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LITERATUR- UND FORSCHUNGSREPORT WEITERBILDUNG Nr. 49 … · 2013-08-16 · REPORT Literatur- und...

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E. Nuissl/Ch. Schiersmann/H. Siebert (Hrsg.) LITERATUR- UND FORSCHUNGSREPORT WEITERBILDUNG Nr. 49 Juni 2002
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E. Nuissl/Ch. Schiersmann/H. Siebert (Hrsg.)

LITERATUR-UND FORSCHUNGSREPORTWEITERBILDUNG

Nr. 49Juni 2002

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REPORTLiteratur- und Forschungsreport WeiterbildungWissenschaftliche Halbjahreszeitschrift

Verantwortlich HerausgebendeEkkehard Nuissl, MarburgChristiane Schiersmann, HeidelbergHorst Siebert, Hannover

Herausgebende InstitutionDas Deutsche Institut für Erwachsenenbildung ist eine Einrichtung der Wissenschaftsgemeinschaft Gott-fried Wilhelm Leibniz (WGL) und wird von Bund und Ländern gemeinsam gefördert. Als wissenschaftlichesInstitut erbringt es Dienstleistungen für Forschung und Praxis der Weiterbildung. Das Institut wird getragenvon 18 Einrichtungen und Organisationen aus Wissenschaft und Praxis der Erwachsenenbildung, die Mit-glieder im eingetragenen Verein „DIE“ sind.

ErscheinungsweiseHalbjährlich, jeweils im Juni und Dezember.Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen.

Bezugsbedingungen: Preis des Einzelheftes: “ 9,90 zzgl. Versandkosten. Ein Jahresabonnementkostet “ 14,00 zzgl. Versandkosten. Es verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn es nicht bis zum31. Oktober gekündigt wird.

© 2002 DIE und für Einzelbeiräge ihre Autoren (nach § 54 UrhG)Alle Rechte, auch der Übersetzung, vorbehalten. Nachdruck und Reproduktion nur mit Genehmigungder herausgebenden Institution.

Herausgeber der Nummer 49: Horst Siebert, HannoverKoordination der Rezensionen: Kornelia Vogt-Fömpe, Bonn

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung: wissenschaftliche Halbjahreszeitschrift /herausgebende Institution: Das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung e.V. (DIE). – 1(1978) – . –Bielefeld : Bertelsmann, 1978

Darin aufgegangen: Literaturinformationen zur Erwachsenenbildung. – Erscheint halbjährl.– Früher verl. von dvv, Dr.-, Vervielfältigungs- und Vertriebs-GmbH, Münster, danach vond. AfeB, Heidelberg, danach von der PAS, Frankfurt, Main, danach vom DIE, Frankfurt(Main). – Bibliographische Deskription nach Nr. 45 (2000). – Nebent.: Deutsches Institut fürErwachsenenbildung <Frankfurt, Main>: Report / Deutsches Institut fürErwachsenenbildung (DIE), Pädagogische Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschul-VerbandesISSN 0177–4166

Verlag und VertriebW. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KGAuf dem Esch 4, 33619 BielefeldFon 0521/91101-11 . Fax 0521/91101-19E-mail: [email protected]: www.wbv.de

ISBN 3-7639-1852-3Best.-Nr.: 22/1049

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Inhaltsverzeichnis

Editorial ................................................................................................................... 5

Kompetenzentwicklung statt Bildungsziele?

Günther DohmenLebenslang lernen – und wo bleibt die „Bildung“? ................................................. 8

Peter FaulstichVerteidigung von „Bildung“ gegen die Gebildeten unter ihren Verächtern .......... 15

Rolf ArnoldVon der Bildung zur Kompetenzentwicklung ........................................................ 26

Rainer BrödelRelationierungen zur Kompetenzdebatte ............................................................. 39

Rudolf TippeltQualifizierungsoffensive oder Bildungsziele? ......................................................48

Erhard MeuelerFortbildung und Subjektentwicklung .................................................................... 59

Karlheinz A. Geißler/Frank Michael OrtheyKompetenz: Ein Begriff für das verwertbare Ungefähre ...................................... 69

Christiane HofVon der Wissensvermittlung zur Kompetenzentwicklungin der Erwachsenenbildung .................................................................................. 80

Jochen Kade/Wolfgang SeitterBildung und Umgang mit Wissen im Kontext unterschiedlichersozialer Welten ..................................................................................................... 90

Rezensionen ......................................................................................................103

Autorinnen und Autoren ..................................................................................148

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Editorial

„Kompetenzentwicklung“ ist offenbar zum „Begriff des Jahres 2001“ in der Erwach-senenbildung avanciert und hat den bisher so populären Begriff „Schlüsselqualifi-kation“ abgelöst. Das Register des „Wörterbuch Erwachsenenpädagogik“ von RolfArnold, Sigrid Nolda und Ekkehard Nuissl weist 54 Belegstellen für „Kompetenz“und nur noch 18 für „Schlüsselqualifikation“ aus. Jürgen Habermas hat in den 1960erJahren – mit Bezug auf Noam Chomsky – auf den Unterschied zwischen Kompe-tenz und Performanz hingewiesen – eine Differenzierung, die inzwischen wiederin Vergessenheit geraten ist. Die Renaissance des Kompetenzbegriffs hängt mitaktuellen bildungsökonomischen und erwachsenenpädagogischen Zielkonfliktenund Friktionen zusammen: Das Konzept Kompetenzentwicklung verspricht eineVerknüpfung von wirtschaftlichen und pädagogischen Maßstäben, von Alltagsler-nen und institutionalisierter Weiterbildung, von Erfahrungswissen und wissenschaft-lichem Wissen, von Kennen und Können, von Bedarfen und Bedürfnissen.Kompetenz – mit den bekannten Unterbegriffen personale, soziale, methodischeund fachliche Kompetenz –, gelegentlich ergänzt durch (Selbst-)Lernkompetenz –scheint den umstrittenen und unpräzisen Bildungsbegriff zu ersetzen. Oder dochnicht? Immerhin wird „Bildung“ in dem Wörterbuch an 75 Stellen erörtert. Enthältder Begriff „soziale Kompetenz“ andere, instrumentellere Konnotationen und De-notationen als der Begriff „soziale Bildung“, der eher an Solidarität und Verständi-gungsbereitschaft erinnert?In unserer „scientific community“ scheint auf den ersten Blick die Forderung nachlebenslanger Kompetenzentwicklung unstrittig zu sein. Doch bei näherer Betrach-tung der Beiträge werden unterschiedliche Standpunkte, Perspektiven und Akzen-te sichtbar. Fast alle Autoren und Autorinnen machen deutlich, dass es sichkeineswegs um eine rein akademische Debatte, um einen „Streit um Worte“ han-delt, sondern um einen bildungspolitisch und didaktisch höchst folgenreichen Dis-kurs. Dabei geht es nicht um endgültige Klärungen und Antworten, sondern umeine geschärfte Wahrnehmung der Perspektivenvielfalt und Vielschichtigkeit derErwachsenenbildung.

Schwerpunktthema des REPORT Nr. 50 wird „Wissenschaftliche Begleitung in derWeiterbildung“ sein.

Ekkehard NuisslChristiane SchiersmannHorst Siebert Frankfurt/M., im Mai 2002

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KOMPETENZENTWICKLUNG

STATT BILDUNGSZIELE?

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Günther Dohmen

Lebenslang lernen – und wo bleibt die „Bildung“?

Problemstellung

Im Mittelpunkt der pädagogischen Diskussion steht heute das Lernen. Führt dieaktuelle Konzentration auf das „lebenslange Lernen“ dazu, dass der Begriff „Bil-dung“ seine Bedeutung verliert? Ist „Bildung“ etwas, was man lehren und lernenkann? Ist es eher das, was übrig bleibt, wenn man alles Gelernte vergessen hat?Zur Klärung des Verhältnisses von „Lernen“ und „Bildung“ heute ist es m. E. not-wendig, sich grundlegend zu verständigen– auf der einen Seite über moderne Vorstellungen vom menschlichen Lernen,– auf der anderen Seite über das, was von dem vielschichtigen historisch entwi-

ckelten deutschen Begriff „Bildung“ heute noch eine aktuelle Bedeutung hat.

Zum aktuellen Verständnis menschlichen Lernens

Im Zusammenhang mit der Entwicklung des „lebenslangen Lernens“ haben sich inder internationalen Diskussion und weitgehend auch in der pädagogischen Praxiseinige wesentliche Veränderungen traditioneller Vorstellungen vom menschlichen„Lernen“ herausgebildet:– Über das Lernen wird heute vor allem im Kontext der Zielsetzung „Lebenslan-

ges Lernen für alle“ neu nachgedacht (vgl. OECD 1996).– Da die meisten menschlichen Lernprozesse als ein mehr oder weniger bewuss-

tes Selbstlernen außerhalb organisierter Bildungsveranstaltungen ablaufen,gewinnen Entwicklung, Anerkennung und Förderung eines von den Lernendenselbst gesteuerten Lernens heute eine wachsende Bedeutung (vgl. Dohmen1997 u. 1999; Siebert 2001).

– Lernen wird heute in einem „entgrenzten“ Sinn als konstruktives Verarbeitenvon Eindrücken, Informationen, Erfahrungen in den verschiedensten Lebens-bereichen und an den verschiedensten Lernorten verstanden. Damit lösen sichdie Vorstellungen vom „Lernen“ zunehmend aus ihrer einseitigen assoziativenVerbindung mit schulischen Lehr-/Lernstrukturen (vgl. Siebert 1994).

– Da alle Menschen heute auf informelle Weise in ihrem Lebensalltag – recht undschlecht – ihr Leben lang lernen, wird durch das Bewusstwerden dieses „natür-lichen“ Erfahrungslernens in der jeweiligen Lebens-, Arbeits- und Medienweltzunehmend die Gesamtvorstellung vom Lernen bestimmt (vgl. Dohmen 2001).

– In diesem Zusammenhang entwickelt sich besonders im Bereich der Erwach-senenbildung ein neues Ergänzungsverhältnis zwischen planmäßigen Lernar-

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rangements und situativem ad-hoc-Lernen in praktischen Anforderungssituatio-nen (vgl. Dohmen 1999 und 2001).

Im Mittelpunkt dieses erweiterten Lernverständnisses steht1. die Entwicklung eigenen Wissens durch die konstruktiv erschließende Verar-

beitung und Integration dessen, was von außen (am Arbeitsplatz, im sozialenUmfeld, über Medien und in besonderen Lernveranstaltungen) auf die Menschenzukommt,

2. die Entwicklung innerer Anlagen und Kompetenzpotenziale durch die persönli-che Auseinandersetzung mit entsprechenden Anregungen, Anstößen, Anforde-rungen, Beispielen, Vorbildern etc.

Zum Hauptziel dieses erweiterten (formalen plus informellen und stärker selbstge-steuerten konstruktiven) Lernens wird dann die Entwicklung verhaltenswirksamerWissenszusammenhänge und Kompetenzen für die Selbstbehauptung der Men-schen als Personen mit eigenem Denken, Lernen und Urteilen in der modernen,immer komplexer und undurchsichtiger werdenden Welt. Damit sollen überlebens-wichtige Kompetenz-Voraussetzungen geschaffen werden nicht nur für ein besse-res persönliches Zurechtkommen der Menschen in der eigenen Umwelt, sondernauch für ihr soziales friedlich-verständig-vernünftiges Zusammenwirken in freiheit-lich demokratischen Lebensordnungen.

Zum Verständnis des Begriffs „Bildung“

Um die Bedeutung des verwaschenen, heute so vieldeutig verwendeten Begriffs„Bildung“ auf einer einigermaßen objektivierbaren Grundlage zu klären, gehen wirauf die wortgeschichtlichen Entstehungs- und Entwicklungszusammenhänge desdeutschen Worts „Bildung“ zurück (vgl. dazu im Einzelnen Dohmen 1964/65). Dasist allerdings hier nur in einer stark vereinfachenden Zusammenfassung möglich.Es sind vor allem vier wesentliche Bedeutungen, die sich historisch nacheinanderin dem deutschen Begriff der Bildung abgelagert haben und die wir als konstituie-rende Grundlagen der Wortbedeutung zu verdeutlichen versuchen:

– Der mystisch-religiöse Bildungsbegriff (vgl. Dohmen 1964, S. 35-58)

Das deutsche Wort „Bildung“ hat als geistiger Begriff eine erste besondere Bedeu-tung gewonnen in der spätmittelalterlichen Mystik des 14. Jahrhunderts. Bei Meis-ter Eckhart etwa bezeichnet es jenen Vorgang der Rückwendung der Seele zuGott, durch den der Mensch wieder zum reineren Ebenbild Gottes werden soll, zudem er einst vom Schöpfer geschaffen worden war. Das Wort „bildunge“ bedeutethier im Wesentlichen „Bild-Werdung“. Da, wo etwas Geistig-Inneres zum Bild wird,taucht in diesem frühen Sprachgebrauch der Begriff „Bildung“ auf.Dieses Begriffsverständnis bezieht sich noch nicht auf den ganzen Menschen, son-dern in Anlehnung an neuplatonische Emanationsvorstellungen mehr auf die Geist-

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seele des Menschen, die sich aus geistfernen weltlichen Verflechtungen lösen soll,um wieder zu einem reinen Ebenbild Gottes zu werden. Hier ist eine geschichtlicheWurzel jener spiritualistischen Geistbezogenheit und jenes vielzitierten „Innerlich-keitskults“, der z. T. die deutsche Bildungstradition bestimmt hat. „Bildung“ kann indiesem Zusammenhang etwas sarkastisch beschrieben werden als das, was manbraucht, um auf das Geld verzichten zu können, das man mit ihr nicht verdienen kann.Strukturell grundlegend ist aber schon in dieser ersten Bedeutungsschicht die Auf-fassung vom Lernen als einem Prozess, der nicht von außen geformt, pädago-gisch bestimmt werden kann, sondern der im Wesentlichen auf der Entwicklunginnerer Anlagen beruht. Diese „Bildwerdung“ innerer Möglichkeiten kann nur ge-fördert werden durch die Abwendung von verfremdenden Einflüssen und durchdie rückbesinnende Vertiefung in reinere Vor-bilder, die (wie im christlichen Zu-sammenhang das Vor-Bild Christi) als richtungweisende Entsprechungen einerverborgenen eigenen inneren Anlage wirken.

– Der organologische Bildungsbegriff (vgl. Dohmen 1964, S. 68-78)

Eine zweite säkularisierte Bedeutungsschicht in unserem vielschichtigen Begriff„Bildung“ ist die sogenannte organologische Bildungsauffassung. Sie versteht dieBildung des Menschen als einen naturhaft-organischen Wachstumsprozess, beidem alles auf eine möglichst natürliche Entwicklung innerer Anlagen und geistigerKeimkräfte ankommt. Geistesgeschichtlicher Hintergrund ist ein Naturglaube derRenaissance, der (z. B. bei Paracelsus) eine der Natur immanente entelechischeBildungskraft bzw. einen bildenden Geist in allen Naturwesen annimmt.Diese organologischen Vorstellungen wurden dann im 18. Jahrhundert durch denEinfluss Rousseaus neu belebt und bestärkt. Sie sind zeitweise zum beherrschen-den Bildungsbegriff in Deutschland geworden. Goethe z. B. war lange Zeit von derVorstellung bestimmt, der Mensch solle sich vor allem organisch-natürlich entfaltenwie eine Pflanze, gestützt auf seine naturgegebenen Anlagen und einen entelechi-schen „Bildungstrieb“ (vgl. Dohmen 1950), d. h., er solle weitgehend unabhängig vonäußeren Rücksichten und Einflüssen nur dem Gesetz treu bleiben, wonach er ange-treten, und nur das von außen aufnehmen und verarbeiten, was ihm „gemäß“ ist.Was von dieser organologischen Bildungsauffassung vor allem in das deutscheBildungsverständnis eingegangen ist, ist die Grundeinstellung zum Wesen desMenschen als dem zentralen Bezugspunkt aller Bildung. Der Mensch ist nach die-ser Bildungsauffassung niemals ein Mittel zu irgendeinem gesellschaftlichen, wirt-schaftlichen, politischen Zweck, sondern er ist Selbstzweck, seine reine Selbst-verwirklichung ist der höchste Zweck der „Bildung“.

– Der pädagogisch-aufklärerische Bildungsbegriff (vgl. Dohmen 1965)

Die beiden bisher betrachteten Grundauffassungen von der Bildung – der gott-und geistgläubige und der naturgläubig-homozentrische Bildungsbegriff – haben

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kein spezifisch pädagogisches Gepräge, d. h., sie beziehen sich nicht auf ein päd-agogisches „Bilden“ anderer Menschen, sondern auf einen mehr innengelenktenBildwerdungsprozess, der von außen nur durch entsprechende Begegnungen an-geregt werden kann.Im Zusammenhang mit der Aufklärung und mit dem neuen Glauben an die mensch-liche Vernunft entwickelte sich ein mehr pädagogischer Begriff des „Bildens“ imtransitiven, auf ein Objekt bezogenen Sinne: Der Erzieher soll seine Zöglinge nachden von der Vernunft erkannten Notwendigkeiten des gesellschaftlichen Zusam-menlebens zu brauchbaren Menschen und vernünftigen Bürgern „bilden“. Er stütztsich dabei auf die im Menschen angelegte Vernunft als ein Potenzial, das durchbelehrende Einsichtsförderung gezielt entwickelt werden kann.Dieses Bildungsverständnis beruht weitgehend auf dem Glauben an die Bildungs-wirkung der vernünftigen Belehrung, die sich vor allem auf die Zusammenhängeund Notwendigkeiten des die Einzelnen umgreifenden Ganzen bezieht. Da derMensch als ein Vernunftwesen angelegt ist, kann seine Vernünftigkeit nach dieserAuffassung durch die Aufklärung über die Zusammenhänge der Welt, über die ei-genen moralischen Pflichten und über den Vorteil, der ihm aus ihrer Befolgung inder moralischen Weltordnung erwächst, zum erscheinungs- und verhaltensbestim-menden „Bild“ werden.Auf dem Glauben an die „bildende“ Wirkungskraft der Vernunft beruhte in diesemZusammenhang zunächst die Theorie von der Bildung durch Belehrung, vom bil-denden Schulunterricht, von der Schule als „Bildungsanstalt“ (vgl. Dohmen 1965,S. 208-234).

– Der kulturpädagogische Bildungsbegriff

Eine wesentliche Erweiterung und Vertiefung hat der zunächst stärker vom Ver-nunftglauben der Aufklärung bestimmte pädagogische Bildungsbegriff später imBildungsbegriff der Kulturpädagogik im 20. Jahrhundert (etwa bei Eduard Spran-ger) gefunden. Hier wurde „Bildung“ als ein Prozess gesehen, der vom Erziehernicht direkt bewirkt, der aber doch durch die Vermittlung werthaltiger Kulturzeug-nisse wesentlich gefördert und gelenkt werden kann (vgl. Spranger 1928).Durch die Konfrontation und Auseinandersetzung mit bestimmten höheren Wer-ten, wie sie in hervorragenden Kulturgütern – die damit zu ausgewählten „Bildungs-gütern“ werden – manifestiert sind, sollen die entsprechenden wertvollen Anlagenim Menschen gezielt geweckt werden. Die „Bildwerdung“ entsprechender Anlagensoll dann zu einer kultivierten wertbezogenen Lebensform führen.Inzwischen haben sich aber die Begriffe „Kultur“ und „Kulturgüter“, an denen sich derMensch bilden kann, wesentlich gewandelt. In den Blütezeiten der Kulturpädagogikhatten die Kunst und die Literatur, die ästhetisch geformten und auf humane Wertebezogenen „schöpferischen“ Werke eine besondere Vorzugsstellung. Dagegen be-anspruchen heute die Bereiche der politischen Gesellschaftsordnung, der Wirtschaft,der Technik, der Naturwissenschaft, der modernen Berufsarbeit und der neuen Me-

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dien eine ganz neue Beachtung auch im Zusammenhang von Kultur und Bildung.Das heißt: Es hat sich ein realistischeres, weniger idealistisch und kunst- und wert-gläubig bestimmtes Kulturverständnis entwickelt: Überall wo Menschen sich be-mühen, den inner- und außermenschlichen Naturgegebenheiten eine sinnvolle,für sie nützliche Ordnung abzugewinnen, sprechen wir heute in einem erweitertenSinnverständnis von Kultivierung und Kultur.Gemeinsam ist aber auch diesem kulturpädagogischen Bildungsbegriff, dass in-nere Anlagen des Menschen durch anregende Spiegel-Bilder (in der Lebenskultur,Arbeitskultur, Umgangskultur, Lernkultur) aus-„gebildet“ werden. Auch die entspre-chende Kultivierung des Menschen soll dann als „Bild“, als wahrnehmbare Erschei-nung, in der persönlichen Haltung, im Handeln und Verhalten des Menschen zumAusdruck kommen.

Eine neue Synthese?

Man könnte nach diesem Rückblick auf die historischen Grundlagen des Begriffs„Bildung“ in einem gott- und geistgläubigen, einem natur- und menschengläubi-gen, einem vernunftgläubigen und einem kultur- und wertgläubigen Verständnis-zusammenhang zu dem Schluss kommen, es käme jetzt nur darauf an, die rechtezeitgemäße Mischung eines natur-, kultur-, vernunft- und transzendenzbezoge-nen Bildungsbegriffs herauszuprofilieren, bei dem die Einseitigkeiten der einzel-nen historischen Begriffselemente sich gegenseitig ausgleichen. Man könnte dannetwa sagen: Gebildet ist, wer im Geist lernender Offenheit und vernünftiger Sach-gerechtigkeit und gehalten von einem tieferen religiösen Grenzbewusstsein sichselbst und sein Verhältnis zur Welt in eine sinnvolle, zugleich natur- und kulturbe-zogene, aber doch bildhaft-stimmende Ordnung zu bringen vermag.Dagegen stellt sich die kritische Frage: Ist nicht heute der dabei zugrunde liegen-de Glaube an die menschliche Natur und Kultur brüchig geworden? Die von Men-schen gestaltete Welt wird nach zwei Weltkriegen und den erschütternden Erfah-rungen, die sie mit sich gebracht haben, von vielen Zeitgenossen als unheimlichund bodenlos und die menschlichen Anlagen werden als etwas Abgründiges undGefährliches erfahren.Was ergibt sich also als Konsequenz aus dieser Vergegenwärtigung einiger we-sentlicher geistesgeschichtlicher Grundlagen des deutschen Bildungsbegriffs fürdie Frage nach einem heute noch wesentlichen bzw. aktuellen Verständnis von„Bildung“ – und nach seinem Wechselbezug zum modernen Lernverständnis?

Die kompatible Grundstruktur der „Bildung“ und des „Lernens“

Die Inhalte, Leitbilder, Bezugswelten der „Bildwerdung“ innerer Anlagen und diejeweils zu entwickelnden menschlichen Kompetenzpotenziale wechseln im Wan-del der Zeiten und sie verändern auch immer wieder ihre historisch bedingte Be-

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deutung. Aber es gibt offenbar eine gleichbleibende Grundstruktur dessen, wasjeweils als „Bildung“ verstanden wird. Unser Ausgangsproblem „Lebenslang ler-nen – und wo bleibt die Bildung?“ können wir daher zuspitzen auf die Frage, ob es– relativ unabhängig von den jeweils vermittelten „Inhalten“ – eine gemeinsameStruktur der „Bildung“ gibt, die mit der neuen erweiterten Grundstruktur des „Ler-nens“ zusammenpasst.Allen hier grob skizzierten Bedeutungen des deutschen Begriffs „Bildung“ ist esoffenbar gemeinsam, dass die „Bild-Werdung“ innerer Anlagen und Kompetenzpo-tenziale des Menschen durch Begegnung und Auseinandersetzung mit entspre-chenden „Gegen-Bildern“ bzw. „Spiegel-Bildern“ angeregt und gefördert wird. Sol-che Anreger können bereits bildgewordene Verkörperungen der zu entwickelndenEinstellungen, Kompetenzen, Werthaltungen sein oder entsprechend geprägte undprägende Kulturen oder herausfordernde Entscheidungssituationen.Im Rahmen dieser formalen Grundstruktur ist der Bildungsbegriff offen für ganzverschiedene inhaltliche Ausfüllungen (vgl. Dohmen 1991). Besonders wichtig sindaber bei diesem strukturellen Bildungsansatz immer wieder die als besonders wert-voll angesehenen Anlagen wie– die innere Gottbezogenheit (die durch die Begegnung mit Christus geweckt

werden kann),– die Anlage zur natürlich-harmonisch-edlen Humanität (nach Vorbildern der grie-

chischen Antike),– die innere Disposition zum vernünftigen Handeln (die durch vernünftige Aufklä-

rung entwickelt werden kann),– das „angeborene“ Streben nach Kultivierung der eigenen Person und der Um-

welt,– die sozialen Potenziale, die eigene Interessen mit den Interessen anderer und

des Gemeinwesens friedlich-fair abzugleichen vermögen.Diese „positiven“ Anlagen und not-wendigen Kompetenzen können und sollenjeweils durch die Auseinandersetzung mit entsprechenden Spiegelungen/Leitvor-stellungen/Herausforderungen zur „Bild-Werdung“ angeregt werden.In diesem Zusammenhang einer Menschenbildung, die sich vor allem aus einemfruchtbaren Wechselverhältnis zwischen inneren Anlagen und aufmerksam-ma-chenden, anstoßenden Erfahrungen entwickelt, kommt dem „Lernen“ eine entschei-dende Bedeutung zu: Denn die Bildung als persönliche Gestaltwerdung durch Aus-einandersetzung mit entsprechenden Spiegelungen/leitbildhaften Manifestationenist im Wesentlichen ein Prozess konstruktiven „Lernens“. Und das heißt: Die hierherausgearbeiteten formalen Grundstrukturen der Bildung und des Lernens sindkompatibel.Wenn Lernen als konstruktive geistige Verarbeitung von Eindrücken und Erfahrun-gen und Umsetzung der gewonnenen Einsichten in persönliche Verstehenszusam-menhänge, Verhaltensdispositionen und Kompetenzentwicklungen verstanden wird,ist es der Schlüssel zur Bild-Werdung menschlicher Anlagen und Kompetenzpoten-ziale. Das heißt: Dieses Lernen ist in seiner Grundstruktur ein „bildendes Lernen“.

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Aber diese Bildungswirkung eines erweiterten ganzheitlichen Lernens ist nicht be-liebig pädagogisch steuerbar. Die „Bild-Werdung“ innerer Potenziale bleibt im hierskizzierten Strukturzusammenhang von „Bildung“ und „Lernen“ immer auf innereAnlagen und auch auf die „Gnade“ ungeplanter Begegnungen und Anstöße in of-fenen Erfahrungszusammenhängen angewiesen. Dabei bedürfen aber offenbarbesonders die in jedem Menschen angelegten Möglichkeiten zu einem „besseren“Menschsein der gezielten Entwicklungsanstöße. Denn der Mensch entwickelt sichin diesem Verständniszusammenhang nicht einfach naturwüchsig z. B. zu konvivi-aler Einstellung und Verantwortung für andere, für das Gemeinwesen und für einefriedlich-vernünftige Zukunft der Gattung. Ohne lernende Offenheit für entspre-chende Erfahrungen und gezielte Anregungen bzw. Vor-Bilder können sich dieentsprechenden Anlagen nur schwer heraus„bilden“.Im Zusammenhang der hier postulierten Grundstruktur der „Bildung“ werden Bil-dungsprozesse einerseits durch vielfältige Eindrücke und Anstöße aus der gesamtenUmwelt herausgefordert und sie bedürfen andererseits offenbar auch der ergän-zenden wertbezogen-steuernden Anregungen durch gezieltere Lernarrangements.In diesem Sinne kann ein erweitertes lebenslanges „Lernen“ heute zum entschei-denden Schlüssel für eine aktualisierte humane „Bildung“ werden.

Literatur

Dohmen, Günther (1950): Die Bedeutung des poetischen Bildungstriebs für das Selbstver-ständnis Goethes. Diss. Heidelberg

Dohmen, Günther (1964/65): Bildung und Schule. Die Entstehung des deutschen Bildungs-begriffs und die Entwicklung seines Verhältnisses zur Schule. 1. Band 1964, 2. Band 1965.Weinheim

Dohmen, Günther (1991): Wortgeschichtliche Grundlagen einer Renaissance des Bildungs-begriffs. In: Dohmen, G.: Offenheit und Integration. Beiträge für das Zusammenwirkenvon Erwachsenenbildung, Wissenschaft und Medien. Bad Heilbrunn, S.13-36

Dohmen, Günther (1997): Thesen zum Stellenwert des selbstgesteuerten Lernens im Rah-men eines lebenslangen Lernens für alle. In: Dohmen, G. (Hrsg.): Selbstgesteuertes le-benslanges Lernen? Bonn: BMBF/GSI

Dohmen, Günther (1999): Weiterbildungsinstitutionen, Medien, Lernumwelten. Rahmenbe-dingungen und Entwicklungshilfen für das selbstgesteuerte Lernen. Bonn: BMBF

Dohmen, Günther (2001): Das informelle Lernen. Die internationale Erschließung einer bishervernachlässigten Grundform menschlichen Lernens für das lebenslange Lernen aller. Bonn:BMBF

OECD (1996): Lifelong Learning for All. Meeting of the Education Committee at ministeriallevel 16.-17.1.11996. Paris

Siebert, Horst (1994): Lernen als Konstruktion von Lebenswelten. Entwurf einer konstrukti-vistischen Didaktik. Frankfurt/M.

Siebert, Horst (2001): Selbstgesteuertes Lernen und Lernberatung. NeuwiedSpranger, Eduard (1928): Kultur und Erziehung. Leipzig

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Peter Faulstich

Verteidigung von „Bildung“ gegen die Gebildetenunter ihren Verächtern

Angesichts eines grassierenden und problematischen Verlustes theoretischer Klar-heit und einer ebenso berechtigten wie unaufhaltsamen Destruktion moralischerGewissheiten perpetuiert und steigert sich die Unübersichtlichkeit von Intentionen,Themen und Methoden der Erwachsenenbildung. Obwohl in der Selbstbezeich-nung umstandslos von „-bildung“ – sogar in der „betrieblichen Weiterbildung“, wodies doch am problematischsten erscheint und Subsumtion unter die Zwecke derUnternehmen vorherrscht – geredet wird, wechseln die Leitbegriffe fortlaufend vonBildung zu Qualifikation, über Kompetenz zum Lernen. Schon der Qualifikations-begriff hat nicht gehalten, was er versprach: Nämlich eine gegenüber dem als ver-schwommen und unklar unterstellten und hochbelasteten Bildungsbegriff gestei-gerte theoretische und kategoriale Präzision und empirische Fundierbarkeit. In der„Schlüsselqualifikationsdebatte“ sind alle Messbarkeitsillusionen zerstoben und derBegriff Kompetenz droht ebenfalls zunehmend hohl zu werden. Der in die Breschespringende Begriff Lernen bleibt meist prozessbezogen und formal. Insofern krei-sen die Diskussionen der Erwachsenenbildungswissenschaft um eine Leerstellewie um einen Brunnen, aus dem der Begriff Bildung immer wieder auftaucht.Es gibt in dem Buch „Konstruktivistische Erwachsenenbildung“ (Arnold/Siebert 1995)– neben vielem anderen – einen bemerkenswerten Schluss unter der Überschrift„Konstruktivismus: Abschied von der Aufklärung – eine virtuelle Debatte“:

„Horst: U.a. frage ich mich, wie wir, wenn wir davon ausgehen, dass dieSubjektwerdung des Menschen ohne eine Aneignung der außer-subjektiven Wirklichkeit nicht denkbar ist, Bildung dann definie-ren. Ist der Bildungsbegriff mit der konstruktivistischen Idee ‚ver-träglich’ oder muss Bildung durch ‚Wirklichkeitskonstruktion’ er-setzt werden?

Rolf: In der Tendenz würde ich Bildung durch eine spezifische Qualitätder Konstruktion und Gestaltung von Wirklichkeit ersetzen wol-len.

Horst: Aber die Frage ist doch, was bei einem solchen Verzicht auf denBildungsbegriff dann verloren geht“(Arnold/Siebert 1995, S. 170).

Die beiden Diskussionspartner haben in der Folge dieses Problem unterschiedlichund wechselnd angegangen, je nachdem, wie stark sie sich „radikalem“ oder „so-zialem“ Konstruktivismus annäherten. Das Syndrom aber bleibt virulent: Der Be-griff Bildung scheint von Überalterung und Auszehrung bedroht, wird nur noch als„Container-Wort“ (Lenzen 1997) oder „Substrat-Kategorie“ (Tenorth 1997) ge-

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braucht. Darüber hinaus besteht der Verdacht, über die Möglichkeit von Bildunghartnäckig weiter nachzudenken, erzeuge Illusionen angesichts einer Lage, diegleichzeitig gekennzeichnet ist durch sich globalisierenden Kapitalismus, der regi-onale Kulturen aufsaugt, und sich fragmentierende Individualität, in der Identitätzerstiebt in Multiplität. Richtig ist, dass „Bildung“ als bloßes Postulat angesichtseiner übermächtigen Realität zu einer leeren Hülse würde.Will man gegen eine fast schon hegemonial gewordene Destruktion des Bildungs-denkens den Mund aufmachen, ohne sofort als hoffnungslos antiquiert zu erschei-nen, geht dies nur durch Rückbezug auf die historische Tradition des BegriffesBildung und die systematische Struktur im Verhältnis von Identität und Sozialität.Man kommt nicht umhin, einige wichtige Begriffe aufzugreifen.

Einige Traditionslinien der Bildung Erwachsener

Bildung ist zweifellos einer der schwierigsten Begriffe der deutschen Tradition. Umgleich einige der großen, hochbelasteten Wörter zu kombinieren: Bildung kanngefasst werden als immer wieder neue Aneignung von Kultur durch die einzelnenMenschen und ist eingebunden in die Kontinuität ihrer Biographien. Im Verlauf desLebens entfaltet sich Persönlichkeit. Und gleichzeitig mit der individuellen Entfal-tung von Identität erfolgt gesellschaftliche Verortung. So, wie damit skizziert, kannman den Kern des Bildungsdenkens abstrakt komprimieren.

– Bildungsdenken

Damit ist die ganze Reihe von Reizwörtern versammelt: Bildung, Aneignung, Kul-tur, Biographie, Persönlichkeit und Identität. In diesem Begriffsdickicht hat sich dieDiskussion vielfach verfangen, und Versuche, sich daraus zu befreien, indem mandie historische Konstellation des frühbürgerlichen Aufstiegs und der Aufklärung,aus der es gewachsen ist, für erledigt erklärt, sind verständlich. Zu den wenigenAusnahmen hartnäckigen Widerstandes gegen einen solchen Abgesang bildungs-theoretischen Problembewusstseins, die in unserer Gegenwart noch wirksam wer-den, gehört das Denken Hans-Joachim Heydorns. Er legt Entwürfe vor zu einer„Neufassung des Bildungsbegriffs“ (1972), an deren Anfang „Mündigkeit“ steht undweiter fortwirkt. Auch im „System des gewaltigen Dienstleistungsgewerbes“, meinter, „bleibt Mündigkeit als Ziel aufbewahrt: der Mensch soll seiner selbst habhaftwerden“ (ebd., S. 7). Auch angesichts einer drohenden Omnipotenz strukturellerHerrschaft beharrt Heydorn auf einer „Potentialität, die in veränderten Zeiten aktu-alisiert und zu neuem Selbstverständnis werden kann“ (ebd., S. 10). In seiner Sichteiner Dialektik von Vernunft und Wirklichkeit intendiert der Begriff Bildung die Über-windung aller Verhältnisse, welche die Menschen unterdrücken, entmündigen undverstümmeln. Ausgangspunkt des Nachdenkens ist die Möglichkeit einer Entfal-tung der Menschen, nicht ihre Verwertbarkeit, ihre Qualifikation oder die Produkti-on oder gar der Profit.

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Gegen die beliebige Verfügbarkeit und Funktionalität stellt Heydorn einen Eigen-sinn von Bildung als Selbstentfaltung. Er versucht die Fragestellung des Nachden-kens über Bildung seit der deutschen Aufklärung weiterzuverfolgen, wie nämlichsich die Menschen entfalten können in einer einschränkenden Wirklichkeit. Ziel-setzung und zentrale Kategorie ist Mündigkeit als Fähigkeit, über sich selbst zubestimmen. In diesem Zusammenhang ist Bildung individuelle Voraussetzung vonBefreiung und sie zielt gleichzeitig auf die Überwindung der Verhältnisse, welchedie Entfaltung der Menschen verhindern. Bildung impliziert die Abschaffung vonHerrschaft: zunächst der Herrschaft der Natur, dann der Herrschaft des Menschenüber den Menschen. Gegen einen nur instrumentellen Zugriff auf Natur und Ge-sellschaft durch technische Mittel wird ein umfassender Begriff von Vernunft ge-dacht, der die Ziele von „Bildung als Verfügung des Menschen über sich selbst“(Heydorn 1972, S. 120) reflektiert. Daraus folgert Heydorn:

„Die dringlichste Bildungsaufgabe besteht darin, das Bewusstsein des Men-schen von sich selber auf die Höhe der technologischen Revolution zu brin-gen“ (ebd., S. 122).

Man spürt im Zitat und in der Wortwahl ein unterschwelliges Pathos, das sicherlichauch zur Selbstbeschwichtigung dient. Mittlerweile sind wir skeptischer geworden,wenn es um die Kraft der Vernunft geht. Die multimediale Inszenierung von Frei-heit erzeugt im Schein von Aufklärung deren Gegenteil und sichert die Herrschaftunbegriffener Systemimperative.Nichtsdestoweniger hat sich der „Widerspruch von Bildung und Herrschaft“ nichtaufgelöst, sondern im „Lebenslangen Lernen“ verschärft. Die hochgesteckte Ideevon Bildung stößt auf eine Wirklichkeit, welche von immer mehr Menschen alsübermächtig, als erniedrigend, als entfremdet und undurchschaubar erfahren wird.Wenn also „Bildung“ nicht verkommen soll zu einer abstrakten und wirkungslosenIdee oder zur reinen Legitimationsfloskel, muss sie bezogen werden auf den histo-rischen Kontext, die gegenwärtige Situation und zukünftige Perspektiven. Ein sol-cher Begriff von Bildung bestimmt sich nicht aus einem zeitlosen Kanon, sondernimmer nur historisch konkret angesichts der sich je gegenwärtig stellenden Pro-bleme und der Verwirklichungsvoraussetzungen von Entfaltungsmöglichkeiten.Theodor W. Adorno hatte in dieser Hinsicht überzeugend einen „Begriff der Halb-bildung“ kritisiert, in dem eine bloße Aneignung von Wissensgütern, die das Beste-hende verfestigt, zum „Absterben der Bildung“ (Adorno 1967, S. 175) führt. Abergleichzeitig kann es ohne Wissen Bildung nicht geben. Deshalb kann man zurück-greifen auf die Idee eines transformatorischen Bildungsprozesses.

„Bildung dürfte dann allerdings nicht nur als Aneignung der Wissensbestän-de, Interpretationen und Regeln der gegenwärtig bestehenden kulturellenLebensform bestimmt werden, sondern auch als die Fähigkeit, diese Le-bensform, wenn sie selbst gefährdet, in ihren Strukturen und ihren herr-schenden Regeln zu transformieren“ (Peukert 2000, S. 509).

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– Erwachsenenbildungsentwicklung

Damit öffnet sich ein Spannungsfeld zwischen Wissensbeständen und Lebens-form. Man kann die Geschichte der Erwachsenenbildung lesen als Auseinander-setzung um die Bestimmung des Begriffs Bildung im Verhältnis von Wissenschaft-lichkeit und Innerlichkeit.

„Diese Geschichte zeigt eine immer erneut zu beobachtende Ambivalenzzwischen Aufklärung und Romantik. Und das stand in auffallender Parallelezu den teils von liberal bürgerlichen Gruppen getragenen und dann ausden Reihen der Arbeiterbewegung aufkommenden und immer erneut schei-ternden Versuchen zur Emanzipation von der feudalen, halbfeudalen undobrigkeitsstaatlichen Überformung der deutschen Gesellschaft. Diesesimmer erneut wiederkehrende Scheitern solcher Versuche remobilisierteältere, romantische Traditionen und realitätsflüchtige, romantische Verklä-rungsversuche der realen Frustration“ (Strzelewicz 1986, S. 23).

– Aufklärung

So stehen am Anfang der Geschichte der Volksbildung der Zugang zum Wissenund die Epoche der Aufklärung als Versuch einer vernünftigen Erklärung der Weltaus natürlichen Gesetzen sowie der Verbreitung aller verfügbaren Kenntnisse. DieAuflösung tradierter Denksysteme und die Entwicklung neuer Denkstrukturen wer-den durch Reflexionspotenziale aktiviert. Aufklärung kämpft gegen Traditionsge-bundenheit und Autoritätsgläubigkeit. Befreiung heißt Distanz-Gewinnung durchreflexive Selbstvergewisserung (vgl. Cassirer 1998). Kritik wird „zum unentbehrli-chen Werkzeug für das Leben, für die Entfaltung und die ständige Selbsterneue-rung des Geistes“ (ebd., S. 482).

„In der Tat geht die Grundrichtung und das wesentliche Bestreben derAufklärungsphilosophie keineswegs dahin, das Leben lediglich zu beglei-ten und es im Spiegel der Reflexion aufzufangen. Sie glaubt vielmehr aneine ursprüngliche Spontaneität des Gedankens; sie weist ihm keine bloßnachträgliche und nachbildende Leistung, sondern die Kraft und die Aufga-be der Lebensgestaltung zu. Er soll nicht nur gliedern und sichten, sonderner soll die Ordnung, die er als notwendig begreift, selbst herbeiführen undverwirklichen, um, in diesem Akt der Verwirklichung, seine eigene Wirklich-keit und Wahrheit zu erweisen“ (ebd., S. XII).

Das großartigste Vorhaben früher Aufklärung, die später von ihren Feinden zuUnrecht als platt, oberflächlich und vernünftlerisch kritisiert worden ist, verbindetsich mit Denis Diderot und der „Encyclopédie, ou Dictionaire Raisonné des Sci-ences, des Arts et des Métiers“, erschienen von 1751 bis 1776 in 17 Text-, 11Bild-, 4 Ergänzungs- und 2 Registerbänden mit insgesamt etwa 72.000 Artikelnvon A bis Zzuéné (Oberägyptische Stadt am Ostufer des Nils an der Grenze zuÄthiopien).

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„Enzyklopädie: Dieses Wort bedeutet ‚Verknüpfung der Wissenschaften’.... Tatsächlich zielt eine Enzyklopädie darauf ab, die auf der Erdoberflächeverstreuten Kenntnisse zu sammeln, das allgemeine System dieser Kennt-nisse den Menschen darzulegen, & es den nach uns kommenden Men-schen zu überliefern, damit die Arbeit der vergangenen Jahrhunderte nichtnutzlos für die kommenden Jahrhunderte gewesen sei; damit unsere Enkelnicht nur gebildeter, sondern gleichzeitig auch tugendhafter & glücklicherwerden, & damit wir nicht sterben, ohne uns um die Menschheit verdientgemacht zu haben“ (Diderot in Selg/Wieland 2001, S. 68).

Man hört eine Stimmung des Aufbruchs, die Hoffnung auf Fortschritt und die Be-deutung der Kenntnisse, nicht nur für die Wahrheit, sondern auch für das Glück.Absicht der Herausgeber war es, Licht in die Geheimnisse zu bringen, das Wissenohne Ausnahme öffentlich zu machen, es aus der reinen Fachgelehrsamkeit her-auszuholen und zu verbreiten.

„Mit der Zeit wird dieses Werk bestimmt eine Revolution in den Köpfen her-beiführen. Und ich hoffe, dass die Tyrannen, Unterdrücker, Fanatiker undIntoleranten dabei nicht gewinnen werden“ (Diderot 1984, S. 182).

Das enzyklopädische Ideal der Aufklärung und der politischen Emanzipation un-ternimmt den Entwurf einer neuen Ordnung des Wissens angesichts des Zerbre-chens alter feudal-klerikaler Hegemonie. So geht es nicht um ein Abbild des Be-stehenden, das zu kategorisieren und zu systematisieren wäre, vielmehr wird dasÜberliefernswerte kritisch ausgewählt als Antizipation des Möglichen.Gleichzeitig aber entstanden neue Bindungen. Die Bürger rechtfertigten ihren Reich-tum gegenüber dem Volk durch Bildungsleistungen. Die frühbürgerliche Wissen-schaftsgläubigkeit wurde aufgefangen im Modell des deutschen Bildungsidealis-mus, wie es etwa Humboldt, Fichte und Schelling enthusiastisch formuliert haben.Wilhelm von Humboldt hat 1792 in einem Bruchstück eine „Theorie der Bildung“skizziert, nach der in der immer noch wirkmächtigen Formel der Gebildete derjeni-ge ist, der „soviel Welt als möglich zu ergreifen, und so eng, als er kann, mit sichzu verbinden“ sucht (Humboldt 1903, S. 283).Zielpunkt war die harmonisch allseitig entwickelte Persönlichkeit, ein Ich, das so-viel Welt als möglich mit sich verband. In diesem Prozess kam einem emphati-schen Begriff von Wissenschaft als Geist, der sich in einzelnen „Geschäften“ aus-prägt, aber über diese hinausgeht, eine zentrale Rolle zu, indem diese durch dasentdeckte und systematisierte Wissen die Einsicht in die inneren Prinzipien unddie strukturellen Zusammenhänge der Welt, von Natur und Gesellschaft eröffnensollte. In dieser Idee von Bildung wird individuelle Freiheit jenseits von gesellschaft-lichem Status gedacht. Gleichzeitig wird sie jedoch real zum Privileg der Gebilde-ten und zum Legitimationsinstrument der „feinen Unterschiede“ (Bourdieu 1982).Indem aber sich Bildung ablöst von der Kritik der Macht und sich im Bestehendeneinrichtet, nimmt sie schon apologetische Elemente in sich auf.

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Gegen- und Fortwirkung

Diese Grundpositionen, die zwischen frühbürgerlichem Aufbruch zur Mündigkeitund neuhumanistisch schon beginnenden Rückzügen variieren, ziehen sich in denTraditionslinien der Erwachsenenbildung bis heute durch. Allerdings haben sichdie Perspektiven zeitweise eher verdunkelt als aufgeklärt. Zum einen regredierteBildungsdenken auf die Vermittlung von Wissensgütern, zum andern erzeugenantirationalistische Konjunkturen Wellen, in denen das „Eigentliche“ jenseits derVermittlung „bloßen Wissens“ gesucht wird.So verband etwa die die Diskussion in der Erwachsenenbildung der WeimarerRepublik dominierende „Neue Richtung“ eine antiaufklärerische „Deutsche Bewe-gung“ mit neuromantischen Strömungen der Jugendbewegung und vielfältigenkulturpessimistischen Tendenzen. Wilhelm Flitner verabschiedete das Konzept derWissenschaftspopularisierung und die humanistische Idee von Bildung. In der be-rühmten Schrift „Laienbildung“ (1920) beklagt Flitner die Trennung von Kultur undLebensalltag und setzt „reiner Gelehrtenbildung“ eine „Laiengeistigkeit“ entgegen.

„Die vorwiegend wissenschaftliche Bildung, die unter Verlust wahrer Totali-tät sich enthält, hat uns seelisch leer gelassen und betrügt uns um denletzten Sinn unseres Daseins“ ... „Die Aufklärung mit ihrem Wissenschafts-begriff wird wieder verantwortlich gemacht für die Entgeisterung der Welt“(Flitner 1982, S. 57).

Wissenschaftlichkeit und Aufklärung werden als Kerne des Bildungsdenkens auf-gegeben. Und über den Nazismus hinweg gibt es auch nach 1945 ein Fortwirkenvernunftkritischer, wissenschaftsskeptischer Tendenzen.Die Gegenposition hat am klarsten Willy Strzelewicz (1905-1986) hervorgehoben.Bei der 30-Jahr-Feier des „Sekretariats für auswärtige Seminarkurse“ der Univer-sität Göttingen hat Strzelewicz als deren Leiter einen Rückblick unter dem Titel„Aufklärung in der Demokratie“ gegeben. Das Verständnis von Erwachsenenbil-dung, das Strzelewicz zunehmend für sich klärte, steht in der Spannung zwischenIndustrialisierung und Demokratisierung. Dabei geht es ihm um eine Verteidigunghumanistischer Positionen nach den Erfahrungen des Totalitarismus. Diese habenStrzelewicz sensibilisiert gegen romantisierende und gegenaufklärerische Strömun-gen. Sein im Exil geschriebenes Werk verfolgt den „Kampf um die Menschenrech-te“ (Strzelewicz 1947) von der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung bis zurAbwehr gegen die „völkisch totalitäre Kriegsmaschine“ (ebd., S. 213). Die Bedeu-tung der „Erklärung der Menschenrechte“ von 1776 als ein zentrales Dokumentder Aufklärung hat Willy Strzelewicz immer wieder in vielen Veröffentlichungen undVorträgen hervorgehoben, so auch bei einem seiner letzten öffentlichen Auftritteaus Anlass der 40-Jahr-Feier der Heimvolkshochschule Göhrde 1986:

„Einer der entscheidenden Ausgangspunkte für unsere Bildungsentwicklungund für die Erwachsenenbildung ist die Aufklärung. Die Aufklärung ist einegroße und breite Strömung mit sehr verschiedenen Richtungen in verschie-

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denen Ländern und verschiedenen Schichten. Aber etwas hat die Zeit über-dauert und ragt in unsere Zeit noch hinein. Es ist dies die Verbindung vonpersönlicher Entfaltung und praktischer sozialer und politischer Reform. Diesgilt auch nach dem Zerfall vielfältiger Illusionen“ (Strzelewicz 1986 b, S. 6).

In der Tradition der Aufklärung und der Verpflichtung auf Demokratie unternimmtStrzelewicz eine programmatische Rechtfertigung des neuen Versuchs von Wis-senschaftsvermittlungen in den Seminarkursen.

„Die durch die wissenschaftliche Entwicklung ermöglichte industrialisierteWelt mit ihrer fachwissenschaftlich gesteuerten Spezialisierung und Diffe-renzierung als besondere Kennzeichnung ihrer hohen Komplexität kann ihreProbleme und Krisenerschütterung nicht durch Regression auf eine mythi-sche Weltansicht und Werthaltung lösen, wenn die Lösung im Zeichen derHumanitätsidee vor allem in der durch die Aufklärung erreichten Gestaltgeschehen und erstrebt werden soll“ (Strzelewicz u. a. 1986, S. 37).

Ähnlich entschieden und kontinuierlich hat sich unter den tonangebenden Perso-nen der Erwachsenenbildung in der Bundesrepublik auch Kurt Meissner in demBuch „Die dritte Aufklärung“ (1969) geäußert. Er diskutiert drei Phasen der Aufklä-rung: die geistige Emanzipation des Bürgertums, Aufklärung als Volksbildung undErwachsenenbildung in einer informierten Gesellschaft.

„Dabei sind es drei Elemente, die alle Phasen der Aufklärung durchziehen:Mündigkeit, Kritikfähigkeit und Änderungsbereitschaft“ (Meissner 1969, S.86).

Erstaunlich ist, dass dabei Probleme auftauchen, wie sie im Zusammenhang von„Wissensgesellschaft“ wieder aufgegriffen werden. Bedrohlich und einschüchterndkann die Notwendigkeit einer Vermittlung der die individuellen Erlebnisse prinzipi-ell übersteigenden Informationsflut hin zu kohärenten Wissensstrukturen wirken.Der notwendig scheiternde Versuch, durch Kenntnissammlung Bildung anzueig-nen und Identität herzustellen, kann Ohnmacht erzeugen. In der Tradition von Auf-klärung und Mündigkeit aber behält Wissen einen zentralen Stellenwert. Die Diffe-renz zwischen kulturellen Wissensbeständen und individuellen Kenntnissen (vgl.Damerow/Lefèvre 1998) macht Aneignung überhaupt erst nötig und Bildung alsFokus von Identität erst möglich. In den akkumulierten Resultaten der Erfahrun-gen und Auslegungen vergangener Generationen liegen Lösungen typischer Pro-bleme vor. Aneignung bedeutet dann, dieses Wissen nicht jedes Mal neu selbst zuerzeugen, sondern die gesellschaftlichen Konstrukte von Wirklichkeit werden inindividueller Bildung vermittelt und angeeignet.

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Gesellschaftlichkeit und Bildung

Gegen einen sich aktuell wieder einmal radikalisierenden Individualismus steht derhartnäckige Nachweis der Gesellschaftlichkeit der Menschen, die unter bestimm-ten Verhältnissen aufwachsen und leben, die lernen müssen, mit diesen Verhält-nissen zurechtzukommen, die in ihrer Entwicklung und Entfaltung in diese Verhält-nisse fundamental eingebunden sind, diese aber auch verändern können. DieserGedanke ist Ausgangspunkt für ein angemessenes Konzept von Persönlichkeit,als eine Konzeption des Menschen als intentionales absichtsvoll handelndes Indi-viduum, das in steter Auseinandersetzung mit seiner Welt auf diese einwirkt, vondieser beeinflusst wird und ihr im biographischen Prozess Sinngehalte zuweist.Die Einheit, von der geredet wird, wenn von Bildung die Sprache ist, ist der einzel-ne Mensch in seiner physischen, psychischen und sozialen Identität. Dabei beruht„Identität“ auf der Annahme, dass menschliche Wesen ein grundsätzliches Inter-esse daran haben, sich selbst als „Einheit“ zu verstehen: sowohl im Sinne einerKontinuität ihrer Biographie, ihrer Sinnhaftigkeit, als auch im Sinne der Unterschie-denheit von anderen. Identität ist nicht gegeben, sondern immer neu zu erzeugenim Verhältnis zu den anderen.Dies ist beispielhaft konzipiert worden im „Symbolischen Interaktionismus“ beiGeorge Herbert Mead in seiner Theorie von der Innerweltlichkeit des Geistes. Iden-tität entsteht im gesellschaftlichen Prozess. Wenn man, wie Mead, die Auffassungaufgibt, die Seele sei eine Substanz, die bereits bei der Geburt die Identität desIndividuums ausmacht, kommt man zu einem Ansatz, nach dem der Mensch einePersönlichkeit hat, weil er einer Gemeinschaft angehört.

„Der Mensch hat eine Persönlichkeit, weil er einer Gemeinschaft angehört,weil er die Institutionen dieser Gemeinschaft in sein eigenes Verhalten her-einnimmt. ... Die Struktur der Identität ist also eine allen gemeinsame Re-aktion, da man Mitglied einer Gemeinschaft sein muss, um eine Identität zuhaben. ... Er versetzt sich an die Stelle des verallgemeinerten Anderen, derdie organisierten Reaktionen aller Mitglieder der Gruppe repräsentiert“ (Mead1973, S. 204, 205).

In einem solchen theoretischen Konzept ist Bildung zu begreifen als ein lebensge-schichtlicher Vorgang, in dessen Verlauf die Individuen versuchen, Identität herzu-stellen. Sie eignen sich Kultur an und entfalten dabei ihre Persönlichkeit. In die-sem Prozess entsteht eine individuelle Biographie. Das zentrale Bildungsproblem,die Perspektive der Entfaltung von Persönlichkeit, ist demnach gebunden an dieGewinnung von Souveränität für das eigene Leben.

Qualifikation, Kompetenz oder Bildung?

Die Frage, wie denn ein höherer Grad an Selbstbestimmtheit gewonnen werdenkönne, erfordert eine angemessene Begrifflichkeit. Zweifellos ist die Skepsis ge-

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genüber einem Kanon an „Bildungsgütern“ berechtigt gewachsen, und deshalbwurden und werden Alternativstrategien zum Bildungsbegriff gesucht. Aber nach-dem man zunächst geglaubt hatte, mit dem Qualifikationsbegriff ein empirischbrauchbares und praktisch verwertbares Instrumentarium zu finden, das solche„ideologiegeladenen Kategorien“ wie Bildung ersetzen könne, fand dann dochwieder eine Ausweitung statt, welche eine Anschlussfähigkeit an allgemeine Be-grifflichkeiten von Persönlichkeit herzustellen versuchte. Auch die Schlüsselquali-fikationsansätze haben wenig mehr erzeugt als eine sich auftürmende Begriffshal-de. Schon frühzeitig hat Dieter Mertens, der die Diskussion angestoßen hatte, aufdie selbstgestellte Frage „Was ist aus den damaligen Anstößen geworden?“ eherresigniert festgestellt: „Eigentlich nicht sehr viel mehr als eine abstrakte Diskussi-on, viel verbale Zustimmung mit wenig Umsetzung, überhaupt wenig Handfestes“(Mertens 1988, S. 43). Mit der Modewelle des Begriffs Kompetenz findet eine wei-tere Ausweitung statt. „Für die Beschreibung dessen, was ein Mensch wirklich kannund weiß, hat sich der Begriff Kompetenz eingebürgert. Unter Kompetenzen wer-den alle Fähigkeiten, Wissensbestände und Denkmethoden verstanden, die einMensch in seinem Leben erwirbt und betätigt“ (Weinberg 1996, S. 3). Entspre-chend formuliert Baitsch (1996, S. 6): „Daraus abgeleitet lässt sich Kompetenzverstehen als ein System der innerpsychischen Voraussetzung, das sich in derQualität sichtbarer Handlungen niederschlägt und diese reguliert. Kompetenz be-zeichnet also die Verlaufsqualität der psychischen Tätigkeit und als solche einwesentliches Merkmal der Persönlichkeit“. Damit ist das Kompetenzproblem dortverortet, wo es hingehört: in einem Konzept von Persönlichkeitstheorie.

Also Bildung

Damit landet man wieder unabdingbar bei der Frage nach Bildung. Unvermeidlichist zwar der Bildungsbegriff in den letzten Jahren immer wieder in Zweifel gezogenworden – zuletzt in der Konstruktivismusdebatte. Unterstellt wird, es handele sichbei „Bildung“ um ein hochbelastetes, überhöhtes Postulat, welches die Lernwirk-lichkeit nicht erfasse; festgehalten werde an einem historisch überholten Persön-lichkeitsideal, das angesichts aktueller gesellschaftlicher Strukturen obsolet sei.Obwohl diese Kritik bedenkenswerte Momente enthält, rechtfertigt sie aber m. E.nicht den Verzicht auf den Begriff Bildung als eine zentrale Kategorie, um sichangesichts anstehender Zukunftsaufgaben zu orientieren. Insofern halte ich esweiter mit Klafki: „Bildung muss in diesem Sinne zentral als Selbstbestimmungs-und Mitbestimmungsfähigkeit des Einzelnen und als Solidaritätsfähigkeit verstan-den werden“ (Klafki 1985, S. 17). Dabei teile ich – mit einigen Varianzen – dieHartnäckigkeit von Hermann Giesecke:

„Ich halte ‚Bildung’ ... für die einzig tragfähige pädagogische Idee der Mo-derne – etwa im Unterschied zu den reformpädagogischen Axiomen undMaximen, wie sie heute wieder in Mode sind. Dies zu vergessen, ist der

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zentrale Fehler der bildungspolitischen Entwicklung der letzten dreißig Jah-re gewesen. Im Gegensatz dazu scheint es mir nötig, die epochal bedeut-same Substanz dieses Konzepts wieder in den Blick zu nehmen“ (Giese-cke 2001, S. 51).

Dies erhält eine zusätzliche gesellschaftliche Begründung. Gerade angesichts derdrohenden Hegemonie neoliberalistischer Gesellschaftsvorstellungen glüht in derTradition des Begriffs Bildung noch das kritische Potenzial von „Gegenfeuer“ imSinne Pierre Bourdieus. Der am 23.1.2002 gestorbene Intellektuelle hat gegen diefortschreitende Zerstörung eines zivilisatorischen Modells, das in der Aufklärungund dem Entwurf möglicher Mündigkeit einen seiner Ursprünge hatte, argumen-tiert:

„Es ist höchste Zeit, die Voraussetzungen für den kollektiven Entwurf einersozialen Utopie zu schaffen, die in gemeinsamen historischen Traditionenund zivilisatorischen Werten wurzelt“ (Bourdieu 1998, S. 9).

