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LENAIKA (Festschrift für Carl Werner Müller zum 65. Geburtstag am 28. Januar 1996) || „ZWEITER,...

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„ZWEITER, NACH DEM PAPST Wie der angebliche Ire Bonifatius für den hohen Rang des Mainzer Erzbischofs einstehen sollte von Kurt-Ulrich Jäschke Inhalt: 1) Zur politischen Ausmünzung der Bonifatiusverehrung S. 265 - 2) Half ein Bonifatius-Rekurs bei der Begründung des sogenannten Mainzer Krönungsrechts? S. 269 - 3) Bonifatius im Mariani Scotti Chronicon S. 271 - 4) Bonifatius konnte als Angelsachse bekannt sein S. 275 - 5) Angelsachsen und Iren im Mariani Scotti Chronicon S. 278 - 6) Quellenkundliches zum Mariani Scotti Chronicon S. 284 - 7) Imperator Francorum seit Pippin dem Jüngeren S. 287 - 8) Erzbischof Siegfried I. von Mainz sollte nicht als Herrschersalber vorgeführt wer- den S. 293 - 9) Marian hat Rangvorstellungen aus dem Mainzer Kathe- dralklerus aufgenommen, aber nicht das Herrscherweiherecht des Erz- bischofs besonders herausstellen wollen S. 300. 1. Zur politischen Ausmünzung der Bonifatiusverehrung Zu historischen Folgen der Verehrung jenes romorientierten Angel- sachsen Bonifatius, der im Frankenreich als Missionar und Kirchen- organisator gewirkt hatte und hochbetagt bei der Friesenmission zu Dokkum, also fern von seinem Sitz Mainz, am 5. Juni 754 ermordet worden war 1 , gehört nicht nur der schließliche Ruhm als „Apostel der Deutschen" 2 . Noch ehe die apostelgleiche Zuordnung zur Germania 1 Knut Schäferdiek, Bonifatius (in: Hoops 3, 2 1978) S. 221ff. - Ders., Mittel- alter (in: TRE 23, 1994) S. 119 Z. 41-45. - Kurt-Ulrich Jäschke, Bonifatius (ebd. 7, 1981) S. 69-74. - Für die bibliographischen Abkürzungen orientiere ich mich an dem Lexikon des Mittelalters [künftig: Lex. des ΜΑ] 1 (1980) S. XXffl-LXffl; dortige Ver- sehen bei Erscheinungsjahren werden stillschweigend berichtigt. 2 Hans Ulrich Rudolf, Apostoli Gentium. Studien zum Apostelepitheton unter besonderer Berücksichtigung des Winfried-Bonifatius und seiner Apostelbeinamen (= Göppinger Akademische Beiträge 42, Göppingen 1971) S. 37, S. 46 Anm. 90, S. 145- 148, 155f., 170, 173, 183, 200 und 238f. - Zum Folgenden vgl. ebd. S. 150f. („apostelgleich") und 153f. (Otloh). Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 12/18/13 8:44 AM
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„ZWEITER, NACH DEM PAPST

Wie der angebliche Ire Bonifatius für den hohen Rang des Mainzer Erzbischofs einstehen sollte

von Kurt-Ulrich Jäschke

Inhalt: 1) Zur politischen Ausmünzung der Bonifatiusverehrung S. 265 - 2) Half ein Bonifatius-Rekurs bei der Begründung des sogenannten Mainzer Krönungsrechts? S. 269 - 3) Bonifatius im Mariani Scotti Chronicon S. 271 - 4) Bonifatius konnte als Angelsachse bekannt sein S. 275 - 5) Angelsachsen und Iren im Mariani Scotti Chronicon S. 278 - 6) Quellenkundliches zum Mariani Scotti Chronicon S. 284 - 7) Imperator Francorum seit Pippin dem Jüngeren S. 287 - 8) Erzbischof Siegfried I. von Mainz sollte nicht als Herrschersalber vorgeführt wer-den S. 293 - 9) Marian hat Rangvorstellungen aus dem Mainzer Kathe-dralklerus aufgenommen, aber nicht das Herrscherweiherecht des Erz-bischofs besonders herausstellen wollen S. 300.

1. Zur politischen Ausmünzung der Bonifatiusverehrung

Zu historischen Folgen der Verehrung jenes romorientierten Angel-sachsen Bonifatius, der im Frankenreich als Missionar und Kirchen-organisator gewirkt hatte und hochbetagt bei der Friesenmission zu Dokkum, also fern von seinem Sitz Mainz, am 5. Juni 754 ermordet worden war1, gehört nicht nur der schließliche Ruhm als „Apostel der Deutschen"2. Noch ehe die apostelgleiche Zuordnung zur Germania

1 Knut Schäferdiek, Bonifatius (in: Hoops 3,21978) S. 221ff. - Ders., Mittel-alter (in: TRE 23, 1994) S. 119 Z. 41-45. - Kurt-Ulrich Jäschke, Bonifatius (ebd. 7, 1981) S. 69-74. - Für die bibliographischen Abkürzungen orientiere ich mich an dem Lexikon des Mittelalters [künftig: Lex. des ΜΑ] 1 (1980) S. XXffl-LXffl; dortige Ver-sehen bei Erscheinungsjahren werden stillschweigend berichtigt.

2 Hans Ulrich Rudolf, Apostoli Gentium. Studien zum Apostelepitheton unter besonderer Berücksichtigung des Winfried-Bonifatius und seiner Apostelbeinamen (= Göppinger Akademische Beiträge 42, Göppingen 1971) S. 37, S. 46 Anm. 90, S. 145-148, 155f., 170, 173, 183, 200 und 238f. - Zum Folgenden vgl. ebd. S. 150f. („apostelgleich") und 153f. (Otloh).

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durch Magnentius3 Hrabanus Maurus ( t 856)4 über die geistliche Va-terstellung ähnlich einem zweiten Abraham für alle Bewohner der Ger-mania im 11. Jahrhundert5 dann im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts zu Eberhard von Fuldas „hochberühmtem Patron und Apostel von ganz Gallien und Germanien"6 aufblühte, haben Erzbischöfe von Mainz ihre rangmäßige Spitzenstellung im römisch-deutschen Reich wiederholt mit ihrer Bonifatius-Nachfolge begründet7. Ahnliches galt auch für den Fulder Reichsabt als Primas deutscher Klostervorsteher und als Erz-kanzler der Römerkönigin; konnte beides doch bis noch vor kurzem als „ein [!] Kapitel bonifatianischer Tradition"8 erscheinen.

3 So Ernst Dümmler, Die handschriftliche Ueberlieferung der lateinischen Dichtungen aus der Zeit der Karolinger (in: NA 4, 1879) S. 286f. - Ders. (Ed.), Hrabani Mauri Carmina (in: MGH PP 2,1884) S. 154.

4 Hrabani Carmen 71 = Hymnus in laudem s. Bonifatii martyris, Verse 3-8: Asia magnificat Iacobum, Ausonia quoque Petrum, / Iohannemque Ephesus, Africa Cyprianum: /Non minus exaltans celebrat Germania laudes /Et Boni/acii opus mar-tyris almificum. / Ordinat hunc Roma, mittitque Britannia mater / Doctorem populis ... - Verse 47-51: Martyrio decorat quidquid Germania nutrit. /Etproprio sobolem martyrio decorat. /Οpatria, ο populus tanto ditatapatrono, /Per quem vita venit, ο patria, ο populus, / Dignaque quae fueras, ο terque quaterque beata ...; Dümmler, Hrabani Mauri Carmina (1884) S. 234f., wo für Vers 51b auf wörtliche Entlehnung aus Aen. 194 verwiesen wird.

5 Vita Bonifatii auctore Otloho I 44 nach mehreren Germania- und Germani-Bezügen: Sicut et Abraham ob fidei obqdientiaeque suae meritum cunctis imitandum pater omnium dictus est in Christo credentium, haud aliter sanctus presul Bonifatius omnium Germaniae incolarum pater dici potest...; Vitae s. Bonifatii archiepiscopi Mogontini, ed. von Wilhelm Levison (= MGH SRG [57], 1905) S. 157f., Zitat S. 158 Z. 16-20.

6 ... preclarissimuspatronus noster et totius Galliq atque Germania apostolus .... an anderer Stelle omnium qcclesiarum Galliq, Alamanniq et Germania apostolus et predicator extitit sanctus Bonifacius...; Edmund E[mst] Stengel (Ed.), Urkundenbuch des Klosters Fulda 1 (= VHKH 101, Marburg 1913-1958) S. 15 Nr. 10t bzw· S. 296 N.b zu Nr. 198"f. - Orthographisch normalisiert bei Rudolf, Apostoli Gentium (wie Anm. 2) S. 238f.

7 Dazu zuletzt Franz Staab, Die Mainzer Kirche. Konzeption und Verwirk-lichung in der Bonifatius- und Theonesttradition (in: Die Salier und das Reich, hg. von Stefan Weinfurter, 2, Sigmaringen 1991) S. 40-49 u.ö.; ebd. S. 59 und 61 ist auch der Obertitel der hier vorgelegten Abhandlung bereits vorgegeben. - Petra Kehl, Kult und Nachleben des hl. Bonifatius im Mittelalter, 750-1200 (= Quellen und Abhandlungen zur Geschichte der Abtei und der Diözese Fulda, hg. vom Bistum Fulda, 26, Fulda 1993) S. 189-193.

8 So der Untertitel bei Edmund E[rnst] Stengel, Primat und Archicancellariat der Abtei Fulda (in: Stengel, Abhandlungen und Untersuchungen zur Hessischen Ge-

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Der Bonifatiusbezug ist inzwischen aus der modernen Sicht der fuldi-schen Argumentation des 10. Jahrhunderts gestrichen worden9. Eine neuere Überprüfung der Belege für Bonifatiuskult im Früheren Mittel-alter kommt ausgerechnet für Fulda zu demselben Ergebnis10, bestätigt aber für das Erzstift Mainz nach Rekurs auf erzbischöfliche Petitionen seit Juli/August 93 711 und auf entsprechende päpstliche Privilegierungen seit vielleicht schon Ende dieses Jahrs12 die herkömmliche Sicht, daß der jeweilige Mainzer Papstvikariat, obgleich formal jeweils nur ad perso-nam verliehen, für den deutschen Reichsteil ganz erheblich bonifatia-nisch mitbegründet wurde13. Jener sei gar noch zu Erzbischof Friedrichs

schichte = VHKH 26, 1960; ursprünglich 1954 als Beitrag zur St.-Bonifatius-Gedenk-gabe dieses Jahres) S. 312-334. - Rudolf, Apostoli Gentium (wie Anm. 2) S. 165ff.

9 Ulrich Hussong, Studien zur Geschichte der Reichsabtei Fulda bis zur Jahr-tausendwende 1 (in: ADipl 31, 1985) S. 220f. - Bei Mechthild Sandmann, Fulda I (in: Lex. des MA 4 V, 1988) Sp. 1020f. fehlt sogar der gesamte Vikars- und Erzkanzler-komplex.

10 Kehl, Kult und Nachleben (wie Anm. 7) S. 115 Anm. 180. 11 GP 4 (1978) S. 72f. Nr. »57 Erzbischof Friedrichs an Papst Leo VE. - Ebd.

S. 75 Nr. *64 Erzbischof Wilhelms an Papst Agapit Π. von Anfang 955. - Heinz Thomas, Erzbischof Siegfried I. von Mainz und die Tradition seiner Kirche. Ein Bei-trag zur Wahl Rudolfs von Rheinfelden (in: DA 26,1970) S. 372f.

12 RI2 V (1969) Nr. 137. - Vorsichtiger auf „937 August - 939 Anfang Juli" eingegrenzt wird dieses undatierte Privileg Papst Leos VH. in GP 4 (1978) S. 73 Nr. 58; Druck bei Manfred Stimming (Ed.), Mainzer Urkundenbuch 1 (= Arbeiten der Hi-storischen Kommission fllr den Volksstaat Hessen, Darmstadt 1932) S. 118f. Nr. 193. - GP 4 (1978) S. 73f. Nr. *59 Papst Marins H. für Erzbischof Friedrich zu 942 X -946 V Anfang, bei RI 2 V Nr. 186 [Deperditum] genauer zu Anfang 946 gezogen und entsprechend historisch eingeordnet. Dem schließt sich Hermann Jakobs, Eugen ΠΓ. und die Anfänge europäischer Stadtsiegel nebst Anmerkungen zum Bande IV der Germania Pontificia (= Studien und Vorarbeiten zur Germania Pontificia 7, Köln/Wien 1980) S. 39 mit nunmehriger Datierung „ins Frühjahr 946" ungefähr an, wobei mitzudenken ist, daß Marins Π. Nachfolger Papst Agapit Π. schon ab (10.) Mai 946 amtierte; RI 2 V Nr. 188 vorsichtiger als Jafle 1(21885) S. 459 und die ihm fol-genden Nachschlagewerke bis hin zu John Norman Davidson Kelly, The Oxford Dictionary of Popes (1986) S. 125. - Alois Gerlich, Friedrich (in: Lex. des MA 4 V, 1988) Sp. 964 datiert „nach 942". - RI 2 V Nr. 246 Papst Agapits Π. für Erzbischof Wilhelm von Anfang 955, in GP 4 S. 75 Nr. 65 zu „955 vor Juli" gezogen. Druck bei Stimming 1 S. 122f. Nr. 199.

13 Kehl, Kult und Nachleben (wie Anm. 7) S. 189ff. - wo Verweise auf die neueren Regestenwerke fehlen; diese sind deshalb in den beiden vorangehenden Fuß-noten „nachgetragen" worden. - Ad personam: Thomas, Erzbischof Siegfried I. (wie Anm. 11) S. 373.

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Amtszeit (937 - t 954)14 von „ganz Germanien" auf „ganz Germanien und Gallien" ausgedehnt worden15. Man mag festhalten wollen, daß in der Dispositio der allein erhaltenen Nachurkunde von dem Mainzer als Vikar und Missus16 nur „in Germanien und Gallien" die Rede ist und nicht „in ganz Germanien und Gallien"17. Doch es mögen auch Zweifel berechtigt sein, ob das fehlende totus wirklich eine Konkurrenz ermög-lichende Diskrepanz zwischen quasi-Petitio und Dispositio in inhaltlicher Hinsicht festhalten sollte, ja, ob der „herkömmliche"18 Vikariat und die missatische Gewalt „in allen Gebieten ganz Germaniens"19 tatsächlich von denselben Funktionen in den späteren „Gebieten Germaniens und Galliens" regional derart abweichen sollten, daß das Westfränkische Reich miterfaßt würde. Mochte doch im ottonischen Reich „Gallien und Germanien" durchaus für das stehen, was wir heute „den deutschen Reichsteil" innerhalb der späteren Trias „Deutschland, Burgund, Italien" nennen, so daß ein englischsprachiges Resümee vom „papal vicar and envoy to Germany" noch unter Papst Marinus II. spricht20. Es hätte sich dann seit 942/46 gegenüber eventuell 937 nicht um eine Ausdehnung in geographischer Hinsicht gehandelt, die über das ostfränkisch-deutsche Reich hinausging21. Entsprechende

14 Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 3 (Leipzig3/41906, Neudruck 1920) S. 981. - Gerlich, Friedrich (wie Anm. 12) Sp. 964.

15 Kehl, Kult und Nachleben (wie Anm. 7) S. 190 mit Zitat von in partibus tortus Germaniae Galliaeque aus der Narratio von Stimming, Mainzer UB 1 (wie Anm. 12) Nr. 199 S. 123 Ζ. 1. - Ähnlich bereits Thomas, Erzbischof Siegfried I. (wie Anm. 11) S. 373, allerdings mit Datierung der Ausdehnung erst in die Zeit Erzbischof Wilhelms (954-968), und Rudolf, Apostoli Gentium (wie Anm. 2) S. 162, dieser aller-dings aus Jaflfö (21885) Nr. *3631.

16 So die Wiedergabe der gleich zu zitierenden Formulierung ohne et oder -que bei RI 2 V (1969) Nr. 186 („missatische Gewalt") und 246 („Missus"). - GP 4 (1978) S. 73 Nr. *59 und S. 75 Nr. 65.

17 ... concedimus, ... utsitis noster vicarius missus in partibus Germaniae Gal-liaeque ...; Stimming, Mainzer OB 1 (wie Anm. 12) S. 123 Z. 7-10 in Nr. 199.

18 So Gerlich, Friedrich (wie Anm. 12) Sp. 964. 19 ... ut sitis noster vicarius et missus in cunctis regionibus totius Germaniae

...; Stimming, Mainzer UB 1 (wie Anm. 12) S. 119 Z. 16f. in Nr. 193. 20 Kelly, Popes (wie Anm. 12) S. 125 Sp. 1 mit Rekurs auf Bonifatius. - Zu

Germania Galliaque Helmut Beumann, Wissenschaft vom Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze (Köln/Wien 1972) S. 386f. und 391 [ursprünglich 1969] und Rudolf, Apostoli Gentium (wie Anm. 2) S. 162-165. - Anders Jakobs, Eugen DL (wie Anm. 12) S. 39.

21 So jedoch Forschungsresümees beispielsweise bei Thomas, Erzbischof Sieg-fried I. (wie Anm. 11) S. 373 und 379 oder Gerlich, Friedrich (wie Anm. 12) Sp. 964.

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Schlußfolgerungen für die präzisere Einordnung des Marinus-Deperditums als Reaktion auf bestimmte westfränkische Verhältnisse oder als Voraussetzung fur das dortige ottonische Eingreifen22 müßten dann zurücktreten.

2. Half ein Bonifatius-Rekurs bei der Begründung des sogenannten Mainzer Krönungsrechts?

Gleichwohl kann von einer Erweiterung der Rechte Erzbischof Friedrichs durch Papst Marinus II. die Rede sein: Neu oder zumindest präziser als zuvor verliehen scheint noch für Erzbischof Friedrich23 ge-wesen zu sein, daß er nun auch widerspruchslos Synoden in „Germanien und Gallien" abhalten durfte24. Später kam noch ein erzbischöflich-mainzisches Königsweiherecht hinzu25, das ältere Wurzeln hatte26. In-zwischen hatte sich Erzbischof Theoderich von Trier nach Erzbischof Wilhelms Ableben den apostolischen Vikariat in Gallien und Germanien und synodalen Primat verleihen lassen27, und zwar angeblich in Reaktion auf Gleichrangigkeitsbestrebungen sogar aus Magdeburg28. Seit der

22 RI2 V (1969) Nr. 186, besonders S. 72. - Jakobs, Eugen IE. (wie Anm. 12) S. 37ff.

23 Das haben GP 4 (1978) S. 73 Nr. »59 und Kehl, Kult und Nachleben (wie Anm. 7) S. 190f. übergangen, ohne sich mit Jaffö (l1885) Nr. 3631· und RI 2 V (1969) Nr. 186 auseinanderzusetzen.

