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Löwen fressen Menschen - deutschlandfunk.de · 5 Im Rufiji-Fluss wimmelt es von Krokodilen und...

Date post: 08-Feb-2019
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DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hintergrund/Feature Dienstag, 16. Mai 2006 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr Löwen fressen Menschen "Man-Eater" in Tansania Von Achim Nuhr Co-Produktion DLF/NDR/HR/SWR COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Deutschlandradios.
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DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hintergrund/Feature Dienstag, 16. Mai 2006 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr

Löwen fressen Menschen

"Man-Eater" in Tansania

Von Achim Nuhr

Co-Produktion DLF/NDR/HR/SWR

COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Deutschlandradios.

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Musik / ATMO: Brüllende Löwen

O-Ton (Kisuaheli)

Sprecher 1

Als der Löwe immer mehr Menschen tötete, schickte die Regierung endlich Wildhüter,

um ihn zu jagen. Doch trotzdem fraß der Löwe immer mehr Menschen: heute hier, mor-

gen im nächsten Dorf. Der Löwe war sehr schlau: Er tötete Nachbarn, selbst wenn die

Wildhüter gerade im Dorf waren. Wir hatten Angst um unser Leben.

Ansage:

Löwen fressen Menschen

"Man-Eater" in Tansania

Ein Feature von Achim Nuhr

ERZÄHLER :

Raubtiere, die Menschen töten und fressen. Das geschah in grauer Vorzeit, dachte ich.

Dann erzählte mir ein afrikanischer Missionar, dass noch heute unzählige Menschen

von Löwen verschlungen werden. Ich wollte das zunächst nicht glauben, stieß dann a-

ber auf eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit – GTZ.

Sie berichtet davon, dass in Tansania ein einzelner Löwe 35 Dorfbewohner getötet und

gefressen hatte. Und dieser Löwe sei nur ein Beispiel von vielen: In dem ostafrikani-

schen Land würden "jedes Jahr in den meisten Gebieten" Menschen von Löwen ver-

schlungen. Ich machte mich auf den Weg, um herauszufinden, wie das heute noch ge-

schehen kann.

ATMO: Bus fährt rumpelnd, hält

ERZÄHLER:

Acht Stunden braucht der Bus für die 120 Kilometer von Dar es Salaam, dann stehe ich

am Rufiji-Fluss. An dessen Ufern war der menschenfressende Löwe unterwegs gewe-

sen, von dem die Entwicklungshelfer in ihrer Studie berichten. Im Dorf Ngorongo führt

mich der Dolmetscher zu einem Mann, der vor einer Strohhütte sitzt:

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O-Ton (Kisuaheli)

Sprecher 1

Als ich zuerst von dem Löwen hörte, fraß er noch Hühner. Aber eines Nachts im Dun-

keln kam er in ein Nachbardorf und hörte, wie sich in einer Hütte ein Mann mit seiner

Frau unterhielt. Da stellte sich der Löwe auf seine Hinterbeine, kletterte mit den Vorder-

pfoten die Wand hoch, riss das Strohdach ein und sprang in die Hütte. Dort tötete er den

Mann, schleppte ihn in den Wald und verschlang ihn. Die Nachbarn schlugen Trommeln,

um die anderen Dorfbewohner zu alarmieren. Aber mehr konnten sie nicht tun: Der

Wald war zu dicht, um dem Löwen zu folgen. Die Nachbarn hörten noch, wie das Tier

draußen im Dunkeln den Mann fraß.

ATMO: Dorfatmo Ngorongo: entfernte Stimmen, Schritt e, Hühner

ERZÄHLER:

So hörte Herr Suberi Salam Kigumi zum ersten Mal von dem Löwen, der mindestens 35

Menschen getötet haben soll. Das letzte Opfer war Kigumis Mutter: Mit einer Nachbarin

hatte sie nachts bei Mondlicht ein Feld mit Mais, Gurken und Kürbissen bewacht. Die

Bauern Tansanias müssen ihre Ernte nicht nur vor Tieren, sondern auch vor Dieben

schützen. Wenn die Ernte gestohlen wird, hat die betroffene Familie ein Jahr lang nicht

mehr genug zu essen. Kigumis Mutter hatte mit einer Nachbarin in der Familienhütte

gesessen und durch einen schmalen Sehschlitz im Strohdach nach draußen auf ihr Feld

gespäht. Lautlos hatte sich die Raubkatze angeschlichen, plötzlich den Sehschlitz auf-

gerissen und die beiden Frauen getötet: Löwen sind 250 Kilogramm schwere Muskelpa-

kete; sie brechen ihrem Opfer meist zuerst das Genick.

O-Ton (Kisuaheli)

Sprecher 1:

Nachbarn hatten die beiden schreien gehört und liefen herbei. Sie fanden meine Mutter,

die tot über einer Mauer hing. Am nächsten Morgen versammelten sich Wildhüter und

Dörfler. Sie folgten den Blutspuren der Nachbarin. Die Wildhüter hatten Feuerwaffen.

Und etwa 300 Leute machten einen Höllenlärm, während sie den Löwen suchten. Zuerst

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fanden wir zwei Finger der Nachbarin. Dann die Reste der Leiche: Der Löwe hatte den

ganzen Unterkörper gefressen.

ATMO – Gespräch während des Gangs zur Hütte

ERZÄHLER :

Wäre das Dach der Hütte aus Wellblech gewesen, hätte der Löwe es nicht aufreißen

können. Doch die meisten Bauern können sich kein Wellblech leisten. In Kigumis Hütte

stehen als einziges Inventar gerade eine Holzliege und ein hüfthohes Tongefäß mit

Wasser. Die Feuerstelle zum Kochen liegt draußen im Freien. Dass die Hütten in tansa-

nischen Dörfern meist weit auseinander stehen, erleichtert den Löwen das Anschlei-

chen. Die kniehohen Büsche und verkrüppelten Bäume, die sich hier auf sandigem Bo-

den gerade noch halten können, reichen ihnen als Deckung aus.

