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Marktdesign - Streitfragen!-Spezial zum Energiemarkt der Zukunft

Date post: 21-Mar-2016
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Auf dem Weg zu neuen marktwirtschaftlichen Strukturen. Weitere Infos: http://www.bdew.de/marktdesign
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MARKTDESIGN Streitfragen!-Spezial zum Energiemarkt der Zukunft S.02 EIN SCHWIERIGER WEG ZUM RICHTIGEN ZIEL Bei der Diskussion um ein neues Marktdesign bewährt sich die Gremienstruktur des BDEW S.10 WER MUSS AUF DIE RESERVEBANK? Andreas Mundt, Präsident des Bundes karteamtes, warnt vor übereilten Schrien S.24 NEUE ROLLE FÜR DIE NETZE Sind die Vertriebe auf die zusätzlichen Aufgaben, die auf sie zukommen, ausreichend vorbereitet? AUF DEM WEG ZU NEUEN MARKTWIRTSCHAFTLICHEN STRUKTUREN
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MarktdesignStreitfragen!-Spezial zum energiemarkt der Zukunft

s.02ein scHwieriger weg ZuM ricHtigen Ziel

Bei der Diskussion um ein neues Marktdesign bewährt sich die Gremienstruktur des BDEW

s.10wer Muss auf die reservebank?

Andreas Mundt, Präsident des Bundes kartell amtes, warnt vor übereilten Schritten

s.24neue rolle für die netZe

Sind die Vertriebe auf die zusätzlichen Aufgaben, die auf sie zukommen, ausreichend vorbereitet?

auf deM weg Zu neuen MarktwirtscHaft licHen strukturen

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liebe leserin, lieber leser,

auf dem BDEW Kongress im Juni 2010 hatte der damalige BDEW-Präsident Schmitz bereits prognostiziert, dass wir uns möglicherweise in absehbarer Zeit mit dem Thema Kapazitätsmärkte ausei­nandersetzen müssen. Das hat damals beachtliche Irritationen ausgelöst. Ein paar Monate später begegnete uns die Debatte wieder, weil auch das im Herbst 2010 vorgelegte Energiekonzept der Bundesregierung ankündigte, die Frage nach der Notwendigkeit von Kapazitäts­märkten genauer zu untersuchen. Und in den vergangenen zwei Jahren überschlug sich die Debatte förmlich. Die Verwerfun­gen am Markt, das exorbitante und un­gesteuerte Wachstum der Erneuerbaren Energien – insbesondere der Photovol­

taik – und die Sorgen über die Aufrecht­erhaltung der Versorgungssicherheit haben dazu geführt, dass das Thema Ka­pazitätsmärkte zusammen mit dem Reformbedarf beim EEG zu einem domi­nierenden Thema der energiepolitischen Debatte wurde. Für alles das hat sich der Begriff „Neues Marktdesign“ gefunden.

Es gibt heute kaum einen energie­politischen Akteur in Politik, Wirtschaft, NGOs, Gewerkschaften, der sich nicht intensiv mit der Frage eines neuen Markt­designs beschäftigt hat. Viele waren er­staunt, dass die Unternehmen der Energie­wirtschaft noch am zurückhaltendsten mit der Forderung nach Kapazitätsmärk­ten umgegangen sind. Doch wir wissen am besten, dass Letztere ein erheblicher

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ein scHwieriger weg ZuM ricHtigen ZielThomas Barth, Vorstandsvorsitzender E.ON Energie AG, über den Entscheidungs­prozess im BDEW

auf der sucHe nacH deM gleicHgewicHtGerhard Holtmeier, Thüga, Gregor Pett, E.ON, und Marco Nicolosi, Connect Energy Economics, diskutieren über verschiedene Modelle für ein neues Marktdesign

wer Muss auf die reservebank?Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartell­amtes, warnt vor übereilten Schritten

kriterien für kapaZitätsMärkteDer BDEW entwickelt konkrete Grundsätze für den Backup­Markt

ein Markt sorgt für leistungWie passt der dezentrale Leistungsmarkt zum Energy Only Markt? Was kann er leisten? Welche Rolle spielt der Staat?

fragen und antworten ZuM leistungsMarktWie sehen kleine und mittlere Unternehmen den dezentralen Leistungsmarkt? Wo liegen die Stärken, wo die Risiken? Fragen und Antworten

drei fragen an cHristopH kaHlenDer Leiter der Thüga­Öffentlichkeitsarbeit erläutert das Zukunftsmodell des Unternehmens

startscHuss für ein neues eegHarald Noske, Stadtwerke Hannover, und Martin Baumert, Naturwatt, haben an den Sitzungen zur Entwicklung des BDEW-Zielmodells teilgenommen

neue rolle für die netZeVier Netzexperten diskutieren über die Anforderungen, die künftig auf die Netze zukommen

»rein nationale konZepte bringen risiken«Christoph Maurer, Geschäftsführer der Consentec GmbH, plädiert für eine Öffnung eines deutschen Kapazitätsmodells nach Europa

Eingriff in die bestehenden Strukturen wären – und nicht leicht zu implemen­tieren. Aber die Lage im konventionellen Kraftwerksbereich ist kritisch. Die ökonomischen Rahmenbedingungen ge­fährden das Fundament der Energie­politik in Deutschland. Der Handlungs­bedarf ist also akut.

Im Herbst 2011 hat der BDEW deshalb eine Projektgruppe unter dem Vorstand eingerichtet, die die Lage analysieren, vor­handene Modelle diskutieren und eigene Lösungsvorschläge entwickeln sollte. Sie setzt sich aus den Vorsitzenden und weiteren Vertretern aller für diese Frage entscheidenden Gremien des BDEW zusammen. Wir nutzen die ganze Breite und Kompetenz unserer Mitgliedsunter­nehmen. Sehr viele Experten aus der Bran­che haben enorm viel Zeit investiert. Ihnen gilt mein herzlicher Dank! Am 18. September hat nun der Vorstand die sorgfältig erarbeitete Position des Ver­bandes beraten und beschlossen. In diesem Heft geben wir Ihnen einen Über­blick über unser Vorgehen und die neuen Beschlüsse. Ich wünsche Ihnen eine inte­ressante Lektüre! Ich verspreche Ihnen, dass es mit dem BDEW auch in Zukunft eine starke Plattform für die energie­politische Debatte im Sinne der Branche und im Sinne des Gelingens der Energie­wende geben wird.

Mit herzlichen GrüßenIhre Hildegard Müller

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Herr Barth, Sie haben nun knapp zwei Jahre lang die Projektgruppe des BDEW zum Thema Marktdesign geleitet. Am 18. September hat der Vorstand des BDEW dazu Beschlüsse gefasst. Sind Sie mit den Ergebnissen zufrieden?

tHoMas bartH Eindeutig ja. Wir haben in den vergan­genen zwei Jahren ein sehr solides und gut durchdachtes Er­gebnis erarbeitet. Das liegt auch daran, dass außerordentlich viele Mitgliedsunternehmen jeder Größe, aber auch viele ex­terne Experten in diesem Prozess intensiv zusammengear­beitet haben. Nun muss es gelingen, die Politik von unseren Vorschlägen zu überzeugen, damit wieder verlässlichere Rahmenbedingungen entstehen. Das ist gut für die Energie­wende und den Standort Deutschland, natürlich auch für die Unternehmen im BDEW, die die Energieversorgung sicher­stellen sollen.

Wie sind Sie bei der Suche nach der richtigen Lösung vorgegangen?

bartH Erstens war wichtig, dass die ganze Breite der Gre­mienstruktur des BDEW einbezogen wurde. Das hat sich sehr bewährt. Zu Beginn haben wir intensiv analysiert und einen klaren Zeitrahmen und Stufenplan für mögliche Lö­sungsansätze erstellt.

Wir haben uns mit allen vorhandenen Modellen für Kapazitätsmärkte befasst. Wir haben eindeutige Kriterien entwickelt, einen klaren Zusammenhang zu der zukünfti­gen Förderung der Erneuerbaren Energien hergestellt und nun sehr konkrete Vorschläge zum EEG gemacht. Wir haben alle Varianten der Verantwortung für Versorgungssicherheit von den Übertragungsnetzbetreibern bis zu den Vertrieben diskutiert. Es war sehr gut, dass wir die Auswirkungen aller Überlegungen speziell auch auf kleinere Unternehmen dis­kutiert haben. Denn die Akteursvielfalt in der Energiewirt­schaft ist für den BDEW existenziell wichtig. Wir haben uns schließlich intensiv mit der Einbettung all unserer Überle­gungen in eine europäische Energiepolitik beschäftigt.

Die Energiewende ist eine große Herausforderung für die Unternehmen der Stromwirtschaft. Mit dem bis­herigen Marktdesign ist eine sichere Versorgung nicht mehr gewährleistet. Der BDEW hat sich in seinen Gremien intensiv mit den Folgen befasst. Thomas Barth, Vorsit­zender der Projektgruppe Marktdesign und des Lenkungs­kreises Energie­ und Umweltpolitik, über das Ergebnis eines umfassenden Entscheidungsprozesses.

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Einmal provokant gefragt: Brauchen wir wirklich ein neues Marktdesign? Müssen in einer marktwirtschaftli-chen Ordnung nicht die Unternehmen selbst in der Lage sein, sich auf veränderte Verhältnisse auf dem Markt einzustellen?

bartH Provokant geantwortet: Das könnten wir auch, wenn man uns ließe. Aber das derzeitige Fördersystem der Er­neuerbaren Energien hat das gesamte Versorgungssystem an die Grenzen geführt, technisch und kostenmäßig. Der Rah­men muss wieder stimmig gemacht werden, dann werden die Unternehmen auch wieder in unternehmerischer Verantwor­tung die besten und effizientesten Lösungen entwickeln.

Die gegenwärtige Debatte um die Lage auf dem Energie-markt kreist in erster Linie um den Begriff Versorgungs-sicherheit. Das ist aber ein sehr schwammiger Begriff. Bislang gibt es keine präzise Definition, was Versor-gungssicherheit eigentlich bedeutet. Was meinen Sie, wenn Sie von „Versorgungssicherheit“ sprechen?

bartH Im Kern geht es um die Frage, wie wir in Zukunft sicherstellen, dass jederzeit ausreichend gesicherte Leistung zur Verfügung steht, um auch die Situationen bewältigen zu können, in denen der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Durch den stetig wachsenden Anteil fluktuierender Energien ist diese Absicherung immer weniger gegeben. Es ist zunehmend absehbar, dass das Gut „gesicherte Leistung“ einer eigenständigen Betrachtung bedarf. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Dieses neue System muss marktbreit und technologieoffen sein, damit es effizient und kostengünstig ist. Es soll dezentral organisiert sein und den Vertrieben Möglichkeiten geben, im Gespräch mit ihren Kunden neue Produkte und Ideen zu entwickeln, wie man die erforderliche Menge an gesicherter Leistung reduzieren kann. Hier steckt viel Innovationspotenzial.

Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Vorschlägen für Ka-pazitätsmechanismen und eine Reform der Förderung der Erneuerbaren Energien. Kommt der BDEW da nicht ein bisschen spät?

bartH Nein, der Zeitpunkt jetzt zur ersten Bundestags­wahl seit der Energiewende ist genau richtig. Man soll Vor­schläge mit einer solchen Tragweite nur dann machen, wenn man guten Gewissens sagen kann, dass sie gelingen können. Es gab und gibt in der Debatte viele Schnellschüsse. Manche Ideen, die ganz früh auf dem Markt waren, haben viel Wirbel verursacht, wurden dann aber still wieder in die Schublade geschoben, weil man schnell merkte, dass sie zu kurz griffen. Wie man es auch dreht und wendet: Kapazitätsmechanismen oder ­märkte sind komplexe und in der Regel irreversible Eingriffe in bestehende Strukturen. Das ist kein Thema für schnelle Profilierung. Hier ist Substanz gefragt.

Die Reform des deutschen Energiemarktes muss auf zahlreichen Baustellen angegangen werden. Lässt sich da ein schlüssiges Gesamtkonzept entwickeln?

bartH Sie haben erst mal Recht mit den vielen Baustellen. Wir haben aber eine ganze Reihe dieser Punkte in unserem Positionspapier adressiert. Bessere Rahmenbedingungen für den Ausbau der Netze oder auch ambitionierte CO2­Redukti­onsziele auf europäischer Ebene gehören unbedingt dazu. Aber eines ist klar: Ohne eine neue Ordnung für gesicherte Kraftwerksleistung und ohne Neuregelung für die Förderung der Erneuerbaren Energien würde alles Übrige Makulatur bleiben. Diese beiden Punkte müssen sofort angegangen werden. Dazu haben wir einen klaren Vorschlag gemacht. Unmittelbar nach der Bundestagswahl kann die Bundesre­gierung nun Klarheit schaffen und damit wieder für Orien­tierung sorgen.

