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Leipziger Menschenrechtsgruppen 1989 Blatt 9 (1999)

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    LE I P Z I G E R ME N S C H E N R E C H T S G R U P P E N1989

    BL AT T 9/ 1999 w HE U T E V O R 10 J A H R E N

    9. Oktober 1989 w Tag der Entscheidung

    Der Arbeitskreis Gerechtigkeit in Leipzig wird am4. Oktober 1989 ber Kontaktein den Machtapparat davon in Kenntnis gesetzt, dass fr den nchsten Montag

    die Gefahr der Verhngung des Kriegsrechtes bestehe. In diesem Falle wre diemilitrische Niederschlagung der Demonstration und die Isolierung vonOppositionellen in Arbeitslagern zu erwarten gewesen.Der Arbeitskreis Gerechtigkeit wird eindringlich darum gebeten einen Appell zumVerzicht auf Demonstrationen zu verfassen, um die Verhngung desKriegsrechtes abzuwenden. Thomas Rudolph, ein Sprecher des Arbeitskreises Gerechtigkeit , lehnt ab. Er fordert, zuerst msse aus der SED heraus dieAufnahme des Dialoges mit den Demonstranten erklrt und die Kriminalisierungder Opposition beendet werden.

    In Dresden wird eine Demonstration gewaltsam aufgelst. Von den ca. 20.000Teilnehmenden werden 225 vorlufig festgenommen. Der Vorsitzende derBezirkseinsatzleitung Dresden , Hans Modrow, fordert die Bereitstellung von 5Bataillonen der NVA als Reserve an. Zwei Kompanien der 7. Panzerdivision undKompanien der Offiziershochschule kommen zum Einsatz.In Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) werden ca. 800 Personen gewaltsamaus dem Bahnhof vertrieben, 82 vorlufig festgenommen. In Bad Schandau,Freiberg (ca. 100 Personen), Heidenau, Pirna, Steinpleis (ca. 150 Personen) undWerdau (ca. 150 Personen) werden Ansammlungen von Ausreisewilligenaufgelst.In Ostberlin versammeln sich vor der Botschaft der USA ca. 120Ausreiseantragsteller, deren 42 vorlufig festgenommen werden. Auch inNeubrandenburg gelingt eine Demonstration von Ausreisewilligen. Frbitt- undInformationsveranstaltungen finden u. a. in Ostberlin, Potsdam und Weimar statt.

    In Dresden demonstrieren am 5. Oktober erneut etwa 6.000 Personen vor demHauptbahnhof. Infolge des ersten Versuches der Sicherheitskrfte, dieDemonstration aufzulsen, geraten ca. 120 und spter weitere 55 Personen in dievorlufige Festnahme. In Magdeburg bilden etwa 500 Personen nach dem imDom abgehaltenen traditionellen Friedensgebet einen Schweigemarsch undziehen in Richtung Stadtzentrum. Die Demonstration wird gewaltsam aufgelst.

    54 Personen werden vorlufig festgenommen, 33 erhalten Ordnungsstrafen unddrei Demonstranten mssen in das Krankenhaus eingeliefert werden.

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    In Wilthen wird eine Demonstration Jugendlicher aufgelst, wobei 17 von ihnenvorlufig festgenommen werden. Frbitt- und Informationsveranstaltungen fr dieInhaftierten finden u. a. in Plauen, Rostock und der Leipziger Lukaskirche statt.Bernd Oehler, ein Sprecher des Arbeitskreises Gerechtigkeit , ist von einer Reisezu Oppositionsgruppen in den baltischen Lndern zurckgekehrt. Er analysiertdie Lage in der Sowjetunion mit Blick auf die Unabhngigkeitsbestrebungen undhinsichtlich der vomArbeitskreis Gerechtigkeit und der Initiative Frieden und Menschenrechte Leipzig einzunehmenden Position:

    Die leidvollen Erfahrungen der Balten als kleine Staaten in der europischen Machtpolitik, zuletzt und am schlimmsten unter der Herrschaft Stalins, der vergifteten Lebensatmosphre von Denunziation und drohendem sibirischen Lager, die Allgegenwart der politischen Polizei und deren Macht ber die Gedanken der Menschen von der Schule an, die groen Versprechungen des Anfangs und die bitteren konomischen und kologischen Frchte der Gegenwart lassen nach einer Alternative suchen,

    die in einer aufgeteilten Welt auch den Balten Anteil an Freiheit und Wohlstand gewhrt. Fr die Volksfronten wie auch fr die meisten noch nicht anerkannten politischen Parteiungen stellt sich als Lsung die politische und wirtschaftliche Unabhngigkeit dar. Die geopolitischen Konsequenzen sieht man weitgehend optimistisch. Von uns aus gesehen ist es naheliegend, dem lngeren Atem des berwiegenden Teils der Volksfronten zuzustimmen,zumindest mittelfristig nur konomische Unabhngigkeit und brgerliche Freiheiten zu festigen. Einer politischen Unabhngigkeit der Balten wrden hnliche Strebungen der Moldawier und Ukrainer und sicher nicht nur derer folgen. Fr die Sowjetunion erscheint das Baltikum gegenwrtig konomisch und militrisch unaufgebbar [] Die vlkerrechtliche Frage ist klar im Sinne der Balten zu beantworten, die Geopolitik allerdings fordert mittelfristige Lsungen. Allerdings knnte, auf einen polnischen Vorschlag hin, europische und skandinavische Integration bereits heute begonnen werden, etwa eine nhere Bindung an Finnland einerseits und Polen andererseits.

    Am 6. Oktober besucht Ansgar Vssing von der Westberliner CDU denArbeitskreis Gerechtigkeit und die Arbeitsgruppe Menschenrechte in Leipzig undteilt Vermutungen der westdeutschen Seite bezglich der Plne der OstberlinerFhrung gegen die fr den Montag erwartete Demonstration und gegen dieOpposition mit. Er sichert Untersttzung zu, falls die Ostberliner Fhrung gegendie Initiative Frieden und Menschenrechte Leipzig vorgehen sollte.Anschlieend setzt der Sprecher des Arbeitskreises Gerechtigkeit,ThomasRudolph, den Superintendenten von Leipzig-Ost, Friedrich Magirius, ber die denBrgerrechtsgruppen vorliegenden Informationen zu vermuteten militrischenVorbereitungen der Machthaber in Kenntnis. Er verbindet dies mit der Bitte, dieInformationen an den Bischof Dr. Johannes Hempel und den SuperintendentenJohannes Richter weiterzuleiten.Der Thringer Bischof Dr. Werner Leich bittet die Pfarrer seiner LandeskircheFriedensgebete vorzubereiten und Kirchen als Zufluchtsorte zu ffnen.

    Der sowjetische KP-Chef Michail Gorbatschow uert auf einer Festveranstaltungin Ostberlin seine Erwartung,

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    da die SED mit allen gesellschaftlichen Krften politische Antworten auf die Fragen findet, die auf die Tagesordnung gesetzt worden sind und die die Brger bewegen.

    Frbitt- und lnformationsveranstaltungen finden u. a. in Grlitz, Gstrow, Rostock,Schwerin und Stralsund statt. Auf dem Leninplatz in Dresden beginnt eineDemonstration von ca. 5.000 Personen, die erneut gewaltsam aufgelst wird,wobei 367 Personen vorlufig festgenommen werden. Zu weiterenDemonstrationen kommt es in Bautzen und Aschersleben.

    Am 7. Oktober , dem 40. Jahrestag der Grndung des stlichen deutschenTeilstaates, bilden sich in Leipzig mehrfach spontane Demonstrationszge mit biszu 10.000 Beteiligten. Sie singen Happy birthday und die Internationale ;Sprechchre skandieren Gorbi und Neues Forum zulassen! . Die bergriffe derSicherheitskrfte werden mit den SprechchrenKeine Gewalt! und Schmt Euch was! beantwortet. Die Demonstrationen werden gewaltsam unter Einsatz

    von Wasserwerfern aufgelst. 210 Personen werden vorlufig festgenommen, 13verbleiben in Untersuchungshaft.Die bergriffe der Sicherheitskrfte richten sich auch gegen unbeteiligtePassanten. So heit es in einem der Informationsgruppe der Koordinierungsgruppe des Arbeitskreises Gerechtigkeit und der Arbeitsgruppe Menschenrechte in der Lukaskirchgemeinde bergebenem Erlebnisprotokollunter der berschriftEs geschah am 7. Oktober :

    So wie eigentlich jedes Jahr gehen wir gemeinsam mit unseren beiden Kindern zum Feuerwerk. Gegen 18 Uhr waren wir im Clara-Zetkin-Park, um am Lichterfest teilzunehmen, dann sahen wir uns das Feuerwerk an. Nach Beendigung gingen wir gleich zu unserem Auto, da wir gemeinsam mit meiner Mutti in der Stadt noch etwas Essen wollten. Danach wollten wir meine Mutti nach Hause bringen. [] Wir stellten unser Auto auf dem Parkplatz an der Oper ab und liefen in Richtung Sachsenplatz. Wir beschlossen in die Fischgaststtte am Brhl zu gehen. Als wir vom Sachsenplatz [] gingen, waren wir vorm Brhl auf der Hauptstrae, wo auf einmal eine Menschenmenge vor der Polizei flchtete. Ein Brger rief im Vorbeirennen: Haut mit den Kindern ab!, doch wo sollten wir denn so schnell mit den Kindern hin. Sollte ich mit ihnen in die Massen rennen? Ein lteres Ehepaar, was am Rand stand, sagte zu uns: Kommen sie hier her! An der Seite sind sie sicher. Wir gingen auch gleich hin. Doch es war zu spt! Eine Kette von Polizisten mit Schlagstcken und Schutzschilden kam schnellen Schrittes auf uns zu. Sie knallten mit ihren Stcken auf die Schilde und schlugen wahllos auf Menschen, die vor ihnen waren, ein. Da wir mit unseren Kindern und dem Ehepaar an der Seite standen, dachten wir, da sie uns nichts tun. Doch sie nahmen keine Rcksicht auf Kinder und friedliche Brger. Meinen kleinen Sohn P(5 Jahre) zerrten sie am Anorak.Er sollte weiterlaufen. Unseren anderen Jungen, D(8 Jahre), schubsten sie mit ihren Schilden nach vorn. Meine Mutti und mich zogen sie an der Jacke. Zu ihr sagten sie: Komm, Oma, lauf los!. Meinen Verlobten und das

