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LIBYEN, IRAK, HAITI: BEWAFFNETE GEWALT UND IHRE … fileHandicap International – Pressemappe:...

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Handicap International Pressemappe: Bewaffnete Gewalt 2013 1 _____________________________________________ LIBYEN, IRAK, HAITI: BEWAFFNETE GEWALT UND IHRE FOLGEN FÜR DIE ZIVILBEVÖLKERUNG DIE FAKTEN Weltweit stirbt mehr als ein Mensch jede Minute durch bewaffnete Gewalt. Über 80 % der Opfer von bewaffneter Gewalt, die von Handicap International befragt wurden, leiden als Folge ihrer Verletzungen an einer Behinderung. Handicap International ist seit 30 Jahren in zahlreichen Ländern aktiv, die von bewaffneten Konflikten betroffen sind – und stellt jeden Tag die Folgen der Verbreitung von Klein- und Leichtwaffen und explosiven Kriegsresten fest, die die Nachwirkungen eines Krieges und damit die Risiken für Zivilisten auf unbestimmte Zeit verlängern. Als Reaktion auf diese Realität entwickeln wir Projekte zur Eingrenzung der Gefahren von Klein- und Leichtwaffen, in Ergänzung zu den Aktionsprogrammen gegen Minen und explosive Kriegsreste. Auch auf internationaler Ebene handelt Handicap International, damit die Staaten Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen von bewaffneter Gewalt für Zivilsten einzugrenzen. Libyen © Till Mayer / Handicap International
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Page 1: LIBYEN, IRAK, HAITI: BEWAFFNETE GEWALT UND IHRE … fileHandicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013 2 BEWAFFNETE GEWALT Bewaffnete Gewalt wird definiert als

Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

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_____________________________________________

LIBYEN, IRAK, HAITI: BEWAFFNETE GEWALT UND IHRE FOLGEN FÜR DIE

ZIVILBEVÖLKERUNG DIE FAKTEN

Weltweit stirbt mehr als ein Mensch jede Minute durch bewaffnete Gewalt. Über 80 % der

Opfer von bewaffneter Gewalt, die von Handicap International befragt wurden, leiden als

Folge ihrer Verletzungen an einer Behinderung.

Handicap International ist seit 30 Jahren in zahlreichen Ländern aktiv, die von bewaffneten

Konflikten betroffen sind – und stellt jeden Tag die Folgen der Verbreitung von Klein- und

Leichtwaffen und explosiven Kriegsresten fest, die die Nachwirkungen eines Krieges und

damit die Risiken für Zivilisten auf unbestimmte Zeit verlängern.

Als Reaktion auf diese Realität entwickeln wir Projekte zur Eingrenzung der Gefahren von

Klein- und Leichtwaffen, in Ergänzung zu den Aktionsprogrammen gegen Minen und

explosive Kriegsreste.

Auch auf internationaler Ebene handelt Handicap International, damit die Staaten

Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen von bewaffneter Gewalt für Zivilsten

einzugrenzen.

Libyen © Till Mayer / Handicap International

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BEWAFFNETE GEWALT

Bewaffnete Gewalt wird definiert als beabsichtigte Nutzung von Waffen zur Drohung oder zur

physischen Anwendung (in und außerhalb von bewaffneten Konflikten). Sie führt Tod,

Verletzungen, dauerhafte Schäden oder psychische Beeinträchtigungen herbei, die Sicherheit und

Entwicklung nachhaltig schädigen.

KLEINWAFFEN

Eine Kleinwaffe ist eine Feuerwaffe, die von einer Einzelperson getragen und verwendet werden

kann. Zu dieser Kategorie zählen vor allem Pistolen, Maschinenpistolen und Gewehre (Pump Guns,

Sturmgewehre, Präzisionsgewehre usw).

LEICHTWAFFEN

Eine Leichtwaffe ist eine Feuerwaffe, die von einer ein bis drei Personen getragen und verwendet

werden kann. Zu dieser Kategorie zählen vor allem Mörser, tragbare Raketenwerfer und schwere

Maschinengewehre.

INHALT 1 / Bewaffnete Gewalt: bedeutende Ursache für Behinderungen S. 3 2 / Die Eingrenzung von bewaffneter Gewalt zur Rettung von Leben S. 5 3 / Libyen: Allgegenwart von Klein- und Leichtwaffen S. 7 4 / Irak: Zivilisten als hauptsächliche Opfer des Konflikts S. 12 5 / Haiti: Gewalt von bewaffneten Gruppen breitet sich aus S. 18 6 / Bewaffnete Gewalt: auch politisch ein Kampf S. 20

Angola, von Einschüssen durchsiebtes Haus. © S. Bonnet / Handicap International

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Afghanistan © J-P. Porcher / Handicap International

1/ BEWAFFNETE GEWALT:

Mehr als 80 % der befragten Überlebenden haben eine Behinderung

Bewaffnete Gewalt

und Behinderung:

eine erste Studie zur

Thematik.

Im November 2012

hat Handicap

International die

Ergebnisse aus einem

Jahr Recherche über

die Zusammenhänge

von bewaffneter

Gewalt und

Behinderung

veröffentlicht:

„Armed Violence and

Disability: the Untold

Story“ 1. Diese Studie stützt sich vor allem auf Datensammlung bei Polizeikräften und in

Krankenhäusern sowie auf eine Umfrage, die zwischen Mai 2011 und April 2012 in vier Städten oder

Provinzen von besonders schlimm betroffenen Ländern durchgeführt wurde: Medellin (Kolumbien),

Port-au-Prince (Haiti), Karamoja (Uganda) und Peshawar (Pakistan). Zu den Recherchen gehören eine

Umfrage unter mehr als 700 Überlebenden von bewaffneter Gewalt, Gespräche mit den wichtigsten

Informationsstellen (Sicherheitskräfte, Vertreter von Regierungen, Vertreter von Medien, Mitglieder

der Zivilbevölkerung) und Gespräche mit Familienangehörigen von getöteten oder verletzten

Menschen. Vorher existierte keine präzise Studie, die die Langzeitfolgen von bewaffneter Gewalt

evaluierte, vor allem die Entstehung von Behinderung. Diese Studie von Handicap International ist

demnach die erste in diesem Bereich, die versucht, den Zusammenhang zwischen bewaffneter

Gewalt und Behinderung aufzuzeigen.

Über zwei Millionen Menschen auf der Welt leben mit bleibenden Folgen durch ihre Verletzung

Diese Studie hebt hervor, dass bewaffnete Gewalt das Leben von Millionen Menschen bedroht, vor

allem in Entwicklungsländern, und dass sie verantwortlich ist für langwierige körperliche und

psychologische Behinderungen. Acht von zehn befragten Überlebenden leben heute mit einer

schweren Behinderung, die ihr alltägliches Leben betrifft (Lähmungen, Amputationen eines

Gliedmaßes, Verletzungen des Rückenmarks etc.). Diese Opfer werden mit neuen Herausforderungen

konfrontiert, indem sie sich an eine Umgebung anpassen müssen, die sowieso schon prekär ist. Ihre

Behinderung hat außerdem direkte Auswirkungen auf ihre wirtschaftliche Lage und die ihrer

Familien. In Folge des Unfalls können viele Opfer nicht mehr arbeiten und die Kosten der Behandlung

werden zu einer wahren finanziellen Belastung für sie.