Ausgangspunkt für die Energiewende war – neben dem Abbau der Importabhängigkeit bei Energierohstoffen und dem Ausstieg aus der Kernenergie – die Senkung der Treibhausgasemissionen. Dafür steht mit dem europä-ischen Emissionshandelssystem ein marktwirtschaftli-ches und flexibles Instrument zur Verfügung. Kann das nicht „Leitplanke“ für den künftigen Energiemarkt sein?

bartH Absolut. Das würden wir uns alle wünschen. Doch das können wir nicht im Alleingang festlegen. Hier muss sich die Bundesregierung in der EU engagieren. Der BDEW hat sich ganz klar für ambitionierte CO2­Reduktionsziele über das Jahr 2020 hinaus ausgesprochen, auch im Rahmen unserer Arbeiten an einem zukünftigen Marktdesign.

tHoMas bartH

ist seit 1. Juli 2013 Vorstandsvorsitzender der E.ON Energie AG in München. Bevor er 1989 zur E.ON Bayern AG wechselte, war er im bayerischen Umwelt­ministerium tätig. Im BDEW ist er Vorsitzender der Projektgruppe Markt­design und des Lenkungskreises Energie­ und Umweltpolitik.

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Die Förderung der Erneuerbaren Energien auf der Basis des EEG gilt als zentrale Baustelle im gegenwärtigen Ener-giemarkt. Wie muss eine Reform des EEG grundsätzlich aussehen, damit sie auch künftigen Ansprüchen genügt?

bartH Im Kern der Reform des EEG muss eine stärkere Marktintegration stehen. Das geht über die verpflichtende Direktvermarktung für Neuanlagen. Zu unserem Zielmodell gehört aber auch die wettbewerbliche Ermittlung der Förder­höhe zum Beispiel im Rahmen einer Auktion und mit einem definierten Zubaupfad für Erneuerbare Energien. Und es muss eine Synchronisation des Ausbaus der Netze und der Erneuerbare­Energien­Anlagen geben. Das, was der BDEW dazu auf den Weg gebracht hat, ist sehr konkret. Das Ergeb­nis wird mehr Wettbewerb und mehr Effizienz sein. Dadurch steigert sich der Mehrwert des von Erneuerbare­Energien­Anlagen erzeugten Stroms und die Kosten für deren Ausbau werden sich an der unteren Grenze orientieren.

Welche Anforderungen werden in einem neuen Markt-design an die Netze gestellt?

bartH Das eine ist der Ausbau der Netze. Hier sind wir mit den Rahmenbedingungen durch den Netzentwicklungs­plan und das Bundesbedarfsplangesetz gut vorangekom­men. Wichtig ist aber auch, dass die Anreizregulierung der­art gestaltet wird, dass sie dem Gelingen der Energiewende dient. Die Abschaffung des Zeitverzugs für Verteilnetzbetrei­ber und die Anerkennung von Innovationen zum Beispiel sind von zentraler Bedeutung. Aber es gibt noch etwas, das wir unbedingt verändern müssen: Bei den Netzentgelten be­darf es einer stärkeren Leistungskomponente, denn der Lö­wenanteil der Kosten sind Fixkosten. Es gibt einen dramati­schen Trend der Entsolidarisierung vor allem durch Eigenerzeugung. Hier konkrete Lösungen zu finden, ist nicht ganz einfach, doch der BDEW arbeitet daran und wird bald konkretisierte Vorschläge vorlegen.

Was macht Sie so sicher, dass Sie jetzt die richtigen Ange-bote für die Politik auf den Tisch legen?

bartH Es ist die Ernsthaftigkeit und die Tiefe, mit der wir uns in den vergangenen zwei Jahren mit all den Fragen be­fasst haben. Es ist aber auch die wachsende Zustimmung zu manchen unserer Positionen, die wir bereits mit anderen Ak­teuren diskutiert haben. Die verpflichtende Direktvermark­tung bei den Erneuerbaren Energien hat viele Unterstützer: im BMWi, im BMU, aber auch in anderen Branchenverbän­den und in vielen Bundesländern. Die von uns schon seit län­gerem geforderte Strategische Reserve als Absicherung für die Zeit des Übergangs – und übrigens auch als Indikator zur Aktivierung des von uns vorgeschlagenen dezentralen Leis­tungsmarktes – findet ebenfalls zunehmend Unterstützung. Der BDI spricht sich dafür aus, das BMU, der BEE und zuletzt auch der Vorsitzende des Bundeskartellamts. Die Art und Weise, wie wir unsere Positionen erarbeitet haben, schafft Vertrauen auch bei denen, die wir jetzt für die Umsetzung ge­winnen wollen. Das ist eine gute Basis für Zuversicht.

Man hat den Eindruck, dass die gegenwärtige Diskus-sion um das künftige Marktdesign in Deutschland sehr stark national geprägt ist. Dabei ist der deutsche Strom-markt doch jetzt schon stark mit anderen europäischen Strommärkten verbunden. Wäre es nicht angebrachter, deshalb gleich ein „europäisches Marktdesign“ zu ent-wickeln? Das könnte doch möglicherweise auch gleich einige Probleme, die mit einer nationalen Lösung ver-bunden sind, beseitigen.

bartH Wir dürfen mit Fug und Recht behaupten, dass wir uns stark für eine europäische Lösung einsetzen. Denn dies wäre natürlich eine bessere Lösung. Doch der Handlungs­druck in Deutschland ist groß. Wir können nicht mehr lange warten, müssen bei unseren Vorschlägen aber den europäi­schen Binnenmarkt berücksichtigen. Wir hoffen, dass die neue Bundesregierung sich in diesem Sinne in Europa für mehr Gemeinsamkeiten einsetzt.

» die akteursvielfalt in der energiewirtscHaft ist für den bdew existenZiell wicHtig.«

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auf der sucHe nacH deM gleicHgewicHtDas alte Marktdesign in der Stromwirtschaft kann die He­rausforderungen durch die Erneuerbaren Energien mittel­fristig nicht mehr bewältigen. Doch was soll an die Stelle treten? Muss es gleich ein ganz neues System sein? Eine Diskussion zwischen Praktikern und Wissenschaftler.

Brauchen wir ein neues Marktdesign? Ließen sich die Probleme, die auf absehbare Sicht entste-hen können, nicht auch auf andere Weise lösen?

dr. Marco nicolosi Für die Bewältigung der Übergangsphase sind einige Maßnahmen not­wendig und auch einige bereinigende Marktreak­tionen. Die daraus resultierenden Herausforde­rungen könnten meines Erachtens auch in einem Energy Only Markt (EOM) gelöst werden, wenn die damit einhergehenden Knappheits­Preissignale akzeptiert werden.

dr. gerHard HoltMeier Ich bin da deutlich pessimistischer als Herr Nicolosi, da meines Erach­tens nach ein reiner EOM nicht mehr ausreicht. Die Folgen sehen wir bereits heute. Einzelne Kraftwerke müssten aus wirtschaftlichen Gründen bereits jetzt stillgelegt werden. Ziel muss es daher vielmehr sein, dass wir insgesamt wieder einen funktionierenden Markt bekommen, auf dem jeder Teilnehmer wieder wirtschaftlich agieren kann, um auch seinen Beitrag zur Versorgungssicherheit zu leisten. Der EOM ist an seine Grenzen gekommen. Durch politische Ent­scheidungen/Eingriffe, insbesondere zur CO2­Re­duktion, sind fatale Marktsignale gesetzt worden.

gregor pett Theoretisch kann auch der heu­tige EOM das Problem sicher lösen. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass wir durch die Einspei­sung von Strom aus EE-Anlagen und den unkont­rollierten Zubau aus dem Gleichgewicht gekom­men sind. Wir benötigen konventionelle Kraft werke als Backup für sonnen­ und windarme Stunden. Zwischen dem von Herrn Nicolosi ge­nannten Preissignal und der Inbetriebnahme neu­er Kapazitäten liegen nun einmal mehrere Jahre. Es kann zu erheblichen Störungen der Versor­gungssicherheit kommen. Die Frage ist, ob die Ge­sellschaft das hinzunehmen bereit ist. Der BDEW ist der Ansicht, dass sie dazu nicht bereit ist. Wir brauchen deshalb eine Alternative.

Was schlagen Sie vor?

HoltMeier Wir müssen komplett neu denken. Wir müssen von der Absatzseite her kommend das Problem lösen. Wir dürfen nicht nur die Erzeu­gungsseite betrachten, sondern müssen die Gesamt­ziele, also beispielsweise auch die EU-Ziele 20:20:20, im Auge behalten. Dazu gehören dann auch Energie­effizienz, der Verkehr und weitere Bereiche, wie der Wärmemarkt auf der Verbraucherseite.

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Kann das nicht über Preise gelöst werden?

HoltMeier Gegenwärtig gehen die Preise ten­denziell weiter nach unten. Viele konventionellen Kraftwerke sind deshalb nicht mehr im Geld. Sie müssten den Betrieb aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen einstellen. Volkswirtschaftlich mag das ja in Ordnung sein. Doch ob man das am In­dustriestandort Deutschland will, ist eine ganz andere Frage. Will man, bildlich gesprochen, wirklich eine Operation am offenen Herzen ma­chen? Ich fürchte, die Kollateralschäden, die wir dadurch auslösen, sind wesentlich größer. Des­halb müssen wir uns zwei Fragen stellen: Wie kommen wir über die nächsten zwei, drei Jahre? Und zweitens: Schaffen wir es, ein deutsches und dann auch ein mit Europa kompatibles Energie­marktdesign zu etablieren, bei dem es sich wieder lohnt, zu investieren?

Ist das nicht aber eine normale Entscheidungs-situation für einen Unternehmer?

pett Ich kenne keinen Unternehmer, der unter den heutigen Randbedingungen für die Elektrizi­tätswirtschaft investieren würde.

HoltMeier Die Randbedingungen sind nicht stabil. Wir haben einen Reigen kurzfristiger, sich wi­dersprechender politischer Entscheidungen erlebt, die eine solche Unsicherheit ausgelöst haben, dass Sie heute nicht mehr guten Gewissens Investitions­entscheidungen für 20, 30 Jahre treffen können.

pett Es gibt mehrere fundamentale Gründe da­für, dass das System nicht mehr funktioniert: Ne­ben dem Ziel der CO2­Reduktion hat die Politik auch noch Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren gesetzt. Der zweite Grund sind die langen Zubau­zeiten für neue Kraftwerke. Dadurch kann das Sys­tem nicht schnell genug auf den zügellosen Zubau der EE-Anlagen reagieren. Und drittens haben wir es mit einer (noch) sehr inflexiblen Nachfrage zu tun, die auch auf hohe Preise nicht mit ‚Kauf‘­Zu­rückhaltung reagiert. Diese Fundamentalfaktoren führen dazu, dass es ein sehr holpriger Weg wer­den würde, wenn wir uns allein auf den heutigen EOM verlassen würden.

nicolosi Ich stimme Herrn Pett in seiner Ana­lyse zu. Wir haben große Unsicherheiten in dem Transformationsprozess: Wir wissen nicht, wann Kraftwerke zugebaut und wann welche stillgelegt werden. Wir haben nur eine eingeschränkte Plan­

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barkeit von Netzzubauten. Und wir wissen nicht, wie lange es dauert, bis die Nachfrage flexibler ge­worden ist und welchen Effekt Energieeffizienz­maßnahmen haben werden. Deshalb sollte man in dieser Situation mit temporären Maßnahmen ar­beiten und nicht jetzt schon Entscheidungen tref­fen, die letztlich in einem irreversiblen Pfad enden.

Herr Holtmeier, wo müsste fundamental an-gesetzt werden, um das System wieder einiger-maßen ins Gleichgewicht zu bringen?

HoltMeier Leistung muss wieder einen Wert bekommen. Wir müssen den Kunden dazu bringen, dass er sich überlegt, wie viel Leistung er haben will, was ihm das wert ist. Dann bekommen wir mehr Flexibilität auf der Absatzseite. Heute ist das noch nicht möglich, weil wir Standardlastprofile haben.

Dient das der so oft beschworenen Versor-gungssicherheit?