    Ehepaar drngten sie ebenfalls mit ihren Schilden. Wir sollten in Richtung Bahnhof laufen, obwohl wir dort nie hinwollten. Sie holten mit ihren Stcken aus und drohten zuzuschlagen. Fr unsere Kinder war es ein groer

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    Schreck. Sie weinten und schrien: Wir wollen weg. Sie sind dadurch sehr eingeschchtert und wollen so schnell nicht wieder in die Stadt. Was soll ich meinen Kindern zur Antwort geben, wenn sie so etwas miterleben? Ist es nicht eine Schande, so etwas in der Deutschen Demokratischen Republik und vor allem noch an so einem Tag mitzuerleben. Die Brger, die an so einer Demonstration teilnehmen, wollen doch nur kmpfen fr ein besseres Land. Sie sind friedlich und wollen keine Gewalt und werden dann so wahllos feige niedergeschlagen.

    In Plauen versammeln sich infolge eines schriftlichen Aufrufs von Mitgliedern derGruppe Umdenken durch Nachdenken einer Gruppe, die demInformationsnetz des LeipzigerSonnabendskreises angehrt ab 15 Uhr bis zu8.000 Personen auf dem Theaterplatz. Der Handzettel mit dem TitelInitiativezur demokratischen Umgestaltung der Gesellschaft hatte folgendenWortlaut:

    Brger der Stadt Planen! Am 7. Oktober findet auf dem Plauener Theaterplatz eine Protestdemonstration statt!! Beginn: 15 Uhr. Unsere Forderungen lauten: Versammlungs- und Demonstrationsrecht, Streikrecht,Meinungs- und Pressefreiheit, Zulassung der Oppositionsgruppe Neues Forum sowie anderer unabhngiger Parteien und Umweltgruppen, freie,demokratische Wahlen, Reisefreiheit fr alle Brger! berwindet eure Lethargie und Gleichgltigkeit! Schliet euch zusammen! Es geht um unsere Zukunft! Informiert die Arbeiter in den Betrieben!

    In Sprechchren wird Demokratie, Pressefreiheit, Freie Wahlen, Neues Forum, Gorbi und Wir kommen wieder skandiert. Kampfgruppen und mitMaschinenpistolen bewaffnete Grenztruppen fahren auf. Das OperativeFernsehen setzt Hubschrauber zur Aufklrung der Demonstration ein. Die vonden Sicherheitskrften eingesetzten Wasserwerfer werden auch vonDemonstranten angegriffen und teilweise beschdigt. Die Postenketten ziehensich zur Sicherung des Rathauses zurck. Superintendent Thomas Kttlerverhandelt mit den Sicherheitskrften. Grenztruppen und Hubschrauber werdenabgezogen. Gegen 18.30 Uhr lst sich die Demonstration mit den RufenWir kommen wieder von selbst auf, nachdem Termine zuFrbitt-Andachten fr die in Leipzig Inhaftierten bekanntgegeben worden waren. Insgesamt werden 42Personen vorlufig festgenommen.

    In Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) bilden am Luxorpalast nachAbsage einer lnformationsveranstaltung ber Oppositionsgruppen die ca. 2.000Besucher einen Schweigemarsch, der sich zurck in die Innenstadt bewegt. Dortwird der Demonstrationszug gewaltsam aufgelst und 28 Personen werdenvorlufig festgenommen.

    Auch in Arnstadt (ca. 600 Personen, 20 vorlufige Festnahmen), Aschersleben,Berlin (zeitweise 5.000 bis 10.000 Personen, 600 vorlufige Festnahmen),Crimmitschau, Dessau, Dresden (ca. 4.000 Personen, 129 vorlufige

    Festnahmen), Dippoldiswalde (ca. 80 Personen, 22 vorlufige Festnahmen),Erfurt (ca. 150 Personen), Guben, Halle (ca. 100 Personen, 47 vorlufigeFestnahmen), Hainichen, llmenau (ca. 200 Personen, vorlufige Festnahmen, ein

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    Verletzter), Magdeburg (ca. 1.500 Personen, etwa 90 vorlufige Festnahmen),Potsdam (ca. 2.000 Personen, 106 vorlufige Festnahmen), Prenzlau (ca. 30Personen, acht vorlufige Festnahmen), Rolau, Rostock (zwei kleine Mrschevon etwa 50 und 30 Jugendlichen, davon 20 Zufhrungen) und Torgau werdenDemonstrationen gewaltsam aufgelst. Insgesamt werden 1.551 Personen beider Auflsung dieser Demonstrationen vorlufig festgenommen. Frbitt- undInformationsveranstaltungen finden u.a. in Aken, Halle und Rostock statt.Von Westberliner Seite aus versucht die Initiative fr direkte Demokratie mitLuftballons Flugbltter nach Ostberlin zu schicken. Unter den Aktivisten befindetsich auch Frank Wolfgang Sonntag, der Sprecher des Arbeitskreises Gerechtigkeit in Westberlin.In Schwante findet die Grndungsversammlung derSozialdemokratischen Partei in der DDR statt. DieSDP beschliet ihr Statut und whlt Ibrahim M. Bhme zumGeschftsfhrer.

    Am8. Oktober finden erneut Demonstrationen in Berlin (ca. 2.500 Personen, 479vorlufige Festnahmen), Bischofswerda (50 Personen, alle vorlufigfestgenommen), Dresden (bis zu 8.000 Personen, ca. 150 vorlufigeFestnahmen), Lindow, Meerane (Schweigemarsch), Treuen, Prenzlau (8Zufhrungen) und anderen Stdten statt.Whrend am frhen Abend in Dresden ein Demonstrationszug vonSicherheitskrften aufgelst wird, bekommt ein anderer Demonstrationszug, dersich am Abend auf der Prager Strae befindet, ein Gesprch mit demOberbrgermeister Wolfgang Berghofer fr den 9. Oktober, 9 Uhr, im Rathausangeboten. Die Demonstranten benennen aus ihrer Mitte heraus dieGruppe der 20 fr dieses Gesprch. Kirchenvertreter geben bekannt, am Abend des 9.Oktober werde in verschiedenen Kirchen Dresdens ber das Ergebnis desGesprches informiert. Gegen 21.30 Uhr beenden die Dresdner ihre Aktion.

    In Leipzig werden kleinere Ansammlungen von Personen sofort durchSicherheitskrfte zerstreut, es kommt zu mindestens drei vorlufigenFestnahmen. An der Leipziger Nikolaikirche ist ein Schild befestigt:Fr die Opfer des Oststalinismus am 7. 10. 89.Erich Mielke, der Minister fr Staatssicherheit,befiehlt fr die Einheiten der Staatssicherheitvolle Dienstbereitschaft und weistdie Vorbereitung zur Festnahme bereits erfasster Oppositioneller und dieVorbereitung der Einlieferung aufflliger Brger und Brgerinnen inIsolierungslager an. Frbitt- und Informationsveranstaltungen finden u. a. inGuben, Neustrelitz und Torgau (ca. 70 Personen, zwei Zufhrungen) statt.

    Die Redaktion der OstberlinerUmweltbltter hatte in den vergangenen Tagenerwogen, ein tagesaktuelles Samisdat erscheinen zu lassen, um wenigstenseinige der am Berliner Kontakt-Telefon eingehenden Nachrichten sofort schriftlichverbreiten zu knnen. Am9. Oktober erscheint die erste Nummer des Telegraph mit der AngabeRedaktionsschlu 9. 10. 89, vormittags.Die Redakteure sind u.a. Peter Grimm von derInitiative Frieden und Menschenrechte sowie WolfgangRddenklau und Tom Sello von derUmweltbibliothek.

    Mit demTelegraph wird auch die von Martin Gutzeit, Ibrahim Bhme, AngelikaBarbe, Rainer Hartmann und Stephan Hilsberg am Morgen abgegebene

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    Erklrung des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei (SDP) weiterverbreitet:

    Wir erleben im Moment in der gesamten DDR, wie Menschen in ungeahntem Mae durch Demonstrationen grundlegende politische Vernderungen fordern. Trotz brutaler Ausschreitungen und Gewaltprovokationen von Seiten der Sicherheitskrfte blieben die Demonstranten der letzten Tage in erstaunlichem Mae gewaltfrei. Da die Grenze des allgemein gewaltlos Ertragbaren vorstzlich weit berschritten wurde, mssen wir mit gewaltttigen Auseinandersetzungen von beiden Seiten rechnen, wenn sich der staatliche Umgang mit Demonstrationen nicht grundlegend ndert. Die Verantwortung fr eine Eskalation der Gewalt tragen allein die politisch Verantwortlichen. Angesichts dieser Situation fordern wir die Brger unseres Landes zur verstrkten Solidaritt mit den in ihrer Wrde zutiefst verletzten Menschen, insbesondere mit den politischen Gefangenen in der DDR, auf.