ATMO – Gruppe geht durch den Busch

ERZÄHLER:

Harunnah Lyimo begleitet mich. Er möchte mir das andere, fruchtbarere Flussufer zei-

gen: ein Gebiet, auf dem die Löwen noch lieber Menschen jagen. Harunnah arbeitet für

die GTZ, die ihn mir vermittelt hat: Ein junger Mann von Mitte 20, kräftig und fit, mit

Grübchen in den Wangen, ist er enorm hilfsbereit, einsatzfreudig und entschlossen, sei-

nen beruflichen Weg zu gehen. Nun übersetzt er das einheimische Kisuaheli ins Engli-

sche. Harunnah kennt die Gegend genau: Als Wildhüter wurde er hierher geschickt,

nachdem der Löwe bereits viele Menschen getötet hatte. Normalerweise soll ein Ranger

auch in Tansania Tiere schützen. Doch wenn die Tiere Menschen angreifen und Ranger

sie finden, werden sie erschossen. In kleinen Trupps versuchten die Jäger damals, den

ungewöhnlich aggressiven und hungrigen Löwen zu stellen. Sie besaßen, was den Ein-

heimischen am Rufiji-Fluss fehlt: Gewehre.

ATMO – Durchquerung eines Nebenarms des Rufiji-Flus ses

ERZÄHLER:

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Im Rufiji-Fluss wimmelt es von Krokodilen und bissigen Flusspferden, warnten schon

Entdecker wie David Livingstone im 19. Jahrhundert. Daran hat sich bis heute nichts

geändert. Vier kräftige, einheimische Burschen sollen uns in einem Einbaum an das an-

dere, fruchtbarere Ufer bringen. Hier liegen auch die meisten Felder des Dorfes. Der

Boden des Boots ist zwei Fußbreit schmal; die dünnen Wände ragen steil etwa einen

Meter hoch. Sehr behutsam setzen wir uns auf die Bootskanten – bemüht, das Gleich-

gewicht zu halten.

ATMO – Überfahrt Boot

ERZÄHLER:

Wir stehen unter Erfolgsdruck: Etwa hundert Meter entfernt dösen Krokodile auf einer

Sandbank.

ATMO - Paddeln

O-TON: Such is life … same crew? Same crew.

Sprecher 2:

So ist das Leben. Wenn wir damals zur Löwenjagd ans andere Ufer setzten, lagen unse-

re Gewehre vorne im Boot, und wir saßen so aufgeteilt wie jetzt. – Wie viele ward Ihr

damals? – Sechs, wie heute. – Dieselbe Mannschaftsstärke? - Dieselbe Mannschafts-

stärke!

ERZÄHLER:

Allerdings hat Harunnah diesmal keine Schusswaffe dabei. Notfalls werden wir uns mit

den Paddeln gegen Raubtiere verteidigen, haben unsere Begleiter strahlend versichert.

Wir gelangen sicher ans andere Ufer. Aber viele Einheimische haben weniger Glück:

Neben Löwen sind andere Raubkatzen wie Leoparden unterwegs. Flusspferde beißen,

wenn sie sich überrascht fühlen. Und in einem einzigen Nachbardorf wurden nach amtli-

chen Zahlen in zwei Jahren elf Menschen von Krokodilen getötet. Die Dorfbewohner ha-

ben ständig an dem gefährlichen Fluss zu tun: Sie baden dort, waschen ihre Wäsche

und holen Wasser zum Trinken und Kochen. Denn am Rufiji-Fluss fehlen nicht nur Well-

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blech, Gewehre, Strom und Telefone: Es gibt auch keine Wasserleitungen, nicht einmal

Handpumpen.

O-TON: What kind of food print … do not like each o ther.

Sprecher 2:

Was für Spuren sind das? Leopard? – Ja, normalerweise kommen sie hier vorbei. – Mö-

gen sich Leoparden und Löwen? – Aber nein. Die mögen sich gar nicht.

ATMO – Marsch über Sand, Gras

ERZÄHLER :

In den 70er Jahren plante die damals sozialistische Regierung Tansanias eine große

Landreform. Zu dieser Zeit wurden ganze Dörfer umgesiedelt: am Rufiji vom fruchtbaren

Südufer auf die andere Seite, um Platz zu schaffen für die Landwirtschaft. Die Men-

schen sollten auf einer Flussseite wohnen und schlafen, auf der anderen Seite ihre Fel-

der bestellen. Der Plan klingt gut, doch die Betroffenen haben seitdem ein weiteres

Problem: Die nächste Brücke über den Fluss ist 60 Kilometer weit weg. Und die Über-

fahrt mit dem Einbaum ist gefährlich. Deshalb blieben zu Erntezeiten, wenn viel zu tun

war, viele Familien gleich am Südufer - und schliefen nachts neben ihren Feldern im

Freien oder in wackligen Palmhütten. Bis vor drei Jahren erstmals der Löwe auftauchte,

der dann fast zwei Jahre lang Menschen jagen sollte - am liebsten hier am Südufer. Un-

ser Trupp erreicht eine einzelne Hütte, vor der ein alter Mann sitzt.

O-Ton (Kisuaheli)

Sprecher 1:

Uns hat der Löwe fast erwischt. Er kam immer nachts und langte mit seinen Klauen

durch das Grasdach in die Hütte. Wir standen drinnen. Sobald eine Tatze eindrang, ver-

suchten wir, sie mit einem Buschmesser abzuschlagen. Mit einer Taschenlampe schlu-

gen wir gegen die Hüttenpfosten. Letztlich hat der Löwe immer Angst bekommen und ist

weiter gezogen, um nach anderen Opfern zu suchen. Wir haben uns organisiert, so gut

es ging: Nachts benutzten wir Nachttöpfe, damit wir nicht zum Pinkeln die Hütte verlas-

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sen mussten. Wenn einer doch mal unbedingt ´raus musste, haben ihn die anderen mit

Speeren, Pfeilen und Bögen begleitet.