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Rolf Arnold

Von der Bildung zur Kompetenzentwicklung

Anmerkungen zu einem erwachsenenpädagogischen Perspektivwechsel

„Bildung“ ist ein pädagogischer Traditionsbegriff, dessen historische und bedeu-tungsmäßige Implikationen insbesondere in der internationalen Debatte nur schweranschlussfähig sind – zu voraussetzungsbeladen sind die spezifisch „deutschen“philosophischen sowie subjekt- und gesellschaftstheoretischen Diskurse, die imBildungsbegriff ihren Ausdruck finden. Demgegenüber stellt sich der neuerdingsstärker Verbreitung findende Begriff „Kompetenzentwicklung“ als Modernisierungs-begriff dar. Er scheint auf den ersten Blick unbelasteter zu sein von den erwähntenImplikationen, zumindest erwecken diejenigen, die ihm in den aktuellen Diskursenden Vorzug geben, diesen Eindruck. Von Kompetenzentwicklung zu reden ver-spricht eine unmittelbarere pragmatische Orientierung an den tatsächlichen Hand-lungsanforderungen der gesellschaftlichen Praxis und den von dieser gefordertenindividuellen Problemlösungsfähigkeiten – ein Aspekt, der gerade durch die jüngs-ten internationalen Schulvergleichstests dramatisch an Gewicht zu gewinnenscheint: Die Qualität organisierter Bildungsangebote wird stärker danach bemes-sen, inwieweit es den Lernenden tatsächlich gelingt, sich nicht nur Wissen anzu-eignen und zu reproduzieren, sondern dieses Wissen auch kompetent bei der Lö-sung von neuartigen Problemen anzuwenden. Hierbei wird deutlich, dass das di-daktische Arrangement zur Wissensaneignung und -anwendung bzw. die „Lern-kultur“ (vgl. Arnold/Schüßler 1998) die zentrale Ermöglichungsbedingung für dieEntwicklung solcher Problemlösungs- und Gestaltungskompetenzen darstellt, dadie Logik des Lernens bereits die – angestrebte – Logik der selbstgesteuertenProblemlösung beständig antizipieren muss, will sie nicht die paradoxe Selbstwi-dersprüchlichkeit der überlieferten Lehr-/Lernorganisation („fremdgesteuerte Wis-sensaneignung für selbstgesteuerte Wissensanwendung“), die auch in Teilen dieinstitutionalisierte Inszenierung sowie das professionelle Selbstkonzept der Erwach-senenbildung prägt, weiterhin fortsetzen. Es steht vielmehr eine stärkere Metho-denorientierung der Bildungspraxis an, womit gemeint ist, dass die Lerner syste-matisch und didaktisch absichtsvoll in den „Besitz“ von Selbstlern- und Selbster-schließungsmethoden „gebracht“ werden müssen und die Methodenfrage nichtlänger auf die Frage nach der adäquaten Lehrmethode verkürzt bleibt. Der Metho-denbesitz der Lerner bzw. die systematische Förderung ihrer Selbstlernkompeten-zen (vgl. Arnold/Gomez-Tutor/Kammerer 2001) stellt sich somit als die zentraleZielrichtung für eine Weiterentwicklung unserer Lernkulturen dar.Bevor die sich hieraus ergebende Frage geprüft werden kann, ob nun der Mo-dernisierungsbegriff der Kompetenzentwicklung diese notwendige Methodenori-

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entierung des Lernens tatsächlich angemessener zu konzeptualisieren vermagals der überlieferte Bildungsbegriff, muss aber nochmals grundsätzlich an die Funk-tion von Begriffen im wissenschaftlichen Diskurs erinnert werden. Denn Begriffe,die tatsächlich etwas begreifen, liegen sozusagen nicht wohlfeil für jegliche mo-dernistische Inbesitznahme parat. Gerade die „einheimischen Begriffe“ (Schleier-macher) der Pädagogik haben auch eine kontinuitäts- und sachverstandsbün-delnde Funktion, sie garantieren bis zu einem gewissen Grade, dass „das Radnicht beständig neu erfunden“ oder einmal bereits theoretisch aufgearbeitete Wi-dersprüchlichkeiten übersehen oder verflacht angesprochen werden. Geschiehtdies, wie man bei einzelnen Protagonisten der Kompetenzwende feststellen kann,handelt es sich bei den begrifflichen Neuschöpfungen um Ignoranzbegriffe (vgl.Arnold 1997), weil sie letztlich weniger begreifen als die verworfenen „einheimi-schen Begriffe“, aber vieles übersehen oder simplifizieren. Bei den bisweilen an-gebotenen Lesarten von Kompetenzentwicklung handelt es sich m. E. um solcheIgnoranzbegriffe, da sie bisweilen im Gestus der Entschiedenheit und Machbar-keit daherkommen und z. B. übersehen, dass pädagogische Professionalität sub-stanziell vom Bewusstsein der ungesicherten Bildungswirkung sowie der „unge-wollten Nebenwirkungen“ gespeist wird, kompetenzentwickelnde Effekte somitgerade nicht erzeugt, sondern in entsprechenden didaktischen Arrangementslediglich ermöglicht werden können. Die jüngere erwachsenendidaktische Debat-te kreist nahezu ausschließlich um diese Frage, wobei mehr und mehr deutlichwird, dass die Lehrfunktion neu und anders konzipiert werden muss, sollen durchsie nachhaltige Lernbewegungen initiiert, angebahnt und begleitet werden, diemehr und anderes beinhalten als „defensives Lernen“ (Holzkamp 1993), mit demsich Individuen zugemuteten Anforderungen lediglich unterwerfen, um Nachteilezu vermeiden oder Vorteile zu sichern. Zahlreiche der vorgeschlagenen Kompe-tenzbegriffe halten mehr oder weniger unausgesprochen an diesem Konzept ei-nes defensiven Lernens fest und verfehlen den Aspekt eines methodenorientier-ten Wandels der Lernkulturen.Nimmt man die aktuelle berufs- und erwachsenenpädagogische Diskussion in denBlick, so zeigt sich, dass sie durch eine „überschwappende Begrifflichkeit“ (Faul-stich 1996, S. 367) gekennzeichnet ist, so dass man zu fragen geneigt ist, ob dieBegriffe „Kompetenz“ und „Kompetenzentwicklung“ nicht lediglich eine neue Be-griffsmode im Reigen einer sich hochschaukelnden Fachrhetorik sind.1 Gleichwohlkann man andererseits nicht übersehen, dass sich die gesellschaftliche Realitätvon Arbeit und Lernen seit Mitte der 1980er Jahre grundlegend gewandelt hat, einProzess, der durch die deutsche Einigung zwar nicht ausgelöst worden, aber ent-scheidend verschärft worden ist. Die berufs- und erwachsenenpädagogischenDebatten um „erweiterte Qualifizierung“, „Schlüsselqualifikationen“ und „Handlungs-kompetenz“ (vgl. Brater u. a. 1988; Brater/Bauer 1990; Kaiser 1992; Ott 1995;Rauner 1990, 1996; Reetz 1990) haben in vielen Bereichen zu einem verändertenNachdenken über berufliche Bildung geführt, aber gleichzeitig auch die begriffli-chen und konzeptionellen Schwierigkeiten verstärkt, „mit den herkömmlichen For-

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men der Beschreibung von beruflichen Profilen zu arbeiten“ (Moore/Theunissen1994, S. 74). Und zahlreiche der endlosen Debatten um die Schlüsselqualifikatio-nen (vgl. Gonon 1996) stellen sich uns heute im Rückblick als ein „Streit um Be-griffe“ dar, die von den Kontrahenten zwar gemeinsam verwendet, aber mit unter-schiedlichen Konnotationen und Definitionen versehen wurden.Ähnliches scheint sich seit einiger Zeit im Zuge der kompetenzorientierten Wendein der Weiterbildungsdebatte (vgl. Bergmann u. a. 1996) zu wiederholen: Hier wirdein Begriff systematisch „aufgebaut“ und mit Lesarten und Konnotationen verse-hen, die zwar in vielem einleuchten, mit dem Kompetenzbegriff aber keineswegsso und nicht anders verbunden sind, weshalb Missverständnisse und begrifflicheSchattenkämpfe vorprogrammiert sind. Übersehen werden gleichzeitig die histori-schen „Aufladungen“, die der Kompetenzbegriff bereits mitbringt und die ihn auchin ein substanzielles Verhältnis zum Bildungsbegriff setzen. Der „Kompetenzbe-griff“ ist keineswegs „vogelfrei“, d. h. beliebig verfüg- und definierbar, er entstammtvielmehr unterschiedlichsten Theorietraditionen, die zunächst einmal rekonstruiertund kritisch im Hinblick auf ihre Kompatibilität mit der aktuellen weiterbildungspoli-tischen Begriffsverwendung analysiert werden müssen.Diese begriffstheoretischen Überlegungen sind von einer durchaus praktischenRelevanz. Zwar stimmt es, dass uns – erkenntnistheoretisch betrachtet – erst „Be-griffe“ sehend machen, d. h. „begreifen“ lassen, und es stimmt sicherlich auch,dass die überlieferten Gehalte so mancher Weiterbildungsbegriffe auch „blinde Fle-cken“ mit sich bringen, weshalb wir, um „sehen“ zu können, unsere Begriffe weiter-entwickeln, neu definieren oder verändern müssen. Gleichwohl schließt diese Be-griffsentwicklung im wissenschaftlichen Diskurs an die vorausgegangenen Debat-ten an, diese werden neu gewichtet, Begriffe werden uminterpretiert und in einenneuen Kontext gestellt. Es wird die Anschlussfähigkeit der neuen Lesart gesucht,und es wird um diese Anschlussfähigkeit gestritten, selten wird der Begriff völligausgewechselt. So betrachtet sind die begrifflichen Nuancierungen, wie „extrafunk-tionale Qualifikationen“ (Dahrendorf 1956; Offe 1970), „prozessübergreifende Qua-lifikationen“ (Kern/Schumann 1984), „innovatorische Qualifikationen“ (Fricke/Schuchardt 1985) oder „bildende Qualifizierung“ (Arnold 1996), anschlussfähigeBegriffsweitungen, sie folgen einer Logik der begrifflichen Approximation („Annä-herung“), während der völlige begriffliche Kontextwechsel einer Logik der begriffli-chen Demarkation („Abgrenzung“) folgt. Während sich die inhaltliche Definition desNeuen im ersten Fall aus der Weiterentwicklung bzw. „Weitung“ des Bekanntenergibt (vgl. Arnold/Dobischat/Ott 1997), resultiert sie im zweiten Fall aus der Ab-grenzung vom Bisherigen.2

Nimmt man die vorgetragenen Lesarten des Kompetenz- und des Qualifikations-begriffs einerseits und des Kompetenz- und des Weiterbildungsbegriffs andererseitsin den Blick, so fällt zunächst auf, dass die Begriffe „Kompetenz“ und „Kompetenz-entwicklung“ als Entgrenzungsbegriffe verwendet werden. Damit korrespondiertdie kompetenzorientierte Argumentation einem Trend, der sich für die Bildungs-entwicklung der postmodernen Gesellschaften zunehmend als charakteristisch

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erweist, nämlich die „Entgrenzung des Pädagogischen“ (Kade/Lüders/Hornstein1991; Lüders/Kade/Hornstein 1995). Diese Entgrenzung ist mit einer deutlichen„Ortsveränderung des Lernens“ (Negt 1994, S. 16) verbunden, ein Trend, den Pe-ter Jarvis als „space-time distanciation“ (Jarvis 1995, S. 160) beschreibt; und auchin der bundesrepublikanischen Debatte ist von einer „Differenzierung und Entgren-zung der Lernorte“ (Kade/Nittel 1995, S. 202) bzw. von einer „Pluralisierung derLernorte und Lenverfahren“ (Arnold/Münch 1996) die Rede. Insbesondere JochenKade hat auf diese Tendenzen verschiedentlich hingewiesen und sie dahingehendinterpretiert, dass sich die Weiterbildung entgrenzt und entstrukturiert, womitallerdings mehr gemeint sei als eine bloß lineare Ausdehnung und Anreicherungdes Erwachsenenbildungsfeldes. Vielmehr impliziert dieser Trend neben einer in-stitutionellen Auffächerung („Erwachsenenlernen in unterschiedlichsten Einrichtun-gen“) auch „normative Entgrenzungen („Relativierung pädagogischer Prinzipien“)sowie „didaktische Entgrenzungen“ („Vielfalt von Aneignungsmotiven und -formen“)und verweist dadurch auf einen grundlegenden inhaltlichen Wandel von Erwach-senenbildung und Weiterbildung, da „durch diese Öffnung gesellschaftliche Bil-dungs- und Lernverhältnisse in den Blick kommen, die sich von den (reinen) päda-gogischen Bildungs- und Lernverhältnissen empirisch nicht mehr scharf abgren-zen lassen. Es wird heute zunehmend schwieriger zu bestimmen, was in diesemunübersichtlichen Feld nun eigentlich noch Erwachsenenbildung ist, was dazu zurechnen ist und was nicht“ (Kade 1996, S. 9). Diese Entgrenzung und Entstruktu-rierung der Erwachsenenbildung bzw. Weiterbildung ist nicht frei von Paradoxien,hat es doch in der Tat den Anschein, als wäre die Erreichung der Lifelong-learning-bzw. Weiterbildungsgesellschaft (vgl. Europäische Kommission 1995) geradezuauch mit dem Ende der Weiterbildung herkömmlicher, institutions- und professi-onsbezogener Provenienz verbunden. Ist die Weiterbildungsgesellschaft – so könnteman fragen – durch eine Unübersichtlichkeit oder gar Überflüssigkeit der Weiter-bildung herkömmlicher Art gekennzeichnet?Die kompetenzorientierten Argumentationen verstärken diesen Eindruck. Währenddie zitierte erwachsenenpädagogische Diskussion, aber auch bereits die ältereberufspädagogische Debatte (vgl. Brater u. a. 1988; Münch 1984; Rauner 1990;Reetz 1990) die Entgrenzungs- und Entstrukturierungsprozesse approximativ be-schreiben, folgen die Argumentationsmuster der kompetenzorientierten Wendehäufig entschieden einer Logik der begrifflichen Demarkation: „Qualifikation“ wirdin ein dichotomisches Verhältnis zur „Kompetenz“ gesetzt, und auch die „Kompe-tenzentwicklung“ wird als innovatives Gegenbild zu einer eher verkrusteten undtraditionellen „Weiterbildung“ entworfen.Gerade dieser letzte Gesichtspunkt liefert Anlass für kritische Nachfragen, zeigtsich doch, dass es sich bei dem neueren kompetenzorientierten Diskurs in ersterLinie um einen personalwirtschaftlichen und arbeitspsychologischen Diskurs han-delt (vgl. insb. Bergmann u. a. 1996); Vertreter der Berufs- und Erwachsenenpäd-agogik sind bei den aktuellen „Beiträgern“ deutlich in der Minderheit (vgl. Bunk1994; Weinberg 1996a, b, c), was insofern schade ist, als beide Disziplinen auf

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Diskurse zurückblicken können, in denen vieles von dem vorweggenommen wur-de, was heute als „neu“ diskutiert wird.Nimmt man die einschlägigen Fachdebatten der letzten Jahre in den Blick, so zeigtsich, dass es zahlreiche typische Diskussionsschübe bzw. „Wenden“ gab, in de-nen kritisch und konstruktiv über den Berufs- oder den Persönlichkeitsbezug vonErwachsenenlernen und Weiterbildung „gestritten“ wurde, weshalb es fruchtbarwäre, die dabei entwickelten Argumentationen mit den neueren kompetenzorien-tierten Argumentationen zu konfrontieren. Insbesondere zeigt sich,– dass die ursprüngliche kulturpädagogische Ziel- und Funktionsbestimmung des

Erwachsenenlernens bereits in den 1970er Jahren durch eine „realistische Wen-de“ abgelöst bzw. ergänzt worden ist, die einen berufspädagogischen Fokusaufgriff, den Berufsbezug des Erwachsenenlernens betonte und den Bildungs-um den Qualifikationsbegriff ergänzte,

– dass – gewissermaßen als Gegenbewegung – in den 1980er Jahren eine „re-flexive Wende“ (Schlutz 1982; Schmitz 1984) den Persönlichkeitsbezug desErwachsenenlernens wieder stärker in das Bewusstsein brachte und insbeson-dere die Identitätsbildung als Motiv, Aufgabe und Schwierigkeit der Erwachse-nenbildung in der postmodernen Gesellschaft hervorhob (vgl. Kade 1989a),

– dass es bereits seit Mitte der 1980er Jahre eine insbesondere in der Berufspä-dagogik sich vollziehende „Ganzheitswende“ gibt, die auch mit dem Begriff„Handlungskompetenz“ arbeitete (vgl. Bader 1989) und nicht nur durch dieSchlüsselqualifizierungsdebatte, sondern auch durch die Rezeption neuererbetriebs- und personalwirtschaftlicher Konzepte ausgelöst worden war,

– dass schließlich in der berufs- und erwachsenenpädagogischen Diskussion in den1990er Jahren eine „utili-taristische Wende“ be-gann, die das zweckbe-zogene Lernen nicht mehrautomatisch in einen Ge-gensatz mit dem persön-lichkeitsorientierten Ler-nen brachte (vgl. Arnold1990; 1996) – Impulse,die neuerdings in derkompetenzorientiertenDebatte aufgegriffen wer-den (vgl. Erpenbeck1996b; Weinberg 1996b).

Die kompetenzorientierteDebatte ignoriert diese„Schübe“ der Weiterbil-dungsdiskussion weitge-hend und lässt sich implizit Abb.: Diskurse zur Weiterbildung

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stark von einem wirtschaftsbezogenen Diskurs leiten (vgl. Abb.).3 Dabei werdenwichtige Diskussionskontexte und Fragestellungen ausgeblendet, von denen andrei im Folgenden erinnert werden soll.4

Auffällig ist nicht allein die „Unschärfe, mit welcher der Kompetenzbegriff gegen-wärtig verwendet wird“ (Bergmann 1996, S. 249), sondern auch die Traditionslo-sigkeit. Dieser entstammt zunächst der Linguistik, in welcher er von Noam Choms-ky mit der Absicht eingeführt wurde, die subjektiven grammatischen Voraussetzun-gen für komplexes und variantenreiches Sprachhandeln zu beschreiben (vgl. Hey-drich 1996, S.224). Dabei kommt dem Kompetenzbegriff bereits etwas Dispositi-ves zu: Kompetenz findet ihren Ausdruck in der Performanz, dem tatsächlich aktu-alisierten Verhalten. In den sozialwissenschaftlichen Beiträgen der 1960er und1970er Jahre hoffte man, in einer ähnlichen Weise die sozialisatorischen Voraus-setzungen für den Erwerb einer „Grammatik“ sozialen Handelns identifizieren zukönnen. Insbesondere Jürgen Habermas stellte dabei den Begriff „kommunikativeKompetenz“ in den Mittelpunkt seiner Überlegungen und beschrieb ihn weitgehendsynonym zu dem Begriff „Ich-Identität“: Es ging ihm dabei „um die Struktur der Kom-munikation zwischen Ego und Alter, um die erforderlichen Qualifikationen zur Be-teiligung an dieser Kommunikation und um die darin eingelagerte Notwendigkeit zurVerständigung und zur Wahrung der eigenen Identität“ (Tilmann 1989, S. 215).Bekanntlich gelang es Habermas, als die grundlegenden Voraussetzungen für kom-munikative Kompetenz die „Empathie“, die „Rollendistanz“ und die „Ambiguitätsto-leranz“ zu identifizieren. Diese Anstöße sind in bereits in den 1970er und 1980erJahren sowohl berufspädagogisch als auch moralpädagogisch weitergeführt undzu konkreten Vorschlägen bezüglich der Entwicklung und Förderung der einzelnenKompetenzelemente verdichtet worden. So beschreibt K. Geißler in seiner Disser-tation die Ermöglichung „kritisch-reflexiver“, „kritisch-sozialer“ und „kritisch-instru-menteller Kompetenz“ (Geißler 1974), und W. Lempert verdeutlicht auf der Basisseiner Forschungsergebnisse detailliert die „Möglichkeiten und Grenze der Förde-rung moralischen Denkens in der Sekundarstufe II“ (Lempert 1988, S. 70ff.)5 .Vor dem Hintergrund solcher Detaillierungen stellt sich die derzeitige Verwendungdes Kompetenzbegriffs als wenig „traditionsbewusst“ dar. Insbesondere gilt diesfür die wertorientierte Erweiterung des Kompetenzlernens. Hier wird noch kaumdie Präzision der 1970er und 1980er Jahre erreicht, und es findet sich kaum eineKonkretisierung des Anspruches einer „Interiorisierung neuer Wertstrukturen“ (Ar-beitsgemeinschaft ... 1995, S. 7), weder im Hinblick auf die erwachsenensozialisa-torische Frage, ob und wie eine solche Werterziehung im Erwachsenenalterüberhaupt realisiert werden kann (vgl. Griese 1994), noch im Hinblick auf die Legi-timationsfrage,6 ob und wie eine solche Intentionalität in einer wertepluralistischenGesellschaft überhaupt gerechtfertigt werden kann. Hier scheint die kompetenz-orientierte Argumentation zu unterstellen, Werterziehung im Erwachsenenalter seimöglich und begründbar.Ein Anknüpfen an die skizzierte sozialwissenschaftlich-pädagogische Tradition desKompetenzbegriffes könnte m. E. helfen, solche etwas unterkomplexen Sichtwei-

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sen zu differenzieren und insbesondere Licht in die Klärung folgender Fragen zubekommen:– Welche Grundqualifikationen können aktuell als Voraussetzungen für kommu-

nikative oder Handlungs-Kompetenz angesehen werden?– Wie und in welchen didaktischen Arrangements kann die Entwicklung dieser

Grundqualifikationen kompetenten Handelns gefördert werden?– Können auch im Erwachsenenalter grundlegende Wertorientierungen im Wege

einer „reflexiven Werterziehung“7 entwickelt werden?Die Ansprüche einer erweiterten Qualifizierung sowie die Frage nach den Möglich-keiten einer Förderung der Grundqualifikationen kompetenten Handelns wurdeninsbesondere in der berufspädagogischen Debatte der letzten Jahre im Ansatz der„handlungsorientierten Berufsbildung“ (Ott 1995; Pätzold 1992) grundlegend prä-zisiert. Dabei wurden auch konkrete methodische Innovationen (vgl. Herzer u. a.1990) entwickelt und erprobt, die der Tatsache Rechnung trugen, dass übergrei-fende Qualifikationen, wie z. B. die Schlüsselqualifikationen „Problemlösungsfä-higkeit“, Selbstständigkeit“ etc. nicht entwickelt werden können, sondern sich nurselbst entwickeln. Man erkannte, dass es deshalb darauf ankommt, solche Metho-den verstärkt ins Spiel zu bringen, die ein in diesem Sinne aktives und selbster-schließendes Lernen ermöglichen (vgl. Bunk 1994, S.12); Bunk spricht in ande-rem Zusammenhang treffend von „Selbsthilfequalifikationen“ (Bunk 1990, S. 182).In diesem Sinne greift die betriebliche Weiterbildung seit einigen Jahren nicht nurauf die Projektansätze aus der Reformpädagogik zurück, sie entwickelt und profi-liert vielmehr immer deutlicher eine eigenständige Didaktik selbstorganisiertenLernens, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die außerfachlichen Dimensionender Kooperation einen höheren Rangplatz in den Lernziel-Definitionen einnehmenund als eigentlicher Kern der Fachqualifikation entsprechend berücksichtigt wer-den. Aus- und Weiterbildungserfolg werden zunehmend auch danach bemessen,ob es gelingt, die Fähigkeiten der Mitarbeiter/innen zur Konfliktlösung, zur Kreati-vität und zur Kooperation zu optimieren. Didaktisches Gewicht erhalten in diesemZusammenhang unstrukturierte Lernprozesse, in denen die Teilnehmer/innen sys-tematisch vor der Herausforderung stehen, den Umgang mit Unsicherheit zu ler-nen und sich eine Kompetenz zum Umgang mit unerwarteten Anforderungen an-zueignen. Sie sollen nicht mehr in so starkem Maße über materiales Wissen, son-dern vielmehr in einem umfassenden Sinne über Methodenkompetenz verfügen,d. h. in der Lage sein, sich neues Wissen, Übersicht über unerwartete Situationensowie Zugang zu neuen Problemlösungsmechanismen selbst zu erschließen.8

Wenn in diesem umfassenden Sinne Selbstständigkeit gefördert werden soll, mussdas Lernen so arrangiert werden, dass selbstständige Suchbewegungen nicht ver-hindert, sondern ermöglicht werden. Aus diesem Grunde müssen in lebendigenLernprozessen in verstärktem Maße Aktivitätsmethoden eingesetzt werden, d. h.Methoden, bei denen die Initiative im Lernprozess und die Steuerung des Lernpro-zesses erst allmählich und dann immer mehr auf den Lernenden übergehen. Dabeikommt entsprechend didaktisierten Selbstlernmaterialien eine wichtige Rolle zu.

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Es sollte in der betrieblichen Bildungsarbeit deshalb besonderer Wert auf die Ent-wicklung und Bereitstellung solcher Materialien gelegt werden. Hierfür sind sicherlichSupport-Strukturen vorzuhalten; es ist aber auch erforderlich, dass betrieblicheWeiterbildung selbst in immer stärkerem Maße in die Lage versetzt wird, Selbst-lernmaterialien zu entwickeln. Denn der Kern ihrer professionellen Rolle wandeltsich in Richtung auf „zuständig sein für die Vorbereitung von Lernumgebungen“(Montessori) und die Eröffnung von Selbstlernwegen.Die erwachsenenpädagogische Diskussion über das Verhältnis von Identitäts- undQualifikationslernen (vgl. Siebert 1985) hat sich sehr ausführlich mit der Tatsachebeschäftigt, dass es Erwachsenen- und Weiterbildung nicht mit biographisch „un-beschriebenen Blättern“ zu tun haben. Menschen kommen vielmehr aus ihremBerufs- und Lebensalltag auch mit dem deutlichen Bedürfnis in Erwachsenenbil-dungsangebote, für sich eine biographische Selbstvergewisserung zu erarbeiten.Dafür wollen sie Gelegenheit erhalten, ihre bisherigen biographischen Erfahrun-gen und Deutungsmuster zu überprüfen, zu vergleichen, weiterzuentwickeln undinsbesondere in Erwartung von biographischen Veränderungen oder Krisen neueDeutungsmuster erwerben zu können. Erwachsenenbildung beinhaltet deshalbimmer auch Formen des Identitätslernens; sie ist krisenbegleitende oder krisen-vorbereitende Bildung (vgl. Kade 1989b). Die Erwachsenenbildungsforschung der1980er Jahre hat sicherlich ganz wesentlich zur Erhellung der lebensweltlichenBildungsvoraussetzungen sowie der Binnenperspektiven von Teilnehmern in Lern-prozessen beigetragen. Durch diese Arbeiten ist es der Erwachsenenbildungspra-xis heute bewusster, dass das Lernen Erwachsener nie nur den Maßgaben vonInhaltsbezügen folgt, sondern immer auch in die biographischen und aktuellen In-teraktionsbeziehungen sowie in das subjektive Bemühen um Identitätserhalt undIdentitätssicherung eingebettet ist. Von besonderer Bedeutung ist dieser Aspektgerade für die berufliche Weiterbildung, welche in immer stärkerem Maße dasGeleitet-Sein durch eine Berufsidee durch das Modell einer lebenslangen „Bildungs-wanderschaft“ zu ersetzen scheint (vgl. Wittwer 1996, S. 12)9 .In diesem Sinne zeichnet sich heute in Umrissen eine Konzeptualisierung des Ler-nens Erwachsener ab, welche davon ausgeht, dass Menschen überhaupt nur vordem Hintergrund und dem Kontext ihrer „subjektiven Handlungsgründe“ (Holzkamp1993, S. 28) lernen und dass alle Theorien, die davon absehen und von einem„Lehr-Lern-Kurzschluss“ (ebd., S. 387) ausgehen, d. h. von der – unausgespro-chenen – Machbarkeitsvorstellung „Gelernt wird, was gelehrt wird!“, sich zuneh-mend als fragwürdig erweisen. Erwachsenenbildung stellt sich vielmehr als einDeutungslernen dar, d. h. als die systematische, mehrfach reflexive und auf Selbst-tätigkeit verwiesene Auseinandersetzung des Menschen mit eigenen und fremdenDeutungen. Verfügbare Konstruktionen von Wirklichkeit können in den Veranstal-tungen der Erwachsenenbildung artikuliert, miteinander verglichen, auf ihre „Trag-fähigkeit“ angesichts neuer Situationen überprüft und weiterentwickelt werden. Er-wachsenenlernen ist dabei nicht nur „Aneignung neuen Wissens, sondern auchVergewisserung, Überprüfung und Modifizierung vorhandener Deutungen. (...)

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Aufgabe der Erwachsenenbildung ist es, die Reflexion von Deutungen und dieOffenheit für ‚Umdeutungen’, d. h. für neue Sichtweisen zu fördern“ (Siebert 1993,S. 44).

Fazit: Für die kompetenzorientierte Wende in der Weiterbildung hat der wirtschafts-bezogene Diskurs eine Leitfunktion. An berufs- und erwachsenenpädagogischeDebatten wird eher beiläufig angeschlossen. Dies begünstigt nicht nur eine ehertraditionslose Verwendung des Kompetenzbegriffs, sondern blendet auch dessenmoralpädagogische und sozialisationstheoretische Bezüge („Erwachsenensoziali-sation“) weitgehend aus. Ähnliches gilt tendenziell für die Konkretisierungen derhandlungsorientierten Berufspädagogik sowie für die erwachsenenpädagogischenHinweise zum Verhältnis von Identität und Kompetenzentwicklung.

Anmerkungen

1 Die folgenden Ausführungen entsprechen teilweise wörtlich den in Arnold 1997 dargeleg-ten Überlegungen.

2 Im Falle der Ersetzung des Qualifikationsbegriffs durch den der „Kompetenz“ und desBildungs- bzw. Weiterbildungsbegriffs durch den der „Kompetenzentwicklung“ wird dieseAbgrenzungsabsicht aber durch zweierlei konterkariert: Einerseits stehen beide Begriffe– spätestens seit der berufspädagogischen Neuordnungsdebatte, aber auch bereits frü-her – in einem definierten Verhältnis zueinander, an dem man – ob bewusst oder unbe-wusst – anknüpft. Andererseits ist zu fragen, was wissenschaftlich und politisch geschieht,wenn neue Definitionen und neue Lesarten von – keineswegs neuen – erziehungswis-senschaftlichen Begriffen gewissermaßen „top down“ oder unter vornehmlicher Beteili-gung von Vertretern nicht-erziehungswissenschaftlicher Disziplinen in den Weiterbildungs-diskurs eingebracht und verbreitet werden können und dabei ihre Anschlussfähigkeit so-wohl an den erziehungswissenschaftlichen Weiterbildungsdiskurs als auch an die über-lieferten Gehalte des Kompetenzbegriffs in den Hintergrund treten.

3 Aus diesem Grunde ergibt sich bisweilen auch eine übergroße Nähe zu einem Marktmo-dell von Weiterbildung, dessen Segmentationswirkungen im Bereich der betrieblichenWeiterbildung (vgl. Lutz 1987) doch gerade Anlass sein müssten, über neue Formen ei-ner öffentlichen Verantwortung nachzudenken (vgl. Faulstich 1996).

4 Auf die anderen „versäumten Anschließungen“ ist teilweise bereits eingegangen worden(„Bedeutung des Berufsprinzips“, „Vor- und Nachteile institutionalisierten Lernens“ etc.).

5 Lempert identifiziert u. a. folgende „Bedingungen“ für eine gelingende moralische Förde-rung: „stabile emotionale Zuwendung und soziale Anerkennung“, „offene Konfrontationmit sozialen Problemen und Konflikten“, „Chancen zur Teilnahme an Kommunikations-prozessen“, „Möglichkeiten der Mitwirkung an kooperativen Entscheidungen“, „Verantwor-tung für die Gestaltung des eigenen Lebens und für andere Personen“ (Lempert 1988, S.83).

6 Mit der wertpädagogischen Problematik wird in der kompetenzorientierten Weiterbildungs-debatte erstaunlich undifferenziert umgegangen. Dies gilt auch für die Frage, ob eine teil-nehmerorientierte Weiterbildung nicht auch zunächst von den bereits vorhandenen Wert-orientierungen auszugehen habe.

7 Die reflexive Werterziehung bezeichnet die in postmodernen Diskursgesellschaften ein-zig mögliche Form von Werterziehung: Es werden keine extern vorgegebenen materiel-len Werte „interiorisiert“, vielmehr wird die Fähigkeit zur Entwicklung eigener Sinnstiftun-gen gefördert.

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8 Eine solche Persönlichkeitsentwicklung kann durch die betriebliche Weiterbildung alleinesicherlich nicht geleistet werden. Erforderlich ist vielmehr, dass die Lernkultur in allenunseren Bildungseinrichtungen kritisch analysiert und verändert wird (vgl. Krapf 1993).Anders kann nämlich nicht vermieden werden, dass z. B. Jugendliche durch den offiziel-len und heimlichen Lehrplan unserer Schulen in einer Weise „entstimuliert“ werden, dassdie betriebliche Aus- und Weiterbildung diese Lernschädigungen kaum mehr kompensie-ren kann. Eine Veränderung der schulischen Inhalte und Lernformen ist deshalb aucheine grundlegende Voraussetzung für das fachliche und außerfachliche Kompetenzler-nen in der Weiterbildung. Hierzu muss auch die Fächerstruktur unserer Schulen hinsicht-lich der Zeitanteile der bestehenden Fächer und der „Vollständigkeit“ des Schulcurricu-lums kritisch hinterfragt werden. Wichtige inhaltliche Ergänzungen wären dabei – nichtnur im Blick auf die Arbeitswelt, sondern auch im Blick auf das außerfachliche Lernziel„Umgang mit Unsicherheit“ – die Fächer „Kulturkunde (Kulturalität und Interkulturalität)“sowie „Konflikt- und Kommunikationsverhalten“. Zu ergänzen wäre in einem das außer-fachliche Lernen vorbereitenden und anbahnenden Lehrplan schließlich auch ein Fach„Methodenkunde“, in dem die Schüler und Schülerinnen systematisch ihr arbeitsmetho-disches Wissen und u. a. folgende methodischen Fähigkeiten trainieren und entwickelnkönnten: „Texte markieren und unterstreichen“, „Informationen zusammenfassen“, „Ar-beiten mit Nachschlagewerken“, „Umgang mit Bibliotheken“, „Ergebnisse präsentieren undvisualisieren“, „Lerntechniken“ etc. (vgl. Klippert 1994).

9 W. Wittwer zitiert den Soziologen Zygmunt Baumann, der feststellt, dass sich alles „gegenferne Ziele, lebenslange Entwürfe, dauerhafte Bindungen, ewige Bündnisse, unwandelbareIdentitäten zu verschwören (scheint). Ich kann nicht langfristig auf meinen Arbeitsplatz,meinen Beruf, ja nicht einmal auf meine Fähigkeiten bauen; ich kann darauf wetten, dassmein Arbeitsplatz wegrationalisiert wird, dass mein Beruf sich bis zur Unkenntlichkeit ver-ändert, dass meine Fähigkeiten nicht länger gefragt sind“ (Baumann 1993, S. 17).

Literatur

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Arnold, R. (1990): Betriebspädagogik. BerlinArnold, R. (1996): Bildende Qualifizierung. Divergenzen und Konvergenzen zum Verhältnis

von Bildung und Qualifikation. In: Neue Sammlung, H. 1, S. 19-34Arnold, R. (1997): Von der Weiterbildung zur Kompetenzentwicklung. Neue Denkmodelle und

Gestaltungsansätze in einem sich verändernden Handlungsfeld. In: Albrecht, G. u. a.:Kompetenzentwicklung ´97. Berufliche Weiterbildung in der Transformation – Fakten undVisionen. Münster, S. 253-307

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Rainer Brödel

Relationierungen zur Kompetenzdebatte

1. Aufstieg zu einem Leitbegriff

Den Kompetenzbegriff zeichnet aus, dass er den professionellen Blick für Vorgän-ge des Lernens in den Ernstfallsituationen gesellschaftlichen Lebens und Arbei-tens öffnet. Darüber hinaus lenkt er die Aufmerksamkeit auf die Eigenpotenzialeund Eigenleistungen der (Lern-)Akteure bei der Lösung von (Handlungs-)Proble-men. Einem bloßen Wissenserwerb wird dadurch eine Grenze gesetzt, dass nachseiner Handlungsrelevanz und Brauchbarkeit gefragt ist. Insofern sind im Kompe-tenzbegriff Wissenserwerb und Wissensanwendung im Modus des Handelns undKönnens miteinander verbunden.Im Zuge der Debatte über Wissensgesellschaft, lebenslanges Lernen und „NeueLehr- und Lernkulturen“ (Heuer/Botzat/Meisel 2001; vgl. Nolda 2001) ist „Kompe-tenz“ in den Vordergrund gerückt. Dass dieser Begriff für Weiterbildung an Bedeu-tung gewonnen hat, davon zeugen nicht allein die Veröffentlichungen der „Arbeits-gemeinschaft für Betriebliche Weiterbildungsforschung“ (vgl. z. B. 2001), die Mitteder 1990er Jahre eine Buchreihe „Kompetenzentwicklung“ begonnen hat (vgl. z.B. Arnold 1997). In einer Frankfurter Dissertation, die die französische Fachlitera-tur aufarbeitet, wird gar von der weit greifenden These ausgegangen, „daß Kom-petenz, als Modellierungskonstrukt effektiver situationsadäquater Handlungsfähig-keit, sich zu einem verheißungsvollen, unumgänglichen Begriff in der Bildungsdis-kussion entwickeln wird und als wirksames Gestaltungsprinzip signifikanter adap-tiver Lehr-Lern-Beziehungen begrüßt werden kann, auch angesichts zukünftiger,noch nicht abzuschätzender gesellschaftlicher Entwicklungen“ (Max 1999, S. 15)Auch bildungs- und gesellschaftspolitische Programmentwürfe auf internationalerEbene heben auf Kompetenz ab. Wohl nachhaltig wirksam geworden ist hier dasEU-Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung „Lehren und Lernen – Aufdem Weg zur kognitiven Gesellschaft“ von 1995. Dort wird Kompetenz als zeitge-mäße und zentrale Transformationskategorie bezüglich der Reproduktion von Ar-beitsvermögen herausgestellt, wobei der Aspekt der flexiblen, friktionslosen Nut-zung von Humanressourcen dominiert.Angesichts des hier vorerst bloß angedeuteten Diskussionskontexts ist es nichtverwunderlich, wenn im erwachsenenpädagogischen Diskurs schon eine „kompe-tenzorientierte Wende“ (Arnold/Steinbach 1998, S. 25) ausgemacht wird. Aber dieangeführten Autoren äußern auch Skepsis. Und diese Zurückhaltung scheint vorerstdurchaus angebracht, denn es ist nicht ganz auszuschließen, dass mit dem Auf-stieg des Terminus Kompetenz Grundbegriffe des Lernens Erwachsener – Bildung,Lernen und Qualifikation – an den Rand gedrängt und in ihrer spezifischen Erklä-

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rungskraft für erwachsenenpädagogische Sachverhalte als überholt erklärt wer-den.

2. Ideologiekritik versus aktive Professionalisierung

Zwei grundsätzliche Betrachtungsweisen beinhaltet das Thema „Kompetenz“. Zumeinen gibt es eine ideologiekritische Fragedimension, die auf die Gründe abzielt,weshalb der Kompetenzbegriff gegenwärtig so in den Vordergrund gerückt wird.Wer diesen Terminus als Alternative gegenüber dem Bildungsbegriff, dem Qualifi-kationsbegriff und vielleicht auch noch gegenüber dem Lernbegriff aufbauen will,der hat je spezifische Gründe dafür, die außerhalb der rein fachlichen Materie lie-gen können – etwa finanzpolitischer Art. Zwar beherbergt der Kompetenzbegriffein durchaus berechtigtes Problemlösungsinteresse gegenüber einer als reform-bedürftig erkannten Weiterbildungspraxis. Aber auffällig ist doch, mit welcher Ve-hemenz er in den Mittelpunkt der gesamten Weiterbildungsdiskussion rückt. Vordiesem Hintergrund besteht durchaus die Gefahr, dass mit einer Überdehnung derKompetenzsemantik die Diskurse der Erwachsenenpädagogik einer zunehmen-den Engführung unterliegen können. Deshalb erscheint es angebracht, den ge-danklichen Horizont wieder aufzuspannen und für ein differentielles Paradigmaerwachsenenpädagogischer Leitbegriffe und Grundorientierungen zu plädieren.Indem die Termini Bildung, Qualifikation und Lernen neben den Kompetenzbegriffgestellt würden, ließe sich die Rede über Aspekte einer erwachsenenbildungsrele-vanten Modernisierung wieder öffnen.Eine zweite Fragedimension, die das Kompetenz-Thema betrifft, abstrahiert vomkritischen Beobachterstandpunkt und bezieht die Erwachsenenpädagogik in dieAkteursperspektive einer aktiven Professionalisierung ein (vgl. Nittel 2000). Aufdieser Ebene des Handelns in eigener Sache ist die Öffnung gegenüber dem Kom-petenzparadigma ein aktuelles und vorrangiges Thema von Profession und Diszi-plin. Auf dieser zweiten Ebene geht es um die konzeptionelle Ausgestaltung desKompetenzparadigmas für eine zeitgemäße Weiterentwicklung erwachsenenpäd-agogischer Professionalität (vgl. Peters 1999), der man sich angesichts tiefgrei-fender Veränderungen bei den Rahmenbedingungen für Erwachsenenlernen nichtverschließen kann. Denn mit dem Vordringen wissensbasierter Sozialstrukturen,mit der ökonomischen Globalisierung und nicht zuletzt mit der Diffundierung dermultimedialen Technologien eröffnen sich neuartige Wirkungschancen für das le-benslange Lernen und die Weiterbildung. Offensichtlich hebt der Kompetenzbe-griff auf Aspekte gesellschaftlich und persönlich bedeutsamer Lernvorgänge ab,die durch die kognitive Brille bisheriger Begrifflichkeit nicht hinreichend auf denPunkt gebracht werden konnten. Um so dringlicher erscheint die Arbeit an einemweiter greifenden Professionalisierungskonzept, das sich für zeitgemäße Vernet-zungen im Bereich des Erwachsenenlernens und damit für die Entwicklung kom-plexer Lernkulturen öffnet.

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3. Bezüge der Kompetenz-Diskussion

Als erwachsenenpädagogisches Thema ist der Kompetenzbegriff nicht vorausset-zungslos und auch nicht grundsätzlich neu. Eine erste Konjunktur erfährt dieserTerminus in den Erziehungswissenschaften schon während der 1970er Jahre imKontext einer Rezeption des anthropologischen Strukturalismus und seiner sprach-wissenschaftlichen Modellierungen durch Chomsky (vgl. Piaget 1973, S. 77ff.). Zueinem sozialwissenschaftlichen Schlüsselkonzept avancieren „kommunikative Kom-petenz“ (Habermas 1971; vgl. Baake 1996) und „Interaktionskompetenz“ (Haber-mas 1984). Den damaligen Ansätzen ist ein transformationstheoretisches Verständ-nis von Kompetenz gemeinsam. Danach resultiert subjektive Handlungsfähigkeitaus einem dialektischen Wechselspiel von Kompetenz und Performanz, von Tie-fen- und Oberflächenstruktur. Leitend ist die Idee der generativen Kompetenz undder Selbsterzeugung des Subjekts im eigenen Handeln. Das heißt, ein Individuumsucht nicht einfach Wege zur Problemlösung, vielmehr vermag es mit der Wahlund probeweisen Anwendung von Lösungsstrategien sich zugleich Fähigkeitenanzueignen, die es auf weitere Situationen übertragen und konstruktiv weiterent-wickeln kann. Diese theoretische Grundposition wird deutlich im Habermas’schenParadigma der Interaktionskompetenz herausgearbeitet.Habermas interessiert sich vor allem für die Herausbildung universaler Strukturender Handlungsfähigkeit von Subjekten, weshalb eine „entwicklungslogisch ausge-richtete Kompetenztheorie“ (ebd., S. 190) benötigt wird. Das Augenmerk richtetsich auf das Problem einer Ausdifferenzierung unterschiedlicher Kompetenzberei-che, die unter dem einheitsstiftenden Gesichtspunkt der Identitätsentwicklung desSubjekts wieder eingeholt werden müssen. Indem sich die Grundlagen für Hand-lungsfähigkeit und Kompetenzen „in einer zugleich konstruktiven und adaptivenAuseinandersetzung des Subjekts mit seiner Umwelt ausbilden“ (ebd., S. 191),wird auf einen „Selbsterzeugungsprozess“ des Menschen „zum erkenntnis-, sprach-und handlungsfähigen Subjekt“ (ebd., S. 192) abgezielt. Und so bildet das Ich sei-ne Identität heraus, „indem sich die innere Natur auf dem Weg über eine Integrati-on in die stufenweise sich entwickelnden Strukturen des kognitiven, sprachlichenund interaktiven Austauschs mit der Umwelt reflektieren lernt“ (ebd., S. 192f.).Neben dem aufgezeigten grundlagentheoretischen Diskussionsstrang existiert nocheine pädagogische (Handlungs-)Kompetenzdebatte (vgl. Brödel 1988), deren Zen-trum in den frühen 1980er Jahren liegt. Hier werden Fragen der Ausbildung undder Anforderungen an erwachsenenbildnerische Professionalität behandelt (vgl.Dieterich 1983). Dieses professionalisierungstheoretische Thema erfährt momen-tan ein ‚Comeback‘ (vgl. Nieke 2002; Nittel 2000; Peters 1999).Die gegenwärtige Kompetenz-Debatte zum Erwachsenenlernen bleibt allerdingsvom vorgängigen Thematisierungszyklus strukturalistischer und Habermas’scherPrägung mit seinen sozial- und kulturwissenschaftlichen Fundierungsbestrebun-gen weitgehend abgeschnitten, sieht man von vereinzelten Beiträgen ab (vgl. Loch1998; Löwisch 2000, S. 124f.). Dieser Umstand gründet vornehmlich darin, dass

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der nun stattfindende Kompetenz-Diskurs kaum Ausdruck wissenschaftsinternerEntwicklungen ist, sondern vielmehr auf problematisch erfahrene gesellschaftli-che Entwicklungen reagiert (vgl. Arnold 1997). Eine erhebliche Rolle spielen dabeiVeränderungen im Bereich der betrieblichen Weiterbildung, d. h. ihre Entgrenzungin Form einer dezidierten Einbeziehung erfahrungsorientierten Lernens in das ar-beitsplatzbezogene Handeln (vgl. Dehnbostel 2001). Insofern beherrscht die mo-mentane Kompetenzsemantik ein pragmatisches Problemlösungsinteresse.Und so erklärt sich des Weiteren, dass eine zweite maßgebliche Wurzel der jünge-ren Kompetenzdebatte auf pädagogische Erfahrungen in der Bildungsarbeit mitArbeitslosen und Umschülern zurückgeht. Kompetenzorientierung von Weiterbil-dung stellt hier eine angemessene bildnerische Antwort dar, weil es bei Problem-gruppen häufig erst einmal darum gehen muss, durch Lernen Handlungsfähigkeitwieder zu erlangen. Grundlegend ist die Aktualisierung lebensgeschichtlich rück-gebundener, aber häufig verschütteter Kompetenzen in Hinblick auf subjektiv be-deutsame Aufgaben und Tätigkeiten (vgl. Schwänke 1990). Zum Ausgangspunktfür Lernen und Kompetenzentwicklung werden damit die Biographien der Teilneh-mer und „die biographisch bedingte(n) Pluralität individueller Aneignung von Bil-dungsangeboten“ (Kade/Seitter 1998, S. 170). Gegenüber einer strikten berufli-chen Qualifikations- und Arbeitsmarktorientierung eröffnet sich nunmehr die Chance,dass das didaktische Rahmenkonzept von den Synchronisationsproblemen zwi-schen Bildungs- und Beschäftigungssystem abstrahieren kann; die Teilnehmen-den können sich mit ihrer ganzen Person in einen „zieloffenen“ Lernprozess ein-bringen (vgl. Schäffter 2002, S. 58). Angesichts der Erfahrung eines ‚jobless growth‘sind die didaktischen Antizipationsrisiken einer allein auf berufliche Verwertungs-situationen im ersten Arbeitsmarkt abzielenden Erwerbslosenbildung enorm hoch;sie belasten das berufsethische Selbstverständnis von Weiterbildungspädagogen,denn gelernt wird nicht mehr bloß für einen verwertungsunsicheren ersten Arbeits-markt, sondern auch für weniger ferne Handlungsfelder im sozialen Umfeld (vgl.Trier u. a. 2001). Dies ist eine erweiterte, um so angesagtere Perspektive, die einanthropologisch begründetes Bedürfnis des Menschen nach Kompetenzerfahrungaufnimmt (vgl. Loch 1998). Das bedeutet, im Kontext von beruflicher Weiterbil-dung wird nun auch anerkannt, wenn die Weiterentwicklung von Fähigkeiten inHandlungskontexten außerhalb des Beschäftigungssystems erfolgt, insofern sichhier Gelegenheitsstrukturen für Kompetenzentwicklung und Identitätswahrung er-öffnen.Nunmehr entschärfen sich nicht bloß die didaktischen Legitimations- und Verwer-tungsprobleme einer häufig noch als bloß arbeitserzieherisch angelegten Weiter-bildung. Darüber hinaus wird mit der Rehabilitierung von Orten gesellschaftlichund individuell nützlichen Handelns, die sich als Verwertungs- und Reproduktions-kontext eines auch für die ökonomische Wertschöpfung bedeutsamen Lernens er-weisen, der Weg argumentativ frei für einen Kompetenztransfer aus unterschiedli-chen Lebens- und Tätigkeitsbereichen: Erwerbsarbeit, Familien- und Eigenarbeitoder bürgerschaftliches Engagement sind über flüssiger werdende Biographien

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durch Kompetenzkreisläufe einander verbunden (vgl. Epping/Klein/Reutter 2001,S. 95ff.).An dem letzten Diskussionspunkt ergeben sich interessanterweise Berührungs-punkte zu bildungsreformerischen Überlegungen, wie sie etwa Dokumenten derEuropäischen Union oder auch des Sachverständigenrats Bildung der Hans-Böck-ler-Stiftung zugrunde liegen (vgl. Bjonavold 2001). Generell bleibt hierzu festzu-stellen, dass bildungsreformerische Bestrebungen eine nicht unmaßgebliche Quellefür die Stärkung des Kompetenzparadigmas ausmachen. Zum einen fußen sie aufder Kritik an einem expandierten Bildungssystem, welches ausgeartet sei zu einerNebenwelt, „die allergrößte Schwierigkeiten hat, ihr Verhältnis zum so genanntenwirklichen Leben zu definieren“ (Lenzen 2001). Zum anderen werden internationa-le Erfahrungen unter dem Aspekt des Benchmarking als innovativer Sauerteig fürdie nationale Bildung herangezogen. Solcherart bildungsreformerischer Drive kommtjüngst etwa beim „Forum Bildung“ in der Formel „Kompetenzansatz statt Wissens-kanon“ zum Ausdruck. Hier wird auch deutlich, dass Kompetenzentwicklung nichtals ein isoliertes Modernisierungskonzept der Weiterbildung und des lebenslan-gen Lernens zu verstehen ist (vgl. Erpenbeck/Weinberg 1999). Seine Durchset-zung als ein tragendes Prinzip erscheint nur dann aussichtsreich, wenn es gleich-zeitig in eine umfassende Reformkonzeption eingebunden ist. Die Diskussionenüber neue Lernkulturen, selbstgesteuertes Lernen, „informelles Lernen“ (Dohmen2001) oder Bildungsgutscheine lassen sich als solche Beiträge interpretieren.

4. Grenzen des Kompetenzparadigmas

Der Kompetenzansatz stellt keine problemlose Innovationsstrategie für Lernen imErwachsenenbereich dar. So bedeutet eine Barriere, dass erhebliche „kulturelleMindeststandards“ an Fähigkeit zum eigenständigen Lernen, zur Selbstmotivie-rung und Selbstorganisation vorausgesetzt werden. Es besteht die Gefahr, dassgrößere Bevölkerungsgruppen die „Eingangsvoraussetzungen“ des Kompetenz-paradigmas nicht erreichen, d. h., sie können mangels gegebener Grundqualifika-tionen zum eigenständigen Lernen dem Anspruch einer wissens- und könnensba-sierten Selbstsozialisation nicht entsprechen. Hier dürfte eine Ursache für die He-rausbildung (wissens-)gesellschaftlicher Problemgruppen liegen, es sei denn, dassunterstützende Strukturen an pädagogischer Professionalität entwickelt werdenkönnen (vgl. Harke 2001).Darüber hinaus muss gesehen werden, dass die Kompetenzsemantik ein ebenfallserhebliches Maß an kognitiver und emotiver Veränderbarkeit im Erwachsenenle-ben schlechthin unterstellt. Ein noch unzureichend geklärtes Problem besteht aberdarin, wie weit der gerade in der Kompetenzdebatte herausgestellte ganzheitlicheBezug in Hinblick auf Persönlichkeitsentwicklung reicht (vgl. Erpenbeck/Weinberg1999) und inwieweit vor allem die Dimension des Emotionalen noch Plastizität auf-weist (vgl. Brim/Wheeler 1974; Siebert 2001, S. 44f.).

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Eine weitere Nachfrage setzt bei der ureigenen Stärke des Kompetenzbegriffs da-hingehend an, dass die Entwicklung eines subjektiven Potenzials durch das Han-deln in situativen Herausforderungen erfolgt. Hier ergibt sich die Problematik einereinseitigen oder suboptimalen Kompetenzentwicklung, weil davon ausgegangenwerden muss, dass das Variantenspektrum von situativen Herausforderungen mi-lieuspezifisch und arbeitsplatzbedingt variiert und deshalb restriktiv wirken kann(vgl. Corsten 1998, S. 36).Angesichts der aufgezeigten Probleme wird deutlich, dass mit der Durchsetzungdes Kompetenzparadigmas als Leitfigur von Bildungsmodernisierung erheblicheLernrestriktionen und dem „Lebenskreis“ (W. Flitner) verhaftete Engführungen ver-bunden sein können. Wer also für eine Kompetenzorientierung plädiert und darindie alleinige Strategie pädagogisch bedeutsamer Transformation sehen will, nimmtin Kauf, dass die regulative Idee einer allseitigen und ganzheitlichen Bildung verlo-ren ginge. Indem der Erwerb und die Fortentwicklung von Kompetenzen in Hand-lungssituationen mit unterschiedlichen Chancenstrukturen an Lernhaltigkeit ein-gebunden sind, geraten Blickbeschränkung und Einseitigkeit beim lebenslangenLernen zu einer ungewollten, gleichwohl problematischen Nebenwirkung.Gegenüber den aufgezeigten Risiken einer funktionalen Lern-Sozialisation (vgl.Baethge 1970) spricht für den Kompetenzbegriff allerdings die Pragmatik seinerBewältigung in Bezug auf die Anforderungen einer steigenden Komplexität in denLebensformen der Wissensgesellschaft. Zu einer Modernisierungs- und Reform-strategie Kompetenzorientierung gibt es kaum eine Alternative, wenn man berück-sichtigt, dass die Individuen eine hoch zu veranschlagende generelle „situativeElastizität“ (Thurn 2001, S. 194), „wandlungsgerechte kulturelle Kompetenz“ (ebd.,S. 313) und neben der beruflichen Qualifikation auch noch eine „zusätzliche tech-nokulturelle Kompetenz“ (ebd., S. 24) besitzen müssen. Dafür benötigt man einWissen, das neben fachlicher Kenntnis gerade durch Anwendungserfahrung ge-prägt ist (vgl. Hörning 2001, S. 15ff., 225ff.). Dieses Charakteristikum gilt ebensofür in Prozessen selbstorganisierten Lernens neu erworbene Kompetenzen“ (Kade2001, S. 196). Der Terminus Kompetenz steht insgesamt dafür, dass das rein the-oretische Wissen relativiert wird, indem Handlungsfähigkeit und Situationsbezugals Kriterium der Aktualisierung von Wissen gelten. Die Kompetenzperspektive ori-entiert damit auf eine andere Wissensform als das rein wissenschaftlich analyti-sche Wissen. Es bringt den Typus eines praktischen Wissens zur Geltung, wel-cher – rückblickend auf die Weimarer Volksbildungsreflexion – eine gewisse Nähezum Begriff „Kunde“ aufweisen dürfte.

5. Bildungsbegriff als reflexives Korrektiv

Bildungsbegriff und Kompetenz unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht. Sie sindin unterschiedliche Referenzsysteme und Begriffsarchitekturen eingebunden. Bil-dung nimmt eine anthropologische Ausgangsproblematik auf, und zwar die Not-

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wendigkeit des Selbstentwurfs des Menschen, wobei dieser eines inhaltlichen Be-zugspunkts außerhalb des Individuums bedarf. So differenziert der Bildungsbegriffzwischen Ich-Bezug und Weltbezug grundlegend. Er vermittelt zwischen der „Ein-heit der Individuums auf der einen, (der, R.B.) Totalität der Welt auf der anderenSeite“ (Poser 1988, S. 26). Bildung stellt eine „Klammer zwischen Welt und Ich“(Siebert 2001, S. 57) her. Der Prozess der Welterfassung und -strukturierung fin-det in diesem Spannungsbogen statt. Selbst ein subjektorientierter Bildungsbegriffist nicht isolationistisch angelegt, vielmehr nimmt er die gerade bei Humboldt zufindende Grundfigur zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen „dem Individuumund der Welt“ (Wulf 2001, S. 31) auf.Ein weiterer Unterschied gegenüber dem Kompetenzbegriff ist, dass Bildung inspezifischer Weise auf den Kulturbegriff abhebt. Folgt man hier etwa Herman Nohloder auch später Adorno, dann ist Bildung die subjektive Seinsweise von Kultur.Bildung benennt ein Aneignungsverhältnis gegenüber einer komplexen Traditionund Gegenwart, die es zu einer Lebensform zu integrieren gilt. Mit der heutigenAusweitung des Kulturbegriffs auf im Wesentlichen alle Gesellschaftsbereiche, diebereits Max Weber aufzeigt, lockert sich allerdings der Zusammenhang zur Tra-dierung kultureller Errungenschaft durch individuelle Bildungsprozesse. Gleichwohlhebt sich Bildung gegenüber Kompetenz durch ihre übergreifende Funktion einerOrientierungsstiftung und Fokussierung auf eine paradigmatische Lebensführungab (vgl. Strzelewicz 1973). Der Kompetenzbegriff hingegen reflektiert nicht denkollektiven, gesellschaftstheoretischen Zusammenhang, wie er noch im Bildungs-begriff aufgehoben ist. Während der Bildungsbegriff eine sowohl mikro- als auchmakrogesellschaftliche Dimension beinhaltet, stellt der Kompetenzbegriff vornehm-lich auf das Individuum ab. Zugleich wird das Individuum unter dem Aspekt vonHandlungsfähigkeit und Handlungsvermögen auf bestimmte Praxisfelder relatio-niert. Beim Kompetenzbegriff ist der Zugriff auf die Bewältigung von Lebenspro-blemen wesentlich funktionaler und auch eingeengter als beim Bildungsbegriff,wenngleich nicht zu verkennen ist, dass der Bildungsbegriff vielfältig ist und vondaher eine enorme Unschärfe enthält (vgl. Wittpoth 2001).

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Rudolf Tippelt

Qualifizierungsoffensive oder Bildungsziele?

Zur Spannung von „allgemeiner Bildung“, „spezialisierender Qualifizierung“,

„Schlüsselqualifikationen“ und „Lernkompetenz“

Das Verhältnis von allgemeiner Bildung und spezialisierender Qualifizierung ist tra-ditionell ein komplexes Weiterbildungs- und Berufsausbildungsproblem, und nor-mative Forderungen nach Integration von beruflicher Qualifizierung und allgemei-nem Lernen, allgemeiner Bildung und fachlich-spezialisierender Qualifizierunghaben eine lange Tradition (vgl. Dauenhauer/Kluge 1977). Die neueren Perspekti-ven zur Begründung von „Schlüsselqualifikationen“ und das davon wiederum un-terscheidbare Konzept der Vermittlung von „Lernkompetenz“ erweitern das Pro-blemfeld erheblich.