    In der Ostberliner Gethsemanekirche stellt der Vorbereitungskreis der Mahnwache fr die Inhaftierten in einemAufruf fest:

    [] Wir haben in den letzten Tagen erfahren, da wir stark sind durch Gewaltlosigkeit. Wir sind viele wir knnen nicht mehr ignoriert und bergangen werden. Das ist ein groer Erfolg.[] Jetzt ist die Zeit reif fr konstruktive Aussprachen aller Gruppierungen und Krfte unseres Landes am runden Tisch [] Als Grundlage fr einen Dialog mit den staatlichen Stellen bitten wir Vertreter unabhngiger Gruppierungen, sich in den nchsten Tagen an der Erarbeitung eines Forderungs- und Handlungskataloges zu beteiligen.

    Erich Honecker empfngt Yao Yilin, den stellvertretenden Ministerprsidenten derVR China und Mitglied des Politbros derKommunistischen Partei Chinas.BeidePolitiker stimmen darin berein, dass

    eine grundstzliche Lehre aus dem konterrevolutionren Aufruhr in Peking sowie der gegenwrtigen Hetzkampagne gegen die DDR darin bestehe, unbeirrt an den Grundwerten des Sozialismus festzuhalten und gleichzeitig die sozialistische Gesellschaft stndig weiter zu vervollkommnen.

    Parallel zur Demonstration in Leipzig finden in Berlin (ca. 3.000 Personen),Dresden (ca. 14.000 Personen), Halle (ca. 200 Personen), Jena (ca. 60Personen), Lindow, Magdeburg (Montagsgebet, ca. 4.100 Personen),Markneukirchen (ca. 100 Personen), Meerane (ca. 300 Personen), Merseburg(ca. 80 Personen), Ribnitz-Damgarten (Stadtkirche, ca. 130 Personen), Stralsund(Friedensgebet, ca. 400 Personen) und Wurzen (ca. 80 Personen)Veranstaltungen in Kirchen statt, die des Andranges wegen zum Teil wiederholtwerden mssen.

    In Halle wird eine ca. 400 Personen starkeSchweigekundgebung aufgelst, 39Personen werden vorlufig festgenommen. In Lindow ziehen ca. 500 Personen

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    nach dem Friedensgebet zum Rathaus und fordern die Freilassung derInhaftierten. In Vokuhl versammeln sich etwa 200 Personen.Laut Beschluss der SED-Bezirksleitung Leipzig in Abstimmung mit demGeneralsekretr der SED und Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates ,Erich Honecker, fhrt dieBezirkseinsatzleitung Leipzig die Sicherheitskrfte. Ihrsind neben den im Bezirk stationierten eigenen Einheiten der Bezirksbehrde derDeutschen Volkspolizei Leipzig, der Bezirksverwaltung fr Staatssicherheit, desWehrbezirkskommandos und der Kampfgruppen zustzliche Einheiten derNationalen Volksarmee, der Staatssicherheit, der Bereitschaftspolizei undausgesuchte SED-Parteikader in Zivil unterstellt.

    Entsprechend eines von der Bezirkseinsatzleitung Leipzig und dem Minister desInnern Friedrich Dickel besttigten Entschlusses (vom 6. Oktober) des nachPlanung und ausgelster Mobilmachungs- bzw. Bereitschaftsstufe dafr imAuftrag des Vorsitzenden derBezirkseinsatzleitung im Amt, Helmut Hackenberg,zustndigen Chefs der Bezirksverwaltung der Deutschen Volkspolizei Leipzig,

    Generalmajor Gerhard Straenburg, sind unter fernschriftlicherInkenntnissetzung des Sekretrs fr Sicherheitsfragen im SED-Zentralkomitee,Egon Krenz jegliche [] Demonstrationen antisozialistischer Krfte im Bereich der Innenstadt Leipzigs zu bekmpfen und zu verhindern.Motorisierte Einheiten sind mit Schtzenwaffen und Munition ausgerstet (geschlossener Einsatz ...).Die Fhrung der Sicherheitskrfte erfolgt dabei ausder stationren Fhrungsstelle in der BDVP Leipzig. Die Einweisung derSicherheitskrfte erfolgte u. a. mit den Worten, dass

    heute ein fr alle mal Schlu gemacht wird mit der Konterrevolution in Leipzig. Genossen, ab heute ist Klassenkampf. Die Situation entspricht dem 17. Juni 53. Heute entscheidet es sich entweder die oder wir.

    Bei der Koordnierungsgruppe gehen verschiedene Hinweise ein berbereitgestellte Blutkonserven in Krankenhusern, ber die Verlegung vonbewaffneten Sicherheitskrften, ber in Stellung gebrachteSchtzenpanzerwagen, ber die Verstrkung der Spt- und Nachtschichten inKrankenhusern, ber die Mobilisierung von Kampfgruppen mit Schusswaffen,ber die Anweisung zu vorverlegter Schlieung der Geschfte in der Innenstadtetc. Auf Grund dieser Nachrichten entscheidet dieKoordinierungsgruppe des Arbeitskreises Gerechtigkeit und der Arbeitsgruppe Menschenrechte , westlicheNachrichtenagenturen darber vorab zu informieren und eineVorberichterstattung einzuleiten.Nach dem Friedensgebet gelingt die dritte montgliche Grodemonstration durchdie Leipziger Innenstadt mit ca. 70.000 Personen.An der Nikolaikirche hngt ein Transparent:Leute keine sinnlose Gewalt, reit Euch zusammen, lat die Steine liegen!.

    Der Arbeitskreis Gerechtigkeit , die Arbeitsgruppe Menschenrechte und dieArbeitsgruppe Umweltschutz verffentlichen einenAppell an die Demonstrantenund die Sicherheitskrfte, keine Gewalt anzuwenden.

    Der Appell war im Bibliotheksraum derArbeitsgruppe Menschenrechte und desArbeitskreises Gerechtigkeit gemeinsam von Hagen Findeis (Arbeitskreis Abgrenzung und ffnung Leipzig), Roland Quester (Arbeitsgruppe

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    Umweltschutz ), Rainer Mller, Frank Richter, Thomas Rudolph, Kathrin Walther,Christoph Wonneberger u. a. verfasst und anschlieend in den gemeinsamenRumen der Arbeitsgruppe Menschenrechte und des Arbeitskreises Gerechtigkeit in der Lukasgemeinde in einer Auflage von ca. fnfundzwanzigtausendExemplaren gedruckt worden.Frank Richter (Arbeitsgruppe Menschenrechte ) verliest ihn whrend desFriedensgebetes in der Nikolaikirche, Susann Labitzke (Arbeitskreis Gerechtigkeit ) in der Reformierten Kirche. Vor und whrend der Demonstrationwird er von Oliver Klo, Steffen Khhirt, Frank Richter (alleArbeitsgruppe Menschenrechte ), Gisela Kallenbach (Arbeitsgruppe Umweltschutz ) und SilkeKrasulsky, Dietmar Motzer, Rainer Mller, Kathrin Walther (alleArbeitskreis Gerechtigkeit ) und anderen verteilt.

    Appell

    In den letzten Wochen ist es mehrfach und in verschiedenen Stdten der

    DDR zu Demonstrationen gekommen, die in Gewalt mndeten: Pflastersteinwrfe, zerschlagene Scheiben, ausgebrannte Autos,Gummiknppel- und Wasserwerfereinsatz. Es gab eine unbekannte Zahl Verletzter, von Toten ist die Rede. Auch der letzte Montag in Leipzig endete mit Gewalt Wir haben Angst. Angst um uns selbst Angst um unsere Freunde, um den Menschen neben uns und Angst um den, der uns da in Uniform gegenbersteht. Wir haben Angst um die Zukunft unseres Landes.Gewalt schafft immer nur Gewalt. Gewalt lst keine Probleme. Gewalt ist unmenschlich. Gewalt kann nicht das Zeichen einer neuen, besseren Gesellschaft sein. Wir bitten alle: - Enthaltet Euch jeder Gewalt! - Durchbrecht keine Polizeiketten, haltet Abstand zu Absperrungen! - Greift keine Personen oder Fahrzeuge an! - Entwendet keine KIeidungs- oder Ausrstungsgegenstnde der

    Einsatzkrfte! - Werft keine Gegenstnde und enthaltet Euch gewaltttiger Parolen! - Seid solidarisch und unterbindet Provokationen! - Greift zu friedlichen und phantasievollen Formen des Protestes! An die Einsatzkrfte appellieren wir: - Enthaltet Euch der Gewalt! - Reagiert auf Friedfertigkeit nicht mit Gewalt!

    W i r s i n d e i n Vo l k !

    Gewalt unter uns hinterlt ewig blutende Wunden! Partei und Regierung mssen vor allem fr die entstandene ernste Situation verantwortlich gemacht werden. Aber h e u t e ist es an uns, eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern. Davon hngt unsere Zukunft ab!

    Unterzeichner: Arbeitskreis Gerechtigkeit Arbeitsgruppe Menschenrechte

    Arbeitsgruppe Umweltschutz

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    Bereits am Morgen hatte die Konferenz der katholischen Priester des DekanatesLeipzig eine Erklrung der ca. 30 Geistlichen verfasst, die den katholischenGemeinden zur Kenntnis gegeben wurde:

    Unsere Gesellschaft befindet sich in einer Krise. Davon sind auch unsere Gemeinden betroffen. Vor allem besteht ein tiefgreifender Vertrauensschwund zwischen Regierten und Regierenden. Wir erwarten,da dieses Vertrauen ermglicht wird; ein erster Schritt ist Wahrhaftigkeit in den Medien der DDR. Wir untersttzen alle gewaltlosen Bemhungen, die einen gesamtgesellschaftlichen Dialog frdern.