HoltMeier Versorgungssicherheit ist ein ho­hes Gut in einer hochtechnisierten Nation wie Deutschland. Eine Studie des Büros für Technik­folgenabschätzung beim Deutschen Bundestag geht bei einem landesweiten Stromausfall von ei­nem wirtschaftlichen Schaden zwischen 20 und 30 Milliarden Euro pro Tag aus. Daher wollen wir ei­

nen Markt haben, der wettbewerblich organisiert ist, der in den europäischen Binnenmarkt passt und in dem der Kunde motiviert wird, für Versor­gungssicherheit, das heißt die Vorhaltung von Leistung, zu zahlen.

pett Diesen Markt müssen wir mit marktwirt­schaftlichen Instrumenten erreichen. Das Modell eines dezentralen Leistungsmarktes, auch Versor­gungssicherheitnachweiß (VSN)­Modell genannt, hat zahlreiche Elemente, die es marktwirtschaftli­cher machen als viele andere Modelle. Es ist dezen­tral, der Preis bildet sich auf dem Markt, der Kun­de erhält Anreize, bei Knappheit seinen Verbrauch zu verlagern oder zu vermeiden. Damit wird der EOM aber nicht abgelöst. Er ist weiter ein Bestand­teil des Systems. Er sorgt dafür, dass europaweit die Kraftwerke zum Zug kommen, die auf Grenz­kostenbasis die effizientesten sind. Das muss auch so bleiben.

Verabschieden Sie sich damit von der Strate-gischen Reserve?

pett Die kann eine Brückenfunktion überneh­men für die Zeit, in der andere Mechanismen noch nicht greifen.

nicolosi Alle genannten Unsicherheiten las­sen sich durch eine geografisch ausgestaltete tem­poräre Strategische Reserve adressieren. Dadurch würden wir auch in der Übergangsphase der Effizi­enz und der Innovationsfreude des Marktes nicht schaden. Auf große Eingriffe würden wiederum Phasen der Unsicherheit und der Nachjustierung folgen. Ein langfristig tragfähiges Marktdesign sollte sich in den wesentlichen Interdependenzen selbst regulieren und mit einem Mindestmaß an staatlichen Vorgaben, Eingriffen oder Nachjustie­rungen auskommen.

Eine zentrale Forderung in der aktuellen Diskussion um die Zukunft des Energiemark-tes ist die Direktvermarktung des Stroms aus Erneuerbaren. Ist das heute schon möglich?

pett Das ist ohne Weiteres möglich. Und wenn es dazu kommt, würden EE-Anlagen nicht mehr bei negativen Preisen ungehindert in den Markt liefern. Das ist volkswirtschaftlich sinnlos.

HoltMeier In der Merit Order ist PV oder Windenergie immer ganz vorn. Erst dann kom­men die konventionellen Kraftwerke. Bei einer ver­pflichtenden Direktvermarktung brauche ich dann keinen Einspeisevorrang mehr. Das wäre normale Marktwirtschaft.

dr. Marco nicolosi hat am Energiewirtschaftlichen Institut der Universität zu Köln promoviert und ist Geschäftsführer von Connect Energy Economics GmbH.

dr. gerHard HoltMeierist promovierter Jurist und seit 2010 Mitglied des Vorstands der Thüga Aktiengesellschaft; beim BDEW ist er Mitglied des Lenkungs­kreises Gas.

gregor pettist diplomierter Physiker und seit 2008 Senior Vice President (Bereichsleiter) Commercial Operations and Analysis der E.ON SE; beim BDEW Mitglied der Projektgruppe Markt­design und Vorsitzender des Lenkungskreises Energiehandel.

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Bedeutet das, dass auch die Förderung weg-fallen sollte?

pett Wir schlagen nicht vor, die Förderung kurz­fristig auszusetzen. Es müssen Lösungen gefunden werden, um die Effizienzpotenziale zu heben.

HoltMeier Denkbar wären hier beispielswei­se einmalige Investitionszuschüsse, die über die Laufzeit gestreckt werden. Mit einem solchen Marktanreizmodell kann man Innovationen un­terstützen, der Investor agiert mit seiner Anlage aber ganz normal im Markt.

Also weiter Ausbau der Erneuerbaren ohne Deckel, ohne Leitplanken?

HoltMeier Drei Aspekte sollten stärker be­achtet werden. Zum einen die Regelbarkeit einer Anlage – wie es bei Biogas der Fall ist – und die Speicherbarkeit des erzeugten Stroms. Eine Wind­anlage, die mit einem Speicher gekoppelt ist, ist besser als eine ohne Speicher. Zum Zweiten muss der weitere Ausbau Rücksicht auf die Netzsituati­on nehmen. Und zum Dritten darf der Zubau der Erneuerbaren nicht mehr länger zufallsgetrieben erfolgen, sondern muss entsprechend den politi­schen Zielvorgaben gesteuert werden.

pett Der Ausbau der Erneuerbaren muss künf­tig stärker unter wirtschaftlichen Aspekten erfol­gen. Dazu gehören, wie schon erwähnt, die ver­pflichtende Direktvermarktung, eine bessere Anpassung an den technischen Fortschritt, Regel­barkeit der Anlagen und Ausbau von Flexibilitä­ten im System sowie bessere Abstimmung mit dem Netzausbau.

Im dezentralen Leistungsmarkt bekommen die Vertriebe und Verteilnetzbetreiber eine zusätz-liche Rolle. Sie müssen vorausschauend Leis-tung beschaffen. Sind sie darauf vorbereitet?

pett In dem VSN-Modell ist das machbar. Das ist zwar Zusatzaufwand, aber der kommt ja nicht von heute auf morgen auf die Vertriebe zu. Die Mitarbeiter haben schon in der Vergangenheit ge­zeigt, dass sie das können und dass sie mit den starken Veränderungen, die der Markt erfahren hat, fertig geworden sind.

Gilt das auch für kleinere Vertriebe?

HoltMeier Das ist sicher eine Herausforde­rung für den Vertrieb. Aber es ist zugleich eine große Chance. Wenn wir es nicht machen als Ener­giewirtschaft, dann machen es andere. Es gibt ge­nügend Dienstleistungsunternehmen, die darauf mit sehr kreativen Modellen antworten werden.

Wie schnell muss etwas passieren, damit etwas passiert?

HoltMeier In Sachen Marktmodell muss sehr schnell nach der Bundestagswahl etwas entschie­den werden. Wir müssen kurzfristig Lösungen finden, weil es sonst sehr bald existenzielle Prob­leme bei Energieversorgern mit Erzeugung geben wird. Das gilt sowohl für große als auch für kleine EVU. Deshalb müssen wir jetzt schon die Diskus­sion über ein mögliches Marktmodell führen, um die Leitplanken so breit anzulegen, dass die Marktwirtschaft das wesentliche Kriterium ist.

pett Wir haben keine Zeit zu verlieren. Bis 2022 ist es aus unserer Sicht gar nicht so weit. Wir be­nötigen sechs Jahre Zeit, um ein Kraftwerk zu bau­en. Deshalb benötigen wir sehr schnell Klarheit. Hinzu kommt, dass die Branche ein gewisses Maß an Verlässlichkeit hinsichtlich der Rahmenbedin­gungen benötigt. Der Rahmen muss stabil sein und die Spielregeln müssen europakompatibel sein. Wir wollen eine wettbewerbliche Lösung, Technologieoffenheit, klares Bekenntnis zu den Zielen, aber auf dem Weg dahin sollten wir die Fle­xibilität und Innovationsmöglichkeiten der Marktwirtschaft nutzen.

nicolosi Die Herausforderung liegt darin, die kurz­ und mittelfristigen Probleme zu lösen, ohne die langfristige effizienteste Lösung aus den Augen zu verlieren. Wir brauchen mittelfristig re­versible Maßnahmen wie die Strategische Reserve, um zu lernen, wie das System sich verändern kann und wie sich die Technologien entwickeln kön­nen, um darauf aufbauend dann ein langfristiges System aufbauen zu können.

HoltMeier Wir brauchen einen stabilen Ord­nungsrahmen zur Entfaltung von wettbewerbli­chen Elementen. Auch unter der Prämisse, dass ein neues Modell immer mit einer gewissen Unsicher­heit behaftet ist, können wir es uns nicht leisten, die kommenden Jahre in einem Versuchsstadium zu verbringen. Wir haben es hier mit einem leben­den System zu tun. Und unsere Aufgabe ist es, die­ses System am Leben zu erhalten. Es ist ein System, das sich weiterentwickelt, das aber auch lange Fris­ten kennt. Deshalb müssen wir heute schon die Weichen stellen, damit wir in zehn, fünfzehn Jah­ren auf der richtigen Seite sind. Aus diesen Grün­den müssen wir heute die Diskussion, wo wir lang­fristig – europakompatibel – hinwollen, führen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich die als Übergangslösung vorgesehene Strategische Reser­ve im Strommarkt perpetuiert. Damit würden viele wettbewerbliche Anreize nicht gehoben.

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wer Muss auf die reservebank?Andreas Mundt, der Präsident des Bundes­kartellamtes, rät zu einem stufen weisen Übergang in eine neue Energiewirtschaft. Ob dann ein Kapazitäts mechanismus notwendig ist, sollte sich aus der Entwick­lung ergeben.

Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Diskussion um ein neues Marktdesign? Hat das noch viel mit Marktwirt-schaft zu tun? Läuft das dem Hüter über den Wettbewerb zu sehr in die falsche Richtung?

andreas Mundt Die Energiewirtschaft muss auch in Zukunft marktwirtschaftlich organisiert sein. Es ist einfach nicht möglich, einen so komplexen Markt wie den Energie­markt durchzuregulieren. Die Energiewende kann nicht vom Staat ausgestaltet werden. Das können die Marktteilnehmer viel besser und effektiver. Aufgabe des Staates ist es, dafür die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen und wettbe­werbliche Elemente zuzulassen.

Der Trend scheint aber gegenwärtig eher in Richtung noch mehr Regulierung zu laufen.

Mundt Vor allem im Rahmen der Förderung der Erneuer­baren Energien hat man von Beginn an nur auf staatlich ge­setzte Anreize vertraut. Das mag zu Beginn angemessen ge­wesen sein, kann aber sicher keine Dauerlösung sein. Eine Reform ist überfällig und sie wird nach der Wahl auch kom­men. Aber eine solche Reform braucht einen klaren Kom­pass. Und dieser Kompass kann nur Wettbewerb heißen. Wenn die Marktteilnehmer die künftige Richtung anhand ei­ner klaren ordnungspolitischen Linie einschätzen können, dann vertragen sie bei auftretenden Fehlentwicklungen auch schon einmal kleine Kurskorrekturen.

Hören wir hier eine leichte Kritik an der Energiepolitik der letzten Jahre heraus?

Mundt Die Energiewende ist ein riesiges Projekt. Fehlent­wicklungen in der Energiewirtschaft sind auch deshalb so schwer zu erkennen gewesen, weil die Prognosen oft völlig falsch waren. So ist der Ausbau der Erneuerbaren viel schnel­ler gegangen als ursprünglich vermutet. Dies hat zu den be­kannten Problemen beim Netzbetrieb und der konventionel­len Erzeugung geführt. Außerdem sind die Preise durch die hohen Kostensteigerungen bei der EEG-Umlage aus dem Ruder gelaufen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Marktakteure vieles besser machen würden, als es die Politik planen kann. Deshalb braucht die Energiewende mehr wett­bewerbliche Elemente.

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Ist Ihr klares Bekenntnis zur marktwirtschaftlichen Orientierung in der Energiepolitik zugleich ein Appell für so wenig Regulierung wie möglich?

Mundt Ich bin gewiss nicht blauäugig. Bestimmte staatli­che Eingriffe sind im Energiesektor unvermeidlich. Es ist be­reits so viel reguliert worden, dass man jetzt nicht einfach alles dem Markt überlassen kann. Markt und Regulierung müssen aber ineinander greifen, miteinander verzahnt wer­den. Die Regulierung aus dem EEG jetzt auch noch auf die konventionelle Erzeugung zu übertragen, wäre ein großer Fehler. Es muss möglichst das Umgekehrte passieren: Die bisher wettbewerbliche Struktur des Energiemarktes muss auf das EEG übertragen werden.

Wo sehen Sie die wichtigsten Ansatzpunkte für eine stär-kere wettbewerbliche Ausrichtung des EEG?

Mundt Erstens ist der Einspeisevorrang entbehrlich. Zu­mal er auch keine entscheidende Rolle mehr spielt. Das Zwei­te ist, dass man zur Direktvermarktung übergeht. Die EEG-Betreiber müssen sich genau wie andere Erzeuger nach Angebot und Nachfrage richten. Das hätte auch den Nebenef­fekt, dass sich EEG-Anlagenbetreiber, die in der Pflicht stün­den zu liefern, um Ersatzkapazitäten kümmern müssten, wenn ihre Anlage mal keinen Strom liefern kann. Das wiede­rum hätte positive Auswirkungen auf den konventionellen Kraftwerksmarkt, und zwar ohne dass man dies regulieren müsste. Drittens wird es zwar ohne Förderung nicht gehen,

andreas Mundt

hat nach dem 2. Staatsexamen im Bundes­ministerium für Wirtschaft die Integration der neuen Bundesländer begleitet und ist seit 2009 Präsident des Bundeskartellamtes.