1. Allgemeine Bildung oder spezialisierende Qualifizierung

Zwar bemühten sich pädagogische Denker wie Friedrich Paulsen, Georg Kerschen-steiner, Aloys Fischer, Herwig Blankertz u. a. mit guten pädagogischen Argumen-ten um eine Versöhnung von Allgemeinbildung und Berufsbildung, dies hat allerdingsan der Realität des Images von Bildung einerseits, von Qualifizierung andererseitszunächst nichts geändert (vgl. Münch 1977, S. 55). Allgemeine Bildung wurde bisvor kurzem als Negation zu „nützlicher Qualifizierung“ oder „fachlicher Zweckbil-dung“ verstanden.Und es gibt zwischen beiden Konzepten tatsächlich gravierende Unterschiede: Fürallgemeine Bildung und den klassischen Bildungsbegriff ist ein Persönlichkeitside-al grundlegend, bei Qualifizierung und fachlichem Training dagegen geht es umdie Vermittlung von Qualifikationen, die von den Arbeitenden zur Erfüllung bestimm-ter Funktionen im Arbeitsprozess erwartet werden. Das fachliche Training sichertalso die subjektive Leistungsvoraussetzung (das Arbeitsvermögen) für äußerliche(industrielle, kaufmännische, handwerkliche), sich stetig wandelnde Arbeitsprozesse(vgl. Boehm 1974, S. 25).Zunächst geriet fachliche Qualifizierung in Misskredit, und Pädagogen wie Sozial-wissenschaftler äußerten in den 1960er und in den 1970er Jahren die Sorge, dass„allgemeine Bildung“ nicht mehr als Aufgabenfeld der Bildungsinstitutionen ange-sehen wird. Diese Sorge galt nicht in erster Linie den Berufsbildungsinstitutionen,sondern den allgemeinbildenden Schulen, den Hochschulen und auch schon derWeiterbildung, die abseits der Ideale ihrer Gründer zu Institutionen unmittelbarspezialisierter Berufsqualifizierung und Tätigkeitsvorbereitung geworden seien (vgl.von Hentig 1970; Mollenhauer 1973; Habermas 1970). Eine zweckfreie allgemei-

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ne Bildung gibt es heute in der Tat nicht mehr, und selbst die Hochschulen sind –auch wenn manche dies noch viel weiter treiben möchten – zu professionsorien-tierten, spezialisierenden Qualifizierungseinrichtungen geworden.Für die berufliche Bildung und Weiterbildung wiederum wurden anspruchsvolle Zieleformuliert. So seien zwei grundlegende Aspekte auseinander zu halten: Einerseitssoll Arbeitsvermögen, verstanden als die Gesamtheit der subjektiv-individuellenFähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten, die es dem Einzelnen erlauben, einebestimmte Arbeitsfunktion zu erfüllen, ausgebildet werden. Andererseits umfassenberufliche Bildungs- und Weiterbildungsprozesse auch die Förderung autonomerPersönlichkeiten, die ihre Bedürfnisse artikulieren und ihre Interessen durchset-zen können und kognitiv in der Lage sind, schrittweise die Regeln, nach denen die– soziale und psychische, natürliche und geschichtliche – Wirklichkeit sich konsti-tuiert, zu erfassen. Interessanterweise werden heute in den Konzepten des le-benslangen Lernens beide Bereiche – also Bildung und Qualifizierung – analysiertund auch propagiert (vgl. Achtenhagen/Lempert 2000).Die Begriffe Qualifikation und Qualifizierung deuten begriffsgeschichtlich eine rea-listische Wendung in der Bildungstheorie an, und dies wirkte sich in der Bildungs-politik und in der Curriculumentwicklung in einer verstärkten Orientierung am öko-nomischen und gesellschaftlichen Qualifikationsbedarf aus (vgl. Baethge 1974).Der Begriff Bildung dagegen ist der auch heute am häufigsten benutzte Begriff inder deutschsprachigen Pädagogik – und zwar in seiner Mitte des 18. Jahrhundertsdurch die Pädagogik der Aufklärung gewonnenen Bedeutung. Bildung gilt hierbeials „Befreiung des Menschen zu sich selbst, zu Urteil und Kritik“ (Blankertz 1974,S. 68) und ist gegen eine unreflektierte Anpassung an vorgegebene berufliche undsoziale Situationen gerichtet. Dieses kritische Moment im ursprünglich neuhuma-nistischen Ansatz unterscheidet also zwischen „allgemeiner Bildung“ (Freiheit zuUrteil und Kritik) und „fachlicher Qualifizierung“ (Vorbereitung und Anpassung andie arbeitsorganisatorischen und technischen Voraussetzungen).Das Grundkonzept der neuhumanistischen Bildungstheorie, das von Humboldtbeschriebene „Sich-selbst-hervorbringen unter höchster Norm: Individualität alsWerk meiner Selbst“ – also eine personalistische Konzentration der Bildung in undauf den Menschen – wurde historisch auch in den Entwürfen der kritischen Berufs-erziehung vertreten, wobei sich diese Konzepte auch auf die Weiterbildung aus-dehnten. Positiv besetzte Begriffe wie „kommunikative Kompetenz“ (Geißler 1974),„kommunikatives Handeln und Handlungskompetenz“ (Leu 1978), „berufliche Au-tonomie“ (Lempert 1971) forderten auch von Qualifizierungsprozessen, dass Indi-viduen in die Lage versetzt werden sollen, Normen und betriebliche Anforderun-gen zu reflektieren und sich notfalls auch zu distanzieren, „um in kommunikativemHandeln einen ‘vernünftigen’ Ausgleich von Erwartungen und Bedürfnissen derBeteiligten zwanglos herbeizuführen und damit die situativen Gegebenheiten zutranszendieren“ (Leu 1978, S. 23).Diese Ziele, wie beispielsweise „kommunikative Kompetenzen“, werden heute –und dies ist hervorzuheben – nicht normativ, sondern unter Hinweis auf reale Tä-

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tigkeitsanforderungen gerechtfertigt: Aufgrund der differenzierten und auch ent-hierarchisierten Funktionen und Positionen im Arbeitsprozess, wegen der wach-senden Teamarbeit, müssen die Tätigkeiten der Individuen und Gruppen ineinandergreifen, wenn die geteilte Arbeit erfolgreich und effektiv sein soll. Einzelne Spezia-listen und spezialisierte Abteilungen in und zwischen Betrieben müssen im Rah-men gemeinsamer Wert-, Ziel- und Normvorstellungen kommunizieren und ko-operieren, wenn sie ihre Teilleistungen nicht nur schnell vollbringen, sondern auchreibungslos zum Endprodukt oder zur komplexen Dienstleistung zusammenfügenwollen. Ein für effektives Arbeiten notwendiges Wissensmanagement ist auf Kom-munikation von Wissen verwiesen (vgl. Reinmann-Rothmeir/Mandl/Erlach 1999).Berufliche Weiterbildung habe sich aus diesen Gründen nicht nur auf die techni-sche Ertüchtigung der Lernenden zu beschränken, sondern sie habe auch derenkommunikative Kompetenz und Kooperationsfähigkeit zu entwickeln. Alt ist auchder industriesoziologische Befund, dass sich Berufsinhalte rasch wandeln und vie-le Individuen ihren Beruf wechseln müssen, dass Arbeitende lernen müssen, sichveränderten Arbeitsverhältnissen anzupassen und selbst solche Veränderungspro-zesse aktiv mitzugestalten (vgl. Fricke 1975). Aus solchen funktionalen Forderun-gen an das subjektive Arbeitsvermögen wurden – im Zusammenhang von Schlüs-selqualifikationen interessant – weitere Anforderungen an die berufliche Aus- undWeiterbildung abgeleitet:Das Umstellungsvermögen und das Innovationspotenzial der Arbeitenden beruheweniger auf dem Erwerb von Einzelfertigkeiten und Detailkenntnissen als auf derEntwicklung ihrer Persönlichkeitsstruktur, ihrer Motivation und ihrer kognitiven Fä-higkeiten. Das innovatorische Handlungspotenzial fußt besonders auf der Entfal-tung sozialer Orientierungen (das gilt mehr für Inhaber untergeordneter Positio-nen) und persönlicher Autonomie (das gilt mehr für Inhaber gehobener Positio-nen) sowie auf dem Begreifen der Regeln, denen die Entwicklung der Arbeitsver-hältnisse gehorcht. „Innovation bedeutet nicht zuletzt“ – so bereits Lempert im Jahr1974 (S. 55) – „den Abbau übermäßiger Spezialisierung und überflüssiger Autori-tät“.In der Folge wurden Konzepte zur Integration von allgemeiner und beruflicher Aus-und Weiterbildung entwickelt.

2. Schlüsselqualifikationen: Allgemeine Bildung und fachliche Qualifizierung

Bereits der Deutsche Bildungsrat formuliert im Strukturplan 1970 eine Konzeptionzur Integration von allgemeiner, beruflicher und damals auch politischer Bildung.Der Einzelne solle über seine spezialisierte Tätigkeit in der Berufswelt hinaus überallgemeine Fähigkeiten verfügen, die zur Erkenntnis von Zusammenhängen, zuselbstständigem Handeln, zu Kooperation und Verantwortung führen sollen (vgl.Deutscher Bildungsrat 1970, S. 35). In Bezug auf die Lehrzielproblematik wird fürdas Individuum ein ausgewogenes Verhältnis von fachlichen und nichtfachlichen,

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allgemeinen Lernzielen gefordert: problemlösendes Denken, selbstständiges undkritisches Denken, intellektuelle Beweglichkeit, kulturelle Aufgeschlossenheit, Aus-dauer, Leistungsfreude, Sachlichkeit, Kooperationsfähigkeit, soziale Sensibilität,Verantwortungsbewusstsein und Fähigkeit zur Selbstverantwortung (vgl. ebd., S.83f.).An diesen Diskussionsstrang – der gegenwärtig im Anschluss an die schlechtenLeistungsdiagnosen von PISA und TIMSS auflebt – knüpfte in den 1970er Jahrendas Konzept der Schlüsselqualifikationen an. Eine der Hauptthesen zur Program-matik der Schlüsselqualifikationen ist, dass sie aufgrund des technischen und so-zialen Wandels die bisher vorherrschenden fachbezogenen Lerninhalte und Lern-ziele der beruflichen Aus- und Weiterbildung in ihrer Bedeutung erheblich vermin-dern. Erforderlich sei eine Neuakzentuierung der Lernprozesse und Lerninhalte inschulischer und beruflicher Berufs- und Weiterbildung (vgl. Reetz 1989, S. 3; Kai-ser 1992; Faulstich 1991, S. 193f.; Bunk u. a. 1991, S. 365f.).Insbesondere Mertens hat in seinem grundlegenden Plädoyer für ein Konzept vonSchlüsselqualifikationen argumentiert, dass die Bildungsforschung kaum auf ver-lässliche Befunde der Qualifikationsforschung sowie der Arbeitsmarkt- und Berufs-forschung zurückgreifen könne, da die auf dieser Forschung aufbauende Prog-nostik mit erheblichen Mängeln behaftet sei (vgl. Mertens 1974, S. 39; im Rück-blick Mertens 1988, S. 33f.). Die Zerfallszeit und das Tempo des Veralterns vonBildungsinhalten steigen positiv mit der Praxisnähe und negativ mit ihrem Abstrakt-ionsniveau. Daher plädierte Mertens für solche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fer-tigkeiten, die nicht unmittelbar einen begrenzten Bezug zu bestimmten disparatenpraktischen Tätigkeiten erbringen, „sondern sich für eine große Zahl von Positio-nen und Funktionen zum gleichen Zeitpunkt und für die Bewältigung einer Se-quenz von meist unvorhersehbaren Änderungen von Anforderungen im Laufe desLebens eignen“ (Mertens 1974, S. 39f.).In der dann folgenden pädagogischen Diskussion um Schlüsselqualifikationen wirdnicht mehr die mangelnde Prognostizierbarkeit betont, sondern entweder werdenSchlüsselqualifikationen durch Befunde der Qualifikations- und Berufsforschunglegitimiert oder es werden persönlichkeits- und bildungstheoretische Argumentezur Begründung von Schlüsselqualifikationen herangezogen (vgl. Kaiser 1992).Der Bezug auf die Qualifikations- und Berufsforschung geht von Veränderungenund Entwicklungen im Beschäftigungssystem aus. Neue Ausbildungs- und Weiter-bildungskonzepte nach dem Konzept von Schlüsselqualifikationen seien notwen-dig, weil die Entwicklungsdynamik von den stark arbeitsteiligen tayloristischen hinzu den mehr funktionsintegrativen und ganzheitlichen Formen betrieblicher Arbeitgehe. Im gewerblichen Bereich führen beispielsweise veränderte Produktionskon-zepte zur Veränderung der qualitativen Bedeutung menschlicher Arbeitsleistung.Es wird von einem neuen Typus des Produktionsfacharbeiters ausgegangen. Ent-sprechende Ansätze, die zur Begründung und Legitimation von Schlüsselqualifi-kationen aus der Perspektive des Arbeitsmarktes und der beruflich-betrieblichenAnforderungen herangezogen werden, sind derzeit vorherrschend. Begründungen

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für Schlüsselqualifikationen, in denen aus der Perspektive des Individuums undseiner Bildungsansprüche argumentiert wird – z. B. bei Reetz (1989) –, spielendagegen eine eher untergeordnete Rolle. Im Gegensatz zur BildungsdiskussionAnfang der 1970er Jahre, die den Bildungsanspruch jedes Individuums zum ent-scheidenden Argument machte, werden Schlüsselqualifikationen eher als betrieb-lich-funktionale Notwendigkeit der Qualifizierung behandelt. Die Korrespondenzmit dem veränderten Niveau technischer und arbeitsorganisatorischer Anforderun-gen ist auch der Grund dafür, dass sich das Konzept der Schlüsselqualifikationen– im Unterschied zu den Konzepten der emanzipatorischen Berufspädagogik –allgemeiner Zustimmung erfreut. Warnungen, die Anforderungen des Beschäfti-gungssystems ohne Vermittlung über ein Bildungs- bzw. Persönlichkeitskonzeptzu Aufgaben des Bildungssystems zu machen (vgl. bereits Brater 1983, S. 37),scheinen überholt. Denn bei den Bemühungen, berufliche Aus- und Weiterbildungaus einer interessenbezogenen Verengung zu lösen und fachliche mit allgemei-nen Lernzielen zu verbinden, blase Rückenwind unmittelbar aus der Produktion.Berufsübergreifende Qualifikationen können immer nur an konkreten berufsspezi-fischen Inhalten gefördert werden. Weiterhin können Schlüsselqualifikationen nichtisoliert erlernt werden, wie z. B. Einzelkenntnisse und Fertigkeiten, sondern nur inkomplexen, ganzheitlichen Situationen. Schlüsselqualifikationen entspringen so-mit in der Regel der Lösung von Problemsituationen.In der Folge einer solchen Argumentation müssen die Eigenaktivitäten der Ler-nenden durch einen neuen Methodenkanon im Kontext lebenslangen Lernensbereits in der Primär- und Sekundärausbildung gefördert werden. Da Schlüssel-qualifikationen nicht im eigentlichen Sinne direkt vermittelt werden können, gehtes darum, Situationen zu schaffen, in denen ihre Förderung möglich ist. Selbst-ständigkeit bei der Arbeitsplanung, -durchführung und -kontrolle hängt davon ab,ob und in welchem Umfang Ausbilder, Lehrer oder Dozenten bereit sind, den Ler-nenden Handlungs- und Entscheidungsfreiräume anzubieten, die eigenverantwort-liches Handeln ermöglichen. Damit verändert sich entschieden das Verhältnis zwi-schen Lehrenden und Lernenden dahin, dass die Dominanz des Ausbilders oderLehrers schrittweise zurücktritt und dafür, ganz im Sinne einer, wie es pädago-gisch-historisch heißt, „negativen Erziehung“ (Rousseau) die Eigenverantwortlich-keit der Lernenden in pädagogisch arrangierten Situationen gefordert ist.Eine solche Akzentuierung des Lehr-/Lernverhältnisses weist auf die Persönlich-keitsbildung in der Bildungsprozessen hin. Bildungserfordernisse werden nunmehrnicht mehr durchgängig anforderungsorientiert bestimmt, sondern Bildungserwar-tungen, Lernvoraussetzungen und die Eigenleistung der Lernenden finden Berück-sichtigung bei neuen Ausbildungskonzepten. Dies ist zweifelsohne als Fortschrittzu bewerten.Unter den Qualifikationen, auch im Kontext von Schlüsselqualifikationen, ist dasübergreifende Ziel „Problemlösefähigkeit“ hervorzuheben. Die Strukturen von Aus-und Weiterbildungsprozessen sind daher daraufhin zu prüfen, wie die Problemlö-sefähigkeit der Lernenden entwickelt und verbessert werden kann (vgl. DFG Se-

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natskommission 1990, S. 71). Es kommt darauf an, nicht immer wieder neue Lehr-und Lernmethoden lediglich zu benennen und in die Debatte zu bringen, sonderndie vorhandenen Methoden empirisch auf ihre besondere Wirksamkeit zu befra-gen.Allerdings bleiben selbst bei fortgeschrittenen Konzepten zu Schlüsselqualifikatio-nen, die allgemeine Bildung und fachlich-spezialisierte Qualifizierung versöhnenwollen, einige praktische und theoretische Probleme offen.

3. Probleme der Konzepte zu Schlüsselqualifikationen

3.1 Vernachlässigung der Anforderungen in nicht-innovativen Branchen und

Betrieben

Einen auch realen Bedeutungszuwachs haben Schlüsselqualifikationen dort er-fahren, wo durch die Minderung tayloristischer Arbeitsteilung eine „Reprofessiona-lisierung der Arbeit“ möglich wurde. Beispielsweise sollte in der Automobilbranchedie Steigerung von Arbeits-, Produkt- und Prozessqualität nicht mehr in erster Li-nie durch technische Konzepte erreicht werden, sondern durch die Einführung vonGruppenarbeit in der Produktion (vgl. Ramge 1993, S. 29). Im Zuge solcher Orga-nisationsveränderungen ergänzten methodische und soziale Qualifikationen(Schlüsselqualifikationen) die rein fachlichen Qualifikationen. Das betriebliche In-teresse an partizipativen Arbeitsformen besteht in der größeren Flexibilisierungdes Personaleinsatzes. Die Gruppenarbeit trägt zum Abbau der formalen und star-ren Arbeitsteilung bei und führt zu einer Erweiterung von Handlungsspielräumen,die ökonomisch aber nur dann effektiv sind, wenn gruppenintern ein relativ homo-genes Qualifikationsprofil vorhanden ist und der Arbeitsgruppe Spielräume zurSelbstregulierung der Arbeitstätigkeiten eingeräumt werden. Die Stärkung vonSchlüsselqualifikationen vollzieht sich also innerhalb eines organisatorischen Um-feldes, das die „human resources“ kontinuierlich an der Organisations- und Pro-duktionsentwicklung beteiligt.Der Dialog von industriesoziologischer, arbeitswissenschaftlicher und erziehungs-wissenschaftlicher Forschung ist daher notwendig, um die Möglichkeiten innovati-ver Aus- und Weiterbildung zu präzisieren. Die pauschale Annahme, dass Schlüs-selqualifikationen in allen Arbeits- und Produktionsbereichen gefördert werden, istunzutreffend.

3.2 Vernachlässigung fachlich spezialisierenden Trainings

Eine andere Einschränkung und Begrenzung des Konzepts der Schlüsselqualifi-kationen ist durch die Vernachlässigung der sinnlichen Erfahrung und des manuel-len Geschicks von Facharbeitern gegeben. Das, wie es Fritz Böhle (1988) aus-

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drückt, „intime Verhältnis des Facharbeiters zu seiner konventionellen Maschine“prägt noch immer die Arbeit in vielen Werkstätten nicht nur des Maschinenbaus.Zweifelsohne ist im Zusammenhang mit CNC-gesteuerten Maschinen, der Zwi-schenschaltung der Informatik, eine Steigerung der Anforderungen an theoretischeKenntnisse (insbesondere Programmierkenntnisse) und der Planungsfähigkeitengegeben, und ein künftiges Problem wird sein, wie man theoretisches und nun indiesem Sinne allgemeines Wissen mit dem für Facharbeiter typischen praktischenErfahrungswissen verbindet. Das Erfahrungswissen von Facharbeitern, ihre sen-somotorische Geschicklichkeit, ist in Gefahr, real entwertet zu werden, obwohl wirwissen (vgl. Böhle 1988), dass ohne eine „Beziehung zur Maschine und zum Werk-zeug“ Arbeitsaufgaben in vielen gewerblichen Bereichen nicht die geforderte Qua-lität erreichen können.Es wäre fatal, wenn die Diskussion um Schlüsselqualifikationen den Blick dafürverstellt, dass auch die Steuerung komplexer Maschinen heute auf trainierten,teilweise hochspezialisierten Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeiten beruht, wiesie die alten Facharbeiterqualifikationen prägen.

3.3 Qualifikationen, Schlüsselprobleme und moderne Bildung

Die Grenzen des Konzeptes der Schlüsselqualifikationen werden auch deutlich,wenn man sich ein modernes Konzept allgemeiner Bildung vergegenwärtigt, wiees beispielsweise Klafki vertritt. Bildung zielt hier auf den Menschen als erkennen-des, ethisch und politisch entscheidendes und handelndes, emotional empfinden-des und wertendes, zwischenmenschliche Beziehungen vollziehendes, ästhetischwahrnehmendes und gestaltendes, nicht zuletzt auch als produktiv arbeitendesund seine Welt handwerklich-technisch veränderndes Wesen (vgl. Klafki 1985, S.18).Dieses Konzept geht davon aus, dass neben fachlichen Lerninhalten epochaleSchlüsselprobleme behandelt werden müssen. Zu solchen epochalen Schlüssel-problemen sind beispielsweise die Umweltproblematik, die Friedensfrage, dasNationalitätsprinzip und der Umgang mit dem und den Fremden, die Bevölkerungs-problematik, die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft sowie Chancen und Risi-ken der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zu rechnen. Allge-meine Bildung zielt auf die Selbstbestimmungs- und Mitbestimmungsfähigkeit desEinzelnen und wird als Solidaritätsfähigkeit verstanden.In der beruflichen Erstausbildung und vor allem in der beruflichen Weiterbildungverdienen neben den immer und unbedingt notwendigen fachlich-spezifischen In-halten neue Themenfelder hohe Aufmerksamkeit, wie Erkennen von Unternehmens-zielen und Marktmechanismen, Durchschauen der Arbeitsorganisation und derProduktionsprogramme, Kenntnisse der Materialdisposition und der Produktpoli-tik, Planungsvermögen im Bereich der Logistik, des Zeitmanagements und derKostenkalkulation. Wenn berufliche Bildung und insbesondere Weiterbildung zur

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Transparenz von entsprechenden Informationen beitragen soll und durch Teamar-beit wichtige Kommunikations- und Interaktionsfähigkeiten innerhalb einer Arbeits-gruppe und mit anderen Hierarchieebenen „qualifikatorisch“ absichert, trägt sie zurallgemeinen Bildung im von Klafki definierten Sinne erheblich bei. Dabei könnteeine Dezentralisierung von Weiterbildung bewirken, dass durch Verlagerung vonWeiterbildungsaktivitäten in die Werkstatt, also durch ein Herauslösen aus einemangebotsorientierten Kurssystem, die Selbststeuerungsfähigkeit und Selbstorga-nisationsfähigkeit der Arbeitnehmer auch unterhalb der Meisterebene gefördert wird.

4. Qualifizierung, Bildungsziele und Lernkompetenzen

Die Diskussion über die Umsetzung von Schlüsselqualifikationen hat sich in denletzten Jahren erheblich intensiviert. Jedoch fehlen noch immer empirische Wir-kungsanalysen, die die verschiedenen Kataloge der Schlüsselqualifikationen aufihre Transferfähigkeit überprüfen. Klar aber ist, dass die Förderung von Schlüssel-qualifikationen an konkrete berufs- oder fachspezifische Inhalte gebunden und durchdie Vermittlung jeweils besonderer Elementarqualifikationen und spezifischer Ein-zelkenntnisse und -fertigkeiten zu ergänzen ist.Wesentliche Schubkraft wird die Debatte um Schlüsselqualifikationen auch künftigdurch die bestehenden Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt erhalten. Die Flexibili-tät der Arbeitnehmer und die Anpassungsmechanismen am Arbeitsmarkt sind nochnicht so elastisch, wie dies die Idee der polyvalenten, vielseitig einsetzbaren Pro-blemlösungsfähigkeit nahe legt. Folge sind mehrfache Umschulungen vieler Ar-beitnehmer und hohe und lang dauernde Arbeitslosigkeit (vgl. Mertens 1988, S.44).Schlüsselqualifikationen sind aber nicht nur als ein Anpassungsinstrument zu ver-stehen, das Ungleichgewichte des Bildungs- und Beschäftigungssystems aus-gleicht. „Sie sind vor allem auch die qualifikatorische Grundvoraussetzung für dieaktive Gestaltung unserer Welt“ (ebd.). Insofern ist die Vermittlung von Schlüssel-qualifikationen eng mit „kompetenzbasiertem Lernen“ verbunden.Kompetenzbasiertes Lernen ist im Kontext von Qualifizierungsoffensiven als einstrategischer Faktor der Unternehmenspolitik anzusehen, damit Betriebe komple-xe Modernisierungsstrategien realisieren können. Die systematische Förderungder Innovationsfähigkeit der Beschäftigten soll zur Flexibilisierung der innerbetrieb-lichen organisatorischen Strukturen beitragen. Die Mitarbeiter sollen über fachli-che, methodische, soziale und personale Kompetenzen verfügen, damit sich dieUnternehmen auf globalisierten Märkten gegenüber den erhöhten, nun internatio-nal definierten Qualitätsansprüchen an ihre Produkte und Dienstleistungen behaup-ten. „Der kompetente Mitarbeiter ist in der Lage, sich selbstständig und zielsicherneues Fachwissen und neue Arbeitsmethoden anzueignen; er ist fähig, tragfähigeKontakte und Arbeitsbeziehungen herzustellen. Er kann seine Stärken und Schwä-chen einschätzen und im Sinne eines Selbstmanagements beherrschen. Die viel-

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fältigen Anforderungen, die im Berufsalltag an die Mitarbeiter bzw. die Auszubil-denden gestellt werden, finden sich in den Kompetenzbündeln wieder. Von zentra-ler Bedeutung sind Modelle und Strategien, die über traditionelle Formen der Wis-sensvermittlung hinaus gehen und aktuelle Bedingungen des sozialen Wandelswahrnehmen, indem neuen Lern- und Lehrkulturen Raum und Anerkennung gege-ben wird“ (Achatz/Tippelt 2001, S. 126).Zur wirksamen Kompetenzvermittlung gehören Strategien lebenslangen, lebens-begleitenden Lernens wie auch die systematische Vermittlung handlungsorientier-ter Kompetenzen. Institutionales formales und dezentrales informales Lernen wer-den miteinander koordiniert, und eine veränderte Praxis des Lernens sowie einverändertes theoretisches Verständnis von Lernen wird formuliert. Um qualifikati-onswirksame Kompetenzbündel curricular und im Lernvorgang verankern zu kön-nen, wird aus didaktischer und pädagogischer Sicht aktiv sinnstiftendes Lernen,nutzungsbezogenes Lernen, abstrahierendes und trotzdem automatisierendesLernen, selbstständiges und angeleitetes Lernen, individuelles und kooperativesLernen notwendig. Wer Lernen in diesem Sinne als aktiven, selbstgesteuerten,konstruktiven und situativen sozialen Prozess auffasst, verbindet Kompetenzver-mittlung mit dem Auftrag der Bildung: Bildung und Kompetenzvermittlung sollenBasisfähigkeiten und Fachwissen, die Persönlichkeitsentwicklung und fachüber-greifende Lernkompetenzen fördern. Bildung in diesem Sinne erfordert demnacheinen neuen Lernbegriff, der stark problemorientierte Lernumgebungen nutzt (vgl.Reinmann-Rothmeier/Mandl 2001; Mandl/Krause 2002). Bildungsförderliche Lern-umgebungen sind situiert, und man lernt an authentischen Problemen, man lerntin multiplen Kontexten, um Inhalte in verschiedenen Zusammenhängen anwen-den zu können, man lernt im sozialen Kontext, damit problemlösendes Denkenund Handeln gefördert wird, man lernt mit instruktionaler Unterstützung, damit mitHilfe gezielter Anleitung effektives Bearbeiten von Problemen und Erarbeitung vonWissen möglich ist, man lernt mit neuen Medien, um auch alle Formen der Selbst-steuerungsstrategien zu nutzen.Wenn man diese neuen Formen des Lernens und der damit verbundenen Verän-derungen der Lernkultur für die Kompetenzentwicklung des Einzelnen nutzt, wer-den enge prozess- und betriebsspezifische Qualifizierungsstrategien obsolet, da-gegen wird eine breite und die einzelne Persönlichkeit berücksichtigende neueBildung anvisiert.Konstruktivistische Lernstrategien und Lernumgebungen lösen Bildungsansprücheaus ihren starken normativen Bindungen und weisen Wege, wie wichtige Ziele imLern- und Bildungsprozess erreichbar werden: z. B. Probleme lösen, Kreativitätentfalten, Fehler konstruktiv meistern, mit Konflikten umgehen, in Institutionen par-tizipieren, Verantwortung übernehmen. Kurz gesagt: Kompetenzentwicklung undStrategien konstruktivistischen Lernens sind mit verengten Qualifikationsanforde-rungen unvereinbar und führen zu individuellen und personalen Bildungsprozes-sen, die in der modernen Wissens- und Arbeitsgesellschaft notwendig sind.

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Erhard Meueler

Fortbildung und Subjektentwicklung

In Zeiten hoher und weiter ansteigender Massenarbeitslosigkeit (im Januar 20024,3 Millionen plus x) gerät berufliche Fortbildung unter dem Druck ökonomischerGlobalisierung immer mehr zur Überlebensarbeit. Meine Doppel-Frage lautet da-her: Was veranlasst zu beruflicher Fortbildung und was bewirkt sie bei den betrof-fenen Subjekten? Um diese Fragen zu beantworten, sollen unter teilweisem Rück-griff auf frühere Überlegungen (vgl. Meueler 1998, 1999, 2001) einige Bedingun-gen von Subjektentwicklung skizziert werden.

Anlässe zur Fortbildung

Alle berufliche Fortbildung dient der Selbsterhaltung als weiterer Teilhabe am ge-sellschaftlichen Zusammenhang, definiert als Aufrechterhaltung oder Wieder-Ge-winnung beruflicher Funktionalität. Mit ihr soll der Ausschluss vom Arbeitsmarktverhindert werden. Berufliche Fortbildung geschieht zumeist im Alltag, selbstorga-nisiert und selbstbestimmt. Lohnabhängige, aber auch Selbstständige erleben ihreLern- und Wissensbedürftigkeit als Gefühl eines deutlichen Mangels an benötig-ten Kompetenzen und zugleich als Energie, diesen Mangel zu beheben. Was sieals Erfolg ansehen wollen, legen sie selbst fest. Für all diese Bemühungen benöti-gen sie in der Regel keine Lehrer/innen.Von der selbst organisierten alltäglichen Fortbildung unterscheidet sich die betrieb-liche Fortbildung durch den Grad erlebter Nötigung. Die Kompetenzen von Arbei-tern und Angestellten in den unteren Rängen sollen mittels „Anpassungs-Fortbil-dung“ für neue betriebliche Entwicklungen passend gemacht werden. Ihr Lohn er-höht sich durch eine erfolgreiche Teilnahme in der Regel nicht, sie glauben aber,ihrem künftigen Ausschluss vorgebeugt zu haben. Sie erleben die Aufforderungzur sofortigen Fortbildung oft genug krisenhaft, weil die Summe ihrer aktuellenFähigkeiten damit entwertet wird.

Die Rede vom Subjekt

Alle Subjektentwicklung geschieht in Auseinandersetzung mit übermächtigendenObjektbedingungen. Der Mensch wird in der aufklärerischen Tradition als Zweiheitin der Einheit – Objekt und Subjekt zugleich – vorgestellt. Das lateinische Adjektiv„subiectus“ bedeutet „ unterworfen, untertan“. Von dieser Tradition her ist das Sub-jekt das Unterliegende, das Preisgegebene. Der Mensch ist als Objekt unterwor-

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fen der äußeren Natur (genetischen Vorgaben, Sterblichkeit), der inneren Natur(Triebängsten und Triebwünschen) und der sozialen Welt (Anpassungsdruck, vorallem im beruflichen Leben). Das Unterworfensein ist aber nicht total. Das pureObjekt gibt es ebenso wenig wie das pure Subjekt. Der Mensch widersetzt sich derbedrückenden Welt des Vorgegebenen. So steht der neuzeitliche normative Sub-jektbegriff als Chiffre für Widerständigkeit den Objekt-Bedingungen gegenüber,damit für die optimistische Vorstellung von gelingender Selbstbestimmung. Er stehtfür wachsende Verfügung über Lebensaktivitäten und Offenheit für fremdes Leid.Subjektivität ist ein „Institut der Steigerung“ (Ebeling 1990, S. 31). Ich habe daheran anderem Ort (Meueler 1998, S. 89ff.) Leo Löwenthal folgend zwischen einem„kleinen“ und einem „großen Ich“ unterschieden. Das „kleine Ich“ steht für funktio-nale Subjekthaftigkeit im Dienst der Selbsterhaltung. Es steht unter dem ständi-gen Zwang, sich konkurrierend gegen andere zu behaupten, um im Leben „klar zukommen“. Wird das Maß der zu bewältigenden beruflichen Probleme größer alsdie zur Verfügung stehende Bewältigungs-Kapazität an Kenntnissen, Fertigkeitenund Verhaltensweisen oder kommt es sogar zu einem Zusammenbruch, entstehtdas Gefühl, übermächtigt zu sein und die eigenen Subjektpotenzen verloren zuhaben. In der psychischen Auseinandersetzung mit belastenden und bedrohlichen(beruflichen) Lebensveränderungen erweist sich das Repertoire funktionaler Selbst-reflexion für die Krisenbewältigung als unzureichend. Plötzlich wird mir klar, dassich, um zu überleben, des hilfreichen anderen bedarf, wie andere meiner bedürfen(„großes Ich“). Ich bedarf emotionaler, fachlicher und sozialer Unterstützung, an-derer als der mir geläufigen Sichtweisen, ich benötige neues Wissen und weitereFertigkeiten. Krisen sind Entwicklungsgelegenheiten.

Bildung

Der Philosoph Hans Ebeling fordert den „tätige(n) Widerspruch gegen die Vergeb-lichkeit des Subjekts“ (1990, S. 37). Es geht ihm um den Menschen als „unzerstör-baren Souverän“ (ebd.), weil es „die Möglichkeit der tätigen Widerlegung der Ver-geblichkeit“ gebe, vorzüglich durch das, was einmal Bildung hieß und wieder dazuwerden muß“ (ebd., S. 38). Dem traditionellen Verständnis von Bildung als For-men, Gestalten, Erziehen (Erzieher als Subjekt, Zögling als Objekt) sei hier dieaufklärerische Tradition entgegen gesetzt, von der aus Bildung als Selbst-Aufklä-rung und Sich-Entwickeln aus eigener Kraft, als selbst gewollte Qualifikation, alssubjektives Voranschreiten, als Selbstentfaltung, als Selbstbestimmung der Ver-nunft und als kritisches Verhältnis zum Gelernten und dem zu Lernenden verstan-den werden kann. Beide Traditionen des Bildungsbegriffs (zum einen Bildung alsFormung Dritter, zum anderen Bildung als Werk meiner Selbst, als Subjektent-wicklung ) stehen unter der Dialektik von Zwang und Freiheit in Wechselwirkung.Kindern und Jugendlichen ist Erziehung geschuldet, um sie zur eigenständigenSubjektentwicklung auszurüsten. Obwohl Erwachsene nicht mehr erzogen wer-

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den wollen, verweist die gängige Berufsbezeichnung „Erwachsenenbildner/in“ dar-auf, dass (Fort-)Bildung immer noch als Erziehung von Erwachsenen, als Anpas-sung an das gesellschaftlich je Erwünschte verstanden wird. Diese Perspektiveder Konditionierung Dritter drückt sich aus in folgenden – subjekttheoretisch be-trachtet – fragwürdigen Absichten: jemanden befähigen, jemanden qualifizieren,jemandem Bildung vermitteln zu wollen. Lernen als nachhaltige subjektive Aneig-nung von bislang nicht gewusstem, bislang unbekanntem und nicht gekonntemFremdem kann nicht von außen erzwungen werden. Entscheidend ist, ob das Sub-jekt den Gegenständen der Aneignung eine Bedeutung für die Bewältigung dereigenen Lebenswelt, mithin einen Sinn zuschreiben kann.

Lohnabhängige als Selbstvermarkter ihres Wissens

Die berufliche Fortbildung hat sich in den letzten Jahren mit der Arbeit und derArbeitsgesellschaft gewandelt: Nach André Gorz (2000, S. 609ff.) gilt heute unmit-telbare, abstrakte Arbeit nicht mehr als Quelle des Reichtums oder der Wertschöp-fung. Sie sei als entscheidende Produktivkraft vom ‚Wissen‘ abgelöst worden. Diessei sowohl das prinzipiell zugängliche tote Wissen in Bibliotheken und Computernwie auch das lebendige Wissen heutiger Menschen, einschließlich des Forschungs-standes der Wissenschaft. Die Anwendung des Wissens könne als Arbeit gelten,sein Umfang und die Fähigkeit, es anzuwenden, könnten als fixes Kapital angese-hen werden. Es sei praktisch unmöglich zu bestimmen, wo die Arbeit anfange undwo sie aufhöre, was zu ihr gehöre und was zur Nicht-Arbeitszeit. Die Zeit, die wirbrauchen, um Wissen und Kenntnisse zu erwerben, zu erweitern und unsere Fä-higkeiten möglichst allseitig zu entfalten, könne als ,mittelbare’ Arbeit gelten. Siesei für die Produktivität der unmittelbaren Arbeit ausschlaggebend und stelle so-genanntes ‚menschliches Kapital‘ her, das Wissenskapital, das mit fixem Kapitalgleichgesetzt werden könne. Tendenziell befänden wir uns alle in der Lage vonKünstlern, die für die Einübung und Vorbereitung ihrer bezahlten öffentlichen Auf-führungen viel mehr Zeit brauchen als für diese selbst. Die Arbeiter würden damitzu ‚Selbstvermarktern‘ ihres nur schwer einschätzbaren Kapitals, des Wissens.Luc Boltanski und Ève Chiapello (2000) beobachten, dass der Kapitalismus in sei-nen aktuellen Formen dazu tendiert, Autonomie nicht mehr als Chance oder alsRecht zu verstehen, sondern sie den Beschäftigten abzuverlangen. Autonomiewerde erzwungen und könne daher kaum mehr als Ausweis von Freiheit gelten.Wenn Autonomie im Austausch gegen die Übernahme erhöhter Verantwortlichkeitzugestanden werde, entstehe das Paradox, dass die Lohnabhängigen zugleichgrößere Autonomie und vermehrte Zwänge erfahren. Der Management-Trainer GerdGerken bezeichnet die dem Individuum abverlangte permanente Selbstverände-rung und Selbstinstrumentalisierung als „freiwillige und engagierte Selbst-Optimie-rung“ (zit. bei Strasser 2000). Johanno Strasser kommentiert diese Entwicklungso: Das eigentlich Neue am aktuellen Neoliberalismus bestehe darin, „dass er den

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Prozess der Zurichtung des Menschen zum Funktionselement des Marktes als‚Selbst-Optimierung‘ in die Individuen hineinverlegt und sich damit das modernePathos von Freiheit und Selbständigkeit zunutze macht. Das neoliberale Individu-um, so das Programm dieser Selbstdressur, soll sich permanent durch die Brilleseiner Verwerter betrachten, sich ständig aus ihrem Blickwinkel prüfen und nachMöglichkeit den eigenen Marktpreis in die Höhe treiben oder auf hohem Niveaustabil halten, indem es unermüdlich an der Erhaltung und Verbesserung der eige-nen employability, seiner profitablen Verwendbarkeit, arbeitet“ (Strasser 2000).Die betriebliche Fort- und Weiterbildung gilt als das Instrument zur Erhaltung undSteigerung der Funktionsfähigkeit der abhängig Beschäftigten. Nach dem Musterindustrieller Abläufe soll mit ihr erreicht werden, dass „employability“ zum selbst-verständlichen Ziel permanenter eigenständiger Persönlichkeitsentwicklung wird,realisiert in stetiger Lernbereitschaft.Unausgesetzt wird daran getüftelt, wie die hohen Kosten der Fortbildung gesenktwerden können und gleichwohl die Produktivität zu steigern ist. Die verstärkte Nut-zung von ‚Bildungssoftware‘ zur „selbstgesteuerten Nutzung“ durch die Arbeitneh-mer/innen scheint der Königsweg zu sein. Die bislang gesamtbetrieblich verant-wortete Fortbildung wird zur ureigensten Privatangelegenheit der Lohnabhängi-gen erklärt, womit sie sich wie Künstler behandelt sehen, die für ihre bezahltenAuftritte unentwegt üben und Neues dazu lernen müssen. Die arbeitsfreie Zeit ver-wandelt sich zur Qualifizierungszeit im Selbststudium, selbstorganisierte Kompe-tenzschulung wird abverlangt. „Weiterbildung wird immer mehr als eine Bringschulddes Arbeitnehmers (...) angesehen“ (Weiß 1999, S. 305f.).Die Bewirtschaftung des Arbeitsvermögens der Lohnabhängigen geschieht so, dasssich in Großunternehmen der einzelne Arbeitnehmer in kurzen Abständen immerwieder formalisierten Verfahren der Selbsteinschätzung und komplementärerFremdeinschätzung des je aktuellen betrieblich benötigten Wissens unterziehenmuss. Er hat die aus dem Vergleich von ‚Ist-Zustand‘ und ‚Soll-Zustand‘ ermittelteLücke an Wissen und Fertigkeiten ( „skillgap“ ) mittels maßgeschneiderter compu-terunterstützter Lernprogramme aus eigener Anstrengung zu schließen.Die solcherart verordnete und nur an betriebsrelevanten Effekten interessierteFortbildung stiftet ein besonderes Gewalt-Verhältnis. Die von den Lohnabhängi-gen für die permanente eigene Qualifizierung aufgewandte Anstrengung ist derPreis für den vermeintlichen Schutz davor, ausgeschlossen zu werden von dem,was den Sinn des Lebens auszumachen scheint: von Geld, bezahlter Arbeit undsozialer Identität. Die ‚Personalentwickler‘ (welche Hybris, als könne man vonaußen Persönlichkeiten so wie einen Film oder einen Plan ‚entwickeln‘) werdenals die eigentlich aktiv handelnden Subjekte der Unternehmensentwicklung ge-sehen. Indem sie Fortbildung verordnen und ihre Erbringung über vorzuzeigendeErgebnisse kontrollieren, verfügen sie über die Macht, das für die Betroffenenexistenziell unentbehrliche Arbeitsverhältnis verlängern oder mittelfristig beendenzu können. Das zustande kommende Lernen kann mit Klaus Holzkamp als de-fensiv begründetes Lernen bezeichnet werden, mit dem der Bedrohung der eige-

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nen Handlungsfähigkeit durch „externe Machtträger“ (1993, S. 451) ausgewichenwird.

E-Learning: Euphorie und Ernüchterung

Da bei seminaristischen Fortbildungsmaßnahmen bislang die fortzuzahlenden Löh-ne und Gehälter laut Institut der deutschen Wirtschaft zirka 70 Prozent der Ge-samtkosten ausmachen, werden von der Nutzung der Neuen Medien im Bereichder Fortbildung sowohl auf der Kosten- wie auf der Nutzen-Seite wahre Wunder-dinge erwartet.„Selbstgesteuertes Lernen“ lautet die emanzipatorische Semantik für die derzeitlaufende interessenorientierte ökonomische und politische Kampagne (vgl. Meue-ler 2001, S. 81ff., und die ideologiekritische Studie Straßner 2001), was begrifflichverwundern muss, da doch alles Lernen, alle Erkenntnis, alle Aneignungsvorgän-ge selbstgesteuerte Subjektleistungen sind. ‚Selbstgesteuertes Lernen‘ undneuerdings ‚E-Learning‘ wurden zu Generalformeln für alles computergestützteLernen. Bei dieser zur Zeit immer noch wie eine Heilslehre propagierten „NeuenLernkultur“ geht es im Kern um autodidaktisches Lernen mit den neuen Medien,um Selbstinstruktion im Zusammenhang von organisierten Qualifizierungsprozes-sen, aber auch im informellen Lernen im Alltag. In der betrieblichen Fortbildungmittels „selbstgesteuerten Lernens“ werden Qualifizierungsziele, Inhalte und Er-gebnisse der auferlegten Selbstinstruktion seitens der Betriebsleitung vorgeschrie-ben. Selbststeuerung kommt bei vorgegebenen Zielen und Lerninhalten allenfallsin der Wahl von Ort und Zeit (in der arbeitsfreien Zeit vor und nach der Arbeitszeit)zustande.Die Verheißung, E-Learning mit dem Nimbus größtmöglicher Lern-Autonomie wer-de zur massiven Verringerung von Seminarkosten und Ausfallzeiten im Betriebführen, läuft ins Leere. Im Januar 2002 stellt die Chefredakteurin der Zeitschrift‚management & training‘ fest, die Euphorie für E-Learning habe in den Unterneh-men zu hochgesteckten Erwartungen geführt, die sich aber nicht erfüllt hätten.Dies belegten die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage der BeratungsgesellschaftKPMG bei mehr als 600 Unternehmen. Demnach komme ausschließliches E-Learning nur bei IT-Schulungen, technischen und kaufmännischen Trainings zumEinsatz. Die Befragung von 40 E-Learning-Anbietern habe mehrheitlich ergeben,dass diese Lernform ohne „Präsenzlernen“ nicht auskomme. Die unverzichtbareTrainerbegleitung mache aber nun einmal das E-Learning teuer und schränkedie gewünschte Unabhängigkeit des Lernens ein: „Damit ist der Traum von derWundermethode des Lernens ausgeträumt“ (Schneider 2002).

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Lehren lernen – Lernen lehren: ein Fortbildungs-Projekt

Die Zentralstelle für Wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Mainz bietetin Kooperation mit dem Verband der Volkshochschulen in Rheinland-Pfalz seit Jah-ren mit hohen Teilnehmerzahlen das berufsbegleitende Kontaktstudium „Lehrenlernen – Lernen lehren“ für Honorarlehrkräfte der Erwachsenenbildung/Weiterbil-dung an. Die Dozent/innen dieses Kurses gehen davon aus, dass die Teilnehmer/innen als Autodidakt/innen ihre Arbeit können und gut machen. Sie inszenierenFortbildungs-Gelegenheiten, durch deren selbstbestimmte Nutzung die Teilneh-mer/innen ihr Kompetenz-Repertoire weiter ausbauen können. Ohne von ihrenArbeitgebern dazu gedrängt zu werden, wollen die Teilnehmer/innen anderes undmehr als das bisher Praktizierte können (Suchbewegung). Sie wollen ihre Lebens-qualität verbessern. Sie können bei der Behandlung ihrer eigenen Praxis, die inproblemorientierten Ausschnitten zum Thema gemacht wird, eine Mehrfachspie-gelung durch die anderen Kolleg/innen und die Dozent/innen erhalten. Die Sozial-form ist der verbindliche Dialog und Erfahrungsaustausch. In der gemeinsamenPlanung der Kurs-Arbeit bringen die Teilnehmer/innen ihre Lernwünsche und -er-wartungen ins Spiel und einigen sich mit der Seminarleitung darüber, welchen In-halten die gemeinsame Arbeit gelten und wie dies methodisch vonstatten gehensoll (Lehr-Lernvertrag; vgl. Meueler 1998, S. 229ff.). Alle sind potenzielle Subjekteder gemeinsamen Arbeit und Objekte der daraus erwachsenden inhaltlichen wiepsychosozialen Anforderungen zugleich. Sie legen selbst fest, was sie als Erfolgverbuchen wollen. Die Teilnehmer/innen erleben sich zum Teil als kompetente Be-rater/innen der Kolleg/innen, als selbstbewusste Fragesteller, als großgewordeneKinder, die mitunter zu einem Spiel eingeladen werden, das nur dem gemeinsa-men Spaß dient. Das gemeinsame Erleben in der Gruppe wird reflektiert. Schilderteine Teilnehmerin eine besondere Schwierigkeit in ihrem Berufsalltag, lassen sichdie anderen auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen ein und es ergibt sich miteinem Mal eine Dynamik auf lebensphilosophisches und didaktisches Denken hin,die alle mitreißt. Es wird erlebbar, dass Subjektentwicklung als soziales Ereignis,als Offenheit für fremde Nöte („großes Ich“) und als kreative Gestaltung humanerGemeinschaft nicht denkbar ist ohne politische Reflexion, ohne bewussten Einbe-zug subjektiver Körperlichkeit, ohne Spontaneität des freien Einfalls, ohne Ver-gnügen als pure Energie.

Fortbildung und Subjektentwicklung

Vergleicht man die Fortbildung, die durch direkten betrieblichen Druck ausgelöstwird, mit dem Mainzer Projekt einer offenen Lern-Gelegenheit, wird erkennbar, dasses in dem eigensinnigen Feld der Qualifizierung, deren Bildungseffekte immer dievon Dritten vorgegebenen und damit begrenzten Zwecke übersteigen können, eineganze Reihe von unwägbaren Formen der Subjektentwicklung gibt:

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Stets der äußeren Natur, der inneren Natur und den Anforderungen der sozialenWelt, insbesondere im Berufsleben, unterlegen, entwickelt sich das widerborstigeBedürfnis, zum Subjekt der eigenen Lebensgestaltung werden zu wollen, insbe-sondere in Situationen, in denen die Unzulänglichkeit der beruflichen Alltagsrouti-ne krisenhaft und damit verstörend erlebt wird. Bruno Bettelheim hat einmal fest-gestellt, die Menschheit habe immer mehr aus Sorge denn aus eigenem Antriebgelernt. Dieses Motiv gilt für Fortbildung allemal. Das konkrete Bedürfnis, sich aufeigene Initiative fortzubilden, wird zumeist durch innere Unruhe ausgelöst, wennselbstinitiierte und selbstinstruktive Lernaktivitäten im Alltag samt Strategien desautodidaktischen Lernens als unzureichend erlebt werden.In der betrieblichen Weiterbildung ordnen mehrheitlich der Betrieb oder Vorgesetztedie Fortbildung von Firmenangehörigen an. Es muss als massiv kränkend erlebtwerden, wenn Vorgesetzte eine Diskrepanz zwischen den Arbeitsplatzerfordernis-sen und der Summe meiner aktuell vorhandenen Fähigkeiten (Kompetenz) fest-stellen. Schließlich trägt jede/r von uns tagtäglich energiegeladene narzisstischePotenziale an den Arbeitsplatz. Jede/r will die berufliche Arbeit gut machen, davom Ausmaß gewährter Anerkennung, insbesondere durch die Vorgesetzten, dasZustandekommen der eigenen Selbstwert- und Sicherheitsgefühle abhängt.Aufs Ganze gesehen kann es dabei zu ganz unterschiedlichen Typen der Subjekt-entwicklung kommen:– Im einen Typus vervollkommnet das Subjekt im Dienst rigider Selbstdurchset-

zung seine Funktionalität. Es wird „ein kontinuierlich strategisch handelnderAkteur, der sein Arbeitsvermögen hochgradig gezielt und dauerhaft auf eine po-tentielle wirtschaftliche Nutzung hin entwickelt und verwertet.“ Der „Zugewinnan Eigenverantwortung, Kreativität, sozialen Kontakten etc. dient gerade nichtder Selbstverwirklichung, sondern der Steigerung der Effektivität. Innerhalb dieserGrenzen realisiert sich Selbstverwirklichung nicht als Freiheit, sondern als In-ternalisierung der Unternehmensziele, soziale Kontakte nicht als Solidarität,sondern (als) gegenseitige Kontrolle und Disziplinierung, Flexibilität und Mobili-tät nicht als Möglichkeit, sondern als Zwang“ (Deck u. a. 2001, S. 11f.). Adornomeinte schon 1966: „Generell muß jeder einzelne, um sein Leben zu fristen,eine Funktion auf sich nehmen und wird gelehrt, zu danken, solange er einehat“ (Adorno 1987, Sp. 1104) „Automatisch sowohl wie planvoll sind die Subjek-te daran verhindert, sich als Subjekt zu wissen ... Subjekt und Objekt sind, inhöhnischem Widerspiel zur Hoffnung der Philosophie, versöhnt. Der Prozeß zehrtdavon, dass die Menschen dem, was ihnen angetan wird, auch ihr Leben ver-danken“ (ebd., Sp. 1110). Adorno setzt seine Hoffnung auf die gesellschaftli-chen Widersprüche, die für ihn voller Produktivität stecken.Einer der zentralen Widersprüche ist der, dass die Bündelung aller Energie aufdie selbst gewollte und unentwegt betriebene Vervollkommnung der funktiona-len Subjektivität keine Kraft, keinen Raum und keine Zeit mehr übrig lässt für alldas, was über das Funktionieren in der Tauschgesellschaft hinaus dem Lebeneinen Sinn gibt. Gilt es unentwegt, die eigene Beschäftigungsfähigkeit (emplo-

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yability) nachzuweisen, verliert sich die Möglichkeit und Fähigkeit zur Muße,seit der Antike mit Bildung verbunden. Ist einem nicht mehr gegönnt als einhastiges Atemholen zwischen den Schüben beruflicher Verausgabung und be-rufsbezogener Reproduktion der eigenen Kräfte und kommt keine Frei-Zeit alsbewusste Regression, als Entspanntheit und Gelöstheit in der Mitte zwischenNichts-Tun und Hetze mehr zustande, geht eine Grundbedingung gelingendenmenschlichen Lebens verloren: die Kontemplation über das, was zu tun undwas zu unterlassen ist, das bewusste Nachdenken über Anpassung und Wider-ständigkeit. Oft wird sie einem erst durch einen körperlichen Zusammenbruchaufgenötigt.

– Im zweiten Typus kann das defensive Lernen in „expansives Lernen“ (Holz-kamp 1993) übergehen, wenn eine mir abverlangte Lernaufgabe mich mit ei-nem Male so zu interessieren beginnt, dass es mir hinter den Zähnen bitzeltund ich die Aufgabe als meine eigene Lernproblematik übernehme. Ich bauedann wie ein Forscher meine eigene Struktur von Informationsmöglichkeitenund Quellen auf.

– Was dem Mainzer Projekt als drittem Typus seinen Charme verleiht, ist die kon-stitutive Erkenntnis, dass zum Lernen im eigenen Interesse Unbedrohtheit, Ent-lastetheit, Unbedrängtheit, Vertrauen und Ruhe gehören (ebd., S. 485). Gleich-wohl kann sich auch diese subjektorientierte Fortbildung nicht dem Zwang derVerhältnisse als Verwandlung aller Lebensbereiche in Marktsegmente entzie-hen: Einzelne Teilnehmer/innen unterrichten in Projekten, in denen Lehrer/innenund Schüler/innen zwangsweise so zusammengeschlossen sind, dass sie die-sen Lehr-Lern-Zusammenhang nur unter Verlust ihres Lebensunterhalts verlas-sen können. An solchen Maßnahmen nehmen z. B. Langzeitarbeitslose, Russ-land-Aussiedler und Ausländer teil, die nur dann vom Arbeitsamt in ihrem Le-bensunterhalt finanziert werden, wenn sie täglich acht Stunden anwesend sind,um kontrolliert zu lernen. Das Ziel solcher Maßnahmen ist die höchstmöglicheVermittlung der Kursteilnehmer/innen in den Arbeitsmarkt. Die Arbeitsverwal-tung erstellt für die weitere Finanzierung der beteiligten privaten Träger alljähr-lich ein Ranking nach folgenden beiden Kriterien: 1. Höchste Vermittlungsquo-te, 2. Preisgünstigstes Angebot. Die Lehrer/innen werden arbeitslos, wenn ihrAnstellungs-Träger der öffentlichen Alimentierung verlustig geht, weil ihre Kurs-arbeit nicht den vorgeschriebenen Prozentsatz vermittelbarer Arbeitskräfte er-füllt hat. Die Dramatik wird durch zwei Dilemmata bestimmt: zum einen dadurch,dass nachhaltiges Lernen nicht erzwingbar ist, zum anderen, dass es keinerleiGarantie für die Einmündung erfolgreicher Absolventen in den Arbeitsmarkt gibt.Tragen die von diesem verhängnisvollen Zirkel betroffenen Lehrer/innen ihreexistenziellen Nöte mit der Zwangsteilnahme in die Fortbildungsveranstaltunghinein, geht die Unbekümmertheit einer vermeintlich freiwillig in Anspruch ge-nommenen Lern-Gelegenheit verloren. Unwiderruflich in den kapitalistischenZusammenhang des Kosten-Nutzen-Denkens eingebunden, schlägt zwar nochdas aufklärerische Gewissen, im sozialen und didaktischen Handeln ein Höchst-

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maß an Menschlichkeit realisieren und zur Selbstbestimmung ermuntern zuwollen, zugleich breitet sich aber das lähmende Gefühl von Machtlosigkeit aus.

Michel Foucault forderte 1984, kurz vor seinem Tod: „... das, wonach ein Individu-um streben muß, ist ein Subjektstatus ... Es hat sich als Subjekt zu konstituieren ...Nunmehr ist der Meister ein Operator in der Neugestaltung und in der Formationdes Individuums als Subjekt“ (Foucault 1985, S. 41). Foucault setzt auf das ethi-sche Subjekt, das sowohl die Verhältnisse (Löwenthals Rede vom „großen Ich“)als sich selbst verändern kann. Subjektivität als Sich-Verhalten zur eigenen Exis-tenz beinhaltet für ihn die Neubegründung der Ethik als Lebenskunst. Das Subjektsei zwar bestimmten Macht- und Wissenskomplexen unterworfen, doch es beste-he Freiheit darin, sich zu diesen Weisen der Unterwerfung von sich aus reflexivverhalten zu können, sich fügend oder sich widersetzend.Im Ringkampf oder Boxkampf mit einem übermächtigen Gegner besteht die größ-te zu erlernende Kunst darin, sich dem Zugriff des stärkeren Gegners gekonnt zuentziehen. So kann in unserer rigiden Tauschgesellschaft, in der berufliche Repro-duktion auch die arbeitsfreie Zeit auffrisst, die Herstellung lebenswichtiger Mußenur dadurch gewonnen werden, dass geläufige Routinen des individuellen Zeitver-brauchs bewusst aufgegeben werden und man sich bestimmten Zumutungen per-manenter Vergesellschaftung durch Unterlassung entzieht, z. B. durch Verzichtauf Fernsehen und Internet (Zerstreuung, Müll und einige Perlen), um die Zeit nachdem Abendessen bis zum Schlaf frei zu sein für die Ernährung des Intellekts undder Seele.Durch die bewusste Selbst-Gewährung von Zeit für nicht ökonomisch nützlicheTätigkeiten (Kontemplation, Wandern, Kochen für Freunde, Musik hören und Mu-sikmachen, lustbetonte Lernprojekte im Alltag etc.) wird die uns aufgenötigte rigo-rose Selbst-Kontrolle (‚Selbst-Management‘) aufgeweicht. „Das Verhältnis zumNeuen hat sein Modell in dem Kind, das auf dem Klavier nach einem noch niegehörten, unberührten Akkord tastet. Aber es gab den Akkord immer schon, dieMöglichkeiten der Kombination sind beschränkt, eigentlich steckt schon alles inder Klaviatur“ (Adorno 1973, S. 55).

Literatur

Adorno, T. W. (1973): Ästhetische Theorie. Frankfurt/M.Adorno, T. W. (1987): Gesellschaft. In: Herzog, R. u. a. (Hrsg.): Evangelisches Staatslexi-

kon. 3. neubearb. Auflage, Bd. I. Stuttgart, Sp. 1103-1112Boltanski, L./Chiapello, È. (2000): Befreiung vom Kapitalismus? Befreiung durch Kapitalis-

mus? In: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 4, S. 476-487Deck, J./Dellmann, S./Loick, D./Müller, J. (Hrsg.) (2001): Ich schau dir in die Augen, gesell-

schaftlicher Verblendungszusammenhang! Texte zu Subjektkonstitution und Ideologiepro-duktion. Mainz

Ebeling, H. (1990): Das vergebliche Subjekt. Verbrauch und Verweigerung. In: Gieseke, W./Meueler, E./Nuissl, E. ( Hrsg.): Nur gelegentlich Subjekt ? Beiträge der Erwachsenenbil-dung zur Subjektkonstitution. Heidelberg, S. 20-40

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Foucault, M. (1985): Freiheit und Selbstsorge. Interview 1984 und Vorlesung 1982, hrsg.von H. Becker u. a. Frankfurt/M.

Gorz, A. (2000): Eine ganz andere Weltzivilisation denken (Gespräch mit M. Zetzmann). In:Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 5, S. 607-617

Holzkamp, K. (1993): Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt/M., New YorkMeueler, E. (21998): Die Türen des Käfigs. Wege zum Subjekt in der Erwachsenenbildung.

StuttgartMeueler, E. (1999): Wie aus Schwäche Stärke wird. Vom Umgang mit Lebenskrisen. BerlinMeueler, E. (2001): Lob des Scheiterns. Methoden- und Geschichtenbuch zur Erwachse-

nenbildung an der Universität. BaltmannsweilerSchneider, M. (2002): E-Learning hat Grenzen. In: management & training, H. 1, S. 3Strasser, J. (2000): Triumph der Selbstzensur. In: Süddeutsche Zeitung vom 16./17. Sep-

tember, Feuilleton-Beilage, S. 1Strassner, S. ( 2001): Selbstgesteuertes Lernen. Magister-Arbeit im Fachbereich Philoso-

phie/Pädagogik (masch.). MainzWeiß, R. (1999): Selbstgesteuertes Lernen als Teil betrieblicher Kompetenzentwicklung. In:

BMBF (Hrsg.): Konzertierte Aktion Weiterbildung. Selbstgesteuertes Lernen. Dokumen-tation zum KAW-Kongress vom 4. bis 6. November 1998 in Königswinter. Bonn, S. 303-306

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Karlheinz A. Geißler/Frank Michael Orthey

Kompetenz: Ein Begriff für das verwertbareUngefähre

„Wer keine neuen Lösungen sucht, muss sich auf neue Probleme einstellen“. Nachdieser nicht allzu neuen Erkenntnis – sie stammt von Francis Bacon – handelnnicht nur die vom Zeitdruck getriebenen Manager in den profitorientierten Unter-nehmen, sondern ebenso auch die von handlungsorientiertem Zeitdruck entlaste-ten Wissenschaftler. Speziell wenn sie sich mit Problemen der beruflichen Aus-und Weiterbildung befassen, stehen alle unter zunehmendem Innovationsdruck.Dessen Produkt ist der „Trend zur Kompetenz“, der jenen zu den „Schlüsselquali-fikationen“ abgelöst hat. „Kompetenz – ein Wert, auf den Sie bauen können.“ Mitdiesem Werbeslogan für ihre Immobiliengeschäfte liegt die „Bayerische Hausbau“voll im Trend. Kompetenz boomt – nicht nur in der Alltags- und Werbesprache:Methodenkompetenzen, Ich-Kompetenzen, Kommunikationskompetenzen und einSack voller Sozialkompetenzen wurden bereits gesichtet und werden – z. B. inStellenanzeigen – offenbar auch nachgefragt. Kürzlich fuhr einem der Autoren die-ses Beitrages sogar ein Lastwagen zwischen Eisenach und Erfurt über den eiligenWeg, der seine Ladung Fensterrahmen als „Fassadenkompetenz“ angepriesenhatte. Nicht schlecht, vielleicht ist das ja jene Meta-Kompetenz, die alle anderenKompetenzen einschließt und die wir letztendlich heute alle nötig haben. Denn derSchein bestimmt das Bewusstsein. Wer im Diskurs um unsere Zukunft nicht abge-hängt werden will, darf beim Trend zur Kompetenz nicht abseits stehen. Wider-stand gegen diese kompetenzgesteuerte Flucht in die Zukunft scheint ins Abseitszu führen. Alle landen wir, über kurz oder lang, in Kompetenzzentren – mit undohne Kompetenz. Wie aber kommt es dazu, und was steckt dahinter?

