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Agg ression von Udo Rauchfleisch
aggression - agressivite
1. Definition
Unter Aggression verstehen wir eine demMenschen (wie dem Tier) eigene Dynamikdes Herangehens (i.S. des ad-gredi), was soverschiedene Phänomene umfaßt wie Interesse, Selbstbehauptung, Abgrenzung, Verteidigung und Schädigung anderer. Tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten bestehen hinsichtlich der Frage, ob es eine primär konstruktive, für das Individuum und seine Umgebung hilfreiche Kraft ist, deren Förderungund Ausdifferenzierung es anzuregen gilt,
oder ob Aggression ein destruktives, deneinzelnen wie die Gesellschaft zerstörendesPotential darstellt, das durch Erziehung undsoziale Regeln zurückgebunden, in ungefährliche Bahnen geleitet und - bestenfalls in sozial nützliche Formen transformiertwerden muß. Uneinigkeit besteht auch imHinblick auf die Frage, ob Gewalttätigkeitetwas Primäres i.S. eines angeborenen Triebes ist, oder ob diese destruktiven Äußerungen von Aggression sekundäre Phänomene,Folgen fehlgeleiteter Sozialisation und damitHinweis auf pathologische Prozesse sind.
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2. Klassische Auffassung
Freud hat sich in verschiedenen Zusammenhängen mit dem Thema der Aggression beschäftigt. Die bedeutendste Rolle spielt dieses Konzept in der Schrift "Jenseits desLustprinzips" (1920g). Hier schildert Freuddie Aggression als Ausdruck des Todestriebes, als zur primären Ausstattung des Menschen gehörenden Trieb. Es ist eine destruktive Kraft, die im Zusammenhang steht mitden Phänomenen des Hasses, des Masochismus, der Selbstzerstörung und der primärenFeindseligkeit der Menschen gegeneinanderund gegen die Kultur (Freud 1930a). DemEros, dem mit Libido arbeitenden Lebenstrieb, stellt Freud den Thanatos, den Todestrieb, gegenüber, dessen Energie die Aggression bilde. Der Todestrieb wird als eineKraft geschildert, welche "die Rückkehr zueinem früheren Zustand anstrebt", nämlichzum "Zustand der anorganischen Stabilität" (Freud 1940a).
Freud vertritt die Ansicht, Eros undThanatos wirkten in allem Lebendigen bishin in die einzelne Zelle. Daraus resultiere,daß neben der Tendenz zum Leben, zur Entwicklung und Fortpflanzung, alles Lebendige zugleich auch danach strebe, "aus inneren Ursachen zu sterben" (Freud 1940a).Der Todestrieb richtet sich, so Freud, zumeinen gegen den Organismus selbst und istinsofern ein selbstzerstörerischer Trieb; zumanderen wendet er sich aber auch nach außen und tendiert in diesem Fall dazu, andere Menschen zu zerstören.
3. Ideengeschichtlicher Hintergrund
Die Frage nach dem Wesen und den Entstehungsbedingungen der Aggression hat dieMenschen seit Urzeiten bewegt und ist inden verschiedenen religiösen und philosophischen Systemen auf unterschiedlicheWeise beantwortet worden. Während sie infrüheren Jahrhunderten z.T. als Ausdruckdämonischer Kräfte verstanden wurde,wurde sie unter dem Einfluß einer naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise zu einemder Forschungsgegenstände der Humanwis-
senschaften. Besondere Aktualität erhieltdie Auseinandersetzung mit dem Problemder menschlichen Destruktivität durch die
Ereignisse des Ersten Weltkriegs. Dies war,neben der Erfahrung der eigenen Krebserkrankung und des ihn tief treffendenplötzlichen Todes seiner geliebten Tochter Sophie, auch für Freud der Anlaß,sich intensiver mit der Frage nach den Entstehungsbedingungen und Manifestationendes Aggressionstriebes auseinanderzusetzen.
4. Wesentliche Erweiterungen, Differen-zierungen und Modifikationen
Die Todestriebtheorie ist - auch in der klassischen Psychoanalyse - keineswegs unumstritten. Anna Freud (1972) hat in einernachdenklichen Bilanz des 1971 in Wienabgehaltenen Kongresses der InternationalPsychoanalytic Association darauf hingewiesen, daß die Einführung der dualistischen Triebtheorie (Eros - Thanatos) durchihren Vater in den zwanziger Jahren die psychoanalytische Welt in zwei Fraktionen gespalten habe: Die einen traten erbittert gegen den Todestrieb, die anderen traten äußerst entschieden für ihn ein. Weitgehendbeibehalten wird heute, wie Green (1987)ausführt, das Todestriebkonzept vor allemvon einer Reihe französischer Psychoanalytiker. Auch Melanie Klein (siehe unten) hatdiese Freudschen Gedanken beibehalten, sieaber durch die Objektbeziehungstheorie ergänzt. Hingegen haben andere Objektbeziehungstheoretiker wie Fairbairn (1952) undGuntrip (1968), aber auch Vertreter derpsychoanalytischen Ich-Psychologie das Todestriebkonzept radikal verworfen. Limentani (1990) kommt in einem Übersichtsartikel zu dem Schluß, "daß wir auf das Konzept des Todestriebes sehr wohl verzichtenkönnen, auch ohne den Preis der Verleugnung des Todes zahlen zu müssen, ... dasKonzept des Todestriebes schafft mehr Probleme als es löst. Ich glaube, wir können einige der schrecklichsten und manchmal unvorstellbaren Ängste erklären, die sowohlKinder als auch Erwachsene befallen kön-
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nen, wenn wir die primitiven, ursprünglichen Ängste vor dem Verlust des Selbst anerkennen, die mit ausgesprochen katastrophalen Gefühlen verbundenen Ängste vorFragmentierung und Vernichtung, die ausder ersten Trennung vom Primärobjekt herrühren". Auch andere Autoren haben zumeinen kritisiert, daß der Begriff "Todestrieb" unannehmbar sei, und zum anderendarauf verwiesen, daß die von Freud angeführten klinischen Fakten auch ohne Zuhilfenahme des Todestriebes erklärt werdenkönnen (s. Laplanche und Pontalis 1972).