    Hans-Friedrich Fischer, katholischer Priester und Mitglied derInitiative Frieden und Menschenrechte Leipzig , hatte zuvor einen eigenen, viel weiter gehendenVorschlag als Textentwurf in die Konferenz eingebracht, der jedoch keineMehrheit fand.Dr. Johannes Hempel, Bischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche

    Sachsens, hlt in den vier Kirchen des Stadtzentrums (Nikolaikirche,Thomaskirche, Michaeliskirche, Reformierte Kirche), in denen an diesem Montag17 Uhr die Friedensgebete stattfinden, je eine kurze Ansprache:

    Liebe Brder und Schwestern, wieder einmal in Leipzig. Ich mchte an sich in allen vier Kirchen sein und das ist in 45 Minuten schwer zu machen.Deshalb schalte ich hier voraus, was ich gerne sagen mochte. Zunchst noch etwas Persnliches: Sie wrden mir heute abend etwas Gutes tun, nur fr den Fall der Flle meine ich, wenn Sie nicht klatschen wrden. Ich bin das nmlich nicht gewhnt und mchte um jeden Preis einen khlen Kopf behalten. Das ist fr mich so wichtig. Ich habe zwei Dinge zu sagen. Das erste: Es hat viele Gesprche, wie Sie bereits lange wissen, zwischen Vertretern des Staates und Vertretern der Kirche gegeben. Ich habe dabei oft gesagt, und ich sage heute ffentlich, nach meiner berzeugung mu es in der gegenwrtigen Stunde unseres Landes Gesprche geben, zwischen Vertretern des Staates und den jungen Erwachsenen zum Beispiel, die jetzt auf die Strae gehen und ihre Schmerzen und ihre Bitterkeit anzeigen. Es mu Gesprche geben, und die Gesprche mit uns Kirchenleuten sind nicht mehr das Richtige. Bei diesen Gesprchen mssen die jungen Erwachsenen, mssen Sie, soweit Sie dazugehren, angehrt werden, und zwar bis Sie fertig sind, und es mssen Lsungen gesucht werden; jetzt, in diesem Augenblick, in diesen Wochen verstehe ich darunter besonders Gesprche ber die Freilassung der Inhaftierten, sofern sie sich nicht der nachweisbaren Krperverletzung schuldig gemacht haben. Zum Beispiel verstehe ich darunter den Verzicht des Staates auf schematisierende und abwertende Bezeichnungen der Demonstrierenden. Sie alle sind Brger und Menschen, also nicht Rowdys. Ich mochte noch erwhnen, da seit kurzem ein Angebot des Rates des Bezirkes zu Gesprchen mit jungen Erwachsenen besteht. Wie man das am gescheitesten und im Sinne der Betroffenen realisiert, wei ich noch nicht. Das ist das eine.Das zweite ist: Ich knnte mir denken, da nicht alle von Ihnen Christen

    sind. Aber ich kann auch nicht davon absehen, da ich einer zu sein versuche. Und deshalb ist das zweite, was ich sagen mu, da Gott genau wahrnimmt, was in der DDR passiert. Und da er ein krftiges Wort mitredet

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    bei dem, wie die Dinge weitergehen. Um dieser meiner Glaubensberzeugung willen, ob Sie sie teilen oder nicht, und gegen meine eigenen Gefhle bitte ich Sie um einen khlen Kopf, um Besonnenheit und unbedingte Gewaltlosigkeit. Gewalt zerstrt alles, was uns teuer ist, und der hchste Wert ist das Leben. Ich meine auch das leibliche Leben. Damit nicht Blut vergossen wird, bitte ich Sie um Gewaltlosigkeit. Das ist das zweite.Als letztes noch: Heute frh bat mich Bischof Reinelt, der katholische Bischof der Dizese Meien/ Dresden, der mich von sich aus besuchte,heute Sie in seinem Namen zu gren und auszurichten, da er genauso denkt wie ich. Das habe ich hiermit getan. Ich wnsche Ihnen gutes Durchkommen. Amen.

    Kurz vor Beginn der Demonstration versprechen die SED-Bezirkssekretre Dr.Kurt Meyer, Joachim Pommert und Dr. Roland Wtzel sowie der KabarettistBernd-Lutz Lange, Prof. Kurt Masur und Dr. Peter Zimmermann in einer auchber den Stadtfunk an die Demonstranten verbreiteten und ebenfalls in den

    Kirchen verlesenen Erklrung:[] Wir alle brauchen freien Meinungsaustausch ber die Weiterfhrung des Sozialismus in unserem Land. Deshalb versprechen die genannten Leute allen Brgern, ihre ganze Kraft und Autoritt dafr einzusetzen, da dieser Dialog nicht nur im Bezirk Leipzig, sondern auch mit unserer Regierung gefhrt wird []

    Die Demonstranten singen die Internationale und machen sich durchrhythmisches Klatschen Mut.Sie fhren Transparente mit:Alle Macht dem Volke, Neues Forum zulassen und Wir wollen keine Gewalt.In Sprechchren skandieren die Demonstranten:Demokratie jetzt oder nie, Freiheit fr die Inhaftierten, Freiheit, Gleichheit,Brderlichkeit, Gorbi, Keine Gewalt, Meinungsfreiheit, Neues Forum zulassen, Polizisten schliet Euch an!, Schliet Euch an!, Stasi raus!, Wir bleiben hier, Wir brauchen Freiheit, Wir sind das Volk, Wir sind keine Rowdys, Wir sind mehr, Wir wollen Reformen und Zwei, drei, vier wir bleiben hier. An einer Straenbahnhaltestelle steht ein Schild mit der Aufschrift:Diese Haltestelle wird zur Zeit nicht bedient.Einige Demonstranten fhren brennendeKerzen mit sich. Immer wieder wird dieInternationale (vorrangig der Refrain)angestimmt, bisweilen werden die Sprechchre durch rhythmisches Klatschenunterbrochen.Vor dem Gebudekomplex der BDVP Leipzig und der Staatssicherheit ertnenBuh-Rufe, Pfiffe und Pfui-Rufe.

    Vom Beobachtungssttzpunkt der Koordinierungsgruppe des Arbeitskreises Gerechtigkeit und der Arbeitsgruppe Menschenrechte in der Kanzlei und auf demTurm der Reformierten Kirche (von wo man einen betrchtlichen Teil derDemonstrationsstrecke einsehen kann) machen Siegbert Schefke, AramRadomski, Johannes Fischer und Kathrin Walther die fr dieFernsehberichterstattung entscheidenden Filmaufnahmen und Agenturfotos.Informationen ber die Demonstration bermitteln sie laufend telefonisch an dieInformationsgruppe in der Lukaskirche.

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    Kathrin Walther gleicht von diesemBeobachtungssttzpunkt aus telefonisch mitThomas Rudolph den verlesenen Text der SED-Bezirkssekretre mit demjenigenab, den die Informationsgruppe bereits vorab erhalten hatte. Thomas Rudolphbermittelt ihn sofort danach von der Lukaskirchgemeinde aus an die westlichenNachrichtenagenturen.Weitere Filmaufnahmen und Agenturfotos fertigen an diesem Tag fr die

    Informationsgruppe in der Lukaskirchgemeinde Christoph Motzer, RolandQuester, Frank Richter und Wolfgang Sarstedt. ImBeobachtungsssttzpunkt im Jugendpfarramt sammeln Roland Quester und Andreas Ludwig Berichte derDemonstrationsbeobachter und teilen sie telefonisch derInformationsgruppe mit.

    Zehn Personen werden vorlufig festgenommen, wobei eine verletzt wird. 18.35Uhr weist der Vorsitzende derBezirkseinsatzleitung Leipzig , Helmut Hackenberg,den Generalmajor Gerhard Straenburg an, keine aktiven Handlungen gegenber den Demonstranten zu unternehmen.An die Einsatzkrfte wird derBefehl erteilt, zur Eigensicherung berzugehen. Gegen 19.15 Uhr telefoniert

    Helmut Hackenberg mit Egon Krenz, der Mitglied desNationalen Verteidigungsrates und Sekretr fr Sicherheitsfragen desSED-Zentralkomitees ist. Krenz billigt die in Leipzig gefllten Entscheidungen im Nachhinein. Gegen21.00 Uhr lst sich die Demonstration auf. Ca. 5.000 Demonstranten reisen mitFernzgen ab, stadtauswrts kommt es zu erhhtem Verkehrsaufkommen.Nach der Demonstration und den letzten Telefon-Interviews fr BritishBroadcasting Corporation (BBC) und weitere Medien holt Christoph Wonnebergergegen 2 Uhr fr die Informationsgruppe und die noch anwesendenMitarbeiterinnen und Mitarbeiter derDokumentations- und Beobachtungsgruppe Whisky aus der Kche. Es ist das einzige Mal, dass whrend andere Mitarbeiterder Gruppe noch arbeiten und Foto- und Filmmaterial nach Ostberlin schaffenmssen bereits angestoen wird. Jedem ist klar, dass der 9. Oktober ber kurzoder lang das Ende der SED-Diktatur bedeutet. Einige der Hrer der Nachrichtenwestlicher Rundfunk- und Fernsehstationen verhielten sich hnlich. So berichtetein Ingenieur fr Maschinenbau aus Wurzen:

    [] dann kam der berhmte 9. Oktober [] Und dann hatte ich eben in den Sptnachrichten gehrt, da bei dieser Demonstration in Leipzig 70.000 waren, und da es friedlich abgelaufen ist [] und irgendwie bin ich dann an den Schrank gegangen, hab` mir nen ganz groen Slibowitz eingegossen,und ich wute irgendwie, das war der Untergang der DDR, das hatte sich erledigt. Die ganzen Leute hatten Mut gefat.

