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Page 1: kunst-jomakunst-joma.de/Das_magische_Drachentor.pdf · joma – Das magische Drachentor zur Welt von Asgardun Fantastischer Roman kunst-joma-Eigenverlag: Verleger Jochen Mahn kunstjoma48@gmail.com

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Das magische Drachentor

zur Welt von

Asgardun

Fantastischer Roman

Handlung und Personen in diesem Buch sind frei erfunden.Ähnlichkeiten mit realen Begebenheiten und Personen wären reinzufällig und sind nicht beabsichtigt.

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joma – Das magische Drachentor zur Welt von Asgardun

Fantastischer Roman

kunst-joma-Eigenverlag: Verleger Jochen Mahn

[email protected]

www.kunst-joma.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag, Übertragung,Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, kommerzielle Verwendung desInhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicherGenehmigung von Jochen Mahn

Vorwort

Andere mögen das anders sehen, doch vielleicht bin ich eben anders alsandere. Meiner Meinung nach, so wie ich meine Erfahrungen im Lebensammelte, ist jedem Menschen sein ureigensten Weg durchs Leben

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bestimmt. Die Sache hat nur einen kleinen Haken, der Mensch muss ihnfinden. Auch wenn Konfuzius sagt, der Weg ist das Ziel, womit er meinerMeinung durchaus Recht hat, so finde ich doch mein ganz persönlichesZiel nur, wenn ich meinen ureigensten Weg beschreite. Wobei nichtauszuschließen ist, dass egal welchen Weg ich beschreite, er dadurchzu meinem ureigensten Weg wird. Trotzdem erachte ich es alsunwahrscheinlich, dass ein Weg, auf dem sich viele anscheinend zumgleichen Ziel hin bewegen, dass ich dort noch etwas finde kann, dassnur mir bestimmt ist. Es ist einfach mehr als unwahrscheinlich, dass ichdort noch etwas Derartiges finden kann, wenn alles schon vonAbertausenden abgegrast wurde? Doch wenn dem so ist, wie könnte ichglauben dort mein Ziel zu finden? Deshalb prüfe sich jeder wo denn seinZiel liegt, damit er den rechten Weg findet.

Um die Sache noch ein klein weniger komplizierter zu machen, hat derSchöpfer oder wer auch immer dafür zuständig ist, aus diesem einenWeg genaugenommen zwei gemacht. Einmal ist da der offensichtliche,der sichtbare, der reale Weg, der einfache Teil der Aufgabe. Das ist derWeg, auf den wir uns Tag für Tag unserem Lebensziel nähern, demZiel, das allen Menschen bestimmt ist. Doch nebenher, manchmal aufverschlungenen Pfaden, bewegt sich ein zweiter Weg, den ich als denspirituellen Weg bezeichnen möchte, auf dem sich unser Geist, unserKarma bewegt. Im Idealfall verlaufen beide Wege dicht nebeneinanderher, miteinander verwoben, fast verschmolzen, um uns auf wundersameWeise durch alle Stürme und Ereignisse des Lebens zu geleiten. DerVorteil des spirituellen Weges liegt wohl darin, dass er dem Geistwundersame Möglichkeiten eröffnet, die dem Menschen auf dem realenWeg verwehrt bleiben. Wird dieser unsichtbare, geistige Weg nichtdurch Überreizung oder Abstumpfung der Sinne beschädigt, so steht erdem Geist auf eine Weise zur Verfügung, die ich nur fantastisch nennenkann. Das geht soweit, dass wir auf diesem Weg Reisen in fremde,wundersame Welten unternehmen können, auf der wir wundersameWesen treffen und Abenteuer erleben, die uns sonst verschlossenblieben. Am ehesten begegnen Menschen ihrem spirituellen Weg imTraum, warum ich ihn auch gerne den Traumpfad nenne. Jedoch gelingtes nur wenigen Menschen den Traumpfad so zu benutzen, dass sietatsächlich in fremde Welten gelangen. Diejenigen Menschen, denen esaber gelingt, die würde ich als Traumwandler bezeichnen. Doch auch der

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Traumpfad hat seine Tücken. Traumwandler, die beide Wege, denrealen und spirituellen, zu sehr miteinander verknüpfen, könntendurchaus die Orientierung verlieren.

Warum erzähle ich ihnen das alles? Vielleicht weil meine Geschichtegenau von einem solchen Menschen, einem Traumwandler handelt. Oh,im Grunde hat er keine Ahnung, dass er ein Traumwandler ist, dachte erdoch, dass er fest mit beiden Beinen im realen Leben steht. Umsoverwunderter stellte er fest, dass sich, an einem bestimmten Punkt inseinem Leben, Ereignisse um ihn herum abspielten, die jeden Bezug zurRealität vermissen ließen. Spielte ihm sein Geist, seine FantasieStreiche oder machte er gerade Bekanntschaft mit einer etwas andersgearteten Realität

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I Die Erbschaft

Wir nähern uns einer Villa am Rande Berlins, in welcher der ins Altergekommene Ex-Polizist, Jonathan Lucas Mannix, zurückgezogen lebte.Er verbrachte seine Zeit, und davon hatte er viel, hauptsächlich mit derMalerei von phantastischen Bildern. Er hatte sich, aus Gründen, die wirnoch erfahren werden von den Menschen zurückgezogen. Wobei seineZurückgezogenheit soweit ging, dass er sein Haus nicht mal verließ, umEinkaufen zu gehen. Schließlich gab es ja das Internet. Einzig in seinen,von der Außenwelt gut abgeschirmten, Garten begab er sich jeden Tagund das mit einer fast schon unheimlichen Regelmäßigkeit.

Damit wir uns ein klein wenig in Jonathan hineinversetzen können, wie erdenn zu einem solchen Sonderling werden konnte, müssen wir ein wenigauf sein Leben schauen. Vor fünfundzwanzig Jahren traf ihn dasSchicksal wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wobei der Blitzgenaugenommen seine Frau Wanda traf. Gerade noch waren sie beideintim, er hielt sie noch in seinen Armen, als sie urplötzlich verstarb. Wieer hinterher erfuhr hatte ein aufgeplatztes Aneurysma im Kopf ihr Lebenabrupt beendet. Dieses traumatische Erlebnis, aber vor allem denVerlust seiner geliebten Wanda, hatte er trotz Therapie und vielfältigen,eigenen Bemühungen nie wirklich verwunden. Um das Maß seinesLeidens zum Überlaufen zu bringen, starb kurz darauf auch noch seinzweiter Gefährte, sein treuer Boxerrüde Lobo. Als wenn der treue Hundden Verlust seines geliebten Frauchens nicht verkraftete, wurde er krankund starb nach kurzer Zeit. Unter Jonathan, dessen Geist schon aufdünnem Eis wandelte, brach das Eis und er versank in einer allesumfassenden Dunkelheit. Es dauerte lange Zeit und kostete ihn vielKraft, bis er sich wieder aufraffte und hinter seine Staffelei setzte. Dochseine Hoffnung mit dem Malen gegen seine tiefe Depressionanzukommen zerschlug sich. Ihm fehlte nicht nur die Kraft, sondern auchdie Motivation, wodurch etwas, dass er zum Malen immer brauchte,ausblieb, seine Inspiration. Das äußerte sich indem er stundenlang vorder Staffelei saß und auf die weiße Leinwand starrte, nicht fähig auchnur einen Pinselstrich zu machen. Wer wundert sich da, dass er auchnicht mehr die Kraft aufbrachte, um seinem Beruf nachzugehen. Dielogische Konsequenz war, dass er vorzeitig in den Ruhestand versetztwurde.

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So wandelte er weiter in tiefer Depression, bis ihn eines Tages eineleise Stimme ansprach. Irgendwie klang sie wie die Stimme seinerverstorbenen Frau, die ihn leise, aber umso bestimmter aufforderteendlich seine düsteren Gedanken mit Pinsel und Farbe auf die Leinwandzu bannen. Obwohl an dem Pinsel Gewichte zu hängen schienen, gabihm die Stimme die nötige Kraft, die Sache in Angriff zu nehmen. Einemersten, zaghaften Pinselstrich folgten ein zweiter und ein dritter, langsamversank er in seiner Arbeit, so dass es ihm sogar entging, wie dielähmenden Gewichte verschwanden. Wie viel Zeit vergangen war, als erden Pinsel weglegte, wusste er nicht, im Grunde war es ihm auch egal.Ein Blick auf die Leinwand sagte ihm jedoch, dass er etwas von derDüsternis, die seinen Geist befallen hatte, auf die Leinwand gebannthatte. So entstanden mit der Zeit viele düstere Bilder, vongeschundenen Welten und gequälten Kreaturen. Bilder, die denBetrachter, gäbe es denn welche, bestimmt abschreckt hätten. Dochihm war, als wenn er damit all die bösen Geister, die ihn verfolgten, ausseinem Kopf auf die Leinwand verbannte. Zugegeben, auch er konntesich eines Schauers beim Betrachten der Bilder nicht erwehren, docham Ende fühlte er sich wie befreit.

So hätte die Geschichte endlos weitergehen können, doch das Schicksalschien etwas anderes mit Jonathan vorzuhaben. Das gleiche Schicksal,das ihn zuerst in tiefe Depressionen stürzte, sorgte letztendlich dafür,dass er ein erfolgreicher Kunstmaler wurde. Natürlich spielten dabeiZufall und Glück eine wesentliche Rolle oder war es doch Vorsehung?Jonathan jedenfalls war später fest davon überzeugt, dass dasSchicksal genau diesen Weg für ihn vorgesehen hatte.

Auf anraten seines Therapeuten besuchte er eine Selbsthilfegruppe, woer einen Mann kennenlernte, den das Schicksal ebenfalls gebeutelthatte. Er hatte Frau und Tochter bei einem tragischen Verkehrsunfallverloren, bei dem er überlebte. Während der Gruppentherapie sprachJonathan des Öfteren von seinen Bildern, worauf der Mann plötzlich einungewöhnliches Interesse an ihm bekundete. Erst als der Mann ihmerklärte, dass er Gallerist sei, der sich von Berufswegen mit dem Verkaufvon Gemälden befasste, verstand Jonathan dessen Interesse. Plötzlichhatten sie ein gemeinsames Gesprächsthema, dass sich nicht nur um

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ihre tragischen Schicksalsschläge drehte. Dank dieser Gemeinsamkeitkamen sie sich nun näher.

Ben, der Galerist, ein Mann, den man durchaus mit einem Ertrinkendenvergleichen konnte, sah in Jonathans Bekanntschaft die Gelegenheitwieder in seine alt vertraute Rolle als Galerist zu schlüpfen. Endlicherinnerte er sich wieder daran wie gut ihm die Arbeit als Galerist immergetan hatte und das er eine Menge Menschen kannte, die seinemKunstverstand vertrauten. Plötzlich witterte er seine Chance, ähnlicheinem Ertrinkenden, der durch Zufall wieder an die Wasseroberflächegelangte, etwas zu packen bekam, was ihn oben hielt, wieder einen Teilseines alten Lebens zurückzubekommen. Sein Lebensmut erwachte, erstürzte sich auf Jonathans Bilder und nahm die alten Kontakte wiederauf.

Getreu seinem Naturell, hegte Jonathan selbst keine großenErwartungen, was den Erfolg der Ausstellung betraf. Weshalb auch, erhatte alles was er zum Leben brauchte und die Bilder malte er sowiesonur sich selbst. Umso überraschter war er, dass die Vernissage einvoller Erfolg wurde. Eine Eintagsfliege dachte Jonathan oder eineSchwalbe macht noch keinen Sommer. Doch Ben, endlich wieder inseinem Element, ließ weiter seine Verbindungen spielen und so folgtebald eine weitere Ausstellung in einer anderen Stadt. Als wenn dasGlücksrad der Fortuna beide aus den Tiefen in die Höhen befördernwollte, blieb ihnen der Erfolg treu. Dieser Erfolg, aber vor allem dasDrumherum war für die Beiden die beste Medizin gegen ihreDepressionen. Nachdem Ben einmal Blut geleckt hatte, war er nichtmehr zu bremsen und er organisierte eine Ausstellung in San Francisco.Diese Ausstellung bescherte ihnen dann den internationalenDurchbruch auf dem Kunstmarkt.

Zuerst war Jonathan peinlich berührt wie viel Geld sein Freund Ben fürseine Bilder verlangte, doch als ihm jener die Möglichkeiten aufzeigte,die sich daraus ergaben, nahm es Jonathan hin wie ein Mann. Zuersterwarb Jonathan das Grundstück mit bewusster Villa, in der er zurzeitlebte. Als nächstes erfüllte er sich einen lang gehegten Traum, der sichim Laufe der Zeit entwickelte, in der er sich mit Zen befasste. Um denVerkauf seiner Bilder musste er sich nicht kümmern, also packte er seineKoffer, flog nach Japan, um sich für ein Vierteljahr ins Zen-Kloster Antaiji

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zurückzuziehen. Die Umgebung, die Meditation unter Anleitung derMönche, aber vor allem die innere Ruhe, die er dort fand, zeigten ihmseinen nächsten Schritt. Denn irgendwann sagte ihm seine innereStimme, dass er sich nach China begeben sollte, um dort das ShaolinKloster zu besuchen.

Seine Abwesenheit von zuhause dauerte dann aber viel länger alsgeplant. Am Ende waren zwei Jahre vergangen, als Jonathan dieehrwürdigen Mauern des Klosters Richtung Heimat verließ. Seine Zeit imKloster hatte ihm eine tiefe Freundschaft zu seinem Meister, demShaolin Mönch, Li Shao Xiang beschert. Auch gewann Jonathan hier dieEinsicht, dass auch Zen kein absolutes Allheilmittel gegen die Unbill desLebens war. Dafür hatte er begriffen, dass er seinen eigenen Wegdurchs Leben finden musste, um ihn dann aufrecht und ohne zuschwanken zu begehen. Letztendlich gewann er daraus die Erkenntnis,dass es an der Zeit war, seine Zelte im Shaolin Kloster abzubrechen undnach Hause zurückzukehren.

Diese seine Erkenntnis und den daraus entstandenen Entschluss, teilteer dann seinem Meister mit. Hatte er mit Zurechtweisung oderUnverständnis gerechnet, so erlebte er eine große Überraschung.

„Jonathan, ich habe gewusst, dass du die richtigen Erkenntnisse aus denLehren ziehen würdest. Wenn du jetzt der Ansicht bist, dein Weg führtdich wieder nach Hause, dann ist es die richtige Entscheidung. Und zudem, das Zen die Lösung aller Probleme kennt, kennst du meineMeinung zur Genüge: Es gibt immer drei Wahrheiten, meine, deine unddie Wahrheit. Was nichts Anderes heißt, niemand ist im Besitz derWahrheit, kein Zen Meister und auch kein Buddha. Aber mal etwasanderes, ich würde dich gern begleiten.“

Jonathan war von diesem Angebot genauso überrascht wie erfreut undda ihm viel an Li’s Freundschaft lag, nahm er das Angebot sofort an.Endlich wieder daheim, stellte Jonathan mit Erstaunen fest, dass seinKontostand während seiner Abwesenheit so sehr angewachsen war,dass es ihn fast schon beschämte. Aber die Welt war nun mal so undwer war er, das ändern zu wollen. Zum einen konnte er mit dem GeldGutes tun, zum anderen hatte er eine Idee. Sofort erinnerte er sich andas Verkaufsschild, welches in der Einfahrt zum benachbarten

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Hammergrundstück stand. Dort, in einem verwilderten Garten, fristete einverfallenes Haus so eine Art Dornröschen-Schlaf.

Kurz entschlossen traf Jonathan zwei weitgreifende Entscheidungen.Das Nachbargrundstück wurde gekauft und seine eigene Villa wurde imInneren total umgestaltet. Im Erdgeschoss des Hauses entstand eingroßer Übungssaal für Tai Chi und chinesische Kampfkünste. Später, beider Begehung seines nun vergrößerten Grundstückes, reifte der Plan inihm, sich einen Zen Garten zuzulegen. In der Zeit, in welcher der Abrissdes baufälligen Hauses und umfangreiche Erdarbeiten stattfanden,arbeitete er mit Li an einem Plan, um dem Zen-Garten noch ein paarneue Elemente hinzuzufügen. Zu den traditionellen Elementen Stein,Moos, Wasser und Bäume, war in Jonathan die Vorstellung gereift, erkonnte es vor seinem inneren Augen sogar sehen, dass ein paarjapanische Elemente dem Garten seine persönliche Note geben würde.Jonathan hoffte, dass es dem Garten-Architekten gelang, trotz seinerungewöhnlichen Vorgaben, einen Garten der Ruhe und Besinnung zuerschaffen.

Die nötigen Arbeiten dauerten ein halbes Jahr, danach war zwar seinBankkonto leergeräumt, doch dass scherte Jonathan wenig. Als ihnender Gartenarchitekt sein vollendetes Werk zur Begutachteten vorstellte,waren Jonathan und Li von dem, was er geschaffen hatte, tiefbeeindruckt. Wobei sich Jonathan des Umstandes voll bewusst war,dass er dieses Wunderwerk der Gartengestaltung zum großen Teil Liverdankte. Denn ohne Li’s Beziehungen hätte er nie bewusstenjapanischen Gartenarchitekten für diese Arbeit gewinnen können.

Was für ein himmlischer Moment, als sie den Garten betraten, um ihngenauer in Augenschein zu nehmen. Leise knirschten die kleinen Steineunter ihren Schuhsohlen, als sie das Kiesbett betraten, das direkt hinterdem Haus begann. Hinter dem Kiesbett, das von fünf bemoosten Felseneingerahmt wurde, fiel ihr Blick auf einen kleinen Teich, dem sich einHügel anschloss. Auf der Kuppe des Hügels stand der Quellstein, ausdem das Bächlein sprudelte, welches sich über Kaskaden als Wasserfallin den Teich ergoss. Neben dem Quellstein thronte der Pavillon derBesinnung, von dem man einen vollendeten Blick über die gesamteAnlage besaß. Links und rechts der Kaskaden wuchs niedriger Bambus,

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während der Rest des Hügels mit grünem Gras bedeckt war. Einzig eineZierkirsche unterbrach die freie Fläche.

Von nun an begann jeder Tag mit einem stillen Spaziergang durch denGarten mit anschließender Tai Chi Übung auf der Wiese. Es folgte einschmales Frühstück, um anschließend chinesischen Kampfsport zupraktizieren. War es ein Wunder, dass sich Jonathan immer mehr indiese Oase der Stille und Harmonie zurückzog? War es verwunderlich,dass die Zen-Übungen, unter Anleitung seines Meisters Li, dazu führten,dass er sich immer mehr von der Welt außerhalb seinerGrundstücksmauern abkapselte? Einzig, der widerhergestellte Kontaktzu seiner Tochter, stellte eine letzte Verbindung zur Außenwelt dar.

Das intensive Training mit Meister Li führte dazu, dass Jonathan imLaufe der Zeit einen hohen Grad an Fertigkeit der inneren Kampfkünsteerreichte. Die viele Zeit, die sie miteinander verbrachten führte dazu,dass sich ihre Freundschaft immer mehr vertiefte. Das ging soweit, dasssie nicht viel sagen mussten, der andere verstand allein durch eineGeste, durch einen Blick. Am Ende war es mehr Seelenverwandtschaftals Freundschaft.

Die Jahre vergingen in einem ruhigen, aber trotzdem sehr ausgefülltenLeben. Wobei Jonathans Freund Li diesen Umstand bestimmt etwasanders beschrieben hätte, etwa wie, die Zeit sickerte aus ihren Poren.Einzig Jonathan bemerkte nicht wie die Zeit verging. Doch dann geschahetwas, dass Jonathan daran erinnerte, dass eben auch hier, in seinerabgeschiedenen Welt, das Leben nichts anderes als Leben war.Vollkommen überraschend konfrontierte ihn sein Freund Li damit, dassder Zeitpunkt gekommen sei, wo er ihn verlassen müsste. EineNachricht, die Jonathans vollkommen unvorbereitet traf, die dazuangetan war, seine inzwischen fast wieder heile Welt ins Wanken zubringen.

Alles fing damit an, dass er wieder einmal mit seinem Freund, an einemschönen Spätherbsttag, durch den Garten wandelte.

„Freund Jonathan, ich muss dir eine betrübliche Mitteilung machen, - ichmuss dich verlassen“, wobei Li‘s Gesicht nichts anzumerken war, da erdie gleiche Gelassenheit an den Tag legte, die Jonathan von Anfang anbei ihm so bewunderte.

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Dafür zeichnete sich Jonathans Fassungslosigkeit deutlich auf seinemGesicht ab, zu sehr schockierte in diese unerwartete Mitteilung. Wie einedunkle Wolke schien sich diese Mitteilung über ihm zusammen zubrauen. Ihm war, als wenn sich in diesem Moment sein schöner Gartenzu verdunkeln schien.

„Aber Meister Li, was ist geschehen, dass ihr einen solchen Entschlussfasst? Ich kann durchaus verstehen, dass es Dinge gibt, die du ohnemich erledigen möchtest. Erledige sie und komme zurück, mein Haussteht dir immer offen, das weißt du doch“, versuchte Jonathan seinenFreund sofort umzustimmen.

Auch Li war nur ein Mensch, schließlich war Jonathan nicht nur seinlangjähriger Schüler, sondern wurde ihm zum Freund, zumSeelenverwandten und so konnte oder wollte er ein trauriges Lächeln,dass nun seine Mundwinkel umspielte, nicht unterdrücken.

„Wenn das so einfach wäre, Freund Jonathan.“

„Li, sag mir doch einfach was du benötigst und ich stelle dir mein ganzesVermögen zur Verfügung. Wenn es sein muss verkaufe ich das Haus“,ließ Jonathan keinen Zweifel daran aufkommen, dass ihm dieFreundschaft, die Nähe zu Li mehr bedeutete als all sein Habe. Plötzlichblieb er stehen und sah seinen Freund fast flehentlich an. „Wir sind dochFreunde? Also schlage mein Angebot bitte nicht aus.“

„Jonathan, es tut mir leid, aber du hast mich nicht richtig verstanden, ichwerde nicht nur dich, ich werde diese Welt verlassen. Sag jetzt nichtsmein Freund. Ich weiß es schon seit längerer Zeit und bin bereit. Mirbleibt noch genug Zeit, um nach China zu reisen.“

Jonathan wankte, als wenn er mit dem Knüppel einen kräftigenSchlagvor den Kopf erhalten hatte. „Wann?“, wisperten seine zitterndenLippen.

„Morgen“, kam es ruhig und bestimmt zurück.

Jonathan ließ resigniert die Schultern sinken und blickte hilflos zumHimmel.

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„Aber ich bin noch nicht bereit dich ziehen zu lassen, gibt es denn keinenAusweg Li?“

Längst hatte Li seinen Gleichmut widererlangt und schüttelte mitBestimmtheit den Kopf.

„Jonathan, Jonathan, du machst mich traurig. Sollten alle Übungen undGespräche so nutzlos gewesen sein? Du solltest doch meine Ansichtenüber Leben und Tod kennen und ich dachte du teilst sie. Aber vor allemsollten wir dankbar sein, dass wir uns kennenlernten und eine solchwundervolle Zeit miteinander verbringen durften.“

Jonathan schaute seinen Meister schuldbewusst an.

„Aber ihr werdet mir fehlen und schon allein der Gedanke daranschmerzt.“

„Kopf hoch Jonathan, in der Meditation und in deinen Übungen werde ichimmer bei dir sein, vielleicht sogar näher, als es je zuvor der Fall war.Nehmen wir das Leben an, so sollten wir auch den Tod annehmen, dennauch er ist nur ein Aspekt des Lebens.“

Li legte seine Hand auf Jonathans Schulter und als wenn einegeheimnisvolle Kraft von seiner Hand in Jonathans Körper floss, fandJonathan seine Fassung wieder.

„Meister lass uns den Tag so beenden, wie all die Tage zuvor endeten,so, als wenn es nur diesen Tag gäbe“, sprach Jonathan mitwiedergewonnener, fester Stimme.

Als Jonathan am nächsten Tag aufstand, fand er das Haus verlassenvor. Sein Freund Li war verschwunden, jedoch nicht ohne einAbschiedsgeschenk mit ein paar Zeilen zu hinterlassen. In seinemArbeitszimmer auf dem Tisch lagen zwei wundervoll gearbeiteteSamurai-Schwerter, sogenannte Zwillinge, ein Kurz- und einLangschwert. Daneben auf dem Zettel stand nur eine Zeile: keineSchneeflocke fällt jemals auf den falschen Platz.

Blicklos starrte Jonathan die Wand an, wusste er doch, dass ihm derSpruch und noch weniger die Schwerter Trost spenden konnten. In dennächsten Stunden wandelte Jonathan auf einem schmalen Grat, am

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Rande zum Abgrund, mit Namen Depression. Doch dann erinnerte ersich an die Worte seines Meisters, riss sich zusammen und begab sichmit den neuen Schwertern in den Übungssaal. Nach einer eingehendenMeditation vollzog er die inneren Kampfkünste mit den Schwertern,wobei er gegen einen imaginären Gegner zu kämpfen schien. Und ohWunder, plötzlich spürte er den Geist seines Meisters, fast so, als wenner persönlich anwesend war. Diese Erkenntnis beflügelte ihn und sostellte er jeden Tag, immer auf die gleiche Weise, eben mit Zen-Meditation und den entsprechenden Übungen der inneren Kampfkünste,Kontakt zu seinem Meister her. Schlussendlich bewahrte ihn das davorwieder in die alte Depression zu verfallen.

Eines Tages, als er nach seiner morgendlichen Meditation beimRasieren in den Spiegel schaute, kam es ihm so vor, als wenn er in einfremdes Gesicht blickte, ein Gesicht, das er zum ersten Mal sah. Esdauerte nicht lange und ihm fiel ein passender Koan ein: „Beschreibedein Gesicht, bevor du von deinen Eltern in die Welt gesetzt wurdest.“

Darauf schien es keine Antwort zu geben und er gab die Frage einfachan sein Spiegelbild weiter. Nichts Ungewöhnliches, denn Jonathansprach schon seit geraumer Zeit laut mit sich selbst.

„Hallo Fremder, kannst du mir vielleicht weiterhelfen? Kennst du meinGesicht, bevor mich meine Eltern in die Welt setzten? Nein! Dachte ichmir doch, aber vielleicht kannst du mir wenigstens sagen, was ich hiermache?“

„Lass mich einen Augenblick überlegen“, antwortete sein Spiegelbild,„wenn mich nicht alles täuscht rasierst du dich.“

„Stell dich nicht so an, du Spaßvogel, denn das meine ich doch nicht.Was tue ich noch auf dieser Welt, was gibt es für einen Grund, dass ichnoch atme? Also was mache ich hier? Verstehst du meine Frage jetzt?“,wobei er das Einschäumen seines Gesichts nicht unterbrach.

Sein Gegenüber hüllte sich jedoch erst mal in Schweigen oder sann ernur über die Frage nach? Dessen ungeachtet huschte ein graubraunerSchatten an Jonathans Kleidung hoch, um es sich auf seiner Schulterbequem zu machen.

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„Ha“, machte das Spiegelbild, „vielleicht, weil du dich um Caligulakümmern musst? Der kleine Geselle wäre doch ohne dichaufgeschmissen.“

Jonathan betrachte die zahme Hausratte mit Namen Caligula, die sichgerade auf seiner Schulter aufrichtete, um sich mit den kleinenVorderpfoten die Schnurrhaare zu putzten.

„Calli, wie oft soll ich es dir noch sagen, beim Rasieren hast du aufmeiner Schulter nichts verloren. Du könntest das Gleichgewichtverlieren, gegen mein Rasiermesser stürzen und mir so das Messer inden Hals rammen.“ Einen Augenblick sinnierte Jonathan, um dann vollÜberzeugung fortzufahren, „ja, du hast recht, um mich wäre es nichtschade. Wer würde mich schon vermissen, außer vielleicht meineEnkelin Lily. Aber wer würde dir die Futterbüchsen öffnen, damit dudeine leckere Mahlzeit bekommst? Wer würde dir Genick und Öhrchenkraulen? Du verstehst, was ich meine?“

„Jonathan, Jonathan“, griff das Spiegelbild wieder in den Dialog ein. „Dasdu mit dir selber sprichst, dass kenne ich, das ist schlimm genug, dochnun erwartest du doch tatsächlich eine Antwort von einem nichtsprechenden Tier.“

Jonathan starrte sein Spiegelbild böse an.

„Du bist ja nur neidisch, weil dich irgendein böser Zauber in den Spiegelverbannt hat und dort festhält. Du bist in ihm für alle Zeit eingesperrt undmusst die meiste Zeit auch noch allein verbringen, jedenfalls sobald ichhier fertig bin.“

Jonathan schien sich seiner Überlegenheit voll bewusst, denn er streckteseinem Gegenüber die Zunge heraus. Anschließend nahm er aus einerSchachtel auf der Ablage unter dem Spiegel einen Keks, um ihn auf denBoden fallen zu lassen. Darauf schien Caligula nur gewartet zu haben,kein Wunder, denn es war ein Ritual, das sich jeden Morgen wiederholte.Blitzschnell kletterte der kleine Nager an Jonathan herunter, um sich seinmorgendliches Leckerli zu holen. Währenddessen schabte Jonathangekonnt mit dem Rasiermesser Schaum und Stoppeln aus dem Gesicht.Dabei nutzte er jede Gelegenheit um Grimassen zu schneiden, nur umplötzlich ziemlich ernst in den Spiegel zu blicken.

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„Genieße lieber jede Minuten, die ich mit dir verbringe, anstatt an mirherumzunörgeln. Oder wäre es dir lieber, wenn ich mit dem Messerabrutsche und unseren Dialog ein für alle Mal beende?“, zischte erseinem Spiegelbild durch fast geschlossene Lippen zu.

Doch längst hatte sich sein Spiegelbild schmollend zurückgezogen.Gerade hatte Jonathan seine Rasur beendet, als es an der Haustürklingelte. Jonathan erwartete niemanden und so sah er keinen Grund zurEile. Doch der Besucher schien ihn zu kennen, denn hartnäckig betätigteer weiter die Klingel. Leicht brummig öffnete Jonathan die Haustür undblickte in das unverschämt, grinsende Gesicht des Postboten, das so garnicht zu dessen folgenden Worten passen wollte.

„Tut mir wirklich schrecklich leid Herr Mannix, dass ich ihre Ruhe undEinsamkeit unterbrechen musste, aber ich brauche ihre Unterschrift“,dabei wedelte er mit einem Briefumschlag vor Jonathans Nase herum.„Sollte ihnen das zu viel sein, dann benötige ich eine Generalvollmacht,die mir erlaubt auch Einschreiben einfach in ihren Briefkasten zu werfen.“

„Schon gut, schon gut“, erwiderte Jonathan leicht genervt, ob derStörung und dem unverschämten Benehmens des Briefträgers, „wo sollich unterschreiben?“, beendete er den Redefluss des dreisten,aufdringlichen Postillions. Widerwillig setzte er seinen Kringel auf dashingehaltene elektronische Gerät, um dann den Brief in Empfang zunehmen.

„Das nächste Mal werde ich nicht so lange Klingeln und warten, da werfeich ihnen einfach nur die diesbezügliche Benachrichtigung in denBriefkasten. Dann hätten sie einen Grund ihren Bau verlassen zumüssen, um den Einschreibbrief von der Post abzuholen. Schlagartigwürden die Gerüchte in der Nachbarschaft verstummen, dass sieverstorben sind“, unternahm der Briefträger einen erneuten Versuch mitdem, von allen Anwohnern der Nachbarschaft, als merkwürdiger Kauzverschrienen Mann ins Gespräch zu kommen.

Denn immer wieder musste er sich von den Leuten die verrücktestenGeschichten über den menschenscheuen Jonathan Mannix anhören.Gerüchte die nur einen Grund hatten, niemand wusste genaueres überdiesen Mann. Da seine Gemälde nur unter dem Pseudonym „joma“

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ausgestellt und verkauft wurden, hatten die Nachbarn keine Ahnungdavon, dass eine gewisse Berühmtheit in ihrer Nähe wohnte.

„Menschen, Menschen, wen interessieren denn Menschen“, grummelteJonathan leise vor sich hin und schloss die Tür. Trotzdem hörte er nochdie letzten Worte des Briefträgers.

„Ich werde ihren Nachbarn trotzdem berichten, dass sie noch wohlaufsind und auf eine ungewöhnliche Weise sogar ganz nett sein können.“

Unverschämter Kerl, dachte Jonathan noch, dann kam es ihm wieder inden Sinn, dass ihn niemand aus der näheren Umgebung vermissenwürde, jedenfalls seit seine Tochter mit der Enkelin in eine andere Stadtgezogen war. Scheidung und berufliche Gründe zwangen sie dazu under fand, dass er nicht das Recht besaß sie zum Bleiben zu bewegen. Alser in der Wohnküche am Tisch saß und appetitlos an einem Toastknabberte, fiel sein Blick auf den gegenüberliegenden Platz, wo Caligulasein Schnäuzchen tief in den Futternapf steckte und mit viel Appetit fraß.

Seine Gedanken gingen zu seiner Tochter und seiner Enkelin, die ernicht oft sah, was vor allem an der räumlichen Trennung lag. Amstärksten verzehrte in die Sehnsucht nach seiner Enkelin Lily, die seinerverstorbenen Frau wie aus dem Gesicht geschnitten war. Über all seineGedanken hatte er vollkommen den Brief vergessen, doch nun sah erihn auf dem Tisch liegen, dort wo er ihn zuvor hingelegt hatte.Nachdenklich nahm Jonathan den Umschlag in die Hand, drehte ihnherum, wobei er mit krauser Stirn den Absender registrierte. Fast sah esso aus, als wenn er überlegte, ob er ihn überhaupt öffnen sollte. DerBrief kam aus England und weckte Erinnerungen an eine kurze Episodeaus der Vergangenheit.

Vor einiger Zeit er dort einen Mäzen und Kunstsammler auf seinemAnwesen in der Nähe von Credenhill im Herefordshire. Bei diesemAufenthalt lernte er auch dessen Buttler Henry kennen und schätzen.Damals machte er ihm das Angebot in seine Dienste zu treten, was jenerjedoch freundlich ablehnte, wobei er zum Ausdruck brachte, dass er inseiner jetzigen Stellung sehr zufrieden sei. Nun hielt Jonathan genau vondiesem Henry einen Brief in seiner Hand. Nachdenklich öffnete er dasBriefcouvert und zog den Briefbogen heraus. Zuerst langsam, dannflogen seine alten, müden Augen immer schneller über die Zeilen. Als er

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am Ende des Briefes angekommen war, fing er wieder von vorne an,denn was dort geschrieben stand, ergab für ihn eigentlich keinen Sinn.

Henry, bewusster Buttler, kam ohne Umschweife gleich zum Kern seinesAnliegens. Sein alter, kranker Herr war gestorben und hatte Jonathan alsAlleinerben eingesetzt. Ganz nebenbei erwähnte Henry, dass er nunbereit sei, in Jonathans Dienste zu treten, falls jener sein Domizil in demalten Herrenhaus derer von Wullingham aufschlagen würde.

Jonathans Hand, die den Brief hielt, sank kraftlos in seinen Schoß undsein leerer Blick verlor sich im Raum. Wenn er ehrlich zu sich war, dannmusste er sich eingestehen, dass er keinen Grund wusste, warum erseine alten Wurzeln nochmals verpflanzen sollte. Doch just in demMoment erschien Caligula auf dem Plan, riss ihm den Brief aus derHand, sprang vom Tisch und rannte mit dem Papier durchs Haus. DieHatz endete vor einer Abstellkammer im ersten Stock, wo Jonathan sichbückte, um den Brief vom Boden aufzuheben, wobei er unwillig den Kopfschüttelte.

„Calli, was soll denn der Quatsch?“ Fast hatte seine Hand dasSchriftstück erreicht, als die Ratte mit seinen Zähnen das Papierwegzupfte.

„Willst du mir irgendetwas sagen? Schade das du nicht sprechenkannst.“

Jonathan lebte zwar zurückgezogen und weltfremd in selbstauferlegterEinsamkeit, doch er war nicht auf den Kopf gefallen und außerdemschien er einen siebten Sinn für Tiere zu besitzen. Als er sich aufrichteteblickte er auf eine Tür, die Tür zu einer Abstellkammer. Nachdenklichdrückte er die Türklinke herunter. Kaum war die Tür einen Spalt geöffnet,da huschte Caligula hinein, den Brief immer noch im Mäulchen haltend.Erst als Jonathan den Lichtschalter betätigte, sah er Calli, der vor einemlange nicht mehr benutzten großen Reisekoffer saß.

„Wer meinst du, wer du bist, dass du glaubst, du könntest mir Ratschlägeerteilen? Schau doch mal in den Spiegel, dann wirst du feststellen, dassdu eine Ratte bist. Zugegebener Maßen eine recht gescheite. Ach so,und deshalb soll ich dir vertrauen? Du meinst also ernsthaft, wir sollten

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den Schritt wagen und nach England reisen? Du bist ja noch verrückterals ich, Caligula.“

Nach diesem ungewöhnlichen Ereignis, dass ihm seine zahme RatteCaligula bescherte, las Jonathan erneut den Brief. Vermutlich gaben dieabschließenden, persönlichen Worte von Henry den Ausschlag, dennJonathan wurde ganz warm ums Herz. Die Zeilen weckten Erinnerungenan Zeiten, wo er noch Freunde und Partner besaß. Einerseits, eingewagter Schritt, andererseits, was hielt ihn hier? Man konnte auchsagen, was hatte er zu verlieren? Egal, was er den Tag über unternahm,der Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Langsam aber sicher nahm derEntschluss Konturen an, Henry einen Besuch abzustatten und die Dingeeinfach auf sich zukommen zu lassen. Euphorisch wachte er amnächsten Morgen auf, die dunklen Gedanken, die ihn üblicher Weisenach dem Aufstehen aufsuchten, schienen wie weggeblasen. Gegen alleGewohnheit begab er sich sofort nach dem Frühstück in seinArbeitszimmer, um einen Antwortbrief abzufassen, in dem er seinKommen ankündigte.

Vierzehn Tage später stieg er mit leichtem Gepäck und Caligula in einerledernen Trage-Box, die wie eine Doktortasche wirkte, in den Zug, ummit ihm durch den Euro-Tunnel nach England zu gelangen. Mit der Bahnging es weiter bis nach Hereford wo ihn Henry erwartete. Nach einerkurzen, etwas förmlichen Begrüßung, bat Henry seinen Gast vor denBahnhof, wo ein alter Rolls-Royce auf sie wartete. Auf der Fahrt zumDomizil derer von Wullingham, bei einem ersten Informationsaustausch,erfuhr Jonathan auch, auf etwas spaßhafte Weise, dass das alteKraftfahrzeug ihm so gut wie gehörte, er müsste nur die Erbschaftantreten. Ansonsten hielt sich Henry mit Worten zurück, so wie es sichfür einen englischen Buttler gehörte.

Also machte es sich Jonathan bequem, lehnte sich zurück und genossdie Fahrt. Aus dem Fenster blickend registrierte er dabei das frischeMaiengrün der Landschaft. Als er gerade in einen Zustand desTräumens verfallen wollte, brachte ihn das Knirschen von Kieselsteinenin die Realität zurück. Das Ende der Fahrt kündigte sich auf diese Weisean, denn sie befuhren gerade die Zufahrt zum herrschaftlichen Anwesen,das ihm per Zufall in den Schoß fallen sollte. Ein Blick auf das Anwesenweckte alte Erinnerungen, aber vor allem die Erkenntnis, dass das

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Gemäuer, aus grauem Naturstein, mit seinen beiden Türmen, eher wieein kleines Schloss wirkte. Mit Erschrecken bemerkte er, dass sich ander Vorfahrt alle Bediensteten versammelt hatten, um ihn zu begrüßen.Ihm blieb gerade noch so viel Zeit sich zu sammeln, um nicht vorÜberraschung zusammenzuschrecken, da schlug ihm schon aus vielenMündern ihr Willkommensgruß entgegen: „Herzlich Willkommen aufWullingham-Castle, Sir“.

Darauf war Jonathan nicht vorbereitet, doch Henry rettete die Situation,indem er ihm die Bediensteten der Reihe nach vorstellte. Da lächelte ihnSelma die Köchin freundlich an, Sally das Zimmermädchen schlugverlegen die Augen nieder, dagegen blickten ihn Will der Gärtner,Robert, der eigentliche Kraftfahrer und Benny der Stall- undPferdeknecht zwar freundlich aber reserviert entgegen. Nur eineFranzösische Bulldogge hielt sich nicht an die Etikette, tanzte einfachaus der Reihe. Ohne aufgefordert zu werden, begab sich der Hund zuJonathan und schnüffelte neugierig an dessen Tasche herum. Geradewollte Henry den Hund zurechtweisen, als sich Jonathan hinkniete undden Hund zwischen den Fledermausohren kraulte.

„Hallo, du kleiner, kräftiger Bursche, kannst wohl deine Neugier nichtzügeln? Kein Wunder, du hast wohl mit deiner feinen Nase meinenkleinen Begleiter gerochen. So wie ich das sehe, wirst du ihn sicherlichbald besser kennenlernen“, flüsterte er dem Hund ins Ohr. Als er sichwieder aufrichtete fügte er noch in Henrys Richtung hinzu, „davon standgar nichts in ihrem Brief, dass es hier einen solch tollen Hund gibt, siehstja fast wie ein kleiner Boxer aus.“

Da sich Jonathan nochmals dem kleinen Hund zuwandte, bekam erHenrys leicht verstörten Gesichtsausdruck nicht mit. Was Jonathanjedoch nicht entging, auch wenn er es nur aus den Augenwinkeln sah,war die Handbewegung mit der Henry die Bediensteten wieder zu ihrergewohnten Arbeit entließ. Das war nicht ganz in Jonathans Sinn, alsowandte er sich ihnen zu und gebot ihnen mit einer Armbewegung zubleiben, um dann das Wort an sie zu richten.

„Entschuldigen sie bitte mein Versäumnis, mich nicht bei ihnen für ihrenherzlichen Empfang sogleich bedankt zu haben. Ich war auf einensolchen Empfang nicht vorbereitet, vielen Dank dafür. Gleichzeitig

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möchte ich meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass wir n uns in dernächsten Zeit näher kennenlernen werden. Nochmals vielen Dank füralles." Henry wartete noch einen Augenblick und als er sicher war, dassJonathan dem nichts mehr hinzufügen wollte, entließ er dieVersammelten mit einer leichten Bewegung seiner rechten Hand. DieAngestellten verstanden diesen Wink sofort, nur der Hund fühlte sichnicht angesprochen. Er hatte seine eigene Entscheidung getroffen. Mitaufdringlichen, treuen Augen blickte er Jonathan an, bis dieser seinenBlick erwiderte. Es dauerte nicht lange und ein wehmütiges Lächelnzeichnete sich auf Jonathans Gesicht ab. Sicher lag das daran, dass dietreuen Hundeaugen Jonathan daran erinnerten, dass ihn sein Loboimmer so ähnlich angesehen hatte wenn er etwas wollte.

„Wie heißt der Hund eigentlich?“, wandte sich Jonathan an Henry.

Zuerst traf ihn nur ein unverständlicher Blick von Henry, doch gleichdarauf öffnete sich dessen Mund, „ Bombastic Bob IV.“

„So, so, Bombastic Bob und auch noch der IV. Wenn ich ehrlich seindarf, Henry, das klingt mir ein wenig zu bombastisch. Ich glaube, ichwerde ihn Bomba nennen und hoffe“, bei seinen Worten ging Jonathanin die Hocke, „dass wir Freunde werden. An mir soll es jedenfalls nichtliegen“, dabei streichelte seine Hand gedankenverloren den Hund, derihm den Eindruck vermittelte, jedes Wort zu verstehen.

„Sir, einen kleinen Imbiss oder wollen sie sich zuerst ein wenig frischmachen und ausruhen?“ sprach ihn Henry leise und dezent von derSeite an, während seine Augen sorgenvoll auf der angesprochenenPerson ruhten.

„Sehe ich wirklich so mitgenommen aus? Vermutlich, denn ich fühle michauch so und würde mich gerne erst einmal ein Stündchen hinlegen“,gestand Jonathan.

Während sich die beiden Männer auf den Weg zum Haus begaben, gabder Hund seine abwartende, sitzende Haltung nicht auf. Nur seineAugen verfolgten aufmerksam den sympathischen Neuankömmling.

„Na los, komm schon Bomba oder wie wollen wir uns näherkennenlernen, wenn du da sitzen bleibst?“, forderte Jonathan denabwartenden Hund auf. Plötzlich fiel Jonathan etwas ein und blickte

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erschrocken auf Henry, „oder ist es vielleicht nicht recht, wenn der Hundmit ins Haus kommt?“

Henry blieb stehen und ein Schmunzeln überzog sein Gesicht.

„Wenn ich es recht überlege, dann ist das Haus fast schon ihr Eigentum,und somit bestimmen sie wer hinein darf und wer nicht.“

Verdattert nahm Jonathan die Bemerkung Henrys zur Kenntnis. „Daranmuss ich mich erst noch gewöhnen, ich hoffe dabei auf ihre Geduld undUnterstützung.“

„Was immer ich tun kann, um ihnen das Leben so angenehm wiemöglich zu gestalten und sie zu überzeugen hier bei uns zu bleiben“,wobei sein Gesicht schon wieder den nichtssagenden Ausdruck einesButtlers angenommen hatte.

Im Schlafzimmer angekommen stellte Jonathan die Tier-Box aufs Bettund öffnete sie. Anschließend half ihm Henry aus der Jacke, gleichdarauf setzte sich Jonathan auf die Bettkannte und ließ sich einfachzurückfallen. Ohne zu fragen zog ihm Henry die Schuhe aus und halfauch dabei Jonathans Körper weiter aufs Bett zu schieben.

„Soll ich den Hund mit hinausnehmen?“, hörte Jonathan noch den Buttlerfragen.

Ein leises, kaum noch vernehmliches „Nein“ dann war der Besuchereingeschlafen. Nach einem kurzer, aber trotzdem erholsamen Schlaf,öffnet Jonathan noch leicht schläfrig die Augen, wobei er in Gedankennoch bei seinem Traum war Er träumte von einer Burg, von Rittern,Knappen und Hofdamen und das Seltsamste daran, eine von ihnen warseine verstorbene Frau Wanda. Ihr ging es gut, sie war fröhlich undscherzte mit anderen Hofdamen herum, wobei es natürlich um die Ritterging, die sich auf einem Turnier maßen.

Langsam richtete sich Jonathan auf und ließ seinen Blick im Zimmerumherschweifen. Sein Blick blieb an Bomba hängen, der auf einem Fellneben dem Bett lag. Nach weiterer, intensiver Suche entdeckte er auchCaligula, dessen langer, nackter Schwanz unter einem Kissen hervorlugte.

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„Ich hoffe ihr Beiden hattet einen ebenso schönen Traum wie ich?“Natürlich erwartete und bekam Jonathan keine Antwort, doch der Hundhob den Kopf und Caligula kam unter dem Kissen hervorgekrochen.

„Also Bomba, keine Ahnung was du bisher durftest. Doch wenn wir unteruns sind, also, wenn keiner etwas davon mitbekommt, dann glaube ich,dass das Bett groß genug für uns drei ist. - Verstehst du was ich meine?“

Der Hund hatte sich inzwischen hingesetzt, ansonsten zeigte er keineReaktion.

„Nun stell dich nicht so an!“ Jonathan klopfte mit der Hand neben sichaufs Bett, doch erst sein folgendes „Hoppchen“ überzeugte Bombadavon, dass er im Bett willkommen war.

„Also Bomba, wird Zeit, dass du meinen kleinen Freund Callikennenlernst. Aber sag bitte nie Calli zu ihm, dass darf nur ich, ermöchte Caligula genannt werden. Denn ob du es glaubst oder nicht,einer seiner Vorfahren war mal eine große Nummer im Hause diesesrömischen Kaisers“

So als wenn Bomba erst jetzt diesen kleinen Wicht wahrgenommenhatte, näherte sich seine Nase vorsichtig dem unbekannten Tierchen.Caligula seinerseits, dem Angst vollkommen fremd zu sein schien,richtete sich auf und blickte dem unbekannten, für ihn riesigen Wesenneugierig entgegen. Am Ende war es eine Begegnung auf Nasenhöhe,bei der sie feststellten, dass die Chemie zu stimmen schien. Bombaverlor jedoch schnell das Interesse an Caligula, kuschelte sich anJonathans Seite ein und genoss die anschließenden Streicheleinheiten.

Als es wenig später an der Tür klopfte zeigte Bomba, dass er einschlaues Kerlchen war. Mit einem blitzschnellen Sprung verließ er dasBett und lag wieder auf dem Fell, bevor sich die Tür öffnete. Henryschaute durch den Türspalt herein, und zuckte erschrocken zusammen,als er die Ratte auf Jonathans Schulter gewahrte.

„Henry, lassen sie sich nicht von meinen kleinen Begleiter erschrecken.Caligula ist wohlerzogen und bleibt sowieso immer in meiner Nähe.“

Die Tür öffnete sich ganz und Jonathan konnte erkennen, dass derButtler ein Tablett auf einer Hand trug.

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„Eine Tasse Tee und ein wenig Gebäck“, und schon stand das Tablettneben Jonathan. Henry steckte ihm noch zwei Kissen in den Rücken, sodass Jonathan bequem im Sitzen Essen und Trinken konnte.

„Das Bad ist angerichtet und frische Sachen liegen ebenfalls bereit“,schien Henry die Wünsche seines neuen Herrn zu erahnen. „Danachwerde ich sie durchs Haus führen und ihnen alles zeigen.“

Während Jonathan zustimmend nickte, ließ er, fast hätte man glaubenkönnen, dass es unabsichtlich geschah, einen Keks herunterfallen.Obwohl der Keks direkt vor Bomba auf den Boden fiel, machte jenerkeinerlei Anstalten, darüber herzufallen.

„Du bist wirklich ein wohlerzogener Hund, darum erlaube ich dir auch,dass du den Keks fressen darfst.“

Als wenn der Hund jedes Wort von Jonathan verstand, machte er einenlangen Hals, schnüffelte kurz an dem Keks und schon verschwand es inseinem Maul. Henry machte zwar ein etwas unglückliches Gesicht,verkniff sich aber jeden Kommentar. Natürlich bemerkte Jonathan dieReaktion seines Buttlers und das wiederum veranlasste ihn zu einerErklärung.

„Henry, ich kann nicht anders und wenn ich sagen würde, dass es mirleid tut, dann wäre es gelogen. Es ist zwar schon lange her, doch dieErinnerungen an meinen Hund, so etwas Ähnliches wie Bomba, nur einpaar Nummern größer, einen Boxer, sind noch immer nicht verblasst.Der treue Lobo starb kurz nach meiner Frau, vermutlich an gebrochenemHerzen. Leider brachte ich nie mehr die Kraft auf mich erneut auf einesolche Partnerschaft einzulassen. Was jedoch anscheinend keinenEinfluss auf meine Hundeverliebtheit hat. Darum möchte ich sie umetwas Nachsicht bitten. Sollte ich jedoch zu sehr über die Strängeschlagen, dann sagen sie es mir ruhig.“

Henry nickte verstehend. „Ich, wir alle, werden uns daran gewöhnen,dass wir jetzt einen kleinen Kronprinzen haben.“

„Henry, Henry, wie sie die Dinge auf den Punkt bringen,außergewöhnlich, wirklich außergewöhnlich“, schien Jonathan sichtlichbeeindruckt vom Wesen des Buttlers.

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„Doch nun zu einem anderen Thema. Ich benötige ein Katzenklo fürmeine Hausratte, jedenfalls bis der große Käfig für ihn mit meinenanderen Sachen eintrifft. Nicht das Caligula einen Käfig bräuchte, er folgtmir auf Schritt und Tritt und reagiert auf den Ruf dieser Pfeife“, zurErklärung zog Jonathan ein silbernes Pfeifchen aus seinemHemdausschnitt. Ein kurzer Pfiff und Caligula kam wieder unter demKissen hervor, unter dem er sich versteckte, als Henry das Zimmerbetrat. Staunend, aber auch eine wenig befremdet, verfolgte Henry wiedie possierliche Ratte über Jonathans Rücken auf die Schulter kletterte,um dann von seinem Herrn und Meister ein Stück Keks zu bekommen.Auf der Schulter sitzend, richtete die Ratte sich auf, hielt den Keks mitseinen Vorderpfötchen fest und nagte mit den großen Vorderzähnendran herum.

Eine Stunde später führte Henry seinen zukünftigen Herrn durchs Haus,wobei Haus dem Gebäude nicht wirklich gerecht wurde. Es war derherrschaftliche Sitz der Barone von Wullingham, alles andere kam einerUntertreibung gleich. Trotzdem hielt sich Jonathans Interesse inGrenzen, was wohl daran lag, dass das Ganze für ihngewöhnungsbedürftig war. Das alles war schlichtweg eine Nummer zugroß für ihn. Obwohl Jonathan sich bemühte, sich diesen Umstand nichtanmerken zu lassen, entging es Henry nicht. Doch er wusste Abhilfe. Alser Jonathan schnell an einer unscheinbaren Tür vorbeiführte, wecktegenau dieses Verhalten Jonathans Interesse und sein Blick wurdewacher.

„Diese Tür, wohin führt sie?“, vermutete Jonathan ein dunkles Geheimnisdes Hauses.

Henry spielte das Spiel mit, blieb erschrocken stehen und tat so, alswenn er sich bei etwas Verbotenem ertappt fühlte.

„Zu den Verliesen und der Folterkammer“, erklärte er todernst, nur umschnell abzuwinken, als er Jonathans entsetzten Gesichtsausdruckbemerkte. „Ein kleines Späßchen meinerseits, Sir. In den Kellernbefindet sich nichts Aufregendes, Vorratsräume, der Heizungsraum undÄhnliches, wird nicht mal alles genutzt“, konnte sich Henry ein leichtesSchmunzeln nicht verkneifen.

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Obwohl Jonathan dem Scherz von Henry aufgesessen war, musste erdoch lachen.

„Hätte ich ihnen gar nicht zugetraut, mich so zu veräppeln. Macht siegleich menschlicher, sie wirken sonst eher distinguiert, na eben so, wiesich der Deutsche einen britischen Buttler vorstellt. Nein, ihr Scherz warwirklich gut, ich bin ihnen doch tatsächlich auf den Leim gegangen.“

„Ich würde ihnen gerne noch die Ahnengallerie von Lord Wullingham imersten Stock zeigen“, wechselte Henry ohne erkennbare Gefühlsregungdas Thema.