Das vermeintlich Neue

Die Attraktivität des Kompetenzbegriffs ist Teil eines Sprachspielwettbewerbs, derdem Neuen größeres Interesse zukommen lässt als dem Älteren. Wissenschaftlersind Teil der herrschenden Wettbewerbsgesellschaft (Sloterdijk: „Die Gesellschaftist die Summe ihrer Wettbewerbe“). Sie sind jedoch Teilnehmer eines Wettbewerbs,bei dem es nicht primär auf Geldgewinne, sondern zuallererst auf Reputation, Pres-tige und Prominenz, also auf „Aufmerksamkeit“, ankommt. Der Beamtenstatus lässt(z. Zt.) Konkurrenzen über Einkommensgewinne nur beschränkt zu. Umso mehrwird die auch bei Wissenschaftlern verbreitete Neigung zum Statusgewinn überdie aufmerksamkeitsheischende Platzierung neuer Begrifflichkeiten mit verdünn-ter Sinnsubstanz und geringem Klärungswert befriedigt. Dazu dient zur Zeit der

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Kompetenzbegriff, speziell im Bereich der Aus- und Weiterbildung. „Zukunft = Kom-petenz = Zukunftskompetenz“ lautet die Gleichung im Sprachspiel.Fast völlig ignoriert wird in diesen schnellen Zeiten, dass die „Kompetenz“ bereitsvor über 30 Jahren in die sozialwissenschaftlichen Diskurse Einzug gehalten hat.Damals wurde der Begriff Kompetenz (competence) zuerst von Chomsky im Rah-men seiner Syntax-Theorie in die Diskussion eingebracht. Habermas, der im deut-schen Sprachraum maßgeblich für die Rezeption der Chomsky’schen Theorie sorg-te, interpretierte den Begriff: „Kompetenz nennt er die Fähigkeit eines idealen Spre-chers, ein abstraktes System sprachgenerativer Regeln zu beherrschen“ (Haber-mas 1971, S. 101). Einer der Verfasser dieses Beitrages hat bereits 1974 in engerAnlehnung an Chomsky und Habermas das Konstrukt der „kritischen Kompetenz“entwickelt und für die Berufspädagogik aufbereitet (vgl. Geißler 1974). Ist die au-genblickliche Kompetenzeuphorie möglicherweise nichts anderes als ein alter Hut,der zwischenzeitlich für ein paar Jahre hinter die terminologische Ablage gerutschtwar und nun wieder gefunden wurde? Nein, das sicher nicht. Denn zwischen dem,was in den 1970er Jahren unter „Kompetenz“ verstanden wurde, und dem, washeute so flott als Erklärung und als Angebot zur Lösung pädagogischer Problemedaherkommt, besteht nur ein sehr lockerer und oberflächlicher Zusammenhang.Dies zeigt sich u. a. in dem Sachverhalt, dass in den heute geführten Kompetenz-Diskursen nur selten auf die Literatur der 1970er Jahre zurückgegriffen wird. Umdem Begriff im Wettbewerb der Wissenschaftskonkurrenten Neuigkeitswert zu ver-leihen, ist man im Tempodrom der Begriffbesetzer gerne bereit, das nicht allzulange Zurückliegende zu verdrängen und/oder zu verleugnen. Wissenschaftlichbetrachtet, ist dies ein eher seltsames und dubioses Vorgehen. Aber nur so kannman mit dem Rückenwind eines vermeintlich unverbrauchten Begriffes Politik ma-chen: Aufmerksamkeitspolitik, wissenschaftliche Quotenpolitik.Das heutige „Kompetenz“-Angebot ist seiner Fähigkeit und seiner Fruchtbarkeitzur Theorienbildung weitgehend beraubt. „Kompetenz“ wurde zur semantischenProjektionsfläche für Zuschreibungen, die etwas mit Fähigkeiten zu tun haben, dieim Lebens- und Arbeitsvollzug gebraucht werden und deren Erwerb möglich ist.Das ist jedenfalls die Hoffnung, die der Begriff neuerdings nährt. Damit setzt erpositive Qualitätszuschreibungen im Hinblick auf (angemessene) Handlungen frei.Alltagssprachlich wird kalkuliert, dass mit Kompetenz bestimmte Fähigkeiten ge-meint sind, die ein besseres, hochwertigeres, angemesseneres Handeln zur Errei-chung von vorgegebenen Zielen ermöglichen – und dies immer wieder neu. Kom-petenz ist nicht aufzubrauchen. Sie ist eine auf Dauer gestellte Fähigkeit, die sichzugleich selbst (kompetent) weiterentwickelt: eine Fähigkeit zur Weiterentwicklungvon Fähigkeiten. So ist beispielsweise „soziale Kompetenz“ zuallererst die Fähig-keit, soziale Kompetenz (etwa Empathie, Dialog-, Konflikt-, Kooperations- oderSteuerungsfähigkeit) in immer wieder neuen Handlungssituationen neu zu gene-rieren.Der Wissenschaftsbereich spielt noch mit einer weiteren Attraktivität: Es ist dieAbgrenzung, die vermeintliche Differenz zum Qualifikationsbegriff. Dieser Qualifi-

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kationsbegriff definiert sich traditionell durch die externe Zweckbestimmung jenerFähigkeiten, die er umfasst. Qualifikationen sind an einer bestimmten Systemrati-onalität zweckorientiert und damit eindeutig sinn-vorbestimmt (vgl. Orthey 1999).Das ist z. B. die des Berufsbildungssystems, das seine Ansprüche an organisierteund organisierbare Beruflichkeitsanforderungen in Qualifikationsprofilen zum Aus-druck bringt. Insofern war es für Vertreter und Befürworter dieses Systems in den1980er Jahren verlockend, den Begriff „Qualifikation“ durch Voranstellung eines„Schlüssels“ zu einem universalistischen allgemein- und berufspädagogischen Prin-zip machen zu können. „Schlüsselqualifikationen“ wurden als Konsensformel imbildungspolitischen Gerangel von allen Beteiligten, von Arbeitsgeber- und Arbeit-nehmerorganisationen, von politischen Parteien, von Verbänden und sonstigenInteressengruppen genutzt. Sieht man genauer hin, diente der Begriff mehr derBeschwichtigung von Interessengegensätzen und weniger einem substantiellenKonsens. Er rettet ein Minimum an Verständigung und bedient damit konfliktredu-zierende Übereinstimmungsrhetorik. Je mehr Beliebigkeit, umso besser (vgl. Geiß-ler/Orthey 1993). Einlösbar erschien der Anspruch jedoch nicht. Je stärker darumgerungen wurde, desto abstrakter stellten sich die gefundenen Schlüsselqualifika-tionen dar. Letztlich landeten sie dort, wo heute üblicherweise – ebenso auch inder Kompetenzdiskussion – bevorzugt gelandet wird: beim Lernen des Lernens. Ineinem Anflug von kreativer Begriffsbildung nennt dies das vom Bund und den Län-dern gemeinsam ins Leben gerufene „Forum Bildung“ schließlich „Lernkompetenz“.Dass eben dieser so vieles zugeschrieben wird, ist wenig erstaunlich, wenn manvon der Zunahme nicht standardisierbarer beruflicher Handlungssituationen, nichtreproduzierbarer Tätigkeiten und gleichzeitiger Unberechenbarkeit und Brüchig-keit von Erwerbsbiografien ausgeht. Der Ausweg aus dem Dilemma der Abstrakti-on führt heute gesellschaftlich zur Individualisierung von Problemlagen (vgl. Geiß-ler/Orthey 1998). Das ist auch deshalb unter Steuerungsaspekten attraktiv, weil esmit den Ansprüchen des Selbst in einer individualisierten Gesellschaft positiv kor-respondiert. Zunehmend öfter geschieht diese Individualisierung von Problemla-gen mittels Pädagogisierung (vgl. Orthey 1999, S. 157ff.). Zur Bezeichnung desgewünschten (Lern-)Prozesses und Effektes bietet sich der Kompetenzbegriff alsneue, noch weitgehend faltenfreie, praxisrelevante und problemlösende Sprach-form an. Er scheint auch deshalb besonders attraktiv, weil Kompetenz, im Gegen-satz zur Qualifikation, an das Subjekt gekoppelt wird. Verstanden wird insofernunter Kompetenz oft eine Kombination von Fähigkeiten, Kenntnissen und Haltun-gen, die im Hinblick auf die Erreichung eines bestimmten Ziels eingesetzt werden(Kadishi zit. nach Hendrich 2000, S. 33). Diese stehen dem Individuum als Hand-lungs- und Verhaltensrepertoire zur Verfügung.Kompetenzen werden auf der Basis eines Impulses von außen (z. B. Anforderun-gen der Organisation) und der Energie von innen in Handlungssituationen aktuali-siert. Durch reflexive Lernprozesse in der Handlung und reflexive Lernprozesseüber die Handlung (vgl. Altrichter 2000, S. 204f.; Orthey 2002) können die Kompe-tenzen auf ein neues Niveau gebracht werden. Diese Form der Entwicklung von

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Kompetenz geschieht meist in Anlehnung an den Prozess der Arbeit und ist mitder Erfahrung von unmittelbarer Praxis gekoppelt. Daher wird nicht nach allen Kom-petenzen, die im Subjekt angelegt sind, gesucht und gefragt, sondern nur nachjenen, die sich z. B. im Arbeitsprozess anwenden lassen. Die Kompetenz wird imHinblick auf Arbeit domestiziert. Die Differenz zum Qualifikationsbegriff wird damit(zumindest partiell) eingeebnet. Es geht, das sollte man nicht leichtfertig unter-schlagen, bei der Kompetenzdiskussion um Verwertung von Kompetenz. Nicht dieWahrung der Schöpfung ist das Ziel des „Kompetenzmenschen“, vielmehr ist esdie Steigerung der Wertschöpfung. Denn begründet und legitimiert wird die Aus-richtung von Bildungsaktivitäten auf Kompetenzen hin primär durch Veränderun-gen der Arbeitswelt und ihrer neuen Anforderungen. Es geht also nicht, wie vor-dergründig vermutbar, um Persönlichkeitsentwicklung mittels Beratungs- und Bil-dungsmaßnahmen. Es geht um Personalentwicklung für eine konkurrenzfähigeWirtschaft. Deshalb ist von einer durchaus möglichen Anbindung des Kompetenz-konzeptes – so wie vor 30 Jahren geschehen – an Perspektiven, die der Stärkungvon Subjektivität, der Ermöglichung von Selbstverwirklichungsinteressen, von Au-tonomie- und Souveränitätsansprüchen dienen, heutzutage nichts zu sehen,nichts zu lesen und nichts zu hören. Die subjektiven Potenziale (Kompetenzen)werden vielmehr entfaltet und gleichzeitig entstellt. Sie werden auf ihre verwertba-ren Anteile hin reduziert. Man investiert ins Humankapital und wenn dieses beiden Kompetenzen der Subjekte liegt, investiert man eben in diese – so lange, wiesie sich als verwertbares Humankapital herausstellen. Der Kompetenzbegriff, wieer heute wieder in der Debatte eingeführt wird, ist eindeutig ökonomisch zentriert.Vonken (2001, S. 520) geht so weit, ihn als „ökonomisierte Variante des klassi-schen Bildungsbegriffes“ darzustellen.Offensichtliches Indiz dafür ist die Inflation jener Kompetenzen, die für die Erfül-lung von Karrierehoffnungen als notwendig und unverzichtbar angepriesen wer-den. Deren Verfallszeit wird immer kürzer. Der inzwischen von einer Nötigung kaummehr unterscheidbare Propagandafeldzug fürs lebenslange Lernen belegt es. Jene,die sich kompetent gemacht haben, sind dazu verurteilt, ein Leben lang am Erhaltihrer Kompetenzen, aber auch an deren Verlernen zu arbeiten. Denn immer öfterwerden sie mit der Erfahrung konfrontiert, dass die ehemals mühsam erworbenenKompetenzen für den Arbeitsbereich statt zu einem Einstellungs- zu einem Entlas-sungsgrund geworden sind.Zweifelsohne ist der primär terminologische Wandel von der Qualifikation zur Kom-petenz letztlich auch als ein Reflex auf die neuen Integrationsformen des FaktorsArbeit zu interpretieren. Mit dem Anwachsen des Dienstleistungsbereiches steigtdie aktuelle Selbstbeteiligung der Arbeitnehmer an den Produktivitäts- und Quali-tätszielen der Betriebe. Im schillernden Begriff „Arbeitskraftunternehmer“ wird dieszu benennen versucht. Ihn charakterisieren Voß und Pongratz (1998, S. 150)dadurch, dass er eine systematisch erweiterte Selbstkontrolle zur Pflege und zurVerbesserung des eigenen Arbeitsvermögens entwickelt; dies speziell durch daskontinuierliche Selbstmanagement von Alltag und Biografie, durch aktives selbst-

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organisiertes Zeitmanagement und durch eine möglichst umfassende Ökonomi-sierung der eigenen Arbeitsfähigkeit. Das Potenzial zu solcher Selbstrationalisie-rung ist gemeint, wenn neuerdings nicht mehr von Qualifikations-, sondern vonKompetenzentwicklung gesprochen wird. Es geht um die umfassende Vereinnah-mung der Person. Der Begriff „Person“ aber sucht „nicht die individuelle Einzigar-tigkeit der konkreten Natur des Einzelmenschen zu treffen“ (Luhmann); und derBegriff „Kompetenz“ ebenso wenig. Insofern ist Vonken zuzustimmen, der schluss-folgert: „Mit anderen Worten: Mit Zunahme der Anzahl der Kompetenzen sinkt dieWahrscheinlichkeit der Bestimmung der kompetenten Persönlichkeit“ (Vonken 2001,S. 518).Es ist eines der großen Verdienste von Foucault, im Detail nachgewiesen zu ha-ben, dass die Entwicklung von Subjektivität in der Moderne immer auch als Zwangs-subjektivierung durch die Institutionen der Macht geschah und noch geschieht. Mitmaßgeblicher Unterstützung der Bildungspolitik und der Bildungsinstitutionen wirdin der verschärften Moderne den Subjekten beigebracht, sich zur Produktivität selbstanzuleiten. Das führt nicht zu einer Entwicklung der Besonderheit und Eigentüm-lichkeit des Subjektes, sondern eher zu dessen Auslöschung. Das Kompetenz-konzept, so wie es heute mehrheitlich vertreten wird, dient primär diesem Zweckund nicht dazu, wie hoffnungsfroh immer wieder behauptet, Persönlichkeit undPersonal, subjektive und wirtschaftliche Entwicklung zu harmonisieren oder gar zuversöhnen. Die Qualifikation bleibt also Qualifikation – auch wenn sie jetzt Kompe-tenz heißt.Wenn man das erkennt, kann man ohne falsche Erlösungshoffnungen und ohneallzu große Heilserwartungen über Kompetenz reden und schreiben. Also weitermit den Kompetenzen, ohne zu wissen, wo und wie das schließlich endet.

Kompetenzentwicklung. Aber wohin?

Allenthalben geht es heute – allerdings nicht immer auf Basis einer kritischen Re-flexion der Begriffsgeschichte – um „Kompetenzentwicklung“. Entwickelt wurde die-ser Begriff in der Folge starker Veränderungen, die sich im Rahmen von qualifika-torischen Perspektiven im Zusammenhang mit der „deutschen Einheit“ ergaben.Zweifelsohne war der gewählte Begriff nicht nur pädagogisch, sondern auch poli-tisch motiviert. Er diente der Abgrenzung zu traditionellen Formen der Weiterbil-dung und markierte auch andere, neue Formen des Lernens, die tendenziell eheran die Arbeit gekoppelt werden sollten. In einem Memorandum wurde dies unterdem Titel „Von der beruflichen Weiterbildung zur Kompetenzentwicklung. Lehrenaus dem Transformationsprozess“ 1995 niedergelegt (ABWF 1996, vgl. auch dieVeröffentlichung in der Reihe QUEM-Report, grundlegend: Baethge/Schiersmann1998).Also gut: Kompetenzentwicklung – schon lange nicht mehr nur im Osten Deutsch-lands. Aber wohin führt sie?

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Gemäß der Prognose von Tessaring (1994, S. 7-9) gehen die Produktionstätigkei-ten bis zum Jahre 2010 vermutlich auf knapp 30% bis gut 28% zurück, währenddie primären Dienstleistungstätigkeiten vermutlich eher stagnieren und die sekun-dären Dienstleistungstätigkeiten zunehmen werden (von 1991 27% auf 31,5% bis32,4% bis zum Jahr 2010). Hohe Anteilszuwächse verzeichnen dabei Organisati-ons- und Managementtätigkeiten (von 6,3% auf 9,1% bis 9,5%). Auch Ausbildungs-,Beratungs- und Informationstätigkeiten könnten von knapp 12% auf 14,6% stei-gen.Sozialkompetenz scheint für Betriebe, die freie Stellen zu besetzen haben,besonders wichtig. Einer neueren Studie zufolge enthalten 72% aller Stellenanzei-gen Nachfragen nach sozialen Kompetenzen und diesbezüglichen personenbezo-genen Fähigkeiten (vgl. Dietzen 1999, S. 36/37). Dahinter verbergen sich zumeistdie schon hinlänglich überdehnten semantischen Projektionsflächen, wie z. B. Lern-bereitschaft‚ Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit oder Teamfähigkeit. In 1.620Anzeigen kommt das Wort ‚Team‘ 2.334 mal vor. Es wird in 41% aller ausgewerte-ten Anzeigen benutzt (vgl. Werner 1999, S. 71). Teamfähigkeit wird zuallererst in31% aller Stellenanzeigen erwartet, 56% aller Fachhochschüler und Hochschülermüssen sie zum Bewerbungsgespräch mitbringen (vgl. Dietzen 1999, S. 36/37).Hoffentlich haben sie das in den Fachhochschulen und Unis auch gut gelernt. DieWirtschaftswoche (Nr. 11, S. 166) hat ebenfalls zählen lassen. In deutschen Fir-meneintragungen wurde das Kultwort „Team“ im Jahre 1998 2.962 mal strapaziert:„vom Aluminiumteam zum Holzteam, vom Krankenpflegeteam zum Teppichteam(...) – eine Kakophonie der Beliebigkeit“. 469 mal hatten die bemitleidenswertenRecherchierer/innen das Wort Team in einem einzigen Stellenteil der FrankfurterAllgemeinen Zeitung gefunden. Und in den Regalen der Buchhändler fanden sie200 Werke, die das Wort bereits im Namen tragen.Im Bericht des Rates für Forschung, Technologie und Innovation der Bundesregie-rung mit dem Titel „Kompetenz im globalen Wettbewerb“ (BMBF 1998, S. 25f.)werden Schlüsselkompetenzen im Hinblick auf den globalen Wettbewerb benannt.Neben grundlegenden Fach- und Methodenkompetenzen sind dies vor allem– Sprach- und Medienkompetenz sowie vertiefte Kenntnisse über die aktuellen

sozialen, kulturellen und ökonomischen Gegebenheiten anderer Länder,– Kreativität und Innovationsfähigkeit, die eine wesentliche Grundlage für wett-

bewerbsfähige Ideen und Produkte bilden,– Mobilität und Flexibilität, verbunden mit Fähigkeiten wie Ausdauer, Zuverlässig-

keit und Genauigkeit,– soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Integrationsfähigkeit, Integrationswil-

le und vernetztes Denken.Die hier impliziten Trends verdichten die Expert/innen des von der Bundesregie-rung eingesetzten „Forum Bildung“ zu sechs zentralen Kompetenzen: intelligentesWissen, anwendungsfähiges Wissen, Lernkompetenz (Lernen des Lernens), me-thodisch-instrumentelle Schlüsselkompetenzen, soziale Kompetenzen, Wertorien-tierungen. Dabei ist das Leitbild „Selbststeuerung“ für die Weiterbildung von Er-

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wachsenen zentral. Das beinhaltet die Erwartung an die Lernenden, selbst initiativzu werden, „um eigene Lernbedürfnisse festzustellen, Lernziele zu formulieren,menschliche und dingliche Ressourcen für das Lernen zu identifizieren, angemes-sene Lernstrategien zu wählen und zu realisieren und die Lernprozesse zu evalu-ieren“ (Schiersmann 2001, S. V1/17). Zur Einlösung dieser Vision in den erforder-lichen Kompetenzen ist es nötig, dass Lernprozesse selbst stärker zum Gegen-stand von Bildung werden.Diese – und auch andere – empirischen Befunde und Expertenbelege stellen eineVerschiebung der Kompetenzen im Sinne einer Anhebung des Kompetenzniveaus,einer Verallgemeinerung, der Einblendung von reflexiven Anteilen und einer Be-deutungszunahme methodischer und sozialer Kompetenzen fest.Der Versuch, diese vagen „Ungefährkompetenzen“ in Perspektiven der Kompe-tenzentwicklung zu differenzieren (vgl. Orthey 1999, S. 190ff.), zeigt folgende Mar-kierungen. Gefragt sein werden zukünftig– Kompetenzen, um mit hochkomplexen unsicheren und uneindeutigen Situatio-

nen professionell zurechtzukommen und unter diesen Bedingungen genügendSicherheiten zu generieren, um handlungsfähig zu bleiben („Pluralitätskompe-tenzen“),

– Kompetenzen, um die immer häufigeren (berufsbiografischen, tätigkeitsbeding-ten, qualifikatorischen, sozialen) Übergänge so zu gestalten, dass sinnvoll mitVergangenem abgeschlossen werden kann und eine Anknüpfung ans Neuemöglich wird („Transversalitätskompetenzen“),

– Fähigkeiten, sich selbst und andere beobachten zu können, zu erkennen, wel-che Unterscheidungen diesen Beobachtungen zugrunde liegen und welche Ein-flüsse dies auf Situationen und ihre Entwicklung hat („Beobachtungskompeten-zen“),

– Fähigkeiten, reflexiv zu Sinnfindungen zu kommen und insbesondere dadurchproduktiv mit Störungen – der Standarderfahrung der sich selbst überschreiten-den Moderne – umgehen zu können („reflexive Kompetenzen als Kompetenzenzum produktiven Umgang mit Störungen“),

– Fähigkeiten zur formalen Rationalisierung komplexer beruflicher Handlungssi-tuationen („methodische Kompetenzen“),

– Fähigkeiten zur Analyse, Gestaltung und Steuerung sozialer Situationen („sozi-al-kommunikative Kompetenzen“),

– Fähigkeiten, mit der neuen Ästhetik unserer Alltags- und Arbeitswelt und deren„Bilderfluten“ (Virilio) umgehen zu können – und andererseits diese Möglichkei-ten auch zu nutzen („ästhetische Kompetenzen“),

– Fähigkeiten zur Selbstentwicklung, d. h. zur Selbstbeobachtung, zur Einschät-zung der je eigenen (beruflichen) Situation und deren Abgleich mit den Dynami-ken der Umwelt, um die zukunftsorientierte Gestaltung von Biografie und Karri-ere angehen zu können („selbstbezogene Kompetenzen“).

Zusätzlich zu den hier benannten Markierungen werden jeweils spezifische undzunehmend häufiger zu erneuernde fachliche Kompetenzen benötigt – aber ohne

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überfachliche ‚Meta-Kompetenzen‘ sind diese ‚wertlos‘ für die Bewältigung vonArbeitssituationen unter Modernisierungsbedingungen. Und sie sind alleine auchnicht mehr marktfähig.Wem das zu weich erscheint, der liegt im Trend derer, die heutzutage von „wei-chen Kompetenzen“ sprechen. Das ist immer dann zutreffend, wenn damit dieAbkehr von harten und eindeutigen Machbarkeitsillusionen gemeint ist und es eherdarum geht, situations-, personen-, interaktions- und prozessadäquat mitzugestal-ten – und dies häufig mit Mitteln der indirekten Einflussnahme zur Anregung dessystemischen Kontextes (vgl. Königswieser/Exner 1999).

Kompetenzentwicklung als Ansatz biografieorientierten Lernens

Kompetenzentwicklung kann konzeptionell als Ansatz biografischer Weiterentwick-lung gedacht werden. Damit steht sie im Kontext von bereits seit einiger Zeit the-matisierten Überlegungen, nicht die Beruflichkeit, sondern den Lebenslauf und dieBiografie der Lernenden zur zentralen Referenz beruflicher Weiterbildung zu ma-chen (vgl. Harney/Kade 1990; Lenzen/Luhmann 1997; Wittwer 1998; Staudt/Mey-er 1998). Die Individuen müssen sich dazu ihrer Kernkompetenzen vergewissern.Das sind Fähigkeiten und Fertigkeiten, die von einem Individuum in besondererWeise beherrscht, in unverwechselbarer Weise angewendet werden und die ihmBesonderheit verleihen und seine Identität prägen. Der Zugang zu diesen Kern-kompetenzen führt über die Orientierung an der jeweils besonderen Erwerbs- undBerufsbiografie. Denn über die Biografie werden die bisher aufgebauten und er-folgreichen Kompetenzen zugänglich. Es kann quasi ein retrospektives Kernkom-petenzprofil konstruiert werden. Andererseits lassen sich die erforderlichen Verän-derungskompetenzen je individuell am biografischen Zugang erfahrungsorientiertentwickeln und in das jeweilige Kernkompetenzprofil integrieren. Dabei sind auchunerwartete Bezüge möglich. In einem Seminar zur beruflichen Neuorientierungentdeckte die Beratungsgruppe in der Lebenslinie eines Kollegen viele ästhetischbestimmte Motive und sein leidenschaftliches Hobby, das Fotografieren. EinigeZeit später verließ dieser den Konzern und macht seitdem professionell Fotos vonschönen Menschen ...So gedachte Kompetenzentwicklung ist an die Inhalte des Kompetenzbegriffes ausden 1970er Jahren (vgl. Geißler 1974; Habermas 1971) anschlussfähig. Sie siehtdie Subjektivität und die Persönlichkeit im Zentrum eines Bildungsprozesses, derauf Biografiereflexion und -gestaltung gerichtet ist. Sie wird damit nicht zu einerErsatzideologie für verlorengegangene Wertorientierungen, und vor allem ist siegegen den Trend zur Entsorgung der Biografien gerichtet, wie wir ihn insbesonderedort beobachten, wo der Begriff reaktiviert wurde.Für die Lernenden bedeutet diese Entwicklung: Ihre Biografie wird zu einer Lernbio-grafie. Sie ist nicht standardisierbar, weil sie sehr individualistisch gestaltet wer-den kann und muss. Angesichts der Beobachtungen pluraler gesellschaftlicher und

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globaler Bedingungen wird auch das Leben zu einem pluralen – und damit zu ei-nem riskanten – Unternehmen, dessen ‚Unternehmer’ die individuellen Unsicher-heitszonen über Lernanstrengungen ein Leben lang balancieren müssen. Je mehrsie über reflexiv ausgerichtete Kompetenzen verfügen, desto weniger wird dies zueiner Ansammlung von Qualifikationsbits im Sinne einer Totalverzweckung desLebenslaufs. Denn die reflexiv angelegte Kompetenzentwicklung ist ein nicht-trivi-ales Veränderungsmodell – das ist die Hoffnung gegen die völlige Instrumentali-sierung und gegen die Ökonomisierung und Verbetrieblichung. Lernen ist nichtsteuerbar, indem es ausschließlich auf die Output-Erwartungen festgelegt wird.Beim Lernen geschieht immer auch etwas, das sich der Planung entzieht. Unddies ist nicht zu kontrollieren und es ist auch nicht rückgängig zu machen. Es be-deutet im Kern: Reflexionsfähigkeit. Und diese Fähigkeit ist – auch wenn sie imLernprozess nur auf betriebliche oder berufliche Kontexte festgelegt ist – nichtexklusiv auf jene zu beschränken. Sie entgrenzt sich selbst vom beabsichtigtenAnwendungsfall. Und daran wird auch der „Kapitalismus ohne Beißhemmungen“(Oskar Negt) gemessen werden, auch wenn er einst die Reflexion selbst zu Ratio-nalisierungszwecken gerufen hatte. Wer deshalb durch gezielte Lernprozesse zurKompetenzentwicklung den flexiblen, allseits anpassungsfähigen und verfügba-ren Menschen mittels seiner Subjektivitäts- und Reflexionspotenziale erschließenwill, der bekommt zugleich das dazu, was er (zumindest gezielt) nicht will: die Mög-lichkeit (mehr ist es nicht!), dass dieser Mensch diese Potenziale auch gegen denursprünglich angesteuerten Verwendungskontext wendet. Das ist der pädagogi-sche Hoffnungsschimmer in der neuen global dimensionierten und stark ökono-misch hinterlegten Unübersichtlichkeit – jedenfalls sofern sie über Formen desLernens angegangen wird.Unter den gegenwärtigen Lern-Bedingungen werden in diesem biografischen Lern-prozess auch das sogenannte Subjekt und seine Identität pluralisiert. ‚Identität’ isteine Idee des Ichs. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Identität imÜbergang ist. Sie ist immer flüchtig, weil sie Fragment der subjektiven (Lern-)Bio-grafie ist. Das Leben wird zur bildungsgestützten Identitätsarbeit der Bastelbiogra-fien im Übergang. Die Gestaltung der vielfältigen Übergänge im Prozess lebens-länglicher Kompetenzentwicklung wird zur zentralen „Kernkompetenz“ im Rahmeneines biografieorientierten Ansatzes, damit gute Abschlüsse, Ablösungen und ge-lingende Neuorientierungen zur Generierung von Identität möglich werden.Wer es angesichts dieser Kompetenzentwicklungen und -verwicklungen mit derAngst zu tun bekommt, der muss zwar an seinen selbstbezogenen Kompetenzennoch arbeiten, ein abschließender Hinweis mag jedoch entlastend wirken. Ange-sichts der entfesselten und mit hohem Risiko sich auswirkenden Modernisierungs-dynamiken bleibt die Kompetenzbiografie immer eine, die der Modernisierungsdy-namik hinterherläuft. Kompetenzentwicklung ist ein permanentes Kompensations-vorhaben, das immer – und zunehmend mehr und häufiger – formulierten Kompe-tenzansprüchen nachhastet (da die Kompetenzen verwertungsorientiert bestimmtwerden). Trotzdem muss gehandelt werden. Man kann an keiner Stelle berufli-

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chen Handelns mehr achselzuckend sagen: „Keine Ahnung, nie gehört, weiß ichauch nicht, ist mir neu ...“. Man muss auch unter den Bedingungen der Wissensex-plosionen „kompetent“ agieren. Das heißt vor allem, dass man mit der je eigenenInkompetenz kompetent zurechtkommen muss. Deshalb ist die zentrale Zukunfts-kompetenz, Inkompetenz kompetent zu kompensieren. Die Kategorie der inkom-petenzkompensierenden Kompetenzen ist die unvermeidbare Konsequenz. Dieseweiter zu entwickeln, bedeutet keinesfalls, sich schon irgendwie durchzumogelnoder gar zu täuschen. Es bedeutet vielmehr, Formen zu entwickeln, mit Nichtwis-sen zurechtzukommen und dennoch anschlussfähige und problemorientierte Hand-lungen zu aktualisieren bzw. zu ermöglichen. Viele Fernseh-Politiker machen diesheutzutage zwangsweise – und das heißt: nicht wirklich „kompetent“ – vor. Nebenden Fensterbauern sind sie die Meister der „Fassadenkompetenz“. Vielleicht soll-ten wir für die Gestaltung unserer Kompetenzbastelbiografien ihre Beratung alsInkompetenzkompensationskompetenzberater/innen einholen ... Was will man mehr– vorausgesetzt, man will vielleicht nicht doch etwas anderes.

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Christiane Hof

Von der Wissensvermittlung zur Kompetenz-orientierung in der Erwachsenenbildung?

Anmerkungen zur scheinbaren Alternative zwischen Kompetenz und Wissen

Ausgangspunkt

Lange Zeit versuchte die Erwachsenenbildung, ihren Beitrag zur Handlungsfähig-keit der Adressaten zu leisten, indem sie auf dem Wege organisierter Bildungsar-beit neue Kenntnisse nachliefert (vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft1990, S. 6), relevantes Wissen für die berufliche Tätigkeit vermittelt (vgl. Meyer-Dohm/Schneider 1991) und „Handlungsnormen und Werthaltungen“ weitergibt (Bun-desminister für Bildung und Wissenschaft 1990, S. 6). Auch wenn immer wiederherausgestellt wurde, dass alleine die Vermittlung wissenschaftlichen Wissens demAnspruch der Bildung des Adressaten nicht gerecht wird1 und Erwachsenenbil-dung als Lebenshilfe zu verstehen sei (Deutscher Ausschuss 1969), so ist den-noch festzuhalten, dass Wissen als zentrale Grundlage von Handlungsfähigkeitangesehen wurde. Denn Bildung ist zwar „nicht gleich Wissen, aber wohlverstan-denes Wissen ist für sie unerläßlich“ (Ballauff 1986, S. 94).Diese Wissenskomponente von Weiterbildung ist nun allerdings in verschiedenerWeise problematisiert worden: Wird Wissen verstanden als dogmatisches und ka-nonisches Wissen, dann stellt sich für die Programmplaner nicht nur das Problemder Auswahl relevanten Bildungswissens (vgl. Scheler 1947), sondern es lässt sichauch empirisch ein „Kurssturz der klassischen Wissensvermittlung“ (Körber u. a.1995, S. 350; hierzu auch Nolda 2001) ausmachen.Wird Wissen dagegen mit Blick auf seine Anwendbarkeit gesehen, dann lässt sichimmer wieder feststellen, dass scheinbar vorhandene Kenntnisse in Handlungssi-tuationen nicht eingesetzt werden. Es stellt sich also das Problem der Differenzzwischen Wissen und Verhalten – ein Phänomen, das unter dem Schlagwort „trä-ges Wissen“ (Renkl 1996) diskutiert wird.Vor dem Hintergrund dieser Situationsdiagnosen wurde die Wende „von der Wei-terbildung zur Kompetenzentwicklung“ ausgerufen. An Stelle der Vermittlung ‚trä-gen Wissens’ gehe es heute darum, den Erwerb von intelligentem und anwen-dungsfähigem Wissen, Lernkompetenz, methodisch-instrumentelle Schlüsselkom-petenzen, soziale Kompetenzen und Wertorientierungen zu fördern (vgl. ForumBildung 2001). Während die Rede vom Wissen assoziiert wird mit bloßer Theorie,abstrakten Aussagen über die Welt und einer Passivität des Lernenden, verweistdas Zauberwort Kompetenz auf praktisches Handeln, konkrete Situationen unddie Aktivität des Subjekts.

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An die Stelle von eng definierten Kenntnissen und Fertigkeiten sollen Fähigkeitenund Dispositionen treten, die selbstständig und flexibel in eigenverantwortlichesHandeln in privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Situationen umgesetztwerden können. Damit werden nicht die historisch kumulierten Wissensbestände,sondern das konkrete Individuum mit seinen Handlungsdispositionen und seinerSelbstorganisationsfähigkeit zum Ausgangspunkt pädagogischen Handelns gewählt(vgl. Erpenbeck/Heyse 1996, S. 110f.).Impliziert sind damit auch manifeste Veränderungen in der Gestaltung pädagogi-scher Praxis.– Nicht Lernziele, sondern Handlungsziele sollen den Ausgangspunkt von Bildungs-

arbeit bilden (vgl. Thiemann 2000).– Die Lerninhalte gilt es nicht entsprechend einer systematisch-wissenschaftli-

chen Sachlogik, sondern vor dem Hintergrund der Handlungsprobleme undHandlungsabsichten der Adressaten auszuwählen.

– Den Pädagogen kommt weniger die Rolle eines vortragenden Dozenten zu alsvielmehr die des Trainers oder Beraters, der durch die Gestaltung von Lernum-gebungen einen Beitrag zum Lernen der Adressaten leistet (zur Unterschei-dung verschiedener Handlungskonzepte vgl. Hof 2000, 2001a).

– Die Teilnehmer sollen sich das Wissen nicht in erster Linie durch Aufnahme undRezeption aneignen, sondern einen aktiven Beitrag zu konkreten Problemlö-sungsprozessen leisten.

Diese polarisierende Gegenüberstellung einer wissensorientierten und einer kom-petenzorientierten Bildungsarbeit ist allerdings zu einfach. So zeigt ein differenzierterBlick auf die Begriffe Kompetenz und Wissen, dass beide zusammengehören.

Implikationen wissensbezogener Erwachsenenbildung

Wissen lässt sich in einer ganz allgemeinen Bestimmung definieren als „die Ge-wißheit, daß Phänomene wirklich sind und bestimmbare Eigenschaften haben“(Berger/Luckmann 1980, S. 1). Diese Definition weist darauf hin, dass Wissen kei-ne ‚objektive’ Beschreibung der Phänomene, sondern das Ergebnis von Konstruk-tionsprozessen darstellt – ein Gedankengang, der auch immer wieder durch denHinweis auf die Differenz zwischen Information und Wissen beschrieben wird: Erstdurch die Einbindung in einen Kontext von Relevanzen wird aus Information Wis-sen (vgl. z. B. Willke 1998, S. 7ff.).Damit aber sind zwei zentrale Momente des Wissens angesprochen: Wissen be-zieht sich auf Kenntnisse, Fakten, Informationen, Theorien – also Annahmen –über die Welt. Im Unterschied zu isolierten Daten zeichnet sich Wissen dadurchaus, dass Zusammenhänge hergestellt werden.Indem hierbei derjenige Aspekt des Wissens betont wird, der sich auf die Aussageüber die Welt bezieht, lässt sich an dieser Stelle auch von einer propositionalenDimension des Wissens sprechen (vgl. Hof 2001a, S. 35ff.).2

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Diese Aussagen und Annahmen über die Welt werden an unterschiedlichen Ortenund in vielfachen Formen angehäuft und gesammelt. Zu nennen sind hier etwa dieverschiedenen Schrift- und Bildmedien einschließlich ihrer Aufbewahrungsorte wieBibliotheken, Datenbanken, Museen etc. Sachlich wird die propositionale Dimen-sion des Wissens gegliedert, wenn die Aussagen unterschiedlichen Weltausschnit-ten oder Themen zugeordnet werden. So lassen sich beispielsweise Kenntnisseüber Sachverhalte, Handlungsstrategien und -methoden, Wertmaßstäbe und Ori-entierungsprinzipien oder soziale Erfahrungen differenzieren (z. B. Kejcz u. a. 1980).Und auch auf der prozessualen Ebene sind vielfache Träger zu unterscheiden, diedie Kenntnisse auf je spe-zifische Weise verarbeitenund darstellen. Zu nennensind hier etwa individuelleund soziale Akteure, die alsSubjekte, Teams oder Orga-nisationen Wissen kumulie-ren.Der aktive Aspekt der Ku-mulation und Verarbeitungvon Aussagen über die Weltwird dann herausgestellt,wenn die dispositionale Di-mension des Wissens inden Vordergrund rückt. DieRede vom Wissen beziehtsich hier auf den „Zustand“bzw. die „Aktivität“ einesSubjekts.Der Zusammenhang zwi-schen dem Wissen und dermenschlichen Tätigkeit istschon in der griechischenAntike betont worden (vgl.Diemer 1970; Snell 1993). Wissen galt nicht mehr als Ergebnis von zufälligen Er-fahrungen oder als Eingebung durch die Musen, sondern als Resultat aktiven Nach-denkens und systematischen Forschens. Dieser Gedanke ist mit der Etablierungder wissenschaftlichen Methode immer stärker herausgearbeitet worden (vgl. Die-mer/König 1991) und wird gegenwärtig im Lichte konstruktivistischer Modelle dis-kutiert (z. B. Glasersfeld 1992).Während noch bis ins 19. Jahrhundert von einer konstitutiven Verbindung zwischender Aussage über die Wirklichkeit, der propositionalen Dimension des Wissen undder „Aktivität“ des Subjekts, der dispositionalen Dimension des Wissens ausge-gangen wurde, hat sich durch die Ausweitung des Buchmarktes sowie mit der Ent-

Propositionale und dispositionale Dimension des Wissens

Proposition

Disposition

WISSEN

Welt

Subjekt

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wicklung der Wissenschaft als eigenständiges soziales System der Produktion undSystematisierung von Aussagen über die Welt (vgl. Stichweh 1994) die traditionel-le Beziehung zwischen der Proposition und dem erkennenden Subjekt aufgelöst(vgl. Hof 1996, 1999). Wissen wird damit allein als System von Zeichen begriffen,das – wie beispielsweise Poppers Welt 3 unabhängig von den Wissensproduzen-ten existiert (vgl. Popper 1967, 1984).In einigen wissenschaftlichen Diskursen wird die damit angesprochene Trennungauch terminologisch vollzogen. Wenn beispielsweise die Wissenspsychologie Wis-sen als Kognition begreift (vgl. Graumann 1988) und sich in erster Linie den Pro-zessen der Speicherung, Verarbeitung und Reproduktion von Informationen wid-met, dann richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf die dispositionale Dimension desWissens. Andere Disziplinen dagegen befassen sich in erster Linie mit dem propo-sitionalen Aspekt des Wissens. Sie interessieren sich für die empirische Herausar-beitung ‚wahrer‘ Aussagen über die Welt.Die Pädagogik hat beide Argumentationsweisen aufgegriffen: Wir kennen diejeni-gen Programme, die – anknüpfend an die propositionale Dimension – Wissen alsdie Kenntnis einer (wahren) Aussage über die Wirklichkeit begreifen. Diese Aus-sagen – so wird unterstellt – lassen sich zu abgeschlossenen Wissenssystemenzusammenstellen und an die Adressaten weitergeben. Unter dem „Primat der In-struktion“ (Reinmann-Rothmeier/Mandl 1997, S. 359) kommt den Lehrenden dieAufgabe zu, diesen Wissenstransport zu organisieren und den Teilnehmern dieLerninhalte möglichst optimal strukturiert und sequenziert vorzugeben. Für dieOrganisation von Wissensvermittlungsprozessen stellt sich dabei nicht nur dasProblem, mit welchen didaktisch-methodischen Mitteln die Lehre zu gestalten istund wie die Aufnahme der Kenntnisse durch die Teilnehmer unterstützt werdenkönnte. Darüber hinaus gilt es auch zu klären, welches Wissen den Adressatenvermittelt werden muss.Andere dagegen rücken das erkennende Subjekt in den Vordergrund. Entspre-chend betonen sie, dass die Informationen und Aussagen über die Wirklichkeit –also die Propositionen – erst dann zu Wissen werden, wenn sie von einem Subjektaufgegriffen und in irgendeiner Weise verwendet werden. Und dies setzt – daraufhaben vor allem konstruktivistische Konzepte hingewiesen (vgl. Arnold/Siebert 1995;Gerstenmaier/Henninger 1997; Gerstenmaier/Mandl 1995; Siebert 1994) – die Ei-genaktivität des Lernenden voraus.Wissen bezieht sich in dieser Perspektive nicht allein auf die Informationen überdie Welt, sondern darüber hinaus auch auf die Fähigkeit, mit diesen Informationenumzugehen, sie in Beziehung zu setzen mit anderen Informationen. Entsprechendwird – unter Bezugnahme auf kognitionspsychologische Forschungen und kon-struktivistische Theoriemodelle – der Prozess des Wissenserwerbs besondersbeachtet. Für die Konzeption und Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements stelltsich demzufolge das Problem, durch welche methodischen Arrangements die akti-ve Aneignung von Wissen und die selbsttätige Problemlösungstätigkeit der Teil-nehmenden gefördert werden können.

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Damit sollen diese kurzen Ausführungen zum pädagogischen Wissensdiskurs ver-deutlichen, dass das Wissen nicht (mehr) ausschließlich im Hinblick auf seine pro-positionale Dimension thematisiert wird, sondern auch die dispositionale Dimensi-on, also der individuelle Umgang mit Wissen berücksichtigt ist.Vor dem Hintergrund dieses theoretischen Zusammenhangs zwischen Form undInhalt des Wissens erweist sich eine einfache Polarisierung von Wissen und Kom-petenz als problematisch. Denn eine – theoretisch aufgeklärte – wissensorientier-te Bildungsarbeit beschäftigt sich nicht ausschließlich mit Fragen der Inhaltsaus-wahl, sondern ist sich bewusst, dass es auch die Form des Wissens pädagogischzu reflektieren gilt. Entsprechend dem Zusammenhang zwischen Form und Inhaltdes Wissens (vgl. Hof 1997) ist zu überlegen, in welcher Form das Wissen präsen-tiert werden muss, damit die relevanten Kenntnisse angeeignet werden und alsGrundlage für kompetentes Verhalten dienen können.Ebenso wie der distanzierte Blick auf eine wissensorientierte Erwachsenenbildungnotwendige Differenzierungen erkennen lässt, so sind auch im Kontext des Kom-petenzdiskurses Konkretisierungen einzufordern. Hervorzuheben sind dabei insbe-sondere die problematische Beschränkung des Kompetenzbegriffs auf allgemeineHandlungsfähigkeit und die Ausblendung inhaltlicher Voraussetzungen und situa-tiver Handlungsrahmen.

Implikationen kompetenzorientierter Erwachsenenbildung

Blickt man genauer auf den Kompetenzdiskurs innerhalb der Weiterbildung, dannzeigt sich, dass der Begriff „Kompetenz“ hier häufig verwendet wird zur Beschrei-bung der Anlagen, Fähigkeiten und Bereitschaften, die eine Person hat, um eineTätigkeit auszuführen (vgl. z. B. Erpenbeck/Heyse 1999). Kompetenzen gelten damitals Handlungsvoraussetzungen. Als Dispositionen umschreiben sie das, „was ei-nen Menschen wirklich handlungsfähig macht“ (Bernien 1997, S. 24).Um die Vielfalt menschlicher Kompetenzen zu erfassen, werden unterschiedlicheFormen des Handelns abgegrenzt: geistige, instrumentelle, kommunikative undreflexive Handlungen. Die Dispositionen, diese Handlungen selbstorganisiert aus-zuführen, gelten als unterschiedliche Kompetenzen. Zu differenzieren sind folglichFachkompetenzen, Methodenkompetenzen, Sozialkompetenzen und personaleKompetenzen (vgl. Erpenbeck/Heyse 1999).Diese Beschreibung von Kompetenzen als Handlungsdispositionen, die ein ein-zelner Mensch mitbringt, könnte die Vermutung nahe legen, dass es sich hierbeium Persönlichkeitsmerkmale oder allgemeine Fähigkeiten handelt, die der Einzel-ne hat oder eben nicht hat. Nun kann man bei genauerem Hinsehen allerdingszeigen, dass es nicht ausreicht, Kompetenz in dieser abstrakten Weise als allge-meine Handlungsfähigkeit zu begreifen (vgl. Hof 2001a, 2002). Dann wäre Kom-petenz identisch mit Fähigkeit, und es bleibt unklar, warum ein neues Wort heran-gezogen wird.

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Schon die lexikalische Verwendung verdeutlicht, dass Kompetenz mit Sachver-stand, Fähigkeit und Zuständigkeit in Verbindung gebracht wird (vgl. Erault 1998).Damit aber ist eine Verbindung hergestellt zwischen Person und Umwelt, genauerzwischen dem Wissen (Sachverstand) und dem Können (Fähigkeit) einer Personsowie der Erlaubnis (Zuständigkeit) zur Handlungsdurchführung. Mit anderen Wor-ten, Kompetenz ist als Relation zwischen Person und Umwelt anzusehen (vgl.Nigsch 1999).

Betrachtet man Kompetenz als Relation zwischen Person und Umwelt, dann zeigtsich schnell, dass die Rede von Kompetenz sich nicht auf allgemeine Handlungs-fähigkeit beziehen kann, sondern situationsbezogene Handlungsfähigkeit meint.Denn Zuständigkeiten werden einer Person nicht allgemein, sondern immer in spe-zifischen Handlungssituationen zugewiesen. Entsprechend sieht sich die Personnicht einer abstrakten Umwelt gegenüber, sondern immer konkreten Bedingungenund Erwartungen. Auch ist nicht alles individuelle Wissen bedeutsam, sondern nurdiejenigen Ressourcen, mit denen ein Betrag zur Bearbeitung der Situation geleis-tet werden kann.Mit anderen Worten: Kompetenz bezieht sich auf die Fähigkeit, in Situationen un-ter Berücksichtigung der personalen Handlungsvoraussetzungen und der äuße-ren Handlungsbedingungen Ziele zu erreichen und Pläne zu realisieren (vgl. auchSchuller/Barthelme 1995).Zugleich ist damit auch auf den Unterschied zwischen Kompetenz und Performanzhinzuweisen. Mit der Chomsky’schen Differenzierung ist zum Ausdruck gebracht,dass eine Unterscheidung zwischen Handlungsvoraussetzung und Handlungs-durchführung anzulegen ist. Kompetentes Handeln (Performanz) zeigt sich dem-zufolge in der konkreten Handlungsdurchführung, etwa der Interaktion von Indivi-duen. Es setzt die Fähigkeit (Kompetenz) voraus, Person und Umwelt in Bezie-hung zu bringen. Diese Kompetenz basiert nicht nur auf der Formulierung undVerfolgung eigener Handlungsziele, sondern auch auf der Fähigkeit, die hierfürzweckmäßigen Mittel einzusetzen und sich dabei situationsangemessen zu ver-halten.

Fähigkeit

Zuständigkeit

Kompetenz als Relation zwischen Person und Umwelt

KOMPETENZ

Umwelt

Sachverstand

Person

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Theoretisch lässt sich der skizzierte Kompetenzbegriff mit Hilfe der Handlungs-theorie näher erläutern (vgl. Nigsch 1999). In dieser Perspektive wird davon aus-gegangen, dass Menschen mit vielfachen Ressourcen ausgestattet sind. Daruntersind Kenntnisse, Erfahrungen, praktische Fertigkeiten, persönliche Fähigkeiten undVorlieben zu verstehen. Diese Ressourcen – Wollert (1997) spricht von Wissen,Können und Wollen – werden in Handlungssituationen eingesetzt. Das Handelnfindet wiederum in konkreten Umwelten statt, die sich durch spezifische Bedin-gungen auszeichnen (materielle Ausstattung, andere Personen, normative Anfor-derungen und Handlungserwartungen etc.). Die Kompetenz eines Individuumsbezieht sich nun genau auf die Kombination und Mobilisierung der verschiedenenpersonalen und umweltbezogenen Situationskomponenten. Insofern ist Kompe-tenz zu begreifen als relationaler Begriff. Er stellt eine Beziehung her zwischenden individuell vorhandenen Kenntnissen (deklaratives Wissen), den Fähigkeitenund Fertigkeiten (Können) und den Motiven und Interessen (Wollen) auf der einenSeite und den Möglichkeiten, Anforderungen und Restriktionen der Umwelt auf deranderen Seite. Das Ausmaß, in dem die Kompetenzrelationen dann in kontingen-ten Bedingungen realisiert werden, macht die Performanz aus.Diese Konkretisierung des Kompetenzbegriffs – als Fähigkeit zur Relationierungzwischen Person und Umwelt – verdeutlicht, dass Kompetenz auf einer Vielzahlvon Kenntnissen, Werten, Erfahrungen, Fähigkeiten und Handlungsantrieben ba-siert. „Kompetenzen werden von Wissen fundiert, durch Werte konstituiert, alsFähigkeiten disponiert, durch Erfahrungen konsolidiert, auf Grund von Willen reali-siert“ (Erpenbeck/Heyse 1999, S. 162).Konkreter noch wird der Zusammenhang von Wissen, Kompetenz und Situations-bewältigung bei Weinert deutlich, wenn er Kompetenzen als funktional bestimmte,auf bestimmte Klassen von Situationen und Anforderungen bezogene kognitiveLeistungsdispositionen begreift (vgl. Klieme u. a. 2001, S. 183).

Kompetenz als situationsbezogene Relation zwischen Person und Umwelt

PERSON

• Wissen

• Können

• Wollen

UMWELT

• Befugnis

• Erwartungen

• Ressourcen

SITUATION

Kompetenz

Performanz

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Konsequenzen

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen dürfte deutlich geworden sein, dassWissensorientierung und Kompetenzentwicklung in der Erwachsenenbildung kei-ne Gegensätze darstellen müssen, denn Wissen ist als eine Grundlage von Kom-petenz anzusehen, und Kompetenz lässt sich als Form des Umgangs mit Wissenrekonstruieren. Damit aber stehen wir vor einer neuen Ausgangssituation: Im Zen-trum steht nun weniger die Diskussion, ob Wissen oder Kompetenz zur Beschrei-bung des Bildungsziels geeignet sind, sondern vielmehr die Frage, wie der Zu-sammenhang zwischen Wissen und Kompetenz sich theoretisch und empirischdarstellt.Im Hinblick auf diese Frage hat der Kompetenzdiskurs zwei zentrale Neuerungenmit sich gebracht:– Zum einen bilden nicht mehr in erster Linie die Vermittlung umfassender Kennt-

nisse über die Welt oder die für die Durchführung konkreter Arbeiten erforderli-chen Qualifikationen den Ausgangspunkt der erwachsenenpädagogischen Re-flexion, sondern das individuelle Handlungssubjekt ist noch stärker in den Mit-telpunkt gerückt.

– Zum zweiten wird der Bezug zwischen Wissen und Handeln im Hinblick aufseine Anwendbarkeit besonders beachtet. Wissen erscheint damit nicht mehrals (theoretische) Voraussetzung für (praktisches) Handeln, sondern als kon-kreter Umgang mit Kenntnissen innerhalb und außerhalb pädagogischer Situa-tionen.

Das aber bedeutet sowohl für die pädagogische Organisation und Gestaltung vonErwachsenenbildung als auch für die empirische Bildungsforschung, dass demProblem des Wissens neue Aufmerksamkeit zu schenken ist. Das Interesse hatsich nicht mehr in erster Linie auf das Problem der Vermittlung und Aneignung vonWissen zu richten, sondern auch auf die Bedingungen und Formen des Umgangsmit Wissen. Dabei ist zwischen verschiedenen Personengruppen, Wissensinhal-ten und -formen ebenso zu differenzieren, wie auch die Mannigfaltigkeit unterschied-licher pädagogischer und anderer Handlungssituationen zu berücksichtigen ist.

Anmerkungen

1 Diese Diskussion findet sich schon im Rahmen der Auseinandersetzung um die alte undneue Richtung in der Volksbildung (vgl. hierzu Hof 1996).

2 In der neueren Expertiseforschung (vgl. z. B. Gruber/Ziegler 1996) und der Literatur zumWissensmanagement (z. B. Willke 1998, S. 12ff.) wird zunehmend die Bedeutung desimpliziten Wissens herausgestellt. Dieses Wissen zeichnet sich gerade dadurch aus, dasses nicht in Form von expliziten Propositionen vorliegt, aber dennoch Annahmen über dieWelt enthält.

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Jochen Kade/Wolfgang Seitter

Bildung und Umgang mit Wissen im Kontext unter-schiedlicher sozialer Welten

Erziehungswissenschaftliche Perspektiven

1. Von ‚Bildung‘ zum ‚Umgang mit Wissen‘.

Die Moderne ist mit dem Anspruch der Selbstermächtigung und in diesem Sinneder Bildung des Subjekts angetreten. Die im Projekt der Moderne begründete neu-zeitliche Pädagogik/Erwachsenenbildung ist – so unsere Ausgangsüberlegung –durch eine Denkform bestimmt, die sich am Leitbild organisierter, professionellgesteuerter bzw. betreuter Institutionalisierungsformen von Bildung orientiert, de-ren Handlungsvollzüge sie begleitet, mit denen sie als kontinuierliche Selbstbe-schreibung mitläuft. Diese Denkform vereindeutigt durch normative Harmonisie-rung und handlungsbezogene Synthetisierung das spannungsreiche, im Grundezweipolige Verhältnis von Pädagogik und Bildung im Sinne einer an „moralischenge Räume“ (Oelkers) gebundenen Handlungspraxis, die auf einen an der Ver-nunftidee der Aufklärung ausgerichteten linear steigenden Wissenserwerb als Be-dingung der Subjektwerdung zielt.Allgemein bezeichnet das Pädagogische eine sich von anderen sozialen Realitä-ten abgrenzende Form, die aus den prozedural-sozialen Elementen ‚Vermitteln‘und ‚Aneignen‘ sowie dem sachlichen Element des Inhalts besteht. Ihr Fluchtpunktist ein für die Zukunft erwünschter Zustand des Menschen. Er regelt die der jewei-ligen Ausprägung der Elemente zugrundeliegenden Selektionen und symbolisiertzugleich ihren internen Zusammenhang. Bildung ist dafür eine historisch bewähr-te, theoretisch und praktisch immer noch anregungsreiche Orientierungsmarke (vgl.Lenzen 1997; Tenorth 1997).In der in den Ideen der Aufklärung verankerten Pädagogik ist diese Bestimmungdes Pädagogischen in einer – wie man unter Bezug auf Panajotis Kondylis (1991)sagen kann – „synthetisch-harmonisierenden Denkform“ besondert. Bildung wirdhier als Mündigkeit/Autonomie verstanden und an individuelle, vernunftgeleiteteUrteilsfähigkeit gebunden. Sie wird entweder nach der Seite des Kanons, des In-halts, der Festigkeit, Fachlichkeit und Autorität ausbuchstabiert mit dem Zerrbilddes Philisters und des Bildungsbürgers, die Bildung als Besitz verstehen, odernach der Seite der Vervollkommnung, des Formalen, des Flüssigen, der Methode,der Selbsttätigkeit nach dem Vorbild des Sokrates. Erworben wird Bildung durchdie Aneignung von (wissenschaftlichem) Wissen, vorzugsweise durch die intensi-ve Auseinandersetzung mit in schriftlicher Form als Buch existierendem Wissen.1

Die Ermöglichung von Bildung wird – mit mehr oder weniger starken Wirkungsan-

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nahmen verbunden – als dem Handlungsmuster folgende (zeitliche) Prozessie-rung des Zusammenhangs von Vermitteln, Aneignen und Wissen konzipiert. In die-sem Prozess sind Vermitteln und Aneignen personal fest gebunden und in irrever-sibler Abfolge verknüpft. Davon unterschieden wird Bildung als ein dem korres-pondierender individueller, im Bewusstsein verlaufender Erkenntnisprozess. DieAnnahme der Objektivität und Festigkeit, damit der Zentralität des Wissens hat zurFolge, dass das pädagogische Handeln vielfach technisch reduziert als Transportverstanden wird oder auch als Tradierung der Kultur von der Erwachsenen- zurheranwachsenden Generation. Ein solcher letztlich technischer Kommunikations-begriff prägt im Sinne eines „didaktischen Materialismus“ (Dräger) das pädagogi-sche Handeln in der Erwachsenenbildung noch im ganzen 19. Jahrhundert.Die Plausibilität und Evidenz dieser Denkform ist an gesellschaftliche, institutio-nelle und kulturell-normative Voraussetzungen gebunden, die seit dem 19. Jahr-hundert schrittweise brüchig geworden sind, und zwar auf Grund externer, internpädagogischer und scientifischer, die Institutionalisierung der Erziehungswissen-schaft im Wissenschaftssystem betreffender Entwicklungen. So haben sich durchdie Durchsetzung der Prinzipien der (liberalen) Massendemokratie in allen ge-sellschaftlichen Bereichen nicht nur die individuellen Mitwirkungs- und Gestal-tungsansprüche erhöht. Es hat auch eine Trivialisierung von Bildung stattgefun-den, mit der Folge nicht nur einer inhaltlichen Veränderung des Bildungswissens,sondern auch der Lockerung der Klammer, die Pädagogen und ihre Adressatennormativ integriert, sowie einer Auflösung des sie verbindenden kulturellen Hori-zontes.Die Ausweitung der Massenmedien und der neuen elektronischen Medien hat nichtnur neue Vermittlungs- und Aneignungsformen ermöglicht, die von der Person desPädagogen und vom Interaktionsort unabhängig sind. Es findet auch eine Ver-schiebung des Aktivitäts- und Gravitationszentrums (von Bildung) von den Päda-gogen zu ihren Adressaten hin statt, und zwar bezogen auf Kontexte pädagogi-schen Handelns im Sinne einer Steigerung der Autonomie der Aneignung und be-zogen auf andere Kontexte im Sinne wachsender Selbstorganisation des Lernens.In diesem Sinne tritt die Selbsterschaffung der Adressaten gegenüber der pädago-gischen Vermittlung und der davon abhängigen Aneignung stärker hervor.Durch die Ausrichtung auf den Markt sind nicht nur die externen Leistungsbezüge,sondern auch die internen Verhältnisse der Pädagogik ökonomisiert worden. Sohat sich das normativ integrierte pädagogische Verhältnis in eine Dienstleistungs-und damit Kundenbeziehung transformiert, die inhaltlich und sozial durch je aktu-elle Adressatenansprüche bestimmt wird, nicht durch gesellschaftlich-kulturell län-gerfristig verankerte Orientierungen der Pädagogen. Insgesamt hat die Ökonomi-sierung zu einer Verdrängung von Bildungs- durch Qualifikationserwartungen, zueiner stärkeren Betonung des Anwendungsbezuges geführt.Zwar ist die gesellschaftliche Bedeutung von Wissen gewachsen im Zuge einerEntwicklung, die in den Diagnosen der gegenwärtigen Gesellschaft als Wissens-gesellschaft ihren prägnanten Ausdruck gefunden hat. Aber zugleich wird die an

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(objektives) Wissen gebundene Bildungsorientierung auch fragwürdig, weil dasWissen im Zuge der Pluralisierung und Entzauberung von Wissenschaft seinenGewissheitscharakter verliert und die Seite des Nichtwissens hervortritt. Noch stär-ker werden die Fundamente von Bildung durch den Informations- und Unterhal-tungstrend moderner Gesellschaften im Kontext der neuen Kommunikations- undInformationstechnologien erodiert.Wenn die normative Integration von pädagogischem Handeln und Subjektwerdungan Kraft verliert und die Koordination der Elemente Vermitteln, Aneignen und Wis-sen in einer Handlungsordnung problematisch wird,2 weil ihre Bestimmung durchunterschiedliche Akteursinteressen und Selektionskontexte sie gegeneinander ver-selbstständigt, dann büßt die synthetisch-harmonisierende Denkform der moder-nen Pädagogik an den beiden für sie konstitutiven Punkten ihre empirische De-ckung ein. Beleuchtet man diese Auflösungserscheinungen vor dem Hintergrunddes Theorems der „reflexiven Moderne“ (vgl. Beck/Giddens/Lash 1996; Beck/Bonß2001), so ist zu vermuten, dass es sich hierbei um den Fall einer Modernisierungder Moderne handelt, in deren Verlauf die normativen und institutionellen Gewiss-heiten der Pädagogik brüchig werden, ohne dass dadurch jedoch die Aufklärungs-ansprüche der Moderne außer Kraft gesetzt würden.Für eine zeitdiagnostische Analyse, die sich im Kontext eines derartigen gesell-schaftlichen Modernisierungsprozesses für die sich empirisch entwickelnde Ge-stalt des Pädagogischen interessiert, ist es nicht sinnvoll, weiterhin vom Konzepteiner synthetisch-harmonisierenden pädagogischen Denkform3 auszugehen unddamit bereits theoretisch eine einengende Vorentscheidung zu treffen, was denAnalyserahmen angeht. Angeregt durch die von Panajotis Kondylis begründetemodernitätstheoretische These eines Übergangs von einer synthetisch-harmoni-sierenden zu einer analytisch-kombinatorischen Denkform haben wir uns vielmehran dem offeneren Konzept ‚Umgang mit Wissen‘ orientiert.‚Umgang mit Wissen‘ kann ebenso wie ‚Bildung‘ auf die Dimensionen Vermitteln,Aneignen und Wissen hin analysiert werden. Im Hinblick auf diese Elemente un-terscheiden sich beide Konzepte nicht. Aber während ‚Umgang mit Wissen‘ dieElemente wie ein Lexikon in ihrer Zerstreuung belässt und zwischen ihnen nureine äußere Ordnung herstellt, zielt ‚Bildung‘ – wie ein Buch – auf die Einheit derElemente, hervorgehend aus der ihnen innewohnenden bzw. zugeschriebenenimmanenten Ordnung.4 Das Konzept ‚Umgang mit Wissen‘ betont einerseits dieVielzahl der Kontexte, in denen Vermitteln, Aneignen und Wissen steht; andererseitsdie Verselbstständigung dieser Elemente gegeneinander und die auf dieser Grund-lage entstehende Vielzahl von sie verbindenden Relationen.5

Im Falle des Konzepts ‚Bildung‘ leistet (1) der Bildungsbegriff die Schließung derDenkform. Über ihn sind die Elemente zur Einheit synthetisiert. (2) Wissen wird alsfest, objektiv und homogen gefasst. (3) Die Umgangsformen Vermitteln und Aneig-nen sowie ihr Zusammenhang sind durch die Bildungszentrierung determiniert:Vermitteln ist lehrzentriert konzipiert, Aneignen lernzentriert; Aneignen ist im Ver-mitteln als notwendige Folge impliziert und von diesem bestimmt. (4) Wissen steht

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im Mittelpunkt. Es ist die (notwendige und hinreichende) Bedingung für Bildung.(5) Bildungsziel ist das urteilsfähige, autonome Subjekt.Das Konzept ‚Umgang mit Wissen‘ weist demgegenüber bereits in seiner begriffli-chen Fassung eine zweigliedrige Relation auf. Die durch den Bezug auf Bildungermöglichte Einheit(svorstellung) wird aufgelöst in eine zwei Glieder umfassendeRelation von ‚Umgang‘ und ‚Wissen‘. Inhalts- und Umgangsfragen treten damitauseinander, sind aber auch aufeinander bezogen, wobei sich allerdings derSchwerpunkt von der Frage nach dem Was auf die nach dem Wie verschiebt, alsoauf die Fragen des Umgangs: (1) Dieses Konzept hat keinen gegenüber dem Pro-zess externen Bezugspunkt, über den die Elemente integriert werden. Als Folgedes Fehlens einer solchen aus dem Inneren heraus integrierend wirkenden Klam-mer sind die Elemente durch unterschiedliche Kontexte mit je eigenen Selektions-mustern, d. h. „polykontextural“ (Günther 1979) bestimmt. Ihre Ausprägung streut,sie ist nicht bildungszentriert. Sie folgt den situativen und kontextspezifischen, le-bensweltlichen und professionellen Eigenrationalitäten der jeweiligen Akteure. Dasdadurch entstehende gleichsam freie Spiel von vielen Wissens-, Meinungs- undMachtzentren geht mit einer Wirkungsschwäche pädagogischer Interaktion einher.(2) Der Inhalt von Vermittlung und Aneignung ist nur mit einem weitem, z. T. un-scharfen, in andere Inhaltsformen übergehenden Wissensbegriff zu beschreiben,dessen Spektrum am einen Rand durch einen Wissensbegriff besetzt ist, der aufWissen als Form abhebt, deren notwendige andere Seite das Nichtwissen ist; amanderen Rand steht eine in Information aufgelöste Wissensvorstellung. Dazwischensind die unterschiedlichen Wissensformen anzusiedeln, die in der Wissenschaftinzwischen ausdifferenziert worden sind. Der Inhalt ist wissensbezogen, aber nichtwissenszentriert. (3) So wie Wissen sind auch Aneignen und Vermitteln von derBestimmung durch Bildung freigesetzt. Sie sind nicht hierarchisch, sequenziellaufeinander bezogen, sondern sind gleichberechtigte Formen des Umgangs mitWissen. Diese Umgangsformen sind unabhängig vom Wissen. Sie werden durchdieses nicht gesteuert, sondern können empirisch streuen: Vermitteln ist lehrbezo-gen, aber nicht lehrzentriert zu denken, Aneignen lernbezogen, aber nicht lernzen-triert. (4) Im Mittelpunkt steht nicht das Wissen, sondern der Umgang mit ihm. (5)Als Leitvorstellung ist der kommunikationsfähige, über den Zugang zu den Quel-len des Wissens frei und umfassend verfügende Mensch unterstellt.Trotz der erläuterten strukturellen Nähe beider Konzepte ist das Konzept ‚Umgangmit Wissen‘ ein nur uneindeutig markiertes diffuses gesellschaftliches Selbstver-ständigungs- und Orientierungskonzept in einer als Wissensgesellschaft bezeich-neten Gesellschaft. Dieses Konzept enthält die Elemente des synthetisch-harmo-nistischen Pädagogikbegriffs, ohne allerdings dessen normativen und handlungs-bezogenen Verknüpfungs- und Integrationsmodus zu übernehmen. Damit kann dieIntegration der basalen pädagogischen Elemente selber zum Forschungsthemawerden. Das zu Forschungszwecken eingeführte, unter dem Aspekt des Pädago-gischen nicht nur offene, sondern auch uneindeutige Konzept ‚Umgang mit Wis-sen‘ eröffnet der empirischen Analyse einen Spielraum, der genutzt werden kann,

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um ein pädagogiknahes komplexes Feld an theoretisch begründeten (singulären)Fällen in ihren Viel- und Mehrdeutigkeiten – nicht vorschnell pädagogisch engge-führt – in den Blick zu bekommen. Der heuristische Reiz des Konzeptes ‚Umgangmit Wissen‘ liegt gerade in seiner großen Affinität zu den Diskursen im Feld, auchwenn es natürlich erst aus erziehungswissenschaftlicher Distanz auf den Begriffgebracht, damit als theoretisches Konzept verwendet werden kann. „Zumindestkönnten auf diese Weise das pädagogisch Ungeordnete, das pädagogisch nochnicht und nicht mehr Geordnete und das pädagogisch nicht zu Ordnende, das sonstso gerne außen vor gelassen wird, wieder stärker ins theoretische Bewusstseinrücken“ (Lüders 1994, S. 126). In diesem Sinne geht es um den Versuch, erzie-hungswissenschaftliches Denken und Theoretisieren mit der Erfahrung ‚zwielichti-ger‘ Ordnungen (vgl. Waldenfels 1987) beginnen zu lassen.