5. Die Bedeutung des Begriffs in denverschiedenen psychoanalytischenSchul richtungen
Nach Melanie Kleins Auffassung sind Lebens- und Todestriebe von Geburt an imMenschen wirksam und finden ihren Ausdruck in entsprechenden Phantasien. Sodrücke sich orale Aggression des Kindes beispielsweise in seinen sadistischen oralenPhantasien aus, sich den Inhalt des Mutterleibes (d.h. die Objekte der Außenwelt überhaupt) anzueignen, einzuverleiben und mitSadismus zu zerstören. Dabei spielt der primäre Sadismus des Kindes für Klein einewesentliche Rolle, da er eine zentrale Bedeutung für die Fähigkeit zur Introjektion darstelle, d.h. eine Voraussetzung für den Aufbau innerer Bilder von wichtigen Bezugspersonen seI.
Indem aggressive und libidinöse Triebeund Phantasien auf die frühen Bezugspersonen projiziert und dann wieder introjiziertwerden, entstehen im Kind innere Bilder, diestark von den eigenen Trieben bestimmtsind - und dies ist neben der Libido die nachKleins Konzept sich primär durch einedestruktive Qualität auszeichnende Aggression. "Das Kind projiziert seine Liebesregungen und schreibt sie der befriedigenden(guten) Brust zu, ebenso wie es seine destruktiven Impulse, die es nach außen projiziert, der versagenden (bösen) Brust zuschreibt. Gleichzeitig werden durch Introjektion eine gute und eine böse Brust imInneren aufgebaut. So ist das Bild des äußeren und inneren Objektes in der kindlichen
Seele durch seine Phantasien, die mit derProjektion seiner Triebregungen auf dasObjekt verbunden sind, verzerrt" (Klein1972).
Nach der "paranoid-schizoiden Position" der frühesten Entwicklungsphase erreicht das Kind in seiner Entwicklung die"depressive Position", in der es ganzheitliche Bilder seiner Bezugspersonen wahrzunehmen vermag und in der es ihm gelingt,Gefühle von Schmerz und Trauer über denVerlust des nur guten Liebesobjekts zu empfinden und "das durch seinen Sadismus undinsbesondere durch seinen Kannibalismusangerichtete Unheil zu ermessen und darunter zu leiden" (Klein 1972). Das Kind istnun fähig geworden, die aggressiv-destruktiven Impulse, deren es sich zuvor durchProjektion auf Objekte der Außenwelt zuentledigen versucht hat und von denen essich dann wiederum verfolgt fühlte, als ausseinem eigenen Innern stammend zu erkennen und damit Verantwortung dafür zuübernehmen.
In seinem ich-psychologischen Konzeptpostuliert Hartmann (1972) neben libidinösen und aggressiv-destruktiven Energieneine primär neutrale Ich-Energie. Die Differenzierung wichtiger Ich-Funktionen ermöglicht den Verzicht auf unmittelbareTriebbefriedigung. Zugleich erweitern sichdie "konfliktfreien Sphären" im Ich, und eskommt zu "Funktionswechseln ", indem dasstark durch die Polarität von Libido undAggression geprägte Erleben der frühenKindheit durch ein weniger triebbestimmtesFühlen und Handeln abgelöst wird. UnterAblehnung der von Hartmann postuliertendrei Energiearten unterscheiden Autorenwie Winnicott (1950), Greenacre (1960),Spitz (1965) und andere zwischen zwei vonAnfang an im Aggressionstrieb bestehendenAspekten, einem konstruktiven und einemdestruktiven, die miteinander koexistieren.Ähnlich argumentiert Parens (1979, 1989),der zwar postuliert, daß Feindseligkeit inder frühen Kindheit niemals spontan, sondern nur als Reaktion auf Unlust in Erscheinung trete, sie aber trotzdem weiterhin alsprimär und als Ausdruck eines Triebes betrachtet. Außerdem geht Parens von einem
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Aggressionstrieb aus, der von Anfang anzwei Arten von Energie, eine destruktiveund eine nicht-destruktive, umfaßt.