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aber das Fördersystem müsste deutlich wettbewerblicher ausgestaltet werden. Denkbar ist beispielsweise ein Umstieg auf ein sorgsam konzipiertes Versteigerungsmodell.

Käme für Sie auch ein Quotenmodell infrage, wie es bei-spielsweise die Monopolkommission in ihrem jüngsten Gutachten vorgeschlagen hat?

Mundt Wenn wir auf der grünen Wiese beginnen wür­den, wäre dies unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten das richtige Modell. Ich halte es aber für schwierig, neben dem weiterwirkenden heutigen EEG-Modell ein völlig neues System zu etablieren. Ein solcher abrupter Systemwechsel dürfte, auch unter politischen Gesichtspunkten, nur sehr schwer möglich sein. Auch um ganz am Ende der Diskussion zu einem notwendigen Konsens mit allen Beteiligten zu ge­langen, halte ich es für zielführender, hier die Stellschrau­ben, die das heutige System bietet, in die richtige Richtung zu drehen.

Soll man schnell drehen oder mit Gefühl?

Mundt Es ist bislang auch die beachtliche Geschwindig­keit der Energiewende, die uns vor große Probleme stellt. Je schneller der Prozess abläuft, umso schwieriger ist er zu be­herrschen. Eine gewisse Steuerung des Ausbautempos wür­de auf vielen Gebieten den Anpassungsprozess erleichtern. Der technische Fortschritt, zum Beispiel bei der Speicher­technologie, könnte zielführender eingebunden werden. Die Probleme der Netzanbindung und Übertragung hätten mehr Zeit, um gelöst zu werden. Es würde auch die Einbettung des Prozesses in die europäische Entwicklung erleichtern.

Für den Übergang müssen aber Vorkehrungen getroffen werden, damit weiterhin die Versorgungssicherheit ge-währleistet ist. Sie favorisieren hierfür die sogenannte Strategische Reserve.

Mundt Wenn tatsächlich ein solcher Bedarf besteht, wür­den wir ein Modell favorisieren, das den Markt so wenig wie möglich beeinträchtigt und wettbewerblich ist. Auch sollte es reversibel sein, für den Fall, dass die Entwicklung anders verläuft als prognostiziert. Diese Ansprüche erfüllt das Mo­dell der Strategischen Reserve recht gut. Es greift, lassen Sie es mich so sagen, ‚mikroinvasiv‘ in den Markt ein, lässt Wett­bewerb zu, man kann punktuell nachsteuern und es versperrt nicht die Optionen für die Zukunft.

Eine staatliche Instanz müsste aber feststellen, wie hoch die Reserve sein soll.

Mundt Ganz ohne regulatorische Festlegungen kommt na­türlich auch eine Strategische Reserve nicht aus. Die Frage ist aber stets, wie stark man in den Markt eingreift, um ihn funkti­onsfähig zu halten. Dies ist bei einer Strategischen Reserve im Vergleich zu Kapazitätsmärkten deutlich weniger der Fall.

Können wir es uns denn angesichts der langen Investiti-onszeiten in der Energiewirtschaft leisten, mit der For-mulierung eines nachhaltigen und für lange Zeit dann auch geltenden Modells eines neuen Marktdesigns uns noch Zeit zu lassen?

Mundt Noch sind Prognosen, die eine Kapazitätslücke vor­hersagen, mit ganz erheblichen Unsicherheiten behaftet. Der Markt weist zudem nicht unerhebliche Überkapazitäten auf. Wir plädieren daher dafür, stufenweise vorzugehen. Zunächst sollte der Energy Only Markt fortentwickelt und vor allem die Reform des EEG angegangen werden. Allein dies verändert den heutigen Markt erheblich. Wenn erforderlich, kann man in einer zweiten Stufe die Versorgungssicherheit mit einer Strategischen Reserve absichern. Und wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, sollte man in einer dritten Stufe als Ultima Ratio einen Kapazitäts­markt einführen. Möglicherweise reichen aber ja schon die Preis­signale in einem weiterentwickelten Energy Only Markt aus, um die Investitionen, die wir für die Zukunft benötigen, auszulösen. Die Möglichkeiten des bisherigen Marktdesigns mit einem ver­änderten EEG halte ich bei weitem nicht für ausgeschöpft.

Dennoch wird – auch in der Politik – über einen Kapa-zitätsmarkt nachgedacht. Welchen Kriterien müsste der denn folgen?

Mundt Er muss so viele wettbewerbliche Elemente ent­halten wie möglich. Er muss europäisch ausgerichtet sein. Nationale Kapazitätsmärkte können im europäischen Bin­nenmarkt zu erheblichen Marktverzerrungen führen. Ein Ka­pazitätsmarkt muss für alle Flexibilitäten – auch Lastma­nagement und Speicher – Anreize bereithalten, also nicht nur die Erzeuger, sondern auch die Nachfrageseite berück­sichtigen. Schließlich muss er technologieneutral und trans­parent sein, damit sich der Wettbewerb auch entfalten kann.

Entspricht ein Leistungsmarkt Ihren Anforderungen?

Mundt Ich will jetzt für kein Modell eine Lanze brechen, doch kann ich mir vorstellen, dass die Idee von dezentralen Leistungsmärkten bei der Konzeption eine Rolle spielen kann, falls sich Kapazitätsmärkte auch nach den ersten Re­formstufen als unabweisbar erweisen sollten.

Wird die europäische Dimension bei der gegenwärtigen Diskussion genügend gewürdigt?

Mundt Die Kommission hat hier nicht so viele Kompe­tenzen. Aber ich hielte eine stärkere Rolle der EU-Kommissi­on für sinnvoll. Bislang hört man viele Mahnungen aus Brüs­sel, aber die Kommission müsste die verschiedenen Akteure jetzt an einen Tisch bringen. Ich weiß, dass das schon in Deutschland schwierig genug ist angesichts der sehr unter­schiedlichen Interessen und Ausgangsbedingungen. Aber versuchen muss man es, denn nationale Alleingänge sind bei vielen der anstehenden Fragen und Probleme nicht sinnvoll und konterkarieren die Erfolge, die wir bislang auf den euro­päischen Strommärkten erarbeitet haben.

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der kapaZitätsMarkt ist langfristig angelegt.Investitionen in der Energiewirtschaft benötigen langfristig stabile und verlässliche Rahmenbedingungen. Auch für den Kapazitätsmarkt gilt deshalb, dass er über lange Zeiträume verlässliche und transparente Marktregeln und Preissignale aufweist, um Investitionsanreize zu schaffen. Nur in Aus­nahmefällen dürfen die Regeln geändert werden, diese Fälle müssen vorher festgelegt werden. Änderungen beziehen sich nur auf noch nicht realisierte Investitionen.

der kapaZitätsMarkt ZeicHnetsicH durcH einen robusten MecHanisMus aus.

Weil der Kapazitätsmechanismus über einen langen Zeitraum gelten soll, muss er so gestaltet sein, dass er auch bei sich än­dernden Bedingungen im gewünschten Sinn funktioniert. Auch Fehler, die im Vorfeld gemacht werden, dürfen sich nicht nach­teilig auf den Mechanismus auswirken. Je mehr selbstregulierende Elemente der Kapazitätsmechanismus enthält, umso weniger sind – wiederum fehleranfällige – regulatorische Eingriffe notwendig.

der kapaZitätsMarkt erMöglicHt europäiscHe lösungen.

Der deutsche Strommarkt ist eng mit den anderen zentraleuro­päischen Märkten verflochten. Andererseits treten Leistungs­knappheiten nicht gleichzeitig in allen EU-Ländern auf. Deshalb sollte ein Kapazitätsmechanismus in Deutschland so angelegt sein, dass er auf ausländische Kapazitäten zugreifen kann, aber auch Leistung bereitstellt, wenn in anderen Ländern Knappheit besteht. Dadurch kommt es zu einem effektiven Einsatz der Kapa­zitäten auf europäischer, zumindest aber auf regionaler (zent­raleuropäischer) Ebene. Hierzu bedarf es eines gemeinsamen Ver­ständnisses von Versorgungssicherheit sowie eines koordinierten Einsatzregimes.

der kapaZitätsMarkt erstrecktsicH über den gesaMten Markt.

Bestands­ und Neuanlagen werden vom Kapazitätsmarkt ebenso erfasst wie nachfrageseitige Maßnahmen oder Speicher. Keine Technologie wird von der Teilnahme am Kapazitäts­markt ausgeschlossen. Für die Vergütung auf dem Kapazitäts­markt ist ausschließlich das Produkt „Beitrag zur gesicherten Stromversorgung“ maßgeblich.

der kapaZitätsMarkt ist praktikabel und einfacH uMZusetZen.

Aufgabe des Kapazitätsmarktes ist es ausschließlich, eine sichere Versorgung zu gewährleisten. Andere Aufgaben wie beispielsweise der Klimaschutz erhöhen die Ineffizienz ebenso wie zu hohe regula­torische Vorgaben. Um Effizienzen und Innovationen bestmöglich ausschöpfen zu können, sollte ein Kapazitätsmarkt Marktmecha­nismen so weit wie möglich in den Vordergrund stellen.

der kapaZitätsMarkt ist soweit wie MöglicH Markt-wirtscHaftlicH organisiert.

Bei der Implementierung wie der Durchführung des Kapazitäts­mechanismus wird auf hohe Kosteneffizienz geachtet. Markt­signale können sich frei entfalten, die unterschiedlichsten Anbie­ter können zum Zuge kommen. Der Kapazitätsmechanismus führt Angebot und Nachfrage von Versorgungssicherheit zusam­men und sorgt so für einen Marktpreis für das Produkt: sichere Versorgung.

der kapaZitätsMarkt dient ausscHliesslicH der versorgungssicHerHeit.

Er stellt sicher, dass zu jeder Zeit die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann. Wichtig für einen nicht nur effektiven, sondern auch effizienten Kapazitätsmechanismus ist die Fokus­sierung auf ein Ziel: die Versorgungssicherheit. Eine Überfrach­tung mit weiteren Zielen, wie zum Beispiel Klimaschutz, führt zu unnötiger Komplexität und Ineffizienz. Dafür stehen andere Instrumente wie zum Beispiel der EU-Emissionshandel zur Verfügung.

Mit der zunehmenden Einspeisung von Strom aus Anlagen, die Erneuerbare Energien nutzen, wird es für konventionelle Erzeugungsanlagen immer schwieriger, auf die notwendige Benutzungsstundenzahl zu kommen, um ihre Kosten zu de­cken. Zudem drückt der Strom aus Erneuerbaren­Anlagen, der in den meisten Fällen zu Grenzkosten nahe null erzeugt wird, die am Spot­ wie auch am Terminmarkt zu erzielenden Erzeugungsmargen deutlich nach unten.

Andererseits sind konventionelle Kraftwerke auch in einem Erzeugungsmarkt, der von Erneuerbaren­Anlagen be­stimmt wird, weiter notwendig, um dann, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, eine sichere Versor­gung mit Strom aufrechtzuerhalten.

Deshalb wird seit einiger Zeit über die Installation von so­genannten Kapazitätsmechanismen diskutiert. Es gibt eine Reihe von Vorschlägen für Kapazitätsmechanismen. Sie sol­len sicherstellen, dass Leistung entsprechend ihrem Wert entlohnt wird und dass genügend Anreize gesetzt werden, damit Bestandsanlagen weiterbetrieben und Investitionen in neue Anlagen vorgenommen werden. Viele dieser Model­le weisen aber Defizite in Bezug auf die Effektivität und ihre Effizienz auf.

Der BDEW hat deshalb allgemeine Anforderungen for­muliert, die an einen Kapazitätsmechanismus gestellt wer­den müssen, der auch langfristig die Versorgungssicherheit auf dem Strommarkt sicherstellen kann.

kriterien für kapaZitätsMärkte

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ein Markt sorgt für leistung

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Im gegenwärtigen Energy Only Markt (EOM) wird allein Arbeit, das heißt die Lieferung von Strom, vergütet. Kraftwerke, die für den Fall bereitge­halten werden, dass nicht genügend Strom aus Erneuerbaren­Anlagen ins Netz eingespeist wird, kommen wegen des Einspeisevorrangs Erneuer­barer Energien und dadurch sinkender Betriebs­stunden und Margen am Strommarkt zunehmend weniger bis nicht mehr ins Geld.

