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Manfred Schenck Europäische Baustile - Europa-Lehrmittel€¦ · 6.5.3 François Cuvilliés d. Ä....

Date post: 30-Apr-2020
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Manfred Schenck Europäische Baustile 2. Auflage VERLAG EUROPA-LEHRMITTEL · Nourney, Vollmer GmbH & Co. KG Düsselberger Straße 23 · 42781 Haan-Gruiten Europa-Nr. 53618 BIBLIOTHEK DES TECHNISCHEN WISSENS
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Manfred Schenck

Europäische Baustile2. Auflage

VERLAG EUROPA-LEHRMITTEL · Nourney, Vollmer GmbH & Co. KGDüsselberger Straße 23 · 42781 Haan-Gruiten

Europa-Nr. 53618

BIBLIOTHEK DES TECHNISCHEN WISSENS

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Autor: Dipl. Ing. Dipl. sc. pol. Manfred Schenck, München

Bildbearbeitung: Zeichenbüro des Verlags Europa-Lehrmittel

Das vorliegende Buch wurde auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln

erstellt.

2. Auflage 2012Druck 5 4 3 2 1Alle Drucke derselben Auflage sind parallel einsetzbar, da sie bis auf die Behebung von Druckfehlernuntereinander unverändert sind.

ISBN 978-3-8085-5362-6

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.

© 2012 by Verlag Europa-Lehrmittel, Nourney, Vollmer GmbH & Co. KG, 42781 Haan-Gruiten

http://www.europa-lehrmittel.de

Umschlaggestaltung: Michael M. Kappenstein, 60594 Frankfurt a. M.Satz: Meis satz&more, 59469 EnseDruck: M. P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn2

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VorwortDie bildenden Künste, und damit auch die Architektur, haben sich im Laufe der Zeit ständig verän-dert. Die Ursachen dieser Veränderung sind in der Absicht der Künstler nach kreativer Erneuerunganzunehmen. Hierbei werden sie durch politische, gesellschaftliche, weltanschauliche oder religiö-se Vorstellungen und Maßgaben beeinflusst. Von allen bildenden Künsten wirkt sich die Architek-tur am eindrucksvollsten auf die Öffentlichkeit aus. Mit ihrer Hilfe konnte die zuständige weltlichebzw. kirchliche Obrigkeit wirkungsvoll ihre Herrschaft begründen und ihren Machtanspruch unter-streichen.

Die Veränderungen in der Baukunst sind im Baustil, also in den Prinzipien der Konstruktion und inden Bauformen zu erkennen. Mitunter entwickelte sich der Baustil einer Bauepoche von einfachenund schlichten Formen zu immer reicherem Dekor und filigranerer Gestaltung. Dieses Prinzip ist inder Romanik, Gotik, Renaissance und Barockzeit festzustellen und wird mit den Bezeichnungen„Früh“, „Hoch“ oder „Spät“ beschrieben. Die Zeiträume der Bauepochen werden in diesem Buchmit ungefähren und leicht einprägsamen Zahlenwerten dargestellt.

Das Buch „Europäische Baustile“ beschreibt die europäischen Bauepochen von der Vorromanik biszur Moderne in übersichtlicher, verständlicher und komprimierter Form. Die einzelnen Bauepochenwerden mit zahlreichen Abbildungen nach folgenden Gesichtspunkten erläutert:

● Zeitraum und Begriff

● Kulturgeschichtlicher Hintergrund

● Merkmale des Baustils

● Bautechnik, Baubetrieb und Baustatik

● Beispiele von Bauwerken des Mittelalters

● Beispiele von Bauwerken der Neuzeit und ihren Architekten

Dieses Fachbuch eignet sich vor allem für den Unterricht an Fachhochschulen, Fachschulen für

Bautechnik, Gymnasien und Berufsschulen. Es gibt jedem an Baugeschichte interessierten Leserwichtige Grundinformationen.

In der 2. Auflage wurden kritische Hinweise unserer Leser berücksichtigt und einige Fotos verbes-sert. Weitere Anregungen unserer Leser, die zur Weiterentwicklung des Buches beitragen, nehmenwir dankbar entgegen.

München, Winter 2011/2012 Autor und Verlag

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Vorwort

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Vorwort ...................................................... 3

1 Vorromanik ................................ 0071.1 Zeitraum und Begriff ...................... 0071.2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund 71.3 Merkmale des Baustils .................. 91.3.1 Prinzipien vorromanischer

Konstruktion.................................... 91.3.2 Vorromanische Bauformen............ 91.4 Bautechnik und Baubetrieb .......... 131.5 Beispiele für Bauwerke .................. 141.5.1 Sakrale Bauwerke .......................... 141.5.2 Profanes Bauwerk .......................... 17

2 Romanik ...................................... 19

2.1 Zeitraum und Begriff ...................... 192.2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund 192.3 Merkmale des Baustils .................. 202.3.1 Prinzipien romanischer

Konstruktion.................................... 202.3.2 Romanische Bauformen ................ 222.3.3 Kennzeichen romanischer