    Allein fr die Zeit zwischen dem 2. und 9. Oktober werden 35 grereDemonstrationen in Ostdeutschland dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates gemeldet. In diesem Zusammenhang werden mindestens3.284 Personen vorlufig festgenommen. Mindestens 46 Demonstrantenerleiden erhebliche Verletzungen. Von den vorlufig Festgenommenen erhalten698 Personen Ordnungsstrafen, gegen 90 Personen luft einErmittlungsverfahren ohne Haft und 583 Personen befinden sich inUntersuchungshaft. 130 Personen wurden bereits in beschleunigten Verfahren

    verurteilt (15 zu Geldstrafen und 115 zu Haftstrafen).

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    In Ostberlin findet am10. Oktober die turnusmige SED-Politbrositzung inerweiterter Runde statt. Im SED-JugendblattJunge Welt erscheint ein Verrissber die Friedensgebete und Demonstrationen in Leipzig, der sich direkt gegenSteffen Khhirt, einen Sprecher derArbeitsgruppe Menschenrechte,sowie gegenden Jugendpfarrer Klaus Kaden richtet. Steffen Khhirt verlangt daraufhin eineRichtigstellung von Hans-Dieter Schtt, dem Chefredakteur derJungen Welt :

    In dem Artikel Wer folgt denn dort wem? Ihrer Mitarbeiter Achim Schbel und Andreas Kurtz [] wird im Zusammenhang unserer Mitteilung zur Wehrdiensteinberufung [] mein Name genannt. Es ist mir unverstndlich,da die Verfasser des Artikels nicht mit mir persnlich Rcksprache genommen haben, obwohl ihnen meine Adresse bekannt war. Durch die verzerrende Darstellung der Tatsachen sehe ich mich zu einer Richtigstellung herausgefordert.[] 2. Die von uns angesprochenen jungen Mnner sind in eigener, freier Entscheidung zu dem Entschlu gekommen, jeglichen Militrdienst zu verweigern. Wir fhren also keine Beratung zur

    Wehrdienstverweigerung durch, sondern sehen unsere Aufgabe darin,Wehrdienstverweigerer, die in der DDR immer noch kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt werden, sowie deren Angehrige zu untersttzen. [] Um der Gewissensnot dieser jungen Mnner [] Rechnung zu tragen, ist es an der Zeit, auch in der DDR das Menschenrecht auf Wehrdienstverweigerung (Resolution 46/ 87 der UN- Menschenrechtskommission) anzuerkennen. [] Ich fordere Sie auf, diese Richtigstellung bis Donnerstag, den 19. Oktober, in der Jungen Welt zu verffentlichen. Ist das nicht der Fall, betrachte ich dieses Schreiben als einen Offenen Brief. Da wir den offenen sachlichen Dialog mit allen gesellschaftlichen Krften suchen, lade ich Sie, auch im Namen der Arbeitsgruppe Menschenrechte Leipzig, zu einem klrenden Gesprch in unsere Stadt ein. []

    Frbitt-Andachten bzw. Informationsveranstaltungen finden u. a. in AItenburg,Berlin, Halle, Jena, Leipzig, Neuruppin, Oschatz und Wittenberg statt. InWernigerode demonstrieren ca. 40 Personen auf dem Marktplatz. DieDemonstration wird aufgelst, sieben Personen werden vorlufig festgenommen.Auch in llmenau und Nordhausen wird demonstriert.

    Am 11. Oktober findet die SED-Politbrositzung in Ostberlin ihre Fortsetzung.

    Das Politbro gibt eine Erklrung heraus, die als leise ffnung in RichtungReformen verstanden werden soll. Die Sprecher und Sprecherinnen desArbeitskreises Gerechtigkeit Leipzig Rainer Mller, Bernd Oehler, ThomasRudolph und Kathrin Walther schicken an Bernd-Lutz Lange, Prof. Kurt Masur,Dr. Kurt Meyer, Joachim Pommert, Dr. Roland Wtzel und Dr. Peter Zimmermann je einen Brief, in dem sie sichausdrcklich zu einem Dialog bereit erklren undihren Wunsch nach einem Gesprch uern.Am selben Tag verfassen die Mitarbeiter derOffenen Arbeit Mockau (Leipzig) Torsten Falk, Christoph Motzer (zugleich Mitarbeiter derArbeitsgruppe Menschenrechte ) u. a. gemeinsam mit den Besuchern des Cafs im Offenen

    Jugendkeller whrend einer Informations- und Diskussionsveranstaltung zurSituation einArbeitspapier Kultur .

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    Arbeitspapier Kultur Wir leben in einer staatlich organisierten und disziplinierten Kulturlandschaft.Die Entfaltungsmglichkeiten und kulturellen Aktivitten sind begrenzt.Knstler mit Autonomieanspruch erleben die Beschrnktheit offizieller Kulturpolitik am direktesten (Auftrittsverbote, Zensur). Die geringen Freirume fr autonome Kunstuerungen treiben zahlreiche Individualisten auer Landes. Der Verlust von Individualitt in und fr unsere Gesellschaft hinterlt eine passive Masse Mensch, welche zum bloen Kulturkonsumenten verkommt. Noch existiert in der DDR eine kulturelle Bewegung an der Basis: - Konzerte uneingestufter Bands - Freie Theatergruppen - Lesungen von Schriftstellern auerhalb des Schriftstellerverbandes - verschiedene Galerien in Wohnungen Vielfach werden diese geringen Mglichkeiten zu Gradwanderungen am Rande der Legalitt. Deshalb fordern wir:

    - Kulturelle Ttigkeit darf in keinem Fall staatlich behindert, zensiert oder verfolgt werden.- Die Zulassung selbstverwalteter, von den bestehenden gesellschaftlichen

    Organisationen UNABHNGIGER Einrichtungen wie: alternative Cafs,Jugendzentren, Ausstellungsrume, Musikwerksttten, Studios,Knstlervertretungen,

    - Die Entkriminalisierung von im Selbstverlag hergestellten Publikationen,d.h. freie Druck- und Vervielfltigungsmglichkeiten.

    - Der Kulturetat sollte zugunsten von kulturellen Einrichtungen in lndlichen Gebieten wesentlich erhht werden.

    Dieses Papier entstand spontan im OFFENEN KELLER CAF MOCKAU.Wir stellen es zur Diskussion und Ergnzung vor. Die Zeit drngt, dem Neuen Forum Leipzig Konzepte in die Hand zu geben, die Basis fr den signalisierten Dialog mit dem Staat sein knnen.

    Besucher/innen des OFFENEN KELLER CAFS MOCKAU.

    Frbitt-Andachten bzw. Informationsveranstaltungen finden in Berlin, Dresden,Greiz, Halberstadt, Jena, Markneukirchen, Neubrandenburg, Leipzig, Rostock,Weienfels sowie im Bezirk Cottbus statt. In Markneukirchen demonstrieren 800Personen fr Reformen in der DDR.

    Der Superintendent von Leipzig-Ost, Friedrich Magirius, teilt derInformationsgruppe des Arbeitskreises Gerechtigkeit und der Arbeitsgruppe Menschenrechte in der Lukaskirchgemeinde am 12. Oktober die staatlicheAnkndigung der Freilassung von Inhaftierten mit und bermittelt einen von ihmzum Verlesen autorisierten Text. Silke Krasulsky vomArbeitskreis Gerechtigkeit verliest den Text whrend des Frbittgottesdienstes fr die Inhaftierten in derLukaskirche:

    Die Superintendenten der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens in Leipzig, Friedrich Magirius und Johannes Richter, lassen mitteilen: Uns,

    Friedrich Magirius, Johannes Richter, Pfarrer Sievers und Probst Hanisch,wurde heute in einem Gesprch beim Oberbrgermeister Leipzigs, durch den Oberbrgermeister Dr. Seidel zugesichert, da alle in den letzten

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    Wochen im Zusammenhang mit dem Paragraphen 217 des Strafgesetzbuches Verurteilten und Inhaftierten in den nchsten Tagen aus der Haftanstalt bzw. der Untersuchungshaft entlassen werden.

    In Plauen kommt es unter Vermittlung des Superintendenten Kttler zu einemersten Gesprch zwischen dem Oberbrgermeister und einer Abordnung derDemonstranten hinsichtlich der fr Sonnabend, 14. Oktober, erwarteten erneutenDemonstration. Frbitt-Andachten bzw. Informationsveranstaltungen finden u.a. inBerlin, Cottbus, Jena, Magdeburg und Rostock statt.

    In Leipzig treffen am13. Oktober, 15.30 Uhr, Gruppenvertreter zum erstenoffiziellen, knapp zweieinhalbstndigen Gesprch mit staatlichen Vertreternzusammen, wobei es um prinzipielle politische Fragen geht.

    Von staatlicher Seite nehmen an dem Gesprch teil:- Dr. Hartmut Reitmann (stellvertretender Vorsitzende des Rates des Bezirkes

    fr Inneres),- Dr. Werner (1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes undVorsitzender der Bezirksplankommission),

    - Dr. Petzke (der stellvertretende Vorsitzende des Rates des Bezirkes frUmweltschutz und Wasserwirtschaft) und

    - A. Riecker (Bereich Inneres),- Axel Mller (Bereichsleiter Kirchenfragen des Bezirkes),- Dr. Jrgen Hillebrand (Leiter des Sektors Kirchenfragen der Stadt) sowie- Frau Kirmes (ADN) teil.

