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Landtag Brandenburg P-AIK 6/7 · Landtag Brandenburg P-AIK 6/7 S. 2 Ausschuss für Inneres und...

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Datum der Ausgabe:14.09.2015 Landtag Brandenburg P-AIK 6/7 6. Wahlperiode Ausschuss für Inneres und Kommunales Protokoll 7. Sitzung (öffentlich) 2. Juli 2015 Potsdam - Haus des Landtages 10.00 Uhr bis 13.40 Uhr Vorsitz: Sören Kosanke (SPD) Protokoll: Christian Blümke Anwesende Ausschussmitglieder: Tina Fischer (SPD) Inka Gossmann-Reetz (SPD) Thomas Jung (AfD) Sören Kosanke (SPD) Daniel Kurth (SPD) Björn Lakenmacher (CDU) Stefan Ludwig (DIE LINKE) Ursula Nonnemacher (GRÜNE/B90) Barbara Richstein (CDU) Dr. Hans-Jürgen Scharfenberg (DIE LINKE) Iris Schülzke (BVB/FREIE WÄHLER)
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Datum der Ausgabe:14.09.2015

Landtag Brandenburg P-AIK 6/7 6. Wahlperiode Ausschuss für Inneres und Kommunales

Protokoll 7. Sitzung (öffentlich) 2. Juli 2015 Potsdam - Haus des Landtages 10.00 Uhr bis 13.40 Uhr Vorsitz: Sören Kosanke (SPD) Protokoll: Christian Blümke Anwesende Ausschussmitglieder: Tina Fischer (SPD) Inka Gossmann-Reetz (SPD) Thomas Jung (AfD)

Sören Kosanke (SPD) Daniel Kurth (SPD) Björn Lakenmacher (CDU) Stefan Ludwig (DIE LINKE) Ursula Nonnemacher (GRÜNE/B90) Barbara Richstein (CDU) Dr. Hans-Jürgen Scharfenberg (DIE LINKE) Iris Schülzke (BVB/FREIE WÄHLER)

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Tagesordnung: 1. Kampfmittelbeseitigungskonzept für das Land Brandenburg, Antrag der CDU-

Fraktion (Drucksache 6/1226) Gespräch mit der stellvertretenden Bürgermeisterin der Stadt Oranienburg, Frau

Kausche, und Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Spyra (BTU Cottbus-Senftenberg)

2. Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes, Gesetzentwurf der Landesregierung (Drucksache 6/613)

Abschließende Beratung 3. Entwurf des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform 2019, insbesondere

Verständigung zum weiteren Verfahren zur Gestaltung des breiten öffentlichen Dialogs

u. a. Bericht des Ministeriums des Innern und für Kommunales

4. Polizeiinterne Nachbereitung im Zusammenhang mit dem sogenannten Mas-

kenmann-Prozess Bericht des Ministeriums des Innern und für Kommunales 5. Verteilungsmodus der ca. 108 Millionen Euro Bundesmittel zur Förderung von

Investitionen finanzschwacher Kommunen Bericht des Ministeriums des Innern und für Kommunales 6. Verschiedenes

u. a. - Verständigung zum Antrag der Abgeordneten Schülzke (BVB / FREIE WÄH-

LER) vom 25. Juni 2015 (A3/54) - Wesentliche Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 24.06.2015 bis zum

26.06.2015

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Festlegungen und Beschlüsse: Zu TOP 2: Der Ausschuss für Inneres und Kommunales lehnt den Änderungsantrag der CDU-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Anlage 1) zu dem Gesetz-entwurf der Landesregierung „Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes“ (Drucksache 6/613) mehrheitlich (4 : 7 : 0) ab. Der Ausschuss für Inneres und Kommunales nimmt den Änderungsantrag der Koali-tionsfraktionen von SPD und DIE LINKE zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung „Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes“ (Drucksache 6/613) mehrheitlich (7 : 4 : 0) an. Der Ausschuss für Inneres und Kommunales stimmt mehrheitlich (7 : 4 : 0) dafür, dem Landtag die Annahme des Gesetzentwurfes der Landesregierung für ein Fünf-tes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes (Drucksa-che 6/613) in der vom Ausschuss beschlossenen Fassung zu empfehlen. Zu TOP 3: Der Ausschuss für Inneres und Kommunales beschließt einstimmig bei einer Stimm-enthaltung ein Verfahren für die Beratung des Leitbildes für die Verwaltungsstruktur-reform 2019 in den Ausschüssen des Landtages (Anlage 8). Aus der Beratung: Der Vorsitzende begrüßt die Anwesenden. Er heiße neben Minister Schröter, Staatssekretär Kahl und der Landesdatenschutzbeauftragten Frau Hartge insbeson-dere die sachverständigen Gesprächspartner zu Tagesordnungspunkt 1 (Kampfmit-telbeseitigungskonzept für das Land Brandenburg, Antrag der CDU-Fraktion) Herrn Prof. Dr. Spyra von der BTU Cottbus und die stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Oranienburg Frau Kausche herzlich willkommen. Frau Kausche vertrete den kurzfristig erkrankten Bürgermeister der Stadt Oranienburg Herrn Laesicke. Der Vorsitzende teilt mit, dass zu Tagesordnungspunkt 1 gemäß § 79 Absatz 1 Satz 2 GOLT für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Bommert den Abgeordneten La-kenmacher und für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Lüttmann die Abgeordnete Fischer vertritt. Der Vorsitzende führt aus, dass die Einladung zur Sitzung mit einem Entwurf für die Tagesordnung am 25. Juni 2015 verteilt worden sei. Er fragt, ob es Anmerkungen zur Tagesordnung gebe. Er hält fest, dass dies nicht der Fall ist und stellt die Tagesord-nung zur Abstimmung.

Der Ausschuss für Inneres und Kommunales beschließt einstimmig die Ta-gesordnung für die 7. Sitzung des Ausschusses am 2. Juli 2015.

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Der Vorsitzende lässt gemäß § 83 Absatz 2 Satz 2 GOLT über die Richtigkeit des Protokolls der 5. Sitzung des Ausschusses am 7. Mai 2015 abstimmen.

Der Ausschuss für Inneres und Kommunales beschließt einstimmig die Richtigkeit des Protokolls der 5. Sitzung des Ausschusses am 7. Mai 2015.

Zu TOP 1: Kampfmittelbeseitigungskonzept für das Land Brandenburg, An-

trag der CDU-Fraktion (Drucksache 6/1226) Gespräch mit dem Bürgermeister der Stadt Oranienburg und

Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Spyra (BTU Cottbus-Senftenberg) Frau Kausche (Stellv. Bürgermeisterin Stadt Oranienburg) führt aus, das Thema „Kampfmittelbeseitigung“ spiele in Oranienburg dauerhaft ein sehr große Rolle. Die Kampfmittelbeseitigung sei für die Stadt mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden. Sie wolle das Problem an einem aktuellen Fall, zu dem es heute auch Presseberichterstattung gegeben habe, veranschaulichen. Auf einem privaten Grundstück seien drei Anomalien festgestellt worden, nachdem der Eigentümer ei-nen Antrag auf Absuche seines in der höchsten Gefahrenlage mit dem Kennwert 10 gelegenen Grundstücks gestellt habe. Es seien die üblichen Probleme zu bewältigen. Derzeit liefen die Maßnahmen zur Grundwasserabsenkung. Eine solche Grundwas-serabsenkung koste erfahrungsgemäß etwa 140 000 Euro pro Anomalie. In der Nähe lebten 40 Anwohnerinnen und Anwohner, die fast täglich die unterschiedlichsten Fra-gen, zum Beispiel nach potentiellen Folgen der Grundwasserabsenkungen, der tat-sächlichen Gefährdung ihrer Häuser, möglichen Räumungen sowie eventuellen Schadenersatzansprüchen stellten. Es gebe aktuell 13 Anomalien, die teilweise bereits beseitigt seien und teilweise noch in diesem Jahr beseitigt werden sollten. Seit dem Jahr 2000 gebe es einen Be-schluss der Stadtverordnetenversammlung, die Kampfmittelsuche in Oranienburg systematisch durchzuführen. Die Stadt Oranienburg habe für die Kampfmittelsuche auf ihren Grundstücken einen jährlichen Betrag von 2 Millionen in den Haushalt ein-gestellt. Ein Großteil des Geldes müsse aber auch für Maßnahmen verwendet wer-den, bei denen die Stadt nicht als Grundstückseigentümer, sondern als Ordnungsbe-hörde handele. Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre habe man die noch zu erwartenden Kos-ten hochgerechnet. Seit 2011 hätten ca. 40 % der städtischen Flächen aus dem Ver-dacht der Kampfmittelbelastung entlassen werden können. Es müssten noch 2,2 Millionen Quadratmeter städtische Fläche abgesucht werden. Hierzu sei ein Be-trag von etwa 61 Millionen Euro erforderlich. Für die Absuche von Grundstücken, die nicht im Eigentum der Stadt stünden, müsste mit einem Betrag von noch einmal et-was über 60 Millionen Euro gerechnet werden. Dabei seien die Grundstücke anderer Hoheitsträger bereits herausgerechnet, da man davon ausgehe, dass diese selbst für die Kosten aufkämen. Schließlich entstünden, wie bereits ausgeführt, Kosten für Grundwasserabsenkungen. Bei schätzungsweise noch 297 Großbomben, die sich im

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Erdreich befänden und einem Aufwand von 140 000 Euro pro Abklärung komme man auf einen Betrag von weiteren 41,5 Millionen Euro. Damit stünden insgesamt rund 200 Millionen Euro in Rede. Die Stadt Oranienburg habe in der Eröffnungsbilanz eine Rückstellung von 71,4 Millionen gebildet. Davon seien aktuell noch 67 oder 68 Millio-nen Euro vorhanden. Man überlege aktuell vor dem Hintergrund der zuvor genannten Zahlen, die Rückstellung zu erhöhen. Herr Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Spyra (BTU Cottbus-Senftenberg) erläutert, dass das Konzept zur Kampfmittelräumung, nach dem in Brandenburg teilweise gearbeitet werde, sich in Oranienburg und im Landkreis Oberhavel bewährt habe. Die Situation in Brandenburg hebe sich wohltuend von der Situation in anderen Bundesländern ab, wo zum Teil eine bizarre Sorglosigkeit herrsche. Diese bestehe darin, dass nur dort agiert werde, wo Zufallsfunde aufträten. Es gebe jedoch auch andere hervorragende Kampfmittelräumdienste, zum Beispiel den Kampfmittelräumdienst in Hamburg. Je-der arbeite nach seiner eigenen Konzeption. Die Konzeption für den Landkreis Oberhavel und für die Stadt Oranienburg sei wis-senschaftlich abgesichert. Man habe insbesondere die Aufzeichnungen der Alliierten ausgewertet. Da die Alliierten die Angriffe geplant hätten, seien ihre Aufzeichnungen besser als die Aufzeichnungen der deutschen Seite. Man sei nicht nur nach Großbri-tannien gefahren, sondern habe auch das Archiv der 8. US Air Force in Montgomery, Alabama, aufgesucht. Das dortige Material stehe den normalen Kampfmittelräum-diensten in der Bundesrepublik Deutschland gar nicht zur Verfügung. Hierzu müsse man wissen, dass es sich bei dem von der Bundesrepublik gekauften Material zum Teil nur um Abzüge von Abzügen handele und es deshalb eine schlechtere Qualität aufweise. Es komme bei der Kampfmittelsuche auch darauf an, das richtige Augenmaß für das Machbare zu beweisen. Man könne nicht Szenarien entwickeln, in denen das ganze Land Brandenburg gesperrt werden müsste. Es gebe auch Fälle, in denen eigentlich etwas untersucht werden müsste, wo aber Milliarden- oder Millionengeschäfte in Ge-fahr stünden. Derjenige, der ein Konzept neu aufrufen wolle, müsse deshalb mit Frik-tionen rechnen. In Oranienburg hätte beispielsweise sehr viel mehr Geld wahrschein-lich kaum sinnvoll eingesetzt werden können. Es sei eine Strategie umzusetzen, die darauf aufbaue, die gefährlichsten Bereiche im Land zuerst abzusuchen. Aus seiner Sicht bestehe ein Defizit darin, dass es zu wenig wirtschaftliches Denken bei der Kampfmittelräumung gebe. Es fehle bei der Aufklärung an einem Qualitäts-management, das beispielsweise nach dem Fund eines Blindgängers der Frage nachgehe, warum dieser bei einer Luftbildauswertung zuvor nicht erkannt worden sei. Ein weiteres Defizit bestehe bei der Ausbildung der Feuerwerker. Von den Feuerwer-kern seien Entscheidungen verlangt worden, die sie eigentlich gar nicht hätten treffen können, weil ihnen dazu die Erfahrung fehle. Dort sei seines Wissens nachgebessert worden, wenn auch noch nicht genug. Die Methoden, die im Augenblick bei der Ent-schärfung zur Anwendungen kämen, bedeuteten immer einen erheblichen Eingriff in das öffentliche Leben. In dieser Woche sei in Cottbus eine Bombe gefunden worden

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und habe einen Evakuierungsradius von 1000 Metern erforderlich gemacht. Es be-dürfe weiterer Forschung, um die mit einer Entschärfung verbundenen Gefahren zu reduzieren. Es seien einzelne Versuche mit einer bestimmten Vorrichtung durchge-führt worden, die die Splitterauswirkung auf unter 100 Meter reduziere. Wenn man hier nicht nur Einzelversuche, sondern systematische Forschung betreiben könnte, sei es möglich, in Zukunft Kosten und auch Zeit zu sparen. Man könne das Risiko für die Feuerwerker selbst reduzieren, aber auch die Bürger besser schützen und die Auswirkungen auf das öffentliche Leben deutlich geringer halten. Entsprechende Ansätze müssten aber abgesichert sein, denn der Feuerwerker, der sich für eine bestimmte Methode entscheide, trage die alleinige Verantwortung. Es bestehe eine Einflussnahme der Politik oder der kommunalen Verantwortlichen auf die Feuerwerker, wenn zum Beispiel darauf hingewiesen werde, dass man die Men-schen nicht bis 23 Uhr in einer Turnhalle belassen könne. Am Ende trage aber der Feuerwerker, wenn er sich drängen lasse und dadurch Fehler passierten, die alleini-ge Verantwortung. Dies sei durch Urteile in Hamburg gerichtlich entschieden worden. Er wolle auch auf die unterschiedlichen Maßstäbe hinweisen. Bei einem ehemaligen Truppenübungsplatz verlange die zuständige Behörde von dem Eigentümer sicher-zustellen, dass der Platz von Niemandem betreten werde und das Aufstellen ent-sprechender Warnschilder. Dort werde - auch ohne entsprechende Funde - von Vornherein vorausgesetzt, dass noch gefährliche Munition vorhanden sei. Für Orani-enburg wisse man, dass es bombardiert worden sei und es würden immer wieder Bomben gefunden. Nach den Maßstäben des Beispiels mit dem Truppenübungsplatz müsste man die Stadt eigentlich einzäunen und Betreten-Verboten-Schilder aufstel-len. Das dies nicht gehe, sei offenkundig. Man müsse sich jedoch im Klaren darüber sein, dass die Allgemeingefahr in Oranienburg etwas anders definiert werden müsse als vielleicht in Perleberg. Abschließend wolle er sagen, dass es gut sei, dass das Thema Kampfmittelberäu-mung bisher keine politische Farbenlehre kenne. Er wünsche sich, dass auch in Zu-kunft niemand versuchen werde, aus dem Thema einen politischen Vorteil zu ziehen. Vor diesem Hintergrund verstehe er auch den vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion als Erinnerung daran, weiter an dem Thema zu arbeiten. Das Thema sei keinesfalls bereits erledigt und mittels weiterer Forschung lasse sich perspektivisch viel Geld einsparen. Minister Schröter erklärt, das Land Brandenburg habe in der Vergangenheit mehr-fach Versuche unternommen, den Bund stärker in die Finanzierungsverantwortung zu bringen. Es sei eine äußert merkwürdige Staatspraxis, dass für die Reichskriegs-munition der Bund die Kosten trage, für alliierte Munition jedoch die Länder in der Verantwortung stünden und die Lasten alleine schultern müssten. Im Land Branden-burg seien bislang 347 Millionen Euro für die Aufsuche und für das Beseitigen von Kampfmitteln aufgewendet worden. Nicht berücksichtigt seien dabei die Aufwendun-gen der Städte und Gemeinden, die als örtliche Ordnungsbehörde tätig würden so-wie die Aufwendungen anderer öffentlicher Grundstückseigentümer, die bei der Ab-suche ihrer Grundstücke auch selbst die Kosten tragen müssten. Allein der Landkreis Oberhavel habe eine Rückstellung von fast 11 Millionen Euro gebildet. Teile davon

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seien bereits abgeflossen, weil viele Grundstücke bereits beräumt worden seien. Die Summe von 347 Millionen umfasse bei weitem nicht alle aufgewendeten Mittel. Brandenburg habe sich Bundesratsinitiativen angeschlossen bzw. selbst Bundesrats-initiativen initiiert. Er wolle im Folgenden schlaglichtartig die Jahre benennen, in de-nen Bundesratsinitiativen angeschoben und auch zu einer Mehrheit gebracht worden seien, die dann aber entweder durch den Bundestag abgelehnt worden oder der Dis-kontinuität anheimgefallen seien. Es habe 1992/93 einen ersten Entwurf der Länder Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz gegeben. Dem sei 1997/98 eine weite-re Initiative der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gefolgt. Die nächste Initiative datiere von 2001/02 und sei der Diskontinuität anheimgefallen. Deshalb habe es 2003/04 eine erneute Bundesratsinitiative, wiederum durch Brandenburg initiiert, gegeben. Diese sei im Bundestag abgelehnt worden. 2011/12 sei ein erneuter Versuch zusammen mit Niedersachsen unternommen worden. Die letzte Initiative habe im Dezember 2014 eine Mehrheit im Bundesrat erhalten. Allerdings gebe es für diesen Gesetzent-wurf ganz offensichtlich im Bundestag wiederum keine Mehrheit. Stattdessen arbeite man nun in einigen Fraktionen an einer anderen Lösung. Es sei gegenwärtig eine Fondslösung im Gespräch. Er habe hierzu persönlich Gespräche mit den haushalts-politischen Sprechern der CDU- und der SPD-Bundestagsfraktion geführt. Es habe im Mai des vergangenen Jahres auch eine sehr konstruktive Runde mit den Landes-gruppensprechern der SPD-Bundestagsfraktion gegeben, die zu einer Sensibilisie-rung geführt habe. Einigen Abgeordneten sei die Dimension des Themas noch nicht bewusst gewesen. Er wolle auch erwähnen - Prof. Spyra habe dies in seiner ihm in-newohnenden Bescheidenheit nicht erwähnt -, dass man in Brüssel gewesen sei, um europäische Mittel für diese Aufgaben einzuwerben. Allerdings sei man mit dem Ar-gument zurückgewiesen worden, dass die Bombenaltlasten immobil seien und des-wegen nicht in die Zuständigkeit der EU fielen. Man sei in gewisser Weise in Mithaf-tung für die Bundesregierung genommen worden, die sich kurz zuvor mit eben die-sem Argument gegen eine Übertragung der Zuständigkeit für Altlasten im Boden auf die EU ausgesprochen habe. Das Land Brandenburg gebe mehr Geld als andere Länder für die Kampfmittelbe-räumung aus. Man sei auch dank der BTU Cottbus und namentlich Herrn Prof. Spyra ein großes Stück weiter als andere Bundesländer. Die Landesregierung werde die-sen Weg konsequent weiterbeschreiten. Er stehe auch den Bundestagsabgeordne-ten gegenüber im Wort, dass es zu keiner Substituierung von Landes- durch Bun-desmittel komme, wenn der Bund sich zukünftig finanziell beteiligen sollte. Die Bun-desmittel stünden damit zusätzlich zur Verfügung. Die Bemühungen bei der systema-tischen Absuche könnten dementsprechend verstärkt werden. Er wolle darauf hinweisen, dass es im Landkreis Oberhavel bestimmte Gemarkungen beziehungsweise Gemeinden gebe, bei denen eine Baugenehmigung, die mit Eingrif-fen in das Erdreich verbunden sei, nur erteilt werde, wenn zuvor eine Kampfmittel-freigabe durch den Kampfmittelbeseitigungsdienst eingeholt worden sei. Dies stelle natürlich ein großes Wirtschaftshemmnis dar.

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Die noch im Erdreich befindlichen Bomben stellten auch dann eine Gefahr dar, wenn keine Explosion drohe. Für den Fall der Durchrostung bestehe eine erhebliche Ge-fahr für das Grundwasser. Dieses Thema sei gerade in Niedersachsen sehr akut. Es gebe noch viele offene Fragen, die für die Kostentragungspflicht bedeutsam sei-en. Beispielsweise stelle sich die Frage, ob eine auf einem Grundstück befindliche Bombe, bei der der Zünder bereits entfernt worden sei, noch eine Zustandsstörerhaf-tung begründe könne. Es gebe in diesem Zusammenhang auch viele Fragen, die gerichtlich noch nicht abschließend geklärt seien. Er befasse sich nunmehr seit 25 Jahren mit dem Thema. Man sei in dieser Zeit einer Beteiligung des Bundes noch nie so nahe gewesen wie im Augenblick. Abgeordneter Lüttmann (SPD) hebt hervor, dass er als Oranienburger Abgeordneter und Anwohner einer Straße, die in der höchsten Gefahrenklasse liege und in der die Absuche unmittelbar bevorstehe, dankbar sei, dass das Thema im Ausschuss be-handelt werde. Ihm sei es wichtig, auch die psychologische Dimension des Themas deutlich zu machen. Im Mai hätten in der TURM ErlebnisCity in Oranienburg Schul-schwimmmeisterschaften stattgefunden. Zum damaligen Zeitpunkt sei bereits be-kannt gewesen, dass es einen Verdachtspunkt in ungefähr 100 oder 200 Metern Ent-fernung von der Schwimmhalle gebe. Der Verdacht habe sich später bestätigt und eine Bombe habe entschärft werden müssen. Man müsse sich einmal klarmachen, dass die teilnehmenden Kinder an den Schulschwimmmeisterschaften und tausende Besucher der TURM ErlebnisCity jährlich die ganze Zeit in unmittelbarer Nähe zu einer 250-Kilo-Bombe mit Langzeitzünder geschwommen seien. Es gebe regelmäßig Zeitungsartikel, die die Situation von Anwohner darstellten, die mit Sorge auf ein Nachbargrundstück blickten, auf dem eine Großbombe vermutet werde. Frau Kausche habe ausgeführt, dass Oranienburg jährlich 2 Millionen Euro für die Kampfmittelsuche in den Haushalt einstellen müsse. Er fragt, ob es Beispiele dafür gebe, dass kommunale Projekte aufgrund dieser Belastung nicht hätten realisiert werden können, beziehungsweise Beispiele dafür, welche Projekte umgesetzt wer-den könnten, wenn der Bund sich zukünftig finanziell an der Kampfmittelbeseitigung beteiligen sollte. Er wolle außerdem die Frage stellen, ob der Ruf Oranienburgs als „Bombenstadt“ dazu geführt habe, dass potenzielle Einwohner oder Unternehmen von einer Ansiedlung in der Stadt Abstand genommen hätten. Ihn erstaune immer wieder, dass die Kampfmittelsuche mit der recht altertümlich an-mutenden Bohrlochtechnik durchgeführt werde und man technisch noch nicht weiter sei. Die gegenwärtige Suchmethode führe dazu, dass Straßen und Grundstücke er-heblich in Mitleidenschaft gezogen würden. Die Wiederherstellung sei mit großen finanziellen Belastungen verbunden. Er wolle Prof. Dr. Spyra deshalb fragen, ob mit technischen Weiterentwicklungen gerechnet werden könnte, die die Suche zukünftig vereinfachten. Er bitte Prof. Spyra zudem um Auskunft, ob es seiner Auffassung nach sinnvoll sei, die in Oranienburg durchgeführte systematische Suche auch in anderen Städten durchzuführen.

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Abgeordneter Bommert (CDU) meint, eine finanzielle Beteiligung des Bundes würde aus seiner Sicht einen großen Schritt vorwärts bedeuten. Er könne sich noch daran erinnern, dass das Gutachten von Prof. Dr. Spyra im nicht-öffentlichen Teil einer Kreistagssitzung vorgestellt worden sei, um insbesondere in Oranienburg keine Ängste zu schüren. Er wolle Frau Kausche vor diesem Hinter-grund fragen, wie die betroffenen Einwohnerinnen und Einwohner mit der Situation mittlerweile umgingen. Prof. Spyra habe in seinen einleitenden Ausführungen bereits einige Empfehlungen unterbreitet. Er fragt, welche Schritte das Land Brandenburg konkret unternehmen könne, um zu einem vernünftigen Konzept für die Kampfmittelbeseitigung zu gelan-gen. Frau Kausche (Stellv. Bürgermeisterin Stadt Oranienburg) erklärt, die Oranienburger hätten sich in gewisser Weise an die permanente Abfolge des Auffindens einer Ano-malie und anschließender Entschärfung gewöhnt. Es sei in der Vergangenheit immer gut gegangen. Zwar habe es bereits ungeplante Detonationen gegeben, aber auch in diesen Fällen sei nicht viel passiert. Es komme vor allem darauf an, die Einwohner zu informieren. Eine ganz wichtige Frage betreffe dabei natürlich die Kosten. Minister Schröter habe ja bereits den Begriff des Zustandsstörers gebraucht. Die aktuell zu untersuchenden drei Anomalien seien auf einem privaten Grundstück entdeckt wor-den. Es sei wahrscheinlich, dass sich mindestens eine Anomalie als Bombenblind-gänger bestätige. Der Grundstückseigentümer sei dann Zustandsstörer und hafte für die entstehenden Kosten mit seinem Vermögen bis zur Grenze des Grundstückswer-tes. Wenn ein solches Grundstück mit einem Haus bebaut sei, könne man den Be-wohnern gleich mitteilen, dass sie ihre während der Entschärfung ausgelagerten Mö-bel draußen lassen könnten und das Eigentum an dem Grundstück an die Stadt be-ziehungsweise das Land Brandenburg abtreten könnten. Das könne man natürlich niemandem erklären. Dieses Thema spiele auch politisch eine Rolle. Empfehle man den Stadtverordneten, die Grundstückseigentümer frei zu stellen, könnte dem entge-gengehalten werden, dass es der Stadt finanziell ja sehr gut gehen müsse. Stelle man die Kosten den Grundstückseigentümern in Rechnung, könne man sicher davon ausgehen, dass niemand mehr nach Oranienburg ziehen werde. Diese Lösung halte sie deswegen auch für völlig abwegig. Anknüpfend hieran könne sie auch die Frage beantworten, ob die Bombenproblema-tik bereits Menschen oder Unternehmen abgeschreckt habe. Sie gehe sicher davon aus, dass dies in einigen Fällen so sei. Konkrete Beispiele könne sie natürlich nicht nennen, denn es teile ja niemand mit, warum er nicht nach Oranienburg ziehe. Aber einige Einwohner hätten in Gesprächen klar erklärt, dass sie, wenn sie um die Prob-lematik gewusst hätten, nicht in Oranienburg gebaut hätten. Oranienburg gehöre finanziell sicher nicht zu den ärmsten Städten im Land Bran-denburg. Man könne jeden Euro aber natürlich nur einmal ausgeben. Es gebe eine Prioritätenliste für Investitionen, aus der sich auch die Investitionen ergäben, die nicht umgesetzt werden könnten. Hierzu gehörten aktuell zwei Kitas sowie Straßen-bauvorhaben. Eine Kita für 100 Kinder koste rund 3 Millionen Euro.

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Herr Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Spyra (BTU Cottbus-Senftenberg) führt aus, ihm seien allein drei Fälle bekannt, in denen sich Bürgerinnen und Bürger gegen den Erwerb eines Grundstücks im Verdachtsbereich entschieden hätten. Oranienburg betreibe jedoch eine vorbildliche Öffentlichkeitsarbeit. Es sei richtig und wichtig, dass die Kommunalverantwortlichen nichts verschwiegen, sondern Transpa-renz übten. Diese Transparenz stehe den Bürgern zu und führe dazu, dass sie das Thema besser einschätzen könnten. Er wolle auf die Methoden zur Suche und auch zur Entschärfung zu sprechen kom-men. Er habe sich zu der unterschiedlichen Qualität des Kartenmaterials für die Ver-dachtsfeststellung bereits geäußert. Bei der Verdachtsprüfung sei die Bohrlochson-dierung diejenige Methode, die man derzeit anwenden könne. Es würden allerdings Forschungsvorhaben durchgeführt, die zu Hoffnung Anlass gäben. Ein amerikani-sches und ein australisches Unternehmen überlegten gerade, Brandenburg als Test-land zu nehmen. Der wichtigste Forschungsgegenstand sei die Auswertung einer Anomalie. Diese Auswertung sei derart von Spezialwissen geprägt, dass man sie eigentlich nicht in die Verantwortung eines Feuerwerkers geben könne, der nicht die entsprechende Ausbildung besitze. Es seien Signalmessungen gelungen, bei denen mit einer Wahrscheinlichkeit von über 80 % hätte festgestellt werden können, ob es sich bei dem Verdachtsfall um eine Bombe oder um ein großkalibriges Munitions-stück handelte. Hier liege jedoch noch keine Angebotsreife vor. Das Verfahren sei derzeit auch noch sehr teuer in der Anwendung. Es gebe seiner Auffassung nach jedoch die Möglichkeit, Kooperationen auf wissenschaftlicher oder auch auf unter-nehmerischer Grundlage zu realisieren. Eine klassische Methode sei die ferromagnetische Sondierung. In diesem Bereich könne sich Brandenburg auf die Fahnen schreiben, dass hier eine Sonde entwickelt und getestet worden sei, die die klassischen Messeinrichtungen deutlich übertreffe. Bislang bestehe jedoch bei dieser Erkundung noch kein ausreichendes Qualitätsma-nagement. Als Hochschullehrer habe er ein Testfeld angelegt. Die Ergebnisse ließen einen zum Teil die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Die höchste Qualitäts-stufe, die erreicht worden sei, liege bei etwas über 80 %, die niedrigste bei 27 %. Un-ternehmen, die nicht über ausreichend Kompetenz verfügten, sollte man deshalb bitten, Nachschulungen durchzuführen. Es sei gegebenenfalls angebracht, dass das Land ein verstärktes Auge auf diese Frage richte. Die Stadt Oranienburg habe zusammen mit der Deutschen Bahn auch einen be-stimmten Streckenabschnitt mittels eines elektromagnetischen Verfahrens modellhaft untersucht. Auch hier gebe es positive Ergebnisse, die hoffnungsvoll stimmten, eine größere Sicherheit bei der Absuche herzustellen. Man müsse aber stets bedenken, dass man mit dem jeweiligen Stand der Technik arbeite. Eine Untersuchung bedeute deshalb nicht, dass ein Bereich hundertprozen-tig munitionsfrei sei. In den 1950er, 60er, 70er und 80er Jahren seien jeweils Freiga-ben auf der Grundlage einer Technik erteilt worden, deren Ergebnisse man heutzuta-ge nicht mehr akzeptieren würde.