Bauepochen .................................... 292.4 Bautechnik und Baubetrieb .......... 302.5 Beispiele für Bauwerke .................. 312.5.1 Sakrale Bauwerke .......................... 312.5.2 Profane Bauwerke .......................... 34

3 Gotik.............................................. 37

3.1 Zeitraum und Begriff ...................... 373.2 Kulturhistorischer Hintergrund .... 373.3 Merkmale des Baustils .................. 383.3.1 Prinzipien gotischer Konstruktion 383.3.2 Gotische Bauformen ...................... 383.3.3 Kennzeichen gotischer

Bauepochen .................................... 483.4 Bautechnik, Baubetrieb und

Baustatik.......................................... 493.5 Beispiele für Bauwerke .................. 523.5.1 Sakrale Bauwerke .......................... 523.5.2 Profane Bauwerke .......................... 57

4 Renaissance ................................ 61

4.1 Zeitraum und Begriff ...................... 614.2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund 614.3 Merkmale des Baustils .................. 624.3.1 Konstruktionsprinzipien der

Renaissance .................................... 624.3.2 Bauformen der Renaissance.......... 63

4.3.3 Kennzeichen der Renaissance-Bauepochen .................................... 69

4.4 Bautechnik, Baubetrieb und Baustatik.......................................... 70

4.5 Architekten und ihre Bauwerke .... 734.5.1 Filippo Brunelleschi........................ 734.5.2 Andrea Palladio .............................. 754.5.3 Friedrich Sustries............................ 784.5.4 Elias Holl.......................................... 794.5.5 Pierre Lescot .................................. 814.5.6 Gilles Le Breton .............................. 82

5 Barock .......................................... 83

5.1 Zeitraum und Begriff ...................... 835.2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund 835.3 Merkmale des Baustils .................. 845.3.1 Konstruktionsprinzipien des

Barock.............................................. 845.3.2 Bauformen des Barock .................. 855.3.3 Kennzeichen barocker

Bauepochen .................................... 925.4 Bautechnik, Baubetrieb und

Baustatik.......................................... 925.5 Architekten und ihre Bauwerke .... 935.5.1 Johann Bernhard Fischer von

Erlach .............................................. 935.5.2 Johann Lukas von Hildebrandt .... 965.5.3 Johann Balthasar Neumann.......... 985.5.4 Louis Le Vau.................................... 1005.5.5 Sir Christopher Wren .................... 101

6 Rokoko.......................................... 103

6.1 Zeitraum und Begriff ...................... 1036.2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund 1036.3 Merkmale des Baustils .................. 1046.3.1 Konstruktionsprinzipien des

Rokoko ............................................ 1046.3.2 Bauformen des Rokoko.................. 1056.4 Bautechnik und Baustatik .............. 1076.5 Architekten und ihre Bauwerke .... 1086.5.1 Johann Balthasar Neumann.......... 1086.5.2 Cosmas Damian Asam und

Egid Quirin Asam .......................... 1086.5.3 François Cuvilliés d. Ä. .................. 1106.5.4 Hans Georg Wenzeslaus Freiherr

von Knobelsdorff ............................ 1116.5.5 Gabriel Germain Boffrand ............ 1126.5.6 Johann Michael Fischer ................ 1144

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

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7 Klassizismus .............................. 115

7.1 Zeitraum und Begriff ...................... 1157.2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund 1157.3 Merkmale des Baustils .................. 1167.3.1 Konstruktionsprinzipien des

Klassizismus.................................... 1167.3.2 Bauformen des Klassizismus ........ 1177.4 Bautechnik, Baubetrieb und

Baustatik.......................................... 1207.5 Architekten und ihre Bauwerke .... 1217.5.1 Leo von Klenze................................ 1217.5.2 Karl Friedrich Schinkel .................. 1237.5.3 Louis Joseph Montoyer ................ 1257.5.4 Jacques-Germain Soufflot ............ 1267.5.5 Robert Adam .................................. 127

8 Historismus ................................ 129

8.1 Zeitraum und Begriff ...................... 1298.2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund 1298.3 Merkmale des Baustils .................. 1308.3.1 Konstruktionsprinzipien des

Historismus .................................... 1308.3.2 Bauformen des Historismus.......... 1308.4 Bautechnik und Baustatik .............. 1328.5 Architekten und ihre Bauwerke .... 1338.5.1 Friedrich von Gärtner .................... 1338.5.2 Sir Charles Barry ............................ 1358.5.3 Gottfried Semper............................ 1368.5.4 Jean-Loui Charles Garnier ............ 1388.5.5 Theophilus Edvard Freiherr

von Hansen .................................... 1398.5.6 Gabriel von Seidl ............................ 141

9 Jugendstil .................................... 145

9.1 Zeitraum und Begriff ...................... 1459.2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund 1459.3 Merkmale des Baustils .................. 146

