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Mali und die Sahelzone: Ein potenzieller Krisenraummali-mali.de/Risikovorsorge.pdf ·...

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Mali und die Sahelzone: Ein potenzieller Krisenraum Prof. Dr. Peter Pez, Friederike Brumhard, Mathias Becker, Robert Oschatz, Sally Ollech, Susann Aland, Ute Tschirner Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Stadt- und Kulturraumforschung Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge Juni 2009
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Mali und die Sahelzone:Ein potenzieller Krisenraum

Prof. Dr. Peter Pez,Friederike Brumhard, Mathias Becker,

Robert Oschatz, Sally Ollech, Susann Aland, Ute Tschirner

Leuphana Univers i tät Lüneburg, I nst i tut für Stadt- und Kulturraumforschung

Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

Juni 2009

Leuphana Universität LüneburgInstitut für Stadt- und KulturraumforschungScharnhorststraße 121335 LüneburgDeutschland

Fon +49.4131.677-2691Fax +49.4131.677-2692www.leuphana.de/ifsk

Herausgeber: Prof. Dr. Peter PezAutoren: Friederike Brumhard (Kapitel 1) Susann Aland (Kapitel 2) Robert Oschatz (Kapitel 3) Ute Tschirner (Kapitel 4) Sally Ollech (Kapitel 5) Mathias Becker (Kapitel 6)

Redaktion: Sabine ArendtTitelfoto: Susann AlandLayout: Mathias Becker

InhaltsverzeichnisExecutive Summary 1

1. Mali – die Exkursion und ihre Begleitveranstaltungen 2

2. Klima und zu beobachtende Klimazonenverschiebung 4 2.1 Lagebeschreibung und Gradnetzeinordnung 4 2.2 Klima- und Vegetationszonen 4 2.3 Klimatische Entwicklungen in der Sahelzone 5 2.4 Beobachtungen während des Aufenthaltes in Mali im Februar 2009 9 2.5 Schlussfolgerungen 11

3. Bevölkerung 12 3.1 Die Bevölkerungssituation in Mali 12 3.2 Auswirkungen des Bevölkerungswachstums 14 3.3 Ansatzpunkte zur Regulierung der Bevölkerungsexplosion 183.4 Schlussfolgerungen 19

4. Transportsystem in Mali 20 4.1 Koloniale Verkehrserschließung in Westafrika 20 4.2 Momentane Struktur des Verkehrssystems 20 4.3 Das heutige Verkehrsnetz 24 4.4 Schlussfolgerungen 27

5. Krisenanfälligkeit – Hazardmanagement und heutige Entwicklungszusammenarbeit 285.1 Geographische Risikoforschung und Hazardmanagement 28 5.2 Ausgangslage: Krisenanfälligkeit Malis und der Bedarf eines Hazardmanagements 30 5.3 Entwicklungszusammenarbeit in Mali 32 5.4 Schlussfolgerungen 32

6. Fazit - Empfehlungen für eine überregionale Risikovorsorge 34 6.1 Ausbau von Frühwarnsystemen 34 6.2 Aktive Familien- und Bevölkerungspolitik 356.3 Ausbau der Verkehrsinfrastruktur 356.4 Wirtschaftliche Integration der Sahelländer 36

Literaturverzeichnis 38

AbbildungsverzeichnisAbb. 1: Klima- und Vegetationszonen Afrikas 4Abb. 2: Vergleichende Klimatabelle der Perioden 1930-60 und 1961-90 für die Station Mopti 6Abb. 3: Vergleichendes Klimadiagramm der Perioden 1930-60 und 1961-90 für die Station Mopti 6Abb. 4: Abweichung der mittleren Niederschläge vom langjährigen Mittel 497 mm (1931-2000) 7Abb. 5: Vergleichende Klimatabelle der Perioden 1930-60 und 1961-90 für die Station Gao 7Abb. 6: Vergleichendes Klimadiagramm der Perioden 1930-60 und 1961-90 für die Station Gao 8Abb. 7: Verschiebung der Niederschlagsmittel im Senegal zwischen den Perioden 1960-69 und 1990-94 8Abb. 8: Blick über den nördlichen Stadtrand von Timbuktu 9Abb. 9: Sanddünen am nördlichen Stadtrand von Timbuktu 9Abb. 10: Sandverwehungen auf der Straße in Timbuktu 10Abb. 11: Klimadiagramm der Station Timbuktu (Bezugszeitraum 1961-90) 10Abb. 12: Rohe Sterberate in Einw. / 1.000 Einw. 12Abb. 13: Rohe Geburtenrate in Einw. / 1.000 Einw. 13Abb. 14: Modell des demographischen Übergangs 13Abb. 15: Räumliche Darstellung der landwirtschaftlichen Nutzung im Sahel 14Abb. 16: Beispiel für Ruralisierung, Esel in Timbuktu 16Abb. 17: Koranschüler in Timbuktu 17Abb. 18: Brennholztransport auf der Straße nach Timbuktu 17Abb. 19: Reifenpanne auf der Strecke nach Timbuktu 21Abb. 20: Fährtransport auf der Strecke nach Djenné 23Abb. 21: Transportinfrastruktur in Westafrika 2005 24Abb. 22: Vorhandene und geplante Eisenbahnlinien 2005 27Abb. 23: Schätzungen zur Nahrungsmittelsicherheit in Mali für den Zeitraum April bis Juni 2009 29Abb. 24: Straßensteinproduktion aus Plastikabfällen in Sévaré 32Abb. 25: Bewässerter Anbau in Kénékolo bei Kati 33Abb. 26: Ministaudamm in Kénékolo bei Kati 33

AbkürzungsverzeichnisABN L‘Autorité du Bassin du NigerCFA Franc de la Communauté Financière d‘AfriqueDED Deutscher EntwicklungsdienstECOWAS Economic Community of West African StatesEZ EntwicklungszusammenarbeitFES Friedrich Ebert StiftungGTZ Gesellschaft für technische ZusammenarbeitNRO NichtregierungsorganisationOMVS Organisation pour la mise en valeur du fleuve SénégalSWAC Sahel and West Africa ClubUEMOA Union Économique et Monétaire Ouest-AfricaineUNCTAD United Nations Conference on Trade and Development

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Mali und die Sahelzone: Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

Executive Summary

Plädoyer für eine überregionale RisikovorsorgeDie Erinnerung an die großen Dürrekatastro-phen der 1970er und 1980er Jahre, die den Sahel zum Synonym für Hunger werden ließen, ist längst verweht. Aber auch wenn die letzte Dekade überdurchschnittlich regenreich war und man schon vom „Ergrünen des Sahels“ sprach - die Gefahr einer neuen Dürre besteht nach wie vor. Die Verschiebung der Vege-tations- und Klimazonen, vermutlich Folge der globalen Erwärmung, kann selbst in den gegenwärtigen, niederschlagsreichen Jahren beobachtet werden. Die Lebensgrundlage der Menschen wird zusätzlich durch ein rasantes Bevölkerungswachstum in allen Sahelländern bedroht, das sich auch in den kommenden Jahren nicht wesentlich verlangsamen wird. Ohnehin schon knappe Ressourcen werden zunehmend übernutzt, was Desertifikation und Bodendegradation weiter vorantreibt und im Falle ausbleibender Niederschläge einen gefährlichen Teufelskreis in Gang setzt. Beson-ders prekär wäre eine neue Dürreperiode für den Sahel, da die Verkehrsinfrastruktur für eine Versorgung im Krisenfall völlig unzureichend ist.

Die vorliegende Arbeit plädiert daher dafür, exemplarisch für Mali, die unabdingbaren und erfolgreichen lokalen EZ-Projekte um eine übergeordnete, staatenübergreifende Strategie zur Risikovorsorge zu ergänzen. Der dringend nötige Ausbau von Infrastruktur und Früh-warnsystemen, eine stärkere Betonung von Bildungs- und Familienpolitik sowie die Förde-rung von Ansätzen staatenübergreifender Ko-operation und Integration im Sahel erscheinen als wichtige, bisher nicht ausreichend verfolgte Felder einer Entwicklungspolitik, deren erfolg-reiche Bottom-Up-Projekte einer Ergänzung durch Top-Down-Ansätze bedürfen.

Plea for a Cross-Border Risk PreventionThe great famines that made the Sahel syno-nymous with hunger in the 1970‘s and 1980‘s are almost a distant memory. While the last decade has brought unusually abundant rainfall and talk of a ‚greening of the Sahel‘, the threat of drought remains ever present. A shift in vegeta-tion zones as well as in climate zones has been observed, even during the recent ‚wet years‘ - an assumed effect of global warming. Expan-ding population growth within the countries comprising the Sahel, places greater burden upon the fragile environment. Increasing use of already scarce resources has the potential to accelerate desertification and soil degradation, triggering a vicious cycle of overuse and scar-city. Given issues with limited transportation infrastructure, it is likely that during a time of crisis, adequate provisioning to the area would be difficult.

Showcasing Mali as an example, this paper will advocate for a superordinated cross-border hazard prevention strategy, to supplement the various successful local projects that are already in existence. Components of the strate-gy include an urgent improvement in transport infrastructure, development of early warning and monitoring systems, increased political focus on education and family issues, and a strengthening of efforts to improve cross-border relations across the entire Sahel region. While Top-Down-Strategies have not been emphasized by development policies in recent years, they are vital to the ongoing success of current Bottom-Up-Projects in the Sahel.

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Leuphana Universität Lüneburg, Juni 2009

Vom 7. bis zum 26. Februar 2009 führten 18 Studierende und 2 Lehrende der Kulturgeographie und der Kulturtheorie der Leu-phana Universität Lüneburg eine

Studienreise nach Mali durch. Zuvor hatte sich die Gruppe im Rahmen verschiedener Veranstaltungen ein Semester lang theoretisch auf die Reise vorbereitet. Dazu setzten sich die Teilnehmenden in einem geographisch orien-tierten Seminar mit den lokalen klimatischen und geologischen Bedingungen auseinander sowie mit der Geschichte, der politischen Ent-wicklung, der Bevölkerungssituation und den Wirtschaftsstrukturen des Landes. Daneben wurde ein Seminar zu Unterentwicklungs-theorien und Entwicklungsstrategien für den Bereich der ‚Dritten Welt‘ sowie ein kulturthe-oretisches Seminar mit dem Titel: ‚Darstellung afrikanischer Kulturen in den Medien: das Beispiel Mali‘ angeboten. Durch diese koope-rative Vorbereitung aus den Studiengebieten Kulturgeographie und Kulturtheorie und in-terkulturelle Studien stand von Anfang an eine interdisziplinäre und umfassende Betrach-tungsweise des Landes und seiner Probleme im Mittelpunkt, die auch im Laufe der Reise Gespräche und Begegnungen bestimmte.

Die Reiseroute führte die Gruppe von Bamako über Ségou, Mopti, Djenné, Timbuktu und Bandiagara zurück nach Bamako. Dabei gab es Gespräche mit verschiedenen VertreterInnen deutscher Organisationen der Entwicklungs-zusammenarbeit (EZ), politischen Stiftungen und verschiedener (malischer) NRO‘s. So wurde die Gruppe vom deutschen Botschafter in Bamako Karl Flittner empfangen, der einen ersten Überblick über die deutsch-malische EZ gab. Dieser wurde im Folgenden durch Ge-spräche mit MitarbeiterInnen des deutschen Entwicklungsdienstes (DED), der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenar-beit (GTZ) und der Friedrich Ebert Stiftung (FES) vertieft und es wurden Probleme und Entwicklungsstrategien diskutiert. Ergänzend konnten die ExkursionsteilnehmerInnen in Gesprächen mit einheimischen NROs Zeuge

von vielfältigem lokalen Engagement in den Bereichen Ressourcenschutz, Wirtschaftsför-derung, Demokratisierung und Gesundheits-aufklärung werden.

Zusammen mit den eigenen Beobachtungen bezüglich der Geomorphologie, Klimatologie, Bevölkerungs-, Stadt-, Agrar-, Tourismus- und Wirtschaftsgeographie Malis haben die Teil-nehmenden einen vielschichtigen Eindruck der Probleme und Chancen Malis erhalten. Infolgedessen wurde intensiv über die gegen-wärtige Situation insbesondere bezüglich der Infrastruktur, der Bevölkerungsentwicklung und der klimatischen Veränderung diskutiert. Auffällig war die Diskrepanz zwischen der eigenen Einschätzung Malis als potenzieller Risikoraum und der augenscheinlich kaum vorhandenen Vorsorgemaßnahmen vor Ort. Als Essenz der Exkursion soll deshalb dieser Umstand näher analysiert werden. Auch wenn der Eindruck durch die notgedrungen stipp-visitenhafte Berührung mit dem Land bzw. der Großregion Westafrika nur in begrenztem Umfang Schlussfolgerungen für die Entwick-lungszusammenarbeit erlaubt, kann vielleicht gerade der Blickwinkel von Außenstehenden, die nicht der zermürbenden Kleinarbeit des Ta-gesgeschäftes unterliegen, eine neue Perspek-tive in der strategischen Ausrichtung (wenn auch nicht in der operativen Umsetzung) eröffnen. In das intensive interkulturelle Er-lebnis der Exkursion mit vielen ausgesprochen positiven Momenten der zwischenmensch-lichen Begegnung mischte sich jedenfalls für die Teilnehmenden immer wieder die Sorge um die langfristigen Daseinsvoraussetzungen der Bevölkerung. In den Gesprächen hierüber haben sich Schlussfolgerungen herauskristal-lisiert, von denen die Teilnehmenden und OrganisatorInnen der Exkursion überzeugt sind, dass sie entwicklungspolitischen Ent-scheidungsträgern in Deutschland und Mali zur Kenntnis gelangen sollten.

Im Folgenden wird daher zunächst die klima-tische Entwicklung für den westlichen Sahel-raum dargestellt und ebenso wie der Bestand

1. Mali – die Exkursion und ihre Begleitveranstaltungen

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Mali und die Sahelzone: Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

Besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen aufgrund der Weltwirtschafts-krise scheinen Risikovorsorge und Hazard-management von besonderer Bedeutung zu sein, um die ohnehin empfindlich getroffenen Länder nicht noch verletzbarer durch andere Krisen, wie Dürren und Hungersnöte, zu machen.

der Verkehrsinfrastruktur Malis und die Bevölkerungsentwicklung unter der Fragestel-lung bewertet, in wie fern die aktuelle Situation Rückschlüsse auf zukünftiges Krisenpotenzial zulässt. Im Anschluss wird die Krisenanfällig-keit Malis bewertet, die Notwendigkeit eines Hazardmanagements erläutert und schließlich Strategien zur umfassenden Risikovorsorge abgeleitet.

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Leuphana Universität Lüneburg, Juni 2009

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den klimatischen Entwicklungen in Mali. Es werden zunächst jüngere Tendenzen in der Vege-tation des Sahels betrachtet, um

diese dann langfristigen Messwerten gegen-überzustellen. Anhand der Ergebnisse und zusätzlicher Beobachtungen, die vor Ort im Februar 2009 gesammelt wurden, werden die zunehmende Trockenheit und die wachsende Gefährdung der Sahelzone durch Dürreperio-den betont und auf die Notwendigkeit für eine Notfallplanung aufmerksam gemacht.

