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Lebende Tote

Date post: 03-Jan-2017
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LOMBOK- im Schatten Balis Während Bali als „Paradies auf Erden“ heute überall in Europa und Amerika bekannt und Hauptanziehungspunkt des nach dem Pazifik führenden Fremdenverkehrs geworden ist, stellt der Name der benachbarten Insel Lombok höchstens für Männer der Wirtschaft einen Begriff dar. Dabei ist Lombok mit 5435 Quadratkilometern Fläche kaum kleiner als Bali, das 5616 Quadratkilometer umfaßt. Die Zahl der Einwohner jedoch, die nach einer Zählung von 1930 etwas mehr als 700000 betrug, ist bis heute kaum gestiegen, wogegen Balis Bevölkerungsziffer von 1,1 Millionen auf rund 2 Millionen emporkletterte. Lombok ist landschaftlich nicht weniger schön als Bali, es ist sogar aus-geglichener als die „berühmte“ Nachbarinsel.

Auf Bali ist nur die Südseite dicht bevölkert, die durch Klima und Boden ausgezeichnet ist. Dem vulkanischen Bergland, in dem in jüngster Zeit allerdings nur der Batur noch hin und wie-der tätig ist, hat sich im Laufe der Jahrtausende ein fruchtbarer Schwemmlandsaum vorgelagert, dem ein kleines Kalkgebirge, das „Tafelhuk“, angegliedert ist. Es ist kein Wunder, daß an der Südseite Balis auch die Hauptstadt Denpansar liegt. Der Westen Balis ist trocken und unfruchtbar. Das Alang-Alanggras bedeckt weite Strecken, das durchsetzt ist von einzelnen Buschgruppen. Menschliche Ansiedlungen finden sich im Westteil Balis kaum.

Lombok dagegen ist ziemlich gleichmäßig besiedelt, wenn man von dem das Rückgrat der Insel bildenden Vullkankegel des Rindjani, der bis 3780 Meter ansteigt, absieht. Da von den großen Reisegesellschaften Amerikas und Europas Fremden-ströme nicht nach Lombok gebracht werden, hat sich die Insel ihre Ursprünglichkeit bewahrt. Wer also wirklich ein „Paradies“

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kennen lernen will, tut gut, vom vielbegangenen „Ochsentrott“ abzuweichen und Lombok statt Bali zu besuchen.

Die Bevölkerung Lomboks ist im Westen die gleiche wie auf Bali. Balinesen waren es ja, die diesen Teil der fruchtbaren In-sel kolonisierten. Die hinduistische Religion mit ihrem strengen Kastengeist herrscht auch hier, denn die Balinesen stellen eine Mischung aus Ureinwohnern und von Java zugewanderten Hin-dus dar, die sich blutmäßig schon vor langer Zeit verbanden. Die Balinesen Lomboks sind ebenso zierlich und feingliedrig wie die auf Bali selbst und führen ein Leben, das sich kaum vom Leben auf der bekannten Insel unterscheidet. Kultische Tänze der blumenbekränzten Mädchen, feierliche Prozessions-züge der festlich geschmückten Frauen und prunkvolle Lei-chenverbrennungen bestimmen auch auf Lombok das sichtbare Bild, während Geisterglauben und Tabus unsichtbar das Leben der von der Priesterkaste völlig beherrschten Balinesen Lom-boks beeinflussen. Die Puras (Tempel) weisen hier ebenso reich verzierte, mit kunstvollen Schnitzereien ausgestattete Ein-gangsbogen auf wie auf Bali, und in der Pracht märchenbunter Farben stehen die Kultstätten auf Lombok denen auf Bali in nichts nach. Fortsetzung auf der 3. Umschlagseite

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Band 231

von

HANS WARREN

Neues Verlagshaus für Volksliteratur GmbH. Bad Pyrmont, Humboldtstraße 2

(Mitglied des Remagener Kreises e.V.)

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Nachdruck verboten

Alle Rechte, auch das der Übersetzung. Dramatisierung und Verfilmung, von der Verlagsbuchhandlung vorbehalten

Copyright 1930, 1958

by Neues Verlagshaus für Volksliteratur G. m. b. H. Bad Pyrmont

Printed in Germany 1958

Druck: Erich Pabel, Druck- und Verlagshaus, Rastatt (Baden)

Die Auslieferung erfolgt nur durch Erich Pabel, Verlagsauslieferungen, Rastatt (Baden), Pabel-Haus

Verlagsauslieferung in Österreich:

Buch- und Zeitschriftenvertrieb Wilhelm Swoboda, Wien XIV, Linzer Straße 22

Verlagsauslieferung im Saarland:

Zeitschriften-Großvertrieb J. Klein, Saarbrücken, St.-Johanner Straße 66

„Rolf Torrings Abenteuer“ dürfen nicht in Leihbüchereien geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden

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1. Kapitel

Wo hatte ich nur schon solche Gesichter gesehen?

Hoch angesetzte, breite Backenknochen, tiefliegende ste-chende Augen, die den Ausdruck der Kälte und Überheblichkeit trugen, mit seltsam kleinen Pupillen. Die Farbe der Haut war dunkel, spielte bei allem Braun ein wenig ins Bläuliche.

Malaien sehen anders aus. Küstenmalaien und Inlandsmalai-en auch. Die hatten wir seit Monaten um uns und alles, was an diesen hartgeschnittenen, kühnen Gesichtern typisch war, hätte ich mit geschlossenen Augen aufzeichnen können, ohne Gefahr zu laufen etwas auszulassen.

Aber keiner dieser Züge hätte sich in diesem braunen Gesicht wiedergefunden, das mich so fesselte.

Wo, bei allen Teufeln der Südsee, hatte ich solche Gesichter schon gesehen?

Mein Blick streifte Rolf, der mir gegenübersaß. Auch er sah immer wieder zum Nachbartisch hinüber. Dieser seltsame Typ eines Farbigen dort drüben schien auch ihn zu fesseln, auch ihn zu beschäftigen.

Dabei waren wir keineswegs hier, um irgendeinem Geheim-nis nachzuspüren. Nach dem letzten Abenteuer mit indonesi-schen Geheimbünden hatte ich davon nachgerade genug, und meinem Freund Rolf dürfte es kaum anders ergehen. Wir waren nicht einmal hier, um irgendein Abenteuer zu erleben. Der gan-ze Grund war ganz einfach der, daß unsere Jacht Frischwasser brauchte.

Einer unserer großen Wassertanks war durchgerostet. Eine Panne, die einem Schiff, das jahrelang auf großer Reise ist, nur zu leicht passiert.

An sich war dieser Schaden nicht weiter erheblich, der ande-re Tank hätte zur Frischwasserversorgung lange, genug ausge-

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reicht. Aber da unser Kapitän Hoffmann ungern mit einem er-kannten Schaden auf See blieb, hatten wir den nächsten Hafen angelaufen, der in der Lombok-Straße erreichbar war. Und das war auf der Insel Nusa im südlichen Teil der Lombok-Straße, im Dreieck der Städte Dempasar auf Bali und Praja und Penida auf Lombok.

Eine unbedeutende Insel mit einem unbedeutenden Hafen. Aber Hafen bedeutete Frischwasser, meinte Kapitän Hoffmann, und in solchen, absolut nautischen Dingen, ließen wir ihm im-mer seinen Willen und fuhren gut dabei.

Während der Kapitän mit der Besatzung im Hafen die nötigen Arbeiten durchführte und anschließend Frischwasser übernahm, hatten wir, Rolf und ich, uns selbständig gemacht, um uns ein wenig in Nusas Hafen umzutun und die Zeit zu vertreiben.

Plötzlich wurden wir angerufen, und wer beschreibt unser Erstaunen, hier an diesem abgelegenen Teil der Welt, den kein größeres Schiff anläuft, mit Namen angerufen zu werden!

Dann stand ein Mann vor uns, mit dem wir im ersten Mo-ment beim besten Willen nichts anfangen konnten. Elegant ge-kleidet in blitzsauberem Tropenzeug, fast ein wenig dandyhaft und übertrieben vornehm. Einen Augenblick starrten wir diesen Fremden, der da unsere Namen mit der größten Selbstverständ-lichkeit offensichtlicher Freude ausrief, überrascht an, dann be-gann es zu dämmern, woher wir ihn kannten.

„Ja, ist es denn möglich?“ sagte der Rufer gerade, und wir fragten uns dasselbe. Denn wie um alles in der Welt war es zu erklären, daß wir uns ausgerechnet hier auf Nusa wiedertrafen?

Der Rufer war Mr. Hank Tobias, ein uralter Bekannter aus der Zeit unserer ersten Indienreise. Wir hatten Tobias damals kennengelernt, als wir selbst noch neu im Land waren und vielen Dingen fremd gegenüberstanden. Damals hatte er uns viel ge-holfen, denn er kannte Land und Leute, Sitten und Gebräuche so gut, als wäre er ein Leben lang in Indien gewesen.

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Dabei war er eigentlich nur ein paar Monate länger da als wir, denn Hank Tobias war einer der ewigen Abenteurer. Nicht auf die Art, wie wir Abenteuer suchten, weitab der Zivilisation und immer mit prickelnder Gefahr für Leib und Leben verbun-den. Hank Tobias suchte Abenteuer um des Erfolges willen. Er war ewig auf der Jagd nach dem großen, geheimnisvollen Er-folg seines Lebens.

Wie er da vor uns stand, ein wenig zu elegant, ein wenig zu sicher und offensichtlich über das plötzliche Wiedersehen un-endlich erfreut, das war der ganze, echte Hank Tobias, wie wir ihn kennengelernt hatten.

An sich mochte ich diese Glücksrittertypen nicht sonderlich, und ich wußte nur zu gut, daß es meinem Freund Rolf genauso ging. Aber wenn es eine Ausnahme gab, dann war das Hank Tobias!

Bei aller fast hektischen Suche nach der großen Chance war er immer ein prächtiger Bursche gewesen, auf den man sich notfalls felsenfest verlassen konnte. Und jemand, der uns ge-nauso ins Herz geschlossen hatte wie wir ihn.

„Na“, fragte Rolf grinsend. „Den großen Piratenschatz ge-funden, Hank?“

Der Abenteurer zuckte die Schultern. „Ich bin mir noch nicht ganz sicher, Rolf“, sagte er. „Aber

wenn Sie sich das ansehen wollen, was ich im Augenblick für einen Schatz halte, dann würde ich mich sehr freuen. Kommen Sie mit, seien Sie meine Gäste.“

Wir schüttelten uns die Hände und folgten dem eleganten Hank Tobias in das prächtige „Exelsior-Hotel“ mit Blick auf die See und den sich am Horizont gerade über die strahlende Bläue des Indischen Ozeans schiebenden Konturen der Insel Lombok.

„Das ist im Augenblick mein Piratenschatz“, erklärte Hank Tobias und stieß mich mit dem Ellbogen begeistert in die Seite.

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Vielleicht war es diese Begeisterungsfähigkeit, die er immer wieder aufbrachte und die uns an ihm gefiel.

„Das Hotel?“ fragte ich. „Hm“, nickte der Engländer. „Günstig gekauft, gerade Geld

gehabt, aufgebaut, ein bißchen vergrößert und da steht es nun, das ‚Exelsior’.“

„Na, ich weiß ja nicht“, erklärte Rolf, „ob ich das gerade für den richtigen Piratenschatz halten würde.“

„Ja, das weiß ich auch nicht“, lachte Hank Tobias. „Aber warten wir’s mal ab. Ein paar Monate hat man immer Zeit für die große Chance.“

Ich schüttelte den Kopf. „Ein Hotel auf Nusa? Wie, bei allen guten Geistern, wollen

Sie damit reich werden?“ „Verkennen Sie die Sache nicht“, erklärte der Engländer im

Brustton der Überzeugung. „Ich habe mir in der Zeit meines Hierseins einen ganz guten Ruf erworben. Gute Küche, gute Getränke, wissen Sie? Das zahlt sich aus! Im Augenblick möch-te ich schwören, ich hätte mich nie in meinem Leben wohler gefühlt als seit dem Tag, da ich dieses Ding hier gekauft habe. Vielleicht hält es nicht lange vor, Sie kennen mich ja. Aber warten wir’s mal ab.“

„Und es lohnt sich wirklich?“ fragte Rolf. „Na und wie! Es hat sich sehr schnell herumgesprochen, daß

es sich hier ganz gut sitzt und ganz gut wohnt. Sie müßten mal die Wochenende erleben, Rolf, wenn die Pflanzer mit ihren Familien kommen! Dann ist ein schöner Trubel in der Bar. Und am nächsten Morgen fühlt sich die Kasse sehr sympathisch an. Oder wenn Lohntag ist für die Administratoren und die Verwal-ter. Ich kann Ihnen sagen, da ist es hier lebendiger als in Bom-bay oder Kalkutta. Manchmal meine ich, es ist sogar lebendiger als in London an einem Freitag vor der Wahl.“

„Na prima“, nickte ich. Irgendwie freute es mich, daß dieser

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Hank Tobias Wurzeln geschlagen hatte, obgleich ich nicht si-cher war, ob es für länger als ein paar Monate, ein paar Wochen oder ein paar Tage sein würde. Und vermutlich war er sich selbst nicht klar darüber.

„Was hat Sie hierher verschlagen?“ wollte er wissen. „Gele-gentlich habe ich von Ihnen gehört. Aber daß Sie ausgerechnet nach Nusa kommen, das hätte ich nie zu hoffen gewagt.“

„Reiner Zufall“, erklärte Rolf. „Im Grunde genommen war es Trinkwasser.“

„Wasser?“ fragte Hank in komischer Verzweiflung. „Ich hö-re immer Wasser!“ Er schnalzte mit den Fingern, und ein farbi-ger Bediener kam sofort an den Tisch des Chefs und fragte, was es gäbe.

„Dreimal Whisky-Soda“, erklärte Hank kategorisch, ohne uns zu fragen, was wir haben wollten.

„Aber, mein Sohn“, erklärte er seinem Ober, einem Malaien in blitzsauberen weißen Sachen, „die Menge, die du sonst an Soda ausgibst, die Menge soll Whisky sein. Und was du sonst an Whisky gibst, das bringe als Soda.“

Der Malaie nickte lächelnd. Er schien seinen Boß zu kennen. Hank Tobias hatte sich wirklich hier ein kleines Schmuck-

stück eingerichtet, sauber und ordentlich. Aber wie gesagt, ich wagte noch nicht ganz daran zu glauben, daß es ihn hier lange halten würde.

Während wir den ersten Whisky-Soda auf die gegenseitige, wenn auch sicherlich sehr verschiedene Zukunft tranken, sah ich mich in Tobias’ Restaurant um. Es war gemütlich hier, und ich konnte verstehen, wenn die Pflanzer der Umgebung gern an den Wochenenden und den Feiertagen hierher kamen. Im Hin-tergrund gab es eine Bar mit einem großen Plattenspieler, ein riesiges Radiogerät, und ich konnte mir gut vorstellen, wie es hier aussehen würde an diesen Tagen.

Es ist eine seltsame Sache an den Zahltagen und Wochenen-

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den in den Tropen. Es gibt nirgends eine so ausgelassene Fröh-lichkeit und nirgends so viel Alkohol wie dann in den Bars der Tropenstädte. Sicherlich ist das nicht sonderlich erstrebenswert, und vielleicht gäbe es besseres mit dem Geld zu machen und auch mit der Zeit, aber man stelle sich einmal vor, wie das Le-ben dieser Menschen, die dann hier ausgelassen sind wie die Kinder, wochen- und monatelang aussieht. Arbeit von früh bis spät, Arbeit unter Bedingungen, die für einen Europäer das Le-ben zur Hölle machen können. Feuchte, drückende Hitze und dazu die Einsamkeit.

Eine Einsamkeit, die das Radio nicht überbrücken kann, und Bücher noch viel weniger. Eine Einsamkeit, die daraus entsteht, daß der nächste Weiße vielleicht drei Stunden mit dem Jeep entfernt wohnt, drei Stunden, die man nicht öfter als einmal im Monat zurücklegen kann, denn drei Stunden hin und drei Stun-den zurück, das sind schon sechs, und ein paar Stunden will man ja schließlich auch noch dableiben. Das macht im Endef-fekt eine Tagesreise. Und einen Tag kann einen die eigene Plantage nur schlecht entbehren, an einem Tag kann viel ge-schehen. Ein Regenguß, den man nicht rechtzeitig voraussah, der kann die Arbeit eines ganzen Jahres zerstören, ein einziges Gewitter, ohne daß rechtzeitig Vorbeugungsmaßnahmen ergrif-fen wurden, und die Arbeit des ganzen Jahres und vielleicht sogar vieler Jahre, ist erledigt, man kann von vorn beginnen. Einmal mehr von vorn beginnen!

Vielleicht ist es das, was dem einen einzigen unbeschwerten Tag in der Stadt seine besondere Note gibt. Überall in den Tro-pen hatten wir das kennengelernt und festgestellt.

Hank Tobias erwies sich nicht als schlechtester Geschäfts-mann, wenn er das einkalkulierte und darauf spekulierte. Über-haupt sind diese Abenteurer vom Typ eines Hank Tobias alles andere als schlechte Geschäftsleute. Wir hatten auch das auf unseren Reisen oft genug feststellen können.

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Aber etwas anderes erregte meine Aufmerksamkeit weit mehr als die Einrichtung des Hotels. Das war ein Mann, der einsam an der Bar hockte, obwohl es da um diese Stunde gar keinen Mixer gab. Er hatte sein Glas vor sich stehen, und auf die Entfernung, in der ich von ihm saß, sah es so aus, als kön-ne von Soda in dem Whiskyglas keine Rede sein. Der Mann hatte weiße Haare und war seiner Kleidung, nach der typische Pflanzer, der eine ganze Generation oder noch länger im Land war.

Hank Tobias hatte ihn vorhin begrüßt, aber der Alte hatte gar nicht aufgesehen, und er hatte auch uns nicht beachtet, was viel-leicht besonders seltsam war, denn wir hatten es in den letzten Monaten nur zu oft erlebt, daß wir, ohne es zu wollen, Mittel-punkt vieler Gesellschaften gewesen waren. Einfach nur des-halb, weil wir Europäer waren, die aus der alten Heimat erzäh-len konnten. Berichten, was es dort neues gab, obwohl das, was wir erzählten, auch alles andere als neu war. Aber es war doch immerhin noch neuer als das, was diese einsamen Menschen hier seit ihrem letzten Jahresurlaub erlebt hatten. Neuer, persön-licher, eindringlicher als das, was die Zeitungen berichteten.

Um so erstaunlicher, daß der Alte sich überhaupt nicht um uns kümmerte, sondern weiter in sein Glas starrte, als läge die ganze Wahrheit und alles, was es für ihn zu wissen gäbe, dort in dem goldgelben Whisky.

Unser Gespräch mit Hank Tobias tröpfelte dahin. Gemein-same Erinnerungen wurden aufgewärmt, man erinnerte sich gegenseitig an Wünsche und Absichten, die man einmal gehabt und längst vergessen hatte. Eine Stunde oder auch anderthalb mochten so vergangen sein, als unser Gastgeber plötzlich wie elektrisiert von seinem Stuhl hochfuhr.

„Auch das noch“, zischte er. „Hoffentlich gibt es keinen Verdruß!“

Ich sah ihn erstaunt an, denn Hank Tobias war der letzte, der

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einem handfesten Verdruß auswich. Das hatten wir selbst er-lebt. Sein Hotel schien ihn einigermaßen gewandelt zu haben.