9.3.1 Konstruktionsprinzipien des Jugendstils...................................... 146

9.3.2 Baudekoration des Jugendstils .... 1469.4 Bautechnik und Baustatik .............. 1489.5 Architekten und ihre Bauwerke .... 1489.5.1 Joseph Maria Olbrich .................... 1489.5.2 Otto Wagner.................................... 1499.5.3 Charles Rennie Mackintosh .......... 1519.5.4 Baron Victor Horta.......................... 1539.5.5 Antoni Gaudi .................................. 1549.5.6 Hector Guimard .............................. 155

10 Moderne ...................................... 157

10.1 Zeitraum und Begriff ...................... 15710.2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund 15710.3 Merkmale des Baustils .................. 15810.4 Bautechnik, Baubetrieb und

Baustatik.......................................... 15810.5 Teilepochen mit Architekten und

ihren Bauwerken ............................ 15910.5.1 Anfänge im Jugendstil .................. 15910.5.2 Rationalismus ................................ 16110.5.3 Deutscher Werkbund und

Bauhaus .......................................... 16210.5.4 De Stijl ............................................ 16410.5.5 Expressionismus ............................ 16510.5.6 Organische Architektur .................. 16610.5.7 Internationaler Stil.......................... 16810.5.8 Postmoderne .................................. 17010.5.9 Dekonstruktivismus........................ 17110.5.10 Zeitgenössische Architektur .......... 172

Zeiträume der Bauepochen ........................ 6Literaturverzeichnis .................................... 177Abbildungsverzeichnis ................................ 181Sachwortverzeichnis .................................. 182

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Inhaltsverzeichnis

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Zeiträume der Bauepochen(Allgemeine Übersicht, genauere Angaben bei den einzelnen Bauepochen)

Vorromanik:............................750-1000

Romanik: ................................1000-1250in Frankreich: ........................1000-1150

Gotik: ......................................1250-1520in Frankreich: ........................1150-1520

Renaissance: ..........................1520-1660in Italien: ................................1420-1560

Barock:....................................1660-1730in Italien: ................................1560-1780

Rokoko: ..................................1730-1780

Klassizismus: ........................1780-1830

Historismus: ..........................1830-1930

Jugendstil: ............................1890-1910

Moderne:................................1890-heute6

Zeiträume der Bauepochen

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1 Vorromanik1.1 Zeitraum und Begriff

Zeitraum: In Mitteleuropa: 750-1000

Karolingische Baukunst: 750-930

Ottonische Baukunst: 930-1000

Begriff: Die karolingische Architektur wird nach Kaiser Karl dem Großen (768-814) und seinemGeschlecht benannt. Er orientierte sich an der spätrömischen Kaiseridee und errichtete inMitteleuropa sein Frankenreich, um so germanische und romanische Völker zu vereinigen.

Die ottonische Architektur entwickelte sich unter den ottonischen Kaisern, die um die Jahrtau-sendwende herrschten (919-1024).

1.2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund

Das Mönchtum in der asketischen Form war wichtigster Träger und Vermittler einer religiösgeprägten Kultur. Mönche und Nonnen widmeten ihr Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsamganz der Verehrung Gottes. Die klösterliche Bewegung breitete sich als keltische und als bene-diktinische Version aus. Um eine Zersplitterung der Glaubenslehre zu vermeiden, legte schließ-lich Karl der Große 789 für alle Mönche die Statuten der Benediktiner fest. Unter ihm wurden imgesamten Frankenreich mehr als 1000 Klöster als Zentren der christlichen Mission und Mittel-punkte der Gesellschaft gegründet.

Als Erzieher und Gelehrte beeinflussten Mönche auch die weltlichen Herrscher. Der sehr gebilde-te Karl der Große zog berühmte Gelehrte an seine „Hofakademie“ und förderte gleichzeitig dieheimische Volkskultur.

Daneben wurde in bewusster Anlehnung an die römisch-konstantinische Kultur in höfischen undklerikalen Kreisen die menschliche Gestalt wieder in den Mittelpunkt gerückt (karolingische

Renaissance). Der Repräsentation des Kaisers diente auch die karolingische Hofschule, wo inWerkstätten wertvolle Kunstgegenstände, wie Miniaturen aus Elfenbein, Goldschmiedearbeitenoder kostbare Handschriften, geschaffen wurden. In der Architektur wurde das spätantike Erbedurch frühe christliche und germanische Bauformen ergänzt.

Die Karolinger schufen mit der „Hofkapelle“ ein zentrales Verwaltungsorgan, mit dem sie dieReichskirche und die Grafschaften beherrschten. Es entwickelte sich eine Feudalgesellschaft, dieauf dem Lehnswesen (lat. feudum: Lehen) beruhte und im gesamten Mittelalter erhalten blieb.

Die ottonischen Herrscher errichteten das Heilige Römische Reich und verlegten das Zentrumihrer Macht vom Rhein nach Sachsen. Im ottonisch-salischen Reichskirchensystem wurde dieHochkirche eng an den Kaiser gebunden, der Reichsbistümer und -abteien durch die Übergabevon Stab und Ring verlieh (Investitur). Das Reichskirchensystem wurde erst mit dem WormserKonkordat Anfang des 13. Jh. beendet.

