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Langfristige Kompetenzentwicklung im Mathematikunterricht · 2013. 2. 15. · packung usw.) und...

Date post: 28-Aug-2021
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Langfristige Kompetenzentwicklung im Mathematikunterricht Regina Bruder, Technische Universität Darmstadt 1. In welchen Bereichen sollen die Schülerinnen und Schüler im Mathematikunterricht langfristig kompetent werden? Wenn man seinen Mathematikunterricht vorbereitet, stehen immer wieder folgende grundsätzlichen Fragen im Zentrum: a) Was sollen die Lernenden von der Mathematik erfahren und verstanden haben, b) was sollen sie behalten und c) was soll möglichst flexibel angewendet werden können? Versucht man mit den von Heinrich Winter (1995) viel zitierten Grunderfahrungen in einem allgemeinbildenden Mathematikunterricht Antworten auf diese Fragen zu finden, könnte man folgendermaßen argumentieren: Zu a) Die Lernenden sollen erfahren und auch an instruktiven Beispielen verstanden haben, dass die Mathematik deduktiv geordnet ist, eine eigene Sprache besitzt und dass es bestimmte Regeln und Werkzeuge gibt für das Gewinnen neuer Erkenntnisse und deren Begründung, die sich von anderen Disziplinen durchaus unterscheiden. Wenn man die Ecken eines Papierdreiecks abreißt und aneinander legt, kann man (mit physikali- schen Mitteln) eine Vermutung für die Innenwinkelsumme von Dreiecken finden, hat diese aber so noch nicht mit den in der Mathematik zugelassenen Mitteln bewiesen. Zu b). Die Lernenden sollen Denkstrategien der Mathematik beherrschen, also Problemlösefähigkeiten besitzen, die jedoch weit über die Mathematik hinausgehen. Es geht tatsächlich weniger darum, ausgeprägte formale Rechenfertigkeiten zu erwerben oder viele verschiedene Formeln einzuprägen, die ohne ständige Übung keine Chance haben verfügbar zu bleiben. Vielmehr ist das Unterscheiden von Zusammenhängen wichtig – ist es ein linearer oder nichtlinearer, ist es ein periodischer Zusammenhang? Welche Strukturen oder Gesetzmäßigkeiten lassen sich in Gleichungen und geometri- schen Mustern entdecken und wie findet man diese? Dazu bedarf es natürlich eines gewissen unverzichtbaren Repertoires an intelligentem mathematischen Wissen, das auch tatsächlich intelligent geübt und immer wieder aufgefrischt werden muss. Und explizit erlernte heuristische Prinzipien, Strategien und Hilfsmittel können darüber
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Langfristige Kompetenzentwicklung im Mathematikunterricht

Regina Bruder, Technische Universität Darmstadt

1. In welchen Bereichen sollen die Schülerinnen und Schüler im

Mathematikunterricht langfristig kompetent werden?

Wenn man seinen Mathematikunterricht vorbereitet, stehen immer wieder folgende

grundsätzlichen Fragen im Zentrum:

a) Was sollen die Lernenden von der Mathematik erfahren und verstanden haben,

b) was sollen sie behalten und

c) was soll möglichst flexibel angewendet werden können?

Versucht man mit den von Heinrich Winter (1995) viel zitierten Grunderfahrungen in

einem allgemeinbildenden Mathematikunterricht Antworten auf diese Fragen zu finden,

könnte man folgendermaßen argumentieren:

Zu a) Die Lernenden sollen erfahren und auch an instruktiven Beispielen verstanden

haben, dass die Mathematik deduktiv geordnet ist, eine eigene Sprache besitzt und dass

es bestimmte Regeln und Werkzeuge gibt für das Gewinnen neuer Erkenntnisse und

deren Begründung, die sich von anderen Disziplinen durchaus unterscheiden. Wenn man

die Ecken eines Papierdreiecks abreißt und aneinander legt, kann man (mit physikali-

schen Mitteln) eine Vermutung für die Innenwinkelsumme von Dreiecken finden, hat

diese aber so noch nicht mit den in der Mathematik zugelassenen Mitteln bewiesen.