Von der großen Eingangshalle führte eine kunstvoll verzierte Holztreppein den ersten Stock zu einem Rundgang. Dort an den Wänden hingendie Bilder der Ahnen, der Lords von Wullingham. Henry verstand sichdarauf die Sache interessant zu gestalten, denn er würzte die Schau mitentsprechenden geschichtlichen Informationen. Am Ende wackelteJonathan beeindruckt mit dem Kopf.

„Da kann ich natürlich nicht mithalten, ich kenne meine Linie gerade biszu meinen Großeltern und das waren eher ganz normale Menschen.Doch viel mehr interessiert mich, warum Sir Edward gerade mich alsErben eingesetzt hat?“

Henry nickte verstehend und wechselte die Gehrichtung.

„Wenn sie mir folgen würden, Sir. Um das Rätsel zu lüften, müssen wiruns in den westlichen Turm begeben. Dort befindet sich eine ganzbesondere Kammer, an deren Wänden jene vier Bilder hängen, die derLord von ihnen dereinst erworben hatte. Aber was erzähle ich ihnen,gleich werden sie es ja sehen. Sir Edward hatte keine Frau und Kinder,alle anderen Verwandten sind vor ihm gestorben, kein Wunder beiseinem Alter“, fügte Henry noch erklärend hinzu.

„Wie alt ist er denn geworden?“, nahm Jonathan den Hinweis dankbarauf.

„Hundert und ein Jahr. Und bis kurz vor seinem Tode ist er noch mit demHund spazieren gegangen“, Henrys Stimme endete in einem Flüstern.

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„Erstaunlich, wirklich erstaunlich. Sie mochten Sir Edward wohl sehr?“,wagte Jonathan eine persönliche Frage.

Henry überging die Frage einfach, stattdessen stieg er über eineHolzstiege weiter nach oben, die an einem Podest endete, wo sich linksund rechts eine Tür befand.

„Links geht es aufs Dach, rechts direkt in den Turm“, ohne eine weitereErklärung öffnete Henry die linke Tür und trat ins Freie.

Jonathan folgte ihm, wobei er mit seinen Schuhen ein Knirschenerzeugte, dass daher rührte, dass die Dachterrasse mit Kieselsteinenbedeckt war. Um sich zu orientieren, blickte er sich um. Er sah weiteWiesen mit kleinen Wäldchen, dann traf sein Blick auf dengegenüberliegenden Turm. Als er sich dann umdrehte, blickte er auf dentrutzigen West-Turm, der von hier aus noch zwei Stockwerke in denHimmel ragte.

„Wollte ihnen nur einen anschaulichen Eindruck vom Turm bieten, Sir“,erklärte Henry sein Verhalten und schon ging es wieder ins Turminnerezurück.

Nachdem sie auch die andere Tür passiert hatten, gelangten sie übereine schmale Holzstiege in den ersten Stock des Turmes. Erstaunt rissJonathan den Mund auf, denn der Raum wirkte wie ein Gewächshaus.Der ganze Raum war mit Pflanzen ausgefüllt und das Tollste, in ihmflogen kleine, bunte Vögelchen laut zwitschernd frei umher.

„Sir Edwards kleines Paradies, hauptsächlich im Winter. Wenn sich dieWelt draußen ein graues oder weißes Kleid überwarf, dann saß SirEdward oft hier und genoss das Grün der Pflanzen und das bunteTreiben der Vögel“, erklärte Henry den ungewöhnlichen Raum.

Ein- und Ausgang konnte man nur durch Schleusen passieren, so dasskein Vogel ins Freie gelangen konnte. Hinter der nächsten Tür, lagwieder eine schmale Stiege, die ins zweite Stockwerk führte. Als siedort den Innenraum betraten, erwartete Jonathan die nächsteÜberraschung. War der vorherige Raum vollgestopft mit Pflanzen, sowirkte dieser Raum hier eher leer. Mitten im Raum stand ein groberHolzstuhl, der auf seine Art fast schon primitiv wirkte. Fast sah es so aus,als wenn er aus dicken Ästen zusammengefügt war. Ansonsten hingen

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noch vier Bilder an den Wänden, die Jonathan vor langer, langer Zeitgemalt hatte. Die Bilder entstanden damals in seiner dunklenSchaffensphase, was zur Folge hatte, dass etwas Bedrohliches,Beklemmendes von ihnen ausging.

Einem inneren Zwang folgend setzte sich Jonathan auf den einsamen,gewöhnungsbedürftigen Stuhl, der trotz seines groben Aussehensseinen Zweck erfüllte. Naturgemäß fiel sein Blick auf das Bild, welchesan der gegenüberliegenden Wand hing. Drei Frauen mit bloßemOberkörper und Eulenköpfen blickten ihm kalt entgegen. Über ihnendrehten sich riesengroße Zahnräder, die irgendetwas Gewaltigesantrieben. Bevor er weiter in die Betrachtung von Einzelheiten ging,wand er den Kopf und sah Henry fragend an.

„Ja, hier saß Sir Edward oft stundenlang. Hinterher behauptete er immer,dass er all seine Sorgen und Probleme hier abladen konnte“, gab Henrybereitwillig Auskunft.

Dabei entging Jonathan aber nicht der Gesichtsausdruck des Buttlers,der nur zu deutlich zum Ausdruck brachte, dass er das Vergnügenseines verstorbenen Herrn nicht nachvollziehen konnte.

„Mich bedrücken die Bilder eher, jedenfalls wenn ich sie zu lange aufmich wirken ließe. Ich glaube sie könnten mir sogar Albträumeverursachen“, gab Henry dann auch ehrlich zu.

Jonathan stand auf und begab sich zu dem Bild und las, was auf demkleinen Schild darunter stand: Zwischenwelt von Jonathan Mannix.Erinnerungen wurden wach. Natürlich erkannte er seine Bilder, doch dieTitel hatte er längst vergessen. Daneben hingen „Medusa und ihreGäste“, eins weiter „Hexenthing“ und als letztes „Zwergnase und seinEndzeit Panoptikum“.

„Und er saß stundenlang hier und behauptete tatsächlich seine Sorgenhier abladen zu können?“, selbst Jonathan kam das merkwürdig vor, wasschon an seinem ungläubigen Kopfschütteln zu erkennen war. Zwarkonnte er sich gut daran erinnern, dass ihm das Malen der Bilder dabeigeholfen hatte, seine dunkle, depressive Phase zu bewältigen, dochdass sie sich auf andere Menschen beim Betrachten positiv auswirkten,

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fand er sogar absonderlich. Andererseits war ihm bekannt, dass diemenschliche Seele unergründlich war.

„Kurz vor seinem Tod sagte er mir, dass er ohne die Bilder nie dieseshohe Alter in solcher Zufriedenheit erreicht hätte. Das scheint mir auchder Grund dafür zu sein, warum er sie als Erbe einsetzte. Er scheintihnen auf eine unergründliche Art zutiefst dankbar gewesen zu sein.“Obwohl Henry seine mit den Bildern verbundenen Gefühle gut im Griffhatte, merkte ihm Jonathan an, dass der Buttler das Verhalten von SirEdward nicht oder nur schwer nachvollziehen konnte.

„Höchst verwunderlich! Ich könnte mir eher vorstellen, dass die Bildermeiner grünen Schaffensphase dazu geeignet wären einen positivenEinfluss auf die Seelen des Betrachters auszuüben. Doch ich kenneniemanden, der in der Lage wäre den Kopf eines anderen Menschen zublicken, um dessen wahre Gefühle und Beweggründe zu ergründen“,erwiderte Jonathan voller Überzeugung, „die Seele eines Menschen istund bleibt unergründlich.“

„Sir, ich möchte nicht drängeln, doch Selma wartet vermutlich schon mitdem Abendessen“, gab Henry das Zeichen zum Aufbruch.

Jonathan war nicht in der Lage, das Essen wirklich zu genießen, zu sehrbeschäftigten sich seine Gedanken mit dem zuvor Gehörten undGesehenen. Schon bald zog er sich zurück, er wollte mit seinenGedanken alleine sein. Nachts träumte er, dass er in bewusstemBilderzimmer auf dem merkwürdigen Holzstuhl saß und die Bilderlebendig wurden. Nein, das traf es nicht richtig. Die Bilder schienen sichvor ihm zu öffnen, so dass er wie in ein Bühnenbild hineintreten konnte,um sich dann übergangslos inmitten der gemalten Welten zu befinden.Schon bewegten sich die Schlangen auf Medusas Kopf, zischelnd hinund her, während ihm Medusas Mund verführerisch zulächelte, wobei sieweiter am Reizverschluss ihrer Jacke zog, so dass ihre großen, prallenBrüste fast heraus hopsten. Dafür, dass sich Jonathan übergangslos aufdem Balkon des Bildes "Hexenthing" befand, gab es nur eine Erklärung,im Traum war alles möglich. Und so starrte staunend auf den riesigenFisch, der mit weit aufgerissenem Maul am roten Himmel vorüber zog.Dem Fisch noch staunend hinterher blickend, lehnte er plötzlich an derMauer, die den Vordergrund des nächsten Bildes dominierte. Ein

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Einhorn als Schachfigur, dem Springer ähnlich, rammte sein Horn ineinen Apfel, worauf rotes Blut aus dem Einstichloch quoll. Doch erkonnte sich nicht auf das Geschehen konzentrieren, denn in diesem Bildherrschte eine unerträgliche Hitze. Himmel und Hintergrund schienenzu verglühen, so dass er fluchtartig das Bild verließ.

Schweißgebadet wachte Jonathan in seinem Bett auf. Bomba saßhechelnd neben ihm, so als wenn er ebenfalls mit der imaginären Hitzein Berührung gekommen war. Nur Caligula, der sich auf dem Kissenneben ihm eingerollt hatte, schien immun gegen diese Eindrücke zusein. Jonathan knipste die Nachttischlampe an und ergriff das Glas mitWasser, welches dort stand. Nach ein paar kräftigen Schlucken stellte eres wieder auf seinen Platz zurück.

„Mein Gott, du armer Hund, bestimmt hast du auch Durst?“, seine Handstreichelte den hechelnden Bomba.

Schnell stand Jonathan auf und ging ins Bad. In einem Schrank fand ereine Schüssel, die ihm geeignet erschien, um dem Hund etwas zumTrinken anzubieten. Nachdem die Schüssel ausreichend mit Wassergefüllt war, stellte er sie im Schlafzimmer ab. Bomba, der den ganzenVorgang vom Bett aus beobachtet, machte einen Satz aus selbigemheraus und tauchte seine rosige Zunge in das kühle Nass. Anscheinenddurch das schlabbernde Geräusch geweckt erschien auch Caligula aufdem Plan. Der Nager richtete sich an der Schüssel auf, hatte jedochProbleme mit seiner Zunge ans Wasser zu kommen, da Bombas Kopfihm den Zugang versperrte.

Jonathan erkannte, dass das Problem einer Lösung bedurfte. Auf demNachttisch stand noch Tasse mit Untertasse, aus der er, vor demSchlafen, Kräutertee getrunken hatte. Schnell wurde die Untertasse zumTrinkgefäß für Caligula umfunktioniert. Das Ereignis führte bei Jonathanzu dem Entschluss, dass ab sofort, für Durstattacken der Tiere, immerWasser bereitzustehen hatte. Sofort teilte er seinen vierbeinigenFreunden die gute Botschaft mit.

„Von heute wird immer Wasser hier stehen. Oder glaubst ihr, ich willeuch eines Morgens tot und vertrocknet neben mir vorfinden?“

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Noch während Jonathan sprach, holte er aus dem Bad ein Handtuch,denn aus Erfahrung wusste er, dass sich ein Hund nach dem Saufen oftschüttelte, was dazu führte, dass er mit seinen hängendenSchlabberbacken alles vollspritze. Gleich als Bomba seinen Kopf aus derSchüssel hob, wickelte er dessen Maul in das Handtuch ein, um sanftseine Lefzen abzutupfen.

„Wir wollen doch beide keinen Ärger mit Sally bekommen? Also haltschön still, ertrag es wie ein Mann und lass mich machen.“

Beleidigt blickte Bomba auf Caligula, der sich dieser Prozedur nichtunterziehen musste.

„Vielleicht hast du recht Bomba, dass ich ein wenig übertreibe, doch ichbin durch meine Boxern geprägt, so dass ich erst beim Abtrocknenbemerkte, dass deine Lefzen viel kleiner sind als ihre. Aber ein wenigtrocken tupfen schadet nun auch wieder nichts.“ Gleichzeitig stellteJonathan fest, dass es draußen schon graute.

„Was haltet ihr von einem kleinen, morgendlichen Spaziergang?“

Ohne die Antwort der Tiere abzuwarten, zog er sich seinenJogginganzug über. Ein kleiner Wink mit der Hand und Bomba folgte ihmaus dem Zimmer, während Caligula längst auf seiner Schulter saß. ImHaus war es noch ruhig, vermutlich schliefen alle noch. Ihr Weg führteüber den Flur und dann die breite Holztreppe ins Erdgeschoß hinab,dann steuerten sie auf die Tür zu, die hinter das Haus in den Gartenführte. Kaum waren sie an der frischen Luft, als Caligula seinen Hochsitzverließ. Jonathan staunte wie groß der Garten war. Am Ende ihresWeges grenzte er an ein kleines Wäldchen. Tief atmete Jonathan diefrische Morgenluft ein, während Bomba und Calli ihre Geschäfteverrichteten.

Nach einem kleinen Rundgang wandten sie sich wieder dem Haus zu,wo in der Küche gerade das Licht anging. Selmas Tag begannanscheinend sehr früh. Nach fester Nahrung stand Jonathan noch nichtder Sinn, doch eine Tasse Kaffee, dagegen hätte er nichts einzuwenden.Schon stand er wieder in der Eingangshalle und schaute sich nachseinen Begleitern um. Bomba kam gerade locker angetrabt, wobei erseine kurzen Vorderbeine lustig hochwarf. Von Calli keine Spur. Ein Pfiff

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auf der Pfeife und schon spürte er den kleinen Nager an seinemHosenbein.

„Komm her, wir wollen doch Selma nicht erschrecken“, und schon ergriffer Calli und versteckte ihn in seiner Trainingsjacke. Wenn er BombasBlick richtig deutete, dann wäre er wohl auch gerne in die Jackegekrochen.

„Heiße ich vielleicht Copperfield?“, wehrte Jonathan dessen Ansinnen abund wendete sich nach links, wo sich die Küche befand.

Auch wenn er bald der unumschränkte Herrscher des Hauses sein sollte,so klopfte er doch an, denn er wollte Selma zu so früher Stunde nicht inVerlegenheit bringen. Nach entsprechender Wartezeit drückte er dieTürklinke herunter und trat ein. Selma wandte ihm den Rücken zu, da siegerade verschiedene Sachen aus einem Hängeschrank holte.

„Entschuldigen sie die Störung, Selma“ bevor er weitersprechen und seinAnliegen vorbringen konnte, zuckte Selma erschrocken zusammen, stießein kurzes „Oh“ aus, gleichzeitig drehte sie sich um.

„Ist alles in Ordnung, Sir?“, dabei zupfte Selma mit einer Hand nervös anihren Haaren herum.

„Irgendetwas hat mich nicht schlafen lassen, war schon mit BombaGassi. Nun wollte ich fragen, ob ich einen Kaffee haben könnte?“

Während Jonathan seinen Wunsch formulierte, betrachtete er Selmaetwas genauer als beim ersten Zusammentreffen. Sie war Mitte, EndeVierzig, nicht allzu groß und stand gut im Futter, ohne dick zu sein. Siehatte ein freundliches Gesicht, braune Augen, eine Stupsnase und einenvollen Mund, was alles in allem auf ihn durchaus anziehend wirkte.

„Kaffee? – Da muss ich mal nachsehen. Bei uns trinken eigentlich allenur Tee.“ Sofort fing sie an jedes Schränkchen zu öffnen und schauteübertrieben suchend hinein.

„Wenn das so ist, dann würde ich mich für heute Früh ebenfalls miteinem Tee zufrieden geben. Ab Morgen wünsche ich jedoch Kaffee undzwar einen magenschonenden.“ Um zu zeigen, dass für ihn das Thema

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beendet war, zog er einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sichdrauf.

„Jetzt gleich und hier?“, wurde Selma nun doch leicht nervös.

„Was spricht dagegen, ich beiße doch nicht. Vielleicht machen sie sichauch einen Tee und setzen sich zu mir, eine gute Gelegenheit, mussdoch schließlich meine zukünftigen Angestellten kennenlernen“, sprachJonathan mit unglaublich, einschmeichelnder Stimme, die man ihm garnicht zugetraut hätte.

Selma hielt mitten in der Bewegung inne und musterte Jonathan kritisch,als überprüfte sie, ob sie gerade auf den Arm genommen wurde. DochJonathan lächelt sie aufrichtig an und so gab es keinen Grund für Selmaan der Ehrlichkeit des Gesagten zu zweifeln. Ein Kessel mit heißemWasser stand eh schon auf dem Herd, schnell war der Tee in die Kannegefüllt und mit dampfendem Wasser aufgegossen. Während der Teezog, holte sie zwei Tassen, eine Zuckerdose und ein Milchkännchen auseinem Schrank, stellte alles auf den Tisch und setzte sich gegenüber vonJonathan hin. Gerade wollte das Schweigen peinlich werden, als Selmazusammenzuckte und ausstieß, „nun hat er aber lange genug gezogen“,die Teekanne ergriff und eingoss.

„Sie arbeiten schon lange hier, Selma?“, begann Jonathan einunverfängliches Gespräch.

„Ja, schon seit achtzehn Jahren, damals wurde ich Witwe, mein Mannhatte einen tödlichen Autounfall. Sir Edward hörte davon und bot mir dieStelle an.“

„Schlimm, ein wirklich schlimmes Erlebnis, ich kann das durchausnachvollziehen, denn ich habe ebenfalls vor fünfundzwanzig Jahrenmeine Frau verloren, ich weiß wovon sie reden. Der Verlust einesgeliebten Menschen schafft eine leere Stelle, die nur schwer auszufüllenist.“

War es der Inhalt von Jonathans Worten oder der verständnisvolle Klangseiner Stimme, auf einmal war das Eis zwischen ihnen gebrochen.

„Das tut mir aber leid, dann waren sie aber nur kurz verheiratet“, gabSelma mit mitleidsvoller Stimme von sich.

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Jonathan horchte auf und ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen.Wieder einmal wurde er mit dem Umstand konfrontiert, der ihm einstschmeichelte, doch im Laufe der Jahre immer mehr an Wert verlor. DieLeute hielten ihn meistens für jünger als er wirklich war, wobei mancheiner mächtig danebenlag. Jonathan mit seiner großen, schlanken,sportlichen Figur und dem jungenhaften Gesichtsausdruck ging glatt alsMittvierziger durch, obwohl er schon fünfundsechzig Jahre zählte.

„Selma lassen sie sich nicht täuschen, ich habe mit zwanzig geheiratetund war zwanzig Jahre verheiratet.“

Deutlich konnte man in Selmas Gesicht erkennen, wie die Synapsenratterten. Als sie dann die Rechenaufgabe bewältigt hatte, stieß sie einzweites Mal ein leises „Oh“ aus. Wie sie mit ihrem Mund das „Oh“ formteund ihn dabei mit ihren braunen Rehaugen überrascht anschaute, dassgefiel Jonathan sehr gut.

„Ja - doch das Leben geht weiter und bevor man sich versieht, klopftGevatter Tod an die Tür und behauptet er wolle einen kleinenSpaziergang mit einem machen, von dem man aber aller Voraussichtnicht mehr wiederkehrt.“

Kaum hatte Jonathan den Satz beendet, ließ ihn das helle Lachen vonSelma überrascht aufschauen. Als jene das bemerkte, hielt sie sicherschrocken die Hand vor den Mund. Jonathan hielt seinediesbezügliche Frage zurück, doch sein eindeutiger Blick veranlassteSelma dann doch zu einer Erklärung.

„Noch nie habe ich jemanden so über den Tod sprechen hören undehrlich gesagt, es belustigte mich, wie sie das mit dem Spaziergangbeschrieben haben. Fehlt nur noch, dass der Gevatter sagt, die Sonnescheint, die Vögel zwitschern, ein wirklich guter Tag zum Sterben.“

Jonathan lächelte verstehend und nahm einen Schluck Tee zu sich.

„Mit den Jahren, verstärkt durch einige Schicksalsschläge, hat der Todim gleichen Maße seinen Schrecken für mich verloren. Manches Malglaubte ich schon, er könnte zu einem Freund werden.“

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Obwohl Jonathan Selmas erschrockenen Gesichtsausdruck registrierte,konnte er es sich nicht verkneifen über eines seiner Lieblingsthemen zuphilosophieren.

„Ob der Tod einem Schlaf ohne Träume gleicht oder ob ich, wie inmeinen kühnsten Träumen, in einer traumhaften Welt weiterlebe, wer willes sagen? Ob mein Geist im ewigen Vergessen versinkt oder ich dieunglaublichsten Abenteuer in einem anderen Leben erlebe, wer will essagen? Kein Mensch hat das Wissen darüber. Darum bin ich derAnsicht, dass der Glaube an das eher Unwahrscheinliche niemandenschadet und vielleicht, wer weiß, ist genau jener Glaube der Schlüssel,der uns das Tor zu einer dieser fantastischen Welten öffnet.“

Selma hatte es die Sprache verschlagen und so wechselte Jonathanschnell das Thema.

„Übrigens ich mag kein kräftiges Frühstück, so mit gebratenenWürstchen, Schinken und Ei. Ein Toast mit Butter und Marmelade oderHonig, reichen mir vollkommen. . Natürlich können sie alle bei ihrenlieben Gewohnheiten bleiben, doch ich bekomme nach dem Aufsteheneinfach nichts Anderes herunter.“

Selma, immer noch von Jonathans Ansichten über den Tod schockiert,sah ihn an, wie den Mann mit den zwei Köpfen, so dass es diesmal anJonathan war ein unterdrücktes Lachen auszustoßen.

„Entschuldigen sie Selma, aber mit dem Gesichtsausdruck könnten sieKarriere beim Film machen. Ich bin mir sicher, wir werden unsaneinander gewöhnen.“ Jonathan trank seinen Tee aus und stand auf.„Nochmals vielen Dank, Selma, man sieht sich.“

Während Jonathan mit Bomba die Küche verließ, blickte ihm Selmakopfschüttelnd hinterher.

„Ein seltsamer Kautz, aber nett“, murmelte sie leise. Es sah ganz so aus,als wenn Jonathan einen bleibenden Eindruck bei der Köchinhinterlassen hatte.

Später, nach dem Frühstück, machte Jonathan in Begleitung von Henryeine größere Runde über das Anwesen, wobei natürlich Caligula undBomba nicht fehlen durften.

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„Sir, zuerst möchte ich ihnen zeigen woher Wullingham-Castle seinenNamen bezieht. Das heutige herrschaftliche Anwesen wurde zum großenTeil aus den Steinen einer mittelalterlichen Burg errichtet, die einst aufdem Ost-Hügel stand. Heute erinnern nur noch ein paar klägliche Restean die stolze Burg.“

Interessiert folgte Jonathan seinem Buttler, konnte aber zuerst überhauptnichts erkennen, was darauf hindeutete, dass hier einmal eine Burgstand. Erst als sie oben auf dem Hügel angekommen waren, fand seinsuchendender Blick die letzten Überreste von Wullingham-Castle.Teilweise vom Erdreich verdeckt und mit Gras überwachsen, ließen sichdie Steine der Fundamente, von Burgmauer und Wohnturm, im Erdreicherkennen. Von ihrem erhöhten Standpunkt konnte Jonathan bequem dasganze Anwesen überblicken, wobei ihm Henry sofort erklärte, dass auchder kleine, angrenzende Wald dazugehörte. Das herrschaftlicheWohngebäude Wullingham, aus den Natursteinen der Burg errichtet, lagmalerisch zwischen dem Burghügel und einem zweiten,gegenüberliegenden Hügel. Der Ausblick reichte weit über dieumliegenden Wiesen, bis zum Rand des kleinen Städtchens Credenhill.Im Westen lag die Gärtnerei mit Obst-Hain und dahinter erkannteJonathan die Stallungen.

„Was muss ich tun, um all das mein Eigen zu nennen?“ schien Jonathansichtlich beeindruckt.

„Nicht viel, nur die Papiere beim Notar unterschreiben“, gab Henrybereitwillig Auskunft.

„Na, das sollte mir gerade noch so gelingen. Vielleicht sollten wir gleichzu ihm fahren, bevor es sich das Schicksal noch anders überlegt“,scherzte Jonathan.

„Sir, sie brauchen nicht zum Notar zu fahren, er kommt zu ihnen, siemüssen nur sagen, wann es ihnen recht ist“, entzog Henry derAngelegenheit jede Eile. „Nur noch eins, ich weiß nicht, ob es in meinemBrief richtig rüber kam. Wenn sie das Erbe antreten, dann müssten siehier wohnen, das ist die einzige Bedingung.“

Jonathan bekam einen nachdenklichen Gesichtsausdruck, doch ererinnerte sich sehr wohl an diesen Satz.

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„Das heißt nicht, dass sie nicht woanders hin könnten, reisen und so. Nurihr Lebensmittelpunkt sollte sich an diesem Ort befinden. Somit könntensie jederzeit ihr altes Zuhause oder Verwandte besuchen. Nein, neinReisen wären wirklich kein Hindernis“, beeilte sich Henry der Bedingungdie Schärfe zu nehmen.

„Ja, ich habe den Satz gelesen, deshalb kommt auch bald eine großeLadung mit persönlichen Sachen. Ich bin kein großer Herumreisender,ich gehe lieber mit dem Hund spazieren und wie ich das sehe, haben wirBeide hier Auslauf im Überfluss.“

Jonathans Entschluss schien festzustehen und er schien ihm nicht malschwer zu fallen. „Ich habe nur Sorgen, ob mein kleines Vermögenreicht, um das alles zu unterhalten.“

Ein kurzes Zucken umspielte Henrys Mundwinkel, jeder andere hättevermutlich lauthals losgelacht, doch der Buttler hatte seine Gefühle sehrgut unter Kontrolle.

„Sir, ich kann sie beruhigen, dass Anwesen wird ihr Konto nicht imGeringsten belasten. Lord Edward hat alles geregelt, der gesamteUnterhalt, also auch die Gehälter der Angestellten, werden aus demVermögen von Lord Edward bezahlt. Ansonsten ist es für zehn Jahreeingefroren. Sehen sie es einfach so, ihr eigenes Vermögen bleibt ihnenals Taschengeld erhalten“, erklärte Henry mit todernster Miene.

„Ha, Ha, der war wirklich nicht schlecht, der Witz mit dem Taschengeld“,Jonathan schlug Henry erfreut auf die Schulter, was diesem einenvollkommen verständnislosen Zug ins Gesicht zauberte. SeineVerblüffung beruhte wohl darauf, dass er solche Gefühlsausbrüche nichtgewohnt war. Was wiederum dazu führte, dass sich Jonathan bemüßigtfühlte seinen Überschwang zu erklären.

„Entschuldigen sie Henry, aber wenn sie mich kennen würden, dannwüssten sie wie ich das meine. Ich gebe selten Geld aus, denn ichbesitze alles was ich zum Leben brauche und jetzt noch viel mehr. Mussmir wirklich etwas einfallen lassen, was ich mit dem ganzen Schottermache. Aber mal etwas ganz anderes, was wird denn mit Lord EdwardsVermögen nach Ablauf der zehn Jahre?“

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„Was soll damit werden, nach zehn Jahren erhalten sie auch Zugriff aufdas eingefrorene Vermögen, so steht es jedenfalls im Testament.“

„Woher wissen sie denn das alles?“, rutschte es Jonathan heraus,obwohl er die Antwort zu kennen glaubte.

„Lord Edward hat mir alles diktiert, ich habe es geschrieben und alsZeuge gegengezeichnet. Später hat es der Notar Lord Edwardvorgelesen, unterschreiben lassen und ebenfalls gegengezeichnet. Dasalles geschah erst kurz vor seinem Tode. Vorher hat er sich mit solchenDingen nicht beschäftigt, so als wenn er ganz genau wusste, wannseine Zeit abgelaufen ist.“

„Danke Henry, dass sie so offen und ehrlich zu mir sind. Trotzdem ist esfür mich immer noch schwer nachzuvollziehen, warum mich gerade dasgroße Los traf. Doch oft sind die Wege des Schicksals für uns Menschenunergründlich, oft bleibt uns nicht viel mehr übrig, als die Knochenabzuknabbern, die es uns hinwirft.“

„Sir darf ich ehrlich sein?“ Abwartenden blickte Henry sein Gegenüberan, wie um herauszufinden, ob sein neuer Arbeitgeber daraninteressiert war. „An ihre Sprüche muss ich mich erst noch gewöhnen“,erklärte er dann, nachdem er keinen ablehnenden Zug in JonathansGesicht entdeckt hatte.

„Die Zeit wird es richten, so wie sie alles andere auch richtet“, versicherteJonathan gut gelaunt.

Jonathan musste sich eingestehen, dass die mit der Erbschaftverbundene Aufregung, der Ortswechsel und die menschlichenKontakte, ihm gut taten, die Lebensgeister in ihm aktivierten. DieGrautöne der Welt wurden mehr und mehr von grünen, blauen undbunten Farbtupfern abgelöst.

Auf dem Rückweg nahm Jonathan seinen neuen Wohnsitz nochmalsgenau in Augenschein. Mit seinen grauen Natursteinen und den Türmen,hatte das Gebäude etwas von der Romantik der Ritterzeit bewahrt.Auch wenn im Inneren vieles der heutigen, modernen Zeit angepasstwar, so wirkte es auf ihn wie die Residenz eines mittelalterlichen Fürstenund im Grunde war es das ja auch.

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„Bei unserem Rundgang gestern durchs Haus da bemerkte ich, dass dergroße Saal, parterre im Ostflügel, ungenutzt brach liegt. Ich würde ihngern für meine sportlichen Aktivitäten nutzen. Ein, zwei Geräte, eineMatte, eine Sprossenwand und viel Platz zum Fechten, Tai Chi undfernöstlichen Kampfsport. Steht dem irgendetwas entgegen?“ Jonathansah Henry fragend an.

Der kurzfristige, erstaunte Gesichtsausdruck in Henrys Gesicht hielt nichtlange an, auch wenn ihn sein neuer Herr immer wieder für eineÜberraschung gut war. Dementsprechend fiel dann seine Antwort aus.

„Wusste gar nicht, dass sie noch so aktiv sind, Sir. Andererseits, wennman ihr Alter kennt und sie dann näher betrachtet, fragt man sichsogleich wie so etwas möglich ist. Ihre Aktivitäten könnte einigeserklären.“

Henrys Äußerung veranlasste Jonathan zu einer Erklärung.

„Ja Henry, nicht alles ist das, wonach es aussieht. Ich habe Jahrelangunter Anleitung eines Shaolin Mönchs trainiert. Als er mich verließ, umzum Sterben in seine Heimat China zurückzukehren, wurde ich wiederleicht depressiv, so dass ich mein Training zeitweise schleifen ließ. Dochirgendwann mahnte mich eine Stimme, die der meines Meisters nichtunähnlich war, mich nicht so hängen zu lassen. Ich nahm meinetäglichen Übungen und die dazugehörenden Meditationen wieder aufund siehe da, ähnlich wie Münchhausen zog ich mich an den eigenenHaaren aus dem Sumpf der Depression. Diese Erfahrung lehrte mich,dass für mich eine gewisse Ordnung im Tagesablauf und eineRegelmäßigkeit bei den Übungen lebensnotwendig sind. - Hach, ichfühle mich, als wenn ich Bäume ausreißen könnte“, dabei machteJonathan einen hohen Sprung in die Luft, streckte die Beine leicht zurSeite und schlug die Schuhsohlen zusammen.

Nun war es aber doch mit Henrys Beherrschung vorbei. Seinkonsternierter Gesichtsausdruck sprach dafür, dass er dasungewöhnliche Verhalten seines neuen Herrn nicht einzuordnen wusste.Diskret überging Jonathan die kleine Schwäche seines Buttlers.

„Entschuldigen sie Henry, aber ich war schon immer ein wenig verrückt,wie anders könnte man sich auch sonst meine Bilder erklären?

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Vermutlich brauchen wir Beide, aber auch die anderen Angestellten einegewisse Gewöhnungszeit. Steht da ein Lkw vor dem Haus?“, wechselteJonathan abrupt das Thema. „Vielleicht meine Sachen aus Berlin? Ichkam ja nur mit kleinem Handgepäck.“

Ohne Henry zu beachten lief Jonathan los und ließ einen erstauntenButtler zurück, während ihm Bomba aufgeregt, um ihn herum springend,folgte. Mit einer für sein Alter erstaunlichen Geschwindigkeit legteJonathan die Strecke bis zum Haus zurück. Ein wenig außer Atemerreichte er das Kraftfahrzeug, nur um festzustellen, dass sich dort keinePersonen befanden. Gerade, als er sich verwundert fragte, wo dieTransporteure steckten, trat Robert aus der Tür zur Empfangshalle.

„Der Kraftfahrer und die Packer sitzen bei Selma in der Küche undstärken sich. Soll ich sie holen?“, abwartend blickte er Jonathan an.

„Nein, so eilig ist das mit dem Auspacken nun auch wieder nicht.Vielleicht sogar besser so, dann sind die Männer gestärkt und ausgeruht,wodurch ihnen das Abladen leichter von der Hand gehen sollte“, wehrteJonathan schließlich ab.

Inzwischen war auch Henry eingetroffen und verfolgte Aufmerksam denDialog.

„Ich kümmere mich darum, Sir. Wo sollen denn die Kisten hin?“, stellteHenry dann die entscheidende Frage.

„Am Besten in den leer stehenden Raum hinter dem Arbeitszimmer,dann kann ich ganz in Ruhe auspacken und mir überlegen, wo ich denInhalt verstaue“, erwiderte Jonathan, ohne lange zu überlegen. „Einzigder große Tierkäfig für Caligula kommt in mein Schlafzimmer“,gleichzeitig ertastete Jonathans Hand den kleinen Kerl in derJackentasche und streichelte ihn, um dann ein ganz anderes Themaanzuschneiden.

„Wenn mein Magen mir nichts vorgaukelt, steht das Mittagessen kurzbevor. Zeit sich noch ein wenig frischzumachen. Ach übrigens, habe ichschon erwähnt, das ich mich wirklich darauf freue, mit meinenAngestellten gemeinsam im großen Esszimmer zu speisen?“ Bevor der,von dieser Ankündigung, total überraschte Henry sich dazu äußern

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konnte, fügte Jonathan noch hinzu, „natürlich nur, wenn nichtirgendwelche Arbeitsabläufe dadurch beeinträchtigt werden.“

Damit war alles gesagt und Jonathan begab sich in seinen Wohnbereich.Henry stand noch einen Augenblick nachdenklich da. Der alte LordWullingham hatte nie mit der Belegschaft gegessen, aber wenn derNeue das so wollte, dann gab es daran nichts zu deuteln. Also machtesich Henry auf den Weg zur Küche, um die entsprechendenAnordnungen zu geben.

Ein wenig später, auf dem Weg zum Esszimmer, traf Jonathan dieTransporteure, die die erste Transportkiste nach oben schleppten. Wennder Schein nicht trog, dann hatte sie Henry entsprechend eingewiesen,denn sie verschwanden im Zimmer, welches hinter seinem zukünftigenArbeitszimmer lag. Gut gelaunt stieg Jonathan mit Bomba die Treppeweiter herunter, wandte sich nach links und steuerte auf die Tür zumEsszimmer zu. Noch einmal tief durchgeatmet, dann drückte er dieKlinke herunter und betrat den Raum, zum ersten, gemeinsamen Essenmit seinen Bediensteten. Sie waren alle erschienen und blickten ihmerwartungsvoll entgegen.

„Ich freue mich aufrichtig, dass sie alle kommen konnten. Ich werde vordem Essen jedoch keine lange Rede halten, dazu habe ich einen viel zugroßen Hunger“, beendete Jonathan auch schon seine Begrüßung undsetzte sich ans Kopfende der Tafel.

Aufs Stichwort Hunger eilten Selma und Sally in die direkt danebenliegende Küche, um gleich darauf mit Fleischplatte und Schüsselnzurückzukehren. Während Jonathan auf die abgestellten Platten starrte,verschwanden die beiden Frauen nochmals in der Küche, um nochweitere Schüsseln zu holen. Mit Wohlwollen registrierte Jonathan, dasses Rinderbraten, gemischtes Gemüse, Bratkartoffeln, Kartoffelpüree,aber auch eine Schüssel mit Salzkartoffeln gab. Eine dunkle Soße inzwei Terrinen rundete das Bild ab. Da die Fleischplatte direkt vor ihmstand und ihn alle erwartungsvoll ansahen, fühlte er sich genötigt, sichals Erster eine Scheibe Fleisch aufzutun. Kaum war das geschehen, dagriffen alle zu und ein reger Wortwechsel begann, an dem sich Jonathanjedoch nicht beteiligte, er schien wirklich Hunger zu haben. Trotzdem

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nahm er sich nach den ersten Happen die Zeit, um ein paar Worte anSelma zu richten.

„Das Fleisch zergeht auf der Zunge und die Soße ist wirklich ein Gedicht,wirklich sehr gelungen der Braten.“

Man wollte es kaum glauben, aber Selma wurde leicht rot, so gut tat ihrdas Lob. Trotz ihrer Verlegenheit brachte sie ein „Danke Sir“ heraus. DieSchüsseln leerten sich und auch die Gespräche ebbten ab, vermutlichhatte das mit der Sättigung der Leute zu tun. Jonathan lehnte sichzurück und ließ seinen Blick in der Runde schweifen. Gegenüber saßihm Henry, die Frauen links von ihm, wodurch sie näher der Küchesaßen, rechts saßen Will, Benny und Robert.

„Zuerst möchte ich ihnen mitteilen, dass ich mich entschlossen habe dasErbe anzutreten“, wandte sich Jonathan übergangslos an seineAngestellten. „Auch wenn sie es sich kaum vorstellen können, zuerst warich mir dessen nicht sicher. Reichtum bedeutet mir nicht allzu viel,außerdem habe ich selbst mehr Geld, als ich bis zu meinem Todausgeben kann. Was hat also den Ausschlag gegeben? Ganz einfach -Sie. Sie wirken auf mich wie eine gut eingespielte Mannschaft. Ichkonnte in keinem Gesicht auch nur den Anflug von Verdrossenheiterkennen, sie scheinen mit ihrem Leben alle sehr zufrieden. Auch derHund ließ das Pendel in diese Richtung ausschlagen, denn er zeigte mirgleich, dass er mich mochte."

Ohne es bewusst zu registrieren streichelte Jonathan dabei den Kopfdes Bullys, der neben seinem Stuhl lag.

"Das alles waren Erfahrungen, die neue Lebensgeister in mir weckten.Übrigens, dass mit dem gemeinsamen Essen ist kein Muss, sprechen siedas einfach miteinander ab, Henry wird mir dann ihre Entscheidungmitteilen. Mir hat es in ihrer Gesellschaft jedenfalls noch bessergeschmeckt, als wenn ich das Essen alleine zu mir genommen hätte.“

Jonathan Blick senkte sich auf die Tischplatte, so als wenn ernachdachte, ob ihm zu diesem Thema noch etwas einfiel. Dem warjedoch nicht so, also lehnte sich er zurück und blickte ins Leere.

Henry klopfte mit dem Messer gegen sein Glas. Das folgende Pling,Pling sorgte dafür, dass sich ihm alle Augenpaare zuwandten.

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„Ich kann behaupten, dass ich für alle spreche, wenn ich sage, wir freuenuns auf die Zeit mit ihnen, wenn sie auch ein paargewöhnungsbedürftige Angewohnheiten haben.“

Einen Augenblick herrschte erschrockenes Schweigen, doch alsJonathan herzhaft loslachte, stimmten alle wie befreit ein.

„Und dabei kennen sie noch nicht mal alle meine Spleens, doch daswerden sie noch, dass verspreche ich ihnen“, versicherte Jonathan gutgelaunt.

Durch Jonathan Lockerheit ermutig, ergriff der junge Benny das Wort.„Sir, stimmt es, dass sie immer eine zahme Ratte mit sich herumtragen?“

Erschrocken blickten sich alle an, dass sich ihr junger Kollege so weitaus dem Fenster lehnte, nur um mit Erstaunen festzustellen, dassJonathan auch dieses Thema mit der gleichen, zuvor gezeigtenLockerheit anging.

„Vermutlich erscheint es ihnen etwas verrückt und vermutlich ist es dasauch. Doch durch viele Schicksalsschläge hatte ich meinen Lebensmutverloren. Aus Angst, dass die Menschen aus meiner näheren Umgebungweiterhin wegsterben würden, suchte ich die Einsamkeit. Auch dieBindung zu einem Hund wollte ich nicht mehr Aufbauen, den Schmerz,als mein Boxer Lobo von mir ging, wollte ich nie wieder fühlen müssen.Als meine Tochter in eine andere Stadt zog, schenkte mir meine Enkelinzum Abschied die Ratte. Vermutlich weil wir beide viel zusammen waren,wurde das Tier so zutraulich und folgsam, dass ich es überall mithinnehmen konnte. Er heißt übrigens Caligula. Calli, komm doch malraus und zeig dich“, es folgte ein feiner Pfiff und schon lugte Caligula ausder Jackentasche, kletterte an Jonathans Arm hoch und nahm auf derlinken Schulter Platz.

Staunend verfolgten die Bediensteten das ungewöhnliche Schauspiel.Jonathan legte die rechte Hand auf den Tisch und kratzte mit denFingernägeln leise am Holz. Caligula spitzte die Öhrchen, umrundeteden Hals, um über den rechten Arm auf die Tischplatte zu gelangen. AlsJonathan gleich darauf mit der linken Hand ähnliche Kratzgeräuschemachte, folgte Caligula dem Geräusch ohne zu zögern und kletterte überden linken Arm wieder auf die Schulter.

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„Das ist ja phänomenal“, stieß Sally spontan aus und klatschte. „Wiebringt man bloß ein kleines Tier dazu, solche Kunststücke zuvollbringen?“

„Mit viel Zeit, und noch mehr Geduld“, versicherte Jonathan. „Ist in derGemüseschüssel vielleicht noch ein Möhrchen? Caligula hat jetztAnspruch auf eine Belohnung, auch ein Teil des Erfolges“, fügteJonathan erklärend hinzu.

Selma schob die Schüssel in seine Richtung und tatsächlich, zwischenein paar Erbsen lag ein kleines Möhrchen.

„Eigentlich frisst Caligula alles, trotzdem erhält er ein speziellesKraftfutter. Aber natürlich hat auch er gewisse Vorlieben, eine davon sindMöhrchen in Kräuterbutter gedünstet.“

Jonathan griff das Möhrchen und hielt sie dem aufmerksamzuschauenden Nagetier mit hohler Hand hin. Caligula kannte keineScheu, ob der vielen zuschauenden Augen und Schwups die Wuppsverputzte er das Leckerli.

„Nochmals vielen Dank für die herzliche Aufnahme, doch jetzt muss ichmeinen Verdauungsspaziergang mit Bomba machen.“ Beim Aufstehenhielt Jonathan mitten in der Bewegung erschrocken inne, „oder sprichtirgendetwas dagegen?“

Als sich alle verdattert ansahen, lachte Jonathan unbekümmert und fügteein langgezogenes „Spaß“ hinzu.

Nach dem Verdauungsspaziergang und einem Stündchen Ruhe widmetesich Jonathan den Umzugskisten. Suchend schaute er sich um, alsHenry dazu kam.

„Sir, suchen sie etwas Bestimmtes?“

„Ja,“ nachdenklich betrachtete Jonathan die Kisten, als kramte er inseinen Erinnerungen. Plötzlich leuchtete so etwas wie Verständnis inseinen Augen auf und schon öffnete er den Deckel einer derUmzugskisten mit seinem Messer, dass er anscheinend bei sich trug. Ergriff hinein und holte ein dickes, astähnliches Ding heraus, dasaugenscheinlich innen hohl war.

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„Mein Didgeridoo“, stieß er erfreut aus, „und da sind ja auch mein Bogen,Köcher und Pfeile, meine Samurai-Schwerter, die Übungsschwerter ausHolz, der Tomahawk und der Bumerang.“

Jonathan legte alles vor sich auf den Boden und wandte sich eineranderen Kiste zu. Zielsicher griff er mehrmals hinein und legte dieSachen vor der Kiste ab.

„Meine Tai Chi Kleidung und der Spezialanzug fürs Fechttraining, allesandere ist nicht so wichtig. Habe sowieso nicht allzu viel Kleidungeingepackt, werde mich hier neu einkleiden. Haben wir ein Kaufhaus inder Stadt?“

Henry starrte so gedankenverloren auf die Gegenstände, dass erJonathans Frage gar nicht zu hören schien.

„Sir, wollen sie gegen irgendjemand in den Krieg ziehen?“

Jonathan verzieh seinem Buttler die Neugier, schließlich lagen da jawirklich ungewöhnliche Gegenstände auf dem Parkett, die irgendwoauch Waffen darstellten.

„Könnte man vielleicht denken. Doch für mich haben alle dieseGegenstände in erster Linie eine spirituelle Bedeutung, sogar wenn ichsie benutze. Es mag vollkommen verrückt klingen, doch manchmalglaube ich schon viele Leben gelebt zu haben. Einmal war ich war einAborigines in Australien, ein anderes Mal Indianer in Nordamerika, einBogenschütze im Mittelalter und ein Samurai im mittelalterlichen Japan“,bezog sich seine Erklärung zwar auf die Gegenstände, gaben aber aucheinen tiefen Einblick in seinen Seelenzustand.

Henry gab sich viel Mühe, um sich seine Verwunderung nicht anmerkenzu lassen, doch sein offener Mund und seine etwas zu weitaufgerissenen Augen verrieten ihn.

„Wie sie schon sagten Henry, ich bin gewöhnungsbedürftig. Doch siehaben mir meine Frage nach dem Kaufhaus noch nicht beantwortet.“

Gewaltsam riss sich Henry vom Anblick der Gegenstände los, nur umseinen Herrn mit nichtverstehendem Blick anzuschauen, doch dann fielihm wieder die zuvor geäußerte Frage ein.

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„Ja, ja, jetzt weiß ich wieder was sie wollten, Sir. Selten hat mich einMensch so aus dem Konzept gebracht, muss wohl ein bisschen mehr anmir arbeiten. Aber nein Sir, sie brauchen in kein Kaufhaus, ich habevorausschauend für nächste Woche den Schneider und Schusterbestellt. Wenn ich anmerken darf Sir, in ihrer Stellung trägt man Kleidungnach Maß. Und weil wir gerade über Termine sprechen, für wann soll ichden Notar bestellen?“

Jonathan sah seinen Buttler einen Moment wie geistesabwesend an,dann ging ein Grinsen über sein Gesicht.

„Wenn er nicht gerade vor dem Frühstück kommt, dann ist er mirjederzeit willkommen. Spaß beiseite, in dieser Beziehung vertraue ichihnen voll und ganz, sie machen das schon.“

Inzwischen hatte Jonathan das längere Samurai-Schwert aus einemTuch gewickelt und zog die Klinge aus der Scheide. Seine Augenglänzten, als der die Waffe anhob und durch die Luft sausen ließ.

„Du hast mir gefehlt, doch ohne Li fehlt uns der passendeSchwertkampfpartner.“

Henry, nun wieder voll auf der Höhe, schaltete sich ein.

„Wenn ihnen wirklich etwas am Schwertkampf liegt, dann sollte sich einPartner finden lassen.“

„Gewiss Henry. Ein Fecht- und Trainingspartner wird sich finden, aber erkann niemals Li ersetzen, aber das wäre auch zu viel verlangt“, klangJonathans Stimme eine Nuance traurig.

Henry nickte verstehend. „Ich verstehe was sie meinen Sir, für einenFreund gibt es keinen Ersatz.“

Jonathan nickte zurück, denn darauf gab es nichts zu erwidern.

„Die Sachen kommen in mein Arbeitszimmer“, dabei zeigte Jonathan aufBogen, Köcher, Didgeridoo, Bumerang und Tomahawk. Anschließendgriff er sich noch das kurze Schwert und begab sich nach nebenan.

Henry kümmerte sich um die bezeichneten Gegenstände und folgte ihm.Jonathan legte die Schwerter auf dem Schreibtisch ab und überprüfte

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das Zimmer nach Möglichkeiten, wo er die für ihn so wertvollen Sachenunterbringen konnte. Vor dem Fenster, Blickrichtung Tür stand derschwere Mahagonischreibtisch mit Stuhl, davor zwei bequeme Sessel,vermutlich für Besucher. Links und rechts davon Sideboards ausMahagoni. Rechts neben der Tür ein Kühlschrank mitMahagoniverkleidung und sogar der Panzerschrank in der anderen Ecketrug dieses Kleid aus Holz.

„Genau, - auf die rechte Anrichte kommen Gestelle aus Holz für dieSchwerter, auf das andere Sideboard kommt ein Gestell für dasDidgeridoo, darüber kommen Gemälde von mir. An die Wände nebendem Fenster kommen Bumerang, Bogen und Köcher.“

Henry legte die Gegenstände entsprechend ab.

„Ich werde wohl einen Tischler beauftragen müssen, damit dieHolzständer nach ihren Wünschen angefertigt werden.“

„Sie haben sich zurzeit wirklich um eine Menge zu kümmern Henry, ichdenke damit sind sie genug beschäftigt. Ich brauche sie im Moment nichtmehr, also fangen sie an. Vielleicht schicken sie mir Robert, er sollWerkzeug mitbringen. Die Transportkisten für die Bilder bekomme ich sonicht auf“, dabei hielt Jonathan das kleine Klappmesser hoch, mit dem erdie Pappkisten geöffnet hatte.

Henry nickte und verschwand. Jonathan setzte sich in einen Sessel unddachte darüber nach, was in der nächsten Zeit alles über ihnhereinbrechen würde.

„Da bleibt tatsächlich keine Zeit, um Trübsal zu blasen“, stellte erlächelnd fest.

Kurz darauf klopfte es an der Tür und Robert mit Werkzeugkiste undStemmeisen trat ein.

„Wo sind denn die widerborstigen Kisten?“, dabei schaute er sichneugierig um.

Wie Jonathan inzwischen erfahren hatte, übte Robert nicht nur dieFunktion des Chauffeurs aus, sondern auch die des Hausmeisters. Erkümmerte sich um die Heizung, aber auch um kleinere Reparaturen am

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Haus. Auf den ersten Blick wirkte er fast so breit wie groß, natürlichtäuschte der Eindruck. Seiner Nase nach musste er mal geboxt haben.Mit seinen kleinen, flinken Augen erfasste er sofort die Situation, erschien heller zu sein, als der erste Eindruck glauben machen wollte.

„Nebenan Robert“, beantwortete Jonathan die Frage und ging voraus.Auch Robert fielen die großen, schweren Holzkisten sofort ins Auge. Aneiner Seite der Kisten stand in fetten Buchstaben -Hier öffnen-. Robertüberlegte gar nicht erst lange, sondern entschied sich gleich für dasBrecheisen. Die Nägel quietschten, Robert schnaufte, doch dann wardas Seitenteil entfernt und man konnte in das Innere der Kiste blicken. Inschmalen Fächern standen die Bilder von denen sich Jonathan einfachnicht trennen konnte oder wollte. Sie standen nie zum Verkauf, sie warenzu persönlich. Jonathan zog eines heraus und blickte in ein offensichtlichentspanntes, zufriedenes Frauengesicht, eines der Lieblingsbilder seinerFrau.

„Das und sein Pendant kommen in mein Arbeitszimmer über dieSideboards“, erklärte er Robert, „aber keine Hektik, das eilt nicht.“

Mit sicherem Griff zog er das andere Bild heraus und Robert erkanntesofort, warum sein neuer Chef das andere Bild Gegenstück genannthatte. Ein Männergesicht, unzufrieden und verlebt, strahlte genau dieentgegengesetzten Gefühle aus.

„So wie alles im Leben sein Gegenstück besitzt, hell und dunkel, kalt undwarm, gut und böse, so ist es mir bei diesen Bildern gelungenentgegengesetzte Gefühle festzuhalten. Die Bilder gehören einfachzusammen. Sollten sie jemals getrennt werden, so würden sie viel vonihrer Aussagekraft verlieren. Doch das werde ich ganz bestimmt nichterleben.“

Robert nickte verstehend und schien sichtlich beeindruckt.

„Ich stelle die Bilder an die entsprechenden Seiten, so dass sie keinenFehler machen können“, schien Jonathan viel daran gelegen zu sein,dass jedes Bild genau den von ihm zugewiesenen Platz erhielt.

Robert befühlte und betrachtete die schweren Rahmen.

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„Da ist nichts mit Nägel in die Wand klopfen, das braucht richtig starkeDübel. Sie können sich auf mich verlassen, Sir.“

Damit war die Arbeit für Robert vorerst beendet und er verabschiedetesich und ließ Jonathan alleine. Jonathan spürte plötzlich wieausgetrocknet sein Mund war, da fiel ihm der Kühlschrank imArbeitszimmer ein. Wie erwartet war er gut mit diversen Getränkenbestückt. Schnell war eine kleine Flasche mit Mineralwasser geöffnet.Noch während er seinen Durst direkt aus der Flasche stillte, tauchte inseinem Kopf eine Frage auf. In einem Haus, wo alles so perfekt geordnetwar, da sollte es hier keine entsprechenden Trinkgefäße geben? Eröffnete das nächstgelegene Sideboard und stieß einen leisen Pfiff aus.Jonathan blickte in eine gut gefüllte Bar mit den entsprechendenGläsern, als ein leises Schnaufen vor der Tür seinen Gedankengangstörte. Er folgte dem Geräusch, um nachzusehen was dort los war. Vorder Tür stand Bomba und blickte ihn aus treuen Augen an.

„Wo hast du dich denn rumgetrieben? – Ach du meinst, dass du hierbisher nichts versäumt hast. Kisten, Staub und andere Sachen, die dichvermutlich auch nicht wirklich interessieren. – Was sagst du, draußenscheint die Sonne und du willst mit mir spielen? Haben wir denn etwaswomit wir spielen können?“, forschend blickte er den Hund an.

Bomba hüpfte ein wenig mit den Vorderpfoten hoch und ließ ein heiseresBellen erklingen.

„Ja, wenn das so ist, dann wollen wir mal. Halt nein, wir sollten Caligulafragen ob er mit will.“

Gemeinsam begaben sie sich ins Schlafzimmer wo rechts, an der Wandzum Bad, jetzt ein riesiger Käfig stand. In ihm befand sich alles, was dasRattenherz begehrte, von der Rutsche, über das Laufrad, einenkünstlichen Berg mit Gängen und Wohnhöhle, hölzerne Wege die nachoben führten, um dann in einem Röhrensystem aus Rutschen dieInsassen nach unten zu befördern und nicht zu vergessen, Futter- undSaufnapf. Nur Caligula war nirgends zu sehen. Erst Jonathans leiser Pfiffließ dessen Nasenspitze aus einem der Gänge des künstlichen Bergesherausragen.