2. Umgang mit Wissen im Kontext zweier sozialer Welten: eine Projektskizze

Um die hier vorgetragenen Gedanken zumindest ansatzweise zu konkretisieren,wollen wir im Folgenden kurz über das von uns geleitete Projekt „Wissensgesell-schaft. Umgang mit Wissen im Kontext sozialer Welten vor dem Hintergrund deruniversellen Institutionalisierung des Pädagogischen“ berichten.6 Empirischer Un-tersuchungsgegenstand des Projektes sind zwei soziale Welten, die beide durchein enges Netz von pädagogischen Institutionen bzw. Institutionen mit pädago-gisch strukturierten Vermittlungsleistungen bestimmt sind, nämlich die soziale Weltvon Obdachlosen und die soziale Welt eines Großbetriebes. Zentrale Untersu-chungsperspektive des Projektes ist die Frage, wie auf der Vermittlungs-, Aneig-nungs- und Aushandlungsebene mit der Vielfalt und Heterogenität von fallrelevan-tem, gesellschaftlich produziertem Wissen umgegangen bzw. wie dieses Wissenim Spannungsfeld von Institutionen, Interaktionen und Biographien prozessiert wird.Die innerhalb des Projektes im Mittelpunkt stehenden Gruppen dieser beiden sozi-alen Welten sind Obdachlose und Führungskräfte, die sich – im Sinne einer maxi-malen Kontrastierung – durch Kriterien wie Zirkularität/Dynamik, Fortsetzung/Fort-schritt, Marginalisierung/Privilegierung, Ausgrenzung/Eingrenzung von Wissen ineinem ersten Zugriff elementar voneinander unterscheiden.Obdachlose verkörpern eine soziale Welt, die durch Diskontinuitäten, Störungenund sich reproduzierende Routinen bestimmt ist. Ihre Lebensführung ist – im wei-testen Sinne – sozialpädagogisch strukturiert und durch die Erfahrung ubiquitärerUnsicherheit gekennzeichnet. Für sie ist die alltägliche Lebensbewältigung daszentrale Arbeitsmotiv, Überleben wird zur gestaltenden Daueraufgabe. Obdachlo-se sind dem heteronom verwalteten Zugriff von Institutionen ausgesetzt, demge-genüber sie ihre eigenen Spielräume ausloten. Geographische Mobilität als Mög-lichkeit des Verschwindens stellt für sie eine immer wieder genutzte Option derEntschärfung von Konflikten dar. Sie ist eine spezifische Form von Extraterritoriali-tät, die gleichzeitig stark auf ein soziales Feld bezogen ist.

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Führungskräfte stehen dagegen für ein Feld, in dem Individuen unter akutemVeränderungsdruck stehen, (altes) Wissen fortwährend entwertet wird und neuesWissen kontinuierlich erworben werden muss. Ihr Leben kann nicht selbstverständ-lich in vorgegebenen Strukturen verlaufen, sondern wird wissensabhängig. Füh-rungskräfte leben in einer dynamisch sich verändernden Welt (Modernisierung alsRestrukturierung), in die sie laufend eingreifen (müssen), die kontinuierlich vonihnen gestaltet wird (werden muss). Für Führungskräfte ist Arbeit das zentrale Le-bensmotiv, Gestaltungsbedarf wird zur beruflichen Aufgabe. Führungskräfte sindnicht nur Adressaten von Institutionen, sondern gleichzeitig auch deren Produzen-ten. Sie sind die Institution und nutzen sie zugleich durch mögliche kreative Um-gangsformen mit ihr.Der Vergleich dieser beiden sozialen Welten wird von den traditionellen erziehungs-wissenschaftlichen Diskursen nicht gerade nahegelegt. Obdachlose werden vonden Erziehungswissenschaften vornehmlich im Rahmen einer sozialpädagogischenBetreuungsperspektive von Institutionen oder als Produkt biographischer Abstiegs-karrieren thematisiert, nicht aber unter dem Aspekt des Umgangs mit Wissen.Führungskräfte sind dagegen so gut wie ausschließlich im Rahmen einer betriebs-bezogenen Weiterbildungsdiskussion präsent; und zwar in der Perspektive der ih-nen angesonnenen Qualifikationsbündel und der darauf bezogenen Weiterbildungs-maßnahmen bzw. als Prototypen einer Kultur selbstorganisierten Lernens.Diese gängigen Muster erziehungswissenschaftlicher Thematisierung – sozialpäd-agogische Betreuung/autonome Wissensaneignung, institutionelle Verwahrung/selbstorganisiertes Lernen, Betreuung ohne Wissensbezug/Wissensbezug ohneBetreuung –- sind jedoch viel zu einfach und dichotom gebaut. So lässt sich nachunseren Befunden einerseits zeigen, dass auch Obdachlose über vielfältige Wis-sensbestände und -quellen verfügen, die sie sich mit bestimmten Lernstrategienund -routinen, auch jenseits der sozialpädagogischen Betreuungsinstanzen bzw.durch sie hindurch, aneignen; und auch Führungskräfte werden von zahlreichenInstitutionen wissensmäßig versorgt bzw. unterwerfen sich – im Rahmen entspre-chender Bewertungs- und Evaluationssysteme – einer permanenten Dauerkon-trolle hinsichtlich des eigenen, auch wissensbezogenen Entwicklungspotenzials.Andererseits zeigt eine genaue(re) Analyse der vielfältigen Formen medialer oderinteraktiver Kommunikation, dass in der Welt von Obdachlosen und Führungskräf-ten insgesamt nur eine fragmentarische, Vermitteln, Aneignen und Wissen kaumintegrierende pädagogische Handlungsordnung erkennbar wird, auch wenn dieverschiedenen Vermittlungs- und Aneignungsverhältnisse (im Einzelnen) ohne päd-agogische Strukturierungen nicht denkbar sind. Dies gilt sowohl für die sozialeWelt von Obdachlosen als auch für die soziale Welt von Führungskräften inner-halb eines Großbetriebes. Beide sind eingelagert in die unterschiedlichsten For-men pädagogischer bzw. pädagogisch strukturierter Wissensvermittlung bzw. Kom-munikation, deren Zielperspektive, Wissensgehalt und Überprüfungscharakter starkvoneinander abweichen und die – wenn überhaupt – nur lose miteinander in Ver-bindung stehen. So sind etwa die gesellige Unterhaltung im Obdachlosencafé, die

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biographische Präsentation in der sozialpädagogischen Beratungsstunde, derschriftstellerische Produktionsversuch im Literaturkreis oder die genussbezogeneAktivität bei Freizeitfahrten ebenso mit divergenten, changierenden, sich abwech-selnden Perspektiven durchsetzt wie die mediale Präsentation des Infrapreneursals neuem Mitarbeiterleitbild, die beanspruchte Trainerschaft des Unternehmens-leiters im Interview oder die Verweigerung webbasierter Informationsweitergabedurch Mitarbeiter in der wöchentlichen Besprechungsroutine. Insgesamt zeigt sicheine Vielzahl unterschiedlichster, pädagogisch uneindeutiger, vieldeutiger sozialerRealitäten, die aufs Ganze gesehen das Bild einer hybriden (Aneignungs-)Kulturergeben (vgl. dazu in detaillierter Form die ersten Befunde in Kade/Seitter 2001).

3. Zwischen Vereindeutigung und Vieldeutigkeit. Von der pädagogischen

Denkform zu pädagogischen Wissensordnungen

Versucht man, die hier nur kursorisch skizzierten Befunde zusammenzufassen undauf die eingangs formulierten Überlegungen zuzuspitzen, so lassen sich Anhalts-punkte für Entwicklungen erkennen, die als Subjektbildungsprozesse von Obdach-losen und Führungskräften beschrieben werden können. Das dabei in den Blickkommende Subjekt geht jedoch nicht in der Vorstellung eines Subjektes auf, dasentsprechend der synthetisch-harmonisierenden Denkform der Moderne durchpädagogisches Handeln erzeugt bzw. ermöglicht werden soll. Jede Verabsolutie-rung einer Vorstellung, das Individuum könne kraft des Denkens, kraft seines Wis-sens sich und die Wirklichkeit gestalten, erweist sich angesichts des analysiertenMaterials schnell als schöne pädagogische Illusion. Der wesentliche Unterschiedzu einem solchen Subjektverständnis liegt darin, dass das in den Analysen in denBlick kommende Subjekt sich nicht nur durch stetigen Wissenszuwachs als Sub-jekt erweist bzw. im Sinne einer Steigerung erst zum Subjekt wird, sondern auchdadurch, dass es sich – in ein Netz vielfältiger Kommunikations- und Erkenntnis-möglichkeiten eingebettet – als Produktionsquelle seiner selbst bewährt und ent-faltet. ‚Zugang‘ wird damit zu einer zentralen Kategorie des Subjekts (vgl. Rifkin2000; Lash/Urry 1994; Castells 2001). Gesellschaftstheoretisch mache es „keinenSinn mehr” – so die schon ältere These von Wolfgang Bonß und Helmut Dubiel –,die Frage der „Entfaltung von Individualität unabhängig von vorgegeben Entfal-tungsmedien zu stellen, sprich: von Arbeitsmarktchancen, Bildungs- und Konsum-chancen” (Bonß/Dubiel 1987, S. 53)7 . In diesem Sinne ist das Subjekt, an daspädagogische Arbeit im Feld der Obdachlosen und Führungskräfte adressiert ist,einerseits durch das bestimmt, was es qua Wissen (kognitiv-individuell) ist, undandererseits durch seine Zugangsmöglichkeiten, seinen Beziehungsreichtum, sei-ne Bewegungsfreiheit im sozialen Raum. Pädagogische Kommunikation erzeugtsomit eine Ausweitung des Netzwerkes, in dem die Beteiligten stehen.Dieses Subjektverständnis ist durchaus anschließbar an das aufklärerische Pro-gramm der Selbstermächtigung des Menschen; nicht jedoch an die (am Modell

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Unterricht orientierte) pädagogisch vereindeutigende Version, die Bildung als aufWissen basierende Urteilsfähigkeit fasst und das Subjekt an pädagogisches Han-deln und stetigen, bewusstseinsbildenden Wissenserwerb im Rahmen eines mar-kierten, pädagogisch zentrierten Raums bindet. Es rekurriert vielmehr auf die Tra-dition einer vor allem literarisch ausgearbeiteten Version von Bildungsprozessen,die Subjektwerdung an die Erfahrung, konkreter noch: an das Erfahren einer selbstin Bewegung sich befindenden vieldeutigen Welt knüpft. Das historisch Neue undtheoretisch Interessante dieser Perspektive ist es, dass Subjektwerdung in die-sem Sinne nicht jenseits pädagogisch professionellen, institutionell organisiertenHandelns stattfindet, sondern inmitten und abhängig von hybriden Vermittlungs-und Aneignungskulturen mit einem breiten Spektrum von mehr oder weniger päd-agogisch zentrierten Praktiken.Damit zeichnet sich, wenn auch noch schwach konturiert, eine Gestalt des Päda-gogischen ab, der nicht mehr die vereindeutigende, auf dichte Integration und größt-mögliche Einheit setzende synthetisch-harmonisierende pädagogische Denkformder Moderne zugrunde liegt, sondern die mehrdeutige, auf lose Kopplung der ver-schiedenen Elemente bauende analytisch-kombinatorische pädagogische Denk-form der reflexiven Moderne. Diese Denkform unterscheidet sich von der synthe-tisch-harmonisierenden durch die Art der Verknüpfung der Elemente und ihren In-tegrationsmodus. Die mit der Moderne entstehende synthetisch-harmonisierendeDenkform einer aus den pädagogischen Elementen heraus begründeten Einheitvon Subjekt und pädagogischem Handeln ist Resultat einer zweifachen Integrati-on. Sie integriert die pädagogischen Grundelemente Vermitteln, Aneignen undWissen, indem diese als Momente einer (pädagogischen), an Individuen adres-sierten Handlungsordnung koordiniert, somit durch den Ausschluss anderer mögli-cher Kontexte vereindeutigt werden. Pädagogisches Handeln und Subjektvorstel-lung wiederum werden über die Bildungsidee normativ aneinander gebunden.Die reflexive Moderne ist dagegen durch die Krise der Idee der Machbarkeit unddes kumulativen Forschritts von Wissen gekennzeichnet. Eine diesem Kontextzugehörige Denkform integriert ihre Elemente in anderer Weise, als dies für diepädagogische Denkform der Moderne typisch ist. Sie geht nämlich zunächst einmalvon der Zerstreuung der Elemente Vermittlung, Aneignung, Wissen und Subjektaus, d. h. von einer (durch Reflexion) aufgelösten, alles integrierenden Einheit.Der Zusammenhang der Elemente ist ‚polykontextural’ bestimmt. Er hat die Formlockerer Verknüpfung, die kontingent variierende Elemente aufeinander bezieht,wobei die Verselbstständigung der Aneignung gegenüber Vermittlung und Wissenebenso als unter spezifischen Bedingungen möglich in den Blick gerät wie dieVerselbstständigung der Vermittlung gegenüber Aneignung und Wissen oder dieVerselbstständigung des Wissens gegenüber Vermittlung und Aneignung (vgl. Kade1997). Die Bildung von Subjekten steht somit im Zwielicht von pädagogischemHandeln und sich (re-)produzierenden kommunikativen Netzen. Und auch Aneig-nung hat entsprechend ein doppeltes Gesicht. Sie meint die sozial-kognitive An-eignung von Welt als erneuerbare Ressource von Wissen und die kognitive Aneig-

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nung von Welt in der Form von Wissen. Entsprechend meint Subjektbildung dieSchaffung des Subjekts als Ressource, als Produktionsverhältnis, letztlich als „Kraft“,um ein Wort von Wilhelm von Humboldt zu verwenden. Um die Nähe, aber auchdie Differenz dieser analytisch-kombinatorischen Ordnung zur synthetisch-harmo-nisierenden Denkform der Moderne zu kennzeichnen, sprechen wir von Subjekt-bildung. Ihr Kriterium ist die Intensivierung und Vervielfachung der Beziehungender Individuen zur Welt als Ressource von Wissen, besser vielleicht: von Erkennt-nis, nicht die zunehmende Annäherung an die Wahrheit des Wissens, an den Stand-punkt einer Vernunft. Man kann auch sagen: Die Wahrheit ist das Subjekt selber,aber nicht im Sinne von objektiv-dauerhaftem Wissen, von Authentizität oder alsindividuumsintern konstituiertes Selbstverhältnis wie im Falle von Bildung, son-dern als kommunikativ vernetzte, individuell sich äußernde Produktionsquelle vonWissen.Beide Denkformen lassen sich nun in einer kulturwissenschaftlichen Abstrahie-rung auch als Wissensordnungen begreifen. Wissensordnungen – so AndreasReckwitz – sind ein Komplex von sinnhaften, Wissen strukturierenden Unterschei-dungen und Schematisierungen, welche die kognitiv-symbolische Organisation dersozialen Wirklichkeit, in unserem Fall: pädagogisch bedeutungsvoller Verhältnissesteuern. Im Anschluss an Konzepte der neueren Kulturtheorie (vgl. zusammenfas-send Reckwitz 2000), in denen die prinzipielle Abhängigkeit jedes inhaltlichen Wis-sens von den ihm zugrundeliegenden Schemata und Unterscheidungen betont wird,kann man entsprechend von „geteilten Wissensordnungen” (ebd., S. 85) sprechen,über die pädagogisch relevante Praxis verfügt. Fokussiert man ‚Bildung‘ und ‚Um-gang mit Wissen‘ in einer derart abstrahierenden Weise auf ihre zentralen Be-standteile, so lässt sich ‚Bildung‘ als eine normativ integrierte, handlungsbezoge-ne Wissensordnung begreifen, der ein Subjektbegriff zugrundeliegt, der auf Ur-teilsfähigkeit, Steigerung und Bewusstsein (als Innenverhältnis) ausgerichtet ist.‚Umgang mit Wissen‘ ist demgegenüber eine strukturale kombinatorische Wissens-ordnung, deren Subjektbegriff auf Kommunikationsfähigkeit, Zugang und Netzwerkeabzielt. In gewisser Weise lassen sich beide Wissensordnungen als spezifischeReaktionen der Gesellschaft auf die wachsende Differenz zwischen möglichemund aktiviertem Umgang mit Wissen deuten. Die Wissensordnung ‚Bildung’ wähltdie Lösung der individuell-innerlichen Verfügung über Wissen, die Wissensordnung‚Umgang mit Wissen’ wählt die Lösung der strukturellen Gewährleistung, der sozi-alen Ermöglichung.Inwiefern lassen sich nun die beiden Wissensordnungen ‚Bildung‘ und ‚Umgangmit Wissen‘ als pädagogische Wissensordnungen rekonstruieren? PädagogischeWissensordnungen sind solche, die darauf abzielen, einer vieldeutigen Welt eineeindeutig auf die Bildung des Subjektes gerichtete Form abzugewinnen, was nichtnur die Symmetrisierung von Vermittlung und Aneignung, sondern auch die Inte-gration eines utopischen Momentes impliziert. Solche Formen sind nicht dauerhaftstabil, auch wenn Institutionalisierungen dies nahe legen. Letztlich behalten sieimmer ihren Ereignischarakter und müssen daher immer wieder kommunikativ re-

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produziert werden. Eine pädagogische Wissensordnung, die eine uneindeutigeSubjektbildung aus der Sicht des Subjekts formulierte, wäre also ein Widerspruchin sich.Interessant ist nun, dass das ursprünglich offen angelegte sozialwissenschaftlicheKonzept ‚Umgang mit Wissen‘ im Zuge seiner empirischen Füllung eine Strukturgewonnen hat, die man durchaus im Sinne einer quasi-synthetisierenden Verein-deutigungstendenz interpretieren kann. ‚Umgang mit Wissen‘ erweist sich als päd-agogische Wissensordnung gerade darin, dass es – ebenso wie ‚Bildung‘ und dochwieder ganz anders – auf Vereindeutigung setzt im Sinne einer struktural-kom-binatorischen Integration mit Blick auf ein kommunikationsfähiges Subjekt, dasZugang zu Netzwerken hat. Vereindeutigung hat immer mit der Gefahr der (Wie-der-)Veruneindeutigung zu kämpfen, etwa dann, wenn Wissen, das sich zur Infor-mation hin öffnet, von dieser nicht mehr unterscheidbar wird.8 Insofern ist es kenn-zeichnend gerade für die pädagogische Wissensordnung ‚Umgang mit Wissen‘,dass ihre komplex angelegte, intern kombinierende Form der Vereindeutigung undSynthetisierung in hohem Maße für das Irritationspotenzial heterogener, diffuser,hybrider Einflussfaktoren offen ist (sein muss).Allerdings spricht nach unseren bisherigen Analysen einiges dafür, dass auch diebildungszentrierte pädagogische Wissensordnung nicht gänzlich obsolet wird. Abersie verliert ihre selbstverständliche Gültigkeit. Sie muss in ihrem Selbstverständ-nis ihrer eigenen Kontingenz Rechnung tragen und wird – im Sinne des Theoremsder reflexiven Modernisierung – in einer Welt, in der (wissenschaftliches) Wissenden Charakter eines knappen Gutes verliert und entsprechend seine Ubiquität eherdas pädagogisch zu lösende Ausgangsproblem darstellt, zu einer Option, die un-ter noch näher zu fassenden lokalen, biographischen etc. Bedingungen gewähltwerden kann und zum Einsatz kommt. Und wo dies geschieht, ist sie vielfältigüberlagert und geht vielfältige Verbindungen ein mit einer Wissensordnung, in dernicht das zu vermittelnde und individuell sich anzueignende Wissen im Mittelpunktsteht, sondern die kommunikationsbezogene Öffnung für neue (soziale) Welten,die als erneuerbare Ressource für Wissen unterschiedlichster Art kontext- und zeit-abhängig genutzt werden können – und müssen, weil das Nichtwissen als die an-dere Seite des Wissens als Form auch in diesem seine nachhaltigen Spuren hin-terlässt, empirisch etwa in Gestalt von zeitlicher Instabilität, sozialer Ungesichert-heit, biographischer Variabilität und lokaler Pluralität.Beide Wissensordnungen sind insofern wechselseitig aufeinander bezogen. ‚Bil-dung’ enthält als abgedunkeltes Moment, als Schatten die Wissensordnung ‚Um-gang mit Wissen’ und umgekehrt. Vom Standpunkt einer historisch neu sich entfal-tenden Wissensordnung ‚Umgang mit Wissen’, bei der es um den Zugang zu Wis-sen durch Erzeugung/Vermittlung von Netzwerken geht, lässt sich die Wissens-ordnung ‚Bildung’ als eine durch die Aneignung von Wissen geprägte Variante desUmgangs mit Wissen deuten; mit anderen Worten: als Besonderung eines Allge-meinen, das heute erst als solches hervortritt und seine Universalität relativiert.Und umgekehrt impliziert die Wissensordnung ‚Umgang mit Wissen‘ noch einmal

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eine Variante von Bildung. Bildung ist also entweder durch Wissen bestimmt oderdurch den Umgang mit Wissen, wobei der Umgang einer gegenüber Wissen eige-nen Rationalität folgt. Bildung koordiniert nicht die Selektion der Teilelemente desPädagogischen. Es gibt keine über Bildung laufende (Handlungs-)Einheit von Ver-mitteln und Aneignen, sondern eigenständige Umgangsformen mit Wissen, Ver-mitteln und Aneignen, von denen wiederum Bildung abhängt.Die Wissensordnung ‚Umgang mit Wissen’ schließt dabei noch einmal an denSubjektivitätsstrang von Bildung an. Sofern mit Bildung nämlich auf Perfektibilität,damit auf Unendlichkeit, auf einen kontinuierlichen Prozess der Subjektbildung(heute: lebenslanges Lernen) abgehoben wird, findet sich hier bereits die Per-spektive begründet, die bei der Wissensordnung ‚Umgang mit Wissen’ zentral wird,nämlich die auf das Subjekt als Selbstverhältnis, als Produktionsverhältnis, alsSelbstschöpfung. Der Unterschied der Wissensordnung ‚Umgang mit Wissen’ zudieser Auslegungsvariante von Bildung besteht jedoch darin, dass im Kontext vonBildung dieses Produktionsverhältnis im Inneren des Individuums angesetzt wird,das Subjekt in diesem Sinne nicht substantialistisch verstanden wird, sondern –inhaltlich leer – als Selbstverhältnis, als Produktionsverhältnis, als Kraft. Im Falleder Wissensordnung ‚Umgang mit Wissen’ wird das Produktionsverhältnis in netz-werkförmig verbundenen sozialen Welten verortet, in die das Individuum eingebettetist, zu denen es als Ressource dauerhaft Zugang hat und aus der es zur Entfal-tung der eigenen Kraft, Kompetenz, Subjektivität schöpfen kann.

Anmerkungen

1 Diese gesellschaftlich entwickelte (Aufbewahrungs- und Verbreitungs-)Form ist zugleichdie materielle Basis dafür, dass dem Wissen das Attribut der Objektivität im Sinne derüberindividuellen und übersituativen (d. h. nicht an die Vermittlungssituation gebunde-nen) Geltung, der Dauerhaftigkeit, der Härte und Festigkeit selbstverständlich zuerkanntwerden kann. Diese Objektivität gibt dem Wissen die zentrale Position in der pädagogi-schen Gesamtkonstellation, der die prozedural-sozialen Elemente nur nachgeordnet sind.

2 Vgl. auch die Analysen von Sigrid Nolda (2001) über das Verschwinden des Wissens ausder Erwachsenenbildung(stheorie).

3 Zum Gedanken der „Zerstreuung“ aus philosophischer Sicht auch Bernhard Waldenfels(1995).

4 Wir nutzen hier eine von Michel Serres (2001) auf Wissensordnungen bezogene Unter-scheidung; ähnlich die Unterscheidung zwischen Volkshochschule und Bibliothek als zweiFormtypen der Institutionalisierung des Lernens Erwachsener.

5 Zur Relationalität als pädagogischer Denkform vgl. auch Dirk Rustemeyer 2002.6 In dem DFG-Projekt arbeiten mit als Wissenschaftliche Mitarbeiter/innen Birte Egloff, Man-

fred Kroschel und Regine Mohr sowie als studentische Mitarbeiter/innen Axel Bohmeyer,Deike Brinkmann, Marc Dembach, Jörg Dinkelaker und Manu Kembter.

7 Vgl. auch Georg Simmels Verständnis des Individuums als „Schnittpunkt sozialer Krei-se“; und in der Literatur Italo Calvinos Apologie des Romans als großes „Vernetzungs-werk“: „Jedes Leben ist eine Enzyklopädie, eine Bibliothek, ein Inventar von Objekten,eine Musterkollektion von Stilen, worin alles jederzeit auf jede mögliche Weise neu ge-mischt und neu geordnet werden kann“ (1991, S. 165f.).

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8 Die Erziehungswissenschaft favorisiert wie die Sozialwissenschaften insgesamt – aus gu-ten (?) Gründen – die Zeitdiagnose ‘Wissensgesellschaft‘, aber vielleicht ist die Zeitdiag-nose ‚Informationsgesellschaft‘ treffender (vgl. Stichweh 1998). In unserem Projekt gingees dann um den Umgang mit Wissen in der Informationsgesellschaft.

Literatur

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furt/M.Bonß, W./Dubiel, H. (1987): Zwischen Feudalismus und Post-Industrialismus. Metamorpho-

sen der Leistungsgesellschaft. In: Freibeuter, H. 1, S. 45-56Calvino, I. (1991): Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend. Harvard-Vorlesungen.

MünchenCastells, M. (2001): Das Informationszeitalter I. Die Netzwerkgesellschaft. OpladenGünther, G. (1979): Life as Poly-Contexturality. In: ders.: Beiträge zur Grundlegung einer

operationsfähigen Dialektik. Bd. 2. Hamburg, S. 283-306Kade, J. (1997): Vermittelbar/nicht-vermittelbar: Vermitteln: Aneignen. Im Prozeß der Sys-

tembildung des Pädagogischen. In: Lenzen, D./Luhmann, N. (Hrsg.): Bildung und Weiter-bildung im Erziehungssystem. Lebenslauf und Humanontogenese als Medium und Form.Frankfurt/M., S. 30-70

Kade, J./Seitter, W. (2001): Uneindeutige Verhältnisse. Bildung – Umgang mit Wissen – pä-dagogische Wissensordnungen. Theoretischer Zugang und empirische Fälle. Erste Be-funde. Frankfurt/M. (Manuskr.)

Kondylis, P. (1991): Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform. Die liberaleModerne und die massendemokratische Postmoderne. Weinheim

Lash, S./Urry, J. (1994): Economies of Signs & Space. London u. a.Lenzen, D. (1997): Lösen die Begriffe Selbstorganisation, Autopoiesis und Emergenz den

Bildungsbegriff ab? In: Zeitschrift für Pädagogik, H. 6, S. 949-968Lüders, Ch. (1994): Verstreute Pädagogik – Ein Versuch. In: Horn, K.-P./Wigger, L. (Hrsg.):

Systematiken und Klassifikationen in der Erziehungswissenschaft. Weinheim, S. 103-128Nolda, S. (2001a): Das Konzept der Wissensgesellschaft und seine (mögliche) Bedeutung

für die Erwachsenenbildung. In: Wittpoth, J. (Hrsg.): Erwachsenenbildung und Zeitdiag-nose. Bielefeld, S. 91-117

Nolda, S. (2001b): Vom Verschwinden des Wissens in der Erwachsenenbildung. In: Zeit-schrift für Pädagogik, H. 1, S. 101-120

Reckwitz, A. (2000): Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theorie-programms. Weilerswist

Rifkin, J. (2000): Access. Das Verschwinden des Eigentums. Frankfurt/M., New YorkRustemeyer, D. (2002): Kontingenz pädagogischen Wissens. In: Helsper, W./Hörster, R./Kade,

J.: Ungewissheit. Pädagogische Felder im Modernisierungsprozess. WeilerswistSerres, M. (2001): Vorwort. In: Farouki, N./Serres, M.(Hrsg.): Thesaurus der exakten Wis-

senschaften. Frankfurt/M., S. IX-XXXIXStichweh, R. (1998): Die Soziologie und die Informationsgesellschaft. In: Kölner Zeitschrift

für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 38, S. 433-443Tenorth, H.-E. (1997): „Bildung“ – Thematisierungsformen und Bedeutung in der Erziehungs-

wissenschaft. In: Zeitschrift für Pädagogik, H. 6, S. 969-986Waldenfels, B. (1987): Ordnung im Zwielicht. Frankfurt/M.Waldenfels, B. (1995): Deutsch-Französische Gedankengänge. Frankfurt/M.

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REZENSIONEN

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Rolf Arnold/Sigrid Nolda/Ekkehard Nuissl (Hrsg.)Wörterbuch Erwachsenenpädagogik(Klinkhardt Verlag) Bad Heilbrunn 2001, 377 Seiten, 25.50 Euro

Anke Hanft:

Wörterbücher sollen, so schreiben die Herausgeber in ihrer Einleitung, möglichst vollstän-dig und aktuell sein – ein Anspruch, der kaum zu erreichen ist, wie sie selbst einschränkendbemerken. Dies gilt besonders für ein Wörterbuch, das sich mit dem disziplinübergreifen-den und überaus vielschichtigen Feld Erwachsenenpädagogik befasst. Um diesem Kontextgerecht zu werden, müssen die Herausgeber auswählen, Grenzziehungen und Schwerpunkt-setzungen vornehmen, zwischen Haupt- und Unterstichwörtern unterscheiden, aber auchLücken vertreten. Wie sie dies realisieren, sagt viel aus über das gegenwärtige Selbstver-ständnis der Disziplin Erwachsenenpädagogik, aber auch über den besonderen Blick, dendie Herausgeber selbst auf ihr Feld richten.Dieser ist zunächst einmal geprägt durch ihre Stammdisziplin, die Pädagogik. So bilden dennpädagogische, didaktische, methodische sowie lern- und bildungstheoretische Stichwörtereinen Schwerpunkt im Buch. Dies dürfte von einem Wörterbuch zur Erwachsenenpädago-gik auch erwartet werden, Vollständigkeit auf diesen Gebieten stellt eine wichtige Voraus-setzung für eine positive Gesamtbewertung durch den Leser dar. Dem Anspruch auf Aktua-lität wird hier entsprochen, indem wissenschaftstheoretische Entwicklungen, die an die Sys-temtheorie, die Kognitionspsychologie und den Konstruktivismus anknüpfen, in vielen Stich-wörtern aufgenommen werden.Mit dem besonderen Blick der Herausgeber ist sicherlich auch zu erklären, warum die Insti-tutionen der Erwachsenenbildung mit etwa 30 Stichwörtern und einem eigens angefügtenInstitutionenregister in besonderer Weise bedacht werden. Nur selten findet sich in vergleich-baren Wörterbüchern ein derart vollständiger Überblick über die nationalen und internatio-nalen institutionellen Anbindungen der behandelten Disziplin.Die vielen zielgruppen- und themenspezifischen Stichwörter stehen für eine weitere Beson-derheit des vorliegenden Buches. Von der Alters- über die Arbeiterbildung, von der betrieb-lichen Bildung über die Männerbildung, von der Umwelt- zur Wissenschaftlichen Weiterbil-dung werden zielgruppen- und themenspezifische Schwerpunkte in einer außerordentlichenVariationsbreite kompetent und sachkundig behandelt.Hervorzuheben ist auch die sorgfältige Einbeziehung der Geschichte der Erwachsenenbil-dung, ob in Einzelstichwörtern, wie beispielsweise zur „Thüringer Richtung der Erwachse-nenbildung“ , zum „Hohenrodter Bund“ und zur „Prerower Formel“, oder in Überblicksarti-keln, wie zum „Weiterbildungssystem der DDR“, erhält der historisch interessierte Leser ei-nen Einblick auch in unbekanntere Gebiete der Entwicklung dieser Disziplin. Die konsequenteEinbeziehung der ostdeutschen Traditionen der Erwachsenenbildung ist dabei besondershervorzuheben. Auch dies kann als Zeichen für das Bemühen um Vollständigkeit interpre-tiert werden.Die Fokussierung auf Erwachsenenpädagogik mag erklären, warum Begriffe aus der betrieb-lichen Weiterbildung, wie „Potenzialanalyse“, „Bedarfserhebung“, „Feedbacksysteme“, „Or-ganisationsentwicklung“, „Wissensmanagement“ oder „Zertifizierung“ als eigenständige Stich-wörter nicht vertreten sind. Die funktionale Orientierung, die das betriebliche Weiterbildungs-management kennzeichnet, tritt hier hinter eine institutionenbezogene Perspektive zurück.Das Management von Qualifizierungsprozessen bleibt damit eine Domäne der betriebswirt-schaftlich dominierten betrieblichen Weiterbildung und somit der Wirtschaftswissenschaften.Auch Stichwörter zum Management von Bildungsinstitutionen sind unterrepräsentiert, ob-

DAS BUCH IN DER DISKUSSION

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wohl Erwachsenenbildner gegenwärtig zunehmend mit Fragen zum Neuen Steuerungsmo-dell, zum Projektmanagement oder zur Kosten- und Leistungsrechnung befasst sind. In derGrenzziehung zwischen Pädagogik und Management haben sich die Herausgeber für ers-tere entschieden, was inhaltlich durchaus zu rechtfertigen ist.Eine Lücke scheint mir allerdings erklärungsbedürftig: Der gesamte Bereich des Lernensmit neuen Technologien wird unter der Bezeichnung „Computerunterstütztes Lehren undLernen“ mit nur einem Stichwort bedacht. Hier stellt sich die Frage, ob die Erwachsenenpä-dagogik diesem stark expandierenden Bereich gerecht wird, wenn Begriffe wie „virtuellesLernen“, „Online-Instruktion“, „E-Moderation“, „Knowledge Communities“, „asynchrones Ler-nen“ oder „Instruktionsdesign“ nicht behandelt werden. Zwar gibt es einige Hinweise undErklärungen zu diesen Begriffen in anderen Beiträgen, die den Herausgebern allerdings nichtbedeutsam genug erscheinen, um in die Stichwortliste aufgenommen zu werden. Ob diesdem Anspruch auf Aktualität gerecht wird, den die Herausgeber für ihr Werk erheben, istauch dann zu hinterfragen, wenn man die Überzeugung vertritt, dass es sich bei diesen The-men um eine vorübergehende Modererscheinung handelt. Vielleicht können in einer zwei-ten Auflage hier Ergänzungen vorgenommen werden.Sieht man von diesem ergänzungsbedürftigen Bereich ab, wird das Feld der Erwachsenen-pädagogik in dem vorliegenden Wörterbuch mit über 250 Stichwörtern überaus kompetentund sachkundig erschlossen. Der interessierte Leser erhält einen Überblick über die Diszi-plin, wie sie sich selbst versteht: eingebunden in die Pädagogik als Leitdisziplin, traditions-bezogen, aber Bezugswissenschaften gegenüber aufgeschlossen – solange diese nicht zuinformationstechnologisch oder betriebswirtschaftlich daherkommen. Hier würde ich mir einoffensiveres Vordringen in benachbarte Disziplinen wünschen, damit der expandierendeWeiterbildungsmarkt – und damit das angestammte Feld der Erwachsenenpädagogik – zu-künftig nicht von Informatikern und Betriebswirtschaftlern dominiert wird.

Andreas Fischer:

Das „Wörterbuch Erwachsenenpädagogik“ enthält mehr als dreihundert Artikel zu den The-menfeldern Didaktik und Methodik, Forschung und Wissenschaft, Geschichte und Entwick-lung, Organisation und Profession, Politik und Recht sowie Theorien und Konzepte. Unterder Mitarbeit von über 130 Autorinnen und Autoren ist ein aufwändiges Werk entstanden,das sich über die alphabetische Artikelsammlung, ein Stichwort-, ein Personen-, ein Institu-tionen- sowie ein Autor/innenregister erschließen lässt. Das Verweissystem innerhalb derArtikel erleichtert die Recherche zusätzlich. Damit liegt nun erstmals seit dem „Wörterbuchder Weiterbildung“ von Gerwin Dahm u. a. (München 1980) und dem Band „Erwachsenen-bildung“ der Enzyklopädie Erziehungswissenschaft (Band 11, Stuttgart 1984) wieder ein ak-tuelles Nachschlagewerk zur Erwachsenenbildung/Weiterbildung in Deutschland vor. Eszeichnet sich dadurch aus, dass Begriffe nicht nur kurz erklärt, sondern in einem ausführli-cheren Text erläutert und mit der Angabe weiterführender Literatur ergänzt werden. Es nimmtsomit einen Platz zwischen einem klassischen Wörterbuch und einem Handbuch ein underweist sich damit für den Adressatenkreis (Studierende, Praktiker/innen und Wissenschaft-ler/innen der Erwachsenenbildung) als sehr nützlich.Was erwartet denn ein in der Erwachsenenbildung Tätiger im Zeitalter der Internet-Such-maschinen und der schnelllebigen Begriffsmoden von einem Wörterbuch? Neben der Aktu-alität des Inhalts sind sicher die Relevanz der Begriffe, ihre wissenschaftliche Fundierung,die Klarheit in den Aussagen sowie die gegenseitige Abstimmung der verschiedenen Artikelvon großer praktischer Bedeutung.Es ist verständlich, dass diese Postulate bei einer Beteiligung von so vielen Autor/innen inunterschiedlichem Maß erfüllt werden. Die Vielfalt der Beiträge und der Autor/innen wirktbereichernd und widerspiegelt die Bandbreite der Positionen in der deutschen Erwachse-nenbildung. Dem orientierungssuchenden Nutzer wäre allerdings mit einer systematischen

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Klärung mindestens der zentralen Begriffe „Erwachsenenbildung“, „Weiterbildung“, „Andra-gogik“, „Erwachsenenbildungswissenschaft“ und „Erwachsenenpädagogik“ sehr geholfen.Dazu gehört auch, dass nicht ganz einsichtig ist, weshalb das Werk „Wörterbuch Erwach-senenpädagogik“ und nicht „Wörterbuch Erwachsenenbildung“ heißt. Unscharf bleibt leiderauch das Begriffspaar „Erwachsenenbildung“ – „Weiterbildung“. So wird letztere zwar alsOberbegriff bezeichnet (S. 86), im Wörterbuch werden die beiden Begriffe aber zum Teil sy-nonym verwendet, zum Teil kontextbezogen unterschiedlich (z. B. katholische EB, ländlicheEB, arbeitsplatznahe WB, wissenschaftliche WB). Wünschbar wäre keineswegs eine voll-ständige Kongruenz zwischen den Beiträgen, wohl aber eine „explizite Inkongruenz“, indemunterschiedliche Auffassungen und Anwendungen sichtbar gemacht, erklärt und diskutiertwerden.Das Wörterbuch deckt in seiner Breite die aktuelle Diskussion in der Weiterbildung rechtgut ab, wenn auch einzelne wichtige Begriffe wie Assessment, Akkreditierung oder Kredit-system sowohl als Artikel wie als Stichworte fehlen. Hilfreich wären für das Nachschlage-werk außerdem ein umfangreicheres, systematisch ausgebautes Institutionenverzeichnis (mitAbkürzungen) sowie Hinweise auf die Internetseiten, die für die Weiterbildung von Bedeu-tung sind.Insgesamt ist den Herausgeber/innen jedoch das anspruchsvolle und aufwändige Anliegen,ein handliches, übersichtliches, gut erschlossenes, breit abgestütztes, gehaltvolles und nütz-liches Nachschlagewerk zu verwirklichen, gut gelungen. Sie haben damit einen Meilensteingesetzt, der allerdings nicht zum Ausruhen, sondern erst recht zum Weiterverfolgen der Ideeauffordert, einen Ort zu schaffen, der mit einem hohen Grad an Verbindlichkeit Wissenschaft-ler/innen und Praktiker/innen der Erwachsenenbildung die Orientierung erleichtert und zumWeiterdenken und -entwickeln anregt. So ist mindestens zu hoffen, dass das Wörterbuchnun periodisch nachgeführt wird und wir nicht wieder 15 bis 20 Jahre auf eine Aktualisie-rung warten müssen. Denkbar wäre ja, für diesen Zweck in Kombination zu einer gedruck-ten Ausgabe das Internet zu nutzen.

Bettina Lemke:

Das Wörterbuch Erwachsenenpädagogik ist als Nachschlagewerk konzipiert. Es soll, wie inUmschlagtext und Vorwort angekündigt, über 300 Stichworte informieren. Tatsächlich sindes 255. Bei 341 Seiten ergibt das im Durchschnitt 1,3 Seiten pro Stichwort. Es gibt Stich-worte, die in einer halben Seite behandelt werden, wie „European Research and Develop-ment Institutes for Adult Education“, bei anderen sind es drei Seiten, z. B. beim Stichwort„Theorie“. Damit wird jedes Stichwort ausführlich genug behandelt, um sinnvoll und trotz-dem kompakt zu informieren.Im (knappen) Vorwort wird auf Anlass, Anliegen, Ziel und Zielgruppe des Wörterbuchs hin-gewiesen. Anlass sind Veränderungen im Komplex Erwachsenenbildung in ihrer bildungs-und gesellschaftspolitischen Dimension, in ihren theoretischen Fragestellungen und alltags-praktischen Problemen. Diese Veränderungen zeigen sich den Herausgebern zufolge aucham Wandel der Begrifflichkeit, womit also ein neues Wörterbuch „fällig“ ist.Anliegen dieses Buches ist die Bündelung des gegenwärtigen Wissens über Erwachsenen-bildung anhand von sieben Themenfeldern. Das Ziel der Herausgeber ist es, „ein handli-ches Nachschlagwerk zu den aus heutiger Sicht wichtigsten Stichworten für Studierendeder Erwachsenenbildung, für interessierte Praktiker, aber auch für alle diejenigen bereitzu-stellen, die sich schnell über Begriffe und Sachthemen aus diesem Bereich informieren wol-len.“ Merkwürdig ist, dass im Umschlagtext auch Wissenschaftler/innen als Zielgruppe er-wähnt werden, nicht aber im Vorwort. Dies lässt durchaus Rückschlüsse auf das Niveau zu.Wörterbücher bemühen sich um Vollständigkeit und Aktualität, so die Herausgeber. Das hierbesprochene wird dieser Herausforderung durchaus gerecht. Top-Themen wie Selbstorga-nisation, Lebenslanges Lernen, Professionalität, Konstruktivismus, Human-Ressource-An-

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satz sind vertreten. Das könnte andererseits bedeuten, dass schon jetzt abzusehen ist, dasseinige Begriffe in drei bis fünf Jahren veraltet erscheinen werden, neue Begriffe sich etab-lieren, womit die Studentin, der Praktiker oder Informationsbegierige die wohl dann folgen-de neue Auflage erwerben muss, möchte sie/er auch weiterhin „up to date“ sein.Das Wörterbuch enthält Stichworte zu sieben Themenfeldern (s. o.). Allerdings ist manchmalnicht ganz klar, welches Stichwort sich wohin ordnen lässt.Nach einer etwas differenzierteren Sortierung lassen sich 14 Themenkomplexe identifizie-ren: Praxisfelder (42) wie Altersbildung, Freizeitpädagogik oder Organisationsberatung; Di-daktik und Methodik (32) wie Bausteinsystem, Ermöglichungsdidaktik oder Zukunftswerk-statt; Fachbegriffe der Erwachsenenbildung (22) wie Bildungsbedarf, Dropout oder Zielgrup-pen; Institutionen, Verbände, Institute (22) wie Arbeit und Leben, Deutscher Bildungsrat oderInternational Council for Adult Education; theoretische Themen aus der Erwachsenenbildung(und Bezugswissenschaften) (16) wie Interpretatives Paradigma, Bildung oder Systemtheo-rie; Forschung (16) wie Genderforschung, Leitstudien oder Weiterbildungsstatistik; Strukturund Organisation der Erwachsenenpädagogik (15) wie: Weiterbildungsstruktur, Fachspra-che oder Zeitschriften; Politik und Recht (13) wie Kultusministerkonferenz, Rechtsformen,Weiterbildungsgesetze; Begriffe aus der Psychologie (13) wie Intelligenz, Selbsterfahrung,Kognition; Bildungsökonomie und Betriebswirtschaft (13) wie Controlling, Personalentwick-lung, Wirtschaftlichkeit; Lernen (9) wie Lernorte, Aneignung, Anschlusslernen; Geschichte(8) wie Lesegesellschaften, Volksbildung, Thüringer Richtung der Erwachsenenbildung; Be-griffe aus der allgemeinen Erziehungswissenschaft (8) wie Curriculum, Fachdidaktik, Me-thoden; soziologische Begriffe (6) wie Arbeit, Gruppe, Gesellschaft.Anhand der eingeklammerten Zahlen ist die Anzahl der Begriffe im Wörterbuch zu ersehen.Damit sind die Praxisfelder mit 42 Begriffen am häufigsten genannt. Insgesamt ergibt sichein ausgewogenes Verhältnis zwischen eher theoretisch-wissenschaftlichen und praxisori-entierten Begriffen.Auch mit der differenzierteren Ordnung lassen sich einige Begriffe (18) nur schwer zuord-nen. Etwa: Autonomie, Lebenslauf, Erwachsener, Evolutionstheorien, Diskurs – was natür-lich nicht bedeutet, dass sie überflüssig wären. Spannend wäre es zu erfahren, wie diesesWerk entstanden ist. Sind die Herausgeber von den Themenfeldern oder von den Stichwor-ten ausgegangen?Die Stichworte selbst sind ausführlich und anspruchsvoll dargestellt. Beispielhaft soll hierkurz auf das Stichwort Beratung eingegangen werden. Dieser Text umfasst etwa 1,5 Seiten.Wilhelm Mader beginnt mit einer Definition bezüglich der Erwachsenenbildung, es folgt einhistorischer Abriss von Beratung in der Erwachsenenbildung, Probleme werden thematisiert,Merkmale von Beratung beschrieben, Kompetenzen von Beratern erläutert, es wird mit ei-nem Ausblick auf zukünftige Möglichkeiten abgeschlossen. Dieser Text lässt damit keineWünsche offen, ist verständlich geschrieben und aktuell. Wir finden 18 Querverweise, 7 Zi-tate mit Literaturhinweisen im Text, 6 Literaturhinweise am Ende des Textes. Alle im Textgenannten Autoren finden wir am Ende wieder. Die genannte Literatur ist ausschließlich inden 1990er Jahren erschienen.Teilweise sind einige etwas schwer verdauliche Sätze insbesondere für Erstsemester undInteressierte zu finden. Ein Beispiel: „Die Dominanz des Temporalen kommt in klassischenBegriffen und Begründungsformeln, strukturell aber im Okkasionellen oder Projektförmigeneiner sich permanent wandelnden Angebotsstruktur sowie in der fluiden Struktur der Arbeits-verhältnisse zum Ausdruck“ (S. 306 zum Stichwort Temporalität). Noch ein Beispiel: „Zumanderen geht es um (post-)moderne Zweifel am aufklärerischen Bildungsideal selbst, diedas Obsolete des alteuropäischen Dualismus von A. und Heteronomie oder das Illusionäreund Fiktive der Idee der A. betonen“ (S. 37 zum Begriff Autonomie). Daraus lässt sich schlie-ßen, dass es günstig wäre, beim Nachschlagen ein Fremdwörterlexikon und einiges an Denk-zeit zur Verfügung zu haben.Auch wenn einige Begriffe fehlen – etwa Emotionen (wo doch Rolf Arnold diesem Begriffeine so große Wichtigkeit beimisst, dass er die emotionale Wende in der Erwachsenbildung

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ausrufen wollte), Suggestopädie, Metakognition, Lernende Region, so wird dieses Wörter-buch dem Anspruch nach Vollständigkeit und Aktualität durchaus zufriedenstellend gerecht.Andererseits werden einige Begriffe erläutert, die erst einmal wenig mit Erwachsenenbildungzu tun zu haben scheinen, wie Autonomie, Temporalität, Handlung. Diese Begriffe werdenwahrscheinlich kaum nachgeschlagen, weil man sie nicht in diesem Wörterbuch vermutenwürde. Andere Begriffe wiederum ließen sich besser zu anderen Stichworten gruppieren.Alltag könnte besser Alltagsorientierung genannt werden, einige Stichworte – wie Träger,Einrichtungen und Institutionen oder Teilnahme und Teilnehmende – könnten zusammen-gefasst werden.Die vielen sinnvollen Querverweise, das umfangreiche, benutzerfreundliche Stichwortver-zeichnis sowie Personen-, Institutionen- und Autor/innenregister und Hinweise zu weiterfüh-render Literatur erleichtern den Umgang sehr und regen zum Weiterlesen an.Bedauerlich ist die wenig ansprechende Aufmachung. Es handelt sich um ein Wörterbuchin genau diesem Sinne: Wir finden keine Abbildung, eine Tabelle (unter Theorien), kein Foto,keine Zeichnung. Derartige Auflockerungen gehören sicher nicht in ein Wörterbuch, dochlädt eine liebevolle Gestaltung viel mehr zum Stöbern ein. Hier werden vermutlich gesuchteBegriffe nachgeschlagen und danach wird das Buch wieder in das Regal gestellt. Leiderwerden so wohl einige Stichworte nie das Licht der Welt erblicken. Außerdem haben wir esmit chlorfrei gebleichtem alterungsbeständigem Papier zu tun, was sehr lobenswert, dochwenig ästhetisch ist – und dies in einer Zeit, in der vermehrt von Ganzheitlichkeit, Sinnori-entierung, Ästhetisierung die Rede ist (im Übrigen sind diese Begriffe nicht im Wörterbuchzu finden). Genauso, wie Menschen ein Seminar nicht nur wegen des Themas, sondern auchwegen der Atmosphäre besuchen, werden Leser/innen nicht nur durch den Inhalt, sondernauch durch die äußere Form zum Bücherkauf angeregt. „Wie bei anderen Gütern auch gehtder Trend vom unmittelbaren Gebrauchsnutzen der angebotenen Dienstleistung ‚Bildung’hin zu Lifestyle-Benefit, und die Ansprüche richten sich (...) immer weniger auf den ‚nack-ten’ Lernerfolg als auf die komplette Bedürfnisbefriedigung“ (Ueltzhöffer/Kandel 1993, S. 103,hier zitiert nach Horst Siebert 1997, S. 33f.). In diesem Sinne ist das Wörterbuch nicht ‚tren-dy’. Ist dies von den Herausgebern beabsichtigt?Das offene Ansprechen von Problemen und die facettenreiche Auseinandersetzung sindbemerkenswert. Bereits im Vorwort zeigt sich eine allgemeine (selbst-)kritische Haltung. Daszeugt von Lebendigkeit und Konfliktfähigkeit, könnte allerdings auch abschreckend wirken,sofern man wohltemperiertes, lineares Wissen erwartet.Insgesamt ist das Buch in der Tat eine Bündelung des gegenwärtigen Wissens über Erwach-senenbildung, damit ist es ein wertvolles Nachschlagwerk für Halbwissende und sollte da-mit in keinem Bücherschrank eines (zukünftigen) Erwachsenenbildners fehlen – bis zurnächsten Auflage. Dann hätte man allerdings auf das alterungsbeständige Papier verzich-ten können.