Um 950 wurde von den Klöstern im Ostreich das Bildungssystem neu belebt. Otto I. unterstütztedieses Bemühen, indem er italienische Gelehrte nach Deutschland holte. Pädagogische Breiten-wirkung erzielten die Domschulen in Magdeburg, Hildesheim, Bamberg, Würzburg und Worms.

Das abendländische Kloster (lat. claustrum: abgeschlossener Raum) ist nach der Benediktinerre-gel eine räumlich genau festgelegte Gesamtanlage. Das zeigt als ältestes erhaltenes Zeugnis der

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um 820 entworfene Klosterplan von St. Gallen. Südlich oder nördlich der die Anlage beherr-schenden Kirche befindet sich ein Kreuzgang, also ein überwölbter Bogengang um einen qua-dratischen, meist bepflanzten Innenhof. Um dieses zentrale Bauwerk gruppieren sich die zurKlausur gehörenden Bauten des gemeinsamen Lebens:

● das Refektorium (Speisesaal),

● das Dormitorium (Schlafsaal, im Obergeschoss gelegen),

● der Kapitelsaal für die feierliche Versammlung der Mönchsgemeinschaft,

● das Parlatorium, der Raum, in dem sich Mönche unterhalten durften.

Daneben bestand ein Kloster aus weiteren Bauten, wie Küche, Wärmeraum, Brunnenhaus, Vor-ratshaus, Gästehaus und Wirtschaftsgebäude, die es weitgehend wirtschaftlich unabhängigmachten. Die Laienbrüder und -schwestern im mittelalterlichen Mönchstum wurden Konversengenannt, für die eigene Räume vorgesehen waren (Bild 1.1 und 1.2).

Im Gegensatz zu den Bischofskirchen wurde bei klösterlichen Sakralbauten, insbesondere beiden Zisterziensern und den Bettelorden, entsprechend dem Bekenntnis zur Schlichtheit, auf Tür-me, Chorumgänge und reiche Ornamentik verzichtet. Die Benediktiner errichteten ihre Klöstergern auf Anhöhen, die Zisterzienser in abgelegenen Tälern. Die Bettelorden, dazu gehörten Fran-ziskaner und Dominikaner, gründeten als Erste Klöster in den Städten.

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Vorromanik

Bild 1.1: Grundriss eines Klosters

Kirche

Parlatorium

Kapitelsaal

Kreuzgang

N

Konversen-bau

Wärmeraum

RefektoriumKüche

Wirtschafts-gebäude

Vorrats-haus

Gästehaus

Brunnen-haus

Bild 1.2: Vaucluse, ehemaliges Zisterzienserkloster,

Klosterkirche und Kreuzgang

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1.3 Merkmale des Baustils

1.3.1 Prinzipien vorromanischer KonstruktionDie karolingische Baukunst übernahm spätan-tike und frühchristliche Stilelemente und ver-band sie mit der irisch-angelsächsischen orna-mentalen Formenvielfalt. In der Frühzeit wur-den bescheidene Saalkirchen mit Apsiden und

Pastophorien (Sakristeien) errichtet (Bild 1.3).Die Apsis (griech. Rundung, Mz. Apsiden) istein halbkreisförmiger, mit einer Halbkuppelüberwölbter Raum für den Altar oder den Chor.Später wurde mit der Grundform eines christ-lichen Kreuzes eine dreischiffige Basilika mit

Querschiff entwickelt. Über der Vierung ragteein hoher Turm und die Eingangshalle wurdezu einem Westwerk vergrößert (Bild 1.4 und1.5). Daneben wurden auch Zentralbauten

nach byzantinischem Vorbild errichtet (Bild1.24, 1.25 und 1.26).

Im Gegensatz zur karolingischen Kunst befreite sich die Ottonik von der spätantiken Traditionund kann als Beginn der eigentlichen deutschen Kunst bezeichnet werden. Die ottonische Bau-kunst bildet auch den Übergang von der Vorromanik zur Frühromanik.

1.3.2 Vorromanische BauformenBogen

Elementares Kennzeichen des vorromanischen und des romanischen Baustils ist der Bogen. Erermöglicht die Überbrückung größerer Spannweiten im Steinbau. Dabei werden die zwischenzwei Widerlagern eingespannten Steine vorwiegend auf Druck beansprucht. Beim echten Bogen

sind die Fugen auf den Krümmungsmittelpunkt ausgerichtet. Die Steine sind entweder keilför-mig geschnitten und parallel verfugt oder sie sind rechteckig und werden mit keilförmigen Mör-telfugen verbunden. Der unechte Bogen besteht aus vorkragenden Steinen, wobei die Fugenwaagerecht und senkrecht verlaufen.