2.1 Lagebeschreibung und Gradnetzeinordnung

Mali liegt in Westafrika und grenzt im Nord-osten an Algerien, im Osten an Niger und Burkina Faso, im Süden an Côte d’Ivoire und Guinea, im Westen an den Senegal und im Nordwesten an Mauretanien. Mit einer Fläche von 1.240.192 km² (Fischer Weltalmanach 2002, 181) erstreckt sich das Land zwischen ca. 10° und 25° nördlicher Breite sowie zwischen ca. 12° westlicher und 4° östlicher Länge.

2.2 Klima- und VegetationszonenDer klimatischen Betrachtung Malis wird im Folgenden die Klimaklassifikation nach Troll/Paffen zugrunde gelegt. Bei dieser Klassifika-tion sind allgemein Jahreszeiten, Wechsel von Trocken- und Regenzeiten, die Temperatur sowie die Vegetation von Bedeutung. Die Erde ist in fünf Großklimazonen, die nach Tempera-turwerten abgegrenzt werden, eingeteilt: polare und subpolare Zonen (I), kaltgemäßigte Zonen (II), kühlgemäßigte Zonen (III), warmgemä-ßigte Subtropenzonen (IV) und Tropenzonen (V). Bei der Untergliederung der Hauptzonen werden ebenfalls Trocken- und Regenzeiten bzw. aride und humide Monate und besonders die jeweils vorherrschende Vegetation berück-sichtigt. Aufgrund der beschriebenen Lage und Größe Malis sind von Süd nach Nord insgesamt vier verschiedene Klima- und Vegetationszo-

nen zu finden. Diese sind in der Abb. 1 - stark vereinfacht - dargestellt nachzuvollziehen.

Der südliche Teil Malis befindet sich bis etwa 13° nördlicher Breite in der Trockensavanne der wechselfeuchten Tropenklimate (V 3). Die aride Zeit in den Wintermonaten hält durch-schnittlich 5 bis 7,5 Monate an. Zwar herrschen zwischen Trocken- und Regenzeit sehr unter-schiedliche Bedingungen mit entsprechend ausgeprägter jahreszeitlicher Vegetation, doch sind die durchschnittliche Niederschlagsmen-ge, -dauer und -verlässlichkeit des Monsuns ausreichend für Landwirtschaft. Die Trocken-savanne zeichnet sich durch mannshohes Gras und einen sehr aufgelockerten Baumbestand aus. Zwischen ca. 13° und 18° nördlicher Breite folgt die Dornsavanne der tropischen Trockenklimate, welche in Nordafrika auch als Sahelzone bezeichnet wird (V 4). Der saisonale Niederschlag in der Sahelzone ist monsunal bedingt. Mit 7,5 bis 10 Monaten überwiegt die winterliche aride Zeit des Jahres. Die kurze, vor

2. Klima und zu beobachtende Klimazonenverschiebung

Abb. 1: Klima- und Vegetationszonen Afrikas (stark vereinfacht, Quelle: Becker 2000)

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Mali und die Sahelzone: Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

und Futter für das Vieh, sondern boten in der Nähe der Felder vor allem Windschutz für die Saat. Das Vieh wiederum war Düngerlieferant für den Boden. Diese Zusammenhänge von schützender Vegetation und den Erfolgsaus-sichten der Ernte verbreiteten sich zunehmend über Mundpropaganda, so dass andere Dörfer gezielt Akazien anpflanzten (vgl. Schmid 2009, 136 ff.).

Bei dem Erfolg der Pflanzaktionen ist zu be-rücksichtigen, dass sie in der Folgezeit ab etwa Mitte der 1980er Jahre und besonders seit etwa 2000 durch natürlich feuchtere Jahre begünstigt wurden. Das Ergrünen des Sahels ist maßgeb-lich auf diese erhöhte Feuchtigkeit zurückzu-führen. Es darf nicht vergessen werden, dass in dieser Klimazone die Niederschlagsvariabilität sehr hoch ist und stets das Risiko von erneuten Dürrephasen besteht. Dabei ist zu bedenken, dass die Niederschlagsmengen nicht nur von Jahr zu Jahr enorm schwanken können, sondern auch die räumliche Verteilung innerhalb einer Regenzeit (vgl. Krings 2006, 21).

Betrachtet man langjährige Mittelwerte von Temperatur und Niederschlag, ist eine klima-tische Entwicklung in Richtung Trockenheit festzustellen. Um diese langfristige Tendenz zu verdeutlichen, werden im Anschluss Klima-daten aus den Zeiträumen 1930 bis 1960 und 1961 bis 1990 ausgewählter Klimastationen Malis miteinander verglichen.

Die Klimastation Mopti ist anhand der Tem-peraturwerte und der Anzahl der humiden Monate in die Dornsavanne der Tropenzone (V 4), sprich in die Sahelzone, einzuordnen. Die Temperatur des kältesten Monats liegt über 13 °C und im Klimadiagramm sind drei humide Monate abzulesen. Werden die Mittelwerte der Temperatur aus der Periode 1930-60 mit denen der Periode 1961-90 verglichen (Abb. 2), ist ein durchschnittlicher Temperaturanstieg von ca. 0,48 °C abzulesen. Bei den Niederschlags-werten hingegen ist ein erkennbarer Rückgang zu verzeichnen. Wie die Tabelle zeigt, sind die Mittelwerte besonders in den Hauptmonaten der Regenzeit gesunken: im Juli von 147 mm auf 128 mm, im August von 198 mm auf 143 mm und im September von 94 mm auf 82 mm.

allem sehr variable humide Zeit und die stete Gefahr von Dürrejahren lassen Ackerbau in diesem Raum ohne regelmäßige Bewässerung nicht zu. An diesen Lebensraum mit schütterer Vegetation, kniehohem Gras, Dornsträuchern und vereinzelnd auftretenden Sukkulenten (z. B. Affenbrotbaum) haben sich nomadisch lebende Völker angepasst. Richtung Norden schließt sich bis ungefähr 20° nördlicher Breite das Klima der tropischen Halbwüsten- und Wüsten an (V 5). Typisch für diesen Raum sind Sukkulenten wie bspw. Kakteen. Im äußersten Norden herrscht ab ca. 20° nördlicher Breite Halbwüsten- und Wüstenklima der warmge-mäßigten Subtropenzone (IV 5).

2.3 Klimatische Entwicklungen in der Sahelzone

Erst kürzlich, im April 2009, berichtete das Wochenmagazin ‚DER SPIEGEL’ über das zu beobachtende Ergrünen der Sahelzone. Der Geograph Chris Reij von der Freien Universität Amsterdam macht darauf aufmerksam, dass seit etwa 20 Jahren der Baumbestand in Niger jährlich um ca. ¼ Mio. Hektar anwächst und dass Vergleichbares ebenso in Burkina Faso und Mali festzustellen ist. Diese Entwicklungen führt Reij auf zufällige Ereignisse zurück, die er während seiner regelmäßigen Aufenthalte im Sahel seit 30 Jahren beobachtet hat. In Zeiten der Dürre, wie zwischen 1968 und 1973 sowie Anfang der 1980er Jahre, versucht sich die lokale Bevölkerung auf verschiedene Weise aus der Not zu helfen. Sie schlagen Brennholz, um es auf dem Markt zu verkaufen und etwas Geld für Nahrungsmittel zu verdienen. Mit steigendem Holzeinschlag sinkt der Erosions-schutz der Böden und die Gefahr der Abtragung von fruchtbarem Boden samt Saat steigt. Einen weiteren Ausweg suchen junge Männer, indem sie in Nachbarländern ihre Arbeitskraft anbie-ten. In der Dürreperiode Anfang der 1980er Jahre wurde durch die (Arbeits-)Migration das Roden mancherorts in Niger vernachlässigt, was sich nach Einsetzen des Niederschlags im Juni als Glücksfall erwies: Dort wuchs die Hirse auffallend besser heran als auf den Feldern, in deren Nähe der Baumbestand reduziert wurde. Die heimischen Akazien, die in der Trockenzeit Blätter tragen, spendeten nicht nur Schatten

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Leuphana Universität Lüneburg, Juni 2009

Monat J F M A M J J A S O N D

Mittl. Temp. in °C (1930-60)

22,6 25,2 29 31,6 32,8 31,2 28,6 27,3 28,3 28,8 26,8 23,1

Mittl. Temp. in °C (1961-90)

23,2 26,2 29,4 32,3 33,4 31,7 29,1 27,7 28,3 29,3 26,9 23,5

Mittl. Nied. in mm (1930-60)

<1 <1 1 5 23 56 147 198 94 18 1 <1

Mittl. Nied. in mm (1961-90)

0 0 0 4 24 53 128 143 82 18 0 1

Abb. 2: Vergleichende Klimatabelle der Perioden 1930-60 und 1961-90 für die Station Mopti (Quellen: Richter 1996, 321; Mühr 2007b)

Mopti (14° 30'N / 4° 12'W)

0

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20

30

40

50

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J F M A M J J A S O N D

T in °C

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120

140

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200 N in mm

mittl. Niederschlagin mm (1930-60)

mittl. Niederschlagin mm (1961-90)

mittl. Temp. in °C(1930-60)

mittl. Temp. in °C(1961-90)

Abb. 3: Vergleichendes Klimadiagramm der Perioden 1930-60 und 1961-90 für die Station Mopti (eigener Entwurf nach Daten von Richter 1996, 321; Mühr 2007b)

Das Klimadiagramm in Abb. 3 veranschaulicht den leichten Anstieg der Temperaturkurve sowie den Rückgang der durchschnittlichen Niederschläge in Mopti.

Zusätzlich soll das Auftreten von Dürrephasen, die eingangs als Merkmal der Sahelzone be-schrieben wurden, in die Betrachtung mit ein-bezogen werden. Zwar treten Dürren in dieser

Klimazone immer mal wieder auf, jedoch ist zu beachten, dass sich der Abstand der Trocken-phasen seit Ende der 1960er Jahre zunehmend verkürzt und deren Intensität zugenommen hat. Verglichen mit dem langjährigen Nieder-schlagsmittel 497 mm (Bezugszeitraum 1931-2000) treten Niederschlagsdefizite ab etwa 1970 häufiger auf, wie Abb. 4 zeigt (vgl. Krings 2006, 23).

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Mali und die Sahelzone: Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

Abb. 4: Abweichung der mittleren Niederschläge vom langjährigen Mittel 497 mm (1931-2000) (Quelle: Atlas du Mali 2001, 19 nach Krings 2006, 23)

Ein weiteres Beispiel soll diesen langjährigen Trend belegen. Die Stadt Gao liegt nordöstlich von Mopti und, laut Klimakarte, ebenfalls in der Sahelzone, allerdings mit deutlich niedrigeren durchschnittlichen Niederschlagswerten am Übergang zur tropischen Halbwüste. Zwischen den Vergleichszeiträumen ist die Temperatur im Durchschnitt um ca. 0,42 °C angestiegen. Auch hier sind sinkende Niederschläge zu ver-zeichnen. Besonders auffällig ist der Rückgang im August von 127 mm auf 75 mm (Vgl. Abb. 5).

Das Zusammenwirken von Temperaturan-stieg und Niederschlagsrückgang, wie es der Vergleich der Bezugszeiträume 1930-60 und 1961-90 zeigt, hat zur Folge, dass Gao sich nicht mehr in der Klimazone V 4, sondern deutlicher in der Zone V 5, also in der tropischen Halbwü-ste, befindet. In dem Klimadiagramm für Gao (Abb. 6) sind für den Zeitraum 1930-60 noch zwei humide Monate abzulesen, während in der Zeit 1961-90 nur noch in einem Monat der Niederschlag größer als die Verdunstung ist.

Monat J F M A M J J A S O N D

Mittl. Temp. in °C (1930-60)

22 25 28,8 32,4 34,6 34,5 32,3 29,8 31,8 31,9 28,4 23,3

Mittl. Temp. in °C (1961-90)

22,6 25,4 29,4 32,8 35,6 35,1 32,6 31,1 32,1 32,1 27,5 23,5

Mittl. Nied. in mm (1930-60)

<1 0 <1 <1 8 23 71 127 38 3 <1 <1

Mittl. Nied. in mm (1961-90)

0 0 0 3 7 22 63 75 29 5 0 0

Abb. 5: Vergleichende Klimatabelle der Perioden 1930-60 und 1961-90 für die Station Gao (Quellen: Richter 1996, 321; Mühr 2007a)

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Leuphana Universität Lüneburg, Juni 2009

Gao (16° 16'N / 0° 3'W)

0

10

20

30

40

50

60

70

J F M A M J J A S O N D

T in °C

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40

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80

100

120

140 N in mm

mittl. Niederschlagin mm (1930-60)

mittl. Niederschlagin mm (1961-90)

mittl. Temp. in °C(1930-60)

mittl. Temp. in °C(1961-90)

Abb. 6: Vergleichendes Klimadiagramm der Perioden 1930-60 und 1961-90 für die Station Gao (Quellen: Richter 1996, 321; Mühr 2007a)

Die zunehmende Aridifizierung der tropischen Breiten Westafrikas kann auch in Malis Nach-barländern wie bspw. im Senegal nachgewiesen werden. Aus Abb. 7 wird der Rückgang der Nie-derschlagsmengen im Senegal ersichtlich.

Während im Zeitraum 1960-69 im Norden Se-negals noch durchschnittlich zwischen 200 mm und 400 mm Niederschlag fielen, wurden in den Jahren 1990-94 nur noch Werte unter 200 mm gemessen. In der Hauptstadt Dakar sind die Messungen sogar von 500 mm bis 700 mm

Abb. 7: Verschiebung der Niederschlagsmittel im Senegal zwischen den Perioden 1960-69 und 1990-94 (Quelle: Service de la Météorologie National, Sénégal 1998 nach Krings 2006, 24)

auf 200 mm bis 400 mm gesunken (vgl. Krings 2006, 24). Wie an der Grafik gut zu erkennen ist, verlaufen die Linien gleicher Niederschlags-mengen (Isohyeten) ungefähr breitengradparal-lel. Das bedeutet, dass sich diese Entwicklungen auch auf den Süden Malis übertragen lassen.

Die beschriebene klimatische Verschiebung in Mali konnte während der universitären Exkur-sion im Februar 2009 anhand der beobachteten Vegetation bestätigt werden.

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Mali und die Sahelzone: Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

2.4 Beobachtungen während des Aufenthaltes in Mali im Februar 2009

In der Beschreibung der Reiseroute des ein-leitenden Kapitels wurde Timbuktu als ein Etappenziel der Studienreise im Februar 2009 erwähnt. Mit den Koordinaten 16°46’N / 3°1’W müsste Timbuktu nach der Klassifikation von

Troll/Paffen in der Sahelzone (V 4) liegen und die Vegetation der Dornsavanne vorherrschen. Die Beobachtungen vor Ort zeigten jedoch ein anderes Bild: Schon über die Dächer Timbuk-tus hinaus waren Sanddünen dicht am Rand der Stadt zu sehen (Abb. 8). Große Flächen des Gebietes, das sich im Norden an Timbuktu an-schließt, sind gar nicht von Vegetation bedeckt und unterliegen der Winderosion (Abb. 9).