24 Neu gegenüber bisheriger Entlehnung aus RI 2 V (1969) Nr. 137 stand wahrscheinlich schon in ebd. Nr. 186 die folgende Bestimmung - durch deren regio-nalen Bezug übrigens die eben diskutierte Formulierung ohne totus bestätigt wird: Synodum etiam vobis, provisori metropolitano Mogontinae sedis, constituere, ubi placeat, concedimus partibus Germaniae Galliaeque sine alicuius contradictione per-sonae-, Stimming, Mainzer UB 1 (wie Anm. 12) S. 123 Z. 14ff. in Nr. 199.

25 Jaffe (M885) Nr. 3784 = RI 2 V (1969) Nr. 542 = GP 4 (1978) S. 79 Nr. 77 von 975 DI, gedruckt bei Stimming, Mainzer UB 1 (wie Anm. 12) S. 133f. Nr. 217. -Daß hier „die Begriffe Primat und Vikariat" umgangen wurden, betont Jakobs, Eugen ΙΠ. (wie Anm. 12) S. 42. Gleichwohl besteht auf Verbriefung auch des Vikariats Staab, Mainzer Kirche (wie Anm. 7) S. 48.

26 Vgl. Beumann, Wissenschaft (wie Anm. 20) S. 387f. und 395f. 27 Jaffe (21885) Nr. 3736 = RI 2 V (1969) Nr. 456 von 969 I 22. - Jaffe Nr.

3783 = RI 2 V Nr. 538 von 975118. 28 Zu Jaffö (21885) Nr. t3729f. = RI 2 V (1969) Nr. f451 * GP.4 (1978) S. 78f.

Nr. 75 vgl. Jakobs, Eugen ΠΙ. (wie Anm. 12) S. 39-43, bes. 41f. in Auseinanderset-zung mit Beumann, Wissenschaft (wie Anm. 20) S. 395, 398 und 406ff. und dems., Ausgewählte Aufsätze aus den Jahren 1966-1986. Festgabe zu seinem 75. Geburtstag, hg. von Jürgen Petersohn und Roderich Schmidt (Sigmaringen 1987) S. 151 Anm. 52

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270 Kurt-Ulrich Jäschke

Weigerung des Mainzer Erzbischofs Aribo von 1024, Konrads II. Ge-mahlin Gisela zur Königin zu weihen29, mochte durch das „Einspringen" des Erzbischofs von Köln und trotz der Mainzer Königinweihe durch Aribos Nachfolger Bardo 104330 auch das Mainzer „Krönungsrecht" für den römisch-deutschen König in Gefahr sein. So paßt es gut in die Mainzer Lage, wenn während der Amtszeit von Aribos drittem Nachfol-ger Erzbischof Siegfried I. (1060-1084)31 „in dem Chronicon, das der Ire Marianus Scottus [damals] in Mainz verfaßte, ... das Mainzer Krö-nungsrecht auf Bonifatius zurückgeführt (wird), der Pippin zum König salbte". Deshalb habe „der Bischof von Mainz das Recht, diese Zere-monie zu vollziehen, an zweiter Stelle nach dem Papst erh(a)lt(en)"32.

Man mag sich für einen von auswärts nach Mainz gekommenen Autor zunächst der Titulierung „Bischof' statt des amtlich üblichen „Erzbischofs" versichern wollen und findet denn auch tatsächlich im Marianus-Text selbst, daß dem „Mainzer Erzbischof Bonifatius als ur-sprünglichem Salber der bloße „Mainzer Bischof als Nachfolger ange-schlossen wird. Aber wirklich als quasi-Rechtsnachfolger hinsichtlich des „Krönungsrechts"? Wörtlich übersetzend, liest man in dem Chro-nicon folgendes, und zwar im Jahresbericht zu 77233, der gemäß Marians eigentümlichem chronologischen System34 für 750 und nach heutiger Chronologie der Ereignisse für 75135 steht: „Pippin wird auf Be-schluß/Geheiß des Papstes Zacharias vom Mainzer Erzbischof Bonifa-tius zum Imperator gesalbt, und seither gilt deshalb der Mainzer Bischof

und S. 156 [ursprünglich 1974]. Von Beumann sind weitere klärende Ausführungen zu erwarten.

29 RI 3 I (1951) § η zu 1024 IX 8, Mainz. - Thomas, Erzbischof Siegfried I. (wie Anm. 11) S. 381: Krönungsrecht verspielt.

30 RI 3 I (1951) Nr. 4a zu 1024 IX 21, Köln. - Alois Gerlich, Bardo (in: Lex. des ΜΑ 1, 1980) Sp. 1459 zu 1043 XI12: präziser als Kurt-Ulrich Jäschke, Notwen-dige Gefährtinnen (= Historie u. Politik 1, Saarbrücken 1991) S. 97.

31 Hauck 3 (wie Anm. 14) S. 982. - Ludwig Falck, Die Nachfolger des Willigis auf dem Mainzer Stuhl (in: 1000 Jahre Mainzer Dom, 975 - 1975. Werden und Wan-del, hg. von Wilhelm Jung, Mainz 1975) S. 75.

32 Kehl, Kult und Nachleben (wie Anm. 7) S. 193. 33 So korrekt Kehl, Kult und Nachleben (wie Anm. 7) S. 193 Anm. 596, wenn

auch im Textzitat ohne das erste Mogontinus. 3 4 Robert Holtzmann in: Wattenbach/Holtzmann 3 (1940) S. 447. - Anna-

Dorothee von den Brincken, Marianus Scottus. Unter besonderer Berücksichtigung der nicht veröffentlichten Teile seiner Chronik (in: DA 17,1961) S. 205.

35 RI 1 [I] (21908) Nr. 64a. Brought to you by | St. Petersburg State University

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„Zweiter, nach dem Papst" 271

als Zweiter, [direkt] nach dem Papst."36 Laut Quellennachweis des Edi-tors soll der gesamte erste Teil bis einschließlich „Imperator" aus den verlorenen Hersfelder Annalen stammen, der zweite Teil aber Eigengut sein37. Daß dieser als Beschreibung eines gegenwärtigen Zustands be-griffen wurde, gibt ein Disibodenberger Benutzer während der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts38 durch den Zusatz „bis auf den heutigen Tag" zu erkennen39, vielleicht auch erst dessen Abschreiber im 14. Jahr-hundert40.

Auf die gesamte westliche Kirche bezogen, wäre jenes eine verblüf-fende Einreihung und auffallige Hochschätzung der Bonifatius-Nachfol-ger, aber immerhin durch einen auswärtigen Exulanten, der es nicht mit seinen Schutzherren in Mainz, dem Ort der Niederschrift41, mochte ver-derben wollen, anderseits durchaus aber auch die Abtei Fulda als sedes sancti Bonifatii kannte42.

3. Bonifatius im Mariani Scotti Chronicon

Daß jener Ire Bonifatius-Traditionen besonders hoch schätzte, wird durch vorherige Erwähnungen nahegelegt, die er dem historischen Boni-fatius zuteil werden läßt. Diese bieten gleich eine weitere Überraschung;

36 Pipinus decreto Zachariae papae a Bonifatio, Mogontino archiepiscopo, unguitur in imperatorem, et deinde ob id post papam secundus habetur episcopus Mogontinus; Mariani Scotti Chronicon zu 772=750 (ed. von Georg Waitz in: MGH SS 5,1844; künftig: Marianus) S. 547 Z. 34f.

37 Ebd. Z. 34 am Rand: A.Hersf.; „ib.a.746" zu Z. 35 bezieht sich in Wirklich-keit auf Z. 36. - Zur Filiation unten bei Anm. 151.

38 Alois Gerlich, Disibodenberg (in: Lex. des MA 3 V, 1985) Sp. 1112. - Auf die Mitte des 12. Jahrhunderts stellte ab Georg Waitz in der Einleitung zu seiner Teil-edition der Annales s. Disibodi (in: MGH SS 17, 1861) S. 4, auf „um 1147 (?)" Franz-Josef Schmale in: Wattenbach/Schmale 1 (1976) S. 142f. - Irreführend der Eindruck im Rep. font. 2 (1967) S. 328, als reiche das Werk in einem Zuge bis 1200: dem letzten Geschehenseintrag in der Handschrift des 14. Jahrhunderts = Frankfurt, Universitätsbibliothek, Ms. Barth. Nr. 104.

39 (Mogontinus·) usque in hodiernum diem\ MGH SS 5 (1844) S. 547 N.c zu Mariani Scotti Chronicon, I.e.

40 So Staab, Mainzer Kirche (wie Anm. 7) S. 46. 41 Biographische Notizen mit Belegen bei von den Brincken, Marianus Scottus

(wie Anm. 34) S. 192ff. - Dies., Marianus Scottus als Universalhistoriker iuxta veri-tatem Evangelii (in: Die Iren und Europa im früheren Mittelalter 2 = Veröffentlichun-gen des Europa Zentrums Tübingen, Kulturwissenschaftliche Reihe, Stuttgart 1982) S. 975-978.

42 Marianus zu 1042 = 1020 IV 1 S. 556 Z. 3. - Dazu Siegfried Hirsch/Harry Breßlau, JDG H.H., Bd. 3 (1875) S. 163.

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denn schon bei der Ersterwähnung des Bonifatius, nämlich zu 715, wird dieser als ethnischer Voll-Ire eingeführt. Dabei geht es oberflächlich um Papst Gregor II.: Als 88. Papst habe dieser „18 Jahre und 10 Monate" amtiert. Er sei „ein keuscher und weiser Mann" gewesen; er habe „den Bonifatius, einen Iren von väterlicher und sogar auch mütterlicher Seite, zum Bischof für den Sitz Mainz geweiht und durch ihn in Germanien das Wort des Heils gepredigt sowie jene Völkerschaft, die im Finstern (gesessen habe), durch das Licht des Evangeliums erleuchtet": Grego-rius LXXXVIII. papa amis XVIII, mensibus X. Hic erat vir castus et sapiens, qui Bonifacium, patre atque etiam matre Scottum, ordinavit episcopum ad sedem Mogontinum, et per / eum in Germania verbum salutis predicavit gentemque illam, in tenebris sedentem, evangelica luce inlustravit43. Ausgerechnet Hic erat bis ad sedem Mogontinum gilt als Eigengut, während für den umgebenden Text auf den Liber Pontifi-calis als Vorlage verwiesen wird44. Tatsächlich stehen im Liber Pontifi-calis zwar andere Zahlen; aber die knappe Charakterisierung des Papstes und dessen Predigt der Heilsbotschaft in Germanien für die dortige Völ-kerschaft im Finstern schimmert tatsächlich aus der römischen Biogra-phie Papst Gregors II. durch45.

Damit erweist sich die ethnische Zuordnung als bewußter Eigenbei-trag im Chronicon, und dem entspricht ein zugehöriger Nachtrag von zweiter Hand auf dem unteren Rand: „Jener Bonifatius nämlich (sei) aus Irland gesandt worden, und zwar mit dem angelsächsischen Bischof Willibrord, wie in dessen Vita nachgelesen" werden könne46. Denn auch diese Mitteilung stammt nicht - hier führt der Kleindruck in der kri-tischen Teilausgabe des Mariani Scotti Chronicon irre - aus dem Liber Pontificalis, zumal in diesem auch Willibrord nur mit seinem neuen Namen Clemens und ohne Herkunfts- oder Volksangabe vorkommt, und dazu noch in der Vita von Gregors II. fünftem Vorgänger Sergius I. (687

43 Marianus zu 737 = 715 S. 545 Z. 69 bis S. 546 Ζ. 1 [Interpunktion und Zahl-zeichen geändert].

4 4 So die Quellenverweise von Georg Waitz in der kritischen Teiledition (wie oben Aran. 36) S. 545f.

45 Erat enim vir castus sowie Hic in Germania per Bonifatium episcopum ver-bum salutis praedicavit et gentem illam, sedentem in tenebris, doctrina lucis convertit ad Christum, LP 1 (21955) S. 396 bzw. 397 aus Vita XCI [Interpunktion geändert; ent-sprechende redaktionelle Eingriffe in Quelleneditionen werden im Folgenden nicht mehr eigens vermerkt].

46 Iste enim Bonifatius de Hibernia missus est cum Willebrordo, Anglico episcopo, ut in vita eius Wil. legitur, Marianus zu 737 = 715 S. 546 Z. If.

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„Zweiter, nach dem Papst" 273

- 701)47. Die moderne Charakterisierung des abschließenden Quellen-verweises als Eigengut geht einher mit der modernen Bezugnahme auf Kapitel 6 der Vita Bonifatii des Willibald48. Tatsächlich kommt Winfrid-Bonifatius weder in der Prosa-49 noch in der Vers-Fassung von Alkwins Vita Willibrordi vor50, während Willibrord-Clemens in den Bonifatius-Viten berücksichtigt ist51. Vielleicht ist tatsächlich der Quellenverweis in ut in vita filljius [auctore] Wil[libaldo] legitur zu bessern, zumal unter den Chronicon-Quellen keine Vita Willibrordi ermittelt worden ist52. Zwar steht bei Willibald nichts von Willibrords angelsächsischer Her-kunft; aber die war Marian aus Bedas Weltchronik bekannt53. Die Unter-scheidung zwischen Willibrord-Clemens als Angelsachsen und Bonifa-tius als Iren war jedenfalls auch für den Nachtrag zu 715 bewußt for-muliertes Eigengut des Chronicon54. Dies wird durch einen weiteren Eintrag von Hand 2 bestätigt. Er ist gleichzeitig die nächste Bonifatius-Erwähnung im Chronicon. Verwiesen wird unter 723 auf den (Gehorsams-)Eid „des heiligen Iren Erzbischof Bonifatius in der Peters-kirche vor Papst Gregor II."; die anschließende Datierung55 stammt nach

47 Vgl. Liber Pontificalis LXXXVI (in: LP 1, 1955) S. 376 Z. 16. 48 So dürfte das „auct. Willibrordo c. 6" S. 546 Anm. 27 z.St. zu korrigieren

sein; denn gemeint ist Willibald [5] (in: Vitae s. Bonifatii, 1905; s. oben Anm. 5) S. 24ff., vgl. unten Anm. 51.

49 Vita Willibrordi archiepiscopi Traiectensis auctore Alcvino, ed. von Wilhelm Levison (in: MGH SRM 7 I, 1919) S. 81-141, laut ebd. Π (1920) S. 861 Sp. 2 [Register].

50 Alcvini De vita s. Willibrordi episcopi Liber secundus, ed. von Ernst Dümmler (in: MGH PP 1,1881) S. 207-20, laut ebd. S. 640 Sp. 2 [Register],

51 Willibald 5 S. 24ff. - Vita altera Bonifatii 6, 9f. und 13 (ebd.) S. 66, 68f. bzw. 71. - Vita tertia Bonifatii 3f., 7f. und 10 (ebd.) S. 80f., 84f. bzw. 86. - Vita quinta Bonifatii lOf. (ebd.) S. 107f. - Vita Bonifatii auctore Otloho 110 (wie Anm. 5) S. 125.

52 Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition (wie Anm. 36) S. 490f. 53 Sergius Papa ordinavit venerabilem virum Vilbrordum, cognomine de-

mentem, Fresonum genti episcopum, de Brittania natum, genere Anglicum, Marianus zu 716 = 694 S. 545 Z. 7f., als wörtliche Entlehnung zurückgeführt auf Bedae Chro-nica maiora 566 (ed. von Theodor Mommsen in: MGH AA 13, 1898) S. 316; lediglich für die Herkunft des Willibrord-Clemens lag hier eine geringfügig abweichende For-mulierung vor: est enim de Brittania gentis Anglorum.

54 Zu der Erwähnung des ersten Frankenkaisers in diesem Jahresbericht vgl. unten bei Anm. 155.

55 Marianus zu 745 = 723 S. 546 Z. 34f.: Iuramentum saneti Scotti archiepi-scopi Bonifatii in ecclesia saneti Petri apostoli coram papa Gregorio II., imperatoris Leonis anno VI., sed et Constantini imperatoris, filii eius [!] — also tatsächlich ohne ein Regierungsjahr Constantins VI.

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Feststellung des kritischen Editors aus einer Abschrift der entsprechen-den Bonifatius-Urkunde selbst56. Die vorangehende regestenartige Mit-teilung über den Bischofseid samt der ethnischen Zuordnung des Schwö-renden gilt jedoch mit Recht als Eigengut des Chronicon.

Wohl ebenfalls vollständig auf Hand 2 geht zurück, was im Chro-nicon zu 727 aus einer Sammlung von Bonifatiusbriefen über ein Schreiben Papst Gregors II. an Bonifatius berichtet wird. Daß von einem „anderen Schreiben desselben Papstes Gregor II. an Bonifatius" die Rede ist57, verweist auf den eben referierten Eintrag derselben Hand zu 723 zurück58 und setzt mit dem Denkfehler, es handele sich bei dem nun zitierten Gregor-Brief um den zweiten dieses Papstes - in Wirklichkeit ist es der erste, der im Chronicon genannt wird - , die Zusammengehö-rigkeit der Schreiben „von 723" und „von 727" voraus. Erneut wird durch den kritischen Editor die anschließende Datierung auf die Schluß-zeilen des Briefes selbst zurückgeführt59. Im regestenartigen Eigengut des Chronicon ist Bonifatius diesmal nicht eigens hervorgehoben; doch das geschieht zu 740 im Anschluß an die Todesnachricht für Papst Gre-gor II. mit dem Hinweis auf einen „Brief des dritten Gregor an den Iren Bonifatius, den Mainzer Erzbischof', erneut von Hand 2 und nur für die anschließenden Datierungsmerkmale auf Zeilen des Briefs selbst zurück-zufuhren60. Weitere Bonifatius-Erwähnungen von Hand 1 stellen seine Heiligkeit, die Mainzer Erzbischofswürde und seine Bekanntheit her-aus61, aber auch den Klosterbeginn zu Fulda, das Martyrium des Heili-gen bei der Friesenpredigt und die Nachfolge des Lullus als Erzbischof62. Obgleich all dies - und erneut führt die kritische Edition gelegentlich irre

56 Imperante domno Leone, a Deo coronato magno imperatore, anno VI., sed et Constantino magno imperatore, eius filio, anno IIII., indictione VI.\ Bon.Ep.16 S. 28 zu 722 [XI 30]. Die Peterskirche ist aus der Petrus-Anrede und aus dem letzten Satz des Eides zu erschließen; ebd. S. 28 bzw. 29. - Bon.Ep. = S. Bonifatii et Lulli epistolae, ed. von Michael Tangl = MGH Epp.sel.l (1916).

