Langfristige Kompetenzentwicklung im Mathematikunterricht
Regina Bruder, Technische Universität Darmstadt
1. In welchen Bereichen sollen die Schülerinnen und Schüler im
Mathematikunterricht langfristig kompetent werden?
Wenn man seinen Mathematikunterricht vorbereitet, stehen immer wieder folgende
grundsätzlichen Fragen im Zentrum:
a) Was sollen die Lernenden von der Mathematik erfahren und verstanden haben,
b) was sollen sie behalten und
c) was soll möglichst flexibel angewendet werden können?
Versucht man mit den von Heinrich Winter (1995) viel zitierten Grunderfahrungen in
einem allgemeinbildenden Mathematikunterricht Antworten auf diese Fragen zu finden,
könnte man folgendermaßen argumentieren:
Zu a) Die Lernenden sollen erfahren und auch an instruktiven Beispielen verstanden
haben, dass die Mathematik deduktiv geordnet ist, eine eigene Sprache besitzt und dass
es bestimmte Regeln und Werkzeuge gibt für das Gewinnen neuer Erkenntnisse und
deren Begründung, die sich von anderen Disziplinen durchaus unterscheiden. Wenn man
die Ecken eines Papierdreiecks abreißt und aneinander legt, kann man (mit physikali-
schen Mitteln) eine Vermutung für die Innenwinkelsumme von Dreiecken finden, hat
diese aber so noch nicht mit den in der Mathematik zugelassenen Mitteln bewiesen.
Zu b). Die Lernenden sollen Denkstrategien der Mathematik beherrschen, also
Problemlösefähigkeiten besitzen, die jedoch weit über die Mathematik hinausgehen. Es
geht tatsächlich weniger darum, ausgeprägte formale Rechenfertigkeiten zu erwerben
oder viele verschiedene Formeln einzuprägen, die ohne ständige Übung keine Chance
haben verfügbar zu bleiben. Vielmehr ist das Unterscheiden von Zusammenhängen
wichtig – ist es ein linearer oder nichtlinearer, ist es ein periodischer Zusammenhang?
Welche Strukturen oder Gesetzmäßigkeiten lassen sich in Gleichungen und geometri-
schen Mustern entdecken und wie findet man diese? Dazu bedarf es natürlich eines
gewissen unverzichtbaren Repertoires an intelligentem mathematischen Wissen, das
auch tatsächlich intelligent geübt und immer wieder aufgefrischt werden muss. Und
explizit erlernte heuristische Prinzipien, Strategien und Hilfsmittel können darüber
hinaus Orientierung bieten, sich in der Welt der Mathematik und ihrer Anwendungs-
vielfalt zurecht zu finden und weit darüber hinaus. Was macht man, wenn man seinen
Schlüssel verlegt hat und ihn gezielt suchen will? Rückwärtschließen: „Wo hatte ich ihn
noch?“ Diese Strategie kann man gerade im Mathematikunterricht systematisch
erlernen. Hier ein prototypisches Rätsel1 für das Rückwärtsarbeiten:
Ein Mann geht Äpfel pflücken. Um in die Stadt zu kommen, muss er 7 Tore passieren. An
jedem Tor steht ein Wächter und verlangt von ihm die Hälfte seiner Äpfel und einen
Apfel mehr. Am Schluss bleibt dem Mann nur ein Apfel übrig. Wie viele Äpfel hatte er
am Anfang?2
Zu c) Die Lernenden sind in der Lage, die Welt mit der „Mathebrille“ anzuschauen und
erkennen typische mathematische Fragestellungen innerhalb und außerhalb der Mathe-
matik. Sie sind mündige Bürger, die z.B. mathematische Darstellungen bzw. Interpreta-
tionen von Zusammenhängen in den Medien nachvollziehen bzw. nachfragen können,
z.B. auch Fehler in grafischen Darstellungen finden. Sie können Größenordnungen
abschätzen (was ist 5kg schwer, was ist 80cm breit, wie viel Liter Wasser passen etwa in
einen abgebildeten Tank, erfüllt eine Konfektverpackung die Kriterien einer Mogel-
packung usw.) und haben sachgerechte Vorstellungen über Wachstum und Veränderung,
über das Vergleichen von Anteilen (Prozentrechnung) usw. Mit dem Literacy-Konzept
in der internationalen PISA-Studie (Neubrand 2001) werden durchaus konsensfähige
1Rätsel sind aufgrund des leicht verständlichen und vorstellbaren Kontextes besonders geeignet, Problemlösestrategien zu erkennen und zu erlernen. Es geht im Mathematikunterricht letztlich aber nicht darum, Strategien für das Lösen von Rätseln zu lernen, sondern das ist nur ein Weg, um solche Strategien zunächst ohne größeren Ballast zu verstehen, die dann in komplexeren Zusammenhängen hilfreich sein können.