1 Die Ergebnisse beruhen auf Daten von Krankenhäusern, Polizeikräften und einer Umfrage unter mehr als 700 Überlebenden bewaffneter Gewalt in Medellin (Kolumbien), Port-au-Prince (Haiti), Karamoja (Uganda) und in der Region Peshawar (Pakistan). http://www.handicap-international.fr/fileadmin/documents/web_ArmedViolenceReport2012.pdf

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Menschen mit Behinderung in Entwicklungsländern tragen ein höheres Risiko, zu Opfern bewaffneter

Gewalt zu werden auf Grund ihrer Ausgrenzung aus der Gesellschaft, ihrem beschränkten Zugang zu

Präventionsmaßnahmen sowie ihrer größeren Schutzbedürftigkeit in Gefahrensituationen. Der

begrenzte Zugang zu medizinischer Versorgung bedeutet Ausgrenzung auch im Falle von

Verletzungen.

DATEN UND FAKTEN

- Bewaffnete Gewalt ist jedes Jahr für 740.000 Todesfälle verantwortlich. Das macht mehr als ein

Opfer pro Minute. 2

- Laut dem Sekretariat der Genfer Erklärung über Bewaffnete Gewalt und Entwicklung (2010) ergibt

sich die große Mehrzahl der Getöteten in Ländern, die nicht von einem bewaffneten Konflikt

betroffen sind und über schwache oder mittlere Einkommensniveaus verfügen3.

- Es gibt ca. 875 Mio. Klein- und Leichtwaffen weltweit, drei Viertel davon in den Händen von

Zivilisten und nicht-staatlichen Gruppierungen4. 60% der Menschenrechtsverletzungen schließen

den Gebrauch von Klein- und Leichtwaffen ein. 5

- Schätzungsweise mindestens zwei Millionen Menschen auf der Welt leben in Folge des Einsatzes

von Feuerwaffen außerhalb von Konflikten mit den Folgen von Verletzungen, die Behandlung und

Rehabilitation erforderlich machten sowie oftmals zu Einkommensverlust geführt haben6.

- Heute wird die Anzahl der Überlebenden eines Unfalls mit einer Mine oder explosiven

Kriegsresten auf 500.000 Menschen geschätzt, die oftmals ihr Leben lang Unterstützung brauchen.

Handicap International ist für diese Opfer in 39 Ländern und Gegenden der Welt aktiv7. Vor Ort

sammelt die Organisation darüber hinaus Daten über die Problematik von Klein- und Leichtwaffen in

Partnerschaft mit der Organisation Small Arms Survey8.

2 Leitfaden zur Programmplanung der OECD über bewaffnete Gewalt, 2011. 3 www.genevadeclaration.org/fileadmin/docs/MDG_Process/MoreViolenceLessDevelopment.pdf 4 IANSA, « Gun Violence : The Global Crisis », www.iansa.org 5 Amnesty International Mai 2010 6 The Graduate Institute of International and Development Studies, Small Arms Survey (2012), Authorised Small Arms Trade Revised up to USD 8.5 Billion per year: More than double previous estimate, Genf. 7 Afghanistan, Algerien, Albanien, Angola, Äthiopien, Bangladesch, Burundi, Demokratische Republik Kongo, Indien, Irak, Jordanien, Kambodscha, Kenia, Kirgisistan, Kolumbien, Laos, Libanon, Libyen, Liberia, Mali, Mosambik, Nepal, Niger, Pakistan, Palästinensische Gebiete, Philippinen, Ruanda, Senegal, Serbien, Sierra Leone, Somaliland, Sri Lanka, Südsudan, Syrien, Tadschikistan, Tschad, Thailand, Uganda, Vietnam. 8 www.smallarmssurvey.org

Kolumbien. Rosa war fünf Jahre alt,

als ihre Familie zum Ziel eines

Angriffs einer paramilitärischen

Gruppe in der Region El Copey

wurde. Sie wurde von einer Kugel

verletzt und musste amputiert

werden.

© Gaël Turine / VU - Colombia

2008

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2/ Verringerung bewaffneter Gewalt: „Leben retten“

Sylvie Bouko, bei Handicap International für die Programme zur „Verringerung bewaffneter Gewalt“ zuständig

Weshalb wurden Aktionen zur Verringerung bewaffneter Gewalt in

Libyen initiiert?

Noch nie zuvor waren in Libyen so viele Waffen im Umlauf. Bis zum

Aufstand vor zwei Jahren wurde Libyen von einem autoritären

Regime regiert und der Umlauf von Waffen wurde streng

kontrolliert. Die Situation hier unterscheidet sich stark von der in

Somalia oder Afghanistan. In diesen beiden Ländern waren die Leute

Waffenbesitz gewöhnt. Für Libyer hingegen war es nicht normal,

eine Waffe zu besitzen. Die Tatsache, dass Waffen jetzt massenhaft

im Umlauf sind, die dazugehörige Munition leicht erhältlich ist und

sich beides zudem in den Händen der Zivilbevölkerung befindet,

stellt ein großes Unfallpotenzial dar.

Welche Maßnahmen schlagen Sie gegen die Bedrohung durch bewaffnete Gewalt vor?

Unsere Intervention zielt darauf ab, die Risiken zu verringern, die von der Verbreitung von Waffen,

dem Zugang zu ihnen und ihrem unsachgemäßen Gebrauch ausgehen. Unsere Aufgabe ist es, Unfälle

zu verhindern. Bei all unseren Maßnahmen geht es darum, die grundlegenden Sicherheitsregeln zu

erklären und Medienkampagnen zu initiieren (Warnhinweis im landesweiten Rundfunk),

bewusstseinsbildende Maßnahmen, Fortbildung von Lehrerpersonal, Schulung von Mitgliedern der

Zivilgesellschaft und auch der örtlichen Behörden. Wir möchten weitere Tragödien, die auf

Fahrlässigkeit oder riskanten Umgang mit Waffen zurückgehen, verhindern. Die Erfahrungen, die wir

dabei in Libyen machten, sind ausschlaggebend: Wir registrierten Unfälle, die sich auf Feiern

ereigneten, als Leute in die Luft schossen und dabei andere aus Versehen verletzten. Wir geben ganz

deutliche Sicherheitshinweise aus: Waffen und Munition sind voneinander getrennt und sicher

aufzubewahren etc. Unsere Aktionen beziehen sich auch auf Waffen wie Geschosse und Raketen.

Auch diese können in besiedelten Gebieten in die Hände von Zivilisten gelangen – auch in die von

Kindern. Sie können sich vorstellen, welche Folge ein unvorsichtiger Umgang mit ihnen hat.

Und explosive Kriegsreste?

Was explosive Kriegsreste anbelangt erinnern wir die Leute an einfache Vorsichtsmaßnahmen: Keine

verdächtigen Gegenstände berühren, Abstand halten, die Lage des Gegenstands markieren und die

zuständigen Behörden informieren, damit er entfernt und vernichtet werden kann. Neben der

Sensibilisierung für Risiken sammeln wir auch Daten, damit Art und Auswirkungen der Kontamination

ermittelt und die Bedrohung eingeschätzt werden können. Das ermöglicht es uns, durch die

Sicherung von Waffenlagern und Verstecken adäquat zu reagieren. Unser nächster Schritt geht dann

in Richtung Waffenvernichtung, um deren weitere Verbreitung einzudämmen.

Fallen diese Maßnahmen nicht in den Zuständigkeitsbereich der Behörden?