ATMO – Stimmengemurmel

ERZÄHLER :

Der alte Mann - Herr Kasim Mohamed Bremer Dugu – schätzt sein Alter auf etwa 70

Jahre. Dabei hat er eine athletische Figur und keine Falten im Gesicht. Seine Frau, die

an einer Feuerstelle Bohnen kocht, wirkt älter und ein wenig geschwächt – offenbar eine

Folge der schrecklichen Nächte voller Todesangst. Stolz zeigt Herr Dugu die Waffen, mit

denen er den Menschenfresser damals eigenhändig abwehrte: eine schwere Lanze aus

Gusseisen, einen Bogen, Holzpfeile mit vergifteten Metallspitzen sowie einen Säbel und

eine Axt.

O-Ton (Kisuaheli)

Sprecher 1:

Als der Löwe hier herumzog und die Leute umbrachte, haben die meisten sogar ihre

Ernte aufgegeben und sind ans andere Ufer geflüchtet. Irgendwann waren wir hier dann

ganz allein übrig geblieben: meine Frau, unsere drei Söhne, mein Schwager und ich.

Wir diskutierten und beschlossen, dass wir hier bleiben müssen: Wir haben doch nur

unsere Bananen, Cashewnüsse und Mangos, und die sind hier. Auf der anderen Fluss-

seite hätten wir nichts zu essen gehabt.

ATMO

ERZÄHLER :

Die meisten Felder am fruchtbaren Südufer sind bis heute verwaist, obwohl der Löwe

vor mehr als einem Jahr im Kugelhagel der von den Dorfbewohnern herbeigerufenen

Ranger starb. Aber wer möchte schon dort arbeiten, wo Freunde und Verwandte von

einem Raubtier verschlungen wurden? Der Wildhüter Harunnah zeigt mir, wo er damals

mehrere Nächte im Freien auf den Löwen wartete: Nur hundert Meter von der Hütte des

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alten Mannes entfernt sind in einer Baumkrone ein paar quer liegende Baumstämme

auszumachen – Reste eines Hochstands.

O-TON: During that time … but the lion never showed up.

Sprecher 2:

Damals verbrachten wir ganze Nächte auf diesem Hochstand. Einmal kam der Löwe

und brüllte stundenlang. Er war vielleicht gerade hundert Meter entfernt von hier, aber

wir konnten ihn im Dunkeln nicht sehen. Stattdessen kamen auch noch Elefanten vorbei

und fingen an, den Mais von den Feldern zu fressen. Wir trauten uns nicht, die Elefanten

mit Schüssen zu vertreiben. Denn wenn der Löwe gerade in unsere Richtung gewandert

wäre, hätten wir ihn verscheucht. Wir wollten ihn doch unbedingt vor unsere Gewehre

bekommen. Aber ich habe ihn bis zu seinem Ende niemals gesehen.

ATMO – Trommeln, Gesang

ERZÄHLER :

Eine bemalte Gedenktafel mitten in Ngorongo zeigt, wie der Löwe schließlich sein Ende

fand: Vier Wildhüter schießen mit Gewehren auf ihn – Harunnah ist nicht dabei. An mei-

nem letzten Abend am Rufiji höre ich im Radio schlimme Neuigkeiten: Im Südosten des

Landes sind wieder Menschen von Löwen getötet worden. Der Südosten ist mein nächs-

tes Reiseziel.

ATMO – Trommeln, Gesang

ERZÄHLER :

Tansania wurde 1961 von Großbritannien unabhängig. Der erste, bis heute weit verehr-

te Präsident Julius Nyerere wählte für das Agrarland einen sozialistischen Weg: Er woll-

te vor allem die Entwicklung der Dörfer vorantreiben. Doch Nyerere scheiterte an man-

gelhafter Organisation, Korruption und schlechten Ackerböden. Ende der 80er Jahre

wechselte auch Tansania unter dem Druck von Weltbank und Internationalem Wäh-

rungsfond zur Marktwirtschaft. In den letzten Jahren sorgten Wachstumsraten von über

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5 Prozent für Lob im westlichen Ausland. Doch in ländlichen Bezirken wie Rufiji ist von

Fortschritt nichts zu sehen.

ATMO – Trommeln, Mädchen singen im Chor

ERZÄHLER :

Am Abend bereitet die islamisch orientierte Oppositionspartei "Civic United Front" die

Dörfler mit einem Mädchenchor auf den Besuch eines lokalen Führers vor: Zwar hält die

altgediente tansanische "Einheitspartei der Revolution" bei Wahlen immer noch um die

80 Prozent*. Doch seitdem 1992 andere Parteien zugelassen wurden, wächst vor allem

die Civic United Front.

Sprecherin 1:

Es ist Zeit für einen Wechsel,

die Falschen haben lange Zeit das Land regiert.

Wir sehen keinen Fortschritt

und möchten sehen, was andere für uns tun können.

Öffentliche Gelder werden missbraucht,

Alte Führer sind korrupt, und niemand tritt in Aktion.

Zeit für neue Führer!

ATMO – quietschende Fahrräder

ERZÄHLER :

Nach den Tagen am Rufiji-Fluss sehne ich mich nach ein bisschen Zivilisation: einer

heißen Dusche, kalten Getränken und ein paar Glühbirnen nach Sonnenuntergang. Und

so lade ich Harunnah in ein Safarilager ein: Zuerst fahren wir mehrere Stunden mit ei-

nem lokalen Bus über eine buckelige Sandpiste, dann die letzten Kilometer mit geliehe-

nen Fahrrädern, weil es zu dem Safarilager keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt. Das

Camp nutzen Touristen, die das nahe gelegene Wildreservat Selous besuchen wollen.

Der Selous ist das größte Wildschutzgebiet Afrikas - größer als die Schweiz - und wird

nur von wenigen Forschern und Touristen besucht. Wir fahren durch ein Holztor in das

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Camp – und plötzlich wähne ich mich auf einem anderen Planeten: Zwei Touristen ent-

steigen gerade einem Jeep.

O-TON (Tourist 1:)

Ja, wir haben also zwei Rudel Löwen gesehen. Eines, das gerade ein paar Hyänen die

Überreste eines Zebras geklaut hatte. Und eines, das noch unten am See lag und ge-

pennt hat. Super angenehm, jetzt eine Safari zu machen. Du hast das Gefühl, du bist

mitten in der Natur und nicht, dass du einen Jeep nach dem anderen siehst.