2Musteraufgaben zum Erlernen heuristischer Strategien findet man in der Aufgabendatenbank für Mathematiklehrkräfte www.madaba.de
Antworten geben auf die Frage nach dem, was man mit mittlerem Schulabschluss von
der Mathematik anwenden können sollte.
In den Bildungsstandards der KMK (2004) wurde normativ verankert, welche
Kompetenzen im Mathematikunterricht im Laufe der obligatorischen Schulzeit
erworben werden sollen. Hier sollen diese Ziele auf der Grundlage des Weinertschen
Kompetenzbegriffs3 folgendermaßen zusammen gefasst werden und dienen als Antwort
auf die in der Kapitelüberschrift gestellte Frage:
Die Lernenden
- erkennen mathematische Fragestellungen, auch in Alltagssituationen, und
können solche Fragestellungen formulieren und erläutern.
- kennen Mathematisierungsmuster und verschiedene heuristische
Vorgehensweisen sowie Darstellungsarten zur Bearbeitung mathematischer
Fragestellungen und können diese situations- und sachgerecht anwenden,
interpretieren und begründen.
- entwickeln Anstrengungsbereitschaft und Reflexionsfähigkeit für ihr eigenes
Handeln.
Die erstgenannte Zielstellung wird aus mathematischer Sicht gerne als trivial abgetan. In
der Unterrichtspraxis zeigt sich jedoch, dass es gerade im Umgang mit offeneren
Aufgabenstellungen auch deshalb Probleme bei leistungsschwächeren Schülerinnen und
Schülern gibt, weil ihnen intuitive Orientierungen und explizierte Leitbilder für
mathematische Fragestellungen fehlen. Sinnvolle und weiterführende Fragen stellen zu
können, ist eine besondere kognitive Leistung und erfordert ein gewisses Abstraktions-
vermögen mit einer Analyse- und einer Synthesekomponente. Damit wird das
Fragenstellen selbst zu einem Instrument und gleichzeitig zu einem wichtigen Ziel für
Reflexionen im Mathematikunterricht, vgl. Bruder 2007.
Bei der dritten Zielstellung vermisst man vielleicht den fachspezifischen Aspekt, denn
Anstrengungsbereitschaft und Reflexionsfähigkeit würden andere Unterrichtsfächer
sicherlich auch gerne für sich beanspruchen. Aus unseren Untersuchungen zum selbst
3In Übereinstimmung mit Weinert (2001, S. 27f.) verstehen wir unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.
regulierten Lernen in Verbindung mit mathematischem Problemlösen wurde deutlich,
welches große Potenzial zur Verbesserung von Lernergebnissen allein darin steckt,
Aspekten selbst regulierten Lernens im Mathematikunterricht mehr Aufmerksamkeit zu
schenken und diese in den unterrichtlichen Lernumgebungen gezielt zu verankern, vgl.
KOMOREK et al 2006. Deshalb erscheint es legitim, nach fachspezifischen Ausprägungen
altersangemessener Anstrengungsbereitschaft und Reflexion auch im Mathematikunter-
richt zu suchen.
2. Wie kann langfristiger Kompetenzaufbau im Mathematikunterricht angelegt
werden?
Langfristiger Kompetenzaufbau im Sinne der Bildungsstandards meint folgendes:
Ausgehend vom aktuellen Kompetenzniveau einer Schülerin oder eines Schülers in den
verschiedenen mathematischen Kontexten (Leitideen) in einer Lerngruppe einer
bestimmten Klassenstufe sind solche entwicklungsgemäßen und entwicklungsfördern-
den Aufgaben zu stellen, die für den Lernenden schrittweise einen Kompetenzzuwachs
im Sinne der Ziele des Mathematikunterrichts ermöglichen.