Abb. 8: Blick über den nördlichen Stadtrand von Timbuktu (Aufnahme: Sally Ollech)

Abb. 9: Sanddünen am nördlichen Stadtrand von Timbuktu (Aufnahme: Mirja Greßmann)

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Leuphana Universität Lüneburg, Juni 2009

Abb. 10: Sandverwehungen auf der Straße in Timbuktu (Aufnahme: Mirja Greßmann)

Der feine Sand der nahen Dünen wird häufig von den Luftmassenströmungen des Harmat-tan in die Stadt getragen, in der er sich überall ablagert. In der Abb. 10 sind bspw. Sandver-wehungen auf einer Straße in Timbuktu zu sehen. Im Extremfall können Sandstürme zur Versandung der Verkehrswege führen und sie unpassierbar machen.

Diese Beobachtung kann durch die Tempera-tur- und Niederschlagswerte von Timbuktu aus dem Bezugszeitraum 1961-90 unterstützt werden. Aus dem Klimadiagramm in Abb. 11 ergibt sich nur ein Monat, in dem der Nieder-schlag die Verdunstung übersteigt. Das spricht folglich für das Klima der tropischen Halb-wüste, denn nach Troll/Paffen sind 2 bis 4,5 humide Monate Bedingung für die Sahelzone.

Zwar gibt es keine wissenschaftliche Messgröße für die Ausbreitung der Wüste am Rand der Sahelzone oder genaue quantitative Erfas-sungsmethoden der Folgeerscheinungen, die in konkreten Zeiträumen auftreten (vgl. Krings 2006, 69), doch kann die Tatsache der fort-schreitenden Desertifikation, die mit der Kli-

Timbuktu (16° 46'N / 3° 1'W)

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100N in mm

Niederschlag inmm (1961-90)

Temperatur in°C (1961-90)

Abb. 11: Klimadiagramm der Station Timbuktu (Bezugszeitraum 1961-90) (eigener Entwurf nach Daten von Mühr 2007c)

mazonenverschiebung einhergeht, nicht igno-riert werden. Die Langzeittendenzen müssen Beachtung finden und in Überlegungen der Entwicklungszusammenarbeit mit einbezogen werden.

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Mali und die Sahelzone: Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

2.5 SchlussfolgerungenDie jüngste klimatische Entwicklung im Sahel darf nicht über den langfristigen Trend in Richtung Trockenheit hinwegtäuschen. Die zu beobachtende Klimazonenverschiebung bringt ernstzunehmende Folgen und Handlungsbe-darf bzw. die Notwendigkeit zu einem Umden-ken mit sich. In Gesprächen mit der lokalen Bevölkerung wurde immer wieder die Feuch-tigkeit der letzten Jahre, die die Landwirtschaft in vielen Teilen Malis begünstigt, betont. In dieser, für die Sahelzone eher ungewöhnlich feuchten Phase ruht besonders für die ländliche Bevölkerung, die auf erfolgreiche Ernten ange-wiesen ist, sehr viel Hoffnung. Die weit verbrei-tete Hoffnung, dass sich dieser Trend fortsetzt, lässt das stete Risiko einer Dürre zu sehr in den Hintergrund rücken. Auch nach Auskunft der Deutschen Botschaft in Bamako gibt es derzeit keinen akuten Notstand oder ‚Grund zur Sorge‘ in Mali.

Trotz der gegenwärtigen erfreulichen Situation des ergrünenden Sahels macht die geogra-phische Lage Malis mit den instabilen klima-tischen Verhältnissen über längere Zeiträume das Denken an und vor allem die Planung für Notzeiten unabdingbar. Nicht nur die agrono-mische Inwertsetzbarkeit des Raumes ist stark von der Verlässlichkeit des Niederschlages abhängig, sondern auch die Versorgung der nördlichen Gebiete auf dem Flussweg. Bei ver-stärkter Aridifizierung nimmt die Verdunstung des Niger, der durch große Teile des Landes als Fremdlingsfluss fließt, zu, was sich negativ auf die Niger-Binnenschifffahrt auswirkt. In den Monaten zwischen Februar und Juli ist der Fluss in dem Raum zwischen Mopti und Tim-buktu nur von kleinen motorisierten Pinassen und Segelbooten befahrbar. Langfristig gesehen ist die regelmäßige Lebensmittelversorgung der nördlichen Sahelzone auf dem Wasserweg in Gefahr (vgl. Krings 2006, 25).

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Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit dem Bevölkerungs-wachstum in Mali. Zuerst wird die derzeitige Bevölkerungssituation beschrieben und Malis Bevölke-

rungsentwicklung innerhalb des ‚Modells des demographischen Wandels‘ eingeordnet. Im Weiteren werden dann die Auswirkungen, die sich aus dem rasanten Bevölkerungswachstum ergeben, und mögliche Ansatzpunkte zur Regu-lierung der Bevölkerungsexplosion aufgezeigt.

3.1 Die Bevölkerungssituation in Mali

In den letzten 60 Jahren hat sich die Bevölke-rung in Mali vervierfacht. Um 1950 lebten in Mali 3,3 Mio. Menschen (vgl. UN – Department of Economic and Social Affairs Population De-vision 2008), heute sind es 12,7 Mio. Menschen (vgl. World Population Bureau 2008, 10). Ver-gleicht man das Bevölkerungswachstum mit dem Deutschlands, das heute mit 82,2 Mio. Einwohnern (ebda., 7) seit 1950 lediglich um 20 % gewachsen ist, wird deutlich, wie rasant die Bevölkerung in Mali zugenommen hat. Dieses rasante Wachstum bleibt nicht ohne Folgen für die Menschen und ihre Lebenssituation.

Auch die räumlichen Gegebenheiten der beiden Länder sind sehr unterschiedlich. Zwar umfas-sen die Landesgrenzen Malis eine Gesamtfläche von 1.240.192 km² (Fischer Weltalmanach 2002, 181) und somit ist Mali dreieinhalb Mal so groß wie Deutschland, allerdings ist fast die Hälfte des Lebensraumes Saharagebiet oder gehört der

3. Bevölkerung

semiariden Sahelzone an (vgl. Barth 1986, 6; s. Kapitel 2). Diese naturräumliche Voraussetzung erschwert die Lebenssituation im ganzen Land und hat die Konzentration der Bevölkerung in Ballungsgebieten zur Folge. Die steigende Be-völkerungszahl führt zu einem verstärkten Grad der Urbanisierung. In Mali leben bereits 31 % der Bevölkerung in Städten und auch hierbei ist eine Vervierfachung in den letzten 60 Jahren festzustellen (vgl. World Population Bureau 2008, 10).

Das starke Bevölkerungswachstum Malis ist auf einen hohen Saldo der natürlichen Bevöl-kerungsbilanz zurückzuführen. Sie setzt sich aus den demographischen Kennzahlen der Geburten- und Sterberate zusammen. Malis Sterberate ist mit 15 Toten / 1.000 Einwohner (World Population Bureau 2008, 10) relativ gering und im Vergleich zum Jahr 1950 mit 31 Toten / 1.000 Einwohner (UN – Department of Economic and Social Affairs Population Devision 2008) deutlich gesunken (Abb. 1). Die Geburtenrate mit 48 Kinder / 1.000 Einwohner (World Population Bureau 2008, 10) ist hingegen noch immer sehr hoch. Als Vergleich dient auch hier die Rate von 1950 mit 51,8 Kinder / 1.000 Einwohner (vgl. UN– Department of Economic and Social Affairs Population Devision 2008, s. auch Abb. 2), aber auch im internationalen Vergleich weist Mali eine sehr hohe Geburten-rate auf (vgl. World Population Bureau 2008, 7 f.). Im gesamten Subsahararaum ist ein enorm hohes Bevölkerungswachstum zu verzeichnen, das eine der zentralen Herausforderungen im 21. Jahrhundert darstellt (vgl. Vimard 2008, 9).

1950-551 1975-801 20082

Mali 31 24,3 15

Afrika 26,2 17,2 14

Deutschland 11,1 12,2 10

Abb. 12: Rohe Sterberate in Einw. / 1.000 Einw. (Quellen: 1 World Population Bureau 2008, 7 & 10; 2 United Nations – Department of Econonic and Social Affairs Population Division 2008.)

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1950-551 1975-801 20082

Mali 51,8 52 48

Afrika 48,9 45,8 37

Deutschland 16 10,3 8

Abb. 13: Rohe Geburtenrate in Einw. / 1.000 Einw. (Quellen: 1 World Population Bureau 2008, 7 & 10; 2 United Nations – Department of Econonic and Social Affairs Population Division 2008.)

Mit Hilfe der Geburten- und Sterberate ist es möglich Mali, innerhalb des ‚Modells des de-mographischen Übergangs’ einzuordnen, um so den demographischen Entwicklungsstand des Landes festzustellen. Das Modell beschreibt an Hand von fünf Phasen (Abb. 3), den demo-graphischen Entwicklungszyklus eines Landes (vgl. Bähr 2004, 222).

Dabei ergibt sich aus dem Verlauf der Ge-burten- und Sterberate die jeweilige Zuwachs-rate des Landes. Mali ist aufgrund seiner hohen Geburtenrate und der bereits gesunkenen Ster-berate in die zweite frühtransformative Phase einzuordnen und steht demnach am Anfang

des demographischen Übergangs. Die Einord-nung verdeutlicht, dass ein aktiver Umgang mit der Bevölkerungsproblematik von Nöten ist, um die Phase eines hohen Bevölkerungs-zuwaches möglichst schnell zu überwinden. Der Zeitraum, den verschiedene Länder in der Vergangenheit benötigt haben, um den demo-graphischen Übergang zu durchlaufen, variiert stark von 40 bis 200 Jahren (vgl. ebda.). Auf-grund der Auswirkungen, die sich durch den rasanten Bevölkerungsanstieg ergeben sowie dem Bewusstsein, das es sich um einen Prozess handelt, dessen Phasen zu überwinden sind, ist es wichtig, schnell und aktiv auf den Prozess einzuwirken.

Abb. 14: Modell des demographischen Übergangs (Quelle: Bähr 2004, 220)

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3.2 Auswirkungen des BevölkerungswachstumsPrognosen, die für Mali hinsichtlich der Bevöl-kerungsentwicklung abgegeben werden, wie z. B. von den Vereinten Nationen, gehen in ihrem mittleren Entwicklungsszenario von einer Verdreifachung der Bevölkerung bis 2050 aus (vgl. UN – Department of Economic and Social Affairs Population Devision 2008). Ein derar-tiges Wachstum des mittleren Szenarios stellt Mali in den kommenden Jahren vor erhebliche Herausforderungen.

Der Grad der Bevölkerung stellt einen Faktor dar, der sich verstärkend auf bereits bestehende Herausforderungen, wie die der Nahrungsmit-telsicherung (vgl. Krings 2006, 115) und damit verbundener Vorratshaltung (vgl. Vimard 2008, 7), der medizinischen Versorgung (vgl. ebda., 8), der unzureichenden Infrastruktur, der man-gelhaften Bildungsmöglichkeiten sowie dem hohen Grad der Urbanisierung (vgl. World Population Bureau 2008, 10; Krings 2006, 192),

auswirkt. Für den Urbanisierungsgrad gilt zwar eine enge Verknüpfung mit dem Bevölkerungs-wachstum, er wird jedoch auch durch Wande-rungsmotivationen mitbedingt (vgl. Lohnert 1995, 100).

Auch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wird durch die Überbevölkerung gehemmt. Kommt es innerhalb eines Landes zu einem Bevölkerungswachstum, das über dem des Pro-Kopf-Einkommens liegt, dann wird dadurch die Entwicklung erheblich erschwert (vgl. Bähr 2004, 113). Für den gesamten Sahel-raum gilt diese Problematik, sodass in den 1980 und 1990er Jahren das Pro-Kopf-Einkommen zurückgegangen ist (Vimard 2008, 16), während die Bevölkerungszahl weiter anstieg (UN – De-partment of Economic and Social Affairs Popu-lation Devision 2008). Im Falle Malis stieg die Wachstumsrate der Bevölkerung 2008 um 3,3 %, wohingegen das Pro-Kopf-Einkommen von 2007 bis 2008 sogar um fast 8 % geschrumpft ist (vgl. World Population Bureau 2007, 11; World Population Bureau 2008, 11).

Abb. 15: Räumliche Darstellung der landwirtschaftlichen Nutzung im Sahel (Quelle: Krings 2006, 119)

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3.2.1 NahrungsmittelsicherungHinzu kommt, dass Malis wirtschaftliche Ent-wicklung sehr stark auf dem landwirtschaft-lichen Sektor basiert (vgl. USAID 2008; Krings 2006, 116). Nach Angaben des deutschen Bot-schafters Karl Flittner sieht sich der Staat auch selbst als Agrarstaat mit dem Ziel des Reisex-ports. Die Aussage lässt sich durch die Abb. 15 stützen.

Das gesamte Anbaugebiet entlang des Niger-Bani-Flusssystems ist von Bourgou-Weide und Reiskultur geprägt und stellt neben den Baum-wollanbaugebieten um Sikasso den wichtigsten Agrarraum des Landes dar. Das Flusssystem dient zum Einen als zentrales Verkehrsmittel und zum Anderen ist das Binnendelta als die ‚Reiskammer des Landes’ anzusehen (vgl. ebda., 57).

Durch den erhöhten Bevölkerungsdruck kommt es zu einer sinkenden Pro-Kopf-Nahrungsmittelproduktion, die wiederum zu einer Steigerung des gesamtstaatlichen Nahrungsmitteldefizits führt (vgl. ebda., 66). Somit wirkt sich die steigende Bevölkerung negativ auf die Nahrungsmittelsicherung und die Exportleistung Malis aus. Die Nahrungs-mittelknappheit hat wiederum Hungersnöte und gesundheitliche Ausfallerscheinungen zur Folge, die meistens besonders die schwachen Gruppen der Bevölkerung treffen. Messbar wird die Situation an der Kindersterblichkeit. Die Kindersterblichkeit liegt in Mali bei 96 Kindern / 1.000 Einwohner (World Population Bureau 2008, 7) und erreicht damit, ähnlich wie die Kindersterblichkeitsrate der gesamten Sahelregion, einen der höchsten Werte weltweit (vgl. ebda; Krings 2006, 64). Eine hohe Kinder-sterblichkeit ist nicht nur die Folge mangelnder Gesundheitsversorgung, sondern auch der Nahrungsmittelknappheit im ganzen Land.

Die Annahme, dass es durch das Bevölkerungs-wachstum überhaupt erst zur Nahrungskrise kommt, ist allerdings nur begrenzt richtig. Der zunehmende Bevölkerungsdruck wirkt sich nicht zwangsläufig negativ auf den Lebensraum aus. So ist die Vermutung, dass aufgrund des Bevölkerungswachstums eine verstärkte Deser-tifikation einsetzt, nicht unbedingt zu halten. Gerade Regionen, die von dem Problem der Desertifikation betroffen sind, verzeichnen niedrige Fertilitätsraten sowie eine hohe Kin-dersterblichkeit und weisen so eine unterdurch-schnittliche natürliche Wachstumsrate auf (vgl.