(Tourist 2:)

Und eben, als wir zurückgekommen sind, hat direkt ein Elefant unsere Straße gekreuzt.

Wobei es wohl so ist: Wenn Elefanten da sind, ist man in Sicherheit. Weil dann kein an-

deres Tier mehr kommt, und die Elefanten tun auch nichts.

(Autor:)

Habt ihr gehört, was den Menschen hier passiert ist, die den wilden Tieren begegnet

sind - dass die umgekommen sind?

(Tourist 1:)

Nur aus dem Reiseführer halt. Aus der Ecke um Tunduru. Dass dort häufiger solche Fäl-

le vorkommen. Ansonsten nicht.

(Tourist 2:)

Eben kam hier ein Nilpferd quer herüber geschwommen.

ATMO - Flusspferdtöne

ATMO – Touristen im Hintergrund

ERZÄHLER :

Eine Terrasse mit Bar bietet freie Sicht auf den Rufiji-Fluss. Zum Abendessen gibt es

Thunfischsalat, Gemüseauflauf und kaltes Bier. Die Terrasse ist hell erleuchtet. Den

Strom liefert ein Generator.

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ATMO –Schritte

ERZÄHLER:

Die Gäste des Camps wohnen in großen Zelten, die auf meterhohen Holzstelzen ste-

hen. Die Zelte haben Bäder und elektrisches Licht. Nachtwächter patrouillieren die Um-

gebung. Wer mag, kann sich von der Bar zu seinem Zelt begleiten lassen. Tagsüber

werden Exkursionen angeboten: auch zum Selous-Wildreservat, das nur 500 Meter ent-

fernt beginnt und dann allein Richtung Süden über 300 Kilometer weit reicht. Die Gren-

zen zum Reservat sind nicht gesichert: Wilde Tiere – darunter Tausende Löwen – wan-

dern zwischen dem Reservat und den angrenzenden, bewohnten Gebieten hin und her.

Abends im Dunkeln steige ich das steile Flussufer hinab, wo zwei Motorboote für Fluss-

safaris im Wasser liegen. Nur nicht in den Fluss fallen, hat mich der Besitzer des Camps

gewarnt. Vor Sonnenuntergang hatte er am anderen Flussufer vier Krokodile gesehen,

die ins Wasser abtauchten. Auch eine Gruppe von Flusspferden war vorbeigekommen.

Direkt am Flussufer gegenüber seien zwei Tage zuvor Löwen vorbei gewandert, hatte er

mir gesagt. Jetzt halte ich mein Richtmikrofon flussabwärts in Richtung des nächstgele-

genen Dorfs: Mloka. Von dort waren wir mit unseren Fahrrädern gekommen.

ATMO – Tiere im Fluss

ERZÄHLER:

Allein in den Dörfern der Umgebung wurden in den letzten Jahren Dutzende Einheimi-

sche von dem Löwen getötet. Hinzu kommen ungezählte von Krokodilen, Flusspferden

und Hyänen getötete und verletzte Menschen. Sie entrichten einen hohen Blutzoll für

die Erhaltung der großen Raubtiere. Die Touristen kommen dagegen stets unbehelligt

davon.

ATMO – hechelndes Tier

ERZÄHLER :

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Ein Tier nähert sich hechelnd meinem Boot. Ich bekomme Angst und flüchte ins Lager

zurück. Die Einheimischen hätten sicher gelacht: Vielleicht nähert sich da nur ein

Springhase. Vielleicht, vielleicht auch nicht.

ATMO - Zug

ERZÄHLER:

Nach den Fahrten in lokalen Rumpelbussen ist eine Zugreise purer Luxus. Die Fahrt

zum nächstgelegenen Bahnhof führte zunächst quer durch einen Zipfel des Selous-

Wildreservats, wo ich drei schläfrige Löwen-Mütter mit ihren Jungen beobachten konnte

– im Jeep, aus der Touristenperspektive. Nun werde ich aus dem Nordosten in den

Südosten Tansanias reisen - in einem großen Halbkreis um den Selous herum. Dort, wo

ich hin will, an der Grenze zu Mosambik, werden Dorfbewohner bewaffnet und notfalls

gegen die Löwen mobilisiert, hatte man mir bei der nationalen Wildbehörde in Dar es

Salaam versichert.

ATMO - Zug

ERZÄHLER :

In Tansania leben heute mindestens 16.000 wilde Löwen, wahrscheinlich erheblich

mehr. Genauer weiß das niemand. Der oberste Wildhüter des Bezirks Tunduru, Dickson

Koischwa, empfängt mich herzlich.

ATMO - Begrüßung

ERZÄHLER :

Dickson Koischwa ist ein gesetzter Herr von vielleicht Mitte 50 in grauen Hosen und

blauem Hemd. Ein "Büroförster", denke ich spontan beim Hereinkommen. Man munkelt,

dass er in bester Kolonialtradition immer einen "tent boy" – einen Zeltjungen – fordert,

falls er einmal sein Büro verlassen und in den Wald gehen muss. Auch Herrn Koischwas

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Büroausstattung ist gewöhnungsbedürftig: Auf seinem Schreibtisch liegen vier große

Löwenschädel. Einen fünften hält er gerade in der Hand, als ich den Raum betrete.

Plötzlich fällt ihm der Unterkiefer des Schädels aus der Hand, aus dem fingerlange, spit-

ze Zähne ragen:

O-TON: This skull was brought …. killed people in the district.

Sprecher 2 :

Dieser Löwenschädel wurde aus dem Dorf Ligunga hierher gebracht: Der Löwe drang

nachts mit seinem Rudel in ein Dorf ein und verschleppte eine junge Mutter. Ihr Baby

ließen die Tiere zurück - und die Mutter fraßen sie. Am nächsten Morgen folgten wir den

Löwen und brachten den hier um, dessen Schädel sie hier auf dem Schreibtisch sehen.

Auch die anderen Schädel hier stammen alle von Löwen, die in meinem Bezirk Men-

schen umgebracht oder verletzt haben.