Im Gegensatz zu diesen vom psychoanalytischen Triebmodell ausgehenden Konzepten hat Kohut (1973, 1979) im Rahmen seiner Selbst-Psychologie die Ansicht vertreten, daß das Kleinkind im Prozeß derWahrnehmung der Mutter als eigenständiges, von ihm getrenntes Wesen eine primäre,nicht-destruktive Aggression einsetzt, welche die Funktion der Abgrenzung und damitdie Etablierung eines Identitätsgefühls erfüllt. Werden die lebensnotwendigen narzißtischen Bedürfnisse jedoch permanentund in traumatischer Weise frustriert, soentsteht eine chronisch-narzißtische Wut,eine destruktive Form von Aggression. Siestellt nach Kohut ein Desintegrationsprodukt dar und ist Ausdruck von Narben früher Repression, die zu "unbewußt panikartiger Angst vor einem Mehr an Lust, vor einem Anspruch auf Glück (geführt haben),den man in sich selbst unter Schmerzen begraben mußte" (Eisenberg 1989).
Eine der umfangreichsten und sorgfältigsten Analysen der menschlichen Aggression und Destruktivität, ihrer Quellen undErscheinungsformen, stammt von ErichFromm (1977). Er unterscheidet zwischeneiner biologisch adaptiven, der Verteidigungvitaler Interessen und damit dem Leben dienenden, phylogenetisch programmiertengutartigen Aggression und einer biologischnicht-adaptiven, sondern schädlichen, sozial zerstörerisch wirkenden bösartigen Aggression, der Destruktivität und der Nekrophilie.
Die gutartige Form ist eine Mensch wieTier eigene Kraft, die reaktiv und defensivist und darauf abzielt, die Bedrohung zu beseitigen. Die bösartige Form hingegen dientnicht der Verteidigung gegen eine Bedrohung, sondern ist eine vom handelnden Individuum lustvoll erlebte Grausamkeit umihrer selbst willen. Sie stellt zwar keinendem Menschen angeborenen Instinkt dar, istaber nach Fromms Auffassung ein in denBedingungen der menschlichen Existenzselbst verwurzeltes Gewaltpotential. Ersieht in der Destruktivität letztlich "das Er-
gebnis der Interaktion verschiedener sozialer Bedingungen mit den existentiellen Bedürfnissen des Menschen". Als Gründe für
derartige Fehlentwicklungen sieht Frommdie im Verlauf der Phylogenese ständig abnehmende Determinierung des Verhaltensdurch Instinkte und die in der Evolution zubeobachtende Tendenz des Wachstums desNeocortex. Dadurch komme es beim Menschen zu einer zentralen existentiellen Ver
unsicherung, zu einer für ihn spezifischen,in seinem Wesen verankerten Antinomie.Dieser existentielle Konflikt erzeuge imMenschen bestimmte "existentielle Bedürfnisse"; Orientierung und Devotion, Verwurzelung, das Bestreben, etwas zu bewirken, sowie Erregung und Stimulation. Jedesdieser existentiellen Bedürfnisse kann aufverschiedene Art, durch die "Leidenschaften", befriedigt werden: durch Liebe, Zärtlichkeit, Streben nach Gerechtigkeit, Unabhängigkeit und Wahrheit, aber auch durchHaß, Sadismus, Masochismus und Destruktivität.
Zu Charakterbildungen mit einem großen Ausmaß an Destruktivität kommt esnach Fromm durch das Zusammenwirkenverschiedener individueller und gesellschaftlicher Faktoren. Lebensgeschichtliche Ursachen sind vor allem Bedingungen, die demKind Gefühle von Leere und Ohnmacht vermitteln, eine Atmosphäre von Stumpfheitund Freudlosigkeit schaffen und das Kindinnerlich "erfrieren" lassen. Die gesellschaftlichen Bedingungen, welche die Entwicklung des Sadismus fördern, siehtFromm vor allem in einer Sozietät, die aufausbeuterischer Herrschaft beruht sowieUnabhängigkeit, Integrität, kritisches Denken und Produktivität ihrer Mitgliederhemmt.
Die psychoanalytischen Konzepte gehenvon einer primären Aggression des Menschen aus, die konstruktive wie destruktiveAspekte umfaßt, wobei letztere vor allemunter dem Einfluß traumatisch erlebterfrühkindlicher Beziehungserfahrungen entstehen. Die destruktive Aggression stellt fürsie im Sinne von Fromm und Kohut einDesintegrationsprodukt dar und äußert sichin selbst- wie fremdzerstörerischer Weise.
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Ob es zur Ausbildung einer konstruktiven oder einer destruktiven Aggressionkommt, hängt wesentlich von den Beziehungserfahrungen des Individuums, von seiner kh- und Überich-Entwicklung sowievon der Stabilität seines Selbstwertsystemsab (Rauchfleisch 1996).
6. Interdisziplinäre Beiträge
Wichtige Anregungen kommen vor allemvon der modernen Säuglingsforschung(Stechler 1987, 1990, Lichtenberg 1989).Nach ihren Befunden liegt der Neugier undden explorativen Fähigkeiten des Säuglingskein Aggressionstrieb konstruktiver Qualität zugrunde, sondern diese biopsychologisch fundierten Aktivitäten werden alsManifestationen eines selbstbehauptenden(assertiven) Motivationssystems verstanden. Ebenso stellt nach Auffassung derSäuglingsforscher die reaktive Aggression,das heißt die Mobilisierung von Ärger undFeindseligkeit als Antwort auf eine tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung, keintriebhaftes Geschehen dar, sondern sei Ausdruck eines normalerweise latenten, nur unter bestimmten Bedingungen (z.B. ständigeHemmung von Selbstbehauptung) aktivierten aversiven (Lichten berg) oder aggressiven (Stechler) Subsystems. Erweiterungender psychoanalytischen Konzepte ergebensich ferner durch die Befunde der sozial-kognitiven Theorie (Berkowitz 1962, 1969,Bandura 1979). Diese Konzepte weisen darauf hin, daß aggressives Verhalten durch Belohnung und Erfolg sowie durch Beobachtung und Nachahmung von Vorbildern gelernt wird.