Zu b). Die Lernenden sollen Denkstrategien der Mathematik beherrschen, also

Problemlösefähigkeiten besitzen, die jedoch weit über die Mathematik hinausgehen. Es

geht tatsächlich weniger darum, ausgeprägte formale Rechenfertigkeiten zu erwerben

oder viele verschiedene Formeln einzuprägen, die ohne ständige Übung keine Chance

haben verfügbar zu bleiben. Vielmehr ist das Unterscheiden von Zusammenhängen

wichtig – ist es ein linearer oder nichtlinearer, ist es ein periodischer Zusammenhang?

Welche Strukturen oder Gesetzmäßigkeiten lassen sich in Gleichungen und geometri-

schen Mustern entdecken und wie findet man diese? Dazu bedarf es natürlich eines

gewissen unverzichtbaren Repertoires an intelligentem mathematischen Wissen, das

auch tatsächlich intelligent geübt und immer wieder aufgefrischt werden muss. Und

explizit erlernte heuristische Prinzipien, Strategien und Hilfsmittel können darüber

Page 2: Langfristige Kompetenzentwicklung im Mathematikunterricht · 2013. 2. 15. · packung usw.) und haben sachgerechte Vorstellungen über Wachstum und Veränderung, über das Vergleichen

hinaus Orientierung bieten, sich in der Welt der Mathematik und ihrer Anwendungs-

vielfalt zurecht zu finden und weit darüber hinaus. Was macht man, wenn man seinen

Schlüssel verlegt hat und ihn gezielt suchen will? Rückwärtschließen: „Wo hatte ich ihn

noch?“ Diese Strategie kann man gerade im Mathematikunterricht systematisch

erlernen. Hier ein prototypisches Rätsel1 für das Rückwärtsarbeiten:

Ein Mann geht Äpfel pflücken. Um in die Stadt zu kommen, muss er 7 Tore passieren. An

jedem Tor steht ein Wächter und verlangt von ihm die Hälfte seiner Äpfel und einen

Apfel mehr. Am Schluss bleibt dem Mann nur ein Apfel übrig. Wie viele Äpfel hatte er

am Anfang?2

Zu c) Die Lernenden sind in der Lage, die Welt mit der „Mathebrille“ anzuschauen und

erkennen typische mathematische Fragestellungen innerhalb und außerhalb der Mathe-

matik. Sie sind mündige Bürger, die z.B. mathematische Darstellungen bzw. Interpreta-

tionen von Zusammenhängen in den Medien nachvollziehen bzw. nachfragen können,

z.B. auch Fehler in grafischen Darstellungen finden. Sie können Größenordnungen

abschätzen (was ist 5kg schwer, was ist 80cm breit, wie viel Liter Wasser passen etwa in

einen abgebildeten Tank, erfüllt eine Konfektverpackung die Kriterien einer Mogel-

packung usw.) und haben sachgerechte Vorstellungen über Wachstum und Veränderung,

über das Vergleichen von Anteilen (Prozentrechnung) usw. Mit dem Literacy-Konzept

in der internationalen PISA-Studie (Neubrand 2001) werden durchaus konsensfähige

1Rätsel sind aufgrund des leicht verständlichen und vorstellbaren Kontextes besonders geeignet, Problemlösestrategien zu erkennen und zu erlernen. Es geht im Mathematikunterricht letztlich aber nicht darum, Strategien für das Lösen von Rätseln zu lernen, sondern das ist nur ein Weg, um solche Strategien zunächst ohne größeren Ballast zu verstehen, die dann in komplexeren Zusammenhängen hilfreich sein können.

2Musteraufgaben zum Erlernen heuristischer Strategien findet man in der Aufgabendatenbank für Mathematiklehrkräfte www.madaba.de

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Antworten geben auf die Frage nach dem, was man mit mittlerem Schulabschluss von

der Mathematik anwenden können sollte.

In den Bildungsstandards der KMK (2004) wurde normativ verankert, welche

Kompetenzen im Mathematikunterricht im Laufe der obligatorischen Schulzeit

erworben werden sollen. Hier sollen diese Ziele auf der Grundlage des Weinertschen

Kompetenzbegriffs3 folgendermaßen zusammen gefasst werden und dienen als Antwort

auf die in der Kapitelüberschrift gestellte Frage:

Die Lernenden

- erkennen mathematische Fragestellungen, auch in Alltagssituationen, und

können solche Fragestellungen formulieren und erläutern.