Wir wollen die zuständigen Behörden nicht ersetzen, wir greifen vielmehr in Ländern ein, in denen

der Staat schwach ist oder sich im Wiederaufbau befindet. Unsere Aufgabe besteht darin, nichts

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

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unversucht zu lassen, was Menschenleben retten kann. Das kann ganz einfach in der

Bewusstseinsbildung auf lokaler und nationaler Ebene geschehen, das heißt durch Treffen mit

Vertretern der Gemeinschaften, gewählten Vertretern und nationalen Behörden, damit diese sich

des Themas leichte Waffen annehmen und nach Lösungen suchen. Ganz konkret kann das bedeuten,

Dorfvorsteher aufzufordern, gefährliche Waffenlager zu sichern oder zu bewachen, damit nicht jeder

auf sie zugreifen kann. Es bedeutet, dass die Leute auf allen Ebenen Verantwortung übernehmen.

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„Ich bin Libyer und gegen Waffen" Kampagne zur Bewusstseinsbildung und Prävention

© Handicap International

LIBYEN: Allgegenwart von Klein- und Leichtwaffen

Der Volksaufstand, der am 17. Februar 2011 in

Libyen begann, führte zu äußerst gewaltsamen

Auseinandersetzungen, Tausende wurden

verwundet oder getötet. In dem Konflikt wurden

Landminen (sowohl Anti-Personen- als auch

Anti-Fahrzeug-Minen) und Streumunition

eingesetzt und dadurch die Sicherheit der

Zivilbevölkerung langfristig bedroht. Zwei Jahre

nach Beginn der Aufstände mögen zwar das

Regime von Oberst Gaddafi gestürzt und die

Kampfhandlungen beendet sein, doch die

Gefahr ist noch eine immer allgegenwärtig.

Nicht nur die Landminen und explosiven

Kriegsreste stellen Bedrohung dar, sondern

auch leichte Waffen aller Art. Diese sind leicht

erhältlich und befinden sich jetzt in der Hand

von Zivilisten, die nicht mit ihnen umgehen

können.

Handicap International nahm die Arbeit zur

Verhütung bzw. Verringerung von Unfällen

aufgrund von explosiven Kriegsresten und der

unsachgemäßen Verwendung von Klein- und

Leichtwaffen in Libyen im März 2011 auf.

Die meisten Familien besitzen eine Waffe

Mit dem Vorrücken der Opposition wurden auch die Lager von Gaddafis bewaffneten Kräften geöffnet.

Dies führte zusammen mit Waffenlieferungen von verschiedenen Staaten vor und während des

Konflikts zu einer weitreichenden Verbreitung von leichten Waffen. Die meisten Familien haben

zumindest eine Schusswaffe zuhause. Die Verbreitung aller Arten leichter Waffen in der

Zivilbevölkerung führt zu Unfällen, die mit spezifischen Präventionsmaßnahmen leicht vermieden

werden könnten. Diese Waffen werden regelmäßig bei Konflikten, häuslichen Auseinandersetzungen,

Straßenprotesten oder Festivals eingesetzt, nicht zuletzt sogar auf Hochzeiten, bei denen die Gäste

vor Freude in die Luft schießen.

Handicap International will auf diese Bedrohung der Zivilbevölkerung umgehend eine Antwort finden.

Die Organisation arbeitet daran, die Bevölkerung für die Gefahren zu sensibilisieren, die von einem

Umgang mit Waffen ausgehen können und gibt Sicherheitshinweise aus, um die Zahl der Unfälle zu

beschränken (Lassen Sie Kinder keine Waffen tragen, Schießen Sie bei Demonstrationen oder

Festivals nicht in die Luft, Verwahren Sie die Waffen sicher, wenn sie nicht in Gebrauch sind.). Die

Organisation hat mehr als 200 Lehrerinnen und Lehrer darin unterrichtet, ihren Schülern und deren

Eltern ein sicheres Verhalten gegenüber Waffen zu vermitteln. Handicap International hat auch

mehrere örtliche Organisationen in Bengasi, Brega, Sirte und Misrata für das Thema sensibilisiert,

damit sie ihrerseits Netzwerke bilden und diese Kampagne weitertragen können.

Die Organisation ergriff direkte Maßnahmen in Schulen zur Sensibilisierung von Teenagern, die

besonders zu einem unvorsichtigen Umgang mit Waffen neigen. Zwischen März und Dezember 2012

haben die Teams in Libyen mehr als 1.000 Schulungen zur Bewusstseinsbildung in Schulen,

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

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Maßnahmen zur Sensibilisierung für die Risiken von leichten Waffen in Tripolis ©

Umar Khan

Moscheen und an öffentlichen Orten veranstaltet, um vor den von leichten Waffen und explosiven

Kriegsresten ausgehenden Gefahren zu warnen. Die Organisation hat ebenfalls der

Bewusstseinsbildung dienende Sets in Schulen verteilt: Dabei wurden über 36.000 Broschüren und

fast 3.000 Poster an die Risikogruppen verteilt.

Seit Februar verteilt die Organisation ein mit der Unterstützung des Unterrichtsministeriums und von

Unicef geschaffenes „Lehrer-Paket“ verteilen. Es richtet sich an Lehrer und enthält Empfehlungen, wie

sie die Präventionshinweise am besten weitergeben. Es wird auch eine fünftägige Schulung

angeboten, damit die Vermeidung bewaffneter Gewalt auch Teil des Lehrplans wird. Fünfundsechzig

riesige Plakattafeln wurden an strategisch wichtigen Stellen mit hohem Verkehrsaufkommen in

Bengasi, Sirte, Misrata und Tripolis aufgestellt.

Zahlreiche Schulungen wurden für Organisationen der Zivilgesellschaft abgehalten, ungefähr fünfzehn

Schulungen für Lehrkräfte, und ungefähr dreißig Sicherheitsschulungen für Mitarbeiter des

Gesundheitswesens, der Presse und internationaler Organisationen, die möglicherweise auf ihrem

Weg zur Arbeit den von diesen Waffen ausgehenden Gefahren ausgesetzt sind.

„Ich bin Libyer und gegen Waffen“

Am Donnerstag, dem 9.

August 2012, an dem sich

die Befreiung der

Hauptstadt zum ersten Mal

jährte, organisierte

Handicap International eine

Veranstaltung auf dem Platz

der Märtyrer in Tripolis und

verteilte Hunderte von

Broschüren und Poster zur

Bewusstseinsbildung sowie

T-Shirts mit dem Slogan

„Ich bin Libyer und gegen

Waffen". Zur selben Zeit

führten Spannungen

zwischen ungefähr vierzig

bewaffneten Rebellen auf

dem Platz zu einem

Handgemenge. Die Milizen

schwangen ihre Waffen und

richteten sie auf ihre Gegner.

Die anwesenden Zivilisten ergriffen die Flucht, da sie eine Schießerei fürchteten. Die freiwilligen Helfer

am Stand von Handicap International stellten sich den Aufständischen entgegen, verurteilten ihr

Verhalten und forderten Respekt für die Empfehlungen der Organisation. „Die Tatsache, dass die

Zivilisten, die einschritten, unsere Nachricht beherzigten, zeigt uns, dass unsere Aktion direkt als

Unfallprävention wirkt,“ erläutert Sylvie Bouko, bei Handicap International für die Verringerung

bewaffneter Gewalt zuständig. Als die Lage sich wieder beruhigt hatte, konnte das Team von

Handicap International den Milizen erklären, welche potenziell katastrophalen Folgen diese Art von

Abrechnung haben kann. Es wurden keine Schüsse abgegeben und das Schlimmste dank des

engagierten Einschreitens von Zivilisten verhindert.

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

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SCHLÜSSELZAHLEN

2012 wurden in Tripolis über 1.600 Opfer von Klein- und Leichtwaffen gezählt, im

Durchschnitt vier Opfer pro Tag. Diese Zahlen, die in gerade mal zwei Krankenhäusern der

Hauptstadt erfasst wurden, verdeutlichen die Lage im Land auf alarmierende Weise

Besonders beunruhigend ist der extrem hohe Anteil von Kindern und jungen Erwachsenen

unter den Opfern. Seit Juni 2012 sind über drei Viertel der in den Krankenhäusern von Tripolis

erfassten Patienten unter 25 und 15 % sind jünger als 16 Jahre.