Bezieht man die Resultate anderer Fach
richtungen, insbesondere die der Säuglingsforschung, in die psychoanalytische Betrachtung ein, so ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen ist die Triebtheorie derAggression als nicht länger haltbar aufzugeben; zum anderen ist der psychoanalytischeAggressionsbegriff entweder so stark zu erweitern, daß er konstruktive wie destruktiveManifestationen in sich vereint, oder es istvon zwei unterschiedlichen Motivationssy-
sternen, einem der Selbstbehauptung dienenden und einem reaktiv-aggressiven, auszugehen, wobei gerade beim letzteren Lernprozesse eine wichtige Rolle spielen.
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Affekt, Emotion, Gefühl von RainerKrause
affect, emotion, feeling - affect, emotion, sentiment
1. Definitionsversuche im klassischenUmfeld
In der psychoanalytischen Literatur werdendie Begriffe nicht einheitlich gebraucht. Unter "Gefühle" findet man im Gesamtregistervon Freuds Werken auch Abscheu, Affekte,
Angst, Gemütsbewegungen, Schmerz, Stimmung, Trauer; usw. (Freud 1968). Aus heutiger Sicht würde man zumindest Schmerzund Stimmung nicht unter Gefühl einordnen. Der Begriff Emotion wurde kaum benutzt. Trotz der hohen klinischen Relevanzist es nie gelungen, eine klinisch und wissen-
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schaftlich befriedigende Definition undTheorie der Affekte aufzustellen (Shapiround Emde 1992). Die wesentlichen theoretischen und klinischen Überlegungen wurden am Angstaffekt entwickelt, so daß diemeisten postfreudianischen Autoren, diesich später zur Affekttheorie Freuds äußerten, eigentlich über dessen Angsttheorieschreiben. Dieser Logik folgend teilteGreen (1973) Freuds Entwicklung in vier,Compton (1972) in fünf Phasen ein. Spezzano (1993) beschreibt drei aufeinanderfolgende Theoriegruppen. Andere Autorensind der Meinung, es habe immer mehrerekonkurrierende Vorstellungen über den Affekt in Freuds und späteren psychoanalytischen Schriften gegeben und demgemäßkönne von einer eigenständigen Theorieentwicklung in bezug auf die Affekte nicht dieRede sein (Henseler 1989, Rapaport 1994).Die unbefriedigende Situation ist kein Spezifikum der Psychoanalyse. Sie ist darin begründet, daß die hauptsächliche Theoriebildung über die Affekte als Derivate ganzanderer Überlegungen gewissermaßen nebenher geschah. Man findet deshalb Konzeptionen von den Affekten als angeboreneIndikatoren und Entladungsmechanismenfür Triebprozesse im Rahmen des sogenannten topographischen Modells (Freud1905d) ebenso wie Affekte als (ubw) Signale für die Steuerung der Reaktivierung vergangener Gefahren im Rahmen des sogenannten Strukturmodells (Freud 1923b).Die frühe Modellbildung führte zu einer eingestandenermaßen nicht meßbarenquantitativen Auffassung des Affektes (Affektbetrag genannt), die sich klinisch durchunterschiedliche Verhältnisse zwischen Vor
stellung und Affektbetrag (manchmal Erregungssumme genannt) charakterisieren ließe. Alle unerträglichen Vorstellungen können dadurch behandelt werden, daß derAffektbetrag von ihnen abgetrennt würde.Dessen Entsorgung geschehe in der Hysterieim Körper, bei der Phobie und Zwangsneurose durch Verschiebung auf andere psychische Vorstellungen und gesamthafte Transformationen bei der Angstneurose und derMelancholie. Die Metaphorik einer elektrischen Ladung, die sich über die Gedächtnis-
spuren der Vorstellungen verbreite, wurdeals Heuristik angeboten (Freud 1894a,S.74).