„Was ist los?“ fragte Rolf interessiert. Aber Tobias schüttelte den Kopf. „Später“, sagte er. „Jetzt muß ich erst mal sehen, daß es hier

keinen großen Krach gibt.“ Der Grund seiner Beunruhigung waren neue Gäste, die den

Raum betraten. Drei Männer und eine junge Dame, die sich am Nachbartisch niederließen. Ihrem Äußeren nach gehörten sie zu den wohlhabenden Kreisen der Insel. Alle, bis auf einen.

Und dieser eine war der Mann, dessen Gesicht mich so inte-ressierte, bei dessen Anblick ich mir nicht darüber klarwerden konnte, woher ich den Typ kannte, dem er angehörte. Er saß als Farbiger mit der größten Selbstverständlichkeit mit den drei Weißen zusammen, und niemand schien das verwunderlich zu finden. An sich auch nicht weiter erstaunlich für Indonesien, denn die junge Republik kennt ohnehin keine Rassenunter-schiede. Aber eben gerade in den Typ der Indonesier paßte die-ser Mann nicht hinein. Ganz und gar nicht!

Er saß neben einem hageren, schwarzhaarigen Europäer, des-sen bleiche Gesichtsfarbe neben dem tiefen Braun der Pflanzer auffiel, und irgendwo hatte dieser Europäer eine gewisse Ähn-lichkeit mit seinem farbigen Nachbarn. Er hatte die gleichen stechenden, kalt überheblichen Augen wie der Farbige!

Ich wandte mich wieder ab, um nicht unhöflich zu erschei-nen, denn ein paarmal hatte der dritte Mann am Tisch, ein typi-scher, niederländisch-indonesischer Pflanzer mit geflochtenem Basthut und breitem, ruhigen Gesicht, schon herübergeschaut. Und beim Abwenden traf mein Blick den weißhaarigen Alten auf seinem Barhocker. Und seltsam, so uninteressiert dieser Mann an uns bisher gewesen war, so fasziniert schien er von den drei Neuankömmlingen zu sein. Er starrte hinüber und mus-terte die vier Menschen am Nachbartisch unverhohlen.

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Hank Tobias stand neben dem Alten und redete begütigend auf ihn ein. Aber der Alte hörte überhaupt nicht auf ihn. Er starrte weiter, und in seinem Gesicht arbeitete es!

„Da stimmt doch etwas nicht“, raunte mir Rolf zu, und ich nickte halb unbewußt.

Es ist seltsam, aber wenn man ein Leben führt wie wir, ein Leben, das ständig zwischen abenteuerlichen Gefahren pendelt, dann bekommt man ein merkwürdiges Gefühl für diese Dinge. Ein Gefühl, das jetzt sehr laut und deutlich ansprach.

Zwischen dem Alten an der Bar und den vier Menschen am Nachbartisch stimmte wirklich etwas nicht. Daran gab es kei-nen Zweifel. Ich beobachtete die Leute und fragte mich, ob das nicht alles nur Einbildung von uns wäre, wenngleich zumindest Rolf, der es ja auch gemerkt hatte, nicht der Mann war, sich von Einbildungen leiten und einfangen zu lassen. Absolut nicht!

Und dann bekamen wir die Bestätigung! Obwohl Hank Tobias versuchte, den Alten an der verlasse-

nen Bar zu beruhigen, schüttelte der mit einer harten Bewegung den Arm unseres Freundes ab, sprang auf und stolperte mit un-sicheren Schritten zu unserem Nachbartisch, pflanzte sich ne-ben dem Farmer dort auf und sagte laut und vernehmlich, so laut, daß wir es auch hätten hören müssen, wenn wir gar nicht auf ihn geachtet hätten: „Halt dein Mädel von dem Kerl weg, Huismeer, wenn du einen Rat haben willst, hörst du? Halt sie weg von diesem gestriegelten Kerl und von seinem schwarzen Schatten. Halt sie weg von ihnen, wenn du sie noch mal lebend wiedersehen willst. Laß dir das gesagt sein!“

Der Pflanzer war sichtlich unangenehm berührt und versuch-te, den Weißhaarigen von der Bar zu beruhigen.

„Ja, schon gut, schon gut, Hoer. Ich weiß, daß du es gut meinst. Ich weiß es wirklich. Aber es war ein Unfall, nimm es doch nicht so tragisch. Kann jedem von uns passieren, was dir passiert ist.“

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„Nicht, wenn dieser Kerl nicht dabei ist!“ schimpfte der Weißhaarige. „Dieser verdammte Breek. Sieh zu, daß es deiner Ellen nicht genauso geht, wie meiner Wilma. Man sollte ihn totschlagen, diesen Schurken!“

Und er machte Anstalten, seinen Drohungen die Tat folgen zu lassen. Nur den vereinigten Bemühungen von Hank Tobias und dem Pflanzer, den er mit Huismeer angesprochen hatte, gelang es, ihn zwar nicht zu beruhigen, aber doch wenigstens von dem Tisch wegzubekommen.

Das Mädchen war totenblaß geworden, der schwarzhaarige Europäer, der eine Idee zu elegant für diese weltabgeschiedene Gegend gekleidet war, sah finster vor sich hin. Nur sein dun-kelhäutiger Begleiter, dessen Typ mir soviel Kopfzerbrechen bereitet hatte, starrte mit unverhohlenem Haß hinter dem weiß-haarigen Pflanzer her, den sie zurück zur Bar führten und mehr auf einen Hocker dort hoben als er sich selbst setzte.

Ich sah Hank Tobias und den anderen Pflanzer begütigend auf ihn einreden, und langsam schien sich der alte Mann soweit zu beruhigen, daß von ihm nichts mehr zu befürchten war.

Der Pflanzer, der Hank Tobias geholfen hatte, kam zurück an den Tisch und man sah ihm an, wie unangenehm ihm die ganze Geschichte war.

Aber nicht nur ihm schien es so zu gehen. Plötzlich erhob sich sein Begleiter, jener schwarzhaarige Europäer mit den ste-chenden Augen, und kam zu uns herüber.

„Entschuldigen Sie, meine Herren“, sagte er, und in seiner Stimme klang mehr Erregung, als sie seinem Gesicht anzusehen war. „Es tut mir furchtbar leid, daß Sie Zeuge einer solchen Szene werden mußten. Aber bitte, messen Sie den Worten eines alten, erregten Mannes nicht zuviel Bedeutung bei. Ich kann ihn gut verstehen, er ist nicht mehr jung genug, um sich mit Dingen abzufinden, die nun einmal geschehen sind. Vielleicht hätte ich auch nicht hierher kommen sollen.“ Er zögerte einen Moment.

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„Wenn Sie gestatten, ich heiße Breek, Dr. Breek. Ich glaube, ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig über diesen Auftritt hier. Der Alte dort drüben“, er zeigte mit dem Kopf auf den weißhaa-rigen Pflanzer, der zusammengesunken auf seinem Hocker saß und nun wieder abwesend in sein Glas starrte. „Der Pflanzer dort“, fuhr Dr. Breek fort, „war einmal drauf und dran, mein Schwiegervater zu werden. Als Wilma, das war seine Tochter, zu meiner Besitzung auf Lombok fuhr, gab es ein furchtbares Un-glück.“ Er zögerte einen Moment, als fiele es ihm selbst schwer weiterzusprechen, aber seltsamerweise hatte ich den Eindruck, als wäre die Pause, die er machte, einen Moment zu lang. „Es gab einen Unfall auf dem Boot, mit dem ich sie abholen ließ, und wir haben nie wieder etwas von meiner Verlobten gesehen.“

„Das ist ja furchtbar“, sagte ich. Aufseufzend nickte Dr. Breek. „Wir waren alle wie gelähmt.

Das können Sie uns glauben. Aber wissen Sie“, er zuckte ein wenig hilflos die Schultern, „die Zeit geht halt weiter, und eines Tages begann ich mich für jene junge Dame dort drüben, für Ellen Huismeer, zu interessieren. Seitdem ist es mit Wilmas Vater nicht mehr auszuhalten. Es sieht so aus, als ob er mir die ganze Schuld am Tod seiner Tochter gäbe. Es hat mich ver-dammt getroffen, damals, aber wahrscheinlich bin ich nicht der Mensch, der ein Leben lang hinter etwas Verlorenem hertrauern kann, aber ich glaube, Ihnen diese Erklärung schuldig zu sein, nach dem Auftritt, dessen Zeugen Sie wurden. Ich danke Ihnen, daß Sie mir zugehört haben.“

„Aber bitte“, sagte Rolf. „Wollen Sie nicht einen Augenblick bei uns Platz nehmen?“

„Gern“, nickte Dr. Breek. „Dann darf ich annehmen, daß Sie mir diesen Zwischenfall nicht übel nehmen? Es würde mir sehr leid tun. Sehen Sie, ich bin noch nicht lange genug in diesem Land hier, um in solchen Dingen die Robustheit der Pflanzer zu haben. Die nehmen so etwas nicht so tragisch.“

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Rolf nickte lächelnd. „Wir kennen sie“, sagte Rolf. „Für sie sind andere Dinge tra-

gisch als für uns, die wir alle zusammen nicht viel mehr sind als Gäste in diesem Land.“

„Übrigens“, erklärte ich und holte das von Rolf Versäumte damit nach, „heißen wir Warren und Torring.“

Die Namen schienen Dr. Breek nichts zu sagen, obwohl ge-rade in letzter Zeit oft genug unsere Abenteuer in den Zeitungen Indonesiens die Runde gemacht hatten.

„Sie wollen sich hier ansiedeln?“ fragte Dr. Breek. Rolf schüttelte den Kopf. „Absolut nicht, Doktor. Wir sind nur auf der Durchreise,

wenn man so will. Unser Schiff liegt im Hafen, wir hatten ein wenig Havarie, und das ist eigentlich der einzige Grund, warum wir überhaupt hier sind. Und in Mr. Tobias haben wir durch einen reinen Zufall einen alten Freund wiedergefunden. Das ist alles. Weitere Gründe hat unsere Anwesenheit nicht. Aber wo wir nun schon einmal hier sind“, Rolfs Blick streifte mich und ich bemerkte, daß er ganz kurz nur mit den Augen etwas sagen wollte, „wo wir schon einmal hier sind, wollen wir uns Land und Leute ein wenig ansehen.“

Ich stutzte. Nach den Gesetzen der Gastfreundschaft dieser fernabliegenden Landstriche war das eine sehr unverhohlene Aufforderung an Dr. Breek, der eigentlich nur mit einer Einla-dung antworten konnte, nach der Art, wie wir die Menschen hier draußen kennengelernt hatten. Ich wunderte mich über Rolf. Was hatte er vor? Was bezweckte er mit dieser Verhal-tensweise?

Dr. Breek zögerte sichtlich einen Moment, ehe er antwortete. „Wenn Sie Land und Leute kennenlernen wollen“, sagte er

dann fast zu herzlich, „dann würde ich mich glücklich schätzen, wenn Sie bei mir damit den Anfang machten, meine Herren. Sicher ist das, was Sie bei mir sehen können, nicht gerade ty-

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pisch für dieses Land, aber ich entnehme Ihren Äußerungen, daß Sie weitgereiste Männer sind. Dann wird es Sie um so mehr interessieren.“

Ich sah plötzlich auf, weil ich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden, und mein sich hebender Blick fand die Augen jenes merkwürdigen Eingeborenen, der eben noch Dr. Breeks Nach-bar gewesen war, bevor der schwarzhaarige Europäer zu uns an den Tisch gekommen war.

„Es würde mich wirklich freuen, wenn Sie ein paar Tage Gäste auf meinem Anwesen in Lombok sein würden“, erklärte er weiter, wieder eine Idee zu eifrig, wie mir scheinen wollte, und mich beschlich ein seltsames Gefühl. Die stechenden, brennenden Augen des seltsamen Eingeborenen am Nachbar-tisch, die unablässig auf uns geruht hatten, und die übertriebene Bereitschaft dieses Dr. Breek, uns als seine Gäste zu begrüßen.

Ich hätte gern gewußt, was Rolf eigentlich wirklich vorhatte, aber das würde ich ja bald erfahren!

„Sie haben eine Plantage auf Lombok?“ fragte Rolf unge-niert weiter.

Dr. Breek schüttelte den Kopf. „Ich sagte ja schon, Mr. Torring, daß Sie es bei mir vielleicht

interessant, bestimmt aber nicht typisch für dieses Land finden werden. Nein, ich habe keine Plantage. Ich lebe eigentlich ziemlich zurückgezogen meinen Studien.“

„Studien?“ warf ich ein, um mich auch am Gespräch zu beteiligen. „Ein seltsames Land für Studien, Doktor. Was stu-dieren sie?“

„Wenn Sie so wollen“, erklärte Breek, und ein seltsamer Un-terton kam in seine Stimme. „Die Menschen, Mr. Warren.“

„Die Menschen oder den Menschen?“ „Sie werden es erleben!“ Als er aufstand, um zu seinem Tisch zurückzugehen, fiel mir

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Es gab eine seltsame Ähnlichkeit zwischen diesem Dr. Breek und unserem Freund Hank Tobias. Eine Ähnlichkeit, die nicht auf Äußerlichkeiten beruhte, nicht auf der gleichen Größe oder den gleichen Gesichtsschnitt, sondern mehr eine wesensmäßige Ähnlichkeit.

Und einen Moment später wußte ich auch, worauf sie beruh-te. Dieser Dr. Breek war ebenso ein Abenteurer wie Hank Tobi-as! Ein Mensch, der nur den Erfolg suchte! Aber das, was bei Hank Tobias durch seine Freundlichkeit liebenswert und sym-pathisch wirkte, das fehlte diesem Dr. Breek völlig. Er wirkte kalt, fast brutal.

Und immer noch ruhte der stechende Blick seines dunkel-häutigen Begleiters auf uns! Drohend, fragend, lauernd, wie mir schien …

2. Kapitel „Warum bist du eigentlich so an einer Einladung dieses Dr. Breek interessiert?“ fragte ich Rolf, denn für jeden, der ihn so gut kannte wie ich, war es offensichtlich, daß Rolf geradezu darauf ausgegangen war, das Anwesen dieses Dr. Breek ken-nenzulernen.

Rolf zuckte die Schultern. „Weiß ich auch nicht recht, Hans.“ Er sah mich nachdenk-

lich an, dann schüttelte er den Kopf. „Keine Ahnung! Irgend-wie gefällt mir die ganze Geschichte nicht recht, weißt du? Ich kann mir diesen Dr. Breek einfach nicht als ernsthaft arbeiten-den Forscher vorstellen. Er ist überhaupt nicht der Typ da-nach.“

Seltsam, die gleiche Empfindung hatte ich doch auch gehabt! „Und dann“, fuhr Rolf leise fort. „Dieser Farbige da mit den

stechenden Augen!“ Unwillkürlich folgte ich seinem Blick und sah wieder die

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überheblichen, kalten Augen des Farbigen, die unverwandt auf uns ruhten.

„Ist es nicht trotzdem ein wenig weit hergeholt?“ fragte ich langsam. „Geheimnisse zu vermuten, nur weil der Mann nicht der Typ ist, für den er sich ausgibt und ein anderer einen ste-chenden Blick hat?“

Ich fragte es gegen meine eigene Überzeugung, denn schließ-lich ging es mir ja ebenso.

Rolf nickte. „Alles schon richtig. Das habe ich mich schließlich selbst

auch gefragt. Und trotzdem wäre mir wohler, wenn wir erst das Anwesen Dr. Breeks besichtigt hätten, und da wäre alles so, daß wir hinterher wissen, nur ein paar haltlosen, dummen Vermu-tungen aufgesessen zu sein.“

„Vielleicht haben wir die überhaupt nur wegen des seltsamen Auftrittes des alten Pflanzers“, warf ich ein und glaubte selbst nicht daran.

„Warten wir ab, Hans. Hank Tobias wird uns einiges darüber erzählen können“, schlug Rolf vor. „Er scheint ja immerhin die Zusammenhänge zu kennen.“

Er kannte sie wirklich, aber wir mußten eine ganze Weile warten, ehe er für uns wieder Zeit hatte. Und immer wieder fühlte ich den stechenden Blick des Farbigen auf uns liegen, der mit Dr. Breek sehr vertraut zu sein schien.

Sie mochten hier auf der Insel diesen Dr. Breek nicht sonder-lich gern, wenn man Tobias’ Erzählung glauben wollte. Es war ja auch merkwürdig, daß er mit seinem Motorboot offenbar oft hier herüber kam, statt seine Besorgungen auf Lombok selbst zu machen. Wir sagten es Tobias, und der zuckte die Schultern.

„Er behauptet“, sagte er, „sein Anwesen läge so unzugäng-lich, daß es mühsamer wäre, dort auf dem Landwege in die nächste Stadt zu kommen, als nach hier mit dem Boot zu fah-ren. Na, schließlich ist das seine Sache. Außerdem gibt es be-

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stimmt Leute hier, die diesen Mr. Dondura nicht mögen. Seinen farbigen Begleiter, wissen Sie? Leute des alten Schlages, die die Eingeborenen noch immer als Menschen zweiter Klasse ansehen. Die gibt es hier noch die Masse, obwohl wir eine far-bige Regierung haben.“

„Was ist mit diesem Mr. Dondura?“ wollte ich wissen. „Ach, der war schon bei Breek, als der hier ankam. Scheint

so eine Mischung zwischen Verwalter und Freund zu sein. Mir gefällt der Bursche nicht, wenn Sie mich fragen. Ich habe in der ganzen Zeit noch keine drei Worte mit ihm gewechselt.“

„Und was ist mit dem Alten da?“ fragte Rolf. „Der Streit vorhin, nicht? Eine dumme Geschichte. Hat vor

drei Monaten angefangen. Dieser Dr. Breek, der eigentlich um alle Menschen einen großen Bogen macht, schloß sich plötzlich an die van Hoer an. Nach ein paar Wochen hieß es, er wolle die Wilma, das Mädchen des Alten da, heiraten, wenn Hoer selbst auch mächtig dagegen war. Der Alte konnte Breek nie beson-ders gut leiden. Warum, mag der Teufel wissen. Jedenfalls gab es dann ein Riesenunglück. Breek hatte Wilma auf sein Anwe-sen eingeladen und holte sie mit dem Motorboot ab, das heißt, er ließ sie abholen, er selbst konnte gerade nicht weg. Das pas-siert oft bei den Plantagen hier, daß der Boß nicht herauskann. Niemand dachte sich etwas dabei.“

„Und das Mädchen?“ fragte ich. „Ja, sie ist nie angekommen auf Lombok. Wie gesagt, Don-

dura hat sie für seinen Boß abgeholt, er hatte nachher einen di-cken Verband um den Kopf, Breek war mit den Nerven runter wie ein kleiner Junge; er machte sich alle möglichen Vorwürfe, aber das änderte schließlich nichts, nicht wahr?“

„Woran nicht?“ „Daß Wilma van Hoer verschwunden war! Und verschwun-

den blieb! Auf dem Motorboot hat es eine Explosion gegeben, kurz vor Lombok. Fischer haben es gesehen und nachher auch

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diesen Dondura aus dem Wasser geborgen. Von dem Boot und dem Mädchen gab es keine Spur mehr.“

„Und was hat Dondura berichtet?“ „Eben von der Explosion. Er hatte keine Erklärung dafür.