57 Alia epistola eiusdempapae Gregorii Secundi ad Bonifatium, data ...; Mari-anus zu 749 = 727 S. 546 Z. 41, wo die einleitende eckige Klammer, die den Beginn des Anteils von Hand 2 anzuzeigen hätte, vor Alia vergessen zu sein scheint; vgl. un-ten Anm. 139.

58 So bereits Waitz in seiner Chronicon-Edition S. 546 Anm. 28 z.St. 59 Vgl. Jaffe (21885) Nr. 2174 von 726 XI22 = Bon.Ep.26 S. 47 mit Marianus

zu 749 = 727 S. 546 Z. 41f. 60 Marianus zu 762 = 740 S. 546 Z. 59ff., zu vergleichen mit Jaffe (J1885) Nr.

2251 von 739 X 29 = Bon.Ep.45 S. 74. 61 Marianus zu 765 = 743 S. 547 Z. 18, laut Druckgestaltung Eigengut. 62 Marianus zu 766 = 744 S. 547 Z. 25 (Fulda). - Zu 777 = 755, ebd. Z. 47f.

(Martyrium). - Zu 778 = 756, ebd. Z. 49 (Lullus). Brought to you by | St. Petersburg State University

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- nur teilweise nach bekannten Vorlagen formuliert wurde63, ist die ethnische Herkunft oder Zugehörigkeit des Bonifatius nicht mehr eigens vermerkt worden. Demgegenüber hat Hand 2 in Fortführung ihrer Ver-klammerung des Chronicon mit dem bonifatianischen Briefkorpus sich nochmals einschlägig festgelegt: Im Anschluß an den Globalhinweis auf den Heiligen von Hand 1 zu 743 verweist Hand 2 mit auffalliger Aus-führlichkeit auf vier Zacharias-Schreiben an Bonifatius. Bei den beiden mittleren Kurzregesten erscheint Bonifatius als Ire, als stamme das aus den Brieftexten selbst. Das trifft jedoch nicht zu. Mit dem kritischen Editor kann festgehalten werden, daß diese Verweisserie Eigengut ist, für das die Datierungen jeweils aus Abschriften der Schriftstücke selbst ge-wonnen wurden64. Insgesamt fallt somit auf, daß Bonifatius im Chro-nicon hochgeschätzt und wiederholt unmißverständlich als Ire eingeord-net wird.

4. Bonifatius konnte als Angelsachse bekannt sein

Letzteres verdient deshalb Aufmerksamkeit, weil in zeitgenössischen und späteren Zeugnissen an dem Angelsachsentum des Bonifatius nie Zweifel herrschten. In Willibalds Bonifatiusvita wurde es als selbstver-ständlich vorausgesetzt und deshalb nicht eigens betont. Immerhin wurde Bonifatius in einem Gebiet Britanniens geboren, für das naheliegender

63 Sanctus Bonifatius archiepiscopus, adnunti[a]ns verbum Dei in Fresia, pas-sus est cum aliis martiribus Non. Iunii zu 777 = 755 wird für Sanctus bis passus est auf ,Λ-Hersf. (+) Reg." zurückgeführt; Waitz S. 547 zu Z. 47f. - Doch »Hersf. zu 755 bietet lediglich Sanctus Bonifatius martyrio coronator, MGH SS 3 (1839) S. 36 und SS 5 (1844) S. 2. - Regino zu 755 hat nichts über Bonifatius; dieser kommt im Standardtext dieser Weltchronik gar nur als Fuldas Patron zu 937 vor, Reginonis abbatis Prumiensis Chronicon ..., ed. von Friedrich Kurze (= MGH SRG [50], 1890) 5. 45f. bzw. S. 159. - Lullus archiepiscopus post Bonifatium successit annis XXXII zu 778 = 756 S. 547 Z. 49 soll bis successit laut Edition aus ,Λ-Hersf." stammen, während die Amtszeit als Eigengut gedruckt wird. Doch im rekonstruierbaren Text von *Hersf. kommt Lullus anscheinend nur aus Anlaß seines Todes zu 786 vor, und sonstige gelegentliche Erwähnungen wirken wie Eigengut der Ableitung; MGH SS 3 (1839) S. 36 und 38 sowie SS 5 (1844) S. 2. Demgegenüber bieten die Annales Fuldenses in unmittelbarem Anschluß an die Nachricht vom Bonifatius-Martyrium zu 754 [!] Post quem Lullus in cathedra eius sedit annos XXXIl\ MGH SRG [7] (1891) S. 6. - „... für die Mainzer Historiographie" beansprucht die Fuldenses übrigens Staab, Mainzer Kirche (wie Anm. 7) S. 46.

64 Marianus zu 765 = 743 Z. 18-24 ist zu vergleichen mit Jaffe (Ί895) Nr. 2264 von 743IV 1, Nr. 2278 von 747 1 5, Nr. 2286 von 748 V 1 und Nr. 2291 von 751 XI4 = Bon.Ep. (wie Anm. 56) 51, 77, 80 und 87 S. 92, 161, 180 und 201. Zur nord-alpinen Verballhomung der Postkonsulatsjahre vgl. ebd. S. 18 Anm. 1.

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Klostereintrittsort Exeter war, und das unter einem Abt mit dem angel-sächsischen Namen „Wulfhard"65. Zur weiteren Ausbildung ist Bonifa-tius gemäß dieser Schilderung in die Abtei Nursling (5 km nordwestlich Southampton^) unter einem Abt mit dem angelsächsisch klingenden Namen Wynberht gewechselt66. Das Ansehen des Bonifatius habe sich gezeigt, als er durch eine Synode unter dem Westsachsenkönig Ine (688-726) als Gesandter an Erzbischof Berhtwald von Canterbury (692/93-731) bevollmächtigt wurde67. Jene Miterwähnung der Westsachsen ist die erste Nennung einer ethnischen Großgruppe in der Vita überhaupt. Wer ansonsten in der weiteren Heimat des Bonifatius wohnt, wird ne-benbei angedeutet bei der Einordnung des London-Namens Lundenwich als Anglorum Saxonumque vocabulum6*. Selbst der Britannien-Name sollte erst Verwendung finden, als für das festländische Wirken des Bo-nifatius der Zuzug aus Britannien beschrieben wurde69. Es sei festge-halten, daß die ersten Exemplare dieser Bonifatiusvita laut Adresse des Widmungsbriefs nach Mainz und Würzburg gingen, nämlich an deren Bischöfe Lullus und Megingoz, und handschriftliche Spuren reichen in Mainz immerhin bis um 820 zurück70.

In der Vita Altera wohl der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts aus St. Martin zu Utrecht71, die Anfang des 10. Jahrhunderts durch Bischof Radbod von Utrecht (899-917) überarbeitet wurde72, wird für die Her-kunft des Bonifatius ganz auf die Insel Britannien und die dort lebenden Angelsachsen abgestellt. Zu den von dort ausgehenden „Wohlgerüchen" (aromata) werden aber auch, neben Willibrord und Bonifatius, „Fursa und dessen Brüder" gerechnet, und zwar unter Verweis auf einschlägige

65 Vita Bonifatii auctore Willibaldo 1 (in: Vitae s. Bonifatii, 1905; wie Anm. 5) S. 6 Z. 22-26.

66 Ebd. 2 S. 9 Z. 5 bis S. lOf. 67 Ebd. 4 S. 13 Z. 23-33. - Handbook of British Chronology (= Royal Historical

Society. Guides and Handbooks 2, London51986; künftig: Hdb.) S. 22 bzw. 213. 68 Vita Bonifatii auctore Willibaldo 4 S. 16 Z. 3-6. 69 Ebd. 6 S. 34 Z. 5-9. - 7 S. 37 Z. 3-6. 70 Ebd. S. 1 Z. 3ff. Auf das einschlägige Doppelblatt aus dem Einband einer

Bibel von 1518 macht aufmerksam Kurt Hans Staub, Ein neu aufgefundenes Fragment der Bonifatiusvita von Willibald in der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt (in: Von der Klosterbibliothek zur Landesbibliothek. Beiträge zum zwei-hundertjährigen Bestehen der Hessischen Landesbibliothek Fulda, hg. von Artur Brall = Bibliothek des Buchwesens 6, Stuttgart 1978) S. 163-171.

71 Levison, Praefatio zur Edition der Vitae s. Bonifatii (wie Anm. 5) S. LIE und XLIX.

72 Ebd. S. XLIX-LÜ und LDL - Kehl, Kult und Nachleben (wie Anm. 7) S. 141. Brought to you by | St. Petersburg State University

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„Zweiter, nach dem Papst" 277

Wunderberichte in Bedas Historia [ecclesiastica gentis] Anglorum73. Nach deren Zeugnis waren allerdings Fursa und seine Brüder Foillan und Ultan aus Irland zu den Ostangeln gekommen74. Für die Nachle-benden mochte es allmählich mehr um die Ausstrahlung aus Britannien auf den Kontinent denn um die ursprüngliche Provenienz eines Heiligen gehen.

Um so unmißverständlicher setzte der historische Eintrag im Fulder Martyrolog von ca. 900 gleich nach dem Betreff zum 5. Juni ein mit „Der vom Angelsachsenvolk seine edle Herkunft herleitet ..."7S. Davon unterschieden werden die später aufgesuchten Germaniae fines, in denen die Francorum gens lebt76, aber auch noch andere wie die Thuringorum et Saxonum populi und Fresones71. Sie werden gleichsam miterfaßt, nachdem Bonifatius durch den römischen Papst Gregor „zur Erleuch-tung ganz Germaniens hinübergesandt" worden ist78. Ahnlich nach-drücklich wurde angelsächsische Herkunft in der Vita Tertia von 917/107579 betont, eventuell wieder in Utrecht80; lautete doch das Incipit Postquam gens Anglorum inclita ... perceperat fidem81, und wurde jenem Volk Winfrid(-Bonifatius) nicht nur zugeordnet, sondern auch ausdrücklich vom entsprechenden Adel hergeleitet82. Auch der Autor der Vita Quarta aus dem Mainzischen von 1011/6683 weiß von der Herkunft des Bonifatius aus dem Angelsachsenvolk und seinem Aufbruch aus Britannien84.

73 Vita altera Bonifatii 6 (in: Vitae s. Bonifatii, wie Anm. 5) S. 66 Z. 7-25. 74 ... supervenit de Hibernia vir sanctus nomine Furseus ... ad provinciam

Orientalium ... Anglorum, Baedae Historia ecclesiastica gentis Anglorum ΠΙ 19 (ed. von Charles Plummer in: Venerabiiis Baedae Opera historica 1, Oxford 1896; oft nachgedruckt) S. 163 und zu den Brüdern S. 167f.

75 Qui de Anglorum gente nobilem ducens originem ...; Levison (Ed.), Vitae s. Bonifatii (wie Anm. 5) S. 59 Z. 6f.

76 Ebd. Z. lOf. 77 Ebd. Z. 21 bzw. 23f. 78 Ebd. Z. 16f., besonders Z. 17:... ad illuminationem totius Germaniae trans-

missus... 79 Levison, Praefatio zur Edition der Vitae s. Bonifatii (wie Anm. 5) S. LVI. 80 Ebd. S.LVE. 81 Vita tertia Bonifatii 1 (ebd.) S. 79. 82 De quorum numero fuit quidam vir nomine Winfrid, ab ipsis cunabulis Deo

devotus nobiliqueprosapia Anglorum oriundus...; ebd. 2 S. 78 Z. 17ff. 83 Vgl. Levison, Praefatio zur Vitae-Bonifatii-Edition (wie Anm. 5) S. LIX. -

Staab, Mainzer Kirche (wie Anm. 7) S. 40f.: in Mainz. 84 ... de Brittannia Anglorum gente Germaniam ingressus ...; Vita quarta Boni-

fatii 1 (ebd.) S. 92 Z. 4f. Brought to you by | St. Petersburg State University

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5. Angelsachsen und Iren im Mariani Scotti Chronicon

Mit dem Fulder Martyrolog ist an einen langjährigen Aufenthaltsort, mit der ältesten und der letztgenannten Vita ist zeitlich und lokal an den jüngsten Erfahrungsbereich des Marianus Scottus herangeführt worden, so daß sich die Frage erhebt: Konnte oder wollte man im Chronicon des irischen Inklusen nicht zwischen Iren und Angelsachsen auf dem Konti-nent unterscheiden? Für Vorgänge oder Verhältnisse auf der Insel Bri-tannien selbst mochte das kein Problem sein; so ist zu 678 davon die Rede, daß „zu diesen Zeiten der heilige Priester Beda, der angelsäch-sische (Zeit-)Berechner, als berühmt" galt, und laut der kritischen Edi-tion handelt es sich hierbei um Eigengut inmitten von Entlehnungen aus dem Liber Pontificalis und Bedas Weltchronik85. Aber auch bei Aus-strahlung auf den Kontinent wird angelsächsischer Herkunft gedacht. Hierfür kann zunächst an die Nachricht zu 694 erinnert werden, derzu-folge Papst Sergius [I.] für das Friesenvolk zum Bischof jenen Willi-brord-Clemens geweiht hatte, der aus Britannien stammte und Angel-sachse war86. Daß dieser Willibrord im Unterschied zu Bonifatius aus Irland gerade ein angelsächsischer Bischof gewesen sei, ist ebenfalls an-läßlich der Randnotiz von zweiter Hand zu 715 besprochen worden87. Am Ende desselben Jahresberichts ist für „den heiligen Mann" Egbert ebenfalls seine angelsächsische Herkunft festgehalten worden, nun aber wohl im Korpus dieser Annale und mit charakteristischer Hervorkehrung der angelsächsisch-irischen Kontakte der Zeit - wenn auch nicht mit Rückgriff auf Egberts seinerzeitige Ausbildung im irischen Kloster Rathmelsigi (Grafschaft Carlow)88; vielmehr werden bis in die ab-schließende Alternativdatierung 716 hinein Formulierungen aus Bedas Chronica maiora wiederholt, die auf die hervorstechende mönchische Lebensweise und asketische Heimatlosigkeit des Angelsachsen Egbert abzielen und seine erfolgreiche Werbung für die kanonische, also römi-sche Osterberechnung in vielen Irengebieten abstellen89. Im Chronicon-

85 Sanctus Beda presbiter, Anglicus compotator, his temporibus clarus habe-tur; Marianus zu 700 = 678 S. 544 Z. 56. Compotator = computator, wie ebd. zu 759 = 737 [!] S. 546 Z. 55 verwendet: Beda computator obiitll. Kai. Ian.

86 Marianus zu 716 = 694 S. 545 Z. 7f., bereits oben in Anm. 53 eingerückt und filiiert.

87 Marianus zu 737 = 715 S. 546 Z. lf., eingerückt bereits oben in Anm. 46. 88 Vgl. John Hennig, Egbert (in: Lex. des MA 3, 1986) Sp. 1601. 89 Marianus zu 737 = 715 S. 546 Z. 8ff. wird durch den Editor Waitz bis auf

abschließendes iuxta Dionisium 716 aufBedae Chronica maiora 586 (wie Anm. 53) S. 319 zurückgeführt; aber hier steht mchDCCXVI.

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„Zweiter, nach dem Papst" 279

Eintrag zu 717 wird dann übrigens auch eine - wenn auch stark verkür-zende - weitere Beda-Entlehnung durch einleitendes „Beda folgender-maßen" ausdrücklich angekündigt. Jetzt geht es um die vielen Romfahrer unter den Angelsachsen aus Britannien, und als Beispiel hatte Beda seinerzeit seinen 74jährigen Abt Ceolfrid namhaft gemacht, der in seinem 47. Priester- und 35. Abtsjahr aufgebrochen, aber nur bis Langres gelangt und dort, in Wirklichkeit schon 71690, gestorben war91. Wären die zitierten Egbert- und Ceolfrid-Nachrichten nicht derart weitgehend aus Bedas Weltchronik entlehnt, dann läge die Hypothese nahe, daß gerade für kontinentales Wirken oder für Kontinentkontakte in Marians Chronicon auf ausdrücklich sogenannte „Angelsachsen" Wert gelegt worden sei.

Tatsächlich aber sind Iren auf dem Kontinent mindestens ebenso häufig und für noch frühere Zeit herausgestellt worden: In der Über-schrift zu III 63 wird nach Hinweisen auf den heiligen Papst Gregor [I., den Großen] zur Zeit des Kaisers Maurikios allgemein auf den heiligen Vater Kolumban „von unserer hochheiligen Insel Irland" abgestellt, „die Insel der Heiligen genannt" werde; Kolumbans Zeitgenosse Kolumban [der Ältere/Columcille] habe sich damals in Schottland aufgehalten92. Zu 611-13 kehren Formulierungen dieser Zwischenüberschrift wörtlich wie-der, nun aber mit „Irland als Insel der Schotten"93. Als Eigengut gilt nur

90 C. Patrick Wormald, Ceolfrid/Ceolfrith (in: Lex. des MA 2, 1983) Sp. 1623f. - Ob dortiges „starb b e i Langres" (Sp. 1624) korrekt? (Eventuell stand im Manu-skript „at Langres" = „zu, in Langres".)

91 Marianus zu 739 = 717: Beda sie: „Multi Anglorum * de Brittania Romam venerunt, inter quos etiam reverentissimus abbas meus Ceolfridus, annos natus LXXIV, cum essetpresbiter annis XLVII, abbas autem annos XXXV, ubiLingonas per-venit, obiit et in aeclesia *• Geminorum martirum sepultus est; qui inter alia donaria * misit aeclesiae saneti Petri Pandectem, a beato Hieronimo in Latinum * Hebreo vel Greco fonte translatum " - wo S. 546 Z. 22-25 zu erwägen ist, ob z.B. das ex vor Hebreo aus Bedae Chronica maiora 590 S. 320 nicht anzumerken ist.

