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„Leben ohne Dich” · 5 Unsere Selbsthilfegruppen „Leben ohne Dich“ 2016 SHG „Leben ohne...

Date post: 07-Aug-2019
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Selbsthilfe für Familien mit verstorbenen Kindern „Leben ohne Dich”
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Selbsthilfe fürFamilien mit

verstorbenen Kindern

„Leben ohne Dich”

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Inhalt/Impressum

Herausgeber:Leben ohne Dich e. V.Prinzeß-Luise-Str. 4145479 MülheimTelefon 02 08/42 88 09Telefax 0 32 22/9 81 64 28www.leben-ohne-dich.deE-Mail: [email protected]

Erscheinungstermin:Ausgabe: März 2019

Auflage:28.500 (1. bis 14. Ausgabe)

Verlag:gfmk KGVerlagsgesellschaftGezelinallee 3751375 LeverkusenTelefon 02 14/3 10 57-0Telefax 02 14/3 10 57-19www.gfmk.de

Gesamtherstellung:Blömeke Druck SRS GmbHResser Straße 59 · 44653 HerneTelefon 0 23 25/92 97-0Telefax 0 23 25/92 [email protected]

Fotos und Texte:Coverfoto: Copyright David Rubinger †

Für die berührenden Texte und Fotos dan-ken wir allen beteiligten Eltern undGeschwistern.

Alle Rechte vorbehalten.

Gewidmet Yannis und allen anderen Sternenkindern, die keine Chance hatten zu leben, zu lieben und einfach da zu sein!

Leben ohne Dich ist ein eingetragenes Wa-renzeichen von Dr. Bodo Fritsche.

2019 „Leben ohne Dich“

Impressum

AllgemeinesEditorial ………………………………………………………………………………................ 3

Grußwort …………………………………………………………………………...............… 4

Adressen Selbsthilfegruppen …………………………………................ 5

An betroffene Eltern: Mein Kind ist tot …....…………………… 6

Anliegen und Ziele unserer Arbeit …......…………………………… 8

Warum diese Broschüre? ……………..........………………………………… 9

Notfall-Adressen …………………………........…………………………………… 9

Treffen der lokalen Gruppen ……………......…………………………… 10

Kennenlern-Treffen ……………………………….........………………………… 11

„Leben ohne Dich” im Internet …………….......…………………… 12

Trauer um ein verstorbenes KindSchicksale betroffener Eltern ………....………………………………… 14

Schicksale betroffener Geschwister .....…………………………… 27

Texte und Gedichte zur Trauer ………..………… 32

Fehlende HilfsangeboteSoforthilfe in den ersten Tagen nach

dem Tod des Kindes ..................................................…………………… 36

Informations-Netzwerk für Betroffene ………………….……… 36

Psychotherapeutisches Netzwerk für Notfälle ….....…… 36

HilfsangeboteVeranstalter von Trauerseminaren ….....…...…………….……… 37

Literaturempfehlungen …....…....……......………….….… 38

Der Verein Leben ohne Dich e. V. …….......…... 39Mitgliedschaft/Spende .................. ……………………….................... 39

„Leben ohne Dich“

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„Leben ohne Dich“ 2019 3

Editorial

von der Resonanz und dem offensicht-lich großen Bedarf für ein solches Ange-bot überwältigt.

Heute ist „Leben ohne Dich” einbundesweit tätiger Verein für verwaisteEltern und Geschwister mit Selbsthilfe-gruppen in vielen Regionen.

Ich schreibe das alles, um betroffeneEltern zu ermutigen, sich selber zu hel-fen: durch Kontakte zu anderen Betrof-fenen, die unsere Trauer und unserenSchmerz verstehen. Diese Broschüre sollInformation sein über unser Angebot,für selber Betroffene, aber auch für alleim Umfeld tätigen Personen und Insti-tutionen, um Hinweise auf unsere Selbst-hilfegruppen und unser Internet-Forumgeben zu können. Möge Ihnen dieseBroschüre Anregung und Hilfe sein.

„Leben ohne Dich?” – „Leben ohneDich!” Martina Haucke-Fritsche

„Leben ohne Dich” – Unser Name ist Programm

Offenbar ist unsere „normale” Ge-sellschaft nicht in der Lage, diese Hilfe-stellung, dieses „Auffangen”, zu geben.Meine Suche nach Gleichbetroffenen imRaum Mülheim/Ruhr oder einer Selbst-hilfegruppe war nicht erfolgreich.Durch Zufall bin ich in Kontakt mit eineranderen trauernden Mutter gekommenund wir entschlossen uns, eineeigene Selbsthilfegruppe zu gründen.So entstand „Leben ohne Dich” imDezember des Jahres 2000.

Über mehrere Monate verbrachtenwir unsere regelmäßigen Treffen nur zuviert: jene andere Mutter, mein Mannund ich und Pastorin Irene Preuß, ehe-malige Beauftragte für Behinderten-arbeit in Mülheim, der ich auf diesemWege herzlich danke, dass sie uns auchin den Momenten einer gewissen Ent-täuschung und Niedergeschlagenheit,weil unsere Arbeit zunächst nicht vonanderen Betroffenen wahrgenommenwurde, immer wieder Mut machte undmit ihrer einfühlsamen Art den erstenWeg in die Trauerarbeit geebnet hat.

Durch Berichte in der lokalen Presseerweiterte sich unsere Gruppe nur lang-sam, daher fassten wir im März 2001den Entschluss, uns im Internet bekanntzu machen: www.leben-ohne-dich.dewurde eröffnet. Schon bald waren wir

Als Yannis im Januar 1998 erkrankteund SSPE (Gehirnentzündung durch

Masernviren) als tödlich verlaufende Krank- heit diagnostiziert wurde, bekam ich vonvielen Seiten große Unterstützung,Hilfe und Anteilnahme. Verwandte,Freunde und vor allem das Kinderhos-piz Balthasar in Olpe gaben mir dieKraft, dieses nahezu unaushaltbareSchicksal durchzustehen: Mein Kindstirbt!

Nach dem Tod von Yannis machte ichdie schmerzliche Erfahrung, dass durchdie Unsicherheit im Umgang mit demThema Trauer und den Trauernden, mitder Tabuisierung von Tod in der Gesell-schaft, sich bald ein Gefühl des Alleinge-lassenwerdens einstellte: Es wurde nichtmehr von Yannis gesprochen.

Um nach einem solchen Verlustüberhaupt weiterleben zu können, umwieder einen gewissen Sinn im Lebenzu finden – selbst wenn das Leben niemehr so sein wird, wie es einst mal war,ist es für eine erfolgreiche Trauerarbeitimmens wichtig, immer wieder überunsere verstorbenen Kinder zu reden,Verständnis für unsere immerwährendeTrauer zu finden und die Erinnerungenwach zu halten.

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Grußwort

2019 „Leben ohne Dich“

Lebenslust und Freude aber auch tiefe Trauer und Schmerz können unser Leben be-stimmen. In einer besonders schweren Situation befinden sich Eltern, die ein Kind

verloren haben. Kompetente Hilfe, die wirklich durchträgt, ist in einer solchen Situa-tion ganz besonders wichtig.

Ich begrüße es daher sehr, dass Eltern, die selber betroffen sind, den Mut und die Energie hatten, in Mülheim an der Ruhr eine Selbsthilfegruppe für verwaiste Elternins Leben zu rufen. Betroffene finden hier Verständnis, Zuwendung und kompetenteHilfe von Menschen, die selber eine solch schmerzliche Situation durchleben. „Lebenohne Dich“ – dieser Name ist für die Mülheimer Selbsthilfegruppe Programm. AusTrostsuchenden wurden Trostspender für andere. Allen, die sich im Rahmen dieserSelbsthilfegruppe engagieren, danke ich sehr herzlich für ihr ver ant wortungsvollesWirken, das vielen Betroffenen in unserer Stadt zugute kommt.

Diese Broschüre bietet allen Interessierten einen umfassenden Überblick über diewichtige Arbeit und die vielfältigen Angebote der Selbsthilfegruppe „Leben ohneDich“. Möge sie mit dazu beitragen, dass Eltern, deren Kinder gestorben sind, gute Hil-fen und die notwendige Unterstützung finden.

Allen Betroffenen wünsche ich für die Zukunft die Kraft und die Zuversicht, aberauch die Zuwendung und den Beistand, die nötig sind, um ihre schwierige Situationaushalten und bewäl tigen zu können.

Dagmar Mühlenfeldehemalige Oberbürgermeisterin von Mülheim an der Ruhr (2003 bis 2015)

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Unsere Selbsthilfegruppen

„Leben ohne Dich“ 2019

SHG „Leben ohne Dich“ – KierspeTermin: Jeden ersten Mittwoch im Monat ·19:30 UhrLutherhaus der Ev. KirchengemeindeFriedrich-Ebert-Str. 362 · 58566 KierspeE-Mail: [email protected]: Susanne Ferlemann · Tel.: 0 23 54/48 17

SHG „Leben ohne Dich“ – PhilippsburgTermin: Jeden ersten Dienstag im Monat ·19 UhrEvangelische Kirchengemeinde,Söternstr. 20 · 76661 PhilippsburgE-Mail: [email protected] Ansprechpartner: Uli Melzer · Tel.: 0 72 56/94 42 40

SHG „Leben ohne Dich“ – RenningenTermin: Jeden ersten Montag im Monat ·19 UhrBegegnungsstätte MalmsheimMerklinger Str. 10 · 71272 Renningen (bei Leonberg)E-Mail: [email protected]: Cornelia Junack · Tel.: 0 71 59/40 15 91

SHG „Leben ohne Dich“ – SaarburgTermin: Jeden ersten Montag im Monat ·20 UhrLebensberatungsstelle SaarburgBrückenstraße 11 - 13 · 54439 Saarburg (bei Trier)E-Mail: [email protected]: Ellen Rothhaar · Tel.: 0 65 81/9 52 70

SHG „Leben ohne Dich” – SalzgitterTermin: Jeden vorletzten Mittwoch im Monat ·18 UhrPfarramt · Museumstr. 9 · 38229 Salzgitter-SalderE-Mail: [email protected]: Petra Gottwald · Tel.: 0 53 41/9 00 93 47

SHG „Leben ohne Dich” – VelbertTermin: Jeden dritten Donnerstag im Monat ·19:30 UhrGruppenraum im Katholischen Pfarrheim „Glocke“Tönisheider Str. 8, 42553 Velbert-NevigesE-Mail: [email protected]: Klaus Böttger · Tel.: 0 20 53 / 58 98

SHG „Leben ohne Dich” – WaldbrölTermin: Jeden dritten Dienstag im Monat ·19 UhrEv. Gemeindezentrum, Wiedenhof 12 b · 51545 WaldbrölE-Mail: [email protected]: Christa Meuter · Tel.: 0 22 62/71 21 70

SHG „Leben ohne Dich” – Mülheim/RuhrTermin: Jeden vierten Donnerstag im Monat · 20 Uhr„Diakonie am Eck” · Selbsthilferaum · Hagdorn 1 · 45486 MülheimE-Mail: [email protected]: Martina Haucke-FritscheTel.: 02 08/42 88 09

SHG „Leben ohne Dich“ – AndernachTermin: Jeden ersten Montag und jeden dritten Mittwochim Monat · 19:30 UhrFamilienbildungsstätte AndernachLudwig-Hillesheim-Str. 3 · 56626 Andernach (bei Koblenz)E-Mail: [email protected]: Martina Ihrlich · Tel.: 0 26 30/44 22

SHG „Leben ohne Dich“ – BautzenTermin: Jeden ersten Montag im Monat ·19 UhrHaus der Diakonie · Karl-Liebknecht-Str. 16 · 02625 BautzenE-Mail: [email protected]: Ursula und Michael Raden · Tel.: 0 35 91/49 13 26

SHG „Leben ohne Dich“ – BerlinTermin: Jeden zweiten Donnerstag im Monat ·19 UhrEv. Gemeinde · Alt-Wittenau 64 / Pavillon · 13437 BerlinE-Mail: [email protected]: Sabina und Christian Stry · Tel.: 0 30/4 11 43 40

SHG „Leben ohne Dich“ – ErknerTermin: Jeden zweiten Donnerstag im Monat ·19:30 UhrGruppenraum der Selbsthilfekontaktstelle Ladestr. 1 · 15537 Erkner (bei Berlin)E-Mail: [email protected]: Rosmarie Knuth · Tel.: 0 33 62/70 02 58

SHG „Leben ohne Dich“ – FrankfurtTermin: Jeden zweiten Mittwoch im Monat ·20 UhrSelbsthilfekontaktstelle e.V. Sonnemannstr. 3 · 60314 Frankfurt am MainE-Mail: [email protected]: Arzu Dogan · Tel.: 0 69/79 58 37 47

SHG „Leben ohne Dich“ – HeßheimTermin: Jeden zweiten Mittwoch im Monat ·19 UhrKath. Pfarrheim · Friedhofstr. 13 · 67258 HeßheimE-Mail: [email protected]: Konny Wingerter · Tel.: 0 63 56/96 24 20

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U ns ist das Grausamste passiert, wasFamilien geschehen kann: Unser

Kind ist tot! Das Weiterleben ist zu einerextremen Herausforderung geworden,ja von Zeit zu Zeit zu einer Überforde-rung unserer Kräfte. Mit unseren Kindernhaben wir unsere Zukunft verloren; es istnicht „normal“, dass Eltern ihre Kinderbegraben – das Liebste hinter sich zu las-sen, was ihnen das Leben geschenkt hat.

Eine immer bohrende Frage türmtsich auf: Warum? Wir zweifeln in unse-rer Trauer an der Gerechtigkeit der Welt.Unsere Basis für unser Vertrauen in dasLeben, in Glauben, ist weggebrochen.Wir zweifeln an uns selbst oder weisenuns Schuld zu.

Wir entwickeln Wut, sind oft wie ge- lähmt, leer, verzweifelt, unsere Seele istzutiefst verletzt. Diesen Schmerz, dieseTrauer kann uns niemand und nichtsnehmen … in Wogen tief heruntergeris-sen in dieses „Loch“. Es ist ungeheueranstrengend, sich daraus langsam wie-der heraus zu arbeiten.

Nicht umsonst spricht man vonTrauer„arbeit“.

Das was wir tun können, ist uns aufden Weg zu machen, einen Weg zu su-chen, Mut zu fassen und anderen Be-

troffenen zu vermitteln – den Mut, dasses ein „Leben ohne Dich“ gibt, soschwer dieser Weg auch ist.

In der Gemeinschaft mit gleichfallsBetroffenen gelingt es uns, unsere Ein-samkeit mit dem Schicksal mit anderenzu teilen („Ich bin nicht allein“), Ver-ständnis zu erhalten und eigene Er fah-rungen über Arbeit mit der Trauer aus-zutauschen und somit eine Schneisedurch das Dickicht der Trauer in Rich-tung Hoffnung und Leben zu ebnen.

An Angehörige, Freundeund Beteiligte: Was kann ich tun?

