N : x = 2k = 2, 4, 6, 8, 10, . . . die Menge aller geradennaturlichen Zahlen, so gilt M ⊆ N und M ⊂ N.

C Es gilt N ⊂ N0 ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R ⊂ C. 9

D Es gilt z ∈ Z : z2 = 1 = 1,−1. Uberlegen Sie sich ganz sorgfaltig, wieso das so ist! N

R Vielfach wird in der Literatur anstelle des Symbols⊆ das Symbol⊂ und anstelle des Symbols⊂ das Symbol ( verwendet (z. Bsp. auch in [Fri07]). In Analogie zu der Bedeutung der ≤ -bzw. < -Zeichen, bei denen nur im ersten Fall auch eine Gleichheit vorliegen kann, verwendeich jedoch ausschließlich die in Definition 2.1 angegebene Notation.

R In Analogie zu den Symbolen ⊆ und ⊂ verwendet man die Symbole ⊇ und ⊃. Hierbei istA ⊇ B gleichbedeutend mit B ⊆ A und A ⊃ B gleichbedeutend mit B ⊂ A. Man nennt Adann eine (echte) Obermenge von B.

R Aufgrund der Definition ist jede Menge Teilmenge von sich selbst! Darauf kommen wir imnachsten Abschnitt noch einmal zuruck.

R Die Elementbeziehung ∈ und die Inklusion ⊆ muss man sehr genau voneinander unterschei-den! So gilt z. Bsp. 1 ∈ N und 1 ⊆ N, 1 ∈ N hingegen ist falsch!

Als nachstes wird eine ganz besondere Menge vorgestellt, die sogenannte leere Menge: Sei da-zu M die Menge aller Studierenden, die an dem Modul Grundlagen der Mathematik teilnehmen

9Die Menge R der reellen Zahlen setzt sich zusammen aus der Menge Q der sogenannten rationalen Zahlen undder Menge der irrationalen Zahlen. Eine Zahl x ist rational, wenn sie sich als Bruch darstellen lasst, d.h., dass zweiganze Zahlen m und n mit n 6= 0 existieren, so dass x = m

n ist. Z. Bsp. sind 0.8 = 45 und 0.3 = 1

3 rationale Zahlen. Eineirrationale Zahl kann nicht als Bruch dargestellt werden; Beispiele fur irrationale Zahlen sind

√2, π und e. Auf den

Unterschied zwischen rationalen und irrationalen Zahlen werden wir noch ausfuhrlich zu sprechen kommen. Die MengeC der sogenannten komplexen Zahlen ist Ihnen vielleicht aus der Schule gar noch nicht vertraut. Auch ihr werden wiruns spater noch im Detail widmen.

2.1 Grundlegende Begriffe 59

und deren Korpergroße mindestens 3 m betragt. Da es (derzeit noch) keine Studierenden mit dieserKorpergroße gibt, gibt es auch kein Element in M ; man sagt, die Menge M ist leer. Dafur schreibtman 10

M = oder M = ∅.Etwas gewohnungsbedurftig - mit den Erkenntnissen aus Kapitel 1 aber im Einklang - ist die Tatsa-che, dass die leere Menge Teilmenge jeder anderen Menge ist:

Satz 2.1 Sei M eine beliebige Menge. Dann gilt ∅ ⊆M .

Beweis: Gemaß Definition 2.1 gilt ∅ ⊆M :⇔ ∀ x : x ∈ ∅ ⇒ x ∈M . Da x ∈ ∅ fur alle x falsch ist,ist die Implikation x ∈ ∅ ⇒ x ∈M fur alle x richtig. 2

R Insbesondere gilt also auch ∅ ⊆ ∅.Unabhangig von dieser vielleicht zunachst etwas kurios erscheinenden Eigenschaft der leeren Mengewerden wir ihre Existenz noch sehr zu schatzen lernen!

In Definition 2.1 haben Sie gesehen, dass die (logische) Implikation zur (mengentheoretischen) Teil-mengenbeziehung korrespondiert. Auch fur die Negation gibt es mengentheoretisch eine Entspre-chung, die sogenannte Komplementbildung. Um dies zu verstehen, schauen wir uns die Gleichun-gen (2.1) und (2.2) nochmal an: Die Menge

M := x ∈ V(x) : A(x) (2.3)

ist eine Teilmenge von V(x), denn jedes Element, das in M enthalten ist, ist per Definition von Mauch in V(x) enthalten, siehe Abbildung 2.2. Die Menge derjenigen Elemente aus V(x), die nichtzu M gehoren (in Abbildung 2.2 schraffiert dargestellt) heißt das Komplement 11 von M und wirdmit M c bezeichnet: Wegen (2.3) ist demnach

M c := x ∈ V(x) : ¬A(x);anders ausgedruckt:

∀x ∈ V(x) : (x ∈M c :⇔ ¬A(x)) (2.4)

Nun haben wir gelernt, dass man eine Menge M nicht nur uber Aussageformen definieren kann,sondern beispielsweise auch uber eine Aufzahlung; dann stellt sich die Frage nach der Zugehorigkeitder Elemente, die nicht zu M gehoren, erneut. Dem Variabilitatsbereich entspricht im allgemeinenFall eine sogenannte Grundmenge, mitunter wird diese auch Ausgangsmenge genannt. Damit liestsich die Definition des Komplements dann wie folgt:

Definition 2.2 Ist G eine beliebige Menge 12 (im Folgenden auch oft Grundmenge genannt) und Meine Menge mit M ⊆ G, so ist das Komplement von M (bzgl. G), in Zeichen M cG oder kurzer 13

M c, definiert als die Menge M c := x ∈ G : x /∈M.10Die beiden Darstellungen werden in der Literatur zu etwa gleichen Anteilen genutzt. Wir werden sie ebenfalls beide

verwenden.11lat. complere = ausfullen, vervollstandigen, vollenden; complementum = Vervollstandigung(smittel)12Vorzugsweise ist die Grundmenge G nicht leer, die Definition gilt aber auch fur den Sonderfall G = ∅; dann ist

allerdings die einzige Menge, die in G enthalten ist, selber die leere Menge und es ist ∅c = ∅.13In aller Regel wird klar sein, bzgl. welcher Grundmenge die Komplementbildung vorzunehmen ist. Daher wird man

in den allermeisten Fallen den Index G am Komplement−c weglassen.

2.1 Grundlegende Begriffe 60

Abb. 2.2 Venn-Diagramm zur Komplementbildung: Die schraffiert dargestellte Menge ist dasKomplement von M , genannt M c.

Benutzt man fur die Menge M die vielleicht etwas unubersichtliche, aber formal korrekte Schreib-weise M = x ∈ G : x ∈ M, so sticht die Komplementaritat von M und M c besonders schon insAuge:

M = x ∈ G : x ∈M und M c = x ∈ G : x /∈M.

Beispiel 2.5A Sei G := 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 eine Grundmenge und P := 2, 3, 5, 7 die Menge aller

Primzahlen in G. Dann ist P cG = P c = 1, 4, 6, 8, 9, 10 die Menge aller Elemente aus G, diekeine Primzahlen sind.

B Sei A := 2, 4, 6, 8, 10, . . . die Menge aller geraden naturlichen Zahlen. Dann ist AcN =

1, 3, 5, 7, 9, 11, . . . die Menge aller ungeraden naturlichen Zahlen. Dagegen ist AcZ =

. . . ,−3,−2,−1, 0, 1, 3, 5, 7, 9, 11, . . . die Menge, die alle negativen ganzen Zahlen, die 0

und alle ungeraden naturlichen Zahlen enthalt. N

Wir schließen diesen Abschnitt mit einer Definition, die fur den Spezialfall endlicher Mengen vollignaturlich ist und lediglich, was die Notation betrifft, der Rede Wert erscheint. Sie geht auf GEORG

CANTOR zuruck und halt, was den Fall nicht endlicher Mengen betrifft, noch Uberraschungen furuns bereit. Diese werden wir aber erst zu einem spateren Zeitpunkt diskutieren. In diesem Sinnewerden wir die folgende Definition dann auch noch prazisieren.

Definition 2.3 Es sei M eine Menge, die leer ist oder nur endlich viele Elemente enthalt. Dann be-zeichnet man mit 14 |M | die Anzahl der Elemente vonM . Die Große |M | nennt man die Machtigkeit(oder Kardinalitat) von M .

Beispiel 2.6A |2, 4, 6, 8, 10| = 5

B |∅| = 0

14Mitunter wird statt |M | auch #M geschrieben.

2.2 Potenzmenge 61

C |M,A, T,H,E,M,A, T, I,K| = 7

D |x ∈ R : x3 = x| = 3 (wieso?!) N

2.2 Potenzmenge

Bislang konnte der Eindruck entstanden sein, dass Elemente von Mengen selber keine Mengen sindbzw. sein konnen; dies ist aber falsch! Die sogenannte Potenzmenge einer Menge enthalt sogar nurMengen als Elemente:

Definition 2.4 Ist M eine beliebige Menge, so ist die Potenzmenge P(M) von M definiert als dieMenge aller Teilmengen von M ; es ist also

P(M) := A : A ⊆M.

R Es gilt alsoA ∈ P(M)⇔ A ⊆M.

Beispiel 2.7A Sei M = x. Dann ist P(M) = ∅, x.

B Es gilt P(∅) = ∅.

C Ist M = 0, 1, so ist P(M) = ∅, 0, 1,M. Weiter ist in diesem Fall

P(P(M)) =∅, ∅, 0, 1, M,∅, 0, ∅, 1, ∅,M, 0, 1, 0,M, 1,M,∅, 0, 1, ∅, 0,M, ∅, 1,M, 0, 1,M,P(M). N

Am letzten Beispiel wird deutlich, dass die Anzahl der Elemente einer Potenzmenge P(M) mitwachsender Anzahl von Elementen in M schnell ansteigt. In den Ubungen werden Sie hierzu fol-genden Zusammenhang nachweisen:

Satz 2.2 Ist M eine Menge mit n ∈ N0 Elementen, so enthalt P(M) genau 2n Elemente.

Beweis: Ubung. 2

Damit enthalt P(1, 2, . . . , 10) also schon 210 = 1024 Elemente!

Der Umgang mit der Potenzmenge ist fur Anfangerinnen und Anfanger manchmal nicht ganz leicht;ganz sauber muss in diesem Kontext zwischen Teilmengen und Elementen unterschieden werden,kann doch - je nach Situation - eine Menge sowohl das eine als auch das andere sein. Aber ganz be-sonders fur die elementare Wahrscheinlichkeitstheorie ist ein sicherer Umgang mit diesem Konstruktunerlasslich!

2.3 Mengen-Algebra 62

2.3 Mengen-Algebra

Durch Definition 2.1 haben die logischen Konstrukte Implikation und Aquivalenz eine mengentheo-retische Entsprechung, die Inklusion und die Mengengleichheit, bekommen. Der logischen Negationkonnten wir als duales Konzept die Komplementbildung gegenuberstellen. Bleibt nun nur noch dieFrage, auf welche Art und Weise die logischen Junktionen Konjunktion und Disjunktion in der Theo-rie der Mengen Ausdruck finden. Diese Frage soll im vorliegenden Abschnitt beantwortet werden.Wir werden feststellen, dass die im Zusammenhang mit der Logik fur Konjunktion und Disjunkti-on bewiesenen Gesetzmaßigkeiten Kommutativitat, Assoziativitat und Distributivitat (siehe Tabelle1.14), deren Gultigkeit fur die Addition und Multiplikation reeller Zahlen uns aus der Schulzeit sovertraut ist, auch fur die entsprechenden Operationen auf Mengen gelten und diesen Aspekt derMengenlehre daher als Mengen-Algebra bezeichnen.

Definition 2.5 Seien M,N beliebige Mengen. Dann heißt

(a) M ∩N := x : x ∈M ∧ x ∈ N der (Durch-)Schnitt von M und N ,

(b) M ∪N := x : x ∈M ∨ x ∈ N die Vereinigung von M und N .

Abb. 2.3 Venn-Diagramm zum (Durch-)Schnitt.

Diese beiden Begrifflichkeiten lassen sich uber Venn-Diagramme gut veranschaulichen: In Abbil-dung 2.3 ist der Durchschnitt zweier Mengen M und N dargestellt: Die eingefarbte Flache, diesowohl zur Menge M als auch zur Menge N gehort, stellt den Schnitt M ∩N dar 15.In Abbildung 2.4 ist analog die Vereinigung zweier Mengen M und N dargestellt (als eingefarbteFlache).

Beispiel 2.8Sei M := 1, 3, 5, 7, 9, . . . , 17, 19 die Menge aller ungeraden naturlichen Zahlen zwischen 0 und20, N := 3Z := 3z : z ∈ Z = . . . ,−9,−6,−3, 0, 3, 6, 9, . . . die Menge aller durch 3 teilbarenganzen Zahlen und P := 2, 3, 5, 7 die Menge aller Primzahlen zwischen 1 und 10.

15Mitunter wird M ∩N auch als Schnittmenge von M und N bezeichnet.

2.3 Mengen-Algebra 63

Abb. 2.4 Venn-Diagramm zur Vereinigung.

Dann gilt

M ∩N = 3, 9, 15,M ∩ P = 3, 5, 7,N ∩ P = 3,M ∪N = . . . ,−9,−6,−3, 0, 1, 3, 5, 6, 7, 9, 11, 12, 13, 15, 17, 18, 19, 21, 24, . . .,M ∪ P = 1, 2, 3, 5, 7, 9, 11, . . . , 19,N ∪ P = . . . ,−9,−6,−3, 0, 2, 3, 5, 6, 7, 9, 12, 15, 18, . . ..

N

Der folgende Satz enthalt erste wichtige Aussagen uber die Schnitt- und Vereinigungsbildung. Bevorwir ihn formulieren, sei jedoch noch eine wichtige Tatsache festgehalten, auf die wir innerhalb dernachfolgenden Beweise gelegentlich zuruckgreifen mussen.

Bemerkung 2.2 Ist x eine Variable mit Variabilitatsbereich V(x) und sind A(x) und A′(x) Aussa-geformen mit M := x ∈ V(x) : A(x) und M ′ = x ∈ V(x) : A′(x), so gilt

M = M ′ ⇔ (∀x : x ∈M ⇔ x ∈M ′)⇔(∀x ∈ V(x) : A(x)⇔ A′(x)

).

Satz 2.3 Es seien M,N und P beliebige Mengen. Dann gilt

(K∩) M ∩N = N ∩M Kommutativitat des (Durch-)Schnitts

(K∪) M ∪N = N ∪M Kommutativitat der Vereinigung

(A∩) (M ∩N) ∩ P = M ∩ (N ∩ P ) Assoziativitat des (Durch-)Schnitts

(A∪) (M ∪N) ∪ P = M ∪ (N ∪ P ) Assoziativitat der Vereinigung

Beweis:

2.3 Mengen-Algebra 64

(K∩) Wegen der Kommutativitat der Konjunktion (siehe (K∧) auf Seite 32) ist (x ∈M ∧x ∈ N)⇔(x ∈ N ∧ x ∈M). Daraus folgt aber mit Bemerkung 2.2 sofort, dass

M ∩N = x : x ∈M ∧ x ∈ N = x : x ∈ N ∧ x ∈M = N ∩M.

(K∪) Der Beweis verlauft analog zu dem in (K∩). Schreiben Sie ihn selber auf!

(A∩) Gemaß (A∧) auf Seite 32 ist die Konjunktion assoziativ, d.h., es gilt (p∧ q)∧ r ≡ p∧ (q ∧ r).Damit folgt die Assoziativitat der Schnittbildung aus der Definition von ∩ und Bemerkung2.2:

(M ∩N) ∩ P = x : x ∈ (M ∩N) ∧ x ∈ P= x : x ∈ x : x ∈M ∧ x ∈ N ∧ x ∈ P= x : (x ∈M ∧ x ∈ N) ∧ x ∈ P= x : x ∈M ∧ (x ∈ N ∧ x ∈ P )= x : x ∈M ∧ x ∈ x : x ∈ N ∧ x ∈ P= x : x ∈M ∧ x ∈ (N ∩ P )= M ∩ (N ∩ P ).

In Anbetracht der Irrelevanz der Klammern schreibt man anstelle von (M ∩ N) ∩ P = M ∩(N ∩ P ) kurzer auch M ∩ N ∩ P (analog hatte man im Fall von Aussagen A ∧ B ∧ C statt(A ∧B) ∧ C und A ∧ (B ∧ C) geschrieben).

(A∪) Analog wie (A∩). 2

Die Assoziativitat der Schnitt- und Vereinigungsbildung bringt es mit sich, dass fur jedes n ∈ Nauch Schnitte und Vereinigungen der Form

M1 ∪ . . . ∪Mn = x : x ∈M1 ∨ . . . ∨ x ∈Mn = x : ∃i ∈ 1, . . . , n : x ∈Mi (2.6)

bzw.

M1 ∩ . . . ∩Mn = x : x ∈M1 ∧ . . . ∧ x ∈Mn = x : ∃i ∈ 1, . . . , n : x ∈Mi (2.7)

definiert sind: Formal praziser schreibt man fur die Vereinigung in (2.6)n⋃

i=1

Mi

und fur den Schnitt in (2.7) entsprechendn⋂

i=1

Mi.

Auch Venn-Diagramme konnen fur mehr als zwei Mengen angefertigt werden 16: So zeigt Abbildung2.5 beispielhaft den Durchschnitt M ∩N ∩ P der drei Mengen M,N und P .

16Hierbei muss man allerdings sagen, dass entsprechende Darstellungen fur n ≥ 5 leicht unubersichtlich werden,siehe zum Beispiel http://de.wikipedia.org/wiki/Venn-Diagramm, Zugriffsdatum: 31. Januar 2014.

2.3 Mengen-Algebra 65

Abb. 2.5 Venn-Diagramm zum Schnitt dreier Mengen.

Nachdem wir nun das Kommutativ- und das Assoziativgesetz fur die Konjunktion und die Disjunk-tion in die Sprache der Mengen ubersetzt haben, soll dies auch fur die Distributivgesetze nachgeholtwerden:

Satz 2.4 Es seien M,N und P Mengen. Dann gelten folgende Distributivgesetze:

(DI) M ∪ (N ∩ P ) = (M ∪N) ∩ (M ∪ P ) Distributivitat I

(DII) M ∩ (N ∪ P ) = (M ∩N) ∪ (M ∩ P ) Distributivitat II.

Beweis: Den Beweis erbringen Sie in den Ubungen. Veranschaulichen Sie sich diese Gleichheitenjeweils durch ein Venn-Diagramm. 2

R Aus der Schule kennen Sie das Distributivgesetz in der Form a · (b + c) = a · b + a · c (hier-bei sind a, b, c beliebige reelle Zahlen). Die Rollen von · und + durfen hierbei jedoch nichtvertauscht werden: im Allgemeinen (kurz: i. A.) ist namlich a + (b · c) 6= (a + b) · (a + c) 17!Dass das Distributivgesetz fur ∩ und ∪ in beiden Varianten gilt, ist also durchaus etwas Be-sonderes; man sagt in diesem Zusammenhang, dass die Menge aller Teilmengen einer Menge,ausgestattet mit der Vereinigungs- und Schnittbildung, eine sogenannte Boolsche Algebra 18

bildet. Uber vergleichbare Strukturen werden wir kunftig noch sehr viel lernen.

Ein verallgemeinertes Distributivgesetz fur Vereinigungen und Schnitte uber mehr als zwei Mengenist im folgenden Satz formuliert:

17Die Formulierung ”im Allgemeinen“ zeigt an, dass es durchaus Zahlen a, b und c geben kann, fur die a+ (b · c) =

(a+ b) · (a+ c) ist (fallen Ihnen welche ein?). Die Allaussage ∀ a, b, c : a+ (b · c) = (a+ b) · (a+ c) ist aber falsch!Um dies zu belegen, reicht es, ein Beispiel fur a, b und c anzugeben, welches die Gleichheit nicht erfullt!

18 GEORGE BOOLE, ∗ 2. November 1815, † 8. Dezember 1864, war ein englischer Mathematiker, Logiker und Phi-losoph, der zunachst als Lehrer tatig war, aufgrund seiner wissenschaftlichen Erfolge aber bald zum Professor berufenwurde.

2.3 Mengen-Algebra 66

Satz 2.5 Sind A,M1,M2,M3, . . . Mengen, so gilt ∀n ∈ N:

(M1 ∪M2 ∪ . . . ∪Mn) ∩ A = (M1 ∩ A) ∪ (M2 ∩ A) ∪ . . . ∪ (Mn ∩ A),

(M1 ∩M2 ∩ . . . ∩Mn) ∪ A = (M1 ∪ A) ∩ (M2 ∪ A) ∩ . . . ∩ (Mn ∪ A).

Beweis: Ubung. 2

Es folgen weitere wichtige Gleichheiten fur Schnitte bzw. Vereinigungen von Mengen:

Satz 2.6 Es sei G eine beliebige Grundmenge und M ⊆ G. Dann gilt

(a1) M ∩G = M

(a2) M ∪G = G

(b1) M ∩ ∅ = ∅

(b2) M ∪ ∅ = M

(c1) M ∩M c = ∅ Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch

(c2) M ∪M c = G Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten.

Beweis:(a1) Zunachst uberlegt man sich mittels einer Wahrheitstafel, dass die Implikation (p ⇒ q) ⇒(

(p ∧ q) ⇔ p)

fur beliebige Aussagenvariablen p und q eine Tautologie ist. Dann definiertman, ahnlich wie oben, fur alle x ∈ G die Aussagen M(x) := x ∈ M und G(x) := x ∈G. Nach Voraussetzung ist M ⊆ G, d.h. M(x) ⇒ G(x) fur alle x wahr. Gemaß der obengenannten Tautologie ist dann aber auch (M(x)∧G(x))⇔M(x) richtig. Damit folgt wiederaus Bemerkung 2.2

M ∩G = x : x ∈M ∧ x ∈ G = x : M(x)∧G(x) = x : M(x) = x : x ∈M = M.

(a2) Zunachst uberlegt man sich, dass die Implikation (p ⇒ q) ⇒((p ∨ q) ⇔ q

)eine Tautologie

ist. Mit M(x) und G(x) wie in (a1) gilt dann, da M(x) ⇒ G(x) nach Voraussetzung, gemaßder zuletzt genannten Tautologie die Aquivalenz (M(x) ∨G(x))⇔ G(x). Diese impliziert

M ∪G = x : x ∈M ∨ x ∈ G = x : M(x) ∨G(x) = x : G(x) = x : x ∈ G = G.

(b1) Da x ∈ ∅ falsch ist fur alle x ∈ G, ist auch x ∈M ∧ x ∈ ∅ falsch fur alle x ∈ G. Daraus folgtM ∩ ∅ = x : x ∈M ∧ x ∈ ∅ = = ∅.

(b2) Da x ∈ ∅ falsch ist fur alle x ∈ G, ist x ∈ M ∨ x ∈ ∅ wahr genau dann, wenn x ∈ M gilt.Daraus folgt M ∪ ∅ = x : x ∈M ∨ x ∈ ∅ = x : x ∈M = M .

(c1) Nach Voraussetzung ist M ⊆ G, d.h. es gilt x ∈ M ⇒ x ∈ G. Da die Formel p ∧ ¬p eineKontradiktion ist (vgl. S. 34), folgt mit M(x) wie oben, dass ¬M(x)= x /∈M und daraus dieGleichheit M ∩M c = x : x ∈ M ∧ x ∈ x ∈ G : x /∈ M = x ∈ G : x ∈ M ∧ x /∈M = ∅.

2.3 Mengen-Algebra 67

(c2) Wieder gilt x ∈ M ⇒ x ∈ G nach Voraussetzung. Da die Formel p ∨ ¬p eine Tautologie ist(siehe dazu die Bemerkung auf Seite 29), folgt mitM(x) wie in (c1) die GleichheitM∪M c =

x : x ∈M ∨ x ∈ x ∈ G : x /∈M = x ∈ G : x ∈M ∨ x /∈M = x ∈ G = G. 2

R Die Aussage (a1) in Satz 2.6 entspricht logisch der Tautologie p ∧ w ≡ p, (a2) entsprichtp ∨w ≡ w, (a3) korrespondiert zu p ∧ f ≡ f und (a4) entspricht p ∨ f ≡ p.

Nun wollen wir weitere Mengenbeziehungen ableiten. Dazu ubersetzen wir weitere der im Kapitel1 aufgestellten Tautologien in die Mengensprache:

Satz 2.7 Es sei G eine Grundmenge und es seien M,N,P ⊆ G. Dann gilt

(DN) (M c)c = M Doppelnegation

(DMI) (M ∩N)c = M c ∪N c De Morgansches Gesetz I

(DMII) (M ∪N)c = M c ∩N c De Morgansches Gesetz II

(KP) M ⊆ N ⇔ N c ⊆M c Kontraposition

(NT) M * N ⇔M ∩N c 6= ∅ ¬(p⇒ q) ≡ p ∧ ¬qBeweis:

(DN) Diese Gleichheit folgt unmittelbar aus der Tautologie zur Doppelnegation (DN) auf Seite 32:Mit x ∈ N c ⇔ ¬(x ∈ N) fur jede Menge N folgt namlich aus Bemerkung 2.2, dass (M c)c =

x ∈ G : ¬(x ∈M c) = x ∈ G : ¬(¬(x ∈M)

) = x ∈ G : x ∈M = M.

(DMI) Diese Gleichheit entspricht der Tautologie (1.16): Damit folgt namlich

(M ∩N)c = x ∈ G : ¬(x ∈M ∧ x ∈ N) = x ∈ G : ¬(x ∈M) ∨ ¬(x ∈ N) =

= x ∈ G : x /∈M ∨ x /∈ N = M c ∪N c.

(DMII) Der Beweis verlauft analog zu (DMI) mittels der Tautologie (1.17).

(KP) Ubung.

(NT) Mit M(x) und N(x) wie oben gilt aufgrund von (1.24):

M * N ⇔ ¬(∀x : M(x)⇒ N(x)

)⇔ ∃x : ¬(M(x)⇒ N(x))

⇔ ∃x : M(x) ∧ ¬N(x)(∗)⇔ x : x ∈M ∧ x /∈ N 6= ∅ ⇔M ∩N c 6= ∅. 2

In Abschnitt 1.4 haben Sie den Existenz-, den Eindeutigkeits- und den Allquantor kennen gelernt. InAbschnitt 1.7 war dann - ohne Beweis - ein Satz mit Regeln zur Negation zweier dieser drei Junk-toren angegeben worden. Eine mathematisch saubere Definition fur diese Begrifflichkeiten wurdeIhnen aber in diesen Zusammenhangen noch nicht geliefert (die Ausfuhrungen beschrankten sichauf Erlauterungen zum Sprachgebrauch und zur Verwendung). Das soll jetzt, wo im Beweisschritt(∗) des letzten Beweises (Aussage (NT)) eine Aquivalenz verwendet wurde, die nur vor dem Hinter-grund einer mathematisch sauberen Definition dieser Quantoren formal nachvollziehbar ist, nachge-holt werden:

2.3 Mengen-Algebra 68

Definition 2.6 Sei x eine Variable mit Variabilitatsbereich G = V(x) und A(x) eine Aussageform.Dann schreibt man

(a) ∃x ∈ G : A(x) :⇔ x ∈ G : A(x) 6= ∅

(b) ∃1 x ∈ G : A(x) :⇔ x ∈ G : A(x) enthalt genau ein Element 19

(c) ∀x ∈ G : A(x) :⇔ x ∈ G : A(x) = G.

Hiermit konnen wir auch Satz 1.3 mit den Regeln zur Negation von All- und Existenzaussagenrelativ leicht nachweisen. Der Ubersichtlichkeit halber sei der Satz hier noch einmal angegeben:

Wiederholung von Satz 1.3 Ist x eine Variable mit Variabilitatsbereich V(x) und A(x) eine Aussa-geform, so gelten fur die Verneinung von Existenz- und Allaussagen die folgenden Regeln:

¬(∀x ∈ V(x) : A(x)) ⇔ ∃x ∈ V(x) : ¬A(x) (1.29)

¬(∃x ∈ V(x) : A(x)) ⇔ ∀x ∈ V(x) : ¬A(x). (1.30)

Beweis: Zunachst beweisen wir (1.29): Gemaß Definition 2.6 ist diese Aussage nach Setzen vonG := V(x) aquivalent zu

¬(x ∈ G : A(x) = G)⇔ x ∈ G : ¬A(x) 6= ∅. (2.8)

Setzen wir M := x ∈ G : A(x), so ist (2.8) aquivalent zu

¬(M = G)⇔M c 6= ∅, (2.9)

was wiederum gleichbedeutend ist mit

M = G⇔M c = ∅. (2.10)

(2.10) soll nun bewiesen werden. Da es sich um eine Aquivalenz handelt, mussen hier zwei Impli-kationen nachgewiesen werden! Im ersten Schritt zeigen wir M = G ⇒ M c = ∅, im zweiten dannM c = ∅ ⇒M = G:

”⇒“: Sei also zunachst M = G. Per Definition des Komplements ist dann M c ⊆ M und daherM c = M c ∩M . Letzteres ist aber nach Satz 2.6(c1) gleich der leeren Menge.

”⇐“: Fur den Beweis der anderen Richtung sei M c = ∅. Dann ist, wieder mit Satz 2.6 (Teilaussagen(b2) und (c2)) M = M ∪ ∅ = M ∪M c = G. Damit ist (2.10) bewiesen. Da dies aquivalent ist zu(1.29), ist damit der Beweis dieser Aussage erbracht.Nun beweisen wir (1.30), also (wieder mit G = V(x))

¬(∃x ∈ G : A(x))⇔ ∀x ∈ G : ¬A(x).

19In Kurze werden wir hierfur |x ∈ G : A(x)| = 1 schreiben, denn mit |M | bezeichnen wir die sogenannteMachtigkeit von M ; im Fall einer endlichen Menge M stimmt die Machtigkeit mit der Anzahl der Elemente von Muberein.

2.3 Mengen-Algebra 69

Mit der Tautologie zur doppelten Verneinung und der bereits bewiesenen Aquivalenz ist

¬(∃x ∈ G : A(x)

)⇔ ¬

(∃x ∈ G : ¬

(¬A(x)

))

⇔ ¬(¬(∀x ∈ G : ¬A(x)

))

⇔ ∀x ∈ G : ¬A(x).

Das war zu beweisen. 2

Im letzten Satz dieses Abschnitts wird eine wichtige Charakterisierung fur die Inklusion angegeben:

Satz 2.8 Seien M und N beliebige Mengen. Dann gilt

M ⊆ N ⇔M ∩N = M ⇔M ∪N = N.

Beweis: Den Beweis erbringen Sie in den Ubungen. 2

Die folgende wichtige Definition ist Ihnen eventuell in der Schule schon mal begegnet:

Definition 2.7 Zwei Mengen M und N heißen disjunkt (oder unvereinbar), falls sie kein Elementgemeinsam haben, d.h., dass M ∩N = ∅.Beispiel 2.9

A Sei M1 := 1, 3, 5, 7, 9, M2 := 2, 4, 6, 8, 10 und M3 := 3, 6, 9. Dann sind M1 und M2

disjunkt. Doch M1 und M3 sind nicht disjunkt: Sie haben die Elemente 3 und 9 gemeinsam.Wegen M2 ∩M3 = 6 6= ∅ sind auch M2 und M3 nicht unvereinbar.

B Ist G eine beliebige Grundmenge, so sind fur jedes M ⊆ G die Mengen M und M c disjunkt.Dies folgt unmittelbar aus Satz 2.6(c1). N

Als eine wichtige Erweiterung dieses Begriffs fur mehr als zwei Mengen fuhren wir folgende Defi-nition ein:

Definition 2.8 Es sei I ⊆ N und fur jedes i ∈ I eine Menge Mi gegeben. Dann nennt man dieMengen aus Mi : i ∈ I

(a) disjunkt, falls⋂

i∈IMi := x : ∀ i ∈ I : x ∈Mi = ∅

(b) paarweise disjunkt, falls ∀ i, j ∈ I : i 6= j ⇒Mi ∩Mj = ∅.

Beispiel 2.10A Sei I := N und Mi := i fur alle i ∈ N. Dann gilt

i∈NMi =

i∈Ni = x : ∀ i ∈ N : x ∈ i = x : ∀ i ∈ N : x = i = ∅,

also sind die Mengen M1,M2,M3, . . . disjunkt.

Wegen Mi∩Mj = i∩j = ∅, falls i 6= j, sind sie daruber hinaus auch paarweise disjunkt.

2.4 Differenzen von Mengen 70

B Nun sei I := 1, 2, 3 und N1 := 1, 2, N2 := 2, 3 und N3 := 1, 3. Dann gilt⋂

i∈INi = N1 ∩N2 ∩N3 = 1, 2 ∩ 2, 3 ∩ 1, 3 = ∅,

also sind N1, N2 und N3 disjunkt. Sie sind aber nicht paarweise disjunkt: Beispielsweise istnamlich N1 ∩N2 = 2 6= ∅. N

Fur (paarweise) disjunkte endliche Mengen gilt, dass die Machtigkeit der Vereinigung mit der Sum-me der Machtigkeiten der einzelnen Mengen ubereinstimmt:

Satz 2.9 (Additivitat von Kardinalitaten) Sind fur ein n ∈ N \ 2 endliche und paarweise dis-junkte Mengen M1,M2, . . . ,Mn gegeben, so gilt

∣∣∣∣∣n⋃

i=1

Mi

∣∣∣∣∣ = |M1 ∪ . . . ∪Mn| = |M1|+ . . .+ |Mn| =n∑

i=1

|Mi|.

Beweis: Ubung. 2

Anhand des Beispiels |1, 2 ∪ 2, 3| = |1, 2, 3| = 3 6= 4 = 2 + 2 = |1, 2| + |2, 3| sehenSie, dass man auf die Voraussetzung der paarweisen Disjunktheit, die im Fall von nur zwei Mengennaturlich mit Disjunktheit ubereinstimmt, in Satz 2.9 nicht verzichten konnen.

Im Rahmen dieses Abschnitts haben Sie erkennen konnen, dass viele logische Konstrukte (Junk-toren bzw. Tautologien) mengentheoretische Entsprechungen haben. In Tabelle 2.1 sind diese derUbersichtlichkeit halber alle noch einmal zusammengefasst.

2.4 Differenzen von Mengen

In diesem Abschnitt beschaftigen wir uns mit der Differenzbildung von Mengen; diese kann asym-metrisch oder symmetrisch erfolgen:

Definition 2.9 Seien M,N beliebige Mengen in einer Grundmenge G. Dann heißt

(a) M \N := M ∩N c die Differenz von M und N ,

(b) M 4N := (M \N) ∪ (N \M) die symmetrische Differenz von M und N .

Machen Sie sich klar, dass M \ N = M ∩ N c die Menge derjenigen Elemente ist, die zu M , abernicht zu N gehoren. Dabei muss N keine Teilmenge von M sein! In Abbildung 2.6 ist die Diffe-renzbildung graphisch dargestellt. Hier ist besonders gut zu erkennen, dass die Differenzbildung mit\ asymmetrisch ist - im Allgemeinen ist namlich M \ N 6= N \M . (Uberlegen Sie sich hierzu einkonkretes Beispiel.)Anders verhalt sich das, wie der Name schon sagt, bei der symmetrischen Differenz: Aus der Kom-mutativitat der Vereinigung folgt sofort, dass

M 4N = (M \N) ∪ (N \M) = (N \M) ∪ (M \N) = N 4M. (2.11)

2.4 Differenzen von Mengen 71

Mengentheorie Logik

Teilmenge /Inklusion ⊆

M ⊆ N ∀x : x ∈M ⇒ x ∈ N Implikation⇒

Gleichheit = M = N ∀x : x ∈M ⇔ x ∈ N Aquivalenz⇔Komplements ·C MC x : ¬(x ∈M) Negation ¬(Durch-)Schnitt /Schnittmenge ∩

M ∩N x : x ∈M ∧ x ∈ N Konjunktion ∧

Vereinigung(-smenge) ∪

M ∪N x : x ∈M ∨ x ∈ N Disjunktion ∨

Kommutativitat ∩ M ∩N = N ∩M p ∧ q ≡ q ∧ p Kommutativitat ∧Kommutativitat ∪ M ∪N = N ∪M p ∨ q ≡ q ∨ p Kommutativitat ∨Assoziativitat ∩ (M ∩N) ∩ P =

M ∩ (N ∩ P )

(p ∧ q) ∧ r ≡ p ∧ (q ∧ r) Assoziativitat ∧

Assoziativitat ∪ (M ∪N) ∪ P =

M ∪ (N ∪ P )

(p ∨ q) ∨ r ≡ p ∨ (q ∨ r) Assoziativitat ∨

Distributivitat I M ∪ (N ∩ P ) =

(M ∪N) ∩ (M ∪ P )

p∨(q∧r) ≡ (p∨q)∧(p∨r) Distributivitat I

Distributivitat II M ∩ (N ∪ P ) =

(M ∩N) ∪ (M ∩ P )

p∧(q∨r) ≡ (p∧q)∨(p∧r) Distributivitat II

P. v. ausgeschlossenen

Widerspruch

M ∩MC = ∅ p ∧ ¬p ≡ f dito

P. v. ausgeschlossenen

Dritten

M ∪MC = G (GGrundmenge)

p ∨ ¬p ≡ w dito

Doppelnegation (MC)C = M ¬(¬p) ≡ p dito

De MorganschesGesetz I

(M ∩N)C = MC∪NC ¬(p ∧ q) ≡ ¬p ∨ ¬q dito

De MorganschesGesetz II

(M ∪N)C = MC∩NC ¬(p ∨ q) ≡ ¬p ∧ ¬q dito

Kontraposition M ⊆ N ⇔ NC ⊆MC p⇒ q ≡ ¬q ⇒ ¬p dito

Tabelle 2.1: Logisch-mengentheoretische Entsprechungen.

Die symmetrische Differenz M 4N enthalt diejenigen Elemente, die in genau einer der beidenMengen - also in M , aber nicht in N oder in N , dann aber nicht in M - enthalten sind. Anhand einesVenn-Diagramms lasst sich die Symmetrie sehr schon erkennen - fertigen Sie eins an!

Bemerkung 2.3 Seien M,N beliebige Mengen. Dann gilt

M 4N = (M ∪N) \ (M ∩N).

Beweis: Ubung. 2

2.5 Kartesisches Produkt 72

Abb. 2.6 Venn-Diagramm zur Differenz.

R Die symmetrische Differenzbildung entspricht der zweistelligen logischen Junktion entweder- oder (auch: ausschließendes oder 20), die genau dann wahr ist, wenn genau eine der beidenAussagen wahr ist.

R Mittels der Differenzoperation lasst sich das Komplement M c einer Menge M in einer Grund-menge G beschreiben als M c = G \M.