92 Tunc sanetus pater Columbanus ex nostra sanetissima insula Hibernia, quae insula sanctorum nominatur, cum saneto Gallo et aliis probatis diseipulis in Bur-gondiam [!] venit, et in his temporibus fuit Columba Bactinique [?] in Scotia', Maria-nus S. 499 Z. 53-56. - Der Editor Waitz löst insula Scor im Text selbst als insula Scotorum, in der zugehörigen Note mit i. sanctorum auf; ebd. S. 499 Z. 54 und 61 N.g; Scotorum wurde zu sanctorum korrigiert in Handschrift 2; ebd. Z. 61f. N.g; insula Scotorum steht im gleich zu zitierenden Haupttext; ebd. S. 541 Z. 66.

93 Sanetus pater Columbanus ex Hibernia, insula Scotorum, cum saneto Gallo aliisque probatis diseipulis venit in Burgundiam ibique, permittente Theodrico rege, ...; Marianus zu 611-13 = 589ff. S. 541 Z. 66f. - Es folgen ebd. S. 542 die Gründung von Luxeuil und Bobbio. - Obiger Beleg für Scoti fehlt im Register ebd. S. 591 Sp. 1.

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280 Kurt-Ulrich Jäschke

ex Hibernia, insula Scotorum, während für das Umgebende zum Ver-gleich mit einem bestimmten Kapitel der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus und global mit der Vita Columbani des Jonas von Bobbio aufgerufen wird94. Bei Paulus Diaconus steht tatsächlich nichts von der Insel Irland95; aber bei Jonas von Bobbio werden „Insel Irland" und das „Schottenvolk" schon zu Beginn von Kapitel 2 der Kolumban-Vita aufeinander bezogen96. Gleichwohl ist „die Schotteninsel Irland" eine auf dieser Grundlage zwar naheliegende, aber keinesfalls strikt vor-gegebene Formulierung. Daß Irland als Insel der Heiligen angesehen werden konnte, ist ausdrücklich zu 674 festgehalten worden, und das ist laut kritischer Edition unbezweifelbares Eigengut des Chronicon97; die Formel gilt gar als hier zum ersten Mal belegt98. Als Eigengut gilt auch der globale Hinweis auf den heiligen Iren Kilian, der auf der Insel Irland geboren war, dann aber als Würzburger Bischof berühmt wurde99. Dem-gegenüber wurde schon zu 632-37 auf den abweichenden Ostertermin apud Scottos in weitgehender Übereinstimmung mit Bedas Chronica maiora verwiesen100.

Gleichwohl kann festgehalten werden, daß dem Chronisten die Unter-scheidung von Iren und Angelsachsen so selbstverständlich war, wie es aus Anlaß der gemeinsamen Erwähnung des [angeblichen] Iren Bonifa-tius und des Angelsachsen Willibrord101 vermutet werden mochte. Ein solches Neben-, ja Gegeneinander geht aus kriegerischem Geschehen in Marians eigener Zeit hervor; so weiß das Chronicon zu 1070 von schrecklichem Kriegsvertreibungs- und Hungerschicksal der Angelsach-

94 So verstehe ich die Verklammerung von engem und gesperrtem Kleindruck mit dem Randnachweis „cf. P.D. IV, 49. Vita S. Columb." ebd. S. 541 zu Z. 66f.

95 Pauli Historia Langobardorum IV 41 [!] Circa haec tempora beatus Colum-banus ex Scottorum genere oriundus, postquam in Gallia...; MGH SRL (1878) S. 134 Z. lf.

96 Ionae Vita s. Columbani I 2 beginnt Verse mit Columbanus etenim, qui et Columba / Ortus Hibernia insula, extreme Oceano sita und den Prosatext mit Hanc (sc. „insulam") Scottorum gern incolit, MGH SRG [37] (1905) S. 132 bzw. S. 133.

97 Marianus zu 696 = 674 S. 544 Z. 20f.: Hibernia, insula sanctorum, sanctis et mirabilibus perplurimis sublimiterplena habetur.

98 So Robert Holtzmann in: Wattenbach/Holtzmann 3 (1940) S. 446. 99 Marianus zu 709 = 687 S. 544 Z. 68f.: Sanctus Kilianus Scottus [!], de

Hibemia insula natus, Wirziburgiensis [!] episcopus, clarus habetur. 100 Marianus zu 654-59 = 632-37 S. 543 Z. 25f. geht zurück auf Bedae Chronica

maiora 541 (wie Anm. 53) S. 311 Z. 12fi, allerdings mit Umstellungen und teil-weisem Mißverständnis.

101 Marianus zu 737 = 715 S. 546 Z. lf., eingerückt oben in Anm. 46 und im Anschluß daran bei Anm. 47 besprochen.

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„Zweiter, nach dem Papst" 281

sen aufgrund [iro-]schottischer und [west-]fränkischer Angriffe, die bei den Unterlegenen bis zur Anthropophagie mit der schaurigen Konse-quenz des Einsalzens und Abhängens auch von Menschenfleisch geführt habe102; in der Überarbeitung des Schlußteils von Marians Chronik ist dies übrigens nicht nur grammatisch korrigiert, sondern auch inhaltlich verkürzt worden103.

Auf dem Kontinent konnte Marian sich selber in eine spezielle Iren-tradition stellen, die weit in die Gegenwart hineinreichte. So fuhrt er bei-spielsweise anläßlich der Nachricht über das Ableben Abt Richards von Fulda zu 1039 aus, daß dieser viele heilige Männer irischer Herkunft unter seinen Klosterbrüdern gehabt, ihnen eine eigene beheizte Kammer und einen Schlafraum zur Verfugung gestellt und sie doch wie die üb-rigen Brüder versorgt habe104. Zu 1043 weiß Marian vom Tod eines irischen Mönchs und Inklusen namens Animchad im Kloster Fulda und von wunderbaren Erscheinungen über dessen Grab; hier habe er, Maria-nus Scottus, selber zehn Jahre lang als Inkluse über den Füßen des Vor-gängers täglich die Messe gesungen - und auch ein Zeichen von Animchads nunmehrigem Glanz erfahren105. Angesichts dieses persön-lichen Traditionsbewußtseins für asketische Heimatlosigkeit von irischen Volksangehörigen mag es nicht überraschen, daß in Marians Umkreis nicht deutlich zwischen Iren und Schotten unterschieden worden sein soll. Allerdings fallt auf, daß die irländische Herkunft eines Iroschotten nicht nur für Marian selber106, sondern wiederholt auch fur andere

102 Scottis [!] et Francis vastantibus Anglos, disperguntur et fame moriuntur carnemque humanam manducare et ad hoc homines occidere, condire coguntur atque suspendere-, Marianus zu 1092 = 1070 S. 560 Z. 9ff.

103 Scottis et Francis vastantibus, Angli disperguntur et fame moriuntur, homines occidere, condire et manducare coguntur, Mariani Chronici Recensio altera zu 1091 [!] (in: MGH SS 13,1881) S. 78 Z. 41f. - Vgl. unten nach Anm. 124.

104 Richardus, abbas Fuldensis felicis memoriae, obiit XIII. Kai. Aug. Hic etiam multos sanctos Scottigenae gentis viros in commune fratrum habebat atque caminatam et dormitorium ipsis seorsum simul et inter fratres subministrabat sicut pater; Marianus zu 1061 = 1039 S. 557 Z. 13ff.

105 Animchadus Scottus, monachus et inclusus, obiit III. Kai Februarii in monasterio Fuldensi. Super cuius sepulchrum visa sunt lumina et psalmodia audita. Super quem ego, Marianus Scottus, X annis inclusus, super pedes eius stans, cotidie cantavi missas ...; Marianus zu 1065 = 1043 S. 557 Z. 26-29 usf. - Zum Bußhinter-grund vgl. Hildegard L.C. Tristram, Das Europabild der mittelirischen Literatur (in: Die Iren und Europa 2, wie Anm. 41) S. 701. - von den Brincken, Universalhistoriker (wie Aran. 34) S. 975f.

106 Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition (wie Anm. 36) S. 481 Z. 20f. und S. 482f.

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Iroschotten vermerkt wurde107. Tatsächlich scheint eine Gleichsetzung von Hibernia und Scot(t)ia, die für Marians Zeitgenossen unterstellt worden ist108, im Mariani Scotti Chronicon nicht mehr zu gelten: Für die Zeit seit dem Ableben König Malcolms II. am 25. November 1034 bis in Marians Gegenwart hinein läßt sich eine lückenlose Reihe von aus-drücklich so genannten „Königen Schottlands" aus dem Chronicon erhe-ben109. Von diesen ist der zeitgenössische „König Irlands" zumindest seit der Ermordung des Brian Boru110 am 23. April 1014111 unmißverständ-lich zu unterscheiden. Wenn aber für seinen Sohn und Nachfolger Donnchad ausdrücklich festgehalten wird, er habe nur noch weniger als ein Viertel Irlands regiert112 - und tatsächlich hat seine allzeit bedrängte Stellung selten über Munster hinausgereicht und schließlich gar zu seiner

107 Marianus zu 709 = 687 S. 544 Z. 68f. für den hier so genannten Bischof Kilian von Würzburg, zitiert oben in Anm. 99. - Ebd. zu 737 = 715 S. 545f. über Bo-nifatius. - Ebd. zu 1065 = 1043 S. 557 Z. 26 und 38 Uber Animchad, teilweise einge-rückt oben in Anm. 105.

108 Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition (wie Anm. 36) S. 484 Z. 5f. - wo der Eindruck erweckt wird, als gelte das auch fürs Mariani Scotti Chronicon. - Der Schottland-Name Albania, auf den Robert Holtzmann (in: Wattenbach/Holtzmann 3, 1940) S. 447 für die Heimat eines Marian-Schreibers verweist, kommt in der Maria-nus-Teiledition (1844) laut Register nicht vor.

109 Marianus zu 1056 = 1034 S. 556 Z. 19f. (rex Scotiae). - Zu 1062 = 1040 S. 557 Z. 18f. (rex Scotiae). - Zu 1072 = 1050 S. 558 Z. lf. (dito). - Zu 1079 = 1057 S. 558 Z. 18-24 (regit Scottiam Z. 20). - Vgl. Hdb. (wie Anm. 67) S. 56f.

110 So Donncha [!] 0 Corräin, Ireland before the Normans (= The Gill History of Ireland [2], Dublin/London 1972) S. 120 u.ö. - Br. „Börumha" verwendet R[obin] L. Storey, Chronology of the Medieval World 800-1491 (London 1973) S. 92 zu 967, S. 112 zu 999 u.ö.; dagegen ohne „h" Francis J. Byrne, Irish Kings and High-Kings (London 1973) S. 11,47 u.ö., vgl. ebd. S. 305. - Ulrich Mattejiet, Brian Boruma (in: Lex. des MA 2ΙΠ, 1982) Sp. 645. - ,3orü" druckt Jürgen Elvert, Geschichte Irlands (= dtv 4599 „Wissenschaft", München 1993) S. 78-81, 348 u.ö. - Boruma heißt „Kuhzins" bei Charles Doherty, Boruma (in: Lex. des MA 2 ΠΙ, 1982) Sp. 467. Eher „Viehtribut" legt nahe Byrne (wie eben) S. 83,144 u.ö.: „cattle tribute".

111 So wird die Schlacht bei Clontarf, damals nordöstlich vor Dublin, auch da-tiert bei 0 Corräin, Before the Normans (wie Anm. 110) S. 129; Charles Doherty, Schlacht von Clontarf (in: Lex. des MA 2, 1983) Sp. 2169. - Michael Richter, Irland im Mittelalter. Kultur und Geschichte (Stuttgart etc. 1983) S. 100. - Dagegen datiert auf IV 24 Mattejiet, Brian Boruma (wie Anm. 110) Sp. 645 und 646. - Gar zu 1014 IV 18 zieht „the battle of Clontarf' Storey, Chronology (wie Anm. 110) S. 122.

112 Brian, rex Hibemiae, parasceuq paschae feria VI., IX. Kai. Mai, manibus et mente ad Deum intentus, occiditur; cui successit Donchad, filius suus, annis LI nec quartam partem Hiberniae regnavit, Marianus zu 1036 = 1014 S. 555 Ζ. 40ff.

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„Zweiter, nach dem Papst" 283

Abdankung gefuhrt113 dann wird unmittelbar verständlich, warum nach Donnchads tödlicher Romfahrt nicht einmal mehr ein rex de Hiber-nian\ sondern nur noch der eine oder andere irländische Regionalkönig genannt wurde115. Tatsächlich hat man auch in Irland selbst gelegentlich den Titel „König von Irland" nach Brian Bora erst wieder seinem Enkel Tairrdelbach (t 1086) zuerkannt116.

Die Unterscheidung von Hibemia und Scotia wurde durch das Chronicon auch in die Missionszeit zurückprojiziert: Für Columcille als Zeitgenossen Kolumbans von Luxeuil wurde - wie erwähnt - bereits in einer Kapitelüberschrift die Scotia als schließliches Wirkungsgebiet fest-gehalten117, und dem entspricht im Haupttext, daß Columcille zwar in der Hibemia geboren war118, aber von dort zur Predigt in die Britannia aufbrach119. Für Marian und seine Mitarbeiter stellte sich somit - trotz der Bedeutung Scot(t)us = „Ire" im Sinne von „Iroschotte" - der iro-schottische Heimatbereich durchaus differenziert dar, so daß die Ab-grenzung nach außen um so selbstverständlicher wirkt.

So wie Marian für seine eigene Zeit Angelsachsen und Iren vonein-ander schied, aber anscheinend wohl noch nicht auf gleicher Ebene Iren und Schotten120, so schlug sich jene ethnische Differenzierung auch in

113 Charles Doherty, Donnchad mac Briain (in: Lex. des MA 3 VI, 1985) Sp. 1250f. - „... ein unrühmlicher Nachfolger": Richter, Irland im Mittelalter (wie Anm. 111) S. 100.

114 Donnchad, filius Briain, rex de Hibemia, atque Echmarcach, rex Innarenn, viri inter suos non ignobiles, Romam venientes obierunt, Marianus zu 1087 = 1065 S. 559 Z. 32f. - Donnchad gilt bereits als 1064 gestorben bei 0 Corräin, Before the Normans (wie Anm. 110) S. 136 und 177 sowie bei Richter, Irland im Mittelalter (wie Anm. I l l ) S. 100 und Doherty, Donnchad (wie Anm. 113) Sp. 1251.

115 Vgl. z.B. Marianus zu 1088 = 1066 in unmittelbarem Anschluß an voriges Zitat, S. 559 Z. 34fT.

116 Vgl. Byrne, Irish Kings (wie Anm. 110) S. 257 sowie 276 und 297, wo übri-gens die Schreibweisen „Toirrdelbach" und „Tairrdelbach" wechseln.

117 Marianus zu ΠΙ 63 S. 499 Z. 55f., eingerückt oben in Anm. 92. 118 Marianus zu 545 = 523 S. 538 Z. 4, von zweiter Hand. - David W. Rollason,

Columba von Iona (in: Lex. des MA 31,1984) Sp. 63 bietet „• ca. 520/22". 119 Columcilli de Hibemia predicaturus in Britania ...; Marianus zu 587 = 565

S. 541 Z. 17f. von zweiter Hand. - Rollason, Columba von Iona (wie Anm. 118) Sp. 64 hat für den „Auszug nach Schottland... ca. 563/65".

120 Die oben besprochenen bzw. zitierten Belege schließen anscheinend nicht aus, daß Scot(t)us zwar noch als Oberbegriff, Hibemensis aber bereits als „Ire" im nur auf Irland bezogenen geographischen Sinne galt. - Brian Bora wurde übrigens im Buch von Armagh zu 1005 imperator Scottorum tituliert; Mattejiet, Brian Böruma (wie Anm. 110)Sp. 646.

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seinem Vergangenheitsbild nieder. Jene Reklamierung des Bonifatius für das eigene Ethnos des Autors verdient deshalb besondere Beachtung, weil dessen Unterscheidungsfahigkeit zwischen Angelsachsen und Iren auch in die Bonifatius-Zeit selbst zurückreichte. Doch spätestens hier erhebt sich die Frage, ob der Chronicon-Text eine derart differenzierende Betrachtung verträgt und wessen Auffassung er über diejenige des Autors hinaus festgehalten hat.

6. Quellenkundliches zum Mariani Scotti Chronicon

Gemäß seinem Incipit in der kritischen Edition von Georg Waitz und offenbar auch in des Autors Handexemplar121 heißt das Chronicon Mariani Scoti Cronica clara. In der Forschung wird dieser Titel jedoch nur gelegentlich verwendet122; die kritische Edition selbst und jede ihrer Seiten sind nämlich überschrieben mit „Mariani Scotti Chronicon"123, und so werden Autor und Werk denn auch zumeist genannt124. Ein noch aus dem 11. Jahrhundert überlieferter Auszug mit Papstkatalog und Zweitfassimg für 1065-1082 firmiert unter „Ad Mariani Scotti Chro-nicon Additamentum"125. Konsultiert man dieses, wie oben126 bereits ge-legentlich geschehen, für die bislang besprochenen Chronicon-Eintra-gungen, so ergibt sich für die Zuordnimg des Bonifatius zum irischen Ausstrahlungskreis schon im Zusammenhang mit der (Erst-) Erwähnung des Willibrord-Clemens eine Bestätigung, ohne allerdings, wie die Edi-tion unterstellt, als neue Nachricht gewertet werden zu können; soll Bo-nifatius doch mit dem vom Papst geweihten Friesenbischof aus Irland

121 Marianus S. 495 Ζ. 1, vgl. die zugehörige Einleitung des Editors S. 489 Z. 27f. und von den Brincken, Marianus Scottus (wie Anm. 34) S. 215 [2x],

122 Allerdings als „Chronica clara" bei Däibhi 0 Cröinin, Marianus Scot(t)us (in: Lex. des MA 6 H, 1992) Sp. 285.

123 Marianus S. 481-562. 124 "Scotus" bevorzugen Potthast 1(21896) S. 766; Tusculum-Lexikon griechi-

scher und lateinischer Autoren des Altertums und des Mittelalters (München Μ 963) S. 320 = (31982) S. 502; Antonia Gransden, Historical Writing in England c. 550 to c. 1307 (London 1974; künftig: Gransden 1) S. 579 Sp. 1 [Register] und dies., Historical Writing in England H: c. 1307 to the Early Sixteenth Century (London 1982) S. 595 Sp. 1 [Register]; New Encyclopaedia Britannica 7 (1988) S. 842 Sp. 2, allerdings mit der zu großzügigen Behauptung, der ursprüngliche Moelbrigde habe bei Klostereintritt in Nordirland den Namen Marianus Scotus angenommen.