Gallais 1984, nach Krings 2006, 70). Das Be-völkerungswachstum ist also nicht alleine die Ursache des Problems der Desertifikation.

3.2.2 Medizinische VersorgungDie hohe Kindersterblichkeit ist auch ein In-dikator für eine schlechte medizinische Ver-sorgung im Land. Viele Malier haben nicht die Möglichkeit, einen medizinischen Dienst in Anspruch zu nehmen. Krankheiten wie Malaria oder Bilharziose sind weit verbreitet. Sie betref-fen sehr häufig gerade die Kinder und durch fehlende medizinische Versorgung stellen sie ein erhebliches Problem dar. Das Bevölke-rungswachstum macht eine flächendeckende Versorgung sehr schwer. Im Bereich der me-dizinischen Grundversorgung, z. B. während der Schwangerschaft, sind erhebliche Defizite vorhanden. Auch hier gilt, dass die Probleme der medizinischen Versorgung nicht allein im Bevölkerungswachstum liegen, jedoch durch eben diese verstärkt werden (vgl. Vimard 2008, 8).

3.2.3 InfrastrukturNeben der Verbesserung der medizinischen Versorgung bedarf es auch in anderen Be-reichen der Infrastruktur einer Anpassung an das starke Bevölkerungswachstum. Betrachtet man die Verkehrssituation in Mali, könnte es im Falle einer erneuten Dürreperiode zu zusätz-lichen Versorgungsengpässen kommen. Der Faktor der Überbevölkerung erhöht die Dring-lichkeit der besseren Erschließung des Landes. In den schlecht erschlossenen Regionen steigt mit der Bevölkerung die Zahl der gefährdeten Gruppen. Es ist wichtig, auf diesen Wandel zu reagieren, direkt durch eine Anpassung des Verkehrsnetzes (s. Kapitel 4) und indirekt durch eine Steuerung des demographischen Wandels.

Unter anderem durch die schlechte Versor-gungslage in ländlichen Regionen, besonders in Bereichen des semiariden Nordens, der zusätz-lich zu seiner klimatisch bedingten Ungunstlage durch seine fehlende infrastrukturelle Anbin-dung gekennzeichnet ist, kommt es innerhalb Malis zu größeren Migrationsbewegungen (vgl. Lohnert 1995, 101; Krings 2006, 58).

3.2.4 UrbanisierungNicht nur Wanderungsbewegungen sondern auch der rasante Bevölkerungsanstieg führen zum Entstehen von Ballungsgebieten und zu einer steigenden Urbanisierungsquote. Äquiva-lent zum Bevölkerungswachstum der letzten 60

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Jahre ist auch der Grad der Urbanisierung um das Vierfache gestiegen (vgl. World Population Bureau 2008, 10). Das Städtewachstum stellt das Land vor weitere Herausforderungen. Ein unkontrollierter Zuwachs führt zu einer man-gelhaften Infrastruktur, die sich in Form einer verkehrstechnischen Überlastung oder durch unzureichende Versorgung in den Städten ausdrückt. Durch das schnelle Wachstum der Städte, verbunden mit Versorgungsengpässen, sind viele Stadtbereiche von ihrem Erscheinen eher durch ländliche Strukturen gekennzeich-net. Ziegen und Hühner gehören zum Stadtbild und lassen auf eine anteilige Form von Selbst-versorgung schließen. Dieses Phänomen war vor Ort sogar in der Hauptstadt Bamako deut-lich zu spüren. „Man spricht dabei von einer ‚Ruralisierung der Stadt‘.“ (Krings 2006, 87, s. auch Abb. 16).

3.2.5 BildungIn Mali ist außerdem ein starker Fokus auf die Hauptstadt Bamako festzustellen. Diese

demographische ‚primacy‘, d. h. Vormachtstel-lung, wird zusätzlich durch eine funktionale ‚primacy‘ überlagert und drückt sich besonders im Bildungsbereich aus (vgl. Heineberg 2006, 38). So besitzt Bamako die einzige Universität Malis. Die Bildungssituation ist insgesamt unzureichend und durch die zunehmende Bevölkerung ist eine flächendeckende Schul-ausbildung schwer zu gewährleisten. Die An-alphabetenquote wird vom Auswärtigen Amt auf 72 % bei den über 15-Jährigen geschätzt (Auswärtiges Amt 2008). Nicht jedes Kind hat die Möglichkeit zur Schule zu gehen. Gerade Mädchen und jüngere Geschwister sind be-sonders benachteiligt. Den Mädchen bleibt die Möglichkeit, zur Schule zu gehen häufig ganz verwehrt. Die Jungen, für die keine Schulaus-bildung gewährleistet werden kann, besuchen oft eine Koranschule. Dort lernen sie Gebets-verse auswendig und müssen sich ihre tägliche Mahlzeit auf der Straße erbetteln. Eine unzu-reichende Bildungssituation ist zugleich Folge und Ursache der Bevölkerungsproblematik.

Abb. 16: Beispiel für Ruralisierung, Esel in Timbuktu (Aufnahme: Mathias Becker)

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3.2.6 BrennholzEine weitere Folge äußert sich in der geringen Verfügbarkeit von Brennholz. Im städtischen wie auch im ländlichen Raum kommt es durch den Anstieg der Bevölkerung zu einem höheren Bedarf an Brennholz (Abb. 18). Es ergibt sich hierdurch eine Brennholzproblematik, die zu einer zunehmenden Verwundbarkeit weiter Be-völkerungsteile führt. Durch den herrschenden

Abb. 17: Koranschüler in Timbuktu (Aufnahme: Mathias Becker)

Abb. 18: Brennholztransport auf der Straße nach Timbuktu (Aufnahme: Robert Oschatz)

Mangel müssen z. B. die Frauen oft ihre per-sönlichen Bargeldreserven angreifen, um an Brennholz zu kommen (vgl. Heineberg 2006, 73). Dies wirkt sich wiederum verstärkend auf die Hungerkrise sowie die Versorgungssi-tuation aus. Durch den Bevölkerungsanstieg gibt es bezüglich der Brennholzsituation zwei Auswirkungen: Einerseits einen Anstieg des Holzschlages durch den steigenden eigenen Verbrauch und andererseits durch die zusätz-

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liche Einnahme, die durch den Brennholzver-kauf möglich wird. Als Reaktion wurden in Mali dezentral organisierte Holzeinschlagge-biete festgelegt. Die offizielle Festlegung konnte jedoch den informellen Holzeinschlag nicht verhindern und es wird deutlich, dass eine Dezentralisierungspolitik bezüglich der Ver-antwortungsstrukturen im Umweltbereich Ne-gativfolgen haben kann (vgl. Krings 2007, 76).

Die Auswirkungen des Bevölkerungswachs-tums sind in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens zu spüren und es wird deutlich, dass bestehende Probleme durch den schnellen Zuwachs der Bevölkerung verschärft werden. Dabei haben die Probleme häufig primär eine andere Ursache, können jedoch durch das starke Bevölkerungswachstum schwerer bewäl-tigt werden.

3.3 Ansatzpunkte zur Regulierung der BevölkerungsexplosionEs gibt entscheidende Ansatzpunkte, um einem weiteren rasanten Bevölkerungswachstum entgegen zu wirken und die Verstärkung der bereits vorhandenen Probleme der Nahrungs-mittelsicherung, der mangelhaften Infrastruk-tur, der medizinischen Unterversorgung und der Urbanisierung zu stoppen. Hierfür liegen Schlüsselfunktionen beim Ausbau des Bil-dungssektors, des Gesundheitswesens, in einer Stärkung der Rolle der Frauen und alles um-fassend in einer zielgerichteten Familienpolitik (vgl. Vimard 2008, 16).

3.3.1 Rolle der FrauGanz entscheidend für die Regulierung des Bevölkerungsanstiegs ist die Nutzung und Ak-zeptanz von Verhütungsmitteln. Für die Umset-zung und die gesellschaftliche Akzeptanz spielt der Bildungsgrad eine enorm wichtige Rolle. Die Frau nimmt für eine erfolgreiche Umset-zung der Geburtenkontrolle eine Schlüsselrolle ein. Bei der Reproduktion einer Gesellschaft ist vornehmlich die Fertilitätsrate entscheidend, d. h. wie viele Kinder eine Frau im gebärfähigen Alter bekommt. So ist für ein Entgegenwirken des Bevölkerungswachstums die Frau und ihr Bildungsstand von entscheidender Bedeutung. „... most if not all studies agree on the key factors affecting fertility and use of contracep-tives: the mother‘s level of education and even the father‘s level of education...“ (ebda.).

3.3.2 BildungDurch eine Stärkung des Bildungsbereichs kann die Spirale der generationsübergreifen-den Armut bekämpft werden. Die Bildung der Kinder ermöglicht ihnen und ihrer Familie neue Chancen für die nächste Generation, womit Per-spektiven für eine zukünftige Verbesserung der Lebensbedingungen geschaffen werden können. Dabei ist Bildung nicht nur ein Schlüssel, um das Bevölkerungswachstum in den Griff zu bekom-men, auch das wirtschaftliche Wachstum kann dadurch gestützt werden, denn durch Bildung wird beispielsweise die Innovationskraft des Landes gestärkt (vgl. ebda., 18).

3.3.3 Medizinische VersorgungGrundlegend ist jedoch neben der Stärkung der Rolle der Frauen und des Ausbaus im Bildungs-sektor, dass gleichzeitig eine Verbesserung der medizinischen Versorgung gewährleistet wird. Hierdurch kann Kindersterblichkeit gesenkt werden. Das könnte langfristig auch zum Rückgang der Fertilitätsrate führen, denn die Bewusstseinsstärkung und Aufklärung im Bereich Verhütung und Familienplanung muss mit einem Zugang zu entsprechenden medi-zinischen Mitteln gekoppelt sein, um eine flä-chendeckende Umsetzung erreichen zu können.

3.3.4 FamilienpolitikFür einen Wandel der Bevölkerungsstruktur muss auch auf politischer Ebene mit dem Problem des rasanten Bevölkerungswachs-tums umgegangen werden. Die bisher nicht ausreichend funktionierende Familienpolitik (vgl. ebda.) sollte in Zukunft, um den Trend des Bevölkerungswachstums einzudämmen, eines der zentralen Themen für die Entwick-lungszusammenarbeit werden. Es sollte eine politische Strategie implementiert werden, die zum Einen auf der regionalen Ebene der zurzeit verfolgten Dezentralisierung ansetzt, zum Anderen jedoch auch eine zentrale Strategie auf nationaler Ebene beinhaltet. Hierfür erscheint folglich in methodischer Hinsicht eine Ergän-zung durch eine Top-Down-Strategie sinnvoll. Diese muss jedoch zwingend an die malische Kultur und Lebensweise angepasst sein. Durch eine gemischte Umsetzung zwischen dezen-traler Bottom-Up-Strategie und zentraler Top-Down-Strategie ließe sich eine geeignete Mischung zum Erreichen eines gemäßigteren Bevölkerungsanstiegs verfolgen. Mit einer Re-gulierung der Bevölkerungssituation ließe sich der allgemeine Trend der Urbanisierung zwar nicht stoppen, sicherlich jedoch verlangsamen.

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3.4 SchlussfolgerungenDas weltweite Phänomen der zunehmenden Verstädterung ist auch in der Sahelregion für die Zukunft zu erwarten. Doch durch eine Regulierung des Bevölkerungszuwachses ließe sich der Prozess eventuell entschleunigen und würde dann eine Reaktion mit infrastruk-turellen Maßnahmen besser ermöglichen. Städtische Strukturen sollten dem Wachstum angepasst werden. Dabei zeigt sich, dass für fast alle Probleme, die direkt oder indirekt mit der demographischen Veränderung zusammen-hängen, eine gekoppelte Strategie gelten muss: Zum Einen müssen die Ursachen des Problems behoben werden, im Falle der Urbanisierung z. B. eine Aufwertung des ländlichen Raumes durch verbesserte Versorgung und Infrastruk-tur etc., und zum Anderen gilt es, das hohe Bevölkerungswachstum als generelles Phäno-

men zu bremsen. Ohne eine Kombination aus Top-Down- und Bottom-Up-Strategie kann es passieren, dass die Bemühungen, den unter-schiedlichen Problemen des Sahels entgegen zu wirken, immer einen Schritt zu langsam sind.

Der zunehmende Anstieg der Bevölkerung ist eine der großen Herausforderung für alle Be-teiligten, die an der Verbesserung der Lebens-bedingungen im Sahel arbeiten. „The [demo-graphic] challenge is therefore huge and each and everyone of us must understand its full extent“, sagt die fränzösiche Ministerin für Zu-sammenarbeit und Francophonie (vgl. Vimard 2008, 8). Es sollte die Aufgabe sein, sich auf den unterschiedlichsten Wegen, zentral und de-zentral, dem enormen Bevölkerungswachstum anzunehmen und dadurch die Gesamtsituation in Mali zu verbessern.

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4. Transportsystem in Mali

Das Transportsystem wird allge-mein als wesentlicher Faktor der räumlichen und wirtschaftlichen Entwicklung betrachtet. In der geographischen Entwicklungs-

forschung taucht die Schaffung von Trans-portwegen als Top-Down-Strategie innerhalb der Modernisierungstheorien auf. Der Aufbau von Infrastruktur und die daraus resultieren-de Raumerschließung sollen wirtschaftliches Wachstum generieren und die Ausbreitung von Wachstumsimpulsen im Raum bewirken. Zahlreiche empirische Studien zeigten jedoch, dass in vielen Entwicklungsländern die Dif-fusion des wirtschaftlichen Wachstums der Agglomerationsräume in Richtung peripherer Gebiete ausblieb bzw. sich die bestehenden Disparitäten verstärkten (vgl. Perdersen 2001, 85). Das Credo der Entwicklungsforschung veränderte sich dementsprechend hin zu einer Bottom-Up-Strategie, sodass großräumigen Infrastrukturprojekten zur regionalen Ent-wicklung im Rahmen der EZ kaum Beachtung entgegengebracht wurde.

Das folgende Kapitel soll die derzeitige Situ-ation des Verkehrsnetzes in Mali aufzeigen und anhand der bestehenden Defizite deutlich machen, dass der Ausbau der nationalen Infra-struktur für die regionale Entwicklung gleich-wohl von entscheidender Bedeutung ist.