Explosive Kriegsreste in Kinderschlafzimmern

Nach Ende der Kampfhandlungen in Libyen kehrten Hunderttausende Vertriebene zwar in ihre Häuser

zurück, doch in der Zwischenzeit waren ihre Wohngebiete bombardiert oder durch Minen verseucht

worden. Familien finden explosive Kriegsreste in ihren Häusern, Gärten, Wohnzimmern,

Kinderschlafzimmern und auch an ihrem Arbeitsplatz vor. Handicap International hat in Tripolis,

Misrata und Sirte Minenräumungsteams9 eingesetzt, damit diese die nicht explodierten Geschosse

entfernen.

Die Aktionen von Handicap International trugen bereits Früchte. Von April 2011 bis Januar 2013

wurde eine Fläche von 23 km² geräumt und mehr als 35.000 explosive Kriegsreste vernichtet. Zwei

Schulen, ein öffentlicher Garten und 27 Farmen wurden geräumt und sind jetzt wieder für die breite

Öffentlichkeit zugänglich. Eine Telefonhotline zur Ermittlung kontaminierter Bereiche wurde in Misrata

eingerichtet, bei der die Einwohner anrufen und die Hilfe eines Experten anfordern können. Der

9 Räumung beinhaltet die Beseitigung und Vernichtung von explosiven Kriegsresten

Libyen, Misrata. © J-J.Bernard / Handicap International

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

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Experte kommt dann vor Ort, um den fraglichen Gegenstand zu identifizieren und, falls erforderlich,

einen Sicherheitsstreifen einzurichten und das Objekt zu vernichten. Die Teams von Handicap

International nehmen monatlich bis zu hundert Anrufe aus der Bevölkerung entgegen (und werden in

Häusern, auf Farmen oder in Gärten tätig).

Zwei Teams von Handicap International

sind mit der Räumung eines Waffen- und

Munitionslagers in Misrata beschäftigt,

das aus 43 Bunkern besteht, die von der

NATO bombardiert worden waren und

jetzt teilweise vernichtet werden.

Tausende Stück Munition und Geschosse

waren bei der Bombardierung in die Luft

gegangen und liegen jetzt über eine

Fläche von ungefähr 1,5 km² verstreut,

was eine Bedrohung der Anwohner

darstellt. Es gibt praktisch keine

Sicherheitszone und die Zivilbevölkerung

kann sich zu dem Lager leicht Zugang

verschaffen.

Viele Menschen machen sie sich kaum

Gedanken beim Betreten der Bunker,

wenn sie dort Messing und Kupfer aus

den Waffen holen, denn diese

Legierungen bringen auf dem Metallmarkt

viel ein oder dienen für den Einsatz von

Sprengstoffen zum Fischen. Bei diesen

extrem gefährlichen Praktiken werden die

explosiven Kriegsreste mit einem

Hammer oder Meißel bearbeitet, wobei

Erstere jederzeit explodieren können. Es

wurden bereits zahlreiche Tote

verzeichnet, wobei ihre genaue Anzahl

noch nicht bekannt ist.

Handicap International will durch die Beseitigung von auf der Erde zurückgelassener oder unter dem

Schutt der Bunker vergrabener Munition diese Unfälle eindämmen. Die Organisation rechnet damit,

dass die Räumung der Lager in diesem Gebiet noch zwei Jahre dauern wird.

Neben diesen Räumungsarbeiten werden Kampagnen zur Sensibilisierung für die Risiken

durchgeführt, die von Waffen und nicht explodierter Munition ausgehen. Seit Beginn seines Einsatzes

hat Handicap International ungefähr 300 libysche Multiplikatoren darin geschult, das Bewusstsein der

von Minen und anderen nicht explodierten Geschossen bedrohten Bevölkerung zu schärfen.

Ali Abdel Moneim Al Zayani, 21 Jahre alt, von Handicap International ausgebildeter Pfadfinder: „Das

Risiko für die Bevölkerung ist riesig, da ihr nicht bewusst ist, wie gefährlich die Waffen sein können.

Die Leute heben nicht explodierte Geschosse auf und behalten sie als Andenken an die Front, die

Kinder spielen damit, manche organisieren Waffenschauen auf der Straße oder in Schulen. Andere

wiederum versuchen, ihr Stück Land mit einem Rechen oder nur von Hand zu räumen. Um die Leute

für diese Gefahren zu sensibilisieren, ist sehr viel Arbeit erforderlich, und sie ist dringend nötig."

Handicap International ist auch direkt in Schulen, Unternehmen und Moscheen tätig und arbeitet mit

den Behörden und örtlichen Vereinigungen zusammen, damit die Hinweise zur Prävention

weitergetragen werden. Insgesamt hat die Organisation bereits mehr als 300.000 Broschüren zur

Libyen, Poster zur Bewusstseinsbildung © Handicap International

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

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Libyen, Mohamed © Giovanni Diffidenti / Handicap International

Bewusstseinsbildung verteilt. Bis heute nahmen fast 85.000 Personen an Schulungen teil, die meisten

von ihnen Kinder, die diesen Waffen am häufigsten zum Opfer fallen. 2011 waren in über 60 % der

Fälle Kinder die Opfer von explosiven Kriegsresten.

Die Sensibilisierungsmaßnahmen werden durch gemeinschaftliche Verbindungsaktivitäten

[Community Liaison] ergänzt, damit auf diese Weise die Bedeutung einer eindeutigen

Kennzeichnung von riskanten Gebieten (in denen explosive Kriegsreste vermutet oder bereits

vorgefunden wurden) hervorgehoben und die Räumungsmaßnahmen erklärt werden und auf

die Notwendigkeit hingewiesen wird, Waffenlager zu sichern etc.

Mohamed, Opfer seiner natürlichen Neugier

Mohamed ist ein

dreizehnjähriger Teenager, der

mit seinem Bruder und seinen

drei Schwestern in Bengasi

lebt. Am 21. März 2012 spielte

er gerade mit seinen Freunden

vor seinem Haus Fußball, als er

auf einen glänzenden

Gegenstand aufmerksam

wurde, der bei einem Baum lag.

Mohamed hob ihn aus

Neugierde auf und wollte ihn

mit nach Hause nehmen. Auf

dem Rückweg warf er ihn

gegen eine Wand.

Bei dem merkwürdigen

Gegenstand handelte es sich

um eine Submunition, die explodierte, nachdem sie ein paar Mal gegen die Wand geworfen worden

war. Teile von ihr flogen einige Meter weit durch die Luft und trafen den Jungen im Gesicht und an der

Hand, wodurch er mehrere Finger verlor. Nur weil er seiner kindlichen, unschuldigen Neugier folgte,

hat Mohamed für den Rest seines Lebens unter den physischen und psychischen Folgen dieses

Unfalls zu leiden.

Er ist gerade wegen seiner Hand in physiotherapeutischer Behandlung. Da ihm diese Tragödie schwer

zu schaffen macht, wird er auch psychologisch betreut und beginnt erst langsam wieder, die Freude

am Leben zurückzugewinnen.