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In diesem Zusammenhang habe er eingangs auch von der bizarren Sorglosigkeit einiger Bundesländer gesprochen. Eine Landesregierung habe auf die Frage, ob der Festbereich eines großen Volksfestes auf Blindgänger untersucht worden sei, ge-antwortet, dass 1945 alles weggeräumt und im Jahr 2000 das Feld noch einmal auf Blindgänger untersucht worden sei. Das hätte bei einer Untergrenze von 50-Kilogramm-Bomben jedoch bedeutet, auf dem gesamten Feld im Abstand von 70 cm 6 m tief zu bohren. Diese wäre aber sicherlich niemandem verborgen geblieben. Soweit Herr Bommert ein vernünftiges Konzept gefordert habe, sei er der Auffas-sung, ein solches bereits vorgelegt zu haben. Abgeordnete Gossmann-Reetz (SPD) weist darauf hin, dass man sich in einem kri-tischen Zeitfenster befinde, weil vermehrt mit Verunreinigungen des Grundwassers infolge von Durchrostungen und auch ungeplanten Detonationen gerechnet werden müsse. Sie fragt Prof. Dr. Spyra nach seiner Einschätzung hierzu. Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE) führt aus, wenn er Prof. Dr. Spyra rich-tig verstanden habe, hätte in Oranienburg mehr Geld nicht zwingend bei der Bom-bensuche geholfen, weil die systematische Absuche aufgrund der damit verbunde-nen Einschränkungen für das öffentliche Leben nur begrenzt intensiviert werden könne. Für Potsdam könne er feststellen, dass derzeit nicht systematisch bezie-hungsweise präventiv gesucht werde. Es gebe Erklärungen, dass man dies wolle; bislang seien Bombenräumungen jedoch nur nach Zufallsfunden im Rahmen von Baumaßnahmen durchgeführt worden. Er halte es für wesentlich, festzuhalten, dass für eine landesweite systematische Kampfmittelsuche und -beseitigung eine stärkere Verantwortung des Bundes für die Finanzierung unumgänglich sei. Ohne eine solche sei ein systematischer Ansatz landesweit nicht umzusetzen. Er habe die spezielle Frage, wie mit Sprengkörpern umgegangen werde, die eigentlich zur reichseigenen Munition gehört hätten, die aber von den Alliierten umfunktioniert worden sei. Abgeordneter Lüttmann (SPD) führt aus, der Einfluss, den die Kampfmittelbelastung in Oranienburg auf die Wirtschaftsstärke der Stadt habe, sei bei den Schwierigkeiten erkennbar gewesen, die es bereits habe, die Fläche des alten und stark bombenbe-lasteten Flughafens für den heute florierenden Gewerbepark Süd zu nutzen. Auch im Gewerbepark Nord habe ein Unternehmen große Probleme mit der Absuche gehabt, als es sich erweitern wollte. Er wolle auch noch einmal konkret nachfragen, welche Entlastung mehr Geld des Bundes für den zum Beispiel durch den Bau einer neuen Schule stark belasteten Haushalt Oranienburgs bringen könne. Abgeordnete Schülzke (BVB/FREIE WÄHLER) legt dar, ihr sei das Problem der Kampfmittelbelastung aus Schlieben bekannt. Es gehe in Schlieben jedoch um so-genannte reichseigene Munition, die im dortigen Konzentrationslager hergestellt worden sei. Man habe Handgranaten aus einem Kindergarten entfernen müssen; Kinder hätten die Handgranaten neben dem Spielkasten gefunden. Man habe auch Handgranaten entdeckt, die an Bushaltestellen neben der B 87 abgelegt worden sei-en. Das dortige Waldgebiet sei noch intensiv mit Kampfmitteln belastet. Die Gegend sei in der Vergangenheit bei der Absuche aufgrund anderer, jeweils dringender Prob-

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leme zurückgestellt worden. Es sei lediglich einmal ein größerer Weg geräumt wor-den. Dort seien auf wenigen Quadratmetern sehr viele Handgranaten gefunden wor-den. Sie wolle dafür werben, dieses Gebiet nicht aus den Augen zu verlieren. Dies sei auch wichtig für Gemeinden, die gar nicht betroffen sein könnten, wie beispiels-weise Lebusa oder Freileben. Diese müssten aus dem Gefahrenverdacht entlassen werden. Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90) stellt fest, dass der Antrag der CDU-Fraktion die Forderung nach einem landesweiten Kampfmittelbeseitigungskonzept mit einer Prioritätenliste zur systematischen Sondierung aller Verdachtsflächen bein-halte. Der Antrag benenne eine Verdachtsfläche von 400 000 Hektar. Gefordert wer-de außerdem ein konkreter Zeitplan. Prof. Dr. Spyra habe ausgeführt, dass aufgrund drohender Durchrostung ein gewisser Zeitdruck bestehe. Frau Kausche habe außer-dem dargelegt, dass die Kosten für die weitere systematische Kampfmittelsuche und -beseitigung in Oranienburg auf etwa 200 Millionen Euro beziffert würden. Vor die-sem Hintergrund bitte sie Prof. Dr. Spyra um eine Schätzung, welche Kosten mit der Umsetzung der Forderungen des Antrages der CDU-Fraktion verbunden seien. Es sei immer wohlfeil, eine Kostentragung durch den Bund zu fordern. Man sollte jedoch ungefähr wissen, um welche Beträge es dabei gehe. Herr Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Spyra (BTU Cottbus-Senftenberg) erläutert, dass die Bomben unterschiedliche Materialien enthielten, die jeweils unterschiedlich auf Um-welteinflüsse reagierten. Es gehe zum einen um die Korrosion von Metall und zum anderen um die Zersetzung von Kunststoffen. Die Langzeitzünder enthielten zum Beispiel Materialien, die Filmmaterialen vergleichbar seien. Man wisse, dass Filme aus den 40er Jahren gar nicht mehr abspielbar seien. Es liefen Prozesse ab, die da-zu führten, dass der Sicherheitsmechanismus nicht mehr halte und irgendwann der Schlagbolzen auslöst werde. Bundesweit gebe es etwa ein bis zwei Selbstdetonatio-nen pro Jahr. In Oranienburg gebe es relativ viele chemisch langzeitgezündete Bom-ben. Ein Gesamtkonzept für das Land Brandenburg würde bestimmte Abarbeitungspriori-täten beinhalten. Diese entfielen zum jetzigen Zeitpunkt zweifelsfrei auf Oranienburg und Potsdam. Insofern habe man mit der Entwicklung eines landesweiten Konzepts noch Zeit und könne zunächst die hierfür notwendigen Informationen sammeln. Zu der Frage nach den benötigten finanziellen Mitteln wolle er anmerken, dass er den Antrag der CDU-Fraktion eher als Erinnerung verstehe und es in dem Antrag seiner Auffassung nach weniger um irgendwelche konkrete Forderungen gehe. Der Aufwand richte sich im Übrigen natürlich nach der nachgefragten Qualität. Bei der Gefahrenabwehr gehe es darum, die gefährlichsten Situationen zuerst zu bereinigen. Im Mittelpunkt stünden dabei die Großbomben. Es sei bereits darauf hingewiesen worden, dass mehr Geld, das mit einmal zur Verfügung gestellt werde, gar nicht so-fort sinnvoll eingesetzt werden könne. Man könne beispielsweise nicht mit einmal alle Zufahrtsstraßen nach Lehnitz [Ortsteil von Oranienburg] sanieren, denn dann wäre der Ort von der Außenwelt abgeschnitten.

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Insgesamt sei er der Auffassung, dass Oranienburg beziehungsweise auch Branden-burg sich im Vergleich zu anderen Bundesländern den Problemen vorbildhaft widme-ten. Defizite bestünden allenfalls darin, dass manche Explosion aus seiner Sicht nicht notwendig gewesen sei. Hier hätte man sich Methoden der Bombenentschär-fung in anderen Bundesländern einmal näher ansehen können. Es gebe seit drei Jahren eine Veranstaltung in Hamburg, in der neue Methoden geprobt und jüngere Feuerwerker an bestimmte Methoden herangeführt würden. Es sei allerdings ein Problem, dass man in ganz Deutschland kaum Tests mit Großbomben genehmigt bekomme. Man sollte bedenken, dass wissenschaftliche Versuche wegen der zur Verfügung stehenden Fördermittel dem Land bei jeder gesprengten Bombe Kosten-ersparnisse zwischen 40 000 und 80 000 Euro brächten. Minister Schröter bezieht sich auf die Frage des Abgeordneten Lüttmann nach den Auswirkungen der Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln des Bundes auf den Haus-halt der Stadt Oranienburg. Es gebe eine klare Vereinbarung, nach der zusätzliches Geld des Bundes nicht die derzeit zur Verfügung stehenden Mittel substituieren dür-fe. Nach derzeitigem Sachstand würden zudem die örtlichen Ordnungsbehörden, die für die vorbereitenden Maßnahmen der Bombenentschärfung zuständig seien, ei-gentlich nicht begünstigt. Bislang sehe es so aus, dass vor allem die Absuche nach Bomben und die Entschärfung mitfinanziert werden solle. Er habe im Zusammenhang mit der Gesamtproblematik einmal abfragen lassen, wie viel Geld bundesweit von den Ländern im vergangenen Haushaltsjahr für die Bom-bensuche aufgewandt worden sei. Bayern und Baden-Württemberg hätten keine An-gaben gemacht. Die übrigen Länder hätten zusammen 28.370.000 Euro aufgewen-det. Wenn man dieser Zahl die von Frau Kausche genannten Zahlen gegenüberstel-le, bekomme man ein Gefühl dafür, welche Lasten noch zu schultern seien. Diese Aufgabe sei bereits von der finanziellen Seite her ausgesprochen schwierig zu erfül-len. Es gebe zwei weitere begrenzende Faktoren. Wenn man ausreichend Geld besäße, dann bräuchte man natürlich sehr viel mehr Sprengmeister, Feuerwerker und auch sehr viel mehr Fachfirmen, die in der Lage sein müssten, sachgerecht zu sondieren. Wenn diese beiden Voraussetzungen gegeben seien, also sowohl ausreichend Geld als auch ausreichend qualifiziertes Personal, dann wären die Einschränkungen für das öffentliche Leben der begrenzende Faktor. Man könne nicht alle Straßen gleich-zeitig sperren oder mit einem Mal eine halbe Stadt evakuieren. Vor diesem Hinter-grund sei die Aufstellung eines konkreten Zeitplans für ein ganzes Land vermutlich nicht möglich. Herr Michael (MdF) merkt an, er wolle einen Hinweis zu Nummer 2 des Antrages der CDU-Fraktion geben. Dort werde gefordert, die besonderen finanziellen Lasten, die sich für Brandenburg durch die Kampfmittelbeseitigung ergäben, in die anstehenden Verhandlungen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen einzubringen. Die Verhand-lungen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen gestalteten sich ausgesprochen schwierig. Es falle dem Bund wahrscheinlich sehr leicht, in diesem Punkt nachzuge-ben und ein Viertelprozentpunkt mehr Umsatzsteuer in Aussicht zu stellen. Es hande-le sich jedoch um ein gesondertes Thema, das auch republikweit nicht gleichmäßig

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von Bedeutung sei. Es sollte deswegen auch aus den sehr schwierigen Verhandlun-gen mit dem Bundesministerium der Finanzen herausgehalten werden. Abgeordneter Bommert (CDU) erklärt, das heutige Gespräch habe viele Denkanstö-ße für den weiteren Umgang mit dem Thema und dem Antrag seiner Fraktion gege-ben. Mit der geforderten Gesamtkonzeption zur Kampfmittelbeseitigung könne Bran-denburg eine Vorreiterrolle auch in den Bereichen der Feuerwerkerausbildung und des Qualitätsmanagements übernehmen. Frau Kausche (Stellv. Bürgermeisterin Stadt Oranienburg) begrüßt die klare Aussa-ge, dass etwaige Bundesmittel zusätzlich zur Verfügung gestellt würden. Ihre Bitte sei, darauf zu achten, dass der Haushalt der Stadt Oranienburg zukünftig nicht noch stärker durch die Aufgaben der Kampfmittelbeseitigung belastet werde. Der von ihr genannte Betrag von 200 Millionen Euro stelle bereits eine dauerhafte Belastung für die finanzielle Bewegungsfreiheit der Stadt dar. Zu TOP 2: Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Daten-

schutzgesetzes, Gesetzentwurf der Landesregierung (Drucksa-che 6/613)

Abschließende Beratung Der Vorsitzende führt einleitend aus, dass der zu beratende Gesetzentwurf in der Landtagssitzung am 18. März 2015 an den Ausschuss für Inneres und Kommunales überwiesen worden sei. Zur vergangenen Sitzung des Ausschusses hätten ein ge-meinsamer Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN (Anlage 1) sowie ein gemeinsamer Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zu dem Gesetzentwurf vorgelegen. Zu dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktio-nen sei soeben ein Neudruck als Tischvorlage verteilt worden (Anlage 2). In der ver-gangenen Sitzung sei beschlossen worden, eine Anhörung zum Gesetzentwurf und zu den Änderungsanträgen durchzuführen. Die Stellungnahmen der Sachverständi-gen lägen mittlerweile vor (Anlage 3 - 7). Die letzte noch ausstehende Stellungnah-me sei heute Morgen verteilt worden. Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90) erklärt, der Vorsitzende habe selbst da-rauf hingewiesen, dass die letzte schriftliche Stellungnahme die Ausschussmitglieder erst heute Morgen um kurz vor 8.00 Uhr erreicht habe. Sie habe gestern Abend bis 23.35 Uhr in der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Falkensee gesessen und habe heute Morgen ab 8.30 Uhr an einer Fraktionssitzung im Landtag teilgenommen. Dies zeige die Grenzen eines schriftlichen Anhörungsverfahrens auf. Es sei nicht zu schaffen, sich unter diesen Vorrausetzungen in angemessener Qualität einzuarbei-ten. Vor allem bestehe bei einem schriftlichen Anhörungsverfahren nicht die Möglich-keit, mit den Sachverständigen ins Gespräch zu kommen und Nachfragen zu stellen. Die ihr zur Kenntnis gekommenen Stellungnahmen wiesen eine große Bandbreite auf. Mehrere Sachverständige hätten aber auf Verbesserungsbedarf bei beiden Än-derungsanträgen hingewiesen. Es fehle die Zeit, sich intensiv mit den Argumenten

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auseinanderzusetzen und man könne auch nicht nachfragen, welche Verbesserun-gen im Einzelnen für essentiell gehalten würden. Sie könne den Stellungnahmen entnehmen, dass der gemeinsame Antrag der Fraktionen von CDU und BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN von dem Sachverständigen Prof. Dr. Roßnagel und auch von der EU-Kommission deutlich präferiert werde. Man habe einigen Stellungnahmen auch die Anregung entnommen, an dem Änderungsantrag geringfügige Veränderun-gen vorzunehmen. Insgesamt hielten die antragstellenden Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihren Antrag selbstverständlich aufrecht. Es sei der bes-sere Antrag und man bitte den Ausschuss deswegen nach wie vor um Zustimmung. Abgeordneter Lakenmacher (CDU) schließt sich den Ausführungen der Abgeordne-ten Nonnemacher an. Er wolle bekräftigen, dass das schriftliche Anhörungsverfahren in diesem Fall untunlich und nicht zweckmäßig gewesen sei. Die CDU-Fraktion sei zusammen mit dem Parlamentarischer Beratungsdienst der Auffassung, dass es ein Minderheitenrecht auf eine mündliche Anhörung gebe. Die schriftliche Anhörung stel-le eine Beschneidung des Minderheitenrechts dar. Man werde diese Frage weiter verfolgen und zu einem abschließenden Ergebnis führen. Der Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sei eindeutig der bessere An-trag und werde auch im Landtag weiter aufrechterhalten werden. Abgeordneter Kurth (SPD) stimmt der Abgeordneten Nonnemacher in der Einschät-zung zu, dass die Stellungnahmen eine große Bandbreite aufwiesen. Auch der An-trag der Koalitionsfraktionen sei als rechtssicher bezeichnet. Man habe trotzdem ei-nen Neudruck vorgelegt, der einige Anregungen für Änderungen aufgreife und voll-ständige Klarheit herstelle. Abgeordnete Fischer (SPD) führt aus, die beiden Änderungsanträge verfolgten un-terschiedliche Wege, um zu dem Ziel einer völligen Unabhängigkeit der Landesda-tenschutzbeauftragten zu gelangen. Es sei deswegen nicht weiter verwunderlich, dass die Stellungnahmen grundsätzlich - mit bestimmten Präzisierungen - beide We-ge als zulässig und rechtssicher erachteten. Es würde nicht weiterhelfen, wenn fünf Sachverständige an der Sitzung teilnähmen. Man müsse am Ende politisch ent-scheiden, welchen Weg man wähle. Rechtlich seien beide Wege möglich. Der Änderungsantrag sei im Neudruck noch einmal präzisiert worden. Es werde nunmehr festgestellt, dass sich die Dienstaufsicht der Landtagspräsidentin aus-schließlich auf die Landesdatenschutzbeauftragte selbst beziehe. Zudem sei eine materielle Schwelle für die Dienstaufsicht festgelegt worden. Die Ausübung der Dienstaufsicht komme nur bei Verstößen in Betracht, die so schwer wögen, dass sie die Frage nach dem Dienstverhältnis selbst beträfen. Frau Hartge (Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Akten-einsicht) erklärt, es sei für sie wichtig gewesen, dass die Dienststellen der Kommissi-on in ihrer Stellungnahme ausdrücklich auf das Problem möglicher Disziplinarverfah-ren gegen Mitarbeiter der Landesbeauftragten eingegangen seien. Sie habe bereits in der vergangenen Sitzung des Ausschusses darauf hingewiesen, dass die Kom-mission bei dieser Frage an den Regelungen in anderen Ländern, die eindeutiger formuliert seien, Kritik geübt habe. In Brandenburg habe die Kommission das Prob-

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lem möglicher Disziplinarverfahren gegen Mitarbeiter der Landesbeauftragten nicht erkennen können, weil die einschlägigen Regelungen im Landesbeamtengesetz ent-halten seien und das Problem dadurch etwas verschleiert werde. Nunmehr habe sich die Kommission jedoch ausdrücklich positioniert. Sie habe soeben zum ersten Mal von den Änderungen gehört, die die Koalitionsfrak-tionen an ihrem Änderungsantrag vorgenommen hätten. Das Problem werde durch diese Änderungen möglicherweise nicht vollständig gelöst, da es insbesondere im Landesbeamtengesetz weiterhin Bezüge gebe, die zu Problemen führen könnten. Das Ausgangsproblem sei, dass das bei der Landesbeauftragten tätige Personal formal Personal des Landtags sei. Die Verbeamtungen würden von der Landtagsprä-sidentin vorgenommen. Die Landesbeauftrage habe praktisch nur einen Geschäfts-stellencharakter. Das Landesbeamtengesetz weise an mehreren Stellen bestimmte Kompetenzen in Disziplinarverfahren der obersten Dienstbehörde zu. Oberste Dienstbehörde sei aber die Landtagspräsidentin. Sie sei sich deswegen nicht sicher, ob sich dieses Problem mit einem einzelnen Satz lösen lasse. Die Kommission sei auf dieses grundsätzliche Problem auch indirekt dadurch eingegangen, dass sie auf die anstehende EU-Datenschutzreform hingewiesen habe. Die Datenschutz-Grundverordnung sehe vor, dass die Aufsichtsbehörde über eigenes Personal verfü-gen solle, das vom Leiter der Aufsichtsbehörde ernannt werde und ausschließlich seiner Leitung unterstehe. Vor diesem Hintergrund sei die Idee, das Amt der Landes-datenschutzbeauftragten als oberste Landesbehörde durchaus klug, denn so werde verhindert, dass dienstrechtlich eine andere Behörde zuständig sei. Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90) meint, der Änderungsantrag der Koaliti-onsfraktionen lasse das grundsätzliche Problem der Dienstaufsicht bestehen. Eine vollständige Unabhängigkeit der Landesdatenschutzbeauftragten werde nur dann gewährleistet, wenn die Dienstaufsicht komplett entfiele. Sie weise darauf hin, dass die Dienststellen der Kommission den Vorschlag der Koalitionsfraktionen lediglich als ausreichend bezeichnet habe. Das entspreche der Schulnote 4. Wer eine gute Rege-lung für die Landesdatenschutzbeauftragte schaffen wolle, müsse dem Antrag der CDU-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN folgen. Abgeordneter Lakenmacher (CDU) führt aus, der Verlauf der Diskussion zeige, dass es falsch gewesen sei, ein schriftliches Anhörungsverfahren zu beschließen. Man sei sehr in die Tiefe der Argumente eingestiegen. Nachfragen an und eine Diskussion mit den Sachverständigen wären angezeigt gewesen. Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE) weist darauf hin, dass man bereits in der vergangenen Sitzung ausführlich über das Verfahren gesprochen habe. Den vor-liegenden Stellungnahmen lasse sich entnehmen, dass der Weg, den die Koalitions-fraktionen gewählt hätten, möglich sei. Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen basiere im Übrigen auf einem Vorschlag, den die Landesdatenschutzbeauftragte selbst gemacht habe. Die Hinweise der Landesdatenschutzbeauftragten auf mög-licherweise fortbestehenden Klarstellungsbedarf im Landesbeamtengesetz nehme er sehr ernst. Unabhängig davon halte er es jedoch für wichtig, die gesetzliche Ände-rung, mit der die vollständige Unabhängigkeit der Landesdatenschutzbeauftragten sichergestellt werde, zeitnah wirksam werden zu lassen.

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Abgeordnete Fischer (SPD) erläutert, die Stellungnahme der Dienststellen der Kommission beruhe auf einer Prämisse. Danach sei lediglich ein ausschließlich bei der Landtagspräsidentin angesiedeltes Disziplinarverfahren problematisch. Nach dem Brandenburgischen Datenschutzgesetz sei jedoch die Landesdatenschutzbe-auftragte Dienstvorgesetzte ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ihr stünden damit auch die Disziplinarbefugnisse nach § 17 des Landesdisziplinargesetzes zu. Der Neudruck des Änderungsantrages solle diesbezügliche Irritationen ausräumen. Frau Hartge (Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Akten-einsicht) führt aus, mit dem Neudruck des Änderungsantrages der Koalitionsfraktio-nen werde offensichtlich der Versuch unternommen, den Vorstellungen der Kommis-sion im Rahmen der Begründung gerecht zu werden. Sie glaube, dass dies ange-sichts der deutlichen Regelung im Landesbeamtengesetz nicht möglich sei. Ihr sei kein Fall bekannt, in dem mit einer Begründung ein Vertragsverletzungsverfahren hätte abgewendet werden können. Sie wünsche sich, dass sich der Ausschuss aus-reichend Zeit nehme, um die verschiedenen Varianten noch einmal zu durchdenken. Der Ausschuss könne das Thema nach der Sommerpause noch einmal beraten. Sie glaube, dass bei einem Vertragsverletzungsverfahren dieser Art die Zeit nicht davon-laufe. Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90) merkt an, die einschlägige Entscheidung des EuGH stamme vom 9. März 2010. Die Landesregierung habe ausgesprochen spät reagiert und erst im März 2015 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Der Abgeordnete Dr. Scharfenberg habe eingeräumt, dass bestimmte Probleme in anderen gesetzli-chen Regelungen weiterhin problematisch sein könnten. Es sei nicht einzusehen, eine notwendige Gesetzesänderung erst nach fünf Jahren vorzunehmen und dann Stückwerk abzuliefern. Die Koalitionsfraktionen sollten sich entweder dem rechtssi-cheren Vorschlag der Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an-schließen oder bis zur Plenarsitzung einen anderen Änderungsantrag vorlegen. Abgeordnete Gossmann-Reetz (SPD) erwidert, die Behauptung, dass der Vorschlag der Koalitionsfraktionen nicht rechtssicher sei, widerspreche dem eindeutigen Ergeb-nis des Anhörungsverfahrens. Die Disziplinarbefugnisse der Landesdatenschutzbe-auftragten ergäben sich im Übrigen nicht nur aus der Begründung des Änderungsan-trages, sondern auch aus den Reglungen des Landesdisziplinargesetzes. Hierauf könne sich Frau Hartge gegenüber der Landtagspräsidentin auch berufen. Abgeordneter Lakenmacher (CDU) hebt hervor, er bedauere, dass sich die Koaliti-onsfraktionen offensichtlich mit einem suboptimalen Ergebnis zufriedengeben woll-ten. Abgeordnete Fischer (SPD) entgegnet, die Koalitionsfraktionen hätten das Anhö-rungsverfahren ausgewertet und Änderungsempfehlungen der Sachverständigen für den Neudruck ihres Änderungsantrages aufgegriffen. Die Koalitionsfraktionen hätten einen rechtssicheren Änderungsantrag vorgelegt.

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Der Vorsitzende lässt über die Änderungsanträge und den Gesetzentwurf der Lan-desregierung abstimmen.

Der Ausschuss für Inneres und Kommunales lehnt den Änderungsantrag der CDU-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehrheitlich (4 : 7 : 0) ab.

Der Ausschuss für Inneres und Kommunales nimmt den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen von SPD und DIE LINKE mehrheitlich (7 : 4 : 0) an.

Der Ausschuss für Inneres und Kommunales stimmt mehrheitlich (7 : 4 : 0) dafür, dem Landtag die Annahme des Gesetzentwurfes der Landesregierung auf Drucksache 6/613 in der vom Ausschuss beschlossenen Fassung zu emp-fehlen.

Zu TOP 3: Entwurf des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform 2019,

insbesondere Verständigung zum weiteren Verfahren zur Gestal-tung des breiten öffentlichen Dialogs

u. a. Bericht des Ministeriums des Innern und für Kommunales Minister Schröter führt aus, die Mitglieder des Ausschusses seien bereits über die Termine für die achtzehn Informationsveranstaltungen in den 14 Landkreisen und den 4 kreisfreien Städte in Kenntnis gesetzt worden. Sobald die Abstimmung mit den Landkreisen und den kreisfreien Städten stattgefunden habe, werde man auch über die genauen Veranstaltungsorte informieren. Parallel zu den Veranstaltungen werde auch über das Internet eine Kommunikation möglich werden. Natürlich sei das Minis-terium auch auf dem Postweg für Informationsbegehren und Anregungen erreichbar. Die erste und wesentliche die Frage im Leitbilddiskussionsprozess betreffe die Aus-gestaltung der Funktionalreform. Er erinnere an die Regierungserklärung des Minis-terpräsidenten mit der Aussage „form follows function“. Man müsse zunächst überle-gen, welche der 22 Aufgaben, die das Ministerium des Innern und für Kommunales in Abstimmung mit den anderen Fachministerien zur Kommunalisierung vorgeschlagen habe, tatsächlich kommunalisiert werden sollten. Natürlich müsse auch über finanzi-elle Aspekte in den drei Bereichen Anschubfinanzierung, Strukturanpassungsunter-stützung und Teilentschuldung geredet werden. Ebenso stünden sicherlich Fragen nach einer Mindesteinwohnerzahl und einer maximalen Flächenausdehnung der zu-künftigen Kreise im Raum. Er freue sich auf die kommenden Gespräche zu diesen Themen. Das Ministerium des Innern und für Kommunales stehe dem Ausschuss selbstverständlich als Gesprächspartner und für Auskunftserteilungen zur Verfügung. Der Vorsitzende erläutert, Schwerpunkt der heutigen Behandlung des Themas „Leit-bild für die Verwaltungsstrukturreform 2019“ solle eine Verständigung zum weiteren Verfahren im Ausschuss sein. Es lägen dazu ein Vorschlag der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN und ein Vorschlag der Koalitionsfraktionen vor.

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Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90) führt aus, dem Vorschlag ihrer Fraktion für die weitere Ausschussbehandlung des Leitbildentwurfes sei ein Gespräch mit dem Vorsitzenden vorausgegangen. Sie habe in dem Gespräch viel Einvernehmen feststellen können. Der Vorschlag der Koalitionsfraktionen lasse jedoch viele Themen außen vor, die unbedingt im Ausschuss behandelt werden müssten. Hierzu gehörten unbedingt auch die soeben von Minister Schröter benannten Punkte „Finanzen“ und „Neuzuschnitt der Kreise“ und auch die Themen „Zukunft der gemeindlichen Ebene“ und „demokratische Repräsentation“. Nach dem Vorschlag der Koalitionsfraktionen solle sich der Ausschuss bis zum Frühjahr des kommenden Jahres ausschließlich mit der Funktionalreform befassen. Die Funktionalreform sei zweifelsohne wichtig, stelle aber nur einen Teilaspekt der Verwaltungsstrukturreform dar. Zur Aufgabenübertra-gung seien zum Beispiel in Anlage 2 Nr. 14 des Leitbildentwurfes „die Vollzugsaufga-ben des Verbraucherschutzes die flächendeckende Überwachung des Absatzmark-tes für Tierfelle und die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach dem Hufbeschlaggesetz“ vorgesehen. Man müsse hierzu nicht stundenlange Anhö-rungen durchführen. Die wirklich kritischen Themen wie die Frage möglicher Einkrei-sungen oder auch die vielfältigen finanziellen Aspekte der Verwaltungsstrukturreform tauchten in dem Vorschlag der Koalitionsfraktionen nicht auf. Man benötige sehr viel mehr Anhörungen als von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagen. Abgeordneter Kurth (SPD) legt dar, der Eindruck, dass die Koalitionsfraktionen be-stimmte Themen nicht im Ausschuss besprechen wollten, sei unzutreffend. Die von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgeschlagenen Anhörungsthemen wür-den auch in dem Antrag der Koalitionsfraktionen mitbedacht, allerdings in etwas an-derer Form und Detailschärfe. Die Koalitionsfraktionen hätten in ihrem Antrag ver-sucht, die Anhörungen mit den mitberatenden Ausschüssen anhand der unterschied-lichen Themenfelder zu strukturieren. Die Funktionalreform solle dabei, wie der An-trag wörtlich ausführe, „schwerpunktmäßig“ behandelt werden. Dahinter stehe der Gedanke, dass man zunächst Klarheit über die Aufgaben der zukünftigen Kreise ge-winnen wolle. Stünden die Aufgaben fest, dann verfüge man über eine solide Basis insbesondere auch für die Diskussion über die Größe der zukünftigen Kreise. Die Koalitionsfraktionen seien aber selbstverständlich bereit, die von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN benannten Punkte mitaufzunehmen, um Streit an dieser Stelle zu vermeiden. Abgeordnete Richstein (CDU) erinnert daran, dass der Vorsitzende am Rande der zurückliegenden Plenarsitzung mit den Ausschussmitgliedern der unterschiedlichen Fraktionen gesprochen habe. Sowohl der Vorschlag der Koalitionsfraktionen als auch der Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN enthielten gute Ansätze. Sie plädiere dafür, die beiden Anträge zusammenzuführen, um zu einem zufriedenstel-lenden Ergebnis zu gelangen. Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE) betont, er würde eine Einigung im Ausschuss über das weitere Verfahren begrüßen. Ziel des Diskussionsprozesses sei, die beabsichtigte Reform möglichst tragfähig zu gestalten. Der Ausschuss müsse und werde sich selbstverständlich auch mit den Themen befassen, die die Abgeord-nete Nonnemacher eben noch einmal benannt habe. Es stelle sich jedoch die Frage, welchen Schwerpunkt der Ausschuss setzen solle. Die Spitzenverbände hätten wie-

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derholt deutlich gemacht, dass für sie die Funktionalreform die Voraussetzung für die gesamte Verwaltungsstrukturreform sei. Es werde auch immer wieder kritisiert, dass die Funktionalreform bei den Diskussionen zu kurz komme. Zudem sei davon auszu-gehen, dass bei den öffentlichen Dialogveranstaltungen, die vom Ministerium des Innern und für Kommunales organisiert würden, gerade die von der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN in den Mittelpunkt gerückten Fragen diskutiert und die Aufga-benübertragungen voraussichtlich deutlich weniger Raum einnehmen würden. Des-wegen hätten die Koalitionsfraktionen der Funktionalreform in der Ausschussbehand-lung einen solch hohen Stellenwert eingeräumt und die Funktionalreform den weite-ren Diskussionen quasi vorgeschaltet. Er schlage vor, die von der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN benannten Themen mit zu beschließen, den Zeitpunkt, zu dem sich der Ausschuss diesen Themen widmen solle, jedoch zunächst noch offen zu lassen. Der Vorsitzende erläutert, er habe am Rande der vergangenen Plenarsitzung Ge-spräche mit den Ausschussmitgliedern geführt, um zu einem gemeinsamen Be-schlussvorschlag zu gelangen. Er habe festgestellt, dass sich die Mitglieder des Aus-schusses im Ergebnis im Großen und Ganzen einig darüber seien, was im kommen-den Jahr im Ausschuss beraten werden müsse. Er habe aber auch festgestellt, dass das Bewusstsein der Ausschussmitglieder für diese Einigkeit noch nicht so ausge-prägt gewesen sei. Es sei ihm deshalb nicht möglich gewesen, bereits im Vorfeld der Sitzung einen gemeinsamen Beschlussvorschlag zu formulieren. Nunmehr lägen zwei unterschiedliche Vorschläge auf dem Tisch. Der Vorschlag der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN orientiere stärker auf die Inhalte der durchzuführenden Anhö-rungen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen nehme die Verfahrensfragen stärker in den Blick. Der Antrag der Koalitionsfraktionen berücksichtige auch stärker, dass es innerhalb des Diskussionsprozesses zum Leitbild mehrere kommunikative Säulen gebe. Die Landesregierung decke mit den geplanten Dialogveranstaltungen einen gewissen Teilbereich ab. Über die Ergebnisse werde sich der Ausschuss - dies sehe auch der Vorschlag der Koalitionsfraktionen vor - detailliert berichten lassen. Eine zweite Säule der Kommunikation bildeten die Anhörungen im Ausschuss. Eine dritte, wesentliche Säule stelle der Dialog dar, der von den Parteien, Fraktionen, kommu-nalpolitischen Vereinigungen und weiteren Gruppen initiiert werde. Man müsse berücksichtigen, dass bestimmte, von der Verfassung vorgegebene An-hörungen erst dann durchgeführt werden könnten, wenn es im Ausschuss um einen konkreten Beschlussvorschlag gehe, der selbstverständlich auch die Ergebnisse der Kommunikation in den anderen beiden Säulen berücksichtigen müsse. Diese Anhö-rungen gehörten an den Schluss der Ausschussberatungen. Es sei natürlich nicht verboten, dieselbe Anhörung zweimal durchzuführen. Er glaube aber, dass es mög-lich sei, diese Anhörungen an mehreren Tagen im Mai 2016 zu terminieren. Zudem sei es bereits aus logistischen Gründen notwendig, die gemeinsamen Anhörungen mit den mitberatenden Fachausschüssen etwas zu entflechten, um keine halben Plenarsitzungen durchführen zu müssen. Schließlich habe der Ausschuss auch un-abhängig von der Verwaltungsstrukturreform noch viele weitere Themen zu bearbei-ten. Er werbe vor diesem Hintergrund dafür, die beiden Vorschläge, wenn auch viel-leicht etwas holzschnittartig, zu fusionieren und einen entsprechenden Beschluss zu fassen, um in der Sache voranzukommen.