4.1 Koloniale Verkehrserschließung in WestafrikaDie koloniale Verkehrserschließung diente aus-schließlich dem Zweck, bestimmte mineralische Rohstoffe zu fördern und für diese sowie für Agrarprodukte den Export in das Mutterland infrastrukturell zu ermöglichen. An den Küsten der Kolonialländer bildeten sich zunächst Militärstützpunkte, die sich später durch die aufkommende Rohstoffgewinnung zu Handels- bzw. Umschlagsorten entwickelten. Neue Nach-fragestrukturen, die vom Mutterland bestimmt wurden, führten zu einer Veränderung der be-

stehenden Handelswege. Verstärkt wurde diese Anpassung durch den gezielten Aufbau einer extraktionsorientierten Transportinfrastruktur durch die Kolonialmacht. Die Hafenstädte der Küstenstaaten besaßen im kolonialen Wirt-schaftssystem eine übergeordnete Bedeutung. Sie stellten innerhalb der Raumstruktur in Westafrika die dominanten Zentren dar und das Binnenland bildete die Peripherie. Diese sollte zur Überführung von Produktionsfaktoren, wie Rohstoffressourcen oder Arbeitskräften, infrastrukturell an die Hafenstädte angebun-den werden. Zu diesem Zweck wurde 1881 mit dem Bau einer Eisenbahnlinie in der senegale-sischen Hafenstadt St. Louis begonnen und in Form einer Sticheisenbahn in das Landesinnere fortgesetzt. Im Jahr 1924 erreichte der Ausbau der Strecke Malis Hauptstadt Bamako, sodass Mali als Peripherie-Land mit dem Handelszen-trum verbunden und wirtschaftlich integriert wurde.

4.2 Momentane Struktur des Verkehrssystems

Hauptbestandteile des Verkehrssystems sind die verschiedenen Verkehrsarten, wie der Straßen-, Flug-, Eisenbahn- und Schiffverkehr. Im folgenden Abschnitt werden diese unter-schiedlichen Verkehrsträger sektoral betrachtet und ihre jeweilige Bedeutung innerhalb des gesamten Verkehrsnetzes aufgezeigt.

4.2.1 StraßenverkehrInsbesondere dem Straßenverkehr kommt derzeit in Mali eine große Bedeutung zu. Die einzige asphaltierte West-Ost-Verbindung, die jedoch nur den südlichen Bereich Malis abdeckt, stellt die Strecke zwischen Bamako und Gao dar. Der Bau dieser Strecke begann bereits 1960, wurde jedoch erst in den 1990er Jahren durch die Fertigstellung des Abschnittes Segou-Mopti beendet (vgl. Krings 2006, 177). Von dieser Hauptverkehrsachse verlaufen meist als Sackgassen angelegte Straßen zu den weiter nördlich bzw. südlich lokalisierten Siedlungen. Auffällig hierbei ist, dass die für den Export

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Mali und die Sahelzone: Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

wirtschaftlich genutzten Gebiete durch asphal-tierte Straßen erschlossen sind. Der Abzweig von Ségou, der in die ‚Office-du-Niger Region’ führt oder aber die bereits nach der Unabhän-gigkeit geteerten Straßen südlich von Bamako, die für den Export von Baumwolle ausgebaut wurden, zeigen dies deutlich. Hingegen werden Regionen, die für den Außenhandel nicht von Bedeutung sind, meist nur durch Sandpisten verbunden. Die Region Timbuktu, die agrar-wirtschaftlich kaum nutzbar ist, kann von der Hauptverkehrsader lediglich durch eine schwer passierbare und in ihrem Verlauf variierende Lateritpiste erreicht werden.

Die Gesamtlänge der Hauptverkehrsstraßen beträgt 13.000 km, wobei davon 3.000 km befe-stigte Straßen innerhalb bzw. zwischen Städten, und 10.000 km unbefestigte Straßen sind. Im Vergleich zum deutschen Straßennetz entspricht dies etwa der Gesamtlänge der Autobahnen innerhalb von Deutschland, die

etwa 5 % des deutschen Gesamtverkehrsnetzes ausmachen (vgl. destatis 2008, 312). Unter der Beachtung, dass Mali dreieinhalb Mal so groß wie Deutschland ist, wird hier die geringe Stra-ßendichte Malis sehr schnell deutlich.

Die Straßen in den ländlichen Regionen des Landes machen etwa 75 % des gesamten Stra-ßennetzes aus und sind überwiegend Sand- bzw. Lateritpisten und nicht ganzjährig pas-sierbar (vgl. Weltbank 2005, 4). Der Zustand dieser Verkehrswege wirkt sich auf die Trans-portmöglichkeiten und -dauer aus. Selbst bei Geländewagen kann es hier zu Reifenpannen kommen (Abb. 19).

Viele Asphaltstraßen werden durch den mas-siven Gütertransport und extreme klimatische Einwirkungen jedoch auch stark beschädigt, sodass die Verkehrsleistung negativ beein-flusst wird. Der Hauptteil des Personen- und Güterverkehrs wird über den PKW bzw. LKW gewährleistet.

Abb. 19: Reifenpanne auf der Strecke nach Timbuktu (Aufnahme: Milena Grünewald)

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Insgesamt konzentriert sich der Verkehr auf nur wenige Verkehrsachsen. Die national am stärk-sten frequentierte Strecke ist Bamako-Ségou; die für den internationalen Transit genutzte Strecke ist: Bamako-Sikasso-Abidjan. Dabei sind die zur Verfügung stehenden Transportmittel stark überaltert, dies wirkt sich auf die Leistungsfä-higkeit der Fahrzeuge und den Verbrauch von fossilem Brennstoff aus. Darüber hinaus führen während des Transportes entstehende Schäden häufig zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen und nicht kalkulierbaren Kosten.

Im Jahr 2001 wurden 90 % des gesamten Güter-transportes über das Straßennetz gewährleistet. Der nationale Transport von Gütern wurde zu 95 % entlang der Straßen durchgeführt, wobei zwischen 1995 und 2001 ein jährlicher Anstieg von etwa 2 % zu verzeichnen war. Ein wesentlich stärkeres Wachstum betrifft den internationalen Gütertransport. Hier kam es zu einem jährlichen Anstieg von 12 %, wobei im Jahr 2001 insgesamt 84 % der internationa-len Fracht über das Straßennetz transportiert wurden (1995: 63 %). Der signifikante Anstieg zeigt einerseits die Expansion der internatio-nalen Handelsaktivität und andererseits einen veränderten Modal Split, der wesentlich durch den Konkurrenzverlust des Schienenverkehrs gegenüber dem Straßenverkehr bedingt ist (vgl. Etude de la Classification Routière au Mali 2003; Weltbank 2005, 5).

Dabei wird die geographische Aufteilung des Cargos zukünftig von Interesse sein. Noch vor der Krise in der Côte d’Ivoire im Jahr 2002 wurden 76 % des internationalen Verkehrs über den Hafen Abidjan verschifft. Durch die Auswirkungen der Krise reduzierte sich dieser Anteil erheblich und der internationale Transport dekonzentrierte sich auf mehrere Strecken. Mit einer stärkeren Differenzierung der Verkehrswege könnte ein höheres Maß an Unabhängigkeit und damit eine geringere Kri-senanfälligkeit erreicht werden. Im Vergleich zu anderen Verkehrsarten ist der Straßenverkehr in Mali am umfassendsten ausgebaut, dennoch zeichnet er sich insgesamt durch ein geringes Verkehrsaufkommen aus.

4.2.2 SchienenverkehrDer Schienenverkehr hat sich nach der Unab-hängigkeit nicht erweitert, sodass die koloniale Stichverbindung Bamako-Dakar bis heute die einzige Verbindung in Mali darstellt. Die Länge der Strecke innerhalb Malis, von Bamako zur

senegalesischen Grenze über Kayes, beträgt 643 km und hat insgesamt 14 Stationen. Der Personentransport entlang dieser Strecke ist im Vergleich zum Gütertransport höher. Zwischen 1978 und 2000 stieg die Anzahl der beförderten Personen von 340.000 auf 800.000 pro Jahr, hingegen nahm der Gütertransport von Mali in den Senegal ab (vgl. Arnaud 2001, 52-53; Krings 2006, 180). Im Jahr 1995 lag der Anteil des Schienenverkehrs am internationa-len Transit bei 36,8 %, bis 2001 reduzierte sich dieser auf 15,1 % (vgl. CANAC; Weltbank 2005, 6). Der marode Zustand der Strecke und der Transportmittel, die zeitliche Ungenauigkeit der Abfahrten sowie die Bedeutungszunahme des Schienenverkehrs zwischen Ouagadougou und Abidjan waren wesentliche Ursachen für diesen eklatanten Rückgang.

Da die Strecke das Binnenland Malis mit dem senegalesischen Hafen verbindet, stellt sie trotz des defizitären Zustandes einen sehr wichtigen und chancenreichen Bestandteil der Infra-struktur dar. Die Massentransportfähigkeit der Eisenbahn liegt über allen anderen Transport-mitteln, sodass die Transportkosten gegenüber dem Straßenverkehr pro Stück wesentlich geringer sind und die Leistungsfähigkeit ent-scheidend höher ist.

Mit der Privatisierung der Strecke im Jahr 2003 durch das Unternehmen ‚Transrail’ ist vertrag-lich eine Instandsetzung festgeschrieben, sodass eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit und eine Bedeutungszunahme beim internationalen Transport angestrebt werden. Die Investitionen und der Ausbau der Strecke sollen die Konkur-renzfähigkeit gegenüber der Eisenbahnstrecke Ougadougou-Abidjan und der Fernstraße zwi-schen Bamako und Dakar gewährleisten. Inwie-fern dieses Ziel in Bezug auf den Güterverkehr langfristig umgesetzt werden kann, ist fraglich. Es zeigt sich, dass selbst auf langen Strecken LKW-Verkehr gegenüber dem Schienenver-kehr konkurrenzfähig bleibt. Für die Nutzung des eigentlichen wirtschaftlichen Potenzials der Eisenbahn bedarf es des Einsatzes von neueren Transportmitteln, zeitlicher Genauigkeit und einer funktionierenden Logistik.

4.2.3 FlugverkehrDer Flugverkehr ermöglicht einen schnel-len und flexiblen Transport und benötigt durch seine Punkt-Punkt-Verbindung nur ein geringes Maß an hin- und wegführender Infrastruktur. Er besitzt entsprechend seiner

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Mali und die Sahelzone: Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

Struktur jedoch nur eine punktuelle Raumer-schließungsqualität.

Die übergeordnete Infrastruktur des Flugver-kehrs, Logistik und Navigation, weist in Mali erhebliche Defizite auf. Die Regierung beabsich-tigt durch das Involvieren privater Investoren, die bestehenden Strukturen zu verbessern und auszubauen. Auf Grund des geringen Verkehrs-aufkommens ist die Umsetzung jedoch frag-lich. In Mali gibt es zehn Flughäfen, von denen Bamako, Timbuktu, Kayes, Sikasso, Mopti und Gao als internationale Flughäfen ausgewiesen sind. Durch die bereits bestehenden Flughäfen sind alle größeren Städte in das Luftverkehrs-netz eingebunden. Jedoch ist das Verkehrsauf-kommen sehr stark auf Bamako konzentriert: 93 % der gesamten Personenbeförderung wird hier durchgeführt. Dementsprechend werden die übrigen Flughäfen des Landes nur gering-fügig genutzt (vgl. Air Transport in Central and West Africa 2003; Weltbank 2005, 11). Für den Gütertransport hat der Luftverkehr in Mali kaum eine Bedeutung. Die hohen Trans-portkosten lassen sich nur durch hochwertige Frachtgüter decken. Unter diesen Bedingungen hat der Luftverkehr für den intraregionalen Warenstrom mittelfristig wenig Perspektive.

4.2.4 SchiffsverkehrDie zwei bedeutendsten und längsten Flüsse in Mali sind der Senegal und der Niger. Der Senegal entspringt im Norden Guineas und führt über Kayes, im Nordosten Malis, entlang der Grenze zwischen Senegal und Mauretanien bis in den Atlantik. Der Niger durchfließt mit einer Länge von 1.700 km den Süden Malis und stellt für das Land als Wasserversorger die wich-tigste Lebensader dar, sodass sich die meisten

Städte an seinem Verlauf befinden. Während der Trockenzeit zwischen Januar und August sind weite Bereiche des Flusssystems aufgrund des niedrigen Wasserspiegels nicht befahrbar. Die Fertigstellung des Staudammes Manatali im Jahr 1988 hat dieses klimatologisch bedingte Problem der Binnenschifffahrt zumindest für den Fluss Senegal verringert. Damit existiert eine schiffbare Verbindung zwischen dem Bin-nenland Mali und der Hafenstadt Saint-Louis am Atlantik. Da es jedoch keine entsprechende bauliche Infrastruktur entlang dieser Strecke gibt, kann das wirtschaftliche Potenzial der Binnenschifffahrt für den Im- bzw. Export nicht genutzt werden (vgl. OMVS 2009, 453). Der Niger ist hingegen nur saisonal von größe-ren Schiffen befahrbar und kann während der Trockenzeit meist nur von kleineren Pirogen als Transportweg genutzt werden. Der Flusslauf zwischen Bamako bzw. Koulikoro und Mopti ist von August bis Januar für den Transport von größeren Frachten schiffbar; die Verbindung zwischen Mopti und Timbuktu jedoch nur von September bis Dezember (vgl. Andersen 2005, 19-20). Der Hauptanteil des Gütertransportes im Binnenschiffverkehr verläuft zwischen Koulikoro und der wirtschaftlich wichtigen Hafenstadt Mopti. Innerhalb des Transportsy-stems hat der Niger nicht nur als natürlicher Verkehrsweg eine Bedeutung, sondern auch als Hindernis für den Straßenverkehr. Um einige Städte, wie bspw. Djenne oder Timbuktu, er-reichen zu können, muss der Fluss zunächst überquert werden. Dies geschieht meist ohne eine baulich befestige Anlegestelle durch kleine Fähren, die nur eine geringe Anzahl an Fahr-zeugen transportieren können (Abb. 20).

Abb. 20: Fährtransport auf der Strecke nach Djenné (Aufnahme: Mathias Becker)

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Innerhalb des Diskurses um die Verkehrsinfra-struktur und ihren Einfluss auf die Entwicklung werden die natürlichen Transportwege häufig unzureichend berücksichtigt. Der Niger hatte insbesondere zur Zeit des intensiven Trans-saharahandels eine zentrale wirtschaftliche Bedeutung als Transportweg. Mit den neu ent-standenen Handelsstrukturen (s. Kapitel 4.1) und dem Aufkommen neuer Verkehrsmittel reduzierte sich diese. Leider fehlt es an Studien und Daten, um die heutige Bedeutung des Flusses innerhalb des Verkehrsnetzes genauer analysieren und Pozentiale für die Entwicklung betrachten zu können (vgl. Weltbank 2005, 12).

4.3 Das heutige VerkehrsnetzDas Verkehrsnetz umfasst im Allgemeinen die verschiedenen Verkehrsträger, ihre räumliche Anordnung und die Verknüpfung untereinan-der. Im folgenden Abschnitt werden wesent-liche Merkmale des derzeitigen Verkehrsnetzes in Mali dargestellt und daraus resultierende Probleme für die Entwicklung aufgezeigt.