Die Bogenlinie beginnt am Widerlager oder Kämpfer mit dem Anfängerstein und endet mit demSchlussstein (Bild 2.40). 9

Merkmale des Baustils

Bild 1.4: Corvey, Klosterkirche, Längsschnitt Bild 1.5: Corvey, Klosterkirche, Grundriss

Seitenschiff Querschiff Apsis

Westwerk Seitenschiff Mittelschiff Stollenkrypta

Bild 1.3: Saalkirche, Grundriss

PastophorieApsiden

ApsidenPastophorie

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Anwendung des Bogens:

● zur Überspannung von Öffnungen: Fenster, Portale (Bild 1.16, Bild 2.26 bis 2.31),

● zur Übertragung von vertikalen Kräften: Gurtbogen, der quer zur Längsachse eines Tonnenge-wölbes verläuft (Bild 2.42 und 2.45); Scheidbogen, der zwischen Mittel- und Seitenschiff oderzwischen benachbarten Seitenschiffen einer Hallenkirche angeordnet ist; Schildbogen als seit-liche Begrenzung des Joches einer Basilika (Bild 1.21 und 2.45),

● zur Gliederung von Wandflächen: Wandbogen, Blendbogen (Bild 1.10) und Rundbogenfries

(Bild 2.33).

Karolingische Bauformen

● Westwerk: Westabschluss, der aus einer Eingangshalle und einem darüber liegenden, zumLanghaus offenen Raum mit Seitenemporen besteht. Äußerlich erscheint das Westwerk alsmassiver Turm, an dem manchmal seitliche Treppentürme angelehnt sind. Das Westwerk warfür den Kaiser vorgesehen (Bild 1.4 und 1.5).

● Krypta: (griech. kryptein: verbergen) unterirdischer Raum unter dem Ostabschluss oder demAltar der Kirche zur Bestattung von Märtyrern, Heiligen oder auch weltlichen Würdenträgern.Hier wurden auch Reliquien aufbewahrt. In Anlehnung an die frühchristlichen Katakombenwurde oft die Form der Stollenkrypta gewählt (Bild 1.5). Daneben gab es die Ringkrypta mit

Confessio (Gebetskammer, Bild 1.6) und die Außenkrypta (ebenerdiger, kapellenartigerAnbau).

● Flache Holzdecke oder Tonnengewölbe mit Gurtbögen zur besseren Stabilität und Stichkap-

pen zur wirkungsvolleren Ausleuchtung des Innenraumes (Bild 1.7).

● Rundbögen bei Fenstern, Portalen oder Arkaden (Bild 2.26 bis 2.31, Bild 2.15).

● Spolien: Wiederverwendung antiker Säulen und Kapitelle (z. B. Kompositkapitelle).

● Würfelkapitell mit mehreren Abdeckplatten oder ionisch nachempfundenes flaches Kapitell(Bild 1.8 und 1.9).

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Vorromanik

Bild 1.6: Ringkrypta mit Confessio, Grundriss

Märtyrergrab

Confessio mit Altartisch

Bild 1.7: Tonnengewölbe mit Stichkappe

Tonnen-gewölbe

Stich-kappe

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Karolingisches Bauwerksdekor

● Blendarkaden (Bild 1.10),

● Flechtbandfriese (Bild 1.11),

● Mosaike in Gewölben und auf Fußböden.

Ottonische Bauformen

● Tonnen-, Kreuzgrat-, Stichkappen- und Klostergewölbe für die Überwölbung der Krypta undder Nebenräume (Bild 2.8, 2.9, 1.7 und 1.12). Das Klostergewölbe besteht aus vier oder mehrWangen einer Tonne und belastet die Auflager allseitig.

● Auflockerung der Wände durch Säulen und Nischen (Bild 1.10).

● Gliederung der Säulenordnung mit Stützenwechsel zur Betonung der Vierung (Bild 2.20 und2.21).

● Würfelkapitell:

• Würfelkapitell mit Kämpferblock (Bild 1.13),

• Pilzkapitell (Bild 1.14),

• Figurenkapitell mit Zackenmotiv (Bild 1.15).

● Überfangbogen: Bogen, der zwei oder mehr Arkaden oder Blendarkaden überfängt (Bild 1.16). 11

Merkmale des Baustils

Bild 1.8: Würfelkapitell mit mehreren Abdeckplatten Bild 1.9: Ionisch nachempfundenes flaches Kapitell

Bild 1.10: Blendarkade Bild 1.11: Flechtbandfriese

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Vorromanik

Bild 1.12: Klostergewölbe

rechteckiger Grundriss oktogonaler Grundriss

Bild 1.13: Würfelkapitell mit

Kämpferblock

Bild 1.14: Pilzkapitell Bild 1.15: Figurenkapitell mit

Zackenmotiv

Bild 1.16: Gekuppeltes Fenster mit Überfangbogen

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1.4 Bautechnik und Baubetrieb

In der vorromanischen Bauepoche wurden vorwiegend sakrale Bauwerke, wie Kirchen und Klöster, errichtet. Zusätzlich entstanden Wehrburgen und repräsentative Pfalzen als Bauten derweltlichen Herrscher.

Konstruktion, Bauformen und Bautechnik wurden von der römischen Antike übernommen. Meistens wurden Saalkirchen gebaut, bei denen der Bezug zur römischen Bauweise nichtbesonders auffällt. Bei den wenigen Basiliken wird das römische Vorbild jedoch sichtbar.