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Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90) bemerkt, es sei zunächst erfreulich fest-zustellen, dass im Ausschuss der Willen vorzuherrschen scheine, einvernehmlich zu einem Arbeitsfahrplan zu gelangen. Aus ihrer Sicht gebe es jedoch wesentliche in-haltliche Differenzen. Der Vorschlag der Koalitionsfraktionen sei ausdrücklich nur auf die Funktionalreform ausgerichtet; andere wesentliche Themen klammere er jedoch aus. Die Funktionalreform sei nur ein Teil einer großen Verwaltungsstrukturreform. Aus der Arbeit der Enquete-Kommission 5/2 wisse man, dass es auch ohne eine Funktionalreform allein aus finanziellen und demografischen Gründen die Notwen-digkeit gebe, neue Verwaltungsstrukturen zu schaffen. Die Themen „Einkreisung“, „Kreisgebietsreform“, „Finanzen“ und „Weiterentwicklung der gemeindliche Ebene“ müssten unbedingt im Ausschuss besprochen werden. Ihr sei unklar, wie diese The-men in die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen gemeinsamen Anhörungen mit den mitberatenden Fachausschüsse einbezogen werden könnten, weil jeweils ganz unterschiedlich Anzuhörende in Frage kämen. Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE) meint, der Ausschuss sei gut beraten, der Funktionalreform einen hohen Stellenwert einzuräumen. Man müsse bedenken, dass parallel zur Arbeit des Ausschusses der öffentliche Dialog laufe, an dem die einzelnen Abgeordneten natürlich auch teilnehmen würden. Es sei auch eine Frage der Kräfteeinteilung, welche Schwerpunkte man in der Ausschussarbeit setze. Es sei selbstverständlich, dass alle Reformbetroffenen im Verlauf der Ausschussberatungen zu allen Aspekten der Verwaltungsstrukturreform angehört werden müssten. Er halte es für bestimmte Themen jedoch für klug, zum Beispiel erst die 18 Leitbildkonferenzen in den Landkreisen und kreisfreien Städten abzuwarten, um die Ergebnisse für die Arbeit des Ausschusses berücksichtigen zu können. Er spre-che sich deshalb dafür aus, die von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN her-ausgestellten Punkte in den Verfahrensvorschlag für die weiteren Ausschussbera-tungen mit aufzunehmen. Es lasse sich zeitlich jedoch kaum einrichten, diese Punkte vor Abschluss der Befassung mit der Funktionalreform zu behandeln. Abgeordnete Fischer (SPD) regt an, die Vorschläge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als neue Nummer 4 in den Antrag der Koalitionsfraktionen aufzunehmen. Dadurch werde sichergestellt, dass wichtige Aspekte wie die finanziellen Auswirkun-gen der Verwaltungsstrukturreform, die Voraussetzungen für die Einkreisung und die Kriterien für die Kreisgebietsreform vom Ausschuss im Rahmen der geplanten Anhö-rungen berücksichtigt würden. Es bestehe keine Notwendigkeit, diese Anhörungen bereits zeitlich zu fixieren. Der Verlauf der ersten Anhörungen solle abgewartet wer-den. Gegebenenfalls müsse man zusätzliche Sitzungstermine zur Durchführung von Anhörungen beschließen. Abgeordnete Schülzke (BVB/FREIE WÄHLER) weist darauf hin, dass über die Funk-tionalreform bereits in der vergangenen Legislaturperiode intensiv diskutiert worden sei. Man müsse darauf achten, dass nicht wiederum gegen die Interessen der kom-munalen Ebene abgestimmt werde. Bestimme Aufgaben, zum Beispiel solche nach dem Denkmal- und des Umweltrechts, gehörten in die Hände der Landkreise. Man dürfe nicht wieder endlos diskutieren, ohne eine Entscheidung zu treffen.

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Sie habe wiederholt auf die Wichtigkeit der finanziellen Aspekte des Reformprozes-ses hingewiesen. Es müsse sichergestellt werden, dass Bürger und Wirtschaft nicht mit zusätzlichen Kosten belastet würden. Der finanzielle Aufwand dürfe sich nicht vergrößern. Am Montag hätten sich Mitglieder der Enquete-Kommission 6/1 mit dem Vorsitzenden der Enquete-Kommission "Älter werden in Mecklenburg-Vorpommern" des Landtages Mecklenburg-Vorpommerns getroffen. Der Vorsitzende, der SPD-Landtagsabgeordnete Heydorn, habe in diesem Gespräch ausgeführt, dass sich nach der Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern der Aufwand stark erhöht habe. Ein ähnliches Ergebnis müsse in Brandenburg unbedingt vermieden werden. Abgeordnete Richstein (CDU) führt aus, dass nach dem Beschlussvorschlag der Koalitionsfraktionen die kommunalen Spitzenverbände als Anzuhörende für die An-hörungen „gesetzt“ sein sollten. Sie schlägt vor, diese Regelungen auf die jeweils betroffenen Personalräte auszuweiten. Abgeordneter Ludwig (DIE LINKE) meint, er könne die Vorschläge der Abgeordne-ten Richstein nicht recht einordnen, da Personalräte nicht außenvertretungsbefugt seien und er im Übrigen bei der Diskussion über die einzelnen Aufgaben auch nicht immer von Vornherein wisse, welchen Personalrat man denn einladen müsse. Er spreche sich allerdings dafür aus, ähnlich wie die Enquete-Kommission 5/2 dies ge-handhabt habe, die Gewerkschaften in den festen Kreis der Anzuhörenden aufzu-nehmen. Die Ausführungen der Abgeordneten Schülzke stellten eine Bestätigung des Verfah-rensvorschlages der Koalitionsfraktionen mit der Schwerpunktsetzung bei der Funk-tionalreform dar. Die Reform in Mecklenburg-Vorpommern leide darunter, dass man dort auf eine Funktionalreform am Ende verzichtet habe. Deswegen sei der Aufwand dort zum Teil höher als vor der Reform. Man wolle die Fehler, die in Mecklenburg-Vorpommern begangen worden seien, keinesfalls wiederholen und verfolge deswe-gen von Beginn an einen anderen Ansatz. Abgeordnete Fischer (SPD) fragt, ob sich die Abgeordnete Nonnemacher mit dem Vorschlag, die von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN benannten inhaltlichen Themen in den Verfahrensvorschlag der Koalitionsfraktionen zu integrieren, einver-standen erklären könne. Über den genauen Zeitpunkt der jeweiligen Anhörungen könne man gegebenenfalls später befinden. Ihr komme es darauf an, noch vor der Sommerpause zu einem möglichst einvernehmlichen Beschluss im Ausschuss zu gelangen. Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90) erklärt, sie sei natürlich damit einver-standen, dass die von ihrer Fraktion benannten Themen in einen gemeinsamen Be-schlussvorschlag aufgenommen würden. Sie habe sich nur dagegen ausgesprochen, dass bis zum April 2016 ausschließlich Anhörungen zur Funktionalreform durchge-führt und andere wichtige Themen danach im Schnelldurchgang abgehandelt wür-den. Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE) spricht sich dafür aus, die beiden vor-liegenden Verfahrensvorschläge zusammenzuführen. Es gebe dann eine gemeinsa-

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me Ausgangsbasis im Ausschuss, die natürlich noch weiter konkretisiert werden müsse. Der Vorsitzende stellt den Vorschlag, die Verfahrensvorschläge der Koalitionsfrakti-onen und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unter Berücksichtigung der bishe-rigen Diskussion zusammenzuführen, zur Abstimmung. Er weist ergänzend darauf hin, dass es dem Ausschuss natürlich jederzeit freistehe, etwaige Fein- und Nachjus-tierungen zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen.

Der Ausschuss für Inneres und Kommunales beschließt einstimmig bei einer Stimmenthaltung ein Verfahren für die Beratung des Leitbildes für die Verwal-tungsstrukturreform 2019 in den Ausschüssen des Landtages (Anlage 3).

Abgeordnete Richstein (CDU) erklärt, im Leitbildentwurf werde ausgeführt, dass auf gemeindlicher Ebene in dieser Legislaturperiode ausschließlich freiwillig Neustruktu-rierungen erfolgen sollten. Eine Richtlinie des Ministeriums für die Gewährung von Zuwendungen des Landes Brandenburg zur Förderung freiwilliger Gemeindezu-sammenschlüsse [ABl./11, [Nr. 36], S.1487] sei am 31. Dezember 2014 außer Kraft getreten. Sie fragt, welche Anreize Gemeinden für freiwillige Zusammenschlüsse derzeit geboten, beziehungsweise nach welchen Regularien solche Zusammen-schlüsse derzeit gefördert würden. Minister Schröter antwortet, im Einzelplan 20 würden für Zuwendungen für freiwilli-ge Zusammenschlüsse auf der Kommunalebene 1 Million Euro im Jahr 2015 und 2 Millionen Euro im Jahr 2016 zur Verfügung gestellt. Die Verteilung der Mittel sei gegenwärtig noch nicht durch eine Förderrichtlinie geregelt. Gegenwärtig sei auch noch nicht erkennbar, dass es irgendwo sehr schnell zu Gemeindezusammenschlüs-sen kommen werde. Abgeordnete Richstein (CDU) stellt die Nachfrage, bis wann mit einer neuen Richtli-nie zu rechnen sei. Minister Schröter antwortet, eine neue Richtlinie werde rechtzeitig vorliegen. Zu TOP 4: Polizeiinterne Nachbereitung im Zusammenhang mit dem soge-

nannten Maskenmann-Prozess Bericht des Ministeriums des Innern und für Kommunales Minister Schröter erklärt, er habe die Verantwortung für das Thema an Staatssekre-tär Kahl übertragen. Staatssekretär Kahl führt aus, der amtierende Polizeipräsident Mörke habe am 16. Juni 2016 eine interne Untersuchungsgruppe eingesetzt. Minister Schröter habe am 22. Juni 2015 verfügt, dass die Untersuchungsgruppe organisatorisch beim Staatssekretär angesiedelt werde. Die Untersuchungsgruppe bestehe aus 10 Mit-

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gliedern. Dabei handele es sich zum Teil um erfahrene Kriminalbeamte und zum Teil um Beamte, die bisher übergeordnete Funktionen wahrgenommen hätten. Die Un-tersuchungsgruppe arbeite selbstständig. Sie berichte regelmäßig über den aktuellen Sachstand. Anlass für die Einsetzung der Untersuchungsgruppe seien teilweise öf-fentlich gewordene Sachverhalte zu möglichen Defiziten in der Personalführung, in der Aufbau- und Ablauforganisation sowie in der internen Information und Kommuni-kation gewesen. Die Untersuchungsgruppe habe ausdrücklich nicht den Auftrag, die polizeiliche Ermittlungsarbeit zu bewerten. Diese Aufgabe komme der Justiz zu. Die Untersuchungsgruppe sei vielmehr damit beauftragt, die Zusammenarbeit der Mitar-beiter und Führungskräfte sowie deren Verhalten im Ermittlungs- und Gerichtsverfah-ren zu analysieren. Gleichzeitig sollten Verwaltungsprozess- und Organisationsstruk-turen auch im Hinblick auf mögliche Schlussfolgerungen für die gesamte polizeiliche Arbeit überprüft werden. Die Untersuchungsgruppe habe sich darauf verständigt, den Untersuchungsgegen-stand in bestimmte Komplexe aufzuteilen. Entsprechend dieser Untersuchungskom-plexe seien Teams gebildet worden. In einem ersten Schritt würden schriftliche Unter-lagen ausgewertet, bevor in einem zweiten Schritt persönliche Interviews geführt würden. Hieran schlössen sich gegebenenfalls weitere Untersuchungsmaßnahmen an. Die Vorlage eines Abschlussberichtes sei für Ende des Jahres geplant. Abgeordneter Lakenmacher (CDU) stellt fest, die organisatorische Verantwortlichkeit des Staatssekretärs Kahl entlasse Minister Schröter nicht aus der politischen Ver-antwortlichkeit. Er fragt, aus welchen Verwendungen die Mitglieder der Untersu-chungsgruppe stammten und ob die Mitglieder der Untersuchungsgruppe aus-schließlich mit der Arbeit in der Untersuchungsgruppe befasst seien oder noch ande-re Tätigkeiten ausübten. Er wolle zudem wissen, wer Leiter der Untersuchungsgrup-pe sei. Er erkundigt sich, ob es auch Überlegungen gegeben habe, für die Untersu-chungsgruppe - so wie dies in anderen Bundesländern zum Teil praktiziert werde - auf externe Experten zurückzugreifen. Staatssekretär Kahl antwortet, man habe sich bewusst für eine interne Untersu-chungsgruppe entschieden. Man habe großes Vertrauen in die Arbeit der ausgewähl-ten Mitglieder der Untersuchungsgruppe. Die Mitglieder stammten nicht aus dem unmittelbaren Umfeld der betroffenen Polizeidirektion, sondern aus verschiedenen Verwendungen in anderen Polizeidirektionen und dem Polizeipräsidium. Die Arbeit in der Untersuchungsgruppe sei mit erheblichem Zeitaufwand verbunden. Die Mitglie-der nähmen deshalb ausschließlich diese Aufgabe wahr. Der Leiter stamme entspre-chend dem Arbeitsschwerpunkt der Untersuchungsgruppe bei den personalen und organisatorischen Defiziten aus dem Personalbereich. Auf Nachfrage des Abgeordneten Lakenmacher (CDU) erklärt, Staatssekretär Kahl, dass der Leiter der Untersuchungsgruppe aus dem Personalbereich des Poli-zeipräsidiums stamme. Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90) führt aus, Staatsekretär Kahl habe dar-gelegt, dass bewusst die Entscheidung für eine interne Prüfung getroffen worden sei. Sie fragt, warum nicht wenigstens teilweise externe Experten in die Untersuchungs-

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gruppe aufgenommen worden seien. Sie bittet darum, noch einmal ausdrücklich zu bestätigen, dass der Untersuchungsgruppe keine Beamtinnen und Beamte der Poli-zeidirektion Ost und keine Mitglieder der „Soko Imker“ angehören. Abgeordneter Kurth (SPD) fragt nach der Zeitschiene für die Arbeit der Untersu-chungsgruppe. Minister Schröter erläutert, die ersten Entscheidungen seien getroffen worden, be-vor Staatssekretär Kahl seinen Dienst aufgenommen habe. Ihm sei es darauf ange-kommen, die Umstände zu beleuchten, die offensichtlich auch zu erheblichen zwi-schenmenschlichen Problemen geführt hätten. Der Untersuchungsgruppe gehörten absolut unabhängig denkende und handelnde Personen an, die sich auch in der Ver-gangenheit mehrfach sehr kritisch zu Wort gemeldet hätten. Es sei sichergestellt, dass am Ende kein Gefälligkeitsgutachten herauskomme, sondern der Sachverhalt solide und hierarchieunabhängig aufgearbeitet werde. Staatssekretär Kahl legt dar, dass die Zeitschiene für die Arbeit der Untersuchungs-gruppe natürlich auch von dem weiteren Verlauf der Untersuchungen abhängig sei. Gegenwärtig erwarte er die Vorlage von ersten Zwischenberichten für Ende August bis Mitte September 2015. Die Vorlage eines Abschlussberichtes sei nach derzeiti-gem Sachstand, wie bereits ausgeführt, für Ende des Jahres geplant. Abgeordneter Lakenmacher (CDU) erkundigt sich, ob Medienberichte zuträfen, nach denen diejenigen Beamten, die in den Medien auch als „Oppositionelle“ bezeichnet worden seien, alle krankgeschrieben seien. Er betont nachdrücklich, dass die Weichen für eine Aufklärung der Umstände, die zu einer bundesweiteten Blamage für die brandenburgische Polizei geführt hätten, mit einer internen Untersuchungsgruppe schlecht gestellt seien. Es hätte unbedingt der Einsetzung einer Untersuchungsgruppe mit externen Experten bedurft. Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90) führt aus, sie wolle - ergänzend zu ihren zuvor gestellten Fragen, die aus ihrer Sicht noch unbeantwortet seien - in Erfahrung bringen, in welcher Form die Öffentlichkeit über die Untersuchungsergebnisse der Untersuchungsgruppe informiert werde. Minister Schröter antwortet, der Ausschuss werde über die Ergebnisse und Zwi-schenergebnisse der Arbeit der Untersuchungsgruppe informiert. Dies werde, soweit möglich, in öffentlicher Sitzung erfolgen. Er weise darauf hin, dass ein Gericht die Ermittlungsergebnisse bewertet habe und auf dieser Grundlage zu einer Verurteilung gelangt sei. Es seien ausdrücklich nicht die Ermittlungsergebnisse zu überprüfen. Denn eine entsprechende Einschätzung hätten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch ein Gericht bereits vorgenommen. Man habe auf externe Mitglieder in der Untersuchungsgruppe verzichten können. Der Gruppe gehörten Menschen an, die den Sachverhalt kritisch und ohne in eine Hierarchie eingebunden zu sein, bewerten könnten.

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Staatssekretär Kahl bestätigt, dass der Untersuchungsgruppe keine Beamtinnen und Beamte der Polizeidirektion Ost und keine Mitglieder der Soko „Imker“ angehör-ten. Zu Krankschreibungen von Polizeibeamten könne er aus Datenschutzgründen keine Auskünfte geben. Abgeordneter Lakenmacher (CDU) meint, wenn der Leiter der Untersuchungsgrup-pe aus dem Personalbereich des Polizeipräsidiums stamme, könne man nicht von einer hierarchieunabhängigen Untersuchungsgruppe sprechen. Minister Schröter erwidert, die Untersuchungsgruppe arbeite direkt dem Staatssek-retär zu. Ihre Arbeit stehe in keinem Zusammenhang mit den Tätigkeiten, die die Mit-glieder normalerweise verrichteten. Dienstränge spielten innerhalb der Arbeit der Un-tersuchungsgruppe keine Rolle. Er habe ein hohes eigenes Interesse, dass der Sachverhalt aufgeklärt werde und ein objektiver Bericht zustande komme. Abgeordneter Lakenmacher (CDU) erklärt, er glaube Minister Schröter, dass dieser an einer objektiven Aufarbeitung interessiert sei. Gerade vor diesem Hintergrund empfinde er es jedoch als mut- und kraftlos, auf die viel bessere Variante einer exter-nen Untersuchungsgruppe zu verzichten und lediglich „im eigenen Saft zu schmo-ren“. Abgeordnete Fischer (SPD) bittet darum, die Arbeit der Untersuchungsgruppe nicht bereits im Vornherein aufgrund bloßer Unterstellungen abzuwerten. Abgeordnete Gossmann-Reetz (SPD) schließt sich der Bitte der Abgeordneten Fi-scher an. Zu TOP 5: Verteilungsmodus der ca. 108 Millionen Euro Bundesmittel zur

Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen Bericht des Ministeriums des Innern und für Kommunales Minister Schröter legt dar, dass bereits vor der endgültigen Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen [und zur Ent-lastung von Ländern und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asyl-bewerbern, Gesetz vom 24. Juni 2015] am 4. Juni 2015 ein Gespräch mit den beiden kommunalen Spitzenverbänden über den Verteilungsmodus in Brandenburg stattge-funden habe. Die Federführung innerhalb der Landesregierung liege beim Ministeri-um der Finanzen. Auf der Grundlage dieses Gespräches würden derzeit weitere Ab-stimmungen vorgenommen. Er gehe davon aus, dass bald eine vernünftige Rege-lung gefunden werde, die auch die kommunalen Spitzenverbände mittragen könnten. Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90) führt aus, dass nach einer ihr vorliegen-den Übersicht, fast alle Bundesländer bereits Kriterien für einen Verteilungsmodus festgelegt hätten. Berücksichtigung fänden Kriterien wie etwa „unterdurchschnittliche Steuerkraft“, „überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit“ und „Kommunen mit Haushalts-

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sicherungskonzept“. Brandenburg habe entsprechende Festlegungen offensichtlich noch nicht getroffen. Herr Keseberg (MIK) erwidert, nach seinen Informationen seien die Diskussionen auch in anderen Bundesländern noch nicht abgeschlossen. Man bemühe sich in Brandenburg darum, zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden möglichst streitfrei einen Verteilungsmodus festzulegen. Das Gesetz sei erst Ende Juni in Kraft getreten. Auch die kommunalen Spitzenverbände verträten die Auffassung, dass es keiner übertriebenen Eile bedürfe. Für die Verteilung der ca. 108 Millionen Euro, die auf Brandenburg entfielen, gebe es verschiedene Ansätze. Abgeordnete Nonnema-cher habe bereits einige Kriterien genannt, die auch bei den bisherigen Diskussionen in Brandenburg eine Rolle gespielt hätten. Man könne den Kreis der berechtigten Kommunen natürlich auch sehr weit ziehen und auf den Empfang von Schlüsselzu-weisungen abstellen. Es sei jedoch auch zu bedenken, dass auf Brandenburg eben nur 108 Millionen Euro entfielen. Die empfangenden Kommunen sollten Mittel in ei-ner Höhe erhalten, die sinnvolle Investitionen ermöglichten. Herr Michael (MdF) ergänzt, das Ministerium der Finanzen wolle ein möglichst einfa-ches Verteilungsverfahren finden. Es werde überlegt, die Mittel vom Land zunächst auf die Kreisebene zu verteilen und von dort weiter auf die bezugsberechtigen Ge-meinden. Der Landesrechnungshof habe gegen diese Überlegungen keinen Wider-spruch erhoben. Welche Kriterien letztendlich zur Definition der finanzschwachen Kommunen zu Grunde gelegt würden, solle maßgeblich auch durch die kommunalen Spitzenverbände entschieden werden. Minister Schröter führt aus, es sei bereits über einen Verteilungsschlüssel für die Aufteilung zwischen Kreisebene und Gemeindeebene mit den Geschäftsführern der kommunalen Spitzenverbände gesprochen worden. Es stünde jedoch noch die Zu-stimmung der jeweils zuständigen Gremien in beiden Verbänden aus. Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90) fragt, ob es Überlegungen gebe, die be-sonders finanzschwachen Kommunen bei der Erbringung des 10%igen Eigenfinan-zierungsanteils zu unterstützen. Sie fragt zudem, ob und gegebenenfalls wie das Bundesprogramm mit dem kommunalen Investitionsförderprogramm auf Landesebe-ne zur Erzielung von Synergieeffekten verknüpft werden könne. Abgeordneter Kurth (SPD) erkundigt sich, wann mit einem Ergebnis des Abstim-mungsprozesses gerechnet werden könne. Er schließt sich der Frage der Abgeord-neten Nonnemacher nach Überlegungen an, die Kommunen bei der Erbringung des 10%igen Eigenfinanzierungsanteils zu unterstützen. Er verweist in diesem Zusam-menhang auf die Vorgabe in dem Kommunalinvestitionsfördergesetz, nach der die Länder aufgefordert seien, dafür Sorge zu tragen, dass finanzschwache Gemeinden und Gemeindeverbände den Eigenfinanzierungsanteil erbringen können [§ 6 Absatz 1 Satz 2 Kommunalinvestitionsfördergesetz]. Minister Schröter erwidert, ob sich das Land an dem 10%igen kommunalen Eigen-finanzierungsanteil beteiligen solle, sei eine Frage, die man abschließend noch nicht geklärt habe. Hierzu gebe es durchaus unterschiedliche Meinungen. Er persönlich

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habe eine klare Auffassung. Je höher die Förderquote bemessen werde, desto grö-ßer sei die Wahrscheinlichkeit, „Unfug“ zu fördern. Eine sehr hohe Förderquote be-günstige auch die Bereitschaft, zukünftige Betriebskosten nicht ausreichend zu be-rücksichtigen. Er spreche sich deshalb immer für einen Eigenanteil aus. Bei Pflicht-aufgaben, die unabweislich mit bestimmten Investitionen verbunden seien, bestehe die Möglichkeit der Kofinanzierung nach § 16 des Brandenburgischen Finanzaus-gleichsgesetzes. Er gehe davon aus, dass der Abstimmungsprozess über die Sommerpause abge-schlossen und im September 2016 über ein Ergebnis berichtet werden könne. Zu TOP 6: Verschiedenes - Verständigung zum Antrag der Abgeordneten Schülzke (BVB / FREIE WÄH-

LER) vom 25. Juni 2015 (A3/54) Der Vorsitzende erläutert, Abgeordnete Schülzke habe mit E-Mail vom 25. Juni 2015 (Ausschussdrucksache A3/54) vorgeschlagen, die Altersgrenzen für den aktiven Dienst in der Freiwilligen Feuerwehr von 65 auf 70 Jahre anzuheben. Es handele sich dabei nicht um einen Antrag im eigentlichen Sinne. Der Ausschuss müsse sich über das weitere Verfahren verständigen. Abgeordnete Schülzke (BVB/FREIE WÄHLER) führt aus, Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr dürften aus Gründen des Versicherungsschutzes nach dem 65. Lebens-jahr nicht mehr in Gefahrenbereichen tätig sein. Über diese Altersgrenze müsse dis-kutiert werden. Die Regelaltersgrenze liege in der gesetzlichen Rentenversicherung mittlerweile bei 67 Jahren. In der kommenden Plenarsitzung werde ein Gesetzent-wurf der Landesregierung behandelt, nach dem die Höchstaltersgrenzen für kommu-nalen Wahlbeamtinnen und Wahlbeamten komplett aufgehoben werden sollten. Mit-gliedern der Freiweilligen Feuerwehr, die bis über das 65. Lebensjahr hinaus ihren Dienst zu versehen wünschten, sollte daher die Möglichkeit hierzu eingeräumt wer-den. Der Vorsitzende legt dar, dass es keinen formal zulässigen Antrag gebe, auf dessen Grundlage der Ausschuss Beschlüsse fassen können. Abgeordnete Schülzke (BVB/FREIE WÄHLER) erwidert, dann stelle sie den mündli-chen Antrag, das Ministerium des Innern und für Kommunales zu beauftragen, dafür Sorge zu tragen, dass die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr bis zum 70. Lebens-jahr aktiv Dienst tun könnten. Der Vorsitzende erklärt, nach der Geschäftsordnung könne ein Ausschuss Be-schlussempfehlungen für das Plenum erarbeiten. Der Landtag könne die Landesre-gierung zu einem bestimmten inhaltlichen Verhalten auffordern. Ein Ausschuss habe diese Kompetenz aber nicht.

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Abgeordneter Kurth (SPD) verweist auf den Beschluss des Landtages aus der 5. Wahlperiode „Für einen zukunftsfesten Brand- und Katastrophenschutz im Land Brandenburg - neue Herausforderungen bewältigen“ (Drucksache 5/8808-B). Danach werde dem Ausschuss im kommenden halben Jahr unter anderem auch über Lö-sungsmöglichkeiten für die personelle Einsatz- und Leistungsfähigkeit der Feuerweh-ren Bericht erstattet. Er schlägt vor, dass sich der Ausschuss bei dieser Gelegenheit auch mit der Anregung der Abgeordneten Schülzke wieder befassen solle. Er wolle sich der Diskussion keinesfalls verschließen. Der vorliegende „Schnellschuss“ sei jedoch der falsche Weg. - Wesentliche Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 24.06.2015 bis zum

26.06.2015 Minister Schröter führt aus, ein sehr wesentlicher Teil der zurückliegenden Innenmi-nisterkonferenz sei der Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder ge-widmet gewesen. Im Zusammenhang hiermit stehe die notwendige personelle Ver-stärkung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Bundesinnenmi-nister de Maizière habe zugesichert, alles zu unternehmen, um die neu zur Verfü-gung gestellten Planstellen zeitnah zu besetzen. Es werde weiter daran gearbeitet, die Asylverfahren zu beschleunigen, um möglichst nach drei Monaten zumindest die unkomplizierteren Fälle zu bescheiden. Mehr als 200.000 Anträge seien derzeit noch unbearbeitet. Eine schnellere Bearbeitung der Asylanträge führe zu einer Entlastung der Kommunen. In den Fällen, in denen kein Recht auf Asyl bestehe, müssten dann nicht mehr umverteilt werden. Die Innenministerkonferenz habe sich darüber hinaus mit einigen Initiativen, insbe-sondere Bayerns, befasst. Man habe unter anderem über die bayerischen Erfahrun-gen im Zusammenhang der Ausweitung der Schleierfahndung im Grenzraum aus Anlass des G7-Gipfels gesprochen. Brandenburg setzte im Grenzraum seit einiger Zeit sehr erfolgreich auf eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Republik Polen. Auf Initiative Hessens sei über eine mögliche Strafrechtsverschärfung bei Übergriffen auf Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter diskutiert worden. Zu diesem Antrag habe es keine Einigung gegeben. Die Justizministerkonferenz solle sich mit den rechtlichen Möglichkeiten für eine solche Strafrechtsänderung befassen. Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90) erkundigt sich nach dem Sachstand beim NPD-Verbotsverfahren. Minister Schröter antwortet, nach jetzigem Verfahrensstand hätten die Länder alle vom Bundesverfassungsgericht angeforderten Materialien geliefert. Der Vorsitzende informiert, dass die Präsidentin der Vorverlegung der kommenden Ausschusssitzung vom 17. September 2015 auf den 10. September 2015 zuge-stimmt habe. Die Sitzung werde gegen 14.00 Uhr beginnen. Die genaue Anfangszeit werde er im Rahmen der Einladung unter Berücksichtigung des Umfangs der Tages-ordnung des zuvor tagenden Rechtsausschusses festlegen.

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Der Vorsitzende erklärt, dass im Ausschuss eine Bürgerzuschrift zum Thema Haus-nummern-Vergabe (Ausschussdrucksache A3/48) verteilt worden sei. Er führt aus, dass der Absender zum Sachverhalt bereits vom Petitionsausschuss beschieden worden sei. Der Vorsitzende beendet die Ausschusssitzung. (Dieses Protokoll wurde durch Beschluss des Ausschusses gemäß § 83 Absatz 2 Satz 2 GOLT in der 8. Sitzung am 10.09.2015 bestätigt.)

Anlagen Anlage 1: Änderungsantrag der der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN zum Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksa-che 6/613 (zu TOP 2)

Anlage 2: Änderungsantrag der der Fraktionen der SPD und DIE LINKE (Neu-druck) zum Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 6/613

Anlage 3: Stellungnahme Prof. Dr. Alexander Roßnagel (Universität Kassel) zum Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 6/613 (zu TOP 2)

Anlage 4: Stellungnahme Prof. Dr. Ronellenfitsch (Hessischer Datenschutzbeauf-tragter) zum Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 6/613 (zu TOP 2)

Anlage 5: Stellungnahme Frau Gisela Primas (Ministerium für Inneres und Kom-munales des Landes Nordrhein-Westfalen) zum Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 6/613 (zu TOP 2)

Anlage 6: Stellungnahme Herr Michael Will (Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr) zum Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 6/613 (zu TOP 2)

Anlage 7: Stellungnahme der Dienststellen der Kommission zum Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 6/613 (zu TOP 2)

Anlage 8: Beschluss des Ausschusses für Inneres und Kommunales „Beratung des Entwurfes des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform 2019 in den Ausschüssen des Landtages“ (zu TOP 3)

Anlage 4

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Kingegangen 1 47? ,

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Änderungsantrag der CDU-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zum Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes (Drucksache 61613)

Der Ausschuss für Inneres und Kommunales möge beschließen:

I. Artikel 1 wird wie folgt gefasst:

Das Brandenburgische Datenschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Mai 2008 (GVBl. I S. 114), das durch das Gesetz vom 25. Mai 2010 (GVBl. 1 Nr. 21) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. § 22 Absatz 4 Satz 1 bis 3 wird durch folgenden Satz ersetzt:

„Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Ak-teneinsicht ist als oberste Landesbehörde in Ausübung seines Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen."