- kennen Mathematisierungsmuster und verschiedene heuristische

Vorgehensweisen sowie Darstellungsarten zur Bearbeitung mathematischer

Fragestellungen und können diese situations- und sachgerecht anwenden,

interpretieren und begründen.

- entwickeln Anstrengungsbereitschaft und Reflexionsfähigkeit für ihr eigenes

Handeln.

Die erstgenannte Zielstellung wird aus mathematischer Sicht gerne als trivial abgetan. In

der Unterrichtspraxis zeigt sich jedoch, dass es gerade im Umgang mit offeneren

Aufgabenstellungen auch deshalb Probleme bei leistungsschwächeren Schülerinnen und

Schülern gibt, weil ihnen intuitive Orientierungen und explizierte Leitbilder für

mathematische Fragestellungen fehlen. Sinnvolle und weiterführende Fragen stellen zu

können, ist eine besondere kognitive Leistung und erfordert ein gewisses Abstraktions-

vermögen mit einer Analyse- und einer Synthesekomponente. Damit wird das

Fragenstellen selbst zu einem Instrument und gleichzeitig zu einem wichtigen Ziel für

Reflexionen im Mathematikunterricht, vgl. Bruder 2007.

Bei der dritten Zielstellung vermisst man vielleicht den fachspezifischen Aspekt, denn

Anstrengungsbereitschaft und Reflexionsfähigkeit würden andere Unterrichtsfächer

sicherlich auch gerne für sich beanspruchen. Aus unseren Untersuchungen zum selbst

3In Übereinstimmung mit Weinert (2001, S. 27f.) verstehen wir unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.

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regulierten Lernen in Verbindung mit mathematischem Problemlösen wurde deutlich,

welches große Potenzial zur Verbesserung von Lernergebnissen allein darin steckt,

Aspekten selbst regulierten Lernens im Mathematikunterricht mehr Aufmerksamkeit zu

schenken und diese in den unterrichtlichen Lernumgebungen gezielt zu verankern, vgl.

KOMOREK et al 2006. Deshalb erscheint es legitim, nach fachspezifischen Ausprägungen

altersangemessener Anstrengungsbereitschaft und Reflexion auch im Mathematikunter-

richt zu suchen.

2. Wie kann langfristiger Kompetenzaufbau im Mathematikunterricht angelegt

werden?

Langfristiger Kompetenzaufbau im Sinne der Bildungsstandards meint folgendes:

Ausgehend vom aktuellen Kompetenzniveau einer Schülerin oder eines Schülers in den

verschiedenen mathematischen Kontexten (Leitideen) in einer Lerngruppe einer

bestimmten Klassenstufe sind solche entwicklungsgemäßen und entwicklungsfördern-

den Aufgaben zu stellen, die für den Lernenden schrittweise einen Kompetenzzuwachs

im Sinne der Ziele des Mathematikunterrichts ermöglichen.

Damit ist einerseits ein hoher Anspruch an die diagnostische Kompetenz der Lehrkräfte

verbunden und andererseits wird erwartet, in heterogenen Lerngruppen individuell

fordernde und fördernde (binnendifferenzierende) Lernumgebungen über geeignete

Aufgaben bereit zu stellen, damit entsprechende Lernprozesse anzuregen und diese

angemessen zu begleiten, vgl. Bruder 2006 und Kap.3. Im Folgenden werden mögliche

Etappen eines langfristigen Kompetenzaufbaus anhand der erstgenannten Zielstellung

vorgestellt.

Damit die Lernenden mathematische Fragestellungen auch in Alltagssituationen

erkennen lernen, eignet sich die Metapher der „Mathebrille“: Wir stellen uns vor bzw.

machen das auch wirklich, nämlich einen Stadtrundgang mit der „Mathebrille“. Wir

notieren alles, worin Mathematik versteckt sein könnte – von der Treppe im Hausflur bis

zur Ampelkreuzung, vorbei an den Antennen auf den Dächern und bis zum Bäcker

nebenan. Welche Fragen musste man früher stellen, damit die Dinge um uns herum

genau so funktionieren, wie wir das kennen und schätzen? Welche mathematischen

Kenntnisse hat man dafür benötigt?

