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Materialwissenschaft in England

Date post: 03-Feb-2017
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W Seit Mai 2012 lebe ich mit mei- ner Frau und meinen beiden Kin- dern in Leeds in Nordengland. Dort promoviere ich als Stipendiat innerhalb des Initial Training Net- works Nanomotion am Institut für Materialwissenschaften der Univer- sität. Ein Initial Training Network, ITN, ist ein Ausbildungsnetzwerk der europäischen Kommission und setzt sich aus Hochschulen aus mindestens drei EU-Ländern zu- sammen, forschende Unternehmen können sich ebenfalls beteiligen. Am ITN Nanomotion arbeiten zwölf Doktoranden und ein Post- doc, und zwar an acht Hochschu- len und Unternehmen aus fünf Ländern Europas: aus Spanien, Portugal, England, Irland und Deutschland. Die Kooperations- partner arbeiten in der Regel an materialwissenschaftlichen For- schungsinstituten oder solchen, die Nanotechnik als Schwerpunkt ha- ben. Die ITNs haben zum Ziel, For- scher eines Themengebiets zu Ex- perten auszubilden und innerhalb Europas zu vernetzen. Die Stipen- diaten in einem ITN forschen an ähnlichen Themen und absolvieren während ihrer Promotion gemein- same Termine wie Workshops und Projekttreffen. Beim ITN Nanomotion geht es um Bewegung auf der Nanoskala, und dabei spielt der piezoelektri- sche Effekt eine Rolle. Das Netz- werk befasst sich sowohl mit ge- meinsamen Methoden – ein Schwer- punkt ist die Rastersondenmikro- skopie – als auch mit gemeinsa- men Themen, darunter Multiferroi- ka, biologische Piezoelektrika oder Lithiumionenbatterien. Meine Ar- beit in Leeds dreht sich um magne- toelektrische Kopplung in einpha- sigen Multiferroika. Internationale Mobilität gefordert W Nach meiner Diplomarbeit am Forschungszentrum Caesar in Bonn wurde ich auf eine Stellen- ausschreibung von Bosch aufmerk- sam, die für das ITN Nanomotion einen Doktoranden suchte. Seltsam fand ich zunächst, dass sich die Ausschreibung nur an Ausländer richtete. Dann habe ich mir dieses ITN, die Projekte im Ausland und die Stellenausschreibungen dazu genauer angesehen. Für die Wissenschaftler, die in einem ITN arbeiten, gilt eine Mo- bilitätsregel. Nach der dürfen sie keine Stelle in dem Land anneh- men, in dem sie in den letzten drei Jahren hauptsächlich gelebt ha- ben. Je mehr ich darüber nachdachte, desto interessanter und aufregen- der fand ich den Gedanken, im Ausland zu promovieren. Schließ- lich verloren meine Frau und ich die Furcht vor dem Leben im Aus- land und sahen es als Chance zur persönlichen Weiterentwicklung. Was an einer Promotion in einem ITN anders ist W Wissenschaftliches Niveau und zeitlicher Rahmen einer englischen Promotion in Chemie ähneln der deutschen. Allerdings sind Dokto- randen in Deutschland stärker in die Lehre einbezogen, während in England Lecturer Aufgaben wie Vorlesungen und Seminare über- nehmen. Eine Möglichkeit, Auslanderfahrungen zu sammeln, bietet die Promotion. Die Initial Training Networks der europäischen Kommission fördern die internationale Mobilität von Doktoranden und unterstützen sie mit Stipendien. Autor Leonard Henrichs promoviert in einem solchen Netzwerk und hat sich für die Universität Leeds als Arbeitsort entschieden. Materialwissenschaft in England BBildung und KarriereV Leonard Henrichs in seinem Rasterkraftmikroskopie-Labor am Institut für Materialwissen- schaften der Universität Leeds. (Foto: Laura Stoica) Nachrichten aus der Chemie| 62 | Juli I August 2014 | www.gdch.de/nachrichten 828
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W Seit Mai 2012 lebe ich mit mei-ner Frau und meinen beiden Kin-dern in Leeds in Nordengland. Dort promoviere ich als Stipendiat innerhalb des Initial Training Net-works Nanomotion am Institut für Materialwissenschaften der Univer-sität.

Ein Initial Training Network, ITN, ist ein Ausbildungsnetzwerk der europäischen Kommission und setzt sich aus Hochschulen aus mindestens drei EU-Ländern zu-sammen, forschende Unternehmen können sich ebenfalls beteiligen. Am ITN Nanomotion arbeiten zwölf Doktoranden und ein Post-doc, und zwar an acht Hochschu-len und Unternehmen aus fünf Ländern Europas: aus Spanien, Portugal, England, Irland und Deutschland. Die Kooperations-partner arbeiten in der Regel an materialwissenschaftlichen For-schungsinstituten oder solchen, die Nanotechnik als Schwerpunkt ha-ben.