Plötzlich wäre das Boot auseinandergeflogen wie eine alte Ap-felsinenkiste, in einer riesigen Stichflamme. Er wußte noch, daß er meterweit aufs Meer hinausgeschleudert wurde, und als er wieder zu sich kam, war er schon von den Fischern geborgen.“

„Vielleicht ist Wilma van Hoer bewußtlos gewesen und er-trunken?“ fragte Rolf.

„Vielleicht!“ meinte Hank Tobias langgezogen. „Vielleicht waren es auch die Haie. Es gibt eine Menge von den Bestien in diesen ruhigen Gewässern vor Lombok. Ich weiß es nicht und es geht mich auch nichts an. Jedenfalls gibt es hier ein paar Leute, die glauben an das eine ebensowenig wie an das andere.“

„An was glauben die?“ warf ich ein. Tobias zuckte die Schultern. „An eine Schweinerei, Hans. Aber fragen Sie mich nicht,

welcher Art diese Schweinerei sein soll. Ich habe keine Ah-nung.“

„Wir werden uns drüben genau umsehen“, sagte Rolf nach-denklich.

„Breek hat Sie eingeladen?“ wollte Hank Tobias wissen. „Mit Rolfs kräftiger Nachhilfe, ja!“ grinste ich. „Seltsame Ehre“, sagte Hank Tobias halb erstaunt, halb spöt-

tisch. „Ich habe sonst noch nie gehört, daß er außer dem Mäd-chen jemand zu sich eingeladen hätte.“

„Ich pflege das sonst auch nicht zu tun?“ sagte eine harte Stimme in unsere Überlegung hinein, und als wir überrascht aufschauten, stand Dr. Breek neben uns.

„Tut mir leid, wenn ich Sie gestört habe“, sagte er, und sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. „Ich weiß, daß ich für die Menschen dieser Insel oft genug den Gesprächsstoff liefern

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muß. Es stört mich nicht sonderlich. Aber ich habe gerade eben gehört, daß Ms. Ellen Huismeer mitkommen möchte, um sich drüben bei mir mal etwas umzusehen. Nun tut es mir sehr leid, daß ich Sie nicht in meinem Boot mitnehmen kann, meine Her-ren. Vielleicht ein anderes Mal.“

Wenn er uns hatte loswerden wollen, dann war dieser Weg zweifelsohne recht elegant gewählt. Aber wenn es so war, dann machte unser Freund Hank Tobias diesem Dr. Breek einen mächtigen Strich durch die Rechnung.

„Wenn’s weiter nichts ist“, erklärte er schmunzelnd, „helfe ich gern aus. Mein Boot liegt unten am Wasser, ein ziemlich starkes Motorboot. Das könnten die Herren benutzen. Man braucht hier zwar alle naselang für alle möglichen Besorgungen ein Boot, aber ein oder zwei Tage kann ich es schon entbehren. Notfalls leihe ich mir ein anderes. Daran soll Ihre Einladung nicht scheitern, Dr. Breek.“

„Das ist sehr schön“, sagte der Engländer mit ausdruckslo-sem Gesicht. „Ich hatte Sie nicht darum bitten wollen, Mr. To-bias, eben weil ich weiß, wie nötig man sein Boot hier braucht. Aber das ist natürlich wunderbar, wenn es sich so regeln ließe. Ich hatte schon Bedenken, unhöflich zu erscheinen, wenn ich von meiner Einladung zurücktrat.“

„Ach, wissen Sie, Dr. Breek“, erklärte Tobias seelenruhig und blinzelte Uns dabei zu, „wir alten Landsleute müssen uns doch helfen, wo wir können. Das versteht sich doch von selbst.“

Dr. Breek verneigte sich ein wenig und wandte sich dann wieder an uns:

„Ich kenne nicht die Leistungsfähigkeit des Bootes von Mr. Tobias, aber auf jeden Fall ist mein Boot sehr schnell. Falls Sie den Anschluß verlieren sollten, meine Herren, wenn Sie genau Ostkurs halten, stoßen Sie vor Lombok auf eine schmale, einge-schnittene Bucht mit drei großen Palmen am Ende. Daneben ist

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der Bootssteg. Von da aus führt der Weg geradewegs zu meiner Behausung.“

Er beugte sich vertraulich ein wenig zu uns herunter. „Nennen Sie es ruhig einen Spleen, aber ich habe eine

Schwäche für schnelle Motorboote, verstehen Sie? Darum ist meins ein halbes Rennboot, und irgendwie möchte ich der Da-me“, er lächelte verschmitzt, „natürlich imponieren. Ein schnel-les Boot ist in dieser Gegend ziemlich imponierend. Wir verste-hen uns doch, meine Herren?“

Es war eigentlich ein nettes Zeichen von Vertraulichkeit, aber irgendwie – ich kann mir nicht helfen – gefiel es mir doch nicht. Dieser Dr. Breek gefiel mir überhaupt immer weniger, je mehr ich mit ihm zu tun bekam. Selbst jetzt, wo er ein halb ver-schmitztes, halb verschämtes Lächeln auf dem Gesicht hatte, blieben seine Augen davon unberührt. Sie musterten uns die ganze Zeit kalt und abschätzend. Aber als ich aufblickte, merkte ich, daß es gar nicht Dr. Breeks Augen waren, es war der ste-chende, lauernde Blick von Dondura!

„Dann bis gleich also“, erklärte Breek lächelnd. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern in einer halben Stunde abfahren.“ Er wandte sich an Hank Tobias. „Darf ich Sie bitten, die Zeche dieser Herren mit auf meine Rechnung zu setzen, Tobias? Die Herren sind meine Gäste.“

Tobias schüttelte den Kopf. „Zu spät, Dr. Breek. Wir wollen uns nicht streiten, aber sie

sind nun mal meine Gäste. Alte Freundschaft, wissen Sie?“ „Entschuldigung“, sagte der Doktor, aber irgendwie schien

ihm diese Auskunft unseres Freundes Tobias nicht sonderlich zu gefallen. Nicht besser jedenfalls, als er selbst mir gefiel, und das war erstaunlich wenig.

Drüben am Tisch brachen sie auf, und Hank Tobias schaute ihnen mit einem seltsamen Gesichtsausdruck nach.

„Irgendwie“, sagte er nachdenklich, „will mir die ganze Ge-

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schichte nicht gefallen. Wenn man es recht überlegt, gibt es überraschend viele Ähnlichkeiten mit der Bootsfahrt damals, von der Wilma van Hoer nicht zurückkam.“

„Da ist aber ein Unterschied“, sagte ich. „Und der wäre?“ wollte Tobias wissen. „Diesmal ist Dr. Breek selbst dabei“, erklärte ich. Hank Tobias nickte langsam. „Ich weiß nur nicht, ob ich das als Verbesserung oder als

Verschlechterung betrachten soll. Übrigens wird mein Hausdie-ner Sie unten zum Boot bringen. Bei mir geht hier gleich der Betrieb los. Wir sehen uns ja noch, wenn Sie das Boot zurück-bringen. Übrigens“, er hatte sich schon halb abgewendet und kam nun noch einmal zurück, „wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, dann halten Sie die Augen offen.“

„Wird gemacht“, nickte Rolf lächelnd. „Selbst ohne besonde-re Aufforderung, Hank.“

Einen Augenblick sah er uns nachdenklich an, dann grinste er ein wenig und pfiff leise durch die Zähne.

„Sieh mal an! Mr. Torring und Mr. Warren schon wieder auf dem Kriegspfad, was? Dann Waidmannsheil!“

Sagte ich nicht, daß Hank Tobias ein unverbesserlicher Abenteurer wäre?

Das Boot von Dr. Breek mußte wirklich ungewöhnlich schnell sein. Der Motor hatte ein tiefes, röhrendes Geräusch, als Breeks farbiger Begleiter ihn anwarf, und kaum hatten die In-sassen, der Farbige, Dr. Breek und die junge Niederländerin, darin Platz genommen, als es mit einem förmlichen Satz von seinem Festmacher lossprang und mit hoch aufschießender Bugwelle durch das ruhige Hafenwasser preschte.

Es war eins von diesen modernen Flügelbooten, die sich mit steigender Fahrt förmlich aus dem Wasser herausheben und nur noch auf Schrauben und Kufen gestützt förmlich dahin-schießen.

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Da hatten wir allerdings kaum Aussicht, mit Hank Tobias’ normalem Motorboot eine Konkurrenz zu sein.

Rolf hatte das Ruder übernommen. Auch dieses Boot war schnell, aber es war kein Vergleich mit dem Tempo, daß Breeks Boot vorlegte, sowie es von den schützenden Molen des kleinen Bootshafens frei war. Außerdem folgte Rolf dem Kufenboot nicht unmittelbar, sondern steuerte zunächst unsere draußen vor der Mole verankerte Jacht an und rief nach Pongo.

Wir brauchten nicht lange zu warten, da kletterte der Schwarze schon herab. Aber inzwischen war Dr. Breeks Boot auf der freien See nur noch so groß wie ein Maikäfer und raste vor einer langen weißen Schleppe aufschäumender See dahin.

Wenn hier die Schnelligkeit eines Motorbootes einem Mäd-chen imponieren konnte, dann hatte Dr. Breek bei Eilen van Huismeer sicherlich große Chancen. Allein, mir erschien die Erklärung des Engländers sehr fadenscheinig. Schnelle Motor-boote sind zwar eine feine Sache, zugegeben, aber um einer nicht gerade armen Farmerstochter zu imponieren, braucht man wohl andere Dinge als schnelle Motorboote.

„Masser Torring Pongo rufen?“ fragte unser schwarzer Be-gleiter, als Rolf Gas gab und von unserer Jacht ablegte.

Rolf nickte. „Ja, Pongo. Ich meine, es ist besser, du bist bei uns. Wir fah-

ren nach Lombok hinüber und kein Mensch weiß, was uns dort erwartet.“

„Pongo aufpassen, was erwarten“, erklärte unser riesiger schwarzer Begleiter und fletschte grinsend mit den schneewei-ßen Zähnen.

Ich kann nicht sagen, daß mir diese Gewißheit sehr unange-nehm war, denn irgendwie wurde diese ganze Geschichte im-mer mysteriöser, je mehr man sich mit ihr befaßte. Und Pongo hatte sich oft genug für uns als beste Rückendeckung erwiesen, die man sich in einer solchen Geschichte nur denken kann.

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Vielleicht wäre es auch besser gewesen, wir hätten von der Jacht nicht nur Pongo geholt, sondern auch unsere Waffen, aber das hätte sich schlecht machen lassen. Schließlich konnten wir als eingeladene Gäste Dr. Breeks, und wenn uns die Sache noch so komisch vorkam, nicht als Schwerbewaffnete auf seinem Anwesen erscheinen. Es hätte wohl doch einen etwas merkwür-digen Eindruck gemacht und uns zumindest verraten, wenn es überhaupt da etwas zu verraten gab.

So hatten wir nur Rolfs kleine 22er Pistole, die er immer im Stiefelschaft unter der Hose verborgen trug. Aber notfalls wür-de die wohl auch ausreichen.

Immerhin hatte ich ein Gefühl, das schwer zu beschreiben ist, als die Ufer hinter uns zurückblieben und unser Boot mit Höchst-fahrt Kurs auf Lombok nahm. Ein Gefühl der Art, daß mir doch wohler gewesen wäre, ich hätte das vertraute, beruhigende Ge-wicht meines schweren 38er Revolvers an der Seite gespürt.

Die Überfahrt mußte für unser Boot etwa zweieinhalb Stun-den dauern, Breek würde sie mit seinem Flitzer in weniger als zwei Stunden, vielleicht sogar in einer Stunde schaffen. Jeden-falls hatte er bald einen Vorsprung, daß wir nichts weiter von ihm sahen, als seine aufgewirbelten Heckseen als kleinen, hel-len Schimmer kilometerweit vor uns.

Ich döste ein wenig vor mich hin. Eigentlich hätte diese Bootsfahrt angenehm sein müssen, eine wirkliche Erholung. Der Fahrwind wehte angenehm kühl, er machte die drückende Hitze vor dem Monsun erträglich. Die See lag samtblau und spiegelglatt, eine alte Dünung sorgte gerade dafür, daß die Oberfläche sich in langen, ruhigen Intervallen hob und senkte und dem Indischen Ozean damit Leben verlieh.

Es hätte angenehm sein müssen, aber immer wieder war es mir, als sähe mich ein farbiges Gesicht mit breiten, hohen Ba-ckenknochen an, als verfolgten stechende, überheblich-kalte Augen jede meiner Bewegungen. Seltsam!

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Gleichmäßig hämmerte unser Bootsmotor, langsam wuchsen die Konturen Lomboks vor uns empor. Ein breiter dunkler Ring dichten Urwalds, wie ihn alle diese Inseln haben, gekrönt vom fast 4000 Meter hohen Vulkan Ringjani, der höchsten Erhebung auf Lombok, einem der vielen nie ganz erloschenen Krater der Sundakette. Ein Bild wie zum Malen. Und dann sah ich es plötzlich!

Weit voraus stieg eine Rauchwolke empor, wuchs direkt aus dem Meer. Erst nur ein kleines wolkiges Gebilde, das man mit der ausgestreckten Hand verdecken konnte. Der untere Rand dieser Rauchwolke schien seltsam angestrahlt von aufzucken-dem Rot und Orange. Dann wuchs die Rauchwolke schnell und breitete sich flach über das Wasser aus. Sie schien sich schwarz zu färben, als ob Öl brannte.

Ich sprang von meinem Sitz auf, als ich begriff, was dort ge-schah. Ein Boot war explodiert und brannte!

Ein Boot, das ein paar Kilometer vor uns auf demselben Kurs gelegen hatte. Und da gab es nur ein Boot, ein einziges: Breeks windschnelles Flügelboot!

„Siehst du es?“ rief ich Rolf zu. Aber das war überflüssig, denn ich sah, daß seine Augen starr über den Bug unseres eige-nen Bootes auf das Geschehen dort vorn gerichtet waren, von dem wir noch immer nichts anderes sahen als eine Rauchwolke, die nun schon langsam zu verwehen begann.

Wenn wir jetzt wenigstens unsere starken Marinegläser von Bord der Jacht gehabt hätten, vielleicht wäre es dann möglich gewesen, Einzelheiten zu erkennen. Aber so konnten wir nichts ausmachen. Pongo sprang auf den erhöhten Bug unseres Bootes, beschattete die Augen mit der Hand und starrte nach vorn.

„Pongo kein Feuer sehen“, meldete er uns. „Pongo sehen Rauchwolke dicht bei Land. Und da sehen Pongo Boot. Pongo Boot sehen! Boot fahren nach rechts, fahren nach Land.“

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Ich strengte meine Augen an, bis sie tränten, aber ich sah nichts außer der verwehenden Rauchwolke, die langsam näher kam.

Rolf hatte Vollgas gegeben und hielt direkt auf die Rauch-wolke zu.

„Sollte Breek dieselbe Panne wieder passiert sein?“ fragte ich aufgeregt.

„Abwarten“, sagte Rolf heiser. „Es sieht verdammt so aus, als ob ihm da vorne sein Rennflitzer um die Ohren geflogen wäre. In ein paar Minuten sind wir da.“

„Jetzt sehen Pongo Boot nicht mehr“, erklärte unser schwar-zer Begleiter. „Boot jetzt zum Land hin verschwunden. Jetzt sehen Pongo nur noch Rauch und Wasser.“

Und das war genau dasselbe, was ich auch sah, obwohl wir jetzt schon auf fast einen Kilometer an die Unglücksstelle heran waren. Übrigens waren wir nicht das einzige Boot, das auf die Rauchwolke zuhielt. Von Backbord, von See her, sah ich ein altes, hölzernes Fischerboot herantuckern. Es stand dichter an der Rauchwolke als wir, aber es war zu langsam, um vor uns dort einzutreffen.

Und plötzlich sah ich noch etwas: Vor uns zogen zwei dun-kelgraue dreieckige Rückenfinnen schnurgerade und schnell durch das Wasser! Es gab hier Haie!

Mir kam es vor, als hätte jemand unser Boot am Grunde des Meeres festgenagelt, so langsam war unsere Fahrt. Dabei heul-te der Motor unter Vollgas und jagte uns nur so auf die Un-glücksstelle zu. Selbst die grauen Haifinnen blieben hinter uns zurück.

Es waren nur ein paar Minuten, bis wir die Unglücksstelle er-reichten. Aber mir schien, als wollten diese Minuten nie he-rumgehen. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf, während ich nach vorn starrte, Gedanken, die ebenso schnell wieder verschwunden waren, wie sie kamen.

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Die Rauchwolke über dem Wasser zerwehte, je näher wir kamen. Und schließlich schwamm unser Boot auslaufend direkt an der Unglücksstelle.

Rolf hatte den Motor abgestellt, lehnte wie Pongo und ich über der Bordwand und starrte ins Wasser.

Es gab nicht viel zu sehen dort. Ein paar treibende Boots-trümmer, kleine hölzerne Fetzen vom Deck. Irgendwo schwamm ein größeres Bodenbrett.

Und dann sahen wir plötzlich einen Mann im Wasser, der aufgeregt winkte. Ein dunkler Arm war das, wonach wir grif-fen, dann erkannten wir Mr. Dondura und neben ihm im Wasser Dr. Breek, der von dem Farbigen verzweifelt festgehalten wur-de.

Breek hatte eine breite Schramme über der Stirn, die stark blutete. Als ich aufsah, machte ich eine merkwürdige Entdec-kung.

Rings um die Unglücksstelle war das Wasser seltsam dunkel verfärbt. Aber dabei dachte ich mir zunächst gar nichts. Nur als plötzlich die Rückenfinnen der beiden Haie hinter unserem Boot auftauchen, wurde ich stutzig.

An der Stelle, wo sich das Wasser verfärbt hatte, drehten die-se beiden Finnen plötzlich ab, blieben stehen, glitten hin und her und wichen schließlich sogar ein wenig zurück. Und das, obwohl ein Mann im Wasser war, der blutete!

Mit vereinten Kräften zogen wir Dondura und Breek ins Boot. Breek hatte die Augen geschlossen und hing schlaff von der Ducht herab, auf die wir ihn legten.

„Wo ist Ellen van Huismeer?“ fragte Rolf erregt. Dondura, der offensichtlich nicht viel abbekommen hatte,

starrte uns schweigend an, dann zuckte er die Schultern und zeigte mit dem Daumen aufs Wasser.

„Ich weiß es nicht“, sagte er heiser, und seine Stimme war kaum verständlich. „Als das Boot explodierte, ist sie ver-

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schwunden. Nur Dr. Breek habe ich gefunden. Es wird ihn wahnsinnig machen, wenn er erfährt, daß das Mädchen nicht gerettet wurde.“

Rolf kniete neben dem Engländer nieder und untersuchte ihn, dann sagte er fast gleichgültig:

„Er wird daran ebensowenig sterben, wie an dieser Verlet-zung, Mr. Dondura.“

Ich musterte meinen Freund erstaunt, denn der Tod eines Menschen, eines jungen Mädchens dazu, schien ihn völlig un-berührt zu lassen. „Wie kam es eigentlich zu der Explosion?“ wollte er statt dessen wissen.