2. Wesentliche Erweiterungen. Differenzierungen und Modifikationen
Ein gewisser Konsens besteht heute darin,daß in Freuds Arbeiten die Besonderheit derAffekte, daß sie von anderen wahrgenommen oder erspürt werden können und zuidentischen oder komplementären Reaktionen führen, nicht ausreichend gewürdigtwurde. In den Objektbeziehungstheorienvor allem aus dem kleinianischen Umfeldwurde dies klar gesehen und reklamiert,aber es wurden keine Anstalten gemacht,eine Theorie und Klinik der Affekte zu entwickeln, die diesem Faktum gerecht würde.Vor allem fehlten empirische Beobachtungen über die Wahrnehmung der Affekte unddie damit verbundene Frage nach der Empathie. Im klinischen Bezugsrahmen tauchtdas Wort Affekt heute noch in vier verschiedenen Kontexten auf: Im ersten Umfeldwird, wie in der oben beschriebenen Vorstellungswelt, der Begriff Affekt als Folgevon Trieben und/oder kognitiven Prozessenverstanden. In Anlehnung an Freuds Überlegungen über die Sexualtriebe (1915c) werden hier Empfindungen der Lust-Unlustreihe als Affekte bezeichnet und mit der
Vorstellung von Spannungsveränderungenverknüpft. Im zweiten Umfeld wird von Zuständen, die mit Begriffen wie Scham,Schuld oder Stolz gekennzeichnet werdenkönnen, operiert. Diese meist "Gefühle " genannten Zustände setzen verinnerlichteStrukturen voraus und können teilweise alsder Niederschlag von realen Beziehungenverstanden werden. Ein passiv fühlenderAnteil der Person und ein aktiv die Gefühleproduzierender Anteil der Person stehen inBeziehung, wie z.B. das Ich-Ideal als überdauernde Struktur und das erlebende Ich bei
Scham (Chasseguet-Smirgel 1981, Sei.d_~1995). Im dritten Kontext spricht man vontraumatischen Affekten. Es handelt sich dabei um die seelischen und körperlichen Korrelate des "surrender patterns". Ein Zu-
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stand vollständiger Hilf- und Hoffnungslosigkeit mit einem "Wissen" um die Unlösbarkeit der Bedrohung und einer emotionalkognitiven Entdifferenzierung der erlebenden Person (KrystaI1978, Perry 1996). Dervierte Kontext, in dem der Begriff Affekt verwendet wird, ist beziehungsorientiert. Wennwir an Zustände wie Freude, Wut, Ekel,Angst, Trauer, Interesse, Verachtung denken,gehen wir davon aus, daß sie, wenn sie sichtund/oder hörbar werden, ganz ungewolltbeim anderen spezifische Wirkungen hervorrufen. So gibt es etwa Affektansteckung(Trauer kann Trauer beim Gegenüber erzeugen) oder komplementäre Reaktionen (zeigtder andere Wut, kann ich Angst entwikkeln). Solche beziehungsorientierten Überlegungen zum Affekt werden häufig unter demStichwort Übertragung abgehandelt.
3. Interdisziplinäre Beiträge und Befunde
In den modernen Sichtweisen wird dasEmotionssystem als "Interface" zwischender Umwelt und verschiedenen Modulendes Organismus beschrieben (Buck 1988,Scherer 1997, Krause 1998). Das expressiveModul steuert die Körperperipherie mit Gesichtsausdrücken und Vokalisierungen inder Stimme. Es hat vorwiegend Signallimktion zur Beziehungssteuerung und kennteinen Satz an phylogenetisch vermitteltenqualitativ unterschiedlichen Prototypen, diePrimäraffekte genannt werden. Es sind diesFreude, Trauer, Verachtung, Ekel, Angst,Neugier, Wut (Tomkins 1963). Ein physiologisches Modul steuert die Aktivierungbzw. Deaktivierung des autonomen undendokrinen Systems und stellt die innereHandlungsbereitschaft her. Hier findet manam ehesten ein Äquivalent zu Freuds Affektbetrag (bzw. einem unspezifischen Arousal).Ein Modul steuert Verhaltensanbahnungenin der Skelettmuskulatur und der Körperhaltung. Es handelt sich um eine körperlichesichtbare Form der Intentionalitätsherstellung, die eine Schlußfolgerung erlaubt, aberkeine eigene Symbolfunktion wie der expressive Signalanteil auf die mögliche folgende Handlung hat. Schließlich gibt es ein
Modul zur Wahrnehmung der körperlichenModule. Die damit verbundenen Vorgängewerden Interozeption genannt. Schließlichgibt es ein Modul, das eine bewußte Wahrnehmung des Affektes als inneres Bild undals spezifische situative Bedeutung der Weltund Objekte schafft. Ebenso wie beim expressiven Modul kann man heute davonausgehen, daß es affektspezifische, kulturübergreifende prototypische Formen derWeitsicht gibt, die man als Propositionenoder Episoden beschreiben kann (Frijda1996). Diese Propositionen sind von verschiedenen Autoren beschrieben wordenund in ihrer Kulturvergleichbarkeit ebensobestätigt wie die Ausdruckskonfigurationender Mimik und Stimme. Die Klassifikationder Affekte erfolgt entlang von drei Aspekten:
1. Ort: In bezug auf den Ort des Objektes gibt es vier Möglichkeiten: Das Objektist im Subjekt, also im Mund oder im Magen-Darm-Bereich, an der Körperperipheriedes Subjekts, im optisch-apperzeptiven Felddes Subjekts, also visuell gegenwärtig, oderdas Objekt ist mental repräsentiert, aber abwesend. Die Objekte werden je nach diesenOrtsrelationen als gustatorische, taktile, visuelle oder mentale erlebt. Die bevorzugteArt solcher Orts-Klassifikationen ist für dieBeschreibung von psychopathologischenProzessen von Bedeutung. Wer sich vor allem ekelt, ist von der Phantasie heimgesucht, alle Objekte hätten freien Zugang inseinen körperlichen Subjektbereich.