„Calli, ich gehe mit Bomba spielen, willst du mitkommen?“

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Jonathan öffnete die Käfigtür und hielt eine Hand hinein und wartetekurz. Als Calli keine Anstalten machte, schloss Jonathan das Türchenwieder und verließ mit dem gespannt zuschauenden Bomba dasZimmer. Der Hund lief an ihm vorbei Richtung Treppe und Jonathan gabsich Mühe den Abstand nicht zu groß werden zu lassen. Gemeinsamtraten sie auf die Terrasse und Bomba rannte sofort RichtungSommerlaube. Die stand ein Stück weiter, wo der Weg einen Knick nachrechts machte.

„Bomba nicht so schnell, ich bin ein alter Mann, auch wenn der Scheinmanchmal trügt.“

Doch da kam der Hund schon wieder hinter der Sommerlaube hervor,nur das er jetzt einen Stock im Maul hielt. So wie er Jonathan anblicktewartete er nur darauf, dass Jonathan ihm das Holz abjagte.

„Tja mein Freund, für solche Spielchen bin ich einfach schon zu alt,entweder du bringst ihn mir oder du musst alleine spielen“, zeigte sichJonathan nicht kompromissbereit.

Bomba verdrehte den Kopf, als wenn er über Jonathans Wortenachdachte und als er erkannte, dass es Jonathan ernst meinte, da kamer an getrottet und legte Jonathan das Holz vor die Füße, wobei es fastso aussah, als wenn er das ein wenig widerwillig tat.

„Na siehste, geht doch“, frohlockte Jonathan und hob den Stock auf. EinSchwung, eine Drehung und schon flog das Holz durch die Luft undBomba rannte hinterher.

Hinter dem Küchenfenster standen Selma und Sally und schautengebannt zu, wie der neue Herr des Anwesens mit Bomba derFranzösischen Bulldogge Stöckchen-Holen spielte.

„Findest du, dass der Mann wie Mitte sechzig aussieht“, wollte Selmavon Sally wissen.

„Wer sagt denn, dass er so alt ist?“, schlug Selma sofort der Unglaubeaus Sallys Stimme entgegen.

„Siehst du, ich sage doch, dass man ihm das Alter nicht ansieht“, gingdie Köchin gar nicht erst auf die Gegenfrage ein.

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„Willst du damit andeuten, dass er wirklich schon so alt ist?“, schien Sallyein wenig schwer von Begriff.

„Na, davon rede ich doch die ganze Zeit, Dummerchen“, wobei dasDummerchen von Selma keineswegs böswillig klang.

Sally war ein hübsches Ding, Mitte zwanzig mit einem fünfjährigen Sohn,dessen Vater Sally sitzen gelassen hatte. Sie war dankbar als SirEdward ihr die Stelle anbot. Sie wohnte in Credenhill und brauchte mitdem Fahrrad knapp eine Viertelstunde. Bei schlechtem Wetter holte sieRobert auch mal ab. Ihre Aufgabe bestand hauptsächlich darin, dieZimmer sauber zu halten und die Wäsche zu waschen. Waren Gästeeingeladen so half sie Selma in der Küche und beim servieren. Alles inallem hatte sie ein gutes Leben auf dem Anwesen, wie übrigens alleAngestellten.

„Verstehst du, warum so ein Mann keine Frau hat?“, lenkte Selma dasGespräch in eine andere Richtung.

„Hat er nicht?“, erwiderte Sally verträumt. „Woher du das alles weißt?“,dabei klang ein wenig Bewunderung aus ihrer Stimme.

Selma schien die Rolle zu genießen, in welche sie Sally schob.

„Er saß gestern Früh hier bei mir in der Küche und wir plauschten einwenig“, machte sich Selma noch ein wenig interessanter.

„So, so, wenn ich da mal nichts merke“, kicherte Sally, „nicht das du dichnoch in Lady Wullingham verwandelst“.

Selma wurde leicht rot und wehrte sich energisch gegen solcheMutmaßungen, obwohl ihr der Gedanke außerordentlich gut gefiel. Allesgefiel ihr daran, der Mann, die Stellung, das Ansehen in der Gemeinde,doch sie wusste aus ihrer Lebenserfahrung, solche Träume wurdenselten wahr.

„Lass deine Spinnereien, finde du lieber einen Mann für dich und einenVater für deinen Jungen“, lenkte Selma den Blick der jungen Frau aufdas Wesentliche im Leben.

Gewaltsam riss Selma ihren Blick von dem Bild, das sich ihr im Gartenbot, und wandte sich wieder der Küchenarbeit zu. Der Fünf-Uhr-Tee

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stand bald bevor. Die Angestellten versammelten sich dazu immer in derKüche und der Herr hatte höflich nachgefragt, ob er sich dazugesellendurfte. Schlechterdings konnte ihm das niemand verwehren. Doch dieZeit würde kommen, da nahm er seinen Tee und auch die anderenEssen in seinem Arbeitszimmer ein, so glaubte jedenfalls Selma.

Egal was die nächsten Tage bringen würden, Jonathan und Bombawaren schon jetzt ein unzertrennliches Paar, mal mit und mal ohneCaligula. Die Unterschrift vor dem Notar war eine reine Formsache, nurdass Jonathan hinterher überrascht darüber war, als ihn alle mit Mylordanredeten. Gleich beim nächsten gemeinsamen Essen rückte er dieDinge wieder ins richtige Licht.

„Es ist mir egal, das ich jetzt der Viscount von Wullingham bin, wenn siemich nicht weiterhin mit Sir anreden, dann kürze ich ihre Gehälter“,spielte Jonathan gekonnt den genervten Menschen, nur um loszulachen,als er ihre erschreckten Gesichter sah. „Spaß! Nein, im Ernst, Sir reichtvollkommen aus“, machte Jonathan den Anwesenden, freundlich, aberauch mit einem gewissen Nachdruck, seinen Standpunkt klar.

„Aber eure Lordschaft, das geht doch nicht“, warf Henry die sonstgezeigte Zurückhaltung wie Abfall über Bord. „Ihr seid der höchsteWürdenträger der Region, habt einen Platz im Stadtrat, spendet großeBeträge an karikative Vereine, der Titel steht euch einfach zu.“

Jonathan hörte sich den Einspruch des Buttlers in Ruhe zu Ende an, umihm dann leidenschaftslos zu antworten.

„Den Titel habe ich geerbt, nicht verdient und die Spenden werden auseinem Fond bezahlt, den Lord Edward eingerichtet hat. – Und das mitdem Stadtrat muss ich mir noch reiflich überlegen. Henry, egal welcheMühe sie sich geben, aus mir wird niemals ein richtiger Edelmann, ichbin nur ein Künstler der viel Glück hatte, nicht mehr, aber auch nichtweniger.“

Ohne ein weiteres Wort über das Thema zu verlieren, verließ Jonathandas Speisezimmer und anschließend das Haus. Bomba brauchte keinegesonderte Aufforderung mehr, er folgte Jonathan sowieso überall hin.Jonathan verließ das Anwesen in östlicher Richtung. Nachdem er denHügel passiert hatte, blickte er auf weite, blühende Wiesen. In einiger

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Entfernung durchschnitt die Landstraße, die nach Credenhill führte, diebunte Gras- und Blumendecke.

„Bomba, verstehst du den ganzen Quatsch mit dem Titel. Bin ich dennein anderer, nur weil ich zu allem auch noch einen Titel geerbt habe?“,fragend sah Jonathan den Hund an, ohne wirklich eine Antwort zuerwarten. „Das liebe ich so an dir, du widersprichst nicht und stellst auchnicht solche absurden Forderungen. Dir ist es egal wie ich heiße und werich bin, Hauptsache ich gehe mit dir spazieren oder werfe dasStöckchen. Es gibt einfach keinen besseren Freund als einen Hund.“ Einkleiner, spitzer Kopf schob sich aus der ledernen Bauchtasche und zweischwarze Knopfaugen sahen ihn vorwurfsvoll an.

„Entschuldige Caligula, natürlich gehörst du ebenfalls zur Kategoriebester Freund, nur das mit dem Stöckchen müssen wir noch üben.“Schuldbewusst griff Jonathan in die Jackentasche und holte einspezielles Leckerli hervor, dass er Caligula hinhielt. „Wieder Freunde?“Caligula nahm die Bestechung an und somit war die Sache vergessen.

So weit wie heute hatte er sich bei seinen Spaziergängen noch nie vomAnwesen entfernt. Ein Stück vor ihm zweigte ein Feldweg von derLandstraße ab, um nach ein paar hundert Metern an einem einsamen,schmucken Häuschen zu enden.

„Ah, ich glaube mich zu erinnern, dass Henry das Haus erwähnte. Dortsoll angeblich eine alte, schrumpelige Hexe leben, die alte Männerverführt und ungezogene Hunde in die Bratröhre schiebt.“

Erstaunt bemerkte Jonathan die Reaktion seines Hundes. Bomba bliebabrupt stehen und schnaufte hörbar durch die Nase, so als wollte ersagen, so einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört.

„Du willst doch damit nicht etwa andeuten, dass du meinen Worten nichttraust? Was muss ich für ein schlechter Geschichtenerzähler sein, dassmir nicht mal ein Hund eine Geschichte abkauft? Na gut, ich gebe michgeschlagen, du hast recht. Da vorn lebt bestimmt eine nette Frau, dieuns etwas zu trinken geben wird. Nun komm aber, sonst verdurste ichnoch.“ Plötzlich rannte Jonathan los und rief hinter sich, „wer zuerst daist, der hat gewonnen.“

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Obwohl Jonathan schon einen kleinen Vorsprung herausgelaufen hatte,vollbrachte Bomba mit seinen kurzen Beinen das Kunststück seinenHerrn noch abzufangen. Was wohl vor allen daran lag, dass JonathansBeine kurz vor dem Ziel immer schwerer wurden. Doch Bomba wusstewas sich gehörte und ließ seinem Herrn am Ende doch den Vortritt. Dasletzte Stück ging Jonathan wieder im Schritt, wohl in der Hoffnung, dasssich sein Atem schneller beruhigte.

Wie so viele Häuser hier bestand auch dieses aus grauem Naturstein,mit der besonderen Note, dass die Wände teilweise mit wildem Weinbewachsen waren. Sein Klopfen an der Haustür schien in denunendlichen Weiten des Weltalls zu verklingen, denn niemand öffnetedie Tür. Resigniert wollte er schon aufgeben als Bomba auf die Idee kamauch mal hinter dem Haus nachzusehen. Jonathan staunte, als er imrückwärtigen Schatten des Hauses einen schmucken, nichteingezäunten Garten erblickte. Eine Bewegung lenkte dann seineAufmerksamkeit auf die Person, die auf der Erde kniete, umirgendwelche Gartenarbeit zu verrichten. Da war eine Frau, die seinNäherkommen einfach zu ignorieren schien oder war sie so in ihreArbeit vertieft, dass sie ihn einfach nicht bemerkte? Erst als Jonathandirekt vor ihr stand und sich dezent räusperte, zeigte die Frau eineReaktion, indem sie den Kopf mit dem kurzen, kastanienbraunen Haarenanhob. Große, braune Augen, die gut zu ihrer Haarfarbe passten,guckten ihn fragend an. Seine stehende und ihre kniende, leichtvorgebeugte Stellung gewährten Jonathan unvermittelt einen Einblickin ihren Ausschnitt. Ihre üppigen, wohlgeformten, weiblichen Attributeließen ihn alles Andere vergessen, sogar was er hier eigentlich wollte.Erst ihre, für eine Frau recht tiefe Stimmte, brachte ihn in die Wirklichkeitzurück.

„Guter Mann sind sie nur hergekommen, um mich von der Arbeitabzuhalten und in meinen Ausschnitt zu starren oder gibt es auch nocheinen anderen Grund?“

Obwohl man den Inhalt ihrer Worte durchaus als Abweisung auffassenkonnte, klang ihre Stimme eher amüsiert. Während sie sprach erhob siesich und unterzog Jonathan einer kritischen Begutachtung. Geradeglaubte Jonathan die richtigen Worte gefunden zu haben, als erbemerkte, dass sie unter dem dünnen T-Shirt nichts als nackte Haut trug,

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zu deutlich zeichneten sich die vollen Rundungen und sogar dieBrustwarzen ab. Jonathan schluckte den Kloss herunter, der sich geradein seinem Hals bildete, riss seine Augen gewaltsam von demverführerischen Anblick los und fing an zu stammeln.

„Hm, entschuldigen sie, aber ich war nicht - ich war nicht, wie soll ichsagen?“, und schon wieder fehlten ihm die Worte. Schließlich konnte erwohl kaum sagen, ich war nicht darauf vorbereitet mit so großen,wohlgeformten Brüsten konfrontiert zu werden.

Gewaltsam jagte er seine Gedanken in eine andere Richtung, umendlich sein Anliegen ohne zu stottern vorzubringen.

„Wir, mein Hund Bomba, Caligula und ich kamen nur vorbei, weil uns derDurst quälte. Ich wollte nur höflich nachfragen, ob sie vielleicht einenSchluck Wasser für uns haben?“

Jetzt erst schien die Frau den hechelnden, ihr wohlbekannten Hundwahrzunehmen.

„Ach du meine Güte, der neue Lord! Wenn ich mal da nicht schön insFettnäpfchen getreten bin“, gleichzeitig schaute sie sich suchend um,„und wo ist der zweite Hund?“

„Oh, für das Missverständnis bin ich verantwortlich“, dabei stieß er einenleisen Pfiff aus, der den versteckten Begleiter hervorzauberte. „Caligulaist meine zahme Hausratte.“

Die Frau bekam große, ungläubige Augen, als die Ratte an der Kleidungnach oben auf Jonathans Schulter kletterte.

„Jetzt verstehe ich, warum man sie den verrückten Lord nennt.“

„Mein Hund Bomba, Caligula und ich nehmen nur etwas zu trinken vonihnen an, wenn sie den Lord weglassen und mich Jonathan nennen“,überging Jonathan geflissentlich ihre Äußerung.

„Wenn das Lord Edward hören würde, er würde sich im Grabeumdrehen, aber mir soll es recht sein. Aber nur wenn sie mich Carlottanennen“, gleichzeitig zeigte Carlotta auf eine Bank, die am Haus imSchatten stand, „wenn sie dort warten würden, dann hole ich dasVerlangte.“

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Als sie sich so gegenüberstanden, sprang sofort der Größenunterschiedzwischen ihnen ins Auge. Gegen Jonathan 185 cm Körpergröße wirkteCarlotta mit ihren knapp 165 cm eher klein. Der Unterschied wurde nochdadurch verstärkt das Jonathans Körper fast schon drahtig wirkte,während ihre Formen weich und rund waren, ohne dass die Frau dabeipummelig wirkte. In ihrer Aufmachung, mit T-Shirt, kurzer Hose,schmutzverschmiertem Gesicht, machte sie auf ihn einen fast nochmädchenhaften Eindruck. Doch bei genauerem Hinsehen ließ sich ihrwahres Alter nicht leugnen. Jonathan schätzte sie Ende dreißig, Anfangvierzig, was für ihn ein durchaus knackiges Alter darstellte. WährendCarlotta ins Haus eilte, setzte sich Jonathan, mit Caligula auf derSchulter, auf die Bank und Bomba legte sich vor ihm hin.

Natürlich hätte ich nicht so offensichtlich auf ihre Brüste starren dürfen,überdachte Jonathan sein Verhalten, vielleicht nicht die optimale Art umsich kennenzulernen. Andererseits war die Frau natürlich selber schuldmit ihrem gewagten Outfit, fand Jonathan schnell eine Entschuldigungfür sich. Doch bei Abwägung aller Umstände gelangte er zu derEinsicht, dass Carlotta, wenn sie allein in ihrem Garten rumwühlte,tragen konnte was sie wollte, schließlich musste sie auf niemandenRücksicht nehmen. Und wenn er ganz ehrlich war, wäre es schadegewesen, ja fast schon ein Verlust, wenn ihm der Anblick ihrerweiblichen Attribute entgangen wäre. Plötzlich lachte er in sich hineinund beendete den Gedankengang, Carlotta hatte einfach prachtvolleDinger.

Die Zeit verrann, irgendetwas schien seine Gastgeberin aufzuhalten. Alssie dann mit dem Gewünschten erschien, erkannte Jonathan sofort denGrund der Verzögerung. Carlotta hatte sich schnell noch frisch gemachtund umgezogen. Ein wenig enttäuscht stellte Jonathan fest, dass siejetzt unter dem sommerlichen Kleid einen BH trug. Bevor Carlotta dieSchüssel mit Wasser für den Hund vor Bomba abstellte, reichte sieJonathan ein gefülltes Glas. Verwundert beobachtete sie, wie Jonathandas Glas neben sich auf die Bank stellte, mit der hohlen Hand Wasseraus der Schüssel schöpfte, um die Hand dann Caligula hinzuhalten.Caligula kletterte auf den Arm und sah neugierig in den kleinenWassertümpel, der sich ihm so darbot. Doch auf irgendetwas schien derkleine Nager noch zu warten. Als gleich darauf Bomba mit der Zunge

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durchs Wasser schlabberte, neigte auch Caligula sein Köpfchen, um mitseiner putzigen Zunge das Nass aus Jonathans hingehaltener Hand zulecken. Erst nachdem seine Tiere versorgt waren, ergriff Jonathan seinGlas, um endlich seinen Durst mit dem kühlen, prickelndenMineralwasser zu stillen.

„Danke Carlotta, vermutlich haben sie Bomba, Caligula und mir dasLeben gerettet“, wusste er anschließend was sich gehörte, wobei ernatürlich ein klein wenig übertrieb.

„Kaum der Rede wert“, im letzten Moment verschluckte Carlotta denMylord und sagte nur, „Jonathan. Ich wäre ihnen jedoch dankbar, wennsie den peinlichen Anfang unserer Begegnung vergessen würden.Bedenken sie, eine unbedachte Äußerung von ihnen und die Leutezerreißen sich die Mäuler über mich“, spielte Carlotta diskret auf denUmstand an, wie sie sich kennengelernt hatten.

„Wie könnte ich das vergessen?“, dabei senkte er den Kopf und sah ihrvon unten scheel in die Augen, „aber selbstverständlich werde ich keinWort darüber verlieren, großes Lord Ehrenwort. Diese Episode soll unserkleines Geheimnis bleiben, brauche sowieso eine Verbündete, meineAngestellten wollen unbedingt einen Edelmann aus mir machen, aberdas bin ich einfach nicht.“

„Ja, aber was sind sie dann?“, verstand Carlotta seine Ablehnung nicht.

„Ich bin Kunstmaler, habe einen guten Galleristen, etwas Glück beimeinen Ausstellungen, so dass ich relativ unabhängig bin. Im letztenJahr ließ ich das Malen jedoch schleifen, dafür fing ich mit demSchreiben an. Und nun das. Lord Edward setzte mich aus unerfindlichenGründen als seinen Erben ein. Außer, dass er vier Bilder von mir besaßund mich vor Jahren mal einlud, gab es eigentlich keine Verbindungzwischen uns. Eigentlich ist er also Schuld daran, dass ich so auf ihre,ihre, - na ja, starrte“, verkniff sich Jonathan das Wort Titten, bei seineretwas umständlichen Erklärung für sein ungebührliches Verhalten.

„Der alte Lord wird schon seine Gründe gehabt haben, auch wenn wir sienicht nachvollziehen können. Vielleicht war ja genau das seineÜberlegung, jemanden auf seinen Platz zu setzen, der das Leben mitganz anderen Augen sieht. Eben nicht wie ein Edelmann, sondern wie

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ein Künstler, denn das bedeutete Veränderungen und die wiederumsorgen für einen frischen Wind, der dann anschließend durch dieverstaubte Gesellschaft von Wullingham und Credenhill weht. Er warschon ein seltsamer Kautz und ich traue es ihm durchaus zu, dass erseine Mitmenschen mit etwas Anderem konfrontieren, man könnte auchsagen ärgern wollte. Aber das kann ihnen doch sowieso alles egal sein,sie sind jetzt der Herr von Wullingham und sie bestimmen wie der Hasehier läuft. Wenn sie es wollen ziehen die Hasen sogar schwarz-weißgeringelte Anzüge an und schlagen Purzelbäume“, teilte ihm Carlottaunverblümt ihre Ansicht der Dinge mit.

„So viel Macht habe ich?“, entfuhr es Jonathan erschrocken.

„Ja, was dachten sie denn?“

„Darüber habe ich mir noch keine tiefschürfenden Gedanken gemacht.Mein Interesse an Macht hält sich in Grenzen, ich bin ein kreativerMensch, eher den schönen Dingen des Lebens zugeneigt.“ Dabei konntees sich Jonathan nicht verkneifen nochmals auf ihren üppigen Busen zuschielen.

Natürlich bemerkte Carlotta seinen Blick, verkniff sich aber jedediesbezügliche Bemerkung, dafür ließ sie ihren Gedanken freien Lauf.Lord Wullingham, Lord Wullingham, du bist mir ja ein schlimmer Finger.Wenn das mal gut geht, was immer sie damit meinte.

„Vielen Dank für ihren Antrittsbesuch, wenn ich ihn mir ehrlich gesagtauch etwas anders vorgestellt hätte“, sagte Carlotta stattdessen.„Vielleicht kündigen sie sich das nächste Mal an, so dass ich ihnen in dergebührenden Kleidung gegenüber treten kann.“

„Ich werde mir ein Horn anschaffen und schon von Weitem hineinblasen,so dass der laute Ton sie vorwarnt“, erwiderte Jonathan todernst, sodassihn Carlotta überrascht anschaute. Erst als sie das Zucken seinerMundwinkel sah, erkannte sie, dass sie gerade auf den Arm genommenwurde.

„Bei einem Mann ihres Alters könnte man doch annehmen, dass siediese Entwicklungsphase längst hinter sich gelassen haben“, ging siegespielt vorwurfsvoll auf seinen Spaß ein. Nur um gleich darauf lächelndhinzuzufügen, „da sie sich anscheinend ihr kindliches Gemüt erhalten

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haben, wird die Gemeinde noch viel Spaß mit ihnen haben“, dabeikonnte sie sich ein Glucksen, dass stark an eine Henne erinnerte, nichtverkneifen.

„Vielen Dank für das Wasser. Da meine Füße ein gutes Gedächtnishaben, werden sie mich mit Sicherheit, auf meinen Spaziergängen, desÖfteren in diese Richtung tragen. Für die Wortkargheit meiner Füßemöchte ich mich indes entschuldigen, deshalb frage ich sie, sind wirauch willkommen?“, überging Jonathan einfach ihre vorherigeAnspielung und wandte sich seiner realen Zukunft zu.

Carlotta sah ihn, ob seiner ungewöhnlichen Art und Weise, wie er dieFrage formulierte, mit großen Augen an. Dass sie von seiner Art angetanwar, zeigte sie dann durch ein freundliches, ehrliches Lächeln, welchesihn jedoch nur darauf aufmerksam machte, dass ihre vollen Lippen,etwas äußerst Verführerisches an sich hatten.

„Ich würde mich sehr freuen, denn es ist erfrischend, sich mit ihnen zuunterhalten“, und dann fügte sie noch leise hinzu, „habe mich schonlange nicht mehr so gut amüsiert und sogar zum Lachen haben sie michgebracht.“

*

Währenddessen auf Wullingham Castle, nachdem Jonathan dasEsszimmer so plötzlich verlassen hatte. Verdatterte Bedienstete hülltensich in betretenes Schweigen, um darüber nachzudenken, wie dieÄußerungen ihres neuen Herrn einzuschätzen seien. Henry, der nichtnur die erste Position unter den Bediensteten bekleidete, sondernwahrscheinlich auch der Gescheiteste von ihnen war, fing sich als erster.

„Natürlich verhält sich der neue Herr nicht standesgemäß, aber er hatnatürlich recht, wenn er behauptet kein Edelmann zu sein. Man hat esoder man hat es eben nicht. Wir werden uns einfach daran gewöhnenmüssen das Sir Jonathan sich etwas anders gibt als Lord Edward.“

„Na und! Lord Edward war im ganzen Jahr nicht so viel mit unszusammen wie der neue Herr, seit er hier ist. Ich finde ihn einfach nurnett“, machte Selma keinen Hehl aus ihrer Zuneigung.

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„Ich finde das auch“, stimmte Sally zu, „und wie er mit der zahmen Ratteumgeht, das ist doch süß.“

„Ich kenne ihn noch zu wenig“, meldete sich nun auch Robert zu Wort,„doch jedes Mal wenn ich ihn traf, zeigte er sich freundlich undinteressiert an meiner Arbeit. Er ist anders als Adlige normaler Weisesind. Doch das ist seine Sache. Solange er nicht mit mir rumnörgelt,habe ich nichts an ihm auszusetzen.“

Will und Benny nickten zustimmend, obwohl sie den neuen Herrn nochweniger kannten.

„Genau das wollte ich ja damit sagen. Wir machen unsere Arbeitgenauso wie immer und der Herr darf seinen Spleen ausleben, denn erist nun mal der Herr“, zeigte Henry deutlich auf, wie er das VerhältnisHerr und Untergebene sah. Alle Anwesenden nickten zustimmend unddamit war die Sache fürs Erste erledigt.

*

Sein Abendbrot nahm Jonathan in seinem Arbeitszimmer ein, dabeistellte er verwundert fest, dass die Bilder schon an der Wand hingen.

„Das ist gut, dass ihr wieder bei mir seid, denn dann ist auch immeretwas von meiner Wanda bei mir.“

Bomba hob den Kopf und sah seinen Herrn interessiert an. Nach einerkurzen Denkpause, wenn so etwas bei Hunden überhaupt möglich ist,blickte die Französische Bulldogge zuerst nach links und dann rechts.Für Jonathan sah es fast so aus, als wenn der Hund die Bildereingehend studierte, was natürlich keinen Sinn ergab, da kein Hund einirgendwie geartetes Kunstverständnis besaß. Oder sollte Bomba etwa,nein das war nun doch zu verrückt, beendete Jonathan seinenGedankengang.

Die nächsten Tage brachten einen gewissen Stress. Der Schneidernahm Maß und Jonathan musste die Stoffe aussuchen, wobei ihn Henryhilfreich zur Seite stand. Die gleiche Tortur erwartete ihn beim Besuchdes Schusters. Trotzdem meisterte Jonathan die nächsten Tage inseiner leichten, charmanten Art. Zwischendurch fand er immer wiederZeit, um mit Bomba in der Gegend herumzustromern, wobei er wie

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zufällig, hin und wieder auch das Haus von Carlotta besuchte. Nachseinen Anweisungen wurden weitere Bilder von ihm, an ausgesuchtenWänden aufgehängt und er richtete sich hinter seinem Arbeitszimmer, indem großen, leeren Saal, ein Atelier ein. Als ein paar Tage später eingroßer Lastwagen mit den Sportgeräten kam und die Begleiter allesaufgestellt und zusammen montiert hatten, war sein persönlicherHausstand komplett.

Jonathan hielt nun den Zeitpunkt für n gekommen, um einen Tagesplanauszuarbeiten, schließlich musste er all seine Aktivitäten unter einen Hutbekommen. Um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, ergriff er Papierund Bleistift und setzte sich an seinen Schreibtisch. Wenn er um neunUhr frühstücken wollte, dann musste er wenigstens eine Stunde vorheraufstehen, schließlich musste er vorher mit Bomba Morgen-Gassi gehen.Während Bomba das kleine Wäldchen aufsuchte, konnte er seinmorgendliches Tai Chi abhalten und anschließend ein paar RundenSchwimmen. Ankleiden, Frühstücken, danach eine Stunde Fitnessraum.Vor dem Zwölf-Uhr-Dreißig Mittagessen noch eine große Runde mitBomba. Mittagsruhe, von Zwei bis Drei Uhr Bogenschießen oderFechten, danach die nächste Runde mit Bomba, Fünf-Uhr-Tee, dreiStunden ins Atelier, Abendbrot, zum Abschluss des Tages noch einwenig am Buch schreiben. Vor der Nachtruhe noch mal mit, Bomba raus.Nachdem er alles auf den Zettel geschrieben hatte, runzelte er die Stirn.

„Vierundzwanzig Stunden sind zu kurz für einen Tag, da kommen dochbestimmt noch Sachen auf mich zu, die hier nicht draufstehen.“ Beidieser Erkenntnis schob Jonathan den Zettel unwirsch beiseite.

Bevor ihm dieser negative Gedanke die Stimmung verdarb, brachte sichder Hund in Erinnerung, indem er mit seinen kurzen Beinen an ihmhochsprang und seinen kleinen Kopf auf Jonathans Oberschenkelnablegte. Bei so viel Anhänglichkeit blieb Jonathan nichts anderes übrigals den Hund zu streicheln.

„Du hast ja vollkommen recht Bomba, alles nur selbstgemachter Stress.Du meinst also, der Plan sollte nur ein Wegweiser sein, nichts von demman sich zwingen lässt. Kluger Hund, wie immer hast du recht. Zwang istDruck und Druck hasse ich wie die Pest, denn er macht mir schlechteLaune und am Ende bin ich wieder depressiv. Was sollte ich nur ohne

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dich machen, mein schlauer Hund. – Was sagst du, Caligula ist auchnoch da. Ja natürlich und daran wollen wir auch nichts ändern. Eherstreiche ich alle anderen Aktivitäten, als das ich die Zeit mit euchbeschneide. Vermutlich reicht es aber schon, wenn wir die anderenAktivitäten um ein paar Minuten kürzen. Du bist ein toller Hund, kommlass uns noch ein wenig an die frische Luft gehen, morgen beginnt derErnst des Lebens.

II Ein geheimnisvoller Fund

Früh am nächsten Morgen, Selma, Henry, Robert und Benny saßen inder Küche und warteten auf den Rest der Belegschaft. Gleich daraufging die Tür auf und Will und Sally traten ein. Beide wohnten nicht aufdem Anwesen sondern in Credenhill und wie so oft hatte Will mit seinemMoped Sally abgeholt und mitgenommen.

„Habt ihr schon gesehen?“, wandte sich Sally aufgeregt an dieWartenden.

„Was sollen wir gesehen haben?“, nahm Henry die Frage äußerstreserviert entgegen.

„Na, der Lord auf dem Burghügel, er steht da, erstarrt zur Salzsäule undscheint auf irgendetwas zu warten“, erklärte Will.

Robert, Selma und Benny sprangen vom Tisch auf und eilten zumFenster.

„Na, da müsst ihr etwas Anderes gesehen haben. Gerade bewegt erseine Arme wie in Zeitlupe und jetzt hält er sie so, als wenn er einengroßen Ball vor dem Bauch festhält“, stellte Robert lapidar fest.

„Was macht er da bloß?“, entfuhr es Selma.

„Seht doch nur, jetzt kommt Bewegung in die Sache“, fügte Sallystaunend hinzu, nachdem sie sich zu Selma ans Fenster gesellt hatte.

„Ich glaube, ich habe sowas schon mal im TV gesehen, in einer Sendungüber China. Da standen viele Menschen auf einem Platz und bewegtensich genauso seltsam“, behauptete Benny plötzlich.

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„Er praktiziert Tai Chi, auch bekannt als chinesisches Schattenboxen“,sah sich Henry anscheinend genötigt den Schaulustigen eine Erklärungzu geben. „Dabei handelt es sich um einen klar umschriebenenBewegungsablauf aufeinander folgender, fließender Bewegungen.“Obwohl er sich viel Mühe gab, es sich nicht anmerken zu lassen, genosser sichtlich die Rolle des Wissenden.

„Aber zuerst stand er doch nur still rum. Da war von fließendenBewegungen nun wirklich nichts zu sehen“, meldete sich Willneunmalklug.

„In dieser Stellung ließ der Lord sein Qi durch den Körper fließen, einenur schwer zu beschreibende Energie“, belehrte ihn Henry.

„Hab ich auch so ein Qi?“, kam es zaghaft von Sally.

„Die Frage kann ich dir nun wirklich nicht beantworten. Die Lehrebehauptet zwar jeder besäße dieses Qi, doch vermutlich muss mandaran glauben und Taijiquan praktizieren, um die Energie zu aktivieren.“

Fast hätte Henry sich verraten, denn seine Worte kamen mit solcherÜberzeugung, dass es schon verwunderlich war, dass niemandnachhakte. Hätte Henry ihnen verraten, dass er selbst seit Jahren TaiChi in seinem Zimmer praktizierte, dann hätten sie verstanden, warum erso gut Bescheid wusste.

„Und was ist dann Taijiquan“, brauste Benny auf.

„Der ursprüngliche Begriff, der eine innere Kampfkunst zurSelbstverteidigung beschreibt“, wusste Henry auch darauf eine Antwort.

„Er scheint fertig zu sein, denn er kommt den Hügel herunter“, rief Sallyaufgeregt.

„Dann wird es langsam Zeit, dass ihr eure plattgedrückten Nasen vomFenster entfernt oder was soll der Lord von euch denken?“ brachteHenry klar zum Ausdruck, dass er ihr Benehmen missbilligte.

Rasch entfernten sich alle von den Fenstern und setzten sich an denTisch, um sich endlich dem Frühstück zu widmen. Nur Sally stand nachein paar Bissen wieder auf und schaute aus dem Fenster.

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„Ist ja unglaublich, so ein alter Mann und so ein Body“, sprach sie leisezu sich selbst. Nachdenklich kehrte sie zum Tisch zurück.

„Und was macht er jetzt?“ konnte Selma ihre Neugier nicht längerverbergen.

„Er scheint ein paar Bahnen zu schwimmen, auf jeden Fall ist er in dasSchwimmbecken gesprungen“, teilte Sally ihre Erkenntnisse mit denanderen.

Damit war das Thema durch, alle beendeten ihr Frühstück, um sichanschließend an ihre Arbeit zu begeben.

Henry begab sich in die Empfangshalle und wartete auf seinen Herrn,der hier vorbei musste, wenn er auf sein Zimmer wollte. Und da kam erauch schon mit Bomba im Schlepptau. Jonathan begrüßte ihngutgelaunt.

„Guten Morgen Henry, ankleiden kann ich mich noch alleine, sie könnenschon das Frühstück holen. Einen leicht gebräunten Toast mit Butter undErdbeermarmelade und einen Topf Kaffee mit zehnprozentigerKondensmilch, aber eigentlich weiß Selma wie ich ihn mag.“

Locker stieg Jonathan die Treppe hoch und ließ einen nachdenklichenHenry zurück. Als Henry mit dem Frühstück im Arbeitszimmer erschien,saß Jonathan schon hinter seinem Schreibtisch und las in einem kleinenBuch. Jonathan ließ das Buch im Schubfach verschwinden, um sich mitviel Appetit dem Frühstück zu widmen. Zwischendurch ließ er sich vonHenry Bericht erstatten.

„Heute Vormittag bringt der Tischler die Holzgestelle für die Schwerterund das Didgeridoo. Auch die Halterungen für Bogen, Köcher, Bumerangund Tomahawk werden angebracht. Außerdem wollte ich an dieEinladung des Bürgermeisters von Credenhill für morgen erinnern,Audienz, Eintrag ins Goldene Buch mit anschließendem Essen.“

Bei der letzten Ankündigung bekam Jonathans Gesicht einen süßsaurenAusdruck. Doch er fing sich schnell wieder, da er längst eingesehenhatte, dass er sich vor seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nichttotal drücken konnte. Das einzig Gute daran war, dass es erst morgenstattfand und er sich heute noch seinen persönlichen Belangen widmen

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konnte. Er freute sich schon darauf, dass er gleich nach dem Frühstückdie neuen Geräte im Fitnessraum ausprobieren würde. .

Der Tag verlief dann auch ganz nach Jonathans Geschmack. Als er sichdann nach seiner Mittagsruhe mit Pfeil und Bogen, Henry trug dieZielscheibe und das dazugehörende Gestell, auf den Weg in den Gartenmachte, beobachteten ihn diverse, neugierige Augenpaare. Vor allembestaunten die versteckten Zuschauer die ungewöhnliche Bekleidungvon Jonathan. Woher sollten sie auch wissen, dass die schwarze Hose,Hakama genannt und das weiße Oberteil, Gi genannt, dieentsprechende Kleidung für seinen Sport darstellten. Denn er ging nichteinfach Bogenschießen, sondern übte sich in Kyudo. Deshalb trug er inder Hand auch einen Yumi, einen japanischen Langbogen und über derSchulter den Köcher mit den Pfeilen.

Dem Vorhaben Rechnung tragend, aber vor allem, um zu vermeiden,dass ein verirrter Pfeil jemanden traf, bewegten sie sich ein Stück vomHaus weg. Dort, wurde das Mato, die Zielscheibe so aufgestellt, dass dieSchussrichtung vom Haus weg zeigte. Anschließend schritt Jonathaneine Strecke ab, die ungefähr dreißig Meter betrug. Bedächtig nahm erdie entsprechende Position ein, wobei er sich an die vorgeschriebenenRegeln des Hassetsu hielt. Bevor er mit extrem langsamen BewegungenFüße, Körper und Bogen ausrichtete, entnahm er dem Köcher einenPfeil. Während er den Pfeil auf die Bogensehne legte, atmete er ruhigund tief in den Bauch. Beim Vorspannen der Sehne, streckte er die Armein die Höhe, ohne jedoch die Schultern zu heben, sein Blick war auf dasZiel gerichtet. Dann senkte sich der Bogen langsam, so dass er über denPfeil das Ziel anvisieren konnte, wobei er den Bogen weiter spannte. AlleSinne verbanden nun die Pfeilspitze mit dem Mittelpunkt der Zielscheibe.In dieser Zeit wurde Jonathan zu einem Teil des Schießgeräts und dasSchießgerät ein Teil von ihm. Umso überraschter reagierten dieZuschauer als plötzlich der Pfeil von der Sehne zischte, um wenig spätergenau im Zentrum der Zielscheibe einzuschlagen. Sogar Jonathan warvom Ergebnis leicht verwundert, hatte er doch längere Zeit nicht mehrgeschossen.

„Ein fantastischer Schuss, Sir“, erklang die begeisterte Stimme vonHenry hinter ihm. „Haben sie mal an Wettkämpfen teilgenommen?“

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„Nein“, wehrte Jonathan schroff ab, weil er sich gestört fühlte, lenktejedoch gleich wieder ein. „Für mich ist das Bogenschießen etwas reinSpirituelles, kein Wettkampf“, wobei seine Stimme schon wiederfreundlicher klang. „Ich weiß nicht wie ich es ihnen erklären soll. Es ist soähnlich wie beim Tai Chi, Körper und Umfeld werden eins, ich werdezum Teil eines Großen, Ganzen. Beim Kyudo entwickle ich genau dasgleiche Gefühl, Einklang mit allem was mich umgibt, wobei ich mit Bogenund Pfeil im Zentrum stehe, um dann etwas von mir auf die Reise zuschicken. Im Grunde ist das ganze Vorspiel, der Weg bis zumabschießen des Pfeiles, viel wichtiger, als genau die Mitte derZielscheibe zu treffen. Man könnte es auf einen kurzen Nenner bringen,der Weg ist das Ziel.“

Henry hörte staunend zu, um Jonathan plötzlich mit anderen Augen zusehen. Sein neuer Herr war gar kein verrückter Künstler, sondern einhochsensibler, einfühlsamer Mensch auf der Suche nach Harmoniezwischen Erde und Himmel. Doch sein Mund blieb stumm, dafürsprachen seine Augen Bände, denn von nun an bewunderte er seinenneuen Herrn und war froh, dass er ihm dienen durfte. Vielleicht, wenn erganz großes Glück hatte, wurde er Teil dieser Harmonie. Er würdeAugen und Ohren offenhalten, um ebenfalls hinter dieses Geheimnis zukommen, das schwor er sich.

Inzwischen entspannte sich Jonathan wieder, um sich auf den zweitenSchuss vorzubereiten. Doch dann geschah etwas, dass er hinterherselbst nicht erklären konnte, denn er schloss die Augen. Alles andere liefgenauso ab, wie beim Schuss zuvor, nur dass er das Ziel nicht mit denAugen anvisierte, sondern sich von seinem Gefühl leiten ließ. Henry, derihn kritisch beobachtete, bemerkte Jonathans leichte Drehung imOberkörper und wie er den Höhenwinkel veränderte, doch er getrautesich nicht ihn darauf anzusprechen. Der Pfeil schoss in hohem Bogenweit über das Ziel hinaus, was Henry auf Grund seiner zuvor gemachtenBeobachtung nicht verwunderte. Nachdem Jonathan den Pfeil auf dieReise geschickt hatte, öffnete er seine Augen und schien einen Momentverwirrt, so als wenn er nicht sofort wusste wo er sich befand. Dochdieser Zustand hielt nur einen Wimpernschlag an. Indem Jonathan ruhigein und aus atmete, brachte er sein Inneres wieder ins Gleichgewicht.

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Auf Henrys schwer zu deutenden Blick hin, fühlte er sich genötigt eineErklärung abzugeben.

„Keine Ahnung warum und wieso, aber plötzlich überkam mich einGefühl, dem ich mich einfach hingab. Wohin ist denn der Pfeil geflogen?“

Henry stand noch immer unter dem Eindruck des schwer zu erklärendenGeschehens und es schien ihm die Sprache verschlagen zu haben,denn nur so war es zu erklären, dass er nur mit dem Arm in dieentsprechend Richtung zeigte.

„Na, dann wollen wir den Ausreißer mal suchen.“

Jonathan legte Bogen und Köcher ins Gras und schritt in dievorgegebene Richtung. Auch nachdem sie zweihundert Meterzurückgelegt hatten, blieb der Pfeil spurlos verschwunden.

„Von der Weite her sicherlich ein guter Schuss“, machte sich Jonathanam Anfang noch über sich selbst lustig. Als sich der Pfeil aber partoutnicht finden ließ, wurde er ärgerlich und fügte ungeduldig hinzu, „er kannsich doch nicht in Luft aufgelöst haben, er muss doch zu finden sein.“

Bombas Anblick brachte ihn dann plötzlich auf eine Idee. „Bomba, passauf! Stell dir vor wir suchen ein Stöckchen, eins mit Federn am Ende.Bitte, nun guck mich nicht so an, setz deine Nase ein und such denungezogenen Pfeil. Bedenke aber der Pfeil ist kein Hölzchen zumSpielen.“

Bomba hatte mit verdrehtem Kopf aufmerksam die Ansage seinesHerrchens verfolgt, ließ dessen Worte nur noch ein wenig auf sicheinwirken, um dann den Kopf nach unten zu senken und auf kurzenBeinen das Gelände systematisch abzusuchen. Schnüffelnd bewegte ersich hin und her, wobei er nur wenig Raumgewinn nach vorne machte.Doch irgendwann blieb er stehen und schlug an.

„Er scheint etwas gefunden zu haben“, bemerkte Henry unnötiger Weise.

„Er hat nicht irgendetwas gefunden, sondern den Pfeil“, berichtigte ihnJonathan sofort.

Und so war es dann auch. Die Französische Bulldogge saß vor demPfeil, der tief im Boden steckte, und blickte stolz seinem Herrn entgegen.

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Jonathan wusste was der Hund wollte, also ging er zu ihm, streicheltedessen Kopf und kraulte ihn hinter den Öhrchen, so dass Bombagenussvoll grunzte. Und wieder mal musste sich Jonathan eingestehen,dass diese Rasse Geräusche wie ein Schwein machen konnte. Gleichnach der Belobigung des Hundes wand sich Jonathan dem Pfeil zu.Doch als er ihn einfach so aus dem Erdreich ziehen wollte, musste erfeststellen, dass sich die Pfeilspitze in etwas Festes, versteckt unter Erdeund Gras, hineingebohrt hatte. Jonathan stellte seine Bemühungen ein,denn erstens wollte er den Pfeil nicht abbrechen und zweitens war seineNeugier geweckt. Plötzlich erfasste ihn ein ungeheuerlicher Gedanke.Konnte es sein, dass der verirrte Pfeil kein Zufall war? Eigentlich einvollkommen verrückter Gedanke, dass vielleicht eine höhere Macht denPfeil lenkte, aber warum nicht? ,

*

Zur gleichen Zeit standen die Bediensteten des Hauses Wullingham,ausgenommen Selma, auf dem Dach von Wullingham-Castle. Roberthatte sogar ein Fernglas mitgebracht, obwohl sie von hier oben allesrecht gut überblicken konnten. Erstaunt gewahrten sie Sir Jonathansseltsame Aufmachung.

„Was sind denn das für merkwürdige Klamotten?“, sprach Benny nur auswas alle dachten.

„Scheint irgendwas asiatisches zu sein, dazu passt auch dieser seltsameBogen“, wies Robert auf die ungewöhnliche, asymmetrische Form desSchießgerätes hin.

„Hört doch mal mit eurem Gesabbel auf“, fuhr Sally die Männer an. „Daspasst doch zu ihm, denkt doch nur an das, was er morgens auf demHügel macht, dieses, dieses, wie nannte es Henry?“

„Du meinst Tai Chi?“, half Will ihr auf die Sprünge.

„Ja genau“, schien sich Sally zu erinnern, nur um gleich daraufüberrascht auszustoßen, „da macht er es ja schon wieder, nur mit demBogen in der Hand“, deutete Sally die langsamen, zeremoniellenBewegungsformen von Jonathan nicht ganz richtig.

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„Sieht wirklich merkwürdig aus, wie der Chef Bogenschießen praktiziert“,stimmte Robert der Vorrednerin zu.

„Aber schießen kann er“, verkündete Will, der als erster erkannte, dassder Pfeil von der Sehne geschossen war.

„Der Lord müsste eigentlich Robin Hood heißen, wenn er nicht somerkwürdig gewandet wäre“, stieß Robert plötzlich aus, als er mit demFernglas die Zielscheibe ins Visier nahm.

„Wie meinst du denn dass, zeig doch mal, gib doch mal her“, riefenBenny und Sally durcheinander, während sich Will merklich zurückhielt.

„Na, er hat genau in die Mitte getroffen“, lüftete Robert das Geheimnis,während er das Fernglas Benny reichte.

Benny quetschte seine Augen an die Okulare, weil er nicht glaubenwollte was er sah.

„Mittiger geht’s ja wohl kaum. Der Lord scheint ja ein Meisterschütze zusein.“

Während Benny, Robert und Sally sich mehr auf die Zielscheibekonzentrierten, schien Will mehr das Geschehen um den Lord zubeobachten und so sah er als einziger, wie der zweite Pfeil in hohemBogen seitlich am Ziel vorbeischoss. Ohne ein Wort zu sagen riss erBenny das Fernglas aus der Hand und suchte das Gelände nach demPfeil ab.

„Was hast du denn auf einmal?“, beschwerte sich Benny bei ihm.

„Der zweite Schuss ist in den unendlichen Weiten des Universumsverschwunden und jetzt suchen sie ihn“, knurrte ihn Will nur leise an.

Erst jetzt bemerkten die anderen, dass sich Jonathan, Henry und derHund auf die Suche machten.

„Wie kann man denn einen Schuss genau ins Ziel setzen und denanderen so weit daneben?“, verstand Sally den Widerspruch nicht.

„Eine wirklich gute Frage“, gab ihr Will recht. Endlich hatte er die Stelleim Blickfeld, an welcher der Hund saß und bellte.

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„Fast zweihundert Meter übers Ziel hinausgeschossen, das gibt es dochgar nicht.“ Aufmerksam beobachtete Will das Geschehen, bis er begriffwas sich dort an der Fundstelle abspielte.

„Hier hast du das Glas zurück, ich glaube ich werde gleich gebraucht“,gleichzeitig reichte er Benny das Fernglas. Benny, Robert und Sallysahen sich verdutzt an.

„Weißt du, was Will damit meint?“, wollte Benny von Robert wissen.

Statt einer Antwort nahm Robert Benny das Glas weg und verfolgteAufmerksam das Geschehen an der Fundstelle.

„Der Pfeil scheint sich in irgendetwas, das sich unsichtbar unter demErdreich befindet, hineingebohrt zu haben und nun steckt er fest.Vermutlich brauchen sie einen Spaten, um das Erdreich um den Pfeilherum zu entfernen und deshalb glaubt Will, dass man nach ihm rufenwird“, fand Robert die Erklärung für Wills Verhalten.

„Aber das erklärt doch noch immer nicht warum der Lord weitvorbeigeschossen hat. Irgendetwas Rätselhaftes umgibt den Mann“,gingen Sallys Gedanken in eine ganz andere Richtung.

„Ihr Frauen, was ihr immer gleich hineindichtet. Er hat den Pfeilverrissen, ganz einfach verrissen, passiert dem besten Schützen mal“,hatte Benny eine viel plausiblere Erklärung parat. Da er das nicht geradefreundlich sagte, zog sich Sally schmollend zurück und begab sichwieder ins Haus.

„Benny, Benny, du lernst es wohl nie wie man mit Frauen umgeht. Dabrauchst du dich wirklich nicht zu wundern, dass du noch keine Freundinhast“, wies der ältere Robert den Jüngeren zurecht. „Henry kommtRichtung Haus gelaufen, wir sollten auch wieder an unsere Arbeitgehen.“

Als Henry das Gebäude erreichte, kam Will wie zufällig mit einem Spatenaus der Garage.

„Will, du kommst mir wie gerufen“, ohne eine weitere Erklärungabzugeben, drehte Henry sich wieder um, wobei er eine eindeutigeHandbewegung machte, die Will aufforderte ihm zu folgen. Gemeinsam

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erreichten sie den im Gras sitzenden Jonathan, der gedankenverlorenseinen Hund streichelte. Wills Blick erfasste den Pfeil, der wirklich sehrtief im Erdreich steckte, um anschließend Henry fragend anzublicken.

„Der Pfeil hat sich in etwas hineingebohrt, er muss ausgebuddeltwerden“, erklärte dieser ihm daraufhin.

„Aber vorsichtig, wir wissen ja nicht worin er steckt“, fügte Jonathan nochergänzend hinzu.

Will nickte und fing an das Erdreich um den Pfeil herum auszustechen,um es dann behutsam zu entfernen. Nach und nach entstand ein immertiefer werdendes Loch. Als die Tiefe ungefähr einen halben Metererreichte, stieß das Spatenblatt auf etwas Festes. Mit der Hand entfernteWill das restliche, lose Erdreich, bis eine Holzklappe mit Eisenring zumVorschein kam. Sogleich versuchte Will, auf dem Bauch liegend, dieKlappe zu öffnen, indem er kräftig an dem Eisenring zog, doch dieKlappe ließ sich nicht einen Millimeter bewegen.

„Wer weiß wie lange das Ding nicht mehr benutzt wurde. Will, in dieserStellung verheben sie sich vermutlich eher, als dass ihre Bemühungenvon Erfolg gekrönt sind. Das bedeutet dann wohl, dass sie noch mehrbuddeln müssen. Das Loch sollte so groß sein, dass zwei Männer in ihmstehen können, um gemeinsam, mit Hilfe einer Eisenstange, die durchden Ring gesteckt wird, die Klappe zu öffnen“, ließ Jonathan seinenGedanken freien Lauf. Seine Worte waren einleuchtend, was dazuführte, dass der Gärtner, aber auch der Butler, mit dem Kopf zustimmendnickte.

„Aber das hat bis Morgen Zeit“, fügte Jonathan ergänzend hinzu.

Beim Fünf-Uhr-Tee gab es nur ein Gesprächsthema, die geheimnisvolleKlappe, der Zugang wohin?

Bevor Jonathan und Henry am nächsten Tag nach Credenhill fuhren,wies er den Gärtner an, die Erdarbeiten weiter zu führen, aber mit demÖffnen der Klappe bis zu ihrer Rückkehr zu warten. Der Empfang beimBürgermeister war freundlich, ja fast herzlich, trotzdem war Jonathanfroh als er wieder im Rolls Royce saß und sich auf dem Weg nachWullingham befand. Ohne sich mit irgendetwas Anderem aufzuhalten,begab er sich sofort zur rätselhaften Klappe. Will hatte so viel Erdreich

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entfernt, dass man jetzt bequem zu zweit in dem Loch stehen konnte. Mitvier Stangen und Flatterleine hatte er das Loch abgesichert, umUnaufmerksame vor der Gefahr des Hineinstürzens zu warnen.

Jonathan nickte zufrieden mit dem Kopf, als er sah, dass auch schoneine Eisenstange bereit lag. Da kamen auch schon die kräftigen MännerNamens Robert und Will. Natürlich fanden sich auch die restlichenBediensteten ein, zu großes Interesse hatte der Vorfall bei allengeweckt. Will und Robert stiegen in die Grube, alle anderen schautenmehr oder weniger neugierig auf den Holzdeckel, der irgendetwas vorihnen verbarg. Will steckte die Eisenstange durch den Metallring undRobert ergriff das andere Ende. Beide gingen in die Knie, um gleichzeitigdie Stange kräftig nach oben zu reißen. Beim dritten Mal erklang einStöhnen und Knarren von der hölzernen Klappe, fast so als wenn dasDing lebte. Gleichzeitig gab sie ihren Widerstand auf und ließ sichnach oben bewegen.

Gebannt starrten alle in den dunklen Schacht, der dadurch frei gelegtwurde. Aus irgendeinem Grund hielten einige die Luft an, als wenn sieerwarteten, dass etwas Außergewöhnliches passieren würde. Doch esgeschah absolut nichts. Henry, der vorausschauend eine Taschenlampemitgebracht hatte, trat zusammen mit Jonathan an den Rand desSchachtes, dann leuchtete er hinein. An einer Seite des Schachtesführten Eisenstangen, die in der Wand eingemauert waren, in die Tiefe.Henry und Jonathan rümpften die Nasen und verzogen die Gesichter,denn schlechte Luft schlug ihnen entgegen. Dessen ungeachtetverfolgten sie den Lichtstrahl, bis der, in circa fünf Metern Tiefe, auf densteinigen Boden eines Ganges traf.

„Wir werden uns keiner Gefahr aussetzen, also müssen wir dieentsprechenden Vorbereitungen treffen, bevor wir hinabsteigen. Wirbrauchen Stirnlampen, damit wir die Hände frei haben, sowie Gurte undSeile um uns abzusichern. Schließlich wissen wir nicht, ob die eisernenHalterungen alle noch fest in der Wand sitzen. Auch kleineSauerstoffflaschen mit Masken könnten nützlich sein, da wir nichtwissen, ob sich im Laufe der Jahrhunderte giftige Gase dort untenangesammelt haben, Schutzanzug und Schuhwerk“, überlegte Jonathanlaut.

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„Hört sich ja fast wie eine Höhlenexpedition an“, bemerkte Henry.