Beispiel 2.11Mit den Mengen M,N,P aus Beispiel 2.8 gilt

M \N = 1, 5, 7, 11, 13, 17, 19,P \N = 2, 5, 7,N \ P = . . . ,−9,−6,−3, 0, 6, 9, 12 . . .,P 4N = . . . ,−9,−6,−3, 0, 2, 5, 6, 7, 9, 12, 15, 18, . . .,M 4P = 1, 2, 9, 11, 13, 15, 17, 19. N

2.5 Kartesisches Produkt

Innerhalb der vorangegangenen beiden Abschnitte haben wir Mengenoperationen eingefuhrt, die -angewendet auf ein oder zwei Teilmengen einer Grundmenge G - wieder eine Teilmenge dieserGrundmenge lieferten. Man sagt, dass diese Operationen aufP(G) abgeschlossen waren. Außerdementsprach, mehr oder weniger direkt, jeder dieser Operationen eine uns bereits bekannte logischeVerknupfung. Die ”Verknupfungsmethode“, die wir jetzt behandeln wollen, ist von grundsatzlichanderer Natur; wir beginnen mit einem speziellen Fall:

Definition 2.10 Seien M,N beliebige Mengen.

20Diese Junktion haben wir in Kapitel 1 nur einmal kurz angesprochen.

2.5 Kartesisches Produkt 73

(a) Dann heißtM ×N := (x, y) : x ∈M ∧ y ∈ N

das (kartesische) Produkt 21 von M und N . Ist N = M , schreibt man anstelle von M × Nauch M2 (oder N2).

(b) Ein Element (x, y) ∈M×N nennt man ein geordnetes Paar oder ein (2-)Tupel. Der Eintragx heißt erste Komponente, der Eintrag y zweite Komponente des 2-Tupels.

Definition 2.11 Seien M und N Mengen. Zwei geordnete Tupel (x1, y1), (x2, y2) ∈ M ×N heißengleich, wenn ihre Eintrage komponentenweise ubereinstimmen; formal schreibt sich das wie folgt:

(x1, y1) = (x2, y2) :⇔ x1 = x2 ∧ y1 = y2.

Bemerkung 2.4 Anders als in einer Menge ist in einem Tupel die Reihenfolge der Eintrage also vonBedeutung! So ist beispielsweise (2, 3) 6= (3, 2), wahrend 2, 3 = 3, 2 gilt. Insbesondere ist dasTupel (x, y) nicht mit der Menge x, y zu verwechseln! Dies hat zur Folge, dass die kartesischeProduktbildung i.A. nicht kommutativ ist: M ×N 6= N ×M .

Ein realitatsnahes Beispiel fur das Auftreten eines kartesischen Produkts ist das Schachspiel: Hierwird die Position p einer Spielfigur auf dem Spielbrett angegeben durch ein 2-Tupel p = (p1, p2),wobei p1 ∈ a, b, c, d, e, f, g, h und p2 ∈ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8. Die Position p ist also ein Elementdes kartesischen Produkts a, b, c, d, e, f, g, h × 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8.Ein anderes Beispiel, in dem das kartesische Produkt zweier Mengen maßgeblich ist, ist das SpielSchiffe versenken. Hier wird, ahnlich wie beim Schachspiel, die Position eines vermeintlichenSchiffsstandorts durch ein Element des kartesischen Produktes a, b, . . . , j × 1, 2, . . . , 10 be-schrieben.Nun wollen wir mathematische Beispiele betrachten:

Beispiel 2.12A Mit den Mengen A = 1, 2, 3 und B = a, b, c, d gilt

A×B = (1, a), (1, b), (1, c), (1, d), (2, a), (2, b), (2, c), (2, d), (3, a), (3, b), (3, c), (3, d),B × A = (a, 1), (a, 2), (a, 3), (b, 1), (b, 2), (b, 3), (c, 1), (c, 2), (c, 3), (d, 1), (d, 2), (d, 3).

B Angenommen, Sie fuhren mit zwei gewohnlichen - aber unterscheidbaren - Wurfeln (Augen-zahlen 1 bis 6) einen Wurfelwurf durch und wollen Ihr Ergebnis notieren. Dann bietet es sichan, hierfur die Tupelschreibweise zu verwenden: Ist beispielsweise der eine Wurfel rot undder andere grun, so konnte man als erste Komponente die Augenzahl des roten und als zweiteKomponente die Augenzahl des grunen Wurfels aufschreiben (andersherum ware das naturlichgenauso moglich!). Die Menge aller moglichen Wurfergebnisse entspricht dann dem kartesi-schen Produkt 1, 2, . . . , 6×1, 2, . . . , 6 = 1, 2, . . . , 62. Im Rahmen der Wahrscheinlich-keitstheorie bezeichnen wir diese Menge als die Ergebnismenge des zweifachen Wurfelwurfs.

21Die Bezeichnung kartesisch wurde zu Ehren des Franzosen RENE DESCARTES (∗ 31. Marz 1596, † 11. Februar1650) gewahlt, der als Mathematiker, Philosoph und Naturwissenschaftler tatig war. Auf ihn geht die Begrundung dersogenannten Analytischen Geometrie zuruck - ein Gebiet, welches Algebra und Geometrie verbindet und innerhalbdessen die sogenannten kartesischen Koordinatensysteme von besonderer Bedeutung waren.

2.5 Kartesisches Produkt 74

Abb. 2.7 Spielbrett Schiffe Versenken(Quelle: http://images.brettspielerei.de/zeeslag/screenshot.jpg).

C Es ist

N2 = (n1, n2) : ∀ i ∈ 1, 2 : ni ∈ N = (1, 1), (1, 2), (2, 1), (3, 1), (2, 2), (1, 3), . . .

Eine Moglichkeit der Visualisierung kartesischer Produkte kennen Sie aus Ihrer Schulzeit:Im Rahmen der Geometrie haben Sie 2-Tupel wie z. Bsp. (5, 4) ∈ N2 als Punkte in ein ebe-nes (geradlinig-orthogonales) Koordinatensystem 22 eingetragen. Hierbei haben Sie den erstenEintrag des Tupels entlang der horizontalen Achse, der sogenannten Abszisse, und den zwei-ten Eintrag entlang der vertikalen Achse, der sogenannten Ordinate, abgetragen. In diesemSinne ist in Abbildung 2.8 eine Teilmenge, namlich 1, . . . , 52, von N2 dargestellt.

Abb. 2.8 Visualisierung einer Teilmenge von N2.

22Alternativ hierzu gibt es auch geradlinig, aber nicht orthogonale oder krummlinige (orthogonale oder nicht ortho-gonale) Koordinatensysteme.

2.5 Kartesisches Produkt 75

D Die Menge R2 = R × R = (x, y) : x ∈ R ∧ y ∈ R bezeichnet man als Anschauungsebe-ne. Anders als im vorangegangenen Beispiel gehoren hier wirklich alle Elemente innerhalbdes Koordinatensystems in Abbildung 2.9 zur Menge R2 (mehr noch: die Anschauungsebeneist nach links, rechts, oben und unten unbeschrankt)! Die Abbildung enthalt Visualisierungen

Abb. 2.9 Darstellung von (2, π) (rot) und (−√

2, 0) (blau) in R2.

zweier Elemente dieser Menge und die Nummerierung fur die vier sogenannten Quadranten.Beachten Sie, dass hier in mathematisch positivem Umlaufsinn, d.h. gegen den Uhrzeiger-sinn, gezahlt wird! N

Bemerkung 2.5 Ist M eine Menge mit m ∈ N0 Elementen und N eine Menge mit n ∈ N0 Elemen-ten, so hat das kartesische Produkt M × N genau m · n Elemente; denn jeder der m Eintrage derersten Menge muss mit jedem der n Eintrage der zweiten Menge kombiniert werden.

Das kartesische Produkt lasst sich auch fur mehr als zwei Mengen definieren 23. In der folgendenDefinition ist Definition 2.10 als Spezialfall enthalten:

Definition 2.12 Sei n ∈ N und seien A1, A2, . . . , An beliebige Mengen.

(a) Dann heißt

A1 × A2 × . . .× An := (a1, a2, . . . , an) : a1 ∈ A1 ∧ a2 ∈ A2 ∧ . . . ∧ an ∈ An (2.12)

das (kartesische) Produkt der Mengen A1, . . . , An. Gilt fur alle i ∈ 1, . . . , n, dass Ai =

A1, schreibt man anstelle von A1 × . . .× An auch An1 .

23Wenn man es an dieser Stelle sehr genau nahme, musste das ”hoherdimensionale“ kartesische Produkt rekursivdefiniert werden; fur unsere Zwecke reicht die angegebene Definition aber aus.

2.5 Kartesisches Produkt 76

(b) Ein Element (a1, . . . , an) ∈ A1 × . . .× An nennt man ein (n-)Tupel. Fur alle i ∈ 1, . . . , nheißt der Eintrag ai die i-te Komponente des Tupels.

In diesem Zusammenhang mussen einige Anmerkungen zur Notation24 gemacht werden.

• In der Menge auf der rechten Seite von (2.12) kann man anstelle des Symbols ∧ fur die Kon-junktion jeweils auch ein Komma setzen:

A1 × . . .× An =: (a1, a2, . . . , an) : a1 ∈ A1, a2 ∈ A2, . . . , an ∈ An. (2.13)

• Die Schreibarbeit in (2.13) lasst sich wie folgt noch weiter abkurzen:

A1 × . . .× An =: (a1, a2, . . . , an) : ∀ i ∈ 1, . . . , n : ai ∈ Ai=: (a1, a2, . . . , an) : ∀ i = 1, . . . , n : ai ∈ Ai

Auch die Gleichheit von n-Tupeln muss jetzt definiert werden; dies geschieht erwartungsgemaßanalog wie in Definition 2.11:

Definition 2.13 Sei n ∈ N und seien A1, A2, . . . , An beliebige Mengen. Zwei geordnete n-Tupel(a1, . . . , an), (b1, . . . , bn) ∈ A1 × . . .× An heißen gleich, in Zeichen

(a1, . . . , an) = (b1, . . . , bn) :⇔ ∀ i ∈ 1, . . . , n : ai = bi.

Beispiel 2.13A Mit den Mengen A = 1, 2 B = a, b und C = α, β gilt

A×B × C = (1, a, α), (1, a, β), (1, b, α), (1, b, β), (2, a, α), (2, a, β), (2, b, α), (2, b, β).

B Angenommen, Sie fuhren den in Beispiel 2.12 B bereits diskutierten Wurfelwurf nicht mitzwei unterscheidbaren, sondern mit funf unterscheidbaren Wurfeln durch (etwa beim Kniffel-spiel). Dann kann man jedes Ergebnis des Zufallsexperiments als 5-Tupel (a1, a2, a3, a4, a5)

mit Eintragen aus der Menge 1, 2, . . . , 6 beschreiben: Also ist das kartesische Produkt1, 2, . . . , 65 eine geeignete Ergebnismenge fur dieses Zufallsexperiment (wie viele Elementehat diese Menge?!).

C R×R×R = R3 bildet den sogenannten Anschauungsraum. Ahnlich wie im zweidimensio-nalen Fall konnen wir Zahlentripel 25 (a1, a2, a3) visualisieren, indem wir die Eintrage entlangder (jetzt) drei Koordinatenachsen abtragen. In Abbildung 2.10 sind auf diese Weise drei Ele-mente des R3 dargestellt worden.

Prinzipiell lasst sich fur jedes n ∈ N das kartesische Produkt Rn aller n-Tupel aus reellenZahlen bilden (ubrigens identifizieren wir dabei fur den Fall n = 1 die Menge R1 = (x) :

x ∈ R mit der Menge R); fur n ≥ 4 ist es jedoch nicht mehr moglich, sich diese Elementeals Punkte des uns umgebenden Raumes vorzustellen.

24lat. notatio = Bezeichnung, Beschreibung253-Tupel werden haufig auch als Tripel und 4-Tupel auch als Quadrupel bezeichnet.

2.6 Wichtige Teilmengen der reellen Zahlen: Intervalle 77

Abb. 2.10 Darstellung der Elemente (2, 4, 0) (rot), (−2, 0, 4) (blau) und (2,−2, 4) (grun) imAnschauungsraum R3.

D In dem Fragebogen, den Sie in der ersten Vorlesung ausgefullt haben, wurden Sie nach Ih-rer Mathematiknote im Abiturzeugnis, nach Ihrer Abiturnote und nach dem Bundesland bzw.Land gefragt, in dem Sie Ihre Hochschulzugangsberechtigung erworben haben. Wenn manmit L die Menge aller Lander und Bundeslander bezeichnet, kann man jede vollstandigeAntwort auf diese drei Fragen als ein Tripel aus der Menge 1, 2, . . . , 14, 15 × x ∈ R :

1 ≤ x ≤ 4 × L notieren. In statistischen Umfragen, in denen mehr Informationen eingeholtwerden oder in Datenbanken wie der des Studierendenwerks, in denen alle Ihre Daten (inkl.Prufungsergebnissen) verwaltet werden, werden kartesische Produkte aus viel mehr als dreiMengen relevant. N

Uberlegen Sie sich zum Abschluss dieses Abschnitts, wie viele Elemente das kartesische ProduktA1 × . . . × An hat, wenn fur jedes i ∈ 1, . . . , n die Menge Ai genau |mi| Elemente hat. (Einenformal korrekten Beweis werden wir spater nachholen.)

2.6 Wichtige Teilmengen der reellen Zahlen: Intervalle

In diesem Abschnitt ist es von Bedeutung, dass Sie die Symbole ≤, <,≥ und > der Ordnung aufden reellen Zahlen kennen. Wir gehen auf die Eigenschaft von R, geordnet zu sein, in Kapitel 3noch im Detail ein - fur den Moment reichen Ihre Schulkenntnisse aus.

2.6 Wichtige Teilmengen der reellen Zahlen: Intervalle 78

Definition 2.14 Fur zwei reelle Zahlen a, b ist

(i) [a, b] :=x ∈ R : a ≤ x ≤ b das abgeschlossene Intervall von a bis b,

(ii) [a, b[ :=x ∈ R : a ≤ x < b das nach rechts halboffene Intervall von a bis b ,

(iii) ]a, b] :=x ∈ R : a < x ≤ b das nach links halboffene Intervall von a bis b ,

(iv) ]a, b[ :=x ∈ R : a < x < b das offene Intervall von a bis b.26

In allen vier Fallen nennt man a und b Randpunkte des Intervalls und die Zahl b−a dessen (Inter-vall-)Lange. Außerdem ist fur jedes a ∈ R

(v) [a,∞[ := x ∈ R : a ≤ x das halboffene Intervall von a bis∞,27

(vi) ]−∞, a] := x ∈ R : x ≤ a das halboffene Intervall von −∞ bis a,

(vii) ]a,∞[ := x ∈ R : a < x das offene Intervall von a bis∞,

(viii) ]−∞, a[ := x ∈ R : x < a das offene Intervall von −∞ bis a.

Schließlich definiert man ]−∞,∞[ := R.

Uberzeugen Sie sich zunachst von der Tatsache, dass die vier erstgenannten, beschrankten 28 Inter-valle jeweils die leere Menge sind, falls a > b gilt. Außerdem sind das offene und die halboffenenIntervalle leer, falls a = b gilt. In diesem Fall ist [a, b] = [a, a] = a einelementig. Vor diesemHintergrund sind die Definitionen besonders fur a < b interessant. Im Folgenden wollen wir da-her annehmen, dass a, die sogenannte linke Intervallgrenze, kleiner ist als die rechte, also b. DieIntervalle, bei denen eine Grenze∞ oder −∞ ist, nennt man unbeschrankt.Schauen wir uns nun die Definition der verschiedenen Intervalle noch einmal genauer an: Ein ab-geschlossenes Intervall enthalt beide Intervallgrenzen, ein halboffenes genau eine und ein offenesIntervall enthalt keine der beiden Intervallgrenzen. Am Zahlenstrahl veranschaulichen wir die vierbeschrankten Intervalle von a bis b wie im linken Teil der Abbildung 2.11: Eine zum Intervallgehorende Intervallgrenze wird durch einen ausgefullten Kreis gekennzeichnet, eine nicht zum In-tervall gehorende Intervallgrenze wird durch einen nicht ausgefullten Kreis markiert. In Abbildung2.11 sind sowohl die beschrankten (links) als auch die unbeschrankten Intervalle (rechts) entspre-chend ihrer Reihenfolge in Definition 2.14 dargestellt.Fur die Intervalle ] 0,∞ [ und [ 0,∞ [ gibt es eigene Symbole:

• ] 0,∞ [ =: R+; das ist die Menge der positiven (reellen) Zahlen,

• [ 0,∞ [ =: R+0 ; das ist die Menge der nichtnegativen (reellen) Zahlen.

Da Intervalle Mengen sind, konnen wir sie schneiden, vereinigen, voneinander abziehen, kartesischmultiplizieren etc.

26In der Literatur wird anstelle der Schreibweise ]a, b[ haufig die Schreibweise (a, b) verwendet. Da wir letztere aberschon fur die 2-Tupel eingefuhrt haben, wollen wir fur Intervalle ausschließlich die eckigen Klammern benutzen!

27Das Symbol∞ wird unendlich genannt. Es stellt keine reelle Zahl dar!28Die Begriffe beschrankt und unbeschrankt sind mathematisch definiert - die formale Bedeutung deckt sich an

dieser Stelle aber sehr gut mit unserem anschaulichen Verstandnis - siehe dazu auch die Abbildung 2.11.

2.6 Wichtige Teilmengen der reellen Zahlen: Intervalle 79

Abb. 2.11 Visualisierung der beschrankten (links) und unbeschrankten (rechts) Intervalle.

Beispiel 2.14Fur I := [0, 2] und J :=]1, 3] erhalt man die Gleichheiten

Abb. 2.12 Visualisierung von I × J .

I ∩ J = ]1, 2]

I ∪ J = [0, 3]

I \ J = [0, 1]

J \ I = ]2, 3]

I4 J = [0, 1]∪ ]2, 3]

I × J = (x, y) : x ∈ [0, 2] ∧ y ∈]1, 3]

Das kartesische Produkt von I und J ist in Abbildung 2.12 als eingefarbtes Rechteck dargestellt.Hierbei deutet die gestrichelte Linie an, dass die auf ihr liegenden Punkte nicht zur Menge I ×J dazugehoren; im Gegensatz dazu bilden die auf den drei durchgezogenen Randlinien liegendenPunkte eine Teilmenge von I × J . N

Intervalle treten haufig als Losungsmengen von Gleichungen oder Ungleichungen in einer Unbe-kannten auf. Fasst man die Gleichung bzw. Ungleichung als Aussageform auf, so kommt dies einerexpliziten Bestimmung der durch diese Aussageform beschriebenen Menge, also der Bestimmungihres Gultigkeitsbereichs, gleich. Diese Aufgaben trainieren nicht nur den Umgang mit Mengen,sondern dienen auch dazu, Grundfertigkeiten im Rechnen mit reellen Zahlen, insbesondere mit Be-tragen, Gleichungen und Ungleichungen wieder aufzufrischen. Diesen Abschnitt abschließend seidazu ein Beispiel gegeben:

Beispiel 2.15A Es ist x ∈ R : x > 3 = ] 3,∞ [.

B Es ist x ∈ R : (x− 3)2 − 4 < 0 = ]1, 5[.

2.6 Wichtige Teilmengen der reellen Zahlen: Intervalle 80

Beweis: Es ist

(x− 3)2 − 4 < 0⇔(x− 3)2 < 4

⇔|x− 3| <√

4 = 2

(∗)⇔(x > 3 ∧ x− 3 < 2) ∨ (x ≤ 3 ∧ −(x− 3) < 2)

⇔(x > 3 ∧ x < 5) ∨ (x ≤ 3 ∧ 3− x < 2)

⇔x ∈ ]3, 5] ∨ (x ≤ 3 ∧ 1 < x)

⇔x ∈ ]3, 5] ∨ x ∈ ]1, 3]

⇔x ∈ ]1, 5[.

Dabei wurde in (∗) benutzt, dass der Betrag |x| einer reellen Zahl x in Abhangigkeit ihresVorzeichens wie folgt definiert ist:

∀x ∈ R : |x| :=

x : x ≥ 0

−x : x < 0(2.14)

Bemerkung 2.2 liefert damit die Behauptung.

Anschaulich ist diese Identitat sehr schon nachzuvollziehen, indem man die Graphen der bei-den Funktionen 29 x 7→ (x − 3)2 − 4 und x 7→ 0, die durch die Ausdrucke links und rechtsvom Ungleichheitszeichen bestimmt sind, in ein Koordinatensystem zeichnet und den Bereichidentifiziert, in dem der Graph der zuerst genannten Funktion unterhalb des Graphen der Null-funktion liegt:

Abb. 2.13 Visualisierung der Losungsmenge der Ungleichung (x− 3)2 − 4 < 0.

C Es ist x ∈ R : xx−1 < 3 = ]−∞, 1 [∪

[32,∞[.

Fuhren Sie die Beweisrechnung zu dieser Gleichheit selber durch (Achtung: Hier mussen wie-der verschiedene Falle unterschieden werden!) und fertigen Sie die entsprechende Graphik mitden Funktionen x 7→ x

x−1 und x 7→ 3, x ∈ R, an. N

29Im nachsten Kapitel werde ich Ihnen eine formal saubere Definition des Begriffs Funktion liefern. Fur den Momentgreifen Sie bitte auf Ihr Schulwissen zuruck.

Kapitel 3

Die reellen Zahlen

Nachdem wir in den beiden vorangegangenen Kapiteln sprachliche und methodische Mittel an dieHand bekommen haben, Mathematik zu betreiben, wollen wir diese Kenntnisse nun nutzen, umdie Grundeigenschaften der reellen Zahlen in Form von Axiomen zu beschreiben und aus dieseneinige weitere ihrer wichtigsten Eigenschaften abzuleiten. Dabei lassen wir uns von der bereits ausder Schule bekannten Vorstellung leiten, dass die reellen Zahlen kontinuierlich, also ohne Lucken,entlang eines Zahlenstrahls angeordnet sind.

Die die Menge R der reellen Zahlen charakterisierenden Axiome lassen sich in drei Familien vonAxiomen unterteilen,

• die Korperaxiome

• die Anordnungsaxiome

• und das Vollstandigkeitsaxiom.

Die Zusammenfassung all dieser Axiome werden Sie als eine Definition der reellen Zahlen auffas-sen konnen, da R, ausgestattet mit der Addition und Multiplikation, im Wesentlichen 1 die einzigeMenge ist, die all die oben genannten Axiome erfullt.

Im Zusammenhang mit den Korperaxiomen werden die strukturmathematischen Begriffe Gruppeund Korper auftauchen, die fundamental fur die ganze Mathematik sind und uns spater auch nochin ganz anderen Kontexten begegnen werden.

Wahrend die Korperaxiome nur die das Rechnen in der Menge R der reellen Zahlen betreffenden Ei-genschaften beschreiben, korrespondiert die Gesamtheit der Anordnungsaxiome zu der Vorstellung,dass die reellen Zahlen entlang eines Zahlenstrahls angesiedelt sind und das Vollstandigkeitsaxiomzu der Idee, dass diese Anordnung luckenlos ist, also jeder Punkt des Zahlenstrahls einer reellenZahl entspricht.

3.1 Korperaxiome

Auch die Korperaxiome lassen sich noch einmal in drei Kategorien aufteilen:

1d.h. bis auf Isomorphie

81

3.1 Korperaxiome 82

• die Axiome der Addition (im Folgenden werden wir diese mit (KRA) abgekurzt)

• die Axiome der Multiplikation (im Folgenden mit (KRM) abgekurzt)

• das Axiom der Distributivitat, das Addition und Multiplikation ”verknupft“ (im Folgendenmit (KRD) abgekurzt)

Die ersten beiden Axiomenfamilien stehen unabhangig voneinander jede fur sich, durch die Axiomeder Distributivitat werden die Axiome der Addition mit denen der Multiplikation ”verknupft“:

************************ KORPERAXIOME ************************

(KRA) - Axiome der Addition 2

(KRA0) Je zwei Elementen a, b ∈ R ist eindeutig ein zu R gehorendes Element, das mit a+b bezeichnetwird, zugeordnet. 3 Das Element a+ b bezeichnet man als Summe von a und b.

(KRA1) Die Summenbildung ist assoziativ, d.h. ∀ a, b, c ∈ R : (a+ b) + c = a+ (b+ c).

(KRA2) In R existiert ein Element, wir nennen es null, in Zeichen 0, so dass gilt:∀ a ∈ R : a+ 0 = 0 + a = a.

(KRA3) Zu jedem a ∈ R existiert ein Element −a ∈ R, so dass gilt: a + (−a) = (−a) + a = 0. Mannennt −a das zu a negative oder additiv inverse Element.

(KRA4) Die Summenbildung ist kommutativ, d.h. ∀ a, b ∈ R : a+ b = b+ a.

(KRM) - Axiome der Multiplikation 4

(KRM0) Je zwei Elementen a, b ∈ R ist eindeutig ein zu R gehorendes Element, das mit a · b =: ab

bezeichnet wird, zugeordnet. Diese Zuordnung ist dergestalt, dass gilt: a, b ∈ R∗ := R\0 ⇒a · b ∈ R∗. Das Element ab bezeichnet man als Produkt von a und b.

(KRM1) Die Produktbildung ist assoziativ, d.h. ∀ a, b, c ∈ R : (a · b) · c = a · (b · c).2Streng genommen braucht man in (KRA2) nur zu fordern, dass a + 0 = a und in (KRA3) nur zu verlangen, dass

a+ (−a) = 0; die jeweils andere Gleichung ergibt sich dann aus der Assoziativitat wie folgt: 0 +a = (a+ (−a)) +a =

a+ ((−a) +a) = a+ 0 = a bzw. (−a) +a = 0⇔ a+ ((−a) +a) = a⇔ (a+ (−a)) +a = a⇔ 0 +a = a⇔ a = a.3Bei Kenntnis des Abbildungsbegriffs lasst sich dieses Axiom auch dadurch ausdrucken, dass man die Existenz einer

Abbildung

+ : R× R→ R

(a, b) 7→ +(a, b) := a+ b

postuliert. Analoges gilt fur die Multiplikation in Axiom (KRM0).4Wie bei der Addition braucht man in (KRM2) eigentlich wieder nur zu fordern, dass a · 1 = a und in (KRM3) nur

zu verlangen, dass a · a−1 = 1.

3.1 Korperaxiome 83

(KRM2) In R existiert ein Element, wir nennen es eins, in Zeichen 1, so dass gilt:∀ a ∈ R : a · 1 = 1 · a = a.

(KRM3) Zu jedem a ∈ R∗ = R\0 existiert ein Element a−1 ∈ R∗, so dass gilt: a ·a−1 = a−1 ·a = 1.

Man nennt a−1 das zu a reziproke oder multiplikativ inverse Element.

(KRM4) Die Produktbildung ist kommutativ, d.h. ∀ a, b ∈ R : a · b = b · a.

(KRD) - Axiom der Distributivitat 5

(KRD) Fur alle a, b, c ∈ R gilt: a · (b+ c) = a · b+ a · c.

*******************************************************************************

Was fallt Ihnen auf, wenn Sie die beiden Axiomenfamilien zur Addition und zur Multiplikationvergleichen? (In der Vorlesung werden wir genauer uber Ihre Beobachtungen sprechen.)

Festzustellen ist sicherlich, dass sie strukturell sehr ahnlich aussehen, bezuglich der Multiplikationaber mitunter von R∗ statt von R die Rede ist (wobei die Assoziativitat, die Kommutativitat und dieEigenschaft in (KRM2) naturlich erst recht fur alle Elemente aus R∗ erfullt sind, wenn sie sogar furjene aus der Obermenge R gelten). Tatsachlich sagen diese axiomatisch festgelegten Eigenschaftenaus, dass die Menge R bezuglich der Addition und die Menge R∗ bezuglich der Multiplikationeine sogenannte abelsche oder auch kommutative Gruppe bildet:

Definition 3.1 IstG eine nichtleere Menge und ∗ eine Vorschrift, die je zwei Elementen g, h ∈ G eineindeutig bestimmtes Element g ∗ h zuordnet, so bezeichnet man das Paar (G, ∗) als eine Gruppeund ∗ als Gruppenoperation, falls folgendes gilt:

(G0) ∀ g, h ∈ G : g ∗ h ∈ G – Abgeschlossenheit von ∗. 6

(G1) ∀ g, h, k ∈ G : (g ∗ h) ∗ k = g ∗ (h ∗ k) – Assoziativitat von ∗.

(G2) ∃ e ∈ G : ∀ g ∈ G : e ∗ g = g ∗ e = g – Existenz des neutralen Elements.

(G3) ∀ g ∈ G : ∃ g′ ∈ G : g ∗ g′ = g′ ∗ g = e – Invertierbarkeit aller Elemente; gilt g ∗ g′ = e, sobezeichnet man g′ als invers zu g.

Gilt zudem

5Das zweite Distributivgesetz, dass namlich (a + b) · c = a · c + b · c fur alle a, b, c ∈ R gilt, folgt mit (KRD)unmittelbar aus der Kommutativitat der Multiplikation.

6Bei Kenntnis des Abbildungsbegriffs kann man das Axiom der Abgeschlossenheit von G gegenuber ∗ wie obendurch die Existenz einer Abbildung

∗ : G×G→ G

(g, h) 7→ ∗(g, h) =: g ∗ h

ersetzen.

3.1 Korperaxiome 84

(G4) ∀ g, h ∈ G : g ∗ h = h ∗ g – Kommutativitat von ∗,

so nennt man die Gruppe (G, ∗) kommutativ oder abelsch7. Die Eigenschaften (G0) bis (G3) bzw.(G0) bis (G4) bezeichnet man als Gruppenaxiome.

R Ist A eine nichtleere Menge, so bezeichnet man jede Vorschrift , die ein Paar a, b von Ele-menten aus A auf ein Element a b ∈ A abbildet, als (binare) Verknupfung (auf A). DasPaar (A, ) bezeichnet man dann auch als algebraische Struktur.

R Ist (G, ∗) eine Gruppe und ∗ eine Verknupfung mit additivem Charakter, so bezeichnet mandas neutrale Element e haufig mit 0 und das Inverse zu g ∈ G mit −g; handelt es sich bei ∗dagegen um eine Multiplikation, so bezeichnet man das neutrale Element e haufig mit 1 unddas Inverse zu g ∈ G mit g−1.

R Analog zur Definition von R∗ := R \ 0 verwenden wir im Folgenden die BezeichnungenQ∗ := Q \ 0 und Z∗ := Z \ 0.

Also sind die algebraischen Strukturen (R,+) und (R∗, ·) gemaß (KRA) und (KRM) abelscheGruppen. Vielleicht fragen Sie sich, warum man bezuglich der Multiplikation die 0 ausschließenmuss, um eine Gruppenstruktur zu erhalten; das liegt einzig und allein an der Tatsache, dass die0 nicht invertierbar ist: Ware die Zahl 0 invertierbar, so existierte ein Element 0−1 ∈ R, so dass0 · 0−1 = 0−1 · 0 = 1 ist. Es gilt aber

∀ a ∈ R : 0 · a = a · 0 = 0 6= 1, (3.1)

wie man sich wie folgt leicht uberlegt:

a · 0 0 neutral= a · (0 + 0)

(KRD)= a · 0 + a · 0

+(− (a · 0)

)⇐⇒ − (a · 0) + a · 0 = −(a · 0) + (a · 0 + a · 0)

Inv., Ass. +⇐⇒ 0 = (−(a · 0) + a · 0) + a · 0Inv.⇐⇒ 0 = a · 0.

Die andere Gleichung in (3.1) beweist man analog. Also gibt es kein multiplikativ Inverses zu 0 unddie algebraische Struktur (R, ·) ist keine Gruppe!

Uber die algebraischen Strukturen (R,+) und (R∗, ·) hinaus konnen wir mit relativ wenig Aufwandweitere Beispiele fur Gruppen und insbesondere auch zahlreiche Beispiele fur algebraische Struk-turen, die keine Gruppen sind, angeben: Ziehen Sie selbststandig fur jede der in Abbildung 3.1angegebenen algebraischen Strukturen nach 8, wieso es sich dabei jeweils um eine Gruppe handeltbzw. nicht (hierbei ist M eine beliebige nichtleere Menge und P(M) wie gehabt deren Potenzmen-ge; am aufwendigsten ist, was die Potenzmengen-Beispiele angeht, ubrigens der Nachweis, dass

7NIELS HENRIK ABEL, ∗ 5. August 1802, † 6. April 1829, war ein norwegischer Mathematiker und bedeutenderMitbegrunder der Gruppentheorie.

8Hierbei durfen Sie die Rechenoperationen − und ÷ wie aus der Schule gewohnt verwenden; eine formal korrekteDefinition erfolgt in Definition 3.2.

3.1 Korperaxiome 85

Abb. 3.1 Klassifizierung ausgewahlter algebraischer Strukturennach der Gruppeneigenschaft.

die symmetrische Differenzbildung 4 assoziativ ist). Insbesondere sollten Sie sich in diesem Zu-sammenhang noch einmal sorgfaltig davon uberzeugen, dass die Summe und das Produkt zweierrationaler Zahlen - so, wie Sie sie aus der Schule kennen - wieder rational sind (d.h., dass (Q,+)

und (Q∗, ·) abgeschlossen sind). In Kurze kommen wir hierauf noch einmal zuruck.

Im weiteren Verlauf der Vorlesung und Ihres Mathematikstudiums werden Sie diese Graphikubrigens durch zahlreiche weitere Strukturen erganzen konnen.

Bedeutsam ist nun die Tatsache, dass alle Rechenregeln uber das Addieren, Subtrahieren, Multipli-zieren und Dividieren in R aus diesen Korperaxiomen abgeleitet werden konnen. Beispielhaft seienhier ein paar solcher Regeln (teilweise ohne Beweis) aufgelistet (fur weitere Aussagen dieser Art ver-weise ich auf die Anfangerbucher zur Analysis im Allgemeinen; beispielhaft sei [GL76] genannt):

Satz 3.1 Es sei n ∈ N \ 1, 2 und ai ∈ R fur alle i ∈ 1, . . . , n. Dann ist der Wert der Summe

n∑

i=1

ai := a1 + . . .+ an

unabhangig von der Beklammerung, mit der die mehrfache Summe ausgewertet wird (und kanndaher ohne Klammern notiert werden).

Beweis: Zum Beispiel in [GL76], Erstes Kapitel.

3.1 Korperaxiome 86

Satz 3.2 Es sei n ∈ N \ 1, 2 und ai ∈ R fur alle i ∈ 1, . . . , n. Dann ist der Wert der Summe

n∑

i=1

ai := a1 + . . .+ an

unabhangig von der Reihenfolge der Summanden.

Beweis: Zum Beispiel in [GL76], Erstes Kapitel.

Die vorangegangenen beiden Satze gelten vollig analog fur die Multiplikation! Statt des Summen-zeichens

∑verwendet man dann das Produktsymbol 9 ∏:

n∏

i=1

ai := a1 · . . . · an.

Satz 3.3(a) Fur alle a ∈ R gilt (−(−a)) = a.

(b) Fur alle a ∈ R∗ gilt (a−1)−1 = a.

Beweis:(a) Sei a ∈ R beliebig, aber fest. Dann gilt

a0 neutr. bzgl. +

= a+ 0Darst. 0

= a+ ((−a) + (−(−a)))Ass.=

= (a+ (−a)) + (−(−a))Darst. 0

= 0 + (−(−a))0 neutr. bzgl. +

= (−(−a)).

(b) Sei a ∈ R∗ beliebig, aber fest. Dann gilt

a1 neutr. bzgl. ·

= a · 1 Darst. 1= a · (a−1 · (a−1)−1) Ass.

=

= (a · a−1) · (a−1)−1 Darst. 1= 1 · (a−1)−1 1 neutr. bzgl. ·

= (a−1)−1. 2

Was fallt Ihnen auf, wenn Sie diese beiden Aussagen mit zugehorigen Beweisen vergleichen?

Sie sind strukturell vollig gleich - hier werden vollig analoge Aussagen formuliert bzw. Rechnun-gen durchgefuhrt, einmal fur die additive Struktur (R,+) und das andere Mal fur die multiplikati-ve Struktur (R∗, ·). Außerdem wird jeweils nur auf Eigenschaften zuruckgegriffen, die den Grup-penaxiomen entspringen - das legt die Vermutung nahe, dass man die entsprechende Aussage auchallgemein fur Gruppen beweisen kann . . . tatsachlich sieht das dann aus wie folgt:

Satz 3.4 Ist (G, ∗) eine Gruppe, so gilt fur alle g, h ∈ G, dass (g′)′ = g.

In Worten bedeutet diese Aussage, dass das Inverse des Inversen von g immer mit g ubereinstimmt- genau so, wie wir es in Satz 3.3 fur die Gruppen (R,+) und (R∗, ·) verifiziert haben.

9Streng genommen werden sowohl die n-fache Summe als auch das n-fache Produkt induktiv definiert wie folgt:1∑

i=1

ai := a1, ∀n ∈ N :

n+1∑

i=1

ai :=

n∑

i=1

ai + an+1 und1∏

i=1

ai := a1, ∀n ∈ N :

n+1∏

i=1

ai :=

n∏

i=1

ai · an+1

3.1 Korperaxiome 87

Beweis: Formulieren Sie diesen Beweis ganz analog zu den Beweisen von Satz 3.3. 2

Eine andere wichtige Tatsache ist, dass die 0 als neutrales Element der Addition und die 1 als neutra-les Element der Multiplikation eindeutig bestimmt sind. Auch das beweisen wir wieder gleichzeitigfur beide Falle, indem wir den entsprechenden Beweis fur Gruppen fuhren;

Satz 3.5 Ist (G, ∗) eine Gruppe, so ist deren neutrales Element eindeutig bestimmt.

Beweis: Angenommen, (G, ∗) ist eine Gruppe, die zwei neutrale Elemente e1 und e2 enthalt. Danngilt, da die Verknupfung eines jeden Elements mit e1 nichts an diesem Element andert, dass

e2 = e2 ∗ e1. (3.2)

Andererseits verandert nach Voraussetzung die Verknupfung von e1 mit dem neutralen Element e2nichts an e1, so dass

e1 = e2 ∗ e1. (3.3)

Fasst man (3.2) und (3.3) zusammen, so ergibt sich e1 = e2 ∗ e1 = e2, was e1 = e2 impliziert. Damitkann es nur genau ein Element in G geben, das neutral ist. 2

Ahnlich zeigt man die Eindeutigkeit der inversen Elemente:

Satz 3.6 Ist (G, ∗) eine Gruppe, so ist fur jedes g ∈ G das Inverse g′ von g eindeutig bestimmt.

Beweis: Angenommen, (G, ∗) ist eine Gruppe, g ∈ G und g′ und g′′ sind invers zu g. Dann gilt, da∗ insbesondere assoziativ ist,

g′ = g′ ∗ e = g′ ∗ (g ∗ g′′) Ass.= (g′ ∗ g) ∗ g′′ = e ∗ g′′ = g′′, (3.4)

was g′ = g′′ impliziert. Damit kann es fur jedes g ∈ G nur genau ein Inverses in G geben. 2

Der folgende ganz bedeutende Satz macht eine Aussage uber die generelle Losbarkeit einer einfa-chen Gleichung in Gruppen.