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Der nächste Schritt lautet dann: Wobei wird Mathematik benötigt? Bleiben wir beim

Bäcker: Er will eine neue Leckerei kreieren. Wofür könnte er hierbei Mathematik

gebrauchen? Oder es soll ein neues Zelt für eine bestimmte Zielgruppe entwickelt

werden. Wo benötigt man hier Mathematik? Was sind das jeweils für Fragestellungen?

Gibt es Gemeinsamkeiten aus Sicht der Mathematik, wenn Bäcker und Zeltentwickler

etwas Neues gestalten wollen? Wir suchen weiter nach typischen Situationen, in denen

Mathematik angewendet wird, wenn also Realsituationen mathematisch beschrieben

werden sollen, um damit einen „Mehrwert“ zu generieren. Codes spielen heutzutage

eine große Rolle und es kann auch Missbrauch damit betrieben werden. Kann hier

Mathematik helfen? Oder denken wir an den Bau einer Autobahnabfahrt. Wie angenehm

ist es, wenn das Lenkrad nicht mehrfach eingeschlagen werden muss, weil die Kurve so

eng ist. Das lässt sich sehr gut mit dem mathematischen Begriff der Krümmung

beschreiben und entsprechend modellieren. Wenn man einen Überblick über die

verschiedenen Arten zu fragen in der Mathematik gewinnt, schließt sich immer wieder

die Frage an: Wie kann man solche Situationen/Zusammenhänge mathematisch

beschreiben? Welche Vorteile, welchen Erkenntnisgewinn kann diese mathematische

Beschreibung bieten? Dieses Vorgehen eignet sich mit entsprechenden Variationen für

alle Jahrgänge in den Sekundarstufen.

Jedes Kompetenzziel hat i.w. drei Komponenten: Intelligentes Wissen, Handlungs-

kompetenz und Metakompetenz, vgl. Weinert 1996. Bezogen auf das erst genannte

Ziel, mathematische Fragestellungen erkennen und formulieren zu können, lassen sich

diese Zielformate folgendermaßen konkretisieren:

Intelligentes Wissen wurde entwickelt, wenn die Lernenden in der Lage sind, die Frage

zu beantworten: In welche Richtungen kann man fragen? (Wo ist Mathematik

versteckt, wo hilfreich…). Dafür sollten sie „typische“ Mathematikerfragen kennen, die

u.a. auch in Verbindung mit den fundamentalen Ideen der Mathematik stehen.

Mathematiker versuchen etwas zu optimieren, etwas schrittweise zu verfeinern,

anzunähern, einen Algorithmus zu finden (eine „Formel“) für einen Zusammenhang

oder sie suchen nach mathematischen Modellen für Realsituationen und machen

Simulationen. Und wenn Mathematiker eine Lösung für ein Problem gefunden haben,

dann fragen sie: Ist das die einzige Lösung? Kann man das beweisen?

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- Kann man die spezielle Lösung auch verallgemeinern?

Handlungskompetenz wird benötigt und gefördert, wenn die Lernenden konkrete Fragen

in einem Kontext finden und darstellen, was auf verschiedenen Orientierungsleveln4

möglich ist.

Von Metakompetenz sprechen wir, wenn die Lernenden Beurteilungskriterien für

mathematikhaltige Fragestellungen entwickeln bzw. bekannte Kriterien selbständig

anwenden und reflektieren: Wie kann vorgehen, um gegebene Situationen oder

Zusammenhänge mathematisch zu beschreiben? Welche Vorteile, welchen Mehrwert

kann eine mathematische Beschreibung bieten?

Kompetenzförderung kann schließlich untersucht und gefördert werden innerhalb eines

Schuljahres über verschiedene Unterrichtsthemen bzw. Leitideen hinweg in horizontaler

Verknüpfung (z.B. Abschätzaufgaben in verschiedenen Kontexten) oder innerhalb einer

Leitidee, aber vertikal mit fachlicher Anreicherung angelegt über mehrere Klassen-

stufen. (z.B. Entfernungs- bzw. Abstandsbestimmungen, vgl. Beispiele in Bruder 2006).

Die sogenannte Curriculumspirale bietet hierfür eine geeignete Visualisierung, vgl.

Bruder 1998.