2. In § 23 Absatz 4 Satz 2 wird die Angabe „§ 22 Abs. 4 Satz 2" durch die Wörter „§ 22 Absatz 4 Satz 1" ersetzt.

II. Nach Artikel 1 wird folgender Artikel 2 eingefügt:

„Artikel 2

Änderung des Landesorganisationsgesetzes

In § 1 Absatz 3 Nummer 1 des Landesorganisationsgesetzes in der Fas-sung der Bekanntmachung vom 24. Mai 2004 (GVBI.1/04, Nr. 09, S.186), das durch das Gesetz vom 10. Juli 2014 (GVB1.1/14, Nr. 28) geändert wor-den ist, werden nach dem Wort „Landtages" die Wörter „, den Landesbe-auftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht" ein-gefügt.

III. Der bisherige Artikel 2 wird Artikel 3.

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Begründung:

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am 9. März 2010 in einem Urteil (EuGH, Urteil vom 9.3.2010 - C-518107), dass die Bundesrepublik Deutschland ge-gen ihre Verpflichtungen aus Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürli-cher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Da-tenverkehr verstoßen hat, indem sie die für die Überwachung der Verarbeitung per-sonenbezogener Daten durch nichtöffentliche Stellen und öffentlich-rechtliche Wett-bewerbsunternehmen zuständigen Kontrollstellen in den Bundesländern staatlicher Aufsicht unterstellt und damit das Erfordernis, dass diese Stellen ihre Aufgaben „in völliger Unabhängigkeit" wahrnehmen, falsch umgesetzt hat.

Im Rahmen seiner sachlichen Unabhängigkeit ist nach EU-Recht problematisch, dass der Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht (LDA) gemäß des bisherigen § 22 Abs. 4 Satz 3 BbgDSG der Dienstaufsicht des Präsidenten des Landtages untersteht. Die Unabhängigkeit des LDA ist bereits dann verletzt, wenn eine andere staatliche Stelle die Entscheidungen des LDA auch nur mittelbar beeinflussen kann. Diese Möglichkeit der Einflussnahme besteht nicht nur, wenn der LDA einer Fachaufsicht unterliegt, sondern auch einer Dienst- oder Rechtsaufsicht. Hierzu stellt der EuGH fest, dass die staatliche Aufsicht gleich wel-cher Art es ermöglicht, auf Entscheidungen der Kontrollstellen unmittelbar oder mit-telbar Einfluss zu nehmen bzw. diese Entscheidungen aufzuheben und zu ersetzen. Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass die Aufsichtsstellen nicht zu objekti-vem Vorgehen in der Lage sind, wenn sie die Vorschriften über die Verarbeitung per-sonenbezogener Daten auslegen und anwenden.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes behält den Begriff „Dienstaufsicht" bei und ergänzt diesen durch die Formulierung „, soweit seine Unabhängigkeit dadurch nicht beeinträchtigt wird."

Eine solche Regelung findet sich auch in den Datenschutzgesetzen der Länder Ber-lin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen. Hamburg und Baden-Württemberg lassen insoweit die für Berufsrichterin-nen und Berufsrichter geltenden Vorschriften entsprechend zur Anwendung kom-men.

Hessen und Niedersachsen haben den Landesdatenschutzbeauftragten zur obersten Landesbehörde gemacht und die dienstrechtlichen Befugnisse des Präsidenten des Landtags bzw. der Landesregierung sehr eingeschränkt. Der Bund hat in einem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes dem Bundesbeauf-tragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit den rechtlichen Status einer obersten Bundesbehörde eingeräumt, die eigenständig und unabhängig ausgestaltet ist. Er untersteht ausschließlich parlamentarischer und gerichtlicher Kontrolle. Auf eine Rechtsaufsicht der Bundesregierung und eine Dienstaufsicht des Bundesminis-teriums des Innern wird verzichtet. Die organisatorische Anbindung an das Bundes-ministerium des Innern wird aufgehoben.

Die Verantwortlichkeit des LDA gegenüber dem Brandenburgischen Landtag findet ihre Grenzen in der sachlichen Unabhängigkeit des LDA. Soll der LDA völlig unab-

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hängig sein, dann darf er nicht in eine hierarchische Ordnung mit dem Brandenburgi-schen Landtag eingebunden werden. Unzulässig ist eine funktionelle Verschränkung. Da der Brandenburgische Landtag und der LDA unterschiedliche Staatsfunktionen wahrnehmen, verbieten sich sachliche Weisungsbefugnisse des Landtags. Die Un-abhängigkeit des LDA lässt eine umfassende Staatsaufsicht über die Datenschutz-kontrolle nicht zu.

Um weitere Vertragsverletzungsverfahren zu vermeiden, ist es deshalb notwendig den Begriff der völligen Unabhängigkeit entsprechend der autonomen Auslegung des EuGH als weit und umfassend zu verstehen. Das steht einer Fach- und Rechtsauf-sicht entgegen und relativiert die Möglichkeiten einer Dienstaufsicht des Branden-burgischen Landtags über den LDA. Die einschränkende Formulierung im Gesetz-entwurf der Landesregierung hinsichtlich der Dienstaufsicht des Präsidenten des Landtages („, soweit seine Unabhängigkeit dadurch nicht beeinträchtigt wird.") ist viel zu unbestimmt, als dass durch sie auch eine mittelbare Einflussnahme völlig ausge-schlossen wird.

Deshalb erhält der LDA durch den Änderungsantrag den Status einer obersten Lan-desbehörde, der ausschließlich der parlamentarischen und der gerichtlichen Kontrol-le unterliegt.

Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts ist auch die Regelung der Dienstaufsicht in Art. 74 Abs. 1 Satz 3 Verfassung des Landes Brandenburg EU-richtlinienkonform auszulegen, so dass diese Regelung dem Status des LDA als oberste Landesbehörde nicht entgegensteht.

Die Änderury im Landesorganisationsgesetz ist eine Folgeänderung.

22 Bjc rn Lakenmacher BarbariRichstein

CDU-Fraktion CDU-Fraktion

rsula Nonnemacher

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

cz.c 1, - (0,,i) /44, cpi

Änderungsantrag

der Fraktion der SPD der Fraktion DIE LINKE

Anlage

in der Sitzung des Ausschusses für Inneres und Kommunales am 02.07.2015

zum Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes, DS 6/613

Der Ausschuss für Inneres und Kommunales möge beschließen:

Artikel 1 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes wird

wie folgt gefasst:

‚Artikel 1

Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes

§ 22 Absatz 4 Satz 3 des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes in der Fassung der

Bekanntmachung vorn 15. Mai 2008 (GVBI. I 5.114), das durch Art.1 des Gesetzes vom 25. Mai

2010 (GVBl. 1 Nr. 21) geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:

„Er unterliegt der Dienstaufsicht des Präsidenten des Landtages, soweit diese die

Unabhängigkeit des Amtes nicht berührt":

Begründung:

Die Gesetzesänderung zielt darauf ab, die Forderung der EU-Kommission umzusetzen und die

Unabhängigkeit der Landesdatenschutzbeauftragten des Landes Brandenburg klarzustellen.

Mit diesem Änderungsantrag wird die Anregung der Landesbeauftragten für den Datenschutz

und für das Recht auf Akteneinsicht Brandenburg aufgegriffen, die sie im Rahmen des

schriftlichen Anhörungsverfahrens geäußert hat. Durch die Formulierung, dass die

Dienstaufsicht die Unabhängigkeit des Amtes „nicht berühren", anstatt „nicht

beeinträchtigen" darf, soll die Unabhängigkeit der Landesdatenschutzbeauftragten gesichert

werden.

Dienstaufsicht im Sinne dieser Norm soll dabei so zu verstehen sein, dass die

Landtagspräsidentin lediglich für die die Landesdatenschutzbeauftragte selbst betreffenden

beamtenrechtlichen und disziplinarrechtlichen Angelegenheiten zuständig sein soll. Dabei

sind nur Verstöße zu berücksichtigen, die so schwer wiegen, dass sie die Frage nach dem

Dienstverhältnis selbst berühren.

Die Erfüllung der der Landesdatenschutzbeauftragten nach dem Brandenburgischen

Datenschutzgesetz zugewiesenen Aufgaben ist hiervon weder betroffen noch tangiert.

Insofern ist von der völligen Unabhängigkeit der Landesdatenschutzbeauftragten auszugehen.

Darüber hinaus soll in § 22 Abs. 4 Satz 3 BbgDSG eine Angleichung an den Wortlaut des Art. 74

Abs. 1 Satz 3 LV erfolgen und das Wort „untersteht" durch das Wort „unterliegt" ersetzt

werden.

Für die Fraktion der SPD Für die Fraktion DIE LINKE

a n iel Kurth Dr. Hans-Jürgen Scharfenberg

Universität Kassel

Nora-Platiel-Str. 5 • D - 34109 Kassel Eded tVe(li

Anlage 3

U NIKASSEL ✓ ER SIT'AN T-----

Eingegangen

3 0. JUNI 2015/5

An den Ausschuss für Inneres und Kommunales

des Landtags Brandenburg

Fachbereich Wirtschaftswissenschaften

St Institut filr

Wirtschaftsrecht

Prof. Dr. Alexander Rohnagel

Universität Kasse]

Fachgebiet Öffentliches Recht,

insb. Umwelt- und Technikrecht

Nora-Platiel-Strale 5

34109 Kassel

[email protected]

fon +49-561 804 3130

fax +49-561 804 3737

Sekretariat: Edith Weise

fon +49-567 804 2874

30. Juni 2015

Schriftliche Stellungnahme für den Ausschuss für Inneres und Kommunales des Landtags Brandenburg

zum Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Da-

tenschutzgesetzes , LT-Drucksache 6/61 3

Grundlage der Stellungnahme ist der

Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen

Datenschutzgesetzes, LT-Drucksache 6/613,

- Änderungsantrag der CDU-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Gesetzentwurf

auf Drucksache 6/613,

Änderungsantrag der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE zum Gesetzentwurf auf Drucksache

6/613 sowie eine

Stellungnahme der Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht

zum Gesetzentwurf auf Drucksache 6/613

1. „Völlige Unabhängigkeit"

Alle drei Entwürfe wollen der Forderung des Art. 28 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie 95/46/EG (DSRL) gerecht

werden. Dieser fordert:

Die datenschutzrechtlichen Kontrollstellen „nehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völ-

liger Unabhängigkeit wahr".

Art. 8 CrCh gewährleistet in Abs. 1 jeder Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personen-

bezogenen Daten und fordert in Abs. 3, dass die Einhaltung dieser Vorschriften von einer „unabhän-

gigen Stelle" überwacht wird.

Die Regelung des Art. 28 Abs. 1 UAbs. 2 DSRL wird nach Art. 47 Abs. 1 des Entwurfs einer Daten-

schutzgrundverordnung der Europäischen Kommission auch künftig beibehalten. Sie lautet:

„Die Aufsichtsbehörde handelt bei der Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben und Befugnisse

völlig unabhängig.”

Diese Regelung ist nahezu gleichlautend auch im Vorschlag des Europäischen Parlaments vom März 2014

und im Vorschlag des Rats vom Juni 2015 enthalten, so dass davon auszugehen ist, dass sie in der endgül-

tigen Datenschutzgrundverordnung wiederzufinden ist.

Die Frage, was „völlige Unabhängigkeit" für die Datenschutzaufsicht genau heißt, musste bisher in drei

Verfahren vor dem EuGH geklärt werden. Im Vertragsverletzungsverfahren zwischen der Kommission und

Deutschland, das mit der Entscheidung des EuGH vom 9.3. 201 0 abgeschlossen wurde, ging es um die

grundsätzliche Vereinbarkeit der Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde einerseits und ihre Eingliederung in

ein Ministerium und das Bestehen einer Dienst- und Rechtsaufsicht andererseits. Der EuGH stellte fest, dass

die Bundesrepublik Deutschland das Erfordernis, dass die Kontrollstellen „ihre Aufgaben in völliger Unab-

hängigkeit wahrnehmen, falsch umgesetzt hat", indem sie diese in den Bundesländern staatlicher Aufsicht

unterstellt.]

In dem Vertragsverletzungsverfahren zwischen der Kommission und Österreich stand die Dienstaufsicht

über das geschäftsführende Mitglied der Datenschutzkommission und die Eingliederung der Geschäftsstelle

der Datenschutzkommission in das Bundeskanzleramt im Vordergrund. Es endete am 16.10.2012 mit der

Verurteilung Österreichs, weil es „es nicht alle erforderlichen Vorschriften erlassen hat, damit die in Öster-

reich bestehende Rechtslage in Bezug auf die Datenschutzkommission dem Kriterium der Unabhängigkeit

genügt". 2

Die dritte Entscheidung vom 8.4.2014 betrifft die Umstellung des institutionellen Modells der Kontrollstelle

und die damit verbundene vorzeitige Beendigung der Amtszeit des Datenschutzbeauftragten in Ungarn. In

ihr hat der EuGH eine Vertragsverletzung Ungarns festgestellt, weil „es das Mandat der Kontrollstelle für

den Schutz personenbezogener Daten vorzeitig beendet hat". 3

Nach diesen Entscheidungen üben die Kontrollstellen keine normale Verwaltungstätigkeit aus. Sie nehmen

nach der DSRL eine sehr spezifische Aufgabe wahr, die allein darin besteht, „Hüter der Grundrechte und

Grundfreiheiten" zu sein, die durch die Verarbeitung personenbezogener Daten betroffen sind. 4 Diese Fo-

kussierung auf die Funktion eines „Hüters der Grundrechte und Grundfreiheiten' fordert und rechtfertigt die

besondere Stellung und völlige Unabhängigkeit der Kontrollstellen. Mit ihr ist nicht zu vereinbaren, dass sie

gezwungen werden können, die Umsetzungsregelungen so auszulegen, dass sie anderen Verwaltungszwe-

cken wie der Finanzverwaltung oder wirtschaftlichen Interessen Vorrang einräumen. 5 „Völlige Unabhängig-

keit" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Kontrollstelle „völlig frei von Weisungen und Druck han-

deln kann". 6 Die Kontrollstellen müssen „mit einer Unabhängigkeit ausgestattet sein ..., die es ihnen er-

EuGH, Urteil vom 9.3.2010, Rs. C-51 8/07, Rn. 58; s. z.B. die Anmerkungen von Petri/Tinnefeld, MMR 2010, 355; Roßnagel, EuZW 2010, 296; Schild, DuD 2010, 549.

2

EuGH, Urteil vom 16.10.2012, Rs. C-614/10, Rn. 66.

EuGH, Urteil vom 8.4.2014, Rs. C-288/12, Rn. 62. 4 EuGH, Urteil vom 9.3.2010, Rs. C-51 8/07, Rn. 23. 5 EuGH, Urteil vom 9.3.2010, Rs. C-51 8/07, Rn. 35. 6 EuGH, Urteil vom 9.3.2010, Rs. C-518/07, Rn. 18.

möglicht, ihre Aufgaben ohne äußere Einflussnahme wahrzunehmen". 7 Die geforderte Unabhängigkeit

schließt nicht nur jegliche Einflussnahme durch die kontrollierten Stellen aus, sondern auch ,jede Anord-

nung und jede sonstige äußere Einflussnahme, sei sie unmittelbar oder mittelbar, durch die in Frage ge-

stellt werden könnte, dass die genannten Kontrollstellen ihre Aufgabe, den Schutz des Rechts auf Pri-

vatsphäre und den freien Verkehr personenbezogener Daten ins Gleichgewicht zu bringen, erfüllen".g Die

notwendige Unabhängigkeit ist bereits gefährdet, wenn „die bloße Gefahr einer politischen Einflussnahme

der Aufsichtsbehörden auf die Entscheidungen der Kontrollstellen" besteht. Denn bereits daraus könnte „ein

,vorauseilender Gehorsam' dieser Stellen im Hinblick auf die Entscheidungspraxis der Aufsichtsstelle fol-

gen". 9 Vielmehr muss jede Möglichkeit politischer Einflussnahme so ausgeschlossen sein, dass die Ent-

scheidungen der Kontrollstellen „über jeglichen Verdacht der Parteilichkeit erhaben" sind.lo

2. Weisungsrecht des Präsidenten des Landtags

Der Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Da-

tenschutzgesetzes, LT-Drucksache 6/613 sowie der Änderungsantrag der SPD-Fraktion und der Fraktion

DIE LINKE zum Gesetzentwurf auf Drucksache 6/613 schlagen vor, entsprechend Art. 74 der Verfassung

Brandenburgs es bei einer Dienstaufsicht des Präsidenten des Landtags über die Landesbeauftragte für den

Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht zu belassen. Die notwendige Unabhängigkeit soll durch

einen neuen, die Dienstaufsicht einschränkenden Nebensatz gesichert werden. Beide Entwürfe unterschei-

den sich nur leicht im Wortlaut. Während die Landesregierung vorschlägt, in § 22 Abs. 4 Satz 3 BbgDSG

nach den Worten „Er untersteht der Dienstaufsicht des Präsidenten des Landtages" den Zusatz anzufügen

„soweit seine Unabhängigkeit dadurch nicht beeinträchtigt wird.;

enthält der Änderungsantrag der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE die Formulierung:

„Er unterliegt der Dienstaufsicht des Präsidenten des Landtages, soweit diese die Unabhängig-

keit des Amtes nicht berührt."

Beide Formulierungen führen zu einer bedeutenden Einschränkung des Weisungsrechts, lassen dieses aber

bestehen. Dabei geht die Formulierung der Landesregierung weniger weit als die Formulierung der Fraktion

der SPD und der Fraktion DIE LINKE. Wenn die Unabhängigkeit nicht „beeinträchtigt' werden darf, bedeutet

dies, dass ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Landesbeauftragten möglich ist, wenn er eine Rechtferti-

gung findet. Ein gerechtfertigter Eingriff ist keine Beeinträchtigung. Dagegen schließt die Formulierung,

dass die Unabhängigkeit nicht "berührt" werden darf, jeden Eingriff aus, da jeder Eingriff die Unabhängig-

keit berührt, auch wenn er aus irgendeinem Grund gerechtfertigt sein sollte. Im Sinn der Rechtsprechung

des EuGH ist die Formulierung, dass die Unabhängigkeit nicht berührt werden darf, der Formulierung, dass

sie nicht beeinträchtigt werden darf vorzuziehen. Sie entspricht auch dem Wortlaut des Art. 74 der Verfas-

sung.

Bei beiden Vorschlägen bleibt jedoch die Dienstaufsicht mit ihrem Weisungs- und Disziplinarrecht - ent-

sprechend Art. 74 der Verfassung und dem bisherigen § 22 Abs. 4 Satz 3 BbgDSG - bestehen. „Völlige Un-

7 EuGH, Urteil vom 9.3.2010, Rs. C-51 8/07, Rn. 30. 8 EuGH, Urteil vom 9.3.2010, Rs. C-51 8/07, Rn. 30. 9 EuGH, Urteil vom 8.4.2014, Rs. C-288/1 2, Rn. 53; Urteil vom 9.3.2010, Rs. C-518/07, Rn. 36 io EuGH, Urteil vom 9.3.2010, Rs. C-518/07, Rn. 36; Urteil vom 16.10.2012, Rs. C-614/10, Rn. 52

und 61; Urteil vom 8.4.2014, Rs. C-288/1 2, Rn. 53.

abhängigkeit" bedeutet in der Rechtsprechung des EuGH jedoch, dass die Kontrollstelle „völlig frei von Wei-

sungen und Druck handeln kann". Übertragen auf Brandenburg bedeutet dies, dass die Landesbeauftragte

"mit einer Unabhängigkeit ausgestattet sein (muss) ..., die es (ihr) ermöglicht, ihre Aufgaben ohne äußere

Einflussnahme wahrzunehmen". Besteht grundsätzlich ein Weisungsrecht, auch wenn dessen Umfang be-

grenzt ist, kann es immer zu unterschiedlichen Auffassungen zwischen dem Präsidenten des Landtags und

der Landesbeauftragten über die Zulässigkeit einer Weisung kommen. Sie kann sich dann gegen eine Wei-

sung oder ein Disziplinaranordnung nur durch ein - langwieriges - gerichtliches Verfahren oder die Anru-

fung der Öffentlichkeit und der parlamentarischen Opposition wehren. Beides kann schwierig und um-

ständlich sein und kann die Landesbeauftragte davon absehen lassen, sich dagegen zu wehren.

Die notwendige Unabhängigkeit ist nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch bereits gefährdet, wenn "die

bloße Gefahr einer politischen Einflussnahme der Aufsichtsbehörden auf die Entscheidungen der Kontroll-

stellen" besteht. jede Möglichkeit, dass der Präsident des Landtags, der der Regierungspartei angehört,

deren Amtsausübung in Regierungsämtern Gegenstand der Kontrolle durch die Landesbeauftragte ist, poli-

tische Einflussnahme auf die Landesbeauftragte ausübt, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.

Daraus könnte „ein ‚vorauseilender Gehorsam"' der Landesbeauftragten „im Hinblick auf die Entschei-

dungspraxis ... folgen". 11 Nach der Rechtsprechung des EuGH muss daher jede Möglichkeit politischer

Einflussnahme so ausgeschlossen sein, dass die Entscheidungen der Kontrollstellen „über jeglichen Ver-

dacht der Parteilichkeit erhaben" sind. 12

Die Entwürfe der Landesregierung und der Fraktionen der SPD und der Fraktion DIF LINKE verringern zwar

das Risiko eines Vertragsverletzungsverfahrens und einer Verurteilung durch den EuGH samt Strafzahlun-

gen, schließen sie aber nicht völlig aus. Eine weitere Reduktion dieses Risikos könnte allenfalls erreicht

werden, wenn die Dienstaufsicht auf einige wenige Problembereiche begrenzt würde wie etwa in § 23 Abs.

3 BDSG. In dieser Vorschrift ist präzis geregelt, dass die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informati-

onsfreiheit dem Präsidenten des Bundestages Mitteilung über Belohnungen und Geschenke zu machen hat,

die sie in Bezug auf das Amt erhält. Der Präsident des Bundestages entscheidet im Einzelfall über die Ver-

wendung der Belohnungen und Geschenke und kann allgemeine Verfahrensvorschriften erlassen.I 3

Das Ziel des Gesetzgebungsverfahrens, das Risiko von Vertragsverletzungsverfahren und Strafzahlungen

völlig auszuschließen, 14 wird durch das Weiterbestehen des Weisungsrechts jedoch nicht erreicht.

3. Errichtung einer obersten Landesbehörde

Dieses Ziel würde vollständig wohl nur erreicht, wenn die Dienstaufsicht über die Landesbeauftragte völlig

aufgehoben würde.

Die Stellungnahme der Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht zum

Gesetzentwurf auf Drucksache 6/613 sowie der Änderungsantrag der CDU-Fraktion und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Gesetzentwurf auf Drucksache 6/613 schlagen vor, das Amt der Landesbe-

auftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht als oberste Landesbehörde auszuge-

stalten. Beide Alternativvorschläge unterscheiden sich im Wortlaut nur geringfügig. Während die

11 EuGH, Urteil vom 8.4.2014, Rs. C-288/12, Rn. 53; Urteil vom 9.3.2010, Rs. C-518/07, Rn. 36 12 EuGH, Urteil vom 9.3.2010, Rs. C-518/07, Rn. 36; Urteil vom 16.10.2012, Rs. C-614/10, Rn. 52

und 61; Urteil vom 8.4.2014, Rs. C-288/12, Rn. 53. 13 S. z.B. Roßnagel, ZD 2015, 106 ff. 14 LT-Drs. 6/613, Begründung A. Allgemeiner Teil.

Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht vorschlägt

„Das Amt des Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht

wird als oberste Landesbehörde eingerichtet,• der Landesbeauftragte ist in der Ausübung sei-

nes Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.",

beantragen die Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

„Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht ist als obers-

te Landesbehörde in Ausübung seines Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen."

Nach beiden Entwürfen erhielte das Amt des Landesbeauftragten - entsprechend dem Beispiel zum Beispiel

im Bundes und in den Bundesländern Berlin, Hessen und Niedersachsen - den rechtlichen Status einer

obersten Landesbehörde, die eigenständig und unabhängig ausgestaltet ist, und wäre damit dem Landes-

rechnungshof gleichgestellt. Sie wäre nicht mehr organisatorisch, personalrechtlich und haushälterisch in

die Landtagsverwaltung eingegliedert. Die Landesbeauftragte wäre eine unabhängige Behörde, die in keine

Struktur des Landtags oder der Exekutive eingebunden ist. Die Dienstaufsicht und die Rechtsaufsicht durch

den Präsidenten des Landtags wären aufgehoben. In der Folge dieser Umstellung müsste sie einen eigenen

Haushalt und eigene Mitarbeiter erhalten. Der notwendigen Unabhängigkeit entspricht es, dass der oder die

Landesbeauftragte nach § 22 Abs. 1 BbgDSG vom Landtag gewählt wird und nach § 22 Abs. 2 BbgDSG den

Amtseid vor dem Präsidenten des Landtags leistet.

Mit diesen Regelungen wäre die völlige Unabhängigkeit der Landesbeauftragten hergestellt. Das Risiko von

Vertragsverletzungsverfahren und Strafzahlungen wäre damit völlig ausgeschlossen.

4. Personelle und finanzielle Ausstattung

Unabhängig von der Regelung des Weisungsrechts gehört zur Ausgestaltung der von Art. 28 Abs. 1 UAbs. 2

DSRL geforderten „völligen Unabhängigkeit" der datenschutzrechtlichen Kontrollstellen eine angemessene

personelle und finanzielle Ausstattung.

Dementsprechend fordert auch Art. 47 Abs. 5 des Entwurfs einer Datenschutzgrundverordnung der Euro-

päischen Kommission vom Januar 2012:

„Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass die Aufsichtsbehörde mit angemessenen personellen,

technischen und finanziellen Ressourcen, Räumlichkeiten und mit der erforderlichen Infra-

struktur ausgestattet wird, um ihre Aufgaben und Befugnisse auch im Rahmen der Amtshilfe,

Zusammenarbeit und Mitwirkung im Europäischen Datenschutzausschuss effektiv wahrnehmen

zu können."

Diese Regelung ist nahezu gleichlautend auch im Vorschlag des Europäischen Parlaments vom März 2014

und im Vorschlag des Rats vom Juni 2015 enthalten, so dass davon auszugehen ist, dass sie in der endgül-

tigen Datenschutzgrundverordnung wiederzufinden ist.

15 S. näher z.B. Roßnagel, ZD 2015, 106 ff.

Nach § 22 Abs. 4 Satz 4 BbgDSG ist der Landesbeauftragten für die Erfüllung der Aufgaben die notwendige

Personal- und Sachausstattung zur Verfügung zu stellen. Die Mittel sind im Einzelplan des Landtages in

einem gesonderten Kapitel auszuweisen. Diese Regelung müsste bei einer Errichtung einer obersten Lan-

desbehörde überarbeitet werden. Aber auch, wenn der Entwurf der Landesregierung oder der Fraktionen

von SPD und DIE LINKE Gesetz werden würde, müsste diese Regelung überarbeitet werden, um das Risiko

eines Vertragsverletzungsverfahren und Strafzahlungen weiter zu verringern.

Als oberste Landesbehörde würde die Landesbeauftragte einen eigenen Haushaltsplan anmelden. Die Mittel

könnten nicht mehr im Einzelplan des Landtags in einem gesonderten Kapitel ausgewiesen werden. Da die

unionsrechtlich gebotene „völlige Unabhängigkeit" der Landesbeauftragten eine für die Aufgabenerfüllung

ausreichende Ausstattung voraussetzt, 16 sollte die Landesbeauftragte auch beim Weiterbestehen einer be-

schränkten Dienstaufsicht hinsichtlich der Beurteilung ihrer notwendigen Haushalts- und Personalmittel

unabhängig sein und einen eigenen Haushaltsplan anmelden dürfen. Über den zugewiesenen Haushalt ent-

scheidet weiterhin der Haushaltsgesetzgeber. Sie sollte jedoch ihren Bedarf nicht nur einer Kontrollstelle

(Präsident des Landtags) gegenüber geltend machen dürfen, sondern - wenn sie auch in finanzieller Hin-

sicht im verfassungsrechtlich möglichen Maß unabhängig sein soll - unmittelbar dem Haushaltsgesetzge-

ber. Ohne dieses Recht könnte der Präsident des Landtags faktisch allein über den Haushalt der Landesbe-

auftragten entscheiden und ihre völlige Unabhängigkeit gefährden.

Notwendig wäre auch eine Änderung der Regelungen in § 22 Absatz 4 Satz 5 und 6 BbgDSG, wonach die

Mitarbeiter der Landesbeauftragten auf ihren Vorschlag hin durch den Präsidenten des Landtags ernannt

werden und eine Versetzung oder Abordnung des Personals nur im Einvernehmen mit dem Präsidenten des

Landtags möglich ist. Als Folge einer Errichtung einer obersten Landesbehörde müssten beide Regelungen

gestrichen werden, weil die Personalhoheit dann allein bei der Landesbeauftragten liegt. Aber auch bei

Fortbestehen einer eingeschränkten Dienstaufsicht sollte die Landesbeauftragte ohne Kontrolle durch Dritte

über die Einstellung, Versetzung oder Abordnung von Mitarbeitern entscheiden können. Ihr Amt kann die

Landesbeauftragte nur mit Unterstützung durch ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausüben. Um unab-

hängig zu sein, muss sie mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zusammenarbeiten können, die ihrer Mei-

nung nach ausreichend kompetent und vertrauenswürdig sind. Dies setzt voraus, dass sie die Personalho-

heit über ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hat. Ohne Personalhoheit fehlt ihr die notwendige „völlige

Unabhängigkeit".

(Prof. Dr. Alexander Roßnagel)

16 EuGH, Urteile vom 16.10.2012, Rs. C-614/10, Rn. 58.

Anlage 1f-

DER HESSISCHE DATENSCHUTZBEAUFTRAGTE

DER HESSISCHE DATENSCHUTZBEAUFTRAGTE Postfach 31 63 • 65021 Wiesbaden

Landtag Brandenburg Ausschuss für Inneres und Kommunales Herrn Vorsitzenden Sören Kosanke Postfach 60 10 64 14410 Potsdam Eingeganücn

JUNI 21115 /s2. Erled G

Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung Des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes, LT-Drucksache 6/613

Sehr geehrter Herr Kosanke,

zu den unionsrechtlichen Anforderungen an die Unabhängigkeit der mitgliedsstaatli-

chen Datenschutzbeauftragten habe ich mich schon gegenüber dem Hessischen

Landtag geäußert, der hieraus die gebotenen Konsequenzen zog (vgl. Anlage) . .

Die Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes ist verfassungsrechtlich

unverzichtbar und schon längst fällig. Die Einzelheiten der Neuregelung sind politisch

zu entscheiden. Verfassungsrechtlich sind beide Entwurfsfassungen akzeptabel.

Auch nach nationalem Verfassungsrecht muss nunmehr die Konsequenz aus der

tatsächlichen Entwicklung im Big-Data-Zeitalter gezogen werden. Die Entdeckung

des ungeschriebenen Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung durch das

Bundesverfassungsgericht war nur ein erster Schritt.

Auch im staatsorganisatorischen Bereich ist die Verfassung entwicklungsoffen. Das

heißt konkret: Es gibt auch ungeschriebenes Staatsorganisationsrecht.

Gleitende Arbeitszeit: Bitte Besuche und Anrufe möglichst montags bis donnerstags von 9:00 bis 12:00 Uhr sowie von 13:30 bis 16:00 Uhr, freitags von 9:00 bis 12:00 Uhr oder nach Vereinbarung.

Gustav-Stresemann-Ring 1 • 65189 Wiesbaden • Telefon (06 11) 14 08-0 Telefax (06 11) 14 08-9 00 oder -9 01 E-Mail [email protected] Internet http://www.datenschutz.hessen.de

Bankverbindung Kontoinhaber HCC/Kanzlei Hess.Landtag/DB • Kontonummer 100 53 62 • Bankleitzahl 500 500 00

Aktenzeichen

Roltr Bitte bei Antwort angeben ,

zuständig Prof. Dr. Ronellenfitsch Durchwahl 14 08 - 120

Ihr Zeichen Ihre Nachricht vom

Datum 17.06.2015

- 2 -

Die moderne Gewaltenteilung erfordert eine vierte Staatsgewalt der Datenschutzkon-

trolle. Diese Staatsgewalt wird durch die Aufsichtsbehörden wahrgenommen, die in-

soweit die Parlamente ergänzen.

Dieses Verständnis der Gewaltenteilung setzt die völlige Unabhängigkeit der Daten-

schutzaufsichtsbehörden voraus. Es bedarf folglich nicht des Rückgriffs auf das Uni-

onsrecht, um die völlige Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht zu begründen.

Das Land Brandenburg ist aufgerufen, eine zeitgemäße Fassung der Datenschutz-

aufsicht zu normieren. Diesem Anliegen entsprechen die vorgelegten Gesetzentwür-

fe.