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IRAK: Zivilisten als hauptsächliche Opfer des Konflikts

Seit 1979 und der Machtübernahme von Saddam Hussein musste der Irak drei todbringende Kriege,

blutige Unterdrückung, einschließlich der kurdischen und schiitische Bevölkerung des Landes, sowie

ein über zehn Jahre dauerndes Handelsembargo durchleiden. Am 20. März 2003 startete eine

Koalition von britischen und amerikanischen Truppen eine militärische Operation im Irak. Saddam

Husseins Regime wurde drei Wochen nachdem die Truppen das Land betraten gestürzt. Dieser dritte

Golfkrieg endete offiziell am 1. Mai 2003. Nach einer Mission, die fast neun Jahre dauerte, verließen

am 18. Dezember 2011 die letzten amerikanischen Soldaten den Irak. Der Krieg hatte dramatische

Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, wie Zahlen, die im Iraqi Body Count veröffentlicht wurden,

offenbaren:

Mindestens 250.000 Zivilisten wurden zwischen März 2003 und Januar 2012 getötet oder

verletzt.

Während desselben Zeitraums wurden von IBC 162.000 Todesopfer erfasst, 79% davon

Zivilisten.

Die Situation hat sich durch den Rückzug der amerikanischen Truppen nicht stabilisiert und

bewaffnete Gewalt ist weiterhin ein großes Problem:

Mit einer Zahl von 6.640 erfassten zivilen Todesopfern zwischen Januar und November 2012 ist

der Irak nach Syrien für die Zivilbevölkerung das zweitgefährlichste Land der Erde.

Die Verbreitung von Kleinwaffen10 unter der Zivilbevölkerung

stellt eine erhebliche Gefahr für die irakische Bevölkerung

dar. 56% der zivilen Todesfälle oder Verletzungen seit 2003

wurden durch Kleinwaffen verursacht. Laut Amnesty

International waren vor 2003 15 Millionen Kleinwaffen und

leichte Waffen im Irak im Umlauf (bei einer geschätzten

Bevölkerung von 25 Millionen). Im Jahr 2008 offenbarte ein

Bericht von Amnesty International, dass seit 200311 Verträge

für die Übertragung und Bestellung von mehr als einer Million

Kleinwaffen abgeschlossen wurden. Beamte des Pentagon

räumten ein, dass ein großer Teil dieser Waffen in die Hände

von Einzelpersonen, Milizen oder bewaffneten Gruppen

gefallen sein könnte. Sie gaben auch zu, dass 54% der Waffen

(190.000 Waffen), die 2004 und 2005 in den Irak geliefert

wurden und für die Polizei oder die Streitkräfte bestimmt

waren, nicht dort ankamen und dass deren Spur nicht

weiterverfolgt werden konnte12.

Irak: In einem von Handicap International in Souleymaniah, im irakischen Kurdistan errichteten Orthopädiezentrum wartet

ein Mann auf eine neue Prothese. Sein Bein wurde vor zehn Jahren amputiert, nachdem er während eines Picknicks in

einem öffentlichen Park von einer verirrten Kugel verletzt wurde. © C. Bourgois/Handicap International

10 Eine Kleinwaffe ist eine Schusswaffe, die von einem einzigen Individuum tranpsortiert und verwendet werden kann. Dazu gehören Pistolen, Automatische Pistolen, Gewehre 11 Blood at the crossroads, Amnesty International, 17 September 2008 12 http://www.gao.gov/assets/270/264918.pdf

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

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Kugel traf in der Nähe des Herzens

Herr Fakhir Madhi ist 58. Er ist Vater von 7 Kindern. Er lebt in

Al-Amarah in der Nähe von Missan. Vor seinem Unfall im

Jahre 2011 arbeitete Fakhir als Arzt. Bei einem Fußballspiel,

das von der irakischen Mannschaft gewonnen wurde, wurde

er von einer aus Freude abgefeuerten Kugel getroffen. Die

Kugel konnte nicht entfernt werden, weil sie ihn zu nah am

Herzen getroffen hatte. Die schrecklichen Schmerzen, unter

denen er täglich leidet, halten ihn davon ab, die Arbeit

auszuführen, die er liebt. Seine Ärzte haben ihm gesagt, dass

sein Leben ständig in Gefahr ist, weil die Kugel bei einer

falschen Bewegung in sein Herz gelangen könnte. Das

Schießen in die Luft bei Festen oder Protesten, das im Irak

sehr verbreitet ist, verursacht leider zahlreiche Unfälle.

Minen und explosive Kriegsüberreste: eine massive Bedrohung im Irak

Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) ist der Irak nach Jahrzehnten von

Krieg und Konflikt nun das Land der Welt, das am stärksten mit Minen und explosiven

Kriegsüberresten verseucht ist13. Diese Waffen wurden in inneren Konflikten, dem iranisch-

irakischen Krieg (1980-1988), dem Golfkrieg (1991) und der anglo-amerikanischen Militärintervention

im Jahr 2003 massiv eingesetzt. Laut UNICEF ist der Irak, der eine Bevölkerung von 31 Millionen

Menschen hat, von 25 Millionen Anti-Personen-Minen und Anti-Panzer-Minen verunreinigt.14 Die

Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien haben im Jahr 1991 außerdem fast 20 Millionen

Streubomben auf den Irak und Kuweit abgeworfen. Im Jahr 2003 haben die Vereinigten Staaten und

das Vereinigte Königreich zwischen 1,8 und 2 Millionen Streubomben eingesetzt.

Mindestens 1700 km² Land sind von Minen und explosiven Kriegsüberresten verunreinigt.

Mindestens 1,6 Millionen Menschen leben unter der Bedrohung durch diese Waffen.

Zwischen 2001 und 2011 wurden über 20.000 Menschen Opfer von Minen und explosiven

Kriegsüberresten.

2011 waren 85% der registrierten Opfer Zivilisten und 40% davon waren Kinder15.

Das Vorhandensein von Minen, Streubomben und explosiven Kriegsüberresten hatte unmittelbare

Folgen für die Entwicklung des Landes. 80% der betroffenen Gebiete im Süden Iraks bestehen aus

landwirtschaftlicher Nutzfläche, die häufig der ärmsten Bevölkerung des Landes gehört. Diese hat oft

keine andere Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen16, und setzt um zu Überleben ihr

Leben aufs Spiel, indem sie diese Gebiete betritt. Der Irak hat 2007 die Ottawa-Konvention zum

Verbot von Minen und 2009 die Oslo-Konvention über Streubomben unterzeichnet.

13

Die Bezeichnung „explosive Kriegsüberreste“ bezieht sich auf verschiedene Arten nichtexplodierter Elemente wie zum

Beispiel Granaten, Raketen oder Streubomben, die nach Ende eines bewaffneten Konflikts aktiv und gefährlich bleiben können. Die Zivilbevölkerung ist das Hauptopfer dieser Art von Waffen. 14

UNICEF Besprechungsnotiz im Irak, Januar 2011 15

Quelle: Landmine Monitor 2012 16 GICHD, Iraq mine action strategy 2010-2012,

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

14

Ein unschuldiges Opfer von Streubomben

Wahid war 12 als er seinen Unfall hatte. Am 29. Juni 2003 lief Wahid

zusammen mit seinem Bruder durch seine Wohngegend Kerbala im

Südwesten Bagdads als ein ungewöhnliches Metallteil sein Interesse

weckte.