Die Namen der Baumeister sind kaum überliefert. Bei den Sakralbauten übernahmen vorwie-gend Mönche die Bauleitung, die selbstbescheiden zur Ehre Gottes arbeiteten und deshalb wohlihren Namen nicht erwähnen wollten. Die Baumeister der Profanbauten wurden mituntergenannt: eine Inschrift in der Aachener Pfalzkapelle besagt, dass Karl der Große diese „ausge-zeichnete Ehrenhalle errichtet und Meister Odo sie ausgeführt hat“.

Die zeichnerische Planung bestand aus nicht maßstabsgerechten Grundrissen mit Bemaßungauf Pergament oder Steinplatten. Ansichten von Bauwerken wurden in der mittelalterlichenBuchmalerei dargestellt. Als Beispiel für die Anordnung der Klostergebäude galt der St. GallerKlosterplan. Alle diese Architekturzeichnungen waren nicht maßgenau konstruiert, da sie dasBauwerk nur anschaulich darstellen sollten. Im Gegensatz dazu wurde die Werkzeichnung imMaßstab 1:1 auf den Reißboden (Holzplatte, Fußboden, Mauerfläche) übertragen. MaßstäblicheVerkleinerungen gab es erst im späten Mittelalter.

Der Grundriss wurde auf dem Erdboden mit Gips markiert oder man steckte die Grenzlinien mitSchnur und Pflöcken ab. Als Vermessungsgeräte dienten die Messlatte, das rechtwinklige

Dreieck und der Bodenzirkel (Bild 3.43).

Der Grubenmeister organisierte den Abbau der Steine und leitete die Steinbrecher sowie dieHilfskräfte an. Der Transport der Steine erfolgte mit zwei- oder vierrädrigen Ochsenkarren.

Auf der Baustelle wurden Leiter (Bild 1.17 und 3.45) und Laufschräge (Bild 1.18 und 1.19) genutzt,um Material nach oben zu transportieren. Die Leiter bestand aus rechteckigen Holmen und ein-gezapften Sprossen, die Laufschräge aus Längsholmen und Flechtwerk oder aus Balken undBlockstufen. Traghilfen waren Schulterkorb, Vogel, Holzmulde und Tragbahre (Bild 1.17 und1.19). Mechanische Hebegeräte wie Kräne und Aufzüge, sowie Baugerüste wurden erst im 12. Jh.zeichnerisch dargestellt, sodass sie vermutlich erst in der Romanik angewendet wurden.

13

Bautechnik und Baubetrieb

Bild 1.17: Leiter, Schulterkorb,

Holzmulde

Leiter

Holzmulde

Schulterkorb

3

1

1 2

3

2

Bild 1.18: Laufschräge, Tragbahre

Laufschräge Tragbahre

1

1 2

2

Bild 1.19: Laufschräge,Tragbahre,

Vogel

Lauf-schräge

Trag-bahre

Vogel1

1

3

3

2

2

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1.5 Beispiele für Bauwerke

1.5.1 Sakrale Bauwerke

Reichenau Oberzell, Klosterkirche St. Georg (890-896)

Schwere wuchtige Mauern mit kleinen Fenstern und ein mächtiger Vierungsturm kennzeichnenden Außenbau der karolingischen Wehrkirche (Bild 1.20). Die dreischiffige Säulenbasilika mithalbrundem Westchor besteht aus einem lang gestreckten Mittelschiff, das von zwei etwa halb-hohen Seitenschiffen flankiert wird. Die Seitenschiffe schließen im Osten mit Apsiden ab.Ergänzt wird die Klosterkirche durch einen quadratischen Ostchor und eine später errichteteVorhalle (Bild 1.22). Die Arkaden der Hochschiffwände ruhen auf gedrungenen Rundpfeilern mitWürfelkapitellen. Beiderseits der zum Ostchor aufsteigenden Treppen führen Stollen zu einer frühen Form einer schlichten Hallenkrypta mit vier Säulen. Wie ursprünglich alle vor- und früh-romanischen Sakralbauten besitzt die Klosterkirche St. Georg eine flache Holzdecke. Einmaligsind die Wandmalereien aus ottonischer Zeit um 950, die von den Wundertaten Christi erzählen(Bild 1.21).

Steinbach/Odenwald, Einhardsbasilika (821-827)

Die dreischiffige, flachgedeckte, karolingische Pfeilerbasilika des Klosters Steinbach wurde vonEinhard, dem Bauleiter und Biografen Karls des Großen, gestiftet. Strenge Einfachheit und spar-same Dekoration sind kennzeichnend für diese älteste Basilika nördlich der Alpen. Das Mittel-schiff wird durch Arkadenreihen eingefasst, die auf schlanken, verputzten Backsteinpfeilernruhen. An der Ostseite schließen Chor und Pastophorien mit gewölbten Apsiden ab. Die Stollen-

krypta besteht aus drei tonnengewölbten Gängen, die unter Chor und Pastophorien jeweils zueinem Kreuz ausgebildet sind (Bild 1.23 und 1.24).14