Der Farbige mit den stechenden Augen zuckte wieder die Schultern und sah aufs Meer hinaus, als er antwortete:

„Ich weiß nicht. Plötzlich knallte es und alles war eine einzi-ge Flamme.“

Ich folgte dem Blick seiner stechenden Augen aufs Wasser hinaus. Da sah ich wieder die Rückenfinnen der beiden Haie. Eine groß und dunkelgrau, die andere kleiner mit einem weißen Fleck. Die große Finne gehörte zweifellos einem grauen Australhai, einem von der gefährlichen Art, um die man selbst mit einem Boot lieber einen Bogen macht, wenn es sich ir-gendwie einrichten läßt. Der Bursche mußte unbedingt den Blutgeruch des verletzten Dr. Breek im Wasser bemerkt haben. Wir hatten oft genug den fast unglaublichen Geruchssinn von Haien erlebt, die über Meilen herankamen, wenn ein Verletzter im Wasser war.

Und dieser Geruch macht alle Arten von Menschenhaien fast wahnsinnig vor Gier.

Aber dieser Australhai verhielt sich anders, anders als alle seine Rassegenossen, die ich bisher kennengelernt hatte. Der lange sichelförmige Rumpf unter der dreieckigen Rückenfinne war deutlich durch das klare Wasser zu erkennen. Manchmal meinte ich, die kleinen, stechenden Augen auf uns gerichtet zu

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sehen. Die kältesten Mörderaugen, die es auf der Welt gibt. Haiaugen!

Aber das war natürlich Unsinn. Langsam pendelte der Hai am Rande des verfärbten Wassers

auf und ab, dann schien er sich entschlossen zu haben, die Sa-che zu untersuchen. Fast vorsichtig, mit unmerklichen Flossen-bewegungen, zog er in das dunkelverfärbte Wasser zwischen die Trümmerstücke hinein. Langsam, so als drohe ihm eine un-bekannte Gefahr, vor der seine Angst größer war, als seine Gier durch den Blutgeruch. Er schob sich höher, hielt auf uns zu! Wollte uns die Bestie angreifen? Aber das schien nur einen Au-genblick so, dann stieß der Hai mit der flachen, schaufelförmi-gen Schnauze fast spielerisch eines der treibenden Holzstück-chen an, so wie ein Junge versuchsweise einen Ball anstößt. Sein furchtbarer, zähnestarrender Rachen war dabei nicht ein-mal geöffnet!

Dann gab es plötzlich einen peitschenden Schlag der gro-ßen Schwanzflosse, das Wasser schäumte auf, und der Hai schoß zwischen den wenigen Trümmern hindurch aus dem verfärbten Wasser hinaus, tauchte in der klaren See sofort weg. Seltsam! Was hatte den Australhai, den unbeschränkten Herrscher der See, der keine Gefahr zu fürchten hatte, so er-schreckt?

Ich schickte Rolf einen fragenden Blick zu, aber der reagierte nicht, so, als hätte er die ganze Sache nicht gesehen.

„Ich denke, es ist am besten, wir laufen sofort Land an. Hier können wir nichts mehr tun“, sagte er langsam, und Dondura nickte.

Die beiden Haie waren verschwunden. Soviel ich auch Aus-schau hielt, ich konnte sie nirgends sehen.

Rolf warf den Motor wieder an, wendete den Bug unseres Bootes dem Land zu und nahm Fahrt auf. Wir schoben uns langsam noch einmal über die Unglücksstätte hin, und plötzlich

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griff Rolf über die Bordwand und zog eins der herumtreibenden Holzstückchen ins Boot.

„Warum das?“ fragte Dondura. „Meinen Sie nicht, daß es eine Untersuchung geben wird?“

war Rolfs Gegenfrage. „Ich könnte mir vorstellen, daß es ganz gut ist, dann ein paar Beweisstücke zu haben. Es ist schließlich das zweite Mal, daß Ihnen ein Bootsunfall dieser Art zustößt, Mr. Dondura.“

Der zuckte die Schultern. „Für mich ist es nicht so schlimm“, sagte er ruhig. „Obwohl

ich das Boot gesteuert habe. Beide Male, wissen Sie? Aber für Dr. Breek wird es sehr schlimm werden. Ich glaube, er hielt eine Menge von Ms. Huismeer.“

Plötzlich fiel mir auf, was an Donduras Sprache so merk-würdig klang. Er sprach mit einem ausgesprochenen französi-schen Akzent!

Ich sah auf und betrachtete ihn noch einmal genauer, und dann wußte ich, wo ich Gesichter wie das seine gesehen hatte, woher ich Gesichtsschnitt und Hautfarbe kannte!

„Wenn Sie wollen und es Ihnen leichter fällt“, sagte ich lang-sam, „können wir auch Französisch sprechen. Wir beherrschen beide diese Sprache.“

„Ich – ich spreche nicht Französisch“, erklärte Dondura mit einer seltsamen Hast. „Ich weiß nicht, wieso Sie das mei-nen?“

„Wie Sie wollen, Mr. Dondura“, sagte Rolf gleichgültig und warf mir einen Blick zu, der mich aufforderte, in dieser Richtung nichts weiter zu tun. Ich zuckte die Schultern. Ich kannte Rolfs Absicht nicht, aber er würde seine Gründe ha-ben.

Eine Weile saßen wir schweigend im Boot, während der Mo-tor uns näher zur Küste schob.

„Die Bucht dort hinten“, erklärte Dondura, „ist die Anlege-

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stelle von Dr. Breeks Plantage. Es gibt einen Bootssteg da, Sie können bis unmittelbar an Land fahren. Das Wasser ist tief ge-nug für ihr Boot.“

Rolf nickte und ein paar Minuten später machte Pongo unser Boot an einem einfachen, fast primitiven Holzsteg fest.

Dr. Breek kam wieder zu sich, als wir am Laufsteg festge-macht hatten und ihn dann aufrichteten, um ihn an Land zu bringen.

Dondura, sein farbiger Begleiter, war die ganze Zeit um ihn bemüht. Merkwürdig, daß dieser Bursche, dessen Sprache die Herkunft von Haiti, oder zumindest einer der benachbarten In-seln, auf denen auch Französisch gesprochen wird, nur zu ge-nau verriet, das in keinem Fall wahrhaben wollte.

Sehr merkwürdig sogar! Aber jetzt war keine Zeit für solche Gedanken. Immerhin

hatte ich trotzdem das Gefühl, wir waren dabei, in etwas hin-einzutappen, was wir zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht überblicken konnten. Dieser Mr. Dondura gefiel mir von Minu-te zu Minute weniger, und der erwachende Dr. Breek gefiel mir nicht viel besser.

„Was … was ist?“ fragte er benommen. „Was ist gesche-hen?“

Er starrte uns an, dann schien er sich zu erinnern. „Mein Gott“, stieß er hervor. „Das Boot, das Feuer!“ Tastend glitt seine Hand über die Stirn, verwundert betrach-

tete er das Blut an seinen Fingerspitzen. Dann starrte er uns wieder an.

„Was ist mit Ellen?“ wollte er wissen. „Wo ist sie?“ Dann wurden seine Augen starr. „Nein … nein, das nicht! Nicht noch einmal! Nein, das nicht

…!“ Dondura redete leise auf ihn ein, versuchte wohl, ihn zu be-

ruhigen. Und seltsam, ich horchte in mich hinein, ob sich da

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irgendeine Stimme des Mitleids rührte, wie es hätte sein müs-sen. Aber es blieb still, und als ich aufsah und Rolfs Augen suchte, waren die ausdruckslos auf Dr. Breek gerichtet …

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Rolf hatte Dr. Breek natürlich sofort angeboten, daß wir unter diesen Umstanden zurückfahren würden. Aber davon wollte der Engländer nichts wissen. Er beschwor uns geradezu, jetzt bei ihm zu bleiben und ihn nicht allein zu lassen.

Also blieben wir, wenngleich ich mich nicht ganz wohl in meiner Haut fühlte.

Wenn wir uns Dr. Breeks Anwesen als das halbverwilderte Haus eines Wissenschaftlers vorgestellt hatten, dann hatten wir uns jedenfalls sehr getäuscht. Es lag zehn Minuten vom Strand ab, ein flaches Haus im modernen Bungalowstil, das ebensogut wie in den Tropen in Europa hätte stehen können.

Sicher, man konnte das Haus mit den paar Bananenfeldern daneben und den Gummischößlingen in langen, geraden Rei-hen, nicht gerade eine Plantage nennen, aber alles war so or-dentlich bewirtschaftet, daß es von erstklassigen Farmarbeitern gemacht sein mußte.

„Wollen Sie hier nebenbei eine Gummiplantage errichten?“ fragte ich Dondura, der sich um uns kümmerte, während Dr. Breek sich zurückgezogen hatte.

Ein seltsamer Blick aus den kalten Augen des Farbigen streifte mich, aus Augen, die mich unwillkürlich an den großen Australhai vor der Küste vorhin erinnerten, der sich so seltsam verhalten hatte. Es waren die gleichen Augen!

„Vielleicht“, antwortete Dondura. „Dr. Breek ist sich noch nicht endgültig klar darüber.“

„Es sieht sehr ordentlich und sehr gut aus“, sagte ich, wäh-rend Rolf schweigend auf die Felder hinausschaute.

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Wir saßen auf der Veranda in geflochtenen Rotangstühlen, und abgesehen von dem traurigen Anlaß, der uns nun hierher geführt hatte, wäre die Situation ganz gemütlich gewesen. Sie wäre es vor allem dann gewesen, wenn diese kalten, lauernden Augen von Dondura nicht jede unserer Bewegung mit der Wachsamkeit einer Raubkatze verfolgt hätten.

„Wir haben gute Arbeiter“, erklärte Dondura ruhig. „Die bes-ten, die es gibt, verstehen Sie?“

„Ach nein“, sagte Rolf. „Und keine Schwierigkeiten? Auf den anderen Plantagen haben wir oft gehört, daß es Schwierig-keiten mit eingeborenen Farmarbeitern gibt. Lohnschwierigkei-ten! Sie gehen lieber in die Fabriken, hat man uns gesagt.“

„Mit unseren Arbeitern gibt es keine Schwierigkeiten, Mr. Torring“, erklärte Dondura. „Es hat nie welche gegeben, und es wird nie welche geben.“

„Und wie kommt das?“ fragte ich neugierig. „Das wird Ihnen Dr. Breek erklären. Er ist der Boß.“ Ich zuckte die Schultern. „Wie Sie wollen, Dondura. Es war nur eine Frage, nichts

sonst. Im Grunde ist es uns ziemlich gleichgültig, mit welcher Art Arbeitern Sie hier dem Urwald zuleibe gehen.“

Ich konnte den Burschen einfach nicht ausstehen, darum war meine Antwort noch schärfer, als ich sie gewollt hatte. Aber Dondura zog nur die Augenbrauen ein wenig hoch, das war al-les!

Am Spätnachmittag erst kam Dr. Breek zu uns auf die Ter-rasse. Er sah schlecht aus, hatte einen schmalen Verband um die Stirn und schien stark von dem Geschehenen beeindruckt zu sein.

„Es ist furchtbar“, erklärte er uns. „Es ist nicht auszuden-ken.“

„Ein Unfall kann immer passieren“, sagte Rolf ruhig. „Be-sonders mit einem so schnellen Boot, Dr. Breek.“

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„Ein Unfall?“ fragte der Engländer und sah Rolf nachdenk-lich an. „Ein Unfall, das habe ich mir auch gesagt. Aber es ist ja nicht der erste. Dasselbe hat sich doch vor drei Monaten schon einmal ereignet! Das ist es ja, was mich am meisten beein-druckt. Sie wollte gern meine Arbeit hier sehen, ebenso wie Sie. Und ich ließ sie abholen von Dondura, es gab eine Bootsexplo-sion, und nur mein farbiger Begleiter konnte sich retten. Ich habe mir monatelang die schwersten Vorwürfe gemacht, wie Sie sich denken können. Und nun genau dasselbe noch einmal! Damit werde ich nicht fertig!“

„Es ist doch merkwürdig“, sagte ich. „Das zweimal das glei-che Ereignis eintritt. Ist es dasselbe Boot? Haben Sie es nach dem Unfall damals instand setzen lassen?“

Breek sah mich nicht an, als er den Kopf schüttelte. „Nein, da gab es nichts mehr zum Instandsetzen. Die Explo-

sion muß es fast vollständig zerrissen haben. Nicht mal ein Wrack haben die Taucher gefunden. Nur ein paar Trümmerstü-cke.“

„Dann haben Sie sich ein ebensolches Boot wiedergekauft?“ wollte Rolf wissen.

Breek nickte geistesabwesend. „Ja, ja. Genau denselben Typ. Es war so schnell, und schnel-

le Boote waren immer mein Traum. Irgend jemand muß dabei seine Hand im Spiel haben.“

„Das wäre immerhin möglich“, wandte Rolf ein und bekam dafür einen schnellen Seitenblick des Engländers. „Aber ich glaube nicht so recht daran. Haben Sie einmal daran gedacht, daß Sie das Boot vielleicht zu schnell gefahren haben? Nach dem, was mir Ihr Mr. Dondura erzählte, gab es eine Explosion im Vorschiff, im Motorraum also. Vielleicht ist der Motor zu heiß geworden?“

„Das wäre natürlich eine Erklärung, aber ich weiß nicht recht. Ich weiß einfach nicht, was ich denken soll.“

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Seine Lage war nur zu gut zu verstehen. Ich fragte mich immer wieder, warum ich seine Trauer nicht glaubte, und ich fand keinen vernünftigen Grund dafür. Wie es überhaupt kei-nen vernünftigen Grund dafür gab, daß wir einen gewissen Verdacht von Anfang an gegen diesen Engländer mit dem glatten schwarzen Haar und den stechenden Augen gehabt hat-ten.

„Ich kann mich doch nie wieder auf Nusa sehen lassen“, ver-zweifelte er. „Ich kann mich auch nie wieder bei dem alten van Huismeer blicken lassen. Es ist eine Katastrophe, es ist einfach eine Katastrophe!“

„Warten Sie ab“, sagte Rolf. „Warten Sie ab, ein paar Tage lang. Vielleicht sehen Sie es dann anders. Es wird eine Untersu-chung durch die Regierung auf jeden Fall geben. Schließlich haben Sie Zeugen und Ihre Unschuld wird sich herausstellen.“

Rolf ließ Dr. Breek dabei nicht aus den Augen, und der sah zerstreut auf die Pflanzungsanlagen hinaus.

„Sie haben Dondura als Zeugen, Sie haben uns als Zeugen und einige Fischerboote waren ja auch in der Nähe. Außerdem haben wir vorsichtshalber ein Wrackstück geborgen, Dr. Breek. Das wird dann alles unterstreichen, was Sie auszusagen haben.“

Ruckartig warf Breek den Kopf herum, starrte uns an. „Ein Wrackstück? Ja … ja, das ist wirklich gut. Daß Dondu-

ra auch nicht daran gedacht hat.“ „Er war nur besorgt um Sie“, sagte ich. „Und vermutlich sel-

ber noch benommen, von dem, was geschehen war.“ Breek nickte, aber er schien nicht mehr recht bei der Sache

zu sein. „Könnten Sie mir einen Gefallen tun, meine Herren?“ fragte er schließlich.

„Wenn es in unserer Macht steht?“ „Es ist mir unmöglich, jetzt nach Nusa zurückzufahren und

dort zu berichten, was geschehen ist. Könnten Sie nicht Ihren farbigen Begleiter, Pongo heißt er ja wohl, mit Ihrem Boot und

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einem Brief hinüberschicken? Er braucht ja bloß zu Mr. Tobias zu gehen. Der wird schon alles weitere veranlassen.“

„Natürlich“, erklärte Rolf sofort. „Wenn Sie ein paar Zeilen schreiben wollen? Pongo wird das für Sie erledigen.“

„Ich hatte gehofft, daß es so sein würde“, nickte Breek. „Das, was ich schreiben mußte, habe ich schon erledigt. Ich werde den Brief gleich holen und Ihrem Pongo überbringen lassen. Er ist doch noch am Boot?“

„Ich habe ihm gesagt, er solle dort auf uns warten, Doktor.“ „Dondura wird ihm gleich alles Nötige mitteilen.“ Merkwürdigerweise schüttelte Rolf den Kopf. „Das hätte wenig Sinn, Dr. Breek. Da muß ich schon selbst

mitgehen. Unser Pongo würde nie die Befehle eines Fremden befolgen. Geben Sie mir Ihren Brief, und ich bringe ihn hinun-ter zum Boot. Das sind ja nur ein paar Minuten.“

„So“, sagte Breek ein wenig unsicher. „Ja, natürlich. Daran hatte ich nicht gedacht, daß Sie es selbst tun müssen. Es tut mir leid, daß ich Ihnen dann den Weg machen muß.“

„Oh, das macht nichts“, antwortete Rolf. „Es ist ja, wie ge-sagt, nicht weit und es ist besser so, als wenn Ihr Mr. Dondura sich den Weg ganz umsonst macht.“

Breek stand auf, ging schnell in das Zimmer und kam mit ei-nem schmalen, langen Brief wieder zurück, den er Rolf hingab.

Rolf nickte mir zu und machte sich sofort auf den Weg, und ich fragte mich, was er wohl vorhaben mochte.

Sicher hätte unser Pongo nicht die Anweisungen eines Frem-den befolgt, aber um das auszuschalten, hätte es genügt, ihm ein paar Zeilen mitzuschicken. Pongo kannte unsere Schrift genau und hätte einen Fälschungsversuch sofort gemerkt. Irgend etwas plante Rolf, denn ohne Sinn tat er selten etwas.

Was also hatte er vor? Ich sah auf, und Dr. Breek blickte Rolf mit einem seltsam

starren Gesichtsausdruck nach. Nach dem Blick zu urteilen,

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fragte er sich ziemlich genau dasselbe wie ich. Und ich hatte kein gutes Gefühl, als ich hier allein blieb. Nicht etwa, daß ich Angst hatte, aber in der Luft lag eine drohende Stimmung von Unheil. Zu schwach, um wirklich deutlich zu sein, aber doch immerhin, man gewöhnt sich daran, auf solche Stimmungen mehr zu geben, wenn man so viel erlebt wie wir.

„Entschuldigen Sie“, wandte sich Dr. Breek an mich. „Ich bin ein wenig durcheinander. Natürlich hätte ich Ihnen längst etwas zu Trinken bringen sollen.“

Er klatschte in die Hände, und ein weißgekleideter Malaie erschien, stellte sich neben den Engländer und wartete wortlos auf dessen Anweisungen.

„Nehmen Sie Whisky-Soda?“ fragte Dr. Breek. Jetzt war nichts Ungewöhnliches und Lauerndes mehr an ihm.

„Ich nehme den Whisky lieber pur. Sie werden es verstehen, nachdem, was hinter mir liegt.“

Ohne ein Wort verschwand der Malaie, kam Augenblicke später schon mit dem Gewünschten zurück. Er stellte Gläser und Syphon sorgfältig, fast pedantisch auf den Tisch, und bei seinen Bewegungen fiel mir etwas auf, ohne daß ich hätte sagen können, was.

Neugierig geworden, beobachtete ich den Malaien, als er die Veranda verließ, und nun wußte ich, was mir an seinen Bewe-gungen aufgefallen war. Sie waren seltsam mechanisch, so gleichmäßig, als wäre dies kein malaischer Boy, sondern eine Maschine!

Im nächsten Moment war er verschwunden, und als ich auf-sah, bemerkte ich, daß Breek mich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte. Warum nur?