S ie können betroffenen Eltern/Ge-schwistern nicht die Trauer nehmen,

sie dauert das ganze Leben lang an.Trauer verändert alle Werte des Betrof-fenen und in seinem Leben: Vertrauen,Glaube, Hoffnung, Lebenswille. Be-wusste Trauer ist kein zusätzlicherSchmerz, sondern notwendig für dieTrauerbewältigung.

Sie können diesen Menschen, alsVerwandter, Freund, therapeutisch oderseelsorgerisch Tätiger, eine wertvolleHilfe sein. Ohne liebevolle, verständnis-volle und behutsame Unterstützung

durch vertraute Personen finden Betrof-fene oft keinen neuen Halt mehr im Leben. Und es dauert oft sehr lange, bissie sich einen lebbaren Weg gesucht ha-ben, um wieder zu Freunden, Bekann-ten und positivem Erleben zu finden.

Versuchen Sie nicht sich vorzustel-len, wie es ist, ein Kind zu verlieren! Siekönnen das nicht „verstehen“. Akzep-tieren Sie das veränderte Verhalten derBetroffenen. Sprechen Sie Eltern nichtmit Flos-keln auf das verstorbene Kindan: „Du bist noch jung, Du kannst nochKinder kriegen“ oder „Du hast ja nochKinder.“ Oder: „Das Leben geht weiter.“Dies kann zu wütenden und aggressi-

Mein Kind, mein Bruder, meine Schwester ist tot!

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Vorwort

2019 „Leben ohne Dich“

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„Leben ohne Dich”

ven Reaktionen führen. Das Gefühl, dasGespräch über das Kind wird gemieden,verletzt. Reden Sie offen über das Kindund erinnern Sie sich gemeinsam, dennwas ist außer der Erinnerung geblieben!Hierzu gehört in ers ter Linie, den Na-men des Kindes im Gespräch zu erwäh-nen, und zeigen Sie, dass Sie auch imAlltag zwischendurch an das Kind den-ken. Haben Sie keine Angst davor, dass

die Eltern/Geschwister bei Erwähnungdes Kindes in Tränen ausbrechen; Trä-nen sind Bestandteil der Trauer. Versu-chen Sie nicht, um jeden Preis stark zubleiben, teilen Sie die Trauer. Sie helfenden Betroffenen dadurch.

Denken Sie an den Geburts- und To destagen an das verstorbene Kindund lassen Sie es die Familien wissen,

es bedeutet ihnen sehr viel! An Feierta-gen wird den Eltern oft schmerzlich be- wusst, dass ihr Kind fehlt. Versuchen Sievon Anfang an, das verstorbene Kinddaran teilhaben zu lassen (z. B. durchein kleines Weihnachtsgeschenk). Ge-hen Sie auf die Familien zu und bietenSie Hilfe an. Wird diese zurückgewiesen,nehmen Sie das nicht übel und versu-chen Sie es nach einiger Zeit erneut.

„Leben ohne Dich“ 2019

Konkrete Anregungen, um zu zeigen: „Euer Kind / Dein Bruder /Deine Schwester wird von uns nicht vergessen”:

• Wenn Sie es können, besuchen Sie das Grab und lassen es die Eltern und Geschwister wissen,oder begleiten Sie sie zum Friedhof oder geben ihnen eine Blume oder Figur mit.

• Trauernde Familien lassen oft für ihr Kind zu Hause eine Kerze brennen. Schenken Sie ihnen doch eine (möglichst selbstgemachte) Kerze, z. B. mit dem Namen des Kindes darauf.

• Melden Sie sich an den Gedenktagen bei den Eltern/Geschwistern, z. B. per Telefon. Sind Siedamit überfordert, schicken Sie eine Postkarte, E-Mail oder SMS. Oft reicht schon: „Ich/wir sind heu-te in Gedanken bei Euch und Eurem Kind.“

• Überlegen Sie, was Sie selber mit Liebe und Hoffnung verbinden würden, der Liebe zum Kind,zum Geschwister, und der Hoffnung, dass es ihm in seiner Welt gut geht. Viele Dinge bekommen ei-ne besondere Symbolik wie z. B. Kerzen, Luftballons, Sonnenblumen, Schmetterlinge. Solche Sym-bole eignen sich besonders, um den Betroffenen eine kleine Freude zu bereiten.

Verstehen Sie dies als Anregungen, um trauernden Familien eine Stütze zu sein. Jeder trauert an-ders, deshalb verlassen Sie sich auf Ihr Gefühl im Umgang mit ihnen und helfen Sie ihnen, nicht ander Trauer zu zerbrechen.

Bodo Fritsche

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8 2019 „Leben ohne Dich“

J ährlich sterben 8.000 Kinder unter 20Jahren in Deutschland. Der Verlust ei-

nes Kindes ist für betroffene Familienfast immer ein extrem traumatisches Er-lebnis, das durch den Schmerz und dieTrauer alle Lebensbereiche betrifft undüber einen langen Zeitraum immer wie-der zu Krisensituationen führt, die zuschweren psychischen Störungen, De-pressionen, Problemen in der Partner-schaft und im Berufsleben führen.

Nach dem Tod eines Kindes spürenviele Betroffene, so genannte verwaisteEltern/Geschwister, eine große Verun-sicherung, wie Verwandte, Freundeund Bekannte mit ihnen umgehen. Oftwird einige Monate nach dem Tod,spätestens nach einem Jahr, dieses The-ma gemieden oder es fallen Bemer-kungen wie „Es wird schon wieder”,„Langsam muss es aber wieder gutsein” oder „Du hast ja nochKinder/kannst ja noch Kinder bekom-men”: – Ohrfeigen für die trauerndenEltern. Aber der Schmerz und die Trau-er über den Verlust eines Kindes hörtnie auf. Sicher, die Intensität der Trauerverändert sich im Laufe der Zeit, wirdmöglicherweise langsam lebbar. Den-noch sind manchmal Krisensituationenunvermeidlich, in denen der Lebens-wille nachlässt und ein „Hinüberge-hen” zu dem verstorbenen Kind zu ei-nem starken Wunsch wird. Verstehen

kann diese Dimension von Trauer undSchmerz nur, wer selber betroffen ist.

Dies soll kein Vorwurf an die Nicht-Betroffenen sein: Oft ist die Furcht, beidem Trauernden alte Wunden neu auf-zureißen, die Ursache dafür, das Themazu meiden. Oder eine Art von Un-sicherheit, wie man mit diesem Men-schen umgehen soll. Aber man kannfeststellen, dass das Thema Tod in un-serer Gesellschaft allgemein tabuisiertwird. Wenn Sie selber betroffen sindund jetzt gerade diese Zeilen lesen: Wiehätten Sie sich vor dem Tod Ihres Kin-des einem Betroffenen gegenüber ver-halten? Erfahrungsgemäß verlieren Be-troffene die meisten ihrer Freunde undBekannten in diesem Trauerprozess.Zum Abdecken dieses Problembe-reiches und zur notwendigen Trauerar-beit haben sich Selbsthilfegruppen ge-bildet, die versuchen, diese sozialenDefizite im Leben trauernder Familienso gut wie möglich zu kompensierenund ein „Auffangen” durch Verstehen,Zuhören und Erfahrungsaustausch mitgleichermaßen Betroffenen – mit Ver-stehenden – zu ermöglichen.

Dies ist auch das Anliegen des Ver-eins Leben ohne Dich e. V. Wir wollendurch den Dialog von Betroffenenuntereinander eine Lebenshilfe anbie-ten, im Sinne von Trauerarbeit, viel-leicht sogar im Sinne einer Art Thera-

pie. Von vielen Teilnehmern in unserenSelbsthilfegruppen wissen wir, wiewichtig ihnen der Austausch unterein-ander in der Gruppe geworden ist, dasReden über das verstorbene Kind, dieTränen aber auch das gemeinsame La-chen. In unserem Internet-Forum er-halten wir ähnliche Resonanz, einigesprechen davon, dass dieses Forum fürsie lebensnotwendig geworden ist.

Und über diesen Weg oder über dasForum www.leben-ohne-dich.de ha-ben sich schon viele Freundschaftenfürs Leben ergeben. Die Werte im Le-ben, die Denkweise, die Religiosi tät, allesin unserem Leben ist „ver-rückt” undverändert. Betroffene verstehen das.

„Leben ohne Dich” ist ein gemein-nützig anerkannter, bundesweit tätigerVerein. Ziel des Vereins ist es, verwaistenEltern, Geschwistern und AngehörigenHilfe bei der Bewältigung der Trauerund des Schmerzes um ein verstorbe-nes Kind anzubieten und aktive Betreu-ung von Betroffenen durchzuführen.

Eine weitere Aufgabe ist die Infor-mation der Gesellschaft, um einen be-hutsamen und verständnisvollen Um-gang mit Betroffenen zu erreichen. Un-sere Gruppen und das Internet-Forumsind für alle Betroffenen (auch für Nicht-Vereinsmitglieder) offen, egal ob es sichum Früh- oder Totgeburten oder umverstorbene ältere Kinder handelt.

Anliegen und Ziele unserer Arbeit

„Leben ohne Dich”

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9„Leben ohne Dich“ 2019

Immer wieder stellen wir bei unsererArbeit fest, dass sich Betroffene an

uns wenden und sagen: „Hätte ichdoch schon früher von der Selbsthilfe-gruppe oder dem Internet-Forum er-fahren!” Trotz allem Bemühen ist nurein kleiner Raum in den Medien undder Öffentlichkeit vorhanden, um dieArbeit unserer Selbsthilfe bekannt zumachen.

Mit dieser Broschüre möchten wireinen umfassenden Überblick über un-sere Arbeit und unsere Hilfsangebotegeben. Nicht nur für die Betroffenen

selber, um die Scheu zu überwinden,mit ihrer Trauer an die Öffentlichkeit zugehen, sondern auch, um den im Um-feld tätigen Personen und Institutionenetwas an die Hand zu geben, was siean Betroffene weiterleiten können, diein der ersten Phase nach dem Tod einesKindes in einem Schockzustand undeher passiv sind.

Wir denken hier besonders an Kin-derärzte, Krankenhäuser und Seelsor-ger, Ersthelfer, Hebammen, Beerdi-gungsinstitute, Pfarrer und Pastoren,die mit dem Schicksal beim Tod eines

Kindes und den Trauernden in Berüh-rung kommen. Dank unserer Mitglie-der und Spender sowie der Selbsthilfe-förderung der Krankenkassen, denenallen wir an dieser Stelle unseren Dankaussprechen, sind wir in der Lage, die-se umfassende Information an vielenStellen zu platzieren.

Warum diese Broschüre?

„Leben ohne Dich”

Notfall-SeelsorgeNotfallseelsorger/innen werden gerufen:

– nach einem plötzlichen Todesfall oder Suizid zur Begleitung der Angehörigen

– bei schweren Verkehrsunfällen zur Be-treuung von Unfallopfern, Angehörigen,Unfallverursachern oder unverletzten Beteiligten

– bei Einsätzen, die Kinder betreffen (Plötzlicher Säuglingstod, Unfall)

– bei der Überbringung einer Todesnach-richt in Zusammenarbeit mit der Polizei

Tel.: 1 12 bundesweitInternet: www.notfallseelsorge.deE-Mail: [email protected]

Telefon-Seelsorge (auch Suizid-Prävention) bundesweitTelefon-Hotline (kostenfrei, 24 h), auch Auskunft über lokale Hilfsdienste:

08 00/1 11 01 11 (ev.)08 00/1 11 02 22 (rk.)08 00/1 11 03 33 (für Kinder/Jugendliche)E-Mail: unter www.ts-im-internet.de

Deutsche Gesellschaft für SuizidpräventionAdressen Beratungsstellen in ganz DeutschlandTel.: 09 21/28 33 01Internet: www.suizidprophylaxe.de

Patiententelefon zu den Themen Sterben, Trauer, Schmerztherapie, PatientenschutzTheodor Springmann Stiftung, BerlinTel.: 0 30/44 02 40 79 (bundesweit, Mo. - Fr. 10 bis 14 Uhr, 15 bis 17 Uhr)Internet: www.patiententelefon.de (Patiententelefon und Adressdatenbank)

Informationen und Foren im Internet:– Zentrum für trauernde Kinder:

www.domino-trauerndekinder.de – Arbeitskreis Leben: www.ak-leben.de– Freunde fürs Leben e. V.: www.frnd.de– Neuhland (Kinder/Jugendliche):

www.neuhland.de

Notfall-Adressen

Bitte geben Sie diese Broschüre weiter,

rufen Sie uns an, wenn Sie weitergehende Informa-

tionen oder weitereExemplare benötigen.

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10 2019 „Leben ohne Dich“

„Leben ohne Dich”

Treffen der lokalen GruppenTrauerarbeit in den Selbsthilfegruppen

D ie Treffen der „Leben ohne Dich”-Selbsthilfegruppe in Mülheim fin-

den zurzeit einmal im Monat statt unterder Leitung von Martina Haucke-Fritscheund anderen, jeweils im Wechsel einoffener Gesprächsabend und ein The-men-/Kre ativ abend. Die Gruppe wirdvon Eltern aus dem Ruhrgebiet, aberauch aus entfernteren Städten regelmä-ßig besucht.

In ähnlicher Weise arbeiten alle un-sere Selbsthilfegruppen. Die aktuellenAdressen und die Termine finden Sie imdiesbezüglichen Abschnitt dieser Bro-schüre. Ge gebe nen falls sollten Sie sichvorab telefonisch erkundigen, ob sichTreffpunkt oder Uhrzeit geändert ha-ben.

Sie können sich jederzeit auch gernemit uns in Verbindung setzen, um wei-tere Informationen zu den Treffen undunserem Angebot zu erhalten.

Bei diesen Gruppenabenden kannjeder reden oder schweigen, erzählen,wenn sie/er gerade Kraft dazu hat, odereinfach nur zuhören. Alles kann, nichtsmuss.

Und wenn es hilfreich für Sie ist,dann können Sie regelmäßig oder auch

unregelmäßig an denTreffen oder Themen- abenden teilnehmen.

Nach der Gründungvon „Leben ohne Dich”in Mülheim zum Jahres-ende 2000 und der Er-öffnung des Forumswww.leben-ohne-dich.de hat sich überdas Internet eine engeFreundschaft zu anderen Eltern ergeben,aus der sich weitere Gruppen in Deutsch-land und Österreich gebildet haben (sie-he Adressen).

In den „Leben ohne Dich”- Selbsthil-fegruppen (SHG) lernen trauernde El-tern und Geschwister über das Vermis-sen und den Schmerz zu reden, dennhäufig sind es Außenstehende, Ver-wandte und Freun de, die das Leid Be-troffener nicht verstehen.