2. Erfahrungen: Während die Ortsklassifikation nur eine sehr einfache Unterscheidung perzeptiver Art voraussetzt, wird inder zweiten Klassifikation der Affekte dasObjekt hinsichtlich bereits gemachter Erfahrungen kogniziert. Das Erfahrungswissen kann aus der Phylogenese stammenund/oder aus darauf aufbauenden individuellen Erfahrungen. Es sind archaische Klassifikationen, die das Objekt als wohltuend,benevolent, im weitesten Sinne "gut" oderals schädigend, schmerzend, im weitestenSinne "schlecht" erscheinen lassen. Freilichwechselt für gut und schlecht wenigstenspartiell auch die Darstellungsmodalität, jenachdem, wo das Objekt in Relation zum
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Subjekt ist. Schlecht im gustatorischen Bereich ist Übelkeit, schlecht im taktilen Bereich ist Schmerz, wohingegen schlecht imoptisch apperzeptiven Feld "AngstIWut"bedeutet.
Die mit den Affekten korrelierten Konditionierungsprozesse besitzen je unterschiedliche Zeitkonstanten. So liegt bei Ekeldas optimale Intervall zwischen konditioniertem Reiz und der unkonditionierten Reaktion bei drei bis vier Stunden, bei Schmerzund/oder Angst im Sekunden bereich. Obgleich man mit einem nur optischen Objekteigentlich keine schlechten Erfahrungen machen kann, legt die heutige Forschung nahe,daß bestimmte Gestaltkonfigurationen imoptischen wie im auditiven Bereich aufGrund eines phylogenetisch erworbenenpattern-detection- Verfahrens alle anderenPrimäraffekte auslösen können (Lanzettaund Orr 1981).
3. Relationale Handlungsmacht: Einedritte relativ grundlegende Klassifikation istdie Attribuierung der relationalen Handlungsmacht, d.h. ob das Subjekt sich demObjekt überlegen oder unterlegen fühlt.Auch hier gibt es phylogenetisch erworbeneMuster für Überlegen- vs. Unterlegenheit,z.B. Unterschiede des Körperumfanges zwischen Subjekt und Objekt. Ansonsten wirdman die sogenannten Copingvorgänge hiereinordnen können. Je nach dem wie der Einschätzungsvorgang, ob etwas getan werdenkann oder nicht, ausfällt, wird eine andereEmotion entwickelt werden müssen (Lazarus 1993).
Freude signalisiert der Umgebung, daßdie laufende Form der Interaktion zwischenSubjekt und Objekt weitergehen soll. Sieist ein artspezifisches Reinforcementsystemund funktioniert unabhängig vom Regulationssystem der negativen Affekte. Diese signalisieren jeweils einen Wunsch nach Veränderung einer laufenden Objektbeziehung."Neugier" und "Interesse" sind informationsverarbeitende Affekte. Sie initiieren dieFrage" wie ist das Objekt", ehe es zur Klassifikation gut, schlecht oder irrelevantkommt.
Kognitiv kann man diese Wünsche alsPropositionen formulieren mit den Aussage-
bestandteilen Subjekt, Objekt und gewünschte Interaktion. Objekt und Subjektmüssen jeweils in Termini des Ortes, in demsich die Interaktion abspielt, betrachtet werden. So gibt es "schlechte", "gustatorische"Objekte, die mental im Subjekt verortetwerden und durch die "Interaktionswünsche" in diesem Raum beschrieben werdenkönnen. Ekel repräsentiert so gesehen denWunsch, "du (Objekt) hinaus aus mir(Subjekt)". Wut repräsentiert den Wunsch,daß das Objekt verschwinden möge, wobeidas Subjekt bleibt, "du hau ab, ich bleibe",wohingegen Angst den Wunsch repräsentiert, das Subjekt vom Ort des Objektes zu entfernen. Trauer repräsentiert denWunsch, eine einmal gehabte Interaktionmit dem Objekt in einem Jer vier Bereichewieder in Gang zu setzen. Gemäß dieserVorstellung kann man gustatorischen, taktilen und optisch/auditiven Objekten "nachtrauern". Die Abwesenheit eines "bösen"Objektes ist im Moment der mentalen Vergegenwärtigung des Objektes von Erleichterung und Freude begleitet.
4. Moderne psychoanalytische Sichtweisen
Man kann in Anlehnung an Freuds ersteÜberlegungen psychopathologische Phänomene als chronifizierte Abweichungen zwischen den verschiedenen Modulen beschreiben, wobei der gesunde Normalfall darinbestünde, daß die Personen in der Beziehungsgestaltung mit einer anderen Personrelativ frei über die Verbindung der einzelnen Module verfügen könnten, daß beispielsweise das eigene Erleben vom Ausdruck der anderen Person bestimmbar seinkann, dann aber wieder mit dem eigenenAusdruck übereinstimmt. Die Zusammenhänge wären also situationsspezifisch veränderbar und würden durch die Beiträgeund die Situationsdefinition beider Interaktionspartner bestimmt. Überdauernde Festschreibungen zwischen Ausdruck und Physiologie werden im Rahmen von ExternalisierungIInternalisierung diskutiert, wobeiim großen und ganzen davon ausgegangenwird, daß überdauernde Internalisierung
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von einer Erhöhung der physiologischenProzesse begleitet wird (Traue und Pennebaker 1993).