Wahid hob es auf und es explodierte. Das Gebiet war mit Streubomben

bombardiert worden. Wahid hatte viele schwere Verletzungen. Seine

rechte Hand wurde abgerissen und drei Finger seiner linken Hand

mussten amputiert werden. Sein Körper war von Granatsplittern

übersät, auch sein Oberkörper, sein Schädel, seine Knöchel und sein

Knie. Er hatte vier Operationen und wird sein Leben lang an den Folgen

seines Unfalls leiden. Seine Eltern mussten den Großteil ihres Besitzes

verkaufen, um seine Arztkosten bezahlen zu können.17

Wenn Minen zum Kinderspielzeug werden

Das kleine Dorf Sharkan in der Region Chorman im Norden von Mosul

befindet sich in einem Tal, das von Hügeln und schneebedeckten

Bergen begrenzt wird. Schüchtern und Augenkontakt vermeidend

bringt Rabin Ibrahim Tee und beginnt, seine Geschichte zu erzählen:

„Ich erinnere mich kaum, denn ich wurde ohnmächtig als die Mine

explodierte. Erst später erfuhr ich, dass mein älterer Bruder und mein

Cousin tot waren. Anfangs, als wir sie unter einem Stein fanden,

wollten wir nur damit spielen, vor allem mit den Bleikugeln darin. Also

versuchte mein Bruder, sie mit einem Metallstab zu öffnen und danach

kann ich mich an nichts mehr erinnern. Das ist gerade zehn Jahre her,

es war in der Nähe des Hauses, in einem Feld mit hohen Gräsern, wo ich mit einem Bruder immer

gespielt habe.“

Rabin zieht sein Hosenbein hoch und zeigt die Narben, die seine Beine bedecken – die

unauslöschlichen Zeichen eines Kinderspiels, das in diesem Teil der Welt bei Weitem nicht selten ist.

Nasrin, Rabin Ibrahims Mutter spricht mit lauter und selbstbewusster Stimme. So wie Saddam

Husseins Armee ihr ihren Mann bei einer örtlichen Revolte weggenommen hat, nahm sie auch ihrem

Sohn und ihrem Neffen zehn Jahre später das Leben. Nasrin will nicht zulassen, dass die Geschichte

sich wiederholt. Sie erklärt, warum sie die Arbeit von Handicap International Arbeit unterstützt.

„Nach dem Tod meines ältesten Sohnes war ich entschlossen, eine weitere Tragödie zu verhindern,

also helfe ich dabei, Kleinbauern und Kinder mit Informationen über Minen zu versorgen. Wir

erklären ihnen die Gefahren und zeigen ihnen, wie das Warnsystem funktioniert.“ Sie besucht

Häuser, Moscheen und Schulen im umliegenden Gebiet um all diejenigen zu sensibilisieren, die

täglich Minen ausgesetzt sind.18

17 Das Interview führte Sylvain Ogier, 2007 18 Das Interview führte Xavier Bourgois, 2011

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

15

© Alexandre Carle / Handicap International

Seit über 20 Jahre engagiert sich Handicap International im Irak

Im Jahr 1991 setzte sich die Organisation erstmals im Irak für die Opfer des Golfkrieges ein.

Seit April 2013 versucht Handicap International neben der Aufklärung über die Risiken von

Minen und explosiven Kriegsresten auch das Bewusstsein für die Gefahren von

unsachgemäßem Gebrauch von Kleinwaffen zu steigern. Über unser Engagement im Feld

hinaus, hoffen wir auf eine Regulierung des Handels mit Kleinwaffen durch die politischen

Entscheidungsträger. Die Organisation unterstützt auch weiter hin das orthopädische Zentrum

KORD, das während des ersten Einsatzes im Irak gegründet wurde.

Räumung und Aufklärung über die Risiken von Minen und explosive Kriegsresten

Nach dem Sturz Saddam Husseins

2003 startete Handicap International

umgehend eine Reihe von Projekten,

um die tägliche Bedrohung der

Bevölkerung durch Minen und

explosive Überreste zu reduzieren.

Die Projekte umfassten die Räumung

der Gebiete, Aufklärungsarbeit sowie

orthopädische Hilfe für die Opfer. Ein

Team von zehn

RäumungsexpertInnen arbeitet

derzeit in den Vororten Bagdads.

Dazu gehört auch das Training für

irakische Räumungsexperten, die

nun in diesem Bereich tätig sind und

deren Einsatz wohl für die

kommenden Jahrzehnte benötigt

werden wird.

Handicap International führt darüber

hinaus eine Kampagne zur Bewusstseinsbildung durch. Dabei wurden zunächst 50.000 Poster in

Krankenhäusern, Moscheen und an Mauern in Bagdad plakatiert sowie 200.000 Aufklärungsflyer

verteilt. Außerdem wurden Informationstreffen mit Imamen und Ärzten organisiert, die als

Multiplikatoren das Wissen über Prävention an die restliche Bevölkerung weitergeben.

Um der extreme instabilen Sicherheitslage im Irak zu begegnen, ist Handicap International heute

bestrebt, weiterhin durch irakische Partner in den Anti-Minen-Aktionszentren das öffentliche

Bewusstsein für die Risiken zu verbessern. Im Jahre 2012 wurden MitarbeiterInnen in 35 solcher

Zentren im Norden und Süden des Landes geschult, um Risikoaufklärung über die explosiven

Kriegsreste anzubieten. Diese konnten dann 8.500 IrakerInnen mit ihrer Kampagne zur

Bewusstseinsbildung erreichen, davon waren die Hälfte Kinder. Zu ihrer Unterstützung produziert

Handicap International Material wie Handbücher, Informationstafeln und Flyer.

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

16

Eine Kampagne zur Verminderung der Risiken von Kleinwaffen

Handicap International ist auch besorgt über die Risiken, die von Kleinwaffen ausgehen. Die

Organisation betreibt bereits eine Präventionskampagne in Libyen und beabsichtigt Projekte

durchzuführen, um die von Kleinwaffen ausgehende Gefahren einzudämmen. Zunächst wird

Handicap International die gefährlichsten Gegenden im Irak identifizieren, um eine

Aufklärungskampagne angepasst an die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erstellen.

Diese Informationen sind entscheidend, um die Anzahl der Unfälle mit Kleinwaffen zu reduzieren, die

bereits für 140.000 verletzte oder getötete Zivilisten seit 2003, das entspricht ca. 40 Zivilisten pro Tag

über die letzten zehn Jahre, verantwortlich sind,.

Orthopädische Hilfsmittel in irakisch Kurdistan

1991 startete Handicap International erste Projekte in irakisch Kurdistan, um den Opfern des

Golfkrieges sowie Opfern von Minen und anderen explosiven Kriegsresten zu helfen. Diese ersten

Projekte umfassten Angebote zur Anpassung orthopädischer Hilfsmittel und

Rehabilitationsmaßnahmen wie das orthopädische Zentrum (KORD19

) in Soulaymaniah.

Im Jahre 2003 wurde dieses Engagement durch zwei Rehabilitationszentren und drei mobile

Einheiten, die in abgelegenen Gegenden und gelegentlich auch in Kriegsgebieten operierten,

umgesetzt. Daneben stellte Handicap International dem Institute of Medical Technology in Bagdad,

das währen des Konfliktes geplündert worden war, Physiotherapie-Ausrüstung und Prothesen zur

Verfügung. Dies ermöglichte es dem Institut, seine Arbeit im Bereich der Anpassung von

orthopädischen Hilfsmitteln fortzusetzen und bisher 300 Menschen nach einer Amputation zu

behandeln.

In den Jahren 2008 und 2009 unterstützte Handicap International Ärzte ohne Grenzen im Bereich

wiederherstellende Chirurgie für Menschen, die während des Krieges verletzt worden waren.

Handicap International unterstützt auch weiterhin KORD mit praktischem Training und technischer

Hilfe für irakische Fachkräfte der Physiotherapie und Orthopädietechnik.