„Sagen Sie“, fragte ich fast uninteressiert tuend, „wo haben Sie eigentlich Ihren Begleiter her, den Mr. Dondura? Er erinnert mich an Menschen, die ich in Haiti kennengelernt habe. Kommt er von dort?“

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Erschrak Breek oder war das nur Einbildung? „Haiti? Nein, da müssen Sie sich irren“, erklärte er gleich

darauf. „Dondura ist ein alter Freund von mir. Ich habe ihn in Bombay kennengelernt. Er lebte schon lange da. Nein, Haiti hat er nie gesehen. Wie kommen Sie darauf?“

„Der ganze Typ und sein französischer Akzent, wissen Sie! Aber es ist sicherlich auch unwichtig. Es fiel mir nur eben ein.“

„Er hat lange Jahre in Französisch-Indochina gelebt, als es noch französische Kolonie war“, erklärte Breek, einen Moment zu schnell auf meinen Einwurf eingehend. „Vielleicht daher der französische Akzent. Aber wenn Sie mich jetzt so fragen, dann fällt mir ein, daß ich selbst nicht genau weiß, woher er eigent-lich kommt. Ich habe mich nie dafür interessiert, haben uns immer gut verstanden und waren eigentlich von Anfang an Freunde.“

Ich nickte und tat weiter so, als hätte ich die ganze Sache nur so am Rande erwähnt, aber ich fragte mich dabei, warum sie so unbedingt darauf hinauswollten, daß Dondura Haiti nicht kann-te. Schließlich war es ja kein Verbrechen, Haitianer zu sein. Warum also dieses Ausweichen?

Wieder kam der Malaie, wieder fielen mir seine eckigen, mechanisch wirkenden Bewegungen auf, als er unsere Gläser nachfüllte.

Als ich einmal einen Blick in sein Gesicht tun konnte, war es mir, als berühre eine kalte Hand meinen Rücken.

Das Gesicht dieses Malaien lebte nicht! Es war tot! Seine Augen gingen durch mich hindurch, als wäre ich nicht da, seine Hände verrichteten ihre Arbeit, ohne daß er hinsah.

„Wie wäre es mit ein paar Salzmandeln zum Whisky?“ fragte Dr. Breek, und ich nickte zustimmend.

Und wieder geschah etwas Seltsames. Ich hatte angenom-men, Breek würde den stummen Diener beauftragen, das Ge-wünschte zu holen, aber er tat es nicht. Ohne einen Befehl be-

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kommen zu haben, wandte sich der Malaie wieder ab und ver-ließ die Veranda, während Breek sich erhob und einen Augen-blick später zurückkam. Dann brachte Dondura eine Schale mit gesalzenen Mandeln, und als er sie auf den Tisch setzte, und dabei eine Verbeugung mir gegenüber andeutete, sah ich, wie er sich blitzschnell zu Dr. Breek hinunterbeugte und dem etwas zuraunte.

Der Engländer schien bemerkt zu haben, daß es mir auffiel, denn er antwortete laut:

„Dann bringe Mr. Torring sofort zu uns, Dondura.“ Wenn es noch einer Bestätigung bedurft hätte, dann war es

der winzige Moment des Stutzens, den Dondura brauchte, ehe er mit dieser Antwort etwas anfangen konnte.

Und sie paßte auch wirklich schlecht, denn ich hatte deutlich die Worte Salz und aufpassen verstanden. Und das hatte mit meinem Freund Rolf nun wirklich nichts zu tun.

„Dondura sagt mir gerade eben, daß Mr. Torring zurück-kommt“, versuchte Breek die Situation zu retten, aber er schien selbst zu merken, daß ihm das nicht sonderlich gut gelungen war.

Wortlos verschwand Dondura wieder, aber als ich ihm nach-sah, begannen Gedanken in meinem Kopf zu kreisen. Sehr be-stimmte Gedanken. Dondura war Haitianer, daran gab es jetzt keinen Zweifel mehr für mich, denn er hatte zu allem Überfluß mit Breek auch noch französisch gesprochen! In der Sprache seiner Heimat!

Und was hatte er mit dem Salz und dem Aufpassen gemeint? Warum brachte er selbst die Mandeln, während sie den Alkohol von diesem seltsamen, starren malaiischen Diener hatten brin-gen lassen? Und plötzlich wüßte ich, wo ich Gesichter wie das von Dondura schon gesehen hatte, Gesichter mit überheblichen, eiskalten, stechenden Augen, bläulichbraune Gesichter, die ver-zerrt waren zu Fratzen verzückten Glaubens:

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Im Woodoo! In jenem auch heute noch nicht geklärten Zauberglauben des

mittleren Südamerika. In einem Glauben, der eine wilde, grau-same Mischung darstellt zwischen afrikanischen Dschun-gelritual, das die Urgroßväter der Woodoo-Priester als schwarze Sklaven mitgebracht hatten, von geheimnisvollen Amazonasin-dianerbräuchen und finsterster, schwarzer Magie. Solche Ge-sichter wie Dondura eins hatte, solche Gesichter hatten wir auf unserer Südamerikareise gesehen, als wir Gelegenheit hatten, die seltene und für Weiße lebensgefährliche Gelegenheit, Woo-doo-Zauberern zuzuhören.

Woodoo-Zauberern, die glühende Götterstatuen von Hand zu Hand weitergaben, ohne daß ihre Haut die geringste Verände-rung zeigte. Und noch eine Sache paßte jetzt großartig ins Bild: Das Verhalten der Haie vor der Küste!

Die Woodoo-Zauberer rühmen sich, Macht über die Haie zu haben, Macht über die blutgierigen Dämonen der See! Und auch das hatten wir mit angesehen! In teils finster gemurmelten, teils in grellen Schreien aufflackernden Beschwörungsformeln, hatte einer der Woodoo-Zauberer etwas ins Meer gegossen, mitten in ein von Haifischen wimmelndes Uferstück, und Mo-mente später waren die Haie vor seinen beschwörenden Gesten davongestoben, während der Woodoo-Priester ins Wasser sprang, in jeder Hand ein frischgeschlachtetes, blutendes Huhn. Und kein Hai kam zurück!

Damals waren die Woodoo-Anhänger murmelnd auf die Knie gefallen vor soviel Zauber, vor einer solch großen Kraft, wie sie der Priester da bewies. Denn sie alle kannten die blut-gierige Angriffslust der Haie, kannten sie nur zu gut aus ihrem Alltagsleben als Fischer und Küstenbewohner. Aber kein Hai hatte gewagt, die Bucht anzuschwimmen, in deren Mitte der Woodoo-Priester mit den blutenden Hühnern im Wasser stand, die grauen Rückenfinnen drehten, wie von einer unheimlichen

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Kraft zurückgestoßen, immer an der Stelle ab, wo das Wasser rings um den Priester die seltsam dunkle Verfärbung zeigte.

Wir waren damals sehr beeindruckt gewesen, obgleich wir natürlich nicht wie die primitiven Eingeborenen an den großen Woodoo-Zauber und an seine Macht über die Haie glaubten. Aber diese geheimnisvolle, Flüssigkeit, die der Woodoo ins Meer gegossen hatte, die mußte es sein, die die Haie vertrieb!

Und vorhin, an der Stelle des Bootsunglücks, hatte das Was-ser genauso ausgesehen wie damals vor der Küste Haitis.

Dondura war ein Woodoo! Ob Breek das wußte? Warum sollte er es nicht wissen? Es

sprach alles dafür. Und wozu hatte er diesen Woodoo-Priester hier bei sich, hier auf Lombok?

Rolf kam zurück und unterbrach mit seiner Ankunft meine Gedanken.

„Es ist alles erledigt,“ nickte er Dr. Breek zu. „Pongo ist mit dem Brief schon unterwegs. Man wird heute noch in Nusa er-fahren, was geschehen ist.“

Rolf zögerte einen Moment und lächelte dann. „Wir haben nun kein Boot mehr hier. Ihres ist gesunken und

unseres ist zurückgefahren. Kein Boot mehr, bis unser Pongo morgen zurückkehrt“, sagte er. „Wir sind auf Gedeih und Ver-derb Ihre Gäste.“

„Sie sind es“, nickte Dr. Breek und lächelte. Aber dieses Lä-cheln berührte seine Augen nicht. Die lagen kalt und drohend auf uns.

Wir erhoben uns bald und schützten Müdigkeit nach diesem ereignisreichen Tag vor, das heißt, Rolf tat es, und ich spielte sofort mit. Er würde seine Gründe haben, diese Runde hier auf-zuheben und wahrscheinlich würde eines der Gründe sein, daß er mich dringend allein sprechen wollte, und auch ich meinte, wir hätten eine Menge Grund, uns allein und ungestört zu un-terhalten.

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Dr. Breek erhob sich ebenfalls, und von ungefähr erschien der starre Malaie mit den mechanischen Bewegungen und dem toten Gesicht wieder.

Dr. Breek schien etwas einzufallen, er nahm plötzlich die Schale mit den gesalzenen Mandeln und stellte sie hinter sich.

„Somi wird Sie auf Ihre Zimmer bringen, meine Herren“, er-klärte er uns, dann sah er uns voll an. „Beobachten Sie bitte Somi dabei genau. Sie wollten doch gern Näheres über meine Arbeit wissen. Somi ist ein Teil dieser Arbeit. Morgen werde ich Ihnen alles andere zeigen, und ich verspreche Ihnen, daß Sie aus dem Staunen nicht herauskommen werden.“

„Meinen Sie?“ fragte Rolf, und wie mir schien, klang seine Stimme etwas spöttisch dabei.

„Ich bin sicher“, erklärte Dr. Breek. Und in seiner Stimme zumindest klang offener Hohn.

„Vielleicht hat Ihnen mein Freund noch nicht erzählt, daß wir schon auf Haiti waren?“ sagte Rolf. „Nein, hat er nicht? Nun, das hätte er tun sollen.“

Breek starrte uns an. Rolf nickte ihm zu, als wir gingen, um Somi zu folgen, der mit seinen eckigen Bewegungen voraus-ging und sich überhaupt nicht darum kümmerte, ob wir ihm folgten oder nicht.

„Schönen Dank für die Gastfreundschaft“, sagte ich, und nun war auch meine Stimme spöttisch.

Als ich von der Veranda ging, sah ich Dondura im Schatten der Hauswand stehen. Unbeweglich, die Arme über der Brust verschränkt. Seine Augen bohrten sich förmlich in meine, und wieder hatte ich die Vision von flackernden Feuern, schrillen Schreien und dumpfen Murmeln einer erregten Masse. Und von Götterstatuen, von hellglühenden Metallfiguren, die von Hand zu Hand gingen und keine Spur auf der Haut der haitianischen Priester hinterließen.

Woodoo-Zauber …

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3. Kapitel

Somi ging vor uns bis zu einer getäfelten Holztür, er öffnete sie, sah mich an und verbeugte sich wortlos.

„Ist das mein Zimmer?“ fragte ich. Er schien es gar nicht gehört zu haben. „Ob das mein Zimmer ist?“ fragte ich der Sicherheit wegen

noch einmal. Der Malaie zeigte auch nicht den Schatten einer Reaktion. Er

ließ die Tür offen, ging zum Nachbarzimmer, öffnete die, sah Rolf an und verneigte sich wieder.

„Das dürfte demnach mein Zimmer sein. Langsam“, sagte Rolf und blinzelte mir zu. „geht mir der Sinn jenes alten Aus-drucks vom ‚Stummen Diener’ auf.“

Ich wollte antworten, aber eine andere Stimme kam mir zu-vor.

„Das ist sehr richtig, Mr. Torring.“ Es war eine harte Stimme mit unverkennbarem französi-

schem Akzent. Ich brauchte mich nicht herumzudrehen, um zu wissen, daß sie Dondura gehörte.

„Aber Somi ist nicht nur ein stummer Diener, er ist ein Die-ner, der nicht denkt und nichts fühlt, Mr. Torring. Er ist ein to-ter Diener!“

Es klang grauenhaft, wie es dieser Haitianer mit der größten Selbstverständlichkeit sagte.

„Für einen Toten ist er ganz schön mobil“, sagte ich heiser. „Das ist richtig, Mr. Warren“, bestätigte Dondura wieder.

„Er ist ja kein Toter, wie Sie sie kennen. Er ist ein lebender To-ter, Mr. Warren. Ein lebender Toter nach unserem Willen!“

„Sie brauchen keine klangvollen Umschreibungen“, knurrte Rolf. „Ich habe Ihrem Chef schon gesagt, wir kennen Haiti, Ihre Heimat, Dondura.

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Und wir kennen auch …“, er machte eine Pause und sah Dondura an.

„Zombis, Mr. Dondura, lebende Tote, wenn Ihnen das Wort lieber ist.“

Dondura starrte uns schweigend an, dann drehte er sich um und war plötzlich verschwunden.

Vielleicht war es ein bißchen voreilig von Rolf gewesen, aber das herausfordernde Reden dieses Dondura, den ich immer mehr für einen Woodoo-Priester hielt, ließ uns keine andere Wahl.

Somi hatte inzwischen dagestanden, als ginge ihn das alles nichts an, als hörte er überhaupt nichts.

Eine Idee kam mir, ich nahm schnell eine meiner Zigaretten aus der Brusttasche meines Buschhemdes, zündete sie an, machte eine ungeschickte Bewegung und stieß dabei die Glut Somi auf den bloßen Handrücken.

„Entschuldigung, das war ungeschickt von mir“, sagte ich dabei, aber ich hätte es mir sparen können. Somi verzog nicht eine Miene, er sah mich nicht einmal an. Er war wirklich ein Zombi, ein lebender Toter. Unheimlicher Höhepunkt des un-heimlichen Woodoo …

*

Ich warf mich angezogen auf mein Bett, ließ das Licht brennen und starrte gegen die Decke. Ich würde nicht lange zu warten brauchen, bis Rolf kam. Er würde nur aufpassen, daß die Luft rein war, dann würde er erscheinen.

Inzwischen versuchte ich, mir über die Lage klarzuwerden. Nach unserem Verhalten eben würde es für Dr. Breek und Dondura wohl kaum einen Zweifel geben, daß wir sie durch-schaut hatten und um ihr Geheimnis wußten. Um das Geheim-nis der „Lebenden Toten“. Eines der unheimlichsten und grau-sigsten Dinge, die es auf dieser Welt noch geben mag.

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Haiti schwirrt nur so von Gerüchten von diesen Zombis und zittert aus Grauen vor den Zombimachern, den geheimnisvollen Oberpriestern der Woodoo-Religion, die halb verboten und halb geduldet wird, und für die exakte Wissenschaft gibt es bisher noch immer keine Erklärung dieses Phänomens.

Die Haitianer wollen wissen, daß Zombimacher Tote aus ih-ren Gräbern holen und sie wieder zum Leben erwecken. Zu ei-nem unheimlichen Leben, auf das niemand Einfluß hat außer demjenigen, der die Zombis aus ihrem ewigen Schlaf zurück-holte. Sie können arbeiten, sie essen und trinken, aber sie spre-chen nie ein Wort, sie reagieren nicht auf Worte, die an sie ge-richtet werden, sie gehorchen nur dem Befehl des Woodoo.

Natürlich kann kein Europäer daran glauben, daß die Woo-doos tatsächlich Tote zum Leben erwecken. Der Verdacht liegt nahe, daß sie bei ihren Opfern einen Scheintod künstlich herbeiführten, vermutlich durch unbekannte Gifte, die außer dem Scheintod eine Lähmung ihres Willens und ganzer Ge-hirnpartien herbeiführen, und aus einem einstmals völlig ge-sunden, normalen Menschen ein willenloses Werkzeug ma-chen, eine Art lebender Maschine, eben lebende Tote, eben Zombis.

Das alles mag unwahrscheinlich und grauenhaft klingen, aber wir hatten es schon mit eigenen Augen gesehen, und es gibt eine lange Reihe verbürgter Berichte über die Existenz die-ser „Lebenden Toten“, sogar Berichte amerikanischer Wissen-schaftler und französischer Regierungskommissionen, die einen jahrelangen Kampf gegen diesen grauenhaften Zustand geführt haben und noch führen. Ohne nennenswerten Erfolg übrigens, denn Woodoo ist mächtig und seine Rache ist furchtbar. Viel furchtbarer, als alle Strafen, die sich ein Europäer oder eine Re-gierung nur ausdenken können.

Und noch ein seltsames Phänomen gibt es in dieser unheim-lichen Geschichte der „Lebenden Toten“:

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Sie essen zwar und trinken, weil ihr Organismus fast normal weiterlebt, aber sie dürfen nie Salz haben! Es ist die stete Sorge der Herren über diese „Lebenden Toten“, daß ihre Opfer mit normalem Salz in Berührung kommen. Die Berichte darüber, was dann passiert, gehen auseinander. Ich erinnere mich deut-lich, gehört zu haben, daß die „Lebenden Toten“ dann in ihre Gräber zurückkehren, wenn sie auch nur ein einziges Mal Salz zu schmecken bekommen. Aber das ist Eingeborenenerklärung. Viel wahrscheinlicher ist, daß dieses Salz als eine Art Gegengift jene lahmgelegten Gehirnpartien wieder zur Funktion bringt. Nach Meinung einer Reihe von Wissenschaftlern, die sich mit dem Phänomen der Zombis eingehend beschäftigt haben, oft so heftig, daß auf der Stelle der Tod eintritt!

Und Dr. Breek hatte sich vorhin die größte Mühe gegeben, vor Somi die Salzmandeln zu verbergen. Wie er sie auch hatte von Dondura holen lassen, nicht etwa von dem sonst so willen- und empfindungslosen Zombi.

Blieb immer noch die Frage, warum Rolf die Karten so früh aufgedeckt, und Dondura und auch Breek hatte wissen lassen, daß dieses Geheimnis um die „Lebenden Toten“ für uns zumin-dest kein reines Geheimnis mehr war. Es war sonst nicht seine Art, aber er würde bestimmt seine Gründe dafür haben, und ich war gespannt, sie zu erfahren.

Lange brauchte ich darauf nicht zu warten, wie ich gleich angenommen hatte, kam nach einer Weile, eine halbe Stunde mochte vergangen sein, Rolf lautlos ins Zimmer.

Er brachte ein Holzstück mit, und als ich genauer hinsah, er-kannte ich jenes Trümmerstück, das wir an der Unfallstelle am Mittag geborgen hatten.

„Für was hältst du das?“ fragte Rolf leise. Ohne hinzusehen antwortete ich: „Für ein Stück Bootstrümmer!“ „Richtig“, grinste mein Freund. „Aber ich würde es mir

trotzdem mal angucken.“

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Ich betrachtete das Stück. Es war offensichtlich ein Stück von einer Pflicht, ein geriffeltes Stück des Bootsbodens.

„Ja, es ist ein Stück Bootstrümmer“, bestätigte ich meine ers-te Meinung.

„Habe ich doch gar nicht bestritten“, sagte Rolf. „Aber es ist ein Stück Bootstrümmer von einem Unfall, der erst heute nachmittag passiert ist.“

Plötzlich wußte ich, was er meinte. Ich sah noch einmal hin, und dann sah ich es. Von einem Unfall, der erst am Nachmittag geschehen war, dessen Zeugen wir beinahe geworden wären, das heißt, wir waren ja Zeugen gewesen, wenngleich der Ab-stand ein wenig zu groß gewesen war, um Einzelheiten zu er-kennen. Dieses Stück eines Bodenbrettes hatten wir aus dem Wasser geholt, ich hatte es mit eigenen Augen gesehen. Aber dieses Stück war niemals heute nachmittag vom Druck einer Explosion auseinandergerissen worden! Die Bruchstellen waren alt, das Holz zeigte keine frische Bruchfarbe, sondern hatte wo-chenlang an der Luft gelegen.