„Stimmt, denn genaugenommen ist es das auch“, gab ihm Jonathanrecht.

Der Rest der Bediensteten hörte aufmerksam zu und begriff im selbenMoment, dass heute gar nichts mehr passieren würde.

„Die Klappe bleibt geöffnet, vielleicht wird so der Gang ausreichendbelüftet. – Robert, für die Nacht sichern sie die Stelle zusätzlich auchnoch mit Lampen, sicher ist sicher“, schloss Jonathan das Kapitel für denheutigen Tag. Auf dem Weg zum Haus wand sich Jonathan an Henry.

„Habe ich einen Internetanschluss in meinem Arbeitszimmer? DieEreignisse erlauben es mir nicht, mich weiterhin von der Außenweltabzukapseln.“

„Alles schon erledigt Sir, sie können jederzeit mit ihrem Computer insInternet“, kam die prompte Antwort von Henry.

Abends saß Jonathan dann an seinem Laptop und bestellte all dieDinge, von denen er überzeugt war, dass sie bei der Erforschung desunterirdischen Ganges von Nöten waren.

Die nächsten Tage genoss er auf die Weise, die ihm am liebsten war, ermachte all die Sachen, die auf seinem Tagesplan standen, angefangenmit Tai Chi, Schwimmen, Kampfsport und Spaziergängen. Damit warjedoch Schluss als ein braunes UPS-Auto vorfuhr, um die bestelltenSachen zu liefern.

Zusammen mit Henry inspizierte er in seinem Arbeitszimmer, diegelieferten Sachen. Danach waren sich beide sicher, dass sie gut für dieExkursion unter der Erde ausgerüstet waren.

„Nach dem Essen, Henry? Oder verzichten sie auf das Abenteuer undlassen jemand anderen den Vortritt?“, stellte Jonathan dieentscheidende Frage, denn darüber hatten sie seltsamer Weise nochnicht gesprochen.

Henry war nun alles andere als der Typ Abenteurer, doch er würdeseinen Herrn niemals alleine in die Unterwelt hinabsteigen lassen, dasVerbot ihm seine Buttler-Ehre.

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„Wann immer sie wollen, Sir“, gab er zur Antwort.

Nach dem Essen und einer kleinen Mittagsruhe trafen sie sich wieder inJonathans Arbeitszimmer. Schutzanzüge anziehen, anlegen deskombinierten Brust- und Sitzgurtes, aufsetzen der Stirnlampen undAnziehen des festen Schuhwerkes.

„Die Sauerstoffflaschen sind aber leicht und handlich“, bemerkte Henryals er eine aus der Kiste nahm.

„Ja sie wiegen nur achthundert Gramm und lassen sich gut am Brustgurtbefestigen. Sie reichen maximal für dreiunddreißig Minuten. Natürlich nurbei normaler Belastung des Körpers. Sollten wir jedoch vor einemGespenst flüchten müssen, dann reichen sie entsprechend weniger. Wirstecken uns jeder noch zwei Reserveflaschen ein, das sollte reichen“,schlug Jonathan vor, wobei er schon mit der Befestigung seiner Flaschebeschäftigt war.

Bevor sie das Zimmer verließen, verstaute Jonathan noch seinenFotoapparat in einer aufgesetzten Tasche seines Schutzanzuges.

Draußen auf der Terrasse wartete schon die restlichen Bedienstetenvon Wullingham-Castle. Gemeinsam, laut diskutierend, begaben sie sichzur offenstehenden Luke. Henry und Jonathan klinkten die Seile an denGurten fest, die Sauerstoffmasken wurden aufgesetzt und zum Schlussschaltete jeder seine Stirnlampe an.

Jonathan ließ es sich nicht nehmen als Erster an den Schacht zu treten.Vorsichtig suchte er mit den Füßen nach Halt, während Robert, Will undBenny das Seil straff hielten. Langsam verschwand Jonathans Körperbis nur noch der Kopf aus dem Schacht herauslugte. Er winkte denanderen nochmals zu, dann suchte er Halt für seine Hände und stieglangsam die Eisenstangen hinunter. Dabei war er immer darauf gefasst,dass ein Haken aus der Wand brach, wusste sich jedoch auf dersicheren Seite, da er mit dem Seil hervorragend gesichert war. Dochalles ging glatt und wenig später erreichte er unversehrt den Boden desSchachtes. Neugierig blickte er sich um, ohne etwas Erwähnenswertesfeststellen zu können. Nachdem er sein Sicherungsseil ausgeklinkt hatte,gab er das verabredete Zeichen, indem er dreimal ruckartig am Seil zog.Während er auf Henry wartete, nahm er kurz die Sauerstoffmaske ab

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und probierte die Luft. Sie erschien ihm durchaus genug Sauerstoff zuenthalten, doch aus Sicherheitsgründen legte er die Maske wieder an.Längst war er ein Stück in den Gang getreten, um dem nachfolgendenHenry Platz zu machen und da kam er auch schon.

„Die Luft ist gut, aber wir wissen nicht was uns weiter drinnen erwartet“,erklang Jonathans gedämpfte Stimme durch die Maske, als Henry nebenihm stand. „Wenn ich vorschlagen darf, dann beginnen sie gleich mit derVideodokumentation. Egal, was man darauf später erkennen kann, es istauf jeden Fall besser als nichts. Von Besonderheiten schieße ich dannauch noch Fotos.“

Jonathan wand sich wieder dem Gang zu. Der Tunnel wirkte zwar rechtschmal, doch wenigsten konnten sie aufrecht in ihm gehen. Suchendtasteten sich die Lichtstrahlen ihrer Stirnlampen tiefer in den dunklenGang hinein.

Wenn ich nicht vollkommen meinen Orientierungssinn verloren habe,scheint der Gang Richtung Burgruine zu führen, dachte Jonathan beisich, während sie sich immer tiefer in den Gang hinein begaben. Hier inder Dunkelheit schien die Zeit langsamer zu laufen, wie sonst konnte essein, dass ihm die kurze Strecke wie eine Ewigkeit vorkam. Plötzlichumspielte ein verschmitztes Lächeln seinen Mund, denn ihm fiel einentsprechendes Zitat von Albert Einstein ein: Wenn man zwei Stundenlang mit einem Mädchen zusammen sitzt, meint man, es wäre eineMinute. Sitzt man jedoch eine Minute auf einem heißen Ofen, meint man,es wären zwei Stunden.

Unerwartet traf das Licht von Jonathans Stirnlampe auf eine Mauer, derGang schien dort zu enden, was jedoch keinen Sinn machte. Alsowidmete er sich den dunklen Nischen, die sich links und rechts vor der,den Gang versperrenden, Wand befanden. Gleich darauf erfasste derLichtstrahl seiner Lampe hölzerne Hebel, die in den Nischen aus demBoden ragten. Jonathan ging nicht davon aus, dass die Hebel nicht zurZierde angebracht wurden. Die Dinger machten nur Sinn, wenn man mitihnen etwas öffnen oder verschließen konnte. Schließlich, was sollte derTunnel anderes darstellen, wenn nicht einen geheimen Fluchtweg ausder alten Burg? Daraus ergab sich, dass etwaige Verfolger derFlüchtenden den Fluchtweg, jedenfalls von der anderen Seite gesehen,

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nicht erkennen durften. Logischer Weise musste es einen Mechanismusgeben, der das Hindernis verschwinden ließ. Entschlossen zog John aneinem der Hebel, doch nichts geschah. Beim Versuch mit dem anderenHebel hatte Jonathan dann mehr Erfolg. Geräusche, die aus einemGruselfilm zu stammen schienen, dröhnten durch den Gang, dannverschwand die Mauer langsam im Boden.

„Wollen wir wetten, dass der andere Hebel den Durchgang wiederverschließt“, wandte sich Jonathan an dem hinter ihm stehenden Henry.

„Die Wette kann ich nur verlieren. Wenn die Flüchtlinge nicht gleichwieder gefasst werden wollten, dann mussten sie dafür sorgen, dassgenau das geschah“, zeigte Henry, dass er die Zusammenhängedurchaus begriff.

„Richtig, so sehe ich das auch“, stimmte Jonathan ihm zu.

Sie durchschritten die Stelle, welche zuvor von der Wand versperrtwurde und befanden sich in einem runden Raum, in dessen Mitte sichein dunkles Loch befand. Gegenüber schien eine Wendeltreppe nachoben zu führen.

„Aber wie haben die Flüchtlinge den Gang von Innen geöffnet?“, stellteHenry eine berechtigte Frage.

Obwohl sie sich intensiv umsahen, konnten sie nichts entdecken, wasauch nur den Anschein erweckte, als wenn man damit den Mechanismusin Gang setzten konnte. Alles was sie vorfanden war eine kleineWandnische, wo auf einem Sockel eine steinerne Figur stand, vielleichteine Heiligenfigur? Neugierig wandten sie sich dem Objekt zu.

„Die Figur befindet sich an der gleichen Wand wie der Geheimgang, obdas was zu bedeuten hat? Natürlich durfte nichts die Aufmerksamkeiteventueller Verfolger wecken, was war da sinnvoller als eineHeiligenfigur? Wir werden es wohl ausprobieren müssen“, stellteJonathan fest und ergriff die Figur mit beiden Händen und tatsächlich,sie ließ sich drehen.

Wieder ertönten die unheimlichen, schon bekannten Geräusche in derGruft. Langsam verschwand eine schwere Platte in der Wand und gabeinen weiteren, schmalen Gang frei. Im Schein der Stirnlampen

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erkannten sie eine Wendeltreppe, die nach unten führte. Jonathanüberlegte nicht lange und folgte seinem Lichtstrahl. Unten angelangtbestaunte er das aufwendige Räderwerk, das den Schließ- undÖffnungsmechanismus antrieb.

„Unglaublich, wusste gar nicht, dass sie damals schon eine solchkomplizierte Technik beherrschten. Henry, sehen sie, da führen dieKetten nach oben, die den Geheimgang geöffnet haben, und wenn ichdiesen Hebel betätige, dann sollte er sich wieder schließen.“

Um den Beweis anzutreten, setzte er seine Worte in die Tat um undbetätigte den Hebel, ohne den entsetzten Gesichtsausdruck Henrys zubeachten. Bei den einsetzenden bekannten Geräuschen eilte Henry dieTreppe wieder nach oben. Entsetzt blickte er auf die mächtigeSteinplatte, die gerade den Rückweg verschloss.

„Sir, und wie kommen wir jetzt wieder raus?“, klang Henrys Stimmebesorgt von oben herab.

„Genauso wie die Burgbesitzer es planten, doch vorher wechseln wirunsere Sauerstoffflaschen“, schien Jonathan absolut überzeugt vonseiner soeben gewonnenen Erkenntnis.

Das Wechseln der Flaschen dauerte nur Sekunden, dann trat Jonathanwieder in die Nische und drehte die Figur auf dem Sockel inentgegengesetzter Richtung. Das Ergebnis war erstaunlich, da sichdiesmal zwei Steinplatten gleichzeitig bewegten. Während sich derZugang zur Mechanik schloss, öffnete sich gleichzeitig der Geheimgang.

„Alles paletti, wir sollten die Zeit nutzen, um den Rest der Gruft zuerkunden“, drängte Jonathan zur Eile, wobei ihm das erleichterteAufatmen von Henry nicht entging.

Dem Loch in der Mitte des Raumes widmeten sie nur kurz ihr Interesse.Henry leuchtete zwar hinein, trotzdem war kaum etwas zu erkennen. „EinVerlies, in dem man Gefangene einfach verrotten ließ. Wenn man sienicht einfach hinein stieß, dann wurden sie an einem Seil hinuntergelassen und nur wenn ihnen das Glück hold war oder der Burgherr sicheine gewisse Menschlichkeit bewahrte, dann wurden sie regelmäßig mitEssen und Trinken versorgt“, deutlich konnte man Henrys Worten seineAbscheu entnehmen.

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Jonathan zückte seine Kamera und schoss ein paar entsprechendeBilder, um sich dann der gegenüberliegenden Treppe zuzuwenden. Sieführte nach oben, vielleicht zu weiteren Verliesen. Am Ende der Treppegelangten sie in einen kreisrunden Raum, von dem mehrere Türenabgingen. Hinter diesen Türen lagen kleine Zellen, die mit Ketten anden Wänden versehen waren. Eine der Zelle unterschied sich jedochschon von außen von den anderen Zellen. Außen angebrachte Kettenführten durch Löcher in der Wand, links und rechts neben der Tür, in dieZelle hinein. Im Inneren des Verlieses wurden die Ketten durch eiserneRinge an der Wand geführt, um sich schlussendlich an einem Punkt zutreffen. Auf diese Weise besaßen die Wärter die Möglichkeit, wenn sievon außen an den Ketten zogen, an die der Gefangene gefesseltenwar, ihn an der gegenüber liegenden Wand zu fixieren. Ansonstenkonnte sich der Gefangene an der langen Kette frei im Raum bewegen.

Eine weitere Besonderheit war die Größe dieser Zelle und dass in ihr einTisch und ein Schemel stand. Sogar der verrottete Strohsack in einerEcke stellte eine Besonderheit dar, weil die anderen Gefangenen mitdem nackten Boden vorlieb nehmen mussten. Logisch, dass eine solcheAnhäufung von außergewöhnlichen Umständen das Interesse vonJonathan und seinem Begleiter erregte. Nachdem sie den Raum alsGanzes betrachtet hatten erfassten ihre Scheinwerfen etwas nochAußergewöhnlicheres. Auf dem Tisch, unter einer dicken Staubschicht,erkannten sie ein Buch, daneben ein vermutlich ausgetrocknetesTintenfass, eine Schreibfeder und eine heruntergebrannte Kerze.

„Sicherlich alles für einen hochgestellten Gast, wenn man denUnglücklichen so nennen darf“, bemerkte Henry.

Währenddessen schoss Jonathan wieder einige Fotos, was dazu führte,dass er im hellen Blitzlicht etwas an der linken Wand erblickte, was ihreLampen zuvor nicht erfasst hatten. Sofort richtete er den Scheinwerferseiner Stirnlampe ganz gezielt auf diesen Punkt. Fast sah es so aus, alswenn der Lichtstrahl erschrocken zurückzuckte, als er das bekleideteGerippe erfasste, das dort in sich zusammengesunken kauerte. Hinterihm stieß Henry einen leisen Schreckenslaut aus.

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„Kein Grund zur Aufregung, von ihm geht bestimmt keine Gefahr mehraus. Der Mann ist schon lange Mausetot“, beruhigte ihn Jonathan,sichtlich belustigt über Henrys Verhalten.

„Sir, eigentlich erschrak mich nur die Halbmaske, die sein Gesichtteilweise verbirgt. Ist doch gruselig ein Toter mit Maske“, dabei schiensich Henry innerlich zu schütteln.

War es Jonathans ruhige Stimme, auf jeden Fall überwand Henry seinenSchrecken schnell. Dafür sprach auch, dass er sich über den Totenbeugte, um ihn zu untersuchen.

„Feinstes Tuch, auch die Stiefel sind von hochwertiger Qualität, scheintwirklich ein vornehmer Herr gewesen zu sein. Und er hält irgendetwas inder Hand“, stellte Henry dann auch vollkommen ruhig fest.

Jonathan schoss sofort eine Bildserie von dem Unglücklichen, denn wiesonst sollte man jemanden nennen, der hier, tief unter Erde, vom Lebenweggesperrt wurde. Henry öffnete gerade die knöchrige Hand, so dasssie Beide den Gegenstand als Ring identifizieren konnten.

„Bevor wir den Rückweg antreten, sollten wir ruhig nochmals dieSauerstoffflaschen wechseln“, zeigte Jonathan an, dass er es fürangebracht hielt das Unternehmen zu beenden. Als er den fragendenBlick von Henry bemerkte fügte er noch hinzu, „natürlich nehmen wir dasBuch mit, denn wenn irgendetwas das Geheimnis der Gruft lüften kann,dann das Buch.“

Vielleicht weil ihnen der Weg schon bekannt war, kam ihnen derRückweg kürzer vor. Schneller als gedacht sahen sie das Tageslicht, dasvon oben durch den Schacht fiel. Henry befestigte das wartendeSeilende an seinem Gurt und zog dreimal am Seil. Hand für Hand, Fußfür Fuß bewegte er sich über die eisernen Haken in der Wand nachoben, während die Helfer das Seil straff hielten. Als das Seil wiederherunter kam, befand sich ein Netz daran. Jonathan steckte das Buchhinein und befestigte es zusammen mit dem Seil an seinem Gurt, danngab er das Zeichen, dass er den Aufstieg beginnen wollte. Endlichwieder den Kopf an der frischen Luft, schnaufte er tief durch. Als ihmgleich darauf auch noch alle erleichtert auf die Schultern klopften, schiendas Abenteuer fürs erste beendet.

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„Wenn es allen recht ist, dann treffen wir uns nach dem Abendessen imKaminzimmer und sehen gemeinsam, was wir da gefunden haben. Aufirgendeine Art und Weise haben unsere Fundstücke etwas mit derGeschichte von Wullingham-Castle zu tun, also mit ihrem Zuhause. Sieleben schon viel länger hier als ich, also haben sie auch ein Recht daraufzu erfahren worum es sich bei der Sache handelt.“

Mit seiner spontanen Ankündigung überraschte Jonathan seineBediensteten, besonders Henry, der es einfach nicht gewohnt war, dasssich ein Lord mit gewöhnlichen Menschen auf eine Stufe stellte.

„Henry, bis dahin verwahren sie bitte die Artefakte, aber nichtschummeln, indem sie schon vorher irgendwelche Untersuchungenanstellen“, dabei grinste ihn der Lord frech an.

Jonathan wusste eben nur zu genau, dass Jemand, der die Gelegenheitbesaß seine Neugier zu stillen, dieser Versuchung nur sehr schwerwiderstehen konnte. Soeben hatte er für sich das Problem auf genialeWeise gelöst, indem er es Henry in die Schuhe schob und das warschon ein Grinsen wert.

Wie verabredet versammelten sich die Menschen des HausesWullingham zum angegebenen Zeitpunkt im Kaminzimmer. Im großenKamin züngelten längst die Flammen am Holz herum, das Buch und derRing lagen auf dem Tisch und die Bediensteten harrten geduldig, aberauch gespannt der Dinge, die da kommen würden. Jonathan, wie immerin Begleitung von Bomba, unter dem Arm seinen Laptop, betrat dasKaminzimmer als Letzter. Zielstrebig begab er sich zum Tisch auf demdie Artefakte lagen. Ohne sich von den Wartenden oder ihrenneugierigen Blicken unter Druck setzen zu lassen, stellte er den Laptopauf den Tisch und schaltete ihn ein, wobei er ein paar erklärende Wortesprach.

„Wie sie sich denken können habe ich ein paar Bilder auf unsererExkursion geschossen, auch habe ich schon den Film von Henryeingespeist. Ich denke um uns einzustimmen, sollten wir uns beideszuerst anschauen.“

Noch während er sprach bediente Jonathan den Computer und schonerschienen die ersten Bilder. Dunkles Gestein, diffuses Licht, sich

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bewegende Schatten an der Wand des Geheimganges, zogen dieBetrachter in ihren Bann. Gespannt verfolgten alle wie die, den Gang,versperrende Wand mit schauerlichen Geräuschen im Bodenverschwand. Doch erst als das Gerippe mit der Maske auf demBildschirm erschien, zeigten einige Anwesende m indem sie unruhig aufihren Stühlen herumrutschten, dass die Bilder ihnen nah gingen. Dazupasste auch gut, dass Benny mit einem Zwischenruf den Ablauf derVorführung störte.

„Warum trägt denn der Tote eine Maske?“

Jonathan sah den Zwischenrufer ernst an. „Mir hat er es nicht verraten,dir Henry?“

Nachdem Henry verneinend den Kopf geschüttelt hatte, dauerte es nocheinen Moment bis alle außer Benny lachten.

„Nein, mal im Ernst, es ist kaum zu glauben, dass der Gefangene etwaszu verbergen hatte. Vermutlich sollte ihn niemand erkennen und dasTragen der Maske wurde ihm zur Auflage gemacht. Doch das sind allesnur Vermutungen“, räumte Jonathan ehrlich ein, dass er genauso wenigwusste wie jeder von ihnen.

„Aber warum hielt er sich an die Vorgabe? Gefangen in einem dunklen,stickigen Loch, hatte er doch nichts mehr zu verlieren“, gab Benny nichtauf.

„Doch, sein Leben“, erklärte ihm Jonathan trocken. „Doch wie gesagt,der Tote kann es uns nicht mehr verraten, wir können nur mutmaßen,wobei Logik natürlich durchaus hilfreich sein kann. Nun aber wieder zuunserem Fund. So wie es aussieht sind wir durch den Gang, vermutlicheinen geheimen Fluchtweg, bis unter die Burgruine gelangt. Und zwar inden untersten Teil des Turmes, in dem sich die Verliese befanden“, kamJonathan wieder auf die Bilder zurück. „Die nächsten Aufnahmen werdenmeine Annahme Bestätigen.“

Schon erschien der Vorraum mit den vielen Zellentüren, dahinterwinzige, finsteren Zellen, an deren Wänden erstaunlicher Weise immernoch gut erhaltene Ketten hingen. Auch diese Bilder hinterließen einennachhaltigen Eindruck bei den Zuschauern.

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„Aber natürlich bleibt die aufregendste Frage, wer ist der Tote? Wirkennen nicht seinen Namen, trotzdem wissen wir einiges über ihn. Henrymachen sie bitte weiter, ich habe vom vielen Reden einen trocknenMund bekommen.“

„Oh“, stieß Selma aus und eilte hinaus, nur um wenig später mit zweigroßen Flaschen Mineralwasser zurückzukehren. Ein entsprechenderBlick von ihr ließ Sally aufspringen. Die so Aufgescheuchte eilte zur Barund holte die entsprechenden Gläser. Gleich darauf bekam Jonathanvon Sally das Glas gereicht und Selma goss ihm ein. Nachdem wiederRuhe eingekehrt war, übernahm Henry den Part des Vorführers.

„Fakt ist, der Gefangene besaß eine größere Zelle, mit Strohsack, Tischund Schemel“, wobei er zeitgleich die entsprechenden Fotos auf demComputerbildschirm erscheinen ließ. „Er trug Kleider aus feinstem Stoffund teure Stiefel. Die Maske verrät uns, dass er prominent gewesen seinmuss, jeder kannte ihn, also eine hochgestellte Persönlichkeit. Vielleichtverraten uns der Ring und das Buch noch mehr über dengeheimnisvollen Toten?“, beendete Henry die Aufzählung, der von ihmzusammengetragenen Fakten.

„Sehr gut Henry, ich sehe das genauso“, stimmte Jonathan zufrieden zu.Gleichzeitig ergriff er den Ring, um ihn einer eingehenden Betrachtungzu unterziehen. Der massive Goldring zeigte einen Löwenkopf, dieAugen wurden durch Rubine dargestellt.

„Ein kleines Vermögen, wenn man seinen geschichtlichen Werthinzuzieht, doch das Schmuckstück hilft uns nicht weiter", stellteJonathan mit einem gewissen Bedauern fest. "Wenden wir uns alsobesser dem Buch zu.“

Gespannt schauten alle zu wie Jonathan das Buch aufschlug.

„Habe ich es mir doch gedacht, eine Bibel. Und was für einPrachtexemplar, unglaublich aus dem Jahre 1367“, konnte Jonathan beidieser Feststellung sein Erstaunen, aber auch seine Bewunderung nichtmehr für sich behalten.

„Das muss ja ein Vermögen Wert sein“, stieß Robert aus.

„Unbezahlbar“, stellte Henry trocken fest.

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Als Jonathan die Seiten wahllos umblätterte, staubte es beachtlich undetwas Loses schob sich ein Stück hervor. Vorsichtig schlug Jonathan dieentsprechende Seite auf.

„Ein beschriebenes Blatt Papier, vielleicht ein Brief. Ob das derSchlüssel ist, mit dem wir das Rätsels lösen können?“, brachte Henry dieHoffnung aller zum Ausdruck.

„Henry, fotografiere sie bitte die Bibelseite, vielleicht hatte es einenspeziellen Grund, dass der Brief genau zwischen diesen Seiten lag“,konzentrierte sich dagegen Jonathan aufs Wesentliche.

Aus Henrys Reaktion ließ sich unschwer erkennen, dass er seinemHerrn Recht gab. Er stellte die Tischlampe so, dass die Buchseitegleichmäßig beleuchtet wurde, dann schoss er das Foto.

„Mein Latein ist zwar etwas eingerostet, aber es handelt sich eindeutigum das Johannes Evangelium“, bemerkte Henry noch als er denFotoapparat weglegte.

Jonathan ergriff den Brief, warf einen Blick drauf und reichte ihn anHenry weiter.

„Eindeutig Englisch, wenn auch etwas anders als heute, schließlich hatsich die Sprache weiterentwickelt. Trotzdem sollte es kein Problem seinden Inhalt des Briefes zu verstehen.“. An dieser Stelle bemerkte Henryaus den Augenwinkeln, dass ihm Jonathan unauffällige Handzeichengab, womit er ihn wohl zum weitermachen aufforderte. Endlich gingHenry ein Licht auf. Jonathan sprach zwar passabel ihre Sprache, dochLesen und Schreiben waren eben eine andere Sache.

„Anno 1400, Februar, 10. Tag. Verehrter Bruder“, begann Henryvorzulesen, „also wirklich ein Brief“, fügte er hinzu, obwohl das jedeminzwischen klar sein musste. „Verehrter Bruder, erlaubt mir, dass icheuch so nenne, auch wenn ihr bis dato von mir nichts wusstet und ichauch nur euer Halbbruder bin. Wie mir meine Mutter Eleonore Burgsley,spätere Wullingham, in einem Brief versicherte, den sie kurz vor ihremTode schrieb, bin ich ein Spross ihrer Liaison mit Edward of Woodstock,auch der Schwarze Prinz genannt. Als Knappe diente ich in seinem Heerin Frankreich, später gehörte mein Schwert euch, mein König.“

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„Will uns da wirklich jemand weismachen, dass es sich bei demEmpfänger des Briefes, dem Toten, dem Gefangenen mit der Maske, umRichard II., König von England handelt“, empörte sich Will.

„Will, ich bin noch nicht fertig. Nur vorweg, wir können glauben was wirwollen, darum werden sich noch Wissenschaftler streiten“, fuhr ihn Henryob der Störung an.

„Aber Richard II. ist auf Schloss Pontefract gestorben und in West-minster Abbey beerdigt“, konnte oder wollte sich der Angesprocheneeinfach nicht beruhigen.

„Will, ich wusste ja gar nicht, dass du in englischer Geschichte sosattelfest bist“, spielte Henry den Erstaunten. „Was die Geschichtsbücherbetrifft, so bist du vollkommen im Recht. Doch schon zur damaligen Zeitverstummten die Gerüchte nicht, dass Richard II. nicht dort gestorbensei, sondern, dass er noch lebte. Es wäre nicht der erste Betrug in derGeschichte, auf den spätere Generationen hereingefallen sind. Das hierist ein Zeitzeugnis, jedenfalls, wenn sich seine Echtheit bestätigt. Esschafft neue Fakten und die Wissenschaft wird sich damit befassen, aberdarf ich nun weiterlesen?“

Deutlich war es Will anzusehen, dass er eine eigene, vorgefassteMeinung zu dem Thema hatte, in der die Erkenntnisse aus dem Briefkeinen Platz fanden.

„Ich kämpfte an eurer Seite als es gegen Wales ging“, nahm Henrywieder den Faden auf. „Erst nach eurer Gefangennahme tauchte ich beimeinem zweiten Halbbruder unter, inzwischen Baron von Wullingham.Mein Bruder Robin hatte rechtzeitig die Seiten gewechselt und nichts zubefürchten, im Gegenteil er stieg bald darauf zum Viscount auf. Wennihr diesen Brief lest, dann befindet ihr euch nicht mehr auf SchlossPontefract und seid in Sicherheit. Mit anderen Getreuen gelang es uns,euch gegen jemanden auszutauschen, der euch ähnlich genug war, sodass der Betrug nicht aufflog. Als uns der Erfolg jedoch beschieden war,verließ einen Großteil eurer Gefolgsleute der Mut. Plötzlich stellten siefest, dass sie mehr zu verlieren als zu gewinnen hatten. Einige hattensogar Angst um ihr Leben, falls eure Absicht darin bestehen sollte,wieder nach der Macht zu greifen. Bestand doch immerhin die Gefahr,dass ihr, bei der daraus resultierenden, erneuten Auseinandersetzung

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um den Thron, nicht obsiegen könntet. Was tun, denn niemand wolltesich die Finger schmutzig machen. So blieb die Sache an mir hängen.Man nötigte mir den Eid ab, euch spurlos verschwinden zu lassen. Es tutmir leid, aber so blieb als einzige Alternative zum Tod nur das Lebenhinter der Maske für euch. Zugegebener Maßen die undankbareSicherheit eines dunklen Verlieses. Zu dieser Geschichte gehört auch,dass eure Bibel auf abenteuerlichen Wegen in meinen Besitz gelangte.Verzeiht mir, dass ich nicht mehr für euch tun konnte. Wir werden unsnie wiedersehen, denn mein Weg führt ins Heilige Land, vielleicht vergibtmir Gott dort all meine Missetaten. Eindringlich möchte ich euch daranerinnern, immer die Maske aufzusetzen, wenn ihr Kontakt zu Menschenhabt, eine Zuwiderhandlung würde euren sicheren Tod bedeuten.Verzeiht eurem tief beschämten Bruder Gisbert Burgsley. Suchet Trost inder Bibel.“

Die Minuten verstrichen und obwohl die letzten Worte Henrys schonlange verklungen waren, herrschte ein fast schon bedrückendesSchweigen. Kein Wunder, gerade waren sie Zeugen eines Dramasgeworden, wie es nur das Leben schrieb. Zuerst durchbrach JonathansHüsteln dann seine Worte die allgemeine Lethargie.

„Eine unglaubliche Geschichte, doch wie schon Henry sagte, anderewerden den Wahrheitsgehalt prüfen.“

Plötzlich war der Bann gebrochen und jeder hatte dem anderen etwas zusagen, bis Sallys aufgeregte Stimme alle übertönte.

„Sir, das alles erklärt doch noch lange nicht, wie sie auf die Klappe imErdreich gestoßen sind.“

Jonathan musste schmunzeln, weil er schon von demBeobachtungsposten auf dem Dach erfahren hatte.

„Vermutlich hat es sich schon herumgesprochen, dass einer meinerPfeile seine eigenen Wege ging und dabei über die versteckte Klappe imErdreich stolperte“, amüsierte Jonathan seine Zuhörer mit einerseltsamen Beschreibung des Geschehens. „Um das Maß voll zumachen, verbiss sich der ungezogene Pfeil in der Klappe, so dass ichihn nicht herausziehen konnte. Unser Mann fürs Erdreich, Gärtner Will,fand dann beim Ausgraben den verschlossenen Geheimgang, - ja,

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genauso war es“, glaubte Jonathan alles zu dem Thema gesagt zuhaben, wobei er jedoch nicht mit der Hartnäckigkeit von Sally rechnete.

„Aber, das gibt doch keinen Sinn, dass man den ersten Pfeil genau insZiel schießt und den zweiten, zweihundert Meter weiter, seitlich danebenplatziert. War das nun Zufall oder Absicht?“, zeigte Sally deutlich, dasssie sich nicht mit Jonathans Antwort zufrieden gab.

Die Anderen schauten sich erschrocken an, niemals hätten sie esgewagt, so hartnäckig auf eine weitere Erklärung des Lords zu dringen.

„Sie sind aber außerordentlich gut informiert, Miss Sally, wobei sie denAblauf des Geschehens richtig beschreiben. Von meiner Seite lag jedochkeine Absicht vor, denn das würde ja bedeuten, dass ich von der Klappewusste“, war Jonathan um eine Antwort nicht verlegen.

Jonathans Darstellung leuchtete allen ein, schien aber Sallys Fragetrotzdem nicht ausreichend zu beantworten. So war es nichtverwunderlich, dass Jonathan nicht nur in Sallys Augen den Wunschnach Aufklärung las.

„Zufall? Natürlich könnte man es Zufall nennen. Doch wenn ich ehrlichbin, dann muss ich zugeben, dass mich vor dem Abschuss des zweitenPfeils ein seltsames, unbekanntes Gefühl erfasste und anscheinendlenkte. Fast kommt es mir so vor, als wenn das Schicksal wollte, dassdie Klappe und die dahinter verborgenen Geheimnisse gefundenwerden“, sah Jonathan keinen Grund nicht wahrheitsgemäß die Situationzu beschreiben. Natürlich war ihm klar, dass dieser und jener einProblem mit seiner Erklärung haben könnte.

„Sie glauben also wirklich, dass eine höhere Macht sie lenkte?“, stießBenny ungläubig aus, dabei starrte er den Lord an, als wenn er ihn daserste Mal sah.

„Schicksal, höhere Macht, Gott oder wie sie das Unerklärliche sonstbenennen wollen. Schon immer gab und gibt es Ereignisse, die wirMenschen uns nicht erklären konnten. Die Einen nennen es Zufall, dieAnderen Schicksal, während die Gläubigen Gott oder den Teufelverantwortlich machen. Bei den Naturvölkern zeichneten Geister dafürverantwortlich. Doch mit Wissen hat das alles nichts zu tun, denn wirwissen es eben nicht. In solchen Situationen vertraue ich einfach auf

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mein Gefühl und habe für meine Person damit meistens richtig gelegen.Tatsache ist, wir haben den Brief, die Bibel, den Ring und einen Toten inden ehemaligen Verliesen von Wullingham-Castle gefunden. Expertenwerden versuchen das Geheimnis zu lüften und uns dann ihreErgebnisse mitteilen.“ Alle Anwesenden hingen andächtig an JonathansLippen.

„Wollen sie damit andeuten, Professoren kommen hier her und halteneinen Vortrag über die Untersuchungsergebnisse?“, brachte Will seinErstaunen über die Andeutung ihres Lords zum Ausdruck.

„Aber natürlich, das ist genau die Bedingung, die ich stellen werde, bevorich jemanden die Artefakte überlasse“, versicherte Jonathan mitNachdruck.

Nachdenklichkeit senkte sich über den Raum, bis Sallys Stimme denBann durchbrach.

„Ist das nicht aufregend, wir sind Teil einer geschichtlichenUntersuchung. Und stellt euch mal vor, die Geschichte landet bei einerZeitung. Vielleicht tauchen wir alle mit einem Foto von Wullingham-Castle in einem Zeitungsartikel auf. Wir werden berühmt.“

„In Anbetracht der aufregenden Ereignisse und dass wir hier heuteAbend so gesellig beisammen sitzen, würde ich sagen die Bar isteröffnet. Henry würden sie bitte die Leute fragen was sie trinken wollen“,brachte Jonathan einen völlig anders gearteten Aspekt ins Geschehen.Nachdem jeder ein Getränk seiner Wahl in der Hand hielt, hob Jonathansein Glas und brachte einen Toast aus.

„Auf das wir Licht ins Dunkle bringen!“

Hinterher fragten sich Einige, ob der Spruch nur auf das Ereignisgemünzt war oder ob Jonathan es ganz allgemein meinte. In einemwaren sich die Bediensteten von Wullingham hinterher einig, erschienihnen der Lord anfangs eher wie ein etwas verrückter Künstler, soumgab ihn nach diesen Ereignissen eine eher geheimnisvolle Aura.

Den nächsten Tag musste Jonathan seinen geplanten Tagesablauf inden Rauch schreiben, denn das Dokumentieren der Artefakte erschienihm wichtiger. Das Schriftstück von Gisbert Burgsley wurde so

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fotografiert, dass die Schrift einwandfrei zu lesen war. Auch von derBibel und der ersten Seite wurden Fotos geschossen. Anschließendsetzte Henry in seinem Computer ein Schreiben auf, in dem dieFundstelle beschrieben wurde. Mit der Frage, ob Interesse an dem Fundbestand, wurden E-Mails mit den entsprechenden Fotos und dem Filmihrer Exkursion an die Universitäten von Oxford und Cambridgegeschickt. Es dauerte keine zwei Stunden, da antworteten beideUniversitäten fast gleichzeitig, wobei sie deutlich ihr außerordentlichesInteresse bekundeten. Ein Termin wurde ausgemacht und Jonathankonnte sich endlich wieder seinem täglichen Trott hingeben.

Wobei eine Sache eine besondere Dringlichkeit besaß. Endlich hatteJonathan die Zeit, um sich damit zu befassen. Ganz plötzlich, sogar beiintensiven Beschäftigungen, überkamen ihn sexuelle Fantasien, die sichausschließlich um Carlotta drehten. Das erste Mal begegnete er ihremTrugbild als er durch den Garten ging. Da lag seine Angebetete nackt imGras auf dem Rücken und räkelte sich. Beim Atmen hoben und senktensich ihre großen Brüste und um ihn vollends verrückt zu machen spreiztesie verlangend ihre Schenkel. Erschrocken sah er sich um, ob jemand inder Nähe war, nur um sich verwirrt einzugestehen, dass ja nur er ihrTrugbild sah. Am erstaunlichsten fand er den Umstand, dass sich bei ihmnach langer Zeit, auch eindeutige, körperliche Reaktionen zeigten.Glaubte er doch bis dahin, dass das Kapitel sexuelles Verlangen derVergangenheit angehörte. Doch die Heftigkeit, aber auch die Häufigkeit,mit der ihn diese Fantasien überkamen, belehrte ihn eines Besseren. Ermusste etwas unternehmen, doch was?

Eines Abends, er saß wieder an seinem Schreibtisch und Carlotta, die erfür sich, ob ihrer großen braunen Augen, nur Rehauge nannte, saß ihmgegenüber, natürlich nur in seiner Fantasie. Nicht das er ihren nacktenAnblick unangenehm empfand, doch sie schürte ein Feuer in ihm, dassihn langsam zu verzehren begann. Nachdem er alles Für und Widerabgewogen hatte, blieb am Ende nur ein Ausweg aus dem Dilemma. Umseinen Qualen ein Ende zu bereiten, musste er wohl in die Offensivegehen. Schließlich konnte es so nicht auf Dauer weitergehen, dennirgendwann würden auch die kalten Duschen nicht mehr helfen.Jonathan setzte sich an seinen Computer, der einÜbersetzungsprogramm besaß und fing zu schreiben an. Immer wieder

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ordnete er die Worte neu, strich etwas oder fügte etwas hinzu, doch amEnde schien er zufrieden. Erst jetzt griff er zum Federhalter und demguten Briefpapier, um seinen geistigen Erguss sauber abzuschreiben.Anschließend las er sich das Gedicht leise vor.

„Der Himmel ist nun grau verhangen, die guten Zeiten längst vergangen.Obwohl du weiter leise hast, ein Lebenslied gesungen, blieben dir amEnde nur Träume und Erinnerungen. Nur über den Wolken, da schiendie Sonne immerdar, sie liebte dich, gab dich nie auf, das ist wahr. Sieschickte ihre strahlenden Boten, um dich zu wecken, doch duverstandest sie nicht, dachtest sie wollte dich nur necken. Doch danntraf dich ein Pfeil mitten ins Herz und deine kleine Hand fuhr angstvollzur Brust, denn in deiner Verwirrung glaubtest du, es wäre ein tödlicherSchmerz. Doch ein Engel brach diesen bösen Bann und nun fühltestdu deutlich die Sehnsucht nach einem Mann. Zu meinem Leidwesenmuss ich mir eingestehen, du wirst kaum einen Amor oder Casanova inmir sehen. Trotzdem klopfe ich mutig an deine Pforte und schenk dir miteiner gewissen Kühnheit diese Worte. Wer mag schon wissen was dieZukunft bringt, ob dir ein anderer, ein bunterer, lustiger Vogel einschöneres Liebeslied singt. Drum trau dich, nimm dein Schicksal in dieHand, nicke mit dem Kopf oder sage einfach ja, vielleicht werden dannauch deine Träume wahr.“

Eine Weile ließ Jonathan den Inhalt des Gedichts auf sich wirken, um zuprüfen, ob es vielleicht zu forsch klang. Andererseits musste Carlottaverstehen, worum es ihm ging. Er las es ein zweites und drittes Mal,dann nickte er entschlossen mit dem Kopf. Ohne es zu merken sprach erwieder einmal mit sich selbst.

„Entweder mache ich mich für alle Zeiten unmöglich und gebe denDorftrottel von Wullingham-Castle, dann heißt es eben Sachen packenoder meine Angebetete erhört mich. Aber was soll’s, so ist das nun malim Leben, hundertprozentige Sicherheit gibt es nur für eine Sache undum die geht es hier gerade nicht.“

Als er bemerkte, dass er laut mich sich sprach, sah er sich um und seinBlick blieb an Bomba hängen, der mit schiefem Kopf seine Redeverfolgte, „oder will hier jemand sterben?“, richtete er nun das Wort direktan seinen vierbeinigen Freund. „Ich ganz bestimmt nicht, wo ich gerade

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Lord geworden bin. Und nun, wo ich fühle, dass die Lebenssäfte wiederdurch meinen Körper fließen, da müsste ich ja verrückt sein einensolchen Wunsch zu hegen. Aber damit wir uns recht verstehen, Bomba!Wenn dir etwas an unserer Freundschaft liegt, dann zügelst du ein wenigdein Plappermäulchen. Oder glaubst du ich weiß nicht, wer hier im Hausimmer den neuesten Klatsch und Tratsch verbreitet?“

Bomba verdrehte den Kopf nur noch mehr, wobei er seine zweitbesteUnschuldsmiene aufsetzte. Als Jonathans durchdringender Blickweiterhin auf der Französischen Bulldogge ruhte, drehte sich der Hundbeleidigt ab und zeigte Jonathan seine Rückenansicht.

„Schon gut, schon gut! Nun sei doch nicht gleich eingeschnappt. Wardoch nur ein Spaß oder glaubst du ich hätte je an dir gezweifelt?“

Der Hund sprang auf seine kurzen Stummelbeine und war mit zweiSätzen bei seinem Herrn, nur um sich vor ihm hinzusetzen und laut wieeine Dampflok zu schnaufen. Jonathan beugte sich vor und kraulteBomba im Genick und hinter den Öhrchen, da wo er es am liebstenhatte. Ein lautes Geräusch aus dem Kehlkopf, das eher dem Kollerneines Truthahns glich, zeigte ihm an, dass Bomba mit derBesänftigungsgeste seines Herrn einverstanden war.

„Nachdem wir das geklärt haben, verrate ich dir ein Geheimnis. Ich habeCarlotta ein Liebesgedicht geschrieben und morgen Vormittag bringenwir ihr die Post.“

Während Jonathan das Schreiben gewissenhaft kniffte, in ein Couvertsteckte und schwungvoll Carlotta drauf schrieb, betrachtete ihn seinHund mit Unverständnis. Fast so, als wenn er sagen wollte, unglaublichwas Menschen für einen Aufwand betreiben, um ein Weibchen zurammeln.

Am nächsten Vormittag nahm Jonathan keine Rücksicht darauf, dasssein Verhalten vielleicht die Neugier seiner Bediensteten erweckte.Gleich nach dem Frühstück machte er sich mit Bomba und Caligula aufden Weg, um seiner Angebeteten den Brief zu bringen. Fröhlich, ein Liedpfeifend, ließ er staunende Bedienstete hinter sich zurück. So hörte erauch nicht wie Will zu Henry sagte, „was ist denn mit dem Lord los?“

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„Ich werde mich an der Gerüchteküche nicht beteiligen“, gab dieserabweisend zurück.

Selma erschien im offenen Küchenfenster, sie schien die letzten Wortegehört zu haben.

„Na, wie sieht’s denn aus? Erinnert doch stark an einen Gockel, der eineHenne besucht“.

Selmas Worte sollten leicht und belanglos klingen, doch die sensiblenÖhrchen von Henry hörten noch etwas anderes heraus. Die Frau schiendoch tatsächlich eifersüchtig zu sein. Na, das kann ja noch heiterwerden, dachte der Butler so bei sich, während er den Beiden denRücken zukehrte und sie einfach stehen ließ.

Jonathans gute Laune führte dazu, dass er mit weitausgreifendenSchritten die Strecke zum Haus der Witwe Carlotta in neuer Rekordzeitzurücklegte. Umso enttäuschter war er, als er feststellen musste, dassdas Vögelchen ausgeflogen war. Nach kurzer Bedenkzeit schob er dasCouvert einfach unter der Hintertür hindurch.

„Vielleicht sogar ganz gut so. Vielleicht hätte sie mir eine gescheuert,wenn sie das Gedicht in meinem Beisein gelesen hätte?“, bei diesemGedankengang wirkte er ein wenig nachdenklich, bis plötzlichsiegessicheres Lächeln über sein Gesicht huschte, „oder sie hätte michmit Gewalt in ihr Schlafgemach gezogen. Wenn ich ehrlich bin, gefälltmir die zweite Variante auch bedeutend besser.“

Auf jeden Fall hatte die Abwesenheit von Carlotta zur Folge, dass siesich mit dem Rückweg mehr Zeit ließen. Sie machten sogar eine Pause.Als sich Jonathan zu Bomba ins Gras setzte, kletterte Caligula aus derGürteltasche und erkundete die Umgebung. Plötzlich wurde die Stille derNatur vom Schrei eines Raubvogels durchschnitten, was dazu führte,dass ein verängstigter Caligula durchs Gras gehuscht kam, um wiederan seinen sicheren Platz in Jonathans Gürteltasche zu krabbeln.

„Ja, ja Calli, die Natur ist eben nicht nur schön, sondern auch gefährlich,jedenfalls wenn man ein so kleiner Nager ist wie du. Halte dich immerschön an deine großen Freunde, dann wirst du vielleicht alt wieMethusalem.“

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Erst kurz vor dem Mittagessen trafen sie wieder auf Wullingham-Castleein. Jonathan ließ sich von Henry sein Mittagessen aufs Arbeitszimmerbringen, zu aufgewühlt waren seine Gefühle und er wollte nicht, dassseine Bediensteten etwas davon mitbekamen. Kurz darauf wurde erdann genau damit konfrontiert.

„Sir, die Bediensteten sprechen über sie“, schien Henry nicht zu wissen,wie er das Thema sonst anschneiden sollte.

„Nicht so ungewöhnlich, ein neuer Lord, aus einem anderen Land, auchnoch Künstler, das gibt genug Gesprächsstoff“, sah Jonathan noch nichtden Bezug zu seinen aufgewühlten Gefühlen.

„Darüber wird eigentlich weniger gesprochen“, druckste Henry verlegenherum.

Jonathan sah ihn eindringlich an, „ na, nun aber raus damit!“

So in die Pflicht genommen, nahm Henry allen Mut zusammen. „Es gehtmehr um ihre offensichtliche Fröhlichkeit, um ihren leichten Gang, so alswenn sie schwebten.“

Der eindringliche Blick Jonathans verwandelte sich in Betroffenheit.„Sieht man mir das wirklich so deutlich an, - verdammt. DieGerüchteküche brodelt also, aber weiß schon jemand Genaueres?“

„Nein, Sir!“

„Danke Henry, dass sie mich darauf hingewiesen haben. Ich werde miretwas ausdenken, um das Personal auf andere Gedanken zu bringen“.Nachdenklich legte Jonathan sein Gesicht in Falten.

„Henry, kann ich auf ihre Verschwiegenheit rechnen?“, dabei zwinkerteer seinem Butler vielsagend zu. „Stellen sie sich vor Henry, vor zweiTagen hatte ich Kontakt zu einer guten Bekannten, wobei ich ihr dasAngebot machte, mich alsbald zu besuchen. Sie ist natürlich jung undhübsch, was meine offensichtliche Aufgeregtheit erklärt. Übrigens, icherwarte in den nächsten Tagen eine positive Antwort der Dame.“

Im ersten Moment schien Henry ein wenig überfordert, doch dannratterte es in seinen Synapsen und er begriff wie Jonathan das Problemzu lösen gedachte.

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„Sir, damit ihre Geschichte glaubhaft klingt, wäre es tatsächlich vonVorteilhaft, wenn sie der Dienerschaft ein entsprechendes weiblichesWesen präsentierten“, nahm er den Gedanken seines Herrn auf.

„Genau, dass ging mir auch durch den Sinn. Und da es genug seriöseHostess-Dienste gibt, sollte das kein Problem sein. Sie muss nicht nurhübsch sein, damit sich die Leute den Mund zerreißen, nein, sie mussauch klug sein, damit sie ihre Rolle überzeugend spielt. Vielleicht solltenwir lieber gleich eine Schauspielerin von einer Künstleragentur nehmen?Genau das ist es, so machen wir es“, entwickelte Jonathan denGedanken seines Dieners weiter.

Leider sorgten dann die Umstände dafür, dass Jonathans gutausgearbeiteter Tagesplan ins Wasser fiel. Dafür durfte er im Internetsurfen und anschließend ein paar Telefonate führen, auch ein Grundweshalb er den Fünf-Uhr-Tee und das Abendbrot in seinemArbeitszimmer einnahm. Zwischendurch schrieb er an einer Legende fürdie engagierte Person, wobei er ihr ihren richtigen Namen beließ, allesandere erschien ihm zu kompliziert. Am nächsten Vormittag wickelteJonathan das Geschäftliche ab, ein Termin wurde vereinbart und dieLegende wurde der Agentur zugeschickt. Danach stand fest, dass er indrei Tagen zusammen mit Henry die Schauspielerin Lily Kleinschmidtvom Bahnhof Hereford abholen würde. Eigentlich ein wenig viel Wirbel,doch ihm lag sehr viel daran, Carlotta aus der Schusslinie zu bekommen,um sie vor Klatschgeschichten zu schützen. Ein wenig verwundert stellteer fest, dass die Sache, so verrückt sie sich darstellte, anfing ihmlangsam Spaß zu machen. Eine gekonnt inszenierte Scharade, bei derseine Bediensteten, ausgenommen sein Verbündeter Henry, an derNase herumgeführt wurden. Nur gut, dass die Abordnungen derUniversitäten aus Oxford und Cambridge schon in zwei Tagenvorsprachen, dann war wenigstens vorerst dieses Thema erledigt.

Ein wenig niedergeschlagen stellte er am nächsten Morgen fest, dassein geordneter Tagesablauf, so wie er es sich vorgestellt hatte, zurzeiteinfach nicht möglich war. Und urplötzlich überkamen ihn wieder seinesexuellen Fantasien.

„Rehauge, als wenn ich nicht schon genug um die Ohren habe, musst dunoch eine Qual hinzufügen? Zugegeben es sind die schönsten Qualen,

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die ich mir vorstellen kann“, flüsterte er, aus Angst das Bild der nacktenCarlotta könnte sich in Luft auflösen. Jonathan glaubte sogar eineflüchtige Berührung zu spüren, bevor sich das Trugbild auflöste.

„Die nächsten Tage habe ich viel zu viel um die Ohren. Darum odergerade deshalb, werde ich nach dem Essen Operation Carlotta starten“,gestand er sich ein, wobei er nicht bemerkte, dass er wieder mal laut mitsich selbst sprach, was aber dafür sorgte, dass seine so unterschiedlichaussehenden Spießgesellen auf dem Plan erschienen.

„Gut dass ihr erscheint, schließlich solltet ihr wissen wie der Planaussieht. Wenn wir zu Carlotta gehen, nehmen wir selbstverständlichnicht den gewohnten Weg. Ich traue dem Gesinde nicht, außer natürlichHenry, also passt auf, ob uns jemand folgt. Man weiß ja nie. Auch wennHenry, unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit, die Ankunftmeines Turteltäubchens Lily verbreitete, wollen wir doch kein Risikoeingehen“, schien Jonathan sehr zufrieden mit seiner Planung zu sein.

Nach einer verkürzten Mittagsruhe machten sich Jonathan, Caligula undBomba auf den Weg. Wie abgesprochen schlugen sie dieentgegengesetzte Richtung zu Carlottas Haus ein. Anfangs ließJonathan den Hund nicht aus den Augen, wobei er darauf achtete, obder Vierbeiner stehenblieb, die Ohren drehte, witterte oder zurückblickte.Doch nach drei Kilometern war er sich sicher, dass ihnen niemand folgteund er änderte die Richtung. Sie machten einen großen Bogen umWullingham-Castle und näherten sich dem Ziel aus einer anderenRichtung. Wie war Jonathan enttäuscht, als er die Haustür verschlossenvorfand und sich auch niemand auf sein Klingeln meldete. Schließlich fielihm der Garten ein und er begab sich hinters Haus, nur um festzustellen,dass auch dort keine Carlotta auf ihn wartete. Enttäuscht wollte er sichschon abwenden, als sein Blick auf die Hintertür fiel. Deutlich sichtbarhing dort ein großes, weißes Blatt Papier, auf dem nur ein Wort stand:JA. Jonathan machte einen Luftsprung und eilte schnellen Schrittes diedrei Stufen empor, öffnete die Tür, eilte durch den langen Treppenflurund wollte gerade die Treppe hinaufstürzen, als ihm Bomba einfiel.

„Stopp, mein Guter, du bleibst hier unten und bewachst die Tür unddamit du dich nicht so allein fühlst, wird dir Caligula Gesellschaft leisten.“

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Bomba blieb zwar stehen, wirkte jedoch unruhig oder was hatte seinHecheln zu bedeuten?

„Entschuldige, aber mir gehen gerade andere Dinge im Kopf herum,deshalb habe ich auch nicht gleich geschaltet. Aber jetzt verstehe ich, duhast Durst.“ Bevor Jonathan in die Küche eilte, ergriff er Caligula undsetzte ihn aus der Tasche auf den Boden. Wenig später kehrte er miteiner Schüssel voller Wasser zurück.