ATMO - Büro

ERZÄHLER :

Allein in Herrn Koischwas Bezirk wurden schon einmal im Laufe von 12 Monaten 42

Menschen von Löwen getötet, habe ich in der GTZ-Studie gelesen. Im selben Jahr

brachten die Wildhüter ihrerseits 43 Löwen um. Die Löwen würden hier "gelegentlich in

einen Tötungsrausch verfallen", meldet der sonst stets sachliche GTZ-Report. Und

selbst im Zentrum der Bezirkshauptstadt Tunduru gingen Löwen regelmäßig auf Men-

schen los. Der Wildhüter erzählt mir vom Schicksal seines Amtsvorgängers:

O-TON: The game officer went for a drink …I go home for my shelter, hä hä.

Sprecher 2:

Er wollte einen heben gehen und trank die Nacht durch. Als es fast fünf Uhr morgens

war, beschloss er, nach Hause zu gehen. Doch auf dem Weg wurde er von einem Lö-

wen attackiert, der ihn auf der Stelle tötete und verschleppte. Nur sein Arm wurde noch

gefunden, mit Armbanduhr. Nachdem der Arm gefunden worden war, kamen alle Wild-

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hüter zusammen, um den Löwen zu jagen. Aber der schwamm durch den Grenzfluss

nach Mosambik und entkam. Der Tod meines Vorgängers war sehr, sehr, sehr entmuti-

gend. – Und wie wollen Sie verhindern, dass Sie einmal das Schicksal ihres Vorgängers

teilen? – Ich gehe vorsichtshalber im Dunkeln nicht heraus, weil ich weiß, dass diese

Menschenfresser dann durch die Stadt ziehen; auf der Jagd nach Beute. Normalerweise

suche ich spätestens um neun Uhr zu Hause Zuflucht.

ATMO - Büro

ERZÄHLER :

Dickson Koischwa überreicht mir eine handgeschriebene Liste, auf der Todesopfer der

vergangenen Jahre verzeichnet sind: Menschen und Löwen. Die Liste der getöteten

Menschen ist ungleich länger.

O-TON: I also pray for you. Have a good journey. Hä hä hä.

Sprecher 2:

Ich bete für Sie. Haben Sie eine gute Reise!

ATMO - Hauptstraße

ERZÄHLER :

Tunduru wirkt wie die afrikanische Version einer Wildwest-Stadt: An der Hauptstrasse

verkaufen Metzger an kleinen Buden Frischfleisch, das in der Sonne hängt. Am Stra-

ßenrand bietet ein Rollstuhlfahrer Zahnpasta und Kämme feil. Den Haupteingang zur

Post ziert eine behangene Wäscheleine. Staub- und Sandwolken liegen über der unbe-

festigten Hauptstraße. Obwohl tagsüber viele Menschen draußen sind, schaue ich un-

willkürlich hin und her, ob nicht plötzlich ein Löwe an der nächsten Ecke auftaucht. In

Tunduru tragen viele Passanten heimlich Waffen, wurde mir gesagt. Nach dem Besuch

bei Herrn Koischwa verstehe ich besser, warum sie sich nicht auf die Wildbehörde ver-

lassen.

ATMO - Bus

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ERZÄHLER :

Ich fahre mit einem Minibus weiter in den Nachbarbezirk Namtumbo. Zuvor habe ich mit

Informanten aus Dar es Salaam telephoniert. Hier, im Südosten Tansanias, soll es Mo-

dellprojekte geben, in denen Menschen lernen, sich gegen Löwen erfolgreich zu weh-

ren: Tansanische Behörden und ausländische Entwicklungshelfer bilden Bauern zu

Scouts aus, die dann ihre Dörfer vor Raubtieren schützen.

ATMO - Funkverkehr

ERZÄHLER:

Der Wildhüter Nalimi Madata wirkt mindestens 20 Jahre jünger als sein Kollege

Koischwa, macht einen deutlich dynamischeren Eindruck und trägt einen Revolver unter

der Jacke. In seinem Jeep fahren wir zu einem Ausbildungslager, in dem junge Dorfhü-

ter ausgebildet werden, offensichtlich paramilitärisch.

ATMO – Trillerpfeife, Marschieren

ERZÄHLER :

Ein Instrukteur mit einem halbautomatischen Gewehr über der Schulter scheucht Rekru-

ten über einen Platz. Vorgesetzte mit Maschinengewehren schauen zu. Alle tragen Uni-

formen und schwere Armeestiefel. Unter ihnen ist auch ein uniformierter weißer Regie-

rungsberater – neben ihm steht eine Pumpgun. Nach dem Exerzieren rücken alle zu

Schießübungen aus in den Busch.

ATMO - Schüsse

O-TON Ausbilder: Kisuaheli

Sprecher 1 :

Schaut: Hier gibt es Zeichen, dass Wilderer unterwegs sind. Sie verstecken sich gerne

in der Nähe von großen Bäumen wie denen dort drüben. Sucht nach Spuren von Wilde-

rern! Schaut nach ihren Lagerplätzen! Und nach Drähten für Tierfallen. Wenn ihr Asche

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seht, prüft, ob sie noch warm ist. Wenn das Feuer noch nicht lange aus ist, haben die

Wilderer uns wahrscheinlich bemerkt und sind geflohen. Geht hier lang und sucht.

ATMO – Gruppe geht durch Gras zurück zum Lager

ERZÄHLER :

Ich bin überrascht: Diese Scouts scheinen eher zu trainieren, wie man Tiere vor Wilde-

rern schützt - statt die Menschen vor den Tieren. Doch das mag meinem angekündigten

Besuch geschuldet sein: Während meiner Reise wurde ich mehrfach höflich von ver-

wunderten Einheimischen gefragt, ob Europäer mehr für die Tiere oder die Menschen

Afrikas fühlen würden. Es hat sich bis nach Tansania herumgesprochen, dass die meis-

ten Europäer große Löwen prachtvoll und kleine Löwen niedlich finden. Beim Schutz der

Raubtiere werden einheimische Menschen eher als Störfaktor angesehen. Da die Aus-

bildung der Scouts in diesem Lager auch mit deutschen Geldern finanziert wird, halten

es die Einheimischen offenbar für angebracht, beim Besuch eines Journalisten den

Tierschutz in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei haben es alle durchaus fest im Blick,

dass Löwen Menschen bedrohen und töten können. Rudi Hahn heißt der Regierungsbe-

rater mit der Pumpgun, neben mir der einzige Weiße im Lager:

O-TON: Wir bekamen gerade einen Bericht von einem Wildhüter, der hier am Ruvu-

mafluss stationiert ist. Und der sah vor 2 Tagen mit dem Fernglas einen Löwen auf der

anderen Flussseite, der eine Verwundung hat an der Schulter. Na, jetzt müssen wir mal

sehen, ob der hoffentlich auf der anderen Seite bleibt.