Petra Gottwald, eine betroffene Mut-ter und Gruppenleiterin, erklärt: „DieSHG hat mir Mut und Kraft gegeben,den Tod meines Kindes zu überlebenund in mein Leben zu integrieren. Ge-teiltes Leid ist halbes Leid trifft auf Eltern,deren Kind gestorben ist, leider nicht zu.Jedoch tut es unendlich gut, mit betrof-

fenen Eltern gemeinsam zu weinen, im-mer wieder über das Kind zu erzählen,wenn andere nicht mehr zuhören, denNamen des eigenen Kindes zu nennenund mit leuchtenden Augen von schö-nen Erlebnissen zu berichten. Jeder trägtsein eigenes Schicksal allein, doch ge-meinsam mit Betroffenen erfahren wirUnterstützung und viel Kraft”.

Durch die enge Zusammenarbeit al-ler „Leben ohne Dich”-Selbsthilfe- gruppen ist ein permanenter Gedan-kenaustausch über die Gruppenarbeitgegeben, der die jeweiligen Treffen be-reichert.

Die Gruppenleiter erhalten regelmä-ßig Supervision und werden fortgebil-det. Viele der Gruppenleiter haben eineTrauerbegleiterausbildung absolviert.

Die Selbsthilfegruppe Mülheim

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11„Leben ohne Dich“ 2019

Der Verein „Leben ohne Dich“ bietetneben Selbsthilfegruppen und Fe-

rienwochen für trauernde Familien auchweiterführende Angebote zur Trauerar-beit an: Seit 2005 führen wir eigene Se-minare für trauernde Eltern, Ge-schwister und Familien durch – geleitetvon ausgebildeten Trauerbegleitern.

Oft fehlt einfach die Zeit, um für sich,für seine Sehnsucht und seine GefühleRaum und Zeit zu haben, daher nennenwir diese Seminare „Sehnsuchtssemina-re“.

Der Alltag ist oft so laut, so anstren-gend, dass man sich und sein Kind / sei-ne Schwester / seinen Bruder kaummehr spüren kann.

Menschen erwarten Normalität,und es kostet viel Kraft, dem standzu-halten. Man fühlt sich „ver-rückt“, al-lein mit seiner Sehnsucht und manch-mal müde und erschöpft.

Diese Seminare sind eine Einladungan alle Eltern und Geschwister, die mitdem Tod eines Kindes/eines Geschwis-ters leben müssen und sich auf den Wegmachen wollen, um das Unbegreiflichein ihr Leben zu integrieren.

Wir können gemeinsam versuchen,einen Weg zu finden, um mit dem Un-fassbaren wieder zu leben. Jeder für sichund wann immer nötig gemeinsam!

Niemand soll durch finanzielle Eng-pässe an der Teilnahme gehindert wer-den, daher übernimmt der Verein einenerheblichen Teil der Seminargebühren.

„Leben ohne Dich”

Trauerseminarefür Eltern und Geschwister

• Ich bereue keine Minute, denn ob-wohl das Wochenende viel zu schnellverging, habe ich echt eine unbe-schreibliche Erfahrung machen können.

• Für uns sind und waren die Semi-nare überlebenswichtig. Unser Trauer-weg ist noch lange nicht zu Ende.

• Oft habe ich Angst alles zu verges-sen, aber an so einem Wochenende istalles wieder da.

• Seit M. gegangen ist, besuche ich-nun einmal im Jahr dieses Seminar undich muss sagen – auch wenn ich Angstdavor habe (jedes Mal wieder) – bringtes mir so viel, und es tut so gut in die-sen Gruppen zusammen zu sein.

Feedback einiger Teilnehmer:

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12 2019 „Leben ohne Dich“

„Leben ohne Dich”

Im Internet-Forum www.leben-ohne-dich.de finden sich betroffene Eltern

und Geschwister zusammen, um ihrenSchmerz und ihre Trauer mit anderenzu teilen. Sie erfahren, dass sie nicht al-leine mit einem solchen Schicksal sindund dass sich dort viele Menschen ver-sammeln, die zu hören, verstehen undpraktische Lebenshilfe durch eigene Er-fahrungen im Umgang mit der Trauerund der Umwelt geben können.

Dabei geschieht dies anfangs (odersolange wie gewünscht) anonym, wasdie Hürde zu einem persönlichen Ge -genüber oder zu einer professionellentherapeutischen Behandlung redu-ziert. Später wächst der Wunsch, dieMenschen hinter diesen Gedankenund Gefühlen persönlich kennen zulernen, was wir über die Kennenlern-Treffen von „Leben ohne Dich” er-möglichen.

„Leben ohne Dich” im Internet bie-tet offene und geschlossene Foren. Aufder Pinnwand und im Gästebuch kön-nen alle lesen und schreiben, das sogenannte „Geschützte Forum” ist eingeschlossenes Forum, zu dem nur be-troffene Eltern bzw. Geschwister Zu-gang haben, die uns bekannt sind odersich eindeutig identifizieren. Dadurchist ein intimer, sicherer Raum für dieSchicksale und Gefühle geschaffenworden, der auch über einen eigenenChatraum verfügt.

Ferner bietet „Leben ohne Dich”Foren für trauernde Väter an, da Män-

„Leben ohne Dich” im Internet

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ner anders trauern als Frauen, mehrScheu davor haben, mit ihrer Trauer andie Öffentlichkeit zu gehen und sichmöglicherweise eher mit Männern aus-tauschen möchten.

Das Forum für Geschwister ist sepa-rat eingerichtet, ebenfalls mit geschütz-tem Bereich und Chat. Aus unserer Er-fahrung wird Geschwistern von verstor-benen Kindern kaum Hilfe zuteil. Zumal sie nicht nur einen Bruder oder eineSchwes ter verloren haben, sondernauch „ein ganzes Stück ihrer Eltern”, dieoft in ihrer eigenen Trauer gefangen

sind und wenig Kraft für die Sorgenund Nöte der Geschwister haben.

Auf der Homepage sind bildlicheGedenken für mehr als 1.000 verstorbe-ne Kinder mit Fotos, Gedichten undTexten eingerichtet und jeden Monatwerden es leider mehr. In einem Ge-denkkalender sind Geburts- und Todes-tage festgehalten, so dass am Todestagin vielen Familien eine weitere Kerze fürdieses Kind neben der Kerze des Eige-nen brennt.

Die Resonanz auf unsere Internet-Seiten hat uns völlig überrascht: Wirschätzen die Anzahl regelmäßiger Be-sucher auf über 8.000.

Heute ist „Leben ohne Dich” einSyno nym für eine der größten Internet-Plattformen für verwaiste Familien imdeutschsprachigen Raum. Viele Teil-nehmer berichten uns, dass es für sieder erste Schritt auf dem eigenen Wegzu einer erfolgreichen Trauerbewälti-gung war.

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Elterntrauer

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Yannis wurde als mein drittes Kindim Oktober 1992 geboren, er kam

mit einer Hämophilie A (Bluter) auf dieWelt. Irgendwann kam von unsererKindergärtnerin der Hinweis: „Mar tina,achte mal auf Yannis, er vergisst so vie-le Dinge.” Weil Yannis die Hämophiliehatte, sagte meine Kinderärztin sofort:„Krankenhaus!”. Sie vermutete eineBlutung im Kopf. Nach einigen Un ter-suchungen – Entwarnung – keine Blu-tung, „nur” eine Entzündung. Ich wur-de das Gefühl der Angst nicht los ... ichhatte eine Riesenangst vor dem, wasauf uns zukam!

Wir mussten im Krankenhaus blei-ben und Yannis wurde mit Zovirax be-handelt. Die Ärzte vermuteten (spätererfuhr ich, dass sie es hofften), dass esein Herpesvirus sei. Nach einer Rücken-markspunktion stand die Diagnose:SSPE, eine Gehirnentzündung hervor-gerufen durch Masernviren. Es war einTag im Januar 1998. Der Arzt erklärtemir, dass Yannis Hirnkrämpfe bekom-

s te meine Kinder beschützen undkonnte doch nicht mehr leben. Julia(heute 20) und Chris (heute 17) liebtenihren Bruder doch so sehr. Ich mussteihnen das Herz brechen, ihnen ihre un-beschwerte Kindheit nehmen, ich mus-ste meinen Sohn beim Sterben beglei-ten. Alles hätte ich gegeben, um Yanniszu retten und Julia und Chris dies zu er-sparen. Sie waren doch noch so kleinund konnten die Welt nicht mehr ver-stehen! Thomas (Vater von Yannis) undich taten alles, um unsere drei Kinderzu beschützen, aber die Viren warenschnell und stark. Yannis verlernte sehrschnell das Laufen, Sitzen, Krabbeln,Motorik und alles, was einen zum Kindmacht. Als er nicht mehr sprechenkonnte, glaubte ich zu sterben! Meingeliebter Sohn konnte nicht mehr spre-chen. Dann fiel der Schluckreflex ausund Yannis bekam eine Magensonde.

Es tat so weh – jeder Tag war sokostbar und doch – Yannis ist jedenTag ein wenig gestorben! Wir fuhrenins Kinderhospiz Balthasar in Olpe. Einwunderbares Haus und wundervolleMenschen! Dort tankten wir Kraft undlernten viele tolle Menschen und Kin-der kennen. Kinder jeden Alters – sie al-le mussten sterben. Yannis bekam im-mer öfter hohes Fieber, 42 Grad, er er-brach seine Sondennahrung und jedeFlüssigkeit. In Absprache mit unsererKinderärztin – einer wunderbaren Ärz-tin – beschloss ich, Yannis weiterhin

men würde, er alles verlernen würde,es kein Medikament gegen diesen Vi-rus gäbe, dass niemand meinem Sohnhelfen könne. Nach Minuten fragte ich:„Sie wollen mir doch nicht sagen, dassmein Sohn sterben wird?” „Doch, dasversuche ich Ihnen zu sagen!” sagte er.Ich ging nach Hause mit der Gewiss-heit: „Yannis stirbt!” Mein fünfjährigerSohn würde noch maximal drei Jahrebei uns sein!

Die Hölle begann. Jeden Tag wussteich, dass Yannis sterben wird, ich musstees seinen Geschwistern sagen, ich mus-

Trauer um ein verstorbenes KindSchicksale betroffener ElternYannisMartina Haucke-Fritschebetroffene Mutter Mülheim/Ruhr

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das Recht einzuräumen selber zu ent-scheiden, wann er gehen will.

Yannis war seit zweieinhalb Jahrender „Chef”, denn auch er hat das Rechtzu bestimmen, wann er nicht mehr willund kann. Ich bin mir sicher, dassYannis den Zeitpunkt bestimmt hat,wann er gehen wollte!

Yannis ist am 26.07.2000 um 2:48in meinen Armen gestorben. Wir versu-

chen zu leben mit und nach Yannis! Esfällt schwer und es gibt Tage, da falleich ins Bodenlose ... aber wir sind aufdem richtigen Weg. Yannis hätte ge-wollt, dass wir auch wieder lachen, anihn denken und ihn immer lieben. DieTrauer, der unendliche Schmerz, dieWut und die unstillbare Sehnsuchtnach meinem Sohn wird niemals en-den – denn die Zeit heilt nicht alleWunden, sie kann uns nur lehren da-mit zu leben. Ich vermisse Yannis jeden

Tag und versuche meine Mitte wieder-zufinden, das bin ich meinem wunder-vollen, mutigen Sohn schuldig. Ich bines auch Julia und Chris tian schuldig,denn sie brauchen Lachen und Fröh-lichkeit in ihrem jungen Leben. Siemussten zusehen, wie ihr kleiner Bruder starb, sie haben tiefe Wunden... ich hoffe sie werden heilen!

Heute, zehn Jahre nach Yannis' Tod,haben wir einen lebbaren Weg gefun-den – es ist nicht einfach und derSchmerz ist unser ständiger Begleiter,die Sehnsucht ist unendlich ... aber wirleben! Durch die Gründung der Selbst-hilfegruppe „Leben ohne dich” undder Internetseite www.leben-ohne-dich.de habe ich Menschen, Freunde,gefunden, die mich verstehen, dieYannis kennen lernen und mit mir die-sen schweren Weg gehen. Jeder fürsich und wann immer nötig gemein-sam!

Unsere Kinder leben durch uns wei-ter und werden bei “Leben ohne Dich”nicht vergessen. Ich wünsche jedemvon Euch, dass Ihr Menschen an derSeite habt, die einfach „da” sind, mitEuch weinen, lachen und Euch zuhö-ren, die Euch und Euren Schmerz aus-halten und Euer Kind nicht vergessen!Passt auf Euch auf.

Tina mit Yannis im Herzen, Julia und Chris fest an der Hand

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Yannis

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Elterntrauer

2019 „Leben ohne Dich“

Unsere Tochter war nach zwei Söh-nen der größte Wunsch, der mir er-

füllt wurde. Stefanie kam als gesundesBaby zur Welt, sie war lebendiger als an-dere Babys. Mit drei Jahren kam sie inden Kindergarten, das Abnabeln hattebegonnen und war nicht leicht. Schonim Kindergartenalter fiel mir auf, dass sieweiter als ihre Brüder in dem Alter war.Sie lernte alles von allein, das Schuhezu-binden und das Fahrradfahren.

Als sie in die Vorschule kam, war sieein Kind, das mehr Fantasie als manchanderes hatte. Dort mussten die Kindereinmal ihren Kopf malen, als würden siein den Spiegel schauen. Stefanie hat alseinziges Kind sich selbst gemalt, dieLehrerin bewunderte ihre Zeichnung.Zur Einschulung konnte sie schon Lesenund Rechnen, nichts hatten wir geübt,sie konnte es einfach so. Die Grund-schule beendete Stefanie als gute Schü-lerin und in der Orientierungsstufewollte sie noch besser werden. Sieschaffte es – mit dem Halbjahreszeugniswar allen klar, dass sie es auf eine höhe-re Schule schaffen wird.

Einige Tage nachdem es Zeugnissegab, rief die Schule bei uns an. Stefanieist mit einem Schrei zusammengebro-chen, keine Fremdeinwirkung, einfachso. Sie ging morgens noch lachend underfreut über eine Mathearbeit zur Schu-le und dann geschah das für uns alleUnfassbare. Ich lief zur Schule, sie lagda, kaum ansprechbar, und so wartetenwir auf den Rettungswagen. Im Klini-kum Lebenstedt wurde unter Narkoseeine Tomographie gemacht: Man sahnur Blut, die rechte Kopfhälfte war vol-ler Blut. Sie wurde nach Göttingen ge-flogen.