Damit ist einerseits ein hoher Anspruch an die diagnostische Kompetenz der Lehrkräfte
verbunden und andererseits wird erwartet, in heterogenen Lerngruppen individuell
fordernde und fördernde (binnendifferenzierende) Lernumgebungen über geeignete
Aufgaben bereit zu stellen, damit entsprechende Lernprozesse anzuregen und diese
angemessen zu begleiten, vgl. Bruder 2006 und Kap.3. Im Folgenden werden mögliche
Etappen eines langfristigen Kompetenzaufbaus anhand der erstgenannten Zielstellung
vorgestellt.
Damit die Lernenden mathematische Fragestellungen auch in Alltagssituationen
erkennen lernen, eignet sich die Metapher der „Mathebrille“: Wir stellen uns vor bzw.
machen das auch wirklich, nämlich einen Stadtrundgang mit der „Mathebrille“. Wir
notieren alles, worin Mathematik versteckt sein könnte – von der Treppe im Hausflur bis
zur Ampelkreuzung, vorbei an den Antennen auf den Dächern und bis zum Bäcker
nebenan. Welche Fragen musste man früher stellen, damit die Dinge um uns herum
genau so funktionieren, wie wir das kennen und schätzen? Welche mathematischen
Kenntnisse hat man dafür benötigt?
Der nächste Schritt lautet dann: Wobei wird Mathematik benötigt? Bleiben wir beim
Bäcker: Er will eine neue Leckerei kreieren. Wofür könnte er hierbei Mathematik
gebrauchen? Oder es soll ein neues Zelt für eine bestimmte Zielgruppe entwickelt
werden. Wo benötigt man hier Mathematik? Was sind das jeweils für Fragestellungen?
Gibt es Gemeinsamkeiten aus Sicht der Mathematik, wenn Bäcker und Zeltentwickler
etwas Neues gestalten wollen? Wir suchen weiter nach typischen Situationen, in denen
Mathematik angewendet wird, wenn also Realsituationen mathematisch beschrieben
werden sollen, um damit einen „Mehrwert“ zu generieren. Codes spielen heutzutage
eine große Rolle und es kann auch Missbrauch damit betrieben werden. Kann hier
Mathematik helfen? Oder denken wir an den Bau einer Autobahnabfahrt. Wie angenehm
ist es, wenn das Lenkrad nicht mehrfach eingeschlagen werden muss, weil die Kurve so
eng ist. Das lässt sich sehr gut mit dem mathematischen Begriff der Krümmung
beschreiben und entsprechend modellieren. Wenn man einen Überblick über die
verschiedenen Arten zu fragen in der Mathematik gewinnt, schließt sich immer wieder
die Frage an: Wie kann man solche Situationen/Zusammenhänge mathematisch
beschreiben? Welche Vorteile, welchen Erkenntnisgewinn kann diese mathematische
Beschreibung bieten? Dieses Vorgehen eignet sich mit entsprechenden Variationen für
alle Jahrgänge in den Sekundarstufen.
Jedes Kompetenzziel hat i.w. drei Komponenten: Intelligentes Wissen, Handlungs-
kompetenz und Metakompetenz, vgl. Weinert 1996. Bezogen auf das erst genannte
Ziel, mathematische Fragestellungen erkennen und formulieren zu können, lassen sich
diese Zielformate folgendermaßen konkretisieren:
Intelligentes Wissen wurde entwickelt, wenn die Lernenden in der Lage sind, die Frage
zu beantworten: In welche Richtungen kann man fragen? (Wo ist Mathematik
versteckt, wo hilfreich…). Dafür sollten sie „typische“ Mathematikerfragen kennen, die
u.a. auch in Verbindung mit den fundamentalen Ideen der Mathematik stehen.
Mathematiker versuchen etwas zu optimieren, etwas schrittweise zu verfeinern,
anzunähern, einen Algorithmus zu finden (eine „Formel“) für einen Zusammenhang
oder sie suchen nach mathematischen Modellen für Realsituationen und machen
Simulationen. Und wenn Mathematiker eine Lösung für ein Problem gefunden haben,
dann fragen sie: Ist das die einzige Lösung? Kann man das beweisen?
- Kann man die spezielle Lösung auch verallgemeinern?
Handlungskompetenz wird benötigt und gefördert, wenn die Lernenden konkrete Fragen
in einem Kontext finden und darstellen, was auf verschiedenen Orientierungsleveln4
möglich ist.