Satz 3.7 Ist (G, ∗) eine Gruppe, so existieren fur alle g, h ∈ G eindeutig bestimmte Losungen derGleichungen

g ∗ x = h, (3.5)

y ∗ g = h (3.6)

in den Unbekannten x bzw. y, namlich x = g′ ∗ h und y = h ∗ g′.

Beweis: Wir zeigen nur die eindeutige Losbarkeit von (3.5). Die andere Aussage beweist man ge-nauso. Zunachst zeigen wir, dass g′ ∗ h die Gleichung (3.5) tatsachlich lost (Existenz der Losung):Mit x = g′ ∗ h gilt

g ∗ x = g ∗ (g′ ∗ h)Ass.= (g ∗ g′) ∗ h = e ∗ h = h.

3.1 Korperaxiome 88

Im zweiten Schritt zeigen wir, dass es keine andere Losung gibt: Ist x ∈ G und g ∗ x = h, so folgt

g ∗ x = h

⇔ g′ ∗ (g ∗ x) = g′ ∗ h⇔ (g′ ∗ g) ∗ x = g′ ∗ h⇔ e ∗ x = g′ ∗ h⇔ x = g′ ∗ h. 2

Bemerkung 3.1 Umgekehrt kann man zeigen, dass eine assoziative algebraische Struktur genaudann eine Gruppe ist, wenn die beiden Gleichungen (3.5) und (3.6) eindeutig losbar sind. Aus derLosbarkeit dieser Gleichungen kann man namlich die Existenz eines neutralen Elements und dieExistenz der inversen Elemente ableiten - allerdings ist dies ein sehr technischer Beweis, der hiernicht gefuhrt werden soll. Da beispielsweise (P(N),∩) keine Gruppe ist (siehe Abbildung 3.1), mussdemnach wegen der Assoziativitat von ∩ (siehe Satz 2.3) die Losung der Gleichung

1, 2, 3 ∩X = 1

nicht eindeutig sein: Und tatsachlich kann man fur X beispielsweise 1, aber auch 1, 4, 1, 5oder, oder, oder . . . wahlen.

Bemerkung 3.2 Satz 3.7 bedeutet fur die kommutative Gruppe

(a) (R,+), dass fur alle a, b ∈ R die Gleichungen a + x = b und y + a = b eindeutig durchx = y = −a+ b

komm.= b+ (−a) gelost werden; hieraus folgt insbesondere auch, dass −0 = 0,

das neutrale Element 0 ist also zu sich selbst invers; derartige Elemente nennt man auchselbstinvers.

(b) (R∗, ·), dass fur alle a, b ∈ R∗ die Gleichungen a · x = b und y · a = b eindeutig durchx = y = a−1 · b komm.

= b · a−1 gelost werden.

Bemerkung 3.3 Erganzend hierzu uberlegt man sich leicht, dass die Gleichung a · x = b in R auchdann eindeutig losbar ist, wenn a ∈ R∗ und b ∈ R: Fur b 6= 0 wurde dies ja gerade bewiesen undfur b = 0 lost einzig und allein x = 0 die Gleichung (siehe (3.1)), weil das Produkt zweier von 0

verschiedener Zahlen nach (KRM0) nie 0 ist.Machen Sie sich klar, dass die Gleichung 0 · x = b fur b ∈ R∗ nicht und die Gleichung 0 · x = 0

nicht eindeutig losbar ist.

Um diese Losungen der gerade behandelten Gleichungen kurzer bzw. ubersichtlicher notieren zukonnen, fuhrt man folgende Schreibweisen ein:

Definition 3.2(a) Fur alle a, b ∈ R definiert man b − a := b + (−a) = (−a) + b (Losung der Gleichungen

a+ x = b bzw. y + a = b).

3.1 Korperaxiome 89

(b) Fur alle a ∈ R∗ und b ∈ R definiert man ba

:= a−1 · b = b · a−1 (Losung der Gleichungena · x = b bzw. y · a = b).

Bemerkung 3.4 Fur alle a ∈ R∗ gilt damit insbesondere 1a

= a−1 · 1 = a−1.

An dieser Stelle wollen wir einmal kurz innehalten: Auf Seite 8 hatten wir die Menge Q - wie ausder Schule bekannt - definiert als die Menge aller Ausdrucke der Form p

q, wobei p, q ∈ Z und q 6= 0

ist. Nun wissen wir ebenfalls aus der Schule 10, dass Q, Z und N Teilmengen von R sind. In diesemSinne sollte naturlich insbesondere die auf Seite 8 verwendete Notation p

qmit der in Definition

3.2(b) eingefuhrten Schreibweise harmonieren: Hiernach ist pq

die eindeutig bestimmte Losung derGleichung q · x = p (die nach Bemerkung 3.3 existiert, da q 6= 0 ist.) In diesem Sinne konnen wir Qauch wie folgt als Teilmenge von R beschreiben:

Q := x ∈ R : ∃ p, q ∈ Z mit q 6= 0 : q · x = p. (3.7)

Die rationalen Zahlen sind also die Menge aller Losungen von Gleichungen der Form q · x = p,wobei q 6= 0 gefordert sein muss.

Aus der Festlegung in Definition 3.2 und den zuvor angegebenen Axiomen lassen sich unter anderemdie Ihnen bekannten Regeln zum Rechnen mit Bruchen ableiten. Als erstes Beispiel hierzu sei diesogenannte Kurzungsregel behandelt, einmal in additiver und einmal in multiplikativer Variante.

∀ a, b, c ∈ R : a+ b = a+ c⇒ b = c (3.8)

∀ a, b, c ∈ R∗ : a · b = a · c⇒ b = c. (3.9)

Diese Implikationen sind ein Spezialfall des folgenden Satzes:

Satz 3.8 In jeder Gruppe (G, ∗) gelten folgende Kurzungsregeln:

∀ g, h, k ∈ G : g ∗ h = g ∗ k ⇒ h = k (3.10)

∀ g, h, k ∈ G : h ∗ g = k ∗ g ⇒ h = k. (3.11)

Beweis: Sei (G, ∗) eine Gruppe und seien g, h, k ∈ G. Dann gilt

g ∗ h = g ∗ k ⇔ g′ ∗ (g ∗ h) = g′ ∗ (g ∗ k)⇔ e ∗ h = e ∗ k ⇔ h = k

und

h ∗ g = k ∗ g ⇔ (h ∗ g) ∗ g′ = (k ∗ g) ∗ g′ ⇔ h ∗ e = k ∗ e⇔ h = k. 2

10An dieser Stelle sollte angemerkt werden, dass sich die Existenz der in R enthaltenen Zahlbereiche Q,Z und N nichtaus den im Rahmen dieses Kapitels diskutierten Axiomen der reellen Zahlen ableiten lasst! Um diese ”Schachtelung derZahlbereiche“ richtig nachvollziehen zu konnen, muss man einen Zahlbereichsaufbau betreiben, der beispielsweise mitden Peano-Axiomen der naturlichen Zahlen beginnt und diese dann durch Aquivalenzklassenbildungen zu Z, Q undschließlich R erweitert. Auf einige Aspekte dieses Zahlbereichsaufbaus werden wir spater noch zu sprechen kommen.

3.1 Korperaxiome 90

Die Bezeichnung Kurzungsregel fur (3.9) ist vielleicht noch besser nachzuvollziehen, wenn mandie dortige Implikation unter Ruckgriff auf Definition 3.2 wie folgt notiert: Fur alle a, b, c ∈ R∗ ist

y =bc

ac⇔ yac = bc

()⇒ ya = b⇔ y =b

a. (3.12)

Die Ruckrichtung in () gilt ubrigens trivialerweise (klar?). Daraus folgt die Ihnen sicher sehr ver-traute Form der Kurzungsregel:

∀ a, b, c ∈ R mit a, c 6= 0 :bc

ac=b

a.

Ein anderer wichtiger Zusammenhang ergibt sich aus folgender Tatsache:

Satz 3.9 Ist (G, ∗) eine Gruppe, so gilt fur alle g, h ∈ G: (g ∗ h)′ = h′ ∗ g′.

In Worten bedeutet dies, dass das Inverse von g ∗ h die Verknupfung der Inversen von h und g ist;hierbei ist zu beachten, dass beim Invertieren die Reihenfolge von g und h vertauscht werden muss!Dies ist im Fall abelscher Gruppen zwar nicht relevant, sollte aber grundsatzlich nicht vergessenwerden!

Beweis: Ubung. 2

Bemerkung 3.5 Satz 3.9 bedeutet fur die kommutative Gruppe

(a) (R,+), dass fur alle a, b ∈ R gilt: −(a+ b) = (−b) + (−a)Komm.

= (−a) + (−b)

(b) (R∗, ·), dass fur alle a, b ∈ R gilt: (a · b)−1 = b−1 ·a−1 Komm.= a−1 · b−1; in Bruchschreibweise:

1

a · b =1

b· 1

aKomm.

=1

a· 1

b.

Eine andere wichtige Regel, die man im Zusammenhang mit Bruchen bereits in der Mittelstufekennen lernt, ist die Summenregel:

Satz 3.10 Fur alle a, b, c, d ∈ R mit b, d 6= 0 gilt:

a

b+c

d=da+ bc

bd.

Beweis: Per Definition der Bruchschreibweise ist b ·(ab

)= a und d ·

(cd

)= c. Diese beiden

Gleichungen implizieren, dass db ·(ab

)= da und bd ·

(cd

)= bc. Addition liefert die Identitat

db ·(ab

)+ bd ·

(cd

)= da + bc. Anwendung des Distributivgesetzes liefert wegen bd = db, dass

bd ·(ab

+ cd

)= da + bc, was - per Definition der Bruchschreibweise - die Gleichung a

b+ c

d= da+bc

bd

nach sich zieht. 2

R Uberlegen Sie sich analog, dass fur alle a, b, c, d ∈ R mit b, d 6= 0 die folgende Multiplikati-onsregel gilt:

a

b· cd

=ac

bd. (3.13)

3.1 Korperaxiome 91

Interessante Beispiele fur Gruppen, die nicht abelsch sind, werden wir spatere kennen lernen: Dazuwerden wir Mengen von (Ihnen aus der Schule bekannten) Funktionen mit einer ”Rechenvorschrift“,der sogenannten Komposition oder auch Hintereinanderausfuhrung, ausstatten.

Wie wir gesehen haben, ist die Menge R mit zwei Rechenoperationen, einer Addition und einerMultiplikation, ausgestattet, bezuglich denen die Menge jeweils ”gute“ Eigenschaften hat und diesich in Form des Distributivgesetzes auch noch ”vertragen“; derartige Strukturen aus einer Mengeund zwei Verknupfungen bezeichnet man als Korper:

Definition 3.3 Es sei K 6= ∅ eine nichtleere Menge mit zwei Verknupfungen ∗ und . Dann bezeich-net man das Tripel (K, ∗, ) als einen Korper, wenn folgende Eigenschaften erfullt sind:

(K1) (K, ∗) ist eine abelsche Gruppe mit einem neutralen Element e∗.

(K2) (K \ e∗, ) ist eine abelsche Gruppe.

(K3) Es gilt das Distributivgesetz:

∀ g, h, k ∈ K : g (h ∗ k) = (g h) ∗ (g k).

Die Eigenschaften (K1) bis (K3) bezeichnet man als Korperaxiome.

Damit ist klar, warum wir die Axiome auf Seite 82 als Korperaxiome von R bezeichnet haben: DasTripel (R,+, ·) ist ein Korper.

Bemerkung 3.6 Wenn man die Tatsachen verwendet, dass

(a) die Summe und das Produkt zweier ganzer Zahlen auch wieder ganze Zahlen sind und einderartiges Produkt nur 0 ist, wenn mindestens einer seiner Faktoren 0 ist,

(b) ∀ a ∈ Z \ 0 : 0 = 0a

(c) ∀ a ∈ Z \ 0 : 1 = aa,

so liefern die Summenregel in Satz 3.10 und die Multiplikationsregel (3.13), dass auch (Q,+, ·) einKorper ist: Die Assoziativ- und Kommutativgesetze folgen namlich direkt aus der Tatsache, dassQ ⊆ R, die Abgeschlossenheit folgt mit den beiden genannten Regeln jeweils aus (a), die Existenzder neutralen Elemente folgt aus (b) bzw. (c).(Ziehen Sie die hier skizzierten Uberlegungen sorgfaltig nach!)

Bemerkung 3.7 Auch ganze oder naturliche Zahlen lassen sich addieren und multiplizieren. Trotz-dem sind weder (Z,+, ·) noch (N,+, ·) ein Korper. Uberlegen Sie sich, wieso!

R In Anlehnung an die gerade behandelten Beispiele (R,+, ·) und (Q,+, ·) fur Korper (K, ∗, )bezeichnet man die Rechenoperationen ∗ bzw. oft auch in allgemeinen Korpern mit + und ·und die entsprechenden neutralen Elemente mit 0 statt e∗ und 1 (statt e). Vielleicht liegt Ihnendie daraus resultierende Darstellung der Korperaxiome besser - schreiben Sie sie doch einfachmal um! Das Distributivgesetz sieht dann auch gleich wieder sehr vertraut aus!

3.2 Anordnungsaxiome 92

Bemerkung 3.8 Mitunter wird die Frage formuliert, ob ”unendlich“, geschrieben als∞, eine reelleZahl ist. Dabei unterstellen wir dieser Große, dass sie sich nicht verandert, wenn man etwas hinzuaddiert oder sie vervielfacht.Um diese Frage zu beantworten, uberlegen wir uns folgendes: Ware∞ eine reelle Zahl, so musstenwir alle Korperaxiome von R auf sie anwenden konnen: ∞ hatte dann insbesondere auch ein ad-ditiv Inverses, −∞. Damit konnten wir folgende Aquivalenzumformungen der sich aus der obenbeschriebenen Vorstellung von∞ ableitenden Gleichung 1 +∞ =∞ vornehmen:

1 +∞ =∞+(−∞)⇔ (1 +∞) + (−∞) =∞+ (−∞)

Ass.⇔ 1 + (∞+ (−∞)) =∞+ (−∞)

⇔ 1 + 0 = 0

0 neutral⇔ 1 = 0.

Dies steht im Widerspruch zu 1 ∈ R∗ = R \ 0; die Korperaxiome gelten also fur∞ nicht - unddamit ist∞ auch keine reelle Zahl! Gleiches gilt naturlich fur die Große −∞.

3.2 Anordnungsaxiome

Nach den bisher zusammen getragenen und ausschließlich das Rechnen betreffenden Eigenschaftenvon R konnten die Elemente dieser Menge gleichsam ”in einem Sack verteilt“ sein. Diese damit ver-bundene ”Unordnung“ entspricht der eingangs erwahnten Grundvorstellung, dass die reellen Zahlenentlang eines Zahlenstrahls bzw. einer Zahlengerade angesiedelt sind (siehe Abbildung 3.2), je-doch in keinster Weise: Was diese Idee betrifft, ist dort die 0, also das neutrale Element der Addition,mittig positioniert, rechts davon liegen die sogenannten positiven reellen Zahlen, die man als > 0

notiert, und links davon die sogenannten negativen reellen Zahlen. Mit dieser Darstellung ist ver-bunden, dass die reellen Zahlen angeordnet sind und sich von je zwei verschiedenen reellen Zahlenimmer entscheiden lasst, welche der beiden großer (bzw. kleiner) als die andere ist; a > b bedeutetin diesem Bild, dass a großer ist als b und rechts von b liegt.Diese >-Beziehung bildet die Grundlage fur die Definition der sogenannten Betragsfunktion, mitderen Hilfe man dann auch noch den Abstand zweier reeller Zahlen a und b beschreiben kann:|a| = |a− 0| ist der Abstand von a zu 0 und |a− b| = |b− a| der Abstand von a zu b.

Abb. 3.2 Zahlenstrahl bzw. Zahlengerade.

3.2 Anordnungsaxiome 93

R Dass die Moglichkeit, die Elemente einer Menge im gerade beschriebenen Sinn anzuord-nen und Abstande fur ihre Elemente anzugeben, nicht selbstverstandlich ist, wird Ihnen so-fort bewusst, wenn Sie mal versuchen, etwas Vergleichbares mit den Elementen der MengeP(1, 2, 3) zu tun . . .

Die Anordnung von R ist also eine weitere, diese Menge charakterisierende Eigenschaft; sie kanndurch die folgenden Axiome vollstandig beschrieben werden:

***************** ANORDNUNGSAXIOME ********************

(AOR1) Fur jede reelle Zahl a gilt genau eine der drei Beziehungen

a > 0 oder a = 0 oder − a > 0.

(AOR2) Sind a, b ∈ R, so folgt aus a > 0 und b > 0, dass

(a) a+ b > 0

(b) ab > 0.

(AOR3) Archimedisches Axiom 11 12: Zu jeder reellen Zahl a gibt es eine naturliche Zahl n, so dassn− a > 0.

***************************************************************************

Definition 3.4 Gilt a > 0, so bezeichnet man a als positiv, gilt −a > 0, so bezeichnet man a alsnegativ. Die Menge der positiven reellen Zahlen bezeichnen wir mit R+, die der negativen mit R−;es ist also

R+ := a ∈ R : a > 0und

R− := a ∈ R : −a > 0.

Definition 3.5 Seien a, b ∈ R beliebig. Dann definiert man

(a) a > b und sagt ”a ist großer als b“ :⇔ a− b > 0

(b) b < a und sagt ”b ist kleiner als a“ :⇔ a > b

(c) a ≥ b und sagt ”a ist großer-gleich b“ :⇔ a > b ∨ a = b

(d) b ≤ a und sagt ”b ist kleiner-gleich a“ :⇔ b < a ∨ b = a.

11ARCHIMEDES, ∗ um 287 v. Chr., † 212 v. Chr., gilt als einer der bedeutendsten Mathematiker des Altertums; daruberhinaus hat er sich physikalisch und ingenieurwissenschaftlich betatigt.

12Auf das Archimedische Axiom wird mitunter bei der Aufzahlung der Anordnungsaxiome fur R auch verzichtet;man kann es namlich aus einer der zueinander aquivalenten Bedingungen Supremumsprinzip, Vollstandigkeit bzgl. Inter-vallschachtelungen oder Existenz der Dedekindschen Schnittzahlen ableiten. Da es jedoch auch fur die nicht vollstandigeMenge Q gilt, sei es hier aufgelistet.

3.2 Anordnungsaxiome 94

Damit gilt

a < 0⇔ 0 > a⇔ 0− a > 0⇔ −a > 0 (3.14)

und alsoR− = a ∈ R : −a > 0 = a ∈ R : a < 0.

Weiter setzt manR+

0 := a ∈ R : a ≥ 0und

R−0 := a ∈ R : −a ≥ 0 = a ∈ R : a ≤ 0.

Aus den Anordnungsaxiomen folgen alle Regeln zum Rechnen mit Ungleichungen. Beispielhaftseien in den folgenden Satzen einige wichtige zusammengefasst:

Satz 3.11(a) Trichotomie 13: ∀ a, b ∈ R gilt genau eine der drei Beziehungen

a > b oder a = b oder a < b.

(b) Transitivitat der >-Relation: ∀ a, b, c ∈ R : a > b ∧ b > c⇒ a > c.

Beweis:(a) Anwendung von Axiom (AOR1) auf a− b liefert die Behauptung. Dabei ist zu beachten, dass

nach Bemerkung 3.5(a) gilt−(a−b) = −(a+(−b)) = −a+(−(−b)) = −a+b = b+(−a) =

b− a.

(b) Wegen a − b > 0 und b − c > 0 nach Voraussetzung ist nach Axiom (AOR2)(a) auch (a −b) + (b− c) = a− c > 0, was a > c nach sich zieht. 2

Im Zuge der folgenden Beweise verwenden wir die aus den Korperaxiomen leicht abzuleitendenTatsachen, dass fur alle a, b ∈ R folgendes gilt 14:

(−1) · a = −a (3.15)

a · (−b) = (−a) · b = −(a · b) (3.16)

(−a) · (−b) = a · b (3.17)

Der folgende wichtige Satz entspricht der Tatsache, dass man eine Addition von c ∈ R als eineVerschiebung um c bzw. eine Multiplikation mit c ∈ R+ als eine Streckung um den Faktor cinterpretieren kann.

13aus dem Griechischen: tri = drei, tome = Schnitt14Es ist namlich 0 = 0 · a = (1 + (−1)) · a = 1 · a + (−1) · a = a + (−1) · a. Die Gleichheit (−a) = (−1) · a

folgt dann aus der Tatsache, dass das Inverse (−a) eindeutig bestimmt ist. Fur die Gleichungen in (3.16) argumentiertman ahnlich: Es ist ab + a(−b) = a(b + (−b)) = a · 0 = 0, also muss a(−b) mit dem additiv Inversen −(ab) von abubereinstimmen. (3.17) ergibt sich aus (3.16) und der Tatsache, dass −(−a) = a.

3.2 Anordnungsaxiome 95

Satz 3.12(a) ∀ a, b, c ∈ R : a > b⇔ a+ c > b+ c.

(b) ∀ a, b, c ∈ R : a > b⇒

ac > bc : c > 0

ac = bc : c = 0

ac < bc : c < 0.

Beweis:(a) Dies folgt mit der Definition von> aus a+c > b+c⇔ (a+c)−(b+c) > 0⇔ a+c−b−c >

0⇔ a− b > 0.

(b) Diese Implikation ist sehr wichtig! Fur den Fall c = 0 ist die Aussage klar, da a ·0 = 0 fur allea ∈ R. Nun zu den anderen Fallen: Nach Voraussetzung ist a > b⇔ a−b > 0. Multiplikationmit einer positiven Zahl c liefert mit (AOR2)(b), dass ac− bc = (a− b)c > 0⇔ ac > bc. Istc hingegen negativ, so ist (mit (3.14)) −c positiv und man erhalt, mit dem gleichen Argumentwie eben, dass bc− ac = −ac− (−bc) = (a− b)(−c) > 0⇔ bc > ac. 2

Korollar 3.13 Fur alle a, b ∈ R gilt: a > b⇔ −a < −b.

Beweis: Man setze in Satz 3.12(b) jeweils −1 fur c ein und berucksichtige (3.15). 2

Korollar 3.14 Fur alle a, c ∈ R gilt: a > 0 ∧ c < 0⇒ ac < 0.

Beweis: Hier muss man in Satz 3.12(b) fur b nur 0 einsetzen: a > 0⇒ ac < 0 · c = 0. 2

Das Produkt aus einer negativen und einer positiven Zahl ist also immer negativ! Beweisen Sie ganzahnlich, dass das Produkt aus zwei negativen Zahlen immer positiv ist. Im folgenden Satz werdenunter anderem die beiden neutralen Elemente aus R in Beziehung zueinander gesetzt: WenngleichIhnen diese Beziehung ”klar“ vorkommt, ist zu bedenken, dass sie aus den Korperaxiomen alleinenicht abzuleiten war!

Satz 3.15(a) ∀ a ∈ R : a 6= 0⇒ a2 > 0

(b) 1 > 0.

(c) Jede naturliche Zahl ist positiv.

Beweis:(a) Ist a > 0, so folgt a2 > 0 aus (AOR2)(b). Im Fall a < 0 ist (−a) > 0 und a2 = a · a (3.17)

=

(−a) · (−a) = (−a)2 > 0.

(b) Es ist 1 = 1 · 1 = 12 > 0 (mit (a)).

3.2 Anordnungsaxiome 96

(c) Diese Aussage beweist man mittels vollstandiger Induktion. Der Induktionsanfang ist in (b)gemacht worden. Fur den Induktionsschritt argumentieren wir wie folgt: Wegen 1 > 0 giltauch n + 1 − n > 0 ⇔ n + 1 > n. Aus der Konjunktion n + 1 > n ∧ n > 0 folgt dieBehauptung n+ 1 > 0 dann mittels der Transitivitat in Satz 3.11(b) 15. 2

Satz 3.16(a) ∀ a ∈ R : a > 0⇔ 1

a> 0

(b) ∀ a, b ∈ R+ : a > b⇒ 1a< 1

b

(c) ∀ a, b, c, d ∈ R : a > b ∧ c > d⇒ a+ c > b+ d

(d) ∀ a, c ∈ R : ∀ b, d ∈ R+ : a > b ∧ c > d⇒ ac > bd.

Beweis:

(a) Ware nur genau einer der beiden Ausdrucke a oder 1a

positiv, so ware wegen Korollar 3.14 dasProdukt a · 1

anicht positiv und damit wegen Satz 3.15(b) auch nicht 1. Das widerspricht aber

der Definition des Inversen.

(b) Ware 1a≥ 1

b, so folgte durch Multiplikation mit ab > 0 die Ungleichung b ≥ a, die der

Voraussetzung widerspricht.

(c) Die Implikation folgt aus (a− b) + (c− d) = (a+ c)− (b+ d) und (AOR2)(a).

(d) Die Richtigkeit dieser Aussage erkennt man so: Gemaß Satz 3.12(b) folgt aus der Vorausset-zung, dass ac > bc (da c > 0 wegen c > d und d > 0) und bc > bd ist. Aus der Transitivitat inSatz 3.11(b) folgt daraus die Behauptung. 2

Wichtig ist auch die folgende, aus dem Archimedischen Axiom abzuleitende Aussage:

Satz 3.17 Fur alle b ∈ R+ existiert ein n ∈ N, so dass 0 < 1n< b.

Beweis: Sei b ∈ R+ beliebig, aber fest. Dann ist nach Satz 3.16(a) auch a := 1b∈ R+. Insbesondere

existiert zu diesem a nach (AOR3) ein n ∈ N, so dass n − a > 0 ⇔ n > a gilt. Multiplikation derletzten Ungleichung mit 1

na= 1

n· 1a> 0 liefert

b =11b

=1

a>

1

n.

Wegen 1n> 0 ist die Aussage damit bewiesen. 2

Bemerkung 3.9 Dieses Korollar ist sehr bemerkenswert! Es zeigt namlich, dass die sogenannteharmonische Folge Folge

(1n

)n∈N := (1, 1

2, 13, 14, . . .) aller Stammbruche ”beliebig klein“ wird und

es keine kleinste positive Zahl gibt (klar?!)!

15Alternativ kann man uber (AOR2(a)) argumentieren: Aus n > 0 (nach IV) und 1 > 0 folgt, dass die Summe n+ 1

auch positiv ist.

3.2 Anordnungsaxiome 97

Bemerkung 3.10 Einige der oben aufgefuhrten Aussagen lassen sich auch fur die ≥-Relation be-weisen. Fuhren Sie das zu Ubungszwecken selbststandig durch!

Bemerkung 3.11(a) Die Anordnungsaxiome (AOR1) und (AOR2) wurden auf Seite 93 fur den Korper (R,+, ·)

formuliert. Allgemeiner hatten sie aber auch fur einen beliebigen Korper (K, ∗, ) formuliertwerden konnen. Einen Korper, der entsprechend verallgemeinerte Anordnungsaxiome erfullt,bezeichnet man als einen angeordneten Korper. Wird uberdies das Archimedische Axiom(AOR3) erfullt 16, so spricht man von einem archimedisch angeordneten Korper. Insbeson-dere ist also (R,+, ·) ein archimedisch angeordneter Korper.

(b) Die Anordnungsaxiome treffen alle auch auf den Korper (Q,+, ·) zu: Damit ist auch(Q,+, ·) ein archimedisch angeordneter Korper. Erst durch das noch zu behandelndeVollstandigkeitsaxiom von R wird der entscheidende Unterschied zwischen R und Q deutlichwerden.

(c) Durch die Anordnungsaxiome, Definition 3.5 und Satz 3.11 ist die bereits in Abschnitt 2.6vorgenommene Definition 2.14 der Intervalle formal legitimiert worden: Da zu gegebenenreellen Zahlen a, b fur jedes x ∈ R eindeutig entscheidbar ist, ob a < x, a = x oder a > x

bzw. b < x, b = x oder b > x gilt, ist

]a, b[ := x ∈ R : a < x ∧ x < b

eine wohldefinierte Menge. Genauso verhalt es sich mit den abgeschlossenen bzw. halboffenenIntervallen.

Aus den ersten drei Anordnungsaxiomen lasst sich die folgende wichtige Ungleichung ableiten, dienach dem Schweizer Mathematiker JAKOB BERNOULLI, ∗ 1654, † 1705, benannt ist.

Satz 3.18 (Bernoullische Ungleichung) Sei x ∈ R \ 0 und x > −1. Dann gilt fur alle k ∈N \ 1 :

(1 + x)k > 1 + kx.

Beweis: Ubung. 2

Mittels dieser Ungleichung lassen sich folgende wichtige Aussagen ableiten:

Satz 3.19 Es sei q ∈ R+. Dann gilt

(a) q > 1⇒ ∀K ∈ R : ∃n ∈ N : qn > K

(b) q < 1⇒ ∀ ε ∈ R+ : ∃n ∈ N : qn < ε.

Beweis: Ubung. 2

16wobei die naturliche Zahl n dann als die n-fache Summe von 1, des neutralen Elements der Multiplikation, verstan-den wird

3.2 Anordnungsaxiome 98

Wie oben bereits angedeutet, wird auf der Grundlage der Anordnungsaxiome die Betragsfunktion| · | : R→ R eingefuhrt, mit deren Hilfe sich Abstande zwischen reellen Zahlen beschreiben lassen:

Definition 3.6 Die Funktion

| · | : R→ R

a 7→ |a| :=

a : a ≥ 0

−a : a < 0

heißt Betragsfunktion (auf R). Den Funktionswert |a| bezeichnet man als Betrag von a (mitunterauch Absolutbetrag von a).

R Anschaulich ist |a| = |a− 0| fur jedes a ∈ R der Abstand von a zu 0 auf der Zahlengeraden.Insbesondere ist diese Große auch fur die links von der 0 liegenden negativen Zahlen positiv!

Im folgenden Satz sind wichtige Regeln fur den Umgang mit der Betragsfunktion zusammengefasst:

Satz 3.20 Seien a, b ∈ R. Dann gilt:

(a) |a| ≥ 0 und |a| = 0⇔ a = 0

(b) |ab| = |a||b|

(c)∣∣ab

∣∣ = |a||b| , falls b 6= 0

(d) |a− b| = |b− a|

(e) Dreiecksungleichung (4-UG:) |a+ b| ≤ |a|+ |b|

(f) |a− b| ≥∣∣|a| − |b|

∣∣

(g1) Fur alle ε ≥ 0 : |a| ≤ ε⇔ −ε ≤ a ≤ ε

(g2) Fur alle ε > 0 : |a| < ε⇔ −ε < a < ε

Beweis:(a) Fur a > 0 ist |a| = a > 0, fur a < 0 ist |a| = −a > 0. Fur a = 0 gilt |a| = 0. (Machen Sie

sich klar, dass die Aquivalenzaussage in (a) damit wirklich bewiesen ist.)

(b) Hier mussen mehrere Falle unterschieden werden: Außerdem muss man auf Aussagen wie inSatz 3.12, jedoch fur die ≥-Relation, und auf (3.16) zuruckgreifen (siehe Bemerkung 3.10):

a, b ≥ 0 ⇒ ab ≥ 0 ⇒ |ab| = ab = |a||b|a ≥ 0, b < 0 ⇒ ab ≤ 0 ⇒ |ab| = −ab = a(−b) = |a||b|a < 0, b ≥ 0 ⇒ ab ≤ 0 ⇒ |ab| = −ab = (−a)b = |a||b|

a, b < 0 ⇒ ab > 0 ⇒ |ab| = ab = (−a)(−b) = |a||b|

3.2 Anordnungsaxiome 99

(c) Per Definition 3.2(b) ist a = ab· b, also wegen Teil (b) dieses Satzes |a| =

∣∣abb∣∣ =

∣∣ab

∣∣ |b|. Dasliefert die Behauptung (klar?).

(d) Es gilt |a − b| = a − b = −(b − a) = |b − a|, falls a − b ≥ 0 ⇔ b − a ≤ 0 und |a − b| =

−(a− b) = b− a = |b− a|, falls a− b < 0⇔ b− a > 0.

(e) Fur alle x ∈ R gilt x ≤ |x| und −x ≤ |x|. Damit folgt a+ b ≤ |a|+ |b| und −(a+ b)Bem. 3.5(a)

=

(−a) + (−b) ≤ |a|+ |b|. Nun gibt es zwei Moglichkeiten, entweder ist a+ b ≥ 0 oder es gilta+ b < 0: In beiden Fallen ergibt sich aber das nach dem eben Gesagten das Gewunschte:

a+ b ≥ 0⇒ |a+ b| = a+ b ≤ |a|+ |b|

bzw.a+ b < 0⇒ |a+ b| = −(a+ b) ≤ |a|+ |b|.

(f) Es ist |a| = |b+ a− b|4-UG≤ |b|+ |a− b|. Subtraktion von |b| liefert |a− b| ≥ |a| − |b|. Analog

zeigt man |a − b| = |b − a| ≥ |b| − |a|. Nun ist∣∣|a| − |b|

∣∣ = |a| − |b|, falls |a| ≥ |b| und∣∣|a| − |b|∣∣ = |b| − |a|, falls |a| < |b|. Da jedoch |a − b| ≥ |a| − |b| ∧ |a − b| ≥ |b| − |a|, gilt

damit auch |a− b| ≥∣∣|a| − |b|

∣∣, wie behauptet.

(g1) Sei ε ≥ 0 beliebig und . . .

• |a| ≤ ε: Ist dann a ≥ 0, so ist −ε ≤ a und außerdem a = |a| ≤ ε.Ist a < 0, so ist a < ε und damit auch a ≤ ε; außerdem ist dann |a| = −a ≤ ε, alsoa = (−1)(−a) ≥ (−1)ε = −ε.• −ε ≤ a ≤ ε: Ist a ≥ 0, so gilt |a| = a ≤ ε. Im Fall a < 0 folgt die nachzuweisende

Ungleichung ε ≥ −a = |a| aus der Voraussetzung −ε ≤ a nach Multiplikation mit −1.

(g2) Analog wie (g1). 2

In der Vorlesung werden wir motivieren, warum man die Ungleichung |a + b| ≤ |a| + |b| als Drei-ecksungleichung bezeichnet. Auf jeden Fall sollten Sie sich (uber das Nachvollziehen des Beweiseshinaus) die Gultigkeit dieser Ungleichung an vielen verschiedenen Zahlbeispielen verdeutlichen!

Definition 3.7 Fur alle a0 ∈ R und ε ∈ R+ bezeichnet man die Menge

Uε(a0) := a ∈ R : |a− a0| < ε

aller reellen Zahlen, die von a0 einen Abstand haben, der kleiner ist als ε, als die ε-Umgebung vona0.

Abbildung 3.3 enthalt eine Visualisierung einer ε-Umgebung.

Korollar 3.21 Fur alle a0 ∈ R und ε ∈ R+ ist

Uε(a0) = a ∈ R : |a− a0| < ε = ]a0 − ε, a0 + ε[.

3.3 Vollstandigkeitsaxiom 100

Abb. 3.3 Fett markiert: die ε-Umgebung von a0 ∈ R.

Beweis: Aus Satz 3.20(g2) folgt, dass |a− a0| < ε⇔ −ε < a− a0 < ε+a0⇔ a0− ε < a < a0 + ε.2

Die oben angegebene Dreiecksungleichung lasst sich auch in allgemeinerer Form ausdrucken:

Satz 3.22 Fur alle n ∈ N und fur alle x1, . . . , xn ∈ R gilt∣∣∣∣∣n∑

i=1

xi

∣∣∣∣∣ ≤n∑

i=1

|xi|.

Beweis: Ubung. 2

3.3 Vollstandigkeitsaxiom

Nun kommen wir zu demjenigen Axiom, das den Korper (R,+, ·) von dem Korper (Q,+, ·) ab-grenzt: Um es zu formulieren, muss zunachst noch definiert werden, was unter einer Intervall-schachtelung zu verstehen ist.

Definition 3.8(a) Sind a, b ∈ R mit a ≤ b, so bezeichnet man fur das abgeschlossene Intervall I := [a, b] :=

x ∈ R : a ≤ x ≤ b mit |I| := b− a die (Intervall-)Lange von I .

(b) Eine Intervallschachtelung (in R) ist eine Folge (In)n∈N = (I1, I2, I3, . . .) von abgeschlosse-nen Intervallen In ⊂ R, n ∈ N, mit den folgenden Eigenschaften:

(i) ∀n ∈ N : In+1 ⊆ In

(ii) ∀ ε ∈ R+ : ∃n ∈ N : |In| < ε.

Eine Intervallschachtelung ist also eine Folge von Intervallen, die - der Reihe nach betrachtet - alleineinander liegen und jede beliebig vorgegebene Lange ε irgendwann unterschreiten, also beliebigkurz werden: Wenn namlich |In| < ε gilt, so ist auch |Im| < ε fur alle m > n (da Im ⊆ In fur allem ≥ n wegen Bedingung (i) und der Transitivitat der Mengeninklusion).

Beispiel 3.1Die Folge (

[0, 1

n

])n∈N = ([0, 1] ,

[0, 1

2

],[0, 1

3

],[0, 1

4

], . . .) ist eine Intervallschachtelung:

(a) Da 1n+1

< 1n

fur alle n ∈ N, gilt[0, 1

n+1

]⊆[0, 1

n

]fur alle n ∈ N.

3.3 Vollstandigkeitsaxiom 101

Abb. 3.4 Die ersten 25 Intervalle der Intervallschachtelung ([0, 1

n

])n∈N.

(b) Die zweite geforderte Eigenschaft folgt aus Satz 3.17. Demnach gibt es ja zu jedem ε ∈ R+

ein n ∈ N, so dass 1n< ε. Damit gilt dann aber auch

∣∣[0, 1n

]∣∣ = 1n− 0 = 1

n< ε. In Abbildung

3.4 sind die ersten 25 Intervalle dieser Intervallschachtelung skizziert (von unten nach obenmit steigendem n). N

Die Vollstandigkeit von R findet nun Ausdruck im folgenden Vollstandigkeitsaxiom 17:

************** VOLLSTANDIGKEITSAXIOM ****************

(VR) Ist I := (In)n∈N eine Intervallschachtelung in R, so gibt es ein c := c(I) ∈ R, so dass c ∈ Infur alle n ∈ N. Die Zahl c bezeichnen wir auch als Intervallschnittzahl.

***************************************************************************

In Worten besagt dieses Axiom folgendes: Zu jeder Intervallschachtelung gibt es eine reelle Zahl,die in allen Intervallen der Schachtelung enthalten ist.

Um eine Intervallschnittzahl c zur Intervallschachtelung ([0, 1

n

])n∈N in Beispiel 3.1 zu bestimmen,

uberlegen wir uns folgendes:

• Wegen 0 ∈[0, 1

n

]fur alle n ∈ N ist 0 eine Intervallschnittzahl.

• Jedes b 6= 0 ist keine Intervallschnittzahl. Fur negative b ist das offensichtlich! Fur positive bfolgt es direkt aus Satz 3.17: Ist namlich b > 0, so existiert ein n ∈ N, so dass 1

n< b; dies

bedeutet aber insbesondere auch, dass b /∈[0, 1

n

].