Autor : Und die Rede war noch von Wilderern. Wo könnten die jetzt sein?

O-Ton Rudi Hahn: Da bekamen wir auch einen Bericht ´rein, dass in einem Dorf circa

30 Kilometer östlich von hier sich da Wilderer aufgehalten haben mit halbautomatischen

Waffen.

Autor: Was passiert, wenn man die trifft?

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Rudi Hahn: In der Regel, wenn man sich denen nicht stellt, muss da nichts passieren.

Wenn man jetzt offiziell unterwegs ist mit ´ner Patrouille, kann es natürlich gefährlich

werden.

ATMO – Parolen, Marschieren

ERZÄHLER:

Der Deutsche Rudi Hahn arbeitet als Berater für die tansanische Wildhüterbehörde –

bezahlt vor allem von deutschen Entwicklungsgeldern. Die GTZ und andere Hilfsorgani-

sationen helfen seit Ende der 80er Jahre. Anfangs ging es tatsächlich nur um Tier-

schutz. Tansania bat damals die internationale Gemeinschaft um Hilfe, weil in Reserva-

ten wie dem Selous professionelle Wilderer fast nach Belieben wüteten. Zudem töteten

viele Bauern nahe ihren Dörfern Löwen, aber auch Krokodile, Elefanten, Flusspferde

und andere geschützte Tiere: um ihre Ernte zu verteidigen oder aus Rache nach Todes-

fällen. Die schlimmsten Wilderer-Banden konnten bald ausgeschaltet werden. Doch ge-

gen die normalen Landbewohner hart vorzugehen, war weder sinnvoll noch möglich.

O-Ton Rudi Hahn:

Natürlich ist es den Menschen, die vor allem in Großstädten leben, sehr einfach, sich für

die Löwen einzusetzen. So ein Tier macht ja auch einen großen Eindruck auf die Leute.

Wenn man weit weg ist von dem Geschehen, wo Leute von Löwen angegriffen werden

und öfters auch getötet werden. Auf der anderen Seite hat man in Europa die Diskussi-

on: Dürfen Wölfe bei uns überleben, dürfen Luchse ausgesetzt werden im Pfälzer Wald

oder im Schwarzwald und in den Vogesen, und da hat man sofort die Lobby der Land-

wirte, der Schafzüchter, die gegen solche Wildtiere sind, die von der Gefahr her eigent-

lich gar nicht mit Löwen zu vergleichen sind.

ATMO - Ausbildungscamp

ERZÄHLER :

Einheimische Politiker und internationale Hilfsorganisationen entwickelten gemeinsam

ein Schutzprogramm – für Menschen und Tiere: Heute dürfen nur noch Großwildjäger

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jährlich etwa 250 Löwen jagen und erschießen – mit amtlicher, streng kontrollierter Er-

laubnis. Dieses Kontingent sei unbedenklich und würde den Löwenbestand nicht ge-

fährden, sind sich Fachleute einig. Die Erlöse aus den teuren Jagdgebühren von jährlich

circa vier Millionen Dollar werden für den Schutz der Dorfbewohner vor Löwen, für Ent-

wicklungsprojekte und Naturschutz ausgegeben. Lange Zeit gab es überhaupt keine

konkreten Angaben, wie viele Menschen in Tansania von Tieren getötet werden. Rudi

Hahn, seine Kollegen von der GTZ und tansanische Wildhüter haben begonnen, Daten

zu sammeln: Sie dokumentieren auf ihren Reisen die Opfer, wenn ihnen von Toten und

Verletzten berichtet wird. Etwa 200 von wilden Tieren getötete Menschen werden jetzt

jährlich amtlich. Die Statistik sei aber noch "in hohem Maße lückenhaft", räumen die Ur-

heber selbst ein. Schon während meiner Recherche höre ich täglich derart viele einzel-

ne Geschichten über Todesopfer allein in drei Bezirken, dass die Dunkelziffer extrem

hoch sein muss.

ATMO - Jeep

ERZÄHLER :

Am nächsten Morgen möchte der Wildhüter Nalimi Madata erfahrene Dorfscouts besu-

chen und mir ihre Arbeit vorführen. Ein rauer Trip: Sein Pickup fährt schief über eine

Erdpiste. Die linken Räder rollen über einen Trampelpfad, die rechten einen halben Me-

ter tiefer durch eine Rinne aus der letzten Regenzeit. Einem anderen Fahrzeug begeg-

nen wir nicht: Die Bauern der Region sind zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs.

O-TON: They expose themselves … proper weapons to attack the lion.

Sprecher 2 :

Die Menschen sind der Wildnis sehr ausgeliefert. Aber sie müssen hierher kommen.

Wenn sie auf Dauer an demselben Platz bleiben würden und immer dieselben Felder

bebauen, laugt der Boden aus und wird unfruchtbar. Dann ernten die Familien nicht ge-

nug, um übers Jahr zu kommen. Hier in diesem Dorf haben sie jetzt allerdings andere

Probleme: Gegen die Löwen und andere große Tiere besitzen sie noch keine ausrei-

chenden Waffen, nur Stöcke.

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O-TON: Madata spricht Einheimische an: Kisuaheli, d ann Englisch

Sprecher 2:

Die Leute hier sagen, dass sie Probleme mit Elefanten hatten diese Woche. Es gäbe

zurzeit viele Elefanten. Hier ist übrigens die Siedlungsgrenze: Wer hinter diesem Punkt

Felder anlegt, verstößt gegen Landnutzungspläne. Ab hier ist Naturschutzgebiet. Sehen

Sie: Dort ist schon eine Familie bis ins Naturschutzgebiet vorgedrungen.