19 Kurdistan Organization for Rehabilitation of the Disabled

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

17

Berichte von Betroffenen

Muhammad Ali : Die Mine, durch die er sein Bein verloren hat, kostet nicht mehr als 5 Dollar

Muhammad Ali sagt, dass er Glück hatte, er „verlor nur ein Bein,

andere kriechen auf allen Vieren wie Kinder“. Muhammad Ali

versuchte gerade sein eigenes Feld zu entminen, als er 1992 auf

eine Valmara, eine italienische Antipersonenmine, trat, die sein

Bein abriss. Die Valmara ist eine Mine mit ausgefallener Form, sie

hat kleine Zacken die oft die Aufmerksamkeit von Kindern auf sich

ziehen. Die Mine explodiert in einer tödlichen Höhe von 45cm und

in einem Radius von 20m. Muhammed sagt, er hatte Glück, da er

weiß, was ihm passieren hätte können. Er ist jetzt 60 Jahre alt und

besucht KORD seit 20 Jahren, um seine Prothese zu tauschen

oder anzupassen, Die Mine, durch die er sein Bein verloren hat,

kostete nicht mehr als 5 Dollar in der Produktion, aber wie alle

explosiven Kriegsreste hat sie das Leben von tausenden

Menschen zerstört.

Interview Xavier Bourgois, 2011.

© X.Bourgois/Handicap International

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

18

Haiti, 2010, Flüchtlingslager in Port-au-Prince.

© W. Daniels / Handicap International

HAITI: Gewalt von bewaffneten Gruppen breitet sich aus

Haiti ist eines der ärmsten Länder der Welt (Rang

158 im Human Development Index) und geprägt von

chronischen Krisen wie Klimakatastrophen und

Erdbeben. In der Hauptstadt Port-au-Prince ist die

Not immens: Arbeitslosigkeit, von der besonders

Jugendliche betroffen sind, die Inflation der Preise

für grundlegende Nahrungsmittel, die instabile

Sicherheitslage, der schwierige Zugang zu Wasser

seit dem Ende der Verteilungen von Hilfsgütern und

der beschränkte Zugang zu Bildung sind so viele

Faktoren, die ein Umfeld von Unsicherheit bedingen.

Die politischen Krisen häufen sich seit mehr als 50

Jahren und begünstigen so den Anstieg der Gewalt

und vor allem von bewaffneten Banden, die in dem

Land ihr Unwesen treiben.

Etwa 200.000 Leichtwaffen zirkulieren in den

Händen von Zivilisten – und das in einem Land, das

nur ca. 10 Millionen Einwohner zählt. Noch

erschreckender wirkt die Zahl, wenn man bedenkt,

dass laut Schätzungen nur 11 % der Waffen aktuell

bei den Behörden registriert sind. Handicap

International recherchierte in einem der größten

Viertel von Port-au-Prince, Bel-Air, in dem 135.000

Menschen leben. Die Mordrate in diesem Viertel ist eine der höchsten der Welt: im Jahr 2010

erreichte sie 49 von 100.000 Einwohnern; im Vergleich zu 16 von 100.000 Einwohnern im Jahr 2009.

Zum Vergleich: Das Sekretariat der Genfer Erklärung über Bewaffnete Gewalt und Entwicklung

spricht von einer niedrigen Rate bei unter 7,24 von 100.000 Einwohnern, einer erhöhten Rate bei

mehr als 7,24 pro 100.000 Einwohnern und einer sehr hohen Rate bei mehr als 18 pro 100.000

Einwohnern.

Die Teams von Handicap International vor Ort in Haiti arbeiten tagtäglich mit den Opfern von

Leichtwaffen. Da wir bereits seit 2008 in Haiti aktiv sind, konnten wir nach dem Erdbeben vom

Januar 2010 wichtige Unterstützung bei der Versorgung der Erdbebenopfer leisten. Auch heute, drei

Jahre später, sind wir im Bereich der Rehabilitation und der Ausbildung von lokalem

Rehabilitationspersonal im Einsatz, weiterhin in Projekten zur wirtschaftlichen Integration von

schutzbedürftigen Menschen und bei der Einrichtung von schnellen Reaktionsmechanismen in

Notfällen.

Unter den Begünstigten durch diese Projekte sind viele Opfer von bewaffneter Gewalt, von denen die

Mehrheit durch verirrte Kugeln in Auseinandersetzungen zwischen Banden verletzt wurde oder

während Kämpfen zwischen Banden und der Polizei.

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

19

Berichte von Betroffenen

Querschnittsgelähmt durch den Schuss einer Feuerwaffe

Mireille ist 38 Jahre alt. Sie lebt in Port-au-Prince mit

ihren Söhnen Franztoo (13 Jahre) und Danilo (12 Jahre).

Seit dem Tod ihres Mannes vor zehn Jahren ist sie

Witwe.

2008 brechen eines Nachts fünf maskierte und mit

Säbeln und Revolvern bewaffnete Männer in ihr Haus

ein. Sie versuchen, Mireille zu vergewaltigen, doch sie

wehrt sich. Daraufhin eröffnen sie das Feuer auf sie und

schießen ihr zwei Kugeln in den Rücken. Über drei

Stunden lang bleibt sie ohne Bewusstsein auf dem

Boden liegen. Ihr Sohn Danilo denkt, seine Mutter sei tot

und fleht sie an, zurückzukommen. Nachdem sie ins

Krankenhaus von Port-au-Prince gebracht wurde, erfährt

sie, dass sie für immer querschnittsgelähmt bleiben wird.

Sie liegt ein Jahr lang im Krankenhaus, bevor sie von

Handicap International entdeckt und durch

Rehabilitationseinheiten und psychologische

Unterstützung versorgt wird. „Die Gespräche mit der

Psychologin waren für mich sehr wichtig. Ich habe

gelernt, wieder zu lachen. Sie hat mich überzeugt, dass

ich fähig bin zu leben, zu arbeiten, mich um mich selbst und meine Familie zu kümmern. Ich habe

mich viel mit anderen behinderten Menschen ausgetauscht und das hat mir sehr geholfen.“

Handicap International kümmert sich ebenfalls darum, dass Mireilles Zuhause barrierefrei gemacht

wird, vor allem durch das Anbringen einer Rampe für die Küche und neue Sanitäranlagen. Darüber

hinaus wurde das Haus ringsum mit Gitterzäunen versehen, sodass sich die Familie sicherer fühlt.

Mireille befand sich als gelähmte und alleinerziehende Mutter zweier Kinder in einer ökonomischen

sehr schwierigen Lage. Deswegen hat Handicap International auch ihr berufliches Vorhaben

unterstützt, indem ihr die nötigen Gegenstände für die Eröffnung eines Lebensmittelladens

bereitgestellt wurden und das Geschäft angepasst und barrierefrei gestaltet wurde. Die Teams der

Organisation haben ihr Ratschläge und Unterstützung gegeben, um ihr Geschäft zum Laufen zu

bringen. Heute ermöglicht ihr dieser Laden, dass sie ihre Kinder ernähren und zur Schule schicken

kann. Mireille ist immer noch auf finanzielle Unterstützung ihrer Familie angewiesen, doch ihr Leben

nimmt Schritt für Schritt seinen Lauf. Franztoo, ihr älterer Sohn, möchte später Polizist werden und die

Angreifer seiner Mutter finden, die nach dem Einbruch nie gefasst wurden. Mireille versucht, ihn zu

beruhigen. Sie erklärt ihm, dass dies zu nichts führen würde: „Man kann nur für sie beten und hoffen,

dass sie verstehen, was sie getan haben, und dass sie es nie wieder tun werden.“

Mireille ist leider kein Einzelfall in Haiti. 91 % der Opfer von bewaffneter Gewalt, die von Handicap

International befragt wurden, leben heute mit einer schweren Behinderung.