Als wir dort ankamen, war die Not-operation schon im Gange. Ein Arzt er-klärte uns nach der OP, dass Stefanie dieNacht wohl nicht überlebt. Ich hatte nureinen Gedanken: Wie soll ich ohneSteffi weiterleben? Es folgte am Don-nerstag noch eine OP, danach ging esihr nicht besser, aber auch nicht schlech-ter. Am Freitag gegen 8 Uhr ging ich zuStefanie. Der Arzt, der immer da war,kam zu mir und ging mit mir in den Flur.Der Gehirntod war eingetreten, ich hat-te sie verloren und hoffte doch noch,dass sie es schaffen würde. Am Montagfuhren mein Mann und ich wieder nachGöttingen, wir waren über das Wochen-

StefanieAngelika Busch betroffene Mutter Salzgitter

Stefanie

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ende nicht im Elternhaus nahe der Klinikgeblieben, sondern sind nach Hause zuunseren Jungs gefahren. Als wir eintra-fen, wurde der Tod bei unserer Tochterfestgestellt, ein kurzes Gespräch mitdem Arzt fand statt, denn wir hattenbeim Eintreten des Gehirn tods einerOrganentnahme zugestimmt. Wir über-ließen unsere Tochter nochmals in seineObhut, bedacht darauf, dass er daraufachtet, dass niemand ihre Augen be-rührt.

Danach verabschiedeten wir unsvon unserer Tochter. Ich erzählte ihr,dass sie allein weitergehen muss, sie sol-le keine Angst haben, denn wir sehenuns wieder. Am 13.2.2001, einemDienstag, geschah der Zusammen-bruch und am 19.2.2001 war unsereKleine tot. Es hat Wochen gedauert, bisdas Kapieren eingesetzt hat und jetzt,einige Jahre danach, will ich sie immernoch zurück und hoffe noch oft, alleswäre ein Albtraum gewesen. Stefanieverstarb an einem Aneurysma.

Wir haben nach Stefanies Tod Hilfe ge-sucht und durch Verwandte eine Selbsthil-fegruppe für Verwaiste Eltern gefunden.Der erste Gang dorthin fiel uns sehr schwer,denn wir wussten, wir müssen über Stefa-nie reden. Es war für uns im Nachhineindas beste, was wir für uns und Stefanietun konnten. Hier im Kreis von Betroffe-nen können wir reden, weinen und la-chen, all das ist für uns sehr wichtig.

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I ch möchte mich vorstellen. Mein Na-me ist Silvia. Mein Mann Bernd und

ich sind die Eltern von Fabienne, unsereÄlteste. Eigentlich sollte Fabienne nunlauter Streiche im Kopf haben und unsmit ihren Streichen zum Lachen brin-gen. Das tut sie aber nicht, denn unse-re Tochter durfte nur sechs Tage leben!Sechs Tage, ihr Leben, welches unserLeben vollkommen aus der Bahn ge-worfen und uns zu Außenseitern ge-macht hat.

Die Schwangerschaft mit Fabienneverlief nicht ganz problemlos. Es bestandab einem gewissen Zeitpunkt der Ver-dacht, dass Fabienne mit einem Herzfeh-ler zur Welt kommen könnte, wobei Artund Ausmaß uns nicht bekannt waren.Die Geburt dauerte 19 Stunden und ver-lief nicht ohne Komplikationen, dochdann war sie um 21.45 Uhr da, unsereTochter Fabienne, 50 cm groß, 3.000 gschwer und wunder hübsch! Niemalswerden mein Mann und ich das Gefühlvergessen, sie in unseren Armen zu hal-ten, unser Wunschkind!

Und dann kamen sechs Tage, diesich in unser Gedächtnis eingegrabenhaben! Jeder Tag, jede Stunde, jede Mi-

nute ... einfach alles! Fabienne hattezwei sehr schwere Herzfehler, einenunterbrochenen Aortenbogen Typ Bund ein Double Outlet Right Ventricle(DORV). Eine Operation war lebensnot-wendig. Von der Entbindungsklinikwurde Fabienne in die Uniklinik verlegt,von dort aus dann in eine Herz-Klinik.Drei Intensiv-Stationen waren alles, wassie zu sehen bekam von unserer Welt!Und unsere Welt hatte keine Chance, siekennen zu lernen! Nur wir, ihre Elternund ihre Großeltern, durften zu ihr! DieOperation dauerte knapp zehn Stun-den! Für uns waren diese Stunden eineEwigkeit, doch mittlerweile weiß ich,dass es eine andere Ewigkeit gibt. UnserLeben ohne Fabienne! Sie verstarb zweiStunden nach der Operation, die für ih-ren kleinen Körper einfach zu viel war!

Fabienne

FabienneSilvia R.betroffene Mutter Mülheim/Ruhr

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Fabienne hat vor ein paar Monaten ei-nen Bruder bekommen mit NamenJoshua. Er macht uns jeden Tag schmerz-lich bewusst, was wir vermissen, wenn eruns anlächelt oder in seiner Entwicklungvoranschreitet. Er kann und soll Fabiennenicht ersetzen, er kann uns die Trauernicht nehmen, doch er hilft uns beim Tra-gen! Hoffentlich ist ihm diese Bürde nie-mals zu schwer!

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Das Loch, in das mein Mann und ichstürzten, war bodenlos! Ein Jahr langhaben wir keine sozialen Kontakte ge-pflegt! Wir gingen beide nach einigerZeit wieder arbeiten. Wir funktionierten,weil unsere Umwelt das von uns erwar-tete. Aber wenn wir nach Hause kamen,ließen wir alles und jeden draußen! Mitwem hätten wir über Fabienne und un-seren Schmerz reden können? Es ver-stand uns doch keiner! Keiner konnteauch nur erahnen, durch welche Höllewir tagtäglich gingen! Wir waren unfä-hig, uns mitzuteilen! Und all unsere Ver-wandten und Freunde muss ten hilflosmit ansehen, wie wir sie aus unseremLeben ausschlossen!

Durch Zufall brachte mein Mann einFlugblatt mit nach Hause, welches ihmein Bekannter in die Hand gedrückt hat-te. Es war das Flugblatt der Selbsthilfe-gruppe „Leben ohne Dich”! Das war es,was ich brauchte! Da waren Menschen,die wussten, was in mir vorging, die esselbst erlebten! Mit diesen Menschenwollte ich reden, musste ich reden! Un-gefähr vier Monate nach Fabiennes Todwar ich dann bei der Selbsthilfegruppeund fühlte mich das erste Mal seit lan-gem verstanden! Nach einigen Grup-penabenden und einem Kennenlern-Treffen, welches mein Mann und ich ge-meinsam besuchten, waren wir soweit,uns wieder mit unserer Umwelt ausein-ander zu setzen. Wir trafen unsnach und nach mit Menschen, die uns

wichtig waren und heute noch sind, undredeten über Fabienne!

Auch heute, Jahre nach ihrer Geburtund ihrem Tod, können wir es immernoch nicht so richtig glauben. Kein Tagvergeht, an dem wir Fabienne nicht ver-missen. Ihr Tod hat uns zu Außenseiterngemacht, die ständig darum kämpfenmüssen, dass unsere Umwelt Fabiennenicht vergisst. Wir sind Eltern, die umein Kind trauern und manchmal habeich das Gefühl, mich dafür entschuldi-gen zu müssen! Wie gerne würde ich öf-ter mal Fabiennes Namen hören, ausge-sprochen von Leuten, die mir wichtigsind! Einfach, um zu zeigen: Wir denkenan Fabienne!

Wir haben zu Fabiennes zweitem Ge-burtstag einen Kuchen gebacken und ei-nen Ballon steigen lassen, genau wie imletzten Jahr, denn für uns ist dieser Tagsehr wichtig. An ihrem Todestag warenwir in der Kirche und haben für sie eineKerze angezündet. Genau wie im letztenJahr. Und wie im nächsten Jahr ... Es istfast unmöglich, unserer Familie und un-seren Freunden zu vermitteln, wie wich-tig uns diese Tage sind und wie sehr wiruns wünschen, dass sie besonders andiesen Tagen an Fabienne und uns den-ken ... und uns dies auch wissen lassen!Denn wenn keiner mehr an sie denkt undkeiner mehr ihren Namen erwähnt undmit uns über sie spricht, wäre das, alssterbe sie ein zweites Mal!

Jan-Erik und Julius – ich vermisse Euch!*21.09.1996 und *07.08.199824.06.2001

„Vater tötet seine beiden Söhne!”Was denken Sie bei dieser Schlagzeile?

Kann mir nicht passieren! Wie kanndie Mutter damit leben?

Man bangt um die Kinder, versuchtsie ein Leben lang zu beschützen. Im-mer wieder hört man von Unfällen oderKrankheiten. Aber dass jemand in derLage ist, sein eigen Fleisch und Blut zutöten? Ich kann es heute noch nichtglauben. Wir waren doch so eine süßekleine Familie ...

Jan-Erik und JuliusSandrabetroffene Mutter

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Jan-Er ikJu l iusWochenende mit den Kindern zu ihnenkommen. Diese Viertelstunde sollte denKindern zum Verhängnis werden undmein Leben komplett verändern. ImWahn schnitt er Jan-Erik und Julius diekleinen Kehlen durch ... Ich fand sie leb-los in ihren Bettchen vor, erinnere michnur an ihre schönen blonden Haare mitall dem Blut. Es drehte sich alles im Kreis.Warum hat er das getan? Wir haben siedoch beide so sehr geliebt und warenstolz über jeden ihrer Fortschritte unddann so ein sinnloser Tod? Die Antwortauf all diese Fragen werde ich wohl niebekommen, denn die weiß wohl nichteinmal er selbst?

Jan-Erik und Julius, Ihr fehlt mir sounendlich. Manchmal kommt es mirvor, als wäre es erst gestern gewesen,dass ich Euer Lachen gesehen haben,Eure Hände in meinen gespürt habe, dieWärme Eurer kleinen Körper auf meinerHaut oder das Kitzeln der weichen Haa-re.

Die erste Zeit hatte ich Freunde undFamilie, die mir beigestanden haben.Nach einigen Wochen waren auch die-se mit der Situation überfordert und lei-der keine große Hilfe mehr. Relativschnell kam ich zu den „Verwaisten El-tern Hamburg e. V.”. Wir trafen uns mit

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Im Juni des Jahres 2001 sollte sich un-ser Familienzusammenleben verändern,aber so habe ich es nicht gewollt. Wirhatten uns nach zehnjähriger Beziehungvoneinander entfernt. Mit den Kindernhatten wir neben der Elternrolle verges-sen, ein Paar zu sein. Mein Mann wurdeimmer aggressiver den Kindern gegen-über, kapselte sich ab, kannte nur die Ar-beit und Familie. So wollte ich nicht wei-ter leben, schleppte schon einige Zeit dieGedanken einer Trennung mit mirherum. Aber mit zwei Kindern ist dieseEntscheidung nicht leicht, zumal auch ersehr viel mit den Kindern unternahmund wir viele gemeinsame Interessenhatten. Jan-Erik und Julius sollten nichtohne Vater aufwachsen.

Ein anderer Mann brachte für michden Stein ins Rollen, ernsthaft über dieBeziehung nachzudenken. Ich sprachmit meinem damaligen Mann von An-fang an offen über meine Gefühle. Er re-dete mir noch gut zu, dieses Wochen-ende mit dem anderen Mann zu ver-bringen. Am Sonntagmittag kam ichnach Hause. Julius und Jan-Erik machtenMittagsschlaf, sie waren nachmittags zueinem Kindergeburtstag eingeladen.Das Gespräch zwischen uns verlief sehrsachlich, obwohl mich ab und an einmerkwürdiges Gefühl einholte. Warumhabe ich nicht reagiert?

Ich telefonierte dann mit seinen El-tern, ich wollte am kommenden

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Le i f

Leben nach dem Tod (eines Kindes)

Leif – blonder Strahlemann mit blau-en Augen, Charmeur mit Herz und Mut;immer auf Achse; fünf Jahre alter kleinerWeiser mit klaren Vorstellungen undfesten Absichten. Leif war das Zugpferdim Zwillingsgespann mit seinem BruderLinus. Der hellste Sonnenstrahl im Lichteines untrüglichen Familienglücks.

Dann kam der 30. Oktober 2002.Leif verunglückte und verlor – gänzlichohne äußerlich sichtbare Verletzungen– sein junges Leben. Das Unvorstellba-re brach über unsere Familie herein –ohne Vorwarnung, ohne Sinn. Wir alsEltern und Linus waren darauf nicht imgeringsten vorbereitet. Das Sterben warfür uns der Tod älterer Menschen nacheinem erfüllten Leben. Die Möglichkeit,dass ein Kind sterben konnte, war füruns kein Teil unserer Vorstellungen, wasim Leben möglich ist. Der Tod eines Kin-des war nichts Konkretes, nicht einmaleine Ahnung. Das Unmögliche war da.In der völligen Lähmung mussten wiralle Dinge organisieren, die der VorgangTod auch bei Kindern mit sich bringt.

Wir hatten zu unserem Glück Men-schen der ersten Stunden – egal ob Fa-milie oder Freunde, die uns viel von denZwangsroutinen abgenommen haben.Gleichzeitig haben sie Trost gespendet –

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der Selbsthilfegruppe zum Reden, Wei-nen und auch Lachen. Endlich verstandmich jemand. Da die Treffen aber nur al-le zwei Wochen stattfanden (inzwi-schen einmal im Monat), suchte ichweiter. Es musste doch andere Eltern ge-ben, die ihr Kind verloren haben?

Im Internet fand ich die Seitewww.leben-ohne-dich.de. Im Schutzeder Anonymität konnte ich meinen Ge-fühlen freien Lauf lassen. Ich konntemeine Gedanken als „normal” anneh-men mit allen Höhen und Tiefen, muss -te meine Tränen nicht mehr versteckenund Gefühle rechtfertigen. Geht es mirsehr schlecht, kreisen die Gedanken imKopf, ist immer jemand da, der zuhört.Scheint ein wenig Licht ins Dunkel zukommen, kann ich anderen Eltern Trostspenden und aus meinen Erfahrungenberichten. Bei den Kennenlern-Treffenhaben für mich viele Mütter und Väterinzwischen ein Gesicht bekommen undes sind intensive Freundschaften ent-standen, die ich nie mehr missen möch-te. Es tut gut zu wissen: „Ich bin nicht al-lein mit meiner Trauer.”

Wie ich die Monate ohne die Kidsüberstanden habe, weiß ich nicht. Ichweiß nur, dass ich es ohne „Leben ohneDich” und die „Verwaisten Eltern” nichtgeschafft hätte.www.jan-erikundjulius.de.vu

Sandra mit Julius & Jan-Erik im Herzen

LeifBeatrice und Lars Baum-gürtel, betroffene ElternNottuln

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ohne sie wären wir in unserer Verzweif-lung versunken. Aber die Fragen, diesich bei der folgenden Orientierung inein neues Leben ohne Leif aufdrängen,können auch sie nicht beantworten:

Auf diese Fragen ist kein gesell-schaftlicher Träger vorbereitet – wederKirche noch Soziale Dienste oder ande-re Einrichtungen. Hilfe haben wir in derGemeinschaft der Betroffenen gefun-den und bei Freunden, die verstandenhaben, dass es nach einem solchen Ver-lust keine Heilung gibt, dass es keineRückkehr in das alte Leben gibt undman sich als Betroffener grundsätzlichändern darf und teilweise muss.