Man kann sich vorstellen, dass Figur und Zahl die zentralen Objekte im mathematischen

Lernprozess darstellen, symbolisiert durch das Eisenbahngleis, auf dem der Lernzug

hinauffährt, abgestützt durch vertikale Kompetenzlinien, siehe Abb.1. In jeder

Klassenstufe kommt man wieder an den einzelnen Leitideen vorbei und dort gibt es

dann Knotenpunkte für einen Erkenntnis- und Kompetenzzuwachs.

Langfristiger Kompetenzaufbau umfasst also sowohl die Anreicherung der

mathematischen Begriffe und Werkzeuge zur Problembearbeitung als auch Steigerungen

im Orientierungslevel, auf dem mit den bisherigen und neu kennengelernten

mathematischen Werkzeugen gearbeitet wird.

4Vor dem Hintergrund des Tätigkeitskonzeptes (Lompscher 1988) unterscheiden wir drei Level für das Orientiertsein in einem Lern- und Anwendungsbereich:

I Orientierung nach Versuch-Irrtum (Probierorientierung) II Orientierung am Beispiel (Muster) III Feldorientierung.

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Abb. 1 Curriculumspirale mit Figur und Zahl als Schienenstrang und vertikalen

Kompetenzlinien, die in jeder Klassenstufe inhaltlich angereichert werden

3. Wie kann langfristiger Kompetenzaufbau im Mathematikunterricht methodisch

unterstützt werden?

Einen entscheidenden Einfluss auf das Angebot und Potenzial zur Kompetenzentwick-

lung haben die Aufgaben. Wird innerhalb einer Unterrichtseinheit ein vielseitiges

Aufgabenangebot bereit gestellt, steigen die Chancen für ein verständiges, nachhaltiges

Lernen. Ein gut überschaubares und handhabbares Kriterium ist die Typisierung von

Aufgaben nach dem Handlungsziel. Mit den in der folgenden Übersicht beschriebenen 8

Zieltypen von Aufgaben wird ein Lerninhalt von verschiedenen Blickwinkeln aus

betrachtet und mit anderen Wissenselementen vernetzt.

Wenn in einer Unterrichtseinheit Aufgaben aller 8 Zieltypen in sinnvollen Anteilen

vorkommen, hat das beachtliche Auswirkungen auf die Qualität der kognitiven

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Anforderungen an die Lernenden und auf die Art des Unterrichts. Details zu diesem

Modell siehe Bruder/Leuders/Büchter 2008.

Aufgabenformate als Zieltypen

Gege- Transfor- Gesuch- Legende: x bekannt

benes mationen tes - unbekannt --------------------------------------------------------------------------------------------------------

X X X gelöste Aufgabe (stimmt das?)

X X - einfache Bestimmungsaufgabe, Grundaufgabe

- X X einfache Umkehraufgabe

X - X Beweisaufgabe, Spielstrategie

X - - schwere Bestimmungsaufgabe,

auch: „Blütenmodell“, Variationen

- - X schwierige Umkehraufgabe

- X - Aufforderung, eine Aufgabe zu einem geg. Thema zu

erfinden

(-) - (-) offene Problemsituation (Trichtermodell)

----------------------------------------------------------------------------------------------------------

Die Breite und Relevanz der 8 Zieltypen für ein Thema soll das Arbeitsprodukt einer

Lehrerfortbildung in Burgwedel (Niedersachsen) zeigen, bei der diese

Aufgabentypisierung als Orientierungsgrundlage für die Entwicklung

kompetenzorientierter Lernumgebungen eingesetzt wurde (siehe nächste Seite).

Das Stellen geeigneter Aufgaben allein, was schon das Variieren von Aufgaben durch

Lehrer und Schüler mit einschließen soll, wird jedoch noch nicht ausreichen, um

nachhaltig zu lernen und damit langfristig solide mathematische Kompetenzen

aufzubauen. Es kommt darauf an, das Lernpotenzial, das in jeder Aufgabe steckt, auch

effektiv zu nutzen. Dabei können die folgenden Fragestellungen helfen, deren

kooperative Bearbeitung im Unterricht nur wenig Zeit kostet:

Welche Strategien waren nützlich?

Welche mathematischen Werkzeuge haben uns geholfen, die Aufgabe zu lösen?

Was ist das Gemeinsame aller Beispielaufgaben, die wir zuletzt bearbeitet haben?