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

20

Eine politische Kampagne gegen bewaffnete Gewalt

Handicap International ist vor Ort tätig, um die bewaffnete Gewalt einzudämmen, agiert aber auch auf

internationaler Ebene.

Internationale Verträge für das Verbot von Landminen und Streumunition

Seit 30 Jahren ist das Engagement gegen die Folgen von bewaffneter Gewalt das wichtigste Ziel von

Handicap International. Der Kampf gegen Ungerechtigkeit und die inakzeptablen Auswirkungen, die

Waffen auf die Zivilbevölkerung haben, ist einer der Schwerpunkte der Aktionen von Handicap

International. Die Organisation gehört zu den sechs Gründern der International Campaign to Ban

Landmines20

(ICBL), deren Einsatz im Jahr 1997 zur Unterzeichnung der Ottawa-Konvention führte.

Dafür erhielt Handicap International 1997 gemeinsam mit den anderen Mitgliedsorganisationen von

ICBL den Friedensnobelpreis.

Seit 2003 engagiert sich Handicap International auch im Kampf gegen Streumunition als eine der

Gründungsmitglieder der Cluster Munition Coalition (CMC) – die maßgeblich an der Ausarbeitung der

Konvention gegen Streubomben 2008 in Oslo beteiligt war. Nach wie vor gehört es zur täglichen

Arbeit der Organisation, darauf zu achten, dass sich die Regierungen an die Übereinkünfte dieser

beiden Verträge, besonders hinsichtlich der Opferhilfe, halten. Die Teams von Handicap International

engagieren sich auch dafür, die Nicht-Mitgliedstaaten, wie beispielsweise die USA, China, Russland

oder Israel, zu drängen, endlich die Verträge zu unterzeichnen. Aus der Erfahrung in den Projekten

und der Notwendigkeit heraus, Leben zu retten, wurde die Prävention von Unfällen durch

Leichtwaffen, die in Ländern wie Libyen oder Mali eine ernsthafte Gefahr darstellen, zu einem neuen

Schwerpunkt der Arbeit von Handicap International.

Der Kampf gegen illegalen Waffenhandel

Bei der UN-Generalversammlung am 2. April 2013 wurde ein Waffenhandelsvertrag (ATT21

)

beschlossen, der ab 3. Juni zur Unterschrift offen ist. „Ziel des Vertrages ist es, den konventionellen

Waffenhandel zu regulieren (biologische, chemische und atomare Waffen ausgenommen), um

unverantwortliche Transaktionen zu verhindern (beispielsweise mit Regierungen mit einer schlechten

Menschenrechtsbilanz) und um illegalem Handel vorzubeugen und diesen zu unterbinden“, erklärt

Marion Libertucci, Lobby-Managerin von Handicap International. Dieser Vertrag wurde von

zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen gefordert, die von vielen Staaten besonders in

Europa und Afrika unterstützt werden.

Handicap International hofft, dass der ATT, wenn er in Kraft treten wird, einen positiven Einfluss auf

die Eindämmung der bewaffneten Gewalt in den betroffenen Ländern hat. Es ist das erste

Kontrollinstrument für den internationalen Waffenhandel überhaupt. Handicap International ist oft

unmittelbar Zeuge von den Schäden, die durch unverantwortlichen Waffenhandel für die

Zivilbevölkerung entstehen.

20 Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen 21 Arms Trade Treaty

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Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013

21

Kongo - Buramba. Francine, Opfer eines bewaffneten Überfalls ©

Martina Bacigalupo - Vu' / Handicap International

Im März 2007 waren die damals

vierjährige Francine und ihre

beiden älteren Schwestern alleine

zu Hause, als bewaffnete Männer

ihr Dorf, Buramba, stürmten.

Francines Schwestern wurden

erschossen. Francine wurde

verletzt.

„Der Rest der Familie und ich

haben Angst, ins Dorf

zurückzukehren", sagt ihr Vater,

der bei ihr im Zentrum für

Menschen mit Behinderung Shirika

la Umoja in Goma geblieben ist.

Vor Kurzem wurde Francine von

Handicap International in das

Zentrum gebracht, weil sie

Schwierigkeiten beim Gehen hatte.

Während des Überfalls wurde sie

ins Knie geschlagen und ihr Bein

ist daraufhin schief

zusammengewachsen. Handicap

International war in der Lage, das

Problem mittels eines

Gipsverbandes und Physiotherapie

zu korrigieren. Francine erhielt eine

orthopädische Schiene, die ihr Bein

langfristig korrigiert und es ihr

erlaubt, wieder normal gehen zu

können.

Internationale Zusammenarbeit zur Verbesserung

der Vorgehensweise

Handicap International war daran beteiligt, ein Bündnis von

Organisationen gegen bewaffnete Gewalt (The Global

Alliance on Armed Violence22

) zu schaffen. Es zielt darauf ab,

den Austausch von bewährten Vorgehensweisen unter den

Organisationen23

, die vor Ort mit Projekten zur Prävention und

Eindämmung von bewaffneter Gewalt tätig sind, zu erleichtern

und den Dialog mit anderen Mitwirkenden im Kampf gegen

bewaffnete Gewalt zu fördern. Felddaten, Veröffentlichungen

von jeder Organisation und Ratschläge zur erfolgreichen

Durchführung eines Projekts werden für die Organisationen im

Bündnis, die nicht immer die Mittel haben, ihre eigenen

Ressourcen zu schaffen, zugänglich gemacht.

Sogenannte explosive Waffen - eine weitere Seite

der bewaffneten Gewalt

Handicap International ist auch ein Gründungsmitglied eines

Zusammenschlusses von Nicht-Regierungs-Organisationen,

der sich dafür einsetzt, dass explosive Waffen in bewohnten

Gebieten nicht verwendet werden dürfen (International

Network on Armed Violence - Internationales Netzwerk gegen

bewaffnete Gewalt, AOAV)24

. Laut AOAV gab es 2012

aufgrund von explosiven Waffen mindestens 25.000 Opfer

weltweit25

. Die Bombardements sowohl auf syrische Städte

als auch auf den Gazastreifen in den letzten Monaten zeigten

wieder deutlich, dass die Zivilbevölkerung in solchen Fällen

die ersten Opfer sind - schätzungsweise 80 bis 90% der Opfer

von explosiven Waffen sind zivile Opfer26

– und die Folgen für

die lebensnotwendige zivile Infrastruktur (wie beispielsweise

Krankenhäuser, sauberes Wasser oder Sanitäranlagen) sind

oft sehr schwerwiegend. Deshalb fordert Handicap

International alle Staaten dazu auf, anzuerkennen, dass die

Verwendung von explosiven Waffen in dicht besiedelten

Gebieten inakzeptable Schäden für die Bevölkerung vor Ort

hervorruft, und solchen Aktionen ein Ende zu bereiten.

22 Globale Allianz gegen bewaffnete Gewalt 23 Non-Governmental Organisations - Nichtregierungsorganisation 24 Explosive Waffen beinhalten Blindgänger wie beispielsweise Minenwerfer, Raketen, Granaten oder Fliegerbomben, aber auch improvisierte explosive Geräte. 25 Action on Armed Violence - Aktion gegen bewaffnete Gewalt (AOAV) Explosive Violence Monitoring Project - Projekt zur Überwachung

von explosiver Gewalt (EVMP): www.aoav.org.uk 26 Action on Armed Violence - Aktion gegen bewaffnete Gewalt (AOAV) Explosive Violence Monitoring Project - Projekt zur Überwachung

von explosiver Gewalt (EVMP): www.aoav.org.uk


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