„Also ihr Beiden, macht keine Dummheiten und vor allem verhaltet euchruhig. Und damit ihr mir euer Wohlwollen schenkt, besteche ich eucheinfach.“ Bomba erhielt einen großen Hundekuchen und Caligula seinspezielles Leckerli. „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, alsobleibt mir euren Teil nicht schuldig.“ Ein Blick zu den Tieren und ererkannte, dass sie gerade zu beschäftigt waren, um zu antworten. AmEnde fiel es ihm nicht wirklich schwer, sich von seinen Tierenloszureißen und die Treppe nach oben zu eilen, die seiner Meinung nachdirekt ins ersehnte Paradies führte. Ist schon erstaunlich, was manvorher alles noch erledigen muss, bevor man zum Wesentlichen kommt,ging es Jonathan beim Treppensteigen durch den Kopf. Leise öffnete erdie Tür zum Schlafzimmer und da lag sie, die Frau, die er so sehrbegehrte. Bewegungslos lag sie auf dem Bett, so als wenn sie schlief.Nur ein dünnes Tuch verhüllte ihre ansprechenden Rundungen, so dasses nicht viel Fantasie bedurfte, um sich ihren nackten Körpervorzustellen. Jonathans Augen saugten sich an diesem Anblick fest undsofort spürte er sein unbändiges Verlangen in sich aufsteigen. Mit letzterKraft trotzte er seinem zügellosen Verlangen und begab sich ins Bad.Erfrischt und nackt kehrte er nach der Dusche ins Schlafzimmer zurück.Zufrieden stellte er fest, dass die fleischgewordene Versuchung immernoch auf ihn wartete. Als er sich sanft neben Carlotta schob, hob sie dasTuch an, so dass er sich dicht an ihren warmen Körper schmiegenkonnte. Seine linke Hand fuhr um ihren Körper herum, legte sich auf ihreBrust und als wenn seine Finger ein Eigenleben besaßen streicheltenund kneteten sie den fleischigen, prallen Hügel. Seine geschickteLiebkosung führte dazu, dass Carlottas Nippel schnell groß und hartwurden und ihre Atmung schwerer ging. Es dauerte nicht lange undCarlotta drehte sich auf den Rücken, um Jonathan mit einemschwülstigen Blick anzusehen, so dass Jonathan ein heftiges Kribbeln im

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Gehirn verspürte, das noch verstärkt wurde, als ihre Hand sein steifesGlied umschloss. Dadurch ermutigt, brachen bei ihm alle Dämme derZurückhaltung und seine Hand erkundete ihren Körper, bis sie sichzwischen ihren Schenkeln verlief. Carlottas lustvolles Stöhnen zeigte ihman, dass er bis jetzt alles richtig gemacht hatte. Zärtlich, aber auch mitdem nötigen Nachdruck streichelte er den, in ihrer Lustgrottewohnenden, kleinen Gott. Carlottas Stöhnen wurde lauter und ihrUnterleib fing an sich rhythmisch zu bewegen. Während sie Jonathanüber sich zog, schob sie mit der anderen Hand sein Glied in ihre lustvollzuckende Scham. Überwältigt von ihrem Verlangen gab er sich nun vollund ganz seiner eigenen Lust hin, was dazu führte, dass ihre beidseitigeLeidenschaft in einer Explosion von Gefühlen endete. Tief durchatmendblieb Jonathan noch kurz auf Carlotta liegen, um sich dann erschöpft,aber grenzenlos zufrieden, von Carlottas Körper gleiten zu lassen, wobeier ihre Hand ergriff.

„Du warst wundervoll, ein größeres Geschenk kann man in meinem Alternicht erhalten. Unglaublich, dass ich das noch mal erleben durfte“,bedankte sich Jonathan mit immer noch leicht schnaufender Stimme.

Carlotta schnurrte wie eine Katze, drehte das Gesicht in JonathansRichtung und küsste ihn zärtlich auf den Mund.

„Wir wollen doch hoffen, dass sich das Ereignis so oft wie möglichwiederholt. Ich jedenfalls könnte mich durchaus daran gewöhnen. Undhör auf immer über dein Alter zu lamentieren, du bist voller Leben undnur das zählt“, schien Carlotta eine eigene Meinung zu diesem Thema zuhaben.

„Ich mich auch! Ich meine, ich könnte mich auch daran gewöhnen“, sahJonathan keinen Sinn darin, ihr zu widersprechen.

Eine Weile lagen sie stumm nebeneinander, die Augen blicklos zurDecke gerichtet, dann stand Carlotta auf und begab sich ins Bad.Ungeniert betrachtete Jonathan ihr rundes Hinterteil und seufztezufrieden.

„Du kannst wohl nie genug bekommen?“, hörte er noch, bevor sie die Türzum Bad schloss.

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Jonathan kniff sich in die Wange, nur um zu überprüfen, ob es sichvielleicht doch wieder nur um eine seiner sexuellen Fantasien handelte.Nichts verschwand, alles blieb wie es war, die Badezimmertür ging aufund Carlotta trat in einem Hauch von Negligee wieder ins Zimmer.Jonathan stieß einen leisen Pfiff aus.

„Das macht mich ja noch geiler, als wenn du nackt vor mir rumläufst.“

„Jetzt hör aber auf du schlimmer Finger, du hast doch bestimmt Durst“,wechselte sie abrupt das Thema.

„Woher wusstest du, dass man zwischen deinen Schenkeln Durstbekommt“, zog Jonathan seine Gespielin lachend auf.

„Du hast gehechelt wie ein Hund bei der Jagd, du musst einen trockenenMund haben“, zeigte Carlotta, dass sie nicht auf den Mund gefallen war.

„Hund ist das Stichwort, ich werde zuerst nach Bomba sehen, dannnehme ich dankend deinen Trunk an“, schlug sich Jonathan leicht vor dieStirn. Schon war er aus dem Zimmer und wäre fast über Bombagestolpert.

„Bomba, du hast deinen Posten verlassen“, wies er den Hund mitstrenger Stimme zurecht.

Der Hund richtete seinen Blick zuerst auf den sich aufrichtendenCaligula, dann sah er Jonathan ohne jedes schlechte Gewissen in dieAugen.

„So, so, ihr habt seltsame Geräusche gehört und euch Sorgen um michgemacht? Na, wenn das so ist, dann soll euch verziehen sein.“

„Führst du immer so eigenartige Unterhaltungen mit deinem Hund und istdie Ratte etwa auch da draußen?“, mischte sich nun Carlotta vondrinnen ein. „Wenn sie nicht ins Bett kommen, dann darfst du sie mithereinbringen.“

„Bomba, Caligula, ihr habt gehört, was die Königin fordert, also benehmteuch“, wies Jonathan seine vierbeinigen Gefährten an.

Als er dann nackt ins Zimmer trat und Carlottas Blick auf seinem Körperspürte, musste er kurz gegen eine aufkommende Verlegenheit

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ankämpfen. Doch dann sagte er sich, sei nicht albern Jonathan, duhattest gerade Geschlechtsverkehr mit der Frau und du hast ihrenKörper genauso studiert.

„Sei ehrlich Jonathan, du hast dein Geburtsdatum im Ausweis fälschenlassen oder du bist ein ganz anderer und wirst gesucht. Genau! Deshalbhast du eine andere Identität mit falschem Geburtsdatum angenommen,damit dich deine Häscher nicht fassen. Nein ehrlich, niemand würde dichfür so alt halten und schon gar keine Frau, mit der du gerade im Bettwarst.“

Sprach da so etwas wie Bewunderung aus ihrer Stimme? Jonathan warsich nicht ganz sicher, trotzdem fühlte er sich geschmeichelt.

„Danke Carlotta, du darfst aber auch sehr zufrieden mit deinem Körpersein, ich bin es jedenfalls. Die Anziehungskraft deines Körpers gingsoweit, dass mich am helllichten Tag sexuelle Fantasien überkamen. Ichhoffe, das hört jetzt auf, jetzt, da ich deinen Körper näher kennenlernendurfte. Carlotta, du musst doch zugeben, es ist ein unmöglicher Zustand,dass du dich nackt im Sessel räkelst, während ich mit meinem Buttlerspreche.“

Carlotta lachte scheu. „Wirklich?“

Jonathans verlegenes Nicken war ihr dann Bestätigung genug.

„Du wirkst eher wie ein großer Junge auf mich, aber nicht wie ein alterMann“, stellte Carlotta lachend fest, bevor sie das Thema wechselte.„Entschuldige Jonathan, eigentlich wollte ich dir etwas zu trinken geben“.Sie öffnete den kleinen Kühlschrank und holte eine FlascheMineralwasser heraus. Gläser standen schon auf dem Nachttisch undnachdem sie eingegossen hatte, reichte sie Jonathan ein Glas. Sieprosteten sich zu und Carlotta brachte einen Toast aus.

„Auf die Liebe, auf die Zukunft und das wir es noch oft treiben.“

Jonathan machte ein begriffsstutziges Gesicht, als wenn er ihre Aussagenicht verstand.

„Treiben, was treiben?“ Leider zuckten bei der Frage seine Mundwinkelverräterisch, so dass er sich verriet. „Meinst du vielleicht das f-Wort?“

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„Männer, warum müssen Männer immer so gnadenlos banal sein?“

Wie auf Kommando sahen sie sich in die Augen, nur um plötzlicherleichtert aufzulachen.

„Jonathan, Jonathan, du bringst mich zum Lachen und das ist fastgenauso gut, als wenn du mich zum Höhepunkt bringst, na ja, wiegesagt fast so gut.“

„Carlotta sei mir nicht böse, aber ich muss mich langsam auf die Sockenmachen. Meine Bediensteten vermuten schon irgendetwas, aber noch istes nur eine vage Vermutung und so soll es auch bleiben.“

Einen Moment sah Carlotta ihn nachdenklich an, dann fragte sie pikiert,„schämst du dich meiner?“

„Aber wo denkst du hin“, wehrte Jonathan sofort ihren Verdacht ab.„Aber ich will nicht, dass sich die Leute das Maul über dich zerreißen.Auch wenn du nichts von meinem Alter hören willst, aber was ist, wennich auf einmal Tod umfalle, aber die Affäre trotzdem GesprächsthemaNummer eins bleibt und die Leute schlecht über dich reden?“, jetzt klangehrliche Sorge aus Jonathans Stimme.

„Über das Eine wäre ich sehr traurig, weil du mir fehltest, das andere,das Gewäsch der Leute wäre mir jedoch ziemlich egal“, überlegteCarlotta keinen Moment.

„Darüber reden wir das nächste Mal, bis dahin lass mich deinen Rufbeschützen.“ Jonathan trat zu Carlotta und küsste sie zärtlich auf denMund. „Einverstanden?“

„Wie du meinst, Jonathan.“

Bevor sich Jonathan anziehen konnte, musste er Caligula von seinenSachen vertreiben, weil er die Gelegenheit nutzte, um Carlotta zubetrachten, dabei richtete er sich neugierig auf den Hinterläufen auf.

„Dein kleiner Freund ist ja wirklich putzig, ganz anders, als man sich eineRatte vorstellt“, bemerkte sie.

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„Caligula ist reinlich, anhänglich und sehr intelligent, du solltest deineScheu ablegen. Sagen wir mal so, du bekommst bestimmt nochGelegenheit ihn näher kennen zu lernen“.

Inzwischen war Jonathan angezogen, stellte ein Bein auf die Bettkanteund stieß einen Pfiff aus. Wie auf Kommando schnellte der brauneKörper auf vier flinken Beinchen Richtung Jonathan und krabbelte überdas Bein zur Gürteltasche und verschwand darin.

„Wirklich erstaunlich“, bemerkte Carlotta.

Jonathan beugte sich zu ihr herunter und schenkte ihr zum Abschiedeinen gefühlvollen Kuss, dann machte er sich mit Bomba im Schlepptauauf den Heimweg. Über Umwege kehrte er zu seinem Anwesen zurück,so dass sein und Carlottas Geheimnis vorerst gewahrt blieb. Amnächste Tag nahm sich Jonathan endlich die Zeit, um all jenes in Angriffzu nehmen, das auf seinem Stundenplan stand: Tai Chi, auf demDidgeridoo spielen, ein wenig Krafttraining und lange Spaziergänge mitBomba. Denn ihm war klar, der nächste Tag, der Tag an dem dieUniversitätsabordnungen vorsprachen, war für solche Aktivitätenverloren.

Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Nach einerkurzen Begrüßung begutachteten die Sachverständigen die Original-Artefakte, anschließend begann ein heftiges Tauziehen um denZuschlag. Erst als Jonathan sie darauf hinwies, dass eine Seite leerausgehen würde, wenn man ihn zu einer Entscheidung zwang, einigtensie sich auf ein gemeinschaftliches Projekt. Ein Termin wurdevereinbart, an dem ein Spezialteam die sterblichen Überreste desgeheimnisvollen Gefangenen bergen sollte. Am Ende wurden nocheinige Schriftstücke unterzeichnet, die Jonathan zuvor von seinem Notarhatte aufsetzen lassen, dann war der Spuk auch schon vorbei, viel früherals Jonathan es eingeplant hatte. Somit blieb ihm doch noch Zeit, um imFitnessraum den Schweiß in Strömen fließen zu lassen. Schließlichstand ihm morgen schon wieder ein außergewöhnliches Ereignis insHaus.

Erschöpf und zufrieden fiel er abends in sein Bett, nur um im Verlaufeder Nacht von einem absonderlichen Traum heimgesucht zu werden.Ein, auf der Flöte spielender Caligula lockte ihn in jenes Turmzimmer,

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indem die von ihm gemalten Bilder hingen, die Lord Edward vor langerZeit erworben hatte. Caligula verschwand in dem stockdunklen Raumund egal wie oft er den Lichtschalter betätigte, das Licht ließ sich einfachnicht anschalten. Also folgte Jonathan dem Klang des Flötenspiels undstieß einen Pfiff aus. Gleich darauf spürte er wie der Nager an ihmhochkletterte und er wollte den Raum wieder verlassen. Doch das sahder Traum nicht vor, stattdessen leuchteten wie von Geisterhandmagische Zeichen auf dem Fußboden und an den Wänden auf. Nachdem ersten Schrecken fing sich Jonathan wieder und er nahm sich dieZeit, um die leuchtenden Zeichen näher zu betrachten. Natürlicherkannte er in dem Zeichen auf dem Fußboden einen Drudenfuß, mitden anderen Zeichen tat er sich da schon schwerer. Gerade als er sieeingehender studieren wollte, löste sich der Spuk auf.

Am nächsten Tag war er so auf das anstehende Ereignis fixiert, dass derTraum vollkommen in den Hintergrund trat. Obwohl Robert eigentlich denPosten des Chauffeurs bekleidete, ließ sich Jonathan von Henry imRolls Royce zum Bahnhof nach Hereford fahren. Eine folgerichtigeMaßnahme, wollte er doch nicht noch mehr Personen ins Vertrauenziehen.

„Und, haben die anderen Bediensteten das Gerücht geschluckt?“, wollteer auf der Fahrt nach Hereford von seinem Buttler wissen.

„Aber gewiss doch Mylord, äh Sir. Ich habe geschickter Weise jeden vonihnen mit anderen Informationen gefüttert, nur die Kernaussage bliebimmer die gleiche. Alle sind davon überzog, dass sie Besuch von einerVerflossenen erhalten, an der jedoch immer noch ihr Herz hängt. Dasssich selbige erst wieder bei ihnen meldete, als sie erfuhr, dass sie durchErbschaft ein schwerreicher Lord geworden sind. Das Verhalten wirftnatürlich ein spezielles Licht auf jene Frau, die wir dazu ausersehenhaben, die Zielscheibe für die Bediensteten zu spielen. Wenn dieBediensteten etwas zum Tratschen und Maul zerreißen brauchen, danndürfen sie diese Bedürfnisse an Frau Kleinschmidt befriedigen. Bitte keinMitleid Sir, damit muss die Schauspielerin fertig werden, schließlich wirdsie außergewöhnlich gut bezahlt“, beantwortete Henry die Frage undbrachte auch gleich seine persönliche Meinung darüber zum Ausdruck.

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„Ja, so ist das Leben. Spielen wir nicht alle oft nur eine Rolle, obwohl wirgar keine Schauspieler sind? Wobei sich natürlich die Frage stellt, wirddas aufzuführende Stück eine Komödie oder artet es zu einer Tragödieaus?“, ließ es sich Jonathan nicht nehmen, seine Inszenierung auch aufseine Weise zu kommentieren.

„Darf ich offen und ehrlich meine Meinung zu der Sache sagen, Sir?“Henry wartete zwei, drei Atemzüge und als kein Einspruch seines Lordsertönte fuhr er fort. „Diese Show ziehen sie doch nicht wirklich ab, weilihnen irgendetwas peinlich ist. So wie ich sie einschätze ist es ihnenvollkommen egal was wir über sie denken. Alles weist darauf hin, dasssie jemanden schützen wollen.“

Als Jonathan keine Anstalten machte, sich dazu zu äußern, fühlte sichHenry in seiner Meinung nur bestätigt. Denn keine Antwort konnte ebenauch eine Antwort sein. Bald darauf standen die beidenunterschiedlichen Männer auf dem Bahnsteig und erwarteten den Zug.Henry hielt ein großes Schild in der Hand, auf dem in großenBuchstaben der Name der zu Erwartenden stand. Eigentlich wäre dasnicht nötig gewesen, da sie ein Foto der Schauspielerin besaßen undzudem auch noch wussten aus welchem Waggon sie steigen würde.Endlich fuhr der Zug schnaufend ein und Jonathan wurde von einergewissen Aufregung ergriffen, kein Wunder, in seinem langen Lebenhatte er bisher niemals an einer solchen Posse teilgenommen. Bremsenquietschten, Dampf zischte und der Zug hielt an. Die Sekundenverstrichen, dann öffnete sich endlich die Tür des Waggons, vor dem siestanden und ein Hauch von Hollywood machte sich breit. Mit ihremweitausgeschnittenen, roten Kostüm erregte die Frau sofort dieAufmerksamkeit anderer Reisender und Wartender. Natürlich hatte sielängst das Schild mit ihrem Namen entdeckt und winkte Jonathanübertrieben zu.

„Juchhu Johnny!“

Graziös wie eine Diva stieg die junge Frau die zwei Stufen herunter undschmiss sich Jonathan an den Hals, Küsschen links, Küsschen rechts.Erstaunt sahen sich viele Leute an, denn die junge, schöne Frau hättelocker Jonathans Tochter sein können. Auch ein jüngerer Mann, deranscheinend bis dahin ihren Koffer trug, schaute verdutzt auf die Szene,

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stellte wortlos den Koffer ab und verschwand enttäuscht. Anscheinendhatte der Unbekannte mit dem Koffertragen irgendwelche Hoffnungenverbunden. Wobei Jonathan das nicht als verwunderlich empfand, dennschließlich war Lily ein echter Blickfang und Hingucker. Henry erfasstedie Situation sofort und gleich darauf den Koffer. Erst als die Drei dasBahnhofsgelände verlassen hatten, änderte sich Lilys übertrieben,aufreizendes Auftreten. Auf einmal wirkte sie recht natürlich, was ihr abernichts von ihrem Charme nahm.

„Ihr Auftritt auf dem Bahnhof war wirklich sehr überzeugend FrauKleinschmidt. Bleiben sie der gezeigten Qualität treu und sie werden esnicht bereuen, diesen Auftrag angenommen zu haben“, zeigte Jonathanoffen seine Zufriedenheit.

„Aber Mylord, das bin ich doch schon meiner Berufsehre schuldig,schließlich bezahlen sie mich gut für diese Rolle. Andererseits, wennsich in ihrem Bekanntenkreis ein namhafter Regisseur rumtreibt, dannhätte ich auch nichts dagegen, wenn sie ihm einen entsprechendenHinweis geben würden“, ging Lily verblüffend ehrlich auf JonathansKompliment ein.

Auf der Fahrt nach Wullingham-Castle sprachen sie noch einmal allesdurch und Jonathan erkannte, dass sich Lily auf ihre Rolle bestensvorbereitet hatte.

„Gut zu wissen, schließlich weiß man ja nie wie das Leben spielt. Solltemir wirklich mal ein Regisseur über den Weg laufen, vielleicht weil meinRoman verfilmt wird, dann lege ich mehr als nur ein gutes Wort für sieein“, ging Jonathan scherzhaft auf ihr Anliegen ein.

„Ach, sie haben einen Roman geschrieben?“, zeigte Lily deutlich ihreÜberraschung, denn das hätte sie von dem verschrobenen Lord nunbestimmt nicht erwartet.

„Er ist noch nicht ganz fertig“, überging Jonathan einfach ihreVerwunderung. „Die tragenden Säulen stehen zwar schon, doch esfehlen noch ein paar Details“, nachdenklich blickte Jonathan aus demFenster.

„Darf man fragen, worum es in dem Buch geht?“, schien Lily nun aberdoch ehrlich neugierig.

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Jonathan dachte kurz nach, um sich so präzise wie möglichauszudrücken und fasste alles mit den Worten zusammen, „historischerHintergrund, vermischt mit einem Schuss Fantastischem, Liebe, Hass,Intrigen, Treue und Freundschaft.“

„Hört sich nach einem Bestseller an“, wobei ihr anschließendes,aufrichtiges, kindliches Lachen dem Gesagten etwas den ernst nahm.

Jonathan ließ sich davon jedoch nicht irritieren, denn er hatte in denJahren seines Lebens schon zu eindrucksvoll erfahren müssen, welchseltsame Wege das Leben manchmal ging.

„Man weiß nie, hätte damals auch nicht geglaubt, dass mich meine Bilderbekannt und reich machen. Doch das war nie mein Beweggrund.Genauso, wie ich einst die Bilder in erster Linie nur für mich gemalt habe,so schreibe ich mir jetzt eben ein Buch“, gewährte Jonathan seinerBegleiterin einen tieferen Einblick in seine Lebensphilosophie, als esvielleicht seine Absicht war. Gut, dass er nicht bemerkte, wie ihn Lilyplötzlich mit ganz anderen Augen ansah, aber auch, dass ihm HenrysGesichtsausdruck verborgen blieb, der alles mit angehört hatte.

Der Empfang für Lily auf Wullingham-Castle fiel genauso herzlich auswie sein eigener, als er hier angekommen war. Nach einer kurzenVorstellung des Personals brachte Henry Lily zu ihrem Gästezimmer,das sich wie zwei weitere Gästezimmer im Ostflügel befand. Nachdemsich Lily frischgemacht und umgezogen hatte, wurde im großenEsszimmer aufgetafelt. Nach dem Essen führte sie Jonathan auf demAnwesen herum, bei dieser Gelegenheit stellte er ihr auch Bomba vor.Als Lily bei der Präsentation seines Anwesens davon hörte, dass auchein Pferdestall zum Anwesen gehörte, konnte sie ihr aufkommendesInteresse nicht verbergen.

„Und sie selbst reiten nicht, obwohl sie solche prachtvollen Pferdebesitzen?“, konnte Lily den Umstand gar nicht fassen, als sie denPferdebestand besichtigt hatte.

„Wenn ich ehrlich bin, Pferde sind mir einfach zu groß. Er und er habendie richtige Größe“, dabei zeigte Jonathan zuerst auf Bomba, der nebenihm herlief und dann auf seine Gürteltasche. Lily schaute verdutzt aufselbige Tasche, weil Jonathans Worte im Augenblick für sie keinen Sinn

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ergaben. Jonathan stieß einen leisen Pfiff aus, worauf Lily mitbefremdlichem Blick das Köpfchen der Ratte registrierte, als sichCaligula zeigte.

„Das ist mein treuer Begleiter Caligula, seines Zeichens Ratte, wie manunschwer erkennen kann“, stellte Jonathan den putzigen Gesellen vor.

Bevor Lily etwas erwidern konnte, betrat Benny der Stallbursche undPferdeknecht den Stall, was sie dazu veranlasste schnell wieder in dieRolle des geldgierigen Dummerchens zu schlüpfen, die alles dafür tat,um ihren alten Liebhaber gekonnt um den Finger zu wickeln.

„Bitte, bitte Johnny, darf ich morgen die rote Stute reiten“? Um ihrAnsinnen mit dem entsprechenden Nachdruck zu versehen, schmiegtesie sich gleichzeitig an Jonathans Seite.

Jonathan verstand nicht sogleich ihr übertriebenes Gehabe, schaltetedann aber rechtzeitig, als er Lilys Blick bemerkte.

„Gut, dass sie gerade kommen Benny. Meine Bekannte, äh - FrauKleinschmidt, würde gerne einen Ausritt auf der roten Stuteunternehmen. Morgen, gleich nach dem Frühstück, steht das Pferdreitfertig in der Box“, wies er den Stallknecht an.

„O.K. Sir! Wenn ich jedoch anmerken dürfte, Aphrodite ist manchmal einwenig störrisch“, brachte der Stallknecht einen berechtigten Einwand vor.

„Lily, du bist doch eine gute Reiterin?“, wollte Jonathan daraufhin vonseiner Begleiterin wissen.

„Aber gewiss doch Johnnylein. Ich reite schließlich regelmäßig seitmeinem zehnten Lebensjahr“, säuselte sie mit einschmeichelnderStimme, wohlwissend, dass sie dem Stallknecht die Rolle schuldig war.

„Na schön, - trotzdem. Benny sie reiten mit, sicher ist sicher, schließlichkennt sich Frau Kleinschmidt hier nicht aus. Aber zum Mittagessen bistdu wieder da, mein Täubchen“, verfiel nun Jonathan ebenfalls in seinRollenspiel.

Wie unabsichtlich streichelten ihre Finger Jonathans Hand, die auf derBoxenverschalung lag, aber erst als sie sicher war, dass Benny dieZärtlichkeit bemerkte. Als sie zum Wohnhaus zurückgingen fasste sie

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Jonathan um und flüsterte ihm ins Ohr, „na, wie habe ich das gemacht?“Worauf Jonathan seine Zufriedenheit durch ein breites Grinsen kund tat.

Nach dem Abendessen sahen sie sich im Fernsehraum Indianer JonesIV an, danach zog sich Lily auf ihr Zimmer zurück. Jonathan ging seineübliche Nachtrunde mit Bomba, schaute noch mal nach Caligula, dersich in irgendeiner Höhle, des künstlichen Berges, in seinem Käfigzurückgezogen hatte, um sich dann zu Bett zu begeben.

Zufrieden stand er am nächsten Tag auf, denn er wusste, den Vormittagbrauchte er, dank der genialen Reit-Idee Lilys, keine Rolle zu spielen.Auf dem Burghügel begrüßte ihn die aufgehende Sonne und er machteihr mit seinem meditativen Tanz die Aufwartung. Genauso intensivwidmete er sich dem Schwimmen, wobei er heute ein paar Bahnen mehrschwamm. In der Küche am Frühstückstisch erwischte er dann Selmaauf dem falschen Fuß.

„Selma, wenn es keine Umstände bereitet, würde ich heuteausnahmsweise noch einen zusätzlichen Toast nehmen, mit Rührei undSpeck wenn es geht. Weiß auch nicht, habe heute Hunger wie ein Wolf.“

Irritiert bemerkte Jonathan, das Selma ihn vorwurfsvoll anzuschauenschien. Gleich darauf ging ihm jedoch ein Licht auf. Mit seiner Forderungnach Rührei und Speck gab er anscheinend den Gerüchten und SelmasFantasie neue Nahrung. Vermutlich dachte sie gerade, kein Wunder,dass der alte Gockel Hunger wie ein Wolf hat, wenn er sich mit einem sojungen Huhn einlässt. Gerade wollte er bei diesem Gedanken grinsen,als ihm einfiel wie unpassend das wirken musste.

„Schon unterwegs, Sir“, bekam Selma ihre Gefühle schnell wieder in denGriff, so dass ihre Stimme fast normal klang.

Jonathan schien ziemlich zufrieden, denn er brauchte heute Vormittagauf niemanden Rücksicht nehmen. Mit seinem Didgeridoo auf demRücken, Bomba an seiner Seite und Caligula in der Gürteltasche, schritter durch die sommerliche Natur, auf der Suche nach einem Platz, wo erden Vormittag genießen konnte. Unter einem blühenden Kirschbaumfand er das Gesuchte. Wenig später drangen urige Töne aus seinemDidgeridoo. Mit den Klangwellen schickte er seine Gedanken auf eineweite, mystische Reise, in eine andere Welt. Er war so vertieft in sein

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Tun, dass er nichts mehr um sich herum mitbekam. Auch war er sichdessen nicht bewusst, dass seine Klangwellen weithin zu hören seinmussten. Lily, die sich mit Benny gerade auf dem Rückweg nachWullingham-Castle befand, stoppte ihr Pferd und horchte angestrengt inalle Richtungen.

„Benny, können sie mir verraten was das für Geräusche sind?“, wand siesich, Erklärung suchend, an ihren Begleiter.

Benny setzte zuerst ein ratloses Gesicht auf, doch dann zeichnete sichein Lächeln der Erkenntnis auf seinem Mund ab. „Mylord spielt aufseinem Holzstock, kann mir einfach nicht merken wie das Ding heiß.“

„Er spielt auf einem Didgeridoo?“, dabei zog Lily die letzten beidenBuchstaben ungewohnt in die Länge.

Benny nickte voller Überzeugung. Lily wendete ihr Pferd und folgte demKlang der ungewöhnlichen Töne. Da die Tonquelle immer lauter wurde,schien die Richtung zu stimmen. Obwohl sich die Reiter längst inJonathans Blickfeld befanden, schien er sie nicht zu bemerken. Erst alsdie beiden Pferde nervös schnaubten, weil Bomba aufgeregt um sie rumsprang, unterbrach Jonathan sein Spiel und blickte auf.

„Oh Johnny, unglaublich, aber du bist immer wieder für eineÜberraschung gut. Ich glaubte mich schon im australischen Busch,umzingelt von Aborigines.“ Lachend sprang Lily vom Pferd. „Wie hast dues übrigens geschafft so schnell für mich Reitsachen zu beschaffen undauch noch so gut passende?“

„Es gibt für alles Expressdienste - und deine Maße sind mir bekannt“, loger gekonnt, nicht ohne Hintergedanken. Seine Äußerung würde dazubeitragen, dass Benny den Gerüchten neue Nahrung zuführte. Jenerverfolgte zwar mit teilnahmslosem Gesichtsausdruck das Gespräch,doch Jonathan war sich sicher, dass er jedes Wort aufmerksamregistrierte.

„Benny, würden sie bitte Aphrodite übernehmen, ich begleite Jonathanzu Fuß“, bemühte sich Lily den Eindruck zu erwecken, als wenn sie mitJonathan allein sein wollte.

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Damit war für Benny die Lauschzeit beendet. Er ergriff die Zügel vonAphrodite und ritt los.

„Geschickt wie sie den Jungen abserviert haben“, bemerkte Jonathan,„und wie war der Ausritt?“

„Herrlich! Eigentlich müsste ich für all das Geld bezahlen, stattdessenbekomme ich noch welches. Ist doch verrückt diese Welt“, wobei man esLily ansah, dass sie nicht wirklich unglücklich über die Umstände war.

„Ihrer Aussage ist nichts hinzuzufügen, vielleicht nur so viel, wenn siemal nicht wissen wo sie Urlaub machen wollen, hier sind sie immerherzlich willkommen, ein Anruf genügt“, machte ihr Jonathan ein völligüberraschendes Angebot.

Mit ernstem Gesicht schaute ihn Lily nachdenklich an. „Und was mussich dafür machen?“

„Auf jeden Fall kein so ernstes Gesicht, eher Lachen und gute Launeverbreiten“, gab Jonathan schlagfertig zurück.

„Sie sind ein toller Mann, schade dass wir vom Alter nicht wirklichzusammenpassen“, Lily machte einen überraschenden Schritt nach vornund bevor sich Jonathan versah gab sie ihm einen Kuss auf die Wange.

Der so überraschte Jonathan fing sich jedoch schnell. „Genau Lily, dukönntest fast meine Enkelin sein, genaugenommen erinnerst du michsogar sehr an sie und rate mal wie sie heißt?“

„Nein, das gibt es doch gar nicht, - wirklich Lily?“

„Mit zweitem Namen, sie heißt Victoria Lily, nur dass sie erst elf Jahre altist“, bestätigte Jonathan.

Inzwischen hatten sie fast das Anwesen erreicht. Lily fasste ihndemonstrativ um und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund.

„Nur für die Bediensteten“, erklärte sie schelmisch lachend.

Das Mittagessen war fast beendet, als Jonathan das Wort an Lilyrichtete.

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„Ich glaube ich vergaß zu erwähnen, dass wir heute Abend ins Theatergehen.“

„Aber ich habe für solchen Anlass keine entsprechende Garderobedabei“, wehrte Lily erschrocken ab.

„Aus diesem Grund fahren wir auch gleich nach der Mittagsruhe nachHereford und kleiden dich nach deinen Wünschen ein. Danach noch einkleiner Imbiss und dann steht -Was ihr wollt- von Shakespeare auf demProgramm.“

Lily sprang freudig erregt auf und daran war nichts gespielt, lief um denTisch und gab Jonathan einen erneuten Kuss.

„Danke, danke, womit habe ich das bloß verdient?“

„Ja, das frage ich mich auch“, brubbelte Selma, die an der Durchreichezur Küche gelauscht hatte, mürrisch in sich hinein.

Jonathan und Lily begaben sich auf ihre Zimmer und ließen einemissmutige Selma zurück. Henry, der mit dem Geschirr vom Esszimmerin die Küche kam, spürte sofort Selmas schlechte Laune.

„Selma, du bist ungerecht, gönne doch Mylord den Spaß. FrauKleinschmidt ist nächste Woche wieder weg, dann gehört uns Mylordwieder ganz alleine“, war er ehrlich darum bemüht Selma wiederaufzumuntern.

Fast wären Selma die Tränen gekommen, denn sie wusste der Lordwürde ihr nie gehören, außer in ihren Träumen.

„Der Hund und dieses Nagetier haben mehr von ihm als wir anderen allezusammen“, schien sich ihre Eifersucht plötzlich gegen Bomba undCaligula zu richten.

Henry sah ein, dass hier jede weitere Bemühung, Perlen vor die Säue zuwerfen hieße. Schnell stellte er das Geschirr ab und machte sich ausdem Staub. Er musste nur noch Mylords Sachen für den Theaterbesuchherauslegen, dann hatte er den ganzen restlichen Tag für sich. Er warein wenig stolz auf sich, dass er den Herrn dazu überredet hatte, denSmoking anzulegen. Man stelle sich nur vor, der Viscount vonWullingham in Freizeitklamotten im Theater. Henry schüttelte sich, als

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wenn sich tausende von Krabbeltierchen auf seinem Körper bewegten.Auf dem Gebiet musste Mylord noch viel lernen, aber dafür hatte er jaihn.

„Genau“, rief er plötzlich laut und voller Überzeugung aus.

Bevor Jonathan und Lily in den Rolls Royce stiegen, wies Jonathanseinen Hund an, keine Dummheiten zu machen und schön hinter demHaus zu bleiben, während Caligula heute mal im Käfig schmorenmusste.

„Haben wir uns verstanden Bomba?“, abwartend sah Jonathan denAngesprochenen an.

„Pfote drauf!“

Jonathan beugte sich vor und hielt dem Hund eine Hand hin, in dieBomba sofort eine seiner Pfoten legte.

„Braver Hund, wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann“, damit warfür Jonathan die Sache erledigt und er stieg zu Lily hinten ins Auto.

Der Abend verlief dann jedoch nicht so, wie er ihn sich vorgestellt hatte.Irgendwie hatte die Klatschpresse Kenntnis davon bekommen, dass derneue Viscount von Wullingham das erste Mal in der Öffentlichkeiterscheinen würde. Als die Presseleute den Viscount in Begleitung einerbildhübschen Frau, die man in ihrem weitausgeschnittenen Abendkleiddurchaus als Blickfang bezeichnen konnte, gewahrten, wurden dieBeiden in ein wahres Blitzlichtgewitter getaucht. Jonathan machte guteMiene zu bösem Spiel, während es Lily sichtlich genoss im Mittelpunktdes Interesses zu stehen.

„Danke, danke Jonathan, du weißt ja gar nicht was das für meine Karierebedeutet. Wenn du nicht eine Andere hättest, würde ich mich an dichranmachen, du bist einfach umwerfend“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

„Woher weißt du?“, erwiderte Jonathan erstaunt.

„Eine Frau merkt sowas. Aber ist schon in Ordnung, ich habe hier diebeste Rolle meines Lebens und ich werde etwas daraus machen.“

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„Du machst deinen Weg, da bin ich mir ganz sicher“, stimmte ihrJonathan zu.

So gesehen fand der Abend noch einen versöhnlichen Ausklang, wennauch Jonathan für sich feststellte, dass er auf den Rummel durchausverzichten konnte.

Ehe sich Lily und Jonathan versahen war ihre gemeinsame Zeit rum undsie standen wieder auf dem Bahnhof von Hereford..

„Lily, ich würde mich freuen, wenn ich ab und zu einen Brief von dirbekommen würde. Wie es dir geht, was du so machst. Eine E-Mail würdees natürlich auch machen und nicht zu vergessen, mein Angebot steht“,gab ihr Jonathan zum Abschied noch mit auf dem Weg.

„Wann immer ich Zeit habe“, und dann sagte sie auf eine Art und Weise„Jonathan“, die alles Lügen straften, was ihre Gefühle gegenüberJonathan betrafen.

Obwohl er Lily auf eine väterliche Weise liebgewonnen hatte, genoss eram nächsten Tag die wieder einkehrende Normalität. Auf dem Programmstanden Fitness, chinesischer Kampfsport, aber vor allen DingenCarlotta. Heute würde er von seinem Nachmittagsspaziergang nichtzurückkommen. Henry würde alle glauben lassen, dass er seinen Fünf-Uhr-Tee und Abendbrot auf seinem Zimmer einnahm. Die Nacht würdeer mit Carlotta verbringen und in der Frühe rechtzeitig auf demBurghügel erscheinen, um seine morgendlichen Übungen abzuhalten.

Endlich war es soweit und er stand wieder vor seiner Geliebten. Einwenig verwundert stellte er fest, dass Carlotta heute irgendwie kühlerwirkte. Sie gab sich zurückhaltend, man konnte fast glauben sieschmollte. Ein wenig leichtfertig führte Jonathan ihre Gemütsverfassungdarauf zurück, dass er die letzten Tage keine Zeit für sie hatte, sie somitein wenig vernachlässigte. Doch dann ging ihm ein Licht auf, als er dieZeitung auf dem Küchentisch liegen sah. Das Bild von Lily und ihm, dassauf Seite Eins prangte, konnte schon dazu angetan sein, um CarlottasGedanken in eine falsche Richtung zu lenken. Jonathan wusste was dazu tun war, er nahm seine Angebetete in die Arme und flüsterte ihrzärtlich ins Ohr, „du bist diejenige, nach der ich mich verzehre, Rehauge.

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Alles andere war doch nur ein Ablenkmanöver, um dich aus derSchusslinie zu bekommen.“

„Wie hast du mich eben genannt“, blickte ihn Carlotta verwirrt an.

„Rehauge! So nenne ich dich schon von Anfang an, ob deiner großen,eindrucksvollen, braunen Augen“, gestand ihr Jonathan.

Sie setzten sich an den Tisch und Jonathan schilderte ihr die ganzePosse, mit der er seine Bediensteten, aber natürlich auch alle Nachbarnvon seinem Verhältnis zur ihr, so glaubte er jedenfalls, abgelenkt hatte.Zum Ende der Geschichte hellte sich Carlottas ungläubige Miene wiederauf.

„Wirklich Carlotta, du musst mir glauben, da war nichts. Ich habe dasalles nur inszeniert, um dich zu schützen. Ich will einfach nicht, dass mandich scheel von der Seite anschaut und über dich tuschelt.“Hoffnungsvoll sah er ihr in die Augen, suchte einen Beweis, dass sie ihmglaubte.

„Oh Jonathan, du hast mir so gefehlt, obwohl wir uns nur eine Wochenicht gesehen haben“, vergaß sie ihre eifersüchtige Anwandlung.

„Komm“, sie fasste ihn an die Hand und zog ihn zur Treppe, die insHimmelreich führte. Es gab keine bessere Weise, um Jonathan zubeweisen, dass sie ihm seine Geschichte glaubte.

Als sich Jonathan am nächsten Morgen auf dem Hügel daran machteseine Übungen abzuhalten, stellte er mit Verdruss fest, dass sie ihmheute sichtlich schwerer fielen als gewöhnlich. Vielleicht liegt der Grunddarin, dass ich sonst des Nächtens schlafe, gestand sich Jonathan mitein wenig Sarkasmus ein. Anderseits, schien das der Preis dafür zu sein,dass sich für ihn noch mal die Pforte zum Himmelreich öffnete. Beidieser Einsicht huschte ein müdes Lächeln über sein Gesicht. Am Endenutzte er seine Stellung, schob Unpässlichkeit vor und nahm sich eineAuszeit vom normalen Tagesablauf. Trotz seiner Müdigkeit säuberte ernoch den Käfig und stellte Caligula frisches Wasser und Futter hinein.Nun war er nur noch Bomba eine Erklärung schuldig.

„Bomba mein Guter, hab‘ heute ein wenig Nachsicht mit mir. In einerganz speziellen Art von Größenwahn habe ich letzte Nacht mein Alter

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vergessen und jetzt bezahle ich den Preis dafür. Sei so gut und lassmich einfach schlafen, morgen stehe ich dir wieder zur Verfügung. Heutemusst du mit Henry oder einem anderen vorlieb nehmen.“

Erschöpft, aber zufrieden fiel er auf sein Bett, um den ausgefallenenNachtschlaf nachzuholen. Wenn er jedoch glaubte, ihn erwartete einerholsamer Schlaf, dann sollte er sich gewaltig geirrt haben. Im Traumirrte er durchs Haus, bis ihn eine geheimnisvolle Kraft in den westlichenTurm zog. Als ihn sein Weg durch den Raum mit den Pflanzen undVögeln führte, hatte er das Gefühl, als wenn ihn etwas Unheimliches ausdem undurchdringlichen Dickicht beobachtete. Doch ihm blieb keine Zeit,um herauszufinden, ob dem so war, denn die geheimnisvolle Kraft zogihn weiter bis ins Zimmer mit den Bildern.

Wie im letzten Traum funktionierte das Licht nicht, trotzdem wirkte derRaum nicht dunkel. Kein Wunder, vom Fußboden strahlte der Drudenfußein helles, überirdisches Licht ab. Aber auch die magischen Zeichen anden Wänden, schienen durch die Bilder hindurch zu strahlen. Jonathannahm die Bilder ab, um die Zeichen eingehender zu studieren.Gegenüber der Tür erschienen die leuchtenden Konturen eines Kreises,beim genaueren Hinsehen musste er sich berichtigen, es handelte sichum ein Fabeltier, vielleicht einen Lindwurm, der sich in den Schwanzbiss. Rechts an der Wand, von der Tür aus gesehen, befand sich einverschlungenes Dreieck, gegenüber davon ein magisches Auge. An derWand, in der sich die Tür befand, prangte ein Schwert, auf dessenKlinge etwas in Runen geschrieben stand. Doch wirklich mystisch wirktedas Schwert vor allem deshalb, weil ihn, aus den verdickten Enden,Augen anblickten.

Die vielen verwirrenden Eindrücke, die fast gleichzeitig auf ihneinwirkten, sorgten dafür, dass sich alles um Jonathan zu drehen anfing.Drehen war ihm noch nie bekommen, schon als Kind hatte er einProblem damit. Kettenkarussell und Walzerbahn auf dem Rummel warendeshalb tabu für ihn gewesen. Auch später als junger Mann, wenn es einTanz erforderte, sich zu drehen, es musste nicht mal schnell sein, sobekam ihm das nicht. Kein Wunder das ihm auch jetzt erst schwindeligund dann übel wurde. Gut das dieser seltsame Stuhl in der Mitte desRaumes stand. Erschöpft und schweißgebadet setzte er sich auf ihn, umsich von dem Schrecken zu erholen. Gerade befasste er sich noch mit

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dieser seltsam gearbeiteten Sitzgelegenheit, die aus rohen Ästenzusammengefügt schien, als ihn schon das nächste, geheimnisvolleSzenario in seinen Bann zog. Der Schlangenkreis, der sich an der Wandbefand, fing sich an zu drehen. Erst langsam, dann immer schneller,wobei er immer größer wurde. Als der Kreis einen Durchmessererreichte, den ein Mensch erhobenen Hauptes durchschreiten konnte,hörte die Drehung auf und gleißendes Licht entströmte ihm.

Doch wenn er glaubte, dass damit der Höhepunkt dieses Spukes erreichtwar, dann sollte ihn das folgende Ereignis richtig in die Knochen fahren.Gerade kneistete er noch in das grelle Licht, dass aus dem Kreisströmte, welches dieses Fabeltier bildete, als plötzlich ein schrecklichanzusehendes, menschliches Wesen daraus hervorsprang. Woher er dieMuße und Ruhe nahm, um dieses Wesen eingehend zu betrachten,obwohl von ihr eine spürbare Bedrohung ausging, konnte er sich auchspäter nicht erklären. Vielleicht gehörte auch das zu seinem Traum.

Vielleicht hätte der mysteriöse Besucher nur fremdartig gewirkt, denn erwar bekleidet wie eine Person aus dem Mittelalter. Er trug ein ledernesWams und Hose aus dem gleichen Material. Zu Mittelalter passte auchdas Schwert in seiner rechten Hand, aber vor allem machte es aufJonathan den Eindruck, als wenn der Fremde es nicht nur zur Zierdetrug. Doch wirkte der Rest von ihm, angefangen bei der grässlich,anzuschauenden Narbe, die von der Stirn, quer über das linke Auge,Nase und Mund verlief in Verbund mit dem Schwert erschreckend.

Aus zusammengekniffenen Augen stierte der Fremde ins Leere, wasvielleicht daran lag, dass er noch vom Licht geblendet war, durch das ergerade geschritten war. Plötzlich riss er die zusammengekniffenenAugen weit auf und starrte Jonathan aus blutunterlaufenen Augenmordlüstern an. Sein entstellter Mund verzog sich zu einemmörderischen Grinsen, so als wenn er endlich etwas gefunden hatte,wonach er schon lange suchte, weil er mit ihm noch eine Rechnungoffen hatte.

„Endlich, den Göttern sei gedankt. Lange habe ich dich gesuchtArthurmalix! Nun entwischst du mir nicht mehr, jetzt wird abgerechnet.Es wird Zeit, dass der letzte Druide von Asgardun ausgelöscht wird!“,dröhnte seine Ankündigung grausig durch den Raum.

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Plötzlich war sich Jonathan nicht mehr so sicher, ob es sich wirklich nurum einen abgefahrenen Traum handelte. Denn wenn es ein Traum war,dann wirkte er ziemlich echt auf ihn. Mit einem Satz war er hoch,gleichzeitig sah er sich schutzsuchend um, nur um festzustellen, dassda nichts war, was ihm Schutz hätte bieten können. Siegessicher kamsein dämonischer Besucher näher, so dass Jonathan zurückwich, bisihm die Wand Einhalt gebot. Als Jonathans Finger die nackte Wandberührten, fühlte er unerwartet einen Gegenstand. Zuerst wollteJonathan nicht glauben was seine Hand erfühlte, doch unzweifelhaftumschloss seine rechte Hand den Griff eines Schwertes. Eigentlichunmöglich, denn wie sollte es funktionieren, dass aus dem leuchtenden,aufgemalten Schwert von der Wand eine echte Waffe wurde? DieAntwort auf diese Frage konnte er ruhigen Gewissens auf späterverschieben. Da war etwas, womit er sich wehren konnte und das er miteinem Schwert umgehen konnte, verdankte er seinem Lehrmeister Li.Sein dämonischer Gegner hatte keine Ahnung, dass sich die Situationein klein wenig zu seinen Ungunsten verändert hatte. Er rechnete nichtmit nennenswerter Gegenwehr, deshalb holte er mit siegessicheremGrinsen zum tödlichen Schlag aus. Wie zeichnete sich sein Erstaunen imGesicht hab, als völlig unerwartet sein Schwerthieb pariert wurde. EinenMoment später schlug sein Erstaunen in Panik um.

„Bei den Geistern der Ahnen, Uthrut, das sehende Schwert“, schrie erseine Bestürzung heraus, doch da durchbohrte die Klinge der magischenWaffe auch schon seine Brust.

Blut spritzte aus der Wunde, als Jonathan sein Schwert aus dem Gegnerherauszog. Mit weit aufgerissenen, verständnislos dreinblickendenAugen taumelte der Verletzte Richtung magischem Kreis. Aus eigenerKraft hätte er es nicht bis zum Lichtkreis geschafft, doch plötzlichentwickelte der magische Kreis eine Sogwirkung und zog den Körperdes Fremden in sein gleißendes Licht. Während Jonathan den Vorgangverfolgte, ließ er sich mit wackeligen Knien und schweren Armen auf denBoden sinken. Alles drehte sich um ihn, dann wurde ihm schwarz vorAugen. Als er, alles andere als erholt, am nächsten Morgen in seinemdurchwühlten Bett aufwachte, versuchte er den Traum oder war es dochWirklichkeit, zu verdrängen. Obwohl er sich redliche Mühe dabei gab,wollte ihm das Unterfangen Traumverdrängung nicht gelingen. Deshalb

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rief er nach einer erfrischenden Dusche und nachdem er sichangekleidet hatte, Henry zu sich.

„Würden sie mich in den Turm begleiten, ich muss da etwas überprüfen“,empfing er seinen Diener.

Henrys Blick war genauso nichtssagend wie immer und sein folgendes,„Ja Sir“ erschien nur logisch. Bomba stand auch schon marschbereit vorder Tür und so machten sie sich auf den Weg.

„Gibt es einen besonderen Grund?“, versuchte Henry vorsichtig dieBeweggründe seines Herrn auszuforschen.

„Nur ein Traum Henry, aber er lässt mir keine Ruhe“, war die fahrigeAntwort von Jonathan.

Natürlich ging das Licht wie immer automatisch an, als sie den Raumbetraten, das war auch nötig, da die Schießscharten ähnlichen,schmalen Fenster, die mit dicken Fensterläden aus Holz verschlossenwaren, kein Licht durchließen. Ohne eine Erklärung abzugeben, nahmJonathan die Bilder von der Wand, um das Gemäuer dahinter einereingehenden Überprüfung zu unterziehen.

„Suchen sie etwas Bestimmtes, Sir?“, erklang die besorgte StimmeHenrys, der das seltsame Gebaren seines Lords mit ausdruckslosemGesichtsausdruck verfolgte.

„Magische Zeichen, Zeichen, die im Dunklen leuchten. Einen Kreisbestehend aus einer Schlange oder Drachen, ein Dreieck, ein Auge undein Schwert“, sprach Jonathan mehr zu sich selbst, wobei er mit derHand fahrig über die kahlen Steine der Wand fuhr, wo offensichtlichdavon nichts zu erkennen war.

Henrys Gesichtsausdruck schwankte zwischen Besorgnis undUngläubigkeit, da er sich nicht erklären konnte was mit seinem Lord loswar. Für ihn sah es so aus, als wenn er gerade vollkommen durchdrehte.Doch davon bekam Jonathan nichts mit, zu intensiv beschäftigte er sichmit der Suche nach den verschwundenen Zeichen. Als er an keinerWand fündig wurde, wendete er sich enttäuscht ab. Fast wäre er dabeiüber den umgefallenen Stuhl gestolpert. Doch bevor er sich diesemThema widmen konnte, bemerkte er wie aufgeregt Bomba den Boden

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ab schnüffelte. Egal wie sehr Jonathan seine Augen anstrengte, es ließsich nichts erkennen. Sein Blick fiel wieder auf den umgefallenen Stuhl,der gut zu seinem nächtlichen Traum passte. Gerade wollte er etwas zuHenry sagen, als er den Besorgnis heischenden Gesichtsausdruckseines Dieners bemerkte.

„Schon gut Henry, ich bin nicht verrückt geworden“, beruhigte er ihnsogleich. „Wenn sie mir eine Tasse Tee besorgen, dann erzähle ichihnen die Geschichte in meinem Arbeitszimmer. Ach ja - bringen sie sichauch eine Tasse Tee mit.“

Nicht allzu viel später trafen sie sich in Jonathans Arbeitszimmer.

„Setzen sie sich, Henry, entspannen sie sich und seien sie mir dabeibehilflich, das Geheimnis der letzten Nacht zu lüften. Ich mussvorausschicken schon einen ähnlichen Traum gehabt zu haben, auch daging es um das Turmzimmer mit den Bildern.“

Anschließend beschrieb Jonathan ausführlich die leuchtenden Zeichenund den grauenvollen Angriff des dämonischen Besuchers. Einzig, dassdieser ihn Arthurmalix gerufen hatte, verschwieg er wohlweislich.

„Und sie haben die Erscheinung mit dem Schwert, welches eigentlich nuran der Wand leuchtete, erstochen? Sie sagen sein Blut spritzte auf denBoden, bevor das, was immer sie angriff, in das Licht des Kreisesgezogen wurde?“, wiederholte Henry langsam die wichtigsten Aussagenvon Jonathan, um nachdenklich hinzuzufügen. „Wenn auch allesdagegen spricht, dass davon etwas real gewesen sein könnte, so gibtmir zu denken wie intensiv Bomba auf dem Boden herum schnüffelte.Auch wenn wir mit unseren Sinnen nichts feststellten, so scheint derHund mit seinem empfindlichen Geruchsinn etwas bemerkt zu haben.“

Zerstreut legte Henry seine Stirn in Falten. „Wenn ich ihre Schilderungder Zeichen richtig deute, so handelte es sich bei einem mit Sicherheitum einen sogenannten Drudenfuß. Da der Angreifer in dem leuchtendenInneren des Drachenkreises verschwunden ist, könnte es sich dabei,um ein sogenanntes Tor zu anderen Dimensionen handeln. Doch soetwas gibt es wohl nur in Fantasy Filmen. Für die anderen Zeichen habeich keine Erklärung, sie sind mir ein Rätsel.“

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Die beiden so unterschiedlichen Männer führten die Tassen zum Mundund schlürften lautlos den heißen Tee. Nachdenklich schauten sie sichan.

„Sir, wenn es sie beruhigt oder auch nur, um Gewissheit zu bekommen,dass es sich doch nur um einen grässlichen Albtraum handelte, solltenwir alle Möglichkeiten der Überprüfung ausschöpfen. Mit klarem,logischen Verstand und ein bisschen Chemie sollten wir Gewissheiterhalten.“

„Sie meinen doch nicht etwa, dass wir in die Rolle von Spezialistenschlüpfen sollten, wie sie immer in den CSI-Filmen dargestellt werden.Hätte etwas für sich, denn mit Luminol könnten wir natürlichnachweisen, ob sich auf dem Boden Blut befunden hat“, schien Jonathanvon dieser Idee angetan, nur um gleich darauf einen Einwandvorzubringen.

„Können sie denn das Benötigte ohne Aufsehen besorgen? Ich möchteauf jeden Fall vermeiden, dass etwas von der Geschichte nach draußendringt. Andererseits wäre ich sehr froh, wenn wir den Beweis erbringenkönnten, dass es sich bei meinem nächtlichen Erlebnis nur um einenAlbtraum handelte“, brachte Jonathan seine wiederstrebenden Gefühlezum Ausdruck, wobei er indirekt den Vorschlägen seines Buttlerszustimmte.

„Vielleicht hängen meine Träume aber auch nur mit dem Romanzusammen, an dem ich derzeit schreibe. Der Roman spielt in einermittelalterlichen Welt in der Zauberer und magische Zeichen nichtsBesonderes sind. Auch der Angreifer aus meinen Traum würde gut indieses Buch passen“, sinnierte Jonathan.