    Seitens der Kirche beteiligen sich am Gesprch- Oberlandeskirchenrat Dieter Auerbach,- Superintendent Friedrich Magirius,- Pfarrer Dr. Dr. Matthias Berger (Vorsitzender des

    Bezirkssynodalausschusses) und- Jugendpfarrer Klaus Kadensowie 20 Vertreter der Gruppen.Zu diesen Gruppenvertretern gehren- Frank Richter und Christoph Wonneberger (Arbeitsgruppe Menschenrechte )- Rainer Mller und Thomas Rudolph (Arbeitskreis Gerechtigkeit )- Norbert Buhl und Dr. Georg Pohler (Friedenskreis Grnau/Lindenau )- Giesela Merkel (Arbeitskreis Abgrenzung und ffnung )- Helmut Nitzsche (Arbeitsgruppe Friedensdienst )- Roland Quester (Arbeitsgruppe Umweltschutz )- Marianne Ramson und Angelika Wiesner (Frauen fr den Frieden )- Dr. Eberhard Schneider (Christliche Friedenskonferenz )- Sebastian Feydt (Arbeitskreis Wehrdienstfragen ) und- Harald Wagner.

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    Pfarrer Christoph Wonneberger und Thomas Rudolph tragen im Wechsel dievorab erarbeitete Konzeption

    Ansatzpunkte zur Ermglichung des Dialoges ber die weitere gesellschaftliche Entwicklung

    zum Gesprch mit Dr. Hartmut Reitmann vor:

    Wir [] begren das heutige Gesprch mit Vertretern des Rates des Bezirkes und betrachten dieses informelle Gesprch als Beginn des offiziellen Dialoges zwischen kirchlichen Basisinitiativen und staatlichen Vertretern. Zur Ermglichung und Fortfhrung dieses Dialoges betrachten wir es als unerllich, da die Versuche, Basisinitiativen zu kriminalisieren und zu berwachen, sofort eingestellt werden. Als ein Zeichen in diese Richtung erwarten wir die sofortige Freilassung der in den letzten Wachen nach unserer Auffassung zu Unrecht Inhaftierten, die Rehabilitierung der Betroffenen.Zu den notwendigen Vernderungen, die freien Meinungsaustausch ber

    die Weiterfhrung des Sozialismus[Zitat aus dem Text der SED-Bezirkssekretre vom 9. 10. 1989]erst ermglichen, gehren fr uns die Verwirklichung der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit, und der Vereinigungsfreiheit. Zu diesen drei Problemfeldern wollen wir unsere Vorstellungen przisieren.1. Als ersten Schritt in Richtung Pressefreiheit wrden wir die Ermglichung des Anbringens von lnformationstafeln an den Kirchenmauern auerhalb des Kircheninneren ebenso betrachten, wie die Mglichkeit, in den Medien der DDR Gegendarstellungen zur Berichterstattung ber bestimmte Vorgnge, wie etwa die Friedensgebete und Demonstrationen in Leipzig, zu verffentlichen. Mittelfristig sollten in den nchsten Monaten das Vervielfltigungsgesetz und die Druckgenehmigungspraxis erweitert und erleichtert werden sowie die Einfuhrbeschrnkungen fr Druck- und Vervielfltigungsmaschinen auer Kraft gesetzt werden. Langfristig ist es unerllich, da gesetzliche Mglichkeiten geschaffen werden, damit Presseerzeugnisse in Eigenverantwortung der jeweiligen Herausgeber und nicht nur in Abhngigkeit von gesellschaftlichen Organisationen, Parteien und Kirchen erscheinen drfen. Als einziger Verwaltungsakt sollte die Eintragung in eine Liste der Presseerzeugnisse auf Wunsch der Herausgeber erfolgen.2. Als ersten Schritt in Richtung Versammlungsfreiheit wrden wir die Erleichterung der Raumsuche fr Brger, die sich versammeln wollen,ebenso begren wie einen Einsatzstopp fr Mitarbeiter des MdI [Ministerium des Inneren], MfS [Ministerium fr Staatssicherheit] und der Kampfgruppen bei spontanen also nicht angemeldeten gewaltfreien Demonstrationen. Mittelfristig sollten innerhalb der nchsten Monate die Veranstaltungsordnung erweitert und die Bestimmungen fr die Anmeldung gewaltfreier Demonstrationen liberalisiert werden.3. Als ersten Schritt in Richtung Vereinigungsfreiheit wrden wir die sofortige Aufnahme von offiziellen Gesprchen mit allen im Begriff der Bildung befindlichen neuen Organisationen und Parteien betrachten. Die

    berprfung der Verfassungsgemheit der Versammlungen und Vereinigungen mu unabhngigen Verwaltungsgerichten obliegen. Dabei mu die Prfung der Verfassungsgemheit der Versammlungen und

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    Vereinigungen bis zu einem Volksentscheid unter Auerkraftsetzung des Art. 1, Abs. 1, Satz 2 der Verfassung, in dem die Fhrungsrolle der marxistisch-leninistischen Partei festgestellt ist, erfolgen.Zu den notwendigen Vernderungen, die in weiteren Gesprchen mit Ihnen sondiert werden mssen, zhlen wir die Problematik der letzten Kommunalwahlen und die nderung des Wahlgesetzes, die Forderung nach einem sozialen Wehrersatzdienst, die Intensivierung von Gesprchen mit regierungs- und parteiunabhngigen Umweltgruppen und die Aufnahme von durch die Kirche lngst angemahnten Gesprchen ber die Bildungspolitik.Wir befrchten, da die vorrangige Verbesserung der Reisemglichkeiten und eine bessere Versorgung der Bevlkerung mit Konsumgtern durch Kreditaufnahme das Problem der Verwirklichung von Demokratie nicht in ausreichendem Mae bercksichtigt. Wir sprechen uns deshalb ausdrcklich gegen eine weitere Kreditaufnahme auf dem freien westlichen Markt aus. Die Mittel fr dringend notwendige wirtschaftliche Investitionen sollten durch Krzungen im Verteidigungshaushalt und die Verkleinerung

    der Ministerien fr Inneres, Staatssicherheit und des Verwaltungsapparates freigesetzt werden.Um einen kontinuierlichen und sinnvollen Dialog zwischen den heute hier Beteiligten in Gang zu setzen, sollte schon heute ein neuer Gesprchstermin vereinbart werden.

    Dr. Hartmut Reitmann teilt nochmals mit, dass alle inhaftierten Personenentlassen sind bzw. gerade entlassen werden.

    Rainer Mller benennt daraufhin einige derArbeitsgruppe zur Situation der Menschenrechte in der DDR namentlich bekannte Personen, die nicht imZusammenhang mit den Demonstrationen, sondern u. a. nach 214 und 215StGB inhaftiert worden waren und fragt nach ihrer Entlassung. Dr. HartmutReitmann verneint und fhrt nochmals aus, dass nur Personen aus der Haftentlassen werden, gegen die wegen Versten gem 217 StGB der DDRermittelt wurde oder wird.In einem von Till Bttcher im OstberlinerTelegraph vom 15. Oktober gefhrtenInterview erklrt Thomas Rudolph, Sprecher desArbeitskreises Gerechtigkeit undMitglied derInitiative Frieden und Menschenrechte Leipzig , zum Gesprch:

    Also vermutlich auf Grund der Demonstrationen hat sich der Staat nun doch gedacht, da er mit einigen mal reden msse. Inwieweit das wirklich ernst gemeint ist, oder das Ganze sich letztendlich und das wird man erst in Wochen entscheiden knnen als leere Sprechblasen herausstellt, wird die Zeit zeigen. []

    Auf die Frage desTelegraph,was dabei herausgekommen sei, antwortet er:

    Also ich denke, so gut wie nichts. Herausgekommen ist eine gegenseitige Anhrung, kein Dialog. Manche werden es nicht so sehen, die werden sich freuen, da der Herr Dr. Reitmann einige Angebote mitgebracht hat, z.B.

    das Angebot, da jetzt die Gesprche ber Radwege intensiviert werden und inwieweit die Umweltgruppe beim Bumepflanzen Untersttzung bekommt. Der stellvertretende Planungskonom Werner hat

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    themenorientierte Gesprche angeboten, aber das war letztlich alles. ber die zentralen Fragen, wie die Presse-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, hat es im Prinzip keinen Dialog gegeben, sondern es wurden nur die gegenstzlichen Standpunkte einander gesagt. Und dabei fand nicht einmal ber kleine Schritte in Richtung Pressearbeit ein Gesprch statt. Wir hatten z. B. angeboten, da an Auenwnden von Kirchengebuden jetzt die Kirchengruppen Info-Tafeln anbringen. Wir hatten auch gehofft, da wir wenigstens darber sprechen knnen, ob es uns mglich ist, Gegendarstellungen gegen die teilweise verleumderische Hetzkampagne in den Medien der DDR in Bezug auf die Friedensgebete und Demonstrationen in Leipzig ffentlich zu machen, damit wir unsere eigene Sicht in den einzigen groen Medien des Landes vorstellen knnen.

    Hinsichtlich der zu Unrecht Inhaftierten fhrt Thomas Rudolph aus:

    Ich denke, unsere Solidaritt darf auf keinen Fall nachlassen. Es ist sicher

    jetzt auch an der Zeit, nicht nur an die zu denken, die in den letzten vier oder fnf Wochen bei Demonstrationen und [den] anschlieenden brutalen Polizeieinstzen inhaftiert worden sind, sondern es mu jetzt auch darum gehen, [da] alle, die noch aus politischen Grnden oder nur aus Grnden,ihre Menschenrechte wahrzunehmen, inhaftiert sind, entlassen werden. [] Das betrifft [] natrlich die vielen, die jetzt nach 213, wegen sogenannter Republikflucht, inhaftiert und verurteilt worden sind. Sie haben versucht,ber Ungarn, die CSSR oder Polen in die Bundesrepublik zu kommen,whrend andere von der Regierung der DDR die Reisemglichkeit bekommen haben, denen es gelungen ist (auch illegal), die Grenze [der DDR] [] zu berschreiten. Ich denke, hier ist der Grundsatz der Gleichheit der Brger vor dem Gesetz auer Kraft gesetzt und da mu die SED und die Regierung schleunigst etwas ndern. [] Ja, ich denke Kontakttelephone,Frbittandachten, Mahnwachen, wie auch immer. Diese Formen der Solidaritt und des Protestes mssen im einzelnen genau berlegt und geprft werden, was mglich ist, was sinnvoll ist im jeweiligen Moment. Aber ich denke, sie mssen so lange aufrechterhalten bleiben, wie noch irgend einer wegen eines politischen Deliktes [im Gefngnis] sitzt.