Mit freundlichen Grüßen

c z-te7r. 7 ., 7), .•(-*(k --'

Prof. Dr. Ronellenfitsch

DER HESSISCHE DATENSCHUTZBEAUFTRAGTE

Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch

Rechtsgutachten zur Neugestaltung der Datenschutzkontrolle

und zur Verfassungsmäßigkeit einer Zusammenlegung des

privaten und öffentlichen Bereichs der Datenschutzkontrolle in

Hessen

unter Zugrundelegung

des

Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur

Neuordnung des Datenschutzes und Wahrung der Unabhängigkeit

des Datenschutzbeauftragten in Hessen

Drucks. 18/375 -

Gliederung Vorbemerkung

A. Ausgangslage I. EU-Recht

1. RL 95/46/EG 2. EuGH 3. Bindungswirkung 4. Folgerung

11. Bedeutung für das Land Hessen (de lege lata) 1. Handlungsbedarf? 2. Unabhängigkeit des HDSB 3 Unabhängigkeit des Regierungspräsidiums Darmstadt,

Dezernat 117 - Datenschutz 4. Verschränkungen 5. Folgerung

B. Verfassungsrechtliche Würdigung I. Staatsorganisatorischer Ansatz

1. Zuordnung der Datenschutzkontrollstellen 2. Verantwortungsbereich der Regierung 3. Problem: „ministerialfreier Raum"

a) Meinungsstand b) Stellungnahme

4. Folgerung II. Grundrechtlicher Ansatz

1. Staatsaufgabe Grundrechtsschutz 2. Datenschutz als Grundrechtsschutz 3. Folgerung

C. Lösungsmodelle I. Prämissen 11. Datenschutzkontrollstellen in Deutschland (derzeitige Situation) III. Trennungsmodell IV. Kombinationsmodelle V. Einheitsmodell VI. Einzelfragen

1. Parlamentarische Verantwortlichkeit 2. Sachliche Unabhängigkeit 3. Aufsicht 4. Finanzielle und personelle Unabhängigkeit 5. Eingriffsbefugnisse 6. Rechtsschutz

D. Gesetzentwurf der SPD-Fraktion Drucks. 18/375 I. Begrenzung der Aufgabenstellung II. Konzeption 111. Detailfragen

1. Berichtspflicht 2. Abwahl 3. Gesetzliche Regelung 4. Stellung und Aufgaben der Datenschutzkommission

Empfehlung Anlagen

Vorbemerkung

Der Innenausschuss des Hessischen Landtags hat in seiner Sitzung vom 25. Juni

2009 zu Punkt 3: Gesetzentwurf der Fraktion der. SPD für ein Gesetz zur Neuord-

nung des Datenschutzes und Wahrung der Unabhängigkeit des Datenschutzbeauf-

tragten in Hessen - Drucks. 18/375 - vom 29. April 2009

Anlaqe 1

folgenden Beschluss gefasst:

„Der Innenausschuss bittet den Hessischen Datenschutzbeauftragten, zu dem Gesetzentwurf Drucks. 18/375 ein Gutachten zu erstellen."

Endgültige Abfassung und Vorlage des Gutachtens verzögerten sich wegen des

beim EuGH anhängigen, die Thematik unmittelbar betreffenden, Vertragsverlet-

zungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland (Rechtssache C-518/07),

dessen Ergebnis abgewartet und eingearbeitet werden musste. Das Urteil des EuGH

vom 9. März 2010 bestimmt dementsprechend das über die datenschutzrechtliche

Würdigung des genannten Gesetzentwurfs (unter D) hinausgehende Verständnis des

Gutachtenauftrags.

Das heißt:

Die Gutachtenerstattung erfolgt nach Maßgabe von 25 Abs.1 HDSG. Das Gutach-

ten bemüht sich dabei um möglichst objektive Darstellung der Rechtslage, kann aber

dann einen subjektiven Einschlag nicht vermeiden, wenn, wie in rechtswissenschaft-

lichen Auseinandersetzungen unvermeidbar, eigene Stellung zu beziehen ist bzw.

bereits bezogen wurde; Dies gilt insbesondere für die Ausführungen des HDSB bei

der Vorstellung des 37. Tätigkeitsberichts im Plenum des Hessischen Landtags.

Anlaqe 2

Darüber hinaus nimmt der HDSB bei dieser Gelegenheit seine Aufgabe nach § 24

Abs. 1 Satz 2 HDSG wahr, Empfehlungen zur Verbesserung des Datenschutzes ab-

zugeben. Diese Empfehlungen sind .wegen des Sachzusammenhangs mit dem Gut-

achten verbunden, jedoch nicht dessen Bestandteil.

3

A. Ausgangslage

1. EU-Recht

Der Hessische Landesgesetzgeber steht wie alle Gesetzgeber in der Bundesrepublik

Deutschland gegenwärtig in der Pflicht, die Datenschutzkotrolle im Einklang mit dem

EU-Recht neu zu gestalten (und der Kommission hierüber Bericht zu erstatten; vgl.

§ 260 AEUV).

1. RL 95/46/EG

Die Vorgaben des EU-Rechts folgen unmittelbar aus Art. 28 der Richtlinie 95/46/EG

des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz na-

türlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien

Datenverkehr.

Amtsblatt Nr. L 281 vom 23.11.1995, S. 31 - 50

Die Vorschrift lautet:

„Artikel 28 Kontrollstelle (1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass eine oder mehrere öffentliche Stellen beauftragt werden, die Anwendung der von den Mitgliedstaaten zur Umset-zung dieser Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften in ihrem Ho-heitsgebiet zu überwachen. Diese Stellen nehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unab-hängigkeit wahr. (2) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Kontrollstellen bei der Ausarbei-tung von Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften bezüglich des Schutzes der Rechte und Freiheiten von Personen bei der Verarbeitung per-sonenbezogener Daten angehört werden. (3) Jede Kontrollstelle verfügt insbesondere über: - Untersuchungsbefugnisse, wie das Recht auf Zugang zu Daten, die Ge-genstand von Verarbeitungen sind, und das Recht auf Einholung aller für die Erfüllung ihres Kontrollauftrags erforderlichen Informationen; - wirksame Einwirkungsbefugnisse, wie beispielsweise die Möglichkeit, im Einklang mit Artikel 20 vor der Durchführung der Verarbeitungen Stellung-nahmen abzugeben und für eine geeignete Veröffentlichung der Stellung-nahmen zu sorgen, oder die Befugnis, die Sperrung, Löschung oder Vernich-tung von Daten oder das vorläufige oder endgültige Verbot einer Verarbei-tung anzuordnen, oder die Befugnis, eine Verwarnung oder eine Ermahnung an den für die Verarbeitung Verantwortlichen zu richten oder die Parlamente oder andere politische Institutionen zu befassen;

4

- das Klagerecht oder eine Anzeigebefugnis bei Verstößen gegen die einzel-staatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie.

Gegen beschwerende Entscheidungen der Kontrollstelle steht der Rechtsweg offen.

(4) Jede Person oder ein sie vertretender Verband kann sich zum Schutz der die Person betreffenden Rechte und Freiheiten bei der Verarbeitung perso-nenbezogener Daten an jede Kontrollstelle mit einer Eingabe wenden. Die betroffene Person ist darüber zu informieren, wie mit der Eingabe verfahren wurde.

Jede Kontrollstelle kann insbesondere von jeder Person mit dem Antrag be-fasst werden, die Rechtmäßigkeit einer Verarbeitung zu überprüfen, wenn einzelstaatliche Vorschriften gemäß Artikel 13 Anwendung finden. Die Person ist unter allen Umständen darüber zu unterrichten, dass eine Überprüfung stattgefunden hat.

(5) Jede Kontrollstelle legt regelmäßig einen Bericht über ihre Tätigkeit vor. Dieser Bericht wird veröffentlicht.

(6) Jede Kontrollstelle ist im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats für die Aus-übung der ihr gemäß Absatz 3 übertragenen Befugnisse zuständig, unab-hängig vom einzelstaatlichen Recht, das auf die jeweilige Verarbeitung an-wendbar ist. Jede Kontrollstelle kann von einer Kontrollstelle eines anderen Mitgliedstaats um die Ausübung ihrer Befugnisse ersucht werden.

Die Kontrollstellen sorgen für die zur Erfüllung ihrer Kontrollaufgaben not-wendige gegenseitige Zusammenarbeit, insbesondere durch den Austausch sachdienlicher Informationen.

(7) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Mitglieder und Bediensteten der Kontrollstellen hinsichtlich der vertraulichen Informationen, zu denen sie Zu-gang haben, dem Berufsgeheimnis, auch nach Ausscheiden aus dem Dienst, unterliegen."

Zwischen der Bundesregierung und der Kommission bestanden Meinungsverschie-

denheiten über die Auslegung und korrekte Umsetzung der Richtlinie, die zu einem

Vertragsverletzungsrechtsstreit vor dem EuGH führten.

Vgl. Anlage 3

Hinweis: Die Richtlinie ist zwar in der deutschen Sprachfassung verbindlich (Art. 358 AEUV i.V.m. Art. 55 EUV). Bei der Ermittlung des im Rahmen der grammatikalischen Auslegung von EU-Recht maßgeblichen Wortsinns ist aber nicht nur die nationale Textfassung heranzuziehen. Vielmehr erschließt sich der Sinngehalt der relevanten Sprachfassung ggf. erst durch einen Ver-gleich verschiedener Sprachfassungen. Zum besseren Verständnis der An-forderung „in völliger Unabhängigkeit" ist es hilfreich, auch weitere Sprach-fassungen heranzuziehen.

Vgl. Anlage 4

5

Auf die Klage der Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland entschied die

Große Kammer des EuGH mit Urteil vom 9. März 2010 (Rechtssache C 518/07),

dass die Bundesrepublik das Erfordernis der „völligen Unabhängigkeit" der im nicht-

öffentlichen Bereich zuständigen Kontrollstellen falsch umgesetzt habe.

Auf eine nähere Darstellung des Streits wird vorliegend verzichtet. Die zur Auslegung

von Art. 28 RL 95/46/RL hierzu früher vertretenen diversen Ansichten bedürfen kei-

ner Würdigung mehr, da es nunmehr allein auf die Interpretation des EuGH an-

kommt.

Hingewiesen sei allerdings auf die in die gleiche Richtung wie der EuGH zie-lende Argumentation in Anlage 2

2. EuGH

Die wichtigsten Passagen des EuGH-Urteils vom 9. März 2010 lauten.

„1. Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr verstoßen, indem sie die für die Überwachung der Verarbeitung personenbe-zogener Daten durch nichtöffentliche Stellen und öffentlich-rechtliche Wett-bewerbsunternehmen zuständigen Kontrollstellen in den Bundesländern staatlicher Aufsicht unterstellt und damit das Erfordernis, dass diese Stellen ihre Aufgaben „in völliger . Unabhängigkeit" wahrnehmen, falsch umgesetzt hat"

Die tragenden Entscheidungsgründe (Ziff. 17 ff.) lauten:

"17 Die Beurteilung der Begründetheit der vorliegenden Klage hängt davon ab, welche Tragweite das Unabhängigkeitserfordernis des Art. 28 Abs. 1 Unte-rabs. 2 der Richtlinie 95/46 hat, und somit von der Auslegung dieser Bestim-mung. In diesem Zusammenhang sind deren Wortlaut sowie die Ziele und die Systematik der Richtlinie 95/46 heranzuziehen.

18 Was erstens den Wortlaut von Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 angeht, ist angesichts des Fehlens einer Definition in der Richtlinie auf den gewöhnlichen Sinn der 'Wendung „in völliger Unabhängigkeit" abzustellen. In Bezug auf öffentliche Stellen bezeichnet der Begriff „Unabhängigkeit" in der Regel eine Stellung, in der gewährleistet ist, dass die betreffende Stelle völlig frei von Weisungen und Druck handeln kann.

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19 Entgegen dem Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland deutet nichts darauf hin, dass das Unabhängigkeitserfordernis allein das Verhältnis zwi-schen den Kontrollstellen und den ihrer Kontrolle unterstellten Einrichtungen beträfe. im Gegenteil wird der Begriff „Unabhängigkeit" durch das Adjektiv „völlig" verstärkt, was eine Entscheidungsgewalt impliziert, die jeglicher Ein-flussnahme von außerhalb der Kontrollstelle, sei sie unmittelbar oder mittel-bar, entzogen ist.

20 Zweitens geht in Bezug auf die Ziele der Richtlinie 95/46 insbesondere aus deren Erwägungsgründen 3, 7 und 8 hervor, dass sie durch die Harmonisie-rung der nationalen Vorschriften zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten in erster Linie den freien Verkehr dieser Daten zwischen Mitgliedstaaten gewährleisten soll...., der für die Er-richtung und das Funktionieren des Binnenmarkts nach Art. 14 Abs. 2 EG er-forderlich ist.

21 Der freie Verkehr personenbezogener Daten kann jedoch das Recht auf Pri-vatsphäre beeinträchtigen, wie es u.a. in Art. 8 der Europäischen . Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ... und durch die all-gemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts anerkannt ist.

22 Deshalb und wie insbesondere aus ihrem zehnten Erwägungsgrund und Art. 1 hervorgeht, hat die Richtlinie 95/46 außerdem zum Ziel, den durch die bestehenden nationalen Rechtsvorschriften garantierten Schutz nicht zu ver-ringern, sondern vielmehr in der Gemeinschaft bei der Verarbeitung perso-nenbezogener Daten ein hohes Niveau des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten....

23 Die in Art. 28 der Richtlinie 95/46 vorgesehenen Kontrollstellen sind somit die Hüter dieser Grundrechte und Grundfreiheiten, und ihre Einrichtung in den Mitgliedstaaten gilt, wie es im 62. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt, als ein wesentliches Element des Schutzes der Personen bei der Verarbei-tung personenbezogener Daten.

24 Um diesen Schutz zu gewährleisten, müssen die Kontrollstellen zum einen die Achtung des Grundrechts auf Privatsphäre und zum anderen die Interes-sen, die den freien Verkehr personenbezogener Daten verlangen, miteinan-der ins Gleichgewicht bringen. Im Übrigen sind die verschiedenen nationalen Kontrollstellen nach Art. 28 Abs. 6 der Richtlinie 95/46 zu gegenseitiger Zu-sammenarbeit aufgerufen und können gegebenenfalls von einer Kontrollstel-le eines anderen Mitgliedstaats um die Ausübung ihrer Befugnisse ersucht werden.

25 Die Gewährleistung der Unabhängigkeit der nationalen Kontrollstellen soll die wirksame und zuverlässige Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sicherstellen und ist im Licht dieses Zwecks auszulegen. Sie wurde einge-führt, um die von ihren Entscheidungen betroffenen Personen und Einrich-tungen stärker zu schützen, und nicht, um diesen Kontrollstellen selbst oder ihren Bevollmächtigten eine besondere Stellung zu verleihen. Folglich müs-sen die Kontrollstellen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben objektiv und unparteiisch vorgehen. Hierzu müssen sie vor jeglicher Einflussnahme von

7

außen einschließlich der unmittelbaren oder mittelbaren Einflussnahme des Bundes oder der Länder sicher sein und nicht nur vor der Einflussnahme sei-tens der kontrollierten Einrichtungen.

26 Drittens ist die Richtlinie 95/46 hinsichtlich ihrer Systematik als Gegenstück zu Art. 286 EG und der Verordnung Nr. 45/2001 zu sehen. Diese betreffen die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrich-tungen der Gemeinschaft sowie den freien Verkehr dieser Daten. Die Richtli-nie verfolgt diese Ziele ebenfalls, aber in Bezug auf die Verarbeitung solcher Daten in den Mitgliedstaaten."

Dem Einwand der Bundesregierung, eine derartige Auslegung des Unabhängigkeits-

begriffs verstoße gegen das Demokratieprinzip, begegnet der EuGH wie folgt:

„41 Hierzu ist festzustellen, dass der Grundsatz der Demokratie zur Gemein-schaftsrechtsordnung gehört und in Art. 6 Abs. 1 EU ausdrücklich als Grund-lage der Europäischen Union niedergelegt ist. Als den Mitgliedstaaten ge-meinsamer Grundsatz ist er daher bei der Auslegung eines sekundärrechtli-chen Aktes wie Art. 28 der Richtlinie 95/46 zu berücksichtigen.

42 Dieser Grundsatz bedeutet nicht, dass es außerhalb des klassischen hierar-chischen Verwaltungsaufbaus keine öffentlichen Stellen geben kann, die von der Regierung mehr oder weniger unabhängig sind. Das Bestehen und die Bedingungen für das Funktionieren solcher Stellen sind in den Mitgliedstaa-ten durch Gesetz und in einigen Mitgliedstaaten sogar in der Verfassung ge-regelt, und diese Stellen sind an das Gesetz gebunden und unterliegen der Kontrolle durch die zuständigen Gerichte. Solche unabhängigen öffentlichen Stellen, wie es sie im Übrigen auch im deutschen Rechtssystem gibt, haben häufig Regulierungsfunktion oder nehmen Aufgaben wahr, die der politischen Einflussnahme entzogen sein müssen, bleiben dabei aber an das Gesetz gebunden und der Kontrolle durch die zuständigen Gerichte unterworfen. Eben dies ist bei den Aufgaben der Kontrollstellen für den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten der Fall.

43 Gewiss kommt ein Fehlen jeglichen parlamentarischen Einflusses auf diese Stellen nicht in Betracht. Die Richtlinie 95/46 schreibt jedoch den Mitglied-staaten keineswegs vor, dem Parlament jede Einflussmöglichkeit vorzuent-halten.

44 So kann zum einen das Leitungspersonal der Kontrollstellen vom Parlament oder der Regierung bestellt werden. Zum anderen kann der Gesetzgeber die Kompetenzen der Kontrollstellen festlegen.

45 Außerdem kann der Gesetzgeber die Kontrollstellen verpflichten, dem Par-lament Rechenschaft über ihre Tätigkeiten abzulegen. Insoweit lässt sich ei-ne Parallele zu Art. 28 Abs. 5 der Richtlinie 95/46 ziehen, wonach jede Kon-trollstelle regelmäßig einen Bericht über ihre Tätigkeit vorlegt, der veröffent-licht wird.

8

46 Nach alledem ist der Umstand, dass den Kontrollstellen für den Schutz na-türlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im nicht-öffentlichen Bereich eine von der allgemeinen Staatsverwaltung unabhängige Stellung zukommt, für sich allein noch nicht geeignet, diesen Stellen die de-mokratische Legitimation zu nehmen."

3. Bindungswirkung

Dem EuGH obliegt die authentische Auslegung des EU-Rechts.

EuGH, Urteil vom 10.02.2000 Rs. C-50/96 -, SIg. 2000 1-743 (Deutsche Te-lekom); Urteil vom 12.02.2008 - Rs. C-2/06 DÖV 2008, 505 (Kempter KG)

Art. 28 RL 95/46/EG entfaltet folglich gegenüber allen deutschen Staatsorganen in

dieser Auslegung Bindungswirkung, soweit ihr Vorrang vor nationalem Recht zu-

kommt.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH besteht ein Anwendungsvorrang des

EU-Rechts. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung war das Urteil vom 15.07.1964

- Rs. 6/64 -, SIg. 1964,1251 (CostaIENEL). Die Argumentation hat sich seither nicht

gewandelt.

Vgl. EuGH, Urteil vom 17.12. 1970 - Rs. 11/70 -, SIg. 1970, 1125 (Internatio-nale Handelsgesellschaft); Urteil vorn 9.3.1978 - Rs. 106/77 -, SIg. 1978, 629 (Simmenthal 11); Urteil vom 22.10.1998 - Rs. C-10197 bis C-22197-, Slg. 1998, 1-6307 (IN.CO ..GE); Urteil vom 29.04.1999 — Rs. C-224/97, SIg. 1999 1-2517 (Ciola)

Der Vorrang des EU-Rechts wird auf die Notwendigkeit einheitlicher Geltung, Ausle-

gung und Anwendung der EU-Rechts und dessen Effektivität gestützt. Ob es sich

dabei um einen originären oder. abgeleiteten Vorrang handelt, ist streitig. Der Streit

ist zumeist akademischer Natur, erlangt aber im vorliegenden Zusammenhang prak-

tische Relevanz, weil ein abgeleiteter Vorrang nicht weiter reichen kann, als die nati-

onale Verfassung die Übertragung von Souveränitätsrechten zulässt. Der Anwen-

dungsvorrang des EU-Rechts ist daher begrenzt.

Im europarechtlichen Schrifttum wird zwar überwiegend ein originärer - und damit tendenziell uneingeschränkter - Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten angenommen (vgl. etwa Andreas Funke, Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, DÖV 2007, 733 ff .) Ein originä-rer Vorrang des EU-Rechts müsste indessen auf einem europäischen

9

(Gesamt-) Akt verfassungsgebender Gewalt beruhen. Die europäischen Verträ-ge reichen hierfür nicht aus. Ein entsprechender Vorrang sollte im gescheiterten Europäischen Verfassungsvertrag ausdrücklich verankert werden (Art. 1-6). Die Bestimmung wurde in den Vertrag von Lissabon aber bewusst nicht übernom-men. Mit der Souveränitätszuordnung im europäischen Staatenverbund ist nur ein übertragener Anwendungsvorrang des EU-Rechts vereinbar. Das bedeutet, dass die nationalen Verfassungen im jeweiligen Mitgliedstaat der EU die obers-te Stufe der Normenhierarchie bilden. Außerhalb dieser Normenhierarchie kann dem EU-Recht Anwendungsvorrang eingeräumt werden. Diese Möglichkeit er-öffnet für Deutschland Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG (Integrationsermächtigung). Die hiernach vorgesehene Übertragung von Hoheitsrechten umfasst auch die Be-fugnis, EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht einzuräumen, soweit nicht der Souveränitätsvorbehalt greift. Dies ist nach einhelliger Meinung geschehen. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts ist in Deutschland jedenfalls als Willensakt des nationalen Verfassungsgebers allgemein anerkannt (vgl. nur VerfGH Rhein-land-Pfalz, Urteil vom 11.07.2005 - VGH N 25/64 -, DÖV 2006, 38,39).

Soweit der Anwendungsvorrang des EU-Rechts reicht, ist es Aufgabe aller Stellen

der Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten die Einhaltung des

Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.

EuGH, Urteil vom 12.06.1990 - Rs. C-8/88 -, Sig 1990, 1-2321 (Deutschland / Kommission); Urteil vom 13.01.2004 - Rs. C-453/00 -, SIg 2004, 1-837 (Küh-ne / Heitz); Urteil vom 12.02.2008 - Rs. C-2/06 DÖV 2008, 505 (Kempter KG).

Zu einer Selbstaufgabe der nationalen Verfassung darf die Einräumung des EU-

* rechtlichen Anwendungsvorrangs jedoch nicht führen. Die substanziellen Merkmale

der nationalen Verfassung müssen erhalten bleiben.

Begründung: Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge und service d'intöröt gönöral im Interventionsstaat, in: Symposium zu Ehren von Willi Blümel zum 80. Ge-burtstag, 2009, S. 27 ff.

Als Residuum souveräner Staatlichkeit Deutschlands dient Art. 79 Abs. 2 und 3

GG, auf den Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG klarstellend Bezug nimmt. Dadurch werden die

"Grundsätze" der Art. 1 und 20 GG übertragungsprohibitiv ausgestaltet. Diese

Grundsätze machen die Substanz der deutschen Verfassungsordnung aus.

Die Substanzgarantie erfasst zum einen die Grundrechte über Art. 1 Abs. 3 GG als

Grundrechteordnung. Eine substanzielle Gefährdung des Grundgesetzes liegt aber

nicht nur vor, wenn durch EU-Recht das Schutzniveau der nationalen Grundrechte-

ordnung abgesenkt würde. Was für die Grundsätze des Art. 1 .GG und das Grund-

rechtesystem des Grundgesetzes gilt, muss zum anderen auch für die Grundsätze

1 0

des Art. 20 GG und die Staatsstruktur der Bundesrepublik Deutschland gelten. Die

demokratischen, sozialen und föderalen Prinzipien des Art. 20 GG sind Staatsstruk-

türprinzipen. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG enthält ein Verbot der Entstaatlichung

Deutschlands; dies ist die Quintessenz der Lissabon-Entscheidung des Bundesver-

fassungsgerichts

BVerfG, Urteil vom 30.06.2009 - 2 BvE 2/08 u.a.-, BVerfGE 123, 267 = DVBI. 2009, 1032 = NJW 2009, 2267 . DÖV 2010, 84; Glassen JZ 2009, 881 ff.; Dingemann, ZEuS 2009, 491. ff.; Folz, ZIS 2009, 427 ff.; Frenz, Ver-wArch 2009, 475 ff.; ders., EWS 2009, 297 ff.; Gärditz/Hillgruber, JZ 2009, 872 ff.; Hahn, ZEuS 2009, 583 ff.; Halberstam/Möller, German Law Journal 2009, 1241 ff.; Hector, ZEuS 2009, 583 ff.; F. Meyer, NStZ 2009, 657 ff.; Le-cheler, JZ 2009,1156 ff.; Nettesheim, NJW 2009, 2867; ders_, NJW 2010, 177ff.; Pache, EuGRZ 2009, 285 ff.; Ruffert, DVBI 2009, 1197 ff.; Sack, ZEuS 209, 623 ff.; Schönberger, Gernnan Law Journal 2009, 1201ff.; Schorkopf, EuZW 2009, 718 ff.; Se/myr, ZEuS 2009, 681 ff.; Terhechte, EuZW 209, 724 ff.; v. Bogdandy, NJW 2010, 1 ff.; Haratsch, ZfS 2010, 122 ff.; H.A. Wolff, DÖV 2010, 49 ff.; Lenz, ZRP 2010, 22 ff.; Röper, DÖV 2010, 285 ff.; Daiber, DÖV 2010, 293 ff.; Schröder, DÖV 2010, 303 ff., Gas, DÖV 210, 313 ff,

Vorgegeben sind ferner die Staatsstrukturprinzipien als solche, namentlich das par-

lamentarische Demokratieprinzip, in ihrer durch die Ausgestaltung im Grundgesetz

erkennbaren konkreten Prägung.

Die Durchsetzung der Substanzsicherungsklausel ist ebenfalls und vorrangig Ver-

pflichtung aller nationalen Behörden.

Das bedeutet:

Das EuGH-Urteil entfaltet hinsichtlich der Ausgestaltung der Datenschutzkontrolle in

Deutschland nur insoweit Bindungswirkungen, als die Ausgestaltung der Daten-

schutzkontrolle in Bund und Ländern mit den fundamentalen Verfassungsprinzipien

des Grundgesetzes im Einklang steht.

4. Folgerung

Zu klären ist folglich, in welchem Umfang die Datenschutzkontrolle in Hessen mit der

EU-rechtlich geforderten völligen Unabhängigkeit (konkret) unvereinbar ist und auf

welche Weise, d.h. ebenfalls in welchem Umfang die EU-rechtlich geforderte völlige

11

Unabhängigkeit der Datenschutzkontrolle im Einklang mit den fundamentalen Staats-

strukturprinzipien des Grundgesetzes hergestellt werden kann. Nur in diesem weit-

gespannten Rahmen kann beurteilt werden, wie sich der zu begutachtende Gesetz-

entwurf in das Spannungsverhältnis von nationalem Verfassungsrecht und EU-Recht

einfügt.

IL Bedeutung für das Land Hessen (de lege lata)

1. Handlungsbedarf?

Das Land Hessen ist verpflichtet, den Verstoß gegen das EU-Recht zu beheben,

wenn die hessische Datenschutzkontrolle nicht in "völliger Unabhängigkeit" erfolgt.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass in Hessen die Datenschutzkontrolle für den öffent-

lichen und den privaten Bereich getrennt ist. Handlungsbedarf besteht, wenn in bei-

den Bereichen oder auch nur einem Bereich ein Verstoß gegen EU-Recht festzu-

stellen ist.

2. Unabhängigkeit des HDSB

Nach § 22 HDSG ist der HDSB als oberste Landesbehörde in Ausübung seines Am-

tes unabhängig und nur dem Gesetz Unterworfen. Aus dieser Vorschrift allein ergibt

sich indessen noch nicht automatisch die völlige Unabhängigkeit des HDSB im Sinn

vom § 28 Abs.1 Satz 2 RL 95/46/EG nach den Maßstäben des EuGH.

Zur Auslegung dieser Bestimmung vgl. die Kommentierung von Arlt, in: Schild / Ronellenfitsch / Arlt u.a„ HDSG, Kommentar, Loseblatt, Stand No-vember 2009.

Vielmehr kommt es auf die konkrete Ausgestaltung der persönlichen Rechtsstellung

sowie der sachlichen, sächlichen (finanziellen) und personellen Kompetenzen an.

Die persönliche Rechtsstellung (Wahl durch den Landtag, öffentlich-rechtliches

Amtsverhältnis, abberufbar nur unter engen Voraussetzungen) nach § 21 HDSG ge-

währleistet insoweit „völlige Unabhängigkeit". Die sachliche Zuständigkeit lässt eben-

falls keine Zweifel an der Unabhängigkeit aufkommen. Die Personal- und Sachaus-

stattung erfolgt über den Präsidenten des Landtags, begründet also keine Abhängig-

keiten von der Exekutive. Die Beamten des HDSB unterliegen ausschließlich dessen

12

Weisungen (§ 31 HDSB). Selbst wenn man die strengen Maßstäbe des EuGH an-

legt, können keine Zweifel an der völligen Unabhängigkeit des HDSB aufkommen.

Für den öffentlichen Bereich besteht - isoliert betrachtet - keine Handlungs-

notwendigkeit.

3. Unabhängigkeit des Regierungspräsidiums Darmstadt,

Dezernat 117 — Datenschutz

Das Regierungspräsidium Darmstadt überprüft als Aufsichtsbehörde nach § 38

Abs. 1 BDSG die Ausführung des Bundesdatenschutzgesetzes sowie anderer Vor-

schriften über den Datenschutz in Hessen, soweit diese die automatisierte Verarbei-

tung personenbezogener Daten oder die Verarbeitung oder Nutzung personenbezo-

gener Daten in oder aus nicht automatisierten Dateien regeln (Verordnung zur Rege-

lung der Zuständigkeiten nach dem Bundesdatenschutzgesetz und anderen Geset-

zen zum Datenschutz vom 10. Februar 2005, GVBI. 1 S. 90). Es unterliegt als staatli-

che Mittelbehörde der Fachaufsicht und Rechtsaufsicht des Hessischen Innenminis-

teriums. Damit ist es im Sinne der Rechtsprechung des EuGH nicht jeglicher Ein-

flussnahme von außerhalb der Kontrollstelle entzogen. Die Ausgestaltung der Daten-

schutzkontrolle widerspricht damit eindeutig den Anforderungen des EuGH.

Für den privaten Bereich besteht Handlungsbedarf.

4. Verschränkungen

Der Handlungsbedarf bei der Datenschutzkontrolle im privaten Bereich könnte sich

auf den öffentlichen Bereich erstreckten, wenn beide Bereiche verklammert wären,

d.h. wenn etwa das Regierungspräsidium in die Verwaltungstätigkeit des HDSB ein-

gebunden wäre oder umgekehrt. Das ist aber nicht der Fall. Die Zusammenarbeit

nach § 24 . Abs. 3 HDSG erfolgt vielmehr autonom und lässt keine Vollzugsdurchgriffe

zu, Die fehlende Unabhängigkeit des RP "infiziert" nicht die Unabhängigkeit des

HDSB.

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5., Folgerung

Im Hinblick auf den privaten Bereich muss das HDSG an die RL 95/46/EG ange-

passt werden. In die Novelle kann auch der öffentliche Bereich der Datenschutzkon-

trolle eingebunden werden. Dann ist aber dafür zu sorgen, dass die völlige Unab-

hängigkeit des HDSB erhalten bleibt.

B. Verfassungsrechtliche Würdigung

1. Staatsorganisatorischer Ansatz

1. Zuordnung der Datenschutzkontrollstellen

Zu den fundamentalen Staatsstrukturprinzipen der Bundesrepublik Deutschland und

des Landes Hessen zählt die Verteilung der Staatsgewalt auf besondere Organe

der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtspredhung (Art. 20

Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 28 Abs.1 Satz 1 GG).

Über die Zuordnung der Datenschutzkontrollstellen zu diesen besonderen Organen

der Staatsgewalt herrscht ein Streit, der zur Verlegenheitslösung geführt hat, Daten-

schutzbehörden als Kontrollinstanzen sui generis zu qualifizieren.

So etwa Petri / Tinnefeld, Völlige Unabhängigkeit der .Datenschutzkontrolle. Demokratische Legitimation und unabhängige parlamentarische Kontrolle als moderne Konzeption der Gewaltenteilung, MMR 2009, 157 ff.