125 Ed. von Georg Waitz in: MGH SS 13 (1881) S. 72-79, umfassend Mariani (Scotti) Epitome S. 74-77, Catalogus pontificum Mariani, ut videtur S. 78 und Maria-ni (Scotti) Chronici Recensio altera S. 78f.

126 Vgl. bei Anm. 103. Brought to you by | St. Petersburg State University

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„Zweiter, nach dem Papst" 285

entsandt worden sein, wie man in der [!] Bonifatiusvita nachlesen könne127. Pippins des Jüngeren Kaiserweihe durch Bonifatius auf Be-schluß/Geheiß des Papstes Zacharias ist ebenfalls leicht verkürzt in dem Auszug wiederzufmden, nicht jedoch die für diese Abhandlung thema-tische Hochschätzung des Mainzer (Erz-) Bischofs; ja, es fehlt nunmehr sogar ein Mainz-Bezug128, und zwar auch insgesamt für Bonifatius: Er gehört dem Auszug zufolge eher nach Fulda129.

Grundlage der bislang benutzten kritischen Teiledition des Chronicon ist jedoch das bereits130 erwähnte Handexemplar des Autors: Vat. Pal. Lat. ms. 830, in Groß4°131. Die Handschrift umfaßt noch weitere Auf-zeichnungen132; das Chronicon selbst beginnt erst fol. 27, das noch zu erwähnende dritte und letzte Buch erst fol. 101133. Im Jahre 1479 gehörte die Handschrift „zur Bibliothek von St. Martin in Mainz"134, also wohl der Kathedralbibliothek135. Von dort gelangte der Kodex über die Pala-

127 Sergius Papa ordinavit Willibrordum nomine dementem in Fresonum genti episcopum; cum quo de Hibemia Bonifatius missus est discipulus, ut in vita eius legi-tur, Mariani Epitome (s. oben Anm. 125) zu 692, gespeist aus einer Verkürzung von Marianus zu 716 = 694 (eingerückt oben in Anm. 53) und aus Teilen der Randnotiz unter Marianus zu 737 = 715, eingerückt oben in Anm. 46.

128 Decreto Zacharie pape Pipinus a Bonifatio episcopo [!] unguitur in impera-torem\ Mariani Epitome zu 750 S. 77 Z. 40, zu vergleichen mit Marianus zu 772 = 750, eingerückt oben in Anm. 36.

129 Mariani Epitome [zu 744/55 und] zu 790 S. 77 Z. 44 bzw. 51, vom Editor zu-rückgeführt auf Annales Fuldenses zu 754 S. 6 (wie Anm. 63) bzw. Marianus zu 812 = 790 S. 548 Z. 49 [verkürzt] - ob jenes zu Recht?

130 Oben bei Anm. 121. 131 Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition (wie Anm. 36) S. 481f., in Verbin-

dung mit 0 Cröinin, Marianus Scottus (wie Anm. 122) Sp. 285, wo allerdings von „Abschrift" die Rede ist: Ob Fehlübersetzung aus dem Englischen, wo „copy" auch = „ E x e m p l a r " bedeuten kann? - B. MacCarthy, The Codex Palatino-Vaticanus ne 830, Tripartite Chronicle of Marianus Scotus. Texts, Translations and Indices = Royal Irish Academy. Todd Lecture Series 3 (Dublin 1892).

132 Anna Dorothee von den Brincken, Studien zur lateinischen Weltchronistik bis in das Zeitalter Ottos von Freising (Düsseldorf 1957) S. 168.

133 Marianus S. 495, vgl. S. 489 bzw. S. 500. - Vgl. den Untertitel „Tripartite Chronicle" der Arbeit von MacCarthy (wie Anm. 131).

134 Iste Uber pertinet ad librariam S. Martini Moguntiae. 1479 steht auf fol.l; Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition (wie Anm. 36) S. 482 Z. 32f.

135 Zum Martinspatrozinium vgl. Gams [1] (1873) S. 288. - Marianus zu 1059 = 1037 S. 557 Z. 9ff., eingerückt unten in Anm. 250. - Staab, Mainzer Kirche (wie Anm. 7) S. 33.

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tina in die Vaticana136. Zu den zwei Hauptschreibern der Handschrift insgesamt gehört auch eine der vier beteiligten irischen Hände. Diese schrieb fol. 2-25 und ab fol. 150; Hand 2, ebenfalls zeitgenössisch, schrieb fol. 26-149137, aber auch viele Zusätze und Randnotizen138. Damit ist eine solide Ausgangsbasis für historiographiegeschichtliche Arbeiten gegeben, zumal der kritische Teileditor Handwechsel im Druck angezeigt hat139.

Wenn man sich somit eine Textgrundlage nur in den wenigsten Fällen noch besser vorstellen kann, so gibt „Teileditor" allerdings zu erkennen, daß nach einigermaßen brauchbaren Grundsätzen das Werk nicht voll-ständig im Druck vorliegt - immerhin jedoch das hier bislang ausgewer-tete dritte und letzte Chronicon-Buch ganz. Zudem hat sich die For-schung auch „unter besonderer Berücksichtigung der nicht veröffentlich-ten Teile seiner Chronik"140 mit Marian beschäftigt und ist insgesamt zu Ergebnissen gelangt, durch welche die Bedeutung zunächst von Buch 3 des Chronicon unterstrichen wird: Dieses sei „von hohem Quellenwert für die Geschichte der Schottenklöster im Deutschland des 10. und 11. Jahrhunderts sowie für die Zeit Gregors VII. und Heinrichs IV."; es sei „ein Vorbild für bedeutende Vertreter einer gelehrten Chronistik wie Sigebert von Gembloux [f 1112] und .Florentius' von Worcester" [f 1118] geworden141. Man mag sich fragen, ob eine Vorbild-Funktion für Sigebert von Gembloux wirklich bestanden hat142; man wird - wie unten darzutun ist143 - auf eigentümliche Auslassungen und gar im nachhinein notwendige Faktenkorrekturen durch den Autor selbst oder seine engste

136 Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition (wie Anm. 36) S. 482. - Staab, Mainzer Kirche (wie Anm. 7) S. 33 mit reichhaltiger Anm. 7 und S. 34.

137 Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition (wie Anm. 36) S. 481 Z. 10-15. -von den Brincken, Marianus Scottus (wie Anm. 34) S. 19S mit Verweis auf das ein-schlägige Schrifttum.

138 Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition (wie Anm. 36) S. 481 Z. 13ff. 139 Zusätze von Hand 2 sind eckig eingeklammert, bisweilen aber auch nach-

trägliche Zusätze von Hand 1, dies allerdings mit ausdrücklicher Fußnote; ebd. S. 493 Z. 25f. mit Anm. 15.

140 So der Untertitel bei von den Brincken, Marianus Scottus (wie Anm. 34) S. 191.

141 0 Cröinin, Marianus Scottus (wie Anm. 122) Sp. 285. - Tusculum-Lexikon (Ί982) S. 726 bzw. 253. - Nicht berücksichtigt wird Marian bei Tilman Struve, Die Wende des 11. Jahrhunderts. Symptome eines Epochenwandels im Spiegel der Ge-schichtsschreibung, in: HJb 112 [1992], S. 362ff. zu den Stichwörtern „Verwissen-schaftlichung" und „Chronologie".

142 Ygi v o n (jen Brincken, Universalhistoriker (wie Anm. 41) S. 1008f. 143 Bei Anm. 195ff.

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Umgebung stoßen, und zwar erst in der sogenannten Recensio Altera -und dann wohl doch eher dem Resümee älterer Forschungen zuneigen: Hiernach kommen neben versprengten Mitteilungen „als Quelle(n) ... fast nur einige Nachrichten aus den letzten Jahren in Betracht"144, und das natürlich auch nur für Chronicon und „Überarbeitung" bis ins Jahr 1082: den jeweiligen Schlußeintrag quasi-annalistischer Prägung145. Um so wichtiger wirkt, daß auch hiernach empfohlen wird, „die Mitteilungen über Irland und über die Schottenmönche in Deutschland", ja, „einige Notizen zur Geschichte der Erzbischöfe von Mainz" zu beachten146. Ge-rade für die Tatsache, daß Marian den „hl. Bonifatius ... auch einen Schotten nennt"147, ist die referierte Charakterisierving des guten Quel-lenwerts von Belang: Anscheinend ging es Marian zumindest auch um nachdrückliche Berücksichtigung irischen Wirkens auf dem Kontinent in Geschichte und Gegenwart, und da „paßte" Bonifatius allzugut mit hin-ein. Ähnliches gilt fur erzbischöflich-mainzische Notizen.

Und doch ist vorab daran zu erinnern, daß Marian selber weniger Historiker denn Chronograph sein wollte: Sein Chronicon gibt sich mehr als Beweismittel denn als Ziel seiner chronologischen Neu-Überlegungen zugunsten einer rektifizierten Inkarnationsepoche148 - um dann doch mit dem Aufschlag von bloß 22 Jahren auf die dionysianisch-bedanische Chronologie149 und besonders mit Anfuhrung auch der bisherigen Jahr-zählung zu jeder Annale Kompromisse zu praktizieren. Dieser Gesamt-charakter ist im Auge zu behalten, wenn nunmehr nach historiogra-phischen Konzeptionen und Repräsentanz von Teilaussagen gefragt wird.

7. Imperator Francorum seit Pippin dem Jüngeren

Dabei ist bislang schon gelegentlich eine gewisse Detailkritik an der Teiledition greifbar geworden150; denn vielleicht nicht ganz mit der ge-wünschten und auch möglichen Genauigkeit sind die literarischen Ab-hängigkeitsgrade im Druck erkennbar. Für die Kaisersalbungsnachricht

144 Robert Holtzmann in: Wattenbach/Holtzmann 3 (1940) S. 448 mit Anm. 18. 145 Vgl. Marianus zu 1104 = 1082 S. 562 Z. lOff. [= knapp 3 Druckzeilen] mit

Mariani Chronici Recensio altera versehentlich zu 1105 (= 1083) S. 79 Z. 40ff. [dito], 146 Robert Holtzmann in: Wattenbach/Holtzmann 3 (1940) S. 448. 147 Ebd. S. 446. 148 von den Brincken, Universalhistoriker (wie Anm. 41) S. 978f. 149 Dies., Marianus Scottus (wie Anm. 34) S. 205. 150 vgl. oben nach Anm. 46, bei Anm. 63, in Anm. 89 u.ö., zum Folgenden bei

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zu 750 bedeutet das die wörtliche Übereinstimmung mit dem rekonstru-ierbaren Text der Hersfelder Annalen zu 750151 nicht für den gesamten ersten Teil, wie durch Kleindruck suggeriert, sondern nur für die ersten vier Wörter sowie die Nennung des Bonifatius als Erzbischof und die Tatsache der Salbung. Bezug der kirchlichen Würde auf Mainz und Im-perator-Titulatur des Geweihten - denn „Salben" schließt hier sicher auch Krönung und Einsegnung mit ein152 - sind Eigengut des Chrono-graphen. Hiervon ist die Imperator-Titulatur auch in die vielleicht noch von Marian mitgestaltete Kurzfassung eingegangen153, so daß die anachronistische Benennung jener Würde nicht als momentanes Ver-sehen abgetan werden kann. Tatsächlich ist das Reden vom Franken-kaiser vor 800 für das Chronicon denn auch eigentümlich: Schon in dem wiederholt154 herangezogenen Jahresbericht zu 715 wird nach Hinweis auf Papst Gregor II. und Bonifatius auch auf einen Herrscherwechsel bei den Franken eingegangen, und aus diesem Anlaß rutscht schon ein Vor-ausverweis auf „Pippin, den ersten der Franken-Imperatoren", mit hin-ein155. Die Wortfügung primus imperatorum Francorum gilt als Eigen-gut innerhalb ansonsten entlehnter Partien und wirkt deshalb besonders aussagekräftig. Darüber hinaus stellt sie vorab die Verbindung zu den Frankenkaisern schlechthin her und berechtigt somit zur durchgehenden Übersetzung von imperator mit „Kaiser".

Am Ende des Jahresberichts zu 717 wird der neue [ost-]römische Kaiser Leon III. (717-741)156 als 76. in der Kaiserreihe erwähnt und durch seine 24 Jahre Regierungszeit, die sich aus 9 Jahren der beda-

151 Pippinus decreto Zachariae papae per unctionem sancti Bonifacii archi-episcopi rex appellator, et Hildericus, falso rex vocatus, tonsoratus in monasterium mitütur, MGH SS 3 (1839) S. 35 und ebd. 5 (1844) S. 2, wo als »Hersf.-Ableitungen Annales Quedlinburgenses, Annales Weissemburgenses und Lam[p]erti Annales ne-beneinander stehen bzw. Annales Ottenburani mitkonsultiert werden können.

152 Vgl. die entsprechende Bemerkung zu 1077 HI 26 Mainz in JDG H.IV., Bd. 3 (1900) S. 638 zum Sprachgebrauch in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts.

153 Mariani Epitome zu 750 S. 77 Z. 40: Decreto Zacharie pape Pipinus a Boni-fatio episcopo [!] unguitur in imperatorem.

154 vgl. oben nach Anm. 42. 155 Pipinus [!], filius Ansgisii, Anchisae Troiani nomine appellatus, apud Gal-

lias Francorum regnans, obiit. Cui Carolus, qui et maior domus, filius eius, in regno successit per annos XXVII usque ad filios suos Carolomannum et Pipinum, primum imperatorum Francorum. Liutbrandus, rex Langobardorum, ...; Marianus zu 737 = 715 S. 546 Z. 4ff , auch zum Folgenden zu vergleichen.

156 Paul A. Hollingsworth, Leo ΠΙ (in: The Oxford Dictionary of Byzantium 2, 1991) S. 1208. - Anders Grotefend ("1982) S. 119: Kaiserausrufung 716 IV 18, Krö-nung 717 ΠΙ 25.

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nischen Chronik von 725 und weiteren 15 zusammensetzt, zum immit-telbaren Vorgänger des ersten Frankenkaisers Pippin gestempelt; dessen Erwähnung gilt als Eigengut157. Das war deshalb möglich, weil der Tod von Pippins Vater Karl [Martell] - übrigens als Frankenkönig - und deijenige Kaiser Leons ΠΙ. ins gleiche Jahr gesetzt werden konnten, so daß sich Karl Martells Sohn Pippin der Jüngere als 77. der Römerkaiser unmittelbar anschließen ließ. Bezeichnenderweise wurde die Nachricht vom Ableben Leons III. und der Nachfolge seines Sohnes Konstantin V. (741-775158) zwar unmittelbar nach der Mitteilung über „König" Karl Martells Tod, aber erst von zweiter Hand eingetragen159. Erneut gilt die Frankenkaiser-Titulatur als Eigengut, und so überrascht es nicht, daß diese Terminologie auch in der historischen Erzählung vor der [angeblichen] Kaiserweihe von 750 verwendet wird, nur daß jetzt der Franken-Bezug nicht mehr auftritt, sondern der absolute Kaisertitel da-steht160. Der Nachricht über Pippins Kaisersalbung durch Bonifatius zu 750 entspricht zu 754 die Mitteilung, daß seine beiden Söhne Karlmann und Karl der Große durch den Papst zu Kaisern gesalbt worden seien161. Daß alle diese Jahresberichte trotz weitestgehendem Kleindruck durch den Editor hinsichtlich der Kaiser-Terminologie nicht auf Vorlagen be-ruhen, verdient hervorgehoben zu werden; zu 754 beispielsweise boten die verlorenen Hersfelder Annalen unübersehbar unxit in reges162. In den

157 Romanorum LXXVI. regnavit Leo annis IX et inde annis XV usque ad Pipi-num, Francorum primum imperatorem, hoc est usque in annum DCCXXIX. post pas-sionem Domini·, Marianus zu 739 = 717 S. 546 Z. 26f., zu vergleichen mit Bedae Chronica maiora 591 (1898) S. 320.

158 Grotefend (1J1982) S. 119. - Bis 776 wird er gerechnet von Paul Speck, Konstantin V. (in: Lex. des MA 5, 1991) Sp. 1376; doch das könnte ein Versehen sein, da sein Sohn Leon IV., formell Mitkaiser bereits seit 751, schon seit 775 als Alleinherrscher geführt wird; Ilse Rochow, Leon IV. (ebd.) Sp. 1890. - Entsprechend auch Paul A. Hollingsworth, Constantine V (in: The Oxford Dictionary of Byzantium 1,1991) S. 501 und ders., Leo IV the Khazar (ebd. 2) S. 1209: 775.

159 Marianus zu 763 = 741 S. 547 Z. l lf . und 14f.: Karolus, filius Pipini, qui et maior domus dictus, rex Francorum obiit. [Leo imperator obiit. Constantinus, filius eius, sucessit.] Romanorum LXXVII. regnavit Pipinus, filius Karoli, Francorum pri-mus imperator, annis XXVII, usque in annum DCCLV. postpassionem Domini.

160 Ebd. zu 767 = 745: Carolomannus rex.frater imperatoris, cum fratre tractat seculum dimittere. - Zu 768 = 746: Carolomannus, imperium permittens, Almaniam ingreditur. - Zu 770 = 748: Grifo fugit in Saxoniam ob metum imperatoris; ebd. S. 547 Z. 26f. und 32.

161 Marianus zu 776 = 754 S. 547 Z. 40f.: Unxit autem Stephanus duos filios Pipini Carolomannum et Karolum Magnum in imperatores V. Kai. August. [!].