17Mitunter wird diese Formulierung des Vollstandigkeitsaxioms auch als Intervallschachtelungsprinzip bezeichnet.

3.4 Existenz k-ter Wurzeln 102

Die Intervallschnittzahl ist in diesem Beispiel also eindeutig bestimmt. Dass dies auch im Allgemei-nen richtig ist, ist Gegenstand des folgenden Satzes:

Satz 3.23 Ist I := (In)n∈N eine Intervallschachtelung in R, so ist die Intervallschnittzahl c(I)

eindeutig bestimmt.

Beweis: Sei I := (In)n∈N eine beliebige Intervallschachtelung in R. Angenommen, es existierenzwei Intervallschnittzahlen c1, c2 ∈ R mit c1 < c2 (das durfen wir Œ annehmen, klar?); dann gilt∀n ∈ N : c1 ∈ In ∧ c2 ∈ In. Dies impliziert aber auch [c1, c2] ⊆ In fur alle n ∈ N (wieder klar?)und damit insbesondere |In| ≥ c2− c1 =: ε > 0 fur alle n ∈ N. Dies widerspricht aber der Tatsache,dass (In)n∈N eine Intervallschachtelung ist und die Intervalllangen jede beliebig vorgegebene Lange(hier: ε = c2 − c1) ab einem gewissen Index unterschreiten. Also ist die Annahme falsch und c(I)

eindeutig bestimmt. Da I beliebig war, ist der Satz hiermit bewiesen. 2

Bemerkung 3.12(a) Das Vollstandigkeitsaxiom (VR) wurde hier fur den Korper (R,+, ·) formuliert. Allgemeiner

hatte es aber auch fur einen beliebigen (angeordneten) Korper (K, ∗, ) formuliert werdenkonnen. Man spricht dann von einem vollstandigen (angeordneten) Korper. Insbesondereist also (R,+, ·) ein vollstandiger, archimedisch angeordneter Korper.

(b) Man kann zeigen, dass (R,+, ·) in gewissem Sinne der einzige vollstandige, archimedischangeordnete Korper ist. Jeder andere derartige Korper ist namlich isomorph zu (R,+, ·):Das bedeutet grob gesprochen, dass dessen Elemente als ”Umbenennungen“ der reellen Zah-len verstanden werden konnen. Auf den Begriff der Isomorphie werden wir an spaterer Stellenoch genauer eingehen.

Eine ganz wichtige Konsequenz aus dem Vollstandigkeitsaxiom ist die Existenz der sogenanntenk-ten Wurzeln; was das genau bedeutet, wird im folgenden Abschnitt geklart.

3.4 Existenz k-ter Wurzeln

Sei k ∈ N beliebig. Als k-te Wurzel aus x, in Zeichen k√x, soll diejenige Zahl y bezeichnet werden,

fur die die Gleichungyk = x

erfullt ist: So soll beispielsweise√

2 die Losung der Gleichung y2 = 2 und 3√

5 die Losung derGleichung y3 = 5 bezeichnen. Fraglich ist nun zum einen, fur welche Werte von x solch eineLosung existiert und zum anderen, ob sie - falls sie existiert - eindeutig ist.

In Teilen ist die Frage einfach zu beantworten:

(a) Schon fur k = 2 und x < 0 konnen wir die Frage verneinen, da das Quadrat y2 fur alle y ∈ Rnichtnegativ ist (siehe Satz 3.15). Etwas allgemeiner kann man sagen, dass fur jedes x < 0 dieGleichung yk = x nicht losbar ist, falls k gerade ist. Dieser Umstand erklart, warum man sichi.A. darauf verstandigt, k-te Wurzeln k

√x nur fur x ∈ R+

0 zu erklaren (obwohl Gleichungen derForm yk = x fur negative x und ungerade Exponenten durchaus losbar sein konnen; beispiels-weise wird y3 = −8 durch y = −2 gelost); dies erspart einem viele Fallunterscheidungen!

3.4 Existenz k-ter Wurzeln 103

(b) Fur k = 2 (oder jedes andere gerade k) und x > 0 ist die Losung der Gleichung yk = x nichteindeutig bestimmt: So ist zum Beispiel y2 = 4 ⇔ y = −2 ∨ y = 2. Wir mussen also etwaspraziser werden, was die Definition der k-ten Wurzel betrifft, um derartige Doppeldeutigkeitenauszuschließen!

Was die verbleibenden Falle betrifft, bekommen wir Antwort im folgenden Satz:

Satz 3.24 (Existenz der k-ten Wurzeln) Fur alle x ∈ R+0 und fur alle k ∈ N existiert genau ein

y ∈ R+0 , so dass yk = x. Dieses y nennt man die k-te Wurzel von x und bezeichnet es mit y = k

√x.

Beweis: Fur den Fall x = 0 wird die Gleichung yk = 0 fur alle k ∈ N einzig und allein durch y = 0

gelost, also ist k√

0 = 0 fur alle k ∈ N.Fur den Fall x > 0 ist hier ein Beweis angegeben, der dem Buch Analysis 1 von KONRAD

KONIGSBERGER entnommen ist ([Ko03]):

3.4 Existenz k-ter Wurzeln 104

2

Gehen Sie diesen Beweis schrittweise durch und uberprufen Sie dabei ganz sorgfaltig, ob Sie alleArgumentationsschritte nachvollziehen konnen! Um beispielsweise die Aussage in den ersten beidenZeilen nachvollziehen zu konnen, ist es notwendig, dass Sie sich uberlegen, dass fur x < 1

yk = x⇔ x

yk= 1⇔ 1

yk=

1

x

(?)⇔(

1

y

)k=

1

x,

wobei 1x> 1 ist 18. Die k-te Wurzel von x < 1 stimmt also mit dem Inversen der k-ten Wurzel von

1x> 1 uberein.

Zur Verdeutlichung des Beweises sei jetzt dessen Argumentationskette fur konkrete Werte von x undk noch einmal nachgezeichnet:

Korollar 3.25 (Spezialfall von Satz 3.24 fur x = 5 und k = 3) Es existiert genau eine positivereelle Zahl y, die sogenannte 3-te Wurzel aus 5, in Zeichen 3

√5, fur die y3 = 5 gilt.

Beweis: Zunachst beweisen wir die Existenz der gesuchten Zahl. Dabei gehen wir wie folgt vor:Wir definieren induktiv eine Intervallschachtelung (In)n∈N in R+, deren Intervalle In := [an, bn]

folgende Eigenschaften haben:

18An der Stelle (?) ist es notwendig, auf die (aus der Schule bekannte) Identitat in Korollar 4.11 zuruckzugreifen

3.4 Existenz k-ter Wurzeln 105

(1n) ∀n ∈ N : a3n ≤ 5 ≤ b3n

(2n) ∀n ∈ N : |In| =(12

)n−1 · |I1|.

Von deren Intervallschnittzahl (die nach dem Vollstandigkeitsaxiom existiert!) werden wir dann zei-gen, dass sie positiv ist und die Gleichung y3 = 5 erfullt:Wir beginnen mit I1 := [1, 5] = [a1, b1]. Die Forderungen (11) und (21) sind damit wegen 1 = 13 ≤5 ≤ 53 = 125 und |I1| = 5− 1 = 4 =

(12

)0 · 4 =(12

)0 · |I1| erfullt.Induktiv definieren wir nun In+1 unter der Annahme, dass In bereits so definiert wurde, dass (1n)

und (2n) gelten, durch Halbierung wie folgt: Sei mn := 12(an + bn) das sogenannte arithmetische

Mittel von an und bn, also der Mittelpunkt von In. Dann setzt man

In+1 := [an+1, bn+1] :=

[an,mn] : m3

n ≥ 5

[mn, bn] : m3n < 5.

Per Definition hat In+1 die Eigenschaft (1n+1); da es sich um die Halfte des Intervalls In handelt, istdaruber hinaus auch die Eigenschaft (2n+1) erfullt.Konkret bedeutet das fur die einzelnen Intervalle der Schachtelung folgendes:

• Es ist I1 = [1, 5] mit |I1| = 4.

• Es ist m1 = 12(a1 + b1) = 1

2(1 + 5) = 3. Wegen 33 = 27 ≥ 5 ist I2 = [a2, b2] = [1, 3] mit

|I2| = 2 =(12

)14.

• Es ist m2 = 12(a2 + b2) = 1

2(1 + 3) = 2. Wegen 23 = 8 ≥ 5 ist I3 = [a3, b3] = [1, 2] mit

|I3| = 1 =(12

)24.

• Es ist m3 = 12(a3 + b3) = 1

2(1 + 2) = 3

2. Wegen

(32

)3= 27

8= 3.375 < 5 ist I4 = [a4, b4] =[

32, 2]

= [1.5, 2] mit |I4| = 12

=(12

)34.

• Es ist m4 = 12(a4 + b4) = 1

2

(32

+ 2)

= 74. Wegen

(74

)3= 343

64= 5.359375 ≥ 5 ist I5 =

[a5, b5] =[32, 74

]= [1.5, 1.75] mit |I5| = 1

4=(12

)44.

• Es ist m5 = 12(a5 + b5) = 1

2

(32

+ 74

)= 13

8. Wegen

(138

)3= 2197

512= 4.291015625 < 5 ist

I6 = [a6, b6] =[138, 74

]= [1.625, 1.75] mit |I6| = 1

8=(12

)54.

• Es ist m6 = 12(a6 + b6) = 1

2

(138

+ 74

)= 27

16. Wegen

(2716

)3= 19683

4096= 4.805419922 < 5 ist

I7 = [a7, b7] =[2716, 74

]= [1.6875, 1.75] mit |I7| = 1

16=(12

)64.

• Es ist m7 = 12(a7 + b7) = 1

2

(2716

+ 74

)= 55

32. Wegen

(5532

)3= 166375

32768= 5.077362061 ≥ 5 ist

I8 = [a8, b8] =[2716, 5532

]= [1.6875, 1.71875] mit |I8| = 1

32=(12

)74.

• . . .

Die ersten acht Elemente dieser Intervallschachtelung sind in Abbildung 3.5 skizziert.Nun uberlegen wir uns, dass die Folge I := (In)n∈N eine Intervallschachtelung bildet:

(a) Nach Konstruktion ist In+1 ⊂ In fur alle n ∈ N.

3.4 Existenz k-ter Wurzeln 106

Abb. 3.5 Die ersten acht Intervalle der Intervallschachtelung zu 3√

5.

(b) Ist ε ∈ R+ gegeben, so existiert nach Satz 3.19(b) ein n ∈ N, so dass(12

)n−1< ε · |I1|−1 ist

(klar??!), also |In| < ε gilt.

Es sei y := c(I) die nach Satz 3.23 eindeutig bestimmte Intervallschnittzahl, die in allen IntervallenIn enthalten ist. Es ist klar, dass y positiv ist, da y ≥ a1 = 1. Wir zeigen nun, dass daruber hinausaber auch y3 = 5, also y = 3

√5 gilt:

Dazu uberlegen wir uns zunachst, dass auch die Intervallfolge J := (I3n)n∈N = ([a3n, b3n])n∈N eine

Intervallschachtelung ist:

(a) Nach Konstruktion ist In+1 ⊂ In fur alle n ∈ N (s.o.), also insbesondere an+1 ≥ an undbn+1 ≤ bn fur alle n ∈ N. Damit ist dann nach Satz 3.16(d) fur alle n ∈ N auch a3n+1 ≥ a3nund b3n+1 ≤ b3n (klar?!). Das impliziert I3n+1 = [a3n+1, b

3n+1] ⊆ [a3n, b

3n] = I3n.

(b) Fur die Intervalllange |I3n| = b3n − a3n des Intervalls I3n = [a3n, b3n] ergibt sich nach der Zer-

legungsformel fur Potenzendifferenzen , nach der fur alle a, b ∈ R und fur alle k ∈ N dieGleichheit

ak − bk = (a− b) · (ak−1 + ak−2b+ ak−3b2 + . . .+ a2bk−3 + abk−2 + bk−1)

= (a− b) ·k−1∑

i=0

biak−1−i(3.19)

gilt 19, wegen an, bn ≤ b1 fur alle n ∈ N folgende Abschatzung:

|I3n| = b3n − a3n = (bn − an)3−1∑

i=0

bina3−1−in =

= (bn − an) · (a2n + a1nbn + b2n︸ ︷︷ ︸3 Terme

)

< |In| · 3 · b21

(3.20)

19Den Beweis dieser Zerlegungsformel erbringen Sie in den Ubungen.

3.4 Existenz k-ter Wurzeln 107

Sei nun ε ∈ R+ gegeben. Da (In)n∈N eine Intervallschachtelung ist, gibt es einen Indexm ∈ N,so dass |Im| < ε′ := ε

3·b21. Dann gilt fur diesesmmit (3.20) aber auch, dass |I3m| < |Im|·3·b21 <

ε′ · 3 · b21 = ε.

Also existiert auch zur Intervallschachtelung J eine eindeutig bestimmte Intervallschnittzahl c(J ).Um diese zu ermitteln, uberlegen wir uns folgendes: Sowohl 5 also auch y3 liegen in jedem IntervallI3n (das folgt aus (1n) bzw. der Inklusion y ∈ In). Da die Schnittzahl c(J ) aber eindeutig bestimmtist, muss c(J ) = 5 = y3, also y = 3

√5 gelten.

In Abbildung 3.5 ist angedeutet, dass das Element 3√

5 ≈ 1.709975947 (durch den roten Punkt bzw.Strich gekennzeichnet) in allen Intervallen enthalten ist.Nun ist noch die Eindeutigkeit dieser Zahl zu zeigen. Dazu nehmen wir an, dass es eine weitereZahl z ∈ R+ mit der Eigenschaft z3 = 5 gabe. Ware z < y, so folgte hieraus mit Satz 3.16(d),dass auch z3 < y3 = 5 ware, im Widerspruch zur Annahme z3 = 5. Analog uberlegt man sich, dassz > y nicht moglich ist. Also ist 3

√5 eindeutig bestimmt. 2

Bemerkung 3.13

(a) Die Bestimmung der k-ten Wurzel von x, also des Ausdrucks k√x, ist genau zu unterscheiden

von der Bestimmung der Losung der Gleichung yk = x: Eine Losung dieser Gleichung ist(zumindest fur x ≥ 0) der Ausdruck k

√x. Diese Losung ist nichtnegativ. Ist k gerade, so hat

die Gleichung yk = x aber zusatzlich auch noch die Losung− k√x : Es ist namlich (− k

√x)k =

((−1) · k√x)k=(−1)k · ( k

√x)k

k gerade= 1 · ( k

√x)k = x.

(b) Wie oben bereits angedeutet, konnte man k√x fur ungerade k prinzipiell auch fur x < 0

definieren, namlich durch k√x = − k

√−x (Beispiel: 3√−8 = − 3

√8 = −2); dadurch handelte

man sich aber viele Fallunterscheidungen ein - wir haben daher Abstand davon genommen!

(c) Es gilt stets ( k√x)k = x, aber nicht immer k

√xk = x: Es ist namlich zum Beispiel 4

√(−3)4 =

4√

81 = 3 6= −3.

Vielleicht erscheint Ihnen die Existenz der k-ten Wurzeln ”selbstverstandlich“ . . . ?!Ja, vielleicht fragen Sie sich, warum es keine Losung der Gleichung

yk = x

geben sollte, wenn das ”naturliche Hindernis“ x < 0 doch aus dem Weg geraumt ist?Wenn das so sein sollte, liegt das vermutlich ganz stark an der Tatsache, dass Sie es von R gewohntsind, ”brav“ auf derartige Anforderungen zu reagieren. Der ebenfalls angeordnete Korper (Q,+, ·)ware an dieser Stelle viel storrischer! In Q ware die Gleichung yk = x namlich nur fur relativ wenigeKombinationen von k und x losbar! Anders ausgedruckt: Wenn wir die Losung der Gleichung yk = x

in Q suchen wurden - beispielsweise dadurch motiviert, dass sich Q doch, was die Anordnung unddas Rechnen mit + und · betrifft, ebenso brauchbar verhalt wie R - wurden wir in der Regel leerausgehen! Beispielhaft soll das gleich an der einfachen Gleichung y2 = 2 demonstriert werden;zu diesem Zweck mussen wir aber auf einige zahlentheoretische Grundkenntnisse zuruckgreifen,die Sie aus der Schule eigentlich kennen sollten, die hier der Vollstandigkeit halber aber nochmal

3.4 Existenz k-ter Wurzeln 108

erwahnt seien (zumal die Notation hier teilweise anders gewahlt werden wird als Sie es aus derSchule gewohnt sein durften):

Definition 3.9 Eine naturliche Zahl p ≥ 2 heißt Primzahl bzw. prim, falls sie nur die Teiler−1, 1,−p und p hat. Die Menge aller Primzahlen bezeichnen wir im Folgenden mit P.

R Beachten Sie, dass jede ganze Zahl durch 1,−1 sich selbst und ihr additives Inverses teilbarist. Das Besondere an Primzahlen ist, dass sie außer diesen sogenannten trivialen Teilern keineweiteren haben.

R Obwohl die Zahl 1 nur durch 1 und −1 und damit auch nur durch sich selbst und ihr additivesInverses teilbar ist, wird sie nicht als Primzahl definiert! Einen Grund hierfur werden wirspater diskutieren.

Aus Definition 3.9 folgt, dass P = 2, 3, 5, 7, 11, 13, . . .; fur alle i ∈ N sei nun im Folgenden mitpi die i-te Primzahl bezeichnet (dass es tatsachlich genauso viele Primzahlen wie naturliche Zahlengibt, werden wir an spaterer Stelle beweisen). Damit ist p1 = 2, p2 = 3, p3 = 5, p4 = 7, p5 = 11 etc.und P = pi : i ∈ N.Nun sollten Sie sich daran erinnern, dass Primzahlen insofern etwas Besonderes sind, als dass jedenaturliche Zahl n in eindeutiger Weise als ein Produkt von Primzahlpotenzen dargestellt werdenkann: Die entsprechende Darstellung nennt man auch die Primfaktorzerlegung von n.

Beispiel 3.2Die Primfaktorzerlegung von 540 ist 22 · 33 · 5, die von 4521 ist 3 · 11 · 137 und die von 30041777,dem als Zahl geschriebenen Geburtsdatum von CARL FRIEDRICH GAUSS, ist . . . - probieren Sie esdoch selber aus! N

Im wissenschaftlichen Kontext wird die Aussage der (bis auf die Reihenfolge der Primfaktoren ein-deutig bestimmten) Zerlegbarkeit einer naturlichen Zahl in Primzahlpotenzen als Fundamentalsatzder Arithmetik bezeichnet:

Satz 3.26 (Fundamentalsatz der Arithmetik) Sei n ∈ N\1. Dann existiert fur jedes i ∈ N eineeindeutig bestimmte Zahl αi ∈ N0, so dass

n = pα11 · pα2

2 · pα33 . . . =:

∞∏

i=1

pαii . (3.21)

Die Produktdarstellung von n in (3.21) bezeichnet man als Primfaktorzerlegung von n. Da zujedem n ∈ N \ 1 ein (von n abhangiges) k := k(n) ∈ N existiert, so dass αi = 0 fur alle i > k,enthalt die Primfaktorzerlegung von n wegen pαi

i = p0i = 1 nur endlich viele von 1 verschiedene(sogenannte echte) Primzahlpotenzen.

Greifen wir unsere Beispiele von oben nochmal auf, um uns mit der ungewohnten Schreibweisevertraut zu machen:

• In n = 540 = 22 · 33 · 5 = pα11 · pα2

2 · pα33 · 1 · 1 · 1 · . . . = pα1

1 · pα22 · pα3

3 · p04 · p05 · p06 · . . . istα1 = 2, α2 = 2, α3 = 1 (wegen 5 = 51), α4 = α5 = . . . = 0 und also k(540) = 3.

3.4 Existenz k-ter Wurzeln 109

• In

n = 4521 = 3 · 11 · 137 = 20 · 31 · 50 · 70 · 111 · 130 · . . . 1310 · 1371 · 1 · 1 · 1 · . . . =

20 · 31 · 50 · 70 · 111 · 130 · . . . 1310 · 1371 · 1390 · 1490 · 1510 · . . .

ist α2 = α5 = α33 = 1 (denn 137 ist die 33.-te Primzahl) und αi = 0 fur alle i ∈ N\2, 5, 33.Weiter ist k(4521) = 33.

Bemerkung 3.14 Hatte man 1 als Primzahl definiert, ware die Eindeutigkeit der Primfaktorzerle-gung wegen 1 = 12 = 13 = . . . = 1n fur alle n ∈ N nicht mehr gegeben - das ist einer der Grunde,warum man 1 nicht als Primzahl definiert.

Der Fundamentalsatz ist grundlegend fur die gesamte Zahlentheorie; er begrundet, warum die Prim-zahlen als ”Bausteine“ der naturlichen Zahlen verstanden werden. Eng mit ihm verbunden ist auchdie folgende wichtige Aussage:

Satz 3.27 Sei p ∈ N eine Primzahl. Dann gilt: ∀, k, l ∈ N : p|k · l⇒ p|k ∨ p|l.

Beweis: Ubung. 2

Nun kommen wir zu unserem eigentlichen Anliegen zuruck:

Bemerkung 3.15 Ist y =√

2 die nichtnegative Losung der Gleichung y2 = 2, so gilt y /∈ Q. DieWurzel aus 2 ist also irrational.

Beweis: Wir fuhren einen Widerspruchsbeweis. Dazu sei A := (y =√

2) und B := (y /∈ Q). Wirgehen nun von A ∧ ¬B aus und fuhren das zu einem Widerspruch:Sei y =

√2 und y ∈ Q. Dann existieren nach der Definition von

√2 Zahlen p0, q0 ∈ N mit

y =p0q0∧ y2 = 2 =

(p0q0

)2

=p20q20.

Kurzen wir nun die gemeinsamen Primfaktoren aus p0 und q0 raus, erhalten wir p, q ∈ N mit

ggT (p, q) = 1 (3.22)

und

y =p

q∧ y2 = 2 =

(p

q

)2

=p2

q2.

(Hierbei steht ggT (p, q) fur den großten gemeinsamen Teiler von p und q.) Multiplikation derletzten Gleichung mit q2 liefert

2q2 = p2, (3.23)

was

2|p2 (3.24)

3.4 Existenz k-ter Wurzeln 110

nach sich zieht. Nach Satz 3.26 gibt es eindeutig bestimmte Exponenten αi, i ∈ N0 (von denen nurendlich viele von 0 verschieden sind), so dass

p =∞∏

i=1

pαii = 2α1 ·

∞∏

i=2

pαii

(hierbei ist pi : i ∈ N = 2, 3, 5, 7, 11, 13, . . . die Menge aller Primzahlen); nach den Potenzge-setzen ist damit

p2 = 22α1 ·∞∏

i=2

p2αii .

Aus 2|p2 folgt 2α1 ≥ 1 (klar?!), und da α1 ∈ N0, folgt hieraus α1 ≥ 1, was 2|p nach sich zieht. Alsogibt es ein a ∈ N, so dass p = 2a gilt. Setzt man dies in (3.23) ein, so erhalt man

2q2 = (2a)2 = 4a2 ⇔ q2 = 2a2. (3.25)

Aus der letzten Gleichung folgt nun

2|q2, (3.26)

was - wie eben - 2|q nach sich zieht. Insgesamt haben wir damit aus unserer Annahme der Ratio-nalitat von

√2 geschlussfolgert, dass 2|p ∧ 2|q gilt; dies steht jedoch im Widerspruch zu (3.22) und

beendet unseren Beweis: die Annahme√

2 ∈ Q ist falsch,√

2 ist irrational. 20 2

Analog kann man zeigen, dass 3√

2,√

3, 3√

5, 4√

17, . . . irrational sind.

R Uberlegen Sie sich, an welcher Stelle der vorausgegangene Beweis scheiterte, wenn man nach-weisen wollte, dass die zweite Wurzel

√a2 einer Quadratzahl a2, a ∈ N, irrational ist.

Die Tragweite des Vollstandigkeitsaxioms wird durch die Erkenntnis, dass es reelle Zahlen gibt,die nicht rational sind, deutlicher; denn danach hat zum Beispiel die Intervallschachtelung I =

(In)n∈N aus dem Beweis des Korollars 3.25 in Q ⊂ R keine Schnittzahl! Auch unzahlige weitereIntervallschachtelungen haben diese Eigenschaft - sie ”laufen sozusagen auf einen Punkt zu“, derzwar zu R, aber nicht zu Q gehort! Sich dies anschaulich vorzustellen, ist vor dem Hintergrund,dass jedes noch so kurze Intervall positiver Lange unendlich viele rationale Zahlen enthalt, nichteinfach. Aber es begrundet sehr schon, warum man R als vollstandig und Q als nicht vollstandigbezeichnet.Man muss sich also, sofern man sich uberhaupt eine bildliche Vorstellung der Menge der rationalenZahlen machen will, Q als einen ”unendlich feinen“ Staub auf dem Zahlenstrahl vorstellen, alsoals eine Menge, die nicht ”durchgehend“ dargestellt werden kann und die gegenuber R ”Lucken“aufweist. Allerdings konnen dabei, anders als bei Z, die Abstande zwischen zwei Elementen beliebigklein sein.

20Unter http://www.youtube.com/watch?v=tPfnEByx9r0 finden Sie eine vertonte Version dieses Be-weises; DORFUCHS, der 1993 geborene Komponist und Sanger dieses Stucks, heißt eigentlich JOHANN BEURICH;er studiert Mathematik und betreibt einen eigenen You-Tube-Kanal mit vielen weiteren Mathematik-Videos (http://de.wikipedia.org/wiki/DorFuchs. In den letzten Jahren hat er zahlreiche Preise fur sein Engagement er-halten, unter anderem von der Deutschen Mathematiker Vereinigung DMV als ”Mathemacher des Monats Mai 2013“.

3.4 Existenz k-ter Wurzeln 111

Die Mengen R und Q haben die Korper- und die Anordnungsaxiome gemein. Durch dasVollstandigkeitsaxiom, das fur R, nicht aber fur Q, gilt, unterscheiden sie sich voneinander. Die-ser Unterschied hat weitreichende Konsequenzen und begrundet, warum die Analysis auf R undnicht auf Q (oder Teilmengen davon) betrieben wird.

Kapitel 4

Abbildungen

In diesem Kapitel wollen wir den Begriff der Funktion 1 bzw. Abbildung behandeln. Im Prinzipsind Abbildungen und Funktionen das Gleiche, die (in der Literatur ubrigens nicht ganz einheit-lich vorgenommene) Unterscheidung bezieht sich auf die in diesem Zusammenhang auftretendenDefinitions- bzw. Zielmengen: Abbildungen von (Teilmengen) der Menge der reellen (oder kom-plexen) Zahlen in die Menge der reellen (oder komplexen) Zahlen werden haufig als Funktionenbezeichnet. Da Funktionen in diesem Sinne als spezielle Abbildungen aufgefasst werden konnen,werden wir uberwiegend die Formulierung Abbildung verwenden. Es sei jedoch darauf hingewie-sen, dass manche Autoren den Begriff Funktion auch fur die allgemeine Form einer Abbildungverwenden; diese Moglichkeit werden wir uns durch Definition 4.1 auch offen halten.

Der Begriff der Abbildung ist fundamental fur die Mathematik und Ihnen wahrend Ihrer bisherigenAusbildung mit Sicherheit schon vielfach begegnet. Dem Bildungsplan Mathematik fur die Grund-schule 2, herausgegeben von der Behorde fur Schule und Berufsbildung der Freien und HansestadtHamburg im Jahr 2011, ist zu entnehmen, dass die Idee des funktionalen Zusammenhangs bereitsin den ersten Jahrgangsstufen behandelt werden soll, und zwar im Kontext von Zuordnungen undVeranderungen. Ganz sicher kennen Sie den Funktionsbegriff auch aus den Kurvendiskussionen inder Analysis. Aber auch in der Linearen Algebra, der Stochastik, der Modellierung, der Geometrieund in allen weiteren Disziplinen der Mathematik sind Funktionen bzw. Abbildungen unverzichtbar!

Nachdem wir geklart haben, was Abbildungen eigentlich genau sind, und Moglichkeiten zu ihrerDarstellung studiert haben, werden wir wichtige Eigenschaften kennen lernen, die Abbildungen ha-ben konnen (oder nicht). In diesem Zusammenhang sind die Begriffe injektiv und surjektiv be-deutsam. Mittels des hiermit unmittelbar im Zusammenhang stehenden Konzepts der Bijektivitatkonnen wir der Frage auf den Grund gehen, ob Z mehr Elemente hat als N oder nicht.

4.1 Begriffsklarungen

Wenn man in einem schon etwas in die Jahre gekommenen Schulbuch fur die Klasse 9 ([AG81])nachschaut, was unter einer Funktion zu verstehen ist, bekommt man hierauf eine Antwort, die

1lat. functio = Tatigkeit, Verrichtung2Quelle: http://www.hamburg.de/contentblob/2481796/data/mathematik-gs.pdf

112

4.1 Begriffsklarungen 113

dem unteren Teil der Abbildung 4.1 und Abbildung 4.2 zu entnehmen ist. Im Rahmen einer Auf-gabe, siehe Abbildung 4.3, werden außerdem die in diesem Zusammenhang bedeutsamen BegriffeWertetabelle und Graph (einer Funktion) behandelt.

Abb. 4.1 Zum Funktionsbegriff: Entnommen aus [AG81], S. 7.

4.1 Begriffsklarungen 114

Abb. 4.2 Zum Funktionsbegriff: Entnommen aus [AG81], S. 9.

Abb. 4.3 Zum Funktionsbegriff: Entnommen aus [AG81], S. 8.

Erganzend hierzu konnen wir Informationen aus einer sehr viel moderneren Quelle, der freien En-zyklopadie WIKIPEDIA, einholen: Da heißt es eingangs 3

In der Mathematik ist eine Funktion oder Abbildung eine Beziehung (Relation) zwi-schen zwei Mengen, die jedem Element der einen Menge (Funktionsargument, un-abhangige Variable, x-Wert) genau ein Element der anderen Menge (Funktionswert,abhangige Variable, y-Wert) zuordnet. Das Konzept der Funktion oder Abbildungnimmt in der modernen Mathematik eine zentrale Stellung ein; [. . . ].

und weiter unten formal praziser unter Grundidee zum einen 4

Eine Funktion f ordnet jedem Element x einer Definitionsmenge D genau ein Ele-ment y einer Zielmenge Z zu.Schreibweise:f : D → Z, x 7→ y.

Fur das einzige, dem Element x ∈ D zugeordnete Element der Zielmenge schreibtman im Allgemeinen f(x).

3http://de.wikipedia.org/wiki/Funktion_(Mathematik), Zugriffsdatum: 14.11.20134dto.

4.1 Begriffsklarungen 115

und unter Mengentheoretische Definition zum anderen 5

Eine Funktion von der MengeD in die Menge Z ist eine Menge f , die die folgendenEigenschaften hat:

• f ist eine Teilmenge des kartesischen Produkts D × Z von D und Z [. . . ].

• Fur jedes Element x aus D existiert (mindestens) ein Element y in Z, so dassdas geordnete Paar (x, y) Element [von] f ist. [. . . ].

• Zu jedem Element x von D gibt es hochstens ein Element y von Z, so dassdas Paar (x, y) in f liegt. [. . . ].

Die letzten beiden Eigenschaften lassen sich auch wie folgt zusammenfassen:

• Zu jedem Element x von D gibt es genau ein Element y von Z, so dass dasPaar (x, y) Element [von] f ist.

Auf den ersten Blick sehen diese Definitionen vielleicht nicht so aus, als ob sie alle ein- und densel-ben Begriff definieren wurden. Vor dem Hintergrund, dass wir innerhalb einer axiomatisch aufge-bauten Theorie aber davon ausgehen konnen sollten, dass es eine einheitliche Definition des Funk-tionsbegriffs gibt, stellt sich dann die Frage, inwiefern die angegebenen Begriffserlauterungen nurverschiedene Beschreibungen ein- und desselben Konzepts darstellen. Der Antwort auf diese Fragekommen wir auf den Grund, wenn wir uns die Begriffserlauterungen noch einmal genauer anschauen- und zwar hinsichtlich der da verwendeten Schreibweisen: Wenn wir den Funktionsbegriff inner-halb der mathematischen Theoriebildung an einer Stelle verankern wollen, an der wir nur auf die inden ersten beiden Kapiteln behandelten Begriffe und Zusammenhange der Logik und der Mengen-lehre zuruckgreifen, macht der (schriftliche) Ausdruck f : D → Z wie in einer der WIKIPEDIA-Definitionen auf Seite 114 uberhaupt keinen Sinn! Denn beim Aufbau der Logik und der Mengen-lehre haben wir keinerlei Kenntnisse erworben, die uns helfen wurden, zu verstehen, was f : D → Z

sein soll (schon das Pfeilsymbol wirft Fragen auf - der Implikationspfeil kann hier ja nicht gemeintsein).Anders verhalt sich dies bei der mengentheoretischen Definition auf Seite 115: Hier wird eine Funk-tion als eine Teilmenge eines kartesischen Produktes charakterisiert, welche zwei bestimmte Be-dingungen erfullt. Diese Beschreibung konnen wir mit unseren logischen und mengentheoretischenKenntnissen verstehen: Mit kartesischen Produkten und der Teilmengenbeziehung kennen wir unsja aus!Die augenscheinliche Diskrepanz zwischen den verschiedenen Beschreibungen des Funktionsbe-griffs ist schnell aufzulosen: Tatsachlich ist namlich f : D → Z nur eine andere Schreibweise furf ⊆ D × Z, die genau deshalb Sinn macht, weil in dem Fall, dass f eine Funktion ist, zu jedemElement x aus D (nur) genau ein Element y aus Z gehort, so dass (x, y) ∈ f gilt.

Die verschiedenen Schreibweisen fur Funktionen sind zum einen der Tatsache geschuldet, dass manMathematik in der Schule nicht axiomatisch betreiben kann, und eine mengentheoretische Definition

5dto.

4.1 Begriffsklarungen 116

des zweifelsfrei auch fur den Mathematikunterricht in der Schule ganz wichtigen Funktionsbegriffsfur die meisten Schulerinnen und Schuler wenig bzw. keinen Sinn ergeben wurde, zum anderen aberauch der Tatsache, dass der Funktionsbegriff zwei Facetten hat, eine dynamische und eine statische.Um diesen Unterschied zu verstehen, schauen wir uns die oben betrachteten Begriffsklarungen nocheinmal an: In [AG81] wird eine Funktion als eine Zuordnung definiert; und auch in der ersten for-malen Definition auf der WIKIPEDIA-Seite wird das Verb ”zuordnen“ verwendet. In diesem Sinneassoziiert man mit einer Funktion moglicherweise eine Art ”Maschine“, die jedem Element x ausdem sogenannten Definitionsbereich gemaß einer Zuordnungsvorschrift x 7→ f(x) einen Funktions-wert f(x) zuordnet (siehe Abbildung 4.4, fur die Bezeichnungen auch Abbildung 4.2).

Abb. 4.4 Zum dynamischen Charakter des Funktionsbegriffs.

Dieser Vorgang hat sicherlich dynamischen Charakter: Mit einem Element x aus dem Definitionsbe-reich wird ja etwas ”gemacht“, es wird ”verarbeitet“. Aber es gibt noch eine weitere Perspektive aufFunktionen, die es rechtfertigt, diese als etwas Dynamisches zu betrachten: Verandert man namlichden x-Wert, so zieht dies im Allgemeinen auch eine Veranderung des zugeordneten Funktionswertesf(x) nach sich; in einfachen Fallen vergroßert (oder verkleinert) sich zum Beispiel der Funktions-wert f(x), wenn man x vergroßert (oder verkleinert): So nimmt etwa die Korpergroße oder dasKorpergewicht eines Kindes mit steigendem Lebensalter zu und die Anzahl von Ubungszetteln, dieein Tutor zu korrigieren hat, bei steigender Anzahl von Tutoren (und gleichbeleibender Anzahl vonStudierenden) ab. Die Zeit-Temperatur-Kurve in Abbildung 4.1 unterliegt keinem derart einfachenZusammenhang, aber auch ihr ist deutlich zu entnehmen, dass eine Veranderung der Zeit regelhafteine Veranderung der gemessenen Temperatur nach sich zieht.Die informelle Beschreibung des Funktionsbegriffs zu Beginn des WIKIPEDIA-Artikels auf Seite114 und die spater angegebene mengentheoretische Definition auf Seite 115 dagegen haben eherstatischen Charakter: Hier wird eine Funktion als eine (auch als Relation bezeichnete) Beziehungzwischen zwei Mengen beschrieben, die durch die bereits oben genannte Zuordnung festgelegt bzw.definiert wird. Der durch die Funktion gegebene oder erzeugte Zusammenhang wird hier also alsGanzes betrachtet.

Der Mathematikdidaktiker HANS-JOACHIM VOLLRATH hat sich in einer Arbeit aus dem Jahr 1989mit dem Thema Funktionales Denken auseinander gesetzt, und in diesem Zusammenhang die hiernur ansatzweise vorgenommene Beschreibung des Funktionsbegriffs sehr viel detaillierter kommen-tiert. In jener Arbeit betrachtet er die folgenden drei Aspekte als charakteristisch fur das Arbeitenmit Funktionen (entnommen aus: [Vol89], S. 8, 12 und 15):

4.1 Begriffsklarungen 117

(1) Durch Funktionen beschreibt oder stiftet man Zusammenhange zwischenGroßen: einer Große ist dann eine andere zugeordnet, so daß die eine Großeals abhangig gesehen wird von der anderen.

(2) Durch Funktionen erfaßt man, wie Anderungen einer Große sich auf eineabhangige Große auswirken.

(3) Mit Funktionen betrachtet man einen gegebenen oder erzeugten Zusammen-hang als Ganzes.

(1) und (2) beziehen sich im oben dargelegten Sinne auf den dynamischen Charakter von Funktionen,(3) auf den statischen. Funktionales Denken erfordert, dass wir lernen, mit beiden Facetten diesesBegriffs umzugehen.

Die fur uns fortan verbindlich gultige Definition wird vor dem Hintergrund, dass wir bei unsererArbeit von der axiomatischen Methode nur dann Abstand nehmen wollen, wenn das Verhaltnis vonAufwand und Nutzen dabei aus den Fugen geriete, mengentheoretisch (und damit statisch) sein; imUbrigen werden wir zu der entsprechenden ”WIKIPEDIA-Definition“ noch eine Komponente hinzu-nehmen, die auf der Webseite weiter unten auch noch aufgegriffen wird 6, deren Sinn wir aber zumjetzigen Zeitpunkt noch nicht wirklich verstehen konnen. Die den dynamischen Funktionscharak-ter deutlicher herausstellende Pfeil-Notation, die uns aus der Schule so vertraut ist, werden wir imAnschluss hieran einfuhren:

Definition 4.1 Seien D und Z beliebige nichtleere Mengen. Dann nennt man ein geordnetes Paar(G,Z) eine Abbildung oder Funktion von D nach Z :⇔

G ⊆ D × Z ∧ ∀x ∈ D : ∃1 y ∈ Z : (x, y) ∈ G.