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Besprechungen

Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiter-bildungsforschung (Hrsg.)Kompetenzentwicklung 2001Tätigsein – Lernen – Innovation(Waxmann Verlag) Münster 2001, 415 Seiten,19.50 Euro

Die 1997 begonnene Buchreihe „Kompetenz-entwicklung“ der Arbeitsgemeinschaft Be-triebliche Weiterbildungsforschung verfolgtdie Absicht, das Bewusstsein für einen Mo-dernisierungsbedarf hinsichtlich der Organi-sations- und Steuerungsformen des Lernensim Erwachsenenbereich zu schärfen. DerAusdruck „Kompetenz(-entwicklung)“ stehthierbei für ein Leitparadigma von Lernen, wel-ches die Bedeutung des Problemlösungsver-haltens in der Lebenspraxis gegenüber semi-narförmigen Angeboten hervorhebt.Der aktuelle Sammelband enthält die folgen-den neun Beiträge: Innovationsfähigkeit älte-rer Arbeitnehmer (Bärbel Bergmann), Per-spektiven für das Lernen in der Arbeit (PeterDehnbostel), Perspektiven des Lernens imsozialen Umfeld (Dieter Kirchhöfer), Ostdeut-sche Jugendliche und das Problem der zwei-ten Schwelle (Burkart Lutz), Wenn Weiterbil-dung zum Innovationshemmnis wird: Lernkul-tur und Innovation (Lutz von Rosenstiel/Mo-nika Wastian), Entberuflichung der Erwerbs-arbeit – Folgerungen für die betriebliche Bil-dung (Severing), Erwachsene – lernfähig,aber unbelehrbar? (Horst Siebert), Europa alsChance oder Einmischung für die nationaleKompetenzentwicklung (Thomas Stahl/Ale-xandra Angress), Lernen und Arbeiten (Vol-ker Volkholz/Annegret Köchling).Das Buch hebt sich von der gegenwärtigenPublikationsflut zum „Lernen“ vor allem durchdie Thematisierung des Gesichtspunkts derInnovation ab. Dies geschieht in den einzel-nen Beiträgen auf höchst unterschiedlicheWeise. Durchgängig kommt zum Tragen,dass die Autorenschaft interdisziplinär zu-sammengesetzt ist und dass das Innovations-kriterium in den einzelnen Fachkulturen einunterschiedliches Gewicht besitzt. Wie ver-schieden Innovation in den mit Lernen Er-wachsener befassten Humanwissenschafteninterpretiert werden kann, lässt sich exemp-

larisch an der Gegenüberstellung der beidenBeiträge von Rosenstiel/Wastian (Organisa-tions- und Wirtschaftspsychologie) und Sie-bert (Erwachsenenpädagogik) ausmachen.Während die Münchner Organisationspsy-chologen davon ausgehen, „dass Innovationnicht allein eine Frage individueller Kompe-tenzen und deren Entwicklung ist, sondernwesentlich von den organisationalen Aspek-ten abhängt“ (S. 231), legt der erwachsenen-pädagogische Autor Horst Siebert eher einsubjektorientiertes – implizites – Innovations-verständnis zugrunde. Es wird an der Inten-sität individuellen Lernens festgemacht undkorrespondiert mit einem konstruktivistischenBildungsbegriff (vgl. S. 297ff.). Während alsoim organisationspsychologischen Zugriff Ler-nen als Innovationsvehikel im Hinblick aufden transsubjektiven Nutzen von Organisati-onszwecken betrachtet wird, interessieren imerwachsenenpädagogischen Diskurs Weiter-bildungsveranstaltungen und Bildungsprozes-se als eine emergente Ressource für biogra-phische und lebensführungsrelevante Innova-tion (vgl. z. B. die Theorie der Aneignung undTeilnehmerforschung bei Jochen Kade).An der soeben aufgezeigten, idealtypischvereinfachten Kontrastierung einer disziplinärunterschiedlich ausgelegten Innovationsse-mantik lässt sich erkennen, dass interdiszip-linäre Perspektivenverschränkung die Chan-ce zu einem komplexen, mehrdimensionalenInnovationskonstrukt im Bereich des Erwach-senenlernens eröffnen würde. Wie spannendund ertragreich sich also ein bereichsüber-greifender Vernetzungsdiskurs zum ThemaInnovation darstellen könnte, dafür liefernauch die übrigen Beiträge reichlich Stoff. Ei-niges lässt sich hier nur ansprechen. So zeigtder Beitrag von Bergmann auf, dass die Ini-tiierung von Innovation – die Befähigung zumUmgang mit neuen Problemen (S. 46ff.) –gerade eine Domäne von Älteren ist, weilneben der Auseinandersetzung mit neuenWissensbereichen auch ein erhebliches Maßan Erfahrungswissen erforderlich ist.Programmatisch innovativ gehalten ist derweit gespannte Beitrag von Kirchhöfer. Ermacht den Typus des informellen Lernens alskategoriale Referenzgröße für Lernen in au-

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ßerbetrieblichen Handlungsfeldern stark: In-formelles Lernen, so die sinngemäße Hypo-these, darf als evolutionäre Triebkraft einessich entgrenzenden Lernens interpretiert wer-den. Dazu liefert die bekannte Gesellschafts-tendenz fortschreitender Individualisierungdas kulturelle Unterfutter, insbesondere inGestalt eines zunehmenden Zwangs zurSelbstvermarktung von Erwerbsarbeitsperso-nen als „Arbeitskraftunternehmern“. (DieserAspekt wird in Severings Expertise vertieft.)Konsequenzen für Erwachsenenlernen wer-den zeitdiagnostisch dahingehend abgeleitet,dass entgrenztes Arbeiten mit einem wie-derum entgrenzten, weitgehend selbstorga-nisierten Lernen einhergehe (vgl. S. 106ff.).Allerdings setzt Kirchhöfer die Beobachtungeiner entgrenzenden Lernvielfalt nicht schlichtmit einer umfassenden Deinstitutionalisierungdes Lernens in eins. Vielmehr kommt es beiihm zu Umgewichtungen und einer sich aus-differenzierenden Neuformatierung erwach-senenbildnerischer Dienstleistungen (vgl. S.139ff.). Dabei spielt neben „Kompetenz“ derallerdings noch unscharfe Begriff „Lernkultur“eine orientierende Rolle.Dehnbostel untersucht innovative Kontextebetrieblicher Aufgabenbewältigung unter demAspekt der Verknüpfung von Arbeit und Ler-nen. Es werden „zukunftsorientierte betrieb-liche Lernformen“ (S. 61ff.) rekonstruiert, et-wa Lerninsel oder Lernstation. Sein erzie-hungswissenschaftlich und betriebssoziolo-gisch orientierter Beitrag besticht durch dieKlarheit einer begrifflichen Auffächerung zen-traler Phänomene und Arrangements einesdezentral angelegten, selbstgesteuerten Ler-nens, das funktional – aber keineswegs sub-jektlos oder mechanistisch – an den Produk-tions- und Wertschöpfungsprozess gekoppeltist. In Anlehnung an die Göttinger Industrie-soziologen Horst Kern und Michael Schu-mann wird Innovation bei ihm dahingehendbuchstabiert, dass „Wissen und Erfahrungenund Visionen miteinander verbunden und inder Praxis realisiert werden, so dass etwasNeues entsteht“ (S. 72).Severings Beitrag fragt nach dem offensicht-lich zunehmenden Gewicht personenbezoge-ner Parameter hinsichtlich der Realisierungvon beruflicher Weiterbildung in Projektionender Wissensgesellschaft. Dies führt zu derfacettenreichen These einer „Individualisie-

rung der Bildungsplanung“ (S. 258), die aufeinen subjektorientierten Ansatz des „Selbst-management(s) für die eigenen Lernprozes-se“ (S. 251) hinausläuft. Mit dieser zeitdiag-nostischen Qualifikations- und Verantwor-tungsfigur ist zwar vorwiegend die selbstbe-wusst-marktagile Gruppe der „Wissensarbei-ter“ charakterisiert (vgl. S. 256), gleichwohlwerden epochal und milieuspezifisch durch-gängige Tendenzen von Qualifikationsverän-derungen erwartet: Technologischer Wandelschlägt sich in Anforderungserhöhungen aufallen Hierarchieebenen von Erwerbsarbeitnieder.Den Herausgebern des hier vorgestelltenBands gebührt angesichts der wirtschaftli-chen und kulturellen Globalisierung das Ver-dienst, mit „Innovation“ ein für die Ausgestal-tung individueller und kollektiver Lernverhält-nisse akutes Problem und Movens aufge-nommen zu haben. Aus erwachsenenpäda-gogischem Blickwinkel ist dieser thematischeFokus vielleicht ungewohnt, aber keineswegswesensfremd, kann doch ein intrinsisches,historisch gewachsenes Verhältnis der Er-wachsenenpädagogik zum Innovationskrite-rium eingebracht werden. Denn von jeherzeichnet das Anliegen der Erwachsenenbil-dung mehr als die bloße sozialkulturelle Re-produktion in Gestalt einer Vermittlung gege-bener Kulturgüter und Traditionsbeständeaus. Prägend in Hinblick auf ein innovations-offenes Selbstkonzept haben nicht zuletztreformpädagogische und lebensreformeri-sche Einflüsse des anfänglichen 20. Jahrhun-derts gewirkt, aber auch die spätere Öffnungder Erwachsenenbildung gegenüber der Wirt-schaft im Zuge der realistischen Wenden. Vordem hier nicht weiter ausführbaren Hinter-grund bereichsspezifischer Identitätsbildunglässt sich für die Erwachsenenbildung optio-nal ein lebensbreiter, bildungs- oder kompe-tenzbiographisch rückbindbarer Innovations-angang reklamieren. Er nimmt die gesell-schaftliche Systemkomponente kooperativauf und verharrt nicht mehr – wie einst dieWeimarer Volksbildung – in zivilisationskriti-scher Distanz gegenüber Markt und Technik,ohne freilich in einer ökonomistischen Eng-führung aufgehen zu wollen.Betrachtet man den Band „Kompetenzent-wicklung 2001“ als Ganzen, so kommt manschließlich auf die oben bereits angesproche-

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ne Frage zurück, wie das vorhandene Spek-trum an Beiträgen und Positionen zur Inno-vation und zum Erwachsenenlernen nachhal-tig in einen inter- und transdisziplinären Dis-kurs überführt werden könnte. Er hätte diePluralität disziplinspezifisch geprägter Inno-vationskonzepte in ihrem bisherigen Neben-einander und ihrer eigenen Selektivität dialo-gisch zu hinterfragen und hinsichtlich lebens-langen Lernens in die komplexe Relationali-tät eines integrativen, mehrschichtigen Inno-vationsparadigmas zu überführen. Ein sol-ches disziplin- und kontextübergreifendes„Metakonzept Innovation“ erfordert jedocheinen weiten Weg disziplinärer Verständi-gungsarbeit; vielleicht ist mit dem Band einAnfang gemacht worden. Rainer Brödel

Gerhard Bosch u. a.Kompetenzentwicklung 2000: Lernen imWandel – Wandel durch Lernen(Waxmann Verlag) Münster u. a. 2000, 337Seiten, 19.50 Euro

Dieses fünfte Jahrbuch zur „Kompetenzent-wicklung“ enthält zunächst zwei Beiträge, diesich mit theoretischen Grundlagenfragen vonlebensbegleitendem Lernen und Kompetenz-entwicklung auseinander setzen (Gerald A.Straka: Lernen unter informellen Bedingun-gen – informelles Lernen; Horst Dräger: Mor-phologie des Lernens),sowie einen empirischunterlegten Theoriebeitrag (Gerhard Bosch:Neue Lernkulturen und Arbeitnehmerinteres-sen). Auf praktische Handlungsprobleme imUmkreis der Kompetenzentwicklung geheneher berichtend zwei Beiträge ein (Peter Na-dermann: Integriertes Kompetenzentwick-lungsmanagement im WirtschaftsbereichFilm; Sonja Thiemann: Training packages –kompetenz-basierte Neukonstruktion desaustralischen Berufsbildungssystems) undeher fragend und debattierend ein Beitrag(Maritta Flasse/Brigitte Stieler-Lorenz: Beruf-liche Weiterbildungsstatistik im Spannungs-feld zwischen Industrie- und Wissensgesell-schaft). Schließlich gibt es drei theoretischfundierte, programmatisch angelegte Beiträ-ge (Hans Paul Frey: „Europa-Kompetenz“ –gemeinsame Interessen der Chemie-Sozial-partner im Bereich der beruflichen Bildung;Hubertus Schmoldt: Kompetenzentwicklung

in lernenden Organisationen; John Erpen-beck/Johannes Sauer: Das Forschungs- undEntwicklungsprogramm „Lernkultur Kompe-tenzentwicklung“). Die wissenschaftliche Re-levanz der einzelnen Beiträge ist durchge-hend gegeben, stellt sich jedoch jeweils et-was anders dar.Straka gibt eine detaillierte Beschreibung derBegriffsverwendungen zum formellen, zumnon-formellen und zum informellen Lernen inder deutschsprachigen und englischsprachi-gen Literatur. Über das Referieren und Ver-gleichen hinaus erarbeitet er einen weiterfüh-renden Präzisierungsschritt für den Umgangmit dieser Terminologie. Er verdeutlicht aufder Grundlage eines erweiterten allgemeinenVerhaltensmodells, dass nicht das Lernen ansich bei jedem der drei Begriffe ein anderesist, sondern dass die Bedingungen variieren,unter denen jeweils gelernt wird. Als Quint-essenz des Beitrages werden die in der For-schung in Deutschland bestehenden Deside-rate zum „Lernen unter non-formellen und in-formellen Bedingungen“ (S. 59) präzisiert.Dräger liefert einen wissenschaftstheoreti-schen Beitrag, indem er das Lehren und dasLernen in ihrer Vielfalt zurückführt auf dasdem Menschen eigentümliche „erkennendeWeltverhältnis“ (S. 124). Mit Hilfe der Morpho-logie als der Lehre von den Formen und ih-rem Wandel, kann, so Drägers These, dasLehren und Lernen sowohl in seinen institu-tionellen Formen als auch in seinen außerin-stitutionellen Modalitäten differentiell wahrge-nommen und beschrieben werden.Die Beiträge von Nadermann, Thiemann undFlasse/Stieler-Lorenz lassen sich als Belegedafür charakterisieren, dass die beruflicheWeiterbildung mit ihrem Angebundensein andie ständigen Umstellungen und Neuformie-rungen des Arbeitens in den Wirtschaftsun-ternehmen zu einer ständigen Vermehrungund Ausdifferenzierung der damit einherge-henden wissenschaftlichen Reflexivität führt.Die dabei sichtbar werdenden Lernherausfor-derungen und -notwendigkeiten stellen sichals Elementarteilchen in einem transformati-ven Prozessgeschehen dar, das weitgehendaußerhalb des bisher üblichen erwachsenen-pädagogischen Erkenntnisvermögens liegt.Die Beiträge von Bosch, Frey, Schmoldt undErpenbeck/Sauer geben einen Eindruck vonden Verschiebungen in der weiterbildungspo-

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litischen Landschaft, von der Bildungspolitikhin zur Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik.Diese Verschiebungen sind nicht neu. Le-senswert sind die Beiträge dennoch, weil inihnen deutlich zum Ausdruck kommt, dass dieVerschiebungen sachstrukturell, theoriestarkund empirisch begründet erfolgen.In der Zusammenstellung der Beiträge diesesJahrbuches kommt das Interesse zum Aus-druck, den Wandel der beruflichen Weiterbil-dung hin zu einem das ganze Leben einesMenschen umfassenden kontinuierlichen Ler-nen zu begreifen. Diese Sichtweise ist aktu-ell und realistisch, wenn sie auch für man-chen ärgerlich sein mag.

Johannes Weinberg

Rainer Brödel (Hrsg.)Grenzüberschreitende Erwachsenenbil-dung(Waxmann Verlag) 2000, Münster u. a., 297Seiten, 25.50 Euro

Rainer Brödel stellt Walter Mertineit, den un-vergessenen Internationalisten der Erwach-senenbildung, in das Zentrum dieses Sam-melbandes. So widmet er ihm den Band nichtnur ausdrücklich, sondern will auch „aus Sichtder Erwachsenenbildung und ihrer Wissen-schaft an die Person und das Schaffen vonMertineit erinnern und sein Lebenswerk ei-nem größeren Publikum zur Kenntnis bringen– ja, zur Auseinandersetzung mit seinen er-wachsenenpädagogischen Positionen einla-den“ (S. 7). Solche Auseinandersetzung wirdeinerseits angeregt durch den Wiederabdruckvon Mertineits gleichsam programmatischemAufsatz „Bildungsrecht und Recht auf Bil-dung“ (S. 78), der zuerst 1970 erschienen ist.Andererseits werden thematische Schwer-punkte weiterverfolgt, die Mertineits Schaffennachdrücklich bestimmt haben, so etwa dieModernisierung der Erwachsenenbildung inSchleswig-Holstein, grenzüberschreitendeBezüge und internationale Erwachsenenbil-dung. Trotz dieser eindeutigen Schwerpunkt-setzung des Herausgebers soll nicht uner-wähnt bleiben, dass Rainer Brödel mit diesemBand auch der vielfach an Universitäten ge-stellten Forderung gerecht wird, den regiona-len Bezug der Erwachsenenbildung herzu-stellen und auch in die Region hineinzuwir-

ken. Für den Lehrstuhl für Erwachsenenbil-dung an der Universität Flensburg bedeutetdies naturgemäß, sich mit der Situation derWeiterbildung in Schleswig-Holstein aus-einander zu setzen und dabei die Grenzlageund die Phänomene grenzüberschreitender,internationaler Erwachsenenbildung im Blickzu halten.Mit diesem Hinweis sind bereits Aspekte desInhalts angedeutet. Der Sammelband gliedertsich in fünf Kapitel: I. Rekonstruktion undHorizont, II. Walter Mertineit – Professionali-sierung und Internationalisierung der Erwach-senenbildung, III. Weiterbildung in Schleswig-Holstein, IV. Erwachsenenbildung im Ostsee-raum und in Transformationsländern, V. Ge-staltungsdiskurse der Weiterbildung und deslebenslangen Lernens.Etwas irritierend gestaltet sich für den Leserdie Suche nach einer kommentierenden Ein-führung des Herausgebers zur Kompositiondes Bandes. Solche Hinweise sind auf zweider insgesamt vier Aufsätze im ersten Kapi-tel verteilt. In seinem Aufsatz „Grenzüber-schreitende Erwachsenenbildung – Weiterbil-dung in Schleswig Holstein“ (S. 15ff.) nimmtRainer Brödel, eingebettet in terminologischeund methodologische Überlegungen, nur Be-zug auf den unmittelbar folgenden Aufsatzvon Norbert Vogel. Die verbleibenden Aufsät-ze dieses Kapitels, ebenfalls von Brödel, ste-hen relativ unverbunden nebeneinander, dervierte jedoch, überschrieben mit „Erwachse-nenpädagogischer Bezug der Beiträge“ eröff-net dann eine detaillierte Übersicht über diefolgenden Kapitel.Neben dem bereits erwähnten Aufsatz vonWalter Mertineit finden sich im zweiten Teilergänzende Beiträge zur Person, einmal vonJoachim H. Knoll im Zusammenhang mit in-ternationaler Erwachsenenbildung, sodannvon Rainer Brödel mit Blick auf die Lehre.Kapitel III leuchtet den Stand und die Entwick-lungen der Weiterbildung in Schleswig-Hol-stein unter verschiedenen Perspektiven aus.So stehen Betrachtungen aus Sicht der Ge-werkschaften und der evangelischen Kircheneben Sichtweisen aus der Landeszentralefür politische Bildung und der Wirtschaft. DerAufsatz von Volker Thomas aus dem für Wei-terbildung zuständigen Ministerium in Schles-wig-Holstein verhandelt die seit Jahren span-nungsgeladene Diskussion um Weiterbildung

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zwischen Staat und Markt. Darin diskutiert erunter anderem auch künftige politische Rah-mensetzungen in Richtung übergreifenderInfrastrukturförderung anstelle von Angebots-förderung.Der vierte Teil des Bandes besteht zum Groß-teil aus „country reports“, wobei Dänemark,Litauen und Polen als Ostsee-Anrainerstaa-ten in Rede stehen; der Beitrag zur Tschechi-schen Republik verlässt ein wenig den Rah-men, auch wenn die Kapitelüberschrift eineZuordnung gestattet. GrenzüberschreitendeStrukturen und Trends nimmt der Beitrag vonHans-Ulrich Westphal in den Blick, der vordem Hintergrund der wirtschaftlichen Ent-wicklungen im Ostseeraum eine Bestands-aufnahme und Analyse bestehender Koope-rationsstrukturen im Bereich beruflicher Wei-terbildung vornimmt und künftige Perspekti-ven aufzeigt.Das fünfte Kapitel wendet sich der zukünfti-gen Weiterentwicklung der Erwachsenenbil-dung vor dem Hintergrund der an sie gerich-teten Reform- und Modernisierungsforderun-gen zu. Dies geschieht nicht zuletzt auchwieder unter Rückbezug auf internationale(Beitrag von Paul Bélanger mit Blick auf dieUNESCO, S. 242ff.) oder supranationaleKontexte und Impulse (Beiträge von PeterKrug, S. 254ff. und Rainer Brödel, S. 261ff.mit Bezug auf die Europäische Union). DerBeitrag von Peter Faulstich untersucht Re-formpotenziale auf regionaler und lokalerEbene allgemein. Schließlich gelingt mit demAbdruck eines Transkriptes einer Podiums-diskussion von Landespolitikern zur Zukunftder Weiterbildung in Schleswig-Holstein einunmittelbar regionaler Rückbezug. Da Beiträ-ge zur norddeutschen und der deutsch-däni-schen Erwachsenenbildung in den letztenJahren seltener geworden sind, nehmen wirdiese intensive Aufklärung über historischeund gegenwärtige Befunde im Grenzbereichals eine nützliche Bereicherung entgegen.

Michael Schemmann

Stephan Dietrich (Hrsg.)Selbstgesteuertes Lernen in der Weiterbil-dungspraxisErgebnisse und Erfahrungen aus dem ProjektSeGeL(W. Bertelsmann), Bielefeld 2001, 319 Seiten,18.90 Euro

Der von Stephan Dietrich herausgegebeneReader ist die Quintessenz aus dem vomDeutschen Institut für Erwachsenenbildungdurchgeführten und vom Bundesministeriumfür Bildung und Forschung geförderten Pro-jekt „Selbstgesteuertes Lernen – Serviceleis-tungen zur Entwicklung einer neuen Lernkul-tur in der Weiterbildung“. Es war als Praxis-hilfe für Weiterbildungseinrichtungen ange-legt, was natürlich auch seinen Niederschlagin den Texten findet. Die Erfahrungsberichtewerden jedoch durch die Beiträge des Her-ausgebers und anderer renommierter Autorenwie Faulstich, Forneck und Knoll in den Ge-samtkontext der aktuellen wissenschaftlichenund politischen Diskussion gestellt.In insgesamt 31 Beiträgen wird das Themavon mehreren Seiten und aus unterschiedli-chen Blickwinkeln betrachtet. Grundlegendenund mehr lerntheoretisch orientierten Artikelnfolgen solche, die sich mit dem Spannungs-verhältnis von (individueller) Selbststeuerungund institutionellem Selbstverständnis ausein-ander setzen. Es wird deutlich, dass die überdas selbstgesteuerte Lernen vermittelte neueLernkultur auch die Einrichtungen herausfor-dert und Motor für eine Organisationsentwick-lung sein kann.In gleicher Weise wie die Einrichtungen sindauch die Lehrenden mit neuen Rollenanfor-derungen konfrontiert. Die traditionelle Leh-re wird zurückgedrängt zugunsten von lern-beratenden und lernbegleitenden Aktivitäten.Dieser Trend wird ausführlich thematisiert undergänzt um den Aspekt der Mitarbeiterfortbil-dung. Vorgestellt werden Fortbildungskon-zepte, die geeignet erscheinen, die Bera-tungs- und Medienkompetenz der Lehrendenzu erhöhen. Des Weiteren wird der (selbst-gesteuert) Lernende in seinem Bezug zur ihnunterstützenden Einrichtung betrachtet, eswerden Fragen der Mediendidaktik, der Sup-portstrukturen für selbstgesteuertes Lernen(wie Lernquellenpools und Selbstlernzentren)und der Lernerfolgskontrolle behandelt.

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Bei dieser Fülle von Beiträgen und Autorenbleiben Doppelungen und Überschneidungennicht aus. Sie sind der Preis für eine Vielfaltder Positionen und für differenzierte Darstel-lungen. Wünschenswert wäre es gewesen,wenn sich die optische Veranschaulichung,die einige Beiträge auszeichnet, durch alleAufsätze gezogen hätte. Ebenso wünschens-wert wäre es auch, wenn die beigefügte CD-ROM Beispiele für Multimedia-Anwendungengeliefert hätte. Doch es ist fast schon unfair,derartige Wünsche zu äußern, verdeckt diesdoch den großen Wert, den dieses Buch fürPraxis, Wissenschaft und Politik entfaltenwird. Es liefert Anregungen für die Bildungs-praxis, zeigt Begrenzungen und Möglichkei-ten auf, bietet Reflexionsflächen und Hinwei-se auf Klärungs- und Handlungsbedarf.

Dieter Gnahs

Christoph EhmannBildungsfinanzierung und soziale Gerech-tigkeitVom Kindergarten bis zur Weiterbildung(W. Bertelsmann Verlag) Bielefeld 2001, 172Seiten, 14.90 Euro

Die Expertise weist über die Weiterbildunghinaus, indem die Frage nach der Bildungs-finanzierung vor dem Hintergrund wichtigerBildungsphasen im Lebenslauf thematisiertwird. Neben der öffentlich (mit-)getragenenund der betrieblichen Weiterbildung werdenKindergarten, Schule, Berufsausbildung undHochschulausbildung analysiert. In die be-reichsübergreifende Diskussion bezieht derAutor u. a. auch das Problem der „Finanzie-rung des Lebensunterhalts“ (S. 114ff.) wäh-rend der Bildungsteilnahme ein. Häufig zuUnrecht wird diese Fragestellung ausgeblen-det, denn sie ist nicht bloß für die Realisie-rung eines universitären Studiums (Stipendi-um) basal, sondern gerade für die Wahrneh-mung zeitintensiver Formen der Weiterbil-dungsbeteiligung und des lebenslangen Ler-nens unter den Bedingungen von Erwerbsar-beit (vg. S. 157ff.).Angesichts der angespannten Lage der öf-fentlichen Haushalte, einer zunehmendenKonkurrenz staatlicher Politikfelder um dieimmer knapperen Ressourcen und einer Ent-wicklung der öffentlichen Bildungsfinanzie-

rung, die durch eine wachsende Diskrepanzzwischen steigenden Anforderungen und sta-gnierenden Ausgaben gekennzeichnet ist,wird einleitend die Frage nach der „Wirksam-keit der eingesetzten Mittel, der didaktischenebenso wie der Finanzmittel“ (S. 8) als vor-dringlich erkannt. Vor diesem Hintergrundstellt der Verfasser für die eigene Untersu-chung das Problem heraus, „ob und wenn jawie bestimmte Finanzierungsregelungen denZugang zu Bildungsmöglichkeiten und denErhalt optimaler Bildungschancen befördernoder behindern“ (S. 9).Insbesondere interessiert das – grundgesetz-lich angemahnte – Kriterium der sozialenGerechtigkeit. Der interpretative Durchgangdes Autors durch das unübersichtliche Feldder Bildungsstatistiken und bildungsökonomi-schen Expertisen mündet in einen äußerstproblematischen Befund ein: „Die aktuelle Fi-nanzierung des Bildungswesens schafft undstabilisiert Strukturen, in denen ... jene Vor-gänge sich abspielen, die die Idee von dersozialen Gerechtigkeit ad absurdum führen.Eine Veränderung der Finanzierung, die demZiel eines Mehr an Chancengleichheit ver-pflichtet ist, muss deshalb mit einer Verände-rung eben dieser Strukturen einhergehen“ (S.148).Die hier diagnostizierte Ungerechtigkeit undReformbedürftigkeit des gegebenen Systemsvon Bildungsfinanzierung als Ganzes lässtsich vielleicht am konkretesten durch die Be-obachtung aufzeigen, dass die Finanzierungorganisierter Bildung weit überdurchschnitt-lich durch die Nichtteilnehmer erfolgt (S. 21).Im Hinblick auf unseren ureigenen Bildungs-bereich, die Weiterbildung, werden sekundär-analytisch neuere empirische Arbeiten zudem bekannten Untersuchungsbefund einersozial selektiven Wirkung im Sinne der Bil-dungskumulationsthese gebündelt: „Der ei-gentliche Grund für die selektive Wirkung derWeiterbildung ist, dass sie unter den gege-benen Rahmenbedingungen die selektiveWirkung der vorhergehenden Bildungsab-schnitte aufnimmt und weiterführt“ (S. 101).Abschließend werden die „Ecksteine“ einerStrukturreform von Bildungsfinanzierung skiz-ziert. In Bezug auf die Teilnahme an Weiter-bildungsangeboten mit Vollzeitcharakter wirddie Einführung eines „Bildungsgelds“ (S. 158)aus Steuermitteln vorgeschlagen. Auch die

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aus England bekannte Einrichtung von „Bil-dungskonten“ wird begrüßt.Zum Aufbau des Buches sei positiv ange-merkt, dass die gelegentlichen historischenExkurse erhellend wirken. Sie machen geradedeshalb Sinn, weil im Bereich der Bildungsfi-nanzierung vieles einer einheitlichen Rege-lungslogik widerspricht und neben Konventio-nen auch andere verfassungsgeschichtliche(Sonder-)Tatbestände eine nachwirkende Rol-le spielen können.Fazit: Christoph Ehmann hat ein verständli-ches, zugleich engagiertes Fachbuch ge-schrieben. Es gibt einem immer noch wenigbearbeiteten und strategisch unterbewertetenThema des Weiterbildungsdiskurses neueSchubkraft. Der Autor hatte bereits an dendrei 1998 veröffentlichten Gutachten desSachverständigenrats Bildung der Hans-Böckler-Stiftung mitgearbeitet. Auch dort ginges im Wesentlichen um Finanzierungsfragen.Allerdings riefen die damaligen Ergebnisthe-sen einen zum Teil heftigen Widerspruchhervor – etwa an der Gewerkschaftsbasis, wodie starke Betonung von Eigenverantwortungund -leistung bei der Bildungsfinanzierungmoniert wurde. Das vorliegende Buch trägtzum Hintergrundverständnis und zur Ver-sachlichung einer noch nicht zu Ende geführ-ten Debatte bei. Rainer Brödel

Rudolf Epping/Rosemarie Klein/GerhardReutterLangzeitarbeitslosigkeit und beruflicheWeiterbildungReihe: Perspektive Praxis(W. Bertelsmann Verlag) Bielefeld 2001, 157Seiten, 12.90 Euro

Die Autoren liefern eine erfahrungsfundierteund zeitnahe Bestandsaufnahme. Im Vorder-grund steht die Diskussion didaktischer undbiographisch-prozessualer Probleme desLehrens und Lernens mit Langzeitarbeitslo-sen. Bildungspolitisch-institutionelle oder so-zialpolitische Aspekte werden nachrangigbehandelt. Damit ist eine differenzielle er-wachsenenpädagogische Orientierung einge-schlagen, welche sowohl die Schwierigkeitenals auch die Möglichkeiten der Bildungsarbeitmit der überaus heterogenen Zielgruppe indas Blickfeld geraten lässt. Von der Einlösung

solch eines Anspruchs, der Arbeits- und Er-werbslose als Subjekte des Lernens mit ih-ren emergenten Potenzialen und spezifischenLebenslagenkonstellationen einbezieht, zeu-gen bereits die einzelnen Überschriften derinsgesamt 7 Buchkapitel: (1.) Das Wegbre-chen von Sicherheiten, (2.) Langzeitarbeits-lose als Zielgruppe in der Weiterbildung, (3.)Bildungsziele und Bildungsprinzipien für dieWeiterbildung mit Langzeitarbeitslosen, (4.)Teilnehmergewinnung und Anfangssituation,(5.) Das Vertrauen in die eigenen Kompeten-zen stärken, (6.) Lerninteressen, Lernzieleund Lernbiographie, (7.) Elemente zur Lern-/Lehrgestaltung.Das Autorenteam geht von der These einespartiellen Versagens der traditionellen Instru-mente aktiver Arbeitsmarktpolitik aus (S. 11).Deshalb wird eine paradigmatische Neuorien-tierung der beruflichen Weiterbildung für län-gerfristig Arbeitslose angemahnt, die nebender Erwerbsarbeit auch andere Bezugspunk-te des Lebens einbezieht – etwa Eigenarbeit,Bürgerarbeit, persönliche Lerninteressen undnicht zuletzt die spezifischen Belastungsfak-toren in der Lebenssituation erwerbsloserZielgruppen (S. 15). Hinsichtlich des didakti-schen Konzepts wird anstelle einer häufigvorherrschenden Defizitorientierung seitensder Politik vor allem der Kompetenzorientie-rung sowie der Stärkung von Selbststeue-rungsfähigkeit der Vorzug gegeben (S. 64 u.82). Dabei lassen sich auch Fähigkeiten ausbiographischen Phasen ohne Erwerbsarbeiteinbeziehen, was freilich nicht immer mit denDoktrinen arbeitsmarktpolitischer Förderpro-gramme übereinstimmt. Insofern empfehlendie Autoren die Entwicklung individueller Qua-lifikationsprofile (S. 94) und legen einen er-weiterten Arbeitsbegriff zugrunde; an die Stel-le einer häufig diffusen Arbeitsmarktorientie-rung bei konventionellen Weiterbildungsmaß-nahmen tritt die chancenreichere Alternativeeines auch lebenspraktisch und biographischverwertbaren Lernens. Insgesamt muss sicherwachsenendidaktisches Handeln bei Lang-zeitarbeitslosen davon leiten lassen, „eineBalance zwischen den berufsfachlichen,überfachlichen und persönlichen Lerninteres-sen und -zielen herzustellen“ (S. 112).Indem „Kompetenzorientierung als Bildungs-prinzip mit den Zielgruppen Langzeitarbeits-loser“ (S. 82) eine nachhaltige, sinnstiftende

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Perspektive zu eröffnen verspricht, wird ge-rade Beratung wichtig – vor allem die Indivi-dualberatung bei Veranstaltungsbeginn alseine spezifische Form der Lernberatung. Siekann in einen „Bildungskontrakt ... zwischenBildungsträger und Bildungsnehmer“ (S. 74)einmünden. Nicht zuletzt soll die Mitverant-wortung des Lernenden für den Lernprozessgeweckt werden. Dies wiederum setzt vor-aus, „dass die Teilnehmer als Lernende mitihren Zielen, Perspektiven und Interessenzum Ausgangspunkt für das Lernen gemachtwerden und dass ihre Mitsprache in der Bil-dungsmaßnahme gefragt ist“ (ebd.).Alles in allem spricht der umsichtige und per-spektivisch angelegte Band ein breites Fach-publikum an. Einesteils führt er von einempädagogisch reflektierten Standort in dieseswichtige, aber „ungeliebte“ Arbeitsfeld derErwachsenenbildung mit seinem überausgeringen „Zielgruppen-Kapital“ (wie sich freinach Bourdieu vielleicht sagen lässt) ein;andernteils nimmt diese Schrift ein Vergewis-serungsbedürfnis von Arbeitsmarkt-Weiter-bildnern und erwachsenenpädagogischen In-termediären auf. So steigert sich die Aufmerk-samkeit des Lesers durch die Art und Weiseeines Bemühens um gegenstandsbegründe-te Transzendierung behördlich etablierterSchulungsformen. Die Konsequenz ist eineparadigmatische Neubestimmung der BildungErwerbsloser: Indem sich die vorherrschen-de Arbeitslosenweiterbildungspolitik mit derzeitdiagnostischen Referenzgröße eines er-weiterten Arbeitsbegriffs kontrastieren undhinterfragen lässt, verlieren „die traditionellenBildungsmaßnahmen für die Problemgruppendes Arbeitsmarktes mit ihrer ausschließlichenZielorientierung auf die Reintegration in Er-werbsarbeit“ (S. 8) an Legitimationskraft. DerLeser wird in seiner Auffassung bestärkt,dass die Zukunft der Erwerbslosenbildung inihrer Pluralisierung und der reflexiven Öff-nung zur Allgemeinbildung liegt, d. h., tenden-ziell ist die Hinwendung zur Stärkung einerlebensweltorientierten Kompetenzentwick-lung angesagt.Schließlich sei noch auf die lesedidaktischeund materialintensive Ausstattung des Ban-des hingewiesen. Vor allem enthält das Buchsinnvolle „Reflexionsangebote“, die zur Ver-arbeitungstiefe des Lesestoffs beitragen. DesWeiteren werden einzelne Methoden aus der

Seminarpraxis – etwa die „QUALIBOX“ – vor-gestellt. Mit ihr lässt sich in der Bildungsar-beit fallspezifisch aufzeigen, wie lebensge-schichtlich erworbene Kompetenzen an dieOberfläche geholt werden und als Potenzia-le für die weitere Berufs- und Tätigkeitspla-nung einbezogen werden können (S. 101f.).Fazit: Das Buch löst mehr ein, als der Titelprima facie verspricht. Es geht weit über dieberufliche Weiterbildung einer erwerbs-ar-beitsgesellschaftlich verengten, nämlich aufden ersten Arbeitsmarkt fixierten Qualifizie-rungs- und Reintegrationshilfe hinaus. DieAutoren sind nicht spekulativ, aber innovativ,ohne sich platt dem neoliberalen Zeitgeiststaatlicher Devolution anzudienen. Bei allemprofitiert der Leser von den vielfältigen For-schungs- und Fortbildungserfahrungen derAutoren im Bereich der Erwerbslosenbildung.

Rainer Brödel

Harald GeißlerOrganisationspädagogikUmrisse einer neuen Herausforderung(Verlag Franz Vahlen) München 2000, 294Seiten, 29.65 Euro

Dass Organisationen lernen müssen, um zu-künftig Bestand zu haben, ist inzwischen einrhetorischer Gemeinplatz geworden, der nie-manden überrascht. Umso wichtiger wird dieFrage, was eigentlich unter dem Lernen ei-ner Organisation (zum Beispiel im Gegensatzzur Organisationsentwicklung) zu verstehenist. Geißler versucht sie in dem vorliegendenWerk zu beantworten – und nicht nur das: Ernimmt die Metapher „lernende Organisation“ernst und stellt folgerichtig auch Fragen nachverschiedenen Arten des Lernens und nachder Verbindung zwischen organisationalemund individuellem Lernen, und er skizziertsogar eine „Organisationsdidaktik“ (S. 57).Das alles geschieht – wie gewohnt – auf Ba-sis einer breiten Rezeption unterschiedlichs-ter Konzepte, genannt seien stellvertretendAutoren wie Beck, Luhmann und Habermas,aber beispielsweise auch Martin Buber undZygmund Baumann. Geißler möchte, daswird bei solchen Rückgriffen auf die sozial-wissenschaftliche Debatte erkennbar, keinepädagogisch inspirierte Managementtheorievorlegen, sondern der „Herausforderung Or-

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ganisationspädagogik“ aus einer sozialwis-senschaftlichen Perspektive begegnen. Dassdabei auch die „großen“ Autoren der Organi-sationsentwicklung wie Argyris, Schein undSenge berücksichtigt werden, braucht kaumerwähnt zu werden.Geißler betrachtet den Gegenstand aus einerzeitgemäßen Perspektive – das bedeutet,dass er nicht die Methoden und Ziele der Or-ganisationsentwicklung linear fortschreibt,sondern einen pädagogischen Zugang wählt,indem er beispielsweise die Organisationspä-dagogik als „Fortsetzung“ der Betriebspäda-gogik konzipiert, von Anfang an pädagogi-sche Begriffe (Bildung, Lernen, Didaktik) indie Diskussion einführt und den in der Orga-nisationsentwicklung verbreiteten wenig refle-xiven Menschenbildern den „homo discens“(Prange, S. 207) gegenüberstellt. Dabei die-nen dem Autor verschiedene sozialwissen-schaftliche Konzepte als Argumentations-grundlage, beispielsweise wird der „reflexiveZweifel“ Becks zur Grundlage einer „Wertra-tionalität“ (S. 82), die als Leitkategorie dereher ökonomisch motivierten Zweckrationa-lität gegenübergestellt wird. Viele dieser Be-gründungen lesen sich anregend, was bedeu-tet, dass man nicht unbedingt immer der glei-chen Meinung sein muss, sei es beispiels-weise bei anthropologischen Grundannah-men oder den etwas moralisierend ausfallen-den Erörterungen zu Buber und dem dialogi-schen Prinzip. Auch durch solche Stellen regtdas Werk jedoch auf konstruktive Weise zurKritik und zum Weiterdenken an. „Organisa-tionspädagogik“, im Untertitel zu Recht als„Herausforderung“ bezeichnet, ist eben keinwissenschaftlich bereits erschlossenes Feld,das kanonisch dargestellt werden könnte.Geißler liefert mit seiner Studie einen fundier-ten Zugang zu diesem noch zu erkundendenBereich, der einerseits präzise genug ist, umeiner inhaltlichen Beliebigkeit zu entgehen,die manches neue Schlagwort begleitet,andererseits jedoch offen genug, um die Viel-falt der möglichen Querbezüge und Entwick-lungsmöglichkeiten nicht von vornherein zubeschneiden.Leider wurden bei der Korrektur einige Feh-ler übersehen, die dort besonders stören, wosie den Sinn des Gesagten verändern (etwawenn auf S. 29 „einer“ steht, wo „keiner“ ge-meint ist). Erfreulich ist demgegenüber die

klare und präzise Sprache sowie die Aufma-chung des Buches, von der hohen Druckqua-lität über die zahlreichen und guten Abbildun-gen bis zur Beigabe eines Registers.Geißlers Organisationspädagogik stellt zwei-fellos einen relevanten Grundlagenbeitrag zurDiskussion des Zusammenhangs zwischenOrganisationen (nicht nur wirtschaftlich aus-gerichteten, wie der Autor mehrmals betont)und dem pädagogischen Prozess des Ler-nens dar. Rolf Arnold/Henning Pätzold

Karlheinz A. Geißler„Wart’ mal schnell“minima temporalia(Hirzel Verlag) Stuttgart 2002, 266 Seiten,24.00 Euro

Ein neues lesenswertes Buch von KarlheinzGeißler – Professor für Wirtschaftspädagogikan der Universität der Bundeswehr in Mün-chen – über die Zeit. Bereits an dieser Stelledrängen sich Fragen auf: Ist Zeit ein aktuel-les Thema der Wirtschaftspädagogik? Wel-che Bedeutung hat Zeit in der Bundeswehr?Haben die Münchener ein anderes Zeitgefühlals die Frankfurter? Da auch das Schreibenund Lesen von Rezensionen Zeit kostet, willich es kurz machen.Nichts charakterisiert eine Epoche, eine Ge-sellschaft, einen Beruf, ein Individuum sosehr wie der Umgang mit der Zeit. Zeit ist dasam häufigsten verwendete Substantiv derdeutschen Sprache. Und es gibt andere Spra-chen, denen ein Wort für Zeit völlig fehlt. Zeitist ein bevorzugtes Thema der DeutschenBahn, der Diskussion über das Abitur, derPhilosophie von Augustinus bis Heidegger,der Politiker vor und nach Wahlen. Zeit istrelativ: „Es kommt darauf an, auf welcherSeite der Klotür man sich befindet, um eineMinute als schnell oder langsam vergehendzu erleben“ (S. 35).Kaum jemand bestreitet, dass Zeit knapp undkostbar ist, dass Zeit gespart werden muss.Doch was fangen wir mit der gesparten Zeitan? An dieser Stelle meldet sich der Zeitdia-gnostiker und Zivilisationskritiker Geißler zuWort. Permanente Beschleunigung und Ver-änderung sind Merkmale einer „Non-Stopp-Gesellschaft“, in der „die Angst, etwas zu ver-passen“, allgegenwärtig ist.

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Wir sollen schneller fahren, schneller arbei-ten, schneller schlafen, schneller denken (S.152), schneller lernen. Auch die Semantik deslebenslangen Lernens passt in diesen „Zeit-geist“ des „mehr desselben“. „Weder auf derSchnellstraße noch auf dem Qualifikations-Highway werden wir zu jener Geduld kom-men, die laut biblischer Verheißung derSchlüssel zum Himmelreich ist“ (S. 98).„Neuerdings werden wir auch beim Lernen zudieser Freiheit gezwungen. Niemand sagtuns mehr, was wir lernen sollen. Mit gesell-schaftlicher Ächtung aber wird allen gedroht,die nicht lebenslang lernen wollen“ (S. 48).Wer nachhaltig und sinnvoll lernen will, musssich Zeit nehmen. Alle Schnelllernverspre-chungen („perfekt Italienisch in 14 Tagen“)sind Mogelpackungen. „Bildung“ – so Geiß-ler – braucht „Umwege“, nur so „erfährt manNeues, Überraschendes, Ungewohntes“ (S.220).Diese „gesammelte(n) Gelegenheitstexte“„sind nicht mit der Absicht geschrieben, demWesen der Zeit forschend und reflektierendauf den Grund zu gehen“ (S. 11). Vielleichtkann man von einer „Phänomenologie derZeit“ sprechen. Das Buch regt nicht nur zumNachdenken, sondern auch zum Schmunzelnan, so wenn von der Verkehrung „vom heili-gen zum eiligen Geist“ die Rede ist. Odervom „Hemingway-Syndrom“, „denn es sind jameistens die Männer, die ihre Heimat imUnterwegssein suchen. Immer sind sie aufdem Sprung und immer weniger sind sie aufdem Laufenden“ (S. 197).Mein Tipp: Auch wenn Sie Wichtigeres zu tunhaben und in Eile sind – nehmen Sie sich dieZeit und genießen Sie dieses Buch. H. S.

Willi B. Gierke/Uta Loeber-PautschDie pluralen Strukturen der Erwachsenen-bildungZur Geschichte der Erwachsenenbildung inNiedersachsen 1947-1960, Band 1 und 2(Wolfgang Schulenberg-Institut) Oldenburg2000, 1016 Seiten, 20.50 Euro

Die materialreiche Arbeit entstand im Rah-men eines von der Volkswagen-Stiftung ge-förderten Forschungsvorhabens. Projektleiterwar Hans-Dietrich Raapke, der im Vorwortdes ersten Bandes nicht zu viel verspricht,

wenn er ausführt, „dass durch eine gründli-che systematische Auswertung der Beständedes Archivs auf bisher unveröffentlichte odernoch ganz unbekannte Dokumente als Quel-len zurück gegriffen werden konnte. So wur-de es möglich, vor allem das Verhältnis vonInstitution und Person in der Entwicklung derErwachsenenbildung genauer in den Blick zunehmen, um einer ‚Realanalyse‘ der Ge-schichte der Erwachsenenbildung näher zukommen“ (S. 15).Typologisch handelt es sich um eine regional-geschichtliche Studie, die am Fallbeispiel Nie-dersachsens die Nachkriegs-Epoche derdeutschen Erwachsenenbildung detailliertbeleuchtet. Eine ähnliche Arbeit legte jüngstChristine Zeuner für die Freie HansestadtHamburg vor. Untersuchungsgegenstand isthier wie dort jene Periode, in der sich das Setpluraler Trägerstrukturen formiert und in derdie Erwachsenenbildung als Politikfeld über-haupt erst entdeckt und bald darauf im Kon-text der Bildungsreform durch Strategien derVerrechtlichung, Institutionalisierung und Pro-fessionalisierung einer grundlegenden Mo-dernisierung unterzogen wird. Insofern domi-niert bei Gierke und Loeber-Pautsch einestrukturgeschichtliche Fragestellung, diein Anlehnung an den Historiker Jürgen Kockaden Blick „auf die Bedingungen und Spielräu-me und Möglichkeiten menschlicher Erfah-rungen und menschlichen Handelns“ (S. 27)lenkt. Diese Vorgehensweise wird durch po-litikwissenschaftliche und soziologische An-sätze ergänzt, insbesondere durch die The-orie sozialer Differenzierung (u. a. RenateMayntz), welche auch in den bildungsforsche-rischen Arbeiten von Rudolf Tippelt als Refe-renzparadigma eine erhebliche Rolle spielt.Die Oldenburger Autoren selbst charakterisie-ren die für sie unverzichtbare Theoriegeleitet-heit der erwachsenenbildungsgeschichtlichenRekonstruktion als eine „Theoriekombination“(S. 29). Sie zollen damit nicht nur der Kom-plexität des erwachsenenbildnerischen Unter-suchungsgegenstands Respekt, sondernunterstreichen für ihr Untersuchungsdesignauch eine notwendige Offenheit und Unvor-eingenommenheit gegenüber seinen Eigen-heiten.Band 1 geht umfassend dem Verhältnis vonStaat und Verbänden nach, wobei auch dieDiskussion um ein Volksbildungs- bzw. Volks-

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hochschulgesetz Ende der 1940er Jahre be-rücksichtigt wird. Band 2 thematisiert die Zu-sammenarbeit von Universität und organisier-ter Erwachsenenbildung, vor allem das Ter-rain der extramuralen Arbeit, wo Niedersach-sen (bzw. das 1956 an der Universität Göt-tingen eingerichtete „Sekretariat für auswär-tige Seminarkurse“) für die junge Bundesre-publik Modellfunktionen im Vorfeld von „wis-senschaftlicher Weiterbildung“ übernahm.Darüber hinaus enthält dieser Band einenumfangreichen Anhang mit „Dokumenten zurGeschichte der niedersächsischen Erwach-senenbildung“ (S. 709-824) und mit fünf „Zeit-zeugeninterviews“ (S. 825-977) aus den Jah-ren 1987 und 1988, darunter auch Fritz Bo-rinski.Fazit: Die zweibändige Studie stellt einen gro-ßen Gewinn für den historiographischen Dis-kurs der Erwachsenenpädagogik dar. Sie istsowohl unter Ergebnis- als auch unter metho-dologischen Gesichtspunkten weiterführend.Die Arbeit weist über Niedersachsen hinausund weckt das Interesse an einer verglei-chenden Betrachtung unterschiedlicher Regi-onalstudien. Rainer Brödel

Daniel GoeudevertDer Horizont hat FlügelDie Zukunft der Bildung(Econ Verlag) München 2001, 238 Seiten,21.00 Euro

Noch ein Buch über Bildung – in diesem Fallvon einem Spitzenmanager der Industrie.Daniel Goeudevert, 1942 in Reims geboren,studierte Literaturwissenschaft an der Sor-bonne in Paris. Er kennt die Polstersessel derVorstandsetagen. Heute agiert er als Beraterin der UNESCO und beim Green Cross Inter-national. Er pflegt den Blick für das Ganze.Er will die großen Linien, die Zusammenhän-ge beschreiben. Deshalb ist das Thema Bil-dung nicht nur Mittelpunkt und Schwerpunkt,sondern Anlass, der dem Autor Flügel wach-sen und ihn den Horizont erkunden lässt. Las-sen wir uns zu einer Bildungsreise verführen.Das Grundverständnis des Autors ist raschskizziert: Bildung, das wichtige Thema in je-dem Regierungsprogramm der letzten Jahre,hält Goeudevert für den Zentralschlüssel un-serer Zukunft. „Bildung ist die Kraftquelle, aus

der Zivilität und all die Werte gespeist wer-den, die das Leben des Einzelnen wie derGesellschaft als Ganzes erst lebenswert ma-chen und lebenswert erhalten. Der Menschkann überhaupt nur Mensch werden durchBildung“ (S. 13). Der „richtige“ Weg ist nochnie gefunden worden, aber es wäre sträflich,meint Goeudevert, die weitere Suche deshalbentmutigt zu vernachlässigen.Der Autor verweist auf soziale Kompetenzen,die in unserem Bildungswesen zu wenig ver-mittelt werden. Bildung versteht er als eine ArtVeredelungsprozess (S. 50). Der „unfertige“Mensch braucht Bildung. Goeudevert plädiertfür eine ganzheitliche Bildung, eine Verbin-dung von Ausbildung und Bildung. Er hält ein„vernünftiges Mischungsverhältnis“ zwischenallgemeiner Menschenbildung und pragmati-scher Ertüchtigung für notwendig, um denbestehenden und kommenden Herausforde-rungen zu begegnen (S. 72). Ein solcheswerde aber derzeit nicht geboten.Dem derzeitigen Bildungsgeschehen wird einDefizitbefund ausgestellt. Mit diesem Gepäckgeht Goeudevert auf seine Bildungsreisedurch die Landschaften des Wissens. DieStationen der Reise heißen Familie, Schule,Universität und Berufswelt mit ihrem Bedarfnach lebenslangem Lernen. In lockerem Tonpendelt der Autor zwischen Ratschlägen undLebensweisheiten, allgemeiner Kritik und sta-tistischen Einwürfen, Histörchen und Fallge-schichten. Im Zweifelsfall, wie bei dem vonihm für sinnvoll gehaltenen Einsatz neuerTechnologien, fordert Goeudevert als Voraus-setzung pädagogisch fundierte Konzepte.Solche Passagen lassen den unbehaglichenEindruck entstehen, dass sich der Autor aufden Flügeln wegschwingt und die Mühen derEbenen anderen überlässt. Zeitweise erinnertdas Buch auch an eine Sammlung von Zita-ten, von Bildungsweisheiten und an das Aus-schreiben eines Zettelkastens, in dem sichNotizen von Zeitungsdarstellungen und Fern-sehdiskussionen befinden. Doch zugleich er-gibt sich daraus ein leicht lesbarer Überblicküber die Oberfläche der gegenwärtigen Bil-dungsdiskussion. Nicht erhoffen soll man sichdifferenzierte Begriffsdarlegungen oder päd-agogisch fundierte Abhandlungen. Aber der-artige Bücher gibt es ohnedies genug.Wo es um die Zukunft geht, ist es schwer,Bestimmtheit einzufordern. Im Abschlusska-

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pitel „Wissen für morgen“ summiert der Au-tor seine Ansichten, er skizziert seine Per-spektiven. Ein verändertes Bildungssystem,das die bürokratische Trennung in Bildungs-segmente überwindet, sieht sich mit vier He-rausforderungen konfrontiert: Beschleuni-gung des wissenschaftlichen und technischenFortschritts, Globalisierung, neue Informati-onstechnologien und ansteigende Ungleich-heit zwischen armen und reichen Ländernsowie die wachsenden sozialen Unterschie-de innerhalb von Gesellschaften (S. 213ff.).Goeudeverts Botschaft ist klar. Er schlägt vor,die vier von ihm durchwanderten Bereichesollten besser als bisher zusammenwirken.Ich verstehe seine Mentalität als die einesManagers, der einen Betrieb durchschrittenhat und nun sein Produkt durch konsequen-tes Teamwork optimieren will. Aber das isteben das Schwierige in einem über Jahrhun-derte entstandenen Bildungssystem, das dieMacht- und Herrschaftsverhältnisse einerGesellschaft widerspiegelte und noch immerrepräsentiert. Im Bildungswesen wird nämlichkein Produkt hergestellt, sondern sozialeChancen werden verteilt und gesellschaftli-che Zustände stabilisiert. Um das zu erken-nen und zu ändern, bedarf es einen politi-schen Blicks und politischen Handelns. Bei-des bringt der Topmanager in diesem Buchnicht zur Sprache.Der Autor bemüht sich nach eigenen Anga-ben seit Jahren, eine Akademie für Managerzu gründen, in der berufliche Erfahrung, aka-demisches Lernen und soziale Kommunika-tion vereint werden sollen. „Die Notwendig-keit, Lernen, Arbeiten, Weiterbilden, Forschenund Leben miteinander zu verknüpfen, an-statt die Bereiche zeitlich und organisatorischauseinander zu dividieren, wird ja inzwischenüberall beschworen. Und obwohl die Bereit-schaft, neue Wege zu gehen, in dem Maßewächst, in dem die traditionellen Wege desNebeneinander immer schwerwiegendereMissstände und deutlichere Brüche hervorru-fen, mangelt es nach wie vor an der nötigenEntschlossenheit, einen grundsätzlich neuenAnsatz zu wagen“ (S. 167). Das Projekt„Campus“ (Center for Advanced Manage-ment, Projects and Utility Studies) soll mitUnterstützung der Stadt Dortmund, des Deut-schen Arbeitsministeriums sowie der Europä-ischen Kommission entstehen. Goeudevert

sieht dieses Projekt zugleich als Muster füreinen neuen Typ akademischer Bildungsinsti-tution. Wünschen wir ihm ausreichend Kraft,Durchhaltevermögen und Geld für die Reali-sierung – sowie Lehrende und Studierende,die diese neue Bildungslandschaft belebenund erblühen lassen. Werner Lenz

Elke GruberBeruf und Bildung – (k)ein Widerspruch?Bildung und Weiterbildung in Modernisie-rungsprozessen(Studienverlag) Innsbruck u. a. 2001, 416Seiten, 39.80 Euro

Bildung ist als ökonomischer Faktor in denVordergrund gerückt. Die Vermittlung vonQualifikationen und Kompetenzen und derFähigkeit zum Lernen und Weiterlernen wirdvom Bildungs- und Weiterbildungssystem ein-gefordert. Da es aber zunehmend unsichererwird, was für künftige Berufssituationen ge-lernt werden soll, werden auch die Erwartun-gen diffuser. Damit kommt die gesellschaftli-che Situation in den Blick. Als Zeitalter derModernisierung charakterisiert, bringt sieUmbrüche, einen Wandel der Berufswelt undentsprechende Konsequenzen für den Bil-dungsbedarf mit sich.Elke Gruber hat sich in ihrer Habilitations-schrift mit dieser Problematik beschäftigt. Sieberücksichtigt die historische Dimension ih-res Themas, wobei sie meint, in der Gegen-wart seien die Erwachsenen von Struktur-wandel und der Notwendigkeit, sich weiterzu-bilden, stärker betroffen als je zuvor. Die Be-deutung von Bildungsabschlüssen und Lern-organisation (Modularisierung) tritt in denVordergrund. Dies motiviert die Autorin imersten, theoretischen Teil ihres Buches, Bil-dung und Weiterbildung im gesellschaftlichenModernisierungsprozess zu diskutieren. IhreAnalyse hebt die Kategorie der Paradoxiehervor und zeigt Bildung nicht nur als Pro-dukt, sondern auch als Antrieb gesellschaft-licher Modernisierungsprozesse. Die Men-schen stehen vor der Schwierigkeit, einerseitsauf die ökonomisch geforderte Flexibilität zureagieren und andererseits biographischeZersplitterung abzuwehren sowie die eigeneIdentität aufzubauen.Von dieser theoretischen Ausgangslage her

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hat die Autorin den bühnen- und veranstal-tungstechnischen Bereich in Österreich anvier Standorten untersucht – ein wissen-schaftlich kaum erschlossener Bereich. IhreUntersuchung zeigt somit exemplarisch diesubjektive Seite von Modernisierung in einemBerufsfeld. Die sich daraus ergebenden For-derungen beziehen sich auf Motivation zumLernen sowie auf Erwartungen an die Weiter-bildung und an die Entwicklung und Ausdif-ferenzierung des untersuchten Berufs. Alspraxisorientiertes Ergebnis ihrer Arbeit legtElke Gruber schließlich im dritten Teil desBuches ein von ihr entwickeltes Strukturmo-dell für eine integrierte Aus- und Weiterbil-dung im bühnentechnischen Bereich vor.Der Autorin ist eine überzeugende Verbin-dung von theoretischem Anspruch und Pra-xisbezug gelungen. Die angenehm lesbarePublikation mündet nach den Worten der Au-torin in ein Reformkonzept, „das zwischenindividuellen und betrieblichen Bildungsan-sprüchen zu vermitteln sucht. Es stellt einenKompromiss dar zwischen der Notwendigkeiteiner möglichst effizienten Aneignung moder-ner beruflicher Qualifikationen und der Mög-lichkeit des Erwerbs von humanen Kompe-tenzen, ganz im Sinne einer subjektorientier-ten Bildung“ (S. 393). Werner Lenz

Dietrich HarkeVon der Lernproblemdiagnose zur Lernbe-ratungLernförderung im Weiterbildungsbereich(Kettler Verlag) Bönen 2001, 125 Seiten, 9.00Euro

Seit den 1970er Jahren beschäftigt sich Diet-rich Harke mit Lernproblemen in der (beruf-lichen) Weiterbildung (zum Beispiel 1977:„Lernprobleme in der beruflichen Erwachse-nenbildung“; 1981: „Erfahrungen von Weiter-bildungseinrichtungen mit Schwierigkeitenihrer Teilnehmer“; 1985: „Lernförderung in dernicht-aufstiegsbezogenen Weiterbildung“;1994: „Lehrende lernen“). So enthält die vor-liegende Veröffentlichung des NRW-Landes-instituts für Schule und Weiterbildung einenÜberblick über mehr als zwei Jahrzehnteerwachsenenpädagogischer Forschung undbildungspraktischer Erfahrungen zur Förde-rung des Lernens in der Weiterbildung.

Einleitend schreibt der Autor: „Der Band wen-det sich an das Bildungspersonal, die päda-gogisch Leitenden in den Bildungseinrichtun-gen und die Verantwortlichen für bildungspo-litische Entscheidungen sowie an alle, diesich für Fragen des Lernens und der Lernför-derung interessieren. Er enthält vielfältigeErgebnisse aus wissenschaftlichen Untersu-chungen und praktischen Erprobungen neu-er Ansätze und soll dazu beitragen, Lernenzu erleichtern und pädagogisches Handeln zuverbessern“ (S. 7).Das materialreiche Buch lässt dreierlei erken-nen:a) Das Thema Lernberatung/Lernproblemdi-

agnose ist nicht neu, auch die Methodenund Instrumente haben sich nicht wesent-lich verändert.

b) Dennoch: In den letzten Jahren ist ein „Pa-radigmenwechsel“, also eine Wende derAufmerksamkeit vom Lehren zum Lernenerkennbar.

c) Trotz neuer neurowissenschaftlicher Er-kenntnisse gibt es keine Patentrezepteoder Königswege der Lernförderung. Wel-che Hilfen und Settings für verschiedeneZielgruppen und Lernbereiche viabel undgeeignet sind, muss jeweils neu vereinbartund erprobt werden. Lernförderung ist einegemeinsame, kommunikative „Suchbewe-gung“. Insofern trägt die Veröffentlichungauch zur Ernüchterung bei.

Offenkundig ist der Trend zum selbstgesteu-erten Lernen. So wird „die Tendenz zu stär-ker individualisierten, selbstständigen Formendes Lernens deutlicher. Die Forderung nachmehr Eigenverantwortung der Lernendenwird erhoben, und sie wird bei der am Markt-modell von Bildung orientierten Argumentati-on durch den Kostendruck im Bildungswesenbegünstigt“ (S. 10).Der Band enthält eine Fülle von praktischenAnregungen und Instrumenten zur Diagnoseund Evaluation der Lehr-/Lernprozesse in derWeiterbildung. Es wird deutlich, dass Lernbe-ratung eine erwachsenenpädagogische, pro-fessionelle Kompetenz ist, deren Bedeutungweiter zunehmen wird. H. S.

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Nicole HoffmannForschung kann man nur durch For-schung lernen?Berufsbezogene Weiterbildung vonForschenden im Kontext des Managementsaußeruniversitäre Forschungseinrichtungen(Schneider Verlag Hohengehren) Baltmanns-weiler 2000, 228 Seiten, 18.50 Euro

Es ist zunächst ein irritierendes Thema: Wie-so sollen ausgerechnet Forschende – unddann auch noch in den Institutionen der Wis-senschaftsgemeinschaft Blaue Liste –, diedoch in hochprivilegierten Einrichtungen ar-beiten, mit systematischer Weiterbildung be-lästigt werden, wo sie doch jede Chance zumLernen haben? Weiterbildung wird im Kontextderjenigen, die „Wissenschaft als Beruf“ aus-üben, kaum thematisiert. Es scheint so, wieRolf Arnold im Vorwort sagt, als sei Weiterbil-dung hier gleichsam in die berufliche Tätigkeiteingebaut. Nichtsdestoweniger ist zwar For-schungstätigkeit sicherlich die zentrale Strate-gie, mit der sich Wissenschaftler für ihre Pro-fession qualifizieren, gleichzeitig umfasst derBeruf Wissenschaft breitere Aspekte. Diessind z. B. Management und Organisation.Es wird also eine sperrige und schwierigeFragestellung aufgegriffen, die sich dem Zu-griff teilweise entzieht. Dass es sich dabei umein relevantes Feld handelt, ist allein dadurchschon belegbar, dass einige hunderttausendPersonen in entsprechenden Institutionenarbeiten. Der Versuch, eine explorative Stu-die zu diesem Bereich vorzulegen, ist alsoverdienstvoll und begrüßenswert und erregteinige Aufmerksamkeit.Schwierig wird allerdings die Durchführung.So ist die Vielzahl der Aspekte im Verhältnisvon Beruf, Bildung, Weiterbildung, Wissen-schaft und Forschung nur sehr schwer in ei-ner Argumentationslinie darstellbar. NicoleHoffmann geht dies an, indem drei verschie-de Schwerpunkte herausgearbeitet werden:Bildung und Beruf, Weiterbildung sowie insti-tutionelles Management. Allerdings sind die-se Abschnitte sehr knapp geraten. Der eigent-liche Gegenstandsbereich der Studie ist wis-senschaftliche Forschung als Berufs- und Bil-dungsaufgabe (Kapitel III). Auch hier sind nurknappe Skizzen möglich, da die Hauptinten-tion der Untersuchung in der Erhebung, Ana-lyse und Darstellung von Experteninterviews

liegt. Belegt wird ein Konsens darüber, dassneben disziplinärer Kompetenz Fähigkeitenwie etwa Kommunikation, Kooperation, Kre-ativität und Organisation eine große Rollespielen. Dafür liefert die explorative Studievielfältiges Material. Angesichts der Uner-schlossenheit des Bereiches konnte aller-dings eine systematische und theoretischeKonsistenz nur in Ansätzen erreicht werden.Man stößt also auf interessante Teilstücke,die sich teilweise der Einordnung entziehen.