162 MGH SS 3 (1839) S. 36 und SS 5 (1844) S. 2. Brought to you by | St. Petersburg State University

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Eintragungen zu späteren Jahren ist dann aber auch in der Edition von Georg Waitz das jeweilige imperator nach Pippins des Jüngeren Namen drucktechnisch als Zusatz zu den Vorlagen zu erkennen. Daß Marian und seine Mitarbeiter mit der Beachtung der fränkischen Kaisertitulatur vor dem Jahr 800 auch weitere Konsequenzen verbanden, sieht man daran, daß sie Kaiser Konstantin V. nurmehr als König Griechenlands einstuften, und zwar ausgerechnet anläßlich der Übersendung eines Orgel-Geschenks an „Kaiser Pippin"163.

Dem entspricht, daß auf Pippin dessen Sohn Karl der Große als 78. Römerkaiser gefolgt sein soll, wie es am Ende des Jahresberichts zu 768 mitgeteilt wird164. In Analogie zur Kaisertitulatur für Jahre vor 750 hin-derte das nicht, daß von einer Kaisersalbung durch den Papst erst 19 oder 20 Jahre später die Rede ist, nämlich zu 797 nach Erwähnung der angeblich damaligen Zusammenkunft zwischen Papst Leo III. und Karl dem Großen zu Paderborn. Auch dies gilt im Unterschied zur vorherge-henden Entlehnung aus der Chronik Reginos von Prüm als Eigengut165. Im Einklang damit wird Ludwig der Fromme seit dem Ende des Jahres-berichts zu 813 als 79. Römerkaiser behandelt166. Es überrascht kaum mehr, daß die Kaiserfolge entsprechend fortgesetzt und auf die ostfrän-kisch-deutschen Herrscher zugeschnitten wird, also einschließlich Ludwigs des Kinds, Konrads I. und Heinrichs I.; sie sind am Ende der Jahresberichte zu 899, 911 und 918 jeweils die Nummern 86-88 der Reihe167. Byzantinische Kaiser, von denen Konstantin V. ja bereits zu 757 als Orgelschenker mit der Einordnung als nurmehr „König Grie-chenlands" erwähnt worden war168, tauchen in dieser Quasi-Liste nicht

163 Organum primitus venit in Franciam, missum a Constantino, rege [!] Greciae, Pipino imperatori; Marianus zu 779 = 757 S. 547 Z. 50, wo nach der Druck-anordnung nur imperatori nicht aus ,Λ-Hersf." stammen soll; in *Hersf. steht aber auch nichts von einem rex Graeciae\ MGH SS 3 (1839) S. 36. - Marianus zu 781 = 759: Pipinus imperator in Saxoniam ingreditur. - Zu 783 = 761: Pipinus imperator Italiam intravit et bellum contra regem Langobardorum Haistulfum suscepit, ebd. S. 547 Z. 54 bzw. 56.

164 Romanorum LXXVIII. regnavit Karolus Magnus, ßlius Pipini, annis XLVI mensibusque quatuor, Marianus zu 790 = 768 S. 548 S. 12.

165 Karolus unguitur in imperatorem a papa Leone', ebd. zu 819 = 797 S. 549 Z. lf.

166 Romanorum LXXIX. Ludowicus regnavit annis XXVI, mensibus XI usque....; ebd. zu 835 = 813 S. 549 Z. 63 [einschließlich der Schlußpunkte],

167 Marianus zu 921 — 899: Romanorum LXXXVI. regnavit Ludowicus annis XII. - 933 = 911: Romanorum LXXXVII. regnavit Cuonradus annis VII. - 940 = 918: Ro-manorum LXXXVIII. regnavit Heinricus annis XVII, S. 553 Z. 19,45 und 57.

168 Ebd. zu 779 = 757 S. 547 Z. 50, eingerückt oben in Anm. 163. Brought to you by | St. Petersburg State University

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auf, und dem entsprechen denn auch bündig die zugehörigen Kapitel-überschriften: Für Buch III des Mariani Scotti Chronicon war seit Über-schrift Nr.12 De Domitiano imperatore ... der jeweilige Zwischentitel zumeist mit einem solchen KaiserbetrefF eröffiiet worden und hatte sich auch in steigendem Maße auf ihn beschränkt. Entsprechend mochte ab 64. De Focca imperatore et imagine eius die Reihe der Kapitelüber-schriften nurmehr wie eine umstilisierte Kaiserliste wirken169. Wie kaum mehr anders zu erwarten, folgte in dieser Reihung auf den oströmischen Kaiser Leon III. nicht etwa Konstantin V., sondern Pippin der Jüngere. Dieser wurde denn auch in der Überschrift als erster Kaiser fränkischer Herkunft deklariert170. Der Dynastiewechsel zu den sächsischen oder den salischen Herrschern wurde überschriftlich nicht eigens vermerkt171.

Der Charakter dieser Kaiserkontinuität von den Römern über die Franken zu den Herrschern der eigenen Zeit als einer bewußten Kon-struktion tritt besonders stark deshalb entgegen, weil in der Textkompi-lation selbst gerade wegen ihres kompilatorischen Charakters gleichwohl noch Königstitulaturen stehen blieben: Zu 911 ist Ludwig [das Kind], obgleich am Ende des Jahresberichts zu 899 als 86. Römerherrscher ge-zählt, als bloßer König gestorben, und das wird anscheinend mit eigenen Worten gesagt172. Entsprechend ist auch in den vorangehenden Jahres-berichten Ludwig [das Kind] nie als Kaiser tituliert worden; seine Forchheimer Erhebung war ausdrücklich als eine solche zum König ge-schildert worden - übrigens über bekannte Formulierungen aus Reginos Weltchronik hinaus noch mit Lebensalter und Tagesdatum der Erhebung versehen173. Ähnliches gilt hinsichtlich der Titulatur in den Jahresberich-

169 Marianus S. 498f., Zitate S. 498 Z. 33 bzw. S. 500 Ζ. 1. 170 77. De Leone imperatore et de Gregorio papa et decreto eius. - 78. De

Pipino imperatore, etiam ex Francis primo. - 79. De Karulo [!] Magno imperatore', ebd. S. 500 Z. 15ff.

171 87. De Ludowico imperatore, filio eius (= Kaiser Amolfs). - 88. De Cunrado imperatore. - 89. De Heinrico imperatore.... -92. De Ottone Tertio imperatore, filio Secundi. - 93. De Heinrico imperatore....; ebd. S. 500 Z. 25-31 und so fortgesetzt bis zu Heinrich IV., ohne bereits zu Ordnungszahlen zu greifen: 96. De Heinrico impera-tore, filio huius (= Heinrichs [ΠΙ.]); ebd. Z. 34.

172 Ludowicus rex obiit, et Cuonradus in regem elevatur, Marianus zu 933 = 911 S. 553 Z. 44 - laut Editor Waitz zwar komplett aus „A Aug(ienses)", aber dort nur für die letzten vier Wörter gedeckt; Jaffe, BRG 3 (1866) S. 704 mit Chuonradus. - Als Marians Augienses-Exemplar gilt die nunmehr Pariser Handschrift BN. Lat. 4860; Staab, Mainzer Kirche (wie Anm. 7) S. 33.

173 ... Ludowicus, filius Arnolfi, II. Non. Febr. anno aetatis suae septimo, quem ex legittimo matrimonio genuit Arnolfus, proceres et obtimates [!] regni regem super

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ten auch für Ludwigs des Kinds Nachfolger, ohne daß allerdings die Kaisersalbung Ottos (I.) durch Papst Johann (XII.) nun als etwas Be-sonderes herausgestellt würde. Hier scheinen wir erneut Eigengut des Chronicon zu fassen174. Daß Otto I. insgesamt aber als „Kaiser Otto" gelten sollte, geht aus einem Herkunftsnachweis für ein Zitat schon zu 954 hervor: Es wurde eingeführt als Äußerung von „König" Ottos Sohn Wilhelm, nach Zitatende aber als Ausspruch jenes Bischofs [!] Wilhelm vermerkt, der „Sohn Kaiser Ottos" gewesen sei. Hier sind es gerade die redaktionellen Bemerkungen am Anfang und am Schluß des Zitats, die durch Marian beigesteuert wurden, wenn auch versehentlich zwei Jahre zu früh175. Entsprechend ist in eigener Formulierung auch der Otto-Sohn Liudolf noch vor der päpstlichen Kaisersalbung als Kaisersohn benannt worden, nämlich zu 955176.

Dieses recht differenzierte Verfahren verdient deshalb Beachtung, weil für Pippin den Jüngeren auch durch zweite Hand im Mariani Scotti Chronicon die Kaisertitulatur verwandt worden war, beispielsweise in einer Randnotiz zu 765f., die der kritische Editor aus inhaltlichen Grün-den zu 768 eingeordnet hat. Mit Recht hat er sie auch als (zusammenfassende) Entlehnung aus dem Liber Pontificalis gekenn-zeichnet; daß hier allerdings Pippin nicht als Kaiser tituliert worden war, ist gegen den durchgehenden Kleindruck ausdrücklich hervorzuheben177. Man wird somit festhalten dürfen, daß es sich bei der Notiz zu 750 über

se constituunt et coronatum regisque ornamentis indutum, ad Foracheim congregati in unum, in fastigio regni elevant, Marianus zu 922 = 900 S. 553 Z. 20ff. - zwar laut Editor Waitz wörtlich aus „Reg."; doch dort stehen weder Tagesdatum noch Lebens-alter. Die Geburt 893 konnte man aus Annales Fuldenses (wie Anm. 63) S. 122 er-sehen; RI 1 1 (21908) Nr. 1891a. - Für das Tagesdatum gilt Marians Bericht als ein-zige Grundlage; ebd. Nr. 1983d S. 796 unten, vgl. Robert Holtzmann in: Wattenbach/ Holtzmann 3 (1940) S. 448 Anm. 18.

174 Marianus zu 983 = 961 S. 554 Z. 45: Otto rex unguitur in imperatorem ab Iohanne papa.

175 Vullihelmus [!], filius Ottonis regis, sic: „Anno Dominicae incarnationis..." Haec ait Willihelmus episcopus, filius Ottonis imperatoris, Marianus zu 976 = 954, in der Handschrift allerdings zu 974 = 952, S. 554 Z. 33-38 mit N.k, durch den Editor Waitz als wörtliche Entlehnung aus ,Λ-Aug." gekennzeichnet; s. Jafiä, BRG 3 (1866) S. 706 die wörtlich gleichlautenden „Willihelmi Moguntini Memoriae" a.E. der Annales Augienses.

176 Ludolfus, filius Octtonis [!] imperatoris, obiit, Marianus zu 977 = 955 S. 554 Z. 39.

177 ... Stephanus papa successit et quaesivit episcoposperitos a Pipino impera-tore, qui iudicarent Constantinum in synodo...; Marianus zu 790 = 768 S. 547 Z. 65f. mit N.k, hier zu vergleichen mit LP 1 (21955) S. 473 Z. 6f. ohne wnperafor-Titulatur.

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Pippins Kaiserweihe durch Bonifatius nicht um einen Lapsus calami handelt, sondern bewußt und auch im Einklang mit der sonstigen Kon-zeption des Chronicon formuliert worden ist. Entsprechend ernst wird man auch die Mitteilung zu nehmen haben, daß seither der Mainzer als Zweiter, direkt nach dem Papst, zu gelten habe. Man mag sich lediglich fragen, ob diese Stellung unmittelbar nach dem Papst für die Gesamt-kirche oder nur für den römisch-deutschen Bereich oder gar nur für Deutschland gedacht war. Für Marianus Scottus war das anscheinend kein Problem. Daß er von einem Mainzer Ordinarius ohnehin wiederholt als einem „Bischof und nicht etwa konsequent als Metropolit oder Erz-bischof sprach, läßt erkennen, daß ihm hierarchische Fragen in der Ge-samtkirche verhältnismäßig gleichgültig waren und er mit „Zweiter, nach dem Papst" lediglich das hohe Rangieren in seinem unmittelbaren Erfah-rungsbereich bezeichnen wollte. Daß es auch nach 750 gleichsam selbst-verständlich auch „Kaisersalbungen" einschloß, wird er kaum geleugnet haben: Ausdrücklich formuliert hat er das nicht.

8. Erzbischof Siegfried I. von Mainz sollte nicht als Herrschersalber vorgeführt werden

Aber warum muß auf einer solchen Distinktion bestanden werden? Marianus Scottus lebte vom 3. April 1069 bis zu seinem Tod im Jahre 1082178 oder 1083179 in Mainz, seit dem Tag der sieben Märtyrerbrüder 1069, also dem 10. Juli, der in diesem Jahr auf einen Freitag fiel180, sogar als Inkluse bei der an diesem Tage neu geweihten Bartholomäus-Kapelle, die zur Klause am Mainzer Martinsmünster gehörte181, also an der Domkirche182. Seine Chronik reicht bis in sein vermutliches Todes-jahr oder an dieses heran, nämlich bis Palmarum 1082. Der Schreiber

178 0 Cröinin, Marianus Scottus (wie Anm. 122) Sp. 285. 179 Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition (wie Anm. 36) S. 484. - von den

Brincken, Marianus Scottus (wie Anm. 34) S. 194. 180 Diese Datierungselemente passen zusammen; Grotefend (121982) S. 96 Sp. 2

und S. 97 Sp. 2 (Siebenbrüdertag) sowie S. 187 Taf.22. 181 Dedicatio capellae clausolae monasterii sancti Martini in Mogontia in ho-

nore sancti Bartholomei apostoli VI. Idus Iulii.feria VI., sanctorum Septem fratrum in festivitate. In qua clausola eodem die ego Marianus pro peccatis meis secundo includor, Marianus zu 1091 = 1069 S. 560 Z. 4fF. - Ob daraus wirklich Einmauerung ,4 η der Bartholomäuskapelle" hervorgeht? So von den Brincken, Marianus Scottus (wie Anm. 34) S. 194.

182 Vgl. zum Martinspatrozinium Gams, Series [1] (1873) S. 288. - Zur Lokali-sierung unten nach Anm. 228.

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dieser letzten Annale hat denn auch getreu Marians Tod wohl noch zu diesem Jahr mitgeteilt183, mag aber auch das nächste gemeint haben184. Miterlebt - soweit einem Inklusen möglich - hatte Marian somit die Königserhebimg Rudolfs von Rheinfelden an den Iden des März 1077 zu Forchheim und die anschließende „Gegenkönigsweihe" in Mainz. Beides hatte unter führender Beteiligung des Mainzer Erzbischofs Siegfried I. stattgefunden185. Hätte Marian dem Mainzer Erzbischof aufgrund der bonifatianischen Kaiserweihe für Pippin dezidiert papstunmittelbare Kaiserweiherechte unterstellen wollen, so wäre mit den Forchheim-Mainzer Ereignissen eine Legitimation des Rheinfelders angedeutet ge-wesen, auf die der bisher bloße König Heinrich IV. bislang verzichtet hätte. Tatsächlich ist im Mariani Scotti Chronicon denn auch nichts von einer irgendwie gearteten Weihe Heinrichs IV. zu lesen; obgleich bereits Heinrich III. für die Königsweihe des noch nicht einmal Vieijährigen186

durch den Kölner Erzbischof Hermann in Aachen gesorgt hatte187; ledig-lich Heinrichs IV. problemlose Nachfolge auf den Vater als 95. Römer-herrscher wird - wie üblich - vermerkt188. Daß der Chronist jedoch ge-rade nicht an eine besondere Legitimierung des bisherigen Schwaben-herzogs gedacht und diesem gegenüber Heinrich IV. eben nicht abgewer-tet hat, gibt seine Schilderung dessen zu erkennen, was man ihm über die Forchheimer Wahl und die Mainzer Weihe berichtet hat.

183 Multa homicidia et predatiottes inter Heinricum regem et Illibrandum [!] papam, ita ut in nocte Palmarum multi sunt occisi. - Obiit Marianus inclusus; Mari-anus zu 1104 = 1082 S. 562 Z. l lf . und N.d. Z. 48: „Eadem manu ...". - von den Brincken, Universalhistoriker (wie Anm. 41) S. 976 spricht dagegen von fremder Hand.

184 Vgl. Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition (wie Anm. 36) S. 484. - von den Brincken, Marianus Scottus (wie Anm. 34) S. 194.

185 JDG H.IV., Bd.3 (1900) S. 5 und 9. - Thomas, Erzbischof Siegfried I. (wie Anm. 11) S. 369.

186 Mißverständlich Thomas, Erzbischof Siegfried I. (wie Anm. 11) S. 371: „... gerade vier Jahre alt..."

187 RI 3 Π 3, Lieferung 1 (1984) Nr. 18 zu 1054 VII 17 - laut ebd. Nr. 1 war Heinrich IV. 1050X1 11 geboren.

188 Romanorum XCV. regnavit Heinricus, filius Heinrici imperatoris, annis X [!]; Marianus am Ende des Jahresberichts zu 1078 = 1056 S. 558 Z. 17. - Die nur zehn Königsjahre vermag ich nicht zu erklären: Sollte diese Notiz schon 1066/67 ver-faßt worden sein? Angesichts der bislang nur bekannten ersten Redaktion aus dem Jahr 1076 (Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition [wie Anm. 36], S. 484 Anm. 19 zu S. 560 Z. 38-43), hätte es mindestens annis XX heißen müssen.

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Wie zum März 1078 über die Ereignisse zu Canossa von 1077 fest-gehalten wird, habe König Heinrich [IV.] von Papst Hildebrand [!] - so und nicht Gregor [VII.] heißt dieser Papst seit seiner Erhebung 1073 im Chronicon und in dessen „Überarbeitung"189 - bei einer Zusammenkunft in der Lombardei die Lösung vom Bann, der Papst hingegen vom König „den apostolischen Stuhl" wiedererlangt190. Anscheinend ungefähr gleichzeitig seien des Königs Gegner zusammengekommen; fuhrt doch die Datierung mittels des dritten Fastensonntags auf einen Termin um Mitte März: für 1077 auf den 19.191, für 1078 auf den 11. des Monats192. Zusammengekommen seien Schwaben und Sachsen, der Baiernherzog Weif, sieben Bischöfe von den Sachsen und weitere sechs [!], nämlich aus Passau, Salzburg, Würzburg, Worms und Mainz. Sie hätten zu Bamberg193 den Schwabenherzog Rudolf über sich gesetzt und ihn am Mittfastensonntag in Mainz zum König gesalbt - und (entsprechend) die Alpenpässe gegen Heinrich gesperrt194. Daß der Wahlort nicht stimmt, ist später bemerkt und durch

189 Marianus zu 1095 S. 560 Z. 32f. - Mariani Recensio altera zu 1095 (wie Anm. 125) S. 78 Z. 45.

190 Heinricus ergo rex et Illibrandus papa, convenientes mense martio in Lango-bardia, rex a papa solutionem bantii, papa vero sedem apostolicam α rege accepit. Convenientes ...; ebd. S. 561 Z. 29ff.