    Der Sekretr des Nationalen Verteidigungsrates und Chef des Hauptstabes der Nationalen Volksarmee Fritz Streletz, der Sekretr fr Sicherheitsfragen desSED-Zentralkomitees und Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates EgonKrenz, der Abteilungsleiter fr Sicherheitsfragen imSED-Zentralkomitee Wolfgang Herger sowie der Stellvertretende Minister des Inneren Karl-HeinzWagner und der Stellvertretende Minister fr Staatssicherheit Rudi Mittig nehmenan einer Sitzung der Bezirkseinsatzleitung Leipzig teil, um die Lage im Hinblickauf den kommenden Montag zu sondieren.Egon Krenz und Fritz Streletz unterbreiten den Vorschlag an Erich Honecker, denVorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates , zur Verhinderung einererneuten Demonstration in Leipzig den Befehl 9/89 zu erlassen. In diesem wirdaber auch festgelegt, da der Einsatz der Schuwaffe im Zusammenhang mit

    mglichen Demonstrationen grundstzlich verboten ist, sofern diese friedlichverlaufen. Gleichzeitig wird fr die Bezirks- und Kreiseinsatzleitungen allerBezirke, wo dies noch nicht geschehen war, erhhte Fhrungsbereitschaft

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    angeordnet. Fr die Bezirke des Militrbezirkes III galt mindestens dieseBereitstellungsstufe sptestens ab 3. Oktober. Nun entfalten die letztenterritorialen Einsatzleitungen in der gesamten DDR ihre Fhrungsgruppen undArbeitsorgane, d. h. die territorialen Sicherheitskrfte aller Regionen der DDRhaben eine Bereitstellungsstufe einzunehmen und die jeweiligen 1. Sekretre derSED fhren diese.Frbittandachten bzw. Informationsveranstaltungen finden am 13. Oktober inBerlin, Erfurt, Karl-Marx-Stadt sowie in den Bezirken Gera und Dresden statt. InKlingenthal ziehen 400 bis 500 Personen in einer Demonstration zur Kirche.

    Am Morgen des 14. Oktober verffentlicht das Organ derSED-Bezirks1eitung Leipzig , die Leipziger Volkszeitung, eine das Gesprch mit Dr. Hartmut Reitmannvom Vortag tendenzis im Sinne der SED entstellende ADN-Meldung von FrauKirmes.In Leipzig findet auf Einladung desKabarett academixer im Rahmen der Tage der Knste in dessen Spielsttte 11 Uhr ein Treffen mit Freunden ber einen

    praktizierten Dialog bei den academixern und eine Aussprache ber die Mediensituation und -politik in unserem Lande statt. Whrend der dreistndigenVeranstaltung, an der mehrere Hundert Personen teilnehmen, stellen sichVertreter der Medien der Machthaber (z. B. von den ZeitungenDie Union ,Leipziger Volkszeitung , Neue Zeit und vom Sender Leipzig)sowie der SED-Bezirkssekretr Joachim Pommert und weitere Funktionstrger einer ffentlichenDiskussion.Johannes Fischer fordert in dieser Versammlung als Sprecher derArbeitsgruppe Menschenrechte und als Mitglied derInitiative Frieden und Menschenrechte Leipzig die Streichung des Verfassungsartikels, der die Fhrungsrolle der SEDfestschreibt. Herr Hahn vom staatlichenZentralinstitut fr Jugendforschung wirftein selbstentlarvendes Licht auf den Kenntnisstand der Sozial- undGeisteswissenschaften in Ostdeutschland, indem er behauptet: Die Masse der Jugend will einen besseren Sozialismus. Der Chefredakteur des Organs der SED-Bezirksleitung , der Leipziger Volkszeitung , Rudolf-Otto Rhrer bekennt:Wir fhlen uns den Rcken gestrkt durch die Erklrung des Politbros [vom 11. Oktober 1989] . Das Gelchter derTeilnehmer erntet er mit der Behauptung:Jeder kann sich in der Leipziger Volkszeitung uern. Auf die in eine Frage gekleidete Feststellung, da diePlanwirtschaft als gescheitert zu betrachten sei, wird ein Appell an das Forumgerichtet:das [ - was jetzt passiert - ]nicht in Anarchie entgleisen zu lassen. In Plauen demonstrieren 10.000 Personen. Auf mitgefhrten Plakaten steht:Rede- und Pressefreiheit , Freiheit fr alle oppositionellen Parteien , Wir sind das Volk - wir wollen Reformen . In Arnstadt demonstrieren 400 Personen.

    In der Leipziger Lukaskirche veranstalten derArbeitskreises Gerechtigkeit , dieArbeitsgruppe Menschenrechte und die Offene Arbeit Mockau am 15. Oktober eine Auktion zur Begleichung von gegen Demonstranten zu Unrechtverhngten Geldstrafen . Zahlreiche Knstler haben Werke zur Versteigerungfr die Auktion gespendet.Sprecher der Gruppen informieren ber das Gesprch mit Vertretern des Rates

    des Bezirkes vom 13. Oktober und ber die entstellende Berichterstattung in denMedien der Machthaber.

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    Im Konspekt zu der an diesem Tage in der Lukaskirche und in den nchstenTagen whrend weiterer Veranstaltungen verbreiteten Information heit es:

    Im Zusammenhang mit diesem Gesprch erschien am Sonnabend in der Leipziger Volkszeitung eine ADN-Meldung. Darin wird behauptet, es galt als Konsens, den Sozialismus in der DDR zum Wohle ihrer Brger auszugestalten. Richtig ist, da die Vertreterinnen die Umgestaltung des Sozialismus in der DDR forderten.Falsch an dieser ADN-Meldung ist die Behauptung: Die Runde, gewertet als ein neuer Schritt zur Dialogfhigkeit, diskutierte, wie und unter welchen Bedingungen die montglichen Demonstrationen in andere, wirkungsvollere und somit wahrhaftig demokratische Formen berfhrt werden knnen.Richtig ist allein, da ber die Demonstrationen gesprochen wurde. Die VertreterInnen [der Gruppen] waren der Meinung, Demonstrationen sind ein legitimes Mittel der Meinungsuerung.Falsch ist auch, da wir mahnten, die Ursachen dafr ehrlich zu

    analysieren und Widersprechende mit ihren Meinungen, Hinweisen und Wnschen sorgsam anzuhren. Richtig ist, wir mahnten nicht, wir forderten die schrittweise Gestaltung der Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit als Taten, um einen gleichberechtigten Dialog berhaupt zu ermglichen.Zum Gesprch: Dr. Hartmut Reitmann forderte Ehrlichkeit, Offenheit und Klarheit als Gesprchsgrundlage. Als unantastbar nannte er die sozialistische Grundposition und die fhrende Rolle der SED. Als Ziel des Gesprches nannte er das gegenseitige Kennenlernen und den Beginn eines Dialoges mit kirchlichen Gruppen. Was er wirklich wollte, sagte er spter mit der Frage: Was knnen wir tun, damit es am Montag keine Demonstration gibt? Die von uns vorgetragenen Forderungen mchte ich etwas ausfhrlicher darstellen: [] Zusammenfassend lt sich feststellen,da es an diesem Abend zu keinem Dialog kam, da die staatliche Seite auf keine unserer Vorschlge, Anregungen und Forderungen einging. Ein Ergebnis, wenn man es [denn] so nennen kann, ist die Zusage Dr.Reitmanns, da er dafr kmpft, da das Leben und die Gesundheit der Brger geschtzt werden. Daraus kann man folgern, da es zu keinem Eingreifen der Sicherheitsorgane [bei den Demonstrationen] kommen wird.Der nchste Montag wird es beweisen.

    In der Moritzbastei findet auf Einladung des Rektors derKarl-Marx-Universitt ,Prof. Dr. Horst Hennig, eine Art politischer Frhschoppen unter dem TitelDerSozialismus der 90er Jahre statt. An ihm beteiligen sich ca. 1.500 Personen.Auch Prof. Dr. Horst Hennig beteiligt sich an der SED-Kampagne zur Beendigungder Demonstrationen. In seinem in hoher Stckzahl am Montag, dem16.Oktober , verteiltenFlugblatt-Aufruf Nicht demonstrieren! schreibt er:

    Demonstrationen haben Zeichen gesetzt. Sie sind von allen in unserem Lande deutlich erkannt worden. Jetzt sollte man auf die Strae zur Artikulation der Besorgnis verzichten.

    Zum Zeitpunkt, da die Demonstration um den Leipziger Ring fhrt, organisiert erein Ersatzangebot. Zusammen mit Prof. Manfred Neuhaus vomFranz-Mehring-

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    Institut , Prof. Dieter Wittich, Prof. Orchekowski und Prof. Hans Piazza bietet er indrei Hrslen der Universitt Dialogveranstaltungen zur Verhinderung derDemonstration an.Informationsveranstaltungen finden am 15. Oktober u. a. in Berlin, Dresden,Halle, Jena, Schwaan bei Btzow, Suhl und Waren statt. In Halle finden sich ca.20.000 Personen zur Demonstration ein.