Vorromanik

Bild 1.20: Klosterkirche St. Georg, Ansicht von Süd-

ostenBild 1.21 Innenansicht

Bild 1.22: Grundriss

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Lorsch, Torhalle (um 774)

Die Torhalle ist eines der wenigen repräsentativen Gebäude aus der Regierungszeit Karls desGroßen und ein bedeutungsvoller Überrest des ehemaligen Reichsklosters Lorsch. Sie grenzteden Vorhof der Kirche nach Westen ab. Baustil und Formensprache erinnern an römische Vorbil-der: Pfeiler mit vorgelegten Halbsäulen, die Rundbögen einfassen, kannelierte Pilaster mit geän-derten ionischen Kapitellen und ein palmettenartiger Blätterfries. Somit wird die Bezeichnung„Triumphtor“ verständlich, obgleich die mittlere Bogenöffnung nicht durch Vergrößerung betontwird. Die äußeren Wandflächen sind mosaikartig mit weißen und roten Steinplatten verkleidet.Hier zeigt sich dem Betrachter eines der schönsten erhaltenen Beispiele karolingischer Fassa-

dengliederung (Bild 1.25).

15

Beispiele für Bauwerke

Bild 1.23: Einhardsbasilika, Grundriss Bild 1.24: Längsschnitt

Bild 1.25: Torhalle in Lorsch, Außenansicht

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Hildesheim, St. Michael (1000-1031)

In beherrschender Lage zeigt sich die dreischiffige Basilika mit zwei Querschiffen und zwei Chö-ren, die sowohl ottonische als auch frühromanische Merkmale aufweist. Die Chorhäuser an derwestlichen und an der östlichen Seite enden mit einer Apsis, wobei der ostseitige Chor vonNebenapsiden flankiert wird. Über den beiden Vierungsquadraten erheben sich mächtige Türmemit flachen Pyramidendächern, während die vier Treppentürme mit Kegeldächern abschließen(Bild 1.26). Im Innern wird durch den sächsischen Stützenwechsel (Bild 2.20) eine rhythmischeGliederung erzeugt (Bild 1.27). Über den Würfelkapitellen mit abwechslungsreicher ornamenta-ler Verzierung spannen sich rot-weiß gequaderte Rundbögen. Die doppelgeschossigen Emporen

werden durch Arkaden dekorativ aufgelockert. Unter dem Westchor befindet sich eine dreischif-fige Hallenkrypta mit tonnengewölbtem Umgang. Typisch für den frühromanischen Baustil sinddie rundbogigen Mulden- und Fensternischen an den Außenseiten des Umgangs.

Gernrode, ehemalige Nonnenstiftskirche St. Cyriacus (961-983)

Auf einer Anhöhe gelegen, ist die Stiftskirche ein eindrucksvolles Beispiel ottonischer Baukunst

in Deutschland. Die dreischiffige Emporenbasilika besitzt eine Flachdecke und zwei Chöre. DemOstchor schließt sich das Querhaus mit halbrunden Apsiden an, während der Westchor mit gro-ßer Apsis von runden Türmen flankiert wird. Von außen ist die Stiftskirche mit vielen gekuppel-ten und einfachen Rundbogenfenstern sowie mit Blendbögen reich gegliedert, ohne dabei unbe-scheiden prunkhaft zu wirken. Das schlichte Erscheinungsbild wird durch das Bruchsteinmauer-werk noch unterstrichen. Der Innenraum erzeugt mit rheinischem Stützenwechsel und Arkadeneine feierliche Stimmung. Die Ostkrypta – wohl die älteste Hallenkrypta Deutschlands – wirddurch ein dreiteiliges Tonnengewölbe mit kurzen Stichkappen abgedeckt (Bild 1.28 und 1.29).

16

Vorromanik

Bild 1.26: St. Michael, Ansicht von Südosten Bild 1.27: Grundriss

Bild 1.28: St. Cyriacus, Grundriss Bild 1.29: Längsschnitt

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1.5.2 Profanes BauwerkAachen, Pfalz, Pfalzkapelle (786 -ca. 800)

Kaiser Karl der Große ließ für den Hofstaat eine repräsentative Palastkapelle unter der Leitungdes fränkischen Baumeisters Odo von Metz nach dem Vorbild des byzantinischen Zentralbaus S. Vitale in Ravenna errichten. Die Pfalzkapelle ist der einzig erhaltene Bauteil der Pfalz. Siebesteht aus einem oktogonalen klostergewölbten Mittelraum und einem sechzehneckigenUmgang, der durch Tonnen und Stichkappen gewölbt ist. Acht abgewinkelte Pfeiler tragen dieArkaden im Erdgeschoss und im Emporengeschoss. Hier sind zweigeschossige Bogenstellungenauf antiken Säulen mit korinthischen Kapitellen in sie hineingestellt. Im Westen ist ein rechtecki-ger Vorraum mit einer hohen Rundbogenportalnische und zwei runden Treppentürmen vorge-legt. Außen ist die Pfalzkapelle mit Eckquadern, Rundbogenfenstern und Pilastern gegliedert(Bild 1.30, 1.31, 1.32 und 1.33).