Abhilfe soll ein dezentraler Leistungsmarkt schaffen. Er beruht auf einem umfassenden Kapa­zitätsmarkt, der alle Anbieter von gesicherter Leis­tung umfasst. Das sind konventionelle Kraftwerke, Kraft­Wärme­Kopplungsanlagen, Speicher, aber beispielsweise auch steuerbare Erneuerbare­Ener­gien­Anlagen. Diese Kraftwerke können auf einem Leistungsmarkt gesicherte Leistung anbieten. Auf der anderen Seite des Marktes stehen die Vertrie­be beziehungsweise. Bilanzkreisverantwortlichen (zum Beispiel große Industriebetriebe mit eigener Strombeschaffung), die verpflichtet werden, gesi­cherte Leistung nachzufragen. Aus dem Angebot von gesicherter Leistung und der Nachfrage nach gesicherter Leistung ergibt sich ein Preis für gesi­cherte Leistung.

stroMkunden fragen leistung nacH

Der Anbieter gesicherter Leistung kann Versor­gungssicherheitsnachweise verkaufen. Die Gül­tigkeit der Versorgungssicherheitsnachweise gilt dabei für einen längeren Zeitraum, zunächst ein Quartal. Längere und kürzere Fristigkeiten wer­den sich aus dem Markt heraus in Analogie zum Absicherungsbedarf der Vertriebe ergeben. Kraft­werke, die auf dem Leistungsmarkt auftreten, kön­nen neben den Erlösen aus dem EOM zusätzliche Erlöse aus dem Verkauf von gesicherter Leistung erwirtschaften. Auf diese Weise können – insbe­sondere bei Knappheiten – der wirtschaftliche Be­trieb ermöglicht und gegebenenfalls Impulse für neue Kapazitäten gesetzt werden.

Der Anbieter von Leistung ist verpflichtet, in Knappheitssituationen Leistung in Höhe der von ihm ausgegebenen Versorgungssicherheitsnach­weise auch zu erbringen. Kann er das nicht, muss er Leistung anderswo einkaufen, um auf diese Wei­se seinen Verpflichtungen nachzukommen. Ande­renfalls wäre eine erhebliche Strafzahlung fällig.

Vertriebe, deren Stromkunden ein Interes­se an gesicherter Leistung haben, treten auf dem Leistungsmarkt als Nachfrager auf. Sie kaufen Versorgungssicherheitsnachweise in Höhe der ge­sicherten Leistung ihrer Kunden, die sie zum Zeit­punkt der Jahreshöchstlast für notwendig halten. Dabei ist es durchaus möglich, dass sich beispiels­weise je nach Fristigkeit unterschiedliche Produk­te für gesicherte Leistung herausbilden.

keine Zentrale stelle notwendig

Nachfrager, die in der Lage und/oder bereit sind, in Engpasssituationen ihren Stromverbrauch einzuschränken oder durch eigene Erzeugung zu ersetzen, sind indirekt auch Anbieter auf dem Leistungsmarkt. Sie benötigen in Höhe ihres an­gebotenen Lastabwurfs beziehungsweise ihrer Eigenerzeugung weniger Versorgungssicherheits­nachweise. Das ermöglicht die unterschiedlichs­ten Vertragsgestaltungen zwischen Vertrieben und Kunden und so auf ideale Weise die Hebung der Innovations­ und Flexibilitätspotenziale auf der Nachfrageseite.

Im Gegensatz zu vielen anderen Modellen für einen Kapazitätsmechanismus, bei denen eine zentrale Stelle die Höhe der Kapazitätsreserve fest­legt und den Markt reguliert, will der Vorschlag eines dezentralen Leistungsmarktes die Versor­gungssicherheit auf Marktbasis lösen. Dabei tref­fen sich zahlreiche Anbieter und Nachfrager auf einem Markt für gesicherte Leistung und legen auf diese Weise einen Preis für dieses „Gut“ fest. Dieses Modell ist eine ideale Ergänzung des EOM. Es setzt auf ihm auf, ohne die Preisbildung für normale Stromlieferungen entscheidend zu beeinflussen.

Das Konzept eines dezentralen Leistungs­marktes ist eine Antwort auf die Frage, wie viel gesicherte Leistung die Kunden haben wollen. Benötigen die Kunden mehr Leistung als der Energy Only Markt (EOM) bereitstellen kann, sorgt der Leistungsmarkt für Ausgleich.

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Die Einführung eines dezentralen Leistungsmarktes trägt neben weiteren Mechanismen mittel­ und langfristig zum Gelingen der Energiewende in Deutschland bei und ist allein deshalb von den Energieversorgungsunternehmen zu begrüßen. Wir sind in der Erzeugung vor allem bei Er­neuerbaren Energien ohne gesicherte Leistungsabgabe aktiv, zukünftig würde so beispielsweise auch der weitere Zubau von BHKW für uns attraktiver. Chancen sehen wir vor allem in neuen Produktfeldern für den Vertrieb im Bereich der Beratung von Industriekunden mit hohem Stromverbrauch. Auch das Contracting von BHKW so­wie Portfolio­Dienstleistungen im Zusammenhang mit Versorgungssicherheitsnachweisen für Industriekunden stellen perspektivisch interessante Tätigkeitsfelder dar. Risiken eines dezentralen Leistungsmarktes sind darin zu

sehen, dass dem Strompreis ein weiterer von uns nicht be­einflussbarer Faktor für die erforderlichen Zertifikate hin­zugerechnet werden muss. Bereits heute können wir nur etwa 30 Prozent des Preises überhaupt beeinflussen. Da die Preisschilder der Versorgungssicherheitsnachweise noch ungewiss sind, ist das Risiko von Investitionen in Anlagen zur Leistungsbereitstellung schwer abzuschätzen. Für ein Gelingen muss sichergestellt werden, dass ein energiewirt­schaftlich ganzheitliches System entsteht, und der Verwal­tungsaufwand im richtigen Verhältnis zum Nutzen steht. Insgesamt bedarf es einer vernünftigen und vorausschau­enden Planung unter Einbeziehung aller Beteiligten.

peter blatZHeiM ist Geschäftsführer der Stadtwerke Troisdorf GmbH

welcHe cHancen und welcHe risiken gibt es für kleine und Mittlere unterneHMen der energiewirtscHaft, wenn in deutscHland ein deZentraler leistungsMarkt etabliert wird?

fragen und antworten ZuM leistungsMarkt

› Vertreter kleinerer und mittlerer Unternehmen sowie Mitglieder der Arbeitsgruppe Kapazitätsmechanismen /Marktdesign im BDEW geben Antworten auf die drängenden Fragen zum dezentralen Leistungsmarkt.

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Der BDEW hat mit seinem Positions papier einen Entwurf zur Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarktes vorgelegt. Hintergrund dieses Vorschlags ist, dass bei un­veränderter Fortführung des Energy Only Marktes (EOM) die Versorgungssicherheit und die Kosteneffizienz des Gesamtsystems zunehmend gefährdet sind. Unstrittig ist aufgrund dieser Sachlage deshalb, dass sich die künftige Stromversorgung aus der Lieferung elektrischer Arbeit und aus der Bereitstellung von gesicherter Leistung zu­sammensetzen muss. Die Frage ist, ob die im Entwurf des BDEW vorgeschlagenen Mechanismen einen transparen­ten und liquiden Markt für die Sicherstellung elektrischer Leistung herstellen können und zu einer marktgerechten Gesamtkostensituation für elektrische Arbeit und gesi­cherte Leistung führen. Dies muss meiner Ansicht nach

noch genauer validiert werden, wobei hier auch die Wech­selwirkung bei der Preisbildung an den jeweiligen Börsen für elektrische Arbeit und gesicherte Leistung zu eruieren ist.

Vorausgesetzt, die Vorschläge des BDEW erfüllen die noch genauer zu validierenden Punkte, dann sehe ich für den Vertrieb bei den KMUs durchaus interessan­te Möglichkeiten zur Produktentwicklung und entspre­chende Geschäftschancen. Ohne attraktive Angebote mit Arbeits­ und Leistungspreisen kann kein Demand­ Side­Management erfolgen und auch die Entwicklung eines Smart Grid braucht diesen preislichen Anreiz.

rudolf kastner ist Vorstandsvorsitzender der EGT AG, Triberg

Dass der Energiemarkt ein neues Design benötigt, ist un­strittig, und dass Leistung einen Wert gewinnen muss, ist selbstverständlich. Der aktuelle Vorschlag orientiert sich aber zu sehr an einseitigen Interessen. Ich sehe ein hohes Gefährdungspotenzial für Vertriebe, insbesondere dieje­nigen von KMUs und auch für die Branche insgesamt. Aus der Fülle der Fragen seien einige wenige herausgegriffen.

Die aktuelle Strompreisdiskussion ist ohnehin auf­geladen. Höhere Preise durch die Branche selbst und nicht durch öffentlich rechtliche Umlagen werden bei Politik und Verbraucherschutz sofort reflexhaft zu Rufen nach Lieferantenwechsel führen. Die Gefahr besteht auch, dass Vertriebe in Grauzonen gezielt zu wenige Zertifikate kaufen und so seriöse Vertriebe unterbieten.

Das Modell erlaubt, dass Kraftwerke aller Erzeu­gungsarten im In­ und Ausland Versorgungssicherheits­nachweise ausstellen dürfen. Damit sind nicht nur CO2­

arme Kraftwerke Nutznießer dieses Systems, sondern auch Kohle­ und Braunkohlekraftwerke, die zudem noch im Geld sind. Auch ausländische Kernkraftwerke sind in das System integriert. Hier ist die hohe Gefahr einer politisch negativen Diskussion zu sehen.

Jeder Erwerber eines Terminmarktproduktes kauft sich gesicherte Leistung über einen bestimmten Zeitraum. Das Modell sieht aber vor, dass zusätzlich die gleiche Leis­tung nochmals durch Versorgungssicherheitsnachwei­se gesichert werden muss, das einzelne Megawatt muss also zweimal erworben werden. Der Einstieg in ein neues Marktdesign ist notwendig und richtig, er muss aber aus­gewogen sein und er muss einer öffentlichen Diskussion über die Folgen auch im Detail standhalten.

tHoMas MaHlbacHer ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadtwerke Fellbach

Die Implementierung eines dezentralen Leistungsmarktes in einem neugestalteten Energiemarkt halte ich grundsätz­lich für eine gute Idee. Auf diese Art wird die notwendige Finanzierung von Kapazitäten vom Markt gesteuert und nicht behördlich reguliert. Der Vertrieb von Versorgungs­sicherheitsnachweisen stellt sicherlich eine Herausforde­

rung dar, bietet kompetenten Vertrieben aber auch Chancen, sich gegen Billiganbieter abzugrenzen. Wichtig dabei ist aber eine Ausgestaltung, die einen Missbrauch ausschließt.

dietMar canis ist Geschäftsführer der Stadtwerke GmbH Bad Kreuznach

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durcH einen deZentra-len leistungsMarkt wird die koMplexität beiM vertrieb sicHerlicH Zu-neHMen. ist dies für klei-ne und Mittlere energie-versorger überHaupt leistbar?

Versorgungssicherheitsnachweise werden grundsätzlich nach den gleichen Regeln wie Energie be­schafft. Von daher ist kein großer Mehraufwand zu erwarten.

andreas sautter Thüga AG

wer garantiert, dass iM gesaMtMarkt die not-wendige leistung iM ernstfall tatsäcHlicH Zur verfügung steHt? die vorgese Hene pönale trifft ja nur den ein-Zelnen leistungsanbieter.

Im Ernstfall ist der Strompreis hoch. Dadurch hat jedes Kraftwerk ein Interesse daran, in diesen Zeiten verfügbar zu sein. Die Pönale aus dem Leistungsmarkt verstärkt diesen Anreiz und sie schafft auch noch zusätzliche Anreize, sich mit Back­up Kraftwerken gegen unvorher­gesehene Ausfälle zu versichern.

cHristopH lang RWE AG

wer soll aM deZentralen leistungsMarkt teilneH-Men – stroMlieferanten bZw. deren vertriebe, grossverbraucHer, Händler?

Neben Anbietern von gesicherter Erzeugungskapazität, wie Kraftamen am dezentralen Leistungsmarkt Stromver triebe, Stromhändler und sehr große Stromver braucher teil.

andreas sautter Thüga AG

sollen aM leistungs-Markt auf der erZeu-gungsseite alle kraft-werke teilneHMen können?

Jedes Kilowatt gesicherte Leistung ist für die Versorgungssicherheit gleich wichtig. Ein einheitlicher Preis sorgt für einen fairen Wettbewerb zwischen allen Optionen, gesicher­te Leistung bereitzustellen.

cHristopH lang RWE AG

erfüllt ein deZentraler leistungsMarkt die anforde-rungen an wettbewerbsneutralität oder besteHt das risiko, dass sicH einZelne vertriebe MöglicHerweise nicHt Mit versorgungssicHerHeitsnacHweise eindecken und daMit wettbewerbsvorteile erlangen?