191 Der Editor Waitz hingegen löste ebd. Anm. 53 z.St. mit ΙΠ 12 auf, also mit Reminiscere und nicht mit Oculi, ebenso in der Marginaldatierung zu Mariani Recen-sio altera (wie Anm. 125) S. 79 Z. 20.

192 ... dominica tertia quadragesimae...; Marianus zu 1100 = 1078 S. 561 Z. 33. Dazu die Kalendertafeln für 1077 bzw. 1078 bei Grotefend ("1982) S. 194 und 178 Nm. 26 bzw. 18.

193 Ob dessen Erwähnung zu der stillschweigenden Annahme geführt hat, daß der dortige Bischof Rupert (1075-1102) mitgewirkt habe? Dann wären die „weiteren 6" komplett. Tatsächlich war Forchheim bischöflich-bambergischer Besitz; aber Rupert von Bamberg gilt als „unbedingter, niemals wankender Anhänger Hein-richs IV." und von Weihnachten 1076 bis 1077 VIII 24 gar als Gefangener Herzog Welfs auf einer bairischen Burg; GS Π 1 1 (1937) S. 112 und H (1966) S. 104. - Von den angeblich sieben Bischöfen aus Sachsen kennt man namentlich nur zwei: Erz-bischof Werner von Magdeburg (1063-78) und „sehr wahrscheinlich" Bischof Burchard Π. von Halberstadt (1059-88), so daß die Siebenzahl bezweifelt wird; JDG H.IV., Bd. 3 (1900) S. 3; Amtsdaten nach Hauck 3 (1906) S. 1007 bzw. 985.

194 Convenientes autem Suavi et Saxones et Walp, dux Boariorum, episcopi Septem de Saxonibus et alii sex, Pataviensis, Salsabogiensis [!], Wirziburgiensis [!], Vurmatiensis et Mogontiensis episcopi, iuxta Bamberc dominica tertia quadragesimae Rodul/um, ducem Suaevorum, super se constituunt et dominica mediae quadragesimae Mogontia ungunt in regem, viasqueAlpi montis contra Heinricum muniunt. Haec Marianus zu 1100 = 1078 S. 561 Z. 31-35.

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die Randnotiz „Forchheim" korrigiert worden195, und die Unstimmigkeiten und Unwahrscheinlichkeiten in der ursprünglichen Darstellung hinsichtlich der angeblich dreizehn bischöflichen Wähler in Forchheim fanden in der oben erwähnten Überarbeitung sogar eine sachlich korrigierende Neudarstellung196. Die Mainzer Weihe hat tatsächlich am Sonntag Lätare des Jahres 1077 stattgefunden, und von den Forchheimer Ereignissen weiß man, daß die Zusammenkunft am Montag nach Reminiscere, also am 13. März 1077, begann und zwei Tage später zur Erhebung des Konkurrenzkönigs führte197.

Was aber an Marians Darstellung vollends verblüfft, ist die gleich-sam nebensächliche und fur die Weihe gar nur erschließbare Beteiligung des Mainzer Erzbischofs, obgleich diesem durch die Forschung attestiert werden kann, er habe nicht allein „nach dem Vorrang in der deutschen Kirche" gestrebt, sondern auch das Mainzer Königsweiherecht zurück-gewinnen wollen und vielleicht gar aus diesem Grund seinen auffalligen Wechsel ins Lager der Gegner des salischen Königs vollzogen198. Hier bleibt der Eindruck zurück, daß seine Rolle möglichst heruntergespielt werden sollte. Zwar war Siegfried nicht, wie jüngst an autoritativer Stelle behauptet, deijenige gewesen, der den Iren „um Ostern 1058 ... als Abt ... von Fulda" für die Übersiedlung eben nach Fulda gewonnen hatte199; das geschah durch Siegfrieds Vorgänger Abt Egbert200. Sieg-fried von Mainz war aber deijenige gewesen, der spätestens als Abt von Fulda den Wdusen Marianus Scottus eindrücklich kennengelernt hatte, da er mit diesem gemeinsam 1059 zu Würzburg zum Priester geweiht

195 Förkem.·, ebd. Z. 33 am Rande - bei Walter Böhme (Bearb.), Die deutsche Königserhebung im 10.-12. Jahrhundert 1 (= Historische Texte, Mittelalter 14, 1970) S. 69 unter Nr. 220 übersehen.

196 Mariani Recensio altera zu 1101 [!] (= 1079; wie Anm. 125) S. 79 Z. 17ff. -So bereits Waitz, ebd. Anm. 3 z.St.; vgl. Walter Schlesinger, Die Wahl Rudolfs von Rheinfelden zum Gegenkönig 1077 in Forchheim (VuF 17, 1973) S. 71. - Bequem untereinander stehen die Texte bei Böhme, Deutsche Königserhebung 1 (wie Anm. 195) S. 69f. Nm. 220f.

197 JDGH.IV., Bd.3 (1900) S. 3ff. 198 Thomas, Erzbischof Siegfried I. (wie Anm. 11) S. 396. Hiernach, aber dezi-

dierter Dieter Demandt, Stadtherrschaft und Stadtfreiheit im Spannungsfeld von Geistlichkeit und Bürgerschaft in Mainz, 11.-15. Jahrhundert (= Geschichtliche Lan-deskunde 15, Wiesbaden 1977) S. 9. - Staab, Mainzer Kirche (wie Anm. 7) S. 62: Siegfried I. „rettete ... den Mainzer Einfluß auf die Königserhebung".

199 0 Cröinin, Marianus Scottus (wie Anm. 122) Sp. 285. 200 Marianus zu 1080 = 1058 S. 558 Z. 30-35. - von den Brincken, Universal-

historiker (wie Anm. 41) S. 976. Brought to you by | St. Petersburg State University

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worden war201. Eben unter dem neuen Abt Siegfried war Marian zwei Monate später auf zehn Jahre in Fulda eingeschlossen worden, während Siegfried selbst schon zu Epiphanias 1060 am Königshof den Hirtenstab für das Erzbistum Mainz empfangen hatte: übrigens angeblich mit päpst-licher Billigung202. Marian hatte weiterhin verfolgt, wie gleichsam unter des Mainzer Erzbischofs Führung - anderen gilt allerdings Bischof Gunther von Bamberg als maßgebend203 - 1064 eine Jerusalemfahrt mit solcher Prachtentfaltung begonnen hatte204, daß die Begehrlichkeit ara-bischer Räuber geweckt wurde und am Ende nur 2000 von den 7000 aufgebrochenen Pilgern heimkehrten205. Eben auf Geheiß Erzbischof Siegfrieds I. und von dessen Fulder Nachfolger Widerad war Marians Ortswechsel von Fulda nach Mainz 1069 erfolgt und trotz bereits zehn-jähriger Inklusenbuße in Fulda erneute Einschließung vorgenommen worden206; sie sollte nunmehr auch die letzten (13?) Jahre von Marians Leben währen207 und scheint nicht Marians ungeteilten Beifall gefunden zu haben. Man hat aus seiner zurückhaltenden Berichterstattung gar schließen wollen, daß Marian den Ortswechsel von Fulda nach Mainz „wider Willen" vornehmen mußte, um Wünschen Erzbischof Siegfrieds I. zu entsprechen208.

Zu 1071 wußte der Chronist zu berichten, daß Erzbischof Siegfried in einer Bischöfe- und Äbteversammlung des Mainzer Doms vor König Heinrich IV. als Ankläger gegen Bischof Karl von Konstanz aufgetreten

201 Ego Marianus indignus cum Sigfrido, abbate Fuldensi, iuxta corpus sancti Kiliani martins Wirziburc consecratus ad presbiteratum sabbato medie quadra-gesimae, III. IdusMartii, etferia VI....; Marianus zu 1081 = 1059 S. 558 Z. 36ff.

202 ... et feria VI. post ascensionem Domini, pridie Idus Maii, inclusus in Fulda per annos X. Liuboldus, episcopus Mogontinus, obiit feria III. VII. Idus Decembris; cui Sigfridus successit; ebd. S. 558 Z. 38ff., unmittelbar fortgesetzt im folgenden Jah-resbericht zu 1082 = 1060: Sigfridus, Fuldensis abbas, dominico die natalis Domini de Fulda ad regiam curtem exiens, baculum Mogontini archiepiscopatus feria sexta in Epiphania accepit, papae etiam tunc Nicolai legato Alexandre, qui non longe postea papa effectus est, hoc idem in curte regia annuente\ ebd. Z. 41-44.

203 Struve, Wende (wie Anm. 141) S. 331 mit Verweis auf seine Zusammen-stellung von Zeugnissen und Forschungen in RI3 Π 1 (1984) S. 155f. Nr. 351.

204 Marianus zu 1086 = 1064 S. 558 Z. 51 - S. 559 Z. 2. 205 Ebd. zu 1087 = 1065 S. 559 Z. 3-31. 206 Marianus zu 1091 = 1069 S. 560 Z. 1-6, einsetzend mit Ego miser Marianus,

iussione episcopi Mogontini et abbatis Fuldensis ...; weiteres zitiert oben in Anm. 181. - Versehentlich erweckt Potthast 1 (J1896) S. 767 den Eindruck, Inkluse sei Marian erst 1069 zu Mainz geworden.

207 Vgl. 0 Cröinin, Marianus Scottus (wie Anm. 122) Sp. 285. 208 Robert Holtzmann in: Wattenbach/Holtzmann 3 (1940) S. 446f.

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war, weil dieser seine Würde vom König simonistisch erlangt hatte - der Beklagte habe seinen Bischofsstab verloren und die Entsetzung nicht einmal ein Jahr lang überlebt209. Zum Folgejahr wußte Marian von Bischof [!] Siegfrieds Aufbruch zur Pilgerfahrt nach Santiago de Com-postela, vom Abbruch der Reise infolge Klostereintritts in Cluny und von der Rückkehr nach Mainz gemäß benediktinischem Gehorsam, aber auch deshalb, weil dem Mainzer Stuhl die Besteigung durch einen Simonisten drohte: alles binnen der knapp drei Monate vom 9. Septem-ber bis zum 6. Dezember des Jahres, wobei letzterer übrigens noch nicht als Nikolausfesttag fixiert wird210. Die nächste Nachricht über diesen Bischof [!] ist dann bereits die bekannte Miterwähnung anläßlich der Königserhebung von angeblich 1078211, ohne daß die unmittelbar an-schließende Räumung von Mainz durch Erzbischof und König infolge von Kämpfen mit aufbegehrenden Mainzer Stadtbewohnern212 auch nur anklingt. Jene Miterwähnung ist gleichzeitig die letzte Nennung des Mainzers durch Marian bis zu dessen Abbrechen der Berichterstattung mit 1082: als habe das Stigma von Weihe des Konkurrenzkönigs und Räumung der Bischofsstadt ,,vo[r] den empörten Bürgern" - und tat-sächlich scheint der angeblich ranghöchste deutsche Kirchenmann seine Domkirche ja nicht wiedergesehen zu haben213 - auch in des Chronogra-phen Augen den Metropoliten zur Unperson gestempelt. Das verdient deshalb festgehalten zu werden, weil sonst für das 11. Jahrhundert be-reits bemerkenswert offene Kritik der Historiographen an handelnden Personen konstatiert wird und Rudolf von Schwaben im Chronicon und in dessen „Überarbeitung" ja tatsächlich nunmehr als bloßer „Sachsenkönig" figurierte214. Erst die bereits mehrfach erwähnte „zweite Rezension des Chronikschlusses (für) 1065-82", die Marian veran-laßte215, brachte hier eine geringfügige Änderung216.

209 Marianus zu 1093 = 1071 S. 560 Z. 12-17. 2 1 0 Ebd. zu 1094 = 1072 S. 560 Z. 19-24. 211 Ebd. zu 1100 S. 561 Z. 33, eingerückt oben in Anm. 194. 212 JDG H.IV., Bd.3 (1900) S. lOff. und 635. - Demandt, Stadtherrschaft (wie

Anm. 198) S. 10-13. 213 Robert Holtzmann in: Wattenbach/Holtzmann 3 (1940) S. 446, vgl. JDG

H.IV., Bd. 3 (1900) S. 12 und 634. 2 1 4 Vgl. Struve, Wende (wie Anm. 141) S. 361f. - Marianus [irrig noch] zu

1101 = 1079 S. 562 Z. lf. und Mariani Recensio altera (gar) zu 1103 (wie Anm. 125) S. 79 Z. 31f.

215 So Robert Holtzmann in: Wattenbach/Holtzmann 3 (1940) S. 448. 2 1 6 Vgl. unten bei Anm. 221.

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„Zweiter, nach dem Papst" 299

Das verdient deshalb festgehalten zu werden, weil - gleichsam in mindernder Analogie zur Mainzer Weihe König Rudolfs - zum Jahres-ende 1081 zwar noch die Königsweihe des Rudolf-Nachfolgers Hermann „von Laach" mitgeteilt wird, Marian aber erneut auf Nennung des Koro-nators verzichtet und jetzt gar den Weiheort durch bloßes „in Sachsen" nur noch andeutet; immerhin seien in Mainz ja Kathedrale und drei Klöster in der Woche nach Pfingsten einem großen Stadtbrand zum Opfer gefallen. Außerdem seien Wähler des Konkurrenzkönigs nur noch Schwaben gewesen217, während hinter Rudolfs Erhebung wenigstens noch Schwaben, Sachsen, der Baiemherzog und (angeblich) dreizehn Bischöfe gestanden hatten218. Daß zu 1081 der Weihnachts- statt des Stephanstags als Weihedatum genannt wird, mag all dem gegenüber un-erheblich sein angesichts des Übergehens nicht nur von Goslar, sondern auch des Koronators Erzbischof Siegfried I. von Mainz219.

Das war immerhin so auffällig, daß in der Recensio Altera unter Streichung der „Laacher" Herkunft des neuen Königs nun doch der „salbende Bischof namentlich nachgetragen wurde220, während im be-reits erwähnten korrigierenden Bericht über die Märzereignisse von 1077 lediglich die archipresul-Titühtur für den Mainzer neu aufgenommen worden war, also ohne Ergänzung des Personennamens221. Wer „Bischof Siegfried" und den „Erzsitz Mainz" nicht ohnehin miteinander verband, konnte ihre Zusammengehörigkeit übrigens aus der ganzen „Überarbeitung" fur 1065 bis 108[2] nicht ermitteln. Erfahrt man hier doch lediglich noch etwas von „Erzbischof Siegfrieds

217 Mogontia civitas intra octavas pentecosten ex parte maiore et monasterium episcopale aliaque tria monasteria igne consumpta. Suevi in autumno Cuonradi fratrem Herimannum, Heinrici de Lacha (oder Laacha?) fratris filium, pro Rodulfo faciunt regem, et in nativitate Domini in Saxonia ungitur in regem', Marianus zu 1103 = 1081 S. 562 Z. 6-9.

218 Vgl. oben Anm. 194 das Zitat aus Marianus zu 1100 =1078 S. 561 Z. 31f. 219 JDGH.IV., Bd. 3 (1900) S. 426. 220 ... consumpta. Suevi in autumno Cuonradi fratrem Herimannum pro Ruo-

dolfo regem faciunt, et nativitate Domini in Saxonia [Pergamentverlust!] a Sigefrido episcopo ungitur [!]; Mariani Recensio altera zu 1104 [! = 1082] (wie Anm. 125) S. 79 Z. 38f. - übrigens nicht berücksichtigt bei Böhme, Königserhebung 1 (wie Anm. 195) S. 76 zu Nr. 250.

221 ... episcopi VII, id est Salzburgensis archiepiscopus, Pataviensis, Mogon-tinus archipresul, Vurzburgensis, Wormacensis, Magdeburgensis, Halverstadensis et aliiplures in villam Forheim iuxta Babenberc...; Mariani Recensio altera zu 1101 [! = 1079] S. 79 Z. 17-21, hier eingerückt Z. 18ff. - Vgl. oben Anm. 196 und vor Anm. 216.

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Jerusalemfahrt"222, nichts mehr von seiner maßgeblichen Beteiligung an Marians „Verlegung" von Fulda nach Mainz 1069, von Siegfrieds Mainzer Auftritt gegen Karl von Konstanz 1071 oder gar von der abgebrochenen Pilgerfahrt, dem Cluny-Aufenthalt und der Rückkehr nach Mainz von 1072, was ja alles im Chronicon zu finden war. Und wenn für dessen Handschrift schließlich festzuhalten ist, daß über Erzbischof Siegfrieds I. Tod zu 1084 bereits ein Fortsetzer des Chronicon berichtete223, dann ist hierfür aus der „Überarbeitung" sogar Fehlanzeige zu erstatten.

9. Marian hat Rangvorstellungen aus dem Mainzer Kathedralklerus auf-genommen, aber nicht das Herrscherweiherecht des Erzbischofs

besonders herausstellen wollen

Zurück zum Chronicon selbst! Es atmet sichtlich keine erklärte Gre-gorianerfeindschaft, suggeriert aber trotz Simonievergehen Loyalität ge-genüber König Heinrich IV. und seinen Anhängern. Anderseits läßt der kühle Bericht über gregorianisches Vorgehen gegen verheiratete Kleriker und besonders gegen die Priesterehe224 kaum ahnen, daß hier ein Autor schrieb oder diktierte, der aus seinem heimatlichen Kulturkreis Kleriker-ehen und gar erbliches Priestertum kaum mehr kennen mochte. Auch die knappere Stilisierung in der Recensio Altera225 verrät keine vermehrte Betroffenheit.

Aus Marians Selbstzeugnis, seine Mainzer Zelle habe zum monaste-rium sancti Martini gehört226, ist geschlossen worden, er habe seinen letzten Lebensabschnitt „in dem (dortigen) Kloster des hl. Martin" ver-bracht227. Demgegenüber ist oben228 unterstellt worden, bei dem

222 Sigefrido episcopo lerosolimam petente, multi occisi sunt...; Mariani Recen-sio altera zu 1087 [! = 1065] S. 78 Z. 37, übrigens der Anfang dieser „Überarbeitung".