ATMO - Jeep

ERZÄHLER :

Eine Basthütte, letzte Felder – dann beginnt Busch aus Miombo-Trockenwald. Miombo-

Bäume werden nur 15 Meter hoch und ziehen viele Nährstoffe aus den ohnehin kargen

Böden. Deshalb wachsen hier ansonsten nur Sträucher und Gras. In diesem kaum be-

rührten Busch wohnen besonders viele Löwen, wo sie sich meist von anderen Tieren

ernähren können. Doch die Bauern dringen mit ihren Feldern immer tiefer in den Busch

vor. Die Menschen sind heute aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, mit ihren Fel-

dern den Löwen immer näher zu rücken.

ATMO - Jeep

ERZÄHLER:

Durch den Busch begleiten uns fünf Dorf-Scouts aus Nambecher. Dieses Dorf beteiligt

sich seit 12 Jahren an dem Entwicklungs-Programm für löwengeschädigte Dörfer. Nun

stehen die Scouts hinten auf der Ladefläche des Pickups und dirigieren uns: Ohne Weg

oder Piste fährt der Wildhüter Madata einfach quer durch den Busch. Nach dreistündiger

Höllenfahrt parken wir an einer Lichtung. Die Scouts hatten hier zuletzt vor mehreren

Wochen auf einem Kontrollgang ein Löwenrudel gesichtet. Damals waren sie die 34 Ki-

lometer von ihrem Dorf bis hierher zu Fuß marschiert, um das Rudel nicht aus dem Au-

ge zu verlieren - bei 35 Grad im Schatten.

O-TON (Kisuaheli)

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Sprecher 1:

Seitdem wir regelmäßig patrouillieren, ist kein einziger Löwe mehr in unser Dorf einge-

drungen. Obwohl es immer mehr Löwen in unserer Gegend gibt, weil sie von der Regie-

rung geschützt werden. Wir dürfen sie nicht einfach erschießen, wenn wir sie sehen –

nur, wenn sie angreifen sollten. Wir sehen die Löwen immer wieder tags auf unseren

Patrouillen. Und nachts hören wir sie in Dorfnähe brüllen. Aber wenn jetzt ein Löwe in

unser Dorf herein käme, wären Menschen bedroht und wir dürften ihn erschießen. Wir

haben jetzt eine Schrotflinte und ein Gewehr. Und das merken die Löwen anscheinend

und bleiben lieber gleich weg. Unsere Ausrüstung und das Training sind sehr wichtig für

uns.

ATMO – Stimmen in Kisuaheli

ERZÄHLER :

Wir stehen am zerfetzten Gerippe eines riesigen Büffels. Einzelne Knochen sind auf ein

Gebiet von etwa 20 mal 30 Metern verstreut. Der Kampf zwischen dem Büffel und dem

Löwenrudel muss lang und hart gewesen sein.

O-TON (Kisuaheli)

Sprecher 1:

Für uns ist es schwierig geworden, selbst an Büffelfleisch zu kommen. Es gibt ja immer

mehr Löwen auch in der Nähe unseres Dorfes, und die fressen uns die Büffel weg: Sie

erlegen sie, bevor wir das tun können. Deshalb hoffen wir, dass die Regierung bald

auch in unseren Bezirk reiche Großwildjäger schickt. Damit sie mehr Löwen schießen

und wir dann wieder mehr Büffel für uns haben. Die weißen Jäger kommen von weit her

und geben viel Geld aus, weil sie zu Hause keine Löwen haben. Sie erschießen die Lö-

wen und legen sich deren Felle zu Hause auf den Boden. Wahrscheinlich wollen sie

damit angeben.

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ATMO – Gruppe wandert durch Buschgras

ERZÄHLER :

Es ist spät geworden, und wir beschließen, in Zelten zu übernachten, die die Scouts

mitgebracht haben. Keine einfache Entscheidung für sie: Denn niemand weiß, wo gera-

de jetzt die Löwen herumstreifen, die den Büffel getötet haben. Deshalb werden die

Scouts hier heute Nacht abwechselnd Wache halten müssen. Ein Löwenrudel kann aber

auch schnell die 34 Kilometer bis zu ihrem Dorf wandern. Dort würde der Trupp dann

heute Nacht fehlen - und vor allem die Flinten, die wir mitgenommen haben.

O-TON: So we camp here. … he is there with the two guns to care for you.

Sprecher 2 und Erzähler: (Madata:)

Lasst uns hier zelten! –

(Autor:) Ja, sieht gut aus. – Und es ist ein überschaubares Areal für uns. – A:Gibt es

auch Krokodile hier? – Ja genau, hier laufen auch Krokodile herum. – A:Hält jemand

Wache heute Nacht oder schlafen alle? – Wenn wir einmal unser Lager aufgeschlagen

haben, wird kein wildes Tier kommen und einfach angreifen. Das kommt jedenfalls nur

sehr selten vor. Normalerweise gibt es keine Probleme. Der Kollege hier mit den zwei

Gewehren wird trotzdem auf Sie aufpassen!

ATMO – Kochen, Wasser, Stimmen

ERZÄHLER :

Die Scouts wirken selbstsicher und überlegt – kein Vergleich zu den verschreckten Be-

wohnern der ungeschützten Dörfer am Rufiji-Fluss. Die gesamte Schutztruppe des Dorfs

besteht aus zwölf Scouts, darunter unsere fünf Begleiter. Nambecher hat damit die im

Hilfsprogramm vorgesehene Idealstärke erreicht. Das Dorf erhält Fördergelder, die von

den Gebühren der Großwildjäger gespeist werden.

O-TON (Kisuaheli)

Sprecher 1:

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Wir konnten unsere Dorfapotheke aufstocken. Und zusätzliche Klassenräume sowie ein

Dorfbüro bauen. Und dann die neue Brücke von Namtumbo über den Fluss bis zu uns.