Überdauernde Abweichungen der Zusammenhänge zwischen den Modulen Physiologie und der Wahrnehmung derselbenwerden unter dem Stichwort Interozeptiondiskutiert, wobei die umdeutende Katastrophisierung von normalen physiologischenProzessen als Angstindikatoren von Bedeutung sind. Ebenso können Zustände derHypochondrie und andere funktionelle Störungen in diesem Umfeld verstanden werden (Margraf 1989). Schließlich kann eineaffektive Situationswahrnehmung und daswillkürmotorische System dadurch verkoppelt werden, daß eine Situationswahrnehmung im willkürmotorischen System mehroder weniger verschlüsselt dargestellt wird,ohne daß es vom Darsteller bemerkt wird.Dies könnte man als die klassische Form derKonversion bezeichnen. Schließlich kannein affektives Geschehen sich unverschlüsseit im motorisch expressiven System ausdrücken, ohne eine Beteiligung einer zu ihmpassenden Situationswahrnehmung. DieseStörungen, beispielsweise Tics, Stottern,Asthma, wurden früher prägenitale Konversionsneurosen genannt (Fenichel 1946).Spezifische Mobilisierung des physiologischen Moduls ohne die Mobilisierung alleranderen nennt man Affektäquivalente. Hierkönnte man eine gewisse Verwandtschaftzum Alexithymiekonzept postulieren (vonRad 1983).
Schließlich kann ein Affekt durch dieMobilisierung eines anderen in allen Modulen an der Entwicklung gehemmt werdenz.B. Angst durch Verachtung, oder Weinendurch Lachen. Solche Prozesse nennt manAffektersetzung und Affektumkehr. Beidesind Teil der Reaktionsbildung und damitauch der Persönlichkeitsstörungen. Sie setzen eine Logik der Affekte voraus, die auchmittlerweile empirisch recht gut bestätigt ist(Plutchik 1980). Auf der Verhaltensebenebildet sich Affektersetzung als Maskierungab. Diese Prozesse werden als Kulturtechniken eingesetzt und dienen der Herausbildung von bestimmten Persönlichkeitstypenund führen zu spezifischen ideoaffektiven
Positionen, beispielsweise dem "Krieger"(Tomkins 1963).
Personenübergreifend gibt es eine Füllevon möglichen Verschaltungen, vor allemzwischen dem motorisch-expressiven Modul zweier oder mehrerer Personen. Unbemerkte Übernahme der körperlichen Module einer anderen Person wird als automatische Identifikation bezeichnet. Sie folgt demideomotorischen Prinzip und ist Teil derempathischen Reaktion. Als überdauerndeAbwehr verhindert sie die Entwicklung undWahrnehmung eigener Gefühle. In diesenZusammenhängen sind Vorgänge wie Empathie und deren Ausfall, Projektion, Identifikation, projektive Identifikation enthalten.
Ausgehend vom modularen Aufbau desAffektsystems und dessen Entwicklung,kann man wenigstens drei Formen vonübergreifenden Strukturen unterscheiden.Da ist einmal die Gruppe von Personen, diesich durch eine generelle Reduktion des affektiven Ausdrucksverhaltens auszeichnen.Es handelt sich dabei um ein allgemeinesStrukturmerkmal der sogenannten frühenStörungen (Arbeitsgruppe OPD 1996). Diese Personen kennzeichnet als weiteres gemeinsames Merkmal das Fehlen von Synchronisationsreaktionen im affektiven Be
reich. In der zeitlichen Organisation derMikrosynchronisierung des affektiven Geschehens der Körper ist etwas sehr Essentielles der Beziehungsgestaltung enthalten.Da die meisten diesem Regime unterworfenen Verhaltensformen unterhalb der Reaktionsschwellen liegen, verlangen sie vor bewußtes vorauslaufendes Wissen über dieAktionen des Partners, und das ist offensichtlich eine sehr grundlegende Form derEmpathie. Diese Art von Veränderungenhaben mit spezifischen Erfahrungen inder Mutter-Kind-Interaktion zu tun (Stern1995, Emde 1991). Ob es sich bei dieserPersonengruppe um die ehemaligen Verrneiderkiller handelt, wird gegenwärtig untersucht.
Das Reduktionsphänomen per se istkeine Störung, sondern ein Anpassungsprozeß an eine soziale Umgebung, in der dieKleinkinder durch Verzicht auf das Zeigen
Affekt, Emotion, Gefühl 35
spezifischer eigener Affekte die Wahrscheinlichkeit verringern, daß gefährlicheZustände in den Eltern entstehen. Solchefrühen Lernprozesse kann man nicht miteinfachen Hemmungen gleichsetzen, damit diesem Vorgang gleichzeitig der Aufbau des Moduls der affektspezifischensituativen Bedeutungswahrnehmung undAttribuierung der inneren Welt und derObjekte verändert wird (Stern 1992, Wilson und Malatesta 1989). Die frühen mitdiesem Vorgang verbundenen Erfahrungenbleiben unabhängig von den späteren Entwicklungen erhalten. Wenn der präverbale,präsymbolische Dialog der ersten Lebensjahre massiv gestört wurde, sei es durchdas Kind selbst, sei es durch die Beziehungsperson, setzt diese Beziehungserfahrung den Rahmen, in dem sich alle späteren abspielen müssen, was nach Emde(1991) heißt, daß es später zu einer strukturellen Störung unterhalb des neurotischen Niveaus kommen muß, ganz unabhängig davon, welche Anpassungen, Symptome und sonstigen Störungen die Personsonst noch entwickelt. Diese Beobachtungbedeutet keine eindeutige psychogenetische Ätiologie, denn wie bei den Autistenkann die genetisch bedingte Vulnerabilitätder Patienten auch im Bereich des affektiven Austausches liegen.