Die MengeD bezeichnet man als den Definitionsbereich oder die Definitionsmenge der Abbildungbzw. Funktion, die Menge Z heißt Zielbereich oder Zielmenge. Die Menge G bezeichnet man alsden Graph der Funktion.

Salopp gesagt kann man dies so ausdrucken:

”Eine Teilmenge G von Paaren (x, y) ∈ D × Z gehort genau dann zu einer Abbil-dung oder Funktion, wenn zu jedem x ∈ D genau ein y ∈ Z gehort“.

Insbesondere durfen zu einem x ∈ D also nicht zwei verschiedene Werte y1, y2 ∈ Z existieren, sodass (x, y1) ∈ G und (x, y2) ∈ G. 7 Daher macht es Sinn, sich eine Abbildung bzw. Funktion als eineZuordnung von der MengeD in die Menge Z, in ZeichenD → Z, vorzustellen, die jedem Elementx ∈ D genau ein Element y ∈ Z zuordnet (siehe Abbildung 4.5); dieses y wird als Funktionswertdes Arguments x oder als Funktionswert an der Stelle x, oft auch als Bild von x bezeichnet.

6Dort heißt es namlich weiter: Oft mochte man aber auch die Zielmenge explizit zu einem Teil der Funktion machen,zum Beispiel um Aussagen zur Surjektivitat anstellen zu konnen: [. . . ] Zugriffsdatum: 19.11.2013

7Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass zwei verschiedenen Elementen x und x′ ∈ D ein- und dasselbe Elementy ∈ Z zugeordnet wird!

4.1 Begriffsklarungen 118

Wenn man die Funktion (G,Z) beispielsweise f nennt , also f : D → Z schreibt 8, wird der von xabhangige Funktionswert y fur gewohnlich als f(x) notiert; in diesem Sinne ist also

f(x) = y :⇔ (x, y) ∈ Gf .

Abb. 4.5 Funktion bzw. Abbildung als Zuordnung.

Der Tatsache entsprechend, dass Funktionen auch als Abbildungen bezeichnet werden, sagt man imUbrigen auch, dass x unter (oder: durch) f auf f(x) abgebildet wird. Die Art und Weise, auf diejedem x ∈ D genau ein y ∈ Z zugeordnet wird (bzw.: auf die x ∈ D auf y ∈ Z abgebildet wird),wird durch die sogenannte Zuordnungsvorschrift (auch: Abbildungsvorschrift oder Funktions-vorschrift) x 7→ f(x) := y bestimmt; hierbei muss fur jedes x ∈ D angegeben werden, welchesy ∈ Z ihm zugeordnet wird. Beispielsweise ist

1 7→ b

2 7→ c

3 7→ a

oder auch x 7→

b : x = 1

c : x = 2

3 : x = 3

die Zuordnungsvorschrift der Funktion mit dem Graphen

G := (1, b), (2, c), (3, a) ⊆ 1, 2, 3 × a, b, c.

Manchmal (aber durchaus nicht immer!) lasst sich die rechte Seite der Zuordnungsvorschrift ineiner sehr einfachen Form, namlich als ein formaler Ausdruck, in dem das Argument x vorkommt,ausdrucken: Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn durch die Funktion jeder reellen Zahl x ihrQuadrat x2 zugeordnet wird. In der entsprechenden Zuordnungsvorschrift x 7→ x2, die in diesem Fallfur alle Elemente des Definitionsbereichs gultig ist, bezeichnet man die rechte Seite x2 besondersim schulischen Kontext gerne auch als Funktionsterm 9. Die entsprechende Gleichung f(x) = x2

wird auch als Funktionsgleichung bezeichnet.

8Der Graph einer Abbildung f : D → Z wird haufig mit Gf bezeichnet: Es ist also Gf = (x, y) ∈ D × Z : y =

f(x).9In diesem Sinne ist f(x) einerseits der Funktionswert an der Stelle x und andererseits der Funktionsterm.

4.1 Begriffsklarungen 119

Bemerkung 4.1 Vor dem soeben beschriebenen Hintergrund wird fur Abbildungen und Funktio-nen anstelle von f = (Gf , Z) mit Gf ⊆ D × Z und (x, y) ∈ Gf im Allgemeinen die folgendeSchreibweise benutzt 10:

f : D → Z

x 7→ f(x) = y.(4.1)

Nun seien einige Beispiele fur Abbildungen bzw. Funktionen angegeben:

Beispiel 4.1A Die Funktion g :=

((x, y) ∈ N× R : y = 2x+ 1,R

)schreiben wir gemaß Bemerkung 4.1

als

g : N→ Rx 7→ g(x) := 2x+ 1.

Es ist klar, dass g eine Funktion ist: zu jedem x ∈ N existiert der Wert g(x) = 2x+1, uberdiesist er eindeutig bestimmt.

B Die Funktion h :=((x, y) : x ∈ R ∧ y = 2x + 1,R

)schreiben wir gemaß Bemerkung 4.1

als

h : R→ Rx 7→ h(x) := 2x+ 1.

Analog dazu, dass g eine Funktion ist, ist auch h eine Funktion.

R Beachten Sie, dass die beiden Funktionen g und h, obwohl sie dieselbe Funktionsvor-schrift haben, unterschiedliche Graphen haben!

C Sei D := i ∈ N : i ≤ 10 und

k :=((i, l) ∈ D × N : l = |j ∈ N : j|i|,N

).

(a) Notieren Sie die Funktion k gemaß der Schreibweise aus Bemerkung 4.1.

(b) Beschreiben Sie dann in Worten, was die Zuordnungsvorschrift i 7→ k(i) (bzw. der Funk-tionsterm k(i)) bedeutet.

(c) Ermitteln Sie schließlich fur jedes i ∈ D den Funktionswert k(i).

D Das Tupel ((x, y) ∈ R× R : y = x2,R) ist eine Abbildung, weil der Wert f(x) := y = x2

fur jedes x ∈ R definiert und eindeutig bestimmt ist.

E Das Tupel ((x, y) ∈ R× R : y2 = x,R) ist keine Abbildung, weil nicht zu jedem x ∈ Rgenau ein y ∈ R existiert, so dass x = y2 gilt:

10Mitunter wird dies auch in einer Zeile notiert, also f : D → Z, x 7→ f(x) := y.

4.1 Begriffsklarungen 120

• Fur x < 0 existiert uberhaupt kein y ∈ R, so dass y2 = x, weil das Quadrat einer reellenZahl immer nichtnegativ ist.

• Fur x ≥ 0 existieren wegen y2 = x ⇔ |y| =√x ⇔ y = −√x ∨ y =

√x immer zwei

y ∈ R, so dass (x, y) ∈ (x, y) ∈ R× R : y2 = x.

F Aus der Schule wissen Sie, dass die Menge Q aller rationalen Zahlen beschrieben werdenkann wie folgt:

Q =

x : ∃ p ∈ Z, q ∈ Z \ 0 : x =

p

q

=

p

q: p ∈ Z, q ∈ Z \ 0

.

Obwohl es nun auf den ersten Blick anders aussehen konnte, wird durch

s : Q→ Zp

q7→ p+ q

keine Funktion auf Q definiert. Wieso? (Hinweis: Denken Sie uber das Verhaltnis von 13

und26

nach . . . .)

G Ein sehr bekanntes Beispiel fur eine fallweise definierte Funktion ist die sogenannte Dirich-letsche 11 Sprungfunktion:

ϕ : R→ 0, 1

x 7→

1 : x ∈ Q0 : x ∈ R \Q

Versuchen Sie mal, den Graphen dieser Funktion zu zeichnen - was fallt Ihnen dabei auf?!

Nachdem wir bis hierher im Wesentlichen Teilmengen von R× R auf die Funktionseigenschaft hinuntersucht haben, wollen wir uns jetzt noch ein paar wichtige allgemeinere Abbildungen anschauen:

H Ist D eine beliebige Menge, so bezeichnet man die Abbildung idD := ((x, x) : x ∈ D, D)

als die identische Abbildung bzw. als die Identitat: In der alternativen Schreibweise siehtdas aus wie folgt:

idD : D → D

x 7→ id(x) := x

Das Bild von x ist also unter der Identitat mit dem Argument identisch - dies erklart dieBezeichnung Identitat.

Fur D = R stimmt der Graph GidR = (x, x) : x ∈ R mit der Winkelhalbierenden im erstenund dritten Quadranten uberein.

11PETER GUSTAV LEJEUNE DIRICHLET, ∗ 13. Februar 1805, † 5. Mai 1859, war ein bedeutender deutscher Mathe-matiker, der die Verknupfung der ehemals strikt voneinander getrennten Disziplinen Zahlentheorie und Analysis in dieWege leitete.

4.1 Begriffsklarungen 121

I Sei G 6= ∅ beliebig und P(G) (wie in Abschnitt 2.2) die Potenzmenge von G. Dann kann mandie Schnittbildung ∩ wie folgt als eine Abbildung auf P(G)× P(G) = P(G)2 auffassen:

∩ : P(G)× P(G)→ P(G)

(M,N) 7→ ∩(M,N) := M ∩N,

denn mit M ∈ P(G) ⇔ M ⊆ G und N ∈ P(G) ⇔ N ⊆ G gilt auch, dass M ∩ N ⊆ G ⇔M ∩N ∈ P(G). Mengentheoretisch wurden wir diese Abbildungen notieren als

(((M,N),M ∩N

): (M,N) ∈ P(G)2

,P(G)

).

J Ist G wie im vorangegangenen Beispiel, so wird durch die Funktion

| · | : P(G)→ N0

M 7→ |M |

jeder Teilmenge aus G ihre sogenannte Machtigkeit |M | zugeordnet (siehe Definition 2.3).

K Auch Folgen, die Sie vermutlich aus der Schule schon kennen, sind Abbildungen - und zwarsolche mit Definitionsbereich N0 oder N:

Definition 4.2 Sei M eine beliebige nichtleere Menge. Eine Abbildung

a : N0 → M

n 7→ a(n)(4.2)

heißt Folge (in M ). Anstelle von a(n) schreibt man in der Regel an und bezeichnet an als dasn-te Folgenglied und n als dessen (Folgen-)Index; außerdem schreibt man anstelle von (4.2)regelhaft (an)n∈N0 .

Auch jede Abbildung a : N → M heißt Folge (in M ). Hierfur wurde man entsprechend(an)n∈N schreiben.

In diesem Sinne ist beispielsweise die Abbildung a : N0 → N0, n 7→ n2 die auch als(n2)n∈N0 = (0, 1, 4, 9, 16, 25, . . .) notierte Folge der Quadratzahlen und b : N→ [0, 1], n 7→ 1

n

die als(1n

)n∈N =

(1, 1

2, 13, 14, . . .

)notierte Folge der Stammbruche (dabei versteht man unter

einem Stammbruch einen Bruch der Form 1k, wobei k ∈ N ist). N

In der folgenden Definition sind die wichtigsten Bezeichnungen im Zusammenhang mit dem Abbil-dungsbegriff in der schulublichen Notation noch einmal zusammengefasst:

Definition 4.3 Sei

f : D → Z

x 7→ f(x) := y

eine Abbildung. Dann heißt

4.1 Begriffsklarungen 122

(a) D der Definitionsbereich (oder die Definitionsmenge) (von f )

(b) Z der Zielbereich (oder die Zielmenge) (von f )

(c) y das Bild von x (unter f )

(d) x ein Urbild von y (unter f )

(e) fur jede Menge A ⊆ D die Menge f(A) := f(x) : x ∈ A ⊆ Z das Bild von A (unter f )

(f) fur jede Menge B ⊆ Z die Menge f−1(B) := x ∈ D : f(x) ∈ B ⊆ D das Urbild von B(unter f )

(g) die Menge f(D) = f(x) : x ∈ D ⊆ Z das Bild von f .

R Achten Sie ganz sorgfaltig darauf, dass Sie f(x) nicht mit f verwechseln! Die Funktion heißtf , f(x) ist ”nur“ ein Funktionswert, also bei uns in den meisten Fallen eine Zahl! Wie obenbereits gesagt, bezeichnet man das x in dem Ausdruck f(x) auch als das Argument.

Beispiel 4.2A Zunachst betrachten wir die aus der Schule bereits gut bekannte quadratische Funktion

f : R→ Rx 7→ f(x) = x2.

(4.3)

Damit erhalt man folgende Identitaten:

• Definitionsbereich, Zielbereich: R

• Bild von f : f(R) = f(x) : x ∈ R = x2 : x ∈ R = R+0

• Bild von 2: f(2) = 4

• Urbild von 0: 0 (denn f(0) = 0)

• Urbilder von 9: 3,−3 (denn f(−3) = f(3) = 9)

• Urbild von 9: f−1(9) = −3, 3• Bild von 1, 2: f(1, 2) = 1, 4• Urbild von 0, 1: f−1(0, 1) = −1, 0, 1• Urbild von −2: f−1(−2) = ∅

R Wahrend das Bild eines Elements aus dem Definitionsbereich per Definition einer Ab-bildung eindeutig bestimmt ist, kann ein Element aus dem Bildbereich mehrere Urbilderhaben!

R Das Bild einer Funktion muss mit ihrem Zielbereich nicht ubereinstimmen! Auf diesenAspekt kommen wir im Zusammenhang mit dem Begriff der Surjektivitat von Abbil-dungen noch ausfuhrlicher zu sprechen.

4.1 Begriffsklarungen 123

B Anhand dieses Beispiels wird besonders deutlich, wie sorgfaltig man zwischen Mengen undderen Elementen unterscheiden muss:

Sei A = 0, 1, 2 und f1 die sogenannte erste Koordinatenabbildung 12:

f1 : 0, 1, 22 → 0, 1, 2(a1, a2) 7→ a1.

(4.4)

Fur diese Funktion erhalt man folgende Identitaten:

• Definitionsbereich:0, 1, 22 = (0, 0), (0, 1), (0, 2), (1, 0), (1, 1), (1, 2), (2, 0), (2, 1), (2, 2)• Zielbereich: 0, 1, 2• Bild von f1: f1(0, 1, 22) = 0, 1, 2• Bild von (2, 1): f1

((2, 1)

)= 2

• Urbilder von 0: (0, 0), (0, 1), (0, 2) (denn f1((0, 0)

)= f1

((0, 1)

)= f1

((0, 2)

)= 0)

• Bild von (1, 1), (2, 0): f1((1, 1), (2, 0)) = 1, 2• Urbild von 1: f−11 (1) = (1, 0), (1, 1), (1, 2)• Urbild von ∅: f−11 (∅) = ∅.

R Da die Elemente (a1, a2) des Definitionsbereichs von f1 geordnete Zwei-Tupel sind,muss man - wie eben geschehen - genau genommen zwei offnende und zwei schließendeKlammern setzen, wenn man das Bild f

((a1, a2)

)eines Elements (a1, a2) notieren will.

Oft belasst man es aber aus Grunden der Ubersichtlichkeit und der Bequemlichkeit beieinem Klammernpaar, schreibt also f1(a1, a2) anstelle von f1

((a1, a2)

). N

Bemerkung 4.2

(a) Wie in [AG81]angegeben, notiert man Funktionen mitunter auch in der Form

x 7→ f(x), x ∈ D.

(Hierzu siehe Abbildung 4.2.) Es sei jedoch angemerkt, dass hierbei die Angabe der Zielmengefehlt und demzufolge das Vorliegen einer sehr wichtigen Eigenschaft von Funktionen - diesogenannte Surjektivitat, die wir in Abschnitt 4.3 behandeln werden - nicht untersucht werdenkann.

(b) Wie oben bereits angedeutet und wie in Definition 4.1 formalisiert, stehen die Begriffe Abbil-dung und Funktion fur ein- und dieselbe Sache. Wir wollen uns fur die Zukunft aber auf fol-genden Sprachgebrauch einigen: Eine Abbildung f mit Graphen Gf ⊆ D × Z wollen wir alsFunktion bezeichnen, falls die Definitionsmenge und die Zielmenge Teilmengen von R (oderder spater einzufuhrenden Menge C) sind, d.h., dass D,Z ⊆ R (oder C) gilt. Im allgemeinenFall wollen wir kunftig der Einfachheit halber nur noch von Abbildungen sprechen.

12Analog definierte man die zweite Koordinatenabbildung f2 als diejenige Abbildung, die (a1, a2) ∈ A2 auf a2abbildet.

4.1 Begriffsklarungen 124

Bezugnehmend auf Definition 4.3 sollen nun zwei Satze angegeben werden, die insbesondere ausbeweistechnischen Grunden interessant sind:

Satz 4.1 Sei f : D → Z eine Abbildung und seien A1, A2 ⊆ D, B1, B2 ⊆ Z. Dann gilt

(a) f(A1 ∪ A2) = f(A1) ∪ f(A2),

(b) f(A1 ∩ A2) ⊆ f(A1) ∩ f(A2),

(c) f−1(B1 ∪B2) = f−1(B1) ∪ f−1(B2),

(d) f−1(B1 ∩B2) = f−1(B1) ∩ f−1(B2).

Beweis: Ubung. 2

Im folgenden Satz werden das Urbild des Bildes einer Menge bzw. das Bild des Urbildes einerMenge zur Ausgangsmenge in Beziehung gesetzt:

Satz 4.2 Sei f : D → Z eine Abbildung und seien A ⊆ D und B ⊆ Z. Dann gilt

(a) f(f−1(B)

)⊆ B,

(b) f−1(f(A)

)⊇ A.

Beweis: Wir beweisen zunachst (a): Nach Definition ist f−1(B) = x ∈ D : f(x) ∈ B. Also istf(f−1(B)

)= f(y) : y ∈ f−1(B) = f(y) : y ∈ x ∈ D : f(x) ∈ B ⊆ B. Folglich ist jedes

Element aus f(f−1(B)

)auch in B enthalten.

Nun beweisen wir (b): Es ist f−1(f(A)

)= x ∈ D : f(x) ∈ f(A). Ist nun a ∈ A beliebig, so

folgt f(a) ∈ f(A) und aus der Darstellung fur f−1(f(A)

)folgt daraus unmittelbar a ∈ f−1

(f(A)

).

Dies impliziert die Behauptung. 2

Der Vollstandigkeit halber sei an dieser Stelle auch noch die Definition fur die sogenannte Ein-schrankung einer Funktion angegeben: Hierbei wird lediglich der Definitionsbereich einer Abbil-dung durch eine Teilmenge desselben ersetzt:

Definition 4.4 Ist f : D → Z eine Abbildung und C ⊆ D, so nennt man die Abbildung

f |C : C → Z

x 7→ f |C(x) := f(x)

die Einschrankung von f auf C.

Aus der Definition des Abbildungsbegriffs folgt unmittelbar, unter welcher Bedingung zwei Abbil-dungen als gleich zu betrachten sind: Hierzu mussen wir nur auf die Definition der Gleichheit zweiergeordneter Tupel und Definition 2.1(b) der Gleichheit zweier Mengen zuruckgreifen:

Definition 4.5 (Variante 1) Seien D1, D2, Z1 und Z2 nicht leere Mengen und f1 = (Gf1 , Z1) mitGf1 ⊆ D1×Z1 und f2 = (Gf2 , Z2) mit Gf2 ⊆ D2×Z2 Abbildungen. Dann nennt man f1 gleich f2,in Zeichen

f1 ≡ f2 :⇔ Gf1 = Gf2 ∧ Z1 = Z2.

4.1 Begriffsklarungen 125

Bemerkung 4.3 In Definition 4.5 bedeutet die Forderung Gf1 = (x, y) ∈ D1×Z1 : y = f1(x) =

(x, y) ∈ D2 × Z2 : y = f2(x) = Gf2 zum einen, dass D1 = D2, zum anderen aber auch, dassjedes x aus D1 = D2 unter f1 auf dasselbe Element y abgebildet wird wie unter f2.

Fur die Schreibweise wie in Bemerkung 4.1 bedeutet das folgendes:

Definition 4.5 (Variante 2) Seien D1, D2, Z1 und Z2 nicht leere Mengen und f1 : D1 → Z1 undf2 : D2 → Z2 Abbildungen. Dann nennt man f1 gleich f2, in Zeichen

f1 ≡ f2 :⇔ D1 = D2 ∧ Z1 = Z2 ∧ ∀x ∈ D1 = D2 : f1(x) = f2(x).

Bemerkung 4.4

(a) Die tautologische Aquivalenz zweier Aussagen haben wir mit demselben Symbol gekennzeich-net wie die Gleichheit zweier Funktionen. Dies wird aber erwartungsgemaß nicht zu Miss-verstandnissen fuhren!

(b) Sind zwei Funktionen f1 : D1 → Z1 und f2 : D2 → Z2 nicht gleich, so bedeutet das, dass

D1 6= D2 oder

Z1 6= Z2 oder

∃x : x ∈ D1 ∧ x ∈ D2 ∧ f1(x) 6= f2(x).

Dies ist beispielsweise fur die Funktionen f1 : N→ 2N und f2 : N→ N mit f1(x) = f2(x) =

2x, x ∈ N, der Fall, obwohl Gf1 = Gf2 = (1, 2), (2, 4), (3, 6), . . ..

Beispiel 4.3Ist 1Q : Q → 1 die konstante Funktion, die jede rationale Zahl auf 1 abbildet, so stimmt dieEinschrankung der DIRICHLETschen Sprungfunktion ϕ aus Beispiel 4.1 G auf Q gemaß Definition4.5 mit 1Q uberein, d.h. es ist ϕ|Q = 1Q : Fur alle x ∈ Q ist namlich ϕ|Q(x) = ϕ(x) = 1 = 1Q(x).N

Der Vollstandigkeit halber sollen am Ende dieses Abschnittes zu den grundlegenden Begriffen imZusammenhang mit Abbildungen und Funktionen noch zwei Definitionen bereit gestellt werden, dieSie ganz sicher aus der Schule schon kennen:

Definition 4.6 Seien D,Z nichtleere Mengen. Ist f : D → Z eine Abbildung, so bezeichnet manjedes Element x∗ ∈ D, fur welches f(x∗) = x∗ gilt, als einen Fixpunkt von f .

Beispiel 4.4A Die Funktion f : R → R, x 7→ x2, aus Beispiel 4.1 D hat die Fixpunkte 0 und 1, denn

f(x) = x2 = x⇔ x2 − x = 0⇔ x(x− 1) = 0⇔ x = 0 ∨ x− 1 = 0⇔ x = 0 ∨ x = 1.

B Die Dirichletsche Sprungfunktion hat nur den Fixpunkt 1.

C Bezuglich der Identitatsfunktion idM auf einer nichtleeren Menge M ist jedes Element aus Mein Fixpunkt, da idM(x) = x fur alle x ∈M per Definition der Identitat.

4.2 Darstellung von Abbildungen 126

D Die Funktion

f1 : 0, 1, 22 → 0, 1, 2(a1, a2) 7→ a1.

(siehe (4.4)) hat keinen einzigen Fixpunkt. N

Definition 4.7 Seien D,Z nichtleere Mengen mit Z ⊆ R. Ist dann f : D → Z eine Abbildung, sobezeichnet man jedes Element x0 ∈ D, fur welches f(x0) = 0 gilt, als eine Nullstelle von f .

4.2 Darstellung von Abbildungen

Nachdem wir im vorangegangenen Abschnitt geklart haben, was wir unter einer Abbildung bzw.einer Funktion zu verstehen haben, und verschiedene Schreib- und Sprechweisen fur die in diesemZusammenhang auftretenden Dinge kennen gelernt haben, wollen wir in diesem kurzen Abschnittdie verschiedenen Moglichkeiten, Abbildungen bzw. Funktionen zu notieren bzw. darzustellen, zu-sammentragen. Im Wesentlichen wird das fur Sie alles nicht neu sein.Die gangigsten Darstellungsmethoden fur Abbildungen und Funktionen sind 13

• Wertetabellen

• Pfeildiagramme

• Graphen.

Die Rolle von Wertetabellen ist dabei ganzlich anders als die von Pfeildiagrammen und Graphen:Wahrend Wertetabellen eine ubersichtliche Zusammenfassung der Zuordnung beinhalten, stellenPfeildiagramm und Graphen ikonische (d.h. bildliche) Darstellungen von Funktionen dar. Sofernsich eine Abbildung oder Funktion uberhaupt mittels einer oder mehrerer der drei genannten Metho-den darstellen lasst, eignen sich diese hierfur in der Regel nicht alle gleich gut; allen gemein ist imUbrigen die Einschrankung, dass fur vielelementige bzw. unendliche Definitionsmengen regelhaftnur ”Ausschnitte“ der Abbildung dargestellt werden konnen 14.

4.2.1 Wertetabellen

Eine erste Wertetabelle finden Sie in Abbildung 4.1 auf Seite 113: In ihr sind einige wenige Paare desentsprechenden Zeit-Temperatur-Graphen eingetragen. Der Ubersichtlichkeit zuliebe gibt man dieEinheiten (hier: Uhr bzw. C) oft nur einmal in der Kopfspalte 15 an, und zwar in eckigen Klammernhinter der Bezeichnung der gemessenen Große (Zeitpunkt bzw. Temperatur).Die entsprechende Wertetabelle sahe dann so aus:

13An dieser Stelle sei angemerkt, dass es zahlreiche Abbildungen bzw. Funktionen gibt, die sich weder durch Werte-tabellen oder Pfeildiagramme noch durch Graphen vernunftig beschreiben lassen; beispielhaft seien hier Abbildungenvon R2 nach R2 oder Abbildungen von P(N)× P(N) nach P(N), etwa (M,N) 7→M4N , genannt.

14Falls die Definitionsmenge aus einem oder mehreren ”kleinen“ Intervallen besteht, ist allerdings eine vollstandigegraphische Darstellung moglich, obwohl es sich hierbei um eine unendliche Menge handelt.

15oder in der Kopfzeile, wenn die Tabelle vertikal ausgerichtet ist

4.2 Darstellung von Abbildungen 127

Zeitpunkt [Uhr] 0 4 8 12 16 20 24

Temperatur [C] +2 -3 -3 +4 +4 +1 -2

Die Wertetabelle der Abbildung f auf Seite 118 ist ebenfalls vollstandig anzugeben:

x 1 2 3

f(x) b c a

Anders verhalt sich das im Fall der Abbildung g aus Beispiel 4.1 A . Da N unendlich viele Elementehat und wir keine Tabelle mit unendlich vielen Spalten oder Zeilen anfertigen konnen, mussen wiruns mit einem Ausschnitt begnugen: Wir wahlen hierfur (beispielsweise) die ersten Elemente derDefinitionsmenge N aus:

x 1 2 3 4 5 6 . . .

g(x) = 2x+ 1 3 5 7 9 11 13 . . .

Analog hierzu ließe sich die Wertetabelle der Funktion ((x, y) ∈ R× R : y = x2,R) in Beispiel4.1 D nur fur einen verschwindend geringen Anteil des Definitionsbereichs angeben, etwa so:

x -1 −23−1

30 1

3−2

31 . . .

x2 1 49

19

0 19

49

1 . . .

Prinzipiell konnte man naturlich auch fur die Teilmenge ((x, y) ∈ R× R : x = y2,R) in Beispiel4.1 E eine Wertetabelle anfertigen wollen, obwohl es sich hier nicht um eine Funktion handelt: Indieser Tabelle waren aber die Zellen unterhalb der negativen Eintrage leer und in den Zellen zu dennichtnegativen x-Werten mussten immer zwei Werte eingetragen werden. . .

Die Wertetabelle zur Abbildung k in Beispiel 4.1 C kann wieder vollstandig angegeben werden, daD nur 10 Elemente umfasst. Was ist hierbei anders als in der vorangegangenen Tabelle?

4.2.2 Pfeildiagramme

Pfeildiagramme sehen im Wesentlich aus wie in Abbildung 4.5 bereits angedeutet: Man stellt sowohldie Definitions- als auch die Zielmenge zum Beispiel in Form von Kreisen, Ellipsen, Rechteckenoder ahnlichem dar, tragt dann alle oder zumindest einige der Elemente in die entsprechende Figurein und zieht Pfeile von den Elementen des Definitionsbereichs zu den durch die Zuordnungsvor-schrift eindeutig bestimmten Bildelementen der Zielmenge. In den Abbildungen 4.6 und 4.7 sind dieentsprechenden Diagramme fur die Beispielfunktion von Seite 118 und die Funktion g aus Beispiel4.1 A angegeben. Wahrend ersteres vollstandig ist, kann das zweite nur einen Teil der unendlichvielen Paare in Gg beinhalten. Pfeildiagramm zu Funktionen, deren Definitionsbereich R (oder einIntervall in R) ist, sind nur noch sehr bedingt informativ (siehe Abbildung 4.7, rechts); hier sindGraphen i.A. weit besser geeignet.In Abbildung 4.8 sind zwei Pfeildiagramme angegeben, von denen aber nur eins zu einer Funktiongehort. Welches? Und warum?

Inwiefern wurde ein Pfeildiagramm zu der Menge ((x, y) ∈ R× R : y2 = x,R) in Beispiel 4.1 Evon einem Pfeildiagramm, das zu einer Abbildung gehort, abweichen?

4.2 Darstellung von Abbildungen 128

Abb. 4.6 Pfeildiagramm der Funktion f auf Seite 118.

Abb. 4.7 Pfeildiagramm zu den Funktionen in Beispiel 4.1 A (links) und E (rechts).

4.2.3 Graphen

In Ihrer Schulzeit sind Sie mit der Erstellung von Graphen und der Interpretation dieser Darstellun-gen eng vertraut gemacht worden. Wir wollen hier jetzt nur noch einmal sicher stellen, dass dieseVorstellungen zu der in Definition 4.1 angegebenen Charakterisierung korrespondieren: Dazu be-trachten wir exemplarisch den Graph zu der Zeit-Temperatur-Funktion - nennen wir sie hier malT (fur Temperatur) - in Abbildung 4.1: Tatsachlich handelt es sich hierbei um eine Teilmenge deskartesischen Produktes z Uhr : z ∈ [0, 24] × t C : t ∈ [−5, 5] aus der Definitions- und derZielmenge der Funktion.

In Fall einer Funktion f , fur die sowohl der Definitions- als auch der Wertebereich eine Teilmengevon R ist, gilt Gf ⊆ R2; der Graph ist also in solch einem Fall eine Teilmenge der Anschauungsebe-ne. Als Beispiele hierfur sind in Abbildung 4.9 Ausschnitte der Graphen Gg und Gh zu Beispiel 4.1skizziert. Wahrend man bei der Definition von g und h aufgrund der identischen Funktionsvorschrif-ten falschlicherweise glauben konnte, dass es sich um die gleichen Funktionen handelt, sieht manden Unterschied zwischen g und h an den beiden (Ausschnitten der) Graphen sehr deutlich! Insbe-sondere ist es im Fall von Gg nicht erlaubt, die Punkte zu verbinden! Fur den Fall, dass D ⊆ R2 undZ ⊆ R, ist der entsprechende Graph eine Teilmenge des R3, also eine Teilmenge des Anschauungs-raums; beispielhaft hierfur ist der Graph der Funktion f1 in (4.4) in in Abbildung 4.10 angegeben.Was den Graph der Funktion auf Seite 118 betrifft, ist zu sagen, dass eine bildliche Darstellung Fra-gen aufwerfen kann: Die Zielmenge a, b, c ist ja keine Teilmenge von R. Ungeachtet dessen ist esaber beispielsweise moglich, die Elemente dieser Menge gemaß ihrer lexikographischen Reihenfol-

4.3 Eigenschaften von Abbildungen 129

Abb. 4.8 Welches der beiden Pfeildiagramme stellt eine Funktion dar?

Abb. 4.9 Ausschnitte von Gg (links) und Gh (rechts).

ge anzuordnen und Abbildung 4.11 als Graph dieser Funktion zu betrachten.

Die Teilmengen ((x, y) ∈ R× R : y = x2,R) und ((x, y) ∈ R× R : y2 = x,R) aus Beispiel4.1 D und E sind in Abbildung 4.12 skizziert.Hier ist noch einmal besonders schon zu erkennen, woran man eine Funktion graphisch erkennt: JedeParallele zur Ordinate durch ein Element des Definitionsbereiches muss den Graph genau einmalschneiden; rechts ist das nicht der Fall: Hier steht jedes nichtnegative x ∈ R mit zwei Elementen ausR in Beziehung. In dem Kapitel uber Relationen kommen wir auf derartige Teilmengen kartesischerProdukte zuruck.

Den Graphen zur Funktion k aus Beispiel 4.1 C fertigen Sie bitte selbststandig an.

4.3 Eigenschaften von Abbildungen

4.3.1 Ungleichungen zwischen reellwertigen Funktionen

Definition 4.8 Eine Funktion f : D → Z nennt man reellwertig, wenn Z ⊆ R.

Im Falle reellwertiger Funktionen kann man die Anordnung des Zielbereichs mitunter in gewisserWeise auf die Abbildungen ubertragen:

4.3 Eigenschaften von Abbildungen 130

Abb. 4.10 Funktion f1 : 0, 1, 22 → 0, 1, 2 mit f1(a1, a2) = a1.

Abb. 4.11 Graph der Funktion auf Seite 118.

Definition 4.9 Seien D1, D2 beliebige Mengen, Z1, Z2 Teilmengen von R und f : D1 → Z1 undg : D2 → Z2 Funktionen. Dann sagt man, dass

(a) f kleiner-gleich g ist und schreibt

f ≤ g :⇔ D1 = D2 ∧ Z1 = Z2 ∧ ∀x ∈ D1 = D2 : f(x) ≤ g(x),

(b) f kleiner g ist und schreibt

f < g :⇔ D1 = D2 ∧ Z1 = Z2 ∧ ∀x ∈ D1 = D2 : f(x) < g(x),

(c) f großer-gleich g ist und schreibt

f ≥ g :⇔ g ≤ f,

4.3 Eigenschaften von Abbildungen 131

Abb. 4.12 Graph zur Funktion x 7→ y = x2 (links) und zur Teilmenge((x, y) ∈ R× R : y2 = x,R) (rechts).

(d) f großer g ist und schreibtf > g :⇔ g < f.

R Beachten Sie, dass - anders als in der angeordneten Menge R, in der fur zwei Elemente a, bdie Aquivalenz

a < b⇔ a ≤ b ∧ a 6= b

richtig ist - auf der Menge aller Funktion von D nach Z die beiden Aussagen

f < g (4.5)

und

f ≤ g ∧ f 6= g (4.6)

nicht aquivalent sind. Bedingung (4.6) bedeutet, dass die Konjunktion ∀x ∈ D : f(x) ≤g(x) ∧ ∃x ∈ D : f(x) 6= g(x) gultig ist; damit existiert also mindestens ein x ∈ D, sodass f(x) < g(x), in allen anderen Argumenten konnen f und g ubereinstimmen. Die strikteUngleichung von f und g in (4.5) bedeutet mehr: Hier muss f(x) < g(x) fur alle x ∈ D

gelten. Insbesondere ist damit (4.6) notwendig fur (4.5), aber nicht hinreichend. Umgekehrtist (4.5) hinreichend fur (4.6), aber nicht notwendig.

Beispiel 4.5A Sei

f : R→ R

x 7→x : x 6= 0

1 : x = 0

Dann gilt idR ≤ f ∧ idR 6= f , jedoch nicht idR < f .

B Mit

idR : R→ R

4.3 Eigenschaften von Abbildungen 132

x 7→ x

und

| · | : R→ Rx 7→ |x|

gilt idR ≤ | · | und | · | ≥ idR. N

4.3.2 Injektivitat und Surjektivitat

Wie wir am Beispiel der Funktion R → R, x 7→ x2 gesehen haben, mussen fur eine Abbildungf : D → Z der Zielbereich Z und deren Bild f(D) nicht ubereinstimmen! Per Definition ist aberklar, dass die Inklusion f(D) ⊆ Z gelten muss; damit sind die Falle f(D) ⊂ Z und f(D) =

Z zu unterscheiden. Im ersten Fall gibt es Elemente y im Zielbereich, die keinem Element aus xzugeordnet werden. Der zweite Fall dagegen bringt es mit sich, dass jedes Element im Zielbereichmindestens einem x ∈ D zugeordnet wird, denn f(D) = f(x) : x ∈ D ist gerade die Menge allermoglichen Bilder unter f . Dieser Fall ist von besonderem Interesse, die entsprechenden Abbildungenwerden als surjektiv bezeichnet 16:

Definition 4.10Eine Abbildung f : D → Z heißt surjektiv :⇔ ∀ y ∈ Z : ∃x ∈ D : f(x) = y.

Wie bereits angesprochen, sichert die Definition einer Abbildung f : D → Z ab, dass jedem x ∈ Dein y ∈ Z zugeordnet wird; dabei ist es aber nicht ausgeschlossen, dass mehreren verschiedenen Ele-menten ausD dasselbe Bild y zugeordnet wird. Abbildungen, bei denen zwei verschiedene Elementex und x′ aus D immer auch verschiedene Bilder f(x) und f(x′) haben, sind also etwas Besonderes,man nennt sie injektiv oder auch linkseindeutig.

Definition 4.11 (Injektivitat - Variante I)Eine Abbildung f : D → Z heißt injektiv :⇔ ∀x, x′ ∈ D : x 6= x′ ⇒ f(x) 6= f(x′).

Alternativ wird gelegentlich folgende Definition verwendet:

Definition 4.11 (Injektivitat - Variante II)Eine Abbildung f : D → Z heißt injektiv :⇔ ∀x, x′ ∈ D : f(x) = f(x′)⇒ x = x′.

Die Gleichwertigkeit beider Definitionen folgt aus der Tatsache, dass jede Implikation logischgleichwertig ist zu ihrer Kontraposition (klar?!).

Kurz und anschaulich kann man sich die beiden vorangegangenen Definitionen wie folgt merken:Eine Abbildung f : D → Z ist surjektiv, wenn jedes Element aus Z Bild mindestens eines Elements

16Das Wort surjektiv geht auf die franzosische Proposition sur = ”auf“ und einen Stamm des lateinischen Wortesiacere = ”werfen“ zuruck. Es wurde in der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts durch ein franzosisches Autorenkollektivmit dem Namen NICOLAS BOURBAKI gepragt. Wenn Sie verstanden haben, was Surjektivitat bedeutet, macht dieseBezeichnung fur die entsprechende Eigenschaft viel Sinn!

4.3 Eigenschaften von Abbildungen 133

aus D ist und injektiv, wenn jedes Element aus Z Bild hochstens eines Elements aus D ist. Ist eineAbbildung surjektiv und injektiv, d.h. also, dass jedes Element aus Z Bild genau eines Elements ausD ist, so nennt man sie bijektiv oder eineindeutig oder umkehrbar eindeutig. Formal liest sichdas wie folgt:

Definition 4.12Eine Abbildung f : D → Z heißt bijektiv :⇔ ∀ y ∈ Z : ∃1 x ∈ D : f(x) = y.

Bemerkung 4.5 Bijektive Abbildungen werden auch Bijektionen genannt.