4.3.1 Defizite des Transportwesens – Ein Problem der Entwicklung

Die kolonialzeitlich entstandene Raumstruktur prägt die heutige Entwicklung und wurde größ-tenteils nicht durch eine neuartige Erschließung und Vernetzung umgeformt. Das heutige Ver-kehrssystem hat sich seit 1960 erweitert, folgt jedoch in seiner Grundstruktur dem kolonialen Prinzip der küstenorientierten Erschließung. Binnenstaaten wie Mali müssen für den Import und Export von Produkten immer eine gut aus-gebaute Infrastruktur zu den benachbarten Kü-stenstaaten besitzen. Für die malische Wirtschaft ist im Sinne des Exports von Primärgütern die Verbindung zu einem Überseehafen unab-dingbar. Problematisch jedoch ist es, wenn die Raumerschließung in Bezug auf den Bau und Ausbau von Verkehrswegen nationale Verbin-dungen vernachlässigt und regionale Periphe-rien ausschließt.

Zwischen den existierenden Verkehrswegen besteht ein sehr geringer Verknüpfungsgrad,

Abb. 21: Transportinfrastruktur in Westafrika 2005 (Quelle: ECOWAS-SWAC/OECD 2006a)

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sodass insgesamt nur ein schwach ausgeprägtes Verkehrsnetz vorhanden ist und es folglich an einer flächendeckenden Raumerschließung fehlt. Darüber hinaus ist das Verkehrssystem mono-strukturell aufgebaut, sodass kein multimodales Transportsystem vorhanden ist (Abb. 3). Spezi-fische Transportvorteile der unterschiedlichen Verkehrsarten können daher nicht miteinander verbunden werden und es kommt zu keiner effizienten Herausbildung von Transportketten. Dieser Mangel setzt sich über die Grenzen Malis hinweg fort und hemmt den interregionalen Handel zwischen den Binnenstaaten.

Die lückenhafte Einbindung von peripheren Regionen führt zu einer Verschärfung der Dis-paritäten zwischen urbanen und ländlichen Räumen. Diese Polarisierung wird durch den einseitigen Ausbau und die Instandhaltung le-diglich lukrativer Verbindungen verstärkt (vgl. Wiese 1997‚ S. 215).

Die Rohstofffundorte bzw. Produktionsgebiete Malis sind vom Absatzmarkt an den Häfen der Küstenstaaten rein geographisch weit entfernt. Allein die Binnenlage führt so zu hohen Trans-portkosten. Unter den Bedingungen des beste-henden Transportsystems werden diese Kosten jedoch signifikant erhöht (vgl. Tetzlaff 2005‚ 260-261; Stone 2001‚ 10). Hauptfaktoren dafür sind:

physische Infrastruktur des Verkehrsnetzes, da der Verkehr sich auf wenige Achsen und Verkehrsarten konzentriert und so kaum Transportkosten und -zeiten minimierende Wahloptionen zur Verfügung stehen,

maroder Zustand der Straßen und der Ver-kehrsmittel,

administrative Mautbestimmungen und legale sowie illegale Straßenkontrollen,

starke Zeitverzögerungen und die damit ver-bundene unzureichende Kalkulierbarkeit,

mangelnde Logistik.

Diese zum großen Teil variablen Kosten wirken sich auf die wirtschaftliche Effizienz des Güter-transportes aus‚ führen allgemein zur Preiser-höhung von Importprodukten und belasten die Nahrungsmittelpreise (vgl. Wiese 1997‚ 213).

Die umfassenden Defizite innerhalb des Trans-portwesens äußern sich bei der Versorgung und der wirtschaftlichen Integration auf unterschied-lichen Ebenen.

4.3.2 Verbesserung des Verkehrsnetzes – Stellschraube der nationalen Entwicklung

Insbesondere der Norden Malis ist mit einer geringen Bevölkerungsdichte sehr dünn und diffus besiedelt, sodass eine flächendeckende Raumerschließung nur schwer zu realisieren und der Nutzen dieser zu hinterfragen ist. Jedoch stellt eine ganzjährig passierbare An-bindung der Siedlungen an die nächstgelegene Hauptverkehrsader eine notwendige Maßnah-me für die Versorgung der dort lebenden Be-völkerung dar.

Die Beschaffung von Nahrungsmitteln wird durch die schlechte Qualität der Verkehrswege erschwert und ist in einigen Regionen während der Regenzeit unmöglich. Damit stellt die in-frastrukturell bedingte Unerreichbarkeit dieser Gebiete eine Ursache für die unzureichende Nahrungsmittelsicherheit dar. Der Gütertrans-port entlang von maroden und teilweise nicht vorhandenen Verkehrswegen beeinflusst die Effizienz und Umsetzbarkeit von räumlicher Mobilität im täglichen Leben. Der Zugang zu Märkten, weiter entfernten Städten, Bildungs-einrichtungen und medizinischen Versor-gungsstätten wird dadurch erschwert oder gar verhindert. Der Aufbau ganzjährig passierbarer Straßen und die Herstellung eines höheren Ver-knüpfungsgrades würden dem entgegenwirken und zu einer Verbesserung der momentanen Lebensbedingungen führen.

Insbesondere bei den episodisch auftretenden Dürreperioden kommt es zu Versorgungseng-pässen. Am stärksten betroffen ist davon die Be-völkerung in den peripheren und marktfernen Gebieten des Landes. Die höchst mangelhafte Anbindung an die nationale Hauptverkehrs-achse erschwert die externe Nahrungsmit-telversorgung erheblich. Mit der momentan vorhandenen Infrastruktur kann auf derartige Krisen nicht angemessen reagiert werden. Die Verbesserung des Verkehrsnetzes erweitert die Möglichkeiten sowohl der räumlichen Mobili-tät von Gütern als auch von Personen. Damit betreffen ihre Auswirkungen einerseits den Warenstrom und andererseits die Wanderungs-bewegung von Menschen.

In den peripheren Regionen wird durch den Ausbau von Infrastruktur auf lokaler und regi-onaler Ebene der Zugang zu Wochenmärkten

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gefördert und die Voraussetzung für einen ver-besserten Warenaustausch geschaffen. Durch die Verknüpfung bestehender Transportwege entstehen neue Knotenpunkte, die sich wie-derum eigendynamisch zu Marktplätzen oder anderen Versorgungsstellen entwickeln könnten. Voraussetzung hierbei ist jedoch ein entsprechendes Aufkommen an Personen- bzw. Güterverkehr.

Der quantitative und qualitative Ausbau des Verkehrsnetzes erhöht außerdem die physische Erreichbarkeit der Agglomerationsräume und wirkt sich so auf Migrations- und Wanderungs-bewegungen innerhalb Malis und zwischen den Staaten entlang der West-Ost-Achse Westafri-kas aus.1 Die Land-Stadt-Flucht kann folglich zunehmen und den bereits hohen Urbanisie-rungsgrad verstärken (s. Kapitel 2). Dennoch sollten in diesem Zusammenhang die speziellen wirtschaftlichen Strategien der Bevölkerung Beachtung finden (vgl. Schmidt-Kallert 2004, 464-467). Die gemeinsame Wirtschaftstätigkeit der Familie sowie das intensive Zusammenwir-ken von Subsistenz- und Marktwirtschaft sind derzeit für die malische Gesellschaft charakteri-stisch und wirtschaftlich von hoher Bedeutung (vgl. Scholz 2004, 189-190). Die Arbeitsteilung innerhalb der Familie ist meist mit der Tätigkeit einzelner Familienmitglieder an unterschied-lichen Orten verbunden, saisonal abhängig und sehr dynamisch. Eine infrastrukturelle Inte-gration der peripheren Gebiete ermöglicht es den Familien, ihr spezifisches, häusliches Wirt-schaftssystem zu erweitern und zu optimieren sowie saisonalen Engpässen entgegenzuwirken. Die Schaffung von Infrastruktur als Top-Down-Strategie der ökonomischen Entwicklung kann so der Verbesserung bestehender wirtschaft-licher Optionen der Bevölkerung dienen und einen Einkommenszuwachs generieren.

Malis Wirtschaft ist in ihrer Struktur au-ßenhandelsorientiert und von wenigen Exportprodukten abhängig. Zwischen den einzelnen Binnenstaaten besteht auf formeller Ebene kaum interregionaler Handel. Das schwach ausgeprägte, grenzüberschreitende Verkehrsnetz ist ein struktureller Faktor, der die westafrikanische Integration erschwert. Geplante Straßenbaugroßprojekte, wie bspw.

1 Permanente Migration aufgrund der Akkumulation von ökologischen, ökonomischen sowie sozialen Ursa-chen spielt in dieser Hinsicht eine Rolle, soll hier aber nicht weiter betrachtet werden.

die Verbindung zwischen Bamako und Dakar, werden aufgrund von finanzieller Knappheit nur sehr stockend umgesetzt (vgl. Krings 2006, 177). Im Gegensatz zum Straßennetz spielen die Eisenbahnlinien derzeit noch keine Rolle im Integrationsprozess. In fast allen Ländern existieren Sticheisenbahnlinien, die in das Lan-desinnere hineinragen, sodass die Basis für ein Eisenbahnnetz bereits gelegt ist.

Der private Sektor sieht darin Zukunftschancen, sodass zahlreiche Strecken privatisiert wurden und internationale Zugunternehmen neue Ver-bindungen planen (vgl. Grau 2007). Entspre-chend der wirtschaftlichen Orientierung der Projekte setzen sie das bestehende Prinzip der Binnenland-Küstenerschließung fort. Dadurch wird insgesamt das Eisenbahnnetz in Westafri-ka erweitert und es ergeben sich spezifische Vorteile für die einzelnen Länder.

Mali soll durch eine durchgängige Eisenbahn-linie mit den Häfen San Pedro, Conakry und Abidjan verbunden werden (Abb. 22). De-konzentration des Cargos, kostengünstigerer Transport von Massengütern des Im- und Exports und das Entstehen von multimoda-len Transportketten in Richtung der Küsten stellen positive Effekte dieses privatwirtschaft-lichen Ausbaus dar. Unter den Prinzipen der regionalen Entwicklung und der bestehenden Nahrungsmittelunsicherheit in weiten Teilen des Landes (s. Kapitel 2 und 3), ist eine West-Ost-Verbindung durch den Schienenverkehr notwendig. Der Eisenbahnverkehr bietet eine höhere Massentransportfähigkeit als der Straßenverkehr und eine weitaus bessere Bin-nenerschließungsqualität als der Luftverkehr. Die Verbindung dieser beiden Faktoren ist ins-besondere beim Krisenmanagement von hoher Bedeutung. Nahrungsmittel können durch den Schienenverkehr schnell von anderen Produk-tionsorten bzw. Märkten in die betroffenen Regionen gelangen und dort über das Straßen-netz in die peripheren Orte weitertransportiert werden. Da der Ausbau des Schienennetzes extrem hohe Kosten mit sich führt, ist gerade in dieser Hinsicht die bi- bzw. multilaterale Ge-berschaft gefragt.

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Mali und die Sahelzone: Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

Abb. 22: Vorhandene und geplante Eisenbahnlinien 2005 (Quelle: ECOWAS-SWAC/OECD 2006c)

4.4 SchlussfolgerungenFür die regionale Entwicklung und das Krisen-management ist die Schaffung eines Verkehrs-netzes in allen besiedelten Gebieten notwendig. Der Ausbau der Eisenbahnlinie von Bamako bis in den Nordosten des Landes, entlang der bevölkerungsdichtesten Räume, ist Grundlage für die schnelle Versorgung peripherer Räume während episodisch auftretender Dürreperio-den.

Der Ausbau der Infrastruktur als Instrument des Wirtschaftswachstums wird unter den beschriebenen Aspekten zum Instrument der Nahrungssicherung und des Krisenmanage-ments. Die Schaffung eines verbesserten Trans-portwesens bleibt Top-Down-Strategie, verän-dert jedoch ihren Fokus: Nicht wirtschaftliches Wachstum sollte das primäre Ziel sein, sondern die Verbesserung der bestehenden Lebensum-stände unter den Bedingungen eigenständiger, regionaler Entwicklungskonzepte.

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Im folgenden Abschnitt werden zunächst die Prinzipien der geographischen Ri-sikoforschung und die allgemeine Not-wendigkeit eines Hazardmanagements (Risikovorbeugung und -bewältigung)

kurz erläutert und auf Mali angewendet. Dann wird die Krisenanfälligkeit der Region darge-stellt sowie die bisherigen internationalen und nationalen, lokalen Ansätze der EZ in Mali zusammenfassend bewertet. Abschließend wird die Frage aufgeworfen, ob trotz gegenwär-tiger Erfolge der Bottom-Up-Ansätze nicht im Hinblick auf die Krisenanfälligkeit der Region langfristig im Bereich der Infrastruktur und Nahrungsmittelversorgung eine Top-Down-Strategie zur Risikominimierung notwendig ist.

5.1 Geographische Risikoforschung und HazardmanagementDer Umgang mit Risiken wird vor dem Hin-tergrund der Gefahren durch Naturkatastro-phen, Terroranschläge oder Technikunfälle zu einer zentralen Frage der Gegenwart. Die geographische Risikoforschung beschäftigt sich primär mit Risikoaspekten in den Wech-selbeziehungen zwischen Natur und Gesell-schaft. Seit dem Beginn der Forschung in den 1960er Jahren bis in die Gegenwart sind die gesellschaftlichen Fragen gegenüber naturwis-senschaftlichen Aspekten immer mehr in den Vordergrund gerückt (vgl. Müller-Mahn 2007, 4 f.). Insgesamt ist hervorzuheben, dass die For-schungsansätze der Geographie zwischen den konträren Ansätzen der Natur- und Sozialwis-senschaften immer integrativer geworden sind und sich die geographische Risikoforschung gerade den Schnittstellenfragen zwischen den Disziplinen zuwendet.

Aus geographischer Perspektive ist die unglei-che regionale Verteilung von Katastrophen und ihren Opferzahlen von großer Bedeu-tung. Risikokartierungen dienen dabei zur Risikoeinschätzung, Risikovermeidung bzw. -minimierung und zur Steuerung einer etwai-

gen Katastrophenhilfe, insbesondere bezogen auf Nahrungsmittelknappheit. Trotz immer genauerer Kenntnisse über Risikofaktoren und die einzelnen Regionen, können Naturkata-strophen nicht beherrscht oder gar verhindert werden. Dürre und kriegerische Konflikte können weiterhin zu Hungerkrisen führen, deren Auswirkungen umso gravierender sind, wenn die betroffene Region ohnehin von einer armutsbedingten Unterernährung betroffen ist (vgl. Nohlen/Nuscheler 1993, 202).

Die geographische Verwundbarkeitsforschung kann als ein Erklärungsansatz dafür dienen, warum gerade die Menschen in Entwicklungs-ländern von einem hohen Katastrophenrisiko betroffen sind. Das Konzept der Verwund-barkeit stellt den Versuch dar, das jeweilige Katastrophenrisiko von Bevölkerungsgruppen und Regionen zu erfassen bzw. zu erklären (vgl. Bohle 1994, 400). Entscheidend sind hierbei die Lage in Gefahrenzonen und die erhöhte Vulnerabilität der Bevölkerung als ein gesell-schaftliches Phänomen. Die Lage im Raum ist kartographisch darstellbar: Risikokarten dienen der räumlichen Planung und Frühwar-nung. Die Vulnerabilität ist nicht mittels einer Karte darstellbar, sondern wird beeinflusst von dem Zusammenspiel von Risiko, den Raum-strukturen sowie dem Handeln der Akteure.