Ein dezentraler Leistungsmarkt wird über die Pönale bei Unterdeckung mit Versorgungssicherheitsnachweise gesteuert. Eine angemessen hohe Pönale und Nachweispflichten vermeiden wettbewerbswidriges Verhalten der Betriebe.

stepHan eidt Stadtwerke München

investoren in neuanlagen recHnen Mit eineM stabilen casH flow über die wirtscHaftlicHe laufZeit des kraftwerks. Mit den versorgungssicHerHeitsnacH-weisen aber koMMt eine volatile grösse in die kalku-lation, die das investitionsrisiko erHöHt. wird daMit der leistungsMarkt nicHt ein wenig konter kariert?

Es ist nicht das vorrangige Ziel eines Kapazitätsmarktes, einen stabilen Cash Flow für Investoren sicherzustellen. Investoren benötigen vielmehr einen lang fristig verlässlichen Rahmen, um Chancen und Risiken des Marktes einzu­schätzen zu können. Im dezentralen Leistungsmarkt kann der Investor davon ausgehen, dass die Nachfrage nach dem Produkt „gesicherte Leistung“ langfristig relativ stabil ist.

nina scHolZ E.ON SE

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01was versteHen sie unter ei-neM „deZentralen leistungs-Markt“?

Eine wesentliche Herausforderung der Energiewende ist die Frage, wie groß der Kraftwerkspark sein muss, um in den Stunden der „dunklen Flaute“ – also dann, wenn gleichzeitig keine Son­ne scheint und der Wind nicht weht – die Leistungsnachfrage zu decken. Das Marktmodell, das mit minimalem staatlichem Eingriff das Verhältnis von Nachfrage und Angebot an gesi­cherter Leistung in diesen Stunden ausgleicht, ist zu bevorzugen, denn es wird die volkswirtschaftlich geringsten Kosten auslösen. In einem dezentralen Leistungsmarkt entscheidet der Kunde selbst über die Höhe der von ihm benö­tigten Versorgungssicherheit. Damit nimmt der Kunde eine aktive Rolle bei der Umsetzung der Energiewende ein.

02welcHe effekte versprecHen sie sicH von der einbindung der nacHfrageseite?

Durch die Einbindung der Nachfra­geseite kann der Endkunde auf Basis eines Vertrages mit seinem Vertrieb die Höhe seiner gesicherten Leistung selbst bestimmen. Wie vorhin be­schrieben, gibt es rund 1 000 Stunden im Jahr, in denen weder Wind noch Sonne zur Verfügung stehen.

Die zentrale Frage dabei ist, wie groß der Kraftwerkspark bemessen sein muss. In diesen Stunden sind dann alle gesicherten Erzeugungsanlagen mehr oder weniger in Volllastbetrieb, weil sie die Versorgungssicherheit über­nehmen.An dieser Stelle ist es daher wichtig, dass die Verbraucher einbe­zogen und in eine aktive Rolle versetzt werden. So werden sie nicht zu „Ge­fangenen“, sondern zu Gestaltern der Energiewende.

Konkret sollten wir zum Beispiel den Industriekunden fragen, denn von sei­ner Entscheidung hängt ab, wie viel gesicherte Kraftwerksleistung wir für ihn in diesen Stunden vorhalten. Und in dem Moment, wo der Kunde diese Leistungsbevorratung nach dem Motto „Wer bestellt, bezahlt!“ vergüten muss, stellt er sich sofort die Frage der Wirt­schaftlichkeit und damit nach mögli­chen Handlungsalternativen.

Hat er zum Beispiel das ganze Jahr über eine Leistungsaufnahme von 100 Kilowatt, so ist er unter Berücksich­tigung der aktuellen Preise gegebenen­falls bereit, in den 1 000 Stunden der „Knappheit“ seine Leistungsaufnahme auf 50 Kilowatt zu beschränken, weil er damit auch nur die Vorhaltung für 50 Kilowatt und nicht für 100 Kilowatt bezahlen muss. In einer solchen Situa­tion kann es für den Industriekunden zum Beispiel betriebswirtschaftlich sinnvoll sein, seine Lagerbestände ab­zubauen. Es kann aber für ihn gegebe­nenfalls auch eine Alternative sein, für diese Stunden eine eigene Leistungs­reserve vorzuhalten, wie zum Beispiel ein Blockheizkraftwerk (BHKW). So können Kunden nicht nur über ihren Verbrauch, sondern auch über die von ihnen bestellte Mindestleistung un­mittelbar Einfluss auf die Höhe ihrer Strompreise nehmen.

03ist das konZept für den de-Zentralen leistungsMarkt aus gereift? was MacHt sie ZuversicHtlicH, dass dieser funktionieren wird?

Natürlich sind mit einem solchen Sys­temwechsel weitere Fragen und Ausge­staltungsdetails zu klären.

Wir sind sicher, dass der Kunde eine solche Systematik schnell versteht und nutzt. Eine Leistungsvorhaltung nach dem Prinzip „Wer bestellt, be­zahlt!“ ist grundsätzlich vergleichbar mit einem heute bestellten Fahrplan. Übrigens haben wir im Erdgasmarkt über viele Jahre eine solche Mechanik erfolgreich mit den Kunden gelebt. Kunden, die bei Knappheit Flexibili­täten bieten konnten, haben davon er­heblich profitiert. Zum Teil auch über saisonale Steuerungen, wie Ziegel­brennereien im Sommerbetrieb. Klar ist aber auch, dass ein solches Markt­design sicherlich Zeit braucht, um sich zu etablieren und zu entwickeln. Wir sollten uns in den nächsten Wochen eingehend damit beschäftigen, wie ein solches Modell idealerweise eingeführt werden kann, was dabei zu beachten ist und wie die Kommunikation mit den Kunden erfolgen sollte.

drei fragen an cHristopH kaHlen, tHüga ag

cHristopH kaHlenist Leiter der Öffentlich­keitsarbeit der Thüga AG, München

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Page 22: Marktdesign - Streitfragen!-Spezial zum Energiemarkt der Zukunft

startscHuss für ein neues eeg

Harald noske

ist Mitglied des Vorstands der Stadtwerke Hannover AG und Vorsitzender des Lenkungs kreises Stromerzeugung des BDEW.

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Page 23: Marktdesign - Streitfragen!-Spezial zum Energiemarkt der Zukunft

Die Förderung der Erneuer­baren Energien läuft aus dem Ruder. Der ungebremste Ausbau überfordert das bestehende Energieversor­gungssystem, die von allen Stromverbrauchern zu zahlende Förderumlage belastet zunehmend Unter­nehmen und untere Ein­kommensgruppen. Mit der Entwicklung eines Ziel­modells zur Integration der Erneuerbaren Energien gibt der BDEW einen wich­tigen Impuls im politi­schen Prozess zur Reform der EE-Förderung.

Warum hat der Verband dieses Zielmodell entwickelt?

Harald noske Wir sind mit allen Produkten und mit allen Wertschöpfungsstufen von der Energiewende betrof­fen. Uns bleibt deshalb gar nichts anderes übrig, als uns mit dem Thema zu befassen. Es ist ja auch aufs Engste verwoben mit der konventionellen Stromerzeugung.

dr.Martin bauMert Es geht um Energieversorgung, es geht um Energieversorgungssicherheit, es geht darum, diese Energieversorgungssicherheit in erster Linie mit Erneuerba­ren Energien zu gewährleisten. Das ist unser Kernthema. Wir wollen die Energiewende positiv begleiten. Wir stoßen dabei auf neue Technologien. Wir wissen, dass wir uns in unseren Geschäftsmodellen komplett verändern müssen. Wir wollen aber, dass es funktioniert.

dr.Martin bauMert

ist Geschäftsführer der Naturwatt GmbH in Oldenburg, eines der ersten Ökostrom­Anbieter in Deutschland. Er ist zugleich Mitglied der ProjektgruppeMarktdesign im BDEW.

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Ohne aber zu wissen, wie der Weg genau sein wird.

bauMert Die Zukunft kennt in der Tat keiner. Es gibt kein Land bisher, das diesen Weg einer fundamentalen Um­stellung der Energieversorgung gegangen ist. Wir glauben aber, dass wir das können. Dafür benötigen wir nun jedoch auch richtige Rahmenbedingungen. Wir haben mit dem Mo­dell weit voraus gedacht, ohne genau festzulegen, wie das System künftig aussehen soll. Wir sind im Aufbruch.

Also ein Zielmodell ohne genaues Ziel?

bauMert Uns geht es darum, dass wir heute, morgen und übermorgen eine funktionierende Energiewirtschaft haben. Wir gehen davon aus, dass wir den richtigen Weg auf dieser Reise am besten unter marktwirtschaftlichen Bedingungen erkennen können, und sind davon überzeugt, dass wir am Ende die optimale Energieversorgungsstruktur nur bei fai­ren wettbewerblichen Bedingungen für alle Beteiligten fin­den werden. Die Erneuerbaren Energien wurden durch ge­zielte Sonderregelungen in den Markt eingeführt. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass die Erneuerbaren für den Wettbewerb fit gemacht werden.

noske Unser Ziel als Branche ist immer die Betrachtung aller drei wesentlichen Elemente des energiewirtschaftlichen Dreiecks: Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit. Wenn man versucht, dieses im Gleichgewicht zu halten, kann man recht gut prognostizie­ren, wie es weitergehen muss. In den letzten Jahren ist durch den rasanten, aber ungesteuerten Ausbau der Erneuerbaren Energien der Fortschritt beim Klimaschutz überbetont wor­den. Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit wurden vernachlässigt. Das energiewirtschaftliche Dreieck ist in Schieflage geraten.

Zu den Forderungen des Zielmodells gehört die ver-pflichtende Direktvermarktung des Stroms aus Erneuer-baren Energien.

noske Wind und Sonne sind volatile Energieträger. Des­halb muss die Direktvermarktung so ausgestaltet sein, dass diese Energieträger entsprechend ihrer Prognostizierbarkeit konkret day ahead und intra day in die Versorgungsaufgabe eingebaut werden. Die verbleibende Residuallast müssen dann die konventionellen Kraftwerke übernehmen. Es geht um das Zusammenfügen von erneuerbaren und konventionellen Kraftwerken über die explizite Verknüpfung im Strommarkt.

Was heißt das jetzt konkret?

noske Erneuerbare Energien sollen einen Teil ihrer Erlö­se am Energy Only Markt erzielen, benötigen darüber hinaus aber noch eine ganze Weile eine Förderung. Diese Förderung muss im Zeitverlauf so ausgestaltet werden, dass die Aus­bauziele bei moderater Zubau­Geschwindigkeit erreicht, aber zum Beispiel Überförderung vermieden wird. Wir schla­gen deshalb eine stufenweise steigende Übernahme von Marktrisiken für die Erneuerbaren vor. Das kann in Form ei­ner Marktprämie geschehen, die einem Investitionszuschuss entspricht und als Aufschlag auf den Marktpreis gezahlt wird, den ein Anbieter bei der Direktvermarktung erzielt.

Soll die Marktprämie technologieoffen oder technolo-giespezifisch sein?

bauMert Derzeit sind wir der Ansicht, dass wir so unter­schiedliche Technologien am Markt haben, dass wir die För­derung technologiespezifisch ausgestalten müssen. Wir sehen andererseits inzwischen aber auch eine sehr große Komplexität von Fördertatbeständen. Wir gehen davon aus, dass man künftig die vielen unterschiedlichen Fördertat­bestände bündelt.

Und keine regionalspezifische Komponente?

bauMert Wir müssen Netzausbau und Erneuerbare­Energien­Ausbau synchronisieren. Der Aufbau einer EE-An­lage an einem Standort ohne oder nur mit sehr teurem Netz­anschluss ist volkswirtschaftlich nicht sinnvoll. Wir haben daher Vorschläge erarbeitet, wie man mit Netzengpasssitua­tionen umgehen kann.

noske Es darf auf keinen Fall eine direkte regionale Spe­zifizierung geben in dem Sinne, dass für die gleiche Anlage je nach Standort eine unterschiedliche Förderung vorgesehen ist. Unser Ansatz im BDEW ist, dass die Förderung im Sinne der oben genannten Marktprämie nicht fix über 20 Jahre, sondern für eine bestimmte Produktionsmenge gezahlt wird. Dann wird eine Anlage an der Küste ihre Fördersumme beispielsweise schon nach 16 Jahren, eine Anlage im Binnen­land vielleicht erst nach 25 Jahren abgearbeitet haben. Da­durch steigt die Fördereffizienz.