Wer beschäftigt sich schon freiwilligmit dem Thema, das man selbst auchgern ausgrenzen möchte. Jedes Jahrpassiert das Unmögliche 8.000 Fami-lien. Jedes Jahr. Und es vergeht keineWoche, in der man nicht von jemandemhört oder von jemandem angesprochenwird, der unser Schicksal teilt. Es fälltvielen schwer darüber zu reden, da derVerlust eines Kindes unvorstellbar weitaußerhalb aller Möglichkeiten liegt –auch der Möglichkeit, sich vorzustellen,es könnte das eigene Kind betref fen.

Vielleicht ist das aber ein Grund, sichmit der Tatsache auseinander zu setzen,dass Kinder auch bei uns sterben undverzweifelte Menschen hinterlassen, dieneben Mitgefühl auch Hilfe brauchen.

Hilfe, in ein neues Leben aufzubrechen.

Für uns Betroffene – als gesell-schaftliche Randgruppe – gibt es kei-nen strukturierten Betreuungsansatz.Die Hilfe für die Betroffenen fußt aufSelbsthilfe oder dem Engagement ein-zelner Mitmenschen unterschiedlich-sten Hintergrundes, von denen hier ins-besondere den Initiatoren der Selbsthil-fegruppe in Mülheim und der Internet-plattform „Leben ohne Dich” unsererganz besonderer Dank gelten soll.Wenn schon nicht direkt den Betroffe-nen, sollte unsere Gesellschaft wenig-stens solchen Initiativen für Betroffenedie notwendige Unterstützung bieten.

„Leben ohne Dich“ 2019

Wie trauern?

Wie kommunizieren, darüber reden?

Mit wem?

Mit wem nicht?

Wie einen Sinn, eine Erklärungfinden?

Welchen Weg gehen?

Was dürfen? Lachen, Weinen?

Was passiert mit unsererBeziehung, Freundschaften?

Was sind die Eckpfeiler des neuen Lebens nach dem Verlust unseres Kindes?

SebastianFrieda H. betroffene Mutter

LEBEN OHNE DICH, mein Kind –

... ein wahrlich unvorstellbarer Ge-danke, der uns im ersten Leben man-ches Mal gestreift hat – jedoch nur alsschaurige Schreckensvision, die ebenjedes Elternteil wohl mal gedanklichdurchspielt, um sogleich wieder im„woh ligen Jetzt” zu landen mit der sicheren Gewissheit, so etwas würdeschon nicht passieren und schon garnicht uns ... aber ...

... was, WENN DOCH?

Dann beginnt ein anderes Leben, ei-ne spürbare Hölle, die bar jeglicher Vor-stellungskraft derjenigen liegt, die sichnach wie vor im anderen Leben in dervermeintlichen Sicherheit wiegen dür-fen. Diese Hölle hat ihre verschiedenenAusprägungen, je nach Variation desVerlustes: Ist das Kind (oder die Kinder)jünger oder älter verstorben, durch Un-fall oder Krankheit oder gar Mord, hatman Abschied nehmen können oderwurde wie so oft von routinierten Bes-serwissern abgeraten, sich „das Schreck-liche” noch einmal anzusehen ...

Egal wie sich die Hölle gestaltet, siestülpt sich zunächst immer ohne Netz

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über uns, sie ist immer dunkel, sie ist im-mer tief und will nie enden, sie ver-schluckt meistens unsere Schreie in dieandere Welt, in ihr verbergen sich wahr-lich immer neue Schrecken, die unserePanik und unser Entsetzen so oftwiederkehren lässt. Auf der Suche nachHilfe in der Not, die nie enden wird –denn, unsere Kinder bleiben immer tot– ist es ein Glück, wenn man den Wegzur Internetseite www.leben-ohne-dich.de findet. Hier wird uns endlich derRaum gewährt, der Wiedererkennen imSchmerz zulässt, hier finden wir dieMenschen, die ohne lange Erklärungenwissen, wovon wir reden, hier versuchtjeder zu geben, was er kann, hier darfman auch nur mal verweilen, um sich inder Welt der Wissenden zu erholen.

„Leben ohne Dich” – ein Motto, dases in sich hat und von der Kraft der Initi-atorin zeugt, denn es trägt zugleich dieHoffnung in sich, es lädt ein, nicht auf-zugeben, weiterzumachen, jeden Tageinen Schritt mehr, „wenn nicht allein,so immer wieder gemeinsam.”

Den Tod in uns, gibt es dennoch einLeben, ein Weitermachen in Liebe zuunseren Kindern, die wir niemals gewilltsind, aufzugeben. Das Wissen um unse-ren berechtigten nie enden wollendenSchmerz und der tiefen Sehnsucht nachunseren Kindern lässt uns Mut schöp-fen, es gibt ein „LEBEN OHNE DICH”,mit dir in mir, mein Kind.

In Gedenken an unseren Sohn Se ba-s tian, der mit elf Jahren im Juli 2001 inder Isar ertrank. Ich danke dir, meinSohn, dass du die Liebe in mich ge-pflanzt hast, so oft wird mein Herz vondir berührt und gibt mir die Stärke, nichtaufzugeben.

Ich danke auch Tina und Bodo, diemit der Seite www.leben-ohne-dich.deunserer „Parallelwelt” inmitten des ver-meintlich wahrhaftigen Lebens einenRaum und ein Sprachrohr geschaffenhaben.

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Elterntrauer

2019 „Leben ohne Dich“

Michael UlliUrsula Radenbetroffene MutterBautzen

Nie werde ich den Nachmittag des29. Juni 2004 vergessen, an dem

ich erfuhr, dass am Tag zuvor meinSohn Michael in seiner Wohnung ge-storben war.

Er lebte in Stuttgart und war vorknapp fünf Wochen gerade 26 Jahre altgeworden. Eine Mitbewohnerin hat ihntot in seinem Bett gefunden. Bei derObduktion konnte keine genaue To-desursache festgestellt werden, nurdass sein Herz zu groß war. Man gingdeshalb von plötzlichem Herzversagenaus. Auch durch weitere Untersuchun-

gen konnte keine genauere Diagnoseerstellt werden.

Michi war ein lebenslustiger, sport-licher junger Mann, der außer Erkäl-tungen und eine dadurch ausgelösteBronchitis nie irgendwelche Beschwer-den hatte. Aber welcher junge Menschhat das nicht? Ich habe mir nie etwas

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Elterntrauer

„Leben ohne Dich“ 2019

Schlimmes dabei gedacht.

Er war KFOR-Soldat im Kosovo undaußer einer Hitzeallergie hatte er auchdort keinerlei Beschwerden, die auf ei-ne Herzkrankheit hätten schließen las-sen.

Die nächsten Tage habe ich wie inTrance verlebt, ich bin nach Stuttgartgefahren mit meinem Mann und mei-nen beiden jüngeren Kindern. Ich habedie Beerdigung vorbereitet, einen Sargund eine Urne ausgesucht, weil meinSohn eingeäschert werden wollte. Be-stimmt, welche Kleider Michi angezo-gen werden sollten.

Ich habe einen Kampf ausfechtenmüssen, weil die Pathologie des Ro-bert-Bosch-Krankenhauses der Mei-nung war, dass der Sarg meines Soh-nes geschlossen bleiben sollte, „weil ersich doch schon sehr verändert hätte“.Ich sollte dazu überredet werden, voreinem geschlossenen Sarg Abschiedvon meinem Kind zu nehmen, das ichseit vier Monaten nicht mehr gesehenhatte. Ich habe mich geweigert und ei-ne würdige Aufbewahrung verlangt.

Im Nachhinein bin ich sehr frohüber meine Starrsinnigkeit. Michi hattesich natürlich in der Woche seines To-des verändert, aber nicht so, dass ichihn nicht mehr hätte ansehen können.Ich konnte ihn noch einmal streicheln,

ihn anschauen, einfach bei ihm sein.Zum Glück hatte ich ein Beerdigungs-institut gefunden, das dies alles sehreinfühlsam in die Wege geleitet hat.Wie ich später erfahren habe, ist dieskeine Selbstverständlichkeit.

Ich habe die Freundin meines Soh-nes getröstet, ihr dabei geholfen, Michinoch einmal zu streicheln, ihn anzufas-sen. Auch mein jüngerer Sohn undmeine Töchter fühlten sich durch mei-ne vermeintliche „Stärke“ dazu in derLage, sich von ihrem Bruder zu verab-schieden.

Es kam der Tag der Trauerfeier. Vor-her musste ich mir überlegen, wie die-se ablaufen sollte. Michi war getauftund konfirmiert, gehörte aber keinerKirchengemeinde an. Ich konnte mirkeine christliche Beerdigung für ihnvorstellen. Aber eine Beerdigung ohnePfarrer? Mit einem freien Redner? Daskonnte ich mir ebenso wenig vorstel-len. Durch das Beerdigungsinstitutwurde mir dann doch ein freier Rednervermittelt.

Mit sehr gemischten Gefühlen habeich einen Termin mit ihm vereinbart.Habe ich doch in den neuen Bundes-ländern schon manche Beerdigung miteinem „Redner“ mitgemacht und siealles andere als schön empfunden.Wenn man überhaupt von „schön“ beieiner solchen Angelegenheit reden

kann. Im Nachhinein muss ich sagen,dass die Trauerfeier meines Sohnessehr schön und feierlich war. Es wurdeOrgel und Cello gespielt, keine Musikaus der „Konserve“. Auch die Rede warberührend und hat genau die wichtig-sten Lebenspunkte Michis wiedergege-ben. Ich war erleichtert, mich dafürentschieden zu haben.

Viele Monate später habe ich imInternet zufällig ein Portrait über denRedner gefunden, er hat Theologie stu-diert und war sehr lange Jahre als Pries-ter tätig.

So viele Menschen habe ich nochnie auf einmal gesehen. Fast befürchte-te ich, die Plätze in der Kapelle würdennicht ausreichen. Auch an diesem Taghabe ich getröstet, geholfen, geredet,war für alle da. Ich kann mich über-haupt nicht mehr an Einzelheiten erin-nern. Es wurde mir dann später er-zählt, wie gefasst und ruhig ich dage-sessen und für alles gesorgt hätte.

Dann kam die Urnenbeisetzungmeines Sohnes zwei Wochen später.Vor dieser hatte ich große Angst. MeineEltern wurden auch eingeäschert unddie Urnenbeisetzung war einfachfurchtbar. Dann habe ich von HerrnBayer - dem Redner bei der Trauerfreier- erfahren, dass er selbstverständlichauch bei der Urnenbeisetzung dabeisein würde, wenn dies mein Wunsch

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Michi

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Elterntrauer

2019 „Leben ohne Dich“

wäre. Ja, es war mein Wunsch und soging auch diese Beisetzung in feier-licher Würde vor sich.

23 Monate sind vergangen, 23 Mo-nate ohne ihn, ohne seine Anrufe, seinLachen, seine Späße. Immer wieder be-kam ich zu hören, dass ich loslassensolle.

Wie kann ich mein Kind loslassen?Wie kann ich akzeptieren, dass er vonjetzt auf nachher plötzlich nicht mehrda ist? Wie kann ich Versäumtes nach-holen? Wie kann ich damit leben, dassich ihn immer habe machen lassen,was er wollte? Ihn im Februar 2004 zu-letzt gesehen habe, weil er nie Zeit hat-te? Und ich immer dachte, lass ihn, dasnächste Mal wird es schon klappen.Leider gab es kein nächstes Mal mehr.

Wie kann ich damit fertig werden,dass mein Kind fast eine Woche in einerSchublade der Pathologie lag, ganz al-leine, weil ich 500 km weit entferntwohnte und sein in der Nähe wohnen-der Vater nicht in der Lage war, seinenSohn würdig aufbahren zu lassen.

Lauter Fragen, auf die ich wohl nieeine Antwort bekommen werden.

Soll ich mir den Spruch auf seinerTraueranzeige zu Herzen nehmen undglauben was da stand?

Der Tod hat keine Bedeutung -ich bin nur nach nebenan gegangen.

Ich bleibe wer ich bin.Und auch ihr bleibt dieselben.

Was wir einander bedeutenbleibt bestehen.

Nennt mich mit meinem vertrautenNamen, sprecht in der gewohnten

Weise mit mir und ändert euren Ton-fall nicht! Hüllt euch nicht in Mäntel

aus Schweigen und Kummer -Lacht wie immer über die kleinen

Scherze, die wir teilten.

Wenn ihr von mir sprecht,so tut es ohne jede Reue und Traurig-keit. Leben bedeutet immer Leben -

es bleibt bestehen immer ohne Unterbrechung.

Ihr seht mich nicht,aber in Gedanken bin ich bei euch.Ich warte eine Zeitlang auf euch -irgendwo, ganz in der Nähe -nur ein paar Straßen weiter.

(Henry Scott Holland)

Am 28. Juni 2004 sank die Sonne,bevor es Abend wurde,

weil du gingst,ohne dass wir uns voneinander

verabschieden konnten.

Du hinterlässt eine große Lückeund eine unendliche Leere,die niemand füllen kann.

Oft stehe ich an deinem Grab undkann nicht fassen,dass du darin liegst.

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Elterntrauer

25„Leben ohne Dich“ 2019

Der Schmerz, die Trauer,die Sehnsucht nach dir,

niemand kann sie mir nehmen.Niemand kann mir helfen,

niemand wird dich jemals ersetzen.

Irgendwann werde ich begreifen,dass du niemals wiederkommst,

aber in meinem Herzenwirst du bleiben, für immer!

(Verfasser unbekannt)

Zu meinem Glück fand ich dann dieInternetplattform “Leben ohne Dich”.Dort fühlte ich mich verstanden undaufgefangen in meiner Trauer. VieleMenschen von dort kenne ich inzwi-schen persönlich und uns verbindet ei-ne tiefe Freundschaft.

© Ursula Raden

Es weht der Wind ein Blattvom Baum,

von vielen Blättern eines.

Das eine Blatt- man merkt es kaum -denn eines ist ja keines.

Doch dieses Blatt alleinwar Teil von unsrem Leben,

drum wird dies eine Blatt alleinuns immer fehlen.

(Manuela Hörmann)

Eigentlich stehe ich ganz ruhig vormeinem Schicksal. Ich beobachte

es, als ob es gar nicht zu mir gehörenwürde. Was mir passiert ist, gehört zuden Alpträumen jeder einzelnen Mut-ter. Es ist der Alptraum an sich. Und ichlebe noch. Einfach unfassbar.

Seit drei Jahren lebe ich damit. Malbesser und mal schlechter. Aber seitkurzem in dem Bewusstsein, dass ichwirklich lebe, dass es weiter geht. Erstwar es ein ungeliebter Gedanke, dennich wollte nicht mehr leben. Es gab we-nig Gründe weiterzumachen, das Le-ben anzunehmen. Aber ich habe ge-lernt, dass es tatsächlich weiter geht.Und nun weiß ich, dass das Leben mirviel bedeutet, dass ich leben will, mitaller Kraft und Energie, die sich wiedereingefunden hat, die sich in mir regt,die meinen Schmerz manchmal zurSeite schiebt, obwohl ich mich nochdagegen wehre.