17

Beispiele für Bauwerke

Bild 1.30: Pfalzkapelle, Grundriss

Untergeschoss

Obergeschoss

Bild 1.31: Außenansicht Bild 1.32: Innenansicht

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Von der Karolingischen Pfalz in Aachen ist im Originalzustand nur die Pfalzkapelle erhaltengeblieben. Nach einem im Jahre 1970 erstelltem Modell von Leo Hugot gehörten zu der Pfalzneben der Pfalzkapelle die Königshalle (lat. aula regia) sowie Unterkunfts-, Empfangs- und Wirt-schaftsbauten (Bild 1.33).

18

Vorromanik

Bild 1.33: Aachen, Pfalz

Königshalle

Pfalzkapelle

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2 Romanik2.1 Zeitraum und Begriff

Zeitraum: In Deutschland: 1000-1250

Frühromanik: 1000-1100

Hochromanik: 1100-1180

Spätromanik: 1180-1250

In Frankreich: 1000-1150

In England: 1065-1200

In Italien: 1060-1250

In Spanien: 1000-1200

Begriff: Die Bezeichnung „Romanik“ wurde vom französischen Historiker De Gerville im Jahr1818 in Anlehnung an den Begriff „romanische Sprachen“ formuliert. Sie verweist auf die Ver-wandtschaft zur römischen Architektur, von der sie Rundbogen, Pfeiler, Säule und Gewölbeübernahm. Die Romanik ist ein Stil der abendländischen Kunst im Mittelalter. Sie entstandunter den ottonischen Kaisern in Deutschland und erfuhr in Frankreich ihre umfang-reichste Ausprägung.

2.2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund

Die Romanik ist die Bauepoche des Hochmittelalters. Das Lebensgefühl der Menschen wurdegeprägt durch Unsicherheit und Ängste, hervorgerufen von Krankheiten, Gewalttaten und derAbhängigkeit vom Lehnsherrn. Sie suchten daher Schutz und Trost hauptsächlich im christ lichen

Glauben, mitunter auch im Aberglauben.

Religiöser und kultureller Mittelpunkt waren die Klöster, vor allem die der Benediktiner und derZisterzienser. Pilgerwallfahrten nach Rom, Santiago de Compostela oder Jerusalem dientenauch dem Erfahrungsaustausch zwischen den Mönchen und somit dem Bau von Kirchen undKlöstern.

Der philosophisch-theologische Hintergrund war gekennzeichnet durch die Frühscholastik unddie Mystik. Die scholastische Methode erfolgte streng nach den Regeln der Syllogistik und demPrinzip, dass Wahrheit nur bei den Autoritäten, wie griechischen Philosophen, Bibel und Kirche,gefunden werden konnte. Die Syllogistik ist die von Aristoteles entwickelte Lehre von der logi-schen Schlussfolgerung aus der Verbindung von zwei Prämissen, also von zwei Vor aus -setzungen. In der Frühscholastik hatte sich grundsätzlich die scholastische Philosophie derTheolo gie unterzuordnen.

In ergänzender Wechselbeziehung zur Scholastik stand die Mystik als Versöhnung von Glaubeund Vernunft. Der Mystiker versuchte durch Versenkung und Hingabe zur persönlichen Vereini -gung mit Gott zu gelangen.

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2.3 Merkmale des Baustils

2.3.1 Prinzipien romanischer Konstruktion

Ein Hauptmerkmal der romanischen Kirchenbauten ist die klare Gliederung in rhythmischeAbschnitte (Joche), die auf das Vierungsquadrat als Modul bezogen werden (gebundenes

System).

Die Vierung entsteht aus der Durchdringung von Mittelschiff und Querschiff. Diese sind in derRegel gleich breit, sodass sich ein Vierungsquadrat bildet. Dem im Grundriss quadratischen Jochdes Hauptschiffes entsprechen je zwei Seitenschiffsjoche von halber Breite. An das Langhausschließt sich der im Osten gelegene Chor an (Bild 2.1).

Typen sakraler Bauten

Der am weitesten verbreitete Typus romanischer Kirchenbauten ist die Basilika, bei der das Mit-telschiff höher als die Seitenschiffe ist und durch Fenster über dem Dachansatz der Seitenschiffe,genannt Obergaden, Licht einfallen kann (Bild 2.2). Die Emporenbasilika besitzt zu beiden Seitendes Mittelschiffs Emporen über den Seitenschiffen (Bild 2.3). In den byzantinischen Kirchen wardie Empore für die Frauen und in den Klosterkirchen für die Nonnen bestimmt. Mitunter warenEmporen auch für weltliche Herrscher vorgesehen.

Bild 2.1: Grundriss einer romanischen Kirche

Seitenschiff Mittelschiff

Vierung

Querschiff

Chor

Bild 2.2: Aufriss einer Basilika Bild 2.3: Aufriss einer Emporenbasilika

Romanik

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