Früher konnten keine Lastwagen bis ins Dorf fahren. Die Steine und den Sand für die

Brücke haben wir selbst zusammengetragen. Dann hat die Bezirksregierung einen In-

genieur geschickt, der uns bei der Konstruktion geholfen hat. Der Ingenieur hat auch Ei-

senträger mitgebracht.

ATMO – Insekten, Stimmen

ERZÄHLER :

Tansania besitzt die größte Löwenpopulation der Welt. Vor meiner Reise hatte ich ver-

mutet, dass die meisten dieser Löwen in Schutzgebieten leben - bewacht und einge-

zäunt wie zum Beispiel im südafrikanischen Krügerpark. Doch die Löwen Tansanias le-

ben frei. Laly Lichtenfeld, Tierforscherin der US-amerikanischen Yale-Universität,

schätzt in einer Studie, dass in Tansania in einigen Dörfern in der Nähe von Natur-

schutzgebieten auf nur wenig mehr als zwei Quadratkilometer jeweils ein Löwe kommt.

Gleichzeitig wächst die Bevölkerung Tansanias stark: In den letzten Jahrzehnten im

Schnitt um circa drei Prozent jährlich auf heute 37 Millionen Menschen. Weil es immer

mehr Menschen gibt und zumindest nicht weniger Löwen, begegnen sich die beiden

Spezies immer öfter. Auf etwa einem Drittel der Landesfläche Tansanias kommt es zu

Löwenattacken auf Menschen. Auf meinem langen Weg zurück nach Dar es Salaam

zum Flughafen erzählt mir ein einheimischer Missionar von einem Todesfall in einem

nahen Dorf, in dem es noch keine bewaffneten Wächter gibt. Kalulu liegt 35 Kilometer

entfernt vom Selous-Schutzgebiet.

O-TON (Kisuaheli)

Sprecher 1: :

Vor vier Monaten wurde hier einer von uns getötet. Aber nicht von einem Löwen, son-

dern von einem Elefanten. Ein Nachbar sagte dem Mann, dass nahe seines Feldes eine

hungrige Elefantenherde gesehen worden sei. Er eilte dorthin, wollte die Elefanten ver-

jagen, wurde aber dann von ihnen angegriffen: Ein Elefant rammte ihm seinen Stoßzahn

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in den Magen. Wir wollten ihn über die Piste zum Hospital bringen, aber er starb auf

dem Weg dorthin.

ATMO - Jeep

ERZÄHLER:

Dieselbe Piste, von der der einheimische Missionar erzählt, habe ich auf dem Weg hier-

her befahren: mit einem neuen Jeep und einem erfahrenen Fahrer. Die Dörfler haben

keine Autos und müssen ihre Verletzten über 30 Kilometer weit in ein Krankenhaus tra-

gen. Hier in Kalulu spüre ich zum ersten Mal bei drei Männern der Dorfregierung offenen

Unmut über solche Zustände.

O-TON (Kisuaheli)

Sprecher 1 :

Diese Raubtiere sind sich selbst überlassen und streunen herum. Sie kommen bis in

unser Dorf. Jederzeit können wir von ihnen gefressen werden. Der Regierung scheint

das nichts auszumachen. Sonst würden sie Wildhüter schicken und die Tiere vertreiben.

Doch die Wildhüter legen mehr Wert auf den Tourismus: Weil Touristen kommen, um zu

jagen und dabei eine Menge Geld ausgeben. Aber das kann doch nicht heißen, dass die

Tiere wertvoller sind als die Menschen.

ATMO – Kisuaheli, Lachen

ERZÄHLER :

Dass die Dörfler lachen, drückt in diesem Moment keineswegs Heiterkeit aus. So lacht

man in Tansania, wenn über ein heikles Thema gesprochen wird; zumal mit einem Aus-

länder, der gerade aus heiterem Himmel mit einem Mikrofon aufgetaucht ist.

O-TON (Kisuaheli)

Sprecher 1:

Wir möchten wenigstens ordentlich entschädigt werden, wenn jemand von uns von ei-

nem Tier umgebracht wird. Wissen Sie: Einen Verwandten zu verlieren ist eine ernste

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Angelegenheit. Dann kann er auch der Familie nicht mehr bei der Feldarbeit helfen. In

einer solchen Situation könnte die Regierung sagen: Wir bauen euch ein Haus. Oder: Ihr

bekommt als Entschädigung Geld - zum Beispiel 700.000 Schillinge für einen Toten.

ATMO - Löwen

ERZÄHLER:

Das sind etwa 700 Dollar. Am Vorabend hatte ich in einem Internetcafe die ersten Fotos

von uniformierten Dorfscouts an Freunde in Deutschland gemailt. Die Antwort kam bald:

Schützen diese Uniformierten die Tiere? Doch obwohl hier in Tansania immer mehr

Menschen gegen immer mehr Tiere ums Überleben kämpfen: Selbst am Ende meiner

Reise in Kalulu treffe ich niemanden, der die Ausrottung der Raubtiere fordert:

O-TON (Kisuaheli)

Sprecher 1: :

Wenn jemand kommt und uns fragt: Sind das eure Löwen?, dann sagen wir 'nein’. Die

gehören der Regierung. Was wir vor allem brauchen, ist soziale Hilfe - zum Beispiel

beim Transport: Wir brauchen richtige Straßen und ein Auto, damit wir Opfer rechtzeitig

ins Krankenhaus bringen können. Dann braucht es hier auch nicht so zu kommen wie

bei Ihnen in Deutschland, wo die Raubtiere vor langer Zeit ausgerottet wurden.

Absage:

Löwen fressen Menschen

"Man-Eater" in Tansania

Ein Feature von Achim Nuhr

Sie hörten eine Co-Produktion des Deutschlandfunks mit dem Norddeutschen Rund-

funk, dem Hessischen Rundfunk und dem Südwestrundfunk.

Es sprachen: Hüsseyin Cirpici, Ernst-August Schepmann, Gregor Höppner und Regine

Schröder

Ton und Technik: Gabriele Albert und Angelika Brochhaus

Regie: Thomas Wolfertz

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Redaktion: Karin Beindorff

Musik


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