Ich sah Rolf an. „Was bedeutet das?“ Er zuckte die Schultern. „Zunächst einmal nicht mehr und nicht weniger, als daß zu-

mindest dieses Trümmerstück heute nicht von einer Explosion aus einem Bootskörper gerissen wurde.“

Ich nickte. „Soweit klar. Ich habe schon oft gehört, daß man alte

Bootstrümmer an Wrackfundstellen fälscht. Taucher tun es, die dringend einen Geldgeber brauchen, um nach ihrem gro-ßen Schatz zu suchen. Aber neue Bootstrümmer gefälscht? Warum?“

Rolf sah mich lange an. „Und nun denk mal an Pongos Beobachtung, Hans.“ „Pongos Beobachtung? Was meinst du?“

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„Pongo hat doch behauptet, ein Boot liefe von der Stelle der Rauchentwicklung zur Küste hin ab. Oder?“

„Ja, sicher. Ich erinnere mich.“ „Na, und Pongo pflegt sich doch in solchen Sachen nicht zu

irren, das haben wir doch oft genug selbst erlebt.“ „Natürlich. Aber was bedeutet das alles?“ „Vermutlich eine Riesenschweinerei, Hans. Es bedeutet, daß

gar kein Unfall stattgefunden hat. Daß alles ein großer Bluff war, berechnet darauf, uns obendrein als Zeugen zu haben, daß zum zweiten Male innerhalb weniger Monate der gute Dr. Breek das große Pech hat, daß ihm sein Boot um die Ohren fliegt, wenn er gerade ein Mädchen an Bord hat. Und ohne die-ses Trümmerstück wären wir auch prächtige Zeugen für diese Darstellung gewesen, oder?“

„Natürlich“, sagte ich. „Wolltest du darum Pongo selbst sprechen, als du ihn nach Nusa geschickt hast?“

„Komm ein bißchen näher“, raunte Rolf. „Ich weiß hier nicht, ob die Wände Ohren haben.“

Dann nickte er. „Natürlich wollte ich Pongo darum sprechen. Offiziell ist er

nach Nusa unterwegs, und er ist mit dem Boot sogar außer Landsicht gelaufen. In der Nacht wird er zurückkommen.“

„Du hast ihn gar nicht zu Tobias geschickt?“ „Was soll er da? Wenn wir uns nicht furchtbar irren, Hans,

dann hat doch gar kein Bootsunfall stattgefunden, nicht? Kein Unfall, kein verunglücktes Mädchen! Ganz einfache Rechnung! Wir müssen nicht mehr und nicht weniger, als Breeks Boot fin-den. Es muß irgendwo an der Küste liegen. Von da aus dürfte es nicht allzu schwierig sein, die Spur der Mädchen aufzuneh-men.“

„Der Mädchen?“ fragte ich. „Es wird mit Wilma van Hoes genau dasselbe gewesen sein.“ „Hast du darum unsere Trümpfe so vorschnell ausgespielt?“

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fragte ich nachdenklich. „Unsere Trümpfe über unser Wissen von Woodoo und den Zombis?“

„Ja“, sagte Rolf. „Es bleibt uns doch gar keine andere Mög-lichkeit. Hier geht es doch um zwei Dinge: Einmal um diese Zombigeschichte, zum anderen aber um das Schicksal der bei-den Mädchen, oder zumindest mit Sicherheit um das Schicksal eines der beiden Mädchen.“

„Breek wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um uns auszuschalten“, überlegte ich. „Er weiß jetzt, daß wir zu min-dest den einen Fall seines Geheimnisses durchschaut haben.“

„Er mußte das wissen“, sagte Rolf. „Wir müssen Breek so-weit bringen, gegen uns etwas zu tun. Denn nur so können wir an den anderen Teil herankommen.“

„Was mag er vorhaben?“ fragte ich. „Meinst du, daß er ernsthaft sich mit dem Problem der ‚Lebenden Toten’ befaßt? Wirklich auf wissenschaftlicher Basis und nur experimentiert?“

„Breek?“ fragte Rolf. Sein Blick wurde hart. „Der nicht. Den interessiert die Wissenschaft einen feuchten Kehricht. Breek ist ein rücksichtsloser Erfolgsjäger. Den treiben andere Beweg-gründe.“

„Und welche wären es?“ „Stell dir einmal vor, was ein Mann, der über ein paar Dut-

zend, oder meinetwegen ein paar Hundert von Zombis verfügt, für eine Macht hat!“ sagte Rolf langsam. „Stell dir einmal vor, er beherrscht nicht nur ein paar Dutzend harmloser malaiischer Arbeiter, sondern er beherrscht auf diese Weise, und zwar abso-luter als es jeder Diktator könnte, die ganze Insel oder wenigs-tens die entscheidenden Männer seiner Umgebung? Weißt du, was das bedeuten würde?“

„Ja“, nickte ich. „Es würde jedes amerikanische Gangstersyndikat weit in den

Schatten stellen“, fuhr Rolf fort. „Er wäre wirklich Herrscher über Leben und Tod in einem Gebiet, das er praktisch selber

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zieht. Hier in diesem jungen Land könnte er jahrzehntelang tun, was er wollte, ehe jemand dahinterkäme.“

„Du meinst?“ fragte ich, „das ist das Spiel von Breek?“ „Weißt du eine bessere Erklärung dafür?“ Ich wußte keine und schüttelte den Kopf. Es paßte zu dem

Typ Breek großartig. Irgendwie mußte er diesen Dondura ken-nengelernt haben und hatte ihn in seine Pläne eingespannt. Wie? das mochte der Teufel wissen.

„Auf jeden Fall dürfen wir den Haitianer nicht unterschätzen. Du weißt, über was für sagenhafte Kräfte die Woodoos verfü-gen. Breek wird sich Dondura nicht ausgesucht haben, weil er schlechter ist als seine Kollegen.“

„Es geht ziemlich auf Biegen und Brechen, nicht wahr?“ „Es könnte zumindest“, nickte Rolf. „Ich habe Breek ziem-

lich deutlich wissen lassen, wie weit wir ihn durchschauen. Er hat nur nicht die geringste Ahnung davon, daß wir auch den zweiten Teil seiner Pläne kennen, oder zumindest glauben zu kennen.“

„Den Teil mit den Mädchen?“ „Ja, den Teil. Vermutlich passen sie irgendwie auf sein

Schachbrett. Eines Tages wird er sie wieder auftauchen lassen, aber dann sind sie nichts weiter als seine willenlosen Werkzeu-ge. Vielleicht will er auch nur ausprobieren, wie Donduras teuf-lische Tricks auf Weiße wirken und fängt zunächst mal mit Frauen dabei an, deren Widerstandskraft er für schwächer hält als die von Männern. Darum meine Herausforderung. Wir müs-sen ihn und Dondura aus der Reserve locken, sonst können wir nie etwas beweisen.“

„Du willst ihn also regelrecht ködern?“ fragte ich nachdenk-lich, und mir war nicht ganz wohl in meiner Haut dabei, als ich an den „Lebenden Toten“ Somi dachte. Ich fand die Vorstel-lung, den Rest meines Lebens auf diese Weise zu verbringen, nicht sehr reizvoll, muß ich sagen.

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„Ich habe ihn schon geködert“, sagte Rolf. „Mit uns beiden, Hans. Wir müssen sehr vorsichtig sein, darüber bist du dir klar?“

„Darüber schon“, nickte ich. „Nur weiß ich nicht ganz wie.“ „Die meisten Verbrecher“, sagte Rolf langsam, „auch die

von der Intelligenz eines Dr. Breek, haben nur einen einzigen guten Trick, den sie immer wieder ausspielen.“

„In seinem Fall dürfte es der Trick mit den Zombis sein“, warf ich ein.

Rolf nickte. „Wir wissen also, wovor wir uns am meisten vorzusehen ha-

ben. Er wird versuchen, uns auf diese Weise in seine Gewalt zu bringen.“

„Ich habe keine Lust“, grinste ich ein wenig schief, „mich erst begraben zu lassen und dann bei Mondschein von Dondura ausgebuddelt und als ‚Lebender Toter’ in die Welt geschickt zu werden.“

Es war sicher ein schlechter Witz, denn Rolf verzog nicht einmal das Gesicht dabei.

„Du weißt genau, daß diese Art der Erklärung der ‚Lebenden Toten’ der Wunderglaube der Haitianer ist“, sagte er ruhig. „In Wirklichkeit dürfte es sich um irgendein Gift handeln, um nichts weiter. Ein Gift, das den Willen lähmt und unserer Wis-senschaft noch völlig unbekannt ist.“

„Eben!“ sagte ich. „Und das ist das reizvolle an diesem Gift. Wir wissen, daß wir uns vorsehen müssen, aber wir wissen nicht, wovor wir uns vorsehen müssen. Ich finde das großartig.“

„Wissen wir wirklich nicht, wovor wir uns vorsehen müssen? Denke mal ein bißchen über die Zombis nach, Hans. Vor was muß man jeden Zombi bewahren, wenn er das bleiben soll, was er ist?“

„Vor Salz!“ sagte ich. Ich hatte ja vorhin dieselben Überle-gungen allein angestellt.

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„Genau“, sagte Rolf. „Einfaches Salz hebt die Giftwirkung und Willenswirkung des Zombimachers auf. Wie nun, wenn wir vorher Salz zu uns nehmen?“

Ich sah ihn überlegend an. Irgendwie war diese Idee faszinie-rend. Aber es gab auch nicht den Funken eines Beweises, daß sie im Endeffekt etwas helfen oder nützen würde. Nicht den geringsten Beweis.

„Angst?“ fragte Rolf. „Nicht unbedingt“, sagte ich. „Nur furchtbar wenig Lust,

Versuchskaninchen zu sein, mit der Aussicht, für den Rest mei-nes Lebens als wandelnde Leiche herumzugehen und alles das zu tun, was dem edlen Dondura einfällt, mich tun zu lassen.“

„Also Salz“, erklärte Rolf ruhig. „Und vergiß bitte nicht, daß Pongo auch noch da ist!“

„Tröstlich zu wissen“, nickte ich. „Und woher das Salz neh-men?“

„Aus der Küche“, erklärte Rolf. „Gewöhnlich findet man da welches.“

„Na hoffentlich nicht unter Verschluß“, meinte ich. „Wäre ja hier immerhin möglich. Du weißt ja, wie sie sich schon mit ih-ren Salzmandeln angestellt haben.“

„Sicher unter Verschluß. Sie können es gar nicht anders ris-kieren, Hans. Aber ich denke, wir werden es trotzdem schaf-fen.“

Und wir schafften es. Tatsächlich hatten sie in der Küche des Bungalows, in die wir uns mit einer Vorsicht schlichen, als wenn es sich um die Schatzkammer eines blutdurstigen, hin-terwäldlerischen Räuberhauptmanns handelte, Salz unter Verschluß!

Es war in einem Blechkasten, aber das Schloß selbst machte uns nicht allzuviel Mühe. In ein paar Minuten hatte Rolf es mit einem Taschenmesser geöffnet, und wir hatten Salz vor uns, soviel wir haben wollten. Wir leerten die Blechkiste halb.

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Das machte nach grober Schätzung für jeden mehr als ein halbes Pfund. Keine sehr reizvolle Aussicht, ein halbes Pfund Salz als Nachtmahl zu verzehren.

Ja, in der Praxis erwies es sich sogar als ausgesprochene Quälerei, ich hatte das Gefühl, bei lebendigem Leibe geröstet zu werden. Die Lippen brannten, und meine Zunge fühlte sich wie roh an. Dann hatte ich die Vorstellung, hinunter zum Strand laufen und den halben Ozean leertrinken zu müssen. Es kostete eine schier unmenschliche Überwindung, nicht mehr zu trinken, als unbedingt nötig war. Aber für das nächste halbe Jahr dürfte feststehen, daß ich um alle salzhaltigen Speisen einen Riesen-bogen machen würde, und wenn ich mein Leben nur mit Pud-ding fristen sollte.

Den Gedanken, daß diese Salztortur umsonst sein könnte, dachte ich vorsichtshalber nicht zu Ende. Schon als er mir kam, hatte ich ein Gefühl dabei, als wenn sich Dondura gar keine Mühe mehr zu geben brauchte, uns mit Woodoo-Zauber und unbekannten Giften in den gewünschten Zustand zu versetzen. Allein die Vorstellung, nach diesem mächtigen „Festessen“ am Ende doch die Hereingefallenen zu sein, würde ausreichen, uns oder zumindest mich in einen „Lebenden Toten“ zu verwan-deln. Ganz mühe- und risikolos für Dr. Breek und seinen saube-ren Anhang!

Es war längst nach Mitternacht, und wir saßen in meinem dunklen Zimmer, als es leise an das Fenster klopfte. Pongo kam zurück, wie eine Katze glitt er ins Zimmer, als Rolf lautlos das Fenster öffnete.

„Hast du das Boot gefunden?“ fragte Rolf flüsternd. „Pongo Boot finden. Boot in kleiner Bucht, die von See her

nicht zu sehen ist.“ „Und es ist bestimmt dasselbe Boot, mit dem Breek heute

nachmittag fuhr?“ fragte ich leise. „Pongo glaubt, sich nicht irren“, nickte unser schwarzer Be-

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gleiter. „Pongo meinen selbes Boot. Und Pongo das hier in Boot finden, in Kasten unter Armaturenbrett.“

Er hielt eine runde Röhre hoch mit einer kleinen Zündschnur daran, die nur zu deutlich im Zwielicht zu erkennen war, in das der Mond das Zimmer hier tauchte.

„Sieh mal an“, sagte Rolf. „Ein paar alte Holztrümmer, und das Ding da, die Nebelpatrone, fertig ist der ganze Unfall.“

„Vergiß das Streichholz nicht“, erinnerte ich, „das man braucht, um die Nebelpatrone anzuzünden.“

„Gut, also noch ein Streichholz“, stimmte Rolf zu. „Hast du sonst noch etwas gefunden beim Boot?“

Der Schwarze schüttelte den Kopf. „Kein anderes Haus da oder Ort, wo Mädchen sein könnten,

Masser Torring. Nur Fußspuren, die nach hier laufen, aber bald aufhören.“

Rolf pfiff leise durch die Zähne. „Hier im Haus?“ „Pongo Spuren nicht wiederfinden, Masser Torring. Aber

Pongo meinen nein. Meinen, Mädchen nicht hier im Haus.“ „Das wäre auch reichlich unvorsichtig“, überlegte Rolf laut.

„Hier im Haus? Da bestünde doch immer die Gefahr, daß je-mand durch einen dummen Zufall sie entdeckt.“

„Wer?“ fragte ich. „Einer von den Zombis vielleicht?“ „Auch richtig“, nickte Rolf. „Aber ich weiß nicht ganz. Es

paßt auch nicht zu Breek, daß er sie hier im Haus hat. Aber wir werden es ja erleben. Ich bin ziemlich sicher, daß Breek morgen seinen Trick mit uns versuchen will.“

„Hoffentlich hat die Sache mit dem Salz einen Sinn. Mir brennt der Rachen, als wenn ich sämtliche Nebelpatronen, die er hat auftreiben können, da abgebrannt hätte.“

„Geht mir nicht anders“, sagte Rolf, „aber warte ab. Nach ein paar Stunden haben wir es überstanden. Und meinst du nicht, daß es sich lohnt? Stell dir mal Somi vor und das Schicksal der

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Mädchen. Meinst du nicht, daß man für die armen Kerle ein bißchen riskieren muß?“

„Du meinst, man könnte sie retten?“ „Wenn sie in irgendeine Klinik gebracht werden, wo man ein

bißchen mehr davon versteht als wir, warum nicht?“ Das Salz, das wir gegessen hatten, wurde durch die Worte mei-

nes Freundes nicht weniger salzig, und das Risiko, in das wir se-henden Auges hineingingen, nicht weniger riskant. Aber irgend-wie schien es mir doch so, als ob das alles nicht mehr so schlimm sein würde, so gefährlich, so unangenehm, denn nun bekam die Geschichte einen Sinn. Nur, um Breek und Dondura zu überfüh-ren, hätte sich die ganze Sache wohl kaum gelohnt, denn das hät-te sich notfalls mit dem, was wir bisher wußten, und der Pistole in Rolfs Stiefelschaft auch machen lassen. Vor der Mündung einer Pistole, auch wenn es nur eine kleine 22er ist, hört selbst der schlimmste Woodoo-Zauber ziemlich abrupt auf. Zumindest dann, wenn der Mann hinter der Pistole auf den Abzug drückt. Gegen Bleikugeln ist bisher noch kein Zauber gewachsen. Auch nicht der unheimliche mit den „Lebenden Toten“.

Pongo machte sich nach kurzem Besuch schon wieder auf den Weg. Er mußte unsichtbar bleiben, denn seine Entdeckung hätte praktisch unsere gesamten Pläne verraten. Er verschwand auf demselben Weg, auf dem er gekommen war, und ebenso lautlos.

Wir erwarteten schweigend den Morgen. Mit dem brennen-den Durst in der Kehle hätte ohnehin keiner von uns schlafen können.

Dr. Breek ließ uns recht frühzeitig zum Frühstück bitten, und als ich den Kaffee in den Tassen sah, kam ich mir vor wie eine arme Seele im Fegefeuer, als ich ihn nicht anrühren durfte. Es kostete schier übermenschliche Überwindung, an die Verabre-dung der Nacht zu denken und sich daran zu halten, nichts, aber auch nichts anzurühren.

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Wahrscheinlich hätte ich es nicht fertiggebracht, wenn nicht Somi mit seinen mechanischen toten Bewegungen uns bedient hätte. Ein einziger Schluck Kaffee konnte aus uns ebenso ein willenloses Wesen, das nur noch pro forma lebte, machen.

Mir war es, als wenn Dr. Breek spöttisch lächelte, als Rolf erklärte, wir wären daran gewöhnt, morgens nie etwas zu uns zu nehmen, das sei eine alte Gewohnheit von Abenteurern, die den größten Teil ihres Lebens in den Urwäldern und Savannen ver-brächten.

„Wie Sie wollen“, erklärte Dr. Breek. „Dann können wir gleich aufbrechen. Kommen Sie mit! Ich habe versprochen, Ihnen die ‚Lebenden Toten’ zu zeigen, mein Werk!“

„Ihr Werk?“ fragte Rolf. „Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß wir Haiti kennen, Dr. Breek. Haiti und soviel um das Ge-heimnis der Zombis, wie man nur wissen kann.“

Dr. Breek lächelte spöttisch. Er führte uns hinaus auf die Plantage und zeigte mit dem Finger auf eine Gruppe arbeitender Menschen.

„Sehen Sie sich das an, Mr. Torring. Das ist alles, was man über Zombis wissen kann, und das ist mehr, als alle wissen-schaftlichen Untersuchungskommissionen zusammen über die ‚Lebenden Toten’ wissen.“

Da arbeitete über ein Dutzend Menschen mit jenen mechani-schen, maschinenhaften Bewegungen, wie wir sie an Somi ge-sehen hatten. Das heißt, ihre Hände arbeiteten, pflanzten Gum-mischößlinge ein, ihre Gesichter dagegen waren starr geradeaus gerichtet.

Es war ein gespenstischer Anblick, von dem ich mich kaum losreißen konnte. Auf den ersten Blick schienen es normale, lebende Menschen zu sein, erst auf den zweiten merkte man die grauenhafte Veränderung, die mit ihnen vorgegangen war.

„Wir haben die Methode nämlich verbessert“, erklärte Dr. Breek, und unverkennbarer Stolz sprach aus seiner Stimme.