Der Grad der Verwundbarkeit einer Bevölke-rungsgruppe bzw. Region ist folglich von zwei Aspekten abhängig: dem externen Grad der Be-drohung der Gesellschaft, des Ökosystems oder der technischen Strukturen sowie den internen Möglichkeiten der Menschen, des Ökosystems oder der technischen Strukturen, diese Be-drohung zu bewältigen bzw. abzuwehren (vgl. Bohle 2007, 20).

Die Katastrophenhilfe als ein Teil der insgesamt umstrittenen Nahrungsmittel-Hilfsprogramme der internationalen Entwicklungspolitik ist ge-rechtfertigt, sofern zeitweilig eine Bedarfslücke besteht und diese nur durch externe Hilfe aus-zugleichen ist. Sie sollte eingesetzt werden, um in akuten Hungersnöten kurzfristig humanitäre

5. Krisenanfälligkeit – Hazardmanagement und heutige Entwicklungszusammenarbeit

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Mali und die Sahelzone: Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

bieten zusammengetragen werden. Erst dann sollten gezielt unterstützende und schützende Maßnahmen ergriffen werden, die sich auf die bereits vorhandenen Bewältigungsstrategien und Anpassungsoptionen der Betroffenen stützen können.

Die Anwendung dieser Überlegungen auf Mali und Nordwestafrika insgesamt ergibt ein klima-tisch bedingtes, hohes Risiko für erneute Hun-gerkrisen einerseits sowie eine schlechte Aus-gangslage für umfangreiche Hilfslieferungen, bedingt durch die fehlende Massenleistungsfä-higkeit des Verkehrssystems andererseits. Die Schätzungen zu der Nahrungsmittelsicherheit im Zeitraum Januar bis März 2009 (Abb. 1) ergaben eine mittlere Nahrungsmittelunsi-cherheit in den größten Teilen Malis. Während im Süden von einer Nahrungsmittelsicherheit ausgegangen wird, ist im Nordosten ein Gebiet mit hoher Nahrungsmittelunsicherheit angege-ben. Diese Einschätzungen sind besonders vor dem Hintergrund derzeit regenreicherer Jahre besonders besorgniserregend.

Hilfe zu leisten. Allerdings hemmt die länger-fristige Nahrungsmittelhilfe über den Zeitraum einer Katastrophe hinaus die Potentiale zur eigenen Beseitigung von Unterernährung und Hunger in den Empfängerländern. Sie kreiert auf diese Weise eine erneute Abhängigkeit und verändert die Konsumgewohnheiten der Be-völkerung. Dabei kann es dazu kommen, dass zunehmend einheimische Produkte verdrängt werden, die jedoch an die ökologischen Ge-gebenheiten besser angepasst sind und deren verstärkter Anbau zu einer langfristigen Nah-rungssicherheit beitragen könnten (wie relativ trockenresistente einheimische Nahrungsmit-tel, z. B. Pennisetumhirse in Mali). Außerdem werden vielfach regionale Handelsnetzwerke, bspw. ein bestehendes Wochenmarktsystem, das als risikominimierender Faktor zu bewer-ten ist, beschädigt (vgl. Bohle 1986, 573 f.).

Um konkrete Maßnahmen erarbeiten zu können, müssen möglichst genaue Kenntnisse über die jeweils verwundbarsten Bevölke-rungsteile in den besonders risikoreichen Ge-

Abb. 23: Schätzungen zur Nahrungsmittelsicherheit in Mali für den Zeitraum April bis Juni 2009 (Quelle: FEWS 2009)

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5.2 Ausgangslage: Krisenanfälligkeit Malis und der Bedarf eines HazardmanagementsMali zählt zu den ärmsten Ländern der Welt: Im jährlichen Entwicklungsbericht der Verein-ten Nationen steht Mali auf Platz 168 von 179 Ländern (vgl. UNDP 2008). 72 % der Bevölke-rung leben von weniger als 2 US$ pro Tag und folglich unterhalb der international definierten Armutsgrenze (vgl. Weltbank 2008, 391).

Mali liegt am südlichen Rand der Sahara und somit zu großen Teilen in der Sahelzone. Die Ökologie der Sahelzone wird stark von Nieder-schlagsschwankungen beeinflusst (s. Kapitel 2). Der Naturraum ist klimatisch durch das Ausbleiben der Monsunregenfälle und daraus folgenden Dürren gefährdet. Die Niederschlä-ge, die sich auf die Monate Juli und August konzentrieren, nehmen vom Süden Malis nach Norden hin ab. Etwa zwei Drittel der Landesflä-che sind von Wüsten und Halbwüsten bedeckt.

Das semiaride Ökosystem hat zu nachhaltigen Anpassungsformen der Bevölkerung Malis geführt. Die Bevölkerung hat in der Vergangenheit unterschiedliche Reaktionsweisen im Umgang mit dürrebedingten Hungerkrisen, wie bspw. die Diversifizierung der Anbauprodukte oder den Brennholzverkauf als Zusatzeinkommen, entwickelt. Erst das Zusammenwirken von internen und externen Eingriffen brachte diese Symbiose zwischen Mensch und Ökosystem aus dem Gleichgewicht und verstärkt den Desertifikationsprozess, der neben ökologischen vor allem auch sozioökonomische Folgen hat. Gerade die sozioökonomischen Folgen, wie dürrebedingte Hungerkatastrophen, Mangelernährung und Krankheiten sowie Migration, stellen den Bedarf eines Hazardmanagements in Mali heraus. Die großen Dürreperioden zu Beginn der 1970er sowie der 1980er Jahre verdeutlichten die Krisenanfälligkeit der Sahelzone. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt in ariden und semiariden Gebieten führten vielerorts zur Übernutzung der agrarwirtschaftlichen Flächen. Folgen sind in einigen Gebieten Bodendegradation bis hin zur Desertifikation.

Strukturen der Unterentwicklung zeigen sich neben der absoluten Armut auf unter-

schiedlichen Ebenen (vgl. Krings 2007, 63):

Bestehende Unterernährung und das Risiko von regionalen und saisonalen Hungerkri-sen.

Das Risiko einer erneuten Heuschrecken-plage wie im Jahr 2004, die regional zu einem Totalausfall der Getreideernte führte.

Hohe gesundheitliche Risiken durch In-fektionskrankheiten, insbesondere durch Malaria und Bilharziose.

Die Brennholzbeschaffung wird immer schwieriger und geht zu Lasten des ohnehin geringen Baumbestandes. Sie erhöht die Verwundbarkeit weiter Bevölkerungsteile erheblich.

Es kommt vermehrt zu Bodendegradation bis hin zur Desertifikation.

Ein großer Teil der Bevölkerung, vor allem in ländlichen Regionen, hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Trotz der Demokratisierungserfolge Malis bestehen weiterhin politisch-ökonomische Strukturdefizite, bspw. die ungleiche Ent-wicklung von städtischen und ländlich-peripheren Regionen (Politik des ‚urban bias‘).

Diese Strukturmerkmale der Unterentwicklung sind in einem komplexen Ursachen-Wirkungs-gefüge miteinander verbunden1 und verstärken sich vielfach gegenseitig negativ. Eines wird auf Grundlage dieser Faktoren deutlich: der Bedarf eines Hazardmanagements.

Die politisch-ökonomischen Strukturdefizite Malis werden durch externe, interne und struk-turelle Faktoren begünstigt (vgl. Krings 2007, 64). Externe Faktoren sind die niedrigen bzw. schwankenden Weltmarktpreise, von denen Mali stark abhängig ist. Die sinkenden ‚terms of trade’, internationale Zinssätze sowie die Aus-richtung der internationalen Entwicklungshilfe haben ebenfalls Einfluss auf die Entwicklung Malis. Intern stellt die Korruption trotz guter Demokratisierungserfolge nach wie vor ein Entwicklungshemmnis für Mali dar. Struktu-relle Faktoren liegen in dem kolonialen Erbe des zentralistisch ausgerichteten Präsidialsy-stems, einer großen Bürokratie und vor allem in der willkürlichen Grenzziehung ungeachtet geographischer oder ethnischer Grenzen.

1 Anm.: Im Rahmen dieser Ausarbeitung wird dies nicht weiter behandelt.

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Mali und die Sahelzone: Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

Mangelernährung und regionale Dürren dem Phänomen der „Langzeitdürremigranten“ (vgl. Krings 2007, 65) in Mali Vorschub.

Als Binnenstaat ist Mali auf die Seehäfen der teils politisch labilen Nachbarstaaten Mau-retanien, Senegal, Guinea und Côte d’Ivoire angewiesen. Diese Abhängigkeit kann in Kri-sensituationen eine Gefahr darstellen und vor allem wird der Im- und Export durch lange Transportwege im Vergleich zu Ländern mit eigenen Seehäfen erheblich verteuert. Das aus Kolonialzeiten geprägte lineare Verkehrssy-stem ist schlecht ausgebaut und keinesfalls massenleistungsfähig (s. Kapitel 4). Außerdem behindern die zahlreichen Mautstellen den Verkehrsfluss und die anfallenden Zölle stellen einen weiteren Kostenfaktor im Transportwe-sen dar. Die schlechte Massenleistungsfähigkeit des Verkehrssystems mit nur einer Eisenbahn-strecke zwischen Bamako und Dakar und der staatlichen Verbindungsstraße Bamako-Ségou-Mopti-Gao ist besonders im Hinblick auf die schnelle Verteilung von Hilfslieferungen bei Hungerkatastrophen problematisch. Aber auch um einen regionalen und transnationalen Handel zu etablieren, wäre ein Ausbau der Ver-kehrsinfrastruktur nötig. Diese Planung kann nicht regional bzw. dezentral erfolgen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die klimatische Variabilität, die wachsende Be-völkerung, die hinsichtlich der aktuellen Be-völkerungsentwicklung sowie den agrarwirt-schaftlichen Gegebenheiten nicht gesicherte Ernährungsgrundlage, die geographische Lage als Binnenland, das schlecht ausgebaute Trans-portwegesystem sowie die genannten struktu-rellen Merkmale für Unterentwicklung Mali zu einer krisenanfälligen Region machen. Die Be-völkerung Malis ist mit Armut, dem Problem der Landflucht und der daraus resultierenden divergierenden Land-Stadt-Entwicklung, einer steigenden Anfälligkeit gegenüber Nah-rungskrisen und drohenden Konflikten um die immer knapper werdenden Ressourcen konfrontiert. Zukünftig ist eine weitere Ein-engung der Handlungsspielräume der Betrof-fenen nicht auszuschließen, die im Extremfall in einer Hungerkatastrophe endet. Um einer solchen Krisenanfälligkeit entgegenzutreten, kann auf die vorbeugenden Maßnahmen und Bewältigungsstrategien im Rahmen eines Ha-zardmanagements zurückgegriffen werden. Bei der Erarbeitung eines Hazardmanagements sollte man sich darüber im Klaren sein, dass

Neben unregelmäßig auftretenden Dürren sind Hungerkrisen auch Folge der Destabilisierung des ländlichen Produktions- und Sozialgefüges. Durch eigene Beobachtungen und Gespräche vor Ort konnte festgestellt werden, dass es nur eine sehr begrenzte Lagerhaltung gibt, die gerade im Hinblick auf die wachsende Bevölke-rung keine Nahrungssicherheit während einer mehrjährigen Dürre gewährleisten könnte. Die landwirtschaftliche Produktion der Cash-Crops (Erdnuss, Baumwolle) und eine kurzfri-stige Selbstversorgung stehen im Vordergrund. In diesem Zusammenhang ist der wachsende Bedarf (insbesondere in bäuerlichen Familien) an Geldeinkommen zur Deckung von Steuern, Investitionskosten für Geräte und Saat sowie zur Befriedigung eines neuen Konsumverhal-tens entgegen traditioneller Lebensmittel her-vorzuheben. Der damit einhergehende Rück-gang der inländischen Getreideproduktion zugunsten der Cash-Crop-Produktion für den Export wurde in der Vergangenheit zusätzlich durch eine preisliche Bevorteilung der Cash-Crop-Produktion verstärkt.

Ökologische Krisen, wie die Zerstörung des Baumbestandes zur Brennholzgewinnung für den Eigenbedarf sowie für den Verkauf oder eine Abnahme der Artenvielfalt, können als Symptome der Schwächung der Subsistenzwirt-schaft angesehen werden. Bei der Erklärung von Degradation der natürlichen Ressourcen bis hin zur Desertifikation sollte folglich nicht nur die Ursachenkette Bevölkerungsdruck - steigende Viehzahlen - Überweidung - Abhol-zung, sondern ebenso die dahinter stehenden Wirkungsfaktoren, wie die Destabilisierung der ursprünglichen Produktionsgefüge durch das Aufbrechen der Subsistenzwirtschaft, berück-sichtigt werden (vgl. Krings 2007, 69 f.).

Die Bevölkerung wächst stetig und Progno-sen zu Folge setzt sich dieser Trend weiter fort (s. Kapitel 3). Auf lange Sicht kann die Ernährungsgrundlage nicht sichergestellt werden, da diese nur bei weiterhin günstigen klimatischen Bedingungen gewährleistet ist. Solange das natürliche Bevölkerungswachstum über dem Wirtschaftswachstum gemessen am Pro-Kopf-Einkommen liegt, wird die Armut verstärkt und regionale Nahrungsengpässe durch eine erhöhte Vulnerabilität wahrschein-licher. Bedingt durch die (Arbeits-)Migration der jüngeren, aktiven Bevölkerung, vor allem in ländlichen Regionen, kommt es teilweise zu Arbeitskräfteengpässen. Außerdem leisten

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die Akteure auf lokaler Haushaltsebene, auf re-gionaler, nationaler und internationaler Ebene jeweils unterschiedliche Interessen verfolgen und mit ihrem Handeln Einfluss auf die Umwelt nehmen und dass diese Akteure über ungleiche Machtspielräume verfügen.

5.3 Entwicklungszusammenarbeit in Mali

Nach der Lehre aus dem Versagen der größ-tenteils industriellen Großprojekte der EZ in den 1960er und 1970er Jahren (z. B. das große Staudammprojekt „Office du Niger“) setzen die Akteure der EZ in Mali gegenwärtig auf lokale Projekte. Diese Konzentration auf den Bottom-Up-Ansatz ist erfolgreich. Wir besuchten viele positiv zu beurteilende lokale Projekte, wie bspw. die Mini-Staudämme bei einem Land-wirtschaftsprojekt in Kati bei Bamako, das dazu beiträgt, die Ernährungsgrundlage zu verbessern und zusätzliches Einkommen aus dem Verkauf eines geringen Überschusses auf regionalen Märkten zu erzielen; die Produktion und den Vertrieb der Karité-Butter in Ségou; das Netzwerk zur Einkommensförderung von Frauen in Niono oder das Projekt der Kunst-stoffnutzung in Sévaré, bei dem Kunststoffmüll auf Feldern gesammelt wird, um daraus Pfla-stersteine aus Sand mit dem Kunststoff als Bin-demittel herzustellen. Die Entwicklung hin zu einem nachhaltigen Tourismus, insbesondere in Bandiagara, ist ebenso positiv zu bewerten. Im Sinne eines Hazardmanagements sind diese Ansätze jedoch unzureichend und zu kurzfri-stig angelegt. Die derzeitige EZ in Mali neigt dazu, bei den erfolgreichen Projekten der Ge-genwart die weiterhin bedrohlichen Natur- und Gesellschaftsbedingungen zu vernachlässigen.