Es trifft zwar zu, dass die Kontrollfunktionen der Datenschutzbeauftragten sich nicht

zwanglos in das überkommene Gewaltenteilungsschema einordnen lassen

Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2008, § 1 Rdnr. 6.

Das ändert jedoch nichts daran, dass institutionell und funktionell die Datenschutz-

kontrolle durch öffentliche Stellen einer der klassischen Staatsgewalten zuzuordnen

ist. Dabei zeigt sich, dass die Datenschutzkontrolle eindeutig nicht zur Gesetzgebung

oder zur Rechtsprechung zählt. Es kann sich damit nur um Verwaltung handeln, um

14

„Tätigkeit des Staats oder eines sonstigen Trägers öffentlicher Gewalt außerhalb von

Rechtsetzung und Rechtsprechung”

Walter Jellinek, Verwaltungsrecht 3. Aufl., 1931, S. 6.

2. Verantwortungsbereich der Regierung

Im deutschen parlamentarischen Regierungssystem wird die Tätigkeit der Verwal-

tung dem Verantwortungsbereich der Regierung zugeordnet und, vermittelt durch die

Regierung, parlamentarisch kontrolliert. Die Verwaltungstätigkeit untersteht damit

grundsätzlich der Verantwortung und Kontrolle einer Ministerin oder eines Ministers.

Paul Kirchhof, HStR III., 2. Aufl.,1996, § 59 Rdnr. 101.

Dies ergibt sich aus dem zentralen, der gesetzgeberischen Gestaltung entzogenen,

Strukturelement der repräsentativen Demokratie: dem Erfordernis der demokrati-

schen Legitimation aller Träger von Staatsgewalt. Vom Volk über die von diesem

gewählte Vertretung zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amts-

verwaltern.muss eine ununterbrochene Legitimationskette bestehen.

BVerfG, Beschluss vom 24.05.1995, - 2 BvE 1/92 - BVerfGE 93, 37 (66); Be-schluss vom 05.12.2002, - 2 BvL 5,6/8, BVerfGE107, 59 (86 f).

Die Legitimationskette erfasst das jeweilige öffentliche Amt institutionell und in seiner

Funktion.

3. Problem: ministerialfreier Raum

Die Frage, ob und in welchem Umfang das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit

Ausnahmen gestattet, beschäftigt die deutsche Staatspraxis und Staatsrechtswis-

senschaft seit mehr als fünfzig Jahren. Sie wird nach wie vor unter dem - negativ

vorbelasteten - Stichwort des "ministerialfreien Raums" kontrovers diskutiert, ohne

dass sich eine allgemeingültige Antwort finden ließ. Die Staatspraxis kennt und aner-

kennt zahlreiche Ausnahmen von der Ministerverantwortlichkeit. Für das Demokra-

tieverständnis des Grundgesetzes bzw. eher seiner Interpreten stellt die Annahme

eines ministerialfreien Raums gleichwohl ein Problem dar.

15

a) Meinungsstand

Der Begriff der „ministerialfreien Räume" geht zurück auf Hellmuth Loening.

Der ministerialfreie Raum in der Staatsverwaltung, DVBI. 1954, 173 ff.

Loening unterschied noch zwischen Behörden mit „gehobener Selbständigkeit" und

mit „gänzlicher Regierungsunabhängigkeit". Das spätere Schrifttum betrachtete die

ministerialfreien Räume als „Kehrseite" der parlamentarischen Ministerverantwort-

lichkeit, was zur Formel "Ministerialfreiheit ist gleich Parlamentsfreiheit" führte.

So Wolfgang Müller, Ministerialfreie Räume, JuS 1985, 497 ff. (498).

Hält man - zutreffend - in einer Demokratie die Vermittlung der Staatsgewalt vom

Volk auf den exekutiven Sachbearbeiter oder die Sachbearbeiterin in einer ununter-

brochenen Legitimationskette für unverzichtbar, so scheint kein Weg an der Ein-

schaltung der Ministerialebene vorbeizuführen. Dennoch hat das Bundesverfas-

sungsgericht ausgeführt; dass das Demokratieprinzip nicht derart streng eingehalten

werden müsse

So die viel zitierte Entscheidung vom 27.04.1959 — 2 BvF 2/58 — BVerfGE 9, 268, 282: , „Die Regierung ist das oberste Organ der vollziehenden Gewalt. ... Damit ist nicht gesagt, dass es keinerlei „ministerialfreien Raum" auf dem Gebiet der Verwaltung geben dürfe und dass von der Regierung unabhängige Aus-schüsse für bestimmte Verwaltungsaufgaben in jedem Fall unzulässig seien. Wohl aber gibt es Regierungsaufgaben, die wegen ihrer politischen Tragwei-te nicht generell der Regierungsverantwortung entzogen und auf andere Stel-len übertragen werden dürfen, die von Regierung und Parlament unabhängig sind; andernfalls würde es der Regierung unmöglich gemacht, die von ihr ge-forderte Verantwortung zu tragen, da auf diese Weise unkontrollierte und niemand verantwortliche Stellen Einfluss auf die Staatsverwaltung gewinnen würden".

Näher ausgeführt wurde dieses Verständnis in den Entscheidungen zum Ausländer-

wahlrecht für die Hamburger Bezirksversammlungen

Urteil vom 31.10,1990 - 2 BvF 3/89 -, BVerfGE 83, 60

und zum Schleswig-Holsteinischen Mitbestimmungsgesetz

Beschluss vom 24.05.1995 - 2 BvF 1/92 , BVerfGE 93,37.

16

Die die Entscheidungen tragende Formulierung lautet:

BVerfGE 83, 60 (71 f.): „Art 20 Abs. 2 Satz 2 GG gestaltet den Grundsatz der Volkssouveränität aus. Er legt fest, dass das Volk die Staatsgewalt, deren Träger es ist, außer durch Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe .der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübt. Das setzt voraus, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe hat. Deren Akte müssen sich daher auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden. Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentari-schen Einfluss auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung herge-stellt." Nahezu wortgleich wiederholt in BVerfGE 93, 37 66).

Auch das überwiegende Schrifttum lässt ausnahmsweise Einschränkungen vom

Demokratieprinzip zu.

Vgl. Fichtmüller, Zulässigkeit ministerialfreien Raums in der Bundesverwaltung, AöR 91 (1966) S. 297 f.; Füsslein, Ministerialfreie Verwaltung. Begriff, Erschei-nungsformen und Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, Diss. jur. Bonn 1972, S. 61 f; Eckhart Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerial-freien Raums, 1974, S. 190 f.; Pohl, Die Minderheitsregierung nach dem Grundgesetz, 1986, S. 161 f.; J. Schmidt, Die demokratische Funktion der par-lamentarischen Kontrolle, 2007, S.203; Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 17 f; Vorbrugg, Unabhängige Organe der öffentlichen Verwaltung, Diss. jur. Mün-chen 1965, S. 273.; Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatli-cher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, 1994, S. 20 f.; s. ferner Bredt, Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen, 2006; Mayer, Verwaltung durch unabhängige Einrichtungen, DÖV 2004, 45 ff.; Müller, JuS 1985, 497 ff.; Oebecke, Weisungs- und Unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986.

Als repräsentativ können die Ausführungen von Zippelius / Würtenberger, Deutsches

Staatsrecht, 32. Aufl., 2008, § 42 Rdnr. 14 gelten:

"Das Demokratieprinzip verbietet grundsätzlich, Teile der Verwaltung der Aufsicht der Regierung bzw. ihrer Ministerien und damit demokratischer Kon-trolle und Verantwortung gegenüber dem Parlament zu entziehen. Dies gilt jedenfalls für jene Regierungsaufgaben, die wegen ihrer politischen Tragwei-te nicht generell der politischen Verantwortung entzogen und auf Stellen übertragen werden dürfen, die von Regierung und Parlament unabhängig sind. Bei der Einräumung eines ministerialfreien Raumes durch ein parla-mentsbeschlossenes Gesetz kann das Parlament also nicht über jene ver-fassungsrechtlichen Strukturvorgaben für die Verwaltung disponieren, die sich aus dem Demokratieprinzip ergeben. Für die Durchbrechung des

17

Grundsatzes der Weisungsabhängigkeit müssen vielmehr gewichtige Gründe streiten."

Dieser Ansatz wird gelegentlich bestritten

Vgl. Tschentscher, Demokratische Legitimation und dritte Gewalt, 2005, S. 101 f.

In der Tat vermengt die herrschende Auffassung die funktionelle und institutionelle

Unabhängigkeit von Staatsorganen.

Institutionelle Unabhängigkeit kann ministerialfreien Staatsorganen auch im Ein-

klang mit dem Demokratieprinzip verliehen werden, wenn sie unmittelbar durch par-

lamentarische Gremien oder das Parlament selbst gewählt werden. Damit ist sogar

ein mehr an demokratischer Legitimation erreicht als in exekutiver Weisungshierar-

chie realisierbar ist.

Beispielsweise wurde der derzeitige HDSB einstimmig vom Hessischen Landtag gewählt.

Funktionell kommt es dagegen darauf an, ob die Aufgabenwahrnehmung der unab-

hängigen Staatsorgane eine wirksame permanente parlamentarische Kontrolle

zulässt.

Nach Auffassung des EuGH ist das unter der Geltung des Demokratieprinzips sehr

wohl möglich.

Vgl. die oben wörtlich wiedergegebenen Passagen aus dem Urteil vom 09.03.2010 Tz. 41 ff.

Die Argumentation des EuGH kann nur unbeachtet bleiben, wenn das Demokratie-

verständnis im Sinne des Grundgesetzes eine ministerialfreie Datenschutzkontrolle

kategorisch ausschließt. Das ist, wie gezeigt, nach deutscher h.M. nicht der Fall. Bei

Fällen geringer Eingriffsintensität sollen Ausnahmen vom Demokratieprinzip möglich

sein. Dieser Gesichtspunkt mag im Verhältnis zur mittelbaren Staatsverwaltung ge-

rechtfertigt sein.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.12.1997, BVerwGE 106, 64 (76 f)

18

Von geringer Eingriffsintensität kann bei Datenschutzverstößen, die bis in den Kern-

bereich privater Lebensgestaltung reichen können, gewiss nicht die Rede sein. Die

Zulässigkeit einer ministerialfreien unabhängigen Datenschutzkontrolle ergibt sich

jedoch aus anderen, nachfolgend skizzierten Erwägungen.

b) Stellungnahme

Demokratie bedeutet „Herrschaft des Volks". Dieses ist in einem staatlich verfassten

Gemeinwesen Träger der Staatsgewalt. Nur das meint Art. 20 Abs. 2 Satz . 1 GG

(„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus"). Wie und von wem konkret die Staatsgewalt

ausgeübt wird, ist damit noch nicht gesagt. Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG handelt

das Volk „in Wahlen (Personalentscheidungen) und Abstimmungen (Sachentschei-

dungen)" und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt

und der Rechtsprechung. Die Staatsfunktionen unterliegen dabei bei ihrer Ausübung

nicht notwendig dem demokratischen Prinzip im Sinne eines Mehrheitsprinzips bei

der Entscheidungsfindung. Eine Ausnahme macht das in der parlamentarischen De-

mokratie wichtigste Staatsorgan, das Parlament. Im Übrigen erfordert die Demokratie

lediglich, dass sich die Staatsorgane bei der Ausübung der Staatsgewalt unmittelbar

oder mittelbar auf die Legitimation durch das Volk stützen können. Mit dem Demo-

kratieprinzip hat das Problem der ministerialfreien Räume insofern nichts zu tun, als

auch ministerialfreie Staatsorgane durch Volkswahlen demokratisch legitimiert sein

können. Soweit ministerialfreie Räume errichtet werden, ist vor allem erforderlich, für

eine hinreichende parlamentarische Kontrolle zu sorgen: Sichergestellt sein muss die

sachlich-inhaltliche Legitimation des Amtsträgers, die in einer permanenten Verant-

wortlichkeit gegenüber dem Parlament ihren Ausdruck findet. Derartige Verantwort-

lichkeitsbezüge lassen sich durch organisatorische Maßnahmen im parlamentari-

schen Bereich (Bildung eines permanenten Kontrollausschusses) ohne weiteres her-

stellen.

Vgl. Krebs, in: HStR V, 3. Aufl. 2007, § 108 Rdnr. 95 ff.

Daraus folgt im Umkehrschluss: Soweit eine hinreichende parlamentarische Kontrolle

besteht, sind auch in politisch brisanten Angelegenheiten ministerialfreie Räume zu-

lässig.

19

4. Folgerung

Bei effektiver permanenter parlamentarischer Kontrolle verstößt eine ministerialfreie

Datenschutzkontrolle nicht gegen die Staatstrukturprinzipien des Grundgesetzes.

Die Anforderungen des EuGH an die Unabhängigkeit der Datenschutzkontrolle las-

sen sich nach deutschem Verfassungsrecht erfüllen.

II. Grundrechtlicher Ansatz

1. Staatsaufgabe Grundrechtsschutz

Das Grundgesetz hat sich für den Staat als Organisationsform des sozialen Zusam-

menlebens entschieden. Der Staat wird im Außenverhältnis durch bestimmte Ele-

mente, im Innenverhältnis durch seine Zwecke definiert. Hauptzweck des deutschen

Verfassungsstaats ist die Gärantie der individuellen Freiheit und damit zugleich der

Schutz vor exzessivem Freiheitsgebrauch Anderer.

Nähere Begründung und Nachweise bei Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff 2003, S. 53 ff. (74 ff.)

Nach der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist der Grundrechts-

schutz rechtlich verpflichtende Staatsaufgabe (Art 1 Abs. 3 GG). Die staatliche Ge-

währleistung der Grundrechte ist dabei nicht auf die Abwehr staatlicher Eingriffe und

auf den Schutz gegenüber grundrechtschädigendem Drittverhalten oder sonstiger

Grundrechtsgefährdungen beschränkt.

Hierzu z.B. Pieroth / Schlink, Grundrechte - Staatsrecht II, 24. Aufl., 2008, § 4

Häufig ermöglicht der Staat erst den faktischen Grundrechtsgebrauch. Dadurch

nehmen die Grundrechte den Charakter von Teilhabe- oder gar Leistungsrechten an.

BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70 und 25/71, BVerfGE 33, 303

Die Staatsaufgabe Grundrechtsschutz erfasst die Grundrechte als

• Abwehrrechte

• Schutzrechte

• Teilhaberechte

• Leistungsrechte.

20

Der Grundrechtsschutz hat in Relation auf die Bedeutung des jeweiligen Grundrechts

effektiv zu sein. Effektiver Grundrechtsschutz wird vielfach erst durch entsprechende

organisatorische Regelungen und Verfahrensgestaltungen bei der vollziehenden

Gewalt erreicht,

BVerfG; Beschluss vom 20.12.1979 - 1 BvR 383/77 -, BVerfGE 53,30 (58); ferner Krebs, HStR, a.a.O.

Die Grundrechtsrelevanz von Organisation und Verfahren kann auch bei der Errich-

tung eines ministerialfreien Raums eine maßgebliche Rolle spielen.

Vgl. Dreier, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band II, Art 20 (Demokratie) Rdnr. 116.

Die Ministerialfreiheit darf den effektiven Grundrechtsschutz nicht gefährden. Die mi-

nisterialfreie Datenschutzkontrolle hat im Gegenteil einem effektiveren Grundrechts-

schutz zu dienen.

2. Datenschutz als Grundrechtsschutz

Das Grundgesetz und die Verfassung des Landes Hessen enthalten kein spezielles

Grundrecht auf Datenschutz. Angesichts der mit den technischen Möglichkeiten einer

automatisierten Datenverarbeitung einhergehenden Gefährdungslage hat das Bun-

desverfassungsgericht jedoch den Datenschutz grundrechtlich verortet. Der grund-

rechtliche Datenschutz ist Ausprägung des in der Verfassung verankerten Persön-

lichkeitsrechts, das neben besonders geregelten Garantien (Art. 10 Abs. 1, Art. 13

Abs. 1 GG) Ausdruck fand im Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung so-

wie im Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informations-

technischer Systeme. Im Urteil vom 15, Dezember 1983 verhalf das Bundesverfas-

sungsgericht dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zum Durchbruch. Das

neu benannte Grundrecht gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich

selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestim-

men.

1 BvR 209, 269, 342, 420, 440, 484/83 -, BVerfGE 65, 1, 43; ferner BVerfG Beschluss vom 09.03.1988 -1 BvL 49/8, BVerfGE 78, 77, 84; Beschluss vom 11.06.1991 — 1 BvR 239/90 -, BVerfGE 84, 192, 194; Beschluss vom 12.04.2005 — 2 BvR 1027/32 -, BVerfGE 113, 29, 46; Urteil vom 02.03.2006 2 BvR 2099/04 -, BVerfGE 115, 166, 188; Beschluss vom 04.04.2006 — 1 BvR

21

518/02 -, BVerfGE 115, 320, 341 f.;Urteil vom 13.02 2007 — 1 BvR 421/05 - , BVerfGE 117, 202; Beschluss vom 13.06.2007 — 1 BvR 1550/03, 2357/04, 603/05, BVerfGE 118, 168; Urteil vom 27.02.2008 — 1 BvR 370, 595/07- , BVerfGE 120, 274, 312; Urteil vom 11.03.2008 — 1 BvR 2074/05, 1254/07 -, BVerfGE 120, 378, 397 ff.;, BVerwG Urteil vom 30.04.2008-- 3 C 16.07,- BGH Urteil vom 01.03.2007 — IX ZR 189/05 —, BGHZ 171, 252, 256; Urteil vom. 23.06.2009 — VI ZR 196/08—, NJW 2009, 2888,2891.

Mit dieser Stoßrichtung wurde das Datenschutzgrundrecht in der Folgezeit weiter-

entwickelt und ausdifferenziert. Neben die informationelle Selbststimmung trat das

Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer

Systeme

BVerEGE 120, 274.

Unbeschadet aller Kritik nicht nur aus der Politik, sondern auch im juristischen Fach-

schrifttum

Vgl. zuletzt Gurlit; Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Daten-schutzes, NJW 2010, 1035 ff.

verfolgt das Bundesverfassungsgericht die Linie, alle Schutzlücken beim Daten-

schutz zu schließen.

Über die Entwicklung der Rechtsprechung informieren die Tätigkeitsberichte des HDSB; vg1.35. Tätigkeitsbericht, 2006, S. 21 ff.; 36. Tätigkeitsbericht, 2007, S. 21 ff.;37. Tätigkeitsbericht, 2008, S. 21 ff.

Die intensive Rechtsprechungstätigkeit des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass

es beim Grundrecht auf Datenschutz noch Schutzlücken gibt. Die Effektivität des Da-

tenschutzes lässt sich offenbar noch steigern.

3. Folgerung

Grundrechtlich ist ein effektiver Datenschutz geboten. Die unabhängige Daten-

schutzkontrolle muss so ausgestaltet werden, dass das bisherige Schutzniveau nach

Möglichkeit erhöht wird.

22

C. Lösungsmodelle

1. Prämissen

Nach Ansicht der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder bedarf das

deutsche Datenschutzrecht dringend der Anpassung an die Probleme der Gegen-

wart.

Vgl. Entschließungen der 79. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 17. - 18. März 2010 in Stuttgart: Eckpunktepa-pier: Ein modernes Datenschutzrecht für das 21. Jahrhundert.

Der anstehende „große Wurf" muss aber gründlich vorbereitet werden. Dies erfordert

Zeit, die für die dem EU-Recht konforme, auch von den Datenschutzbeauftragten

geforderte

vgl. Entschließungen der 79. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 17. - 18. März 2010: Effektiver Datenschutz braucht unabhängige Datenschutzkontrolle!

Herstellung einer völlig unabhängigen Datenschutzkontrolle nicht zur Verfügung

steht. Notwendig ist insofern eine vorgeschaltete Lösung, die auch Interimscharakter

haben könnte. Dies hätte den Vorteil, dass übergangsweise (bis zum „großen Wurf")

in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Modelle der Datenschutzkontrolle

konzipiert und in den Wettbewerb um den besten Datenschutz eingebracht werden

könnten, Auf diese Weise ließe sich auch den bisherigen organisatorischen Unter-

schieden Rechnung tragen. Für Hessen, Wiege des Datenschutzes und Daten-

schutzrechts, bietet es sich an, sich an der Rechtsstellung des HDSB zu orientieren,

für die das Verdikt des EuGH nicht gilt.

Die nachstehenden Ausführungen skizzieren die rechtlichen Rahmenbedingungen

für ein hessisches Modell unabhängiger Datenschutzkontrolle auch im privaten

Bereich unter Bezugnahme auf den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion (Drucks.

18/375). Dass dabei der Blick auch über den Tellerrand gerichtet wird und außerhes-

sische Regelungen in die Betrachtung einbezogen werden, versteht sich von selbst.

23

Auf der Grundlage der verschiedenen Datenschutz-Ausgestaltungen in Bund und

Ländern werden die in Betracht kommenden Lösungsmodelle aufgezeigt. Dabei ist

nicht beabsichtigt, in die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit einzugreifen.

Folgende Kriterien sollten jedoch unstreitig auch im Rahmen der gesetzgeberischen

Gestaltungsfreiheit maßgeblich sein:

Erstens:

Die Datenschutzkontrolle im öffentlichen und privaten Bereich muss den vom

EuGH konkretisierten Anforderungen des EU-Rechts an einen Datenschutz in

"völliger Unabhängigkeit" genügen.

Zweitens:

Die Datenschutzkontrolle muss von demokratisch legitimierten, einer effekti-

ven permanenten parlamentarischen Kontrolle unterliegenden, ,Instanzen wahr-

genommen werden.

Drittens:

Durch die Datenschutzkontrolle muss ein möglichst über den bisherigen Stan-

dard hinausgehender effektiver Schutz der Datenschutzgrundrechte gewähr-

leistet sein.

II. Datenschutzkontrollstellen in Deutschland (derzeitige Situation)

Wie dargelegt, genügen nach dem Verständnis des EuGH die deutschen Daten-

schutzkontrollstellen für den nicht-öffentlichen Bereich nicht der Anforderung der völ-

ligen Unabhängigkeit im Sinn von Art. 28 RL 95/46/EG. Stein des Anstoßes ist die

Weisungsabhängigkeit. Dabei ist es unerheblich, ob diese Weisungsgewalt „der Re-

gierung", einem Ministerium, einer nachgeordneten Dienststelle oder einer Dienst-

stelle der Parlamentsverwaltung obliegt. Soll hier Abhilfe geschaffen werden, muss

nicht gleich das gesamte deutsche Datenschutzrecht umgestaltet werden. Vielmehr

kann auf bewährte Regelungen auch in anderen Bundesländern zurückgegriffen

werden.

24

Die Datenschutzkontrollstellen für den öffentlichen und nicht-öffentlichen Bereich

sind bislang in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg, in Mecklenburg-

Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und

Schleswig-Holstein in einer Behörde zusammengefasst. Mit Ausnahme von Bremen

unterliegen dabei alle diese Behörden bislang — zumindest soweit sie die Daten-

schutzkontrolle für den nicht-öffentlichen Bereich ausüben — einer Aufsicht (der

Rechtsaufsicht der „Regierung"; also des Senats, der Landes- bzw. Staatsregierung

in Berlin (§ 33 Abs. 1), Hamburg (§ 22 Abs. 1), Mecklenburg-Vorpommern (§ 33a),

Rheinland-Pfalz (§ 24 Abs. 1) und Sachsen (§ 30a); in Schleswig-Holstein der

Rechtsaufsicht des Innenministeriums (§ 38); in Nordrhein-Westfalen der „Aufsicht"

des Innenministeriums (d.h. Rechts-, Fach- und Dienstaufsicht, § 22 Abs. 6); in Nie-

dersachsen der Fachaufsicht der Landesregierung (§ 22 Abs. 6)).

Vgl. Schaubild Anlage 5

'In den anderen Bundesländern ist die Datenschutzaufsicht für den nicht-öffentlichen

Bereich im Innenministerium angesiedelt (so in Baden-Württemberg, Brandenburg

und im Saarland) oder in Behörden, die in den Aufsichtsstrang der Regierung einge-

gliedert sind (in Bayern das Landesamt für Datenschutzaufsicht, in Hessen das Re-

gierungspräsidium Darmstadt, in Sachsen-Anhalt das Landesverwaltungsamt).

Die Länder verfolgen bei allen Verschiedenheiten im Grund zwei Modelle, das Tren-

nungsmodell und das Kombinationsmodell.

Zu prüfen ist, welches der Modelle den oben aufgeführten Rahmehbedingungen für

die Herstellung einer völlig unabhängigen Datenschutzkontrolle im nicht-öffentlichen

Bereich am besten entspricht.

111. Trennungsmodell

Art. 28 Abs. 1 Satz 1 RL 95/46/EG sieht vor dass „eine oder mehrere öffentliche Stel-

len" („one or more public authorities"; „une ou plusieurs autorites publiques") beauf-

tragt werden, die Umsetzung der Datenschutzregelungen zu überwachen. Mit dieser

Formulierung war zunächst beabsichtigt, den Mitgliedstaaten mit einer föderalen

Struktur gerecht zu werden. Die Trennung der Datenschutzkontrollstellen des, Bun-

25

des und der Länder ist für die Bundesrepublik Deutschland selbstverständlich. Ihre

Zulässigkeit ist auch auf europäischer Ebene unstreitig. Nach dem Wortlaut der

Richtlinie ist nicht vorgegeben, welche Kriterien ein Mitgliedstaat seiner Entschei-

dung zu Grunde legt, eine oder mehrere Kontrollstellen einzurichten. Eine Unter-

scheidung nach sonstigen sachlichen oder funktionalen Teilgebieten ist damit nicht

ausdrücklich ausgeschlossen.

Aus dem Begriff ‚mehrere' ist auch abzuleiten, „dass unterschiedliche Sachbe- reiche verschiedenen Kontrollstellen zugeordnet werden können"; vgl. Eh- mann/Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie. Kurzkommentar, 1999, Art. 28 Rdnr. 2.

Gegen eine Trennung des öffentlichen und nicht-öffentlichen Bereichs bestehen

nach dem Wortlaut von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 RL 95/46/EG keine Bedenken. Bei einer

Beibehaltung der Trennung der Datenschutzkontrollstellen für den öffentlichen und

nicht-öffentlichen Bereich in Hessen wäre zur Umsetzung der Vorgaben des EuGH

eine Veränderung bei der Kontrollstelle für den nicht-öffentlichen Bereich erforderlich.

Wie bereits dargelegt, darf die Stelle nicht der staatlichen Aufsicht unterstellt sein, da

sie nur so das Erfordernis der völligen Unabhängigkeit erfüllt. Auch ihre Leitung

müsste vom Parlament legitimiert werden. Im praktischen Ergebnis müsste die

Rechtsstellung des HDSB - gleichsam spiegelbildlich - verdoppelt werden. Bei-

spielsweise wäre die Berichtspflicht, die im HDSG derzeit noch als der Landesregie-

rung obliegende Pflicht geregelt ist (§ 30 Abs. 2 Satz 2), dieser Behörde aufzuerle-

gen.

Dem vom EuGH geforderten Kriterium der völligen Unabhängigkeit ließe sich auf

diese Weise entsprechen.

Genüge getan wäre auch dem Erfordernis der demokratischen Legitimation.

Zweifelhaft ist allerdings, ob das Trennungsprinzip den Anforderungen eines moder-

nen effektiven Datenschutzes und damit Grundrechtsschutzes noch entspricht. Auch

das europäische Datenschutzrecht ist den Gesichtspunkten der Bürgerfreundlichkeit

und Effektivität verpflichtet

Vgl. Dammann / Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie. Kommentar, 1. Auflage, 1997, Art. 28, Rdnr. 4 zu Art. 28).

26

Die Aufteilung der Datenschutzkontrolle auf verschiedene Behörden trägt nicht zur

Transparenz und damit Bürgerfreundlichkeit bei. Eine nicht unerhebliche Anzahl von

Fragestellungen ergibt sich auch jetzt schon sowohl bei den Datenschutzbeauftrag-

ten als auch bei den Aufsichtsbehörden. Dies gilt nicht nur für die technologischen

Entwicklungen und die Anforderungen an die Datensicherheitsmaßnahmen.

Die Differenzierungen in der Zuständigkeit sind den Bürgern kaum vermittelbar. Vor

allem im Zuge formeller Privatisierungen, die lediglich zu einer Änderung der Rechts-

form des Staatskonzerns, nicht jedoch zu einer materiellen Aufgabenverlagerung der

Staatsaufgaben geführt haben, ist die Abgrenzung des öffentlichen und des nicht-

öffentlichen Bereichs selbst für fachlich vorgebildete Juristen kaum zu bewältigen.

Unüberschaubare Überschneidungen ergeben sich insbesondere auf dem Gebiet der

Daseinsvorsorge. Dadurch entstehen entweder Doppelzuständigkeiten, die wegen

der erforderlichen Unabhängigkeit der , Datenschutzkontrollstellen nicht nach dem

hierarchischen Prinzip ausgeräumt werden können. Oder es entstehen Schutzlü-

cken, die mit einem effektiven Datenschutz unvereinbar sind ,

Für eine Trennung nach funktionalen Gesichtspunkten ließe sich zwar anführen,

dass für den öffentlichen und den nicht-öffentlichen Bereich in Deutschland unter-

schiedliche Formen der Eingriffs- und Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen sind:

(Stellungnahme und Beanstandung gegenüber öffentlichen Stellen, Eingriffe in Form

eines Verwaltungsaktes und Sanktionierung im Rahmen eines Ordnungswidrigkei-

tenverfahrens im nicht-öffentlichen Bereich). Die Sanktionsproblematik gegenüber

Privaten stellt sich aber bei einer Neustrukturierung des privaten Bereichs in gleicher

Weise wie bei einer Verbindung des öffentlichen Bereichs mit dem nicht-öffentlichen

Bereich.

Mit Rücksicht auf die effektive Datenschutzkontrolle sei auch darauf hingewiesen,

dass bei getrennten Kontrollstellen mit einem höheren Mittelbedarf sowohl für die

Verwaltungsaufgaben als auch für das Vorhalten von spezifischem Sachverstand —

nicht nur im technischen Bereich — zu rechnen ist. Die bei Vermeidung des Tren-

nungsmodells eingesparten Mittel könnten zur Effektivitätssteigerung des Daten-

schutzes verwendet werden

27

Abschließend ist noch zu bemerken, dass sich in keinem anderen Mitgliedstaat der

EU das Trennungsmodell durchgesetzt hat.

Vgl. Anlage 6

All dies ändert aber nichts daran, dass zwingende rechtliche Gründe einer Beibehal-

tung des Trennungsmodells in Hessen nicht entgegenstehen, sofern die Daten-

schutzkontrolle für den nicht-öffentlichen Bereich der Datenschutzkontrolle für den

öffentlichen Bereich angeglichen wird.

IV. Kombinationsmodell

Das Kombinationsmodell vereinigt die unabhängige Datenschutzkontrolle im öffentli-

chen Bereich mit der weisungsgebundenen Datenschutzkontrolle im nicht-

öffentlichen Bereich innerhalb einer Behörde bzw. eines „Datenschutzzentrums". Als

Paradebeispiel dient das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz (ULD) des

Landes Schleswig-Holstein.

Diese Konstruktion wird oftmals als Vorbild für andere Bundesländer, nicht zuletzt für

das Land Hessen, propagiert. Da eine Weisungsabhängigkeit in einem behördlichen

Teilbereich die Unabhängigkeit der Kontrollinstanz insgesamt (also nicht nur im

nicht-öffentlichen Bereich) zumindest gefährdet, müsste das ULD von staatlichen

Weisungsrechten völlig freigestellt werden. Ohne in den Zuständigkeitsbereich des

schle'swig-holsteinischen Datenschutzbeauftragten einzudringen, darf die Frage ge-

stellt werden, ob sich das Kombinationsmodell des ULD allein durch punktuelle Strei-

chung der Weisungsabhängigkeit „europafest" machen lässt.

Die Ansicht von Weichert, das Modell Schleswig-Holstein könne durch Weg-fall der Rechtsaufsicht konform mit EU-Recht umgestaltet werden (NJW-aktuell 2010, S. 14) kann nicht ohne Kenntnis ihrer näheren Begründung ge-würdigt werden. Dass in dem Interview nur eine ungeprüfte Behauptung in den Raum gestellt wurde, ist auszuschließen.