Worin unterscheiden sich die bearbeiteten Aufgaben voneinander?

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Ein weiterer zentraler Aspekt als Voraussetzung und gleichzeitig auch Weg zum

langfristigen Kompetenzaufbau ist das Wachhalten von mathematischem Grundkönnen.

Die regional gut bekannten „Täglichen Übungen“ wurden weiter entwickelt zu

wöchentlichen vermischten Kopfübungen mit Diagnoseelementen. Mit diesem

Instrument kann verstandene Mathematik dauerhaft verfügbar gehalten werden. In

diesen vermischten Übungen wird bewusst keine Aufgabe zum aktuellen

Unterrichtsthema gestellt. Während ein Teil der Aufgaben wöchentlich ähnlich

wiederholt wird, ist ein anderer Teil etwa im 6-Wochenrhythmus flexibel und variierbar.

Beispiele zu solchen Kopfübungen findet man u.a. in der Aufgabendatenbank

www.madaba.de. Regelmäßig wiederkehrende Inhalte von vermischten Kopfübungen in

der Sekundarstufe I sollten u.a. sein:

- Elementare Rechenfertigkeiten in den Grundoperationen

- Umrechnen von Einheiten, Größenvorstellungen und Dreisatz (z.B. Maßstab)

- Zahlen/Anteile/Verhältnisse in verschiedenen Darstellungsformen angeben

- Punkte im Koordinatensystem und Funktionsverläufe identifizieren

- Übersetzungsbausteine (Termstrukturen)

- Basiswissen Geometrie (Winkelsätze, Symmetrie, Kongruenzkriterien,

Flächenberechnung...)

- Ebenes und Raumvorstellungsvermögen (Skizzieren, Identifizieren)

- Logisch-kombinatorisches Denken.

Details zum Modell der vermischten Kopfübungen siehe Bruder/Leuders/Büchter 2008.

Eine besondere Herausforderung in jedem Unterricht ergibt sich aus der Heterogenität

der Lerngruppen, was aber ein ganz natürliches Phänomen ist.

Einen besonders effektiven und für die Lehrkräfte auch realisierbaren Weg

binnendifferenzierter Kompetenzförderung bieten so genannte „Blütenaufgaben“. Damit

sind Aufgaben gemeint, die mehrere Teilaufgaben zum gleichen Kontext besitzen, die

schwierigkeitsgestuft sind. Die erste Teilaufgabe soll niedrig schwellig sein (eine

Grundaufgabe), um möglichst allen Lernenden ein Erfolgserlebnis zu ermöglichen. Die

zweite Teilaufgabe sollte möglichst eine Umkehrung einer Grundaufgabe sein und die

dritte Teilaufgabe und ggf. noch eine folgende sollte offener und schwieriger angelegt

sein.

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Hier ein Beispiel:

Torsten hat sich einen Zaubertrick ausgedacht. Er sagt: „Denke dir eine Zahl.

Verdopple deine Zahl und addiere 9. Multipliziere das Ganze nun mit 4 und ziehe 36

ab.“ Torsten behauptet, dass er anhand des Ergebnisses sofort die gedachte Zahl

benennen kann.

a) Jan denkt sich die Zahl 5. Welches Ergebnis nennt er Torsten?

b) Beim nächsten Versuch hat Jan das Ergebnis 64. Welche Zahl hatte er sich

gedacht?

c) Wie kann Torsten schnell und einfach die gedachte Zahl berechnen? Erkläre,

warum dieser Trick immer funktioniert.

Den Lernenden wird mit einer Zeitvorgabe signalisiert, dass sie sich bemühen sollten

soweit wie möglich zu kommen. Es ist aber auch nicht notwendig, dass alle Lernenden

tatsächlich auch die Teilaufgabe c) in unserem Beispiel alleine schaffen müssen.

Individuelle Förderung heißt nicht darauf zu warten, bis alle eine bestimmte Hürde

überspringen können sondern heißt vielmehr, die Lernzeit effektiv zu nutzen, so dass

alle sich an den Hürden mühen, die für sie die Zone der nächsten Entwicklung

markieren (Vygotski).

Literaturverzeichnis

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Psychologie des Lernens und der Instruktion: Enzyklopädie der Psychologie, D, Serie

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