Sofort hellte sich Henrys Gesicht auf, „aber dann haben wir doch dieErklärung“. Ein Blick auf Jonathans zweifelnden Gesichtsausdruck under schränkte sogleich wieder ein, „natürlich ziehen wir das mit demLuminol durch.“

„Danke Henry!“

Der Buttler verstand, dass er entlassen war und so verschwand erunaufgefordert mit den beiden leeren Teetassen.

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Die nächsten Tage verliefen nach Plan und auch der Albtraum kehrtenachts nicht wieder zurück, um ihn nochmals zu peinigen. Was nichtsdaran änderte, das Jonathan im bewussten TurmzimmerVeränderungen vornahm. Die dort hängenden Bilder wurdenabgenommen und gegen andere ausgetauscht. Die abgenommenenBilder verschwanden in den dunklen Fächern einer der Transportkisten.Die neuen Bilder waren weniger gruselig, denn sie zeigten Motive ausseinem Roman. Drei, zeigten Landschaften mit Burgen, das vierte einenurwüchsigen Wald mit einem riesigen, überdimensionalen Baum, der wieein Turm die Wipfel des Waldes weit überragte.

Während er mit dem Anbringen der neuen Bilder beschäftigt war, konnteer nicht verhindern, dass die Erinnerungen an den nächtlichen Albtraumin ihm hochkamen. Auch wenn vor dem inneren Auge Jonathans dergruselige Angreifer erschien, beschäftigte er sich doch mehr mit demwas jener sagte. Der Angreifer bezeichnete ihn als letzten Druiden vonAsgardun, seiner Romanwelt, die genau diesen Namen trug. Gab esdafür eine logische Erklärung? War es ein Traum, dann ja? War esjedoch Realität, dann wohl kaum. Denn außer ihm, dem Verfasser,kannte niemand Details aus diesem Roman. Viel logischer war esdeshalb, dass er alles nur erträumte, da ihm der Roman ständig im Kopfherum ging. Schließlich erwartete er jeden Tag die Antwort des Verlages,dem er sein Manuskript geschickt hatte. Nur hätte er sich niemalsvorstellen können, dass ihm sein Gehirn einen solchen Streich spielenkonnte. Doch egal wie sehr er seine Logik bemühte, er wurde dasGefühl nicht los, dass mehr hinter der Sache steckte. Da schien sichetwas Unheimliches auf ihn zuzubewegen. Der letzte Gedankeverursachte ein Schütteln bei ihm, als wenn er ihn so loswerden konnte.

In den darauffolgenden Tagen, nahm ihn das Leben mit all seinenAktivitäten, aber vor allem Carlotta so in Anspruch, dass alles was sichum seinen Albtraum rankte in den Hintergrund gedrängt wurde. Zumalauch noch die langerhoffte Antwort vom Verlag eintraf. Man sei vonseinem Manuskript begeistert, aber die wirtschaftliche Lage und seinnicht vorhandener Bekanntheitsgrad als Schriftsteller machten eserforderlich, jedenfalls, wenn er sein Buch auf den Markt bringen wollte,dass er sich finanziell beteiligte. Wenn dass das einzige Problemdarstellte, dann gab es keines, stellte Jonathan für sich fest und lächelte

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in sich hinein. Im gleichen Augenblick fiel ihm etwas anderes ein und errief nach Henry.

„Was ist eigentlich mit dem Luminol“?

„Mit der gleichen Post gekommen wie ihr Brief vom Verlag“, bestätigteder Buttler das Eintreffen des Mittels. Ihre einzige Möglichkeit Klarheit indie Angelegenheit zu bekommen. Traum oder Nicht-Traum, das war hierdie Frage.

Als der Diener Henry bewussten Brief überreichte, warf er nochmalseinen neugierigen Blick darauf. Ein Umstand, der Jonathan natürlichnicht verborgen blieb.

„Schon gut Henry, ich werde ihre Neugier stillen. Da sie bestimmt denAbsender gelesen haben, würden sie irgendwann von alleine daraufkommen, also kann ich es ihnen auch gleich sagen. So wie es aussieht,gebe ich demnächst mein Debüt als Buchautor. Zwar erwartet der Verlagmeine Beteiligung an den Publikationskosten, doch das sollte mich nichtdavon abhalten, diesen Schritt zu machen. Doch zurzeit liegen meineInteressen ganz woanders. Bevor ich das Geheimnis der Turmkammernicht gelüftet habe, finde ich keine Ruhe für irgendetwas anderes." Dabeizeigte Jonathan auf das Päckchen welches Henry in der Hand hielt.

„Jetzt gleich?“, deutete Henry die Geste von Jonathans richtig, auchwenn ihn die Eile seines Herrn überraschte.

„Ja, auf was sollen wir denn noch warten?", ließ Jonathan keinen Zweifeldaran aufkommen, wie sehr ihm die Sache unter den Nägeln brannte.

Als wenn damit alles gesagt war, wandte sich Jonathan dem Käfig zu,weshalb er das verdutzte Gesicht seines Buttlers nicht mehr mitbekam.Doch Henry hatte verstanden und machte sich auf den Weg um alles zuholen, was sie sonst noch benötigten. Währenddessen ließ Jonathaneinen Pfiff ertönen, der dafür sorgte, das Caligulas Köpfchen auseinem der vielen Löcher seines künstlichen Hügels erschien. Neugierigschaute sich die Ratte um, was denn der Pfiff zu bedeuten hatte.Jonathans hingehaltene Hand, an der Käfigtür, war sogar für einRattengehirn eindeutig. Geschwind krabbelte das Tier auf seinen kurzenFüßchen auf die Hand, um sich von dort auf den Weg zur Gürteltasche

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zu machen und darin zu verschwinden. Bomba, dem nichts entging, warlängst bereit und so machten sie sich auf den Weg.

Beim Durchqueren der mit Pflanzen gefüllten Turmkammer, bewirktendie vielen, bunten, herum fliegenden Piepmätze, besonders wenn einerder Buntgefiederter laut piepsend, dicht an Bombas Nase vorbeiflog,dass der Hund vom Jagdfieber gepackt wurde. Oh, wie gerne wäre dieFranzösische Bulldogge hinterher geflogen und hätte Happs gemacht,doch zum Glück fehlten ihr die Flügel. Jonathan musste lachen, als ersich Bomba mit Flügel vorstellte. Als Bomba dann, ob seines Mangels anFlügeln, seine Fledermausohren traurig zur Seite stellte, fühlte sichJonathan an eine Filmfigur aus Star Wars erinnert.

„Bomba, wenn du damit nicht aufhörst, dann muss ich dich wohl in Jodaumbenennen. Nimm dir ein Beispiel an Caligula, der guckt denVögelchen ja auch nicht so traurig hinterher. Also komm jetzt, danndarfst du nachher statt Vögelchen Stöckchen jagen“, bemühte sichJonathan seinen nervös wirkenden Hund zu beruhigen, indem er ihn aufandere Gedanken brachte. „Doch vorher erwarte ich von dir vollenEinsatz. Denn du bekommst gleich von mir eine Aufgabe, die deinenFähigkeiten besser entspricht, als Vögelchen zu jagen“.

In der Turmkammer angekommen, mussten sie notgedrungen noch aufHenry warten. Jonathan setzte sich auf den seltsamen Stuhl und fasstedas gegenüberliegende Bild ins Auge. Angeregt durch seinen Romanhatte er eine Burg mit Landschaft gemalt. Bevor er sich jedoch intensivermit Burg Falkenhorst beschäftigen konnte, erschien Henry. Bombawurde aufgefordert zu schnüffeln, wobei er schnell die gesuchte Stellefand. Der Hund saugte sich mit seiner Nase regelrecht am Boden festund zwar da, wo es nach Jonathans Erinnerung zum Kampf mit demEindringling kam. Jonathan verständigte sich mit Henry durch einenBlick, dann zog er Bomba beiseite, damit Henry die Luminol-Lösung aufdiese Stelle sprühen konnte.

„Na, dann wollen wir mal sehen, ob die Sache was bringt“, bemerkteJonathan, während er sich zum Lichtschalter bewegte. „Gleich wird’sdunkel“, ergänzte er noch überflüssiger Weise, bevor er denLichtschalter umlegte.

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„Unglaublich“, stöhnte Henry, als er im bläulichen Licht seinerSpeziallampe die vielen, leuchtenden Spritzer auf dem Fußbodenerkannte. Womit sie nun überhaupt nicht gerechnet hatten war derUmstand, dass der von Jonathan beschriebene Drudenfuß ebenfallsleuchtete.

„Also doch“, zitterte Jonathans Stimme bei der Erkenntnis, dass es sichbei dem nächtlichen Ereignis nicht um einen Albtraum gehandelt hatte.Denn die Fakten waren zu eindeutig.

Im Scheine des wieder eingeschalteten Lichtes konnten sie beide ihrenGesichtern entnehmen, dass sie keine Ahnung hatten, wie sie ihre ebengemachte Feststellung einordnen sollten. Ratlosigkeit sprach aus ihrenAugen, denn keiner hatte eine plausible Erklärung für die Blutspritzerund schon gar nicht für den leuchtenden Drudenfuß, außer dieGeschichte von Jonathan war eben doch kein Traum, sondern fußte aufRealität. Plötzlich schien Jonathan einen Einfall zu haben, denn er nahmein Bild von der Wand, um danach das Licht wieder auszuschalten.Eigentlich wollte er noch sagen, dass Henry die Stelle einsprühen sollte,doch das war beim Drudenfuß auch nicht nötig gewesen. Und so kames dann, dass im Blaulicht, das Henry wieder einschaltete, dieleuchtenden Konturen eines auf die Wand gemalten Schwertes zuerkennen waren.

„Verdammich, wie kann das sein? Wie kann ein solcher IrrsinnWirklichkeit sein?" Kopfschüttelnd stand Jonathan vor der Wand undstarrte wie benommen auf das leuchtende Zeichen. Seine aufkommendeLethargie hielt jedoch nicht lange an, er schüttelte sich innerlich undschon kam wieder Bewegung in seinen Körper. Nun wollte erGewissheit und nahm auch noch die die restlichen Bilder von der Wand.Kurz darauf leuchteten im abgedunkelten Raum auch noch die dreianderen, wie von ihm beschriebenen, magischen Zeichen von denWänden.

„Was hat das nur zu bedeuten?“, schien Henry etwas von seiner bisdahin gezeigten Gelassenheit verloren zu haben.

„Eine gute Frage“, wirkte Jonathan ebenso ratlos. „Ich hole meineKamera und wir halten alles im Bild fest, aber kein Wort zuirgendjemand.“

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Nachdem sie alles erledigt hatten, kehrten sie in JonathansArbeitszimmer zurückgekehrt. Stumm saßen sie sich in ihreroffensichtlichen Hilflosigkeit gegenüber, bis Jonathan das Schweigennach einer Weile unterbrach.

"Henry, auf diesen Schreck brauche ich einen Whisky, schenken sie sichdoch auch einen ein.“

Nachdenklich nippten sie an ihren Getränken. Plötzlich trat in JonathansGesicht ein entschlossener Ausdruck.

„Wenn es denn kein Traum war, wie unwahrscheinlich es auch erscheint,dann muss die Kammer gesichert werden. Und zwar auf besondereWeise, mit einer schweren Eisentür, die nur von außen zu öffnen ist.Kaum ausgesprochen, nahm Jonathan Papier und Stift aus einemSchubfach und zeichnete seine Vorstellungen auf.

„Die alte Tür kommt raus, danach wird ein neuer, massiv aus Metallbestehender Türrahmen fest im Mauerwerk verankert. Anschließendwird die Panzertür mit integrierten Riegeln eingebaut. Sehr wichtigerscheint mir, dass sie nur von außen zu öffnen ist. Dazu nochVideoüberwachung, in der es keinen toten Winkel gibt, dann sollten wirdie totale Kontrolle über diesen unheimlichen Raum gewinnen. Für unsals zusätzliche Sicherheit, innen und außen Gegensprechanlagen, mitdenen wir auch ins interne Netz des Hauses gelangen.“

Henry sah Jonathan entgeistert an, ihm hatte es die Spracheverschlagen, ob so viel Sicherheitstechnik, die sein Lord verlangte. Nacheiner kurzen Phase der Sammlung bekam er sich jedoch wieder in denGriff und brachte seine Bedenken zum Ausdruck.

„Sir, ist das nicht ein wenig übertrieben? Was sollen die Bedienstetenund alle anderen davon halten, wenn sie davon erfahren? Und erfahrenwerden es viele, das lässt sich nicht geheim halten, schließlich könnenwir kaum selbst eine so schwere Panzertür einbauen.“

„Mag sein. Aber ohne diese Sicherheitsmaßnahmen könnte das Gleichenoch mal geschehen. Und wer weiß, vielleicht bringt es uns Mord undTotschlag in unser Heim. Nein, ich gehe auf Nummer sicher“, ließJonathan keinen Zweifel aufkommen.

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„Auf jeden Fall wird das eine größere Aktion, die wir vor den anderennicht verheimlichen können. Wir müssen ihnen eine gute Geschichteauftischen, um sie von den wahren Gründen abzulenken“, ließ Henrynicht locker.

Jonathan kippte mit einem Schluck den restlichen Whisky hinunter undverzog das Gesicht, lange her, dass er Alkohol getrunken hatte. Eineangenehme Wärme breitete sich, vom Magen ausgehend, im ganzenKörper aus. Ganz nebenbei schien der Schluck Alkohol auch noch eineandere Wirkung zu besitzen. Die Nebelschleier in Jonathan Kopfverzogen sich und ihm kam ein Einfall.

„Genau, das ist es! Wir täuschen einen Einbruch vor. Die Diebe wurdenjedoch gestört und flüchteten. Um meine Bilder, denn nur darum ging esvermutlich den Einbrechern, vor ähnlich gelagerten Ereignissen zuschützen, richte ich den Tresorraum ein.“

„Müssten wir da nicht die Polizei einschalten“, fand Henry ein Haar in derSuppe.

„Warum, außer einer eingeschlagenen Scheibe gab es keinen Schaden,verwertbare Spuren lagen auch nicht vor. Vermutlich wird es sogarjemand geben der sagt, das war doch bestimmt nur ein dummer JungenStreich, eigentlich gar kein Einbruch. Im Grunde ist es jedochvollkommen egal was andere denken, Hauptsache wir haben einenVorwand, falls jemand dumme Fragen stellt. Sollen sie doch alles aufmeinen Spleen schieben, stört mich nicht“, wischte Jonathan alleBedenken energisch vom Tisch.

„Ja, so könnte es gehen“, stimmte nun auch Henry zu.

Um die Anforderung und Ausführung der besprochenen Maßnahmenmusste sich Jonathan jedoch nicht kümmern. Die Operation Tresorraumlegte er in Henrys Hände, denn er hatte etwas vor, das keinen Aufschubduldete.

Um die Publikation seines Buches voranzutreiben musste er nachLondon reisen, um mit dem zukünftigen Verleger seines Buches zusprechen. Diese günstige Gelegenheit benutze er, um Carlotta zuüberreden, ihn auf dieser Reise zu begleiten. Wie sagte er wenig späterzu ihr: Carlotta, wäre es nicht schade, wenn wir eine solche Gelegenheit

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ungenutzt verstreichen lassen? Schnell überzeugte er sie, dass seineGeschäftsreise ihnen die unauffällige Gelegenheit bot, um ein paarunbeschwerte, gemeinsame Urlaubstage zu verbringen. Schnell fandensie Gefallen an diesen gemeinsamen Tagen und so verlängerten sie denUrlaub um eine weitere Woche. Kurz entschlossen flogen sie vonLondon nach Berlin.

Jonathan verspürte das starke Bedürfnis Carlotta etwas von seinenWurzeln zu zeigen. Trotzdem zog er seinem Zuhause ein Hotel vor, daes eine reine Männerresidenz war und nicht die Annehmlichkeiten einesHotels bot. Carlotta gab dann auch zu, dass das Adlon gewisse Vorzügebesaß. Spätestens als er Carlotta sein Haus zeigte, bekam Jonathan dieBestätigung, dass seine Maßnahme Hotel richtig war. Denn Carlottamachte keinen Hehl daraus, dass ihr das Innenleben des Hausesüberhaupt nicht zusagte. Ganz anders war ihre Reaktion, als Jonathanihr den Garten zeigte. Sie war nicht nur beeindruckt, sie war schierüberwältigt von dem was sich ihr darbot. Was wohl auch daran lag, dassseine Oase der Ruhe und Harmonie, noch immer den gleichen Eindruckvermittelte wie am ersten Tag. Das war jedoch kein Wunder, sonderndas Ergebnis von fleißigen Händen, denn eine von ihm beauftragteGärtnerei kümmerte sich jeden Tag darum.

„Unglaublich schön, sowas habe ich noch nie gesehen, jedenfalls nicht inNatura“, flüsterte Carlotta, aus Angst die all umfassende Ruhe undHarmonie zu stören. „Bestimmt hat das doch alles seine Bedeutung, sowie die unterschiedlichen Teile des Gartens angeordnet sind. Leiderhabe ich nicht die geringste Ahnung davon“, gestand sie am Ende ein.

„Du hast ganz recht Carlotta. Wobei ich mit meinem Garten einenungewöhnlichen Weg ging, denn ich beauftragte den Gartenarchitektendamit zwei eigenständige Gartenformen miteinander zu verbinden. Undich glaube, nein ich finde es ist ihm auf eindrucksvolle Weise gelungen.Im Vordergrund siehst du einen sogenannten Zen-Garten, deutlich zuerkennen an dem Kiesbett mit Felsbrocken und Steinen. Um demKiesbett eine besondere Bedeutung zu geben, sollte man mit einerHarke Muster in den Kies ziehen, zum Beispiel Muster welcheWasserlinien symbolisieren. Wobei man dazu angehalten ist, dass diegezogenen Linien immer ineinander übergehen und um die Steine

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herum fließen. Im hinteren Teil ist der traditionelle Japanische Garten mitden vier Elementen Wasser, Stein, Moos und Baum.“

Carlotta hörte staunend zu. Der magische Zauber des Gartens schien siezu lähmen, aber nur bis Jonathan ihre Hand erfasste und mit ihr übersKiesbett Richtung Teich schritt. Das leise Knirschen der Kieselsteineunter ihren Schuhen wurde nur vom plätschern des Wasserfalles und einpaar Vogelstimmen übertönt. Jonathan führte sie um den Teich herumzur Wiese, von wo aus sie den Hügel bestiegen. Ihr Weg endete amQuellstein, einem ungewöhnlichen Stück Granit. Drei Meter hoch,geglättet vom Meerwasser, hatte er seine Bestimmung in JonathansGarten gefunden.

„Nach meinem Freund Li und natürlich mir selbst, bist du genau der dritteMensch, der mein kleines Reich bewundern darf, jedenfalls wenn manvon den Gärtnern mal absieht“, erklärte ihr Jonathan.

„Oh, ist das nicht eine gewisse Verschwendung, wenn nur so wenigeMenschen an der Vollkommenheit und Schönheit deines Gartensteilhaben dürfen?“, schien Carlotta dieser Umstand fast ein wenig traurigzu stimmen.

„Man könnte es so sehen. Doch damals, als ich den Garten in Auftraggab, spielte eine solche Sichtweise absolut keine Rolle in meinemLeben. Ich brauchte einfach etwas, um wieder Halt zu finden und dieserGarten hatte großen Anteil daran, dass ich heute neben dir stehe.“ Nein,Jonathan hatte kein schlechtes Gewissen seinen Mitmenschengegenüber, er brauchte einen Rettungsring und er besorgte ihn sich inForm seines Gartens.

Carlotta nickte, sie verstand. Und plötzlich sah sie im Geiste wieJonathan und sein chinesischer Freund durch den Garten gingen. Immerwenn diese Person ins Spiel kam, fühlte sich Carlotta unsicher, ohne zuwissen warum.

„Der Garten gab dir Halt, so wie dein Freund Li?“ Sprach sie danntrotzdem dieses Thema an.

„Sein Anteil in der Vergangenheit, dass ich meinen Lebensmutwiederfand, ist noch weit größer. Er lehrte mich viel, doch als erankündigte, dass er mich verlassen würde, brach fast alles wieder in mir

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zusammen. Die beste Medizin in meinem jetzigen Leben bist du, keinGarten, kein Li und auch sonst nichts“, ließ Jonathan seine Geliebte tiefin seine Gefühlswelt blicken.

„Jonathan, du beschämst mich“, druckste Carlotta verlegen herum.„Eigentlich bin ich doch nur mit dir zusammen weil du mir gut tust.“

„Na, das will ich doch aber auch hoffen. Vielleicht sollten wir reingehenund uns gegenseitig guttun“, ungeniert fuhr seine Hand zwischen ihreSchenkel.

„Aber Jonathan“, stieß Carlotta übertrieben empört aus, nur um sich anihn zu schmiegen und ihm ihre vollen Lippen anzubieten.

Geräusche im Kiesbett störten ihre aufkommende Leidenschaft. AlsJonathan hinter dem Quellstein hervortrat, erblickte er eine Person,vermutlich den Gärtner. Er sammelte gerade ein paar Blätter vomKiesbett, was wohl die Geräusche verursachte. Der Mann schien sienoch gar nicht bemerkt zu haben.

„Tut mir wirklich leid Rehauge, aber wir sind nicht mehr alleine im Revier.Folge deinem Wolf, er wird ein Plätzchen finden, wo du ungestört seineLiebe empfangen kannst.“

„Hallo, sie da, was machen sie denn hier“, ertönte plötzlich dieungehaltene Stimme der Person, die vermutlich der Gärtner war.

Jonathan winkte ihm freundlich zu, sah jedoch keine Veranlassungzurückzubrüllen. Mit zornigem Blick und in den Hüften abgestütztenArmen erwartete sie der Mann. Bevor er unfreundlich werden konntebremste ihn Jonathan.

„Ich kontrolliere einfach die Arbeit, für die ich einen nicht geringen Betragjeden Monat an ihre Firma überweise. Mein Name ist Jonathan Mannix,ich bin der Besitzer des Anwesens. Gute Arbeit, machen sie weiter so“,ließ er den verdatterten Gärtner einfach stehen.

Carlotta führte ihre Hand vor den Mund, um ihr breites Grinsen zuverbergen.

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„Hast du seinen dummen Gesichtsausdruck gesehen, als wir ihn einfachso stehen ließen“, gleich darauf war es um Carlottas Beherrschunggeschehen und sie lachte laut los.

Gut gelaunt erreichten sie das Hotel und holten das nach, was ein zumfalschen Zeitpunkt erschienener Gärtner verhindert hatte. Sie bliebennoch drei Tage in Berlin, dann flogen sie nach London zurück.Nachmittags saßen sie im Zug nach Hereford, dort trennten sich ihreWege.

Als Jonathan nach zwei Wochen Abwesenheit wieder Wullingham-Castlebetrat, war die Metallzarge schon eingemauert, am nächsten Tag solltedie Tresortür eingebaut werden. Natürlich hatte es sich bei denBediensteten herumgesprochen, dass er in London bei einem Verlegerwar, um das Erscheinen seines Buches zu besprechen. Somit war es nurzu verständlich, dass ihn jeder daraufhin ansprach. Eigentlich mochteJonathan keinen Rummel um seine Person, aber ein wenig fühlte er sichschon von dem Interesse geschmeichelt, aber noch mehr war er stolzauf seinen Erfolg. Denn im Gespräch mit dem Verleger war es ihmgelungen die Selbstbeteiligung vom Tisch zu bekommen. Ausschlaggebend dafür war wohl, dass er sich als Viscount von Wullingham, aberauch als der bekannte Kunstmaler joma zu erkennen gab. Leider fühlteer sich wieder mal in seiner Meinung bestätigt, dass man einenbekannten Namen oder Beziehungen brauchte, um wahrgenommen zuwerden. Kein Schwein interessierte sich für ein Buch von JonathanMannix, aber wenn dahinter der Viscount von Wullingham oder derbekannte Kunstmaler joma steckte, dann sah die Sache sofort andersaus. Aber so war die Welt nun mal und er würde sie nicht ändernkönnen. Bereitwillig erzählte er seinen Bediensteten, dass sein Buch imHerbst auf den Markt kommen würde. Mit Erstaunen registrierte er, dasssich seine Bediensteten ehrlich für sein Werk interessierten. DieserUmstand führte dazu, dass in Jonathan ein Entschluss reifte.

„Ich möchte mich für ihr Interesse an meinem Buch bedanken“, ergriff ernach dem gemeinsamen Essen das Wort, „und wenn sie nicht nurInteresse heucheln“, Jonathan legte eine kleine Pause ein, um in ihreerschreckten Gesichter zu blicken, „Spaaaß“, dabei grinste er dieVersammelten breit an, „könnte ich mir vorstellen, dass ich ihnen aus

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meinem Buch vorlese. Als Termin würde sich der nächste Samstaganbieten. Vielleicht abends im Kaminzimmer?“

Zuerst erstaunt, stimmte die versammelte Belegschaft dem Angebothocherfreut zu, erst recht als sie erfuhren, dass ein Imbiss und Getränkegereicht würden. Als Carlotta von der Lesung erfuhr, brachte sievehement ihr eigenes Interesse daran zum Ausdruck. Diese Entwicklungsetzte wiederum Jonathan unter Druck, denn er brauchte eine plausibleErklärung, damit ihr Erscheinen auf Wullingham-Castle keinen Anlass fürGerede gab. Henry, der mit den Gegebenheiten rund um Wullinghambesser vertraut war, brachte dann einen brauchbaren Vorschlag insSpiel. Der Kulturverein von Credenhill bekam eine Einladung und welchZufall, Carlotta gehörte dem Vorstand an. Natürlich herrschte beimKulturverein reges Interesse, wenn der Viscount von Wullingham einlud,um sein erstes, schriftstellerisches Werk vorzustellen. Leider ließ es sichnicht verhindern, dass sich ein lokaler Zeitungsreporter den Mitgliederndes Kulturvereins anschloss.

Zu den Vorbereitungen gehörte auch, dass Jonathan einen Catering-Dienst mit der Beköstigung seiner Gäste beauftragte, denn an diesemTag waren auch seine Bediensteten seine Gäste. In der großenEmpfangshalle wurde ein Büffet, eine Bar und eine Tafel aufgebaut.Natürlich protestierte Selma als sie von Jonathans Plan erfuhr, doch ermachte ihr klar, dass sie sich einfach mal zurücklehnen und bedienenlassen sollte. Als Selma erkannte, dass der Herr des Hauses nicht gewilltwar nachzugeben, fügte sie sich in ihr Schicksal. Die anderen waren vonJonathans Idee begeistert, denn wann und wo gab es das schon, dassdie Bediensteten wie Gäste behandelt wurden?

III Der Geist von Asgardun

Am nächsten Samstag, gegen 17.00 Uhr, alles war bereit, damit dasKulturereignis im richtigen Rahmen stattfinden konnte. Als die erstenGäste eintrafen, kümmerten sich sofort Angestellte des Catering-Dienstes um ihr Wohlbefinden. Anschließend wurde Jonathan von Henryden geladenen Gästen aus Credenhill vorgestellt. Einzig bei derVorstellung von Carlotta Morgan musste sich Jonathanzusammenreißen, damit sich nicht ein verräterisches Grinsen in seinem

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Gesicht zeigte. Carlotta hingegen merkte man nicht das Geringste an,sie benahm sich genauso freundlich und distanziert wie der Rest derGäste aus Credenhill. Leider tanzte der Reporter ein wenig aus derReihe, indem er sich nicht selbige Zurückhaltung auferlegte.Stattdessen drängelte er sich in den Vordergrund und nervte mit seinerArt, was dazu führte, das Jonathan den Mann unauffällig beiseite nahm.

„Guter Mann, sie sind hier und heute wie alle anderen herzlichwillkommen, wenn sie, wie alle anderen auch, bereit sind die Rolle alsGast einer literarischen Lesung zu übernehmen. Wenn sie jedochglauben, dass ich sie eingeladen habe, um ein Interview zu geben oderdamit sie in meiner Privatsphäre rumschnüffeln können, dann sind sieauf der falschen Veranstaltung. Ansonsten steht es ihnen natürlich frei,Augen und Ohren offen zu halten und sich ihre Gedanken dazu zumachen. Genauso wie allen anderen Gästen stehe ich ihnen nach derLesung meines Romans zur Verfügung, um Fragen zum Roman zubeantworten. Wenn sie dann später die gesammelten Informationen zuPapier bringen und einen Artikel darüber in ihrem Blatt veröffentlichen,so soll mir das recht sein. Doch an diesen Rahmen sollten sie sichhalten. Ich denke wir verstehen uns“, lächelte ihm Jonathan mit kaltenAugen freundlich zu, um ihn dann einfach stehen zu lassen.

Zurück blieb ein nachdenklicher Reporter, dem gerade dämmerte, dassihm durch die Blume der Rauswurf angedroht wurde. Verwirrt musste ersich eingestehen, dass ihm bisher niemand mit so einschmeichelnderStimme seine Grenzen aufzeigte. Am Schluss seiner Überlegung kam erzu der Erkenntnis, dass, im Gegensatz zu den Gerüchten, seinGastgeber mitnichten auf ihn wie ein spaßiger, vertrottelter Lord wirkte.Viel mehr wirkte er auf ihn wie ein Mann, der wusste was er wollte undder sich knallhart durchsetzte, jedenfalls wenn es sein musste.

Inzwischen wandelte Jonathan zwischen den Gästen hin und her,erkundigte sich, ob alles ihren Wünschen entsprach, machte hier und daeinen Scherz und sorgte so für gute Laune. Als er sah, dass niemandmehr etwas zu sich nahm, bat er seine Gäste ins Kaminzimmer.Während die Gäste Platz nahmen, begab sich Jonathan zum extra fürdiesen Zweck aufgestellten Lesetisch vor dem Kamin. Im Schein einerLeselampe blickte er auf sein Manuskript, dann wand er sich an dieGäste.

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„Liebe Gäste, nochmals herzlich willkommen zur ersten Lesung meinesRomans. Ich freue mich sehr, dass sie so zahlreich erschienen sind,wobei ich freudig feststelle, dass die Frauen in der Überzahl sind. Wiegesagt, sie werde gerade Zeugen meines ersten Auftritts als Buchautor.Im Voraus möchte ich um ihre Nachsicht bitten, falls ich mich malverhasple. Halten sie mir einfach zu Gute, das ich kein Profi bin, sondernein Mensch, der das Glück hatte, dass seine Fantasien gedruckt wurden,ohne vorher bedacht zu haben, was das alles mit sich bringt. Und wennich ehrlich bin, so muss ich ihnen gestehen, dass ich auch noch ziemlichaufgeregt bin, vielen Dank.

Anschließend wurde das Licht im Raum noch etwas abgedunkelt, sodass die Anwesenden ihn zwar gut sehen konnten, in Jonathan jedochdas Gefühl aufkam, als wenn er sich alleine im Raum befand.

„Liebe Zuhörer, begleiten sie mich nun auf einer fantastischen Reise. Sieführt uns nach Asgardun, einer märchenhaften Welt, die in einer Zeitstehenblieb, die unserem Mittelalter ähnelt. In ihr leben noch Zauberer,Drachen und Ritter, aber auch Menschen wie du und ich. Menschen diesich nach Liebe sehnen, die kreativ sind, aber auch solche Menschen,die nach Macht und Reichtum streben. Vorweg, dieses Buch widme ichmeiner viel zu früh verstorbenen Frau Wanda, auf das wir uns am Endealler Tage in einer besseren Welt wiedertreffen, die nicht von Macht- undGeldgier geprägt ist, in der nur die Liebe zählt“, stimmte er seine Zuhöreraus dem Stehgreif ein.

Für den Anfang war Jonathan recht zufrieden mit sich, hatte er sich dochnicht einmal versprochen. Es folgte ein großer Schluck aus demWasserglas, dann machte er sich daran aus seinem Buch vorzulesen.

„Kapitel Eins: Der Geist von Asgardun“, formulierte er noch ein wenignervös die ersten Worte aus seinem Buch, doch mit jedem weiteren Wortüberkam ihn eine tiefe Ruhe. Sicher formulierten Zunge und Lippen dienachfolgenden Worte. Aus Worten wurden Sätze und aus Sätzenwurden Absätze. Verwundert stellte er fest, dass ihn eine Ruhe ergriff,wie er sie zuvor nur in der Gegenwart seines Meisters Li erlebte. Und sokam es, dass er mit seiner Stimme und den Worten aus seinem Buch,die Gäste in dieses ferne, märchenhafte Land entführte.

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*

Lange schlief ich oder war das nur eine andere Umschreibung für Tod?Doch dann erhob sich mein Geist aus der alles umfassenden Dunkelheit.Einen Schrei ausstoßend, ähnlich dem eines Seeadlers, schwebte ichauf weiten Schwingen über dem undurchdringlichen Nebel, der diegesamte Welt einzuhüllen schien. Von dort sah ich, wie sich die erstenSonnenstrahlen mühsam einen Weg durch das Dickicht aus feinstenWassertropfen fraßen. Langsam entstanden Lücken in dem grauenTuch, welches die Welt einhüllte. Hoch im Norden bohrten sich dieersten Bergspitzen von Asgardun durch den sich auflösenden Nebel.Erst als die wabernden Nebelschwaden den Kampf gegen dieSonnenstrahlen verloren gaben, tauchten unendlich weite Wälder undWiesenlandschaften auf, um der Welt von Asgardun ihr typischesGesicht zu geben. Dann, als alle Nebel sich aufgelöst hatten, erkannteich aus der Vogelperspektive, dass Asgardun wie eine grüne, riesigePerle von blauen Wassern umspült wurde. Im Südwesten Asgarduns lagdie große Insel Mhyritrias, von je her die Heimat der Druiden. Durch dasFanggründel Meer getrennt lagen im Osten und Süden von Asgardundas wilde, barbarische Festland, Handun genannt. Doch die Welt vonHandun sollte nur eine Randrolle im Kampf um Asgardun spielen. AmHorizont ballten sich dunkle Wolkenbänke zusammen, in denen sich dasGrauen versteckte, welches meine Welt heimsuchen sollte. SeitAnbeginn der Zeit kämpften in allen Welten Mächte des Lichts und derDunkelheit, Gut und Böse einen erbitterten Kampf um die Vorherrschaft.Nur meine kleine Welt am Rande des Universums schienen dieseMächte bisher übersehen zu haben, die Welt von Asgardun. Im Grundeunterschied sie sich nicht allzu sehr von anderen Welten, in denenebenfalls Menschen lebten. Es gab hohe schneebedeckte Gebirge,plätschernde Bäche, die später als mächtige Flüsse ins Meer strömten,undurchdringliche Wälder, weite Auen, saftige Wiesen, und Tiere in derLuft, auf dem Land und im Wasser. Friedlich und zufrieden lebten dieMenschen miteinander, bis eine dunkle Macht zu einem heimtückischen,vernichtenden Schlag ausholte.

Vor langer, langer Zeit, schriftlich nicht belegt und nur durch Sagenüberliefert, lebten zwölf Stämme friedlich miteinander in der Welt vonAsgardun. Um diesen Frieden für immer zu bewahren, drängten die

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weisen Druiden von der Insel Mhyritrias darauf, dass sich die Stämme zueinem unverbrüchlichen Bund zusammenschlossen. Um dieses Bündnisimmer wieder zu erneuern, trafen sich die Stammesfürsten alle sechsJahre im Turm von Khemona, einer geheimnisvollen Stätte, die sich imuralten Wald von Drud befand. Diesen mystischen Wald konnten dieauserwählten Stammesfürsten jedoch nur mit Hilfe der Druiden betreten.Denn der Wald gehorchte nur seinen eigenen, uralten Gesetzen, lehntejeden Eingriff ab, sah Eindringlinge als Feinde an. Die Aufgabe den Waldzu besänftigen übernahm die Drude Roxane, die in ihm wohnte, mitmächtigem Zauber. Erst auf ihren Zauber öffnete der undurchdringlicheWald eine Schneise, durch die die Stammesfürsten bis zum Turm vonKhemona gelangten. Dieses unnatürliche, mystische Geschehenbewirkte, dass die auserwählten Stammesfürsten das Ereignis jeder aufseine Weise wahrnahm. Realität und Fantasie vermischten sich beijedem unterschiedlich und so entstanden, aus ihren Berichten von demEreignis, ein Gespinst aus Sagen, Legenden und Märchen. Soverwunderte es auch nicht, dass jeder Fürst, der einmal den Turm vonKhemona sah, ihn unterschiedlich beschrieb. Die einen wollten einesteinerne Kathedrale mit spitzen Türmchen und bunten Glasfensterngesehen haben. Andere berichteten von einem Turm aus blinkendemKristall und dritte von einem Turm aus Holz. So viele unterschiedlicheGeschichten über den Turm von Khemona führten im Laufe der Zeitdazu, dass die Menschen von Asgardun glaubten, dass es diesen Turmin Wirklichkeit gar nicht gab, er nur eine Geschichte war, mit der sich dieAuserwählten interessant machen wollten. Doch solche Legenden undMärchen waren eben ein Bestandteil dieser Welt. Roxane und dieDruiden störten sich nicht daran, dass die Menschen über den Wald undden Turm ihre eigene Wahrheit entwickelten, im Gegenteil. Schließlichwaren sie ein Teil der Geschichte und wenn die Menschen glaubten esgäbe den Turm nicht, dann glaubten sie vielleicht auch, dass es keineDruiden mit Zauberkräften gab. Und wenn es nicht gab, den ließ man inRuhe.So wie die Dinge lagen, gab es eigentlich keinen Grund, warumdie Geschichte von Asgardun nicht auch die nächsten tausend Jahrehätte friedlich verlaufen sollen. Seltsamer Weise begann der Zwist aneinem Ort, wo man ihn am wenigsten erwartet hätte. Alle hundert Jahrewählten die Druiden von Mhyritrias einen Ältestenrat, dem ein Druidevorsaß, der von allen als Meister anerkannt wurde. Nie zuvor gab es

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Streit um diesen Posten. Doch diesmal strebte ein relativ junger, aberumso ehrgeizigerer Druide Namens Cimberlim mit aller Macht in denRat, um aus dieser Position, als nächsten Schritt, das Amt des Meistersanzustreben. Obwohl es von vornherein feststand, dass er niemals dieausreichende Stimmzahl erreichen würde, gab er in seinen Bestrebennicht auf. Sogar als dem jungen Kandidaten seine Niederlage vor Augengeführt wurde, war er nicht bereit die Entscheidung der Gemeinschaft zuakzeptieren. Zutiefst gekränkt verließ er die Gemeinschaft der Druiden,um seine Dienste dem Fürsten von Askalan anzubieten. War es Zufalloder Absicht von ihm, dass er sich mit Askalan den größten undbevölkerungsstärksten Stamm aussuchte? Geschickt erwarb sichCimberlim die Gunst und das Vertrauen von Fürst Arthur. Hinzu kam,dass der Druide Kenntnisse besaß, die ihn weit über die Menschenstellten. Cimberlims immer wiederkehrenden Worte von Macht undReichtum fielen bei Arthur auf fruchtbaren Boden und bald verzehrte ersich danach, Macht über ganz Asgardun zu erlangen. Cimberlim, derArthur auf geheimnisvolle Weise lenkte, hatte es jedoch so eingerichtet,dass des Fürstens hochgesteckte Ziele, ohne seine Hilfe nicht zuerreichen waren. Natürlich verfolgte der gerissene Cimberlim seineeigenen Pläne. Denn noch immer bohrte der Stachel der Niederlage inihm und um seine Rachegelüste zu befriedigen, war er schier zu allembereit.

Wieder einmal war es soweit, dass der Zeitpunkt bevorstand, an demsich die Stammesfürsten trafen, um ihr Bündnis zu erneuern. Wie vonjeher trafen sie sich, ohne Begleiter, an einem geheimen Ort, am Randedes alten Waldes von Drud. Nur lauerten diesmal, versteckt im Schattender uralten Bäume, die Krieger des Fürsten von Askalan, in mörderischerAbsicht. Dieses heimtückische Unterfangen war jedoch nur möglich, weilCimberlim den entsprechenden Waldabschnitt mit einem Zauber belegte,sonst hätten die Bäume von Drud die kriegerischen Eindringlinge nichtgeduldet. Keiner der Stammesfürsten schöpfte auch nur den geringstenVerdacht, als sich wie gewohnt ein Gasse im sonst undurchdringlichenDickicht bildete, übernahm doch Fürst Arthur von Askalan selbst dieFührung. Da er den anderen Stammesfürsten den Rücken zukehrte,konnte keiner von ihnen sein hämisches Reptiliengrinsen und dentödlichen Glanz in seinen Augen sehen. Vielleicht hätten sie sonst dochVerdacht geschöpft und wären nicht blind in die Falle getappt.

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Gerade sahen die anderen Stammesfürsten noch wie Arthur lässig seinerechte Hand hob, nur um plötzlich seinem Pferd die Sporen zu geben.Als nächstes brach über die Verratenen die Hölle, in Form einesPfeilhagels, herein. Die hinterhältigen Geschosse sorgten dafür, dassdie meisten Fürsten tödlich getroffen von ihren Pferden stürzten. Zwarsetzten sich diejenigen, die nicht so schwer verletzt waren, noch tapferzur Wehr, doch ihr Schicksal war längst besiegelt. Einer von ihnen, FürstWalthyr von Whallymar, preschte auf seinem Pferd, trotz eines Pfeiles inder Schulter, neben den Fürsten von Askalan, um den verzweifeltenVersuch zu unternehmen, den Verräter zu töten. Arthur musste für ihnder Verräter sein, denn wie sonst war zu erklären, dass kein Pfeil inseine Richtung flog? Doch der Fürst von Askalan, in geheimenKampfkünsten durch den Druiden Cimberlim geschult, drehte sich nichteinmal nach dem Angreifer um, sondern hieb dem Unglücklichen, mitnur einem Schlag, seines mächtigen Schwertes, fast den Kopf vom Leib.

Doch das verräterische Morden, mit den Klagelauten der Sterbendenund ihrem Blut, das in den Boden sickerte, hatte alsbald Folgen. Als derWald das Schreckliche spürte, wozu er missbraucht wurde, reagierte erauf seine Weise. Die Gemeinschaft der Pflanzen schüttelte denbesänftigenden Zauber von Cimberlim ab und wehrte sich mit aller Machtgegen die Eindringlinge. Die Waldschneise schloss sich und ohne daserneute Eingreifen von Cimberlim wären Fürst Arthur und seine Leuteverloren gewesen.

Zeitgleich griffen die Heere von Askalan die benachbarten FürstentümerMenzo und Zebulhan an. Total überrascht und ohne Führung, leistetenbeide Fürstentümer keinen nennenswerten Widerstand. Durch diesengeschickten Schachzug trieb der Fürst von Askalan, der sich inzwischenzum König erhoben hatte, einen geographischen Keil zwischen dieFürstentümer von Whallymar auf der einen, sowie Gabolon und Nhabuauf der anderen Seite. Nur die die östlichen Fürstentümern Rhandor,Seomar, Quantaq, Vrandyx, sowie Bersaskan ganz hoch im Norden sichnoch zusammen tun können, um dem Feind vereint entgegen zu treten.

.*

Nach den letzten Zungenbrechern spürte Jonathan wie ausgetrocknetsein Mund war und machte eine kleine Pause, um ein paar Schlucke

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Wasser aus seinem Glas zu nehmen. Während er trank, bemerkte er diegespannte Stille, die über dem Raum lag. Der Umstand sprach für sich,anscheinend hatte er bei seinen Zuhörern das Interesse an seinerGeschichte geweckt. Gut so, gut so, ein Grund mehr, um den Spirit derLesung nicht länger zu unterbrechen, dachte Jonathan und seine Lippenformten die nächsten Worte, um die Geschichte fortzusetzen.

*

Die heimtückischen Morde an den Stammesführern, sorgten dafür, dassein Machtvakuum an den Spitze, der anderen Fürstentümer entstand.Ein wirklich geschickter Schachzug, denn das führte dazu, dass in jenenFürstentümern interne Machtkämpfe um die Führung ausgetragenwurden. Für ihn ein glücklicher, für seine Gegner ein verhängnisvollerUmstand. Die, die es noch hätten verhindern können, dass Arthur sichauch ihre Fürstentümer einverleibte, verloren das Wesentliche aus denAugen, weil sie nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren. Statt sichmiteinander zu verbünden und dem Feind geschlossenentgegenzutreten, kochte jeder sein eigenes Süppchen. Somit sah sichder Druide Cimberlim in seiner Vorhersage bestätigt, die er König Arthurgab.

Im Gegensatz dazu nutzte der verschlagene Machthaber von Askalandie Schwäche seiner Gegner und besetzte ohne großen Aufwand dasFürstentum Whallymar. Der kleinen Insel Mhyritrias schenkte der Königvon Askalan keine größere Bedeutung, schließlich lag sie nicht nurabseits von Asgardun im Meer, sondern wurde auch nur von einerHandvoll Bauern und Nomaden bewohnt. Kaum vorstellbar, dass vondort eine Bedrohung für sein Reich zu erwarten war.

Eigentlich, viel zu spät, erkannten die neuen Fürsten die tödlicheBedrohung, die vom neu gegründeten Königreich Askalan ausging.Endlich bündelten sie ihre Kräfte und stellten sich, dem feindliche Heerzur entscheidenden Schlacht, in der Tiefebene von Zebukar. Dererbitterte Kampf tobte drei Tage, dann obsiegte der König von Askalan,wobei ihm die Zauberkräfte des Druiden Cimberlim wieder einmal zuGute kamen. Am Tag der Entscheidungsschlacht sorgte derverschlagene Druide dafür, dass ein dichter Nebel das Schlachtfeldeinhüllte. Im seinem Schutze führte König Arthur von Askalan starke

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Kräfte unbemerkt in den Rücken des Heeres der Allianz. Durch dieTatsache vollkommen überrascht, dass der Feind nicht nur vor ihnenAufstellung bezogen hatte, sondern dass er auch in ihrem Rückenaufmarschierte, kamen die Linien der Allianz ins Wanken. Schlussendlichführte es dazu, dass die Allianz total aufgerieben wurde. Der siegreicheKönig Arthur von Askalan diktierte die Friedenbedingungen mit harterHand, die darauf hinausliefen, dass die freien Fürstentümer zu VasallenAskalans wurden. Um allen seine uneingeschränkte Macht zudemonstrieren, wurde das neugegründete Reich nun nach demFürstentum Askalan benannt. Von nun an gehörten Asgardun und diefreien Fürstentümer der Vergangenheit an. Einzig das, hoch imunzugänglichen Norden gelegene, Fürstentum Bersaskan widersetztesich weiterhin dem Willen des neuen Königs. Die Stammesangehörigenvon Bersaskan, ein eigenbrötlerischer, starrsinniger Menschenschlag,ließen sich von dem Säbelgerassel der neuen Herren nichtbeeindrucken, zu sehr hingen sie an ihrer Freiheit. Dabei kam ihnenzugute, dass ihr Fürstentum weit weg vom neuen Machtzentrum lag.Wenn ihr Mut nicht ausreichte, um dem übermächtigen Feind zuwiederstehen, dann zogen sie sich einfach in die unzugängliche Wildnisihres Landes zurück. Egal was die feindlichen Heerführer unternahmen,um sie zu einer offenen Feldschlacht zu bewegen, die Menschen vonBersaskan ließen sich von ihrer erfolgreichen Taktik nicht abbringen.

Dessen ungeachtet plante Arthur von Askalan weiter an seinem neuenReich. Zielstrebig begann er mit dem Bau seiner neuen Hauptstadt. Allesandere musste zurücktreten, sogar der Krieg gegen Bersaskan. Arthurhatte einen strategisch günstigen Platz in der Flussgabelung von Vatyrund Vatyrraq gefunden. Zum einen lag die neu zu gründende Hauptstadtfast Zentral in seinem Reich. Zum anderen würde sie durch die großenFlüsse, die wie Lebensadern das Land durchzogen gut zu erreichensein. Und militärisch bedeutete die Lage der Stadt, dass sie von zweiSeiten durch breite Ströme geschützt war. Nun musste Arthuradon nurnoch aus dem Boden gestampft werden.

Am Rande bleibt noch zu erwähnen, dass sich die Insel Mhyritrias demneuen Herrscher kampflos unterwarf. Der sich unterwerfende Anführerdurfte sich zwar weiterhin Fürst von Mhyr nennen, doch die tatsächlicheMacht lag in den Händen des vom König eingesetzten Truchsess. Doch

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auch das spiegelte nicht die Wirklichkeit wieder. Denn genaugenommenumschloss das Fürstentum von Mhyr nur den östlichen Teil vonMhyritrias, einen etwas breiteren Küstenstreifen. Der Rest der Inselbezeichnete sich weiterhin als freies Land, was wohl vor allem an dendort lebenden Druiden lag. Doch egal was geschah, ihre Speziesbeteiligte sich einfach nicht an den Auseinandersetzungen derMenschen. Sie lebten wie zuvor in den unzugänglichen Bergwäldern derInsel, wo sie für niemand zu erreichen waren. So dachten sie jedenfalls.

Nach über achthundert Jahren der Reichsgründung durch Arthur denAskanier waren die Druiden aus ihrer Welt längst verschwunden und nurnoch Legende. Selbige Legende berichtete auch davon, wie derabtrünnige Druide Cimberlim, von seinem unseligen Hass geleitet, seineehemaligen Gefährten in ihren Verstecken aufspürte und tötete, bis ernach seiner Überzeugung der Letzte seiner Art war. Die Klinge desMörders schon in der Brust, stieß der vermutlich letzte Druide, mit seinenletzten Atemzügen, eine folgenschwere Prophezeiung aus. In ihr wurdeder Untergang des Hauses Askalan in der Zukunft heraufbeschworen.Bezeichnender Weise sollten für dieses Ereignis Zwillinge aus selbigemKönigsgeschlecht verantwortlich zeichnen.

Doch nicht alles lief so wie es der Druide Cimberlim geplant hatte. Hatteer damit gerechnet, dass er, der er seiner Meinung nach der letzte seinerArt war, vom Wald von Drud als solcher anerkannt wurde, so musste ererkennen, das dem nicht so war. Der Wald von Drud sah in ihm einenFeind und verwehrte ihm den Zugang zum Turm von Khemona.Uneingeschränkte Herrscherin des Waldes war nur eine, die DrudeRoxane. Sie war ebenfalls eine mächtige Zauberin und kam einstgemeinsam mit den Druiden auf diese Welt. Von jetzt an verfolgte sieihre eigenen Pläne. Sie barg dereinst die elf verratenen Fürsten, diemehr tot als lebendig waren, brachte sie in den Turm von Khemona, wosie sie in einen tiefen, totenähnlichen Schlaf versetzte. Dort würden sieso lange ruhen, bis die Zeit reif dafür war, den Verrat zu rächen und dieKetten des Königreiches Askalan zu zerschlagen.

Woher diese Legenden stammten und wer sie im Volk verbreitete, bliebgeheim. Obwohl es niemand wagte, diese Geschichten in allerÖffentlichkeit zu verbreiten, hörte man sie immer wieder an einsamenLagerfeuern und in abgelegenen Dörfern oder da wo Menschen unter

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sich waren, die sich vertrauten. Was die Legende wohlweißlichverschwieg, war das Verschwinden zweier Druiden, lange bevor dieMordserie an ihrem Geschlecht begann.

Einer, der Verschwundenen, ein junger Druide Namens Arthurmalix, gingschon früh seine eigenen Wege. Vielleicht weil ihn die Gemeinschaft derDruiden, aber er sich selbst auch, als Sonderling ansah. Arthurmalixglaubte an einen Zauber, der es ihm ermöglichte, durch sogenannteTore zwischen den Welten zu reisen. Im Grunde eine alte Sehnsuchtaller Druiden, die ihren Ursprung ganz woanders hatten, in einer Welt,die sie fluchtartig verlassen mussten. Grund war eine geheimnisvolle,tödliche Krankheit, die den Großteil der Bevölkerung hinwegraffte. VieleJahrhunderte durchstreiften die Druiden das Universum, bis sie mit ihremSternenschiff auf dieser Welt notlanden mussten, ohne jede Aussichtjemals in die Heimat zurückzukehren zu können.

Genaugenommen wusste jedoch niemand warum Arthurmalix plötzlichspurlos verschwand, was dazu führte, dass später alle glaubten,Cimberlim hätte ihn als ersten umgebracht. Einzig Roxane kannte dieWahrheit, war sie es doch, die den jungen Druiden zuletzt sah, doch siehütete ihr Geheimnis. Im Grunde war es nur logisch, dass Arthurmalix,auf der Suche nach dem Zauber, der ihm die Tore zwischen den Weltenöffnen sollte, irgendwann auch Roxane um Rat fragen würde. SeinerBitte um Rat entsprechend, führte ihn die Drude zu einer Stelle im Wald,wo einst, vor langer, langer Zeit, ein Meteorit eingeschlagen war.Seitdem wuchs am Rande des Kraters ein wundersamer Baum, dessenWurzeln bis auf den Kratergrund reichten. Von einem kurzen, zerfurchtenStamm, streckte er seine Zweige in unglaublichen Verrenkungen vonsich weg.

Arthurmalix erkannte durchaus, dass es sich um einen ganz besonderenBaum handelte, nur wusste er nicht, was dass mit seiner Suche zu tunhaben könnte. Sein fragender Blick nötigte die Drude zu einer Erklärungab.

„Uburmutha, der Baum des Lebens. Sein Samen kam mit dem Meteoraus den Tiefen des Universums auf diese Welt. Ein Spross kämpfte sichden Hang hoch, wo er zu einem Baum heranwuchs, um endlich nachlanger Zeit das erste Mal zu erblühen. Eines Tages erreichte mich seine

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Stimme und er bot mir seinen Samen in Form einer Nuss an. Ich befolgteseine entsprechenden Anweisungen und pflanzte seinen Samen an derStelle ein, wo heute der Turm von Khemona steht. Ja, der Turm vonKhemona ist nichts anderes als ein Ableger von diesem Baum“, erklärteRoxane dem staunenden Zuhörer. Wie es der Zufall will, trägt der Baumwieder eine Frucht und ich bin ermächtigt sie dir anzuvertrauen, wenn duversprichst sie in eine andere Welt mitzunehmen.“

Arthurmalix hatte staunend zugehört, wusste er doch, dass kein Druidevon diesem Geheimnis wusste. Nur brachte ihn das Wissen über denBaum und das Angebot der Nuss keinen Schritt weiter.

„Nur zu gerne würde ich deinem Wunsche entsprechen weise Roxane,doch leider bin ich nicht im Besitze des Zaubers, der mir die Torezwischen den Welten öffnet. Wie du siehst kann ich dein Angebot nichtannehmen. Tut mir wirklich leid, Roxane.“

„Bist die ein Druide oder ein Narr, Arthurmalix?", dabei stieß Roxanneein Lachen aus, dass an das Kollern eines Truthahnes erinnerte."Glaubst du ich würde dir ein solches Angebot machen, wenn ich nichtdie Lösung für dein Problem wüsste? Leg du nur dein Versprechen ab,dann wird sich alles andere finden“, ließ sie keine Zweifel daranaufkommen, dass sie ihm das Gewünschte geben konnte.