Bemerkung 4.6 Weil die Begriffe injektiv und surjektiv so fundamental wichtig sind, wollen wir andieser Stelle nochmal explizit aufschreiben, was es bedeutet, wenn eine Abbildung nicht surjektivbzw. nicht injektiv ist. Gemaß den bekannten Regeln zur Verneinung logischer Aussagen gilt:Eine Abbildung f : D → Z ist

(a) nicht surjektiv :⇔ ∃ y ∈ Z : ∀x ∈ D : f(x) 6= y

(b) nicht injektiv :⇔ ∃x, x′ ∈ D : x 6= x′ ∧ f(x) = f(x′).

Beispiel 4.6A Zunachst betrachten wir die Funktion f : R→ R mit f(x) = x2 (vgl. Beispiel 4.2 A ) .

• Surjektivitat: Gemaß Bemerkung 4.6 ist f nicht surjektiv, denn −1 ∈ R und ∀x ∈ R :

K1(x) 6= −1.

• Injektivitat: Ebenfalls gemaß Bemerkung 4.6 ist f auch nicht injektiv, denn es gilt−1, 1 ∈ R, 1 6= −1 und f(−1) = f(1) = 1.

• Bijektivitat: Da die Funktion weder injektiv noch surjektiv ist, ist sie auch nicht bijektiv.

B Sei M eine beliebige nichtleere Menge. Die Identitat idM : M →M mit x 7→ idM(x) = x ist

• surjektiv, weil zu jedem y ∈M ein x ∈M existiert, so dass idM(x) = y, namlich x = y;

• injektiv, weil fur je zwei verschiedene Elemente x, x′ aus dem Definitionsbereich auchdie Bilder idM(x) = x und idM(x′) = x′ verschieden sind;

• bijektiv, weil sie injektiv und surjektiv ist.

C Auch die Funktion g : R→ R mit g(x) = 2x+ 1 ist bijektiv, wie man wie folgt sieht:

• Surjektivitat: Sei y ∈ R beliebig, aber fest. Es ist zu zeigen, dass ein Urbild zu y existiert,d.h., dass es ein x ∈ R gibt, so dass

g(x) = y ⇔ 2x+ 1 = y. (4.7)

Um dieses x zu ”finden“, losen wir die Gleichung (4.7) einfach nach x auf:

2x+ 1 = y ⇔ 2x = y − 1⇔ x =y − 1

2.

Also ist g(y−12

)= y und die Surjektivitat von g damit bewiesen.

4.3 Eigenschaften von Abbildungen 134

• Injektivitat: Wir konnen diese Eigenschaft auf zwei verschiedene Arten nachweisen:

1. Moglichkeit: Wir zeigen, dass fur zwei Elemente x, x′ ∈ R aus x 6= x′ die Unglei-chung g(x) 6= g(x′) folgt:

x 6= x′ ⇒ 2x 6= 2x′ ⇒ g(x) = 2x+ 1 6= 2x′ + 1 = g(x′).

2. Moglichkeit: Wir verwenden die Aquivalenz zwischen einer Aussage und ihrer Kon-traposition und zeigen, dass fur zwei Elemente x, x′ ∈ R aus g(x) = g(x′) die Gleichungx = x′ folgt (hierbei verwenden wir die Kurzungsregeln (3.8) und (3.9)):

g(x) = g(x′)⇒ 2x+ 1 = 2x′ + 1⇒ 2x = 2x′ ⇒ x = x′.

D Als nachstes betrachten wir die Funktion h : Z→ N0 mit h(z) = |z|.

• Surjektivitat: Die Funktion ist surjektiv, weil zu jedem y ∈ N0 ein x ∈ Z existiert, sodass h(x) = |x| = y, namlich x = y.

• Injektivitat: Die Funktion ist nicht injektiv, weil z. Bsp. h(−1) = h(1) = 1.

• Bijektivitat: Die Funktion ist nicht bijektiv, weil sie nicht injektiv ist.

E Die Wurzelfunktion t : R+0 → R+

0 mit y 7→ √y ist bijektiv:

• Surjektivitat: Sei y ∈ R+0 beliebig, aber fest. Gesucht ist ein x ∈ R+

0 , so dass t(x) =√x = y. Wie oben losen wir diese Gleichung jetzt einfach nach x auf. Da x, y ∈ R+

0 ,gilt 17

√x = y ⇔ x = y2.

Wahlt man also y2 fur x, so gilt t(x) = t(y2) =√y2 = y, wie gewunscht.

• Injektivitat: Seien x, x′ ∈ R+0 und x 6= x′. Dann gilt auch

√x 6=√x′, da Wurzelziehen

auf R+0 eine Aquivalenzumformung ist.

F Im Allgemeinen ist die Koordinatenabbildung f1 (vgl. Beispiel 4.2 B ) surjektiv, aber nichtinjektiv, da f1(a1, a2) = a1 fur alle a2 ∈ A2. Insbesondere ist die Abbildung also im Allge-meinen auch nicht bijektiv. Das Gleiche gilt fur f2.

G Die Abbildung 0, 12 → 0, 1, 2, unter der ein Tupel (x1, x2) auf die Summe x1 + x2 vondessen Eintragen abgebildet wird, ist

• surjektiv, weil (0, 0) 7→ 0, (0, 1) 7→ 1 und (1, 1) 7→ 2; jedes Element aus 0, 1, 2 ist alsotatsachlich ein Bild;

• nicht injektiv, weil (0, 1) 6= (1, 0), aber (0, 1) 7→ 1 und (1, 0) 7→ 1;

• damit auch nicht bijektiv.

17Zur Erinnerung sei noch einmal gesagt, dass fur eine beliebige reelle Zahl z gilt:√z2 = |z|. Damit gilt fur zwei

reelle Zahlen x und y folgende Aquivalenz: x = y2 ⇔ √x = |y| ⇔ √x = y ∨ −√x = y. Ist z ∈ R+0 nichtnegativ, so

gilt√z2 = z; entsprechend gilt fur zwei nichtnegative reelle Zahlen x, y ∈ R+

0 die Aquivalenz y = x2 ⇔ √y = x.

4.3 Eigenschaften von Abbildungen 135

H Zum Abschluss betrachten wir die DIRICHLETsche Sprungfunktion (siehe Beispiel 4.1 G ).Diese ist

• surjektiv, weil z. Bsp. ϕ(3) = 1 und ϕ(√

2) = 0,

• nicht injektiv, weil z. Bsp. ϕ(0) = ϕ(1) = 0,

• damit auch nicht bijektiv. N

Bemerkung 4.7 Fur eine Funktion f : D → Z mit D,Z ⊆ R bedeutet

Surjektivitat, dass jede Parallele zur Abszisse durch einen Wert y ∈ Z auf der Ordinate denGraph der Funktion in mindestens einem Punkt schneidet,

Injektivitat, dass jede Parallele zur Abszisse durch einen Wert y ∈ Z auf der Ordinate denGraph der Funktion in hochstens einem Punkt schneidet,

Bijektivitat, dass jede Parallele zur Abszisse durch einen Wert y ∈ Z auf der Ordinate denGraph der Funktion in genau einem Punkt schneidet.

So ist die Funktion f1 in Abbildung 4.13 surjektiv, aber nicht injektiv; die Funktion f2 hingegen istinjektiv, aber nicht surjektiv.

Abb. 4.13 Graphische Untersuchung von Funktionen auf Injektivitat und Surjektivitat.

Die drei genannten Begriffe kann man sich auch noch auf etwas andere Art und Weise verstandlichmachen: Dazu sei f : D → Z eine beliebige Funktion. Betrachtet man nun die Gleichung

f(x) = y, (4.8)

so bedeutet

4.3 Eigenschaften von Abbildungen 136

• die Surjektivitat von f , dass (4.8) fur jedes y ∈ Z mindestens eine Losung x ∈ D besitzt,

• die Injektivitat von f , dass (4.8) fur jedes y ∈ Z hochstens eine Losung x ∈ D besitzt,

• die Bijektivitat von f , dass (4.8) fur jedes y ∈ Z genau eine Losung x ∈ D besitzt.

Im letzten Fall kann man die Zuordnung x 7→ y also ”umkehren“, d.h., dass man jedem y ∈ Z den-jenigen Wert x zuordnen kann, der die Gleichung (4.8) erfullt. Da die Menge f−1(y) einelementigist, kann man diese Umkehrung wie folgt definieren:

Definition 4.13 Sei f : D → Z eine bijektive Abbildung. Die Abbildung f : Z → D, die fur jedesy ∈ Z die Eigenschaft f(y) = f−1(y) hat, heißt die zu f inverse Abbildung oder die Inversevon f oder die Umkehr(abbild)ung von f . Oft wird anstelle von f auch f−1 geschrieben; damitgilt:

f−1 : Z → D

y 7→ f−1(y) := x⇔ f(x) = y.

Bemerkung 4.8 Bei dem Symbol f−1 ist besondere Wachsamkeit geboten - benutzen wir es dochfur zwei verschiedene Dinge: Zum einen bezeichnen wir mit f−1(B) ⊆ D das Urbild einer MengeB ⊆ Z, ungeachtet dessen, ob f : D → Z dabei bijektiv ist oder nicht (siehe Definition 4.3(f))!Zum anderen bezeichnen wir mit f−1 die Inverse einer bijektiven Abbildung f . Besondere Vorsichtist also insbesondere dann geboten, wenn B = y eine einelementige Menge ist, denn dann kannman fur bijektives f das Element f−1(y) ∈ D und fur beliebiges f die Menge f−1(y) ⊆ D

bilden. Im bijektiven Fall ist die Beziehung zwischen Element und Menge allerdings einfach: Es giltf−1(y) = f−1(y).

Beispiel 4.7A Wir betrachten zunachst wieder die Funktion g : R → R mit g(x) = 2x + 1, von der wir uns

in Beispiel 4.6 C ) uberlegt haben, dass sie bijektiv ist. Die Umkehrfunktion g−1 ist wegen

g−1(y) = x ∈ R : g(x) = y = x ∈ R : 2x+ 1 = y =

y − 1

2

gegeben durch

g−1 : R→ R

y 7→ g−1(y) :=y − 1

2.

In Abbildung 4.14 (links) sind die Funktionen g und g−1 skizziert.

B Die Umkehrfunktion id−1M der Identitat idM : M →M mit id(x) = x ist wegen

id−1M (x) = y ∈M : idM(y) = x = y ∈M : y = x = x

gegeben durch

id−1M : M →M

x 7→ id−1M (x) := x.

Insbesondere stimmen damit idM und id−1M uberein: idM = id−1M .

4.3 Eigenschaften von Abbildungen 137

Abb. 4.14 Ausschnitte der Funktionen g und g−1 (links) bzw. t und t−1 (rechts).

C Die Umkehrfunktion der Wurzelfunktion t : R+0 → R+

0 mit t(x) =√x ist wegen

t−1(y) = x ∈ R+0 : t(x) =

√x = y = x ∈ R+

0 : x = y2 = y2

gegeben durch

t−1 : R+0 → R+

0

y 7→ t−1(y) := y2. N

Die Umkehrung f−1 einer Funktion f : D → Z ist diejenige Funktion, die die durch die Anwendungvon f auf x ∈ D ausgeloste Veranderung ruckgangig macht. Im Beispiel der Wurzelfunktion t

sieht man sehr schon, dass das Ziehen der (zweiten) Wurzel (d.i. die Anwendung von t) durch dasQuadrieren (Anwendung von t−1) ruckgangig gemacht wird. Diesen Aspekt der Umkehrabbildungwerden wir im kommenden Abschnitt noch etwas genauer unter die Lupe nehmen.

Zeichnet man eine bijektive Funktion f : D → Z mitD,Z ⊆ R und ihre Inverse als Teilmengen deskartesischen Produkts D × Z ein, so erkennt man, was die Lage dieser beiden Mengen zueinanderbetrifft, eine interessante Eigenschaft. In Abbildung 4.14 konnen wir uns das anhand der beidenFunktionen g und t anschauen: Es fallt auf, dass die Inverse in beiden Fallen die Spiegelung derursprunglichen Funktion an der Winkelhalbierenden (welche mit der Funktion idR ubereinstimmt)ist. Diese Symmetrie liegt auch im Allgemeinen vor: Per Definition der Inversen f−1 gehort namlich,falls (x, y) Element des Graphen der Funktion f ist, das Paar (y, x) zum Graphen von f−1. DiesenPunkt erhalt man aus (x, y) aber gerade durch Spiegelung an der Winkelhalbierenden, wie Abbildung4.15 verdeutlicht.

Es ist nicht schwierig - aber wichtig! - sich zu uberlegen, dass die Inverse f−1 : Z → D ei-ner bijektiven Funktion f : D → Z wieder invertierbar ist und deren Umkehrung (f−1)−1 mit f

4.3 Eigenschaften von Abbildungen 138

Abb. 4.15 Zur Symmetrie einer Funktion und ihrer Inversen.

ubereinstimmt. Per Definition ist namlich (f−1)−1 diejenige Funktion von D nach Z, unter der je-des x ∈ D auf dasjenige eindeutig bestimmte Element z abgebildet wird, welches die Gleichungf−1(z) = x lost. Das ist aber gerade das Element f(x). Also gilt fur alle x ∈ D die Gleichheit((f−1)−1

)(x) = f(x), was die Behauptung gemaß Definition 4.5 nach sich zieht.

InternetlinksAuf den folgenden Internetseiten finden Sie verschiedene Graphiken und eine Fulle von Beispielenfur die Begriffe surjektiv, injektiv und bijektiv. Sie sind vielleicht fur den ein oder anderen vonIhnen hilfreich. Aus Zeitgrunden kann ich in der Vorlesung auf diese Darstellungen im Detail nichteingehen.

• Zum Begriff surjektiv: http://de.wikipedia.org/wiki/Surjektiv,

• Zum Begriff injektiv: http://de.wikipedia.org/wiki/Injektivitat,

• Zum Begriff bijektiv: http://de.wikipedia.org/wiki/Bijektivitat.

4.3.3 Monotonie von reellwertigen Funktionen

Als nachstes mochte ich Ihnen noch eine weitere wichtige Eigenschaft von Funktionen nahe brin-gen, die sich graphisch leicht ermitteln lasst. Hierbei mussen wir uns wieder auf Funktionen ein-schranken, deren Definitions- und Bildbereich angeordnet ist; der Einfachheit halber gehen wir alsowieder davon aus, dass es sich hierbei um Teilmengen der reellen Zahlen handelt.

Definition 4.14 Seien D,Z ⊆ R und sei f : D → Z eine Funktion. Man nennt f

(a) monoton steigend18 :⇔ ∀x1, x2 ∈ D : x1 ≤ x2 ⇒ f(x1) ≤ f(x2),

18Statt steigend sagt man auch wachsend.

4.3 Eigenschaften von Abbildungen 139

(b) monoton fallend19 :⇔ ∀x1, x2 ∈ D : x1 ≤ x2 ⇒ f(x1) ≥ f(x2),

(c) streng monoton steigend :⇔ ∀x1, x2 ∈ D : x1 < x2 ⇒ f(x1) < f(x2),

(d) streng monoton fallend :⇔ ∀x1, x2 ∈ D : x1 < x2 ⇒ f(x1) > f(x2).

Bemerkung 4.9 Ist eine Funktion f : D → Z mit D,Z ⊆ R streng monoton steigend, so ist sieauch monoton steigend; ist sie streng monoton fallend, so ist sie auch monoton fallend.

Beispiel 4.8A Die Funktion g mit g(x) = 2x − 1 ist streng monoton steigend, da fur alle x1, x2 ∈ R mit

x1 < x2 gilt, dass g(x1) = 2x1 − 1 < 2x2 − 1 = g(x2) ist. In Abbildung 4.14 (links) istentsprechend zu erkennen, dass die Funktionswerte mit steigendem x (also nach rechts hin)immer großer werden. Vollig analog zeigt und sieht man, dass auch die Funktion g−1, die x aufx−12

abbildet, streng monoton wachsend ist. Insbesondere sind g und g−1 damit auch monotonsteigend.

B In den Ubungen werden Sie zeigen, dass die Funktion fm,b : R → R mit x 7→ fm,b(x) :=

mx+ b (hierbei sind m, b ∈ R) genau dann

• monoton steigend ist, wenn m ≥ 0 gilt,

• streng monoton steigend ist, wenn m > 0 gilt,

• monoton fallend ist, wenn m ≤ 0 gilt,

• streng monoton fallend ist, wenn m < 0 gilt.

Insbesondere ist fur jedes b ∈ R die konstante Funktion f0,b, die jedes x auf b abbildet, gleich-zeitig monoton steigend und monoton fallend.

C Die Wurzelfunktion t ist streng monoton steigend, da fur alle x1, x2 ∈ R+0 mit x1 < x2 gilt,

dass t(x1) =√x1 <

√x2 = t(x2) ist. Auch hier kann man die Gesetzmaßigkeit, dass fur

großere Argumente großere Funktionswerte geliefert werden, im Bild erkennen (Abbildung4.14 (rechts)). Beachten Sie, dass auch die Umkehrfunktion t−1, die x ∈ R+

0 auf x2 abbildet,streng monoton steigend ist.

D Eine konstante Funktion, d.h. eine Funktion f : D → Z mitD,Z ⊆ R, fur die eine Konstan-te c ∈ Z existiert, so dass ∀x ∈ D : f(x) = c gilt, ist gleichzeitig streng monoton wachsendund streng monoton fallend. N

Von Bedeutung ist nun folgender Satz:

Satz 4.3 Ist D ⊆ R und f : D → R streng monoton steigend oder streng monoton fallend, so ist finjektiv.

19Statt fallend sagt man auch abnehmend.

4.3 Eigenschaften von Abbildungen 140

Abb. 4.16 Eine injektive Funktion muss nicht monoton sein.

Beweis: Œ konnen wir annehmen, dass f streng monoton steigend ist.20 Seien nun x, x′ ∈ D undsei x 6= x′. Wir konnen wieder Œ annehmen, dass x < x′. Gemaß der Annahme, dass f strengmonoton steigend ist, ist f(x) < f(x′), also insbesondere f(x) 6= f(x′). 2

Das folgende Beispiel einer stuckweise definierten Funktion zeigt, dass man die Aussage in Satz 4.3nicht umkehren kann.

Beispiel 4.9Sei

f : R→ R

x 7→ f(x) :=

−x : x < 0

x− 1 : x ∈ [0, 1]

−x : x > 1

Eine graphische Darstellung der Funktion sehen Sie in Abbildung 4.16. Es ist zu erkennen, dass fweder streng monoton wachsend noch streng monoton fallend ist. Dennoch ist die Funktion inver-tierbar. Die Inverse ist gegeben durch

f−1 : R→ R

x 7→ f−1(x) :=

−x : x < −1

x+ 1 : x ∈ [−1, 0]

−x : x > 0,

(4.9)

20Die Ligatur Œ steht fur den Ausdruck Ohne Einschrankung der Allgemeinheit; mitunter wird stattdessen aucho. B. d. A. notiert, was soviel heißt wie ohne Beschrankung der Allgemeinheit. Diese in mathematischen Beweisen ge-legentlich vorkommende Formulierung wird verwendet, um anzuzeigen, dass eine Einschrankung (z. Bsp. uber den Va-riabilitatsbereich einer Variablen) nur vorgenommen wird, um die Beweisarbeit zu vereinfachen (in den meisten Fallengeht es hierbei sogar um die Reduktion von Schreibarbeit). Die Formulierung darf aber nur verwendet werden, wenn dieGultigkeit der sich anschließenden Aussagen auf sehr einfache Weise (z. Bsp. auf analoge Weise) auf den allgemeinenFall ausgedehnt werden kann.

4.4 Komposition von Abbildungen 141

wie man fallweise nachrechnen kann: Ist beispielsweise x > 1, so muss (wegen f(x) = −x)f−1(−x) = x gelten, hierbei ist −x < −1. Daher definiert man f−1 auf der Menge x ∈ R :

x < −1 gemaß der ersten Zeile in (4.9). Ist dagegen x ∈ [0, 1], so muss (wegen f(x) = x − 1)f−1(x − 1) = x gelten. Wegen x ∈ [0, 1] ⇔ x − 1 ∈ [−1, 0] definiert man f−1 auf [−1, 0] durchx 7→ x + 1 (zweite Zeile in (4.9)). Ist schließlich x < 0, so muss (wieder wegen f(x) = −x)f−1(−x) = x gelten, diesmal ist jedoch −x > 0. Also wird f−1 auf R+ gemaß der dritten Zeile in(4.9) definiert. Erganzen Sie die Funktion f−1 in Abbildung 4.16 und beobachten Sie die Symmetrieder beiden Funktionen f und f−1. N

4.3.4 Symmetrie reellwertiger Funktionen

Definition 4.15 Es sei eine Funktion f : D → R mitD ⊆ R gegeben. Dann nennt man den GraphenGf := (x, y) ∈ D × R : y = f(x)

(a) achsensymmetrisch, symmetrisch zur Ordinate (oder mitunter auch symmetrisch zur y-Achse), falls fur alle x ∈ D auch −x ∈ D und uberdies f(−x) = f(x) gilt.

(b) punktsymmetrisch (zum Koordinatenursprung), falls fur alle x ∈ D auch −x ∈ D unduberdies f(−x) = −f(x) gilt.

Veranschaulichen Sie sich die Bedeutung dieser beiden Symmetriebegriffe mit Hilfe einer Zeich-nung!

Beispiel 4.10A Die Betragsfunktion x 7→ |x| ist wegen |x| = | − x| achsensymmetrisch.

B Fur jedes m ∈ R ist die Funktion fm : R → R mit fm(x) = mx punktsymmetrisch: Es istnamlich fur alle x ∈ R

fm(−x) = m(−x) = −(mx) = −fm(x).

4.4 Komposition von Abbildungen

Unter bestimmten Voraussetzungen ist es moglich, auf ein Argument x mehrere Funktionen nach-einander anzuwenden. Sind beispielsweise f und g Funktionen, fur die x im Definitionsbereich vonf und f(x) im Definitionsbereich von g liegt, so kann man g

(f(x)

)bilden. Da dies fur alle x,

die die entsprechenden Nebenbedingungen erfullen, moglich ist, werden wir diese Hintereinander-ausfuhrung von f und g als eigenstandige Funktion, die sogenannte Komposition definieren.

Definition 4.16 Seien f : Df → Zf und g : Dg → Zg Funktionen mit f(Df ) := f(x) : x ∈Df ⊆ Dg. Dann nennt man die durch

g f : Df → Zg

x 7→ (g f)(x) := g(f(x)

)

definierte Funktion die Komposition21 von g und f .

4.4 Komposition von Abbildungen 142

Abb. 4.17 Zur Komposition von Abbildungen.

Die Abbildung soll verdeutlichen, was bei der Komposition von Abbildungen geschieht. Besondersist darauf zu achten, dass die Komposition g f von Abbildungen von rechts nach links zu lesen ist:Das heißt, dass zuerst die rechts stehende Funktion (hier f ) auf das Argument x angewendet wirdund erst im Anschluss hieran die links stehende Funktion g auf f(x) angewendet wird.

Beispiel 4.11A Sei

σ : R→ Rx 7→ σ(x) := 2x

und

τ : [0, 2]→ [0, 4]

z 7→ τ(z) := z2.

Dann konnen wir die Komposition σ τ bilden, da der Bildbereich τ([0, 2]) = [0, 4] von τ imDefinitionsbereich R von σ enthalten ist. Man erhalt

σ τ : [0, 2]→ Rx 7→ σ

(τ(x)

)= 2x2.

Die umgekehrte Komposition τ σ konnen wir nicht bilden, denn das Bild σ(R) = R ist keineTeilmenge des Definitionsbereichs von τ . Indem wir die Funktion σ jedoch einschranken (vgl.

21Mitunter wird g f auch als Verkettung, Hintereinanderausfuhrung oder Verknupfung bezeichnet.

4.4 Komposition von Abbildungen 143

Def. 4.4), konnen wir zumindest die Komposition von τ mit dieser Einschrankung bilden.Wichtig ist dabei, darauf zu achten, dass das Bild der Einschrankung eine Teilmenge vomDefinitionsbereich von τ , also von [0, 2], ist. Beispielsweise gelingt dies, indem man σ auf[0, 1] ⊂ R einschrankt:

σ|[0,1] : [0, 1]→ [0, 2]

x 7→ σ|[0,1](x) := 2x.

Damit erhalt man fur die Komposition von τ und σ|[0,1]

τ σ|[0,1] : [0, 1]→ [0, 4]

x 7→ τ(σ|[0,1](x)

)= (2x)2 = 4x2 6= 2x2 = σ|[0,1] τ(x).

An diesem Beispiel ist zu erkennen, dass sich - ungeachtet der Definitions- und Bildbereiche- insbesondere auch die Abbildungsvorschrift bei Vertauschung der Reihenfolge in derKomposition verandern kann!

B Sei

g : R× R→ R× R(x, y) 7→ g(x, y) := (x+ y, x− y)

und fur alle i ∈ 1, 2

fi : R× R→ R(s1, s2) 7→ fi(s1, s2) := si

die i-te Koordinatenabbildung. Wegen g(R × R) ⊆ R2 ist die Bildung der Kompositionenf1 g und f2 g moglich (genauer gilt sogar g(R × R) = R2, d.h., dass die Abbildung gsurjektiv ist; uberzeugen Sie sich hiervon durch eine sorgfaltige Rechnung): Es ist

f1 g : R× R→ R(x, y) 7→ x+ y

und

f2 g : R× R→ R(x, y) 7→ x− y.

Die Graphen der Kompositionen f1 g und f2 g sehen Sie in Abbildung 4.18:

Die umgekehrten Kompositionen g f1 und g f2 lassen sich jeweils nicht bilden!

C Sei A eine beliebige nichtleere Menge und f : A → A eine Abbildung. Dann sind auch dieKompositionen f idA und idA f Abbildungen von A nach A und es gilt

f idA = f,

idA f = f.(4.10)

4.4 Komposition von Abbildungen 144

Abb. 4.18 Die Graphen der Funktionen f1 g (links) und f2 g (rechts).

Es gilt namlich f idA(x) = f(idA(x)

)= f(x) und idA f(x) = idA

(f(x)

)= f(x) fur

alle x ∈ A. Die Komposition einer beliebigen Funktion mit der Identitat ahnelt also, was dieAuswirkungen betrifft, der Multiplikation einer beliebigen reellen Zahl mit 1 oder der Additionvon 0 zu einer solchen Zahl. Im Kontext des Begriffs vom sogenannten neutralen Elementkommen wir an anderer Stelle auf diese Analogie zuruck. N

R Bei der Verknupfung zweier Funktionen kommt es also im Allgemeinen auf die Reihenfol-ge an! Neben den Definitions- und Zielbereichen sind in aller Regel auch die Abbildungs-vorschriften von g f und f g verschieden! Die Komposition von Funktionen ist also imAllgemeinen nicht kommutativ.

Eine andere grundlegende Eigenschaft von Verknupfungen, namlich die der Assoziativitat, ist abererfullt:

Satz 4.4 Sind f : Df → Zf , g : Dg → Zg und h : Dh → Zh Funktionen, fur die f(Df ) ⊆ Dg undg(Dg) ⊆ Dh erfullt ist, so gilt

h (g f) = (h g) f.Die Komposition von Funktionen ist also assoziativ.

Beweis: Es ist zu zeigen, dass fur alle x ∈ Df die Identitat(h (g f)

)(x) =

((h g) f

)(x) gilt.

Sei also x ∈ Df beliebig. Dann ist

(h (g f)

)(x) = h

((g f)(x)

)= h

(g(f(x)

))

= (h g)(f(x)

)=((h g) f

)(x). 2

Zum Abschluss dieses Abschnitts seien noch wichtige Aussagen zur Aquivalenz von Bijektivitat undUmkehrbarkeit einer Funktion formuliert:

Satz 4.5 Ist f : D → Z bijektiv und f−1 : Z → D deren Inverse, so gilt f−1 f = idD undf f−1 = idZ .

4.4 Komposition von Abbildungen 145

Abb. 4.19 Zur Komposition zueinander inverser Abbildungen.

Beweis: Ist f : D → Z bijektiv, so gilt, da f−1(y) die eindeutig bestimmte Losung der Gleichungf(x) = y in der Unbekannten x ist, fur alle x ∈ D

(f−1 f)(x) = f−1(f(x)

)= f−1(y) = x = idD(x).

Gemaß Definition 4.5 gilt also f−1 f = idD. Umgekehrt ist fur alle y ∈ Z

(f f−1)(y) = f(f−1(y)

)= f(x) = y = idZ(y),

was f f−1 = idZ nach sich zieht. 2

Abbildung 4.19 illustriert den in Satz 4.5 dargestellten Zusammenhang.

Beispiel 4.12Aus dem vorangegangenen Abschnitt wissen wir, dass die Wurzelfunktion t : R+

0 → R+0 , x 7→

t(x) :=√x bijektiv ist mit Umkehrabbildung t−1 : R+

0 → R+0 mit y 7→ t−1(y) = y2. Tatsachlich

gilt fur alle y ∈ R+0

t t−1(y) = t(t−1(y)

)= t(y2) =

√y2 = y = idR+

0(y) und

t−1 t(y) = t−1(t(y)

)= t−1(

√y) = (

√y)2 = y = idR+

0(y),

also ist t t−1 = t−1 t = idR+0

. N

Allgemeiner kann sogar gezeigt werden, dass die Komposition beliebiger (nicht notwendig zueinan-der inverser) bijektiver Abbildungen wieder bijektiv ist.

Satz 4.6 Seien f : Df → Zf und g : Dg → Zg bijektive Abbildungen mit f(Df ) ⊆ Dg. Dann istauch g f : Df → Zg bijektiv.

Beweis: Ubung. 2

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 146

Die folgende Umkehrung zu Satz 4.5 ist fur die Praxis von hochster Relevanz: Sie ermoglicht es, dieBijektivitat einer Funktion, also Injektivitat und Surjektivitat, durch Angabe einer Umkehrfunktionnachzuweisen:

Satz 4.7 Ist f : D → Z eine Abbildung, zu der es eine Abbildung g : Z → D gibt, die dieIdentitaten f g = idZ und g f = idD erfullt, so ist f bijektiv und es gilt f−1 = g.

Beweis: Wir mussen nachweisen, dass f injektiv und surjektiv ist, wenn es eine Funktion g mitden beschriebenen Eigenschaften gibt. Beginnen wir mit der Injektivitat: Seien dazu x, x′ ∈ D undf(x) = f(x′). Weil g : Z → D eine Abbildung ist, folgt daraus g

(f(x)

)= g

(f(x′)

). Die linke

Seite dieser Gleichung stimmt jedoch nach Voraussetzung mit g f(x) = idD(x) = x uberein, dierechte mit g f(x′) = idD(x′) = x′. Also folgt aus der Voraussetzung die Gleichheit x = x′, wasdie Injektivitat beweist.Kommen wir nun zum Nachweis der Surjektivitat: Sei dazu y ∈ Z beliebig. Wahlt man x := g(y) ∈D, so folgt aus der Voraussetzung, dass f(x) = f

(g(y)

)= f g(y) = idZ(y) = y. Damit gibt es zu

jedem y ∈ Z ein Urbild in D.Insgesamt ist so bewiesen, dass f bijektiv ist, also existiert die Inverse f−1. Bleibt zu zeigen, dassf−1 = g; dies belegen die folgenden Aquivalenzumformungen der Voraussetzung:

g f = idD(4.10)⇔ (g f) f−1 = idD f−1

Satz 4.4⇔ g (f f−1) = idD f−1

⇔ g (f f−1) = f−1

Satz 4.5⇔ g idZ = f−1

(4.10)⇔ g = f−1. 2

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen

Im Rahmen dieses Abschnitts sollen verschiedene Typen von Abbildungen behandelt werden, dieauch in der schulischen Mathematik von großer Bedeutung sind; vieles davon wird Ihnen daherbereits bekannt sein.

4.5.1 (Affin-)lineare Funktionen

Seien m und b beliebige reelle Zahlen. Dann bezeichnet man die Geradenfunktion mit Steigung mund Ordinatenabschnitt b mit fm,b. Es ist also fm,b :=

((x, y) ∈ R× R : y = mx+ b,R

)bzw.

fm,b : R→ Rx 7→ fm,b(x) := mx+ b.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 147

Da fur jedes reelle x der Wert mx + b existiert und eindeutig bestimmt ist, ist klar, dass es sich hierum Funktionen im Sinne der Definition 4.1 handelt (in Beispiel 4.1 B wurde die Funktion h = f2,1bereits behandelt).

Es ist wichtig zu wissen, dass jede solche Funktion als (affin-)linear bezeichnet wird; die Menge

FRlin := g : R→ R : ∃m, b ∈ R : g ≡ fm,b = fm,b : m ∈ R, b ∈ R

all dieser Funktionen heißt dementsprechend die Menge der (affin-)linearen Funktionen (auf R).Drei Elemente dieser Menge sind in Abbildung 4.20 skizziert: Die Graphen affin-linearer Funktio-nen sind stets Geraden in der Anschauungsebene; sie schneiden die Ordinate im Punkt (0, b), ihreSteigung ist m und damit betragsmaßig beliebig groß, aber auf jeden Fall endlich! Insbesonderegehoren also die Parallelen zur Ordinate, also die Mengen der Form

(k, y) : y ∈ R = k × R (hierbei ist k ∈ R beliebig, aber fest)

nicht zu den (affin-)linearen Funktionen; mehr noch: Diese Teilmengen stellen uberhaupt keineFunktionen dar, noch nicht einmal auf k ⊂ R (klar?!)

Abb. 4.20 Beispiele linearer Funktionen von R nach R.

Eine besonders wichtige Teilmenge von FRlin bilden die sogenannten homogen-linearen oder auch

proportionalen Funktionen FRhom := fm,b ∈ FR

lin : b = 0 = fm,0 : m ∈ R, also die sogenann-ten Ursprungsgeradenfunktionen; in Abbildung 4.20 ist der Graph der proportionalen Funktionf 1

2,0 eingezeichnet.

Bereits in der Schule haben Sie gelernt, wie man die Funktionsvorschrift einer linearen Funk-tion bestimmt, wenn man zwei verschiedene Punkte ihres Graphen kennt: Sind (x1, y1) =

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 148

(x1, fm,b(x1)), (x2, y2) = (x2, fm,b(x2)) ∈ Gfm,b(mit x1 6= x2), so berechnet sich die Steigung

m uber die sogenannte Zweipunkteformel gemaß

m =y2 − y1x2 − x1

(4.13)

und der Ordinatenabschnitt b hieraus uber yi = fm,b(xi) = mxi+ b⇔ b = yi−mxi = f(xi)−mxi,wobei i = 1 oder i = 2 gewahlt werden kann (eine der beiden Rechnungen kann also zur Probedurchgefuhrt werden).Um die Gultigkeit der Zweipunkteformel nachzuweisen, uberlegen wir uns folgendes:Nach Voraussetzung gilt

mx1 + b = y1 (1)

mx2 + b = y2 (2)(4.14)

Man bezeichnet (4.14) als ein lineares Gleichungssystem aus zwei Gleichungen in zwei Unbe-kannten, namlich m und b. In der Schule sollten Sie mehrere Verfahren kennen gelernt haben,derartige Systeme zu losen:

• Einsetzungsverfahren:Man lost beispielsweise Gleichung (1) nach b auf 22 und setzt den so erhaltenen Ausdrucky1−mx1 fur b in Gleichung (2) ein, die danach eine Gleichung in nur noch einer Unbekanntenist:

mx2 + b = mx2 + (y1 −mx1) = y2.

Diese kann man nun nach der Unbekannten m freistellen, dabei erhalt man

mx2 + (y1 −mx1) = y2 ⇔ m(x2 − x1) = y2 − y1 x2−x1 6=0 n.V.⇔ m =y2 − y1x2 − x1

.

Nun muss man, wie oben bereits angesprochen, diesen Wert fur m nur noch in Gleichung(1) oder (2) einsetzen, um eine Gleichung in der einen Unbekannten b zu erhalten, nach derdann aufgelost werden kann. Alternativ hatten Sie eine der beiden Gleichungen (falls dasentsprechende xi nicht null ist) nach m auflosen, den entsprechenden Wert fur m in die andereGleichung einsetzen und diese dann nach b auflosen konnen.)

• Gleichsetzungsverfahren:Hierbei lost man zunachst beide Gleichungen in (4.14) (beispielsweise) nach b auf und setztdie dadurch entstehenden Ausdrucke gleich:

y1 −mx1 = y2 −mx2.

Dies ist nun eine Gleichung in einer Unbekannten, die leicht zu losen ist:

y1 −mx1 = y2 −mx2 ⇔ m(x2 − x1) = y2 − y1 x2−x1 6=0 n.V.⇔ m =y2 − y1x2 − x1

.

Wie oben benutzt man nun eine der beiden Ausgangsgleichungen, um die andere Unbekannteb zu ermitteln.

22Genauso gut konnen Sie Gleichung (2) nach b auflosen und den entsprechenden Wert in (1) einsetzen.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 149

• (Gaußsches) Eliminationsverfahren 23

Dieses Verfahrens ist nach CARL FRIEDRICH GAUSS (∗ 30. April 1777 in Braunschweig,† 23. Februar 1855 in Gottingen), einem der bedeutendsten Wissenschaftler der Geschichte,benannt.

Wir starten mit einer wichtigen Voruberlegung:

Proposition 4.8 Gegeben seien a1, a2, b1, b2, c1, c2 ∈ R und l ∈ R \ 0. Dann gilt:

(a) Genau dann, wenn y ∈ R die Gleichung

a1x+ b1 = c1

in der Unbekannten x lost, lost y auch die Gleichung

la1x+ lb1 = lc1,

formal:∀x ∈ R : a1x+ b1 = c1 ⇔ la1x+ lb1 = lc1.

(b) Genau dann, wenn y ∈ R die beiden Gleichungen

a1x+ b1 = c1 (I)

a2x+ b2 = c2 (II)

in der Unbekannten x lost, lost y auch die beiden Gleichungen

a1x+ b1 = c1 (I)

(a2 + a1)x+ (b2 + b1) = (c2 + c1). (III)

Beweis:

(a) Diese Behauptung beweist man einfach, indem man die linke Gleichung mit l ∈ R \ 0multipliziert (das beweist die Richtigkeit des Implikationspfeils 24 ⇒) bzw. die rechteGleichung durch l dividiert; letzteres ist moglich, da l nach Voraussetzung ungleich 0

ist 25.

(b) ”⇒:“ Angenommen, y ist eine Losung des erstgenannten Gleichungssystems: Dannerhalt man wegen a1y + b1 = c1 und a2y + b2 = c2 durch Addition dieser beidenGleichungen, dass (a2y+ b2) + (a1y+ b1) = c2 + c1 ⇔ (a2 +a1)y+ (b2 + b1) = c2 + c1,

also (III) gilt.