In seiner gegenwärtigen Ausgestaltung scheidet das ULD als Vorbild für die gebote-

ne völlig unabhängig Datenschutzkontrolle in Hessen (und anderswo) aus. Nach § 32

28

Abs.1 Schleswig-Holsteinisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Informatio-

nen (Landesdatenschutzgesetz - LDSG) vom 9. Februar 2000

GVBI. Schl.-H. 2000, S. 169

handelt es sich beim ULD nämlich um eine rechtsfähige Anstalt. Nach § 35

Abs. 5 Satzl LDSG Schl.-H. ist der Ministerpräsident Vorgesetzter des Landesbe-

auftragten für Datenschutz. Für die Aufsicht trifft § 38 LDSG Schl.-I-1. folgende Re-

gelung: „Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz nimmt die ihm zuge-

wiesenen Aufgaben in Unabhängigkeit wahr. Es unterliegt der Rechtsaufsicht des

Innenministeriums nur, soweit es die Datenschutzkontrolle im nichtöffentlichen

Bereich durchführt." Eine Beseitigung der Dienstherreneigenschaft des Minister-

präsidenten und vor allem der staatlichen Rechtsaufsicht wäre mit der Organisati-

onsform einer Anstalt schwerlich vereinbar.

Die Anstalt des öffentlichen Rechts ist nach der immer noch gebräuchlichen klas-

sischen Begriffsbestimmung von Otto Mayer

Deutsches Verwaltungsrecht Bd. 2, 3. Aufl., 1924, S. 268

„ein Bestand von Mitteln, sächlicher wie persönlicher, welche in der Hand eines Trä-

gers öffentlicher Verwaltung einem besonderen öffentlichen Zweck dauernd zu die-

nen bestimmt sind."

Auch in der Gegenwart ist der Anstaltsbegriff weit. Er gilt als „Sammelbecken" für

unterschiedliche organisationsrechtliche Erscheinungen und erfasst alle organisatori-

schen Subjekte öffentlicher Verwaltung, die nicht Körperschaften und Stiftungen sind

Kemmler, Die Anstaltslast, 2001,S. 30 f.

Diese organisationsrechtliche Auffangfunktion bedeutet indessen nicht, dass Anstal-

ten rechtlich beliebig organisiert werden könnten. Die Anstalt des öffentlichen Rechts

wird von einem Verwaltungsträger zur Erfüllung einer besonderen Verwaltungsauf-

gabe errichtet. Sie finanziert sich aus dem „Anstaltsvermögen", selbstständigen

Sach- und Personalmitteln; der Träger haftet jedoch für Verbindlichkeiten über dieses

Vermögen hinaus. Die Errichtung und Auflösung einer Anstalt erfolgt durch den Ver-

waltungsträger (Anstaltsherr) durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes. Innerhalb

29

der Anstalt werden die Rechtsverhältnisse durch die Anstaltssatzung geregelt, die

entweder vom Anstaltsherrn oder von den Anstaltsorganen erlassen wird. Im Gegen-

satz zur Körperschaft hat die Anstalt keine Mitglieder, sondern Benutzer.

Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 23 Rdnr. 49 ff.

Ob man die der Datenschutzkontrolle Unterworfenen als Anstaltsnutzer bezeichnen

will, ist eine terminologische Geschmacksfrage. Jedenfalls ist mit Rücksicht auf die

staatliche Anstaltlast eine Anstalt nicht ohne staatliche Rechtsaufsicht möglich. Das

Steuerungsmittel der Aufsicht ist unverzichtbar

Vgl. Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht,13. Auf1.,2005, § 52 Rndr. 16.

Nicht einmal bei einer derart weitgehend unabhängigen Anstalt wie der Filmförderan-

stalt hat der Gesetzgeber auf eine staatliche Aufsicht verzichtet.

§ 19 Gesetz über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Filmför-derungsgesetz - FFG i.d.F. vom 02.04.2004 (BGBl. I S.2277).

Alle Kombinationsmodelle unterliegen dem gleichen . Dilemnia. Bleibt ein Teil der Da-

tenschutzkontrolle in die staatliche Hierarchie eingegliedert, fehlt es insgesamt an

der völligen Unabhängigkeit. Wird die staatliche Hierarchie aufgebrochen, stellt sich

die Frage nach der Zulässigkeit ministerialfreier Räume. In diesem Fall geht es dann

aber nicht mehr um ein Kombinationsmodell. Vielmehr haben wir es mit einem Ein-

heitsmodell zu tun, das den unter 1. aufgeführten Rahmenbedingungen entsprechen

muss.

V. Einheitsmodell

Das dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zugrundeliegende Einheitsmodell fas•st

den öffentlichen und den nicht-öffentlichen Bereich in einer obersten Landesbehörde

(beim HDSB) zusammen. Wenn die Trennung von öffentlichem und nicht-

öffentlichem Bereich aufgehoben werden soll, bietet sich in der Tat eine. Zusammen-

legung der bisher getrennten Datenschutzkontrollstellen an. Dies kann durch Errich-

tung einer neuen einheitlichen Stelle oder durch Eingliederung ("Beitritt") der bisher

für den nicht-öffentlichen Bereich zuständigen Kontrollstelle zur für den öffentlichen

30

Bereich zuständigen Kontrollstelle geschehen. Eine vergleichbare Organisation gibt

es bereits in Bremen. Die dortige Landesbeauftragte für den Datenschutz und die

Informationsfreiheit unterliegt auch im nicht-öffentlichen Bereich keiner Aufsicht. Sie

ist an das Parlament angegliedert und ihm rechenschaftspflichtig.

Vdl. Anlage 7

Wie sich die unter I aufgeführten Rahmenbedingungen auf die Herstellung einer un-

abhängigen Datenschutzkontrolle auswirken, lässt sich nur an Hand von Einzelas-

pekten aufzeigen.

Vorab sind einige Gesichtspunkte hervorzuheben, die für oder gegen das Einheits-

modell sprechen.

Für das Einheitsmodell spricht, dass sich der öffentliche und nicht-öffentliche Bereich

kaum noch klar trennen lassen. Dadurch entstehen Zuständigkeitsnischen, die viel

zu den Datenschutzskandalen der jüngsten Vergangenheit beigetragen haben.

Vgl. hierzu Ronellenfitsch, Datenschutz bei der Bahn, DVBI. 2010, 401 ff.

Zur Behebung von Defiziten im Sozialdaten- und Beschäftigtendatenschutz wird im

Schrifttum die Errichtung einer einheitlichen Datenschutzkontrolle gefordert.

Vgl. Beisenherz / Tinnefeld, Sozialdatenschutz - eine Frage des Beschäftig-tendatenschutzes?, DuD 2010, 221 ff.

Die Konzentration der Datenschutzkompetenz in Hessen beim HDSB hätte den Vor-

teil, dass Synergleeffekte genutzt werden könnten: Abstimmungen zwischen HDSB

und Aufsichtsbehörde sowie Doppelarbeit hinsichtlich gleicher oder ähnlicher Frage-

stellungen (insbesondere in Fragen der Technik, aber z.B. auch bei Themen aus

dem Gesundheits-, Sozial-, Personalwesen oder Banken/Kreditinstituten, Versiche-

rungen betreffend) könnten entfallen. Die Zusammenführung in einer Stelle wäre zu-

dem bürgerfreundlicher, da sie die Abgabe von Vorgängen aus mangelnder Zustän-

digkeit und damit auch die Bearbeitungszeiten von Eingaben erheblich reduzieren

würde (derzeit geschätzt allein zwischen 500 und 1000 schriftliche und in mindestens

gleicher Anzahl telefonische Abgaben vom HDSB an den RP Darmstadt jährlich).

31

In einer einheitlichen Datenschutzkontrollstelle wäre freilich eine noch breitere Palet-

te von datenschutzrelevanten Materien zu bearbeiten. Eine bürgerfreundlichere Ges-

taltung des Datenschutzes könnte die Neigung verstärken, den Datenschutz auch bei

geringfügigen Anlässen in Anspruch zu nehmen. Mit der Kompetenz wächst häufig

die Frequenz der Inanspruchnahmen. Die Datenschutzbediensteten sind durchaus

kompetent, erweiterte Aufgaben zu übernehmen. Da Datenschutz ohnehin eine

Querschnittsmaterie ist, müssen die Beschäftigten der beiden Dienststellen bereits

heute breite Rechts- und Technikfelder abdecken. Die Anforderungen an die Dienst-

kräfte würden sich nicht so wesentlich verändern, dass dies gegen eine Zusammen-

fassung spricht. Die Frage, ob der HDSB die zusätzliche Aufgaben nach Maßgabe

der skizzierten Rahmenbedingungen auch erfüllen kann, lässt sich nur im Rahmen

der Einzelbetrachtung beantworten.

VII. Einzelfragen

Der einheitliche Datenschutz beim HDSB muss:

• weiterhin völlig unabhängig sein

• eine permanente effektive parlamentarische Kontrolle ermöglichen,

• einen effektiven Schutz der Datenschutzgrundrechte als Abwehr-, Teilhabe-

und Leistungsgrundrechte gewährleisten.

Die Beantwortung der zahlreichen Einzelfragen, die sich aus diesen Vorgaben erge-

ben können, erfordert Detailuntersuchungen, die erst sinnvoll durchgeführt werden,

wenn die Entscheidung über die gesetzgeberische Konzeption gefallen ist. Gegen-

wärtig genügen wenige Anmerkungen. Der erste Komplex betrifft die Unabhängigkeit

und parlamentarische Kontrolle des HDSB. Der zweite Komplex betrifft das Außen-

verhältnis des HDSB.

1. Parlamentarische Verantwortlichkeit

Die parlamentarische Verantwortlichkeit der Datenschutzkontrollstellen ist weniger

dem EU-Recht als der deutschen demokratischen Staatsstruktur geschuldet. Der

„Grundsatz der Demokratie" („the principle of democracy", „le principe de därnocra-

fiel gehört zwar nach dem EuGH-Urteil vom 9. März 2010 (Tz. 41) zur Gemein-

schaftsrechtsordnung. Die nähere Ausgestaltung innerhalb der Mitgliedstaaten ist

jedoch dem jeweiligen Mitgliedstaat überlassen. Selbst die Berichtspflicht nach

32

Art. 28 Abs. 5 RL 95/46/EG dient eher dem Transparenzgebot auf EU Ebene - und

damit der Entwicklung einer europäischen Datenschutzkultur - als der Kontrolle der

Datenschutzbehörden durch die nationalen Parlamente. Die Bestimmung kann aber

für eine effektive parlamentarische Kontrolle dienstbar gemacht werden (EuGH-Urteil

Tz. 45). Nach dem EuGH-Urteil steht fest, dass ein Fehlen jeglichen parlamentari-

schen Einflusses auf die Datenschutzkontrollstellen nicht in Betracht kommt (Tz. 43).

Erforderlich ist auf alle Fälle eine parlamentarische Verantwortlichkeit des HDSB, die

beim Einheitsmodell der gewachsenen Aufgabenstellung entsprechen muss. Völlige

Unabhängigkeit und parlamentarische Verantwortlichkeit der Datenschutzkontrollstel-

len schließen sich nicht aus.

Ausgeschlossen ist aber zunächst eine Vermengung der Verantwortlichkeiten.

Unter B 11 wurden die Datenschutzkontrollstellen der Exekutive zugeordnet. Im Inte-

resse der parlamentarischen Legitimität könnte man gleichwohl auf die Idee verfal-

len, die Datenschutzkontrolle unmittelbar einem parlamentarischen Hilfsorgan

(Ausschuss) zu übertragen. Dann würde jedoch nur die ministeriale Abhängigkeit der

Datenschutzkontrollstelle durch eine parlamentarische Abhängigkeit ersetzt. Es blie-

be beim Verstoß gegen EU-Recht. Die Datenschutzkontrolle ist zudem keine parla-

mentarische Hilfstätigkeit. Die Datenschutzkontrollstellen sind funktionell Verwal-

tungsorgane. Die Stellen nach Art. 28 Abs.1 RL 95/46/ EG sind ebenfalls Verwal-

tungsorgane. Andernfalls wäre etwa Art. 28 Abs. 2 RL 95/46/EG obsolet.

Parlamentarische Verantwortlichkeit erfordert jedoch laufende Kontrollmöglichkeiten,

Informationsrechte und Sanktionsmöglichkeiten des Hessischen Landtags bei Fehl-

verhalten des HDSB („Kontrolle der Kontrollierenden"). Hierfür ist Fachkompetenz

erforderlich, die beispielSweise von Abgeordneten. durch Tätigkeit in einem ständigen

parlamentarischen Datenschutzkontrollausschuss erworben und angewandt werden

könnte.

Eine derartige Kontrolle bedeutet aber nicht Einflussnahme auf die konkrete

Sachentscheidung. Auch die Verantwortlichkeit des HDSB gegenüber dem Hessi-

schen Landtag findet ihre Grenzen an der sachlichen Unabhängigkeit des HDSB. Die

Einrichtung einer parlamentarischen außengerichteten Datenschutzkontrollstelle mit

Exekutivbefugnissen und fortbestehender Verantwortung gegenüber dem Hessi-

33

schen Landtag wäre nicht statthaft. Ein sachlich „völlig unabhängiger" Parlamentaus-

schuss würde mit Parlamentsrecht kollidieren.

2. Sachliche Unabhängigkeit

Soll der HDSB völlig unabhängig sein, bzw. bleiben, dann darf er nicht in eine hierar-

chische Ordnung mit dem Hessischen Landtag eingebunden werden. Mitverwal-

tungsrechte des Parlaments (Plenum und Ausschüsse) sind ausgeschlossen. So

kommen Zustimmungs- oder Einvernehmensvorbehalte nicht in Betracht. Der Ge-

setzgeber ist aber selbstverständlich nicht gehindert, durch abstrakt-generelle Rege-

lungen die Kompetenzen der Datenschutzkontrollstelle festzulegen und auf diese

Weise das Kontrollverfahren zu steuern. Auch institutionelle Regelungen und Maß-

nahmen des Hessischen Landtags (Wahl des HDSB) beeinträchtigen dessen Unab-

hängigkeit nicht. Unzulässig wäre nur eine funktionelle Verschränkung. Da der Hes-

sische Landtag und der HDSB unterschiedliche Staatsfunktionen wahrnehmen, ver-

bieten sich sachliche Weisungsbefugnisse des Landtags.

3. Aufsicht

Die Unabhängigkeit des HDSB lässt eine umfassende Staatsaufsicht über die Da-

tenschutzkontrolle nicht zu. Im Wesen der Staatsaufsicht liegt „die Möglichkeit be-

gründet, eine aufzehrende Wirkung zu üben gegenüber jeder Selbständigkeit des

beaufsichtigten Verwaltungskörpers"

(Otto Mayer, a.a.O. S. 394).

Das steht einer Fach- und Rechtsaufsicht entgegen und relativiert die Möglichkeiten

einer Dienstaufsicht des Hessischen Landtags über den HDSB.

Die Fachaufsicht betrifft die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungs-

handelns. Die Aufsichtsgewalt ist hier Ausfluss der Leitungsgewalt und dient der

Lenkung und Koordination nachrangiger Organe.

Die Dienstaufsicht ist eine allgemeine Behördenaufsicht, die die ordnungsgemäße

Ausstattung der nachgeordneten Stellen mit Personal und Sachmitteln gewährleistet;

34

sie umfasst auch die Entscheidungsbefugnisse über dienstrechtliche Angelegenhei-

ten der beschäftigten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen umfasst.

4. Finanzielle und personelle Unabhängigkeit

Nach § 31 Abs. 1 HDSG stellt der Präsident des Landtags dem HDSB die für die Er-

füllung seiner Aufgaben notwendige Sach- und Personalausstattung zur Verfügung.

Das bedeutet praktisch, dass das Parlament über die veranschlagten Mittel ent-

scheidet. Die Veranschlagung selbst erfolgt in einem eigenen Kapitel im Haus-

haltsplan . des Landtags. Dadurch wird verhindert, dass durch den Entzug von Fi-

nanzmitteln in die Unabhängigkeit des HDSB eingegriffen wird.

Vgl. Schild / Ronellenfitsch / Arlt u.a. a.a.O. § 31 Rdnr. 4

Der HDSB ist in das Verfahren der Haushaltsabstimmung frühzeitig eingebunden

und legt einen Haushaltsvorschlag vor, der im Parlament behandelt und beschlossen

wird. Den Einsatz der ihm zugewiesenen finanziellen und personellen Ressourcen

kann der HDSB nach eigener Entscheidung planen. Wie bereits ausgeführt, wird die

Personalausstattung des HDSB vom Präsidenten des Landtags zur Verfügung ge-

stellt und zugewiesen. Das Vorschlagsrecht steht aber dem HDSB zu. Der Land-

tagspräsident kann nur aufgrund von im Wesentlichen formalrechtlichen Erwägungen

auf Personalentscheidungen des HDSB Einfluss nehmen. Auch insoweit ist die Un-

abhängigkeit des HDSB gewahrt. Im nicht-öffentlichen Bereich besteht derzeit keine

selbständige unabhängige Entscheidungsbefugnis der Datenschutzkontrollstelle. Bei

einer Zusammenführung des öffentlichen und nicht-öffentlichen Bereichs müsste ei-

ne Eingliederung in den gemeinsamen Buchungskreis 2010 des Hessischen Land-

tags und des HDSB, den Einzelplan 1 und dort in das eigene Kapitel des HDSB er-

folgen.

5. Eingriffsbefugnisse

Wird dem HDSB die Datenschutzkontrolle über den nicht-öffentlichen Bereich über-

tragen, so gehen die bisherigen Eingriffsbefugnisse aus dem nicht-öffentlichen Be-

reich entsprechend auf den HDSB über. Eine Optimierung der Eingriffsbefugnisse

35

sollte im Zuge der anstehenden Runderneuerung des Hessischen Datenschutzge-

setzes erfolgen.

6. Rechtsschutz

Es versteht sich von selbst, dass außenwirksame Maßnahmen des HDSB im nicht-

öffentlichen Bereich der Rechtskontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit unter-

liegen. Zu den Einzelgesichtspunkten sind noch weitere vertiefende Untersuchungen

erforderlich, die vorliegend aus Zeitgründen nicht angestrengt werden konnten. Ins-

gesamt lässt aber bereits die überschlägige Betrachtung den Befund zu, dass sich

durch eine entsprechende Ausgestaltung des Einheitsmodells die Unabhängigkeit

des Datenschutzes insgesamt herstellen, die parlamentarische Verantwortlichkeit

des HDSB wahren und die Effektivität des Datenschutzes steigern lassen.

D. Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, Drucks. 18/375

1. Begrenzung der Aufgabenstellung

Der HDSB wurde generell zur Erstattung eines Gutachtens zum Gesetzentwurf der

SPD-Fraktion beauftragt. Wie bereits in der Vorbemerkung zum Ausdruck gebracht,

wird dieser Auftrag dahingehend verstanden, dass schwerpunktmäßig eine konzepti-

onelle Würdigung des Gesetzentwurfs erfolgen soll. Der HDSB betrachtet sich nicht

als berufen, politische Bewertungen zu Gesetzesvorhaben vorzunehmen oder gera-

de dem Gesetzgeber Vorschriften für die Formulierung von Vorschriften zu machen.

Wenn anschließend gleichwohl Formulierungsvorschläge unterbreitet werden, findet

dies seine Rechtfertigung in dem weit gefassten Gutachtenauftrag. Die Formulie-

rungsvorschläge sind gleichwohl lediglich als exemplarische Anregungen zu verste-

hen.

II. Konzeption

Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion folgt dem Einheitsprinzip. Vorgeschlagen wird

eine Zusammenführung des öffentlichen und nicht-öffentlichen Datenschutzes unter

der Verantwortung des HDSB. Die Rahmenbedingungen für eine EU-rechtlich gebo-

36

tene, durch nationales Verfassungsrecht begrenzte Novellierung der hessischen Da-

tenschutzorganisation, wie sie vorstehend entwickelt und ausführlich begründet wor-

den sind, werden auf diese Weise erfüllt.

Der Gesetzentwurf entspricht den Vorgaben der RL 95146/EG in der Interpretation

durch den EuGH. Die bereits diesen Vorgaben entsprechende Unabhängigkeit des

HDSB wird durch die Zusammenführung des öffentlichen und nicht-öffentlichen Be-

reichs nicht beeinträchtigt. Vielmehr wird die Unabhängigkeit der Datenschutzkontrol-

le des öffentlichen Bereichs auf den nicht-öffentlichen Bereich übertragen.

Der Entwurf lässt die permanente parlamentarische Kontrolle des HDSB unangetas-

tet und baut sie durch die Einrichtung einer parlamentarischen Datenschutzkommis-

sion noch aus. Damit sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben für einen ministerial-

freien Raum erfüllt.

Durch Synergieeffekte der Datenschutzkontrolle im öffentlichen und nicht-öffentlichen

Bereich erscheinen erhebliche Effektivitätssteigerungen bei der Gewährleistung der

Datenschutzgrundrechte als realistische Möglichkeiten. Die Rahmenbedingungen für

eine partielle Modernisierung des Hessischen Datenschutzrechts sind somit erfüllt.

III. Detailfragen

Gerade mit Rücksicht auf die Erfüllung der erwähnten Rahmenbedingungen besteht

in Detailfragen allerdings noch Ergänzungs- und Gleichstellungsbedarf.

1. Berichtspflicht

Die Berichtspflicht findet sich schon im geltenden Recht. Die RL 95/46/EG legt einen

besonderen Schwerpunkt auf eben diese Berichtspflicht. Daher sollte erwogen wer-

den, ob die Berichtspflicht nicht etwa zeitlich forciert werden kann.

2. Abwahl

Zur Verstärkung der parlamentarischen Verantwortlichkeit des HDSB könnte seine

Abwahl erleichtert werden. Eine über die ministeriale Verantwortlichkeit und die Ab-

37

Berufungsmöglichkeit nach § 21 Abs. 4 HDSG hinausgehende Möglichkeit der Ab-

wahl des HDSB wäre zwar demokratietheoretisch nachvollziehbar, würde aber den

EU-rechtlichen Anforderungen an die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten

nicht entsprechen. Die Abwahlmöglichkeit würde nämlich mittelbar politischen Druck

auf die Amtsführung eröffnen und in der Öffentlichkeit den Eindruck des Wohlverhal-

tens mit Rücksicht auf die Amtsstabilität entstehen lassen. Eine Lösung ähnlich der

Ministeranklage nach Art. 115 Hessische Verfassung erscheint hier sachgerechter.

3. Gesetzliche Regelung

Die Übertragung der Datenschutzkontrolle des nicht-öffentlichen Bereichs auf den

HDSB ist nicht nur ein innerorganisatorischer Akt, sondern ein Systemwechsel. Er-

forderlich ist daher eine gesetzliche Regelung. .

4. Stellung und Aufgabe der Datenschutzkommission

Die Geschäftsordnung des Hessischen Landtags kennt.nur Ausschüsse. Die Daten-

schutzkommission müsste daher (wie die Enquete-Kommission) in der Geschäfts-

ordnung verankert werden.

Unklar ist obendrein, ob und bejahendenfalls in welchen Grenzen der Kommission

Weisungsbefugnisse zukommen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs übt die

Kommission Rechtsaufsicht aus. Dies ist mit der Unabhängigkeit des HDSB nicht

vereinbar. Der Gesetzestext lässt im Übrigen auch eine andere Interpretation zu. Un-

klarheiten sollten aber von vornherein vermieden werden.

38

Empfehlung

Das Land Hessen gilt als die Wiege des Datenschutzes. Das Land könnte wieder die

Vorreiterrolle übernehmen und durch eine sachdienliche Ausgestaltung des Ein-

heitsmodells

• den EU-rechtlichen Vorgaben entsprechen

• den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes entsprechen und

• den effektiven Schutz der Datenschutzgrundrechte verstärken.

Zu diesem Zweck wird eine Zusammenführung des Datenschutzes im öffentlichen

und nicht-öffentlichen Bereich beim HDSB empfohlen.

Wiesbaden, 13. April 2010

Professor Michael Ronellenfitsch

39

c/o Anlage 5

Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen Friedrichstr. 62-80 40217 Düsseldorf Tel. dienst. 0211-871-2580 [email protected]

Gisela Primas Ministerialrätin Referatsleiterin Referat 112 Datenschutzrecht

Eingegangen /43 30. JUNI 2015 in

Erled ' 41/12

An den Vorsitzenden des Ausschusses für inneres und Kommunales Herr Sören Kosanke MdL

Landtag Brandenburg Postfach 601064

1440 Potsdam 29. Juni 2015

Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes, LT-Drucksache 6/613

Ihr Schreiben vom 12. Juni 2015

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

gerne komme ich Ihrer Bitte zu einer Stellungnahme nach.

Sie haben mir dazu die erforderlichen Unterlagen, • den Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung

des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes, LT-Drucksache 6/613, • den Änderungsantrag der CDU-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN zum Gesetzentwurf auf Drucksache 6/613, • den Änderungsantrag der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE zum Ge-

setzentwurf auf Drucksache 6/613 und • die Stellungnahme der Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das

Recht auf Akteneinsicht zum Gesetzentwurf auf Drucksache 6/613,

übersandt.

Unter Einbeziehung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes nehme ich wie folgt Stellung:

Der Gerichtshof der europäischen Union (EuGH) hat in einem Urteil vom 9. März 2010 (C-518107) für Recht erkannt, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtung aus Artikel 28 der Richtlinie 95/46/EG verstoßen hat, indem sie die Kontrollstellen zur Überwachung der Verarbeitung personenbezogener Daten im nicht-öffentlichen Bereich und bei öffentlich-rechtlichen Wettbewerbsunternehmen in

2

.den Bundesländern staatlicher Aufsicht unterstellt hat. Damit habe sie das Erforder-nis einer Aufgabenwahrnehmung „in völliger Unabhängigkeit". falsch umgesetzt. Die-

se Entscheidung hatte Auswirkung für die Datenschutzaufsicht im nicht-öffentlichen Bereich der Länder. Die EU-Kommission verlangte von der Bundesrepublik Deutsch-

land, dass die unverzügliche Umsetzung des Urteils erfolgt (ergibt sich aus Artikel 260 AbSatz 1 AEUV). Somit sind die Länder gehalten, ihre Rechtslage umgehend an die Anforderungen der EG-Datenschutzrichtlinie anzupassen. Anderenfalls hat die EU-Kommission mit Sanktionen gedroht.

Alle Länder stehen in der Verpflichtung, dieses Urteil umzusetzen, wobei die jeweili-

ge Ausgangsrechtslage hinsichtlich der Ausgestaltung der Datenschutzsaufsicht im nicht-öffentlichen Bereich sich voneinander unterscheidet.

Vorbemerkung zum Änderungserfordernis

Die Datenschutzaufsicht in Brandenburg ist auf die Behörde der LDA konzentriert. Ihr obliegt nicht nur die Kontrolle im öffentlichen Bereich, bei dem sie schon immer „un-abhängig und nur dem Gesetz unterworfen" war (Art. 74 Landesverfassung); sie wurde auch zuständige Aufsichtsbehörde für die Privatwirtschaft nach § 38 BDSG.

Auch die EU-Datenschutzrichtlinie, die in Art. 28 eine „Kontrollstelle" regelt, die ihre zugewiesene Aufgabe in „völliger Unabhängigkeit" wahrnimmt, wurde nach herr-schender Meinung sowie nach der Auffassung von Bund und Ländern im Sinne einer „funktionellen Unabhängigkeit" gedeutet. Danach sei es ausreichend, wenn die Kon-trollstellen von dem ihrer Kontrolle unterstellten Bereich unabhängig seien und kei-

nem sachfremden Einfluss unterliegen würden. Zum anderen wurde gegen eine auf-sichtsfreie Datenschutzaufsicht im nicht-öffentlichen Bereich vorgetragen, dass das Demokratieprinzip bei Behörden mit Eingriffsbefugnissen in die Rechte der Bürger und Unternehmen zumindest eine Rechtsaufsicht eines zuständigen Fachministers

verlange, der für dieses Handeln die parlamentarische Verantwortung trage. Legt man diesen Maßstab zugrunde, so entsprach die bisherige Rechtslage nicht nur dem geltenden Verfassungsrecht, sondern auch den europäischen Vorgaben.

Mit dem EuGH-Urteil wird jedoch für Recht erkannt, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtung aus der Richtlinie 95/46/EG verstoßen hat, indem sie die Kontrollstellen zur Überwachung der Verarbeitung personenbezogener Daten im nicht-öffentlichen Bereich und bei öffentlich-rechtlichen Wettbewerbsunter-nehmen in den Bundesländern staatlicher Aufsicht unterstellt und damit das Erfor-dernis einer Aufgabenwahrnehmung „in völliger Unabhängigkeit" falsch umgesetzt

3

hat. Eine mittelbare sowie unmittelbare Beeinflussung des Datenschutzbeauftragten muss ausgeschlossen sein.

Nach eingehender Prüfung der Entscheidung des EuGH im Kreise von Bund und Ländern ist man zu der Einschätzung gekommen, dass angesichts der Entscheidung des EuGH, die sich mit den Vorbehalten von Bund und Ländern hinsichtlich der Wah-rung des , Demokratieprinzips bei einer aufsichtsfreien Kontrollstelle auseinandersetzt, ausnahmsweise ein ministerialfreier Raum vertretbar ist. Zur Rechtfertigung eines solchen ministerialfreien Raumes in diesem konkreten Einzelfall lässt sich der

Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes heranziehen. Die Teil-nahme an der Verwirklichung einer Harmonisierung der Datenschutzaufsicht auf eu-ropäischer Ebene ist ein legitimes und gewichtiges Anliegen.. Der verfassungsrecht-lich geforderte Ausnahmecharakter bleibt dabei noch gewahrt.

Stellungnahme im Einzelnen

1. Die Errichtung eines Amtes und oberste Dienstbehörde § 96 Strafpro- zessordnung für die Mitarbeiter in völliger Unabhängigkeit

Eine Ergänzung der jetzigen Regelung des Brandenburgischen Datenschutzgeset-zes halte ich für erforderlich.

Jedoch birgt die mit dem Regierungsentwurf angestrebte Klarstellung die Gefahr, dass sie bei der EU-Kommission die Frage aufwerfen könnte, ob die völlige Unab-

hängigkeit tatsächlich sicher gestellt ist. Denn in Folge des EuGH-Urteils sind Formu-lierpngen, die eine wie auch immer geartete Aufsicht, selbst die der eingeschränkten Dienstaufsicht, enthalten, problematisch, weil es - europarechtskonform - keinerlei Aufsicht über Datenschutzbeauftragten mehr geben darf.

insofern ist dem Vorschlag der Regierungsfraktionen der Vorzug zu geben; weil er die Unabhängigkeit der LDA absichert.

Allerdings könnte man zu der Einschätzung kommen, dass diese Klarstellung durch

die Begründung relativiert wird. Der Begriff „größere" und insbesondere der letzte Absatz der Begründung bergen die Gefahr, die Gesetzesformulierung nicht als die verlangte „völlige" Unabhängigkeit zu interpretieren.

Ich hielte es für ratsam, die Begründung dahingehend zu ergänzen, dass mit Dienst-aufsicht gemeint ist, dass lediglich in den ihnisid selbst - in Person - betreffenden beamtenrechtlichen Angelegenheiten, z.B. im Zusammenhang mit Fragen des Ver-sorgungsrechts, der (Alters)Teilzeit oder der Zurruhesetzung wegen Dienstunfähig-keit, der Landtagspräsident noch zuständig bleiben soll. Hierbei sollte betont werden, dass allerdings auch diese Bereiche weisungsfrei sind und seine Unabhängigkeit nicht tangieren dürfen. Auch in disziplinarischen Angelegenheiten wird die Ferne zu

4

Regierungsstellen dadurch sichergestellt werden, dass nur der Landtagspräsident zuständig ist.

2. Welche Organisationsform soll die Aufsichtsbehörde erhalten?

Aufwertung der LDA zu einer obersten Landesbehörde.

Diese Lösung begegnet aus unterschiedlichsten Gründen Bedenken. Die Positionie-rung des LDA als oberste Landesbehörde - gleichrangig mit einem Ministeriums oder

dem Landesrechnungshof - scheint auch bei Würdigung der Wichtigkeit des Daten-schutzes im Allgemeinen überhöht. Seine Aufgabenstellung bezieht sich ausschließ-lich auf ein eng begrenztes Sachgebiet als Verwaltungsbehörde, während der LRH als Finanzkontrollbehörde alle Bereiche der Landesregierung und der Landesverwal-tung sowie der Landtagsverwaltung umfasst und im Gegensatz zum LDA auch nicht operativ tätig wird. Der LDA ist dem LRH, dem umfangreiche Kontrollbefugnisse ge-genüber Regierung und Parlament zukommen, somit nicht vergleichbar. Er ist auch mit keinem Minister oder keiner Ministerin vergleichbar, da er weder an die Richtlini-enkompetenz des Ministerpräsidenten gebunden ist, von diesem nicht ernannt oder

entlassen werden kann und auch nicht im Rahmen der Kabinettdisziplin die Mitver-antwortung für Entscheidungen des Kabinetts trägt.