„So sei es Roxane, hiermit hast du mein Versprechen“, willigteArthurmalix nun ohne jedes Wenn und Aber ein.

„Weise gesprochen junger Druide. Nun begib dich in den Krater undsuche nach Resten des Meteoriten. Sammle die Steinchen und Krümelauf, wenigstens einen kleinen Beutel voll. Ich sage dir wie du sie zufeinem Staub zermahlen kannst. Auch nenne ich dir einen Ort, wo du mitdem Sternenstaub, statt der Himmelsrichtungen, vier Zeichen aufträgst,die ich noch benennen werde..“

Arthurmalix befolgte die Anweisungen der Drude und kletterte in denKrater. Bevor er anfing im Erdreich herumzuwühlen, holte er einenkleinen Lederbeutel aus seinem Ranzen. Die Suche war mühselig,brachte aber immer wieder kleinere und größere Stücke des Meteoritenzu Tage, zu erkennen an ihrer Schwärze und dem ungewöhnlichenGewicht. So kniete er Stundenlang auf dem Boden, wühlte, grub und

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sammelte bis der Beutel prall gefüllt war. Als er wieder aus dem Kraterstieg, dunkelte es schon. Roxane erwartete ihn an einem munter,prasselnden Feuer, über dem ein Kessel hing, aus dem es verführerischroch.

"Wie ich sehe warst du recht erfolgreich, du musst Hunger haben."Plötzlich hielt sie eine Schöpfkelle, Teller und Löffel in den Händen.

Nach dem Essen wurde Arthurmalix so müde, dass ihm einfach dieAugen zufielen. Er rutschte auf die Seite und die Drude schob ihmseinen Ranzen unter den Kopf und deckte ihn mit der Decke zu, die erals Rolle auf dem Rücken getragen hatte. Dann beugte sie sich über ihnund flüsterte ihm alles ins Ohr, was er noch wissen musste. Fast sah esso aus, als getraute sie sich nicht, die Worte laut auszusprechen.Danach entfernte sie sich. Ja, die Drude Roxane war die letzte die ihnsah.

Als Arthurmalix beim ersten Tageslicht aufwachte, war es ihm so, alswenn er noch die Worte von Roxane hörte.

„Das ist alles?“, sagte er dann mehr zu sich selbst.

Erst dann sah er, dass neben seiner Lagerstatt mehrere Dinge lagen.Ein in dünnes Papier eingewickeltes belegtes Brot, eine Kruke mitfrischem Wasser und eine Handmühle.

Zwar konnte er sich nicht vorstellen, dass man mit einer HandmühleMeteoriten-Splitter zermahlen konnte, doch er war sich sicher, dass dieDrude wusste was sie tat. Doch zuerst einmal wollte er sich stärken.Doch dann ließ ihn die Sache nicht los und er begann mit demZermahlen der Meteoriten Krümel, während er immer wieder von demBrot abbiss und zwischendurch einen Schluck trank. Der Vormittagverging bis er alles zermahlen hatte und sein Beutel prall mit Pulvergefüllt war.

Gemäß der nächtlichen Anweisungen der Drude, begab er sich zumBaum des Lebens, den sie Uburmutha nannte, pflückte die einsameFrucht vom Baum und bat um einen Ast, den Roxane als Schlüssel zumTor bezeichnete, der aber auch noch andere wundersame Eigenschaftenbesitzen sollte. Nachdem er alles beisammen hatte, machte er sich auf,um zu dem Ort gelangen, den die Drude bezeichnete.

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Der andere Druide, der ebenfalls vor der Mordserie verschwand, hießAbrofanix. Er war der Einzige, der von Anfang an vor Cimberlim warnte,der sein wahres Wesen erkannt zu haben schien. Als er feststellte, dasser kein Gehör bei den anderen Druiden fand, verließ er bei Nacht undNebel die Insel, um zur Bucht von Lhykantos zu segeln. Von dort führtesein Weg mit dem Boot den Fluss Lhy hinauf, der am Rande desZauberwaldes Drud entlang floss. Als er sich seinem Ziel nah genugglaubte, versteckte er das Boot im Uferschilf, um sich zu Fuß tief in denWald von Drud zu begeben. Und genau wie erhofft stieß er bald daraufauf Roxane, der nichts entging, was in ihrem Zauberwald geschah. Nacheinem langen Gespräch gab die Drude ihm einen passenden Rat undebenfalls einen Ast vom Stamm des Lebensbaumes Uburmutha.

„Vertraue ihm, denn er wird dich auf all deinen Wegen beschützen“,versprach sie Abrofanix zum Abschied.

Nun noch mehr davon überzeugt den richtigen Weg eingeschlagen zuhaben, kehrte Abrofanix zu seinem Bootsversteck zurück. Ein langer,entbehrungsreicher Segeltörn lag vor ihm, bis er halb Asgardun umsegelthatte und die unwirtlichen Gestade von Bersaskan erreichte. Vonniemand gesehen, tauchte er in der Abgeschiedenheit der wildenBergen und Wäldern unter. Wo immer jedoch die einfachen Menschenseiner neuen Heimat in Notsituationen gerieten, da tauchte er wie einSchatten auf, um zu helfen. Da er auf die gleiche, geheimnisvolle Weisewieder verschwand, rankten sich bald die kuriosesten Geschichten umsein Wesen. Dazu trug auch der Umstand bei, dass ihn keine zweiMenschen je genauso beschrieben. So war es nicht verwunderlich, dasses die unterschiedlichsten Darstellungen von ihm gab. Bezeichneten ihndie Menschen zuerst als den guten Geist von Bersaskan, so nannten sieihn später nur noch ehrfurchtsvoll den Khan.

*

Während Jonathan wieder zum Wasserglas griff, gab er Henry dasverabredete Zeichen, damit jener das Licht wieder hochfuhr.

„Herrschaften, eine kleine Pause für Mylord“, verkündete der Buttler auchsogleich, „sonst bekommt er noch einen Krampf in der Zunge. Vieleichteine gute Gelegenheit, um sich die Beine zu vertreten oder das Buffetnochmals aufzusuchen“, fügte er noch hinzu.

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Sofort erhob sich ein angeregtes Stimmengemurmel unter den Gästen.Jeder hatte dem anderen etwas zu der Geschichte zu erzählen, dochalle waren sich einig, dass es sich bis jetzt nur um eine sehr langeEinleitung zur eigentlichen Geschichte handelte. Genau dieseFeststellung wurde durch eine Frau mittleren Alters, Eigentümerin desAntiquariats von Credenhill, an Jonathan herangetragen. Mit einemumwerfenden Lächeln nahm er ihre Erkenntnis entgegen.

„Gut erkannt. Doch um die spätere Geschichte vom Kampf um Asgardunzu verstehen, braucht es genau diese Vorgeschichte. Nach der Pausebeginnt die eigentliche Geschichte, also nur noch ein klein wenigGeduld“, dabei hob er, fast so, als wenn er sich für diese langeEinleitung entschuldigen wollte, abwehrend beide Hände. Mit einemverlegenen Lachen nahm die Adressatin die Abfuhr entgegen undverschwand dann in Begleitung einer älteren Frau Richtung Toiletten,genau wie andere Gäste auch. Hier, in der Empfangshalle herrschteinzwischen reger Verkehr, denn die Waschräume mit Toiletten, getrenntfür Damen und Herren, befanden sich hier, links und rechts desEingangs. Auch wurde noch dieser und jene Drink genommen, bis Henrydie Herrschaften wieder aufforderte im Kaminzimmer Platz zu nehmen.Jonathan wartete geduldig bis Ruhe eingekehrt war, dann las er mitruhiger Stimme weiter aus seinem Buch vor.

*

Die Jahre, die Jahrzehnte, ja die Jahrhunderte waren vergangen, die Zeitfloss im unabänderlichen Gleichmaß dahin, fast schien es so, als wennder Verrat, mit dem das Haus Askalan an die Macht kam, längst inVergessenheit geraten war. Auch schienen die Menschen den positivenEinfluss, den die Druiden einstmals auf die Gemeinschaft der Menschendieser Welt ausübten, vergessen zu haben und nicht zuletzt auch denZauber, der den Drud-Wald umgab. Was blieb, waren Legenden, dienach so langer Zeit jedoch eher wie Kindermärchen klangen. Trotzdemgab es jemanden, der über die Jahrhunderte nichts vergessen hatte, derdie Erinnerungen weiter wach hielt. Denn tief im dunklen, finsteren Waldvon Drud lebte noch immer die Drude Roxane. Geduldig wartete sie aufden Zeitpunkt, an dem sich das prophezeite Schicksal der Welt vonAsgardun vollziehen sollte. Als sie, auf einen ihrer vielen Streifzügedurch die Wälder Asgarduns, auf eine Jagdgesellschaft traf, die auf einer

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Lichtung, an einem kühlen Bach, Rast machte, spürte sie etwasUngeheuerliches. Schnell erfasste ihr aufmerksamer Blick die junge Frauvon der diese unglaubliche Botschaft ausging. Im nächsten Momentverwandelte sie sich in ein altes Mütterchen, das eine Kiepe mit Äpfelnauf dem Rücken trug. Stöhnend und schnaufend erreichte sie den Bach,stellte die Kiepe ab und ging auf die Knie, um ihren Durst zu löschen.

„Mütterchen, ihr tragt wahrlich schwer an den Äpfeln, wenn ihr mir einenschenktet, dann brauchtet ihr nicht mehr ganz so schwer zu tragen“.Klangen die Worte besagter Frau am Anfang so, als wenn sie sich überdas Mütterchen lustig machen wollte. Doch sie entkräftete diesenVerdacht, indem sie wohlerzogen hinzufügte. „Ich wäre euch wirklichsehr dankbar, wenn ihr mir einen Apfel schenktet. Zwar weiß ich nichtwarum, aber ich verspüre plötzlich einen unbändigen Heißhunger darauf.Bitte!“

Roxane, laut das Wasser aus der hohlen Hand schlürfend, tat so alswenn sie die Worte nicht hörte, worauf ein Höfling sie barsch anfuhr.

„Alte, hast du nicht gehört, die Königin wünscht einen Apfel!“

Roxane drehte sich betont langsam um, wobei sie sich eine Hand ansOhr hielt. „Äh, wen habe ich gestört?“ Gleich darauf ging ein Lächelnüber ihr Gesicht, wohlwollend betrachtete sie die junge Frau. „Oh, welchGlückstag, eine werdende Mutter bedeutet immer Glück. Darf ich eucheinen Apfel schenken, um Teil dieses Glücks zu werden?“

„Mütterchen, woher wisst ihr, ich habe es selbst erst gestern vomLeibarzt seiner Majestät erfahren“, reagierte die Königin äußerst erstauntüber den Ausspruch der alten Frau.

„Aber Kindchen, man sieht es euch an, es ist euch ins Gesichtgeschrieben. Ich könnte auch sagen das Glück strahlt euch direkt ausden Augen“. Roxane griff einen besonders schönen Apfel, wusch ihn imklaren Wasser des Baches und reichte ihn der Königin. „Auf das eureKinder mit Gesundheit gesegnet sind, um ihrem Land die geweissagteBestimmung zu bringen“, flüsterte sie leise, so dass es nur die Königinhörte.

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Es dauerte einen Augenblick, bis die Königin den Sinn der Worteerfasste. „Kinder?“, wiederholte sie zweifelnd, um sich dannumzudrehen, so, als wenn sie jemanden suchte.

„Junker Leofric habt ihr meinen Gemahl gesehen?“, rief sie einemstattlichen Mann zu, der gerade mit einer Hofdame schäkerte.

„Nein, meine Königin, kann ich vielleicht helfen?“

Die Königin schüttelte verneinend den Kopf, um gleich darauf staunendfestzustellen, dass das alte Mütterchen samt Kiepe verschwunden war.Nur der rote, glänzende Apfel erinnerte an die seltsame Episode.Inzwischen teilte die enteilte Roxane dem Wald ihre Erkenntnis mit. Vonda an klang das Raunen und Wispern des Waldes und das Gurgeln undPlätschern der Bäche anders. Fast hörte es sich so an, als würdenverzauberte Stimmen immer wieder das Wort Asgardun flüstern. Unddiejenigen, die die alte Legende von den königlichen Zwillingen nochnicht vergessen hatten, erfuhren auf diese Weise, dass sicheinschneidende Veränderungen ankündigten.

Ende Angusius im Jahre 836 askalanischer Zeitrechnung, die mit derMachtübernahme König Arthur I. begonnen hatte, tat das Schicksaleinen ersten Schritt, um die angekündigten Veränderungenherbeizuführen.

Auf Burg Trutzstein lief der alte, kränkelnde König Ulf III. unruhig imThronsaal auf und ab und das nicht ohne triftigen Grund. Seine zweiteFrau, die schöne Isabella, lag in den Wehen. Erinnerungen an dieNiederkunft seiner ersten Frau wurden in ihm wach, da jene bei derTodgeburt seinesSohnes verstarb. Damals wehrte sich König Ulf langeZeit niedergeschlagen und verzweifelt gegen eine erneute Heirat. Viellieber tröstete er sich mit den schönen Hofdamen, was ihm sogar einengesunden Sohn bescherte. Brago, obwohl ein unehelicher Bastard,wuchs dem König so ans Herz, dass er ihn wie einen Prinzen aufzog undzum Ritter ausbilden ließ. Später machte er seinen erwachsenen Sohnzum Befehlshaber von Burg Trutzstein, dem alten Stammsitz derer vonAskalan. Viele Menschen hatten diesen Umstand inzwischenvergessen, da der König, aus Gründen der Staatsräson, die meiste Zeitdes Jahres in der Hauptstadt Arthuradon residierte. Doch zur Geburtseines rechtmäßigen Thronerben zog er sich mit seiner Familie auf den

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Stammsitz der Askanier zurück. Ein Luftzug zeigte dem unruhigen Königan, dass eine Tür geöffnet wurde. Gleich darauf betrat eine stolze, aufeine kalte Weise, schön zu bezeichnende Frau, mit fliegendenRockstößen den Saal.

„Desdemona, was gibt es Neues von meiner Frau Isabella?“, erkundigtesich die vor Aufregung zitternde Stimme des Königs.

Desdemona machte ein betretenes Gesicht, um sich dann abzuwenden.Ohne die Frage beantwortet zu haben strebte sie auf einen Sessel zu,der nicht im Lichtkreis der vielen Kerzen, sondern etwas Abseits stand.Dort lümmelte Brago missmutig in einem Sessel und starrte blicklos inseinen Becher, der noch halb mit Wein gefüllt war. Mit der Geburt einesehelichen Kindes platzten all seine schönen Träume, dereinst König vonAskalan zu werden, wie eine Seifenblase. Seine ehrgeizige FrauDesdemona schürte von je her seine hochtrabenden Wünsche, doch wiees jetzt aussah, musste er sich mit einem Platz im zweiten Gliedbegnügen. Inzwischen hatte Desdemona den Sessel im Dunklenerreicht, beugte sich graziös nach vorn und flüsterte ihrem Mann ins Ohr,„noch ist nichts verloren.“

„Desdemona, was tuschelt ihr da, ich stellte dir eine Frage?“, nähertesich der König gereizt.

„Verzeiht mein König, doch ich suchte Trost bei meinem Mann, um Kraftzu finden, da ich euch nur schlechte Nachrichten überbringe kann. DieGeburt scheint sich schwierig zu gestalten, was wohl daran liegt, dasseure Frau Zwillinge unter dem Herzen trägt. Zwar ist die Hebammeerfahren, doch der glückliche Ausgang der Geburt liegt wohl mehr inGottes Hand.“

Der König stöhnte laut auf und fasste sich ans Herz. Wankend begab ersich zum Thron, um sich dann, auf dem Platz der Macht, schwerniedersinken zu lassen. Wenn er auch alt und krank war, so war er dochkein Dummer und so blieb es ihm auch nicht verborgen, dass sich dieStimmung seines Sohnes Brago in den letzten Wochen, für jedensichtbar, verschlechtert hatte. Doch niemals traute er ihm ein Verbrechenzu, jedenfalls keines, das seine zukünftigen Kinder betraf. Anders sah esda schon bei dessen Frau aus. Desdemona wirkte auf ihn kalt und

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berechnend und er konnte sich gut vorstellen, dass sie nichts unversuchtlassen würde, um dereinst Königin von Askalan zu werden.

Hätte ihm jemand geflüstert, dass Desdemona eine entfernte Nachfahrindes Druiden Cimberlim war, jenes Druiden, der einst das Geschlecht derAskanier an die Macht brachte, so hätte er ihre Verbindung mit seinemunehelichen Sohn bestimmt verhindert.

Auch wusste er nichts von Desdemona verborgenen Fähigkeiten undKräften, die sie ohne es zu wollen aus dem Gen-Pool der Druidenerhalten hatte. Eben genau diese Fähigkeiten machten die Frau sogefährlich. Dazu gehörte auch die Fähigkeit des zweiten Gesichts,wodurch sie Einblick in Geschehnisse erlangte, die erst in der Zukunftgeschehen sollten. Mit ihren übernatürlichen Fähigkeiten brauchte sienur Eins und Eins zusammenzählen, um die bevorstehende Geburt vonköniglichen Zwillingen mit der in Legenden beschriebenenProphezeiung, vom Untergang Askalans, in Verbindung zu bringen. .Desdemona ging deshalb davon aus, dass einer der Zwillinge, der vomVolk erwartete Befreier sein würde.

Doch das war nicht der Grund weshalb sie Vorbereitungen getroffenhatte, um die beiden neugeborenen Kinder zu beseitigen. Ihr Sinnen galteinzig und allein dem Ziel, dass dereinst ihr leicht zu lenkender MannBrago den Thron bestieg. Wusste sie doch, dass sie Brago weitüberlegen war, so dass er nicht mal merkte, wenn sie ihn manipulierte.Diese Überlegungen trieben sie an, alles zu tun, um ihr großes Ziel zuerreichen, dereinst die Fäden der Macht in ihren Händen zu halten. Siegierte nach Macht wie der Verdurstende nach Wasser. Doch dazumusste Brago König werden, damit sie ihren unstillbaren Durst löschenkonnte. Vermutlich war diese Gier eine Hinterlassenschaft ihresAltvorderen Cimberlim, der ihr nicht nur seinen Hass auf die Menschen,sondern auch seine krankhafte Machtbesessenheit vererbte. Dennobwohl der Druide Cimberlim Einfluss und Ansehen erlangte, ja, erwurde der mächtigste Mann an der Seite des Königs, so blieb ihm dieKrone doch zeitlebens verwehrt. Mit Hilfe seiner Zauber- undVerwandlungskünste zog er deswegen eine andere Option. Heimlich, inder Gestalt des jeweiligen Königs, machte er, in seinem langen Leben,dieser und jener Königin ein Kind, so dass die Annahme berechtigt

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erscheint, dass in den späteren Königen von Askalan durchaus seineGene weiterlebten.

Während das Holz im Kamin knisterte und eine angenehme Wärme imRaum verbreitete, zuckten vor dem Fenster heftige Blitze und dasGrollen des Donners schwebte wie ein böser Fluch über der Burg. Dazupasste es gut, dass ein kalter Wind sein schauriges Lied sang und derzornige Himmel sintflutartigen Regenfällen auf die Dächer der Gebäudeschüttete.

Somit könnte man das schlechte Wetter dafür verantwortlich machen,dass niemand bemerkte, wie sich der Burg ein, von zwei Pferdengezogener, Planwagen näherte. Geführt wurde das Gespann von einemMann, dem das schlechte Wetter nichts auszumachen schien. Es schienihn nicht zu stören, dass seine schwarzen Haare in Strähnen nass inseinem Gesicht klebten, Rinnsale von Regenwasser von seinem Kopfüber Stirn und Wangen flossen, vom Kinn zu tropften oder sich einenWeg in seine Kleidung bahnten. Nichts schien ihm etwas anhaben zukönnen oder warum trug er ein so zuversichtliches Lächeln im Gesicht?Oder war das Lächeln nur ein Täuschungsmanöver für den oberflächigenBetrachter, denn seine Augen sprachen eine andere Sprache. Sie wareneisgrau und voll kalte Entschlossenheit.

Ein solcher Mann sollte wissen was er wollte, auch wenn es zuerstkeinen Sinn machte, dass er das Gefährt an eine steile Felswand lenkte.Am Ende der Felswand erhob sich die Burg mit ihrer steilen Burgmauerund darüber den königlichen Wohnquartieren. Weit über ihm dranghelles Licht aus schmalen Fensteröffnungen, dort wo sich die Gemächerder Königin befanden. Selbige lag schweißgebadet in den Wehen undbrüllte ihre Wut darüber hinaus, dass es ihr so schwer fiel ihre Kinder zurWelt zu bringen.

Gewand wie eine Spinne krabbelte der Mann die steile, glitschigeFelswand empor, bis er unter der Burgmauer stand. Ohne Aufgeregtheitnahm er das Seil mit dem Eisenhaken von der Schulter, schwang dasEisenteil gekonnt, um es dann im rechten Moment nach oben sausen zulassen. Kein Wächter hörte das schwache Scheppern des Eisenhakens,als jener sich hinter den Zinnen verfing. Kein Wunder, gerade rolltenwieder brüllende Donnerschläge über Landschaft und Burg hinweg. Mit

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unglaublicher Geschwindigkeit zog sich der Mann am Seil nach oben,um wie ein Schatten zwischen den Zinnen zu verschwinden. Er schiensich hier bestens auszukennen, denn zielgerichtet bewegte er sich wieein Schemen über den Wehrgang, auf eine kleine, unscheinbare Pfortezu und schon war er im Gebäude verschwunden.

Auch die Dunkelheit, des dahinter liegenden Ganges, bremstekeineswegs sein zielgerichtetes Bestreben, das darin bestand, dasGemach der Königin zu erreichen. Nach ein paar Schritten endete derGang vor einer Wand. Mit den Händen ertastete er eine Nische, in dereine Heiligenfigur stand, zumindest sah das Ding so aus. Dochanscheinend hatte die Figur noch eine andere, geheime Funktion, denner bog sie nach vorn wie einen Hebel. Einen Moment geschah nichts,doch dann öffnete sich vollkommen geräuschlos eine Geheimtür. Lautlosbetrat der Eindringling das Gemach der Königin.

Das folgende Geschehen war mit menschlichem Verständnis kaum zuerklären und sprach wohl eher dafür, dass hier mächtige Zauberkräfteam wirken waren. Als die Hebamme und die beiden Mägde instinktivaufblickten, gewahrten sie nicht einen unheimlichen Eindringling,sondern eine Person, die ihnen bekannt war. Ja, sie glaubtenDesdemona zu sehen. Eine unmerkliche Handbewegung des Trugbildesbelegte die Mägde sowie die Königin mit einem Zauber, der dafür sorgte,dass die Zeit für sie stehen blieb. Gleichzeitig fixierte das Trugbild vonDesdemona die Hebamme, um Kraft ihres Geistes mit der Ahnungslosenzu kommunizieren.

"Lucie, bringe jetzt deine Arbeit zu Ende", befahl der Hebamme eineStimme in ihrem Kopf. "Und sei gewiss, ein Fehler, ein falsches Wort unddu bist des Todes."

Die Hebamme nickte unterwürfig, um dann der Königin bei der Geburtzweier gesunder Knaben zu helfen. Die Königin, noch immer unter demZauber stehend, sah nicht wie die Hebamme die Säuglinge versorgteund in Tücher wickelte, um die armen Würmer, der inneren Stimmefolgend, dem unbarmherzig dreinblickenden Scheinbild Desdemonas zuübergeben. Anschließend holte die Hebamme unter dem Bett einentuchbedeckten Korb hervor. Als sie das Tuch wegnahm, kamen zwei

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Todgeburten zum Vorschein, wo immer die Hebamme die unglücklichenWesen aufgetrieben haben mochte.

Das Trugbild von Desdemona wartete geduldig, bis die Todgeburten inkönigliche Tücher gewickelt waren. Zufrieden mit dem Ablauf desGeschehens begab sich der unheimliche Eindringling, der in der Maskevon Desdemona ein merkwürdiges Spiel trieb, mit den königlichenZwillingen zur Geheimtür. Bevor er vollends das Gemach der Königinverließ, machte er eine entsprechende Handbewegung, um den Zauber,der immer noch auf den Anwesenden lag, wieder aufzuheben.Geräuschlos schloss sich die Geheimtür hinter dem Geheimnisvollen,während hinter ihm, im königlichen Schlafgemach, das Drama seinenLauf nahm.

In Tränen aufgelöst zeigte die Amme der Königin die Todgeburten,worauf die junge Isabella laut aufschrie und einen Weinkrampf bekam.Eine herzzerreißende Szene, von der, der geheimnisvolle Eindringlingjedoch nichts mehr mitbekam. Hinter der Geheimtür, im dunklen Gang,war er stehengeblieben, um die beiden Frischgeborenen, im Licht seineraufleuchtenden Augen, mitleidig zu betrachten. Doch sein Mitleid schiensich in Grenzen zu halten, denn er öffnete seinen weiten Umhang undlegte so eine spezielle Weste mit aufgenähten Taschen frei. Vorsichtigschob er die Säuglinge in je eine Tasche vor seiner Brust. SchnellenSchrittes durchquerte er den dunklen Gang, passierte die Pforte und tratauf den Wehrgang der Burgmauer. Auf dem gleichen Weg, auf dem erin die Burg eingedrungen war, verließ er sie auch wieder. Mit einer leisegesprochenen Formel und leichtem Zug am Seil sorgte er dann dafür,dass sich der Eisenhaken aus dem Mauerwerk löste und in seinezugreifende Hand fiel. Ob seiner wertvollen Fracht benutzte er diesmaldas Seil, um den letzten felsigen Abschnitt zu überwinden. Wenig spätererreichte er den Planwagen, wo er die Säuglinge ins Innere reichte.

„Oh, es sind ja zwei Säuglinge“, erklang aus dem geschütztenInnenbereich die warme, freundliche Stimme einer jungen Frau. „DankeMax!“

Der Angesprochene wirkte ein wenig gehetzt, denn er ging nicht auf dieWorte der Frau ein, stattdessen eilte er zur Mauer zurück, um das Seilaufzuwickeln und mitsamt Haken an sich zu nehmen. Der

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Geheimnisvolle wusste nur zu genau, dass er keine Spuren hinterlassendurfte, wenn er das Leben der Säuglinge nicht gefährden wollte.Schließlich waren die Beiden der Garant dafür, dass sich dieProphezeiung, des letzten Druiden von Asgardun, erfüllen sollte.

Damit der Plan gelingen konnte, durfte h niemand nur im Entferntestenahnen, um wen es sich bei dem mysteriösen Entführer handelte. DieMenschen dieser Welt kannten ihn nur als Max, was von seinem NamenMaximus abgeleitet wurde. Seinen vollständigen Namen kannte niemandund das war auch gut so. Für ihn, vielleicht den letzten männlichenNachfahren der Druiden, war es überlebenswichtig, dass diesesGeheimnis gewahrt blieb. Denn sein vollständiger Name, MaximusMedhifalix, hätte seinen druidischen Ursprung verraten. DiesemUmstand verdankte er auch seine übernatürlichen Fähigkeiten, die, wiegerade erlebt, nicht nur darin bestanden, ungesehen in Burgeneinzudringen. Obwohl er vorhersah, dass die Königin ein Kind bekam,war ihm der Umstand von Zwillingen entgangen. Leicht konsterniertgestand er sich ein, dass sein Auge, mit welchem er in die Zukunft sah,eben doch nicht perfekt war. Er verfluchte das Schicksal, dass ihn sounvollkommen machte. Nur gut, dass ihm eine gute Freundin, derenName Roxane war, rechtzeitig auf seinen Irrtum hinwies.

Während er noch über die Zufälle des Lebens sinnierte, bestieg er denBock des Planwagens, ergriff die Zügel, schnalzte mit der Zunge unddas Gefährt verschwand wie eine Geisterscheinung in der Dunkelheit.Trotz des schlechten Wetters gönnte er den Pferden die ganze Nachtkeine Rast. Erst gegen Morgen, das Unwetter war weitergezogen,verließ er den morastigen Weg, der durch den königlichen Forst führte.Weit ab vom Weg, versteckt hinter einem dichten Gebüsch, wollte er denerschöpften Pferden eine längere Ruhepause gönnen. Doch zuerst rieber sie gründlich ab und versorgte sie mit Wasser und Hafer. Nachgetaner Arbeit kletterte er ins Innere des Planwagens, wo sofort einLächeln sein sonst so ernstes Gesicht erhellte. Jenny knöpfte sichgerade die Bluse zu und die Zwillinge lagen friedlich schlafend auf demgepolsterten Boden des Wagens.

„Max, wenn ich mich recht entsinne, hattest du mir einen Knabenversprochen und nun hast du mich mit doppeltem Glück beschenkt. Ichweiß gar nicht, wie ich dir danken soll? – Wie sollen sie eigentlich

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heißen?“ An Max Blick konnte Jenny erkennen, dass er sich darum nochkeine Gedanken gemacht hatte und seine Antwort bestätigte ihreVermutung.

„Eine gute Frage Jenny, doch wenn ich ehrlich bin, gab es bis jetztwichtigeres zu tun, als sich mit solchen Nebensächlichkeiten zubefassen. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich mit den Geisternmeiner Ahnen sprechen, dann wissen wir mehr.“

Jenny wunderte sich nicht über seine seltsame Antwort, zu lange zog sieschon mit ihm durch die Lande, um zu wissen, dass dieser Mann keingewöhnlicher Mensch war. Max war nicht nur der Anführer einer kleinenSchaustellertruppe, die rastlos durchs Land zog, um ihre Vorführungenund Kunststücke darzubieten, sondern auch ein begnadeter Heiler. AmTag heilte er die Menschen, gegen Abend unterhielt er sie mitausgefallenen Kunststücken oder erheiterte sie mit witzigen Sprüchen.Wobei er in letzter Zeit dazu übergegangen war, den Zuschauern mitseiner Truppe kleine, gut verständliche Theaterstücke vorzuführen. MitVolkswitz und politischen Anspielungen sorgte seine Truppe nicht nur fürErheiterung bei den Zuschauern, sondern informierten sie auch überMissstände im Land. Kein Wunder, das die Obrigkeit keinen Gefallen anihren Vorführungen fand, was wiederum dazu führte, dass sie nur allzuoft überhastet ihre Zelte abbrechen mussten.

Reich war Jenny dabei nicht geworden, doch sie bereute keine Stundesich der Truppe von Max angeschlossen zu haben. Ihre Eltern undGeschwister waren an der Pest gestorben und sie schlug sich damalsmit ihren zwölf Jahren mehr schlecht als recht durchs Leben. Dann kamMax mit seiner Truppe in ihr Dorf. Er sah sie und fragte sie einfach, obsie nicht bei ihnen mitmachen wollte. Sie hatte nichts zu verlieren,konnte nur etwas gewinnen und so willigte sie kurzentschlossen ein. Daslag jetzt knapp zehn Jahren zurück. In der abgelaufenen Zeit hatte siegelernt Max bedingungslos zu vertrauen.

Vorige Woche meinte es das Schicksal nicht gut mit ihr, denn sie verlorauf unglückliche Weise ihr eigenes Baby. Ein kurzer Moment derUnachtsamkeit und das Unglück nahm seinen Lauf. Wie es dieBestimmung wollte, verlief sich ein Insekt im Rachen ihres Kindes undstach zu. Wäre es nicht Bestimmung gewesen, dann wäre Max nicht zur

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gleichen Zeit woanders gewesen. Denn wenn einer das Baby hätteretten können, dann Max. So kam jede Hilfe zu spät. In ihrer Trauerzauberte Max einen Hoffnungsschimmer an den Horizont, indem er siefragte, ob sie ein Frischgeborenes wollte, das nicht bei seiner Mutterbleiben konnte. Und wie immer hielt er Wort, nein, er verdoppelte sogarsein Versprechen.

„Max, ich bin mir ganz sicher, dass du die richtigen Namen für die beidenKleinen findest, sag einfach Bescheid, wenn du sie weißt.“

„Scheint dir ja sehr wichtig zu sein“, stellte Max nachdenklich fest.„Jenny, schlaf ein wenig! Ich suche inzwischen nach einem Platz, dereine Verbindung zu meinen Ahnen herstellt“, verstand Max den erneutenHinweis seiner Begleiterin und verabschiedete sich von ihr.

Mit unglaublichem Gespür fand er nach kurzer Suche eineentsprechende Stelle im Wald. Eine verträumte Lichtung, an dessenRand eine unermesslich alte Buche stand, schien ihm alleVoraussetzungen zu erfüllen. Max näherte sich der Buche ehrfurchtsvollund berührte andächtig deren rissige Rinde. Schließlich umfasste er mitbeiden Händen den Baumstamm und presste seinen Kopf an die Borke.Nach und nach versetzte er sich in einen Zustand der Meditation. Als eraus diesem Zustand erwachte, hatte die Sonne fast ihren höchstenPunkt erreicht und er lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken imGras, über ihm die Krone des alten Baumes.

In der Phase seiner geistigen Abwesenheit erhielt er auf mystischeWeise Antworten auf all seine Fragen, auch warum er nur die Geburteines Knaben vorhersah. Das Geheimnis lag in ihrer Einheit. EineiigeZwillinge stellte für die Vorsehung nur ein Wesen dar, nur dass diesesWesen nach der Geburt zwei unabhängige Körper besaß. Nur gut dassihn im letzten Moment eine Botschaft der Drude erreichte. Noch immerklangen ihm die Namen der Knaben in den Ohren. Der Erstgeborenesollte Aberon heißen, sein zweitgeborener Bruder Benidor, wobei Aberonfür Befreier und Benidor für Bewahrer stand. Im Bewusstsein, seineAufgabe im Sinne von Jenny erfüllt zu haben, erhob er sich und kehrtezum Planwagen zurück. Die Pferde hoben gelangweilt die Köpfe, dochals Max mit der Zunge schnalzte, streiften sie ihre Lethargie ab undschnauften willig durch die Nüstern. Es wurde Zeit den Abstand zu Burg

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Trutzstein weiter zu vergrößern. Kaum hatte er den Wagen wieder aufden Hauptweg gelenkt, ertönte von drinnen Jennys Stimme.

„Wolltest du nicht erst noch etwas erledigen?“, hörte er Jennysverschlafene Stimme. Wenig später teilte ihr Kopf das derbe Tuch hinterdem Fahrersitz.

„Alles Bestens“, versicherte Max, begann ein Lied zu summen und gabden Pferden die Zügel frei.

„Wie alles Bestens? Ich will die Namen der Knaben wissen und nichtleere Sprüche von dir hören“, gab Jenny aufgebracht zurück.

„Schon gut“, brummte Max, „der Erstgeborene soll Aberon heißen, seinBruder Benidor.

Diesmal kam er nicht nur mit einem Anranzer davon, stattdessen stießJennys zierliche Faust durch die Plane in seine Rippen.

„Max, willst du mich veräppeln oder was soll die Rätselstunde. Kannst dumir mal verraten woher ich wissen soll wer von Beiden der Erstgeboreneist?“

Obwohl er gerade auf schmerzhafte Weise mit Jennys TemperamentBekanntschaft gemacht hatte, schien Max Gefallen an dem Spielchen zufinden.

„Aber Jenny, das ist doch nun wirklich nicht so schwer, liegt doch auf derHand. Der ältere ist der Erstgeborene, demnach muss der Jüngere derZweitgeborene sein“, erklärte Max mit ruhiger, todernster Stimme,wohlwissend was gleich geschehen würde. Rechtzeitig brachte er seineRippen vor Jennys kleiner Faust in Sicherheit, indem er blitzschnell vomBock auf den breiten Rücken eines der Zugpferde sprang. Grinsenddrehte er sein Gesicht nach hinten und blickte Jenny spitzbübisch in dieAugen. Jenny funkelte ihn aus wütenden Augen an und schüttelte erbostdie Faust. Kurz verschwand ihr Kopf hinter der Plane, nur um kurz daraufwieder zu erscheinen. Doch diesmal schob sie auch noch ihrenOberkörper hindurch, um dann auf den Bock zu klettern.

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„Deine Vorführung ist hiermit beendet, komm sofort zu mir und erklär mirdie Sache bitte so, dass ich sie auch verstehe“, ließ Jenny keine Zweifeldaran, dass sie sich nicht mehr hinhalten ließ.

Gekonnt schwang Max seine Füße auf den Pferderücken, um direkt ausder Hocke in den Stand überzugehen. Ein Beweis, dass er auch einguter Artist war, wie auch seine Drehung auf dem Pferderücken und seinanschließender Sprung von dort auf den Fahrerbock bewies.

„Aber nicht wieder schlagen“, bat er sie mit gespielt weinerlicher Stimmeund zur Abwehr erhobenen Armen.

„Max. du kannst es nicht lassen. Bei jeder Gelegenheit schlüpfst du ineine Rolle. Leider muss ich dir gestehen, dass du in deinen Rollen sehrüberzeugend bist“, wobei ihr finsterer Gesichtsausdruck keinen Zweifeldaran ließ, dass sie auf einer Antwort, die Säuglinge betreffend,beharrte.

Max dachte nur einen Moment nach, eigentlich schien er schon eineverständliche Antwort parat zu haben.

„Sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen, ich werde sie wohlkennzeichnen müssen. Zurzeit erkennst du den Erstgeborenen daran,dass er in den weißen Tüchern mit dem Königswappen liegt, für Benidorgab es nur noch einfaches Tuch.“

„Was heißt hier kennzeichnen, du willst ihnen doch nicht etwa wehtun?“,meldeten sich bei Jenny sofort Muttergefühle.

„Was denkst du von mir, dass ich den Kindern unterschiedlicheBrandzeichen verpasse? Du solltest es wirklich besser wissen,schließlich bin ich nicht nur Schauspieler sondern auch Magier“, brachteer seine gespielte Empörung über Jennys Unterstellung zum Ausdruck.„Sie bekommen unterschiedliche Muttermale. Und das Gute daran, dieMale werden für alle anderen unsichtbar bleiben, nur du und ich werdensie sehen können. Aberon erhält einen kleinen roten Drachen über derlinken Augenbraue, sein Bruder Benidor einen schwarzen Drachen überder rechten Augenbraue. Wie gesagt, keiner außer uns kann die Malewahrnehmen, nur ich der große Magier und du ihre Mutter.“

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Jenny schien versöhnt, hauptsächlich weil Max sie als die Mutter derbeiden Säuglinge bezeichnete.

„Wann willst du es machen?“, wollte sie trotzdem wissen.

Max lächelte in sich hinein, summte ein Lied und lenkte das Gefährt vomHauptweg in einen abzweigenden Nebenweg. Der Pfad erschien zwarauf den ersten Blick nicht so komfortabel, dafür würde er sie sicher undunbemerkt ans Ziel bringen.

„Längst geschehen meine Beste“, unterbrach er kurz sein Summen.

*

Jonathan gab das verabredete Zeichen und Henry fuhr wieder das Lichthoch.

„Liebe Gäste, an dieser Stelle ist meine Vorlesung beendet. Nicht nurdas mein Mund immer schneller austrocknet, irgendwer hat mir auchnoch Sand in die Augen gestreut. Ehrlich gesagt habe ich mir dasVorlesen nicht so anstrengend vorgestellt, doch jetzt bin ich erschöpftund wenn ich weiter machte, würden wir alle keine Freude an meinemeinsetzenden Gestammel haben“, erklärte Jonathan des Ende desliterarischen Abends.

„Das ist aber wirklich schade, gerade wo die Geschichte richtig in Fahrtkommt“, sagte eine Frau deren Namen er schon wieder vergessen hatte.Ein zustimmendes Gemurmel erhob sich im Raum.

„Wenn wirklich ein so großes Interesse besteht und sie das Erscheinenmeines Buches nicht abwarten können, dann besteht die Möglichkeit,dass wir diesen Abend wiederholen. Jedoch nicht morgen oderübermorgen, mein Buttler wird sie rechtzeitig informieren“.

Bei seinen letzten Worten musste Jonathan ein heftiges Gähnenunterdrücken. Henry öffnete unmissverständlich die Tür, denn ihm wardie Schwäche seines Herrn nicht entgangen. Am Ausgang derEmpfangshalle verabschiedete Jonathan jeden seiner Gäste mitHandschlag, wobei er die vielen Komplimente und Danksagungen schongar nicht mehr richtig mitbekam. Ähnlich einem Betrunkenen wankte erdie Treppe nach oben und ließ sich rücklings auf sein Bett fallen. Als er

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am nächsten Morgen erwachte, wusste er nicht zu sagen, wie er aus denKlamotten und unter die Decke gekommen war. Vermutlich hatte einhilfreicher Geist mit Namen Henry die Aufgabe übernommen. Er musstesich wirklich auf irgendeine Weise bei seinem Buttler erkenntlich zeigen.Der Mann war rund um die Uhr für ihn da, ertrug seine Macken ohne zumurren, was dafür sprach, dass er mehr Freund als ein Angestellter war.Da er sich das Frühstück ans Bett bringen ließ, bestand Gelegenheitdieses Thema anzureißen, ohne dass ein anderes Ohr davon etwasmitbekam. Wenig später betrat Henry mit einem Betttablett, einempraktischen, transportablen Tischchen, Jonathans Schlafzimmer. DerMann muss einen siebten Sinn für meine Bedürfnisse besitzen, ging esJonathan durch den Kopf als er sich aufsetzte. Henry stellte zuerst dasTablett vor Jonathan ab, dann steckte er ihm noch einige Kissen in denRücken, so dass sich sein Lord bequem anlehnen konnte.

„Henry, sie glauben also, eine solche Lesung sei so anstrengend, dassich heute Morgen eine besondere Stärkung nötig habe, oder wie soll ichmir sonst drei Toast und ein gekochtes Ei erklären?“

Verführerisch stieg Jonathan der Kaffeegeruch in die Nase und zuseinem Erstaunen musste er sich eingestehen, dass Henry vielleichtdoch eine Glaskugel besaß. Zuerst macht er sich über dasErdbeermarmeladentoast her, dann köpfte er das Ei und verspeiste dazudas Buttertoast. Zwischendurch ließ er sich Kaffee nachgießen undkrönte das Ganze mit dem Schinkentoast. Nach dem letzten Happen ließer sich zufrieden in die Kissen sinken und genoss das Sättigungsgefühl.Gerade wollte er Jonathan befragen, womit er ihm einen Gefallen tunkönnte, als jener das Wort ergriff.

„Sir, ich wollte gestern Abend vor der Lesung davon nicht anfangen, umsie nicht unnötig abzulenken. Ich bin mit der Untersuchung und denErklärungssuchen für die magischen Zeichen fertig.“

Jonathan schaute interessiert auf. „Ich mache mich frisch, dann gehe icheine Stunde mit Bomba, anschließend treffen wir uns in meinemArbeitszimmer. Die anderen Sachen müssen dann eben warten. IhreUntersuchungsergebnisse interessieren mich viel zu sehr.“

Kaum war Henry mit dem Tablett verschwunden, da begab sichJonathan ins Bad. Unter der Dusche wurde er dann vollends wach,

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spätestens als ein Dreh am Regler dafür sorgte, dass ein kalter Schauerauf ihn hernieder prasselte. Uriges Wolfsgeheul durchzog den Westflügelals sich Jonathan todesmutig dem kalten Wasserschauer aussetzte.Erschrocken blickten sich Selma und Sally in der Küche an, weil sie sichdas Geheul nicht erklären konnten.

„Ob Bomba eine Freundin hat, nach der er sich sehnt und die er jetztruft?“, wollte Sally von Selma wissen.

„Findest du wirklich, dass sich das nach Bomba anhört? Für mich klingtdas eher, als wenn jemand am Marterpfahl gefoltert wird“, erwiderteSelma kopfschüttelnd.

Lachend trat Henry in die Küche. „Mylord duscht kalt.“

„Aha, und warum stößt er dabei ein so schauerliches Geheul aus?“,konnte sich Sally trotzdem keinen Reim auf die Geräuschkulissemachen.

„Entweder erzeugt die Prozedur schreckliche Schmerzen bei ihm oderaber“, legte Henry eine dramaturgische Pause ein, „oder aber der Lordzeigt so seine Lebensfreude.“

Begriffsstutzig sah ihn Sally an. „Und was von beiden ist es nun?“

Henry grinste noch breiter übers Gesicht. „Na, frag ihn doch einfach.“Bevor er laut loslachen musste, machte er kehrt und verließ die Kücheschnellen Fußes.

Als sich Sally mit ihrem Fragezeichen im Gesicht Selma zuwandte,drehte sich die Köchin resigniert ab, weil sie fand, dass Sally wirklich einDummerchen war. Der Herr und vor Schmerzen schreien, das war für siekaum vorstellbar. Sie hatte ihn auf dem Burghügel beobachtet, wie er ineiner unmöglichen Haltung eine Stunde verharrte, dazu warunglaublicher Wille und Kraft nötig. Warum er hingegen so fröhlich war,dass seine Lebensfreude im halben Haus zu hören war, wusste siehingegen auch nicht zu sagen.

Jonathan hingegen war sich über die Wirkung des kalten Wassersdurchaus im Klaren. Durch das kalte Wasser fühlte er erst ein Prickelnauf der Haut und anschließend wie das Blut durch seine Adern pulsierte.

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Das daraus resultierende starke Lebensgefühl, das durch seinen Körperfloss, war Grund genug für ihn, um übermütig wie ein Wolf zu heulen.Doch nachdem sein ganzer Körper mit einer Gänsehaut überzogen war,beendete er die Prozedur. Doch das Angenehmste war das kräftigeabrubbeln seines abgekühlten Körper mit einem großen, flauschigenBadetuch. Dabei bemerkte er den ungeduldigen Bomba, der ihn forderndansah.

„Gleich mein Bester oder erwartest du, dass ich nackt mit dir spazierengehe? Nein, nein, was soll denn Selma von mir denken. Ich werde michwohl erst ankleiden und dann muss ich auch noch Caligula befragen, ober mit will. Doch wenn mich nicht alles trügt, so hat der kleine Nagerwieder Gefallen an seinem Käfig gefunden, oder wie anders ist es zuerklären, dass er uns in letzter Zeit nicht jedes Mal begleitet? Alsogedulde dich noch einen Moment mein vierbeiniger Freund, denn gleichsind wir an der frischen Luft und lassen uns den Wind um die Nasewehen. Mit ein wenig Glück bringt uns ein gefiederter Troubadour auchnoch ein Morgenständchen und die Sonne zaubert uns ein paarwärmende Strahlen auf die Haut. Bomba, was will man mehr?“

Die Französische Bulldogge sah seinen Herrn mit einem Blick an, dersehr wohl dafür sprach, dass es noch mehr im Leben eines Hundes gab.

„Ah, ich vergaß das Wichtigste, du meinst da fehlt noch ein Stöckchenwas durch die Luft fliegt? Wie immer hast du recht mein kluger Hund.Verzeih mir mein Freund, doch ich bin nur ein Mensch, das erklärtvielleicht wie mir das Wichtigste entfallen konnte.“

Inzwischen war er vollständig angezogen und hatte Caligulasablehnenden Bescheid entgegengenommen. Da nichts mehr anderesauf dem Programm stand, begab er sich mit einem sichtlich aufgeregtenHund ins Freie. Dabei stellte Jonathan wieder einmal fest, wie leicht eswar mit wenig Aufwand volle Zufriedenheit zu erlangen. Das großeGeheimnis lag wohl darin, zu wissen was man vom Leben erwartendurfte. Da seine Wünsche im Moment eher bescheiden waren, kehrte erebenso zufrieden wie sein Hund nach einer Stunde ins Haus zurück.

Beim Betreten seines Arbeitszimmer gewahrte er sofort, dass schon einGlas Mineralwasser auf dem Tisch bereitstand, was ihn dazu veranlassteseinen Durst sofort zu löschen. Kaum hatte er das ausgetrunkene Glas

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abgesetzt, als wie auf Kommando die Tür aufging und Henry mit einerMappe das Arbeitszimmer betrat. Und wieder fragte sich Jonathan wiees kam, dass sein Buttler die Zeitabläufe so sauber hinbekam. Jonathanließ sich in seinen bequemen Bürosessel sinken, dabei gab er Henry zuverstehen, sich gegenüber an den Schreibtisch zu setzen. Noch beimHinsetzen schob Henry die Mappe zu Jonathan über den Tisch.

„Zuerst musste ich die Fotos digital bearbeiten, vor allem die leuchtendeSchrift auf dem Schwert war nicht zu lesen“, leitete er ihre Sitzung miteiner entsprechenden Erklärung ein.

Neugierig geworden schlug Jonathan die Mappe auf, um die soangesprochenen Fotos in Augenschein zu nehmen.

„Runen? Und da ist ja auch der Drachenkreis nochmal in Klein“, stellte ererstaunt fest.

„Nachdem ich die Runen entziffert hatte, kam etwas Licht in die Sache“,dabei zeigte der Diener auf das nächste Foto, eineAusschnittvergrößerung der Runenschrift.

„Sinngemäß bedeuten die Runen: ich bin Uthrut, das sehende Schwert,Wächter des Tores. So gesehen gibt die Abbildung des Drachenkreisesauf der Klinge einen Sinn, Sir. Denn nach Aussage der Runen scheinteben jener Drachenkreis besagtes Tor zu sein. Anschließend habe ichim Internet nach Informationen zu den magischen Zeichen gesucht.Leider bin ich, was das Schwert betrifft, nicht fündig geworden. DerDrudenfuß, wobei es sich bei unserem eindeutig um einen umgekehrtenDrudenfuß handelt, hat und das überrascht nicht wirklich, etwas mitschwarzer Magie zu tun.“

Jonathan sah ihn fragend an.

„Zum umgekehrten Drudenfuß habe ich eine Theorie entwickelt. Dabeigeht es um die Anordnung der magischen Zeichen. Ich gehe davon aus,dass der Drachenkreis der dominante Bezugspunkt ist, um den sich dieanderen Zeichen formieren. Sie sind also dessen Diener. Doch wennder Drachenkreis die Richtung vorgibt, dann steht der Drudenfuß ebenauf dem Kopf“, zeigte Henry mit verständlichen Worten auf, wie er zudieser Schlussfolgerung kam.

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„Das leuchtet ein“, stimmte ihm Jonathan dann auch zu.

So ermutigt fuhr Henry fort. „Der Kopf des Drachen in oberster Positionzeigt an, dass das Tor zu anderen Welten geschlossen ist. Wobei dieVerwendung, eines sich selbst in den Schwanz beißenden Lindwurms,auch in abweichender Form nirgendwo schriftlich erwähnt wird. Dieeinzige Verbindung scheint mir die Midgardschlange in dergermanischen Mythologie zu sein.“ Henry wartete geduldig bis Jonathandas nächste Foto zur Hand nahm, um dann die entsprechende Erklärungabzugeben.

„Kommen wir zum magischen Dreieck. Zum Einen stellt es die Zahl Dreidar, darüber hinaus bezeichnet es den dreifaltigen Geist, aber auch dieBegriffe Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit. Durch seineverschlungenen Linien scheint das Zeichen alle diese Bedeutungenmiteinander zu verknüpfen, was seine magische Bedeutung aufwertet. Inunserem Fall darf man das Dreieck jedoch nicht für sich selbst stehensehen, sondern vor allem in Bezug auf das Tor. Erst zusammenbekommen beide Zeichen eine besondere Qualität. Sie versprechen, dukannst nicht nur zu fremden, weitentfernten Orten reisen, nein, du erhältdie Möglichkeit Raum und Zeit zu überwinden“, zog Henry am Ende dieVerbindung zwischen Drachenkreis und Dreieck.

„Mag sein, mag nicht sein. Trotzdem bleibt es eine verrückte Vorstellung,dass man auf diese Weise zwischen irgendwelchen Welten reisenkönnte“, kam die Vorstellung Jonathan absurd vor.

„Gewiss Sir, dieser Umstand ist für einen Menschen des 21.Jahrhunderts nur schwer zu realisieren“, stimmte der Buttler seinem Lorduneingeschränkt zu, nur um in seinen Erklärungen fortzufahren. „Bleibtnoch das Auge, das letzte Zeichen, das hier ähnlich dem Horus-Augeabgebildet wurde. In der Mythologie stellt es ein Symbol für Heilung undSchutz vor Gefahr dar. Somit scheint es ein nachvollziehbares Symbol,wenn man bedenkt, dass eine Reise in fremde, zeitlich versetzte Weltenkaum ohne Gefahren zu bewältigen sein dürfte. Eine weise Ergänzungzu den anderen Zeichen, finde ich jedenfalls“, schloss Henry seinenBericht.

„Das Deuten der magischen Symbole ist die eine Sache, aber es erklärtnoch lange nicht, wie die Sache praktisch funktioniert. Genaugenommen

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ist doch die Vorstellung, dass jemand auf Grund dieser Symbolezwischen Welten reisen kann, total verrückt. Viel verständlicher erscheintmir dann doch die Erklärung, dass ich einen verrückten, spukhaftenTraum erlebte“, schien sich Jonathans Verstand mit aller Macht gegendie andere, die fantastische Erklärung zu sträuben.

„Aber wenn die Spritzer, die das Luminol sichtbar machte, kein Blutdarstellen, was ist es dann? Und wie kann es sein, dass das blaue Lichtdie magischen Zeichen sichtbar machte?“, warf Henry Fragen auf, die zuoffensichtlich waren, um nicht angesprochen zu werden.

Ein Punkt, bei dem Beide mit ihrem Latein am Ende zu sein schienen.

„Habe ich ihnen schon mal gesagt, dass ich Fragen ohne entsprechendeAntworten hasse?“, brachte Jonathan seinen Unmut zum Ausdruck.„Doch für heute ist erst mal Schluss, erstens wartet das Mittagessen undwenn ich es mir recht überlege, möchte ich danach wieder meinemgewohnten Tagesablauf nachgehen“, beendete Jonathan die Sitzung,nicht ohne sich am Ende noch für Henrys Bemühungen zu bedanken.

„Henry, was ich sie schon längst fragen wollte, kann ich mich irgendwieerkenntlich zeigen, schließlich überschreitet ihr Einsatz, in dieser Sache,das gewohnte Maß, das man von einem Buttler erwarten kann.“

Henry schaute verlegen zu Boden.