Von Metakompetenz sprechen wir, wenn die Lernenden Beurteilungskriterien für
mathematikhaltige Fragestellungen entwickeln bzw. bekannte Kriterien selbständig
anwenden und reflektieren: Wie kann vorgehen, um gegebene Situationen oder
Zusammenhänge mathematisch zu beschreiben? Welche Vorteile, welchen Mehrwert
kann eine mathematische Beschreibung bieten?
Kompetenzförderung kann schließlich untersucht und gefördert werden innerhalb eines
Schuljahres über verschiedene Unterrichtsthemen bzw. Leitideen hinweg in horizontaler
Verknüpfung (z.B. Abschätzaufgaben in verschiedenen Kontexten) oder innerhalb einer
Leitidee, aber vertikal mit fachlicher Anreicherung angelegt über mehrere Klassen-
stufen. (z.B. Entfernungs- bzw. Abstandsbestimmungen, vgl. Beispiele in Bruder 2006).
Die sogenannte Curriculumspirale bietet hierfür eine geeignete Visualisierung, vgl.
Bruder 1998.
Man kann sich vorstellen, dass Figur und Zahl die zentralen Objekte im mathematischen
Lernprozess darstellen, symbolisiert durch das Eisenbahngleis, auf dem der Lernzug
hinauffährt, abgestützt durch vertikale Kompetenzlinien, siehe Abb.1. In jeder
Klassenstufe kommt man wieder an den einzelnen Leitideen vorbei und dort gibt es
dann Knotenpunkte für einen Erkenntnis- und Kompetenzzuwachs.
Langfristiger Kompetenzaufbau umfasst also sowohl die Anreicherung der
mathematischen Begriffe und Werkzeuge zur Problembearbeitung als auch Steigerungen
im Orientierungslevel, auf dem mit den bisherigen und neu kennengelernten
mathematischen Werkzeugen gearbeitet wird.
4Vor dem Hintergrund des Tätigkeitskonzeptes (Lompscher 1988) unterscheiden wir drei Level für das Orientiertsein in einem Lern- und Anwendungsbereich:
I Orientierung nach Versuch-Irrtum (Probierorientierung) II Orientierung am Beispiel (Muster) III Feldorientierung.
Abb. 1 Curriculumspirale mit Figur und Zahl als Schienenstrang und vertikalen
Kompetenzlinien, die in jeder Klassenstufe inhaltlich angereichert werden
3. Wie kann langfristiger Kompetenzaufbau im Mathematikunterricht methodisch
unterstützt werden?
Einen entscheidenden Einfluss auf das Angebot und Potenzial zur Kompetenzentwick-
lung haben die Aufgaben. Wird innerhalb einer Unterrichtseinheit ein vielseitiges
Aufgabenangebot bereit gestellt, steigen die Chancen für ein verständiges, nachhaltiges
Lernen. Ein gut überschaubares und handhabbares Kriterium ist die Typisierung von
Aufgaben nach dem Handlungsziel. Mit den in der folgenden Übersicht beschriebenen 8
Zieltypen von Aufgaben wird ein Lerninhalt von verschiedenen Blickwinkeln aus
betrachtet und mit anderen Wissenselementen vernetzt.
Wenn in einer Unterrichtseinheit Aufgaben aller 8 Zieltypen in sinnvollen Anteilen
vorkommen, hat das beachtliche Auswirkungen auf die Qualität der kognitiven
Anforderungen an die Lernenden und auf die Art des Unterrichts. Details zu diesem
Modell siehe Bruder/Leuders/Büchter 2008.
Aufgabenformate als Zieltypen
Gege- Transfor- Gesuch- Legende: x bekannt
benes mationen tes - unbekannt --------------------------------------------------------------------------------------------------------
X X X gelöste Aufgabe (stimmt das?)