5.4 SchlussfolgerungenVor dem Hintergrund der Krisenanfälligkeit des Großraumes Westafrika und den überre-gionalen Problemen scheinen die Bottom-Up-Ansätze alleine nicht ausreichend zu sein. Viel mehr sollten Malier bei der Implementierung von langfristigeren Top-Down-Strategien für überregionale Probleme unterstützt werden, bspw. im Bereich der Infrastrukturplanung und dem Abbau transnationaler Handelsschranken. Die Bottom-Up-Ansätze könnten auf diese Weise durch Top-Down-Strategien ergänzt werden. Gegenwärtig ist bezüglich des Klimas und der Ernährungssituation in Mali eine eher günstige Entwicklung zu beobachten. Die letzten Jahre waren regenreich und somit fielen die Ernten im Verhältnis gut aus. Doch bleibt der Gefähr-dungsgrad durch eine Hungerkrise aufgrund der in den vorangegangenen Abschnitten be-schriebenen Ausgangslage bestehen. Gerade im Hinblick auf die geringe Vorratshaltung gewinnt man in Gesprächen mit Akteuren der EZ in Mali (Botschafter, GTZ/Mali-Nord, DED) sowie mit Mitarbeitern von malischen NRO’s den Eindruck, dass die Hoffnung auf weiter anhaltende regenreiche Jahre die Arbeit in den gegenwärtigen Projekten dominiert. Doch die Historie zeigt, dass Dürren zwar in unregelmäßigen Abständen, aber dennoch mit Gewissheit immer wieder auftreten. Vor dem Hintergrund dieser Klimavariabilität und dem Trend einer wachsenden Bevölkerung ist der Bedarf eines zentral koordinierten, internati-onalen sowie nationalen Hazardmanagements vorhanden und eine längerfristige Projektpla-nung dringend erforderlich.

Abb. 24: Straßensteinproduktion aus Plastikabfällen in Sévaré (Aufnahmen: Mathias Becker)

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Mali und die Sahelzone: Plädoyer für eine überregionale Risikovorsorge

Abb. 25: Bewässerter Anbau in Kénékolo bei Kati (Aufnahme: Mathias Becker)

Abb. 26: Ministaudamm in Kénékolo bei Kati (Aufnahme: Mathias Becker)

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6. Fazit - Empfehlungen für eine überregionale Risikovorsorge

Dieser Teil fasst die wesentlichen Ergebnisse der vorangehenden Kapitel zusammen und gibt Emp-fehlungen für eine internationale Risikovorsorge. Diese basieren

auf den vor Ort gemachten Erfahrungen und sind daher exemplarisch für Mali, sie lassen sich jedoch auch auf andere Länder der Sahel-zone übertragen. Die Erarbeitung einer solchen Hazardmanagement-Strategie liegt jenseits der Möglichkeiten kleiner, regional erfolgreicher NRO’s und ist damit gemeinsame Aufgabe des Staates und der internationalen Gemeinschaft.

6.1 Ausbau von Frühwarnsystemen

Eine Verschiebung der Klimazonen, wie sie in Mali beobachtet werden kann (s. Kapitel 2), verstärkt die ohnehin hohe Gefahr von Dür-reperioden im Sahel. Um einer solchen Gefahr möglichst rechtzeitig und angemessen begeg-nen zu können, bedarf es eines leistungsfähigen Überwachungs- und Frühwarnsystems. Da von Hungersnöten nicht alle Menschen glei-chermaßen betroffen sind, ist es nötig, anhand von Ernährungsstatistiken die gefährdetsten Bevölkerungsgruppen zu ermitteln, um im Falle einer Nahrungsmittelknappheit möglichst gezielt helfen zu können.

Ebenso wichtig ist ein lückenloses Monitoring der meteorologischen Verhältnisse und mit-telfristigen Wetterprognosen, um so frühzeitig vorsorgen zu können. Eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit überregionalen Monito-ring-Netzwerken wie dem FEWS ist zwingend erforderlich (s. Infokasten FEWS). Aber nicht nur Dürren und Überschwemmungen gefähr-den die Nahrungsmittelsicherheit im Sahel. Periodisch auftretende Heuschreckenplagen stellen eine weitere potenzielle Bedrohung dar, so im Jahre 2004, als große Schwärme der Insekten aus der Sahara über die Felder im Sahel herfielen. Zwar gab es eine frühzei-tige Warnung, die aber von vielen Akteuren nicht ernst genug genommen wurde, sodass

wirksame Gegenmaßnahmen weitgehend aus-blieben. Die Bauern waren zudem meist völlig unvorbereitet, da Informationen über die Be-drohung nicht weitergegeben wurden (vgl. Red Cross Red Crescent 2005).

Infokasten FEWS

Das Famine Early Warning System Network FEWS (www.fews.net) ist ein von US AID in Zusammenarbeit mit regionalen, nationalen und internationalen Partnern betriebenes Netzwerk. Das FEWS beobachtet die me-teorologischen Verhältnisse in potenziellen Krisengebieten, wie bspw. der Sahelzone und prognostiziert mittelfristig die zu er-wartenden landwirtschaftlichen Erträge. Darüber hinaus werden die Daten der Le-bensmittelmärkte permanent analysiert und die Nahrungsmittelsicherheit der jeweiligen Region vorhergesagt.

Die Erarbeitung einer Kommunikationsstra-tegie muss ein essentieller Bestandteil jeder Risikovorsorge sein. Wenn die direkt von einer Krise Betroffenen rechtzeitig informiert werden, können diese selbst entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen, dadurch un-abhängiger werden und im besten Fall Hilfe von außen gänzlich überflüssig machen.1 Um Einbrüche der Nahrungsmittelproduktion auffangen zu können, ist darüber hinaus eine möglichst weitreichende Vorratshaltung staat-licherseits nötig. Diese sollte dezentral organi-siert sein und sich sowohl an den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen ausrichten als auch die allgemeine Bevölkerungsentwick-lung mit berücksichtigen.

1 Zur Vielfalt der von den Betroffenen angewandten Bewältigungsstrategien im Rahmen des sog. Überlebens-modells (coping, livelihood security, adaption, flexibility, diversification) siehe u. a. Krings 2006, 67-68.

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6.2 Aktive Familien- und BevölkerungspolitikGerade in den semiariden Gebieten der Sahel-zone mit seiner hohen Niederschlagsvariabilität und der vermuteten Verschiebung der Klimazo-nen bringt das starke Bevölkerungswachstum auch eine erhöhte Verwundbarkeit dieser Regi-onen mit sich. Insbesondere in Dürreperioden, in denen der Boden durch erhöhten Arbeitsein-satz nicht zwangsläufig auch mehr Ertrag bringt, werden mehr Menschen von Hilfslieferungen abhängig sein.

Um dem enormen Bevölkerungswachstum in Mali zu begegnen, bedarf es einer aktiven Fami-lienpolitik seitens des Staates. Aufklärung, Ge-sundheitsberatung und insbesondere die Stär-kung der Rolle der Frauen im Alltag sind hierbei entscheidende Ansätze. Dabei müssen die jewei-ligen kulturellen und sozialen Besonderheiten zwingend Beachtung finden, um eine prakti-kable und erfolgreiche Strategie entwickeln zu können. Zwar engagieren sich zahlreiche NRO’s erfolgreich vor Ort, aber eine Ergänzung durch eine wirksame politische Strategie seitens der malischen Regierung ist unabdingbar. In der Vergangenheit ist es Mali nicht gelungen, das anhaltend hohe Bevölkerungswachstum ein-zudämmen (vgl. International Monetary Fund 2008, 19). Es ist offenbar nicht ausreichend, dem Problem allein auf dezentraler, lokaler Ebene entgegenzutreten. Vielmehr bedarf es eines kombinierten Ansatzes aus Top-Down- und Bottom-Up-Strategie. Gerade vor dem Hinter-grund nicht nur nationaler, sondern vielmehr transnationaler Migration wird die Tragweite einer erfolgreichen und staatenübergreifenden Bevölkerungspolitik deutlich. Eine zunehmend globalisierte Welt verlangt zunehmend globali-sierte Bewältigungsstrategien. Somit muss die Förderung einer aktiven Familien- und Bevöl-kerungspolitik verstärkt in den Fokus der inter-nationalen Gebergemeinschaft rücken.

6.3 Ausbau der Verkehrsinfrastruktur

Massive Investitionen in den Ausbau der Trans-portwege sind in doppelter Hinsicht unabding-bar. Wie in Kapitel 4 verdeutlicht wurde, sind die maroden Verkehrswege in Mali ein großes Hindernis sowohl für eine regionalwirtschaft-liche Integration als auch für eine großflächige Versorgung im Krisenfall. Gut ausgebaute,

ganzjährig befahrbare Straßen erleichtern der Landbevölkerung den Zugang zu Städten und größeren Siedlungen und damit zu den Absatz-märkten für ihre Produkte. Eine bessere Infra-struktur hätte also einen positiven Einfluss auf den regionalen Handel und damit wirtschafts-belebende Effekte. Außerdem verhindert der gegenwärtige Zustand der Transportwege im Falle einer Hungersnot, dass Hilfe schnell und sicher zu denjenigen gelangt, die sie benötigen.

Die bestehende Bahnstrecke zwischen Dakar und Bamako wird zurzeit erneuert. Wichtig ist aber, sie über Bamako hinaus zu verlängern, um auch die gefährdeteren weil trockeneren Regionen im Norden und Osten Malis zu errei-chen. Denkbar wäre eine Querverbindung von Bamako nördlich der Falaise über Dori bis nach Niamé. Als zentrale Versorgungsader wäre eine solche Bahnlinie in der Lage, große Mengen an Nahrungsmitteln schnell über weite Strecken zu transportieren. Darüber hinaus ließen sich über eine solche Strecke Timbuktu und die Dogon-Region als touristische Attraktionen Malis viel besser erreichen und vermarkten.

Ausgehend von dieser zentralen Achse muss das Verkehrsnetz um ausgebaute Straßen in die entlegeneren Räume ergänzt werden. Dem Leitbild der dezentralen Konzentration ent-sprechend könnten diese peripheren Wege erste Anlaufstellen darstellen und so der Landflucht während Dürreperioden vorbeugen und die Städte entlasten. Die bereits existierenden Late-ritpisten müssen dringend ausgebaut und ganz-jährig befahrbar gemacht werden. Nur so lässt sich eine reibungslose Versorgung mit Hilfslie-ferungen im Krisenfall sicherstellen. Außerdem gehen von gut ausgebauten Verkehrsadern potenzielle Wachstumsimpulse aus. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der Abbau bestehender Verkehrs- und Handelshemmnisse. Die zahlreichen Mautstellen an den Straßen behindern den Zugang zu Absatzmärkten und schaden so einer wirtschaftlichen Entwicklung insbesondere der Landbevölkerung.

Der Investitionsbedarf für den nötigen Ausbau der Transportwege ist sehr hoch und kann daher weder von Seiten der malischen Regie-rung allein noch von kleineren NROs geleistet werden. Vielmehr ist hier die internationale Gebergemeinschaft gefordert, Mali die nötigen finanziellen Mittel bereitzustellen und bei der Planung und Ausführung beratend zur Seite zu stehen.

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6.4 Wirtschaftliche Integration der Sahelländer Bedroht von Dürren sind fast alle Länder am Südrand der Sahara – jedoch nicht alle glei-chermaßen. Während Mali zu den Nettoexpor-teuren von Lebensmitteln zählt, decken Länder wie Senegal, Niger oder Tschad mitunter große Teile ihres Bedarfes an Nahrungsmitteln aus Importen. Diese Abhängigkeiten werden ins-besondere in Zeiten knapper Lebensmittel pro-blematisch. In der Vergangenheit verschärften Exportstopps der ausführenden Länder die Knappheit bei den Importeuren. Hier kommt Exportländern wie Mali eine besondere Ver-antwortung zu, die seitens der internationalen Gemeinschaft stärker gefordert und gefördert werden muss. Kleinere Knappheiten bei den Exporteuren können sich sonst zu Hungersnö-ten in Importländern ausweiten.

Nicht nur in trockenen Zeiten sorgen Wechsel-kursschwankungen zwischen den Ländern der Sahelzone für Verschiebungen und Ungleichge-wichten im Gefüge des Angebots von und der Nachfrage nach Lebensmitteln (vgl. Terpend 2006, 16-19). Eine Ausweitung der CFA-Zone wäre ein Ansatz, um die wirtschaftliche und politische Integration Westafrikas voranzu-treiben. Weiterführende Kooperationen der westafrikanischen Staaten sind bspw. mit der UEMOA (Union Économique et Monétaire Ouest-Africaine) oder der ECOWAS (Econo-mic Community of West African States) bereits vorhanden. Allerdings vollzieht sich die Umset-zung ihrer Zielsetzungen wie die Einführung

einer gemeinsamen Währung oder der Abbau von Zoll- und Handelsschranken nur schlep-pend. Gründe dafür sind starke Interessens-konflikte sowie kulturelle und ökonomische Divergenzen (vgl. Krings 2006, 183-185). Auch hier ist die internationale Gemeinschaft gefragt, diese positiven Bemühungen zu unterstützen.

Einen weiteren guten und sehr konkreten An-satzpunkt der Zusammenarbeit der Sahelländer stellt die ABN (L‘Autorité du Bassin du Niger) dar. Diese Kooperation der Anrainerstaaten des Nigerbeckens2 hat es sich zum Ziel gemacht, den Niger nach gemeinsamen Strate gien und Prinzipien zu bewirtschaften. Dies zeugt von einem wachsenden gemeinsamen Verantwor-tungsbewusstsein für den Niger als die Le-bensader West-Afrikas. Derzeit wird die ABN zwar von der GTZ unterstützt, im Rahmen der geplanten Umstrukturierung der europäischen Entwicklungszusammenarbeit ist die Fortfüh-rung dieser Kooperation jedoch ungewiss. Die Unterstützung der Bemühungen der ABN muss in jedem Falle weitergeführt werden, um die Zusammenarbeit der vom Niger abhängigen Länder weiter zu intensivieren. Das ökono-mische und politische Zusammenwachsen der Sahelländer stabilisiert letztlich die gesamte Region und leistet damit einen entscheidenden Beitrag zur Risikovorsorge.

2 Diese sind: Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Guinea, Kamerun, Mali, Niger, Nigeria, Tschad.

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