Ich möchte ein anderes Leben ha-ben als „vorher“, eines, das von denkleinen Dingen bestimmt wird und mirkleine Dinge anbietet und gibt. GrosseDinge sind nicht mehr interessant. Ichmöchte auf einer Parkbank sitzen undin der Ferne die spielenden Kinder be-o bachten. Ich möchte mir selbst genug

sein. Ich möchte morgens aufwachenund Frieden empfinden, ganz tief inmir drin. Ich möchte lebenslustig seinund lachen. Nicht so wie vorher, dennheute hat mein Lachen eine ganz ande-re Bedeutung. Nur für mich, denn ichweiß, was mich das Wiederentdeckendieses Lachens gekostet hat – mein frü-heres Leben.

Ich stehe neben mir und beobachtemich und alles ist ganz anders. Und dieWelt ist anders geworden. Es sind Din-ge passiert, die keiner für möglich ge-halten hätte, die über der Schmerz-grenze liegen, jenseits von dem, was einnormaler Mensch ertragen kann. Aberwas kann ein normaler Mensch ertra-gen?

Ich frage mich, wie man diesenSchmerz leben kann. Jede Minute desTages. Dieser Irrsinn, der einen erfasst,der einem den Atem abschnürt, dieStimme versagen lässt. Der jede Bewe-gung in sich selbst stoppt. Und dochlebe ich.

Ich bin zu einem anderen Menschengeworden. Es tut weh. Denn ich fragemich, warum so etwas passieren muss,damit man zu sich selbst findet. Damitman das Leben so akzeptiert, wie es nungeworden ist. Und damit man eine ge-wisse Bescheidenheit entwickelt, eineDankbarkeit für die ganz kleinen Dingedes Lebens, die einem geblieben sind.

HäutungenMarieluise betroffene Mutter

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Elterntrauer

2019 „Leben ohne Dich“

Ich sehe fast überall betretene Gesichter.Als es mir so schlecht ging, war es nichtso. Heute geht es mir nicht mehrschlecht, nur anders. Niemand kann da-mit umgehen. Ich mache euch Angst,weil ich unbeugsam geworden bin, füreuch in gewisser Weise unmenschlich.Ich halte euch einen Spiegel vor und ins-geheim denkt ihr, wie würdet ihr damitumgehen, wenn es euch passiert? Auchso stark, wie ihr glaubt dass ich bin?Nach all den Jahren kennt ihr mich nochimmer nicht. Ihr denkt immer noch,dass ich stark bin, so wie vorher. Undwisst nicht, wie schwach ich sein kann,aber dass dieses Eingeständnis derSchwäche für mich in meiner Situationeigentlich Stärke bedeutet und mich stolzwerden lässt. Stolz auf mich selbst. Dennwer kann sich schon erlauben, schwachzu sein? Nur Menschen wie ich.

Und damit habe ich mich ausgegrenztaus dem normalen Leben. Irgend wie binich nicht mehr Teil eurer Welt. Und willes auch nicht sein. Ich will in meiner ei-genen Welt leben, die ich mir mühsamkonstruiert habe. Es ist eine Welt derTrauer und des Schmerzes, aber sie istnicht dunkel. Sie ist lebenswert und oftschön. Weil ich gerne in dieser meinereigenen Welt lebe, egal was ihr sagt.Und weil ihr nie ermessen könnt, dassman so leben kann, wenn man es muss.

Eure Blicke kann ich inzwischen gutdeuten. Sie drücken Unverständnis aus,

Unglauben und eben diese Betroffen-heit. Betroffenheit vor was? möchte icheuch fragen. Aber es kommt nie so weit,nie zu diesen Fragen, weil es für michkeine Bedeutung mehr hat. Ihr verstehtnicht, dass der Tod für mich nun zumNormalfall geworden ist, dass ich keineAngst mehr davor habe, nicht vor ihmund nicht vor mir selbst, da ich damit je-den Tag lebe.

Die ganz Dummen unter euch flüs -tern und lästern und halten mich fürverrückt. Na klar, sie ist über den Tod ih-res Kindes verrückt geworden. Ihr kenntdie andere Schreibweise dieses Wortesnicht: ver-rückt. Und es ist sinnlos, eseuch zu erklären.

Ich wehre mich. Gegen das Unver-ständnis, gegen das Vergessen, gegendas Augen-Verschließen, gegen dieLieblosigkeit und die Nicht-Akzeptanz.Fast schon militant. Es wäre euch eineTrauernde lieber, die nicht so intensivnachdenkt, sich nicht so stark mit ihrerTrauer identifiziert, einfach sich ruhig inihr Schicksal ergibt. Ich bin mühsam.Immer diese schweren Gedanken. Fürmich sind es keine schweren Gedanken– es sind die Gedanken, die ich mir nachdem Tod meines Sohnes mache. Trauerlight? Damit kann ich leider nicht die-nen.

Man kann auch als Trauernde ein re-lativ normales Leben führen. Ich halte

mein Leben inzwischen für ganz nor-mal, weil ich die Trauer als Teil dieserNormalität akzeptiert habe. Ich habe sienicht vergessen, nicht versteckt. Ich ar-beite daran, jeden einzelnen Tag. Sie istquasi zu meinem ganz persönlichenProjekt geworden, an dem ich michmessen kann. Ich verlange mir viel ab,mache große Anstrengungen. Ich habemeine schlechten Momente und meineguten. Meine Sternstunden und meineDesaster – und ich lebe sie beide.

Meine Gedankengänge sind manch- mal wirr, von vielen nicht zu verstehen.Auch das muss ich akzeptieren, denn esist halt so. Was ich durchlebt habe, kannzu keinen klaren Gedanken führen. Ichstrauchle, ich suche nach Worten, ichvergesse Dinge, aber meistens nur dierelativ unwichtigen. Ich kann michmanchmal nicht konzentrieren. Findediese Worte nicht, sehe eure Gesichtergeprägt von Entsetzen. Aber vielleichtbilde ich mir das nur ein, denn ich bin soempfindlich geworden. Auch andereMenschen, denen das nicht passiert ist,haben manchmal Ausfälle. Nur machensie sich dazu keine Gedanken. Ich neh-me das persönlich, weil mich mein Per-fektionismus auch in der Trauer beglei-tet. Die gewisse Leichtigkeit, dieses sich-selbst-Verzeihen, das fehlt mir.

Ich habe mich in den letzten Jahrenso oft gehäutet. Ich habe so viele Ent-wicklungen durchgemacht und sie wa-

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Geschwister-Credo

Geschwister-Credo Wir sind „verwaist” als trauernde Geschwister.

Doch wir sind nicht allein in der Gemeinschaft jungerMenschen, die mit dem Tod von Bruder und Schwester leben müssen.

Öffnet Eure Herzen und habt Geduld mit uns.

Manchmal brauchen wir die Unterstützung unserer Freunde.

Manchmal suchen wir den Schutz unserer Familie.

Manchmal müssen wir alleine gehen, begleitet von unseren Erinnerungen.

Immer auf der Suche nach uns selbst.

Wir können unsere toten Brüder und Schwestern nicht ersetzen, aber ein besonderer Teil von ihnen lebt in unsweiter.

Ihr Tod hat unser Leben verändert.

Es verläuft nun ganz anders, als wir es erträumt hatten.

Wir fühlen die Verpflichtung, stark zu sein, auch wenn wirschwach sind.

Wir leben weiter, weil wir den Wert der Familie und daskostbare Geschenk des Lebens nun besser verstehen alsviele andere.

Unser Ziel ist es, als trauernde Geschwister nicht auf derStrecke zu bleiben, sondern nach vorn zu schauen undgemeinsam unseren Weg zu suchen.

Wir sind nicht allein in der Gemeinschaft „verwaister Geschwister”.

In freier Übersetzung von A. Riebel/M. Voss-EiserCopyright: A. Riebel/M. Voss-Eiser und Verwaiste Eltern undGeschwister Hamburg e. V.

27„Leben ohne Dich“ 2019

Geschwistertrauer

ren so schmerzhaft. Jede einzelne Phasehat weh getan. Heute kann ich es besserverstehen, denn ich habe die Trauer er-forscht. Man hat mir dabei geholfenund ich habe diese Hilfe angenommen.Ich habe sozusagen das Beste darausgemacht. Mühsam, unter Schmerzen.Kann man sagen, es hat sich gelohnt?

Und trotz allem sitze ich manchmalda, total verzweifelt. Vermisse ihn, deneinzigen Menschen, an den ich mich jeanlehnen konnte. Weil er so war wie ichbin, weil er mich ohne viele Worte ver-standen hat. Weil er mich mit einem La-chen in den Arm nehmen konnte, alleZweifel wegwischen, mir Selbstbe-wusstsein und Stolz gegeben hat, michbestärkt hat in meinen Plänen, mir ge-holfen hat sie durchzuziehen. Das mussich wohl jetzt alleine tun, mühsam, abermit ihm immer an meiner Seite. Denndas hat sich nicht verändert.

In Liebe und DankbarkeitYannis, Tina und Bodo gewidmet

Marieluise mit Alexander fest verbun-den und mit Walids starkem Arm ummeine Schulter

Mein Sohn Alexander ertrank am11. April 2002 bei einem Bootsunglückin der Türkei. Er war damals 24 Jahrealt.

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Geschwistertrauer

2019 „Leben ohne Dich“

3.650 Tage

N un sind schon zehn Jahre vergan-gen, aber der Schmerz ist geblie-

ben. Hatten die Anderen mir nicht ver-sprochen: „Die Zeit heilt alle Wun-den?“

Leider hatten sie wohl überhauptkeine Ahnung, wovon sie da redeten.Die Zeit heilt so tiefe Wunden nicht. DasMesser, das da in deinem Herzen steckt,kann kein Mensch wieder entfernen.Aber die Zeit gibt dir die Möglichkeit,Strategien zu entwickeln, um zu lernen,mit der Trauer besser umgehen zu kön-nen.

In den ersten Wochen und Monatennach dem Unfall wollte ich es nichtwahr haben, dass meine kleine Schwes-ter, meine beste Freundin, deren Vor-bild und teilweise Vaterfigur ich war, beieinem Altersunterschied von neun Jah-ren und einem Vater, der sich nicht vielaus Familie machte, einfach so gegan-gen war. Das konnte und durfte nichtsein.

Jeden Morgen wachte ich mit derHoffnung auf, alles wäre nur ein Alb-traum gewesen. Sie musste jeden Au-genblick wieder durch die Wohnungs-tür kommen.

Mein Leben schien in einem Nebeldes Schmerzes unterzugehen.

Mit niemandem konnte ich übermeine Gefühle, meine Traurigkeit undmeinen unerträglichen Schmerz reden.Viele versuchten, mir gut zuzusprechen,doch ihre gut gemeinten Ratschlägeklangen wie Hohn. Sie konnten sich um-drehen und waren wieder in ihrem ganznormalen Alltag.

Bei mir hingegen war alles anders.

Ich hatte Angst, fröhlich zu sein. Eswar mir unmöglich, fröhlich zu sein undzu lachen, während meine Schwestertot war. Ständig hatte ich ihr gegenüberein schlechtes Gewissen. Dabei warenwir seit unserem gemeinsamen Urlaub,damals war sie zwölf Jahre alt, so gutmiteinander ausgekommen wie nie zu-vor.

Kein Streit oder ähnliches hatte un-sere Beziehung über den Tod hinaus be-lastet.

Ann KatrinRouvenbetroffener Bruder

Ann Katrin

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Geschwistertrauer

Ich wusste, auch sie würde es nichtwollen, dass ich im Leben keinen Spaßund keine Freude mehr empfinden wür-de. Auch im Hinblick auf meine Frauund meine kleine Tochter, deren Paten-tante sie gewesen war.

Erst bei „Leben ohne Dich“ habe ichGesprächspartner gefunden, die wus-sten, wovon ich da sprach. Sie gabenmir den ersten und so wichtigen Halt,den ich zu dieser Zeit brauchte. Doch eswar ein langer Weg und selbst heute,zehn Jahre nach ihrem Tod, passiert esmir ab und zu immer noch für einenkurzen Moment, dass dieses schlechteGewissen zurückkommt.

Zudem vergeht nicht ein Tag, andem ich nicht an sie denke. Doch ichhatte das Glück und konnte die Ereig-nisse und Gefühle in Kreativität umset-zen und Geschichten, Gedichte und Lie-dertexte schreiben. Ich gründete „UpperMount Sound“, ein „Independent MusicLabel“, mit dem ich versuche, diesesThema musikalisch zu den Menschenzu bringen. Ich habe meinen erstenSong „Little Rose“ veröffentlicht und ar-beite weiter an einem Album.

Dies ist mein Weg, mit demSchmerz, der Traurigkeit und dem sogroßen Verlust leben zu können. Ich sel-ber kann es und will es oft nicht wahr-haben, doch auch ein so tiefgreifendesund negatives Erlebnis kann Dinge her-

vorbringen, die ansonsten so nicht ent-standen wären. Das macht den Verlustnicht wieder gut, es heilt auch nicht dieWunden und es bringt mir mein unbe-lastetes und unbeschwertes Leben nichtwieder zurück. Auch kann es die ständi-ge leicht traurige Stimmung nicht ver-treiben. Mir hat es aber einen Weg auf-gezeigt, das Leben wieder leben zu kön-nen.

Ich hoffe, auch Ihr findet eine Mög-lichkeit, in Eurem Leben wieder eine Ba-sis zu schaffen, auf der es gelingt, dieBelastung durch die Trauer zu ertragen.

Eines weiß ich mit Gewissheit: Wer-de ich diese Welt einst, mit 95 Jahrenoder mehr, verlassen, wartet jemandauf mich, mit dem ich die Ewigkeit nochvor mir habe. Was sind da schon 55 Jah-re Wartezeit.

Rouvenwww.upper-mount-sound.com

Es gibt niemanden auf der Welt,der Dich ersetzen kann.Du bist einzigartig

Und Du gehörst zu mir.Ich werde Dich vermissen,

solange ich lebe.

(Cindy Adkins)

Ich war 1982 in den Ferien bei meinerOma in Franken als Karsten geboren

wurde. Bei meiner Rückkehr fand ichalso ein schreiendes Bündel vor, wel-ches sich als mein Bruder entpuppte.

Meine Mama ging relativ schnellwieder arbeiten, und so hatte ich ihn alsgroße Schwester recht oft „an der Bak-ke“. Ich liebte ihn über alles, auch wennman einen kleinen Bruder nicht überallgebrauchen kann.

Egal wo wir hinkamen, wenn Kar-sten etwas bekam, sagte er immer:Gwendy auch! Mit seinem Charme wi-ckelte er alle um seinen kleinen Finger.

Wir hatten zueinander eine stärkereund bessere Bindung als zu unseren El-tern. Eher hieß das: Wir gegen den Rest.