X X - einfache Bestimmungsaufgabe, Grundaufgabe
- X X einfache Umkehraufgabe
X - X Beweisaufgabe, Spielstrategie
X - - schwere Bestimmungsaufgabe,
auch: „Blütenmodell“, Variationen
- - X schwierige Umkehraufgabe
- X - Aufforderung, eine Aufgabe zu einem geg. Thema zu
erfinden
(-) - (-) offene Problemsituation (Trichtermodell)
----------------------------------------------------------------------------------------------------------
Die Breite und Relevanz der 8 Zieltypen für ein Thema soll das Arbeitsprodukt einer
Lehrerfortbildung in Burgwedel (Niedersachsen) zeigen, bei der diese
Aufgabentypisierung als Orientierungsgrundlage für die Entwicklung
kompetenzorientierter Lernumgebungen eingesetzt wurde (siehe nächste Seite).
Das Stellen geeigneter Aufgaben allein, was schon das Variieren von Aufgaben durch
Lehrer und Schüler mit einschließen soll, wird jedoch noch nicht ausreichen, um
nachhaltig zu lernen und damit langfristig solide mathematische Kompetenzen
aufzubauen. Es kommt darauf an, das Lernpotenzial, das in jeder Aufgabe steckt, auch
effektiv zu nutzen. Dabei können die folgenden Fragestellungen helfen, deren
kooperative Bearbeitung im Unterricht nur wenig Zeit kostet:
Welche Strategien waren nützlich?
Welche mathematischen Werkzeuge haben uns geholfen, die Aufgabe zu lösen?
Was ist das Gemeinsame aller Beispielaufgaben, die wir zuletzt bearbeitet haben?
Worin unterscheiden sich die bearbeiteten Aufgaben voneinander?
Ein weiterer zentraler Aspekt als Voraussetzung und gleichzeitig auch Weg zum
langfristigen Kompetenzaufbau ist das Wachhalten von mathematischem Grundkönnen.
Die regional gut bekannten „Täglichen Übungen“ wurden weiter entwickelt zu
wöchentlichen vermischten Kopfübungen mit Diagnoseelementen. Mit diesem
Instrument kann verstandene Mathematik dauerhaft verfügbar gehalten werden. In
diesen vermischten Übungen wird bewusst keine Aufgabe zum aktuellen
Unterrichtsthema gestellt. Während ein Teil der Aufgaben wöchentlich ähnlich
wiederholt wird, ist ein anderer Teil etwa im 6-Wochenrhythmus flexibel und variierbar.
Beispiele zu solchen Kopfübungen findet man u.a. in der Aufgabendatenbank
www.madaba.de. Regelmäßig wiederkehrende Inhalte von vermischten Kopfübungen in
der Sekundarstufe I sollten u.a. sein:
- Elementare Rechenfertigkeiten in den Grundoperationen
- Umrechnen von Einheiten, Größenvorstellungen und Dreisatz (z.B. Maßstab)
- Zahlen/Anteile/Verhältnisse in verschiedenen Darstellungsformen angeben
- Punkte im Koordinatensystem und Funktionsverläufe identifizieren
- Übersetzungsbausteine (Termstrukturen)
- Basiswissen Geometrie (Winkelsätze, Symmetrie, Kongruenzkriterien,
Flächenberechnung...)
- Ebenes und Raumvorstellungsvermögen (Skizzieren, Identifizieren)
- Logisch-kombinatorisches Denken.
Details zum Modell der vermischten Kopfübungen siehe Bruder/Leuders/Büchter 2008.
Eine besondere Herausforderung in jedem Unterricht ergibt sich aus der Heterogenität
der Lerngruppen, was aber ein ganz natürliches Phänomen ist.
Einen besonders effektiven und für die Lehrkräfte auch realisierbaren Weg
binnendifferenzierter Kompetenzförderung bieten so genannte „Blütenaufgaben“. Damit
sind Aufgaben gemeint, die mehrere Teilaufgaben zum gleichen Kontext besitzen, die
schwierigkeitsgestuft sind. Die erste Teilaufgabe soll niedrig schwellig sein (eine
Grundaufgabe), um möglichst allen Lernenden ein Erfolgserlebnis zu ermöglichen. Die
zweite Teilaufgabe sollte möglichst eine Umkehrung einer Grundaufgabe sein und die
dritte Teilaufgabe und ggf. noch eine folgende sollte offener und schwieriger angelegt
sein.
Hier ein Beispiel:
Torsten hat sich einen Zaubertrick ausgedacht. Er sagt: „Denke dir eine Zahl.