Peter Faulstich

Klaus-Peter HuferFür eine emanzipatorische politischeBildungKonturen einer Theorie für die Praxis(Wochenschauverlag) Schwalbach/Ts.2001,101 Seiten, 12.80 Euro

Klaus-Peter Hufer zählt seit vielen Jahren zuden profiliertesten deutschen politischen Er-wachsenenbildnern an der Schnittstelle vonTheorie und Praxis. Mit seinen Beiträgen undStudien setzt er Maßstäbe und Eckpunkte fürden aktuellen Diskurs politischer Bildung, bie-tet Legitimationen und Reflexionen und be-nennt Defizite. Und nicht zuletzt sein im Jahr2000 erschienener und zum Bestseller derpolitischen Bildung gewordener Band „Argu-mentationstraining gegen Stammtischparo-len“ zeigt sein Gespür für politische Bildungs-fragen. Nun liegt ein neuer kleiner Band vor,dessen Untertitel prägnant sein Anliegen aufden Punkt bringt: Es geht um eine Theorie fürdie Praxis. Und auch der Haupttitel ist fürHufer programmatisch: Er deutet das an, umwas es ihm in den letzten 20 Jahren ging.Hufer steht für eine in der Tradition der eman-zipatorischen Aufklärung angelegte politischeBildungsarbeit, vertritt damit aber auch einePosition in der pädagogischen Auseinander-setzung, die heute scheinbar zunehmend anBedeutung verliert. Der seit einigen Jahrenfeststellbare „Wandel der Lernkultur“, in Ver-bindung mit der neuen Theorieofferte desKonstruktivismus, führt – und dies gleichsamzielgerichtet und wissenschaftlich legitimiert– offensichtlich zu einer schleichenden Ent-politisierung der politischen Bildung. Seineneue Schrift nun, die auf einer überarbeite-ten und erweiterten Fassung des einleitenden

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Teils seiner (kumulativen) Habilitationsschriftbasiert, ist in diesem Sinne ein programma-tischer Prolog zur Wiederaneignung des Po-litischen in der politischen Bildung. Hufer ou-tet sich hier ein weiteres Mal als Traditiona-list emanzipatorischer Bildungsarbeit, stehtdamit aber auch etwas abseits vom aktuel-len Mainstream der politischen Bildungsde-batte. Die Modernisierung der politischen Bil-dung im Horizont des Konstruktivismus undneoliberaler Wertorientierungen führt zur Aus-grenzung einer emanzipatorisch-normativenHaltung.Neben diesem Aspekt, der offen oder zwi-schen den Zeilen mitschwingt, ist HufersHauptanliegen die Herstellung von Kompati-bilität zwischen Theorie und Praxis. Er will dieNotwendigkeit emanzipatorischer Bildung ausder gesellschaftlichen Verfasstheit herausbegründen. Eine Theorie der politischen Bil-dung wird für ihn nicht zum akademischenSelbstzweck. Er argumentiert aus dem Geistder europäischen Aufklärung heraus und imHorizont empirischer Praxis.Zweifellos liegt mit dieser Studie noch keineneue geschlossene Theorie emanzipatori-scher Bildung vor. Dazu ist sie zu ‚patchwork-artig’. Es geht ihm – wie im Untertitel verkün-det – um die „Konturen“ einer Theorie. Die-sem Anspruch wird er gerecht. In der Gliede-rung äußert sich dies in drei Kapiteln, wovondas erste zweifellos das dominante ist. Expli-zit geht es hier um die „Konturen einer Pra-xistheorie“. Zentral werden von Hufer Ein-flussfaktoren und Determinanten politischerErwachsenenbildung beschrieben. Es gehtum Bildungspolitik, um die Pädagog/innen,um Institutionen sowie um Arbeitsfelder, The-men und Formen. Hufer entwickelt dabei einesinnvolle und knappe Systematik der Ein-flussfaktoren. Das Herausragende dabei istdie Prägnanz seiner Analyse, die einerseitsan vielen Stellen die „weißen Flecken“ hin-sichtlich einer andragogischen Forschungbeschreibt und andererseits eine klare undscharfe Reflexion seiner Erfahrungen bietet.Auch in dieser systematischen Analyse derRahmenbedingungen politischer Erwachse-nenbildung wird immer wieder Hufers An-spruch an Erwachsenenbildung deutlich: Erwendet sich gegen die Orientierung an einerneoliberalen Qualifizierungsoffensive undgegen eine „neue Subjektivität“, wobei für ihn

die Betonung auf „neu“ liegt, da eine eman-zipatorische Pädagogik und Andragogikimmer eine Subjektorientierung beinhaltenmuss.Hufer wendet sich gegen die Versuche, poli-tische Bildung aus dem „Projekt Aufklärung“zu entlassen und in eine postmoderne Belie-bigkeit zu drängen: „Zum Kernbestand ‚tradi-tioneller’ politischer Bildung gehörte stets undgehört weiterhin, an der Idee des noch nichtabgeschlossenen Projekts Aufklärung festzu-halten, während sich im Zeichen der Postmo-derne viele von diesem Bezug verabschiedethaben, wobei sie gleichwohl vorgeben, dieallgemeinen Ziele der Aufklärung – unter ge-änderten Auspizien – aufrechtzuerhalten“ (S.46).Im zweiten Kapitel konkretisiert er seine Vor-stellungen am Beispiel des „ArbeitsplatzesVHS“. In einer überzeugenden Analyse sprichter über den Verlust von Bildungsansprüchen,über eine „entgrenzte“ Erwachsenenbildung,über den neuen Weiterbildungsmarkt undüber „mehr Betriebswirtschaft“ und „wenigerPädagogik“. Hufer zeigt sich hier als Kennerandragogischer Praxis und als Analytiker insti-tutionalisierter politischer Andragogik. Nachdieser gleichsam organisationssoziologischenund bildungspolitischen Analyse institutionali-sierter politischer Erwachsenenbildung wid-met er sich im letzten Kapitel den Veränderun-gen bei den professionellen Akteuren und fragtnach dem Profil und den Anforderungen an diepolitischen Erwachsenenbildner/innen.Insgesamt liegt mit diesem Band ein wichti-ger Impuls zur Neuformulierung politischerErwachsenenbildung vor. Es ist möglich undmacht Sinn, von Hufers Erkenntnisplattformaus in einen Diskurs zur Neubegründung po-litischer Bildungsarbeit einzusteigen. Hierzubietet er sowohl eine Theorieofferte als aucheine Praxisanalyse und überzeugt durch Prä-gnanz und Systematik. Ulrich Klemm

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Carola IllerGestaltung der Weiterbildung und Weiter-bildungsinteressen der BeschäftigtenEine empirische Untersuchung in kleinen undmittleren Unternehmen(Rainer Hampp Verlag) München, Mering2000, 256 Seiten, 27.20 Euro

In der Arbeit von Carola Iller geht es um Pro-zesse der Gestaltung von betrieblicher Wei-terbildung, um Interventionsmöglichkeiten fürBeschäftigte, um Weiterbildungsinteressenund Gestaltungspraktiken von Beschäftigtenund Betriebsräten in kleinen und mittlerenBetrieben.In Kap. I (S. 11-23) wird der Gegenstand derArbeit konkretisiert. Zum einen soll die Wei-terbildungspraxis in Klein- und Mittelbetriebenbeleuchtet und dabei nach Veränderungenund Einflussfaktoren gefragt werden. Darüberhinaus geht es um die Beschäftigtenperspek-tive, darum, wie „Beschäftigte diese Weiter-bildungssituation in Betrieben wahrnehmen,welche Erwartungen sie an eine Weiterbil-dungsteilnahme knüpfen und ob sie bzw. ihreInteressenvertretung im Betrieb auf die Wei-terbildungssituation gestaltend Einfluss neh-men“ (S. 11).In differenzierter Weise werden zunächst diefür die Arbeit relevanten Begrifflichkeiten er-arbeitet, um dann in Kap. II (S. 25-43) dasmethodische Vorgehen zu beschreiben. DieErhebung fand in sechs Betrieben mit bis zu500 Beschäftigten der Branchen Nahrungs-mittelproduktion und Verkehrswirtschaft statt.Um die Weiterbildungsstrukturen zu erfassen,wurden themenzentrierte Experteninterviewsmit Weiterbildungspersonal und Betriebsrä-ten, um die Beschäftigtenperspektive auf Ar-beitssituation, Weiterbildungsmöglichkeiten,Weiterbildungserfahrungen und -interesseneinzufangen, zusätzlich Gruppeninterviewsmit Beschäftigten durchgeführt.Für die Weiterbildungsforschung ertragreichist vor allem das Kap. III (S. 45-117). Hierweist Iller auf Widersprüchlichkeiten in deraktuellen Diskussion hin. So könne nach ih-ren Befunden nicht belegt werden, dass dasbetriebliche Weiterbildungsengagement mitder Betriebsgröße zunimmt. Auch aus Indika-toren wie Branche oder Einsatz von neuenTechnologien ließen sich im Grunde nochkeine generalisierbaren Aussagen über das

Ausmaß betrieblicher Weiterbildung ableiten.Das sich an diese sehr ausführliche Beschrei-bung anschließende Zwischenfazit beginntgleich mit den zentralen Erkenntnissen: „...als ein gemeinsames Ergebnis der Bestands-aufnahme (lässt sich) feststellen, dass zwarin keinem Unternehmen ein Personalentwick-lungskonzept vorliegt. Auch gibt es in keinemder sechs Fälle eine spezielle Fachkraft fürWeiterbildung oder Personalentwicklung, eineBetriebsvereinbarung oder andere Hinweiseauf eine etablierte Weiterbildungsstruktur.Dennoch ...“ – und das entspricht nicht mehrder gängigen Auffassung – „wird in allen be-fragten Unternehmen Weiterbildung für dieBeschäftigten angeboten. Und in fast allenFällen hängt dieses Weiterbildungsangebotvon betrieblichen Einsatzstrategien, organisa-torischen und personalpolitischen Verände-rungen ab“ (S. 113).Ausführlicher geht es um „Weiterbildungsin-teressen und Gestaltungsansätze von Be-schäftigten“ in Kap. IV (S. 119-219). UnterRekurs auf die aktuelle Weiterbildungslitera-tur stellt Iller noch einmal die bekannten per-sonalen und betrieblich-strukturellen Einfluss-faktoren auf die Weiterbildungsteilnahme vonBeschäftigten heraus, resümiert vorhandeneDaten zu „Weiterbildungsinteressen, -erwar-tungen und Teilnahmemotivation“, um danachauf „Ansätze zur Gestaltung der Weiterbil-dung im Interesse der Beschäftigten“ einzu-gehen. Interessant ist der Aspekt, dass trotzder Vernachlässigung von Beschäftigteninte-ressen in betrieblichen Weiterbildungskon-zepten, der Reproduktion bekannter Struktur-merkmale bei der Weiterbildungsteilnahmeund des geringen Engagements betrieblicherInteressenvertretungen in der Weiterbildungnicht davon ausgegangen werden könne,dass die Beschäftigten ihre prinzipiellen Inter-ventionschancen in der betrieblichen Weiter-bildungspolitik ungenutzt ließen.Hinsichtlich der Frage nach den Interventio-nen von Beschäftigten/Betriebsräten in diebetriebliche Weiterbildungspolitik kommt Ca-rola Iller zu dem Resultat, „dass in kleinenund mittleren Unternehmen zwar eine aktiveEinflussnahme von Beschäftigten und Be-triebsräten bei der Weiterbildungsgestaltungmöglich ist, wenngleich diese Einflussnahmeauch nur punktuell, teils in informellen Aus-handlungsprozessen, teils in konflikthaften

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Auseinandersetzungen stattfindet ... Anhalts-punkte für Gestaltungsansätze ergeben sich... in erster Linie aus der jeweils gegebenenArbeitssituation und den darin enthaltenenEntwicklungsmöglichkeiten“ (S. 241).In Kap. V (S. 221-241) werden die wichtigs-ten Ergebnisse zusammengefasst. EinigeHinweise auf den Weiterbildungsforschungs-bedarf hätten dem gelungenen Buch den so-genannten letzten Schliff gegeben.

Karin Büchter

Franz-Josef Jelich/Robert Haussmann(Hrsg.)Fritz Borinski. Zwischen Pädagogik undPolitik – ein historisch-kritischer Rück-blick(Klartext-Verlag) Essen 2000, 226 Seiten,15.30 Euro

Das als Band 12 der Reihe ‚Geschichte undErwachsenenbildung’ herausgegebene Buchdokumentiert eine Tagung, die im September1998 anlässlich des zehnten Todestages vonFritz Borinski von der NiedersächsischenLandeszentrale für politische Bildung unddem Forschungsinstitut für Arbeiterbildung inder Heimvolkshochschule Göhrde veranstal-tet wurde. Im Zentrum der Tagung stand dasvielschichtige und facettenreiche Werk Bo-rinskis, mit dessen Person sich nicht nur derAnsatz mitbürgerlicher Bildung als einer spe-zifischen Erwachsenendidaktik verbindet,sondern an dessen Person auch die Kontinu-itäten und Brüche der Erwachsenenbildungdes 20. Jahrhunderts exemplarisch aufge-zeigt werden können.Konkret beschäftigt sich der Band mit der Bio-graphie Borinskis (J. Olbrich, G. Doerry), denKontexten seines Arbeitens während derWeimarer Republik (B. Faulenbach, Ch. Zeu-ner), seinem Beitrag zur Fundierung der bun-desrepublikanischen Demokratie (Ch. Ziegler,F.-J. Jelich, D. Oppermann) sowie Aspektenseines bildungs- und professionspolitischenWirkens (H. Tietgens, J. Dikau). Abgerundetwird der Band durch – auch gegenwartsbe-zogene – Reflexionen zum Bildungsideal derMitbürgerlichkeit (H.-D. Raapke), zur Heim-volkshochschule Göhrde (R. Haussmann),zum Stellenwert von Heimen für die heutigeErwachsenenbildung (H. Lahmann) sowie

durch eine Notiz zum Nachlass Borinskis (W.Gierke).Insgesamt vermittelt der Sammelband einenguten Einblick in die unterschiedlichen sozi-alen, politischen und (erwachsenen-)pädago-gischen Spannungsverhältnisse, in denenLeben und Wirken Borinskis eingelagert wa-ren – wie etwa das Verhältnis von Erwachse-nenbildung und Universität, von Sozialismusund Nation, von Exil und Remigration, vonElite- und Massenbildung oder von politi-schem Protest und pädagogischer Gestal-tung. Für die Geschichte der Erwachsenen-bildung erweisen sich insbesondere vier Pro-blemdimensionen als zentral, die mit der Per-son Borinskis verbunden sind und die in die-sem Band aufgegriffen werden:– eine rezeptionsgeschichtliche Dimension,

die sich für die Frage interessiert, inwieweitdie Erwachsenenbildungskonzeption Bo-rinskis nach 1945 als Ausdruck seiner Exil-erfahrungen (insbesondere in England undSkandinavien) verstanden werden kann;

– eine didaktische Dimension, die nach derZeitbedingtheit seines Ansatzes der mitbür-gerlichen Bildung fragt – eines Ansatzes,der schon mit seinem Erscheinen heftigeKritik auslöste und sich institutionell nichtdurchsetzen ließ;

– eine professionspolitische Dimension, diesich für die ambivalente Stellung Borinskisim Rahmen der Etablierung erziehungswis-senschaftlicher Diplomstudiengänge inter-essiert;

– eine bildungspolitische Dimension, die derFrage nach dem Einfluss Borinskis geradeauch im Zusammenhang mit der Erstellungdes Gutachtens des Deutschen Ausschus-ses für das Erziehungs- und Bildungswe-sen nachgeht.

Mit seinen Beiträgen leistet der Band dahernicht nur eine Aneignung und kritische Befra-gung eines Protagonisten der bundesrepub-likanischen Erwachsenenbildung, sondernthematisiert auch allgemeinere – über diePerson hinausgehende – Problemlagen ander Schnittstelle von politischer Erwachse-nenbildung, Professionalisierung und Akade-misierung.Was diese Veröffentlichung neben ihrer inhalt-lichen Dichte weiterhin auszeichnet, sind dievielen eingearbeiteten historischen Fotos vonTagungen, Besprechungen und Arbeitsge-

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meinschaften sowie die zeichnerischen Aus-züge aus dem Gästebuch der Heimvolkshoch-schule Göhrde, die einen höchst lebendigenvisuellen Eindruck von der konkreten Erwach-senenbildungsarbeit vor Ort vermitteln.Insgesamt ist es sehr zu begrüßen, wenn dieErwachsenenbildungswissenschaft sich indieser Weise mit ihren eigenen Traditionenbeschäftigt und auch personenbezogeneGedenkanlässe für eine kritische Auseinan-dersetzung mit Protagonisten der Erwachse-nenbildung und ihrer theoretischen Positio-nen nutzt. Wolfgang Seitter

Sylvia KadeSelbstorganisiertes Alter: Lernen in „refle-xiven Milieus“Reihe: Theorie und Praxis der Erwachsenen-bildung(W. Bertelsmann Verlag) Bielefeld 2001, 407Seiten, 14.90 Euro

Seit ihren beiden Publikationen zur Altersbil-dung mit den Untertiteln „Lebenssituation undLernbedarf“ sowie „Ziele und Konzepte“ ausdem Jahre 1994 hat sich Sylvia Kade grund-legend mit dem sich aus der Modernisierungergebenden sozialstrukturellen Wandel, sei-ner Auswirkung auf die Lebenssituation Älte-rer, den Prinzipien der Lebensweltorientie-rung sowie der Tatsache der Selbstbestim-mungsfähigkeit und -notwendigkeit beschäf-tigt und dabei vor allem die Dimensionen ei-ner innovativen, erfahrungsbezogenen Bil-dungsarbeit im Rahmen traditioneller Bil-dungsinstitutionen aufgezeigt.Das hier vorzustellende Buch erweitert in ori-gineller Weise diesen Horizont, da es, wie R.Tippelt im Vorwort vermerkt, „das neue span-nende Bild des Alterns gut veranschaulichtund auch eine neue Sichtweise altersbezo-genen Lernens anbietet“ (S. 7). Vorgestelltwerden die Ergebnisse des vom Bundesmi-nisterium für Bildung und Wissenschaft von1998 bis 2000 geförderten Forschungsprojek-tes zum Thema „Selbstorganisiertes Lernenim Alter“. Kade richtet ihr Augenmerk aufselbstorganisierte Initiativen im Alter, die sieals Bildungsinitiativen interpretiert: „Selbstor-ganisation im Alter ... realisiert sich durch dasLernen im ‚reflexiven Milieu’ der Alteninitiati-ven ...“ (S. 10). Solche Alteninitiativen, in de-

nen „innovative Altersbildung“ stattfindet, sei-en vielfach außerhalb der organisierten Er-wachsenenbildung „im schwächer vorstruktu-rierten Feld der offenen Altenarbeit“ angesie-delt. Der Bildung im Alter komme „potentielleine Pionierfunktion bei der Verwirklichungautonomer Bildung als Motor einer selbstbe-stimmten Lebensführung zu“ (S. 11).Diese Vorannahmen zur Selbstorganisationim Alter sowie zur Kernkategorie „ReflexivesMilieu“ werden im ersten Kapitel „Altern in der‚erweiterten Moderne’“ (S. 23ff.) erläutert.Handlungstheoretisch gesprochen konstitu-iert sich „Praxis durch Bildung und das Mili-eu konstituiert sich durch Reflexion auf dieeigenen Handlungsbedingungen“ (S. 51).Das Prinzip der Selbstorganisation im Alterwird als eine Konsequenz des Selbstverwirk-lichungsdiskurses in der Moderne gesehen,der den Lebenslauf im Alter noch als ein Ent-wicklungsprojekt mit zu antizipierenden undzu fällenden Entscheidungen werden lässt.Im Mittelpunkt des Buches stehen im II. Kapi-tel die fünf Fallstudien, die sich auf Einzelini-tiativen im Frankfurter Raum beziehen: 1.„Fremde Nähe“ – Umgangswissen im Alten-und Pflegeheim, 2. „Erweiterte Nachbar-schaft“ – Umfeldwissen im Modell der Senio-rengemeinschaften, 3. „Stellvertreterbiogra-fien“ – Aushandlungswissen im Erzählcafé, 4.„Nähe auf Distanz“ – Information und Kommu-nikation in Computergruppen, 5. „Offene Rol-lenexperimente“ – Vernetzungswissen einerEinrichtung für offene Altenarbeit und Bürger-engagement. Es handelt sich bei allen fünfFallstudien um Dokumentationen nach derMethode der interpretativen Milieu- und Insti-tutionenforschung, in der das leitende Er-kenntnisinteresse auf den Aspekt des selbst-organisierten Lernens – systemtheoretischauf den Systemebenen Person, Gruppe undOrganisation – gerichtet ist. Neben der Grün-dungsgeschichte und der Struktur der jeweili-gen Initiative werden auf den einzelnen Ebe-nen die das Milieu konstituierenden Prozesseder Selbstorganisation und des Lernens sehrsubtil und eindringlich vorgestellt und als Bil-dungsprozesse identifiziert.Entsprechend der Forschungsabsicht mit dengewählten qualitativen Methoden beschreibtdas III. Kapitel „Das Konzept Selbstorganisa-tion im Alter: Lernen in ‚reflexiven Milieus’“ (S.287ff.) den aus den Fallanalysen zu ziehen-

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den Erkenntnisgewinn: Bezüglich des Orga-nisationslernens wird die Bedeutung des Wis-senstransfers sowie der Vernetzung des Wis-sens für die Infrastrukturentwicklung belegt.Die Gruppe als reflexives Milieu entwickelt imAushandeln ihre Ressourcen, so dass siemehr der Moderation als der Wissensvermitt-lung bedarf. Für die dritte Ebene der Personist der Nachweis geführt, dass Selbstlernpro-zesse aufgrund der erforderlichen Reflexionzur Kompetenzentwicklung sowie zu einemerweiterten Engagement und eben damit zueinem selbstorganisierten Alter beitragen.Die Publikation vermittelt mit ihren Analysenund theoretischen Reflexionen für Akteure imAlter und in der Bildungs- und Altenarbeit einebisher noch viel zu wenig gesehene pädago-gische Perspektive auf Wissens- und Kom-munikationsformen, auf Wertorientierungenund Handlungsrationalitäten im Altenspek-trum, das selbst den Grenzfall „Alten- undPflegeheim“ mit einbezieht. In ihrer Aktualitätder Thematik ermutigt sie zum einen dadurch,dass sie in sehr anschaulicher Weise aufbereits ablaufende Prozesse der Selbstorga-nisation im Alter aufmerksam macht, sie for-dert zum anderen aber auch die institutiona-lisierte Erwachsenenbildung dazu auf, eineneue Form eines Angebots durch Unterstüt-zung dieser Prozesse nach den begründetenMaßgaben des selbstorganisierten Alters zuentwickeln, die die hier exemplarisch analy-sierten „reflexiven Milieus“ aufsucht und sichmit ihnen vernetzt.Es handelt sich bei diesem Buch trotz seinesSeitenumfangs keineswegs um einen langat-migen Forschungsbericht, sondern um einensystematisch aufbereiteten theoretischen undin den erfahrungsbezogenen Falldarstellun-gen sehr interessanten und immer verständ-lichen Text. Gerhard Breloer

Katrin KrausLebenslanges Lernen – Karriere einer Leit-idee(W. Bertelsmann Verlag) Bielefeld 2001, 141Seiten, 12.90 Euro

Als Aufforderung ist der Begriff lebenslan-ges Lernen in den letzten Jahren oft verwen-det worden. Damit pflegt angedeutet zu wer-den:

– Eine Erstausbildung reicht nicht mehr aus,um für das ganze Berufsleben qualifiziertzu sein.

– Das Ausmaß an Wissen, Können und Fä-higkeiten für den Beruf ist weniger denn jevorhersagbar, mehrere Job-Wechsel oderdie Umgestaltung der Berufstätigkeit sindwahrscheinlich.

– Fortbildung erleichtert es, neue Lebenssi-tuationen und Rollen sowie Veränderungenim Lebenslauf zu bewältigen.

– Lernen und Weiterlernen werden freiwillig– um sich als Persönlichkeit zu entwickelnund die „Welt“ zu verstehen – wieder auf-genommen.

„Lebenslanges Lernen“ wird oft synonym fürErwachsenenbildung verwendet. Die Autorinwendet sich gegen diese Verkürzung: „ImRahmen dieses Buches wird ‚LebenslangesLernen‘ als Oberbegriff für all diejenigen Kon-zepte verwendet, die explizit und in ihremKern die Unmöglichkeit bzw. Unangemessen-heit eines Endpunktes der Lernbemühungenjedes einzelnen Menschen benennen. Siegehen sozusagen von der Notwendigkeit aus,Lernen im menschlichen Lebenslauf als ‚openend‘-Veranstaltung zu verstehen“ (S. 9f.).Die Studie von Katrin Kraus bezieht sich aufdie letzten vier Jahrzehnte. Das Buch lehrt,auf die ursprünglich alle Bildungsbereicheumfassende Gesamtkonzeption des lebens-langen Lernens zu achten. Der Einfluss derinternationalen auf die deutsche Diskussionwird eingangs dargestellt. In der Folge wer-den die Dokumente internationaler Organisa-tionen, verfasst in den 1970er und 1990erJahren, analysiert. Dadurch finden sowohl diepädagogisch-wissenschaftlichen als auch diebildungspolitischen Aspekte Aufmerksamkeit.Als Kernthemen des Konzepts lebenslangesLernen gelten:– Selbstorganisation der Lernenden, die im

Zentrum des Lerngeschehens stehen;– Erwerb von Lernfähigkeit und Lernfreude

als Basisaufgabe von Erziehung und Schu-le in Kindheit und Jugend;

– „Öffnung“ der Bildungsinstitutionen, vor-nehmlich der Schule;

– Gliederung des Wissens in kleine zertifi-zierte Einheiten;

– Entgrenzung zwischen Lernen und Arbeit,was besonders die Fortbildung Erwachse-ner betrifft.

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Die Autorin bietet eine fundierte, mit einemAnalyseleitfaden belegte Untersuchung ein-schlägiger Dokumente und Programmschrif-ten internationaler Organisationen. Die deut-sche Bildungspolitik, so resümiert sie, hatbereits ein klares Konzept hinsichtlich deslebenslangen Lernens erreicht – auf erzie-hungswissenschaftlicher Ebene erfüllt sichdas noch nicht.Während sich die bildungspolitischen Überle-gungen auf die Rahmenbedingungen bezie-hen, sollte das pädagogische Konzept die Or-ganisation des Lernprozesses durch die Indi-viduen selbst ermöglichen (S. 117). Waren dieKonzepte des lebenslangen Lernens in den1970er Jahren am Ziel der Chancengleichheitorientiert, so sind die Konzepte der 1990erJahre eher darauf angelegt, mit den rasantengesellschaftlichen und ökonomischen Ent-wicklungen Schritt zu halten, urteilt die Autorin.Katrin Kraus sieht das lebenslange Lernen alsnotwendige „Bringschuld“ der Individuen auf-grund der ökonomischen Veränderungen, alsKonsequenz der Entgrenzung zwischen Arbeitund Lernen sowie als Bestandteil des Alltags-bewusstseins und des Lebensgefühls in dermodernisierten Gesellschaft. Sie schließt mitdem Urteil, die gesellschaftlichen Rahmenbe-dingungen seien nun förderlicher für lebens-langes Lernen als in den 1970er Jahren.Für uns bleibt die Frage offen, ob die gesell-schaftlichen Bedingungen nicht auch zwin-gender und drückender geworden sind, le-benslanges Lernen auf sich zu nehmen, so-lange man in der Gesellschaft beruflich undsozial akzeptiert werden will.

Werner Lenz

Landesverband der VolkshochschulenNiedersachsens e. V.Die Volkshochschule und der Beruf Er-wachsenenbildung(Landesverband) Hannover 2001, 23 Seiten,3.00 Euro

Die Verbände der Volkshochschulen habenseit den 1960er Jahren in regelmäßigen Ab-ständen ihr Selbstverständnis, die Verände-rungen ihrer gesellschaftlichen Funktionenund Aufgaben sowie die professionellen An-forderungen und die Qualifikationen deshauptberuflichen Personals analysiert und

reflektiert. Insofern hat die vorliegende Bro-schüre, die von dem Pädagogischen Aus-schuss des Landesverbandes erarbeitet wor-den ist, Tradition. Die geschmackvoll gestal-tete Publikation dient sowohl zur beruflichenIdentitätsfindung der Mitarbeiter/innen alsauch zur Orientierung von Studierenden,Kursleiter/innen und Kooperationspartnernder Volkshochschulen.Die vorliegende Positionsbestimmung lässtdie Kontinuität und den Wandel erwachse-nenpädagogischer Tätigkeiten erkennen. Aufeine bildungsreformerische Tradition verwei-sen die Betonung wünschenswerter „Sozial-staatlichkeit, Chancengleichheit, Offenheitund Geschlechtergerechtigkeit“ (S. 8) sowiedie Erinnerung an das Leitbild der Aufklärung(S. 17). Zugleich wird der Wandel pädagogi-scher Anforderungen und Funktionsbereichepräzisiert. Erwachsenenbildung ist zu einemQuerschnittsbereich von Bildungsarbeit, Ma-nagement, Öffentlichkeitsarbeit, Kulturent-wicklung, Beschäftigungsförderung und Le-bensberatung geworden.„Neue Aufgaben wie Finanzplanung und Res-sourcenbewirtschaftung, Controlling, Marke-ting, Projektarbeit, Qualitätsentwicklung undEvaluation sind hinzugekommen“ (S. 4). Auchdie Angebotsformen der Volkshochschulenhaben sich verändert: „Ihr Arbeitsprofil be-steht in einem Leistungsspektrum aus Bil-dungsveranstaltungen, kulturellen Angebo-ten, sozialen Initiativen, weiterbildungsbezo-genen Dienstleistungen, Projekten, Beratung,Unterstützung und Begleitung“ (S. 9).Die „wachsenden Qualitätsanforderungenseitens der Nutzer/innen“ haben zur Folge,dass sich die Volkshochschule selber als „ler-nende Organisation“ begreifen muss (S. 11).Dazu gehört auch ein modernes internes„Wissensmanagement“, das die Verarbeitungneuer lernwissenschaftlicher Erkenntnisseund Neuigkeiten der „Erwachsenenbildungs-theorie“ (S. 13) einschließt.Diese Verknüpfung von Theorie, Forschungund Praxis wird jedoch nur am Rande ange-deutet und bedarf weiterer und konkreter ge-meinsamer Überlegungen. Der „Beruf Er-wachsenenbildner/in“ ist nicht (mehr) zu kon-zipieren ohne Berücksichtigung der Erwach-senenbildung als Wissenschaft. An dieserStelle besteht zweifellos noch Verständi-gungsbedarf.

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Die Broschüre lässt ein „zukunftsfähiges“ Auf-gabenverständnis von Volkshochschularbeitin einer Wissensgesellschaft erkennen. Vie-les, was beschrieben wird, ist bereits berufli-che Realität und auch Alltagsroutine. Ande-res ist Zukunftsaufgabe und Perspektive.Die Darstellung der beruflichen und instituti-onellen Herausforderungen ist überzeugendund plausibel. Nur am Rande werden dieGrenzen der Leistungsfähigkeit von Volks-hochschulen angesichts der gegenwärtigenRahmenbedingungen thematisiert, also dieFrage, welchen Erwartungen und Anforderun-gen diese Einrichtung zurzeit nicht gerechtwerden kann.Wünschenswert ist eine ergänzende Aufga-ben- und Qualifikationsbeschreibung für das„nebenamtliche“ pädagogische Personal.

H. S.

Lange, JörgZwischen Nebel und AufklärungReligiöse und weltanschauliche Themen inVolkshochschulen(Shaker-Verlag) Aachen 2000, 198 Seiten,34.50 Euro

In der Reihe „Berichte aus der Pädagogik“benennt Horst Siebert in seinem Vorwort dievorliegende Arbeit als „von großem theoreti-schem und praktischem Interesse“ (S. 8).Phänomene wie Religion erscheinen im Er-gebnis eines sehr umsichtigen „definitori-schen Versuchs“ (S. 24) als menschlicheHaltung, die dem Individuum einen umfas-senden Orientierungsrahmen bietet. „Anmer-kungen zum Bildungsbegriff“ lassen die Prä-gnanz der Formulierungen des DeutschenAusschusses für das Erziehungs- und Bil-dungswesen von 1960 als für die Erwachse-nenbildung nach wie vor maßgebend erschei-nen. Allerdings stützen sich die „Anmerkun-gen über das Verhältnis von Bildung, Vernunftund Religion“ (S. 42ff.) mehr auf aktuelle Dis-kussionen des Zusammenhangs in neukan-tianischer Perspektive, gelangen aber den-noch zu der Feststellung: „Gerade weil dieBeziehung von Bildung und Religion nichtdurch vorschnelle Kongruenz oder einseitigeAbhängigkeit beschrieben werden kann, müs-sen sie einander in ihrem Spannungsverhält-nis zugeordnet bleiben. So wie die Religion

nicht ohne Bildung sein darf, so kann Bildungnicht auf religiöse Reflexion verzichten“ (S.52).Aspekte zu Geschichte und Geschäftsgrund-lagen, Rahmenbedingungen und Aufgaben-stellungen des Volkshochschulwesens erge-ben die Ausgangpunkte für eine Beschrei-bung und Würdigung weltanschaulicher undreligiöser (was hier eigentlich eher heißt: re-ligionswissenschaftlicher) Akzentsetzungenim Volkshochschulangebot. Diese erfolgenzunächst übergreifend und systematisch,dann exemplarisch anhand einer Angebots-analyse einer Reihe von Volkshochschulen inOstwestfalen-Lippe. Beider Ergebnisse er-gänzen sich zu einem plastischen Bild eineseher marginalen Weiterbildungsangebots derVolkshochschulen. Den durchaus griffig ge-wählten Titel tragen die Analyseergebnisseaber allenfalls in analogem Sinne. Da gibt eszwar „Grauzonen“ gegenüber Entspannungund Meditation, „Wellness“ und esoterischeThemen. Überwiegend prägt diesen schma-len Angebotsbereich jedoch Rationalität – soausgeprägt, dass sich in guter Gesellschaftnamhafter VHS-Repräsentanten findet, werreligiöses Nachfragen gerade im Bereich der„freien Volksbildung“ mit ihrem Neutralitäts-gebot für unverzichtbar hält.Der Autor leitet jeden Abschnitt mit einem pro-filierten Zitat ein, stützt sich nicht nur auf sehrumfangreiche Literatur, sondern verarbeitetdiese überzeugend in seinen Textpassagen.Er hilft mit seiner Arbeit „dem weitgehendenFehlen ausgeprägter Debatten um diesesThemenfeld mit seiner äußerst fragmentari-schen Reflexion innerhalb der Volkshoch-schulen“ (S. 166) in bemerkenswerter Weiseab. Zudem weist er auf Perspektiven hin, dieganz aktuelle Ereignisse ins Schlaglicht ge-rückt haben: „Im Kontext einer kultiviertenAuseinandersetzung unterschiedlicher welt-anschaulich-religiöser Positionen kann denVolkshochschulen (zukünftig) besondere Be-achtung zukommen. Sie bieten sich dabei alsKatalysatoren des gesellschaftlichen Diskur-ses um die Religion(en) an ... Zudem erfor-dert die religiöse Unübersichtlichkeit der Ge-genwart geradezu ein Themengebiet Religi-on in den Volkshochschulen, da die Mündig-keit gegenüber der Religion schwieriger undzugleich bedeutsamer geworden sein dürfte“(S. 167). Wie zutreffend die Publikation ihren

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Themenkreis spiegelt, erlauben auch unüber-sehbare Sachbezüge im ganz aktuellen Bei-trag von André Gerth „Zwischen wissen-schaftlicher Verantwortung und spirituellemSelbstexperiment“ (AUE-InformationsdienstHochschule und Weiterbildung 2/2001) abzu-schätzen, der sich auf Erhebungen an derMünchner Volkshochschule stützt.Jörg Lange ist ein Buch gelungen, das ausder Fülle mit Fachjargon bedruckten Papiersherausragt. Grund zur Freude beim Lesenhoffentlich nicht nur für den Rezensenten!

Ernst Prokop

Joachim LudwigLernende verstehenLern- und Bildungschancen in betrieblichenModernisierungsprojektenReihe: Theorie und Praxis der Erwachsenen-bildung(W. Bertelsmann Verlag) Bielefeld 2000, 374Seiten, 14.90 Euro

Die durch den technischen Fort(lauf-)schrittbeschleunigte Zunahme des Wissen in Zei-ten der Modernisierung fordert von Individu-en wie von Institutionen eine zunehmendeAnpassung an sich rasch verändernde Um-weltbedingungen. „Lebenslanges Lernen“oder „lebenslängliches Lernen“ – um denZwang zur Anpassung hervorzuheben – ge-winnt immer mehr an Bedeutung. So ist eskaum verwunderlich, dass der forderndeDruck der Gesellschaft auf das pädagogischeSystem wächst, die Qualität der Lehrprozes-se zu steigern, um die wachsende Komple-xität der Welt bearbeitbar zu machen. Mach-barkeitsvorstellungen von Lernprozessenwerden in diesem Zusammenhang selbstver-ständlich besonders attraktiv.Die verkürzte Perspektive dieser Machbar-keitsvorstellungen, die deren Kern, den/dieLernende(n) ausblendet, zeigt J. Ludwig inseiner Habilitationsschrift „Lernende verste-hen“ auf. Im Rahmen eines Forschungspro-jekts rekonstruiert er das Lern- und Bildungs-schicksal dreier Mitarbeiter eines modernisie-rungsbestrebten Dienstleistungsunterneh-mens aus der Subjektperspektive. Im Mittel-punkt steht dabei die zentrale Frage nach denMöglichkeiten und Grenzen von Bildungsver-läufen in betrieblichen Modernisierungspro-

zessen aus der Sicht der Lernenden sowiederen Lernhandlungen.Damit distanziert Ludwig sich von einem denLehrer bzw. die Lehre perspektivisch bevor-zugenden pädagogischen Außenstandpunktund rückt das lernende Subjekt mit seinen„thematischen subjektiven Interessen, Be-dürfnissen und Bedeutungshorizonten“ insBlickfeld pädagogischer Forschung. DieHandlungsrationalität des Lernenden in sei-nem Lernhandeln wird dabei gerade nicht,einem Lehr-Lern-Kurzschluss entsprechend,der Handlungsrationalität des Lehrendengleichgesetzt.„Lernende verstehen“ dient somit der Erwei-terung von erwachsenenpädagogischen For-schungsperspektiven, indem der die Lehrezentrierende Außenstandpunkt verlassenwird. Auf diese Weise kommt der Autor zudem Ergebnis, dass die Lernanforderungenbetrieblicher Weiterbildung vor allem in Formdefensiven Lernens ohne Differenzerfahrungbewältigt werden, was sich in Form von Ab-kehr oder Ausblendung zeigt und sich nichtals Bildungsprozess niederschlägt, sondern inForm trägen Wissens bzw. als Qualifikationnur dem Betrieb Nutzen bringt. ExpansivesLernen und damit verbundene Bildungspro-zesse sind im betrieblichen Kontext hingegennur dann möglich, wenn Widerstand gegendie Weiterbildungsmaßnahme aufgebrachtwird, indem der Sinngehalt und die Anforde-rung der Weiterbildungsmaßnahme zunächstin Frage gestellt (Differenzerfahrung) unddann in Form der Ausgliederung einer Lern-schleife bearbeitet werden.Damit wird betrieblicher Weiterbildung zwarnicht grundsätzlich der Bildungscharakterabgesprochen. Es zeigt sich aber, dass Bil-dungsprozesse nur in bestimmten Konstella-tionen der Verschränkung gesellschaftlich-in-stitutioneller sowie biographischer Vorausset-zungen der Subjekte eine Rolle spielen kön-nen, nämlich dann, wenn sich Widerstandgegen Weiterbildungsanforderungen regt.Um die Brisanz dieses forschungs- und wei-terbildungsrelevanten Subjektstandpunkteszu unterstreichen, wird im Anschluss an dieErgebnisse der Arbeit eine wenn auch ver-kürzte, so doch bedeutsame subjekttheoreti-sche Reinterpretation repräsentativer erwach-senenpädagogischer Perspektiven vorge-nommen.

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Ludwigs Buch „Lernende verstehen“ könntezum Grundstein einer zwar nicht ganz neu-en, aber bisher noch nicht in breiter Form zurGeltung gekommenen erwachsenenpädago-gischen Perspektive werden, die das Subjektmit seinen je eigenen Handlungsgründen inden Vordergrund rückt und Lernprozesse ver-stehbar werden lässt.

Uwe Raimund Schwab

Jutta MägdefrauDiplom in Erziehungswissenschaft – waskommt danach?(Pais-Verlag) Oberried bei Freiburg 2000, 480Seiten, ca. 39.00 Euro

Die Autorin legt eine umfangreiche Studieüber Absolvent/innen der PädagogischenHochschule Freiburg vor. Für den Zeitraum1973 bis 1997 hat sie eine schriftliche Befra-gung (Fragebogen im Anhang) aller Ab-schlussjahrgänge und Studienrichtungen(Schulpädagogik, Sozialpädagogik, Medien-pädagogik und Erwachsenenbildung) durch-geführt und ausgewertet. Ausgehend von ei-ner zusammenfassenden kritischen Darle-gung vorliegender Studien, die weitestge-hend auf theoretische Verortung verzichten,begründet sie ihren eigenen theoriebezoge-nen Ansatz, der sich auf professionstheore-tische Debatten konzentriert. Der Rücklauf isttrotz Differenzen in den verschiedenen Jahr-gängen mit über 30% so gut, dass die Auto-rin generalisierende Aussagen für die Päda-gogische Hochschule Freiburg für tragfähighält. Die untersuchte Grundgesamtheit er-fasst 342 Ehemalige, wovon die Studienrich-tung Erwachsenenbildung mit gut 40% diegrößte Teilgruppe darstellt.Die Studie ist sowohl methodisch als auchtheoretisch reflektiert. Das ausführliche In-haltsverzeichnis und die zusammenfassen-den Kapitel ermöglichen eine rasche Orien-tierung in der Datenfülle. Die zentralen inhalt-lichen Bereiche der Erhebung werden sowohlnach Studienrichtungen als auch unter ge-schlechtsspezifischen Aspekten (gerade hierliegen Versäumnisse anderer Studien vor)ausgewertet.Erfasst werden berufliche Vorqualifikation,Studienwahlmotive, Studiensituation, Arbeits-losigkeit, Berufseinmündung und aktuelle be-

rufliche Lage, Berufszufriedenheit – bis zu die-sem Punkt durchaus vergleichbar mit demThemenkanon anderer Studien. Darüber hin-aus wird aber dem „professionellen Berufs-handeln“ (Selbstbeschreibung der Aufgaben,berufstypische Einstellungen und Deutungen,Merkmale professioneller Persönlichkeit) brei-ter Raum gegeben. Leider wird in dieser the-matischen Vielfalt der Bereich Anstellungsträ-ger/Arbeitgeber mit seinen Veränderungen imZeitverlauf nicht besonders herausgearbeitet.Die zentralen Ergebnisse überraschen nicht(z. B. im Bereich Theorie-Praxis-Verhältnis),aber sie werden in ihren Schlussfolgerungenfür die erziehungswissenschaftliche Studien-gestaltung differenziert diskutiert und über-winden Standardaussagen zur unvermeidba-ren Kluft zwischen Theorie und Praxis.Stellvertretend für die Fülle von Einzelergeb-nissen seien abschließend konträre Beispie-le genannt, die das universitäre Lehrpersonaleher erleichtern bzw. eher belasten können:– Eine adäquate berufliche Platzierung findet

sich am klarsten in der Studienrichtung Er-wachsenenbildung.

– Frauen sind mit ihrem Berufsweg und ih-rer Platzierung signifikant häufiger unzufrie-den als Männer.

Obwohl universitäre Ausbildungsstätten häu-fig meinen, den Arbeitsmarkt für Diplomiertezu kennen, sei die Freiburger Studie empfoh-len. Monika Schmidt

Magdalene Malwitz-Schütte (Hrsg.)Selbstgesteuerte Lernprozesse älterer Er-wachsenerIm Kontext wissenschaftlicher WeiterbildungReihe: Theorie und Praxis der Erwachsenen-bildung(W. Bertelsmann Verlag) Bielefeld 2000, 185Seiten, 14.90 Euro

Der Sammelband enthält insgesamt siebenBeiträge zum Thema, von denen fünf von derHerausgeberin und jeweils einer von Elisa-beth Bubolz-Lutz („Selbstgesteuertes Lernenin der Praxis einer Bildungsarbeit mit Älteren“)und ein weiterer von Silvia Dabo-Cruz („Wasalt sein heißt, weiß ich selbst am besten“)stammen.Der Titel erweckt die Erwartung, das aus den1970er Jahren stammende und nun wieder-

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entdeckte und als Trend deklarierte Paradig-ma der Selbststeuerung auch auf die Ziel-gruppe Ältere beziehen zu wollen, wobei derUntertitel „Im Kontext wissenschaftlicher Wei-terbildung“ auf eine relativ begrenzte spezi-elle Altenbildungspraxis verweist, in der in derTat von Studierenden im Alter der Anteil anSelbststeuerung vom Entschluss zu studierenbis zur Auswahl der Angebote und dem sichdaran anschließenden Studium viel Selbst-steuerung verlangt wird.Der erste Beitrag der Herausgeberin („Einlei-tung und theoretische Einführung in den Be-reich Lernen älterer Erwachsener“) beschäf-tigt sich vornehmlich in Anlehnung an eineArbeit von I. Saake über Perspektiven einerkonstruktivistischen Alternsforschung mit denunterschiedlichen Phasen soziologischer An-sätze der Gerontologie, u. a. auch mit derErwachsenensozialisation, die einen in die-sem Zusammenhang relevanten Aspekt, dieSelbstsozialisation, thematisiert und vom Al-ter als einer sinnproduzierenden Kategoriespricht.Der zweite Beitrag von M. Malwitz-Schütte(„Selbstgesteuertes und selbstorganisiertesLernen in der Weiterbildung älterer Erwach-sener – ein Konzept macht Furore“) fragtnach der Zuordnung zu einem Wissen-schaftsbereich für das Konstrukt Selbststeu-erung des Lernens, ohne den historisch ein-deutigen, auch aus der anglo-amerikanischenTradition des self-directed learning stammen-den pädagogischen Hintergrund zunächstaufzugreifen. Erst im zweiten Schritt werdendie empirischen Studien von Brockett undHiemstra sowie die von Straka u. a. in diedeutsche Diskussion eingeführten Erkennt-nisse über Bedingungen und Konsequenzenselbstgesteuerten Lernens eingebracht. Ne-ben den Anwendungsgebieten mit Hoch-schulabsolventen wird im Blick auf ältere Er-wachsene der Medienumgang nach diesemPrinzip angeführt. Bezogen auf die deutscheErwachsenenbildung wird das Paradigmavornehmlich aus der Perspektive des Kon-struktivismus und der Systemtheorie in sehrgeraffter Form gestreift, so dass auch dasResümee mehr Fragen offen lässt, als es imBlick auf eine institutionelle und didaktischeKonsequenz zu einem Erkenntnisgewinn bei-trägt.E. Bubolz-Lutz geht in ihrem Beitrag in Anleh-

nung an Rebel und Dohmen von einer klarenbildungspraktischen Definition selbstgesteu-erten Lernens mit den Merkmalen der Be-stimmung wesentlicher Elemente wie Ziele,Inhalte, Methoden, zeitliche Strukturierung,räumliche oder auch institutionelle Einbin-dung aus, die die Kompetenzen der Lernen-den voraussetzt. Mit dieser Definition ist aucheine deutliche Abgrenzung zum Bereich derSelbsthilfe kenntlich gemacht. Das in dieserArt gekennzeichnete selbstgesteuerte Lernenwird auf die Situation des Lernens in derzweiten Lebenshälfte begründet bezogen undanhand der Ergebnisse des Forschungspro-jektes „Wege zum selbstorganisierten Ler-nen“ in seiner Anwendung und überwiegendpositiven Bedeutung für den Einzelnen wiedie Gruppe dokumentiert. Sehr nachhaltigmacht die Autorin aber auch darauf aufmerk-sam, dass dieses Lernen vielfacher Unter-stützung und spezifischer Kompetenzen ei-nes Begleiters bedarf.Während im Beitrag von E. Bubolz-Lutz dieBildungsarbeit mit Älteren ganz allgemein imMittelpunkt stand, setzt sich S. Dabo-Cruz mitselbstgesteuertem Lernen im Kontext alterns-bezogener Studienangebote an der Universi-tät des 3. Lebensalters in Frankfurt/M. aus-einander und legt dabei die von O. Schäffterentwickelten Begriffe der Selbststeuerung undSelbstinstruktion zugrunde. Unter diesen As-pekten wird die Praxis der Bildungsangebote(speziell in sozialer Gerontologie) und derselbstständig durchgeführten Forschungsak-tivitäten der Universität des 3. Lebensaltersbeleuchtet, so dass das „Lernen des Älterwer-dens“ als die zentrale Aktivität aufscheint. Kri-tisch ist auch von den intellektuellen und psy-chischen Anforderungen die Rede – oderanders ausgedrückt: von der Selbststeuerungals einem Desiderat selbst bei dieser speziel-len Zielgruppe.Die drei noch folgenden Beiträge der Heraus-geberin stellen im Wesentlichen Werkstattbe-richte über Arbeitsgemeinschaften und Studi-engruppen zu unterschiedlichen Themen desWeiterbildungsprogramms „Studieren ab 50“an der Universität Bielefeld dar. Bei diesenArbeitsgemeinschaften handelt es sich umselbstorganisierte, thematisch sich aus derHochschullehre ergebende Lerngruppen, dieeine Unterstützung durch die Kontaktstelle fürwissenschaftliche Weiterbildung erhalten. Die

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Leitung der Arbeitsgemeinschaften liegt in denHänden der Studierenden. Der Text weist auchauf unterstützende Maßnahmen für das erfolg-reiche Arbeiten der Gruppen unter dem Aspektder Selbststeuerung hin. Als ein markantesBeispiel wird die Arbeitsgemeinschaft Internet-SeniorWeb vorgestellt, die sowohl das Prinzipder Selbststeuerung als auch das der eigen-ständigen Vernetzung mit weiteren Fachin-halten repräsentiert. Der abschließende Bei-trag liefert Sozialdaten über die Teilnehmer/innen am Studienangebot „Studieren ab 50“und weist auf die gegebenen oder erforder-lichen Voraussetzungen sowie auf eine Ten-denz zur „aktiven Selbstveränderung“ (S. 185)hin.Die mit dem Titel des Sammelbandes ange-sprochene Thematik „Selbstgesteuerte Lern-prozesse älterer Erwachsener“ greift einenaktuellen Trend auf, trägt aber im theoreti-schen Teil nicht zu einer Klärung oder Vertie-fung bei, die Einordnung in die gerontologi-sche Forschung erscheint sehr verkürzt. Le-senswert und informativ erscheinen allenfallsdie praxisbezogenen Einblicke in Formen wei-terbildenden Studiums sowie die Werkstattbe-richte, in denen Tendenzen und Grenzen zumAusdruck kommen.

Gerhard Breloer

Erhard MeuelerLob des ScheiternsMethoden- und Geschichtenbuch zur Er-wachsenenbildung an der Universität(Schneider Verlag Hohengehren) Baltmanns-weiler 2001, 238 Seiten, 18.50 Euro

Im Klappentext wird Erhard Meuelers Publi-kation ganz treffend als „(hochschul)didak-tisches Sachbuch“ bzw. „literarisches Fach-buch“ angekündigt. So finden sich in demBuch neben der Beschreibung von Seminar-verläufen zum Thema Erwachsenenbildungim Studiengang Erziehungswissenschaftenan der Universität Mainz und ihrer didaktisch-methodischen Reflexion auch viele (auto-biographische) Geschichten rund um dasLehren und Lernen sowie fachlich-kritischeBeiträge zu verschiedenen erwachsenenpä-dagogischen Themen.Das Ganze ist in acht Kapitel unterteilt: Imersten Kapitel, das sich gleichsam als Vorwort

liest, wirbt Meueler für das entwicklungsför-dernde Potenzial des Scheiterns im didakti-schen Planen und Handeln. Denn ohne einphantasiertes und reales Scheitern – soMeueler – „gäbe es keinen Fortschritt hin zumehr Subjektentwicklung aller Beteiligten,kein Streben nach Vervollkommnung bishernur als unzulänglich erlebter Versuche“ (S.1). Das eigentlich negativ besetzte Wort„scheitern“ gewinnt wie in der von ReinhardKahl herausgegebenen Video-Reihe „Lobdes Fehlers“ eine positive Konnotation, weildidaktische Planung als ein offenes Projektbetrachtet wird, in dem immer auch nochanderes möglich ist als das vom Lehrer Vor-gedachte. Auf diesen ersten Seiten legt Meu-eler sein erwachsenenpädagogischesGrundverständnis offen, von dem aus er seinhochschuldidaktisches Handeln, aber auchaktuelle Themen wie z. B. das „Lernen viaInternet“ (Kapitel 4.2) kritisch reflektiert unddas er in seinem „Ausklang“ (Kapitel 8) inden Satz fasst: „Mein Interesse gilt durch-gängig der Ermöglichung von didaktischenSituationen, in denen sich die Beteiligten alsSubjekte erleben können, sozial anerkannt,kompetent und kreativ“ (S. 231).Wer Meuelers Veröffentlichungen kennt,weiß, dass es ihm immer um die größtmög-liche Selbstbestimmung und Subjektentwick-lung der Lernenden geht. Das Spannendean diesem Buch ist nun, dass er das Schei-tern und das Gelingen der „Ermöglichungvon Aneignungserfahrungen“ (S. 41), dieAuseinandersetzung mit der Macht und Au-torität als Hochschullehrer sowie das didak-tische Dilemma zwischen Wissensvermitt-lung und selbstbestimmtem Lernen authen-tisch beschreibt. Man könnte die Veröffent-lichung daher auch als ein gelungenes Bei-spiel für ein „Lehrtagebuch“ charakterisieren.In den folgenden fünf Kapiteln („Didaktik“,„Aufgaben und Selbstverständnis von Er-wachsenenlehrerInnen“, „Selbstgesteuertesund selbstbestimmtes Lernen“, „KreativesSchreiben“ und „Wissenschaftliche Textekreativ Lesen“), die jeweils einem ausge-wählten inhaltlichen Schwerpunkt seiner Ar-beit gewidmet sind, stellt Meueler theoreti-sche Überlegungen eigenen Zugängen zumThema sowie gemachten Lehrerfahrungenmit den jeweiligen Themen in Hochschulver-anstaltungen gegenüber. Dabei beschreibt

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er detailliert den Seminarverlauf mit seinenZielen, Inhalten und Absichten sowie den ei-gentlichen Realverlauf der Veranstaltung mitkurzer Zusammenfassung der jeweiligen Sit-zungstermine. Meueler leistet mit dieser„rückblickenden Selbstvergewisserung“ (S. 5)nicht nur eine kritische Selbstevaluation sei-ner Hochschultätigkeit, sondern illustriert sehrpräzise auch die Kontingenz erwachsenenpä-dagogischer Situationen. Er verweist dadurchauf die notwendige Kompetenz im Umgangmit Erfahrungen des Scheiterns, im Sinne vonFehleinschätzungen oder Abweichungen zumGeplanten und daraus resultierenden Unvor-hergesehenheiten. Die Veröffentlichung bie-tet somit vor allem für Hochschullehrende –sowohl Neulingen als auch Erfahrenen – nichtnur Anregungen zum Handeln („So könnteman es machen“, S. 5), die durch das in Ka-pitel 7 zusammengestellte „Küchenlexikonder Methoden und Sozialformen“ praxisnahergänzt werden, sondern ebenso Impulse fürdie Entwicklung einer erwachsenenpädago-gischen Professionalität durch eine kontinu-ierliche Selbstevaluation und den Mut zumScheitern. Meuelers Beispiel einer Professi-onsbiographie – wenn auch bezogen auf dieHochschullehrertätigkeit – leistet damitzugleich einen wichtigen Beitrag für dasSelbstverständnis der Erwachsenenpädago-gik.

Ingeborg Schüßler

Josef Olbrichunter Mitarbeit von Horst SiebertGeschichte der Erwachsenenbildung(Leske+Budrich Verlag) Opladen 2001, 447Seiten, 25.50 Euro

Dieses Buch wird man aus mehrfachen Grün-den ein Ereignis nennen dürfen: einmal weiles eine historische Gesamtansicht der Er-wachsenenbildung, von ihren ersten institu-tionellen Anfängen am Beginn des 19. Jahr-hunderts bis auf unsere Tage, unterbreitet,sodann weil es Geschichte der Erwachsenen-bildung auch mit historiographischer Umsicht‚beschreibt’ und schließlich weil es die Ge-schichte der Erwachsenenbildung facetten-reich und mit einer schier überbordenden unddoch wohl komponierten Fülle von Belegenversieht. Es ist mithin, und ich glaube damit

nicht zu hoch zu greifen, die Summe einesakademischen Lebens.Für einige Zeit mag die Klage berechtigt ge-wesen sein, dass Geschichte der Erwachse-nenbildung weithin ausgeblendet werde,dass die junge Disziplin sich ihres Gegen-stand und ihres Herkommens nicht historischversichere. Inzwischen gibt es regionale Nä-herungen (z. B. Friedenthal-Haase), Über-blicksdarstellungen (z. B. Seitter), Institutio-nengeschichte (z. B. Oppermann, jüngst inÖsterreich Filla), gruppenspezifische Unter-suchungen (z. B. Feidel-Mertz), personenori-entierte Darstellungen (z. B. Wollenberg),international ausgerichtete Dokumentationen(Knoll/Künzel) und, beginnend mit H. Keim,Darstellungen der „Erwachsenenbildung un-ter dem Hakenkreuz“. Man könnte noch jeneVersuche hinzunehmen, Geschichte ausdem Kontext von Nachbardisziplinen zu ent-falten (z. B. Sozialwissenschaften), oder dieErwachsenenbildung auch von der Sozialge-schichte des Bildungswesens oder der Ge-schichte der Bildungsadministration ausge-hend thematisieren (z. B. Führ, Jeismann).Über die Genese historischer Forschung be-richtet konzis und kenntnisreich auch die vor-liegende Publikation (S. 17), wobei erkenn-bar ist, dass Olbrich unter wissenschaftsin-stitutioneller Betrachtungsweise Erwachse-nenbildung als eine pädagogische Teildiszi-plin versteht, die sich in ihrem historischenErklärungsprozess durchaus anderer Teildis-ziplinen bedient (S. 18).Die Methode möchte erklärend sein, siemöchte Prozesse und Strukturen (im SinneWehlers und Rüsens) in den Vordergrundstellen, sie soll den Vorrang der Ideenge-schichte überwinden und sich unter das Vor-zeichen einer „theoriegeleiteten Narrativität“stellen. Drei Thesen stellt Olbrich dabeiheraus:Geschichte der Erwachsenenbildung– ist ein legitimer Bestandteil der Erwachse-

nenpädagogik,– bedarf einer vorlaufenden Theorie,– vermag auch in aktuellen bildungspoliti-

schen Entscheidungsprozessen Orientie-rung zu geben.