Im Kindergarten entwickelte er ei-nen recht eigenwilligen Stil, der ihm dieersten „Feinde“ einbrachte. Sein Dick-kopf prägte sich immer mehr aus.

Als er mit sechs Jahren eingeschultwurde, hatten wir das erste Mal so rich-tig mit seinen Eigenarten zu tun. Er warrichtig neugierig auf die Schule undwollte lernen.

„Leben ohne Dich“ 2019

KarstenGwendolynbetroffene Schwester

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Geschwistertrauer

2019 „Leben ohne Dich“

Als die Lehrerin meinte, dass jetztBasteln und Malen dran wäre, setzte ersich mit seinen Spielzeugautos unterden Tisch und spielte. Auf die Frage wa-rum er nicht mitmache, antwortete er:Das kann ich auch zu Hause.

Der Machtkampf zwischen ihm undder Lehrerin ging dann fatal aus. Er hatseine Wut an den Stühlen ausgelassen.Unsere Eltern mussten ihn von derSchule nehmen. Leider hatte dieses Er-eignis seinen Schulweg sehr stark ge-prägt.

Er kam somit erst einmal in die Vor-schule (an einer anderen Schule), wo erwieder von diesen Emotionen runterkam. Als er erneut eingeschult wurde,bekam er eine supernette Lehrerin, derer viel zu verdanken hatte.

Karsten schloss Freundschaften inunserer Straße, leider nicht immer mitden „Richtigen“. Er ging zeitweise ge-gen Alles und Jeden, wenn ihm etwasnicht passte.

Reibereien gab es natürlich auchzwischen uns.

Zu seiner Konfirmation wünschte ersich dasselbe wie ich es bekommen hat-te. *lach* Typisch, Karsten!

Er bekam etwas Ähnliches.

Die Schule konnte ihn nie recht be-geistern. Er meinte, er müsse für anderelernen, und das wollte er nicht. Somithat er die Hauptschule mit einem Ab-gangszeugnis verlassen.

Er machte mit Hilfe des Arbeitsamteseine Lehre zum Maurer und bestanddiese 2006 mit einem guten Abschluss.Im Sommer machte er seinen Führer-schein. Was waren wir stolz auf ihn.

Im September verabschiedete er sichvon uns. Er hatte eine Freundin, die inÖsterreich wohnt und arbeitet. Als erdorthin zog, hatte er bereits einen Ar-beitsvertrag in der Tasche. Hier wäre erarbeitslos gewesen.

Endlich hatte er seinen Weg gefun-den!

Am 28.12.2006 war ich bei meinemMann im Geschäft und half ihm bei derInventur.

Nachmittags ging das Telefon. Mei-ne Mutter war dran und sagte uns, dasswir sofort kommen sollen. Karsten hät-te einen Unfall gehabt, und die Polizeisei im Haus. Bei diesem Anruf wusste icheigentlich gleich, was Sache ist, aber ichwollte es nicht glauben.

Mein Mann fragte mich auf der Fahrtzu ihnen, was ich meine wie es mir ge-hen würde, wenn Karsten wirklich ver-storben wäre.

Ich sagte, dass ich es nicht wüsste.Da wir ja seit 11 Jahren nicht mehr wirk-lich viel Kontakt zueinander hatten,wird es schon nicht so schlimm werden.(Ich hatte seit meinem 21. Lebensjahr ei-ne eigene Wohnung.)

Pustekuchen! Es wurde das schwär-zeste und tiefste Schlagloch meines Le-bens, und es sollte für einige Zeit mein„Wohnsitz“ sein.

Als wir bei meinen Eltern ankamen,war die Polizei gerade weg. Vater mach-te die Tür auf und sah aus, als wenn erum 30 Jahre gealtert wäre und gleichzusammenbrechen würde.

Karsten

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Geschwistertrauer

In der Küche saß der Pastor mit un-serer Mutter. Sie war zwar am Heulen,aber relativ gefasst.

Der Pastor und unsere Mutter schil-derten uns, was passiert ist, wobeiselbst die Polizei wohl noch nicht wirk-lich genaueres wusste. Die hatten sogarursprünglich gedacht, dass unser Vaterim Auto gesessen hätte, da das Auto aufihn zugelassen war.

Da der Unfall in München gesche-hen war, sagte ich: Lasst uns doch maldie Nachrichten auf BR ansehen. Solcheinen Unfall bringen die doch be-stimmt.

Und so war dem auch. Ich weißnicht, ob es nicht doch ein Fehler war,denke manchmal schon. Was wir bis da-hin nicht wussten, erfuhren wir über dieNachrichten.

Karsten ist in seinem Wagen ver-brannt. Was für ein Schock.

Durch die Autopsie erfuhren wirspäter, dass er SOFORT tot war. Vondem Feuer hat er nichts mehr mitbe-kommen. Wenigstens ein kleiner Trost.

Ich saß da und dachte nur immer:Das kann nicht wahr sein. Das passiertnur anderen. Wer sagt mir denn, dass eswirklich Karsten ist und nicht jemandanderes?

Die nächsten Tage brachten die Ge-wissheit, dass er es war. Für mich undMutter nur theoretisch, da wir immernoch auf ein Klingeln meines Handywarteten.

Ende Januar konnten wir Karstenendlich beisetzen.

Meine, unsere Eltern hatten ent-schieden, dass wir ihn nicht im Sarg,sondern per Urne nach Hause holen. Dauns abgeraten wurde ihn anzusehen, sokamen wir gar nicht erst in Verlegen-heit.

Irgendwie war es unwirklich, dass indiesem kleinen Behälter (der Urne) meinBruder sein sollte. Es war lange ein Pro-blem für mich.

Nach der Beisetzung erfuhr ich et-was, was mich total erstaunte. Karstenhat von mir immer ganz stolz erzählt

Viele Leute erzählten, dass Karstenwohl immer von mir geschwärmt undmich als Vorbild gesehen hatte. Sie woll-ten mich doch endlich mal kennen ler-nen. Ich kannte diese Personen bis datogar nicht.

Von unseren Freunden hat sich kei-ner von uns abgewendet. Leider habenmir einige Bekannte mit ihrem Beneh-men und ihren Äußerungen so wehge-tan, dass ich von ihnen Abstand ge-

nommen habe.

Etliche Menschen verstehen nicht,dass man länger als vier Wochen um je-manden trauert.

Andere fragten mich, wie es meinenEltern geht. „Aber sie hätten ja auchnoch mich und ihren Schwiegersohn.“Wie es mir ging, fragten nur ganz weni-ge, und meinten das dann auch ehrlich.

Inzwischen sind so einige Jahre seitdem Unfall vergangen.

Das Leben geht weiter und trotz derkleinen Schlaglöcher auf unserem Le-bensweg, bin ich wieder mitten drin.

Die Ehe meiner Eltern ist zerbrochen,meine „alte“ Familie gibt es nicht mehr.

Meinem Mann danke ich sehr, werweiß, wo ich so manches Mal ohne ihngeblieben wäre.

Inzwischen bin ich auch Karstendankbar, was nicht heißen soll, dass ichihn nicht gerne wieder hätte.

Ich habe 2009 eine Trauergruppegegründet, und auch ansonsten „mei-nen“ Weg und meinen inneren Friedengefunden.

Gwendolyn, mit und ohne Karsten

„Leben ohne Dich“ 2019

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Gesegnet seien alle,die mir zuhören,auch wenn das,was ich zu sagen habe,sehr schwer zu ertragen ist.

Gesegnet seien alle,die mich nicht ändern wollen,sondern geduldig so annehmen,wie ich jetzt bin.

Gesegnet seien alle,die mich tröstenund mir zusichern,dass Gott mich nicht verlassen hat.

Oh Herr, berge Du uns allein deiner Hand;nimm Du Dich unser an.Bei Dir bleiben wirim Leben wie im Tod!

Marie-Luise WölfingCopyright: Marie-Luise Wölfing

Der Segen der Trauernden

Gesegnet seien alle,die mir jetzt nicht ausweichen.Dankbar bin ich für jeden,der mir einmal zulächeltund mir seine Hand reicht,wenn ich mich verlassen fühle.

Gesegnet seien die,die mich immer noch besuchen,obwohl sie Angst haben,etwas Falsches zu sagen.

Gesegnet seien alle,die mir erlauben,von dem Verstorbenen zu sprechen.Ich möchte meine Erinnerungennicht totschweigen.Ich suche Menschen,denen ich mitteilen kann,was mich bewegt.

Der Segen der

Trau

ernd

en32 2019 „Leben ohne Dich“

Texte und Gedichte

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33„Leben ohne Dich“ 2019

Texte und Gedichte

Es war einmal eine sehr, sehr alte See-le, die sehr, sehr viele Menschleben

auf der Erde gelebt hatte und deren Da-sein als Seele jetzt ebenfalls fast zu Endewar, ja, bald würde sie mit der EWIG-KEIT verschmelzen und ein Teil davonwerden.

Im Augenblick saß die alte Seele in der Leere zwischen ihrem letztenMenschleben und ihrer künftigen Ver- schmel zung. Ihre besten Freunde wa-ren auf und davon, die alte Seele konn-te sie unten auf der Erde sehen, wie je-de von ihnen einen Menschen mit Eifer,Neugier und Staunen und den ver-schiedensten Gedanken erfüllte.

„Ich will dorthin”, sagte die alte See-le. „Ich habe immer noch eine ordent li-che Portion Freude übrig. Ich will dort-hin und sie ihnen schenken.”

„Aber die Zeit, die dir vor der Ver-schmelzung bleibt, ist so kurz”, warnteder Wächter. „Natürlich kannst du ih-nen Freude schenken, aber wenn dunur so kurze Zeit bei ihnen bleibst,schenkst du ihnen zugleich eine großeTrauer, wenn du sie verlässt.” „Ichweiß”, sagte die alte Seele. „Aber ich willes trotzdem. Ich will ihnen so viel Freudeschenken, dass sie ihnen danach über dieTrauer hinweghilft.”

„Dann soll es so sein, wie du eswillst”, sagte der Wächter und schicktedie sehr, sehr alte Seele los.

Daraufhin bekamen ein Mann und ei-ne Frau auf der Erde ein Kind, das sie sichschon lange gewünscht hatten. Es warein allerliebstes Kind, das ihnen vom Tagseiner Geburt an Freude bereitete, jeneungetrübte Freude, die die Menschenempfinden, wenn ihre Seelen einanderbegegnen und sich voller Entzücken ausder Ewigkeit wiedererkennen.

„Aber bleibt dir nicht nur sehr wenigZeit?”, flüsterte die Seele der Mutter deralten Seele in dem kleinen Mädchen zu.

„Die Zeit ist kurz, aber die Freude istgroß”, antwortete die sehr alte Seele.

Und obwohl die Mutter dieses Ge-spräch nicht hörte, weckte das Geflüstereine ahnungsvolle Unruhe in ihr, einenHauch des Wissens, dass wir nichts aufErden besitzen, einer den anderen nichtund nicht einmal uns selbst. Alles wirduns schließlich genommen werden, al-les, was wir mit uns tragen, alle Liebenum uns herum, schließlich auch unserLeben und unser Körper.

Aber das Mädchen wuchs heran,und die Freude, die es verbreitete, warso groß, dass die Mutter diese Gedan-ken vergaß. Und der Vater freute sichebenfalls. Ja, die sehr, sehr alte Seele

Die alte Seele durfte ihre letzte Zeit genauso verbrin-gen, wie sie es sich gewünscht hatte.

Aber die Zeit war kurz, auch nachmenschlichem Maß war sie kurz, undder Augenblick kam, da die Verschmel-zung stattfinden würde. Die sehr, sehralte Seele erhielt den Ruf, dass sie sichunverzüglich zur Zeremonie einfindensolle, und musste gehorchen.

Für die Menschen sah es so aus, alshätte ein plötzlicher Tod das Mädchenereilt. Ihre Trauer war maßlos, genau,wie der Wächter es vorhergesagt hatte.Aber da alle Erinnerungen an ihr Kindnur Freude und nichts als Freude waren,konnten sie ihre Trauer ertragen, genau,wie die sehr, sehr alte Seele es voraus-gesagt hatte.

Und wo man früher die sehr, sehr al-ten Seelen ihr letztes Häppchen Zeit ein-fach in der Leere hatte absitzen lassen,bürgerte sich von nun an in der EWIG-KEIT die Sitte ein, dass die alten Seelenzu Menschen, die sie brauchten, ge-schickt wurden, um ihnen ihre letztegroße Freude zu schenken. Die Freudegibt den Menschen die Kraft, die an- schließende Trauer, die unausweichli-che Trauer zu ertragen und allmählichin etwas Gutes zu verwandeln.

Aus dem Roman „Du fehlst mir, du fehlst mir”von Peter Pohl

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Auf der anderen Seite des Weges

Der Tod ist nichts,

Ich bin nur in das Zimmer nebenan gegangen.

Ich bin ich, Ihr seid Ihr.

Das, was ich für Euch war, bin ich immer noch.

Gebt mir den Namen, den Ihr mir immer gegeben habt.

Sprecht mit mir, wie Ihr es immer getan habt.

Seid nicht feierlich oder traurig.

Lacht weiterhin über das, worüber wir gemeinsam gelacht haben.

Betet, lacht, denkt an mich. Betet für mich.

Damit mein Name im Hause ausgesprochen wird, so wie es immer war,

ohne irgendeine besondere Betonung, ohne die Spur eines Schattens.

Das Leben bedeutet das, was es immer war.

Der Faden ist nicht durchschnitten.

Warum soll ich nicht mehr in Euren Gedanken sein,

nur weil ich nicht mehr in Eurem Blickfeld bin?

Ich bin nicht weit weg, nur auf der anderen Seite des Weges.

Charles PeguyAuf der and

eren

Seite des Weges

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Texte und Gedichte

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35„Leben ohne Dich“ 2019

Es geschah, dass in einem SchoßZwillingsbrüder empfangen wur-

den. Die Wochen vergingen, und dieKnaben wuchsen heran. In dem Maß,in dem ihr Bewusstsein wurde, stieg ih-re Freude: „Sag, ist es nicht großartig,dass wir empfangen wurden? Ist esnicht wunderbar, dass wir leben?”

Die Zwillinge begannen, ihre Weltzu entdecken. Als sie aber die Schnurfanden, die sie mit ihrer Mutter ver-band und die ihnen die Nahrung gab,da sangen sie vor Freude: „Wie groß istdie Liebe unserer Mutter, dass sie ihr ei-genes Leben mit uns teilt!”

Als aber die Wochen vergingen undschließlich zu Monaten wurden, merk-ten sie plötzlich, wie sehr sie sich ver-ändert hatten. „Was soll das heißen?”,fragte der eine. „Das heißt“, antworte-te ihm der andere, „dass unser Aufent-halt in dieser Welt bald seinem Endezugeht.” „Aber ich will gar nicht ge-hen”, erwiderte der eine, ich möchtefür immer hier bleiben.” – „Wir habenkeine andere Wahl”, entgegnete derandere, „aber vielleicht gibt es ein Le-ben nach der Geburt!” – „Wie könntedies sein?“, fragte zweifelnd der Erste,„wir werden unsere Lebensschnur ver-lieren, und wie sollten wir ohne sie le-ben können? Und außerdem haben

andere vor uns diesen Schoß hier ver-lassen, und niemand von ihnen ist zu-rückgekommen und hat uns gesagt,dass es ein Leben nach der Geburtgibt. Nein, dies ist das Ende!”