23lat. eliminare = entfernen24Diese Richtung ware sogar fur l = 0 korrekt.25An dieser Stelle greifen wir auf die aus der Schule bekannte Kurzungsregel zuruck: Sind p, q ∈ R und ist l ∈ R\0,

so gilt: pl = ql ⇒ p = q; diese Regel entspricht der (Ihnen vermutlich noch nicht bekannten) Tatsache, dass diesogenannte Gruppe (R \ 0, ·) regular ist. Zu einem spateren Zeitpunkt werden wir sowohl den Begriff der Gruppeals auch den der Regularitat noch im Detail studieren und uns vom Vorliegen dieser Eigenschaft im genannten Fallselber uberzeugen.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 150

”⇐:“ Angenommen, y lost die Gleichungen (I) und (III). Dann gilt wegen Aufgabenteil(a) mit l = −1 auch

−a1y − b1 = −c1. (IV)

Da wir schon wissen (erster Teil dieses Beweises), dass y dann aber auch die Summe aus(III) und (IV) lost, gilt [(a2+a1)y+(b2+b1)]+[−a1y−b1] = c2+c1−c1 ⇔ a2y+b2 = c2;

also lost y auch (II).

Das war zu zeigen. 2

Bemerkung 4.10 Aus Proposition 4.8 folgt außerdem: Genau dann, wenn y ∈ R die beiden Glei-chungen

a1x+ b1 = c1 (I)

a2x+ b2 = c2 (II)

in der Unbekannten x lost, lost y auch die beiden Gleichungen

(a)

a2x+ b2 = c2

(a2 + a1)x+ (b2 + b1) = (c2 + c1)

(b)

a1x+ b1 = c1

(a2 − a1)x+ (b2 − b1) = (c2 − c1)

(c) . . .

In Worten bedeutet das folgendes: Man kann die (ggf. mit einem Faktor l 6= 0 multiplizierten) Zeileneines Gleichungssystems miteinander addieren oder in beliebiger Reihenfolge voneinander subtra-hieren, ohne dabei die Losungsmenge zu verandern. Insbesondere kann man also die beiden Zeileneines Gleichungssystems durch zwei auf die eben beschriebene Weise entstandene Zeilen ersetzen,ohne dabei die Losungsmenge zu verandern.

Mit diesem Wissen konnen wir das zu losende Gleichungssystem (4.14), also

mx1 + b = y1 (1)

mx2 + b = y2 (2)

vereinfachen, ohne die gesuchte Losung zu verandern; diese Vereinfachung soll darin bestehen, ineiner Gleichung eine Unbekannte zu ”eliminieren“: Hier bietet es sich an, b zu entfernen, denn dazumussen wir nur die Summe aus der ersten Gleichung und dem (−1)-fachen der zweiten Gleichung

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 151

bilden (anders gesagt: die zweite Gleichung von der ersten abziehen). Auf diese Weise erhalten wirdas System

mx1 + b = y1 (1)

(mx2 + b)− (mx1 + b) = y2 − y1 (3),

was gleichbedeutend ist mit

mx1 + b = y1 (1)

m(x2 − x1) = y2 − y1 (3’).

Dies wiederum ist aquivalent zu

mx1 + b = y1 (1)

m = y2−y1(x2−x1) (3”),

wobei (3”) die gewunschte Zweipunktformel ist. Den Wert fur b ermitteln Sie wie oben aus (1).

In den Ubungen werden Sie eine Aufgabe bekommen, wo sie das Gaußsche Eliminationsverfah-ren anwenden sollen, um ein lineares Gleichungssystem aus drei Gleichungen in drei Unbe-kannten zu losen. Hierbei mussen dann aus einer Gleichung zwei Unbekannte und aus einer an-deren Gleichung eine (dieser beiden) Unbekannten eliminiert werden. Aus der verbleibenden Glei-chung mit der einen Unbekannten erhalten Sie eine Wert fur diese. Diesen Wert konnen Sie dannin die Gleichung mit den zwei Unbekannten einsetzen, um den Wert der zweiten Unbekanntenzu ermitteln. Schließlich setzen Sie diese beiden nun bekannten Werte in die dritte Gleichungein, um die verbleibende Unbekannte zu bestimmen. Diesen Vorgang bezeichnet man ubrigens als

”Ruckwartseinsetzen“.

R Fuhren Sie alle drei Methoden fur folgendes Beispiel aus: Gegeben seien die Punkte P1 =

(2,−3) und P2 = (5, 4). Ermitteln Sie m, b ∈ R, so dass P1, P2 ∈ Gfm,b.

Fur die Bestimmung einer unbekannten Steigung einer homogen-linearen Funktion braucht mansogar nur die Kenntnis uber einen Punkt des Graphen (klar?!).

Strukturmathematisch betrachtet stellen die (affin-)linearen Funktionen bezuglich der Kompositioninteressante Mengen dar: In den Ubungen werden Sie diesbezuglich folgende Aussagen nachweisen:

Satz 4.9(a) Die Menge FR

hom∗

:= FRhom \ f0 aller von der Nullfunktion f0 verschiedenen proportio-

nalen Funktionen bildet bezuglich der Komposition von Funktionen eine abelsche Gruppe mitneutralem Element f1 = idR. Die Inverse zu fm ist durch fm−1 gegeben.

(b) Die Menge FRlin∗

:= FRlin \ f0,b : b ∈ R aller streng monotonen affin-linearen Funktionen

bildet bezuglich der Komposition von Funktionen eine nicht-abelsche Gruppe mit neutralemElement f1,0 = idR. Die Inverse zu fm,b ist durch fm−1,− b

mgegeben.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 152

4.5.2 Quadratische Funktionen

Die aus der Schule sicher gut bekannte Funktion f := (x, y) ∈ R× R : y = x2 bzw.

f : R→ Rx 7→ f(x) = x2

hat als Graphen die sogenannte Normalparabel (siehe Abbildung 4.21). Hierbei handelt es sich um

Abb. 4.21 Die Normalparabel.

einen Spezialfall einer großen Klasse von Funktionen, den sogenannten quadratischen Funktio-nen: Die Menge

Fquad :=g : R→ R : ∃ a ∈ R \ 0, b, c ∈ R : g(x) = ax2 + bx+ c =

=R→ R, x 7→ ax2 + bx+ c : a ∈ R \ 0, b, c ∈ R

heißt die Menge der quadratischen Funktionen (auf R). Drei Elemente dieser Menge sind in Ab-bildung 4.22 skizziert. Die Graphen quadratischer Funktionen ahneln, was ihre Form betrifft, alleder Normalparabel - man nennt sie Parabeln. Gegenuber der normierten Variante konnen sie jedochgestaucht, gestreckt und ”umgedreht“ sein: Man sagt, dass die Parabel gegenuber der Normalpa-rabel gestaucht ist, falls |a| < 1, und dass sie gestreckt ist, falls |a| > 1. Im Fall a > 0 ist sienach oben geoffnet, im Fall a < 0 ist sie nach unten geoffnet. Allen Parabeln gemein ist die Exis-tenz eines hochsten oder tiefsten Punkts (Maximum bzw. Minimum). Diesen nennt man auch denScheitelpunkt der Funktion. Im Folgenden wollen wir uns uberlegen, wo dieser Scheitelpunkt furdie Funktion x 7→ ax2 + bx + c liegt: Dazu muss man beachten, dass der Ausdruck x2 fur x = 0

minimal und der Ausdruck −x2 fur x = 0 maximal ist (namlich jeweils 0; entsprechend liegt derScheitelpunkt der Normalparabel und der an der Abszisse gespiegelten Variante x 7→ −x2 auchan der Stelle (0, 0)). Im allgemeinen Fall berechnet man den Scheitelpunkt nun, indem man denFunktionsterm ax2 + bx+ c mittels quadratischer Erganzung in die sogenannte Scheitelpunktform

a(x− d)2 + e (4.15)

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 153

Abb. 4.22 Beispiele quadratischer Funktionen von R nach R.

bringt: An dieser Darstellung lasst sich unmittelbar ablesen, dass der Scheitelpunkt an der Stelle(d, e) liegt (klar?). Um d und e in Abhangigkeit von a, b und c zu ermitteln, rechnen wir nun wiefolgt:

ax2 + bx+ c = a

(x2 +

b

ax+

c

a

)= a

(x2 + 2

b

2ax+

(b

2a

)2

︸ ︷︷ ︸(x+ b

2a)2

−(b

2a

)2

+c

a

)=

= a

(x+

b

2a

)2

+

(c− b2

4a

)= a

(x−

(− b

2a

))2

+

(c− b2

4a

).

Wenn wir diesen letzten Ausdruck mit (4.15) vergleichen, haben wir damit also folgendes gezeigt:

Bemerkung 4.11 Ist g : R → R eine quadratische Funktion mit Funktionsvorschrift x 7→ ax2 +

bx+ c, so liegt der Scheitelpunkt von g an der Stelle(− b

2a, c− b2

4a

).

Uberlegen Sie sich zum Abschluss dieses Abschnitts noch, ob die Komposition zweier quadratischerFunktionen wieder eine quadratische Funktion ist.

4.5.3 Potenzfunktionen und Potenzen

Die Beschaftigung mit den Potenzfunktionen erfordert, dass wir zunachst einmal die diesen Funk-tionen ihren Namen gebenden Funktionsterme, die sogenannten Potenzen, also Ausdrucke der Form

xp

etwas genauer studieren; hierbei bezeichnet man x als Basis der Potenz und p als deren Exponent.Insbesondere mussen wir uns darum kummern, fur welche x bzw. p der Ausdruck xp wie genau de-finiert ist: Wahrend Ausdrucke wie (−2)3 und 3−4 aller Wahrscheinlichkeit nach noch keine Fragen

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 154

aufwerfen, kann man sich uber die Definiertheit von x13 oder uber die Frage nach der Bedeutung von

Ausdrucken wie 2π oder√

3√3

schon relativ viele Gedanken machen; wir werden zumindest einenGroßteil der hierbei auftretenden Fragen klaren, indem wir auf unsere Kenntnisse uber die reellenZahlen aus Kapitel 3 zuruckgreifen.

Was den Zahlbereichstyp der Exponenten angeht, gehen wir schrittweise vor: Wir betrachten alsoerst Potenzen mit naturlichen Exponenten, im Anschluss daran Exponenten mit ganzzahligen Ex-ponenten, weiter Potenzen mit Stammbruchen und schließlich Potenzen mit beliebigen Bruchen alsExponenten. Die genaue Bedeutung der Potenzen mit irrationalen Exponenten konnen wir erst imRahmen der Vorlesung Grundbildung Analysis klaren. Sie wird hier daher nur angedeutet werden.

(a) Potenzen mit naturlichen ExponentenAusgangspunkt der Definition von Potenzen ist die Idee der wiederholten Multiplikation einer Zahlmit sich selbst; ganz analog hierzu ist ubrigens die Multiplikation nichts anderes als die wiederholteAddition einer Zahl zu sich selbst (siehe Abbildung 4.23):

3.1 Abbildungen 98

C PotenzfunktionenDie Beschaftigung mit den Potenzfunktionen erfordert, dass wir die diesen Funktionen ihrenNamen gebenden Funktionsterme, die sogenannten Potenzen, also Ausdrucke der Form

xp

etwas genauer studieren; hierbei bezeichnet man x als Basis der Potenz und p als deren Ex-ponent. Insbesondere mussen wir uns darum kummern, fur welche x bzw. p der Ausdruck xp

wie genau definiert ist: Wahrend Ausdrucke wie (−2)3 und 3−4 aller Wahrscheinlichkeit nachnoch keine Fragen aufwerfen, kann man sich uber die Definiertheit von x

13 oder uber die Frage

nach der Bedeutung von Ausdrucken wie 2π oder√

3√3

schon relativ viele Gedanken machen;ganz genau genommen, kommen wir hierbei der Theorie des Aufbaus der Zahlbereiche schonsehr, sehr nahe. Ich mochte Ihnen aber ersparen, gleichzeitig an zwei ”Baustellen“ tatig zusein. Von daher werden wir bestimmte Tatsachen uber die reellen Zahlen, die fur die Defini-tion von Potenzen mit rationalen Koeffizienten wichtig sind, in Form eines kurzen Exkursesanschneiden, aber noch nicht im Detail studieren 16. Was den Zahlbereichstyp der Exponentenangeht, gehen wir schrittweise vor:

(a) Potenzen mit naturlichen Exponenten

Ausgangspunkt der Definition von Potenzen ist die Idee der wiederholten Multiplikation einerZahl mit sich selbst; ganz analog hierzu ist ubrigens die Multiplikation nichts anderes als diewiederholte Addition einer Zahl zu sich selbst:

n +m Summe

mehrfache Summe n + n + . . . + n︸ ︷︷ ︸m-mal

= n ·m Produkt

mehrfaches Produkt n · n · . . . · n︸ ︷︷ ︸m-mal

= nm Potenz

Bei diesen beiden Prozessen ist entscheidend, dass sowohl die Multiplikation als auch die Ad-dition eine assoziative Rechenoperation ist; hierdurch ist es namlich moglich, einen Ausdruckwie n ·n · . . . ·n (bzw. n+n+ . . .+n) ohne Klammerung zu notieren (weil jede Klammerungzum selben Ergebnis fuhren wurde). Das Potenzieren ist jedoch nicht assoziativ: So ist zum

Beispiel 2(32) = 29 = 512 6= 64 = 82 = (23)2. Damit ist aber ein Ausdruck wie nnn...n

︸ ︷︷ ︸m-mal

,

in dem n m-fach mit sich selber potenziert wird, nicht wohldefiniert - eine Erweiterung derRechenoperation ”Potenzieren“ im angegebenen Sinne gibt es daher nicht!

Funktionen mit Funktionsvorschriften der Art x 7→ axp, a, p ∈ R, bezeichnet man als Potenz-funktionen; das hangt damit zusammen, dass man den Ausdruck xp als eine Der maximalmogliche Definitionsbereich hangt von dem Exponenten p ab:

16Hierbei wird es vornehmlich um die Tatsache gehen, dass R - im Gegensatz zu Q - ein vollstandiger Korper ist.

Abb. 4.23 Zur Idee des Potenzierens.

Bei diesen beiden Prozessen ist entscheidend, dass sowohl die Multiplikation als auch die Additioneine assoziative Rechenoperation ist; hierdurch ist es namlich moglich, einen Ausdruck wie n · n ·. . . · n (bzw. n + n + . . . + n) ohne Klammerung zu notieren (weil jede Klammerung zum selbenErgebnis fuhren wurde). Das Potenzieren ist jedoch nicht assoziativ: So ist zum Beispiel 2(32) =

29 = 512 6= 64 = 82 = (23)2. Damit ist aber ein Ausdruck wie nnn...n

︸ ︷︷ ︸m-mal

, in dem n zu sich selber

m-fach potenziert wird, nicht wohldefiniert - eine Erweiterung der Rechenoperation ”Potenzieren“im angegebenen Sinne gibt es daher nicht!Der Idee der wiederholten Multiplikation entsprechend wird die p-te Potenz (p ∈ N) einer reellenZahl x in der Schule regelhaft wie folgt definiert:

xp := x · . . . · x︸ ︷︷ ︸p-mal

. (4.16)

Vielleicht stoßt Ihnen diese Schreibweise mittlerweile auf? Uber die Risiken der Verwendung derFortsetzungspunkte haben wir ja bereits an fruherer Stelle nachgedacht. . . Im Ubrigen muss mansich - von dieser nicht ganz eindeutigen Schreibweise einmal abgesehen - in diesem Zusammenhangdie Frage stellen, wie ein p-faches Produkt von x mit sich selbst fur p ≥ 2 uberhaupt definiert seinsoll. Wie wir spater noch genauer sehen werden, ist die Multiplikation originar namlich nur fur zweiFaktoren definiert; auf dieser Grundlage kann sie dann mit einem nicht unerheblichen technischen

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 155

Aufwand auf beliebig (aber endlich) viele Faktoren ausgedehnt werden. Dementsprechend werdendie Potenzen xp in der Mathematik auch anders definiert als in (4.16), namlich rekursiv 26 (man sagtauch: induktiv):

Definition 4.17 Fur alle x ∈ R sei 27

x1 := x

∀ p ∈ N : xp+1 := xp · x.

Hierbei wird nun ”in jedem Schritt“, also fur jedes p ∈ N0, nur ein Produkt aus zwei Faktorengebildet und auf etwas zuruckgegriffen, was (”einen Schritt“) vorher bereits definiert worden war.Definition 4.17 impliziert

x1 = x,

x2 = x1+1 = x1 · x = x · x,x3 = x2+1 = x2 · x = (x · x) · x Ass. Mult.

= x · x · x,x4 = x3+1 = x3 · x = (x · x · x) · x Ass. Mult.

= x · x · x · x,...

also genau das, was Sie erwartet haben durften.Auf der Grundlage von Definition 4.17 lassen sich nun unter Verwendung der Assoziativitat undKommutativitat der Multiplikation auf R folgende wichtige (und schulrelevante!) Potenzgesetze her-leiten:

Satz 4.10 (Potenzgesetze) Fur alle x, y ∈ R und fur alle p, q ∈ N gilt:

(P1) (x · y)p = xp · yp

(P2) xp · xq = xp+q

(P3) (xp)q = xp·q.

Beweis: Seien x, y ∈ R beliebig, aber fest.

(P1) Zu zeigen: ∀ p ∈ N : (x · y)p = xp · yp. Wir beweisen dies durch vollstandige Induktion uberp:

IA (p = 1): Es ist (x · y)1Def. 4.17

= x · y Def. 4.17= x1 · y1.

IV: Sei die Identitat (x · y)p = xp · yp fur ein p ∈ N bereits bewiesen.

IS (p → p+ 1): Zu zeigen: (x · y)p+1 = xp+1 · yp+1. Es ist

(x · y)p+1 Def. 4.17= (x · y)p · (x · y)

IV= (xp · yp) · (x · y)

Komm., Ass. ·=

= (xp · x) · (yp · y)Def. 4.17

= xp+1 · yp+1.

26lat. recurrere = zurucklaufen27Der Dedekindsche Rekursionssatz, benannt nach dem deutschen Mathematiker RICHARD DEDEKIND, ∗ 6. Okto-

ber 1831, † 12. Februar 1916, besagt, dass Def. 4.17 tatsachlich fur jedes p ∈ N0 in eindeutiger Weise festschreibt, wasxp genau bedeutet.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 156

(P2) Zu zeigen: ∀ p ∈ N : ∀ q ∈ N : xp · xq = xp+q︸ ︷︷ ︸=:A(p)

. Wir fuhren wieder eine vollstandige Induktion

uber p durch:

IA (p = 1): Zu zeigen: A(1) = ∀ q ∈ N : x1 · xq = x1+q. Nun gilt aber fur alle q ∈ N

x1+qKomm. +

= xq+1 Def. 4.17= xq · x Def. 4.17

= xq · x1 Komm. ·= x1 · xq,

was zu zeigen war.

IV: Sei die Aussage A(p) fur ein p ∈ N bereits bewiesen.

IS (p → p+ 1): Sei q ∈ N beliebig, aber fest. Dann gilt

xp+1 · xq Def. 4.17= (xp · x) · xq Ass.·

= xp · (x · xq) Komm. ·= xp · (xq · x)

Ass. ·= (xp · xq) · x IV

=

= xp+q · x Def. 4.17= x(p+q)+1 Ass.,Komm +

= x(p+1)+q.

(P3) Zu zeigen: ∀ q ∈ N : ∀ p ∈ N : (xp)q = xp·q︸ ︷︷ ︸B(q)

.

Nun fuhren wir eine vollstandige Induktion uber q durch:

IA (q = 1): Fur alle p ∈ N gilt (xp)1Def. 4.17

= xp = xp·1, also B(1).

IV: Sei die Aussage B(q) fur ein q ∈ N bereits bewiesen.

IS (q → q + 1): Sei p ∈ N beliebig, aber fest. Dann gilt

(xp)q+1 Def. 4.17= (xp)q · xp IV

= xp·q · xp (P2)= xpq+p = xp(q+1).

Damit ist der Beweis der Potenzgesetze fur naturliche Exponenten vollstandig erbracht. 2

R Im Folgenden werde ich in diesem Skript in Induktionsbeweisen haufig darauf verzichten, dieInduktionsvoraussetzung noch einmal explizit aufzuschreiben. Sie sollten das bei der Bearbei-tung Ihrer Ubungsaufgaben aber im Anfangsstadium noch nicht tun!

(b) Potenzen mit ganzzahligen ExponentenNun mochte man die Definition von Potenzen xp auf ganzzahlige (nicht notwendig naturliche) Ex-ponenten ausweiten. Diese Ausweitung bzw. Verallgemeinerung soll so geartet sein, dass die Po-tenzgesetze (P1) bis (P3) in Satz 4.10 von Seite 155 ”erhalten bleiben“, also auch fur die neu zudefinierenden Potenzen noch gelten. Dazu trifft man folgende Definition:

Definition 4.18 Fur alle x ∈ R∗ sei

x0 := 1

∀ p ∈ N : x−p :=

(1

x

)p.

Hierbei ist 1x

das gemaß Satz 3.6 eindeutig bestimmte multiplikative Inverse von x, also dasjenigeElement aus R∗, das die beiden Gleichungen

x · 1

x= 1 =

1

x· x (4.17)

erfullt.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 157

R Beachten Sie, dass diese Definition moglich ist, da x 6= 0 vorausgesetzt wurde!

Gemaß Definition 4.18 ist beispielsweise 2−1 =(12

)1 Def. 4.17= 1

2, 3−2 =

(13

)2 und x−100 =(1x

)100.In der Schule haben Sie vielleicht gelernt, dass fur positive p die Identitat x−p = 1

xp, also zum

Beispiel 3−2 = 132

gilt. Wir wollen uns im Folgenden davon uberzeugen, dass dies mit unsererFestlegung ubereinstimmt:

Korollar 4.11 Fur alle x ∈ R∗ und alle p ∈ N gilt x−p :=(1x

)p= 1

xp.

Beweis: Seien x ∈ R∗ und p ∈ N beliebig, aber fest. Dann gilt

1

xp· xp = 1 = 1p =

(1

x· x)p

(P1)=

(1

x

)p· xp, also auch

1

xp· xp =

(1

x

)p· xp.

Nun mussen wir nur noch die Kurzungsregel (3.9) anwenden, um 1xp

=(1x

)p= x−p zu erhalten. 2

Es ist also einerlei, ob wir ein Element x ∈ R∗ zunachst invertieren und dann dieses Inverse zur p-tenPotenz erheben oder ob wir x zunachst zur p-ten Potenz erheben und diese Potenz dann invertieren:das Ergebnis ist dasselbe!Die Ausdehnung der Definition der Potenzen in Definition 4.18 ist insofern vertraglich mit Definition4.17, als dass der rekursive Charakter erhalten bleibt:

Korollar 4.12 Fur alle x ∈ R∗ und alle p ∈ Z gilt 28

xp+1 = xp · x.

Beweis: Wir brauchen die Behauptung nur noch fur p < 0 nachzuweisen:Fur p = −1 ist

xp+1 = x−1+1 = x0 = 1 =1

x· x =

1

x1· x = x−1 · x = xp · x.

Fur p < −1 ist

xp+1 = x

<0︷ ︸︸ ︷−|p|+ 1 =

(1

x

)|p|−1Kor. 4.11

=1

x|p|−1=

1

x|p|−1·(

1

x· x)

Ass.=

(1

x|p|−1· 1

x

)· x =

Bem. 3.5(b)=

(1

x|p|−1 · x

)· x Def. 4.17

=1

x|p|· x = xp · x. 2

Wie gewunscht, bleiben die Potenzgesetze auch fur die erweitert definierten Potenzen erhalten:

Satz 4.13 Die Potenzgesetze (P1) bis (P3) in Satz 4.10 gelten auch, falls x, y ∈ R∗ und p, q ∈ Z.

Beweis: Die Aussagen (P1) bis (P3) mussen wegen R∗ ⊂ R nur noch fur p, q ∈ Z \ N bewiesenwerden. Seien dazu x, y ∈ R∗ beliebig, aber fest.

28Die Aussage dieses Korollars ist ein Spezialfall des Potenzgesetzes (P2) fur negative Exponenten, das im Folgendenausfuhrlich behandelt wird; in diesem Sinne hatte auf den Beweis an dieser Stelle auch verzichtet werden konnen.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 158

(P1) Fur den Fall p = 0 erhalt man mit Definition 4.18:

(x · y)0 = 1 = 1 · 1 = x0 · y0.

Fur das Weitere ist ganz wichtig zu beachten, dass

p < 0⇒ p = −|p|, (4.18)

wobei |p| > 0, gilt! Damit folgt fur p < 0, dass

(x · y)p = (x · y)−|p| =

(1

x · y

)|p|Bem. 3.5(b)

=

(1

x· 1

y

)|p|(P1) fur pos. Exp.

=

=

(1

x

)|p|·(

1

y

)|p|= x−|p| · y−|p| = xp · yp.

(P2) Da sowohl p als auch q entweder großer, gleich oder kleiner 0 sein konnen, sind eigentlich32 = 9 Falle zu unterscheiden; da die Rollen von p und q jedoch vertauschbar sind, sind nursechs dieser neun Falle wesentlich verschieden voneinander. Da der Fall p > 0 ∧ q > 0 obenbereits behandelt wurde, bleiben hier noch funf Falle zu unterscheiden 29, und zwar

1. Fall: p = 0 ∧ q > 0 (analog hierzu beweist man den Fall p > 0 ∧ q = 0)

2. Fall: p = 0 ∧ q = 0

3. Fall: p = 0 ∧ q < 0 (analog dazu beweist man den Fall p < 0 ∧ q = 0)

4. Fall: p > 0 ∧ q < 0 (analog dazu beweist man den Fall p < 0 ∧ q > 0)

5. Fall: p < 0 ∧ q < 0

Im 1. Fall erhalt manx0 · xq Def. 4.18

= 1 · xq = xq = x0+q,

wie verlangt.

Der 2. Fall ist noch einfacher:

x0 · x0 Def. 4.18= 1 · 1 = 1 = x0 = x0+0.

Der 3. Fall ist sehr ahnlich wie der erste Fall:

x0 · xq = 1 · xq = xq = x0+q.

Im 4. Fall beginnen wir zunachst wie folgt:

xp · xq = xp · x−|q| = xp ·(

1

x

)|q|=: φ.

Nun mussen wir nochmal zwei Falle, sogenannte Unterfalle unterscheiden:

29Man konnte hier die ersten drei Falle zu einem Fall p = 0 zusammenfassen, der Ausfuhrlichkeitkeit halber seienhier aber die einzelnen Unterfalle im Detail abgearbeitet.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 159

1. Unterfall: p− |q| ≥ 0.Dann ist

φ = xp−|q|+|q| ·(

1

x

)|q|(P2) in Satz 3.2 bzw. Fall 3

= (xp−|q| · x|q|) ·(

1

x

)|q|Ass.=

= xp−|q| ·(x|q| ·

(1

x

)|q|)(P1)= xp−|q| ·

((x · 1

x

)|q|)= xp−|q| · 1q = xp−|q| = xp+q.

2. Unterfall: p− |q| < 0⇔ |q| − p > 0.Dann ist

φ = xp ·(

1

x

)>0︷ ︸︸ ︷|q| − p+

>0︷︸︸︷p

(P2) fur pos. Exp.= xp ·

((1

x

)|q|−p·(

1

x

)p)Komm., Ass.

=

=

(xp ·

(1

x

)p)·(

1

x

)|q|−p(P1)=

(x · 1

x

)p·(

1

x

)|q|−p=

= 1p · x−(|q|−p) = xp−|q| = xp+q.

Der 5. Fall ist wieder einfacher: Es ist

xp · xq = x−|p| · x−|q| =(

1

x

)|p|·(

1

x

)|q|(P2) pos. Exp.

=

(1

x

)|p|+|q|=

= x−(|p|+|q|) = x−|p|+(−|q|) = xp+q.

(P3) Auch hier sind wieder mehrere Falle zu unterscheiden, p = 0, p > 0 und p < 0:

1. Fall: p = 0

Dann gilt fur alle q ∈ Z

(xp)q = (x0)q = 1q = 1 = x0 = x0·q = xp·q.

2. Fall: p > 0

Sei C(p) := ∀ q ∈ Z : (xp)q = xp·q. Per vollstandiger Induktion beweisen wir nun, dass

∀ p ∈ N : C(p).

IA (p = 1): Sei q ∈ Z beliebig, aber fest. Dann gilt

(x1)qDef. 4.17

= xq = x1·q,

also C(1).

IS (p → p+ 1): Sei wieder q ∈ Z beliebig, aber fest. Dann gilt

(xp+1)qDef. 4.17

= (xp · x)q(P1), allg. Form

= (xp)q · xq IV= xp·q · xq (P2), allg. Form

= xpq+q = x(p+1)·q.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 160

3. Fall: p < 0

In diesem Fall gilt

(xp)q = (x−|p|)q =

((1

x

)|p|)q

2. Fall: |p| > 0=

(1

x

)|p|·q(4)= x−|p|·q = xp·q.

Dabei ist die Gleichheit in (4) per Definition gultig, falls q > 0. Fur q = 0 ist sie trivialund fur q < 0 mussen wir auf die Aussage des folgenden Korollars zuruckgreifen, dieDefinition 4.18 verallgemeinert. 2

Korollar 4.14 Fur alle x ∈ R∗ und fur alle p ∈ Z gilt

x−p =

(1

x

)p.

Beweis: Die Aussage muss nur noch fur p ∈ Z\N bewiesen werden, da sie fur p ∈ N per Definitiongilt. Fur p = 0 ist sie wegen x−0 = x0 = 1 =

(1x

)0 erfullt; fur p < 0 mussen wir nur in Definition4.18 1

xanstelle von x verwenden und Satz 3.3(b) beachten: Damit ist namlich wegen p = −|p| ⇔

−p = |p| (1

x

)p=

(1

x

)−|p|Def. 4.18

=

(11x

)|p|Satz 3.3(b)

= x|p| = x−p.

(c) Potenzen mit rationalen ExponentenZur Erinnerung sei zunachst gesagt, dass die Menge

Q :=

k

l: k, l ∈ Z, l 6= 0

= x ∈ R : ∃ k, l ∈ Z mit l 6= 0 : l · x = k

der rationalen Zahlen die Menge aller (eindeutig bestimmten) Losungen zu Gleichungen vom Typl · x = k ist (mit k, l ∈ Z und l 6= 0).Was die Definition der Potenzen mit rationalen Zahlen betrifft, gehen wir nun in zwei Schritten, (c1)und (c2), vor: Zunachst definieren wir nur Potenzen mit positiven und negativen Stammbruchen alsExponenten. Im Anschluss daran definieren wir Ausdrucke der Form x

lk , wobei l, k ∈ Z mit k 6= 0

seien.

(c1) k-te Wurzeln: Potenzen mit positiven und negativen Stammbruchen als ExponentenIm ersten Teilschritt definieren wir Potenzen, deren Exponenten positive Stammbruche sind, alsoAusdrucke der Form x

1k .

Idee: Die Potenzgesetze (P1) bis (P3) aus Satz 4.10 sollen auch fur die neu einzufuhrenden Potenzengelten, was es mit sich bringt, dass der noch zu definierende Ausdruck x

1k insbesondere die folgende

Gleichung erfullen muss:(x

1k

)k != x

1k·k = x1 = x.

Demnach ware x1k als die Losung der Gleichung

yk = x

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 161

in der Unbekannten y zu definieren.

Mit der Frage nach der Losbarkeit dieser Gleichung haben wir uns in Abschnitt 3.4 bereits ausgiebigbeschaftigt: Die Antwort auf diese Frage ist in Satz 3.24 auf Seite 103 zusammengefasst worden:Danach existiert zu jedem x ∈ R+

0 und fur alle k ∈ N genau ein y ∈ R+0 , so dass yk = x gilt. Dieses

y heißt die k-te Wurzel von x und wird mit k√x bezeichnet.

Also treffen wir folgende Definition:

Definition 4.19 Fur alle x ∈ R+0 und alle k ∈ N sei

x1k := k

√x.

Hierbei ist k√x die gemaß Satz 3.24 eindeutig bestimmte Losung der Gleichung yk = x in der

Unbekannten y.

Um die Potenzen mit negativen Stammbruchen im Exponenten zu definieren, gehen wir vor wiegehabt:

Definition 4.20 Fur alle x ∈ R+ und alle k ∈ N definiert man

x−1k :=

(1

x

) 1k

=k

√1

x.

Analog zu Korollar 4.11 beweisen wir jetzt:

Korollar 4.15 Fur alle x ∈ R+ und alle k ∈ N gilt

x−1k =

1

x1k

,

bzw., nur anders formuliert.k

√1

x=

1k√x.

Beweis: Seien x ∈ R+ und k ∈ N beliebig, aber fest. Dann gilt

1 = 1k =

(x

1k · 1

x1k

)k(P1) f. Exp. aus N

=(x

1k

)k·(

1

x1k

)k= x ·

(1

x1k

)k.

Da das Inverse von x eindeutig bestimmt ist zu 1x, gilt hiermit auch 1

x=(

1

x1k

)k, woraus per Defini-

tion der k-ten Wurzeln unmittelbar die Identitat 1

x1k

=(1x

) 1k folgt. Dies war zu zeigen. 2

Es spielt also keine Rolle, ob wir ein Element x ∈ R+ zunachst invertieren und dann hieraus die k-teWurzel ziehen oder ob wir zunachst die k-te Wurzel aus x ziehen und diese Wurzel dann invertieren!Als Ergebnis halten wir bei beiden Vorgangen dasselbe!Insbesondere gilt so fur alle x ∈ R+ und k ∈ N die Gleichheit

(x−

1k

)k=

1

x= x−1. (4.19)

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 162

(c2) Potenzen der Form xlk mit l, k ∈ Z und k 6= 0

Zunachst beschaftigen wir uns mit der Definition der Potenzen xlk mit positiven Exponenten. Dann

konnen wir Œ davon ausgehen, dass k, l ∈ N gilt:

Idee: Es ist lk

= l · 1k. Damit sollte, weil die Potenzgesetze erwartungsgemaß auch fur Potenzen mit

rationalen Exponenten gelten sollen, auch xlk = xl·

1k

!= (xl)

1k =

k√xl gelten. Nun ist fur alle x ∈ R+

0

mit l ∈ N auch xl ∈ R+0 . Nach Satz 3.24 ist damit der Ausdruck k

√xl fur jedes k ∈ N eine eindeutig

bestimmte reelle Zahl. Das legt nahe, folgende Definition anzusetzen:

∀ l, k ∈ N : xlk :=

k√xl. (4.20)

Problematisch an diesem Ansatz ist die Tatsache, dass der Zahler und der Nenner im Bruch lk

nichteindeutig bestimmt sind! So ist zum Beispiel 3

2= 6

4und mit (4.20) x

32 =

2√x3 und x

64 =

4√x6.

Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, dass diese beiden Ausdrucke tatsachlich ubereinstimmen...Allgemein formuliert mussen wir also sicherstellen, dass mit l

k= n

mauch

k√xl = m

√xn (4.21)

gilt. Um dies zu bewerkstelligen, benotigen wir folgende Aussage:

Lemma 4.16 Seien k, l ∈ N und sei x ≥ 0. Dann gilt

k·l√x =

k

√l√x.

Beweis: Per Definition ist k·l√x die eindeutig bestimmte Losung der Gleichung yk·l = x in der

Unbekannten y. Nun ist

(k

√l√x

)k·l(P3)=

k

√l√x︸︷︷︸

=:c

k

l

=(( k√c)k)l

= cl = ( l√x)l = x.

Da die Losung k·l√x der Gleichung yk·l = x eindeutig bestimmt ist und

(k√

l√x)

eine Losung ist,mussen diese beiden Ausdrucke ubereinstimmen, was die Behauptung beweist. 2

Korollar 4.17 Fur alle x ∈ R+0 und k, l ∈ N ist

(k

√l√x

)=

(l

√k√x

).

Beweis: Sei x ∈ R+0 und seien k, l ∈ N. Dann gilt mit Lemma 4.16 die Gleichheit(

k

√l√x

)= k·l√x

Komm. ·= l·k

√x =

(l

√k√x

). 2

Seien nun k, l,m, n ∈ N mit lk

= nm⇔ lm = kn. Dann gilt

xl·m = xk·n

⇔ k·m√xl·m =

k·m√xk·n

(P3), Kor. 4.17⇔ k

√m√

(xl)m =m

√k√

(xn)k

⇔ k√xl = m

√xn,

was (4.21) beweist.Diese Uberlegung zur Wohldefiniertheit von x

lk rechtfertigt folgende Definition:

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 163

Definition 4.21 Ist x ∈ R+0 und sind k, l ∈ N, so definiert man x

lk :=

k√xl.

Beispiel 4.13A 9

32 =

2√

93 = 2√

729 = 27.

B π1529 =

29√π15. N

Im ersten Beispiel findet man 2√

93 = 27 = 33 = ( 2√

9)3; hier ist es also egal, ob zunachst 9 zur drittenPotenz erhoben und dann die zweite Wurzel aus dem Ergebnis gezogen wird oder ob zunachst diezweite Wurzel aus 9 und dann dieses Ergebnis zur dritten Potenz erhoben wird. Dies entspricht derTatsache, dass nicht nur 9

32 = 93· 1

2 = (93)12 =

2√

93, sondern auch 932 = 9

12·3 = (9

12 )3 = ( 2

√9)3 gilt.

Dass dies immer so ist, besagt das folgende Korollar:

Korollar 4.18 Ist x ∈ R+0 und sind k, l ∈ N, so gilt k

√xl = ( k

√x)l.

Beweis: Es ist

xl =(( k√x)k)l (P3)

= ( k√x)k·l

Komm. ·= ( k

√x)l·k

(P3)=(( k√x)l)k,

also ist ( k√x)l eine Losung der Gleichung yk = xl in der Unbekannten y. Da diese Losung (nach Satz

3.24) eindeutig bestimmt ist als k√xl, stimmen die beiden Ausdrucke uberein; damit gilt ( k

√x)l =

k√xl. 2

Es ist also einerlei, ob man eine nichtnegative reelle Zahl x zunachst zur l-ten Potenz erhebt unddann aus dem Ergebnis die k-te Wurzel zieht oder ob man zunachst die k-te Wurzel aus x zieht unddann dieses Ergebnis zur l-ten Potenz erhebt!

Nun dehnen wir die Definition von Potenzen mit positiven rationalen Exponenten auf allgemeinerationale Exponenten aus:30

30In Definition 4.22 sind mehrere Uberlegungen zusammengefasst. Fur l, k ∈ N entspricht die Definition offen-sichtlich der Definition 4.21. Fur l = 0 liefert die Definition wie gewunscht fur jedes k ∈ Z∗ den Wert 1. NegativeExponenten konnen nun auf zwei Weisen zustande kommen: Fur l < 0, k > 0 wurde man unter Ruckgriff auf Definition4.18 folgenden Ansatz machen:

xlk =

k√xl =

k√x−|l| =

k

√(1

x

)|l|=|k|

√(1

x

)|l|=

(1

x

) |l||k|

.