Die zweite Gruppe sind Personen, diefrühe Beziehungserfahrungen von affektiverAbstimmung und Verfügbarkeit gemachthaben, aber später mit konfliktbedingtenExzessen und ambivalenten Beziehungsangeboten konfrontiert werden, wie Zuwendung und Unterdrückung der Autonomie,Zuwendung und Verführung oder Unterdrückung sexueller Erfahrungsbildung. Siewerden nicht das Fehlen von Beziehunginteraktiv wiederholen, sondern den Exzeßan widersprüchlichen konfliktiven Affektensozial implantieren. Das bedeutet ein Übermaß an verschiedenen negativen oder Kombinationen von negativen und positiven Affekten, die konflikthafter Natur sind. DerRekurs auf eine innere repräsentationaleWelt von Phantasien ist ihnen nicht im gleichen Ausmaß verwehrt. Allerdings sind dieRepräsentanten unbewußt, so daß die teil-
weise heftigen Affekte an die falschen Objekte angebunden werden.
Nach Emde (1991a, b) führen beide Typen schädigender Beziehungserfahrungenzu zwei Formen von affektiven Übertragungen, zwei Formen von Wiederholungen undGegenübertragungen. Ein massives Defizitemotionaler Verfügbarkeit im Sinne der Affektabstimmung führt zu einer vorsichtigdefensiven Einstellung der Patienten, die, soStern, zeit ihres Lebens von grundlegendenstarken Gefühlen der Einsamkeit heimgesucht sind, weil die Patienten wieder undwieder realisieren, daß es Dinge zwischenden anderen Menschen gibt, die sie nicht erfahren haben. Gleichwohl haben sie ein ungefähres Wissen über dieses "Paradies". Derihnen aufgezwungene Vergleich zwischender vermuteten Beziehungserfahrung deranderen und der eigenen fehlenden Beziehungserfahrung führt zu andauernden Einsamkeitserfahrungen, die in der Wiederholung reinszeniert werden. Auf der Verhaltensebene bedeutet das die Vermeidung vonAffekten, Vermeidung von Synchronisationund Intimität und eine Einschränkung desaffektiven Repertoires. Innerhalb der verschiedenen Gruppen der strukturell gestörten, nicht neurotischen Patienten bleibt einnegativer Affekt übrig, der die anderen anHäufigkeit steil überragt und im allgemeinen auch in andere Kontexte eingebettet istals bei den Gesunden. Für die Schizophrenen ist dies Verachtung und für die ColitisUlcerosa-Patienten Ekel. Dies ergibt sichnicht nur empirisch, sondern auch aus derpropositionellen Struktur der beiden Affekte.
Die narzißtische Option ist unabhängig von ihrem weiteren Verlauf von dem generalisierten Ausdruckshemmungssyndrombegleitet, weil der elementare Lernprozeßdieser Option darin besteht, daß es sinnlosist, sich und die Welt affektiv zu beeinflussen. Die Affekte als Interruptsysteme zurBeendigung maligner Prozesse verlieren ihreFunktion. Das Happinessystem und dasErleben von Freude als Selbst- und Fremd
belohnungssystem verlieren ihre Funktion,eben dies zu tun. Damit ist, gleichgültigwas später an kreativen Lösungen kommen
36 _ Rainer Krause
-mag, einer inneren Leere und Freudlosigkeitdie Grundlage gelegt. Leere und Freudlosigkeit sind aber keine Krankheitseinheit, sondern eine mehr oder weniger intensive Färbung des Lebens. Die schwere Reduktiondes affektiven Ausdrucks ist kein Korrelatfehlenden Erlebens, sondern stellt eine unbewußte Vorsichtsmaßnahme dar, die vonder Voraussetzung ausgeht, daß ein geteilter, symbolischer, innerer Raum von Objekten, an die die Affekte "angeheftet" werdenkönnen und über die man ohne Gefährdungder Beziehung kommunizieren kann, beimPartner unabhängig von seiner affektivenBefindlichkeit nicht existiert. Alle Problemeund Konflikte werden direkt auf der Beziehungsebene verhandelt, was bedeutet, daßdie innere affektive Welt als Puffersystemzur Beziehungsregulierung entfällt. DasÜbermaß an Ausgeliefertsein an die Affektedes anderen, die Verweigerung einer eigenen inneren symbolischen Welt, die Unmöglichkeit, sich affektiv zu entäußern,mündet innerlich in die so oft beschriebenen Leerezustände mit Todes- und Versteinerungsphantasien, die sekundär als außerordentlich unangenehm und freudlosund als ein relativ elementares Wissen über
die Unmöglichkeit von Begegnungen erlebtwerden. Die klinischen Namen, die diesennach außen nicht offen pathologisch erscheinenden Zustandsbildern gegeben wurden, sind "as if personality" (Deutsch1942), "Affektentleerung " (McDougall1984), "falsches Selbst" (Winnicott 1984),"Selbstentleerung" (Balint 1963). SolcheCharakterisierungen sind nicht geeignet,Symptomdiagnosen wie diejenigen derDSM-III Achse 1 zu ermöglichen, sondernes handelt sich um unterschiedliche Schweregrade aller möglichen psychischen Störungen.
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