Herr Baumert, können Sie mit dem jetzt vorgeschlage-nen BDEW-Modell leben?

bauMert Wir gehen mit dem Modell einen sehr großen Schritt in Richtung Marktwirtschaft. Aktuell sehen wir hier die dringendsten Probleme auf der Angebotsseite, sprich in der Erzeugung und im Netz. Ein nachhaltig funktionierender Markt benötigt aber auch eine aktive Nachfrageseite. Hier lie­gen in meinen Augen noch erhebliche Potenziale, die wir in dem Modell aber noch nicht im Fokus hatten. Sollte sich das Modell umsetzen, dann schaffen wir jetzt aber einige Voraus­setzungen dafür, dass die Potenziale in der Zukunft besser gehoben werden können.

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Herr Noske, und wie sieht es bei Ihnen aus?

noske Das Modell ist dann tragfähig, wenn bei der not­wendigen Reform des EEG, also quasi ein EEG 2.0, der Energy Only Markt mit einem Markt für Versorgungssicherheit, also beispielsweise einem Leistungsmarkt, kombiniert wird. Kraftwerke, die als Backup­Kraftwerke für die volatilen Er­neuerbaren dienen und ihre notwendigen Einnahmen nicht allein aus der Produktion von Strom generieren können, müssen für ihre Verfügbarkeit entlohnt werden. Damit wird die Versorgungssicherheit gewährleistet und das Gleichge­wicht im energiewirtschaftlichen Dreieck wiederhergestellt.

Was passiert mit dem Zielmodell jetzt?

noske Alle Wertschöpfungsstufen haben sich im BDEW auf ein gemeinsames, wirtschaftlich tragfähiges Konzept verständigt. Dieses muss so schnell wie möglich nach der Wahl an den verschiedensten Stellen in die politische Dis­kussion eingebracht werden. Über die BDEW-Organisation haben wir die Möglichkeit, auf allen politischen Ebenen und in allen interessierten Kreisen – zum Beispiel zahlreichen NGOs – die Debatte über die künftige Richtung der Energie­wende mit unserem Modell voranzubringen.

Wie haben Sie es geschafft, die angesprochenen unter-schiedlichsten Wertschöpfungsstufen auf einen Nenner zu bringen?

bauMert Die Energiewende stellt die bisherige Energie­wirtschaft auf den Kopf. Am Anfang herrschte eine Phase der drückenden Ratlosigkeit, wie und über was sich angesichts der komplexen Herausforderungen der Energiewende die vielfältigsten Wertschöpfungsstufen auf ein gemeinsames Konzept verständigen könnten. Da ist sehr viel und sehr in­tensiv diskutiert worden. In einer zweiten Phase zeichneten sich verschiedene Wege ab. Hier kamen die zahlreichen, auch gegensätzlichen Interessen ins Spiel, die teilweise noch nicht einmal eindeutig zu erkennen waren. Das war für mich eine sehr spannende Phase. In einer dritten Phase war dann aber deutliche Konsensbereitschaft spürbar, weil wir erkannt hat­ten: Wir hängen alle an einer Leitung.

noske Der Prozess ist von allen Beteiligten sehr konst­ruktiv gefördert worden. Die kleinen, hakeligen Momente zum Schluss sind in erster Linie entstanden, weil sehr unter­schiedlich gesteuerte Bereiche zusammengekommen sind – regulierte Sparten wie die Netze und Sparten, die wettbe­werblich aufgestellt sind. Der nun vorgelegte Vorschlag stellt aber eine fundierte Kompromisslösung dar, bei der alle mit­gehen können.

»wir Hängen alle an einer leitung.«

»Das MoDEll ist Mit EinEM EEg 2.0 tragfähig.«

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Der Erfolg der Energiewende hängt auch von einem leistungsfähigen Netz ab. Erlaubt das gegenwärtige Regulierungsregime die notwendigen Investitionen?

dr. ronald HeinZe Wir haben unseren Netzausbau weit gehend abgeschlossen. Ohne die Regulierungsbehörde wäre es sicherlich schneller, kostengünstiger und besser gegangen.

dr. joacHiM nissen Die Verteilnetze müssen – insbe­sondere in der Fläche – in den nächsten Jahren massiv ausge­baut werden, damit sie den Strom aus den EE-Anlagen auf­nehmen können. Die Regulierung ist bislang dazu ausgelegt, ein bestehendes System zu optimieren, nicht aber auszubau­en oder einen Systemwechsel zu beherrschen. Da müssen die Regulierungsregeln sicherlich noch angepasst werden, die jetzt erfolgte Anpassung war dabei ein Schritt in die richtige Richtung.

jan fuHrberg-bauMann In städtischen Bereichen steht der einspeiserbedingte Netzausbau noch bevor. Hier haben wir relativ wenige Photovoltaik­ und praktisch keine Windanlagen. Der Ausbaubedarf wird erst dann kommen, wenn Mikro­BHKWs und Brennstoffzellen­Anlagen in gro­ßem Umfang Einzug halten.

dr. klaus von sengbuscH In den vergangenen Jah­ren ist im Bereich der Übertragungsnetze schon viel erreicht worden. Aber es gibt immer noch Detailfragen zu klären, um sicherzustellen, dass die Risiken des Ausbaus der Übertra­gungsnetze auch zur Eigenkapitalrendite eines Über tra­gungsnetzbetreibers passen.

Damit sind wir schon bei den Finanzen. Derzeit wird von verschiedenen Seiten eine stärkere Leistungskompo-nente für die Netznutzung gefordert. Begrüßen Sie diese Forderung?

› Vier Netzexperten diskutieren über die Anforder ungen, die künftig auf die Netze zukommen.

neue rolle für die netZe

dr. joacHiM nissen

ist Leiter Netzwirtschaft der RWE Deutschland AG, Essen, Mitglied der Projektgruppe Marktdesign und Mitglied des Lenkungskreises Energienetze im BDEW.

dr.-ing. ronald HeinZeist Geschäftsführer der Stadt­werke Rhede und Mitglied des Lenkungskreises Energie­ und Umwelt politik im BDEW.

jan fuHrberg-bauMannist Geschäftsführer der Netz Leipzig GmbH, Mitglied der Projektgruppe Marktdesign und Vorsitzender des Lenkungskreises Energienetze im BDEW.

dr. klaus v. sengbuscHist Leiter Energiewirtschaft der 50Hertz Transmission GmbH.

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HeinZe Eine Leistungskomponente halte ich für unbe­dingt notwendig. Es ziehen sich immer mehr Eigenverbrau­cher aus der solidarischen Bezahlung des Netzes zurück. Ich kann mir sogar vorstellen, dass man aus allen Kunden mit Standardlastprofilabrechnung (SLP), also die normalen Haushaltskunden, Kunden mit registrierender Leistungs­messung macht.

fuHrberg-bauMann Generell stellt der Netzbetreiber ein Netz bereit, unabhängig von der jeweiligen konkreten In­anspruchnahme. Deshalb gibt es schon länger den Vorschlag einer Flatrate für die Netznutzung. Den Vorschlag, aus allen Kunden leistungsgemessene zu machen, halte ich aus Netz­betreibersicht für problematisch und   in der praktischen Umsetzung auch für viel zu teuer.

nissen Die SLP-Kunden zahlen nur einen sehr geringen Grundpreis. Das führt zu Schieflagen. Denn das Netz hat zwei Funktionen: Es liefert Strom, wenn der Kunde ihn benötigt, also die Transportfunktion. Es ist aber zweitens auch dann da, wenn der Kunde keinen Strom bezieht. Das ist, wenn Sie so wollen, die Bereitschaftsfunktion. Diese wird heute bei vielen Kunden nicht angemessen vergütet.

Wollen Sie mehr Geld?

nissen Wir wollen, dass die Vorhaltung von Leistung an­gemessen vergütet wird. Es findet bei einer stärkeren Leis­tungsbemessung nur eine Umverteilung statt. Ob man bei den SLP-Kunden einen generellen Systemwechsel hin zu ei­nem Leistungspreis vornimmt oder nur den Grundpreis er­höht, muss man noch einmal diskutieren. Man muss das in jedem Fall mit sehr viel Augenmaß machen.

fuHrberg-bauMann Die Leistungskomponente ist ein notwendiger und richtiger Weg. Wir müssen das Netz vor­halten für den Fall, dass es benötigt wird, es muss nicht nur für die Zeit da sein, in der es tatsächlich in Anspruch genom­men wird.

Mit einem neuen Marktdesign könnten die Netzbetrei-ber in eine ganz neue, aktivere Rolle zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit gedrängt werden. Sind Sie auf diese Rollen vorbereitet?

von sengbuscH Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) sind durchaus offen für neue Rollen. Die müssen aber um­setzbar und klar abgegrenzt sein.

Würden Sie auch in Kraftwerke investieren und diese vielleicht sogar betreiben?

von sengbuscH Das sehen wir nicht als Aufgabe des Übertragungsnetzbetreibers. Wir streben an, dass die erfor­derlichen Kraftwerke im freien Markt und damit im Wettbe­werb errichtet und betrieben werden. Voraussetzung dafür sind ein geeignetes Marktdesign und starke Übertragungs­netze, die wir mit Hochdruck realisieren. Doch wenn es zur Aufrechterhaltung der Systemstabilität in einem Über­gangszeitraum notwendig sein sollte, sind auch solche Maß­nahmen nicht ausgeschlossen. nissen Auf dem Elektrizitätsmarkt sind die Preise derzeit

so tief im Keller, dass sich einige Kraftwerksbetreiber überle­gen, ihre Anlagen stillzulegen. Im BDEW erarbeiten wir der­zeit Lösungen, um wieder zu einem kostendeckenden Be­trieb von Kraftwerken zu kommen. Wenn das realisiert ist, kann sich der Übertragungsnetzbetreiber auch wieder auf seine Systemverantwortung, auf seine Regeltätigkeit zurück­ziehen und muss nicht Reserve kaufen, wie in den vergange­nen Wintern.

von sengbuscH Das sehen wir auch so. Wir erwarten, dass mit den künftigen Marktregeln und einem starken Über­tragungsnetz möglichst wenige Eingriffe in den Kraftwerks­markt durch die Übertragungsnetzbetreiber notwendig wer­den.

nissen In Zukunft wird es immer mehr Erzeugung im Verteilnetz geben. Damit wird der Verteilnetzbetreiber eine immer stärkere unterstützende Rolle für den Übertragungs­netzbetreiber spielen müssen. Wenn beispielsweise der ÜNB aus Gründen der Systemstabilität Erzeugung im Verteilnetz ansteuern will, dann muss es technisch auch möglich sein.

» Wir WollEn, Dass DiE vorhaltung von lEistung angEMEssEn vErgütEt WirD.«

»DiE üBErtragungs-nEtzBEtrEiBEr sinD Durchaus offEn für nEuE rollEn.«

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Das läuft auf ein Smart Grid hinaus?

nissen In der Vergangenheit waren die Verteilnetze weit­gehend passiv und verteilten nur die Energie, die aus dem vorgelagerten Netz kam. Künftig muss die verteilt einge­speiste Energie aufgenommen werden, so dass sich die Fluss­richtung in den Netzen zeitweise auch umdreht. Damit man das so effizient wie möglich leisten kann, benötigen wir intel­ligente Netze. Die Netze müssen eine stärkere Überwa­chungsfunktion haben und die Möglichkeit zum regelnden Eingriff bieten.

Bedeutet das auch, dass dargebotsabhängige Erzeugung und preisabhängige Nachfrage besser aufeinander abge-stimmt werden können?

nissen Das ist das Thema Smart Market. Da geht es unter anderem darum, dass der Kunde seine Stromnachfrage auch nach dem aktuellen Preis orientiert. Da spielen dann Fragen wie Speichermöglichkeit, Verlagerung von Verbrauch und so weiter eine Rolle. Ehrlicherweise aber muss man sich fragen: Wie groß sind die Möglichkeiten eines Haushaltskunden, seinen Stromverbrauch zu verlagern?

Eine Netzampel soll signalisieren: Das Netz ist kurz vor der Belastungsgrenze, bitte den Stromverbrauch etwas einschränken.

nissen Das ist eine Weiterentwicklung des heutigen Zu­stands. Wir haben – im übertragenen Sinne – heute praktisch immer eine grüne Ampel. Und wir haben jetzt schon die rote Ampel, die bei Überlastung – übertragen gesprochen – auf­leuchtet und zur Abschaltung von Netzteilen führt.