Demzufolge kommt Geschichte auch einegegenwartsdienliche und gesellschaftsdien-liche Funktion zu, ohne sie freilich zur Magdfür gegenwärtige Legitimierungsstrategien zu

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missbrauchen. Im Grunde wird hier über Ran-kes Lehrsatz nachgedacht, dass die Ge-schichte stets neu geschrieben werden müs-se. Und gleichzeitig wird mit der Art und Wei-se, wie Geschichte „geschrieben werden sol-le“ (nämlich erklärend), einem Einspruch be-gegnet, mit dem Hayden V. White („Metahis-tory“) der Historiographie pauschal den wis-senschaftlichen Deutungsanspruch zu entzie-hen suchte, was Rüsen zu dem berechtigtenEinwurf veranlasst, dass die „Metahistory“ der„Gefahr einer Entrationalisierung der Historio-graphie“ Vorschub leiste. Schließlich wird inden vorlaufenden Bemerkungen auch grund-sätzlich von Periodisierung und der Frage ge-handelt (S. 22), ob Realgeschichte und Ge-schichte der Erwachsenenbildung unter demgleichen Periodisierungsschema stehen.Olbrich schreibt die Geschichte der Erwachse-nenbildung, stets gebunden an den Gleichlaufmit der historischen Realgeschichte (histori-sche Zusammenfassungen und Ausgangsbe-dingungen) und an die Illustration des Zeit-geistes und der Lebenssituationen (das giltseit Gervinus), unter den periodisierendenÜberschriften: „Erwachsenenbildung zwi-schen Bürgertum und Arbeiterbewegung“ (S.27ff.), „Erwachsenenbildung in der Bismarck-zeit und der Wilhelminischen Ära“ (S. 83ff.),„Volksbildung in der Weimarer Zeit“ (S. 139ff.),„Erwachsenenbildung in der Zeit des National-sozialismus“ (S. 217ff.), „Erwachsenenbildungin der DDR“ (gewohnt akkurat geschriebenvon Horst Siebert) und „Geschichte der Er-wachsenenbildung nach 1945“ mit dem zu-sammenfassenden Zusatz „Der Weg der Er-wachsenenbildung zu einem eigenständigensozialen System“ (S. 305ff.).Man kann ein „Handbuch“ nicht „nacherzäh-len“, stattdessen kann man auf Vorzüge auf-merksam machen: Der Überlegung, die mannach der methodologischen Ankündigunghaben mochte, dass die prozessorientierteDarstellung die personenorientierte verdrän-gen könnte und dass vielleicht das im positi-ven Sinn Narrative ganz unterdrückt werde,wird durch die Darstellung der Boden entzo-gen. Olbrich versteht sich auf eine noble Aus-gewogenheit, die Geschichte als soziales Ag-glomerat durchaus vielschichtig erkennbarmacht. Und welche reiche Fülle an Seitenbli-cken und Details, die die von Grimm gerühm-te „Andacht vor dem Geringfügigen“ als Tu-

gend eines genauen Historikers akzeptiert,wird hier ausgebreitet! Statt vorschneller Ur-teile in einer sprachlichen Volte wird die Aus-gewogenheit im begründeten „sowohl alsauch“ mitgeteilt, etwa abzulesen am Zugangzu der Erwachsenenbildung im Jahr 1933, mit„Anpassung und Widerstand“ überschrieben(S. 221). Dass Verbindungslinien (es sindBegründungen) vom Gestern zum Heute ge-zogen werden, in der beruflichen Erwachse-nenbildung (S. 92, S. 325ff., S. 386ff), in derVerwissenschaftlichung (S. 378ff.), in der In-ternationalität (S. 386) oder auch in den For-men politischer Bildungsarbeit (S. 154ff., S.343ff.), will mir als ein wesentlicher Vorzugerscheinen. Ich höre den Widerspruch, mansolle die Geschichte dort lassen, wo sie ge-schehen ist. Aber das entbindet nicht von derAufgabe, nach übergeordneten, die Zeitenübergreifenden Zusammenhängen zu fragen,die im Spannungsverhältnis von Tradition undFortschritt liegen (S. 398), und jene „Tenden-zen“ aufzusuchen, „die die Grenzen und Ver-mittlungsformen traditioneller Erwachsenen-bildung zu Gunsten von lebenslangem Ler-nen und Lerngesellschaft“ aufheben (S. 398).Ein vorzüglicher Beitrag, der jungen DisziplinErwachsenenbildung ein Bewusstsein ihresHerkommens und ihrer Zukünftigkeit beizule-gen und sie durch Gegenstand und Methodezu legitimieren. Man möchte sich ein Perso-nenregister wie auch einen gleichsam flankie-renden Dokumentenband wünschen – undwirklich nur eine Petitesse: Hellmut Beckerwar gewiss nicht „einer der führenden Er-wachsenenbildungspolitiker der WeimarerZeit“ (S. 217). Da gehen Vater und Sohndurcheinander.Dank für diese exzeptionelle Leistung, für dieGelassenheit im Urteil und für einen weitenAtem in der Darstellung. Joachim H. Knoll

Gabi Reinmann-Rothmeier/Heinz MandlVirtuelle Seminare in Hochschule und Wei-terbildungDrei Beispiele aus der Praxis(Hueber Verlag) Bern, Göttingen 2001, 156Seiten, 22.95 Euro

Gabi Reimann-Rothmeier und Heinz Mandllegen mit diesem gut lesbaren Buch einenPraxisbericht von drei Lehrbeispielen vor,

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dem ein einführender Beitrag zu Anforderun-gen an die Gestaltung virtueller Lernumge-bungen vorausgestellt und ein abschließen-des Evaluationskapitelchen nachgeschobenist. Alle Beispiele sind zur besseren Vergleich-barkeit gegliedert in die Abschnitte Ziele, Se-minarablauf, pädagogisch-psychologischeGestaltung und technische Realisierung. Weraus der konstruktivistischen Multimedia-schmiede des Hauses Mandl einen Beleg fürhochgradig selbstgesteuerte und situativeKonzeptrealisierungen erwartet, wird über-rascht. Schon in der Einleitung wird von derIntegration kognitiver und konstruktivistischerAnnahmen gesprochen, und es wird die Not-wendigkeit der orientierenden Instruktion fürden Lerner betont, ohne die er überfordertsei.Instruktion gibt es dann überreichlich in denfolgenden drei Beispielen zum Wissensma-nagement, zum Knowledge Master und zuempirischen Erhebungs- und Auswertungs-verfahren. Während in den allgemeinen Auf-sätzen der Mitarbeiter/innen Mandls nachzu-lesen ist, dass gerade netzbasiertes ‚collabo-ratives’ Lernen so konstruktivismusadäquatsei, liest man hier plötzlich, weil die Kommu-nikation im Netz signalarm und deshalb um-ständlich sei, müsse man mehr instruieren,mehr klare Lernvorgaben erteilen. Diese Wi-dersprüche zum eigenen Credo werden nichtthematisiert. Es drängt sich das Gefühl auf,dass mit diesen Online-Seminaren klassischeProjektgruppenarbeit ins Netz verlegt wird,wobei der pädagogische Mehrwert nicht deut-lich wird, ja im Saldo eher negativ zu Bucheschlägt. Was als Freiheit der Selbststeuerungausgegeben wird, ist häufig nur die Wahl zwi-schen zwei Szenarien und der ergänzendeHinweis, man könne auch anders vorgehen.Ansonsten sind das nachzulesende Material,die Fragestellungen und die Arbeitsanweisun-gen penibel vorgegeben.Wer lernen möchte, wie man heute projekt-basierte (instruktive) virtuelle Seminare ma-chen kann, erhält mit diesem Text sehr gutemethodische und verfahrenstechnische Hin-weise. Auch die Aufbereitung der Inhalte istgut beschrieben. Die Evaluation der Semina-re fällt dagegen etwas pauschal aus. Die Er-gebnisse bzw. der Ansatz der Teilnehmerbe-fragungen bleiben mehr auf der Lernoberflä-che.

Das 156 Seiten umfassende Buch hätte gutnoch ein Kapitel der Metareflexion vertragenkönnen, in dem die Autoren mehr Distanzzum eigenen Ansatz einnehmen müssten.Nicht thematisiert sind eine Klassifikation vir-tueller Seminare und eine Infragestellung derMethodik angesichts des konstruktivistischenAnspruchs. Es fehlt eine Betrachtung studen-tischer Lernkulturgewohnheiten, und auch dieangebotene Lernoberfläche aus html-Stan-dardbausteinen wird zwar beschrieben, aberdass andernorts mit ‚vorfabrizierten’ Lernum-gebungen gelehrt wird und welche Unter-schiede sich daraus ergeben, bleibt undisku-tiert.Die Autoren begründen den hohen Anwei-sungsduktus in ihren Seminaren mehrfachmit der Überforderung der Lernenden. Mansollte aber vielleicht doch die heutige Über-forderung als eine Übergangssituation disku-tieren, denn die meisten Teilnehmenden wa-ren ‚virtuelle Lernneulinge’, die die Prinzipi-en des Netzlernens erst erlernen mussten.Wer zum ersten Mal eine Netzgruppenarbeitmacht, bedarf der führenden Hand, weil dasvirtuelle Lernterrain mit technischen, sozialenund inhaltsorganisatorischen Hemmnissenverstellt ist. Was uns die Autoren als virtuel-le Methodenbausteine andienen, sind letztlichden Rahmenbedingungen geschuldete Me-thodiken für Novizen. Erschwert wird einselbstgesteuertes Lernen im Netz durch diean Universitäten heute noch extrem vorherr-schende passive Lernkultur. D. h., wenn einvirtuelles Seminarangebot heute nicht schei-tern soll, dann ist der Veranstalter gut bera-ten, die Münchner Vorschläge strikt zu beach-ten. Dennoch hätte ich mir mehr Mut zu offe-ner Fragestellungsformulierung gewünschtund zumindest im zeitlichen Seminarverlaufeine Zurücknahme methodischer Anweisun-gen, um mündiges Lernen zu ermöglichen.Ohnedies befinden sich die beschriebenenAnsätze näher bei Skinner als bei den päda-gogischen Erben von Maturana.

Heino Apel

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Aribert RotheEvangelische Erwachsenenbildung in derDDR und ihr Beitrag zur politischen Bil-dung(Evangelische Verlagsanstalt) Leipzig 2000,361 und 188 Seiten, 34.00 Euro

Der Autor ist Theologe und Erziehungswis-senschaftler, Vorsitzender der EvangelischenErwachsenenbildung Thüringen und Projekt-mitarbeiter am Lehrstuhl Erwachsenenbil-dung der Universität Jena. Die vorliegendeArbeit wurde mit dem Promotionspreis 2000der Universität Jena ausgezeichnet. Es han-delt sich in der Tat um eine außergewöhn-lich sorgfältige und materialreiche Untersu-chung: 361 eng bedruckte Textseiten, 2.619zum Teil ausführliche Anmerkungen, 27 Sei-ten Literaturangaben, 188 Seiten Quellentex-te.In den bisherigen Veröffentlichungen zur Er-wachsenenbildung der DDR – inklusive mei-nen eigenen – ist die kirchliche Bildungsar-beit vernachlässigt worden. Insofern schließtdiese Publikation eine Lücke in der deutsch-deutschen Bildungsforschung. Der Autor be-schreibt die evangelische Erwachsenen-bildung als „eine unersetzliche Alternativezum staatlichen Bildungsmonopol“. Die Fülleund Vielfalt der evangelischen Bildungsange-bote ist beeindruckend: Gemeindeseminare,Arbeitskreise, Friedens- und Öko-Gruppen,Frauen- und Männerwerke, Studentenge-meinden und Akademikerkreise, Kunstdiens-te, Kirchentage, Fernstudien, Tagungen in Bil-dungsstätten, Ost-West-Begegnungen etc.Trotz dieser Vielfalt lässt sich die politischeund gesellschaftliche Wirksamkeit dieser ehersystemkritischen und von der SED ungelieb-ten Bildungsarbeit schwer beurteilen. DerAutor spricht mehrfach von der „kon-spirativen“ Funktion dieser Bildungsaktivitä-ten, die „im Blick der Sicherheitsorgane einkritisches Potenzial“ darstellten.Auch die kirchliche Umweltbildung wurde vomStaatssicherheitsdienst argwöhnisch beob-achtet. So stellt das Ministerium für Staatssi-cherheit fest: „Seit 1982 werden in der DDRauch verstärkt ökologische und Umweltfragenvon feindlich-negativen Kräften, insbesondereunter kirchlichen Personenkreisen aus demBereich der Evangelischen Kirchen, aufgegrif-fen und in destruktiven theoretischen Diskus-

sionen und praktischen Aktivitäten politischmissbraucht, um die Umweltschutzpolitik dessozialistischen Staates anzugreifen, zu ver-leumden und zu diskreditieren“ (S. 310). Trotzdieses Misstrauens scheint eine kritische Bil-dungsarbeit möglich gewesen zu sein: „SeitMitte der Siebzigerjahre bis zum Ende derDDR und darüber hinaus blieb die friedens-ethische Jugendbildung ein maßgeblicherSchwerpunkt, insbesondere die Aufklärungüber Möglichkeiten des waffenlosen Dienstesin Ausbildungsverhältnissen“ (S. 162).Die konzeptionelle Beschäftigung mit Er-wachsenenbildung auf Kirchenbundebenebezeichnet Aribert Rothe als „eigentümlichschleppend“, und auch eine Evaluation derBildungsarbeit erfolgte kaum. „Der missionari-sche Ansatz war (in den 1980er Jahren, H.S.) endgültig aufgegeben worden“ (S. 116).Die Veröffentlichung vermittelt einen umfas-senden Überblick über die Angebote und Or-ganisationsformen dieser Bildungsarbeit „imSchatten“ des Systems. Die beiden Bändeerfordern allerdings von den Lesern Ausdau-er und Liebe zum Detail. H. S.

Karsten Rudolf/Melanie ZellerWie entsteht politisches Engagement?Das Nidderau-Projekt – eine empirischeWirkungsstudie zur politischen Bildung(Wochenschau Verlag) Schwalbach/Ts. 2001,220 Seiten, 24.54 Euro

Die Misere in der politischen Erwachsenen-bildung liegt zu einem erheblichen Teil in demgroßen Graubereich zwischen Anspruch undWirklichkeit ihrer Arbeit begründet. PolitischeBildung wird mit hohen normativen und ap-pellativen Forderungen und Erwartungen ver-sehen, aber Genaueres weiß man über ihreReichweite und Wirkung beim Publikum nicht.Ist politische Erwachsenenbildung oft nur einAngebot fürs Schaufenster?So eingestimmt, greift man sicherlich höchstmotiviert zu der vorliegenden Studie, zumalder Titel genau das verheißt, woran es anErkenntnissen mangelt: Die Wirkung politi-scher Bildung soll empirisch fundiert darge-stellt werden.Die Studie – sie ist eine an der UniversitätFrankfurt/M. angenommene interdisziplinäreMagisterarbeit – erfüllt diese Hoffnungen,

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allerdings in einer nur eingeschränkten Wei-se. Worum geht es? Über das Jahr 1997 hin-weg wurde die im hessischen Rhein-Main-Gebiet gelegene Stadt Nidderau mit ihren ca.19.000 Einwohnern zum „Versuchsfeld“ (S.25) einer Gruppe Studierender, die einen Ver-ein gründeten, den Büdinger Kreis e. V. IhrZiel war es, durch politische Bildung das po-litische Engagement zu fördern. Hierzu orga-nisierten sie in Absprache mit örtlichen Par-teien, gemeinnützigen Organisationen undSponsoren 17 Aktivitäten, die durch Befra-gungen ausgewertet wurden.Der Verein wollte nicht auf Volkshochschulenund andere Träger politischer Bildung setzen,da „die meist nur bestimmte soziale Gruppenansprechen“ (S. 57); dagegen versuchte er,ein „alternatives Bildungskonzept“ (S. 57) zurealisieren. Durchgeführt wurden – mit erheb-lichem Werbeaufwand – Plakataktionen, Aus-stellungen, eine „Gesellschaftsmesse“, öffent-liche Befragungen von Politikern, eine Talk-Show, eine Demokratiewerkstatt und zweiSeminare. Das Highlight war wohl die „Ge-sellschaftsmesse“, bei der über gesellschaft-liche Engagementformen informiert wurdeund zu der 350 bis 400 Besucher gekommenwaren. Ansonsten können die Teilnahmezah-len sicherlich keinen Anlass zu einer über-schwänglichen Euphorie geben; auch fielendie Veranstaltungen nicht allzu „alternativ“aus. Vieles lebte offensichtlich davon, dassüber die Schulen die Schüler/innen mobilisiertwurden. Die beiden Seminare „Fit für Enga-gement“ brachten alles in allem gerade 26Interessierte zusammen.Damit stellt sich auch die Frage nach derBerechtigung der Konsequenzen, die Autorinund Autor für die Praxis der politischen Bil-dung ziehen. Ihre Forderungen sind vielfachplausibel, aber für den Rezensenten nichtimmer schlüssig aus dem angebotenen em-pirischen Befund abzuleiten. An manchenStellen wirkt die verwendete Materialbasisdoch zu schwach.Rudolph/Zeller fordern nach einer detaillier-ten Schilderung ihres Projekts „neue Wegeder politischen Bildung und Kommunikation“(S. 137). Hier hagelt es dann Praxisschelte,beispielsweise solle die politische Bildung„aus ihren ‚Elfenbeintürmen’ in zentralen Bil-dungsstätten zum Bürger“ kommen, sie müs-se ihre „bisherige Mentalität ... durch eine

Dienstleistungsmentalität“ ersetzen, sie müs-se „den Bürgern ... nützen“ (S. 138), die Ak-tionen politischer Bildung müssten „einenMehrwert gegenüber anderen, leichter zu-gänglichen Kommunikationsformen“ haben(S. 143).Überhaupt fällt auf, dass Rudolph/Zeller starkin ökonomischen Kategorien, im Kosten-Nut-zen-Denken und in Produkt-Verkaufs-Überle-gungen argumentieren. Ob man damit demo-kratische Überzeugung und bürgerliches En-gagement begründen kann, wird vom Rezen-senten erheblich angezweifelt.Positiv und verdienstvoll an der Arbeit ist derdurch sie gesicherte Beleg, dass politischeBildung „ins Laufen kommt“, wenn sie sichverbindet und verbündet mit örtlichen und re-gionalen Institutionen und Organisationen.Wie das geht, ist in dem Band anschaulichdargestellt. Ärgerlich sind aber die generali-sierenden und an keiner Stelle im Buch be-legten Verdikte gegenüber politischer Bildungund den in ihr tätigen Pädagogen und Päda-goginnen. So wird immer noch der Indoktri-nationsvorwurf erhoben (S. 185), und es wirdpauschal unterstellt, dass „die meisten poli-tischen Bildner ... sich nicht auf neue Wege(einlassen)“ (S. 185). Wer mit dem Alltag po-litischer Erwachsenenbildung beschäftigt ist,reibt sich hier verwundert die Augen. Es hät-te dieser Arbeit sehr gut getan, die reale Lagepolitischer Erwachsenenbildung gründlich zusondieren. Für die kategorische Forderung„Politische Bildung neu denken!“ (S. 190)reicht der angebotene Stoff aus Nidderaunicht aus. Immerhin ist ein Schritt unternom-men worden, die Empirielücke in der politi-schen Erwachsenenbildung zu füllen. Aberwir müssen weiter auf eine breit fundierte Ar-beit mit verallgemeinerungsfähigen Schluss-folgerungen warten. Klaus-Peter Hufer

Michael Schemmann/Marcus ReineckeGewerkschaftliche Bildungsarbeit im ge-sellschaftlichen Wandel(Impuls Verlag) Krakow 2001, 114 Seiten(kostenfrei erhältlich bei den Autoren: Lehr-stuhl Erwachsenenbildung, Ruhr-UniversitätBochum, 44801 Bochum)

Die Autoren, Mitarbeiter des Lehrstuhls Er-wachsenenbildung der Ruhr-Universität Bo-

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chum, berichten über die Ergebnisse einerempirischen Pilotstudie zum Weiterbildungs-verständnis und Weiterbildungsverhalten vonFunktionsträgern der IndustriegewerkschaftMetall.Theoretisch orientiert sich das Forschungs-konzept an Anthony Giddens´ Thesen zur re-flexiven Moderne, insbesondere an der The-se des „disembedding“, das heißt der „Entbet-tung“ und Entkoppelung der Individuen austraditionellen sozialen Stützsystemen unddamit auch der Lockerung weltanschaulicherBindungen an die Gewerkschaft. Die 18qualitativen Interviews bestätigen diese An-nahme nur bedingt. Die Gruppe der Befrag-ten ist durchaus heterogen, nicht bei allen istein Wandel der gewerkschaftlichen und welt-anschaulichen Einstellungen erkennbar. Weitverbreitet ist aber eine Skepsis gegenübereiner politischen Bildung, die primär die Ver-mittlung gewerkschaftlicher Organisationszie-le intendiert. Politische Bildung scheint eineChance zu haben, wenn sie sich als nützlicherweist. Das Interesse an einer „Integrationpolitischer und beruflicher Bildung“ ist offen-bar gering. Ein antagonistisches Weltbild („Ar-beitgebermacht versus Arbeitnehmermacht“)findet kaum Zustimmung.Die Notwendigkeit lebenslangen Lernens istbei dieser Gruppe unstrittig. Dieses Lernenwird aber eher als Weiterbildungsbeteiligungund (noch) nicht als „selbstgesteuertes Ler-nen“ definiert. Das gewerkschaftliche Bil-dungsangebot wird positiv bewertet, aller-dings ist die Konkurrenz durch andere Anbie-ter offenkundig. Qualitätsmerkmale der Refe-renten sind vor allem fachliche Kompetenzund Praxisnähe.Deutlich sind Individualisierungen und Plura-lisierungen, die sich als Vielfalt und Hetero-genität von Bildungs- und Gewerkschaftskon-strukten manifestieren. H. S.

Christiane Schiersmann/Heinz-UlrichThiel/Eva PfizenmaierOrganisationsbezogenes Qualitäts-managementEFQM-orientierte Analyse und Qualitätsent-wicklungs-Projekte am Beispiel der Familien-bildung(Verlag Leske & Budrich) Opladen 2001, 186Seiten, 18.90 Euro

Bei dem Band handelt es sich um den Ab-schlussbericht eines vom Bundesministeriumfür Familie, Senioren, Frauen und Jugendgeförderten Forschungsvorhabens. Gegen-stand ist die Konzipierung und Erprobung ei-nes organisationsumfassenden Qualitätsent-wicklungsmodells. In die Erprobung einbezo-gen waren fast 50 Einrichtungen der Famili-enbildung aus den Bundesländern Hessen,Mecklenburg-Vorpommern und Niedersach-sen. Schon an dieser Stelle sei gesagt, dassdas Projekt trotz der regionalen und sektora-len Beschränkung Ergebnisse liefert, die all-gemein verwendbar sind und in quasi allenDienstleistungsbetrieben und -einrichtungenals wertvolle Orientierungs- und Umsetzungs-hilfen dienen können.Das zugrunde gelegte Qualitätskonzept siehtQualitätsmanagement in enger Verzahnungmit Organisationsentwicklung, Personalent-wicklung, Projektmanagement und Wissens-management. Alle diese Elemente dienenletztlich dazu, strukturelle Änderungen derOrganisation im Rahmen eines bewusstenund gesteuerten Prozesses (Change Ma-nagement) voranzutreiben. Im Modellprojektbasiert der Qualitätsentwicklungsprozess aufvier zentralen Bausteinen:– Organisationsdiagnose in Anlehnung an

das EFQM-Modell,– Durchführung von Qualitätsverbesserungs-

projekten,– Einrichtung einer Qualitätsgruppe, die von

einer Qualitätsbeauftragten geleitet wird,– prozessbegleitende externe Fortbildung

und Beratung.Ausgangspunkt der Qualitätsüberlegungen istdie Bestandsaufnahme der Stärken undSchwächen anhand des bekannten EFQM-Modells. Der Ablauf einer solchen Stärken-Schwächen-Analyse wird ausführlich be-schrieben und durch Leitfäden und Übersich-ten veranschaulicht. Des Weiteren werdenauch die Erfahrungen der beteiligten Modell-einrichtungen wiedergegeben, so dass dieOrganisationsdiagnose für die außenstehen-den Leserinnen und Leser in ihren Vor- undNachteilen nachvollziehbar wird. Resümie-rend wird festgestellt, dass gerade dieser Ar-beitsschritt zur Sensibilisierung für eine syste-matische Qualitätsentwicklung beitrage.Im nächsten Schritt wird dann eine Handlungs-anleitung gegeben, wie Projekte zur Qualitäts-

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verbesserung identifiziert, geplant und durch-geführt werden können. Genutzt wird dazu dieprofessionelle Methode des Projektmanage-ments, die ähnlich wie beim EFQM-Modelldurch Schemata, Checklisten und Planungs-hilfen als „handwerkliche“ Grundausrüstungbereitgestellt wird. Die erhobenen Erfahrun-gen mit diesem Instrumentarium zeigen, dassdie beteiligten Einrichtungen gerade von die-ser Methode sehr profitiert haben, weil sie zeit-liche und sachliche Stringenz verlangt.Als dritte Komponente wird die Qualitätsent-wicklung durch Qualitätsgruppen und Quali-tätsbeauftragte vorgestellt. Es werden Hin-weise zur Zusammensetzung und zur Arbeits-weise der Gruppen gegeben. Hingewiesenwird darauf, dass die Teamentwicklung spe-zifische Phasen durchläuft (Orientierungspha-se, Konfliktphase, Organisierungsphase, Ar-beitsphase). Schließlich wird auf die Rolle derQualitätsbeauftragten in diesem Prozesseingegangen. Auch in Bezug auf die beidengenannten Aspekte ist die Praxisresonanzaußerordentlich positiv. Schließlich wird auf-gezeigt, wie der Qualitätsentwicklungspro-zess in den Einrichtungen extern sowohldurch Fortbildung als auch durch Beratungunterstützt und befördert worden ist.Insgesamt liefert das Buch insbesondere fürBildungspraktiker eine Fülle von Anregungenfür die eigene Qualitätsarbeit. Die klare Spra-che, die Veranschaulichung von Zusammen-hängen in Abbildungen und die Vielzahl voninstrumentellen Hilfen bieten direkte Hand-lungsanleitung, sie sind aber auch Impulsge-ber für die Entwicklung eigener Ideen in denEinrichtungen. Zugleich ist der Text auch vonhohem wissenschaftlichen Wert, weil die Er-gebnisse der Erprobung dokumentiert undkommentiert werden. Bei der inzwischenzahlreich erschienenen Literatur zum Quali-tätsthema sind derartige Publikationen, diedie Balance zwischen Praxisanleitung, Refle-xion und empirischer Forschung halten, eherselten geworden. Deshalb kann das Quali-tätsurteil nur lauten: sehr empfehlenswert.

Dieter Gnahs

Jutta Schöler (Hrsg.)Integrative Erwachsenenbildung für Men-schen mit BehinderungenPraxis und Perspektiven im internationalenVergleich(Luchterhand-Verlag) Neuwied u. a. 2000,246 Seiten, 15.50 Euro

Behinderte und nichtbehinderte Kinder lebenund lernen gemeinsam in einer Schule – diesist die Grundidee integrativen Unterrichts. Dieintegrative Erwachsenenbildung für Men-schen mit Behinderungen ist daher die kon-sequente Weiterentwicklung dieser Idee.Die Autor/innen dieses Buches stellen modell-haft drei Projekte aus der Schweiz, Englandund Deutschland vor, in denen es gelungenist, Menschen mit Behinderungen in die all-gemeine Erwachsenenbildung einzubezie-hen. Alle drei Projekte haben die Gestaltungintegrativer Bildungsarbeit im Sinne von „In-klusion“ und damit die Schaffung einer geeig-neten Lernumgebung für jede/n Teilnehmer/in zum Ziel. Die Autor/innen Bettina undChristian Lindmeier, Gaby Ryffel und RickSkelton verstehen die Verankerung integrati-ver Bildung in die Erwachsenenbildung alsOption, d. h.: „Nicht die Integration muss be-gründet werden, sondern die Separation.“Das Buch enthält detaillierte Beschreibungendarüber, wie die Projektverantwortlichen inden drei Ländern vorgegangen sind, um Men-schen mit Behinderungen in die bestehendenKurse der Bildungseinrichtungen zu integrie-ren, und welche Unterstützungsformen hier-bei realisiert wurden. Die zahlreichen prakti-schen Beispiele zeigen, dass eine integrati-ve Erwachsenenbildung ihren Beitrag zurSelbstverwirklichung und Selbstbestimmungbei Menschen mit Behinderung leisten kann.Die Ergebnisse und Erfahrungen dieser Be-strebungen werden auf dem Hintergrund derbestehenden Strukturen und Organisations-formen der Erwachsenenbildung für Men-schen mit Behinderungen dargestellt. Es ste-hen Positionen und Möglichkeiten der „beson-deren“ und der „integrativen“ Erwachsenen-bildung zu Diskussion. Hierbei wird deutlich,dass ein Weiterbildungsgesetz wie das inGroßbritannien, das bereits 1993 in Kraft ge-treten ist, die Grundlage für eine durchgehen-de integrative Ausrichtung der Fort- und Wei-terbildung schafft.

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Das Buch wendet sich an alle, die in der Er-wachsenenbildung tätig sind, nicht nur an die-jenigen, die sich professionell mit der Bera-tung und Begleitung von Menschen mit Be-hinderung, insbesondere mit sogenanntenLernschwierigkeiten, befassen. Es ist auch fürbetroffene Eltern und Angehörige und für eh-renamtliche Unterstützer empfehlenswert,zumal auch die theoretischen Ausführungenin einer anschaulichen, gut gegliederten Formvorliegen. Es gibt zahlreiche wertvolle prak-tische Anregungen und Hilfen, die sich vor Ortohne großen Organisationsaufwand umset-zen lassen.Bisher gibt es außer dem im Buch erwähn-ten Tomlinson-Report aus Großbritannienkeine Forschungsergebnisse auf dem Gebietder integrativen Bildung von Menschen mitBehinderungen. Jutta Schöler, Professorin ander Technischen Universität Berlin, gilt aufdem Gebiet der Integration in Deutschlandseit Jahren als anerkannte Expertin. Sienimmt sich als Herausgeberin eines Themasan, das bis heute bei der Verwirklichung deslebenslangen Lernens von allgemeinen Bil-dungsträgern und Bildungseinrichtungen zumgroßen Teil außer Acht gelassen wird. Bei derDiskussion innovativer Lernarrangements,neuer didaktischer Lernsettings und Lernor-te fehlen die Hinweise auf Menschen mit Be-hinderungen oftmals ganz. Dieses Buch bie-tet nicht nur Erwachsenenbildner/innen eineneue Perspektive, sondern ist für mich auchals Mutter eine 18-jährigen Sohnes mit Down-Syndrom eine Bereicherung. Hier werdenWege aufgezeigt, auf denen es lohnt, weiterzu denken und zu gehen. Von daher wäre eswünschenswert, wenn die Autor/innen mit ih-ren Beiträgen aus der Praxis zur Theorieent-wicklung und Umsetzung integrativer Erwach-senenbildung – lebenslanges Lernen lebens-lang integrativ – beitragen könnten.

Cordula Eder

Horst SiebertBildungsoffensive – Bildung ist mehr alsQualifizierung(VAS Verlag) Frankfurt/M., 92 Seiten, 9.00Euro

Seit die internationale Vergleichsstudie PISAmit ihren für das deutsche Bildungssystem

nicht gerade erfreulichen Ergebnissen dieFachwelt, die Politik wie auch breite Bevöl-kerungskreise in Aufregung versetzt hat, hatauch eine erneute Diskussion um den Bil-dungsbegriff und um die künftige Bildungs-,insbesondere die Schulpolitik begonnen. Pa-tentrezepte und gut gemeinte Vorschläge zurRettung des Bildungssystems von selbst er-nannten Expertinnen und Experten füllen dieSeiten von Zeitungen und Zeitschriften, abernur wenige davon sind wirklich ernst zu neh-men. Gerade rechtzeitig ist vor diesem aktu-ellen Hintergrund diese Veröffentlichung vonHorst Siebert erschienen. Er beschäftigt sichmit der Frage, was eine zukunftsfähige Bil-dungsidee unter veränderten gesellschaftli-chen Bedingungen ausmachen kann, er fragt,ob wir in einer Bildungsgesellschaft leben,und er diskutiert wesentliche Merkmale vonBildung und untersucht das Problem, welchesWissen und Können zur Bildung gehört.In den ersten beiden Abschnitten der Publi-kation setzt sich Siebert mit der vielfältigenLiteratur zum Bildungsbegriff auseinanderund zeichnet die Verfallsgeschichte des hu-manistischen Bildungsideals nach, wie es vonKant und von Humboldt beschrieben wurde.In der Auseinandersetzung mit der modernenKritik am Bildungsbegriff, wie sie u. a. vonAdorno in seiner „Theorie der Halbbildung“und später von Luhmann und anderen aussystemtheoretischer Sicht geäußert wurde,gelingt es ihm überzeugend, die bildungs-theoretischen Diskussionsstränge mit densystemtheoretischen und konstruktivistischenÜberlegungen zu verknüpfen. Er zeigt, dassBildung eine personale und eine gesellschaft-liche Dimension hat, dass somit Bildungsthe-orie und Systemtheorie nicht dichotomisch,sondern komplementär zu verstehen sind,ebenso wie Bildung und Lernfähigkeit. Beidekönnen nach Siebert Maßstab für die Quali-tät von Bildungsarbeit sein.Die Bildungsidee wird hier als „kognitiver Ord-ner“ charakterisiert, der die Wahrnehmungund Interpretation von Wirklichkeit steuert. AlsZiel von Bildung formuliert Siebert die „Ein-sicht in die Beobachtungsabhängigkeit unse-rer Lebenswelt und die Fähigkeit, mehrerePerspektiven einzunehmen und in Beziehungzu setzen.“ Anknüpfend an die Lebensstil-und Milieudiskussion sowie an die Auseinan-dersetzung um mentale Stile sieht Siebert

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eine „Auflösung der Normalbiografien“ hin zu„Patchworkidentitäten“, die von einer zeitge-mäßen Bildungstheorie zur Kenntnis zu neh-men sind. „Gebildet ist nicht, wer stets und inallen Lebenslagen ‚mit sich identisch’ ist, son-dern wer offen für Neues und neue Anforde-rungen ist, wer sein Selbst immer wieder neuzu klären bereit ist“, so Siebert. Bildung ist einProzess der Selbstaufklärung, der ein ‚Driften’der Perspektiven und der Standpunkte erfor-derlich macht, ein ‚Seitenwechsel’, der zurKonstruktion neuer und ungewohnter Sicht-weisen beiträgt, aber auch zum Abbau ge-wohnter, rigider und verfestigter Deutungs-muster.Woran kann man Bildung messen? Auch wennBildung keine zu quantifizierende Größe, son-dern „eine verständigungsbedürftige regulati-ve Idee“ ist, muss sie sich trotzdem der empi-rischen Überprüfung stellen. EntsprechendeMerkmale sollten über diskursive Verständi-gung bestimmt werden und sich auf vier Ebe-nen beziehen: auf gesellschaftliches Bildungs-wissen, vorherrschende Deutungs- und Hand-lungsmuster, gesellschaftliches Bildungsklimaund ‚bildungsfreundliche’ Rahmenbedingun-gen. Siebert schlägt eine qualitative Messungder verschiedenen Merkmale des gesell-schaftlichen Bildungsniveaus über zwölf Indi-katorenbündel vor, die u. a. Bildungsabschlüs-se, literarische Schriftkultur, politische Beteili-gung, ökologisches Bewusstsein, Arbeits-ethos, ehrenamtliches Engagement, klugenUmgang mit Technik umfassen. Wie bei vielenIndikatoren bleibt das Problem der Auswahlund Konkretisierung, denn irgendwie müssenauch bei Indikatoren Qualitäten in Quantitätenumgewandelt bzw. ausgedrückt werden kön-nen. Siebert hat hierzu eine persönliche Ab-schätzung ohne Anspruch auf Wissenschaft-lichkeit vorgenommen. Es wäre wünschens-wert, die Indikatorenbündel so zu konkretisie-ren und messbar zu machen, dass damit dergesellschaftliche Bildungsstand zumindest ingroben Umrissen, möglichst aber genauer,beschrieben werden kann.Weiter diskutiert Siebert die Frage, welchesWissen, Wollen und Können zur Bildung ge-hört. Er macht deutlich, dass Bildung ohneWissen nichts ist. Das sogenannte „Weltwis-sen“ ist eine Kategorie, auf die es ankommt.Es gehören aber auch generative Themen imSinne existenzieller Schlüsselthemen dazu,

ebenso wie emotionale Rationalität und„Überschusswissen“, das über das rein Ver-wertbare hinausgeht. Bildung kann man ler-nen, so Siebert. Aber: Man muss sich überdie Gestaltung bildungsförderlicher Lernkul-turen Gedanken machen und deshalb überein „Reframing“ der Pädagogik nachdenken.Hiermit sind u. a. die Arbeitsformen der Bil-dungsinstitutionen wie auch eine weltan-schauliche Ausrichtung der Fachdidaktikenangesprochen. Ein differenzierter Sprachge-brauch, Geschmacksbildung, personale undsoziale Kompetenz gehören ebenso dazu wieein „Pflichtfach Anthropologie“, in dem es umdie Vision einer humanen Welt, den Sinn desLebens oder ein gelungenes Leben gehensollte. Nicht zuletzt sollten die Schlüsselqua-lifikationen Humor und Geduld eine Rollespielen. Hiermit sind unterschiedliche Ebenenvon Bildung angesprochen, die mit Sicherheitauch Widerspruch hervorrufen werden. Aberdas ist durchaus gewollt, schließlich soll undmuss es einen Verständigungsprozess zu ei-ner modernen Bildungsidee geben.Wenn Siebert abschließend über ein „Bil-dungsprofil Ökologie“ reflektiert, stellt sich dieFrage, warum er sich an der Ökologie undnicht am Leitbild der Nachhaltigkeit orientiert.Nachhaltigkeit wird in anderen Zusammen-hängen als neues Paradigma gesehen, dasentsprechende Veränderungen im Bildungs-verständnis beinhaltet. An dieser Stelle seinur an die Überlegungen von de Haan undanderen zur „Bildung für eine nachhaltigeEntwicklung“ oder an das BLK-Programm„21“ erinnert, das seit 1999 im schulischenBereich eine wichtige Rolle spielt. Erfahrun-gen gerade aus dem Modellprogramm zei-gen, dass neue Inhalte, neue Methoden undinnovative Strukturen in den Bildungsinstitu-tionen ein anderes Bildungsverständnis nachsich ziehen, das in vielen Punkten durchausmit den Überlegungen konform geht, die Sie-bert in seiner Publikation angestellt hat. Es istein sehr vielschichtiges Buch zu einer zu-kunftsfähigen Bildungsidee und einer moder-nen Bildungsgesellschaft, das nicht nur vonder Scientific Community gelesen werdensollte, sondern auch von Bildungspolitikernund -praktikern. Dass es nicht nur auf Zustim-mung stoßen wird, ist ganz im Sinne der indieser Veröffentlichung angestellten Überle-gungen. Gerd Michelsen

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Richard Stang (Hrsg.)Lernsoftware in der ErwachsenenbildungReihe: Perspektive Praxis(W. Bertelsmann Verlag) Bielefeld 2001, 160Seiten, 12.90 Euro

Richard Stang ist Herausgeber und – gemein-sam mit z. T. ehemaligen Mitarbeitern des DIE– Autor eines Aufsatzbands, der Praktikerneinen undogmatischen Zugang zu Lernsoft-ware in der Erwachsenenbildung bzw. Weiter-bildung gibt; auch Experten dürften dank derBreite der Publikation neue, interessante Hin-weise finden.In seinen Aufsätzen „Neue Medien in der Er-wachsenenbildung“ sowie „Konzeption undQualität von Lernsoftware“ führt R. Stangkompetent und kenntnisreich in seinen jewei-ligen Gegenstandsbereich ein. Er skizziert diefür die Thematik wichtigsten theoretischenBezugsrahmen und Klassifikationen, derenRelevanz für die Praxis er anschließend inseinem Aufsatz „Lernsoftware in der kulturel-len Bildung“ in Form eines kursorischenMarktüberblicks deutlich macht.Ebenfalls eine an konkreten Produkten ange-lehnte Marktübersicht stellen B. Zeidler in„Lernsoftware für das Sprachenlernen“, H.Apel in „Lernsoftware für ausgewählte Themender allgemeinen Erwachsenenbildung“ sowieG. Seppmann in „Lernsoftware in der berufli-chen Bildung“ zusammen. In ihren an die Pro-duktbeschreibungen angefügten didaktisch-methodischen Überlegungen zeigen die Auto-ren auf, welche Veränderungen für Lernen undLehren sich aus den Produkten ergeben könn-ten. Mit einem systematischeren Überblicküber Auswirkungen auf Handlungsfelder wiedidaktisches Design, Lernorganisation oderMedien-Evaluation im andragogischen Kon-text führen R. Stang und H. Apel diese Argu-mentationen anschließend zusammen.In seinem Aufsatz „Internet als Lehr- und Lern-raum“ bietet G. Seppmann einen Marktüber-blick über „Autorensysteme, Management-tools bis hin zu Weboberflächen“ (unterschlägtjedoch so wichtige didaktisch-technische Kon-zepte wie kooperatives Lernen und CSCL). S.Offenbartl ergänzt unter der Überschrift „Lern-umgebung für Erwachsenenbildner/innen“ dieÜbersichten um einen theoretischen Bezugs-rahmen und thematisiert „Lernumgebungenals Spiegel der Gesellschaft“, bevor sie aus-

führlicher die Erfahrungen des DIE mit seinemInternet-Service ESPRID diskutiert.Die Autor/innen plädieren dafür, dem im Be-reich der Neuen Medien vorherrschendentechnozentrischen Entwicklungsansatz eineAlternative gegenüberzustellen und das Ver-hältnis von Lerner und Technik mehr aus päd-agogischer Perspektive zu gestalten. Es ge-lingt ihnen gut, vor dem Praktiker ein reichhal-tiges Portfolio von Lernsoftware kenntnisreichkommentiert auszubreiten und auf zahlreicheweitere Informations-Ressourcen zu verwei-sen. Dabei wird der Begriff Lernsoftware größ-tenteils im Sinne von „nicht netzbasiert“ ausdif-ferenziert. Dies gilt auch dort, wo in Abgren-zung zu Computer Based Training (CBT) zwarauf Web Based Training (WBT) Bezug genom-men wird, das Netz dabei aber hauptsächlichals Medium für den Transport eines CBTs inAnspruch genommen wird (z.B. S.122).Für meinen Geschmack rücken im Ergebnisdie Systeme selbst wieder zu sehr in den Vor-dergrund. Die konkreten, an Systemen undKontexten orientierten wechselseitigen Imp-likationen zwischen Lernsoftware und andra-gogischer Praxis bleiben zu unbestimmt. DerBegriff Lern-Software bleibt eher einem Ver-ständnis von expositorischer Lehr-Softwarenach dem Kurs-Paradigma verhaftet: Werk-zeuge zur Kommunikations- und Kollaborati-ons-Unterstützung in Gruppenlernprozessenwerden in den Aufsätzen ebenso wenig erläu-tert wie etwa Tools zu Strukturierung, Siche-rung und Content Management von Wissenals Ergebnis von Lernprozessen.Diese Befangenheit der Gesamtkonzeptionwird auch und gerade dann erkennbar, wennin der Einleitung das Lernen im Netz als „per-spektivische Erweiterung von traditionellerLernsoftware thematisiert“ wird (S. 8). Esdrängt sich die Frage auf: Will der Herausge-ber explizit gegen die These Stellung bezie-hen, dass das Netz neue, über traditionelle-re mediale Spielräume hinausgehende didak-tische Möglichkeiten bietet?Dem Band ist ein Nachfolge-Band zu wün-schen, der „Lernsoftware“ als Werkzeug (z.B. Mindmapping-Tools, Kooperationswerk-zeuge, x-media-Datenhaltung) versteht, dasEinzelne und (Klein-)Gruppen in ihrer eigen-aktiven, kooperativen Auseinandersetzungmit vielfältigen Wissensbereichen unterstützt.

Johannes Busse

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Richard Stang/Achim Puhl (Hrsg.)Bibliotheken und lebenslanges LernenLernarrangements in Bildungs- und Kulturein-richtungen(W. Bertelsmann Verlag) Bielefeld 2001, 205Seiten, 13.90 Euro

In regionalen „Bildungsportalen“, die verschie-dene Weiterbildungs- und Kultureinrichtungenmiteinander vernetzen, sehen Richard Stangund Achim Puhl Potenziale für das Lernen inder Wissensgesellschaft. In der als Sammel-band angelegten Publikation wird die Rollevon Bibliotheken innerhalb von Bildungsporta-len in den Mittelpunkt der Betrachtungen ge-stellt. Im Besonderen erfolgt die Beschäfti-gung mit der Stadtbücherei Stuttgart. Die bibli-otheksbetreffenden Überlegungen und Unter-suchungsergebnisse werden von übergreifen-den Texten zu zukünftigen Lernarrangementseingeleitet. Sie werden wiederum im abschlie-ßenden Teil des Buches in einen breiterenRahmen von Bildungs- und Kultureinrichtun-gen sowie von informellen Lernprozessen ge-stellt. So gliedert sich die Publikation in vierHauptteile: „Lernzugänge und Lernarrange-ments“, „Bibliotheken als Lernorte“, „Stadtbü-cherei Stuttgart – Begleitung von Innovations-prozessen“ und „Neue Perspektiven in Kultur-und Weiterbildungseinrichtungen“.Die einzelnen Beiträge sind notwendigenUmorientierungsprozessen in der Bildungs-und Kulturarbeit verpflichtet. In dem Kapitelüber „Bibliotheken als Lernorte“ stellt etwaKonrad Umlauf Aufgaben der Bibliothek alsInformations- und Kommunikationszentrum,Lernort, Spielort und Begegnungsstätte ne-beneinander. Beispiele verdeutlichen, dassmancherorts bereits eine Verschränkung die-ser Lern- und Erfahrungszugänge umgesetztist. Aus skandinavischer Sicht schildert BrigitteKühne ein ebenfalls im Umbruch begriffenesBibliothekssystem: Durch gekürzte Etats sei-en Bibliotheken gezwungen, ihre Arbeit zuneh-mend auf den „Kunden“ zu orientieren. UlrikeMüller kommentiert eine Literatur- und Projekt-recherche über die Rolle von Bibliotheken imProzess des lebenslangen Lernens: Die imInternet veröffentlichte Recherche könnte diebibliothekarische sowie die erwachsenenpäd-agogische Fachöffentlichkeit bei der Suchenach Ideen und Ansprechpartnern unterstüt-zen. Unter der Kapitelüberschrift „Stadtbüche-

rei Stuttgart – Begleitung von Innovationspro-zessen“ beschäftigt sich Hannelore Jouly mitdem Zukunftsprojekt der Stadtbücherei Stutt-gart „Bibliothek 21“: Im Projekt zu verwirkli-chende Merkmale sollten die Verknüpfung vonLiteratur und Kunst, die Einbindung von Be-gegnung und Erlebnis oder die Einführung vonÖffnungszeiten rund um die Uhr sein. AchimPuhl und Richard Stang liefern Ergebnissevon Besucherbefragungen in der Stadtbüche-rei, die als Basis für die Entwicklung neuerAngebote verwendet werden sollen. Leiderbieten sie im Rahmen dieser Publikation kei-ne Informationen über die Konstruktion undAuswertung der Befragungen.Im Schlusskapitel über „Neue Perspektiven inKultur- und Weiterbildungseinrichtungen“ be-leuchten Heidi Behrens, Paul Ciupke undNorbert Reichling funktionale Annäherungenvon Bildungs- und Kulturinstitutionen. Gün-ther Dohmen nimmt schließlich informelleLernprozesse in den Blick, die noch stärkerals eigene Lernform zu erschließen und er-wachsenenpädagogisch zu unterstützen sei-en, nur so könne die Idee des lebenslangenLernens auch für bildungsferne Bevölke-rungsgruppen umgesetzt werden. Im Rah-men eines neuen Lernservice seien ganzheit-liche Weiterbildungsansätze unter der Verbin-dung von rationaler und emotionaler Akzen-tuierung zu initiieren.In dem Buch wird vor dem Hintergrund dergesellschaftlichen Leitidee des lebenslangenLernens die Öffnung von Lernformen in Rich-tung eines Erlebens erörtert. Die Auseinan-dersetzungen beziehen historische Verweiseund Anknüpfungen an generelle wissen-schaftliche Diskurse zu den behandelten The-menaspekten ein. Die Thematik entfaltet sichjedoch in erster Linie in der Sammlung undanschaulichen Beschreibung von konkretennationalen und internationalen innovativenBildungsprojekten. In der Projektschilderung„Bibliothek im Garten“ (S. 130f.) wird z. B. einEindruck über neuartige räumliche Inszenie-rungen von Lesemöglichkeiten in der Stadt-bücherei Stuttgart vermittelt. Erwachsenenbil-dungswissenschaftler finden in der Publika-tion eine Reihe von interessanten Aspekten.Im Wesentlichen bietet sie aber wertvolle An-regungen für Bibliotheken, die auf der Suchenach neuen Lernarrangements sind.

Ute Holm

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Burkhard Strob (Hrsg.)Vereintes LernenRegionale Lernkulturen und Vereinsland-schaften in den alten und neuen Bundeslän-dern(Waxmann Verlag) Münster u. a. 2001, 182Seiten, 19.50 Euro

Der vorliegende Sammelband basiert auf ei-ner Vorlesungsreihe der Sommer-UniversitätMünster zu dem Thema „Vereintes Lernen inder Region – Regionale Lernkulturen undVereinslandschaften“. Der Titel ist bewusstmehrdeutig: Vereintes Lernen ist gemeinsa-mes, soziales Lernen, aber auch Lernen inVereinen. Verschränkt werden sportpädago-gische, organisationssoziologische und er-wachsenenpädagogische Perspektiven. DieVeröffentlichung enthält Beiträge zur aktuel-len Diskussion über lernende Regionen, neueLernkulturen und informelles Lernen in sozi-alen Feldern. Insbesondere das Lernen undder Kompetenzerwerb in Vereinen sind in derLiteratur zur Erwachsenenbildung bisher ver-nachlässigt worden.So sind die qualitativen Studien von VolkerOshege über „Lernpotenziale in freiwilligenVereinigungen“ und von Dieter Jütting über„Vereine als sozialer Reichtum“ auf Grund derempirischen Befunde aufschlussreich. Jüttingunterscheidet drei Funktionen der Vereine,die er als Integrationstheorem, als Produkti-onstheorem („Humankapital“) und als De-mokratietheorem bezeichnet.Johannes Weinberg erörtert Aspekte der„Kompetenzentwicklung in regionalen Lern-kulturen“, wobei er sich auf das LisU-Projekt(„Lernen im sozialen Umfeld“) in den neuenBundesländern bezieht. John Erpenbeck be-schreibt den „Mentalitätswandel im vereintenDeutschland“. Er interpretiert empirische Be-funde über Mentalitätsunterschiede und -brü-che. Theoretisch bezieht er sich auf synerge-tische Modelle der Chaostheorie, die „Werteals Ordner von sozialer Selbstorganisation“beschreiben. (S. 172).Konrad Elsdon berichtet über eigene Lerner-fahrungen aus Vereinen sowie über 31 Fall-studien. Neil van Bentem gibt einen Überblicküber den „Dritten Sektor“ zwischen Staat undMarkt und über den Stand der Vereinsfor-schung. Marcus Flachmeyer stellt die „inter-mediäre Tätigkeit“ des „Netzwerks regionale

Lernkultur Bocholt-Borken-Winterswijk“ dar.Heinz Moser erörtert regionale Bildungsange-bote vor dem Hintergrund von Globalisie-rungs- und Partikularisierungstendenzen.Harald Kahlenberg beschäftigt sich mit denMöglichkeiten des Internet als „Medium regi-onaler Lernkultur“, insbesondere mit einemProjekt „Frauen fördern Frauen“. BurkhardStrobs Beitrag lautet „Lernen in der Wissens-gesellschaft – zwischen Euphorie und Panik“.Lesenswert ist unter anderem seine An-merkung über die Etymologie des Wortes„wissen“ (S. 135). Walter Tokarski schildert„neue Herausforderungen für Sport undSportwissenschaft“ angesichts des gesell-schaftlichen Wandels.“ H. S.

Thiedeke, Udo (Hrsg.)Bildung im CyberspaceVom Grafik-Design zum künstlerischen Arbei-ten in Netzen. Entwicklung und Erprobungeines Weiterbildungskonzepts. Projektband 1(Westdeutscher Verlag) Wiesbaden 2000,242 Seiten und 1 CD-ROM, 33.00 EuroKreativität im CyberspaceErfahrungen und Ergebnisse im Projekt „VomGrafik-Design zum künstlerischen Arbeiten inNetzen“. Projektband 2(Westdeutscher Verlag) Wiesbaden 2000,282 Seiten, 27.00 Euro

Die Frage, ob und wie die Arbeit am Compu-ter Bildungsprozesse im Bereich des künst-lerisch-kreativen Gestaltens auslösen undfördern kann, steht im Mittelpunkt dieser bei-den Bände zum Modellprojekt „Vom Grafik-Design zum künstlerischen Arbeiten in Net-zen“. Dieses innovative und einzigartige Pro-jekt wurde über drei Jahre hinweg am Deut-schen Institut für Erwachsenenbildung durch-geführt. Grundidee war, dass innerhalb vonErwachsenenbildungskursen zeitlich parallelin vier verschiedenen deutschen Städten di-gitale Bildbearbeitung gelehrt und ausgeführtwurde. Die Arbeitsergebnisse stellte man sichgegenseitig und ‚world wide’ im Internet aufder Plattform „http://www.cyberscape.de“ vor.In einem passwordgeschützten Bereich konn-te auch schriftlich miteinander kommuniziertwerden.Der erste Band beschäftigt sich vor allem mitden rahmengebenden und konzeptionellen

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Vorannahmen des Projekts. Im Buch werdenbildnerische Ergebnisse reproduziert, auf derbeiliegenden CD-ROM sind alle Arbeiten derTeilnehmenden dokumentiert. Besonders be-eindruckend ist der interaktiv konzipierte Aus-stellungsraum, in dem ein Teil der Kursarbei-ten zu betrachten und virtuell zu umschreitenist.Der zum Projektende vorgelegte Auswer-tungsband (Band 2) ist noch praxisnäher undzugleich wissenschaftlich konzipiert, indemunterschiedliche Evaluationsansätze an dasProjekt angelegt werden. Hierbei handelt essich sowohl um quantitativ-statistische alsauch um qualitativ-hermeneutische Studien.Für diese Außendarstellung des Projekts wer-den nicht nur die positiven Ergebnisse vorge-stellt, sondern auch die Konfliktsituationen,Dissonanzen und Schwierigkeiten teils sehrschonungslos aufgearbeitet. Äußerst auf-schlussreich ist eine „Handreichung“ für Kurs-angebote in der Kulturellen Bildung, in der dieErfahrungen und Ergebnisse des Modellpro-jekts u. a. didaktisch sowie bezogen auf dietechnische Ausstattung praxisorientiert undübersichtlich dargestellt werden. Abgerundetwird das Buch von einem Glossar mit denwichtigsten Begriffen zum Thema und einemSachregister.Als Ergebnis stellt der Herausgeber fest, dass„Kreativität im Cyberspace“ möglich sei; ge-nauer gesagt, „es ist möglich, die Entwicklungkreativer Medienkompetenz zu neuen Medi-en mit den Mitteln und Inhalten kulturellerWeiterbildung zu fördern“ (Bd. 2, S. 22). Die-se Aussage ist bei der Lektüre überzeugendnachvollziehbar. Georg Peez

Anja WagnerLernen mit neuen MedienEin Beitrag zur Flexibilisierung der Weiterbil-dung in Unternehmen.(Rainer Hampp Verlag) München, Mering2001, 240 Seiten, 27.20 Euro

Im Zentrum dieser Arbeit stehen die Untersu-chung der Möglichkeiten und Grenzen vonmultimedialen Lernformen zu Flexibilisierungund Ökonomisierung der Weiterbildung inUnternehmen sowie die Frage, welchen Bei-trag neue Medien zur Unterstützung innova-tiver Lernprozesse leisten können. Ausge-

hend von der Betrachtung makroökonomi-scher Entwicklungen (Globalisierung derWirtschaft, Immaterialisierung der Produktionund Technikentwicklung) formuliert Wagnerdie Hypothese, „dass der gegenwärtigeWandlungsprozess der Wirtschaft mit einerAufwertung von humanen Ressourcen als diewesentlichen Träger von Wissen in veränder-ten, stärker wissensbasierten Wertschöp-fungsprozessen einhergeht“ (S. 11), und sieuntersucht unterschiedliche Nutzungskon-zepte multimedialer und telematischer Lern-formen auf individueller, kollektiver und orga-nisationaler Ebene und zeigt deren Potenzi-al für die Weiterbildung in Unternehmen auf.In ihrer Analyse bezieht die Autorin Ansätzedes Human-Ressource-Management ein,wertet die Daten empirischer Weiterbildungs-studien aus und beschreibt das Verhältnis von„Neuen Medien und Lernen“ unter verschiede-nen Perspektiven (u. a. Klassifikation derLernformen, Nutzungskonzepte auf individuel-ler und kollektiver Ebene). Um „den Zusam-menhang zwischen multimedialen IuK-Tech-nologien und der Organisation von Lernpro-zessen nicht nur als technologisch determi-niert, sondern zugleich als sozial konstruiertzu betrachten“ (S. 82), nutzt die Autorin dasauf den Arbeiten von Giddens basierendeStrukturationsmodell der Technologie von Or-likowski. Damit öffnet sie den Blick für den Zu-sammenhang von Technik, Akteuren und Or-ganisation bei der Nutzung multimedialer IuK-Technologien für betriebliche Lernprozesse.Der differenzierte Blick auf die unterschiedli-chen Dimensionen der Neuen Medien, wie z.B. auf die Interaktion mit der Technologie undauf die technisch vermittelte Kommunikationbzw. Kooperation, bildet die Basis für eineumfassende Darstellung des derzeitigen Ent-wicklungstandes im Kontext von Neuen Me-dien und Lernen. Vor diesem Hintergrundmacht die Autorin deutlich, dass die Potenzi-ale spezifischer multimedialer Lernformeneng mit dem zu vermittelnden Lerninhalt inVerbindung stehen. So weist sie z. B. daraufhin, dass sich Sozialkompetenz medienba-siert nur in kooperativen Lernformen entwi-ckeln lässt und nicht mit Hilfe von CBTs (S.177ff.); allerdings hält sie nach wie vor Prä-senzschulungen zum grundlegenden Aufbauvon kommunikativen Kompetenzen für be-sonders geeignet (S. 180).

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Die Analyse der Potenziale unterschiedlichermedialer Präsentationsformen unter didakti-schen und lernpsychologischen Gesichts-punkten macht die Optionen des EinsatzesNeuer Medien zur Unterstützung von Lern-prozessen deutlich. Auf der Basis der Er-kenntnisse aus unterschiedlichen Disziplinengelingt mit dieser Untersuchung der Spagatzwischen wissenschaftlicher Analyse und derGenerierung von Anhaltspunkten für die ziel-gerichtete Planung von mediengestütztenWeiterbildungsprozessen in Unternehmen.Die Arbeit bietet einen guten Überblick überdie technischen und konzeptionellen Dimen-sionen neuer mediengestützter Lernformen(in Unternehmen). Positiv hervorzuheben istdabei, dass die Autorin deutlich macht, dasses keine „One best way“-Lösungen gibt, son-dern immer das Wechselspiel von Technik,Akteuren und Organisation bei der Bewertungdes Einsatzes Neuer Medien zu berücksich-tigen ist. Einen solch differenzierten Blick aufdie Möglichkeiten und Grenzen des EinsatzesNeuer Medien im Kontext von Lernprozessen,wie er in dieser Arbeit präsentiert wird, wür-de man sich öfter wünschen.

Richard Stang

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Autorinnen und Autoren der Beiträge

Dr. Rolf Arnold, Professor für Berufs- und Weiterbildung an der Universität Kai-serslautern

Dr. Rainer Brödel, Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Münster

Dr. Günther Dohmen, em. Professor für Erwachsenenbildung/Weiterbildung an derUniversität Tübingen

Dr. Peter Faulstich, Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Ham-burg

Dr. Karlheinz A. Geißler, Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität derBundeswehr, München

PD Dr. Christiane Hof, wissenschaftliche Assistentin in der Fakultät für Pädagogikder Universität der Bundeswehr, München

Dr. Jochen Kade, Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Frankfurt/M.

Dr. Erhard Meueler, Professor für Pädagogik an der Universität Mainz

Dr. Frank Michael Orthey, Trainer und Berater in der beruflichen Weiterbildung,Lehrbeauftragter an den Universitäten Innsbruck und München

Dr. Wolfgang Seitter, Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Mar-burg

Dr. Rudolf Tippelt, Professor für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung ander Universität München

Autorinnen und Autoren der Rezensionen

Dr. Heino Apel, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Institut für Erwachse-nenbildung in Frankfurt/M.

Dr. Rolf Arnold, Professor für Berufs- und Weiterbildung an der Universität Kai-serslautern

Dr. Gerhard Breloer, em. Professor für Erwachsenenbildung und AußerschulischeJugendbildung an der Universität Münster

Dr. Rainer Brödel, Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Münster

Dr. Karin Büchter, wissenschaftliche Assistentin im Institut für Berufs- und Wirt-schaftspädagogik der Universität Hamburg

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Dr. Johannes Busse, wissenschaftlicher Assistent im ErziehungswissenschaftlichenSeminar der Universität Heidelberg

Cordula Edler, Dipl. Soz. Päd., in(p)but - integrative Beratung und Unterstützung,Zell z. A.

Dr. Peter Faulstich, Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Ham-burg

Dr. Hannelore Faulstich-Wieland, Professorin für Erziehungswissenschaft an derUniversität Hamburg

Dr. Andreas Fischer, Mitarbeiter in der Koordinationsstelle für Weiterbildung derUniversität Bern

Dr. Dieter Gnahs, Leiter des Arbeitsbereiches Arbeitsmarkt, Aus- und Weiterbil-dung im Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung der UniversitätHannover

Dr. Anke Hanft, Professorin für Weiterbildung und Erwachsenenbildung an derUniversität Oldenburg, Wissenschaftliche Leiterin des Schulenberg Instituts fürBildungsforschung und Erwachsenenbildung

Dr. Ute Holm, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Erwachsenenbildung der UniversitätJena

PD Dr. Klaus Peter Hufer, Fachbereichsleiter der Kreisvolkshochschule Viersenund Privatdozent an der Universität Essen

Dr. Ulrich Klemm, Fachbereichsleiter an der Ulmer Volkshochschule, Lehrbeauf-tragter für Erwachsenenbildung an der Universität Ulm

Dr. Joachim H. Knoll, em. Professor für Erwachsenenbildung und außerschulischeJugendbildung an der Universität Bochum

Bettina Lemke, Studentin der Erwachsenenbildung an der Universität Hannover

Dr. Werner Lenz, Professor für Weiterbildung im Institut für Erziehungs- und Bil-dungswissenschaften an der Universität Graz

Dr. Gerd Michelsen, Professor im Institut für Umweltkommunikation an der Univer-sität Lüneburg

Dr. Henning Pätzold, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Pädagogik derUniversität Kaiserslautern

PD Dr. Georg Peez, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Kunstpädagogikan der Universität Frankfurt/M.

Dr. Ernst Prokop, em. Professor für Erwachsenenbildung/Außerschulische Jugend-bildung an der Universität Regensburg

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Dr. Michael Schemmann, wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Erwachse-nenbildung an der Ruhr-Universität Bochum

Dr. Monika Schmidt, Hochschuldozentin für Erwachsenenbildung an der Universi-tät Hannover

Dr. Ingeborg Schüßler, wissenschaftliche Assistentin im Fachgebiet Pädagogik derUniversität Kaiserslautern

Uwe R. Schwab, Weiterbildungsreferent an der Schule für Stabsdienst der Bun-deswehr in Sonthofen

Dr. Wolfgang Seitter, Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Mar-burg

Dr. Horst Siebert, Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Hannover

Richard Stang, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Institut für Erwachse-nenbildung in Frankfurt/M.

Dr. Johannes Weinberg, em. Professor für Erwachsenenbildung an der UniversitätMünster

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REPORT Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung 25. Jahrgang Heft 49/2002: Kompetenzentwicklung statt Bildungsziele? Online im Internet: URL: http://www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-2002/nuissl02_02.pdf


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