223 Mariani Continuatio I zu 1106 = 1084 S. 562 Z. 16f. 224 Marianus zu 1096f. = 1074f. S. 560f. - Zum Folgenden vgl. die Fehlan-

zeigen bei Annette Jocelyn Otway-Ruthven, A History of Medieval Ireland (London 1968, [hier =] J1980) S. 37 und bei John Watt, The Church in Medieval Ireland (= The Gill History of Ireland [5], Dublin 1972) S. 6f.

225 Mariani Recensio altera (wie Anm. 125) zu 1096 [= 1074] S. 78f. 226 Marianus zu 1091 - 1069 S. 560 Ζ. 4, im Zusammenhang eingerückt oben in

Anm. 181. 227 "... moved to Mainz in 1069, where he remained at the monastery of St.

Martin, again walled in ..."; Mary Lynn Rampolla, Marianus Scotus (in: [Scribner's] Dictionary of the Middle Ages, ed. von Joseph Reese Strayer 8, New York 1987) S.

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„Martinsmünster" des Chronicon zu 1069 handle es sich um die Bischofskirche St. Martin. Daß dies sprachlich durchaus möglich ist, zeigt der Chronicon-Bericht über die Kathedralweihe zu 1037229. Ein an-deres Mainzer Martinskloster oder -stift der Zeit scheint nicht bekannt zu sein230, und aus der anschließenden Aufbewahrung von Marians Handexemplar in der Mainzer Dombibliothek231 läßt sich schließen, daß auch der Autor dem späteren Domstift nahegestanden hat. Dem scheint entgegenzustehen, daß für das Chronicon „die Mönche von St. Alban in Mainz" als vermutliche Adressaten erschlossen worden sind232. Dieser Schluß beruht auf der Absicht des Autors, „den Brüdern" das wenige, was er in seiner Untersuchung zusammengebracht habe, „zur Begutach-tung vor(zulegen)"233. Sicher wird damit eine monastische Gemeinschaft suggeriert; aber nun gilt ausgerechnet für den Mainzer Kathedralklerus, daß er unter Erzbischof Bardo (1031-51) streng reguliert worden war und bis ungefähr 1200 die vita communis aufrechterhielt234. Insofern ver-dienten auch die Mainzer Kathedralkleriker des Früheren Mittelalters noch den speziellen Ehrentitel „Bruder", und an ihre „brüderliche Liebe" appellieren235 konnte Marian ohnehin. So empfiehlt es sich, den Martinsdom mit jener Bartholomäuskapelle, die anscheinend eigens für

135. - Vgl. von den Brincken, Marianus Scottus (wie Anm. 34) S. 194: eingemauert „in der Bartholomäuskapelle des Klosters St. Martin".

228 Bei Anm. 182. 229 ... consecravit monasterium sancti Martini...; Marianus zu 1059 = 1037 S.

557 Z. 9, im Zusammenhang eingerückt unten in Anm. 253 und 255. - Nach der kri-tischen Forschung gehört dieses Ereignis zum Martinstag 1036; JDG Κ.Π., Bd. 2 (1884) S. 218f. mit Anm. 2; RI 3 11 (1951) Nr. 244a; Ludwig Falck, Mainz Α Π (in: Lex. des MA 61,1992) Sp. 132.

230 Vgl. Stimming, Mainzer UB. 1 (wie Anm. 12) S. 582f. mit Falck, Mainz A II (wie Anm. 229) Sp. 131f. - Ein paralleles MißVerständnis korrigiert Staab, Mainzer Kirche (wie Anm. 7) S. 36 Anm. 18.

231 Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition (wie Anm. 36) S. 482. - Dazu be-reits oben bei Anm. 121,131 und 135.

232 von den Brincken, Marianus Scottus (wie Anm. 34) S. 197. - Das seiner-zeitige Hauptkloster des Erzbistums dürfte damals übrigens noch „im Süden v o r der Stadt" gelegen haben; Falck, Mainz Α Π (wie Anm. 229) Sp. 131.

233 von den Brincken, Marianus Scottus (wie Anm. 34) S. 197 gemäß der Prae-fatio, ebd. S. 215: ... quedam pauca, que in hac inquisitione collegi, iudicandum fratribus donavi...

234 Staab, Mainzer Kirche (wie Anm. 7) S. 71 Anm. 140. - Alois Gerlich, Mainz Β (in: Lex. des MA 61,1992) Sp. 136.

235 ... donavi ..., ut fraterne caritati conferret saltem aliquid, dum legeretur, Praefatio bei von den Brincken, Marianus Scottus (wie Anm. 34) S. 215.

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Marians Zelle geweiht worden war236, als deren unmittelbare Nachbarschaft vorauszusetzen. Dieser Sachverhalt ist ohnehin Bedingung für die weiterfuhrende Hypothese, auch Marian habe durch sein Wirken dazu beigetragen, daß während des 11. Jahrhunderts „die geistige Führung (im Erzbistum Mainz vom) Kloster St. Alban ... allmählich auf das Domstift über(ging)"237. Gerade hier wurde aber auch ausdrücklich propagiert, „wie (der Mainzer Sitz) den Primat ganz Galliens und Germaniens vom römischen Sitz durch den heiligen Bonifatius empfangen" hatte. So stand es nämlich in einer Passio s. Albani martyris, die der ehemals Lütticher Stiftsmagister und nunmehrige Mainzer Domscholaster Gozwin 1060/62 verfallt und Erzbischof Siegfried I. von Mainz gewidmet hatte238.

Aus der wohl ungestörten und unkommentierten Aufbewahrung von Marians Handexemplar in der Mainzer Dombibliothek und aus der an-scheinend ungehinderten Weiterverbreitung seines Chronicon-Texts -doch wohl zunächst von hier aus - bis schließlich nach England239 wird man folgern dürfen, daß Marians königsloyale Zurückhaltung gegenüber Gregor VII. und dessen Anhängern der herrschenden Linie im Mainzer Domkapitel entsprach. Ohnehin wird in der Forschung darauf abgestellt, daß Mainzer Vorrangstellung in Kirche und Reich auch für die Zeit Erz-bischof Siegfrieds I. wiederholt anderweitig bezeugt ist240. Entsprechend wird man infolge der Rangvorstellungen, die der irische Inkluse zugun-sten der Mainzer Bischofskirche vertrat, die Hochschätzung dieses Erz-sitzes für breitere Auffassungen und nicht nur als gelegentliche Einzel-äußerung in Anspruch nehmen dürfen. Ohnehin paßt die Einordnung im

236 Marianus zu 1091 = 1069 S. 560 Z. 4ff., eingerückt oben in Anm. 181, fixiert denselben Tag ftlr Kapellenweihe und Inklusen-Einschließung: Freitag, den 10. VII. 1069.

237 Falck, Mainz Α Π (wie Anm. 229) Sp. 132. 238 Quodmodo primatum tocius Galliae et Germaniae α Romana sede per

sanctum Bonifacium accepit, Überschrift zu Kap. 27 der Passio s. Albani martyris auctore Gozwino (in: MGH SS 15 Π, 1888) S. 989 Z. 13f. - Thomas, Erebischof Sieg-fried I. (wie Anm. 11) S. 386 bzw. 385. - Staab, Mainzer Kirche (wie Anm. 7) S. 64f. Anm. 121. - Kehl, Kult und Nachleben (wie Anm. 7) S. 192f.

239 Gransden 1 (wie Anm. 124) S. 136, 145f. und 155f., 176 und 259. - Staab, Mainzer Kirche (wie Anm. 7) S. 46f. Anm. 60. - Immer noch reichhaltig die Hinweise bei Waitz, Einleitung zur Marianus-Edition (wie Anm. 36) S. 492 sowie von den Brincken, Studien zur lateinischen Weltchronistik (wie Anm. 132) S. 172-175 und Wilhelm Levison/Hans Eberhard Mayer, Die ,Annales Lindisfarnenses et Dunel-menses', kritisch untersucht und neu herausgegeben (DA 17, 1961) S. 447-51, 453 und 454-58.

240 Thomas, Erzbischof Siegfried I. (wie Anm. 11) S. 371f., 384f. und 388-92. Brought to you by | St. Petersburg State University

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„Zweiter, nach dem Papst" 303

Zusammenhang mit der Kaisersalbungsnachricht fur Pippin den Jünge-ren gut in die Ausprägung von Mainzer Vikariats- und gar Primatsvor-stellungen der Zeit241.

Daß hierfür schon seit der Zeit des Magnentius Hrabanus Maurus und gar mit Resonanz beim Papsttum spätestens seit dem 10. Jahrhun-dert das Ansehen und die schließliche Mainzer Position des Bonifatius verwertet wurde, war einleitend dargelegt worden. Darüber hinaus hat sich ergeben, daß durch Marian und Mitarbeiter bewußt eine Einordnung des Bonifatius in die Geschichte irischer Kirchenmänner auf dem Konti-nent vorgenommen wurde. Es mag dahingestellt bleiben, ob in Analogie zur Reklamierung Papst Gregors des Großen für irische Abstammung in einer volkssprachlichen „Betha Grigora" des 11. oder 11./12. Jahrhun-derts auch für Bonifatius und sein Wirken geurteilt werden darf, daß Iren ihn deshalb zu einem der Ihrigen machten, weil er bei ihnen so viel ge-golten habe242. Auch mag man sich scheuen, hinter Marians Jahresbe-richten eine gesamtinsulare Konzeption christlichen Wirkens auf dem Kontinent in je spezifischer Ausprägung irisch-angelsächsischer Pere-grinatio am Werk zu sehen, wie es moderner Zusammenschau ent-spricht243. In der oben244 bereits erwähnten Vita Tertia wird für Bonifa-tius selbstverständlich von Mitarbeitern nicht nur aus seinem eigenen Volk, sondern auch aus Irland und natürlich aus dem betroffenen Land der Franken berichtet. Zwar seien es aus Irland nur „einige" gewesen245; aber das hinderte, wohl im Echternach des 12./13. Jahrhunderts, nicht daran, in der dann anschließenden Namenauswahl Fuldas ersten Abt

241 Vgl. Kehl, Kult und Nachleben (wie Anm. 7) S. 192f. 242 Ygj j f e ^ Löwe, Einleitung (in: Die Iren und Europa im Früheren Mittel-

alter 1 [Veröffentlichungen des Europa-Zentrums Tübingen, Kulturwissenschaftliche Reihe, Stuttgart 1982]) S. 3 mit Richter, Irland im Mittelalter (wie Anm. 111) S. 107f. (Frühdatierung der „Betha Grighora").

243 vgl. Arnold Angenendt, Monachi peregrini (= Mtlnstersche Mittelalter-Schriften 6, München 1972) S. 23,175, 216 u.ö. - Richter, Irland im Mittelalter (wie Anm. I l l ) S. 58f. und 161. - Pröinseas Ni Chathäin, Early Ireland and Westem Christendom - the Bible and the Missions (in: Irland und die Christenheit ... Bibel-studien und Mission ..., hg. von Pröinseas Ni Chathäin und Michael Richter [Ver-öffentlichungen des Europa-Zentrums Tübingen, Kulturwissenschaftliche Reihe, Stuttgart 1987]) S. 491.

244 Bei Anm. 79f. 245 Gemäß Matthäus IX 37 ille sapiens architectus [Bonifacius] elegit sibi quam

plures medicos animarum, alios etenim ex gente sua, alios ex parte Franciae, non-nullos etiam de finibus Hybemiae, quatinus adessent sibi cooperatores in vinea Domini. Ex quibus hiifuerunt...; Vita tertia Bonifatii 6 (wie Anm. 5) S. 83 Z. 3-7 mit N. e, vgl. das Folgende!

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304 Kurt-Ulrich Jäschke

Sturmi in Ergänzung der Vorlage aus Irland herzuleiten246. Das war sicher keine bewußte Korrektur gegen Sturmis anderwärts bezeugte baierische Herkunft247, sondern nur textlogisch-präzisierende Verständ-nishilfe aus dem Bewußtsein eigener und somit auch irischer Tradi-tionen.

Marians Bonifatiusvorstellung war wohl dezidierter. Wenn diesem Inklusen aufgrund seines Gesamtwerks attestiert wird, er sei als „tief frommer und theologisch interessierter Denker" vor allem um „tieferes Verständnis der Heilsgeschichte" bemüht gewesen248, dann kamen gerade den Angehörigen seines Volks fur die Christlichkeit seines Gastlands in Geschichte und Gegenwart hohe Verdienste zu. Marian mag auf dem Weg über Vereinnahmung des Bonifatius für die Iroschotten auch seine eigene Fremdheit im Frankenland gemildert haben. Die Franken allerdings waren gemäß seiner Kontinuitätsvorstellung die Erben der Römer im Kaisertum gewesen -nicht zuletzt unter instrumenteller Mitwirkung des „Iren" Bonifatius und fränkisch war dieses Kaisertum laut seiner Darstellung nach wie vor. Folgte daraus nicht die Spitzenstellung seiner Mainzer Nachfolger in der westlichen Gesamtkirche, direkt nach dem Papst?

Daß hierbei weniger die Gesamtkirche und eher der nunmehrige Er-fahrungsbereich von Marians Informanten in den Blick kam, nämlich das römisch-deutsche Reich in seiner Erstreckung nördlich von Reichsitalien, mag durch eine auffallige „Frankentradition" belegt werden, der Marian anläßlich seines Berichts über die bereits erwähnte249 Mainzer Domweihe (angeblich) vom Martinstag 1037 Raum gegeben hat. Dem Ereignis wurde hohe Bedeutung durch die Teilnahme jenes Kaisers Konrad [II.] vindiziert, den Marian nach der Mitteilung über das Ableben Kaiser Heinrichs [II.] 1024 als 93. Römerherrscher und nunmehrigen

246 ... hiifuerunt Wigbertus ex parte Anglorum, beatus vero Gregorius ex nobili prosapia Francorum, Sturmus vero venerabilis de finibus Hy b er ni a e et Lullus etMeingotus, Willibaldus suusque germanus Winibaldus et alii quam plures...; ebd. Z. 7-11 mit N. e, g-i und 1. - Zur Hs. la Levison in seiner Einleitung zur Vitae-sancti-Bonifatii-Edition (wie Anm. 5) S. LVII.

247 Die Vita Sturmi des Eigil von Fulda. Literarkritisch-historische Untersu-chung und Edition von Pius Engelbert (VHKH 29, 1968) S. 6 sowie der Text § 2 S. 132.

248 So das einfühlsame Urteil bei von den Brincken, Marianus Scottus (wie Anm. 34) S. 204.

249 Oben bei Anm. 229. Brought to you by | St. Petersburg State University

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„Franken" eingeführt hatte250; anläßlich der jeweiligen Erstnennung Konrads I. und Heinrichs I. hatte es entsprechende Herkunftsvermerke nicht gegeben251. In Kaiser Konrads II. Anwesenheit habe der hl. Erzbischof Bardo252 am 10. November 1037 - Jahr, Monats- und besonders der Wochentag werden zusätzlich noch durch mehrere und gleichsam liturgische Datierungselemente fixiert253, ohne allerdings ins Itinerar des Königs zu passen254 - das Martinsmünster geweiht: den Sitz des Erzbistums von Mainz, ja sogar aller Franken. Die Weihe sei zu Ehren des heiligen Bischofs und Bekenners Martin erfolgt, in Anwesenheit vieler Bischöfe und verehrungswürdiger Männer255. Hier schimmert - für Iren vielleicht in Analogie zum Primatsanspruch des Erzsitzes Armagh über alle irischen Kirchen, wie ihn der dann hier so genannte imperator Scottorum Brian Bora 1006 anerkannt hatte256 -etwas durch von der Vorrangstellung der Mainzer Kirche im Reich, und eben sie insgesamt und nicht eine besondere Königsweihegerechtsame dürfte gemeint gewesen sein, als im Mariani Scotti Chronicon zu Pippins des Jüngeren Erhebung vermerkt wurde „und von da an galt der Mainzer Bischof deswegen als Zweiter, [direkt] nach dem Papst".

250 Am Ende von Marianus zu 1046 = 1024 steht Romanorum XCIII. regnavit Cuonradus, Francas genere, annis XV. ·, S. 556 Z. 10.

251 Vgl. Marianus zu 933 = 911 und zu 940 = 918 S. 553 Z. 45 bzw. 57. 252 Erzbischof Bardo (1031-51) wurde tatsächlich „bald nach seinem Tod als

Heiliger verehrt"; Peter Acht, Bardo (in: LThK 1, l1957) Sp. 1243. 253 Sanctus archiepiscopus Bardo, praesenti Conrado imperatore, indictione V.,

quarto die Idus Novembr., feria quoque quinta - in qua feria crisima [!] consecratur et multa etiam sancta et bona opera petficiuntur, in qua equidem dominus noster Ihesus Christus in corpus suum panem et in sanguinem suum vinum nobis sanctißca-vit quique est dies honorabilior totius ebdomadae post diem dominicum — consecravit ...; Marianus zu 1059 = 1037 S. 557 Z. 4-9.

254 Zu 1036 XI10 (= Martini-Vigil) ziehen das Geschehen Wilhelm Wattenbach in seiner Marginaldatierung und Kommentierung der Vita Bardonis auctore Vulculdo 10 (in: MGH SS 11, 1854) S. 321 mit Anm. 8 sowie Acht, Bardo (wie Anm. 252) Sp. 1243 und Gerlich, Bardo (wie Anm. 30) Sp. 1458, zum folgenden Tag JDG Κ. Π., Bd. 2 (1884) S. 218f. mit Anm. 2 und RI311 (1951) Nr. 244a.

255 ... consecravit monasterium sancti Martini, sedis Mogontiacensis archi-episcopatus, immo omnium Francorum, in honore [!] sancti Martini episcopi et con-fessoris, cum multis episcopis atque venerabilibus viris; Marianus zu 1059 = 1037 S. 557 Z. 9ff.

256 Kathleen Hughes bei Otway-Ruthven, History (wie Anm. 224) S. 32. -Patrick J. Corish, Armagh (in: LThK 1, J1993) Sp. 994 (arg knapp). - Vgl. oben Anm. 120. - Schluß des Manuskripts: 30.Vm.1994.

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