Eine Ampel hat auch eine gelbe Phase. Was soll die denn leisten?

nissen Die Überlegung dahinter ist, dass der Netzbetrei­ber den Vertrieben signalisiert, dass in einer Straße, in einer Stadt, einem Bezirk – das muss sicherlich noch diskutiert werden – die Gefahr einer Überlastung besteht. Die Vertriebe haben dann bestimmte Kunden oder Kundengruppen, die sie dann abschalten können, um eine Netzüberlastung zu ver­meiden. Dafür müssen wir aber noch die entsprechende Technik entwickeln, die Verträge müssen geändert werden, auch die Bereitschaft der Kunden muss vorhanden sein.

fuHrberg-bauMann Wir haben eine kleine Anzahl von Kunden, die das in der Vergangenheit mitgemacht ha­ben, weil sie ihre Prozesse entsprechend gestalten konnten. Wir haben aber auch viele Kunden, die das wohl nicht mit­machen werden.

Kann denn ein zügiger Netzausbau über die Grenzen hinweg viele Probleme lösen, die auf das deutsche Netz zukommen wird?

von sengbuscH Der innerdeutsche Netzausbau ist aus unserer Sicht Voraussetzung für eine erfolgreiche Umset­zung der Energiewende …

nissen … der innerdeutsche Netzausbau würde auch die Kuppelstellen an den Grenzen entlasten…

von sengbuscH … und in Kombination mit lastfluss­steuerenden Elementen kann man dann schon viele der der­zeitigen netztechnischen Probleme lösen. Zweitens: Mit ei­ner Verstärkung der internationalen Verbindungen können wir bei einem weiteren kräftigen Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland den notwendigen, aber sehr teuren Speicher­ausbau in Deutschland auf ein Minimum begrenzen. Drit­tens: Mit einem großen internationalen Netz können wir per­spektivisch die dargebotsabhängigen Energieerzeuger dort nutzen, wo sie den größten Ertrag bringen, also Wind bei­spielsweise in Irland und Sonne in den Mittelmeerländern.

» DiE lEistungskoMpo-nEntE ist Ein notWEn-DigEr unD richtigEr WEg.«

» Es ziEhEn sich iMMEr MEhr EigEnvErBrauchEr aus DEr soliDarischEn BEzahlung DEs nEtzEs zurück.«

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In der EU wird ein gemeinsamer Bin-nenmarkt für Energie angestrebt. Macht es da Sinn, nationale Konzepte für einen Kapazitätsmechanismus zur Gewährleistung der nationalen Ver-sorgungssicherheit zu entwickeln?

cHristopH Maurer Rein nationa­le Konzepte zur Kapazitätsabsicherung würden in jedem Fall erhebliche Risi­ken mit sich bringen. Einerseits gefähr­den sie die Effizienz solcher Mechanis­men, was dann auch zu höheren Kosten führt. Eine ausschließlich nationale Be­trachtung vernachlässigt nämlich den Beitrag ausländischer Erzeugungska­pazitäten zur Ka pazitätsabsicherung im eigenen Land. Andererseits besteht auch die Gefahr, dass ein ausschließlich nationaler Mechanismus sein wesent­lichstes Ziel verfehlt und die Versor­gungssicherheit gar nicht gewährleis­ten kann. Tritt nämlich gleichzeitig zum auslegungsrelevanten Höchstlast­fall im eigenen Land auch noch Knapp­heit im Ausland auf, dann kommt es aufgrund der zumindest in der zentral­westeuropäischen Region schon sehr weit integrierten Märkte eventuell zu Exporten aus Deutschland. Eine Bemes­sung des Kapazitätsbedarfs an der nati­onalen Höchstlast würde dann also gar nicht ausreichen. Ein koordiniertes Vorgehen zwi schen den europäischen Nachbarn bei der Implementierung von Kapazitätsmechanismen wäre also in jedem Fall dringend anzuraten.

Welches Potenzial besteht in der EU oder zumindest in der zentralwest-europäischen Region für einen über-regionalen Kapazitätsmarkt? Welche Rolle können die osteuropäischen EU-Mitgliedsländer hier spielen?

Maurer Die Frage nach dem Poten­zial hat letztlich zwei Dimensionen. Zum einen stellt sich die Frage, in wel­chem grundsätzlichem technisch er­schließbarem Umfang Effizienzvorteile einer überregional koordinierten Kapa­zitätsvorhaltung tatsächlich in der Re­gion Zentralwesteuropa einschließlich Schweiz und Österreich bestehen. Und da zeigt sich – natürlich immer abhän­gig von getroffenen Annahmen – dass nach aktuellen Prognosen zum Beispiel von ENTSO-E bis 2020 vor allem in den Niederlanden und Österreich Kapazi­tätsüberschüsse in der Größenordnung von etwa Zehn Gigawatt bestehen, die in den anderen Ländern dieser Region genutzt werden könnten. Ein zusätzli­cher Beitrag kommt dann noch mal da­durch zustande, dass die Höchstlasten in den Ländern der Region nicht gleich­zeitig auftreten und auch die Durchmi­schung der Erzeugung aus Erneuerba­ren Energien zunimmt. Da kommt noch einmal ein Beitrag im einstelligen Giga­watt­Bereich zusammen. Die andere Frage, die sich in diesem Zusammen­hang stellt, ist dann aber sehr viel schwieriger zu beantworten: Nämlich inwiefern es politischen Willen für eine Zusammenarbeit in diesem Bereich gibt. Da eine solche Zusammenarbeit immer auch mit einer Abgabe von bis­

her nationalen Kompetenzen einher­geht, sind Fortschritte hier sicherlich nicht von einem Tag auf den anderen zu erzielen. Und was Osteuropa anbelangt – perspektivisch ergibt sich auch dort sicherlich Potenzial zur Zusammenar­beit, allerdings ist die Integration dieser Län der, sowohl mit Blick auf die techni­schen Transportkapazitäten als auch mit Blick auf die Marktstrukturen, im Verhältnis zum Beispiel zum Gebiet des sogenannten Pentalateralen Forums (Deutschland, Frankreich und Benelux) deutlich weniger weit fortgeschritten.

Sind die technischen Voraussetzun-gen für einen überregionalen Kapa-zitätsmarkt gegeben?

Maurer Natürlich können die Grenzkuppelstellen das Austauschpo­tenzial zwischen den Ländern be­schränken, wie schon für die Situation in Osteuropa angemerkt. Überschlägi­ge Abschätzungen von uns zeigen aber, dass das in den Erzeugungsparks in der Region Zentralwesteuropa aktuell er­kennbare Potenzial zur grenzüber­schreitenden Gewährleistung von Ver­sorgungssicherheit mittelfristig auch vollständig genutzt werden könnte, ohne dass die Grenzkuppelstellen hier limitierend wirken würden. Das gilt umso mehr, wenn die geplanten Aus­bauten in den Übertragungsnetzen auch tatsächlich umgesetzt werden.

Welche Folgen sehen Sie, wenn es zur unabgestimmten Etablierung natio-naler Kapazitätsmärkte kommt?

»rein nationale konZepte bringen risiken«

› Christoph Maurer, Geschäftsführer der Consentec GmbH, plädiert für eine Öffnung eines deutschen Kapazitäts­modells nach Europa.

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Maurer Im besten Fall wird es ein­fach nur für alle teurer, weil jedes Land versucht, sich national abzusichern, und wir die skizzierten durchaus erheb­lichen Potenziale der grenzüberschrei­tenden Zusammenarbeit nicht nutzen.

Es gibt aber darüber hinausge­hende Risiken. Dazu zählt zum Beispiel das sogenannte Free­Riding. Nachbar­länder könnten sich etwa mit Blick auf die eigene Versorgungssicherheit auf in Deutschland als Reserve zusätzlich vor­gehaltener Erzeugungskapazität ausru­hen, ohne sich an den Kosten für diese Reserve zu beteiligen. Noch weiter ge­dacht entstehen aus solchen nationalen Mechanismen, die die Realität des vor­handenen Strombinnenmarktes igno­rieren, wiederum neue Marktverzerrun­gen. Dann steht nicht nur die Effizienz, sondern die Wirksamkeit des Mechanis­mus auf dem Spiel. Letztendlich ist die Gewährleistung von Versorgungssicher­heit rein national nicht dauerhaft erfolg­reich zu bewerkstelligen.

Welche Voraussetzungen müssen be-stehen, damit ein überregionaler Ka-pazitätsmarkt funktionieren kann?

Maurer Zunächst einmal wäre es erforderlich, dass man sich auf ein ab­gestimmtes Vorgehen bei der Ermitt­lung des erforderlichen Kapazitätsbe­darfs einigt. Dabei ist dann zu klären, wie man mit eventuellen absehbaren Kapazitätsüberschüssen wie ­defiziten in einzelnen Ländern umgeht, wie man die Beschränkungen durch Grenzkup­pelstellen berücksichtigt oder etwa, wie man Möglichkeiten der Nachfragesteu­erung berücksichtigt und Hemmnisse beseitigt, um diese zu nutzen. In einem zweiten Schritt müsste eine generelle Übereinkunft zwischen den Gesetz­ und Verordnungsgebern in den ver­schiedenen betroffenen Ländern er­

reicht werden, dass bei Änderungen des Strommarktdesigns auch die grenz­überschreitenden Wirkungen gemein­sam bewertet und in die Entschei­dungsfindung mit einbezogen werden. Welche Empfehlungen geben Sie?

Maurer Nach wie vor gilt: Kein Ka­pazitätsmechanismus weist im Ver­gleich zum heutigen Marktdesign nur Vorteile auf. Daher wäre meine erste Empfehlung, zunächst einmal Maßnah­men zu ergreifen, die die Funktionsfä­higkeit des Energy Only Marktes stärken und heute dort noch vorhandene Hemm­nisse beseitigen. Das wäre auch als Er­gänzung zur Einführung von Kapazitäts­mechanismen sinnvoll. Darüber hinaus sollten wir versuchen, die Debatte um Kapazitätsmechanismen in einigen eu­ropäischen Ländern gewissermaßen zu kanalisieren. Auch wenn ein gemeinsa­mer, harmonisierter Mechanismus ins­gesamt der wünschenswerteste Ansatz wäre, so ist das kurzfristig wahrschein­lich eher unwahrscheinlich. Dann sollte man sich aber in jedem Fall auf einen ge­meinsamen Rahmen bei der Einführung von Kapazitätsmechanismen verständi­gen. Nur so können die grenzüberschrei­tenden Potenziale zumindest teilweise genutzt und aufgeführte negative Effek­te vermieden werden.

Mit welchem Zeithorizont muss man rechnen, bis ein überregionaler Kapazitätsmarkt etabliert ist?

dr. cHristopH Maurerist promovierter Ingenieur und diplomierter Wirtschafts­ingenieur. Seit 2007 ist er Gesellschafter und Geschäfts­führer der Consentec GmbH.

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HerausgeberBDEW Bundesverband derEnergie­ und Wasserwirtschaft e. V.Reinhardtstraße 3210117 [email protected]

Maurer Ganz schnell wird das sicher nicht gehen. Aber, wie bereits erwähnt, sollten wir sowieso nicht im ersten Schritt den umfassenden paneuropäischen Ka­pazitätsmarkt anstreben. Stattdessen gibt es viele kleine Koordinationsschritte, zum Beispiel bei der Ermittlung des Ka­pazitätsbedarfs oder bei der Abstimmung von Änderungen des Marktdesigns, die sicherlich auch kurzfristiger, das heißt. im Verlaufe der nächsten eins bis drei Jah­re, umzusetzen wären.

Unternimmt die EU-Kommission genügend Anstrengungen, um mög-lichst bald einen überregionalen Kapazitätsmarkt in der Gemein-schaft zu etablieren?

Maurer Die Priorität der EU-Kom­mission lag in der Vergangenheit sicherlich hauptsächlich bei der Voll­endung des Binnenmarktes für Ener­gie, nicht bei der Etablierung eines – in Brüssel nicht für zwangsläufig gehalte­nen – überregionalen Kapazitätsmark­tes. Aktuell beschäftigt sich die Kom­mission damit, dass nationale Kapazitätsmärkte nicht den Binnen­markt unterhöhlen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die Kommission auf lange Sicht auch im Bereich von Kapazitätsmärkten das Heft des Handelns in die Hand bekom­men möchte. Mit Blick auf die disku­tierten Probleme nationaler Mechanis­men macht das auch Sinn.

RedaktionMathias Bucksteeg Sven Kulka

Konzept und RealisierungKuhn, Kammann & Kuhn GmbH, unter redaktioneller Mitarbeit von Wolf­Dieter Michaeli. Ricarda Eberhardt und Meltem Walter (Bildwelt), BDEW.

Druck und VerarbeitungDruck Center Drake + Huber, Bad Oeynhausen

BildnachweisRoland Horn: S. 01 – 14. Werner Schüring: S. 20. Gavni: Titelseite

Redaktionsschluss:September 2013

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Herausgeber BDEW BunDEsvErBanD DEr EnErgiE- unD WassErWirtschaft E. v.


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