Das ist in (b) entsprechend umgesetzt worden. Fur den anderen Fall eines negativen Exponenten, also l > 0 und k < 0,wurde man als Konsequenz aus bereits getroffenen Definitionen und angesichts der Forderung, dass die Potenzgesetzeauch fur Potenzen mit rationalen Exponenten gelten sollen,

xlk = (xl)−

1|k| Def. 4.20

=

(1

xl

) 1|k| Kor. 4.11

=

((1

x

)l) 1|k|

=

((1

x

)|l|) 1|k|

=

(1

x

) |l||k|

ansetzen; auch dies entspricht der Formulierung in (b). Fur negative Werte von l und k wurde das bedeuten, dass

xlk = x

−|l|−|k| = (x−|l|)−

1|k| =

(1

|x|−|l|) 1|k|

=

(1

(1x

)|l|

) 1|k|

=

((11x

)|l|) 1|k|

= (x|l|)1|k| ,

was entsprechend seinen Ausdruck in (a) findet.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 164

Definition 4.22 Sind k, l ∈ Z mit k 6= 0, so definiert man

(a) im Fall lk≥ 0 fur alle x ∈ R+

0 , dass xlk := x

|l||k| =

|k|√x|l|

(b) im Fall lk< 0 fur alle x ∈ R+, dass x

lk :=

(1

x

) |l||k|

.

Beachten Sie, dass diese Definition vertraglich ist mit den bisher gemachten Definitionen von Po-tenzen mit ganzen Zahlen bzw. Stammbruchen als Exponenten! Das heißt, dass wir, wenn wir zumBeispiel 3 als rationale Zahl 3

1darstellen, dieselben Ausdrucke fur x3 = x

31 erhalten, unabhangig

davon, ob wir Definition 4.17 oder Definition 4.22 zu Grunde legen: Gemaß der ersten erhalten wirx3 = x · x · x, gemaß der zweiten x

31 =

1√x3 als Losung der Gleichung y1 = y = x3 = x · x · x.

Also liefern beide Definitionen dieselbe Große.Analog zu Korollar 4.11 und Korollar 4.15 beweisen wir jetzt:

Korollar 4.19 Fur alle x ∈ R+ und alle l, k ∈ Z mit k 6= 0 und lk< 0 gilt

xlk = x−| lk | =

1

x| lk |=

1

x|l||k|

.

Beweis: Seien x ∈ R+ und seien l, k ∈ Z mit k 6= 0 und lk< 0 beliebig, aber fest. Dann gilt

xlk = x−

|l||k| =

(1

x

) |l||k|

=|k|

√(1

x

)|l|Kor. 4.11

=|k|

√1

x|l|Kor. 4.15

=1

|k|√x|l|

=1

x|l||k|

,

was (mit Satz 3.20(c)) die Behauptung beweist. 2

Als Vorbereitung fur den Nachweis der Potenzgesetze fur Potenzen mit rationalen Exponenten be-weisen wir folgenden Spezialfall:

Proposition 4.20 Fur alle x ∈ R+0 bzw. R+ und fur alle l, k ∈ Z mit k 6= 0 gilt

(x

lk

)k= xl.

Beweis: Falls lk≥ 0 ist, folgt dies unmittelbar aus Definition 4.21. Im Fall l

k< 0 sind zwei Un-

terfalle zu unterscheiden:1. Unterfall: l < 0 ∧ k > 0 : Dann gilt

xlk =

(1

x

) |l||k|

=

(1

x

) |l|k

.

Also ist(x

lk

)k=

((1

x

) |l|k

)k

=

k

√(1

x

)|l|k

=

(1

x

)|l|= xl.

2. Unterfall: l > 0 ∧ k < 0 : Dann gilt

xlk =

(1

x

) |l||k|

=

(1

x

) l|k|

.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 165

Also folgt

(x

lk

)k=(x

lk

)−|k|=

((1

x

) l|k|)−|k|

=1

((1x

) l|k|)|k| =

1(1x

)lKor. 4.11

=11xl

= xl.

Satz 4.21 Die Potenzgesetze (P1) bis (P3) in Satz 4.10 auf Seite 155 gelten auch, falls x, y ∈ R+0

und p, q ∈ Q (wobei zu beachten ist, dass Potenzen zu negativen Exponenten nur gebildet werdenkonnen, wenn die Basis positiv ist).

Beweis: Wir werden die nachfolgenden Aussagen unter Ruckgriff auf die Potenzgesetze (P1) bis(P3) fur ganzzahlige Koeffizienten beweisen. Von deren Gultigkeit hatten wir uns ja bereits imSatz 4.13 uberzeugt. Die entsprechenden Stellen werden durch einen Eintrag (P·) uber den hierdurchgerechtfertigten Gleichheitszeichen gekennzeichnet. Seien also x, y ∈ R+

0 bzw. R+ beliebig, aberfest.

(P1) Zu zeigen: ∀ k, l ∈ Z mit k 6= 0 : (x · y)lk = x

lk · y l

k .

Seien also k, l ∈ Z mit k 6= 0 beliebig, aber fest. Dann gilt(x

lk · y l

k

)k (P1)=(x

lk

)k·(y

lk

)k Prop. 4.20= xl · yl (P1)

= (x · y)l.

Also ist xlk · y l

k eine Losung der Gleichung zk = (x · y)l in der Unbekannten z. Da dieseLosung nach Satz 3.24 eindeutig bestimmt ist zu k

√(x · y)l, mussen die beiden Ausdrucke

ubereinstimmen. Es ist also k√

(x · y)l = (x · y)lk = x

lk · y l

k , was zu zeigen war.

(P2) Zu zeigen: ∀ k, l,m, n ∈ Z mit k, n 6= 0 : xlk · xm

n = xlk+m

n = xln+km

kn .Seien k, l,m, n ∈ Z mit k, n 6= 0 beliebig, aber fest. Dann gilt

(x

lk · xm

n

)kn (P1)=(x

lk

)kn·(x

mn

)kn (P3)=

((x

lk

)k)n·((x

mn

)n)k Prop. 4.20=

= (xl)n · (xm)k(P3)= xln · xmk (P1)

= xln+mk.

Also ist xlk · xm

n eine Losung der Gleichung ykn = xln+mk in der Unbekannten y. Da dieseLosung nach Satz 3.24 eindeutig bestimmt ist zu kn

√xln+mk, mussen die beiden Ausdrucke

ubereinstimmen. Es ist also kn√xln+mk = x

ln+mkkn = x

lk · xm

n , was zu zeigen war.

(P3) Zu zeigen: ∀ k, l,m, n ∈ Z mit k, n 6= 0 :(x

lk

)mn

= xlk·mn = x

lmkn .

Seien wieder k, l,m, n ∈ Z mit k, n 6= 0 beliebig, aber fest. Dann gilt((

xlk

)mn

)kn(P3)=

(((x

lk

)mn

)n)kProp. 4.20

=((x

lk

)m)k (P3)=

=(x

lk

)m·k=(x

lk

)k·m=

((x

lk

)k)m Prop. 4.20= (xl)m = xlm.

Also ist (xlk )

mn eine Losung der Gleichung ykn = xlm. Wie oben beweist dies die Identitat

(xlk )

mn =

kn√xlm = x

lmkn , die zu zeigen war.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 166

Damit ist Satz 4.21 bewiesen. 2

(d) Potenzen der Form xp mit p ∈ RUm Ausdrucke wie 2π oder

√2√2, also Potenzen, in denen der Exponent irrational ist, formal sauber

zu definieren, reichen unsere derzeitig bestehenden Moglichkeiten nicht aus. Daher sei an dieserStelle nur kurz die Idee jener Definition vorgestellt: Die Details dazu werden wir im Rahmen desAnalysis-Moduls behandeln:Zu jeder reellen Zahl p gibt es eine Folge (qn)n∈N rationaler Zahlen, die gegen p konvergiert 31, d.h.grob gesprochen, dass mit großer werdendem n der Abstand |qn−p| immer geringer wird und dabeijede beliebig kleine vorgegebene positive Schranke irgendwann unterschreitet. Die Glieder der Folge(qn)n∈N nahern sich also dem Wert p beliebig genau an; p bezeichnet man auch als den Grenzwertder Folge (qn)n∈N.Betrachtet man den Fall p = π, so ist die Folge (qn)n∈N mit q1 = 3 = 3

1, q2 = 3.1 = 31

10, q3 = 3.14 =

314100, q4 = 3.141 = 3141

1000, q5 = 3.1415 = 31415

10000, q6 = 3.14159 = 314159

100000, q7 = 3.141592 = 3141592

1000000. . .

ein Beispiel fur eine derartige Folge.Nach dem oben Gesagten sind nun fur jedes x ∈ R+ alle Potenzen xqn definiert; als xp definiert mandann denjenigen Wert, gegen den die Folge (xqn)n∈N konvergiert 32.Um die Potenz 2π zu definieren, betrachtet man also beispielsweise die Folge (2qn)n∈N mit qn, n ∈N, wie oben, also (hier mit maximal 9 Nachkommastellen angegeben). Deren Potenzen sind allewohldefiniert und man erhalt folgende Werte:

n 1 2 3 4 5 6 7 . . .

qn 3 3.1 3.14 3.141 3.1415 3.14159 3.141592 . . .

2qn 8 8.5741877 8.815240927 8.821353305 8.824411082 8.824961595 8.824973829 . . .

Abb. 4.24 Zur Definition von 2π.

Wenn man Abbildung 4.24 betrachtet, ist zu erahnen, dass die Folge (2qn)n∈Neinen Grenzwert hat: Im ersten Bild sind die oben berechneten ersten sieben Fol-genglieder durch Kreuze und der Grenzwert durch einen Punkt markiert, das zwei-te Bild enthalt einen Ausschnitt, der nur die Werte 2q4 bis 2q7 und den Grenzwertenthalt. Der Wert 2π wird als dieser Grenzwert definiert; etwas genauer gilt 2π =

31Dies entspricht der Tatsache, dass Q in R dicht liegt. Was das genau bedeutet, werden wir zu einem spaterenZeitpunkt studieren.

32Dass die Folge (xqn)n∈N konvergiert, wenn (qn)n∈N konvergiert, ist nicht trivial und wird an spaterer Stelle nochgenauer begrundet werden. Außerdem muss sichergestellt werden, dass der Grenzwert unabhangig ist von der speziellenWahl der Folge (qn)n∈N.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 167

8.824977827076287623856429604208001581704410815271484926668959865055370087 . . ..Die ersten funf Nachkommastellen haben wir also schon mit dem Naherungswert 2q7 korrektermittelt.Nachdem die den Potenzfunktionen zu Grunde liegenden Potenzen xp nun sehr ausfuhrlich behan-delt worden sind, konnen wir zu unserem Ausgangspunkt der Funktionen zuruckkommen und diespezielle Klasse der Potenzfunktionen betrachten:Die Elemente der Menge

Fpot := f : Df → R : ∃ a, p ∈ R, a 6= 0 : ∀x ∈ Df : f(x) = axp

bezeichnet man als Potenzfunktionen. Der maximal mogliche DefinitionsbereichDf hangt, wie wiroben gesehen haben, von dem Exponenten p ab:

• Fur nichtnegative ganzzahlige Exponenten p lasst sich die Funktion auf ganz R definieren,denn fur alle p ∈ N0 ist die Potenz xp fur alle x ∈ R ein definierter Ausdruck, in diesem Fallkann man also Df = R setzen.

• Fur negative ganzzahlige Exponenten lasst sich die Funktion wegen xp = 1x|p|

und der nichterlaubten Division durch 0 nur fur alle von 0 verschiedenen reellen Zahlen definieren; hier istalso Df = R∗ der großtmogliche Definitionsbereich.

• Fur positive rationale oder reelle Exponenten lasst sich die Potenzfunktion auf R+0 definieren,

fur negative auf R+.

Potenzfunktionen, bei denen der Exponent ein Stammbruch ist, also Funktionen vom Typ x 7→x

1k = k

√x, bezeichnet man ubrigens auch als Wurzelfunktionen. In Abbildung 4.25 sind ein paar

Beispiele fur Potenzfunktionen skizziert. Es ist zu erkennen, dass deren Formen sehr vielfaltig sind.In der Vorlesung werden wir hieruber etwas genauer sprechen.

Interessant sind in diesem Zusammenhang auch noch die folgenden beiden Aussagen, von derenRichtigkeit Sie sich bitte selbststandig uberzeugen.

Satz 4.22 Die Menge R+0 → R, x 7→ axp : a, p ∈ R∗ aller nicht konstanten Potenzfunktionen

bildet bezuglich der Komposition eine abelsche Gruppe.

Beweis: Ubung. 2

Satz 4.23 Die Potenzfunktion x 7→ xn, x ∈ R, hat fur gerades n einen achsensymmetrischen undfur ungerades n einen punktsymmetrischen Graphen.

Beweis: Ubung. 2

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 168

Abb. 4.25 Beispiele fur Potenzfunktionen.

4.5.4 Polynomfunktionen oder ganzrationale Funktionen

Weiter oben haben wir bereits die Menge FRlin der affin-linearen Funktionen auf R und die Men-

ge Fquad der quadratischen Funktionen behandelt. Beide Mengen bilden Teilmengen der noch vielgroßeren Menge von (reellen) Polynomfunktionen oder ganzrationalen Funktionen. 33

Definition 4.23 Sei D ⊆ R eine beliebige nichtleere Menge. Jede Funktion f : D → R, fur die einn ∈ N0 und reelle Zahlen a0, a1, . . . , an mit an 6= 0, falls n > 0, existieren, so dass

∀x ∈ D : f(x) = anxn + an−1x

n−1 + . . .+ a1x+ a0 =n∑

k=0

akxk

gilt, heißt ganzrational oder (reelle) Polynomfunktion auf D. Der Funktionsterm

anxn + an−1x

n−1 + . . .+ a1x+ a0 =n∑

k=0

akxk

wird als Polynom (in x) 34 bezeichnet. Falls n = 0 und a0 = 0, bezeichnet man die entsprechendeFunktion als Nullfunktion; falls f nicht die Nullfunktion ist, bezeichnet man die Zahl n ∈ N0 alsden Grad der Funktion bzw. des Polynoms 35, a0, . . . , an nennt man die Koeffizienten der Funktionbzw. des Polynoms; die Zahl an wird auch als Leitkoeffizient, a0 als Absolutglied der Funktion bzw.des Polynoms bezeichnet. Polynomfunktionen bzw. Polynome mit Leitkoeffizient 1 heißen normiert.

33Sogar einige Potenzfunktionen gehoren zu den Polynomfunktionen, namlich die mit nichtnegativen ganzzahligenKoeffizienten.

34Der Begriff Polynom kommt aus dem Griechischen, das entsprechende Attribut lasst sich mit ”mehrnamig“ubersetzen.

35Der Vollstandigkeit halber sei hier erwahnt, dass der Grad der Nullfunktion bzw. des Nullpolynoms als−∞ definiertwird.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 169

Bemerkung 4.12 Polynomfunktionen vom Grad

• 0 bezeichnet man als konstant

• 1 bezeichnet man als (affin-)linear (vgl. Beispiel A )

• 2 bezeichnet man als quadratisch (vgl. Beispiel B )

• 3 bezeichnet man als kubisch.

Im Folgenden sind einige Beispiele fur Polynomfunktionen auf R angegeben:

• x 7→ f0,0(x) = 0

Hier handelt es sich um die oben bereits angesprochene Nullfunktion. Sowohl ihr Leitkoeffi-zient als auch ihr Absolutglied sind 0. Beachten Sie, dass die Nullfunktion affin-linear ist, alsof0,0 ∈ FR

lin gilt.

• x 7→ fm,b(x) = mx+ b

Im Fall m 6= 0 hat die affin-lineare Funktion fm,b den Grad 1, den Leitkoeffizienten m unddas Absolutglied b. Ist m = 0 und b 6= 0, so ist der Grad der Funktion f0,b (deren Graph eineParallele zur Abszisse auf der Hohe b darstellt) 0, Leitkoeffizient und Absolutglied sind b.

• x 7→ x2

Diese quadratische normierte Polynomfunktion hat Grad 2 und Absolutglied 0.

• x 7→ 2x3 − x2 + 65x− 4

Dies ist eine kubische Polynomfunktion mit Leitkoeffizient 2 und Absolutglied −4.

• x 7→ 10x6 + 10x5 − 130x4 − 130x3 + 360x2 + 360x+ 27

Diese Polynomfunktion ist vom Grad 6, ihr Absolutglied ist 27, der Leitkoeffizient ist 10.

• x 7→ −14x4 + 149126x3 + 315

52x2 − 5999

52x− 631

26

Diese Polynomfunktion ist vom Grad 4, ihr Absolutglied ist −63126

, der Leitkoeffizient ist −14.

Die Graphen zu den letzten beiden Beispielen sind in Abbildung 4.26 zu sehen.Mit Hilfe der Zerlegungsformel fur Potenzendifferenzen (vgl. Seite 106 lasst sich der folgende wich-tige Satz uber die Faktorisierbarkeit von Polynomfunktionen beweisen:

Satz 4.24 Es sei f eine Polynomfunktion vom Grad n ≥ 1 und x0 ∈ R eine Nullstelle von f (d.h.,dass f(x0) = 0 gilt). Dann lasst sich der Funktionsterm von f wie folgt in ein Produkt aus einemPolynom vom Grad 1 (1. Faktor) und ein Polynom g(x) vom Grad n− 1 (2. Faktor) zerlegen:

f(x) = (x− x0) · g(x).

Beweis: Sei n ∈ N und f(x) = anxn + an−1xn−1 + . . .+ a1x+ a0 =

∑nk=0 akx

k fur Koeffizientena0, . . . , an ∈ R mit an 6= 0. Mit der Zerlegungsformel fur Potenzendifferenzen konnen wir wegenf(x0) = 0 folgende Gleichungskette aufstellen:

f(x) = f(x)− 0 = f(x)− f(x0)

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 170

Abb. 4.26 Beispiele fur Polynomfunktionen vom Grad 4 bzw. 6.

=n∑

k=0

akxk −

n∑

k=0

akxk0

= (anxn + an−1x

n−1 + . . .+ a1x+ a0)− (anxn0 + an−1x

n−10 + . . .+ a1x0 + a0)

= an(xn − xn0 ) + an−1(xn−1 − xn−10 ) + . . .+ a1(x− x0)

= an(x− x0)n−1∑

k=0

xk · xn−1−k0 + an−1(x− x0)n−2∑

k=0

xk · xn−2−k0 + . . .+ a1(x− x0)

= (x− x0)[an

n−1∑

k=0

xk · xn−1−k0 + an−1

n−2∑

k=0

xk · xn−1−k0 + . . .+ a1

]

= (x− x0)

anx

n−1 + an

n−2∑

k=0

xk · xn−1−k0 + an−1

n−2∑

k=0

xk · xn−1−k0 + . . .+ a1

︸ ︷︷ ︸=:g(x)

Da an 6= 0, ist g eine Polynomfunktion vom Grad n− 1 (klar?). Das war zu beweisen. 2

Beispiel 4.14Betrachtet man beispielsweise die Polynomfunktion f(x) = x3 − 3

4x2 − 5

8x + 3

8, so gilt, da 1 eine

Nullstelle von f ist (gecheckt?!),

f(x) = f(x)− 0 = f(x)− f(1)

=

(x3 − 3

4x2 − 5

8x+

3

8

)−(

13 − 3

4· 12 − 5

8· 1 +

3

8

)

= (x3 − 13)− 3

4(x2 − 12)− 5

8(x− 1)

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 171

= (x− 1)(x2 + x+ 1)− 3

4(x− 1)(x+ 1)− 5

8(x− 1)

= (x− 1)

(x2 + x+ 1− 3

4x− 3

4− 5

8

)

= (x− 1)

(x2 +

1

4x− 3

8

).

Hierbei ist g(x) = x2 + 14x− 3

8ein Polynom vom Grad 2 = 3− 1. N

Der vorangegangene Satz hat weitreichende Konsequenzen: Er besagt, dass fur jede Polynomfunkti-on vom Grad n, die eine reelle Nullstelle x0 besitzt, im Zuge einer Faktorisierung des Funktionstermsder Ausdruck x− x0 abgespalten werden kann und als zweiter Faktor ein Polynom vom Grad n− 1

ubrig bleibt. Wenn die entsprechende Polynomfunktion nun wieder eine reelle Nullstelle hat, sagenwir x1, so kann Satz 4.24 noch einmal angewendet werden und wir erhalten eine Darstellung

f(x) = (x− x0)(x− x1)g1(x),

in der g1 eine Polynomfunktion vom Grad n− 2 ist. Dieses Verfahren lasst sich so lange fortsetzen,bis eine Polynomfunktion ubrig bleibt, das keine Nullstelle mehr besitzt; dabei kann es vorkommen,dass sich eine Nullstelle mehrfach ausklammern lasst, wie das Beispiel

2x3 + 2x2 − 10x+ 6 = (x− 1)2 · (x+ 3) · 2 = (x− 1)2 · (x− (−3)) · 2

zeigt: Hierbei ist 2 diejenige letzte verbleibende Polynomfunktion, die keine Nullstelle mehr hat.Aus der wiederholten Anwendung des Verfahrens folgt also, dass, wenn x0, . . . , xk−1 die k verschie-denen Nullstellen einer Polynomfunktion f sind, eine Faktorisierung der Form

f(x) = (x− x0)m0(x− x1)m1 · (x− xk−1)mk−1 · p(x)

existiert, in der p eine Polynomfunktion vom Grad n− (m0 + m1 + . . . + mk−1) ≥ 0 ist, die keineNullstelle mehr hat, also ∀x ∈ R : p(x) 6= 0 erfullt. Fur die Nullstelle xi, i ∈ 0, . . . , k − 1 gibtder Exponent mi an, wie oft der Faktor (x − xi) abgespalten werden kann und wie oft er damit inder Faktorisierung von f(x) auftritt. Dies motiviert die folgende Definition:

Definition 4.24 Sind x0, . . . , xk−1 ∈ R (k ∈ N0) die k verschiedenen Nullstellen einer Polynom-funktion f vom Grad n ∈ N und ist

f(x) = (x− x0)m0(x− x1)m1 · (x− xk−1)mk−1 · p(x)

eine vollstandige Faktorisierung des Funktionsterms f(x), so heißt der Exponent mi fur alle i ∈0, . . . , k− 1 die Vielfachheit der Nullstelle xi. Die Nullstelle xi wird mitunter auch als mi-facheNullstelle von f bezeichnet.

Fur die Polynomfunktion

f(x) = 2x3 + 2x2 − 10x+ 6 = (x− 1)2 · (x+ 3) · 2

ist also 1 eine Nullstelle der Vielfachheit 2 und −3 eine Nullstelle der Vielfachheit 1.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 172

Bemerkung 4.13 Man kann zeigen, dass die Faktorisierung einer Polynomfunktionsgleichung bisauf die Reihenfolge der Faktoren eindeutig bestimmt ist.

Die vorangegangenen Uberlegungen liefern die Antwort auf die Frage, wie viele Nullstellen einePolynomfunktion von positivem Grad maximal haben kann:

Satz 4.25 Eine Polynomfunktion vom Grad n ∈ N hat hochstens n Nullstellen. Nullstellen mit Viel-fachheit großer als 1 sind dabei entsprechend ihrer Vielfachheit mehrfach zu zahlen.

4.5.5 Rationale Funktionen

Eine Funktion, deren Funktionsterm als Quotient zweier Polynome darstellbar ist, heißt rationaleFunktion. In einem solchen Fall gibt es also Polynomfunktionen f und g mit f(x) = anx

n + . . .+

a1x+ a0 und g(x) = bmxm + . . .+ b1x+ b0, so dass fur den Wert der rationalen Funktion r an der

Stelle x folgendes gilt:

r(x) =f(x)

g(x)=anx

n + . . .+ a1x+ a0bmxm + . . .+ b1x+ b0

.

Es ist klar, dass g hierbei nicht die Nullfunktion sein kann! Außerdem sollte klar sein, dass r nur ansolchen Stellen definiert ist, an denen g(x) 6= 0 ist, also außerhalb der Nullstellen von g.

Betrachten wir zur Verdeutlichung einmal die Funktion f mit der Funktionsgleichung

r(x) =2x3 − xx2 − 1

. Wegen x2 − 1 = 0 ⇔ x2 = 1 ⇔ |x| = 1 ⇔ x = −1 ∨ x = 1 ist r auf der

Menge R \ −1, 1 definiert:

r : R \ −1, 1 → R

x 7→ r(x) =2x3 − xx2 − 1

.

Den Graphen zu dieser Funktion konnen Sie Abbildung 4.27 entnehmen. Versuchen Sie, sich denVerlauf des Graphen Gr anhand der Verlaufe der Graphen des Zahler- und des Nennerpolynoms, dieebenfalls eingezeichnet sind, zu erklaren.

4.5 Wichtige Typen von Abbildungen 173

Abb. 4.27 Graph der Funktion r aus Beispiel E ; zusatzlich hierzu sind die Graphen des Zahler-und des Nennerpolynoms eingezeichnet.

Anhang

A.1 Tautologien fur aussagenlogische Formeln

In Abschnitt 1.5 wurden zahlreiche Tautologien fur Aussagenvariablen behandelt, beispielsweise dasKommutativgesetz (K∧) der Konjunktion. Will man nun in einem Ausdruck wie (r ⇒ s)∧ (s∨¬r)die Reihenfolge der beiden vor und hinter dem ∧-Junktor stehenden Ausdrucke vertauschen, nutzteinem die Gultigkeit von p∧ q ≡ q∧p auf den ersten Blick wenig. Wir brauchten eine Formulierungwie ϕ ∧ ψ ≡ ψ ∧ ϕ, bei der ϕ und ψ beliebige aussagenlogische Formeln sind (im eben genanntenBeispiel ware ϕ := (r ⇒ s) und ψ := (s∨¬r)). Um diese Aquivalenz aus der Gultigkeit von (K∧)

abzuleiten, interpretiert man ϕ, ψ und ϕ ∧ ψ als Abbildungen wie folgt:

ϕ : w, fn → w, fp := (p1, . . . , pn) 7→ ϕ(p)

ψ : w, f , m → w, fq := (q1, . . . , qm) 7→ ψ(q)

ϕ ∧ ψ : w, f , n × w, f , m → w, f(p,q) 7→ ϕ ∧ ψ((p,q)) := ϕ(p) ∧ ψ(q).

Dann ist fur alle p ∈ w, fn und q ∈ w, fm

ϕ ∧ ψ((p,q)) = ϕ(p) ∧ ψ(q)(K∧)≡ ψ(q) ∧ ϕ(p) = ψ ∧ ϕ((q,p)),

was ϕ ∧ ψ ≡ ψ ∧ ϕ bedeutet.

174

Literaturverzeichnis

[AA05] APPELL, K. ; APPELL, J.: Mengen – Zahlen – Zahlbereiche. Eine elementare Einfuhrungin die Mathematik. 1. Aufl. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2005

[AG81] ATHEN, H. ; GRIESEL, H.: Mathematik heute - 9. Schuljahr. Schroedel Schulbuchverlag,1981. – ISBN 3–507–83109–0

[Beu09] BEUTELSBACHER, A.: Das ist o.B.d.A. trivial! 9. Aufl. Vieweg+Teubner, Wiesbaden,2009

[Fri07] FRITZSCHE, K.: Mathematik fur Einsteiger - Vor- und Bruckenkurs zum Studienbeginn. 4.Aufl. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2007

[GL76] GRAUERT, H. ; LIEB, I.: Differential- und Integralrechnung I. 4. Auflage. Springer-Verlag,1976

[HR11] H., Rapp ; RAPP, J.M.: Ubungsbuch Mathematik fur Fachschule Technik und Berufskolleg.2. Aufl. Vieweg + Teubner, 2011. – ISBN 978–3–8348–1477–7

[K.13] K., Int-Veen: Ausgewahlte Antinomien der naiven Mengenlehre, Universitat Hamburg,Fachbereich Mathematik, Diplomarbeit, 2013

[Kie13] KIECHLE, H.: Skriptum zur Vorlesung Grundlagen der Mathematik. http:

//www.math.uni-hamburg.de/home/kiechle/uebl/LPSI/Vorlesung/

kapI.pdf. Version: 2012/13 (Mathematik fur Studierende der Lehramter Primar- undSekundarstufe I sowie Sonderschulen)

[Ko03] KONIGSBERGER, K.: Analysis 1. 6. Aufl. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York,2003

[MM11] MEINEL, C. ; MUNDHENK, M.: Mathematische Grundlagen der Informatik – Mathema-tisches Denken und Beweisen – Eine Einfuhrung. 5. Aufl. Vieweg+Teubner, Wiesbaden,2011

[Mue09] MUECKENHEIM, W.: Mathematik fur die ersten Semester. Oldenbourg Verlag, Munchen,2009

[Pos11] POSTEL, H.: Aufgabensammlung zur Ubung und Wiederholung – Mathematik. Schroedel,2011

175

LITERATURVERZEICHNIS 176

[Vol89] VOLLRATH, Hans-Joachim: Funktionales Denken. In: Journal fur Mathematikdidaktik 10(1989), Nr. 1, S. 3–37. – ISSN 0173–5322

Index

(·, ·), 732-Tupel, 73:⇔, 47<, 93, 130>, 93, 131Gf , 118M vs. M c, 59Uε( · ), 99[·, ·[, 78[·, ·], 78N, 8N0, 8P, 108Q, 8R, 8, 81R+, 78, 93R+

0 , 78, 94R−, 93, 94R−0 , 94Z, 8∩, 62∪, 62∅, 59⇔, 18≡, 28, 124, 125∃, 23∃1, 23∀, 23≥, 93, 130⇒, 14∈, 58∞, 78≤, 93, 1307→, 119¬, 14

6=, 58*, 58∨, 14∏

, 86→, 119k√x, 102⊂, 57⊆, 57∑

, 86⊃, 58⊇, 58×, 73∧, 14`, 38ε-Umgebung, 99 , 55 , 59]·, ·[, 78]·, ·], 78fm,b, 146k-te Wurzel, 102, 103, 161n-Tupel, 76FRlin, 147Fquad, 152:=, 3, 12Aquivalenz, 18aquivalent, 18, 28Œ, 140

Abbildung, 112, 117Bezeichnung, 123Einschrankung, 124identische, 120inverse, 136Koordinaten-, 123Umkehr-, 136

177

INDEX 178

Abbildungsvorschrift, 118Abel, Niels Henrik, 84abelsch, 84Abgeschlossenheit, 83ableitbar, 38Absolutbetrag, 98Absolutglied, 168Abszisse, 74Abtrennungsregel, 32, 38, 39achsensymmetrisch, 141affin-linear, 147algebraische Struktur, 84Allaussage, siehe AussageAllquantor, siehe Quantor, 23Anordnung, 93Anordnungsaxiome, siehe AxiomeAnschauungsebene, 75, 128Anschauungsraum, 76, 128Archimedisches Axiom, siehe AxiomArgument, 117assoziativ, 82Assoziativitat, 83

Aussagenvariablen, 32Mengen, 63

Ausgangsmenge, 59Aussage, 10

Allaussage, 23, 38, 46Eindeutigkeitsaussage, 23, 38, 49Existenzaussage, 23, 38, 46

Aussageform, 20aussagenlogische Formel, 27Aussagenvariable, 16Axiom, 37

Vollstandigkeits-, 101Archimedisches, 93Induktions-, 50Vollstandigkeits-, 100

axiomatisch, 3Axiome

Anordnungs-, 92, 93der reellen Zahlen, 81Gruppen-, 84

Korper-, 81, 82, 91Peano-, 50

Axiomensystem, 37

Basis, 153Bernoullische Ungleichung, 97beschrankt, 78Betrag, 98Betragsfunktion, 98Beweis, 38

direkter, 39, 40durch Widerspruch, 39, 43indirekter, 39, 42

Bijektion, 133bijektiv, 133Bild, 122

einer Menge, 122binomische Formeln(n), 13Boole, George, 65Boolsche Algebra, 65

Cantor, Georg, 53, 60

De Morgan, Augustus, 31de Morgansche Gesetze, 31, 67Definitionsbereich, 117, 122Definitionsmenge, siehe Definitionsbereich, 122Descartes, Rene, 73Differenz, 70

symmetrische, 70direkter Beweis, siehe BeweisDirichlet, Gustav Lejeune, 120disjunkt, 69

paarweise, 69Disjunktion, 14Distributivitat

Aussagenvariablen, 32Mengen, 65

Doppelnegation, 32, 67Dreiecksungleichung, 98, 100Durchschnitt, siehe Schnitt

Eindeutigkeitsaussage, siehe Aussage

INDEX 179

Eindeutigkeitsquantor, siehe Quantoreineindeutig, siehe bijektivEinschrankung, 124Einsetzungsverfahren, 148Element, 54Eliminationsverfahren, 149Ergebnismenge, 73Ersetzungsprinzip, 38, 39Existenzaussage, siehe AussageExistenzquantor, siehe QuantorExponent, 153

Faktorisierbarkeit, 169Fermat, Pierre de, 11Fixpunkt, 125Folge, 96, 121

harmonische, 96Folgen

-glied, 121-index, 121

Folgerung, 18Fundamentalsatz d. Arithmetik, 108Funktion, 112, 117

Dirichletsche Sprung-, 120affin-lineare, 147Bezeichnung, 123ganzrationale, 168Graph einer, 117homogen-lineare, 147Polynom-, 168Potenz-, 167proportionale, 147quadratische, 152rationale, 172Ursprungsgeraden-, 147Wurzel-, 167

Funktions-gleichung, 118term, 118vorschrift, 118wert, 117

Gultigkeitsbereich, 54

ganzrational, siehe FunktionGauß, Carl Friedrich, 51, 149Gegenbeispiel, 48genau dann, wenn, 18geordnetes Paar, 73Geradenfunktion, 146gestaucht, 152gestreckt, 152gleich

2-Tupel, 73n-Tupel, 76Funktion, 124, 125Menge, 57

Gleichsetzungsverfahren, 148gleichwertig, 28Goldbach, Christian, 11Graph, 117, 126, 128griechisches Alphabet, 29Grundmenge, 59Gruppe, 83, 149Gruppenaxiome, siehe AxiomeGruppenoperation, 83

hinreichend, 14Hintereinanderausfuhrung, 91, siehe Kompositi-

onhomogen-linear, 147

Identitat, 120Implikation, 14, 38indirekter Beweis, siehe BeweisInduktion, siehe Vollstandige InduktionInduktionsaxiom, siehe Axiominduktiv, 155injektiv, 132Inklusion, 57, 69Intervall, 78

abgeschlossen, 78nach links halboffen, 78nach rechts halboffen, 78offen, 78

Intervall-grenze, 78

INDEX 180

lange, 78, 100schnittzahl, 101

invers, 83, 136Inverse, 136inverses Element, 87Invertierbarkeit, 83irrational, 8, 109isomorph, 102

Junktion, 13, 14Junktor, 13, 14

Korper, 91angeordnet, 97archimedisch angeordnet, 97vollstandig, 102

Korperaxiome, siehe AxiomeKurzungsregel, 89Kardinalitat, 60kartesisches Produkt, 73, 75Klammersetzung, 35Koeffizient, 168kommutativ, 82, 83Kommutativitat, 84

Aussagenvariablen, 32Mengen, 63

Komplement, 59, 72Komponente, 73, 76Komposition, 91, 141Konjunktion, 14Konklusion, 18Kontradiktion, 28, 34Kontraposition, 36, 42, 67Koordinatenabbildung, 123Koordinatensystem, 74Korollar, 39

Lemma, 39linear, 147lineares Gleichungssystem, 148

Einsetzungsverfahren, 148Eliminationsverfahren, 149Gleichsetzungsverfahren, 148

linkseindeutig, siehe injektivlogisch

aquivalent, 28gleichwertig, 28

Machtigkeit, 60Mathematik, 3mathematisch positiver Umlaufsinn, 75Menge, 54

endlich, 55leer, 58, 59unendlich, 56

Mengen-Algebra, 62Mengenklammern, 55Modus ponens, siehe Abtrennungsregelmonoton

abnehmend, 139fallend, 139steigend, 138streng, 139wachsend, 138

Multiplikationsregel, 90

Negation, 14, 59Allaussage, 41, 68Existenzaussage, 41, 68

negativ, 93neutrales Element, 83, 87Normalparabel, 152normiert, 168Notation, 76notwendig, 14Nullfunktion, 151, 168, 169Nullstelle, 126, 171

o. B. d. A., 140Obermenge, 58Ordinate, 74

paarweise disjunkt, siehe disjunktParabel, 152Peano-Axiome, siehe AxiomePfeildiagramm, 126, 127

INDEX 181

Polynomfunktion, 168konstant, 169Faktorisierbarkeit, 169kubisch, 169

positiv, 93Potenz, 153Potenzfunktion, 167Potenzgesetze, 155, 157, 165Potenzmenge, 61Pramisse, 18prim, 108Primfaktorzerlegung, 108Primzahl, 108Prinzip

vom ausgeschlossenen Dritten, 29, 66vom ausgeschlossenen Widerspruch, 34, 66

Produkt, 82proportional, 147Proposition, 39punktsymmetrisch, 141

Quadrant, 75quadratische Erganzung, 152quadratische Funktion, 152Quantor, 23

Allquantor, 23, 67Eindeutigkeitsquantor, 23, 67Existenzquantor, 23, 67

Randpunkte, 78rationale Funktion, 172reelle Zahlen, 82reellwertig, 129regular, 149Regularitat, 149rekursiv, 155reziprok, 83Russell, Bertrand, 11

Satz, 39Fundamental- der Arithmetik, 108Zerlegungsformel fur Potenzendifferenzen,

106

Scheitelpunkt, 152, 153Scheitelpunktform, 152Schnitt, 62Schnittmenge, siehe Schnittselbstinvers, 88Stammbruch, 121Steigung, 146Summe, 82Summenregel, 90surjektiv, 132symmetrisch, 141

achsen-, 141punkt-, 141

symmetrische Differenz, 70

Tautologie, 27Teilmenge, 57

echte, 57Teilmengenrelation, 57Transitivitat, 30, 94Trichotomie, 94

Umgebung, 99Umkehrabbildung, 136umkehrbar eindeutig, siehe bijektivUmkehrung, 36, siehe Umkehrabbildungunbeschrankt, 78Ungleichung, 97

Bernoullische, 97Dreiecks-, 100

unvereinbar, 69Urbild, 122

einer Menge, 122

Variabilitatsbereich, 13Venn, John, 57Vereinigung, 62Verkettung, siehe KompositionVerknupfung, 84, siehe Komposition

binar, 84Vielfachheit, 171Vollrath, Hans-Joachim, 116vollstandig, 102

INDEX 182

Vollstandige Induktion, 49Vollstandigkeitsaxiom, siehe AxiomVoraussetzung, 18

Wurfelwurf, 73Wahrheits

-tafel, 16-wert, 10

Wertetabelle, 113, 126Widerspruchsbeweis, siehe Beweiswohlbestimmt, 54wohlunterschieden, 54, 56Wurzel, 103Wurzelfunktion, 167

Zahlirrationale, 58rational, 58reell, 58

Zahlen-gerade, 92-strahl, 92

Zahlvariable, 13Zerlegungsformel fur Potenzendifferenzen, 106Zielbereich, 117, 122Zielmenge, siehe Zielbereich, 122Zuordnung, 116, 117Zuordnungsvorschrift, 118Zweipunkteformel, 148


Recommended