Verdopple deine Zahl und addiere 9. Multipliziere das Ganze nun mit 4 und ziehe 36
ab.“ Torsten behauptet, dass er anhand des Ergebnisses sofort die gedachte Zahl
benennen kann.
a) Jan denkt sich die Zahl 5. Welches Ergebnis nennt er Torsten?
b) Beim nächsten Versuch hat Jan das Ergebnis 64. Welche Zahl hatte er sich
gedacht?
c) Wie kann Torsten schnell und einfach die gedachte Zahl berechnen? Erkläre,
warum dieser Trick immer funktioniert.
Den Lernenden wird mit einer Zeitvorgabe signalisiert, dass sie sich bemühen sollten
soweit wie möglich zu kommen. Es ist aber auch nicht notwendig, dass alle Lernenden
tatsächlich auch die Teilaufgabe c) in unserem Beispiel alleine schaffen müssen.
Individuelle Förderung heißt nicht darauf zu warten, bis alle eine bestimmte Hürde
überspringen können sondern heißt vielmehr, die Lernzeit effektiv zu nutzen, so dass
alle sich an den Hürden mühen, die für sie die Zone der nächsten Entwicklung
markieren (Vygotski).
Literaturverzeichnis
BRUDER, R. , LEUDERS, T., BÜCHTER, A.(2008): Mathematikunterricht entwickeln.
Bausteine für kompetenzorientiertes Unterrichten. Cornelsen Scriptor.
BRUDER, R. (2007): Lerngelegenheiten für Reflexionen im Mathematikunterricht. In:
Andrea Peter-Koop, Angelika Bikner-Ahsbahs (Hrsg.): mathematische bildung -
mathematische leistung. Festschrift für Michael Neubrand zum 60.Geburtstag.
Franzbecker 2007, S.305-316
BRUDER, R. (2006). Langfristiger Kompetenzaufbau. In Blum, W., Drüke-Noe,
C.,Hartung, R. & Köller, O. (Hrsg.), Bildungsstandards Mathematik: konkret (S.135-
151). Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor.
BRUDER, R. (1998): Modellierung eines mathematischen Curriculums. In:
Mathematische Bildung und neue Technologien. Klagenfurter Beiträge zur Didaktik der
Mathematik. Vorträge beim 8.Internationalen Symposium zur Didaktik der Mathematik,
Universität Klagenfurt, 28.9.-2.10.1998
KMK (Hrsg.) (2004). Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Mittleren
Schulabschluss – Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4.12.2003. München:
Wolters Kluwer.
KOMOREK, E., BRUDER, R., COLLET, C. & SCHMITZ, B. (2006): Inhalte und Ergebnisse
einer Intervention im Mathematikunterricht der Sekundarstufe I mit einem Unterrichts-
konzept zur Förderung mathematischen Problemlösens und von Selbstregulations-
kompetenzen. In: M. PRENZEL & L. ALLOLIO-NÄCKE (Hrsg.): Untersuchungen zur
Bildungsqualität von Schule. Abschlußbericht des Schwerpunktprogramms BIQUA.
Münster: Waxmann, S.240-267.
LOMPSCHER, J.(Hrsg.) (1988): Persönlichkeitsentwicklung in der Lerntätigkeit. Berlin:
Volk und Wissen / Luchterhand
NEUBRAND, M. (2001): PISA: „Mathematische Grundbildung“/„mathematical literacy“
als Kern einer internationalen und nationalen Leistungsstudie. In: KAISER, G. KNOCHE,
N. (Hrsg.): Leistungsvergleiche im Mathematikunterricht: Ein Überblick über aktuelle
nationale Studien. Hildesheim: Franzbecker, S. 177-194.
WEINERT, F.E. (2001): Vergleichende Leistungsmessung in Schulen - eine umstrittene
Selbstverständlichkeit. In: Weinert (2001), F. E. (Hrsg.): Leistungsmessungen in
Schulen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag, S. 17-31.
WEINERT, F.E. (1996): Lerntheorien und Instruktionsmodelle. In: Weinert, F. E. (Hrsg.):
Psychologie des Lernens und der Instruktion: Enzyklopädie der Psychologie, D, Serie
Pädagogische Psychologie, Bd. 2, Göttingen: Hogrefe, S. 1-48.
WINTER, H. (1995) : Mathematikunterricht und Allgemeinbildung, In: Mitteilungen der
Gesellschaft für Didaktik der Mathematik Nr. 61, 1995, S. 37-46