    Am 16. Oktober scheitert eine von der SED mit verschiedenen Aufrufen undPresseartikeln vermeintlich hervorragender Brger undbreiter Schichten der Bevlkerung gesteuerte Kampagne, auf Demonstrationen in Leipzig zuverzichten. Selbst Pfarrer hatten sich in die SED-gesteuerte Kampagne einbindenlassen, so wird z. B. eine Ansprache von Peter Wei ber den Stadtfunk desSenders Leipzig abgespielt, die er im Arbeitszimmer des SED-BezirkssekretrsRoland Wtzel auf Band gesprochen hatte:

    [] Die Strae ist kein Ort, auf der man Probleme lsen kann, oder durch

    die man sie lsen zu knnen meint. Und so bitte ich alle Christen in dieser Stadt und auch diejenigen, die der Meinung sind, da Leipzig nun ein Zentrum wre, von der Strae wegzugehen.

    In einem anonymen Flugblatt ist zu lesen:

    Wir sind der Meinung, da die am 11. 10. 1989 vom Politbro verabschiedete Erklrung zur Dialogbereitschaft ungengend ist. Wie wir feststellen muten, spiegelt der in den letzten Tagen in den Massenmedien gefhrte Dialog nicht die grundlegenden Probleme unserer Gesellschaft wider. Lat Euch nicht einschlfern ! Wir schlagen vor: Wir wollen Wahrheit keine Taktik! Freie Wahlen - jetzt! Zulassung neuer politischer Gruppen und Parteien! Wir brauchen Rechtssicherheit, keine Staatssicherheit! Brger, Soldaten, Polizisten gemeinsam sind wir stark!

    Zeitzeichen "

    Nach dem Friedensgebet gelingt in Leipzig die vierte Grodemonstration mit120.000 bis 150.000 Beteiligten. Die Machthaber halten sich nach wie vor dieOption der militrischen Niederschlagung offen und haben entsprechendeVorbereitungen getroffen.Insgesamt stehen an diesem Tage 31 Hundertschaften der Land- undLuftstreitkrfte derNationalen Volksarmee zustzlich zu den Sicherheitskrftender Bezirkseinsatzleitung Leipzig in Bereitschaft. Im Bedarfsfall rckten sie berdie Fernverkehrsstraen F 2 und F 87 aus Richtung Leipzig-Mockau, ber die F184 aus Richtung Wiederitzsch und ber die Dbener Strae in die Innenstadtvor.Die bernahmepunkte aus der Befehlsgewalt des Ministers fr NationaleVerteidigung in die Befehlsgewalt des Sekretrs derSED-Bezirksleitung Leipzig als Vorsitzendem der Bezirkseinsatzleitung Leipzig im Amt, Helmut Hackenberg,waren am Flugplatz Mockau und in Wiederitzich festgelegt.

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    Heute vor 10 Jahren w Blatt 9 IFM-Archiv Sachsenw 1999w 21 w

    Die Demonstranten singen die Internationale und We shall overcome. Mehrere tragen Fotos von Michail Gorbatschow. Einzelne Demonstranten rufenimmer wiederKmpft richtig!.Die Ansagen aus dem Stadtfunk werden vor denLautsprechern mit den Sprechchren Bla, bla, bla , Keine leeren Worte! ,Keine Lgen! und Keine Phrasen! beantwortet. Demonstranten skandieren:40 Jahre sind genug wir wollen keinen Wahlbetrug , Auf die Strae! , Augen verwischt gendert hat sich nischt [schsischer Dialekt] , Brger lat das (Gaffen) sein kommt herunter, reiht Euch ein! , Die Reformen von Hager sind uns zu mager , Die Mauer mu weg! , Erich, leit' Reformen ein oder geh' ins Altersheim! , Freie Gewerkschaften , Freie Wahlen , Freiheit , Gorbatschow ,Gorbi , Jetzt oder nie Demokratie , Junge Leute an die Macht , Keine Gewalt , Neues Forum zulassen , Neue Mnner braucht das Land ,Pressefreiheit , Reiht Euch ein! , Schliet Euch an! , Visafrei bis Shanghai ,Visafrei Tschechoslowakei , Vorwrts! (bei Stillstand der Demonstration),Wir bleiben hier , Wir sind das Volk , Wir sind keine Rowdys , Wir werden mehr ,

    Wo bleibt die Reisefreiheit? und Zieht Euch um! (an Polizisten gerichtet).Vor dem Gebudekomplex der BDVP Leipzig und der Staatssicherheit ertnenBuh- und Pfui-Rufe. Die Demonstranten skandieren:Geht nach Hause! ,Schmt Euch! und Stasi in die Volkswirtschaft .Im Demonstrationszug befinden sich Transparente mit den Losungen:Berufsverbot fr Schnitzler , Bildungsreformen/ Verffentlichung realer Umwelt- und Wirtschaftsdaten , Demokratie Freiheit , Demokratisches Wahlrecht , Dialog statt Gewalt, mehr Demokratie , Durch Gewaltlosigkeit Freiheit , Erich leit Reformen ein oder geh ins Altersheim! , Freie Medien zulassen , Freie Wahlen , Freie Wahlen in einem offenen Land , Fr ehrliche Reformen, Fr einen zivilen Ersatzdienst , Fr Pressefreiheit , Keine Gewalt ,Keine Gewalt gegen das Volk , Neues Forum , Neues Forum Ja , Ohne Gewalt fr die Durchsetzung von Reformen mit und fr das Volk , Ohne Gewalt fr Demokratie und Freiheit , kologie vor konomie , Pressefreiheit ,Presse-, Reise-, Meinungsfreiheit , Pressefreiheit/ Meinungsfreiheit ,Reformen a la Hager sind uns zu mager , Reisefreiheit fr Alle , Reisefreiheit fr alle, die hier leben und arbeiten , Schliet euch an, ohne Gewalt fr die Durchsetzung von Reformen fr das ganze Volk , Schnitzler, entschuldige Dich! , Seit 7 Tagen nur bla, bla - wo bleiben die Dialogergebnisse ,Sozialarbeit ist ntig Zivildienst ist ein Menschenrecht , Tief bewegt sein ist etwas Schnes besser ist es, etwas zu bewegen , Unabhngige Medien freie Gewerkschaften, Betriebsrte , Uneingeschrnkte Reisefreiheit ,Versammlungsfreiheit , Vorwrts mit der demokratischen Massenbewegung ,Wahlrecht reformieren , Wir fordern freie Wahlen , Wir fordern Reformen ,Wir sind Erwachsen Vater Staat , Wo bleibt die Reisefreiheit fr Alle? , Ziviler Ersatzdienst , Zulassung aller oppositionellen Parteien und Zum Dialog bereit Neues Forum .

    Zehn Journalisten aus Ungarn, Grobritannien, Jugoslawien, CSSR, Niederlandeund Schweden werden teilweise bereits an der Stadtgrenze zugefhrt. IhreZurckweisung wird angeordnet, um eine Berichterstattung zu verhindern. DieInformationen ber die Demonstration werden an die westlichen Rundfunk- undFernsehstationen sowie an die Nachrichtenagenturen von derInformationsgruppe aus den Rumen der Lukaskirchgemeinde bermittelt.

  • 8/14/2019 Leipziger Menschenrechtsgruppen 1989 Blatt 9 (1999)

    22/22

    Die Dokumentationsgruppe des Arbeitskreises Gerechtigkeit und der Arbeitsgruppe Menschenrechte macht wiederum, untersttzt von derUmweltbibliothek Berlin , Filmaufnahmen und Agenturfotos fr dieBerichterstattung der Westpresse.Der Vorsitzende des Nationalen Verteidigungsrates , Erich Honecker, dessenSekretr Fritz Streletz und die Mitglieder desNationalen Verteidigungsrates Dickel, Krenz und Mielke verfolgen das Geschehen aus der dafr vorgesehenenFhrungsstelle im Ministerium des Innern. Dorthin wird die Demonstration durchdas Operative Fernsehen live bertragen.Auch in Berlin (ca. 3.000 Personen), Dresden (ca. 20.000 Personen), Halle (ca.5.000 Personen), Potsdam, Waren (350 Personen), Wurzen (300 Personen) undZwickau wird demonstriert. Frbitt-Andachten und Informationsveranstaltungenfinden in Bautzen, Berlin, Dresden, Forst, Gadebusch, Glauchau, Greiz, Halle,Magdeburg, Merseburg, Stralsund, Waren, Wurzen und Zwickau statt.

    Das SED-Politbro beschliet am 17. Oktober auf Antrag Willi Stophs die

    Absetzung Erich Honeckers und die Wahl von Egon Krenz zum neuenGeneralsekretr der SED.Am 18. Oktober wird die Absetzung von Erich Honecker nach der Sitzung desSED-Zentralkomitees als dessenRcktritt bekannt gegeben.

    Leipziger Menschenrechtsgruppen 1989Heute vor 10 Jahren w Blatt 9/ 1999

    9. Oktober 1989 Tag der Entscheidungw

    3. und korrigierte Auflage Leipzig 2009(1., 2. u. korr. Aufl. 1999)

    Der Text wurde gem Rechtschreibreform korrigiert, jedoch nicht in den aus schriftlichen Textenkursiv wiedergegebenen Zitaten .

    Herausgegeben vomArchiv der Initiative Frieden und Menschenrechte Sachsen e. V.

    IFM-Archiv Sachsen e. V. Telefon 0341 - 4 80 72 07Mobil 0176 56 36 98 [email protected]

    w

    Die 1. Auflage wurde im Jahre 1999 als Begleitmaterialzu den jeweiligen Podiumsdiskussionen der Reihe Heute vor 10 Jahren,

    die vom Brgerkomitee Leipzig e. V. in der Runden Eckeveranstaltet worden war, verffentlicht.

    Alle Rechte am Text sind ausdrcklich vorbehalten.


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