Außerdem bedarf m.E. die Einrichtung einer weiteren obersten Landesbehörde ne-ben den schon in der Verfassung vorgesehenen auch einer Änderung der Verfas-sung in Artikel 74 oder an anderer Stelle.

Ergänzend ist Folgendes zu beachten: Verfassungsdogmatisch gehört die LDA - dies fordert auch nicht die EuGH-Entscheidung - nicht in den Kreis der obersten Landes-behörden, da sie nicht Aufgaben der Staatsleitung wahrnimmt.

In der Hoffnung, dass meine Ausführungen der Entscheidung der Ausschussmitglie-der dienlich sein werden, verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Gisela Primas

Eingegangen

1 JULI 2015Id

Erled ,

Anlage 6 Bayerisches Staatsministerium des

Innern, für Bau und Verkehr

Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr 80524 München ENTWURF

1. Per E-Mail: innenauschuss©landtag.Brandenburg.de

Landtag Brandenburg Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Kommunales Herrn Sören Kosanke

Ihr Zeichen, Ihre Nachricht vorn Unser Zeichen

Bearbeitet München 12.06.2015 IA7 mw

Hr. Will 30.06.2015

Telefon 1 - Fax Zimmer

E-Mail 089 2192-2585 1-12585 OPL 342

[email protected]

Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes, LT-Drucksache 6/613

Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrter Herr Vorsitzender,

herzlichen Dank für die Gelegenheit, gegenüber Ihnen und den Mitgliedern des

Ausschusses für Inneres und Kommunales im Rahmen des schriftlichen

Anhörungsverfahrens zu o.g. Gesetzentwurf und den übermittelten

Änderungsanträgen der Fraktionen der SPD und Der Linken sowie der CDU-

Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Sachverständiger

Stellung nehmen zu dürfen.

Vorab bitte ich um Verständnis, dass die mir in der Kürze der zur Verfügung

stehenden Zeit möglichen Hinweise auf Fragen des Datenschutzrechts beschränkt

bleiben und damit nur eine vorläufige bzw. Sektorale Bewertung anbieten können,

die möglicherweise noch durch andere Gesichtspunkte wie etwa spezifischen

Vorgaben des Landesverfassungs- und -organisationsrechts zu vervollständigen

bleibt.

Bearbeiter: / Entwurf: Reinschrift: zur Pest gegeben: Kopie:

Speicherstelle: /private/var/mobile/Containers/Data/Application/A53E46E7-130 C6-47E18-8E27- 33A1138487E3/Documents/BbG DS G_Stellung nah me_SV_LT.docx

-2

Gegenstand und Ziel der mir vorgelegten Gesetzesinitiativen ist die

unionsrechtskonforme Ausgestaltung der durch Art. 28 Abs. 1 UA. 2 RL 95146 EG

geforderten völligen Unabhängigkeit der datenschutzrechtlichen Kontrollstelle im

Bereich der Dienstaufsicht, die derzeit dem Präsidenten des Landtags

Brandenburg (im Folgenden: der Landtagspräsident) gegenüber der

Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht (im

Folgenden: die Landesbeauftragte ) obliegt.

Unionsrechtliche Rahmenbedingungen

Die in der Stellungnahme der Landesbeauftragten bereits aufgezeigte

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 9. März 2010, Rs. C-

518/07 und Urteil vom 16. Oktober 2012, Rs. C-614110) betont mehrfach, das die

aus Sicht des nationalen Rechts mit vielfachen teils auch verfassungsrechtlichen

Durchbrechungen verbundenen Sonderbedingungen der „völligen

Unabhängigkeit" der Datenschutzkontrollstellen als „autonomes Konzept" des

Unionsrechts zu verstehen sind.

Die konkrete Ausgestaltung und die Detailanforderungen dieses Konzepts des

Primärrechts und der geltenden EG-Datenschutzrichtlinie insbesondere im

Hinblick auf organisations- und statusrechtliche Fragen lassen sich im

Wesentlichen durch einen Vergleich mit den spezifischen Regelungen zur „EU-

Datenschutzkontrollstelle", den Vorgaben der Verordnung 45/2001 über die

Aufgaben und die Rechtsstellung des Europäischen Datenschutzbeauftragten

(insbesondere Art. 44 VO 45/2001). Da beiden Regelungen das selbe Konzept zu

Grunde liege, schlussfolgert der EuGH, „sind beide Bestimmungen homogen

auszulegen" (EuGH-Urteil vom 9. März 2010, Rs. C-518/07, Rn. 28).

Unabhängigkeit auch gegenüber dem Parlament

Die vom EuGH behandelten Fallkonstellationen betreffen bislang allein die

Gewährleistung völliger Unabhängigkeit gegenüber „staatlicher Aufsicht" (explizit

EuGH, a.a.O.., Rn. 31), nicht die in von der Kommission in Brandenburg

problematisierten Verflechtungen zwischen der Landesbeauftragten und dem

Landtag. Allerdings sind die bisher entwickelten Anforderungen des Gerichtshof im

-3-

Ergebnis angesichts ihrer nahezu kategorischen Maßstäbe auch für die hier zu

beurteilenden Konstellationen anwendbar. Kriterien, wie etwa

dass der Ausdruck „in völliger Unabhängigkeit" in Art. 28 Abs. 1 Unterabs.

2 der Richtlinie 95146 dahin auszulegen sei, dass die für den Schutz

personenbezogener Daten zuständigen Kontrollstellen mit einer

Unabhängigkeit ausgestattet sein müssen, die es ihnen ermöglicht, ihre

Aufgaben ohne äußere Einflussnahme wahrzunehmen,sei sie unmittelbar

oder mittelbar (a.a.O., Rn. 30),

dass es nicht genüge, dass die Mitglieder der Kontrollstelle formal „in

Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden"

sind, um diese Kontrollstelle vor jeder äußeren Einflussnahme zu

bewahren (Rs. C-614/10, Rn. 42),

dass die Kontrollstelle vor leder Form der unmittelbaren oder mittelbaren,

zur Steuerung der Entscheidungen der Kontrollstelle geeigneten

Einflussnahme des Bundes oder der Länder sicher sein müsse und nicht

nur vor der Einflussnahme seitens der kontrollierten Einrichtungen (ebd.,

Rn.43 und Rs G-518/07, Rn. 25, 30)

dass die Kontrollstellen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben objektiv und

unparteiisch vorgehen müsse und daher bereits die bloße Gefahr einer

politischen Einflussnahme der Aufsichtsbehörden auf die Entscheidungen

der Kontrollstellen oder Strukturen des „vorauseilenden Gehorsams" als

unzulässige Beeinträchtigung ausreichen sollen (ebd., Rn. 36)

gelten unabhängig davon, ob ein Rechtsverhältnis zwischen der Kontrollstelle und

der Exekutive oder der Legislative beurteilt werden soll.

Ausgenommen bleibt lediglich der Bereich der Judikative, da das Konzept der

völligen Unabhängigkeit weder die allgemeine Gesetzesbindung hoheitlichen

Verwaltungshandelns noch dessen Kontrolle durch die zuständigen Gerichte

ausschließt (ebd., Rn. 42).

-4

Unionsrechtliche Lösungsmodelle zur Dienstaufsicht

Angesichts des vom EuGH postulierten Vorbildcharakters der Regelungen über

den Europäischen Datenschutzbeauftragten sollten als Orientierungsmaßstab für

eine unionsrechtskonforme Ausgestaltung der völligen Unabhängigkeit im Bereich

der Dienstaufsicht die statusrechtlichen Regelungen der VO 4512001

herangezogen werden. Die Regelung über die Ernennung des Europäischen

Datenschutzbeauftragten sehen allerdings nur eine begrenzte Form der

Dienstaufsicht vor, die an hohe materielle Schranken und formal am

Mehrheitsentscheidungen der EU-Organe geknüpfte ist:

Art. 42 Abs. 5 VO 45/2001 lautet:

Der Europäische Datenschutzbeauftragte kann auf Antrag des Europäischen

Parlaments, des Rates oder der Kommission vom Gerichtshof seines Amtes

enthoben oder seiner Ruhegehaltsansprüche oder an ihrer Stelle gewährten

Vergünstigungen für verlustig erklärt werden, wenn er die Voraussetzungen

für die Ausübung seines Amtes nicht mehr erfüllt oder eine schwere

Verfehlung begangen hat.

Weitergehende Regelung für eine allgemeine Dienstaufsicht sind nicht erkennbar.

Die allgemeinen Regelungen des Statuts der Beamten der Europäischen

Gemeinschaften adressieren den Europäischen Datenschutzbeauftragten nur in

der Eigenschaft als Dienstherr bzw. —vorgesetzter der Beschäftigten seiner

Geschäftsstelle (Art. 43 Abs. 6 VO 45/2001), nicht als Bediensteten.

Zu berücksichtigen bleibt indessen, dass die Stellung des Europäischen

Datenschutzbeauftragten auch nach unionsrechtlichen Maßstäben letztlich nicht

als klassisches Beamtenverhältnis im statusrechtlichen Sinne ausgebildet ist, was

deren aus der Perspektive des nationalen Dienstrechts defizitäre oder zumindest

rudimentäre Ausgestaltung erklären würde. Beleg für die atypische Ausgestaltung

des Dienstverhältnisses des Europäischen Datenschutzbeauftragten ist etwa die

Befugnis von Rat, Parlament und Kommission in Art. 43 Abs. 1 VO 45/2001, im

Rahmen einvernehmlicher, nicht normativer Regelungen wesentliche Merkmale

des Dienstverhältnisses wie die Vergütung gesondert festzulegen.

-5-

Unabhängig davon zeigt allerdings der seit dem 24. Juni 2015 zwischen Rat,

Europäischen Parlament (EP) und Kommission im sog. Trilog beratene Vorschlag

für eine Datenschutz-Grundverordnung, dass auch das künftige,unmittelbar

verbindliche europäische Datenschutzrecht Kontrolle und Disziplinarbefugnisse

gegenüber den „Mitgliedern der Aufsichtsbehörden", also den

Datenschutzbeauftragten und ihnen gleichgestellten Funktionsträgern nur eng

begrenzt ermöglichen wird.

Wie bereits die Verordnung 45/2001 trifft der insoweit vom EP in seinem

Standpunkt vom 14. März 2014 unverändert angenommene

Kommissionsvorschlag nur eine Regelung zur Dienstaufsicht bei Verstößen, die

so schwer wiegen, dass sie die Frage nach dem Fortbestand des

Dienstverhältnisses berühren. Der Standpunkt des Rates vom 15. Juni 2015

(Rats-Dok. 9565/15) bestätigt dies dem Grunde nach, schlägt aber vor, an Stelle

von Detailregelungen des Kommissionsvorschlags wie einem Richtervorbehalt

allgemeiner auf das nationale Recht zur Regelung von Einzelheiten des

Amtsenthebungsverfahrens zu verweisen.

6

Art. 48 Abs. 3 und 4 Datenschutz-Grundverordnung lauten daher

gegenübergestellt':

Kommission EP Rat

3. Das Amt eines Mitglieds endet mit Ablauf der Amtszeit, mit seinem Rücktritt oder seiner Enthebung aus dem Amt ge-mäß Absatz 4.

Das Amt eines Mitglieds endet

3. 3

mit Ablauf der Amtszeit, mit

seinem Rücktritt oder seiner

Enthebung aus dem Amt ge-

mäß dem Recht des betroffe-

nen Mitgliedstaats.

4. Ein Mitglied kann vom zustän- digen nationalen Gericht sei-nes Amtes enthoben oder sei-ner Ruhegehaltsansprüche oder an ihrer Stelle gewährten Vergünstigungen für verlustig erklärt werden, wenn es die Voraussetzungen für die Aus-übung seines Amtes nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat.

4. (...)

Lösungsansätze im deutschen Recht

Auch wenn die Regelungen über das Dienstverhältnis des Europäischen

Datenschutzbeauftragten und seine Begrenzungen bislang nicht „1:1" auf die

beamtenrechtlich geprägten Dienstverhältnisse der Datenschutzbeauftragten des

Bundes und der Länder übertragbar waren, finden sich Ansätze zur Nachbildung

dieses Regelungsmodells mit Elementen formaler und materieller

dienstaufsichtlichen Schranken im Bundes- wie auch im Landesrecht:

So gilt für die Bundesbeauftragte für den Datenschutz gern. § 23 Abs. 1

Satz 2 BDSG, dass ihre Entlassung u.a. einen Vorschlag der

Bundesregierung und das Vorliegen von Gründen erfordert, die bei einem

Richter auf Lebenszeit die Entlassung aus dem Dienst rechtfertigen.

Gesamtübersicht unter http://wwwicla.bayern.de/Ida/datenschutzaufsicht/Ida claten/BayLDA Synopse DS-

GVO KOMM-EU-Parlament-Rat 160623TK,pdf

7

Rudimentäre Dienstaufsicht gewährleistet außerdem die Anzeigepflicht

und sowie die Verwendungsbestimmung für Geschenke (§ 23 Abs. 3

BDSG).

- Als Beispiel aus dem Landesrecht kann u.a. das Bayerische

Datenschutzgesetz herangezogen werden, das den Präsidenten des

Landesamtes für Datenschutzaufsicht hinsichtlich der Dienstaufsicht den

selben, richterliche Unabhängigkeit gewährleistenden Regelungen

unterwirft, die auch zum Schutz der Unabhängigkeit des Präsidenten des

Bayerischen Obersten Rechnungshofs bestehen (Art. 35 Abs. 4 Satz 2

BayDSG i.V.m. Art. 5 des Rechnungshofgesetzes).

Schlussfolgerungen für das vorliegende Gesetzgebungsverfahren

Nach dem beschriebenen unionsrechtlichen Verständnis der „völligen

Unabhängigkeit" bleiben bei sämtlichen bislang vorgelegten Vorschlägen noch

Diskussionsbedarf über Nachbesserungen, um eine noch größere Annäherung an

das aus der Rechtssprechung und der aktuellen rechtspolitischen Diskussion

erkennbare Anforderungsprofil für die Gewährleistung der „völligen

Unabhängigkeit" der Datenschutzkontrolle in Brandenburg zu erreichen und

zugleich Kernbestände nationalen Dienstrechts zu bewahren.

Eine weitere Erörterung könnte sich dabei u.a. auf die Fragen richten

- ob die Zuständigkeit zur Dienstaufsicht gegenüber der Landesbeauftragten

statt dem Präsidenten des Landtages einem Kollegialorgan (Präsidium,

Ältestenrat, besonderer Ausschuss) übertragen und dessen

Mehrheitsentscheidungen vorbehalten werden sollte,

- ob materielle Schwellen der Dienstaufsicht etwa nach dem Vorbild des §

23 Abs. 1 Satz 2 BDSG vorgesehen werden sollten, um von vornherein

das Ziel der Dienstaufsicht zu klären,

wie die Grenzen zwischen Dienst- und Fachaufsicht vorsorglich durch

ergänzende Klarstellungen der Unabhängigkeit präzisiert werden können.

Denkbar wäre etwa eine weitere Ergänzung des Landesrechts durch

-8-

Regelungen nach dem Vorbild des Art. 44 Abs. 2 VO 45/2001, der auch im

Vorschlag zur Datenschutz-Grundverordnung aufgegriffen wird (Art. 47

Abs. 2; Art. 44 Abs. 2 VO 45/2001 lautet: „Der Europäische

Datenschutzbeauftragte ersucht in Ausübung seines Amtes niemanden um

Weisung und nimmt keine Weisungen entgegen".)

Zusätzliche Fragen wirft die im Antrag der CDU-Fraktion und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgesehene Umbildung der Landesbeauftragten

zu einer obersten Landesbehörde auf. Zwar erreicht diese Initiative das Ziel,

völlige Unabhängigkeit durch Freistellung von jeglicher externer Dienstaufsicht

zu gewährleisten. Sie geht damit aber soweit erkennbar noch weit über die

unionsrechtlich gebotene Freistellung hinaus, wenn nicht im allgemeinen

brandenburgischen Landesrecht Auffangregelungen Gewähr dafür geben

sollten, dass zumindest grundlegende, z.B. bei Richtern eine Amtsenthebung

rechtfertigende Verfehlungen geahndet werden können, wie dies z.B. im

Bundesrecht datenschutzspezifisch in § 23 Abs. 1 Satz 2 BDSG sichergestellt

wurde.

Weitere Folgefragen ergeben sich aus der mit der Einrichtung als oberster

Landesbehörde verbunden organisatorischen Verselbständigung als solcher

(z.B. der Schaffung innerdienstlicher Strukturen, wie Haushaltsvollzug und

Haushaltskontrolle, Personalverwaltung u.a.). Ob die notwendigen

Ausgleichsmaßnahmen im Rahmen des vorliegenden

Gesetzgebungsverfahrens oder anderweitig getroffen werden sollen, lässt der

Antrag selbst nicht erkennen. Die Klärung dieser Folgefragen bleibt aber

unverzichtbar, um die ebenfalls unionsrechtlich gebotene Effektivität der

Datenschutzkontrolle auch in einem grundlegend veränderten

Organisationsmodell zu gewährleisten zu können.

Sollten sich im Zuge der Beratungen weitere Fragen ergeben, stehe ich Ihnen

gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Will Ministerialrat

Anlage 3-- Eingegangen

Blümke Christian 2, JULI 2815 ii0 Von: [email protected] Eried tta?-( Gesendet: Mittwoch, 1. Juli 2015 19:08 An: Blümke Christian

Cc: [email protected] ; [email protected] ;

[email protected]

Betreff: Schreiben des Vorsitzenden des Ausschusses für Inneres und Kommunales

des Landtages Brandenburg

Anlagen: Einl. Nemitz Anh DatenschG 2015 06 12 13 11 33.pdf; Anlagen 1 - 4_Eini.

Anzuhörende_DatenschutzG.pdf

Sehr geehrter Herr Blümke,

als Reaktion auf das beiliegenden Schreiben des Vorsitzenden des Ausschusses für Inneres und Kommunales des

Landtages Brandenburg kann ich Ihnen auf Grund der Dringlichkeit schon vorab die Haltung der Dienststellen der

Kommission zu einigen Punkten zuleiten.

Die Dienststellen der Kommission werden zudem ein offizielles Schreiben an den Vorsitzenden des Ausschusses für

Inneres und Kommunales des Landtages Brandenburg senden; dieses wird auch in Kopie an die Bundesregierung

geschickt werden, die grundsätzlich der Ansprechpartner der Kommission für alle Vertragsverletzungsverfahren ist.

Mit freundlichen Grüßen

Ursula Scheuer

European Commission

DG Justice and Consumers

UnitJUST.C.3 Data protection

e-mail: [email protected]

Ich nehme Bezug auf Ihr Schreiben vom 12.06.15, in dem Sie uni eine Stellungnahme zu dem o.g. Gesetzentwurf und den Änderungsanträgen bitten.

Wie Sie wissen, ist zurzeit ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland anhängig, das die Umsetzung der Schlussfolgerungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-518/07 zum Gegenstand hat. Die deutschen Behörden sind über den Stand des Verfahrens informiert. In Rahmen dieses Verfahrens gab es auch Schriftverkehr mit dem zuständigen Bundesministerium, in dem die Kommission ihre grundsätzliche Position dargelegt hat.

Die Dienststellen der Kommission vertreten die folgende Ansicht zu diesen Einzelpunkten.

1. Institutionelles Modell für die Datenschutzkontrollstellen

Es steht den Mitgliedstaaten frei, das institutionelle Modell, das ihnen für ihre Kontrollstellen am geeignetsten erscheint, festzulegen und zu ändern. Sie müssen in diesem Rahmen jedoch dafür Sorge tragen, dass die Unabhängigkeit der Kontrollstelle gemäß Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 nicht beeinträchtigt wird (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union, Rs, C-288/12, Kommission ./. Ungarn, ECLI:EU:C:2014:237, Rz. 60).

2. Formulierung des § 22 (4) S. 3 des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes

Der Gesetzgebungsvorschlag sieht vor, so wie auch in mehreren Landesdatenschutzgesetzen anderer Bundesländer, einen Zusatz aufzunehmen, wonach der Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht der Dienstaufsicht des Präsidenten des Landtages untersteht „soweit seine Unabhängigkeit dadurch nicht beeinträchtigt wird."

Diese Formulierung ist an den Wortlaut von § 26 (1) des Deutschen Richtergesetzes angelehnt („(1) Der Richter untersteht einer Dienstaufsicht nur, soweit nicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. '9. Die Dienststellen der Kommission haben einen solchen Wortlaut hinsichtlich dementsprechender Gesetzesänderungen in anderen deutschen Bundesländern als ausreichend akzeptiert. Eine Änderung des vorgeschlagenen Wortlauts, die eine weitergehende Stärkung der Unabhängigkeit zur Folge haben würde - hier "berührt" statt "beeinträchtigt" — ist natürlich möglich und steht im Ermessen des Landesgesetzgebers. Die Frage der möglichen Anpassung des Wortlauts "unterliegt" statt 'untersteht" erscheint den Dienststellen der Kommission rein sprachlicher Natur zu sein.

3. Durchführung von Disziplinarverfahren

In Anbetracht der Rolle der Kontrollstellen als Hüter des Rechts auf Privatsphäre verlangt Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46, dass ihre Entscheidungen, und damit sie selbst, über jeden Verdacht der Parteilichkeit erhaben sind (vgl. Urteil in der Rechtssache C-518107 Kommission ./. Deutschland, Randnr. 36). Wie aus den Randnrn. 49 bis 52 des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-614/10, Kommission .1. Österreich (ECLI:EU:C:2012:631) hervorgeht, ist eine Dienstaufsicht des Staates grundsätzlich nicht mit dem Unabhängigkeitserfordernis in Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 vereinbar, dem die für den Schutz personenbezogener Daten zuständigen Kontrollstellen genügen müssen.

Wie unter 2. erläutert, haben die Dienststellen der Kommission dennoch akzeptiert, dass in etlichen Bundesländern der Landtagspräsident das Recht zur Dienstaufsicht über den Landesdatenschutzbeauftragten hat. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Unabhängigkeit des Landesdatenschutzbeauftragten dadurch nicht beeinträchtigt wird. Aus diesem Grund soll nun auch in Brandenburg gesetzlich vorgesehen werden, dass eine Dienstaufsicht durch den Landtagspräsidenten nur insoweit zulässig ist, als dadurch die Unabhängigkeit des Landesdatenschutzbeauftragten nicht beeinträchtigt wird.

Die Dienststellen der Kommission sind der Meinung, dass ein ausschließlich beim Landtagspräsidenten angesiedeltes Disziplinarverfahren die Unabhängigkeit des Landesdatenschutzbeauftragten beeinträchtigen könnte.

§ 22 (4) S. 7 des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes sieht vor, dass der Landesdatenschutzbeauftragte der Dienstvorgesetzte seiner Mitarbeiter ist.

Nichtsdestotrotz scheint jedoch die Auffassung vertreten zu werden, dass grundsätzlich der Brandenburgische Landtagspräsident die oberste Dienstbehörde sei, mit Ausnahme der Situationen von § 22 (5) des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes. Dies hätte zur Folge, dass auch Disziplinarverfahren von der obersten Dienstbehörde und somit vom Landtagspräsidenten durchgeführt würden.

Die Dienststellen der Kommission regen daher an, eine Formulierung in das Brandenburgische Datenschutzgesetz aufzunehmen, wonach der Landesdatenschutzbeauftragte entweder insgesamt die Rolle als oberste Dienstbehörde erhalten und somit auch mögliche Disziplinarverfahren führen oder die Rolle des Disziplinarvorgesetzten erhalten würde, oder dass er zumindest vor der Eröffnung eines Disziplinarverfahrens seine Zustimmung erteilen müsste. Auf jeden Fall sollte die Gestaltung eines möglichen Disziplinarverfahrens gegen Mitarbeiter des Landesdatenschutzbeauftragten so ausgestaltet sein, dass dadurch dessen Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt würde.

2

Zudem sei an dieser Stelle auf die EU-Datenschutzreform hingewiesen: Die Kommission hat u.a. in Artikel 47 Abs. 6 der Datenschutz-G -rundverordnung vorgeschlagen, dass die Aufsichtsbehörde „über eigenes Personal verfügt, das vom Leiter der Aufsichtsbehörde ernannt wird und ausschließlich seiner Leitung untersteht". Die neuen EU-Datenschutzvorschriften sollen bis Ende 2015 durch die Unionsgesetzgeber angenommen werden.

From: Blümke Christian [mailto:christian.bluemkeelandtag.brandenburg.de] Sent: Monday, June 15, 2015 8:35 AM To: NEMITZ Paul (JUST) Cc: KOMAN Angelika (JUST) Subject: WG: Schreiben des Vorsitzenden des Ausschusses für Inneres und Kommunales des Landtages Brandenburg

Sehr geehrter Herr Nemitz,

das anliegende Schreiben des Vorsitzenden des Ausschusses für Inneres und Kommunales des Landtages Brandenburg übersende ich Ihnen mit der Bitte um Kenntnisnahme.

Mit freundlichen Grüßen i. A. Christian Blümke

Landtag Brandenburg Verwaltung Referat P 2 Alter Markt 1 14467 Potsdam Tel.: 0331 966-1166 Fax: 0331 966-991166 E Mail: [email protected]

3

Anlage 2

Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode

Beschluss

des Ausschuss für Inneres und Kommunales

Beratung des Entwurfes des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform 2019 in den Ausschüssen

des Landtages

Unter Berücksichtigung des Beschlusses vom 17. Dezember 2014 (Drs. 6/24743) sowie unter der

Voraussetzung, dass der Entwurf des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform 2019 (Drs. 6/1788)

dem Ausschuss für Inneres und Kommunales (AIK) zur federführenden Beratung überwiesen wird,

soll nach folgendem Verfahren vorgegangen werden:

1. Der AIK wird sich in seinen Sitzungen ab September 2015 bis März 2016 schwerpunktmäßig mit

den im Leitbildentwurf enthaltenen Vorschlägen zur Aufgabenübertragung (Funktionalreform)

befassen. Hierzu sollen gemeinsam mit den jeweiligen Fachausschüssen Anhörungen

durchgeführt werden. Die vorläufige Reihenfolge ergibt sich aus der Anlage zu diesem Beschluss.

Die mitberatenden Ausschüsse werden gebeten, ihre Fragen und Vorschläge für anzuhörende

Personen spätestens vier Wochen vor der jeweiligen Anhörung dem AIK zu übermitteln. Sie

werden darüber hinaus gebeten innerhalb von sechs Wochen nach der jeweiligen Anhörung ihre

Stellungnahmen an den ALK zu übermitteln.

Die beiden kommunalen Spitzenverbände werden zu allen Anhörungen als Anzuhörende

eingeladen und um Stellungnahmen gebeten.

Der AIK kann weitere Anzuhörende einladen.

2. Im April 2016 wird sich der AIK mit dem Gesamtergebnis der Anhörungen, den Stellungnahmen

der Fachausschüsse und den von der Landesregierung zusammengefassten Ergebnissen des

breiten öffentlichen Dialogs befassen.

3. Im Mai 2016 wird der AIK nach Auswertung der Ergebnisse des öffentlichen Dialogs und der

Prüfung der im Rahmen der Funktionalreform vorgesehenen Aufgabenübertragungen einen

überarbeiteten Leitbildentwurf vorlegen. Zu diesem überarbeiteten Entwurf sollen Vertreter der

Kommunen und die kommunalen Spitzenverbände angehört werden.

Bei diesen Anhörungen sollen weitere Querschnittsthemen, wie z. B. „Personal" und „E-

Government" behandelt werden. Dazu sollen auch die Gewerkschaften, Personalräte und die

Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften und Berufsverbände gehört werden.

Danach erarbeitet der A1K eine Beschlussempfehlung für ein Leitbild für die Plenarsitzung im Juli

2016.

4. Der All< wird sich in dem Zeitraum September 2015 bis Mai 2016 mit weiteren Themen der

Verwaltungsstrukturreform befassen. Hierzu gehören:

a) die sogenannte Funktiona[reform II

b) Finanzen (Entschuldung hoch verschuldeter Kommunen: Modelle, Kosten, Finanzierung;

Ermittlung des benötigten Finanzbedarfs, Ermittlung des notwendigen

Standardanpassungszuschusses, Einmalkosten)

c) Einkreisung (Verbleibende Aufgaben der ehem. kreisfreien Städte als Große Kreisstädte und

Auswirkung auf die Finanzbeziehungen (Kreisumlage) Große Kreisstadt - Landkreis)

d) Kreisgebietsreform (Kriterien der Neuordnung, Mindesteinwohnergrößen, Auswirkungen der

Flächenvergrößerungen, Erwartete Reformdividende)

e) Weiterentwicklung der gemeindlichen Ebene (Stärkung der Ortsteile, Entwicklung einer

Ortsteilverfassung, Rechte der Ortsvorsteherinnen, Stärkung der bürgerschaftlichen

Mitwirkungs- und Entscheidungsmöglichkeiten, Vor- und Nachteile des Mitverwaltungsmodells).

Der AIK kann diese Themen bzw. bestimmte Aspekte dieser Themen

a) im Rahmen der gemeinsamen Anhörungen mit den jeweiligen Fachausschüssen,

b) im Rahmen von noch zu beschließenden Ersatzterminen des AIK im Zeitraum von September

2015 bis April 2016 oder

c) im Rahmen der abschließenden Anhörungen im Mai 2016

behandeln.

Der AIK strebt an, über diese und alle weiteren Verfahrensfragen, die im Zusammenhang mit den

Beratungen des Entwurfes des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform 2019 stehen,

möglichst einvernehmlich zu entscheiden.

5. Das Ministerium für Inneres und Kommunales wird im Rahmen eines ständigen

Tagesordnungspunktes im All< regelmäßig über den aktuellen Sachstand des breiten öffentlichen

Dialoges zum Leitbild berichten.

Begründung:

Die Landesregierung hat dem Landtag ihren Leitbildentwurf für die Verwaltungsstrukturreform 2019

zugeleitet. Der Leitbildentwurf umfasst ein breites Spektrum von Einzelthemen.

Wie bereits im Beschluss des Landtages vom 17. Dezember 2014 (Drs. 6/247-B) vorgesehen, sollen

die mitberatenden Ausschüsse eng in die Arbeit des AIK eingebunden werden.

Da die Funktionalreform wichtige Voraussetzung für die geplante Verwaltungsstrukturreform ist,

sollen die vorgeschlagenen Aufgabenübertragungen parallel zu dem öffentlichen Dialog im AK und

den mitberatenden Ausschüssen behandelt werden. Dazu sollen gemeinsame Anhörungen

durchgeführt werden. Nach Vorlage der Ergebnisse des breiten öffentlichen Dialogs und der

Überarbeitung des Leitbildentwurfs ist allen unmittelbar Reformbetroffenen Gelegenheit zur

Anhörung zu geben.

Danach erarbeitet der All< die Beschlussempfehlung für den Landtag.

Der All< strebt an, die Beschlussempfehlung für das Leitbild der Verwaltungsstrukturreform 2019 zur

Landtagssitzung im Juni 2016 zuzuleiten, so dass der Landtag im Juli 2016 das Leitbild für die

Verwaltungsstrukturreform 2019 beschließen kann.

Anlage

Zeitplan

10. September 2015 Übermittlung ergänzender Themen für die Anhörungen

„vorgeschlagene Aufgabenübertragungen"

8_ Oktober 2015

Anhörung zu vorgeschlagenen Aufgabenübertragungen

in den Bereichen inneres und Kommunales, Recht

und Verbraucherschutz

12. November 2015

Anhörung zu vorgeschlagenen Aufgabenübertragungen

in den Bereichen Ländliche Entwicklung, Umwelt und

Landwirtschaft

10. Dezember 2015

Anhörung zu vorgeschlagenen Aufgabenübertragungen

in den Bereichen Infrastruktur und Landesplanung,

Wirtschaft und Energie

14. Januar 2016

Anhörung zu vorgeschlagenen Aufgabenübertragungen

in den Bereichen Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen

und Familie, Wissenschaft, Forschung und Kultur,

3. März 2016

Anhörung zu vorgeschlagenen Aufgabenübertragungen

in den Bereichen Bildung, Jugend und Sport, Haushalt

und Finanzen

21. April 2016 Beratung Gesamtergebnis der Anhörungen und der

Ergebnisse des breiten öffentlichen Dialogs

Mai 2016 Anhörung aller unmittelbar Reformbetroffenen zum

überarbeiteten Entwurf des Leitbildes

Juni 2016

Einreichung einer Beschlussempfehlung des Ausschuss

für inneres und Kommunales ans Plenum für die

Landtagssitzung im Juli

Juli 2016 Landtagsbeschluss „Leitbild für die

Verwaltungsstrukturreform 2019"


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