Die ITNs haben zum Ziel, For-scher eines Themengebiets zu Ex-perten auszubilden und innerhalb Europas zu vernetzen. Die Stipen-diaten in einem ITN forschen an ähnlichen Themen und absolvieren während ihrer Promotion gemein-same Termine wie Workshops und Projekttreffen.

Beim ITN Nanomotion geht es um Bewegung auf der Nanoskala, und dabei spielt der piezoelektri-sche Effekt eine Rolle. Das Netz-werk befasst sich sowohl mit ge-meinsamen Methoden – ein Schwer-

punkt ist die Rastersondenmikro-skopie – als auch mit gemeinsa-men Themen, darunter Multiferroi-ka, biologische Piezoelektrika oder Lithiumionenbatterien. Meine Ar-beit in Leeds dreht sich um magne-toelektrische Kopplung in einpha-sigen Multiferroika.

Internationale Mobilität gefordert

W Nach meiner Diplomarbeit am Forschungszentrum Caesar in Bonn wurde ich auf eine Stellen-ausschreibung von Bosch aufmerk-sam, die für das ITN Nanomotion einen Doktoranden suchte. Seltsam fand ich zunächst, dass sich die Ausschreibung nur an Ausländer richtete. Dann habe ich mir dieses ITN, die Projekte im Ausland und die Stellenausschreibungen dazu genauer angesehen.

Für die Wissenschaftler, die in einem ITN arbeiten, gilt eine Mo-

bilitätsregel. Nach der dürfen sie keine Stelle in dem Land anneh-men, in dem sie in den letzten drei Jahren hauptsächlich gelebt ha-ben.

Je mehr ich darüber nachdachte, desto interessanter und aufregen-der fand ich den Gedanken, im Ausland zu promovieren. Schließ-lich verloren meine Frau und ich die Furcht vor dem Leben im Aus-land und sahen es als Chance zur persönlichen Weiterentwicklung.

Was an einer Promotion in einem ITN anders ist

W Wissenschaftliches Niveau und zeitlicher Rahmen einer englischen Promotion in Chemie ähneln der deutschen. Allerdings sind Dokto-randen in Deutschland stärker in die Lehre einbezogen, während in England Lecturer Aufgaben wie Vorlesungen und Seminare über-nehmen.

Eine Möglichkeit, Auslanderfahrungen zu sammeln, bietet die Promotion. Die Initial Training Networks

der europäischen Kommission fördern die internationale Mobilität von Doktoranden und unterstützen

sie mit Stipendien. Autor Leonard Henrichs promoviert in einem solchen Netzwerk und hat sich für die

Universität Leeds als Arbeitsort entschieden.

Materialwissenschaft in England

BBildung und KarriereV

Leonard Henrichs in seinem Rasterkraftmikroskopie-Labor am Institut für Materialwissen-

schaften der Universität Leeds. (Foto: Laura Stoica)

Nachrichten aus der Chemie| 62 | Juli I August 2014 | www.gdch.de/nachrichten

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Ein Unterschied der Promotion in einem ITN zu einer regulären Promotion sind zunächst die Pro-jektziele. Diese werden vor Beginn der Arbeiten festgelegt und stehen bereits im Projektantrag, der an die EU-Kommission geht. Sie sollen die Teilnehmer zum zielgerichte-ten Arbeiten anhalten. Diese Ziele sind zwar nicht starr, legen aber das Grundkonzept der Promotion fest.

Außerdem stimmen sich die Pro-jektleiter über Forschungsaufent-halte der Doktoranden und Post-Docs an den Partnerinstitutionen ab. Dies soll sicherstellen, dass ein Stipendiat unterschiedliche Metho-den und unterschiedliches Fach-wissen kennen lernt. Obwohl die Forschungsaufenthalte bereits im Projektantrag stehen, wird dieser Punkt flexibel gehandhabt. Einen Forschungsaufenthalt habe ich be-reits an der Universität Duisburg-Essen an der ingenieurwissen-schaftlichen Fakultät absolviert und werde noch an der Universität Aveiro, Portugal, an einem For-schungszentrum für Keramik und Kompositmaterialien arbeiten.