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„Verbessert gegenüber den Dingen, die Sie vielleicht auf Haiti kennengelernt haben. Dort müssen die Woodoo ihren Zombis noch laute Befehle geben, verstehen Sie? Wir haben das nicht mehr nötig. Bei meinen Zombis genügt schon der gedankliche Befehl, um sie tun zu lassen, was ich will.“

Ich streifte Dr. Breek mit einem schnellen Blick. Warum er-klärte er uns das? Warum gab er sich in unsere Hand?

Dafür gab es nur einen einzigen Grund: Er war sicher, daß wir dieses Wissen nicht gegen ihn gebrauchen würden, er war sicher, uns in seiner Gewalt zu haben und jederzeit unschädlich machen zu können!

Langsam gingen wir durch die Reihen der Arbeitenden, und es war ein unheimlicher Eindruck, hier Menschen am Werk zu sehen, die keine Menschen mehr waren, unheimlich und be-klemmend.

„Sie glauben mir nicht?“ fragte Dr. Breek plötzlich und blieb stehen. „Sie glauben mir nicht, daß meine Gedanken genügen, diese Menschen Befehle ausführen zu lassen? Passen Sie auf!“

Plötzlich sprangen rings um uns die Arbeiter auf und warfen sich von allen Seiten auf uns. Schweigend, mechanisch, verbis-sen! Ihre Gesichter hatten denselben abwesenden Ausdruck wie eben bei der Arbeit.

Instinktiv setzte ich mich zur Wehr, schlug dem ersten Zom-bi, der nach mir griff, die Faust unter das Kinn, daß es ihm den Kopf hochriß und ihn zurückwarf. Er nahm es hin wie eine Ma-schine, kein Aufschrei, kein schmerzverzogenes Gesicht, nichts. Er ging dann hinterher einfach wieder vorwärts und faßte nach mir, wie ein Roboter, der keinen Schmerz fühlt.

Und dann nützten alle Schläge nichts mehr, wenn sie über-haupt etwas genützt hatten, bei Menschen, die keinen Schmerz mehr spüren, keine Angst und keinen eigenen Willen mehr ha-ben. Die nur noch einem fremden Willen gehorchen, wie Ma-schinen einer steuernden Hand. Man hätte diese Burschen er-

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schießen müssen, um sie loszuwerden. Aber kann man Tote erschießen? Auch wenn sie „Lebende Tote“ sind?

Ihre Hände umklammerten mich, hinderten mich an jeder weiteren Bewegung. Hände, die warm waren, lebendige Hände, und doch so leblos wie Zangen.

„Sehen Sie, wie sie meinen Befehlen gehorchen?“ fragte Dr. Breek heiser. „Sie sind nur noch Wesen, die meinen Willen aus-führen, weiter nichts. Bald werden alle hier so sein, meinem Willen gehorchen. Alle!“

„Und darum haben Sie mit den beiden Mädchen angefangen, Sie Mörder?“ schrie ich ihn an. Ich hätte ihn totgeschlagen, wenn diese mich umklammernden toten Hände mir nur ein we-nig Spielraum gelassen hätten. Gerade soviel, um mich loszu-reißen und auf diesen Teufel da zu werfen.

„Darum!“ bestätigte Dr. Breek. „Es gibt noch keine Erfah-rung mit weißen Zombis, wissen Sie? Dondura aber ist sicher, daß sein Zauber auf Weiße ebenso wirkt wie auf Farbige. Es war seine Idee, es mit den Mädchen zu versuchen. Gute Idee, müssen Sie zugeben. Mädchen sind nicht so willensstark wie Männer. Leider war das erste Experiment ein Mißerfolg.“

Seine Stimme senkte sich zu einem gewollt traurigen Flüs-tern.

„Das arme Märchen hat die Behandlung nicht überlebt. Pech, nicht wahr?“

Sie hielten mich so eisern fest, daß ich mich nicht rühren konnte, diese verdammten Zombis, diese willenlosen Werkzeu-ge eines wahnsinnigen Mörders. Aber sie hielten mir den Mund nicht zu.

„Sie Schwein!“ sagte ich verächtlich und spuckte vor ihm aus.

Dr. Breek zuckte zurück. „Das sollen Sie büßen! Ellen van Huismeer sollte das nächste

Versuchsobjekt werden, nun sollen Sie es sein. Sie meinen, Sie

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sind sehr schlau! Sie rühren keinen Kaffee an, weil Sie denken, in ihm wäre das Zombigift? Sie würden auch jetzt nichts essen, selbst wenn ich es Ihnen mit Gewalt eintrichtern ließe. Aber Sie haben sich geirrt. Wissen Sie, woran Wilma van Hoer gestorben ist? An einer Überdosis Zombigift. Wir haben bei ihr auspro-biert, ob man dieses Gift auch injizieren kann. Man kann es, Warren, Sie werden es erleben.“

„Alles ganz gut und schön“, sagte Rolf ganz ruhig. „Ich möchte nur gern wissen, wie Sie unser Verschwinden in Nusa glaubhaft erklären wollen, Breek. Wird ein bißchen schwerfal-len, wie ich die Dinge sehe.“

„Habe ich nicht gesagt, daß Sie sich für furchtbar schlau hal-ten“, grinste Breek. „Der Bootsunfall, die Haie. Verstehen Sie, Mr. Torring? Nicht ich war in dem Boot, Sie waren drin! Ich habe unterwegs auf Sie gewartet, und Sie fanden das schnelle Boot so interessant, daß Sie es auch einmal fahren wollten. Si-cher, es wird eine Untersuchung geben, aber die Untersuchung bringt nichts zutage. Wir werden ein paar Monate vorsichtig sein müssen, es wird viel Gerede geben in Nusa. Das hindert mich aber nicht an der Ausführung meiner Pläne. Das Gerede wird verstummen, wenn ich es will, Mr. Torring. Es wird ver-stummen, wenn die Menschen dort meinem Willen gehorchen müssen, wie Sie und die anderen hier.“ Er wandte sich an die Zombis: „Bringt sie zum Haupthaus!“

Und mit unwiderstehlicher, mechanischer Gewalt, aus-druckslos, begannen die „Lebenden Toten“ uns zum Haupthaus zurückzuschleppen.

Dondura stand auf der Terrasse und schaute uns entgegen wie ein Herrscher einem Triumphzug.

„Ihm verdanken Sie das“, erklärte Dr. Breek spöttisch. „Wis-sen Sie, ich habe den Woodoo-Zauber auch zuerst für Unsinn gehalten, wie alle Europäer. Aber als ich Dondura kennenlernte, hat das aufgehört. Er hat Sie vom ersten Moment an durchschaut.

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Er wußte, daß Sie weiter nichts wollten, als hier spionieren und mir nachforschen. Vor ihm kann man nichts verbergen.“

„Hauptsache, daß Sie sich nicht irren“, erklärte Rolf ruhig und blinzelte mir einen Augenblick zu. Rolf wollte mir Mut machen, auf das Salz zu vertrauen, das langsam begann, mir die Eingeweide zu verbrennen vor quälendem Durst. Ich konnte jetzt ein bißchen Mut ganz gut vertragen, denn Dr. Breek ver-schwand im Haus und kam gleich darauf mit einer großen In-jektionsspritze zurück.

„Sehen Sie? Das ist alles“, sagte er. „Und es ist herrlich, Zombis zu haben, meine Herren. Ich brauche Sie nicht einmal zu fesseln. Ich lasse Sie einfach festhalten, bis das Zombigift wirkt. Nein, Sie brauchen keine Angst zu haben, das wirkt lang-sam. Es dauert seine Zeit. Nach einer Stunde können Sie sich schon nicht mehr rühren, nach einer weiteren Stunde sehen Sie alles verschleiert, und nach insgesamt drei oder vier Stunden wissen Sie überhaupt nicht mehr, was Sie sehen. Es muß ganz angenehm sein, nicht wahr? Zu leben, keine Sorgen zu kennen, keine Schmerzen, nichts. Sie werden es erleben.“

Seine Augen hatten einen irren Glanz, und es gab jetzt wohl nicht viel Zweifel mehr daran, daß dieser Breek nicht nur ein mit allen Mitteln dem Erfolg nachjagender Abenteurer war, sondern wirklich ein Wahnsinniger.

Ich spürte den schmerzhaften Einstich der Nadel in meinem Arm und bäumte mich instinktiv auf, aber eisern hielten die Hände der „Lebenden Toten“ fest.

„Ganz ruhig“, erklärte Dr. Breek spöttisch. „Bald sind Sie so ruhig, wie es nicht einmal Hindu-Priester der höchsten Brahma-nenstufe sind. Sie leben einfach im Nirwana.“

Als er mit mir fertig war, bekam Rolf die zweite Hälfte der Spritze, und ich sah deutlich, daß auch er Schweiß auf der Stirn hatte. Wie, wenn das Salz nicht wirkte? Fast war es ein zu ein-faches, zu profanes Mittel, um zu wirken.

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Breek und Dondura setzten sich behaglich auf die Terrassen-stühle und schienen interessiert unsere Reaktionen zu verfolgen.

„Wie gesagt“, erklärte Breek übertrieben höflich. „Sie haben noch eine ganze Stunde Zeit, Abschied von jener Art des Le-bens zu nehmen, die Sie gewöhnt sind. Nach einer Stunde wer-de ich die Zombis zurück an ihre Arbeit schicken, dann sind Sie soweit gelähmt, daß Sie ungefährlich sind. Vielleicht können Sie sich noch ein bißchen rühren, aber um von dem Platz dort bis hier zu den Stühlen zu kommen, würden Sie Ewigkeiten brauchen. Sind Sie noch an irgend etwas interessiert? Sie sind doch weitgereiste Männer, die alles Neue interessiert. Vielleicht kann ich Ihnen noch etwas auf den Weg mitgeben, als letzten Eindruck einer Welt, an der Sie einmal bewußt teilnahmen. Es soll mir ein Vergnügen sein.“

„Was wollen Sie eigentlich damit erreichen?“ fragte Rolf. „Was will ich erreichen?“ antwortete Breek spöttisch.

„Macht, Mr. Torring. Viel Macht! Wer hier Macht hat, hat al-les. Und ich habe mit Donduras Hilfe Macht über die Men-schen, die größte Macht, die es geben kann. Kennen Sie das Gefühl der Macht? Sicher nicht. Und nun werden Sie es auch nicht mehr kennenlernen können. Überhaupt kein Gefühl. Sie tun mir leid, wirklich leid.“

„Meinen Sie, daß Ihr getarnter Bootsunfall einer wirklichen Untersuchung standhält, Sie Narr?“ fragte ich ärgerlich.

„Ach! Sie haben das auch herausgefunden? Sieh an, sieh an! Dann war es ja höchste Zeit, daß ich Sie aus dem Weg geräumt habe. Allerhöchste Zeit. Vielleicht wären Sie sonst noch auf den Gedanken gekommen, den edlen Retter zu spielen, Ellen van Huismeer aus meinem Sommerhaus zu holen, wo sie darauf wartet, Ihre Schicksalsgefährtin zu werden.“

„Tobias und eine ganze Reihe von Leuten in Nusa sind schon mißtrauisch“, sagte ich. „Mißtrauisch nach einem einzigen Bootsunfall, Mr. Breek. Meinen Sie, daß man dort den zweiten

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Unfall hinnehmen wird, ohne etwas zu tun? Ihnen einfach glau-ben wird?“

„Was will man denn machen?“ war die spöttische Gegenfra-ge. „Da sind die Fischer, die von einem explodierenden Boot berichten werden. Da sind Bootstrümmer, Haie und Menschen.“

„Und da ist das Boot, dem gar nichts geschehen ist“, erklärte Rolf ruhig. „Da ist die Tatsache, daß die Bootstrümmer schon Monate alt sind und die kleine, belastende Tatsache, daß es der zweite Unfall derselben Art innerhalb von drei Monaten ist. Vielleicht sind Sie ein Scharlatan, Dr. Breek, aber in solchen Dingen sind Sie ein Narr.“

„Warten wir es ab“, erklärte Breek, „warten wir es doch ab. Schade, daß Sie es nicht erleben können, nicht wahr? Sehr schade. Vielleicht rufe ich Sie aus Ihrem Zombidasein noch einmal zurück, Mr. Torring, wenn alles vorüber ist. Nur, um Ihnen zu erzählen, daß alles vorüber ist.“

„Besser, um mich als Zuschauer bei Ihrer Hinrichtung dabei-zuhaben, Dr. Breek. Was halten Sie davon?“

„Große Worte“, knurrte Breek ärgerlich, aber irgendwie be-hagte es ihm doch nicht. „Warten Sie noch ein paar Stunden, Mr. Torring, dann finden Sie keine Worte mehr.“

Ich wartete auf die Wirkung der Spritze, ungewiß, ob unsere primitive Schutzmaßnahme, mehr sein würde als eine Farce. Ein wenig ängstlich trotz allem. Wir hatten oft genug auf unse-ren Streifzügen und Abenteuern beweisen müssen, daß wir nicht gerade davor zitterten, wenn es einmal gefährlich wurde. Aber das hier war etwas anderes. Bewegungslos daliegen und nichts tun können, als abzuwarten, ob ein unbekanntes Gift wirkt oder nicht wirkt, das ist mehr als eine Frage des Mutes! Das kann zu einer höllischen Belastung von Willen und Nerven werden.

Und genau das war es! Plötzlich setzten Schmerzen ein, so heftig, daß ich zusam-

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menschrak. Rasende, krampfartige Schmerzen zuckten durch die Muskeln, begleitet von wilden, flackernden Kopfschmerzen, die auf den ganzen Körper ausstrahlten. Ich sah nichts mehr, ich hatte große, rote Ringe vor den Augen, und in den Ohren rauschte es, als hätte sich die ganze Dünung des Indischen Oze-ans dort versammelt. Ich spürte, wie mein Körper patschnaß wurde vor Schweiß und fragte mich, wie lange ich diese irrsin-nigen Schmerzen aushalten könnte, ohne schreiend aufzusprin-gen und umherzurasen.

Und dann war es ebenso plötzlich vorbei, wie es angefangen hatte. Ich fühlte mich zerschlagen, völlig hohl, nur der bren-nende Durst schien sich verdoppelt zu haben.

Als ich mühsam wieder die Augen öffnete, starrte ich in Dr. Breeks Gesicht, der sich über mich beugte und mich aufmerk-sam betrachtete.

„Es wird, Dondura“, sagte er ruhig in Französisch. „Wir ha-ben es geschafft. Auch Weiße erliegen dem großen Zauber des Woodoo!“

„Ich wußte es“, antwortete Dondura heiser. „Wir haben ge-wonnen, wir werden sie alle beherrschen, alle. Sie werden uns dienen, als willenlose Sklaven.“

Er zögerte einen Moment, dann zeigte er auf uns. „Gib mir diese beiden da! Gib sie mir!“ „Warum?“ „Ich habe sie gehaßt, gehaßt vom ersten Blick an. Sie waren

eine Gefahr für uns. Sie ahnten gleich, daß wir ein Geheimnis haben. Schon dafür habe ich sie gehaßt. Nun sind sie seelenlose Zombis, Werkzeuge unseres Willens wie die anderen. Ich will sie um mich haben, immer. Sie sollen mich an die Macht des Woodoo erinnern.“

„Mach mit Ihnen, was du willst“, nickte Dr. Breek. „Achte in den nächsten Stunden noch auf sie, bis wir ganz sicher sein können. Und dann schicke die anderen zurück an die Arbeit. Ich

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gehe inzwischen zu dem Mädchen. In ein paar Stunden kann sie den Kerlen hier Gesellschaft leisten. Und die werden es nicht einmal merken.“

Er grinste höhnisch, dann ging er über die Lichtung mit den Feldern davon.

Er durfte sein Ziel nicht erreichen, er durfte nicht! Das Mäd-chen war ihm wehrlos ausgeliefert, sie schützte kein Kochsalz vor dem teuflischen Zombigift wie uns!

Aber wir mußten vorsichtig sein, unendlich vorsichtig. Don-dura hockte da und betrachtete uns, wandte auch keinen Blick von uns, als die Zombis, die uns bisher gehalten hatten, auf ei-nen Befehl seiner Gedanken hin, die Veranda verließen und Dr. Breek folgten. Ich versuchte unauffällig meine Finger zu bewe-gen: Es ging! Das Gift hatte keine Lähmung hinterlassen!

Aber wenn wir uns auf Dondura stürzen wollten, so mußten wir sicher sein, daß uns unsere Muskeln gehorchten wie eh und je. Denn wenn dieser teuflische Woodoo-Zauberer auch nur Zeit genug hatte, seine Zombis von den Feldern zurückzurufen, dann waren wir verloren. Und diesmal dann wirklich. Würde es genügen, würde es ausreichen, ihn zu überwältigen, ehe er noch größeres Unheil anrichtete?

Unmerklich spannte ich meine Muskeln an, bereit, aufzu-springen und mich auf Dondura zu stürzen, denn ich wußte auch ohne Seitenblick auf Rolf, daß der genau dieselben Über-legungen hatte wie ich. Wir kannten uns gut genug, um uns in solchen Dingen nicht zu irren.

Und ich hatte mich nicht geirrt! „Los!“ brüllte Rolf plötzlich, und ich warf mich hoch,

stemmte mich auf Hände und Knie, sprang auf. Wie unendlich mühsam das war, wie grenzenlos schwer, diese schlaffen, lah-men Muskeln in Bewegung zu setzen. Ich sah Donduras Er-schrecken, sah seine stechenden Augen riesengroß vor mir und wußte, daß ich zu spät kommen würde. Mein Körper gehorchte

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mir nochlange nicht wieder so, wie es sein müßte. Das Gift hat-te doch Nachwirkungen.

Rolf ging es ebenso. Mühsam kam er auf die Beine, und schon öffnete Dondura den Mund zum Schrei. Wir würden ihn nicht rechtzeitig erreichen, auf keinen Fall. Ellen van Hiusmeer war verloren, wir waren verloren.

Aber plötzlich wuchs hinter Dondura ein riesiger, schwarzer Schatten empor. Ich sah zornsprühende braune Augen, ge-fletschte weiße Zähne und riesige Hände, die sich nach dem Woodoo-Zauberer ausstreckten. Pongo!

Wie Klammern legten sich seine Hände um den Hals des Zauberers, fast mühelos hob der schwarze Riese den Haitianer empor, schmetterte ihn vor sich auf den Verandaboden, daß das ganze Haus dröhnte! Dondura versuchte sich aufzubäumen, aber kraftlos sank er zurück, als Pongos mächtige Faust ihn vor die Brust stieß. Er mochte ein Zauberer sein, nach seiner Mei-nung der größte, den es gab, doch den Kräften unseres schwar-zen Begleiters war sein ganzer Zauber nicht gewachsen.

Aber immerhin, Dondura hatte noch nicht aufgegeben! Als ich aufblickte, noch immer unsicher auf den Füßen, und zur Plantage hinüberschaute, sah ich sie gelaufen kommen. Ein Dutzend braunhäutige Männer mit starren Gesichtern und Au-gen, die nichts sahen, Körpern, die nichts fühlten.

„Da!“ rief ich Rolf zu, und ich sah, wie er sich bückte, den Stiefelschaft aufzerrte, um die 22er Pistole herauszunehmen. Sie hatte sechs Schuß und dort kamen zwölf Zombis!

Aber Rolf hob die Waffe gar nicht gegen diese willenlosen Werkzeuge des Teufels da vor uns. Er richtete die Waffe auf Dondura.