So fiel der eine von ihnen in tiefenKummer und sagte: „Wenn die Emp-fängnis mit der Geburt endet, welchenSinn hat dann das Leben im Schoß? Esist sinnlos. Womöglich gibt es gar kei-ne Mutter hinter allem.” – „Aber siemuss doch existieren“, protestierte derandere, „wie sollten wir sonst hierhergekommen sein? Und wie können wiram Leben bleiben?” – „Hast du je un-

sere Mutter gesehen?”, fragte der eine.„Womöglich lebt sie nur in unserer Vor-stellung. Wir haben sie uns erdacht,weil wir dadurch unser Leben besserverstehen können.”

Und so waren die letzten Tage imSchoß der Mutter gefüllt mit vielen Fra-gen und großer Angst. Schließlich kamder Moment der Geburt. Als die Zwillin-ge ihre Welt verlassen hatten, öffnetensie ihre Augen. Sie schrien. – Aber, wassie sahen, übertraf ihre kühnsten Träume.

Parabel von den Zwillingen

Weites Meer

Denk Dir ein Bild. Weites Meer. Ein Segelschiff setzt seine weißen Segelund gleitet hinaus in die offene See.

Du siehst, wie es kleiner und kleiner wird. Wo Wasser und Himmel sichtreffen, verschwindet es.

Da sagt jemand: nun ist es gegangen.Ein anderer sagt: es kommt.

Der Tod ist ein Horizont, und ein Horizont ist nichts anderes als die Grenzeunseres Sehens.

Wenn wir um einen Menschen trauern, freuen sich andere,ihn hinter der Grenze wiederzusehen.

Peter Streiff

Texte und Gedichte

Aus „Panter, Tiger und Co.”von Kurt Tucholsky

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Fehlende Hilfsangebote

2019 „Leben ohne Dich“

Gerade in den ersten Stunden undTagen nach dem Tod eines Kindes

ist für trauernde Eltern ein Hilfsangebotdringend notwendig. Sei es akut beimÜberbringen der Todesnachricht beiUnfällen oder in der Klinik, oder in denersten schweren Stunden, in denen Be-troffene nicht alleine gelassen werdendürfen.

Vereinzelt bieten kirchliche Institu-tionen Trauerbegleitung in dieser erstenPhase an, aber es mangelt an einer grei-fenden Organisation, die in jedem Ein-zelfall solch ein Hilfsangebot macht undnicht nur durch Zufall oder durch Initia-tive Einzelner entsteht. Wenn Freundeund Bekannte dem Betroffenen zur Sei-te stehen: um so besser. Doch oft erle-ben wir, dass auch diese nahe stehen-den Menschen mit einer solchen Kri-sensituation überfordert sind.

Oft reicht es aus, nur einfach „da”zu sein, schweigend zuzuhören undggf. bei den plötzlich so schwer gewor-denen Verrichtungen im Haushalt zuhelfen oder bei der Erledigung von be-hördlichem Bürokratismus zu helfen.Denn Trost kann man in einer solchen

Situation kaum spenden, zu tief ist derSchmerz und oft auch der Unglaube,dass dies alles wirklich geschehen ist.

Wir fordern ein strukturiertes Hilfs-angebot, das sich an den aktuellen Be-dürfnissen der Betroffenen und auchder Geschwisterkinder ausrichtet undohne bürokratische Hürden selbststän-dig tä tig wird.

N ach Ablauf der ersten Schockpha-se, in der sich Betroffene zunächst

befinden und meist wie gelähmt zukeinen Aktivitäten fähig sind, tritt nacheiniger Zeit der Wunsch auf, sich mitanderen trauernden Eltern oder Ge-schwistern auszutauschen bzw. einenneuen Weg für das so radikal veränder-te Leben zu suchen.

Oft, weil die direkte Umgebung mitder Situation und der Verfassung derBetroffenen nicht umgehen kann (ausHilflosigkeit oder Unsicherheit). Es ent-steht Resignation der Betroffenen aufdas Unverständnis und die fehlendeSensibilität im Bekannten-/Freundes-

kreis und in der Gesellschaft, wenn dieTrauerphase anhält und klar wird, dasses keine Heilung gibt. So werden Kon-takte gesucht, die die Dimension desSchmerzes und der Trauer ermessenkönnen.

Von einigen Betroffenen wissen wir,dass sie in einer solchen Phase sehr gutvon Trauerbegleitern aufgefangen wur-den. Leider ist die Verfügbarkeit vonentsprechend geschulten therapeu-tisch tätigen Menschen regional inDeutschland sehr unterschiedlich undes werden kaum Informationen überAdresse von Trauerbegleitern undSelbsthilfegruppen für verwaiste Elternbundesweit angeboten.

Es ist dringend erforderlich, eineZentralstelle für diese Informationenaufzubauen, in der sich alle im Hilfsan-gebot Tätigen eintragen können unddie den verwaisten Familien als Infor-mationsquelle einfach zur Verfügunggestellt wird, wenn möglich als Bring-und nicht als Holschuld.

W ir treffen bei unserer Arbeit zu-nehmend auf Menschen, die am

Rande einer existenziellen Lebenskrisestehen und die dringend und sofort Le-benshilfe benötigen. Leider stellen wir

Fehlende HilfsangeboteSoforthilfe in den erstenTagen nach dem Tod desKindes

Informations-Netzwerk für Betroffene

PsychotherapeutischesNetzwerk für Notfälle

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immer wieder fest, dass es weder einNetzwerk von trauererfahrenen Thera-peuten oder Psychologen gibt, noch ei-ne andere soziale Instanz, die diesenMenschen qualifiziert weiterhelfenkann.

Im Gegenteil: Wir hören immer wie-der, wie Betroffene von kontraprodukti-ven Erfahrungen mit (nicht spezielldarauf ausgebildeten oder unsensi-blen) Therapeuten berichten. Für Trau-er um ein Kind erfahrene Therapeutensind nur äußerst selten und nur in we-nigen Regionen Deutschlands zu fin-den.

Aus unserer Sicht wäre es notwen-dig ein Programm aufzulegen, um ge-eignete Therapeuten und Psychologenzu professionellen Trauerbegleiternauszubilden – speziell für verwaiste El-tern. Und zwar durch staatliche Mittelund nicht durch Eigenmittel der Thera-peuten oder der Betroffenen selber,wie heute in der Ausbildung zu Trauer-begleitern üblich.

Darauf aufbauend ist es notwendig,diese ausgebildeten Therapeuten in ei-nem Netzwerk zu organisieren, auf dasdie Selbsthilfegruppen (ohne die gehtes als erste Anlaufstelle nicht) zugreifenkönnen, um bei Extremfällen der Notdie Betroffenen dahin verweisen zukönnen.

„Leben ohne Dich“ 2019

Hilfsangebote

Veranstalter von TrauerseminarenLeben ohne Dich e. V.Prinzeß-Luise-Str. 41· 45479 Mülheim

Tel.: 02 08/42 88 09

Internet: www.leben-ohne-dich.de

Angebot:

- Trauerseminare für Eltern und Geschwister

Trauer- und Lebensberatung T.A.B.U.Goethestr. 1 · 45128 Essen

Tel.: 02 01/32 87 77 · Fax: 02 01/8 32 53 68

Internet: www.tabu-team.de · E-Mail: [email protected]

Angebot:

- Trauerseminare

- Gesprächskreis für Trauernde (Trauercafé)

- Ausbildung „Trauer- und Sterbeprozesse begleiten“

- Fortbildungsangebote für Teams, die mit Trauer und Sterben konfrontiert sind

Verwaiste Eltern und Geschwister Hamburg e. V.Bogenstr. 26 · 20144 Hamburg

Tel.: 0 40/45 00 09 14 · Fax: 0 40/35 71 87 67

Internet: www.verwaiste-eltern.de · E-Mail: [email protected]

Angebot:

- Trauerbegleitung in Einzel- und Gruppenarbeit

- Trauerseminare für betroffene Eltern

- Trauerseminare für Familien inkl. Geschwisterkindern

- Trauerbegleiter-Ausbildung (TBA)

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Literatur

2019 „Leben ohne Dich“

Literatur empfehlungen

Hier listen wir eine kleine Auswahl vonBüchern auf, die wir zur Trauerarbeitempfehlen können. Auf unserer Home-page www.leben-ohne-dich.de findenSie unter „Information/Literatur” eineumfassende Zusammenstellung von Bü- chern zum Thema. Wenn Sie Bücherüber unsere Internet-Seite bestellen, hel-fen Sie uns bei dem Betrieb dieser Foren.

Um Kinder trauernEltern und Geschwister begegnendem TodAnja WieseGütersloher VerlagshausISBN: 3579009389

Tröstliche Begegnungen mit verstorbenen Kin dernEltern berichtenCherie SutherlandScherz ISBN: 3502147051

Es wird alles wieder gut, aber niemehr wie vorherBegleitung in der TrauerJochen JülicherEchter ISBN: 3429020816

Unendlich ist der SchmerzEltern trauern um ihr Kind Julie Fritsch, Sherokee IlseKösel, ISBN: 3466343364

Wenn ein Kind gestorben istTrauerbegleiter für verwaiste ElternJuliet Cassuto RothmanHerder ISBN: 3451052970

Kinder und TodElisabeth Kübler-RossDroemersche Verlags anstaltISBN: 3426774607

Gute Hoffnung, jähes Ende Fehlgeburt, Totgeburt und Verlustein der frühen LebenszeitHanna LothropKösel ISBN: 3466343895

Wenn Mütter trauernErinnerungen an das verlorene KindUrsula Goldmann-PoschKindler ISBN: 3463400693

Auf der Suche nach den Regen bogentränenHeilsamer Umgang mit Abschied und TrauerJorgos Canacakis, Annette Bassfeld-SchepersBertelsmann ISBN: 3570120406

Meine Trauer wird Dich findenRoland KachlerKreuz-VerlagISBN: 3783125855

Ich will dich nicht vergessenJo-Jacqueline EckardtGütersloher VerlagshausISBN: 3579054538

Empfehlungen für Geschwister:

Geschwistertod: Leben mit einemschweren VerlustMinke WeggemansKösel, ISBN: 3466308437

Du bist tot – ich lebeGabriele KnöllBooks on DemandISBN: 3831148031

Du fehlst mir, du fehlst mir!Peter PohlDTV, ISBN: 3423620129

Das leere ZimmerElizabeth DeVita-Raeburnmvg, ISBN: 3636062484

Transzendentales:

Der Himmel ist nur einen Schritt entferntMein Weg zum MediumPaul MeekVerlag Thanner, ISBN: 3980786501

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Verein/Spende

Seit März 2004 ist „Leben ohne Dich“ein eingetragener Verein. Wir haben

diesen Schritt vollzogen, um in der Zu-kunft weiterführende Projekte für betrof-fene Eltern und Geschwisterkinderdurchführen zu können.

Gegründet von neun betroffenen Eltern,engagieren sich mittlerweile mehr als400 Mitglieder im Verein – entwederdurch aktive Mitarbeit oder finanzielleFörderung unserer Ziele.

Unsere satzungsgemäßen Ziele sind,verwaisten Eltern, Geschwistern und An-gehörigen Hilfe bei der Bewältigung derTrauer und des Schmerzes um ein ver-storbenes Kind anzubieten und aktiveBetreuung von Betroffenen durchzufüh-ren. Eine weitere Aufgabe ist die Infor-mation der Gesellschaft, um einen be-hutsamen und verständnisvollen Um- gang mit Betroffenen zu erreichen.

Unser Hilfsangebot ist mehrstufig aufge-baut:

• Betrieb des Internet-Forums leben-oh-ne-dich.de, um zunächst anonym Kon-takt zu ebenfalls Betroffenen aufneh-men zu können. Hilfe und Verstehen

suchen, anschließend möglicherweiseLebenshilfe selber für andere anbieten,

• persönlichen Kontakt herstellen durchunsere Kennenlern-Treffen und Ferien-wochen,

• permanentes Hilfeangebot in den loka-len Selbsthilfegruppen,

• Veranstaltung von Trauerseminarenunter professioneller Leitung.

Unsere zweimal im Jahr erscheinendeZeitung Liebe – Hoffnung – GeDankenergänzt unsere Angebote und berichtetüber die Aktivitäten rund um„Leben ohne Dich“ und den Verein. Fer-ner werden durch Beiträge von betroffe-nen Eltern und Geschwistern Anstößezu Trauerwegen aufgezeigt und Erfah-rungen wiedergegeben. Bewusst wirdunsere Zeitung von Betroffenen selbergestaltet, ohne redaktionelle Überarbei-tung von „Profis“.

Derzeitiger Vorstand:• Hans Peter Ihrlich(1. Vorsitzender)

• Dieter Keßebohm(stellv. Vorsitzender)

• Dr. Bodo Fritsche(Kassierer)

Der Verein Leben ohne Dich e. V.

„Leben ohne Dich“ braucht IhreUnterstützung!Leben ohne Dich e. V. ist ein eingetrage-ner Verein (gemeinnützig, überparteilichund konfessionell nicht gebunden). AlleGelder werden gemäß unserer Satzungzu 100% und ausschließlich für die vor-her genannten Projekte verwendet, alleMitarbeiter sind ehrenamtlich tätig.Wenn Sie uns bei der Umsetzung unse-rer umfangreichen Angebote helfenwollen oder sich einfach nur solidarischzeigen möchten, dann unterstützen Siebitte unsere Arbeit durch eine förderndeMitgliedschaft oder Spende.Für eine fördernde Mitgliedschaft (ab 25Euro pro Jahr) benutzen Sie unserOnline-Aufnahmeformular auf www.le-ben-ohne-dich.de oder schreiben Sie an:

Leben ohne Dich e. V.Prinzeß-Luise-Str. 41 · 45479 Mülheim

Unser Spendenkonto lautet:Leben ohne Dich e. V.Sparkasse Mülheim an der RuhrBLZ: 36 250 000 · Konto: 356 573 072BIC: SPMHDE3EIBAN: DE86362500000356573072

Geben Sie als Verwendungszweck IhrePostanschrift an, dann erhalten Sie auto-matisch zum Jahresende eine Spenden-bescheinigung für das Finanzamt.Leben ohne Dich e. V. (Vereinsregister Amtsgericht Du-isburg VR 51565) dient nach der eingereichten Sat-zung ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstig-ten mildtätigen Zwecken im Sinne von §§ 51 ff. AO(Steuernummer: 120/5708/0877).

Mitgliedschaft/Spende

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www.bloem

eke-med

ia.de


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