Während der ersten Zeit hatte ich das Gefühl, dass die Promotion im Netzwerk sich nicht von einer Arbeit ohne das Netzwerk unter-scheidet. Die Kooperationen liefen nur schleppend an, es stand eher das soziale Miteinander im Vorder-grund. Später begriff ich, dass die-ses Miteinander, das Knüpfen von Kontakten, der wichtigste Aspekt des Netzwerks ist. Durch die ge-meinsamen Termine lernen sich die Wissenschaftler des Netzwerks besser kennen, als dies beispiels-weise am Rande einer Konferenz möglich ist. Wir tauschen uns im-mer mehr untereinander aus und profitieren von den Erfahrungen und vom Wissen der anderen und deren Kollegen. Es ist, als habe ich neben meinem eigenen Arbeits-kreis einen weiteren, der sich über Europa verteilt. Vermutlich hält dieser Effekt länger an, als der durch die unmittelbaren Koopera-tionen durch das ITN während der Promotion.

In dem ITN Nanomotion stam-men sieben Teilnehmer aus Europa, aus Österreich, Frank-reich, Portugal, Irland sowie aus Serbien und Russland, ich bin der einzige Deutsche. Alle anderen kommen aus Indien, Costa Rica, Iran, Vietnam und Pakistan. Somit stammen lediglich 5 von 13 Teil-nehmern aus EU Staaten.

Leben und arbeiten in England – die Sprache

W Die Sprache spielte eine große Rolle bei der Entscheidung, nach Leeds zu gehen. So musste ich nicht während der Promotion eine weite-re Fremdsprache erlernen. Darüber hinaus gefiel mir das Thema sehr gut und ich verstand mich von An-fang an gut mit dem Betreuer.

Trotz meiner Sprachkenntnisse war der Anfang in England nicht leicht. So war ich oft unsicher ob ich in einer Gesprächssituation zu pingelig oder taktlos war. Es dauer-te etwa sechs Monate, bis ich he-rausfand, dass der kulturelle Unter-schied nicht allzu groß ist. Es reicht aus, offen und freundlich aufzutreten. Dies gilt nicht nur im Umgang mit Briten, sondern auch mit Kollegen aus anderen Ländern. Der Ausländeranteil unter den For-schern dort ist hoch, sie kommen überwiegend aus Indien, Pakistan, China, aus arabischen Ländern, Ost- und Südeuropa.

Größere Probleme hatte ich mit dem Alltagsenglisch und dem Dia-lekt in Nordengland. Beides klingt gegenüber dem Schulenglisch wie eine andere Sprache. Zudem konn-te ich mich oft selbst nicht gut ge-nug ausdrücken und musste lange überlegen, um meine Gedanken präzise in Worte zu fassen. Daher verloren viele das Interesse an län-geren Gesprächen mit mir.

Meinem älteren Sohn, der bereits in Deutschland in den Kindergarten ging, fiel es anfangs schwer, im eng-lischen Kindergarten zurecht zu kommen oder mit anderen Kindern zu spielen. Inzwischen spricht er beide Sprachen fließend. Kinder er-halten zwar 15 kostenlose Kinder-

gartenstunden pro Woche, sobald sie drei Jahre alt sind. Ganztägige Kinderbetreuung kostet in England aber um die 1000 Euro im Monat und ist für uns unerschwinglich, da-her geht meine Frau nicht arbeiten. Dafür gibt es viele Krabbelgruppen, sodass es ihr leicht fiel, über die Kinder Anschluss zu finden.

Nach einem guten Jahr liefen Alltagsgespräche endlich reibungs-los, und ich konnte auch präzise Fachgespräche führen. Dieses Er-folgserlebnis und die damit ver-bundene Selbstsicherheit sind für mich die wichtigsten Aspekte an ei-nem längeren Auslandsaufenthalt. Ich kann nur wärmstens empfeh-len, diesen Schritt zu wagen.

Leonard Frederic Henrichs, Jahrgang 1987, hat

in Bonn studiert und dort im Jahr 2012 seine

Diplomarbeit in physikalischer Chemie abge-

schlossen. Seine Promotion an der Universität

Leeds wird er voraussichtlich im Mai 2015 fer-

tig stellen.

Hauptgebäude der Universität Leeds. (Foto: Wikipedia)

W Stipendien für Doktoranden in einem ITN

Doktoranden, die in einem Initial Training Network

arbeiten, erhalten ein Stipendium von 38 000 Euro

im Jahr. Hinzu kommen eine Mobilitäts- und bei ei-

genen Kindern oder Ehepartner eine Familienvergü-

tung. Dieser Betrag wird an das Preisniveau des je-

weiligen Ziellandes angepasst. Für Forschungsmit-

tel und Reisen stehen großzügige Budgets zur Ver-

fügung. ITNs gibt es auch im neuen Forschungsrah-

menprogramm der EU, Horizont 2020, sie heißen

jetzt Innovative Training Networks.

www.humboldt-foundation.de/nks/horizont_

2020_innovative_training_networks.html

829BBildung und KarriereV

Nachrichten aus der Chemie| 62 | Juli I August 2014 | www.gdch.de/nachrichten


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