„Schick’ sie zurück!“ befahl er heiser. „Schick’ sie sofort zu-rück!“

„Sie werden euch zerreißen“, keuchte Dondura unter Pongos Griff.

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„Ich habe gesagt, du sollst sie zurückschicken!“ verlangte Rolf, und selten hatte ich einen solchen Zorn in seiner Stimme gehört.

„Sieh zu, wie du mit ihnen fertig wirst!“ knirschte Dondura. Da krümmte sich Rolfs Zeigefinger am Abzug, und wie ein

hoher dünner Peitschenknall stand das Geräusch des Schusses in der Luft.

Dondura zuckte zusammen, als das kleine Bleigeschoß sich unmittelbar neben seinem Kopf klatschend in die Bodenbretter der Veranda bohrte.

„Schick’ sie zurück!“ verlangte Rolf noch einmal. „Der nächste Schuß trifft dich mitten zwischen die Augen, du Scheu-sal.“

Es war höchste Zeit, der vorderste der Zombis setzte bereits seine nackten Füße auf die Stufen der Veranda. Rolf hob wieder die Waffe, diesmal zeigte der Lauf auf das Gesicht Donduras. Würde er es riskieren, der Woodoo-Zauberer?

Der vorderste Zombi erreichte inzwischen das Ende der Treppe, ich drehte mich mühsam herum, bereit, mich ihm ent-gegenzuwerfen, so sinnlos es auch immer sein mochte. Da blieb er plötzlich stehen wie eine Maschine, der man abrupt den Strom abschaltet. Kraftlos sanken seine Arme herab, die schon erhoben waren, nach mir zu greifen. Und wie dieser vorderste, so blieben auch die anderen stehen, drehten sich dann langsam um und gingen mit ihren mechanischen, leblosen Schritten zu-rück auf die Plantage.

Dondura hatte die schlechteren Nerven gehabt! Und da half ihm auch kein grauenhafter Woodoo-Zauber.

Rolf starrte auf den Haitianer. „Das war deine Rettung“, sagte er langsam. „Das verlängert

dein Leben um ein paar Tage. Solange, bis sie dich an den Gal-gen hängen, du Mörder.“

Dondura fletschte in ohnmächtigem Zorn die Zähne, aber er

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bekam seine Blicke von der Mündung der kleinen Pistole nicht weg, durch die ihm eben der Tod schon zugewinkt hatte. Rolf beugte sich vor, ich sah eine schnelle Handbewegung und hörte das dumpfe Geräusch, mit dem die Pistole Dondura auf den Schädel traf.

„Fessele ihn gut, Pongo!“ verlangte Rolf dann. „Wir haben keine Zeit zu verlieren, ich mußte den Kerl unschädlich ma-chen, sonst hetzt er wieder seine ‚Lebenden Toten’ auf uns, ehe wir drei Schritte von ihm weg sind. Als Bewußtloser wird er ja keine Macht über seine Zombis haben.“ Er wandte sich an mich: „Lauf noch einmal in die Küche, Hans, hole das Salz. Vielleicht brauchen wir es für Ellen van Huismeer, wenn wir doch zu spät kommen sollten.“

Ich stolperte los zur Küche, zuerst unsicher und schwankend, dann spürte ich, wie ich langsam die Kontrolle über meinen Körper zurückgewann. Die Bewegungen wurden sicherer, die Schritte kräftiger. Die Giftwirkung ließ nach, das Kochsalz er-wies sich als stärker!

Ich nahm den verschlossenen Salzkasten, dem wir eigentlich unsere Rettung verdankten, und lief zurück.

Auf der Veranda fesselte Pongo den bewußtlosen Dondura. Rolf kauerte neben ihm und half ihm dabei. Ich öffnete inzwi-schen das Schloß des Salzkastens, es machte nicht mehr Schwierigkeiten als in der Nacht.

Plötzlich fuhren wir zusammen. Ein dünner, schriller Schrei wehte über die Lichtung.

Der Entsetzensschrei einer Frau. Ellen van Huismeer! So schoß es mir durch den Kopf! Breek ist bei ihr, will sie

mit diesem Teufelszeug vergiften, wie vorher Wilma van Hoer. Als ich es noch dachte, stolperte ich schon los. Wir mußten hel-fen, so schnell wir konnten. Hoffentlich kamen wir nicht zu spät.

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Rolf lief keuchend neben mir. Die Adern auf seiner Stirn wa-ren geschwollen, die Augen quollen aus ihren Höhlen, er bot ein Bild äußerster, verzweifelter Anstrengung. Offensichtlich ging es ihm um keinen Deut besser als mir. Nur Pongo fegte mit langen, schnellen Schritten dahin und war uns bald weit voraus.

Wieder der schrille Angstschrei des Mädchens. Wir rasten weiter, mitten zwischen den Zombis hindurch, die

wesenlos an uns vorbeistarrten und sich gar nicht um uns küm-merten.

Gespenstisch! Gleich hinter der kleinen sauberen Plantagenanlage begann

der Urwald, aber er war so schmal, daß ihm nur die Rolle einer Kulisse zukam, einer Kulisse, die einen kleinen Bungalow, der im gleichen Stil gebaut war wie das Haupthaus, gegen Sicht abschirmte.

Und aus diesem Bungalow hörten wir zum dritten Male den Aufschrei.

Pongo, der die Lichtung zuerst erreichte, brüllte etwas! Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich eine Bewegung hin-

ter einem der Bungalowfenster, dann blitzte es auf. Ein trocke-ner, harter Knall traf meine Ohren wie ein Faustschlag, und dicht neben mir fegte bösartig jaulend eine Kugel vorbei!

Breek hatte uns entdeckt, er erwartete uns. Diesmal nicht mit List und Zombigift, diesmal mit dem Gewehr in der Faust! Rolf riß sofort die leichte Pistole hoch und gab zwei Schüsse auf das Fenster ab, aber die kleinen Kugeln klatschten wirkungslos ge-gen das Holz des Bungalows. Die Antwort war wieder ein Schuß aus dem Fenster, und das schwere Geschoß bohrte sich klatschend in die Rinde einer Palme, unmittelbar neben Rolf.

Auf diese Weise würde Breek uns abschießen wie auf einem Schießstand, und wir hatten nicht die geringste Möglichkeit, an ihn heranzukommen.

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„Schnell!“ keuchte Rolf. „Du bleibst hier und beschäftigst ihn, Pongo und ich, versuchen es von der anderen Seite.“

Unser schwarzer Begleiter brauchte keine Aufforderung, im selben Moment wie Rolf war er im dichten Unterholz ver-schwunden, und schon machten die beiden sich auf den Weg.

Ich sprang von dem deckenden Baum, hinter den ich mich gekauert hatte, hinter einen anderen Baum, um Breeks Auf-merksamkeit auf mich zu ziehen, und sofort fiel wieder ein Schuß. Die Kugel lag beängstigend nahe! Hoffentlich erwischte er mich nicht, ehe Rolf und Pongo die Rückseite des Bunga-lows erreichten. Dann war alles verloren. Ich zwang mich, ruhig hinter dem Baum zu bleiben und bis hundert zu zählen, dann wechselte ich wieder die Stellung, aber diesmal blieb der Schuß aus! Ich zählte nur bis fünfzig, sprang dann hinter den Baum, hinter dem ich zuerst gekauert hatte, zurück, und wieder gab es keinen Schuß!

Breek mußte unsere List durchschaut haben. Das bedeutete aber, daß er jetzt auf Rolf und Pongo lauerte, und bei ihrem Versuch, die Rückseite des Bungalows zu stürmen, würden sie ihm haargenau vor die Waffe laufen. Das durfte nicht sein!

Ich holte ein paarmal tief Luft, um mich zu beruhigen und die jagenden Pulse auf normale Gangart herabzudrücken, dann raste ich los, gewärtig, Schuß, Knall und Pulverblitz mitten ins Gesicht zu bekommen.

Ein Satz, zwei, drei, vier. Nichts geschah, ruhig lag der Bungalow da. Im nächsten

Moment war ich mit einem einzigen Satz auf einknickenden Knien die Treppenstufen hinauf und warf mich gegen die Tür. Sie gab dem Ansturm sofort nach und im nächsten Moment stürzte ich in das dämmrige Innere des Bungalows.

Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich zusammengekauert ein Mädchen mit in den Händen verborgenem Gesicht in einer Ecke hocken, sah einen Tisch mit ein paar Ampullen und einer

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Injektionsspritze darauf und stieß ihn im Vorbeilaufen um. An der jenseitigen Wand des Bungalows, neben einem kleinen Fenster, stand Breek, ein Repetiergewehr an der Schulter, dessen Lauf nach draußen zeigte, und im selben Moment, als ich vor-wärtsstürmte, peitschte ein Schuß. In dem kleinen Raum drohte der Knall mir fast die Trommelfelle zu zersprengen, aber im nächsten Moment riß Breek den Gewehrlauf zurück, warf sich herum und hob die Waffe. Diesmal würde ich das Ziel sein, und auf die kurze Entfernung konnte er kaum vorbeischießen!

Ich warf mich vorwärts, und in dieser höchsten Not mußte irgendwie die lähmende Müdigkeit meiner Muskeln verschwun-den sein. Ich weiß nicht wie, aber ich erreichte Breek, ehe er das Gewehr an der Schulter hatte, meine Hand stieß den Lauf beiseite, und im nächsten Moment traf meine Faust den Schur-ken schmetternd ins Gesicht. Breek schrie auf und taumelte zu-rück. Ich wollte nachsetzen und ihm mit ein paar verzweifelten Schlägen den Rest geben, aber dieses verdammte Gift! Noch immer war ich zu langsam. Fluchend ließ Breek die nutzlos gewordene Waffe fallen und warf sich mir entgegen. Ich spürte seine Schläge kaum, aber ich spürte, wie sich seine Hände gleich Klammern um meinen Hals legten, als er mich im wilden Anprall umriß und mit mir zu Boden stürzte. Ich machte ver-zweifelte Anstrengungen, um seine würgenden Finger von mei-nem Hals zu lösen, aber schon begannen wilde Urwaldtrom-meln in meinen Schläfen zu hämmern, und rote Ringe tanzten vor meinen Augen. Aus, dachte ich, aus und verspielt! Einmal mußte es ja so kommen.

Plötzlich erschlafften Breeks Hände um meinen Hals, ich sah sein Gesicht auf mich zukommen, ein wahnsinniges, verzerrtes Gesicht mit überweit aufgerissenen, flackernden Augen.

Und dann hörte ich den dünnen Peitschenknall von Rolfs kleiner Pistole. Einmal, zweimal. Haltlos fiel Breek nach vorn, fiel auf mich und rollte seitlich weg auf den hölzernen Boden.

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Ich blieb ein paar Sekunden keuchend liegen, jeder Atemzug war eine neue Qual, aber jedes Quentchen Luft in den gemarter-ten Lungen eine Erlösung!

Mühsam richtete ich mich auf, und dann sah ich Breek neben mir liegen. Seine Augen waren noch immer aufgerissen, aber sie sahen mich nicht mehr an, sie starrten blicklos ins Leere. Noch blickloser als die Augen seiner „Lebenden Toten“. Auf dem Rücken hatte er zwei kleine Löcher, um die sich rote Fle-cken bildeten, die langsam größer wurden. Rolf hatte in letzter Sekunde geschossen, und es war Breeks letzte Sekunde gewor-den …

Die letzte Sekunde eines fanatischen Mörders, die letzte Se-kunde eines Wahnsinnigen!

Hastig kamen Rolf und Pongo in den Bungalow. „Wie geht es dir?“ fragte Rolf besorgt. Ich massierte meinen schmerzenden Hals. „Danke“, grinste ich etwas schief, „es geht so. Einen Mo-

ment später, und es ginge nicht mehr. Dann hättest du mich nicht als ‚Lebenden Toten’, sondern als einen kompletten Toten vorgefunden.“

Ich rappelte mich hoch, und das ging besser, als ich gedacht hatte.

Ellen van Huismeer war unsere nächste Sorge. Das Mädchen hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden eine Hölle erlebt. Eine furchtbare Hölle mit allen Schrecken des Infernos. Wir mußten sie stützen, als wir langsam den Weg zum Haupthaus zurückgingen. Kein Wunder!

Langsam? So hatten wir es uns vielleicht gedacht! Wir hatten gerade die Lichtung verlassen, als ein Schrei aufgellte, der uns das Blut in den Adern gerinnen ließ. Ein wimmernder, gellen-der Schrei!

Wir starrten uns einen Moment an, ich spürte, wie das Mäd-chen zitterte, das sich auf unsere Arme stützte. Dann beschleu-

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nigten wir unsere Schritte und erreichten schon im nächsten Moment die Plantage.

Da gab es jetzt keine Zombis mehr, keine „Lebenden Toten“, die mechanisch arbeiteten, mit starren unbeweglichen Gesich-tern und eckigen Bewegungen!

Wir stolperten durch die Gummistecklinge hindurch, und dann sahen wir es: Es war grauenhaft, grauenhafter noch als alles, was wir bisher bei Breek erlebt hatten, viel grauenhaf-ter!

Die Zombis waren auf der Veranda. Aber sie hatten keine starren, toten Gesichter mehr! Sie hatten Gesichter, die von irr-sinnigem Haß verzerrt waren. Sie gehorchten diesem Haß, wie vorher den Befehlen der beiden Teufel, von denen sie be-herrscht wurden.

„Das Salz!“ schrie Rolf. Wir waren vorhin losgerast, als wir Ellen van Huismeers

Schreie hörten, und hatten an nichts weiter gedacht als daran, dem Mädchen zu helfen, wenn es noch irgend möglich war. Und auf dem Tisch war die Salzkiste stehengeblieben, deren Schloß ich schon geöffnet hatte! Der Rest war einfach zu re-konstruieren.

Dondura war aus seiner Betäubung erwacht und hatte sofort die Zombis gerufen, um sich befreien zu lassen. Sie waren ge-kommen, Willenlose unter einem fremden Willen. Mit mecha-nischen und eckigen Bewegungen und starren ausdruckslosen Gesichtern, durch die Pflanzung, über die Stufen, hinauf auf die Veranda. Dondura würde triumphiert haben in dieser Sekunde. Er war wieder einmal entwischt, der gerissene Woodoo-Zauberer aus Haiti.

Aber da stand das Salz! Das Salz, das kein Zombi haben durfte! Donduras Schrei

gellte noch in unseren Ohren, der irre Angstschrei, den er aus-stieß, als er merkte, was da geschah. Die Zombis mußten sich

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über das Salz hergemacht haben wie Dürstende über eine spru-delnde Quelle!

Und dann waren sie keine Zombis mehr, keine willenlosen Werkzeuge eines teuflischen Gehirns!

Wir kamen zu spät, um Dondura noch zu retten vor dem Haß seiner Opfer, viel zu spät. Niemand konnte ihm mehr helfen, niemand. Sie schlugen ihn tot, und sie schlugen noch auf ihn ein, als er schon längst tot war.

Wir wandten uns ab. Dondura und Breek hatten anderen die Hölle bereitet, und nun hatte die Hölle sie selbst geholt. Ihre eigene Hölle …

– Ende –

„Um Pongos Leben …“ geht es im nächsten Band, der in zwei Wochen erscheint. Es ist wieder ein echter Torring: Knisternd vor Spannung, packend von der ersten bis zur letzten Zeile!

Sie sollten ihn nicht versäumen, den Band 232:

„Um Pongos Leben“

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Fortsetzung von der 2. Umschlagseite Scharf zu trennen von der westlichen Bevölkerung Lomboks sind die Bewohner des Ostens der Insel. Es sind eingeborene Malaien, die mit den Balinesen nichts zu tun haben wollen, wenn sie von ihnen auch den Bewässerungsreisbau lernten, so daß heute der Osten Lomboks nicht weniger Überschuß, der ausgeführt werden kann, liefert als der Westen.

Bei den Balinesen überwachen und betreuen die „Subaks“ die Bewässerungsanlagen. Sie bilden eine Kaste für sich. Ihre Macht und ihr Einfluß beruhen auf der Tatsache daß der Reis das wichtigste Nahrungsmittel ist. Ohne Reis müßte die Bevöl-kerung verhungern. Die Reisfelder sind – wie in anderen Gebie-ten Asiens auch – meist terrassenförmig angelegt. Um sie zu bewässern, wird das natürliche und das künstlich geschaffene Gefälle ausgenutzt. Das Wasser wird jedoch in vielen kleinen Sammelbecken gestaut und nur dann den Feldern zugeführt, wenn sie Wasser brauchen. Wenn nicht genug Wasser vorhan-den ist, muß es aus zahlreichen Brunnen hochgepumpt werden.

Bei den Malaien im Osten der Insel behüten die Dorfältesten, die ein absolutes Regiment über die Mitglieder ihrer Gemeinde führen, die Bewässerungsanlagen. In größerem Umfange als im Westen ist im Ostteil Lomboks auch der Anbau von Mais und Tabak verbreitet. Der Tabak stellt weitgehend Ausfuhrgut dar. Chinesische Händler holen die zu Ballen gepreßten Blätter ab. Mit ihren Küstenfahrzeugen laufen sie zahlreiche Stellen der Inseln an, da die Straßen auf der Insel meist nur dem örtlichen Verkehr dienen. Ausgebaute Häfen sind nicht nötig, da Stürme zu den Seltenheiten gehören. Kleine und größere Buchten ver-richten den gleichen Zweck wie angelegte Häfen.

Warenaustausch innerhalb der Insel findet zwischen Baline-sen und Malaien kaum statt. Was die einzelne Dorfgemein-schaft nicht für sich selbst verbraucht, wird für die in regelmä-

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ßigen Abständen die ganze Insel bereisenden Händler bereitge-stellt. Zur Aufbewahrung des Ausfuhrgutes dienen Lagerhäuser, über die jedes Dorf verfügt. Sie gehören der Gemeinde und sind nicht Besitz eines einzelnen oder einer Familie.

Mais wird kaum ausgeführt. Er dient, soweit er nicht als Nahrung für die Menschen Verwendung findet, als Viehfutter. Balinesen wie Malaien betreiben eine intensive Viehzucht. Die Rinder, und besonders die Pferde von Lombok wie von Bali genießen im weiten Umkreise der Inseln bis nach den indo-nesischen Hauptinseln Borneo und Sumatra und bis nach Neu-Guineas Küstenstrichen einen guten Ruf. Sie stellen, wie Reis und Tabak, wichtige und wertvolle Ausfuhrgüter dar.

Bei so viel Fleiß der Bevölkerung und bei so intensiv betrie-bener Frucht- und Viehwirtschaft sollte man eigentlich anneh-men, daß die Bewohner allmählich reich geworden wären, zu-mal Rückschläge durch klimatische Einflüsse und vulkanische Ausbrüche kaum vorkommen. Die Bevölkerung ist jedoch heu-te noch genau so arm wie vor hundert Jahren. Geld steht weder bei den Balinesen Lomboks noch bei den Malaien der Insel hoch im Kurs. Ihr Sinn ist nicht auf das Verdienen gerichtet. Die Menschen der Insel führen ein friedliches Leben, sind be-scheiden und genügsam und halten im übrigen die zahlreichen kultischen Bräuche und Riten hoch in Ehren.

In diesem Sinne führen sie, begünstigt durch die Natur der Insel, ein „paradiesisches Leben“, und da sie sich bewußt fern-halten von zivilisatorischen Einflüssen durch die weiße Rasse, werden sie sich voraussichtlich noch lange ihres jetzigen Le-bensstils erfreuen.

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