„Nicht so schüchtern Henry, greifen sie nur zu, wenn ich ihnen einsolches Angebot mache“, forderte Jonathan seinen Buttler nachdrücklichauf, wobei er ihn eingehend beobachtete. „Sie befürchten von mir eineAbfuhr zu erhalten? Solange sie keinen Mord von mir verlangen, bin ichfür alle Wünsche offen, also los raus damit.“

„Mylord – äh, Sir, wenn sie damit einverstanden wären, hätte ich schoneinen Wunsch“, druckste Henry rum, riss sich dann aber zusammen.„Ich würde gerne an ihren morgendlichen Tai Chi Übungen teilnehmen,ja darüber würde ich mich außerordentlich freuen.“

„Aber Henry, warum tun sie sich denn damit nur so schwer? Und ichdachte schon sie verlangen irgendetwas Verbotenes von mir“, undscherzhaft fügte er noch hinzu, „was bin ich froh, dass ich niemanden fürsie umbringen muss.“

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Jonathan schien aufrichtig erleichtert, dass Henrys Wunsch so einfachzu erfüllen war. „Hätte ich gewusst, dass sie ebenfalls Tai Chipraktizieren, hätte ich sie längst gefragt, ob sie mitmachen wollen.“

Der Rest des Tages verlief in den gewünschten, ruhigen Bahnen undauch in der Nacht quälten ihn keine Albträume, sodass sich Jonathanfast wie neugeboren fühlte als er am nächsten Morgen aufwachte. Henryerwartete ihn schon auf dem Flur und war genau wie Jonathan mit einemschwarzen Tai Chi Anzug bekleidet, auch trug er die entsprechendenSchuhe an den Füßen. Auf ihrem Weg zum Burghügel besprachen siedie Figuren und ihre Reihenfolge. Doch viel gab es da nicht zu klären, daHenry jeden Morgen die Übungen Jonathans beobachtete, um sie dannauf seinem Zimmer nachzuvollziehen.

„So Bomba, du gehst jetzt deine Runde, ich glaube dein Interesse anTai Chi ist noch dasselbe von gestern“. Seine so leicht dahin gesagtenWorte bewirkten, dass er sich plötzlich vorstellte was wäre, wenn sichdas geändert hätte? Vor seinem inneren Auge erschien das Bild vonBomba, wie er auf zwei Beinen stand und die Tai Chi Übungenmitmachte. Das sah so komisch aus, dass er heftig loslachen musste,vor allem weil Bomba dabei sehr viel Gemeinsamkeiten mit dem Pandaaus dem Film Kung Fu Panda entwickelte. Nur vergaß er dabei, dassHenry neben ihm stand und bestimmt keine Erklärung dafür hatte, wasdieser Lachanfall bedeutete. So kam es, dass sich Jonathan vor Lachenden Bauch hielt und der Buttler nicht wusste was das zu bedeuten hatte.Als Jonathan den verdutzten Blick des Buttlers bemerkte, winkte er nurmit der Hand, da ihm augenblicklich die Luft für eine Erklärung fehlte.

„Tut mir Leid Henry, aber ich muss erst wieder zu Luft kommen“, kamenseine Worte dann auch zuerst keuchend und schnaufend. Nachdem ernochmals tief durchgeatmet hatte, erklärte er Henry den Auslöser seinesLachanfalls.

Doch Henry sah ihn nur seltsam an, anscheinend war es ihm nichtmöglich, Jonathans Bilder vom Tai Chi praktizierenden Hund in dieFantasie umzusetzen. Als Jonathan das Unverständnis bei Henrybemerkte verschluckte er sich fast an seinem nächsten Lacher, wasdazu führte, dass seine Fröhlichkeit abrupt endete. Konnten sie auch

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nicht über das Gleiche lachen, so wirkten ihre synchronen, gleitendenBewegungen beim Tai Chi für die heimlichen Beobachter wie eingeübt.

*

„Robert wusstest du, dass Henry dieses, dieses Tai, - na dasSchattenboxen so perfekt beherrscht“, brachte Selma dann auch ihrErstaunen darüber zum Ausdruck, als sie, mit den anderen Bedienstetenzusammen, aus dem Küchenfenster die Aktionen der Beidenbeobachtete.

„Nicht den blassesten Schimmer. Da siehst du wieder mal, welchen Wertes hat, wenn man glaubt die Kollegen zu kennen. Dann wirst du mitsowas konfrontiert", platzte es aus dem Angesprochenen heraus, alswenn er Henry gerade beim Diebstahl des Tafelsilbers erwischt hatte.

„Aber das sieht doch wirklich gut aus, wie die Beiden sich synchronbewegen. Sieht fast so aus, als wenn sie es eingeübt haben“, stellteSally bewundernd fest.

„Vielleicht ist das so oder weiß einer von euch was die Beiden immer sozusammen treiben? Manchmal glaube ich, sie haben ein Geheimnis,irgendwas, dass wir nicht erfahren sollen“, schien sich Will schon längermit dem Gedanken befasst zu haben und ohne es bewusst zu wollen,lenkte er die Gedanken der Anwesenden in eine ganz andere Richtung.

„Aber Will, wie kannst du denn nur sowas denken“, empörte sich Selmasofort. „Wo er doch gerade die ganze Woche mit der blonden Deutschenintensiv herum geturtelt hat.“

„Hab ich etwa behauptet dass die Beiden schwul sind? Ich meinte einGeheimnis was die Beiden teilen und das kann vieles bedeuten“, nahmWill vehement Abstand von dem, was Selma ihm unterstellte.

„Ach so und ich dachte schon“, klang jene daraufhin ein wenig kleinlaut.

„Wenn Frauen schon denken“, meldete sich nun auch noch Benny zuWort, leider übernahm er dabei wieder mal die Rolle des Elefanten imPorzellanladen.

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„Manchmal wäre es wirklich besser, wenn du nur mit deinen Pferdenquatschst, kommt eh nur Stroh heraus, wenn du den Mund aufmachst“,stutzte ihn Robert umgehend zurecht.

„Danke Robert, dass erspart mir die Prozedur den Kleinen übers Knie zulegen oder vielleicht sollte er kein Frühstück von mir bekommen“, brachteSelma ihrem Unmut zum Ausdruck.

„Aber ich habe es doch gar nicht so gemeint“, bereute Benny daraufhinsofort seine vorschnelle Äußerung.

„Leider hältst du dich nicht daran, was ich dir geraten habe, erstnachdenken, dann reden“, wusste auch Will einen Beitrag zu diesemThema.

Nach dem internen Gewitter rauften sich die Bediensteten schnell wiederzusammen, nahmen am Tisch Platz und frühstückten fröhlichschwatzend wie jeden Morgen.

*

Heute stand auf Jonathans Tagesplan mal wieder in dicker Schrift undauch noch unterstrichen der Name Carlotta. Doch das Treffen war erstfür den Nachmittag geplant, so blieb noch ausreichend Zeit für seineKörperertüchtigung, sowie für seine vierbeinigen Freunde Bomba undCaligula.

Als er dann nachmittags mit Carlotta im Garten Tee trank, sprach sie ihnauf seinen Roman an.

„Wie kommst du nur auf solch ausgefallene Sachen?“

„Keine Ahnung Carlotta! Manchmal wäre ich froh, wenn ich wüsste wasda in meinem Kopf abläuft. Es ist genau wie bei meinen Bildern. Sieerschienen vollkommen unangemeldet vor meinem inneren Auge. Wennich mich dann vor meine Staffelei setzte, um sie zu malen, versank dieWelt um mich herum, so dass ich oft den Eindruck hatte, dass ich mich inmein zu malendes Bild begab. Oft bemerkte ich nicht wie die Zeitverging, verspürte keinen Hunger oder Durst, bemerkte nicht mal, dassmeine volle Blase drückte. Oft war ich selbst überrascht, was ich auf dieLeinwand gezaubert hatte, denn ich konnte im Nachhinein nicht sagen,

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wie ich es machte. Viel später habe ich dann etwas darüber gelesen, wieman diesen Zustand nennt. Die Psychologen nennen es Flow. Es ist einmentaler Zustand völliger Vertiefung und restlosen Aufgehens in einerTätigkeit, die von selbst vor sich geht. Man bezeichnet es auch alsTätigkeitsrausch oder Funktionslust.

Bei meinem Roman musst du dir das so ähnlich vorstellen. Ein Gedankeerscheint, stell ihn dir als roten Faden vor, der einfach so herumliegt. Dubückst dich, hebst ihn auf hast die ersten Gedanken schonaufgeschrieben. Und nun geschieht das fantastische, ich bin mitten drinin der Geschichte, erlebe sie. Oft bin ich selbst überrascht welcheWendungen die Geschehnisse in ihr nehmen. Wenn ich die Geschichtedann verlasse, halte ich statt des Faden ein aufgewickeltes Knäul in derHand. Meistens hängt nach genug Faden aus dem Knäul heraus, sodass ich mir keine Gedanken machen muss wie die Geschichteweitergeht. Wenn der Faden wirklich einmal abreißt, so mache ich michnicht verrückt, im Gegenteil ich genieße die Ruhe in meinem Kopf. Dochirgendwann stolpere ich über den anscheinend abgerissene Ende desFadens und das Spiel geht weiter. Genau so entstand mein Roman,auch wenn es verrückt klingt."

Jonathan sah seine Geliebte fast ein wenig verlegen an, weil ihm keinebessere Erklärung einfiel.

"Manchmal glaube ich fast, dass es ein Fluch ist, denn ich kann michnicht dagegen wehren. Ich muss es aufschreiben, damit diese Gedankenmeinen Kopf verlassen, denn sonst geben sie keine Ruhe, da oben drin",dabei schlug er sich mit einer Hand immer wieder vor die Stirn.

Carlotta blickte ihn verständnisvoll an, denn sie konnte sich durchausvorstellen, dass es nicht immer einfach war, wenn das Gehirn seineeigenen Wege ging. Trotzdem fand sie es bemerkenswert, dass er sooffen darüber sprach.

„Du bist wirklich auf vielen Gebieten außergewöhnlich", stellte sienachdenklich fest, nur um nach einer kleinen Pause schmunzelndhinzuzufügen, "wobei mir deine ungebrochene Sexualität am bestengefällt.“

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Jonathan, der aufmerksam zugehört hatte, vernahm die Botschaft, abervor allem sah er in Carlottas Augen dieses verlangende Funkeln. Fürdiesen Blick brauchte es keine Erklärung und so ging er auf ihreGefühlsregung ein, nahm sie in die Arme und küsste sie heiß undinniglich. Dann nahmen sie sich bei den Händen und ranntenausgelassen ins Haus. Als sie später zufrieden nebeneinander lagen,sah Carlotta ihn verträumt von der Seite an.

„Sei ehrlich Jo, du bist nicht von dieser Welt, das würde jedenfalls vieleserklären.“

„Wenn du mich so fragst, dann muss ich dir gestehen, dass ich mir dieFrage öfters schon selbst gestellt habe. Und wenn ich dann sehe, wasandere Menschen so treiben, dann fühle ich mich manchmal schon alsAußerirdischer. Vermutlich muss ich die Gründe aber einfach darinsuchen, dass ich dem Zeitgeist nicht mehr folgen kann - und will. Ja, ichbin ein Dinosaurier, eine aussterbende Spezies, bist du nun zufrieden?“

Carlotta lachte glücklich und streichelte seinen Oberarm. „Ja, wenn dasso ist, dann lasse ich dich eben unter Artenschutz stellen.“

Unbeschwert lachten sie beide auf, denn so ließ sich das Lebenertragen.

„Jonathan, kannst du mir nicht verraten wie es in deinem Romanweitergeht? Ich muss dir gestehen, dass ich ausgesprochen neugierigauf den weiteren Verlauf der Geschichte bin. Muss ich wirklich solangewarten, bis du wieder eine öffentliche Lesung hältst oder ich deinenRoman käuflich erwerben kann?“, flehte Carlotta ihn mit einer Stimmean, die Frauen an den Tag legen wenn sie einen Wunsch unbedingterfüllt haben wollen.

„Natürlich könnte ich dir erzählen wie es weitergeht, doch das wäre nichtdas Gleiche, als wenn ich dir vorlese. Wie zufällig trage ich eine Kopiedes Manuskriptes in meinem Rucksack mit mir herum?“, überraschteJonathan seine Carlotta.

„Du bist wirklich verrückt, wie konntest du das wissen?“ schien Carlottaaußer sich, aber glücklich außer sich zu sein.

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„Das sage ich dir nicht, ein kleines Geheimnis möchte ich dann doch fürmich behalten. Komm wir gehen ins Wohnzimmer, am Tisch ist eseinfacher für mich“, schlug Jonathan einen Platzwechsel vor.

Wenig später zog Jonathan einen dicken Stoß Papier aus dem Rucksackund suchte die Seite, wo er bei seiner Vorlesung stehengeblieben war.Endlich schien er das richtige Blatt gefunden zu haben und schon gingdie Geschichte weiter.

*

Bei der bitteren Nachricht vom Tod ihrer Kinder verbarg Königin Isabellaihr Gesicht in den Kissen und heulte sich die Seele aus dem Leib. Wenigspäter betrat Desdemona in Begleitung eines Priesters das Gemach undblickte die Hebamme herausfordernd an. Jene verstand den gestrengenBlick ihrer Herrin beim besten Willen nicht, war sie sich doch sicher, dieFrischgeborenen an sie übergeben zu haben. Natürlich verbot es sich imBeisein der Königin und des Priesters darüber zu sprechen. Mit kaltemBlick betrachtete Desdemona ihre Rivalin, dann ließ sie sich dieTodgeburten von der Hebamme reichen.

„Wo willst du damit hin, Desdemona“, erklang die schwache,tränenerstickte Stimme der Königin.

Desdemona drehte sich aufreizend langsam um und musterte dieKönigin, so ähnlich wie ein Raubtier seine hilflose Beute fixierte.

„Königin, meint ihr nicht der König sollte hiervon erfahren?“, wobei ihreStimme jegliches Mitgefühl vermissen ließ.

„Ihr seid abscheulich“, stöhnte die Königin auf. „Wollt ihr den Königumbringen, indem ihr ihn mit seinen toten Kindern konfrontiert?“

Desdemonas Blick schien zu sagen, woher wisst ihr, während ihr Mundmoderatere Worte formulierte.

„Ich wollte euch nur diesen schweren Gang ersparen“, heuchelte sie.„Wenn ihr eine bessere Lösung wisst, dann will ich mich nichtaufdrängeln.“

Desdemona spielte ihre Rolle gut, denn fast sah es so aus, als wenn siegekränkt war. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drückte sie dem

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verdutzten Priester die Todgeburten in die Arme, um mit wehendenRockstößen das Gemach zu verlassen. Zurück ließ sie eineunglückliche Königin und einen mit der Situation überforderten Priester.Die Situation, wie der Priester, hilflos mit den toten Kindern im Arm,dastand, hatte zur Folge, dass die Königin ihre Fassung zurück gewann,denn sie traf eine schwere Entscheidung.

„Sprecht ein Gebet für meine unglücklichen Söhne und begrabt sie. Wirwollen das Unheil nicht noch größer machen, als es schon ist.“

Erschrocken hörte die Königin ihre eigene, gefühlskalte Stimme, dochein innerer Zwang befahl ihr diese Anordnung. Hilfesuchend blickte sichder Priester um, doch da war niemand bei dem er Hilfe finden konnte.Die jungen Mägde standen verwirrt in einer Ecke und die Hebamme stahlsich gerade aus dem Gemach.

„Sofort - meine Königin?“, fiel dem Priester nichts Besseres ein.

„Worauf sollten wir noch warten? Ja, natürlich sofort“, erboste sich dieKönigin.

Endlich verstand der Priester, dass er sich der Forderung seinerKönigin nicht entziehen konnte, ohne sich ihren Zorn zuzuziehen. Ernickte und verließ mit den Bündeln das Gemach. Als er vor die Tür trat,blickte er in die nichtssagenden Gesichter der Wachen, die vomFeuerschein der blakenden Fackeln in ein gespenstisches Licht getauchtwurden. Von den rauen Kerlen war gewiss keine Hilfe zu erwarten, alsomachte der Priester sich auf den Weg zum Gesindehaus. Die Burgbesaß keinen offiziellen Bestatter, doch dort würde er sicherlichjemanden finden, der ihm dabei half die Totgeburten unter die Erde zubringen.

Währenddessen spielte sich in einem Nebenzimmer, vom Gemach derKönigin, eine hässliche Szene ab. Wutschnaufend und mit Geifer vordem Mund beschimpfte Desdemona die Hebamme, bis sie endlichbegriff, dass das arme Weib gar nichts für das Missgeschick konnte.

„Ich habe einen Gegenspieler“, sinnierte sie leise, „einen mächtigenGegenspieler. Er war zur rechten Zeit am rechten Ort, er muss auch dieGabe besitzen.“ Die Hebamme stand daneben und verstand gar nichts.

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„Schon gut mein Kind, begib dich wieder zur Königin und berichte mirspäter alles“, entließ Desdemona die Hebamme. „Ich muss jetzt denKönig unterrichten.“

Der König schien von einer Vorahnung befallen, denn er schlug seineHände vors Gesicht, gleich als Desdemona den Thronsaal betrat. Siehätte auch kein Wort sagen müssen, denn ihr war die schlechteBotschaft mitten ins Gesicht geschrieben. Die Nachricht vom Tod seinerKinder bewirkte, dass der König schluchzend auf seinem Thron in sichzusammen brach. Denn statt mitfühlender Anteilnahme, konfrontierte ihnseine Schwiegertochter nur mit ungeschminkten Fakten.

„Zwei Knaben, leider Todgeburten, der Königin geht es den Umständenentsprechend gut, mein König“, gab sie sich nicht die geringste Müheetwas Mitgefühl in ihre Worte einfließen zu lassen.

Vielleicht war es jedoch gerade diese rücksichtslose Kälte, die den Königwieder zur Besinnung brachte. Wackelig stand er auf, ordnete seineKleider und bewegte sich langsam, aber gefassten Schrittes auf denSaalausgang zu, schließlich wollte er seiner verhasstenSchwiegertochter keine Schwächen zeigen. Außerhalb des Thronsaaleswar es jedoch gleich wieder um seine Fassung geschehen. Rechtunköniglich hastete er durch die Gänge dem Gemach der Königinentgegen. Ohne sich um die bestürzt dreinblickenden Wachen zukümmern, stürmte er an ihnen vorbei und hastete ans Bett seinerGemahlin. Besorgt beugte er sich über sie und streichelte ihr fastväterlich übers Haar. Dabei stieß ihm wieder einmal auf, dass er vomAlter her locker ihr Vater sein konnte, doch das war eine andereGeschichte. Er kniete sich neben ihre Lagerstatt hin und ergriff ihreHand.

„Liebe Isabella, wie konnte das nur geschehen?“

Zuerst sah es so aus, als wenn seine Worte nicht bis zu Isabellavordrangen. Vermutlich lag das aber mehr daran, dass genau dieseFrage etwas bei Isabella auslöste. Ja, was war eigentlich geschehen?Seltsamer Weise konnte sie genau diese Frage nicht beantworten. Sounglaublich es klang, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht andie Geburt ihrer Kinder erinnern. Ihre Erinnerungen setzten erst mit derniederschmetternden Nachricht vom Tod der Frischgeborenen wieder

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ein. Dafür erinnerte sie sich jetzt an etwas Anderes, dem sie zuvor keineBedeutung schenkte. Als Desdemona das Gemach betrat, um sich nachdem Verlauf der Geburt zu erkundigen, zeigte sich für einen AugenblickÜberraschung in deren Gesicht. Man konnte es vielleicht sogarBestürzung nennen, was Isabella für einen Moment im Gesicht ihrerRivalin erkannte, bevor jene wieder die gewohnten, nichts sagendeMaske aufsetzte. Eher hätte sie bei ihrer Widersacherin, als solche sahsie die Frau vom unehelichen Königssohn an, so etwas wie Triumpherwartet. Plötzlich keimte tief in ihrer Seele Hoffnung auf. Tief in ihremInneren fühlte sie etwas, dass ihr sagte, dass ihre Kinder noch lebten.Doch obwohl es schrecklich weh tat, sie durfte ihr Geheimnis nichtpreisgeben, sie fühlte, damit würde sie nur das Leben ihrer Kindergefährden. Diese soeben gewonnenen Erkenntnisse ließ sie ihreherzlose Entscheidung, die Todgeburten sofort und ohne jedeZeremonie zu beerdigen, in einem ganz anderen Licht erscheinen.Plötzlich war sie sich ganz sicher, dass es sich bei den Todgeburtennicht um ihre, sonder um fremde Kinder handelte, die ihr untergeschobenwurden. Arme, bedauernswerte Wesen, aber sicherlich nicht von ihremBlut.

„Ein großes Unglück mein König“, ging sie mit Verspätung auf die Frageihres Gemahls ein. „Unter Schock habe ich dem Priester befohlen dietoten Säuglinge sofort zu beerdigen. Es tut mir leid mein Gatte, dochGott wird die unschuldigen Wesen trotzdem zu sich nehmen, dass sollteuns Trost spenden. Entschuldige mich jetzt bitte, ich bin sehr müde.“

Der König war von ihrer Gefasstheit tief beeindruckt, rücksichtsvoll zoger sich zurück. Doch er begab sich nicht wieder in den Thronsaal,sondern stieg die Treppen hinunter, trat aus dem Palast auf den innerenBurghof und schritt auf das Burgtor zu.

„Halt, wer“, führte der Wachposten seinen Satz nicht zu Ende, als er denKönig erkannte. Natürlich hatte er schon vom Schicksalsschlag seinesHerrschers erfahren.

„Der Priester und drei Stallknechte haben erst vor kurzem das Torpassiert“, nahm er allen Mut zusammen, wobei er seinen Königansprach, ohne dass dieser ihn dazu aufforderte. Doch der König war ineiner viel zu schlechten Verfassung, um diesen Fauxpas zu bemerken.

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„Öffnet das Tor, ich will dabei sein, wenn meine Kinder beerdigt werden“,befahl er der Wache.

„Aber mein König, ihr könnt doch nicht allein die Burg verlassen“, gabder Posten zu bedenken.

„Wenn dem so ist, dann begleitet mich einfach“, hatte der König sofortdie Lösung parat.

„Aber ich kann doch nicht einfach meinen Posten verlassen, der Korporalmacht mich fertig, wenn er davon erfährt“, sorgte der König für einenZwiespalt bei seinem Untergebenen.

„Wie ist dein Name Soldat?“

„Roderich, mein König.“

„Also Roderich, dein König befiehlt dir das Tor zu öffnen und ihn zubegleiten. Wer glaubst du hat mehr zu sagen, dein König oder deinKorporal?“

Der Soldat nahm kurz Haltung an, stürzte dann zu der kleinenSeitenpforte und öffnete sie. Die Zugbrücke war wie immer inFriedenszeiten heruntergelassen, wer sollte auch schon Burg Trutzsteinangreifen, den Königssitz des mächtigen Geschlechts der Askanier?Bevor Roderich vors Tor trat, griff er die Fackel aus der Wandhalterungneben dem Tor, um dem König den Weg auszuleuchten. Gemeinsambegaben sie sich dann zum kleinen Friedhof.

Schon von weiten bot sich dem König ein gespenstischer Anblick. EinStallknecht hielt die Fackel, während die anderen das Grab aushoben.Daneben stand, wie versteinert, der Priester mit den gänzlich in Tucheingewickelten Todgeborenen. Während sich die Spaten immer tiefer insErdreich gruben, murmelte der Priester leise seine Gebete. Geradestiegen die Stallknechte aus der Grube und der Priester wollte dieBündel hineinlegen, als das laute, herrische „Halt“ des Königs ertönte.Erschrocken zuckte der Priester zusammen, denn seinen König hatte erhier eigentlich nicht erwartet.

„Gebt sie mir, ich will Abschied nehmen“, forderte ihn der König auf.

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Wortlos reichte ihm der Priester die kleinen Bündel. Ergriffen kniete derKönig nieder.

„Warum Herr, warum?“, brüllte er erbost in die Nacht. Doch danngeschah etwas, womit der König nicht rechnete, denn er glaubte eineAntwort zu hören.

„Weil deine Blutlinie mit den üblen Taten deiner Vorfahren vergiftet ist.Seit Jahrhunderten unterdrückt ihr die Völker von Asgardun, der Tag derAbrechnung ist gekommen“, schien e es vom Himmel zurück zubrüllen.

Erschrocken sprang der König auf und blickte in die unbewegtenGesichter der Anwesenden.

„Habt ihr das auch gehört?“, fragte er sie entgeistert.

Doch die Bediensteten verstanden nicht wovon der König sprach, sieglaubten, dass der Tod der Königskinder seinen Geist verwirrt hatte.Doch dass konnten sie ihm schlecht sagen, also schüttelten sieverneinend ihre Köpfe.

„Habt ihr denn nicht auch die Worte gehört, die vom Himmel heruntertönten?“, verstand der König nicht, dass niemand sonst die anklagendenWorte gehört hatte.

„Welche Worte mein König?“, brachte der Geistliche als einziger denMut auf, den König zu fragen.

Endlich wurde dem König bewusst, dass er als Einziger die anklagendeStimme hörte, auch wenn er sich diesen Umstand nicht erklären konnte.Noch schlimmer empfand er es, dass er mit niemand darüber sprechenkonnte. Zu aufrührerisch war die Botschaft, vor allem wenn dieMenschen, genau wie er, glauben würden, dass sie von Gott kam. Er,der König, hatte jedenfalls keine Zweifel daran.

Ohne auf die Frage des Geistlichen einzugehen, stieg er in die Grube,ließ sich die Bündel reichen und legte sie auf das kalte, feuchte Erdreich.Eine Weile verharrte er kniend neben den Kindern, dann ließ er sich vonzwei Stallknechten aus der Grube helfen. Traurig blickte der König vomRand der Grube auf die leblosen Bündel, bis er schweren Herzens dasZeichen gab das Loch wieder mit Erdreich aufzufüllen. Grübelnd sah er

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den Stallknechten zu, genauso grüblerisch verließ er den kleinenFriedhof, um an der Spitze der kleinen Prozession zur Burgzurückzukehren. Eine unruhige Nacht wartete auf den König, die ihmeinfach keinen Schlaf bescheren wollte, da ihn unheilvolle Vorahnungenheimsuchten.

Weit weg, tief im königlichen Forst, musste sich Max ganz anderenProblemen stellen. Der Tag ging zur Neige und er blickte sich schon seitlängerem nach einem geeigneten Rastplatz für die Nacht um. Als wennder Wald seine Gedanken las, ließ er ihm, durch den plätscherndenGesang eines Baches, eine entsprechende Botschaft zukommen. Umdem Klang folgen zu können, musste Max das Gefährt zwar ein kleinesStück über unebenen Boden in den lichten Wald hineinfahren, dochdann blickte er auf eine märchenhafte Lichtung. Umrahmt von großen,Schutz bietenden Bäumen, befand sich ein kleiner Teich, in dem sichder sangesfreudige Bach sammelte. Diesmal schirrte Max die Pferde ab,versah sie mit Fußfesseln und überließ sie sich selbst. AusreichendWasser und Gras waren vorhanden, dass ersparte ihm eine Arbeit.

„Jenny, ich verschwinde kurz im Wald, um Holz zu sammeln undvielleicht finde ich auch etwas Essbares“, rief er noch in RichtungWagen, um gleich darauf im Unterholz zu verschwinden.

Trockenes Holz gab es zur Genüge und so verwunderte es nicht, dass erschon nach kurzer Zeit bepackt wie ein Esel wieder zum Lagerplatzzurückkehrte. Mit einem Holzspaten schob er Moos und Gras beiseite,um einen passenden Untergrund für das Lagerfeuer zu schaffen. Zwarhatte es stark geregnet und der Waldboden war durchnässt, doch erfolgte der Gewohnheit. Tief in seiner Arbeit versunken ruckte sein Kopfplötzlich herum, fast sah es so aus, als wenn ihn etwas gerufen hatte.Jenny, die sein ungewöhnliches Verhalten bemerkte, blickte in seinGesicht, das ihr deutlich vermittelte, dass sein Verhalten nicht für Gefahrsprach.

„Unser Abendbraten ruft“, erklärte er kurz sein Verhalten, sprang auf undverschwand erneut im Wald, nicht ohne vorher einen langen, seltsamgewundenen, hölzernen Stab zu ergreifen.

Jenny schaute zum wiederholten Male in den Wagen, nur um beruhigtfestzustellen, dass die Zwillinge ruhig schliefen. Zeit die liegengelassene

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Arbeit von Max weiterzuführen. Oft genug übernachtete dieSchaustellertruppe im Freien und so wusste sie was zu tun war, umeinen feuertauglichen Holzstapel herzurichten. Zum Schluss schob sienoch Zunder unter den Holzstoß, bevor sie mit dem Messer über denFlintstein schabte. Ein Funkenregen traf den Zunder und kleine Flammenfraßen sich in den Holzstoß. Max wird zufrieden mit mir sein, bei diesemGedanken umspielte ein vielsagendes Lächeln ihren vollen Mund.

Inzwischen bewegte sich Max zielgerichtet in den Wald hinein, so alswenn er genau wusste, wo er das Gesuchte finden würde. Obwohl ersich sehr rasch bewegte, ließ er die nötige Vorsicht nicht außeracht. ImWald lebten nicht nur Beutetiere sondern auch ihre Jäger, der Bär, derLuchs und die Wölfe. Wer das nicht bedachte, konnte schnell vom Jägerzum Gejagten werden. Vorsichtig näherte er sich einem Gebüsch, schobdie Zweige behutsam beiseite und sah das unglückliche Wesen. EinReh, mit zerschmettertem Vorderlauf, hatte sich zum Sterben in diesesVersteck zurückgezogen.

„Das tut mir wirklich leid, Braunauge. Wenn es dir dein Leben gerettethätte, dann hätte ich auch mit trockenem Brot vorliebgenommen.“Zentimeter für Zentimeter näherten sich seine Hände dem verschrecktenTier. In den weit aufgerissenen Augen des verletzten Tieres erkannteMax den unglaublichen Schmerz, den das arme Reh ertragen musste.

„Du wirst nichts spüren, dass verspreche ich dir. Verzeih mir, dass ichmeinen Hunger an dir stillen werde, doch wenn ich es nicht tue, dannfressen dich Bär, Luchs oder Wölfe.“

Sanft berührte er den Kopf des armen Wesens. Seine einschmeichelndeStimme und die sanfte Berührung seiner Hände beruhigten das Tier. Einletzter Blickkontakt, dann schloss das Reh seine Augenlider, als wenn essagen wollte, ich bin bereit für die letzte Reise. So blitzschnell undkraftvoll ruckten die Hände von Max den Kopf herum, dass dem Tierkeine Zeit blieb, um Schmerzen zu empfinden. Schlaff lag der Kopf mitgebrochenem Genick in seinen Händen. Max sprach ein Gebet für dasReh und zwar in der uralten Sprache der Druiden, dann warf er sich dasTier über die Schultern, ergriff seinen Stab und machte sich auf denRückweg.

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Kurz vor dem Lager sträubten sich plötzlich seine Nackenhaare, denn erspürte deutlich eine Gefahr in seinem Rücken. Blitzschnell ging er in dieHocke, so dass die beiden Pfeile, die seinem Rücken galten, in demtoten Reh einschlugen. Das Reh vom Rücken gleiten lassen,herumwirbeln, den Stab rasend schnell vor sich drehend, so dass er dieFunktion eines Propellers übernahm, schienen eine Bewegung zu sein.Durch seine blitzschnelle Reaktion wehrte er auch den zweiten Angriffab. Die Pfeile konnten den wirbelnden Stab nicht durchdringen undlandeten zerbrochen auf dem Waldboden. Zornig fiel sein Blick auf diezwei Gestalten, die auf ihn geschossen hatten, bei denen es sich auchnoch um Wildhüter handelte.

„So, ihr beiden bösartigen Scherzkekse, zwei Versuche hattet ihr, wennihr dumm genug seid, dann versucht ihr es ein drittes Mal, aber einsversichere ich euch, danach bin ich dran.“

Die so Angesprochenen schauten sich verdattert an, denn soselbstbewusst wagten die wenigsten, ertappten Wilddiebe mit denköniglichen Wildhütern zu reden.

„Du bist ein Wilddieb, wir haben das Recht dich festzunehmen“, gewannder kleinere von Beiden als Erster seine Fassung zurück.

„So, so, festnehmen nennt ihr das, wenn ihr unschuldigen Menscheneinen Pfeil in den Rücken schießen wollt“, stellte Max sarkastisch fest.

„Von wegen unschuldig, du hast königliches Wild gejagt, somit bist duschon so gut wie tot, ob jetzt durch uns oder erst später, wenn dugehängt wirst“, gewann nun auch der zweite Wildhüter wiederOberwasser.

„Seht ihr irgendetwas an mir, mit dem man Rehe jagen könnte? Ich habenach einem uralten Gesetz Anspruch auf das Reh. Ein Gesetz das älterist als alle Gesetze eures Königs. Ich habe das Reh gefunden und wirschlossen ein Abkommen. Ich erlöste das Tier von seinen Qualen“, dabeizeigte Max auf den zertrümmerten Vorderlauf, „dafür schenkte es mirsein Fleisch.“

Die beiden Wildhüter schauten sich an, als hätte der Mann ihnen geradeallen Ernstes erklärt, dass er morgen zum König gekrönt würde.

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„Swarf, hast du je von einem solchen Gesetz gehört?“ Erstaunenschwang in der Stimme des Größeren als er seinem Partner die Fragestellte.

Swarfs konzentrierter Gesichtsausdruck wurde durch ein dumpfesGeräusch abrupt beendet, welches dadurch entstand, dass der Holzstabvon Max, in schnellem Flug, mit dem flachen Ende, gegen Swarfs Stirnschlug. Während Swarf die konzentrierten Gesichtszüge entglitten, umeinem friedlichen, entspannten Gesichtsausdruck platzzumachen, blicktesein großgewachsener Kollege auf die Szene, nur um festzustellen, wieSwarfs Körper übergangslos in sich zusammensackte, als wennurplötzlich alle Knochen aus seinem Körper entfernt wurden. Bevor derLange seinen Schrecken verdaute, war Max bei ihm und hielt ihm seinMesser unter die Nase.

„Aber ihr habt doch gesagt, wir hätten drei Versuche, dann erst wäret ihrdran“, schwankte die Stimme des so Überraschten zwischenUnverständnis und beleidigt sein.

„Du bist noch dümmer als ich dachte und ich dachte wirklich nicht gutvon dir. Aber du hast bald viel Zeit zum Nachdenken, da solltest du dichmal fragen, warum hätte ich noch zaudern sollen, wenn am Ende derStrick auf mich wartet?“ Während Max mit dem Wildhüter sprach, nahmer ihm die Waffen ab und durchsuchte seine Kleidung. Dabei fand Maxmehrere Lederschnüre, vermutlich um Gefangene zu fesseln.

„Na wie passend“, frohlockte er und fesselte dem Langen die Hände aufdem Rücken. Anschließend unterzog er den Bewusstlosen der gleichenProzedur.

„Noch ein gut gemeinter Rat, mein Freund. Geht immer in dieseRichtung“, dabei zeigte Max in die Richtung aus der die Wildhüterkamen. „Dreht euch nicht um und wechselt nicht die Richtung, denn dasnächste Mal kommt ihr nicht so glimpflich davon.“

Der Lange stierte Max aus Augen an, die die Welt nicht mehrverstanden.

„Verstanden?“, ließ Max gestrenger Ton keinen Zweifel daran, dass esihnen das nächste Mal an den Kragen ging.

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Fast schon gelangweilt drehte sich Max um, ergriff seinen Stab underweckte so den Anschein, als wenn die Angelegenheit für ihn damiterledigt sei. Vollkommen überraschend stieß er plötzlich mit dem Stabnach hinten, wobei er den soeben Angesprochenen zielgenau an derStirn zwischen den Augen traf. Wie vom Blitz gefällt legte jener sichneben seinen Kumpel ins weiche Moos.

„Entschuldige, aber ich vergaß zu erwähnen, dass ihr den Rückweg erstnach einem kleinen Schläfchen fortsetzen werden. Gehabt euch wohlund hoffentlich begegnen wir uns nie wieder.“

Nachdem Max die Köcher mit den Pfeilen, die Bögen und das Rehirgendwie auf seinen Schultern untergebracht hatte, machte er sich ausdem Staub und überließ die Wildhüter ihrem Schicksal. Wenn sie spätermit mächtigen Brummbirnen aufwachten, sollten sie auch mit gefesseltenHänden in der Lage sein ihren Heimweg anzutreten. Aber egal wie sieden Rückweg meisterten, er hatte kein Mitleid mit ihnen. Als er sich demLager näherte, gewahrte er Jenny im Feuerschein, wie sie einen derKnaben stillte.

„Ist doch eine praktische Einrichtung, dass eine Mutter immer die gefüllteMilchflasche mit sich herumträgt und die Milch sogar immer die richtigeTemperatur besitzt. Und wenn dann die Milchflaschen auch noch soprächtig aussehen“, brach er den Satz ab und schaute ungeniert aufJennys pralle Brust.

Jenny errötete leicht, vielleicht gerade, weil ihre Gefühle für Max mehrals nur Bewunderung beinhalteten. Seit längerem bemühte sie sichdarum Max ihre Gefühle zu zeigen, wobei ihr der Angebetete freundlich,aber fast schon väterlich zu verstehen gab, dass er der Ansicht war,dass er viel zu alt für sie sei. Zwar kannte niemand das genaue Alter vonMax, doch gemeinhin schätzte man ihn auf Anfang vierzig. Wer jedochtiefer in seine eisgrauen Augen blickte, der glaubte in ihnen etwas zuerkennen, dass schon den Anbeginn der Zeit miterlebt hatte. Max warund blieb eben ein Mann, den ein Geheimnis umgab. Vielleicht war essogar gekränkte Eitelkeit, die Jenny in die Arme eines anderen trieb? Aufjeden Fall tröstete sie sich mit einem jungen Mann, als dieSchaustellertruppe in der Mark Menzo auftrat. Marken, so nannten dieMenschen heutzutage die ehemaligen Fürstentümer. Es kam wie es

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kommen musste. Jennys Liebe zu dem jungen Mann hatte keinenBestand, brachte ihr aber einen kleinen Sohn, den sie Menzo nannte.Vor kurzem hatte ihr das Schicksal ihren Sohn genommen, dafürschenkte ihr Max soeben zwei neue Kinder.

Herausfordernd sah sie ihm in die Augen, ganz hatte sie die Hoffnungdarauf, dass er ihre Zuneigung erwiderte, noch nicht aufgegeben.Verwirrt durch ihre Reaktion wandte sich Max dem Reh zu. Ausweidenund abhäuten nahm seine Aufmerksamkeit voll in Anspruch. ZumSchluss steckte er das Reh auf den Spieß, der dann auf denEisenstangen landete, die schon im Boden am Lagerfeuer steckten.Jenny, die kurzfristig im Planwagen verschwand, um den SäuglingBenidor zu seinem Bruder zu legen, gesellte sich nun wieder zu Max ansLagerfeuer und setzte sich neben ihn ins Gras. Dabei streifte eintrauriger Blick ihren Angebeteten.

„Kannst du mich nicht wenigstens ein ganz klein bisschen lieb haben?“,dabei senkte sie ihren Blick und gab ihrer Stimme einen Klang, die jedenMann sofort als Beschützer auf den Plan gerufen hätte.

Max schien sich zu verstellen, denn er tat so, als wenn er ihre Worte garnicht hörte. Da sie jedoch in ihrer abwartenden Pose verharrte, fühlte ersich dann doch bemüßigt darauf zu reagieren.

„Die Rolle, der hilflosen, schutzbedürftigen Frau steht dir gut, vielleichtsollten wir sie in eines unserer Theaterstücke einbauen. Aber im ErnstJenny, ich habe dich nicht nur ein bisschen lieb. Doch vor mir liegt eineschwierige, gefährliche Aufgabe, die mich vollkommen in Anspruchnimmt. Für mich ist es wichtig, dass ich dafür vollkommen frei in meinenEntscheidungen bin, dass erscheint mir unmöglich, wenn ich michgefühlsmäßig an jemanden binde. Wahrscheinlich kommt es sogar zuKampfhandlungen und wer will schon vorhersagen wie die ausgehen.Nicht nur der Kampf könnte verloren gehen, ich könnte dabei auch meinLeben verlieren. Ginge ich eine Liebesbeziehung ein, so hätte ich immerein schlechtes Gewissen, weil ich mich dieser Aufgabe verschriebenhabe und die Geliebte immer zurückstehen müsste, verstehst du?“

Seine Worte verklangen, bis die Beiden nur noch die Stille der Nachtumgab. Nein, nicht ganz. Von dem Braten tropfte zischend Fett auf dieGlut, weit entfernt erklang der Ruf eines Käuzchens und eines der

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Pferde schnaufte. Es dauerte seine Zeit, bis Jenny ein Licht aufging,dass Max gar nichts gegen sie hatte, sondern eher belanglose Gründevorschob.

„Aber Max, so war das schon immer im Leben. Alle Menschen geheneiner Aufgabe nach, alle Menschen können den Kampf verlieren, alleMenschen können dabei sterben, doch das hinderte sie bisher nichtdaran sich zu verlieben. Und wer ist schon frei in seinenEntscheidungen, immer macht man sich Sorgen um Menschen, dieeinem nah stehen, trotzdem muss jeder Mensch immer wiederEntscheidungen treffen“, brachte sie nun sehr deutlich zum Ausdruck,wie sie über Max Aussage dachte. Dass sie seine Worte für Ausflüchte,nur für Ausflüchte hielt.

In Max Gesicht zeichnete sich ein gewisses Erstaunen ab, als er sicheingestehen musste, dass er Jennys Logik nichts entgegenzusetzenhatte.

„Trotzdem, ich kann nicht anders, da ich mir einfach nicht sicher bin, obich beidem gewachsen bin“, brachte er einen letzten, schwachenEinwand vor.

„So, so, der große Maximus hat Beziehungsängste.“

Mit dem feinen Gespür einer liebenden Frau hatte sie treffsicher dieSchwachstelle in seinem Abwehrbollwerk erkannt. Langsam rückte sienäher an ihn heran und kuschelte sich an seine Seite. Gerade als Jennyglaubte das Wild gestellt zu haben, sprang Max auf.

„Riechst du es nicht auch, ich glaube der Braten ist angebrannt. Daskommt davon, wenn man sich von seiner Arbeit ablenken lässt. Hätte ichden Braten weiter gleichmäßig gedreht, dann wäre das nicht passiert“,unternahm Max den Versuch seiner Begleiterin ein schlechtes Gewisseneinzureden.

„Was interessiert mich der Braten?“, erwiderte Jenny mit verklärterStimme, was Max nicht davon abhielt die äußeren Teile des Bratens mitdem Messer abzutrennen.

„Jenny, würdest du mir bitte den Teller reichen, damit ich dieFleischstücken darauflegen kann?“, unternahm Max das nächste

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Ablenkungsmanöver, indem er in die Rolle des Fleischvorlegersschlüpfte. Seine Hoffnung, dass das andere Thema damit erledigt sei,sollte sich jedoch nicht erfüllen.

„Seltsam“, ließ sich Jenny dann auch nicht davon beirren, „ich hörteFrauen davon sprechen, dass es Männer geben soll, denen gewissefleischliche Genüsse wichtiger sind, als gebratenes Fleisch zu servieren“,stichelte sie, kam aber seiner Aufforderung trotzdem nach.

Kurz darauf, beim Genuss des Bratens, schienen sich dieUnstimmigkeiten langsam in Nichts aufzulösen und als Max später auchnoch einen Tropfen Roten kredenzte, trieb die Geschichte endlich in dieRichtung, von der Jenny schon so lange träumte. Gerade als Jennyglaubte die Burg sei sturmreif und sie Anstalten machte, um dieschutzlose Festung einzunehmen, krähte einer der Zwillinge aus demWagen. Verärgert brach Jenny das erfolgversprechende Techtelmechtelab und eilte zum Wagen.

„Irgendwer da oben scheint etwas dagegen zu haben, dass ich hierunten mein Glück finde“, murmelte sie auf dem Weg zum Wagen.

Leider war damit auch der Abend gelaufen, denn nun stimmte auch nochder zweite Zwilling in das Gebrülle ein. Dank Jennys Bemühungendauerte es nicht lange und aus dem lauten Gebrüll wurde ein immerleiser werdendes Schluchzen, das bald gänzlich verstummte. Als Maxhinten in den Wagen hineinschaute konnte er im Dunkeln schemenhafterkennen, das Jenny sich gegen ein paar Deckenrollen lehnte und injedem Arm einen Zwilling wiegte. Max griff sich eine Decke aus demWagen und bereitete sich unter dem Planwagen sein Nachtlager. Schonvor Morgengrauen erwachte er, hängte den Pferden Futtersäcke mitHafer um und schirrte sie an. Noch ein paar herumliegende Sacheneinsammeln, dann stieg er auf den Bock und fuhr langsam in denaufgehenden Tag hinein. Bald darauf drangen durch die PlaneGeräusche zu ihm, die dafür sprachen, dass auch Jenny und dieZwillinge aufgewacht waren. Nach einer gewissen Zeit, die Jennybrauchte, um die beiden hungrigen Mäuler zu stillen und die Babys zuwickeln, kletterte sie durch den Schlitz in der Plane zu Max auf denFahrerbock. Keiner von ihnen schien jedoch zu wissen wie man den

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Faden vom gestrigen Abend wieder aufnehmen konnte. So saßen sieschweigend nebeneinander und schauten in eine ungewisse Zukunft.

Nach einer Woche erreichten sie die kleine Ortschaft Huntingen, amnördlichen Rand des Königsforstes, ein wirklich kleines Kaff, das nurexistierte, weil an diesem abgelegenen Ort der oberste, königlicheWildhüter seinen Sitz aufgeschlagen hatte. Wie verabredet stießen siehier auf den wartenden Rest der Schaustellertruppe. Diedazugehörenden zwei Planwagen standen jedoch außerhalb derOrtschaft an einem Weiher. Zwischen den Planwagen hing Wäsche aufder Leine und ein Großteil der Truppe nutze die Gelegenheit um einMorgenbad zu nehmen. Nur die dicke Nelly, welche die Köchin undWäscherin der kleinen, gut funktionierenden Gemeinschaft war, schiennicht am morgendlichen Bad teilzunehmen. Doch als die Badenden denheranfahrenden Planwagen bemerkten, sprangen sie aus dem Wasserund wickelten sich bereitliegende Tücher um ihre nackten Körper.Neugierig blickten sechs Augenpaare dem heran rollenden Wagenentgegen. Als wenn sie Angst hatten etwas Wichtiges zu versäumen,kamen vier Hunde, laut kläffend über die Wiesen angerannt, um amEnde winselnd, um den ankommenden Wagen, herumzuspringen.

„Brrrr“, brachte Max die Pferde zum Stehen.

Mit erwartungsvollen Gesichtern traten die dicke Nelly, dieamazonenhafte Artemis, der gewaltige Golo, der lausbübische Odo, dergrauhaarige Fergus und der zwergenhafte Albin von hinten an denWagen heran. Vor vielen Tagen, bevor sich Max und Jenny auf den Wegmachten, servierte Max dem Rest der Schaustellertruppe dasAmmenmärchen von einer armen Familie, die der Not gehorchend, einesihrer Kinder der Schaustellertruppe überlassen wollten. Max, der zu derZeit noch von einem Säugling ausging, glaubte zu dieser List greifen zumüssen, um dessen wahre Herkunft zu verbergen. Natürlich waren sichdie Mitglieder der Schaustellertruppe darin einig, dass die Entscheidungder armen Eltern nachvollziehbar war, schließlich erschien alles besser,als ein Kind auszusetzen und dem Hungertot preiszugeben. Wie großwar jedoch ihr Erstaunen, als sie die Plane des Fuhrwerks beiseiteschlugen und Zwillinge in Jennys Armen erblickten.

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„Schlimme Zeiten, wo Eltern ihre Kinder nicht ernähren können und sieweggeben, damit die Kleinen eine Überlebenschance erhalten“, erklangder tiefe Bass von Golo. „Au, warum trittst du mich denn Albin?“,wechselte plötzlich seine Stimme in eine etwas höhere Tonlage.

„Heb mich endlich hoch Dicker, ich will die Kleinen auch sehen!“, dröhnteder ebenso tiefe Bass des Zwerges. Wie es ging, dass ein Zwerg eine sounglaublich tiefe Stimme besaß, war allen ein Rätsel. Als wenn es sichbei Albin um eine Feder handelte, hob Golo ihn hoch, so dass der Zwergnun ebenfalls die beiden Säuglinge betrachten konnte.

„Ach sind die beiden Dinger süß“, quietschte die dicke Nelly.

„Aber schaut doch nur diese Ähnlichkeit. Wenn sich das im Laufe derZeit nicht gibt, dann haben wir ein Problem, um die Beidenauseinanderzuhalten“, ergänzte Artemis, die Amazone der Truppe.

Nur der alte Fergus sagte nichts, doch seine Augen sprachen Bände.Währenddessen sprangen zwischen den Beinen der Versammelten dieHunde wie verrückt herum, auch sie wollten die neuen Mitglieder desRudels begrüßen. Max fand an dem Gewusel der Hunde keinenGefallen, stieß einen schrillen Pfiff aus und zeigte mit der Handauffordernd nach rechts. Schnurstraks begaben sich die mittelgroßenHunde, undefinierbarer Rassen, an den gezeigten Ort und setzten sichabwartend hin. Blacky, Fleck, Raffzahn und Einohr, den aber alle nurÖhrchie nannten, schienen zu wissen, wer hier der Leitwolf war.Geduldig warteten sie auf das nächste Kommando ihres Herrn. BevorJenny aus dem Wagen stieg, reichte sie die Säuglinge Nelly undArtemis.

„Du hältst gerade Aberon“, erklärte Jenny der dicken Nelly, „und du“, anArtemis gewandt, „hältst Benidor im Arm.“

„Jenny, erklär mir bitte bei Gelegenheit wie du die beiden Eierauseinanderhältst“, erwiderte Artemis bewundernd.

„Wurde aber auch Zeit, dass endlich mal frisches Blut in die Truppekommt, wir sind total überaltert“, dabei grinste der alte Fergus die beidenFrischlinge an, so dass man seine Zahnlücke sah.

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„Fergie, hör sofort zu grinsen auf, du erschreckst mir die Kleinen“, blaffteihn Jenny an.

„Lernt bitte schnell laufen, dann kann ich auch mal den Anführerspielen“, schaute Odo sehnsüchtig in die Zukunft.

„Wenn die Phase eurer Begrüßung und Kennenlernens hiermitabgeschlossen ist, so erachtete ich es für wichtig, dass auch die Hundedie neuen Mitglieder der Truppe kennenlernen“, stellte sich Maxdemonstrativ vor Nelly und Artemis. Dabei hielt er die Arme so, dass diebeiden Frauen ihm die Säuglinge hineinlegen konnten. Langsam undruhig begab er sich zu den Hunden, um sich vor ihnen hinzuknien.Hinter sich hörte er nur leises Getuschel. Max wusste was das zubedeuten hatte. Sein menschlichen Begleiter verstanden nicht, warumer sich so viel Mühe mit den Hunden gab, sie fast so behandelte wieMenschen. Andererseits mussten sie im Laufe der Zeit anerkennen, dassdie Hunde gut in ihr Programm passten. Die Hundenummer war bei denZuschauern immer beliebt und so hatten sie sich fast damit abgefunden,dass die Hunde so etwas wie vollwertige Schaustellermitglieder waren.Noch immer saßen die Hunde artig auf ihren Plätzen und warteten.

„Das hier ist Aberon“, dabei hob er den rechten Arm leicht an, „und hierhalte ich Benidor“, dabei wurde der linke Arm angehoben. „Ihr dürft siejetzt gleich ganz vorsichtig beschnüffeln, aber es wird nicht geleckt.“

Zuerst gab er Raffzahn durch ein leichtes Nicken das entsprechendeZeichen. Der alte Raffzahn war eindeutig der Anführer der kleinenHundemeute, jedenfalls, wenn Max nicht in der Nähe war. Geschmeidignäherte sich Raffzahn und beschnüffelte zuerst Aberon dann Benidor.Während auch Fleck, Einohr und der junge Blacky die Kennen-Lern-Zeremonie vollzogen, erklärte ihnen Max, dass die jungen Welpen, sonannte er die Säuglinge, schutzbedürftig seien und dass siebedingungslos deren Leben zu schützen hätten.

„Wenn ihr mich verstanden habt, dann gebt das Zeichen.“

Nacheinander schritt die Hundemeute an ihm vorbei, wobei jeder, imVorübergehen, ihm die Schnauze ins Gesicht stupste. Max schien mitdem Verlauf zufrieden, denn er erhob sich und übergab die Säuglingewieder Jenny.

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„Die Angelegenheit ist geklärt. Ab jetzt werden vier weitere Augenpaareauf die Kleinen aufpassen“, versicherte Max den anderen zufrieden.

„Wie beruhigend“, erwiderte Jenny schnippisch. „Deine Köter sollen sichbloß nicht einbilden, dass sie im Wagen bei den Kleinen schlafen dürfen,um sie zu bewachen.“

Leicht beleidigt drehte sich Max ab und begab sich zu den Pferden, umsie abzuschirren. Auf dem Weg dorthin warf er den anderen noch dieAnkündigung an den Kopf, dass sie morgen aufbrechen würden. Odoentfernte sich aus dem Kreis derjenigen, die aufgeregt die Neuigkeitendiskutierten, um Max beim Abschirren der Pferde zu helfen.

„Geht’s endlich zurück nach Arthuradon?“, schien Odo mehr die Neugierdarauf als Hilfsbereitschaft angetrieben zu haben.

„Sieht so aus, Odo. Schließlich wird es bald Herbst und in dieserregenreichen Zeit werden die Straßen immer schlechter befahrbar. Alsoerscheint es mir vernünftiger schon jetzt ins Winterquartier zurückkehren.Besser zu früh, als zu spät oder gar nicht“, machte Max kein Geheimnisaus seinen Plänen.

„Arthuradon“, stieß Odo seufzend aus. Odo liebte diese riesige Stadt mitihrem pulsierenden Leben. Dort lag ihr Winterquartier, auf einem großenAnwesen, im dritten Bezirk der Stadt, das Max sein Eigen nannte.

Um die Stadt mit ihren Ausmaßen und Gliederungen zu verstehen,musste man ihre Geschichte kennen. Dazu gehörte, dass Arthur I., als erAsgardun unterwarf und sein neues Königreich begründete, die Stadtaus dem Nichts aus dem Boden stampfte. Sie sollte seine neueHauptstadt sein. Als erstes baute er eine neue Burg in der Gabelung dergroßen Flüsse Vatyr und Vatyrraq. Südlich davon entstand die Altstadt,da die anderen Seiten der Burg von den Flüssen begrenzt wurden. Ausder ehemaligen Altstadt, entstand später, als die Stadt sich weiterausdehnte, der erste Bezirk mit dem neu erschaffenen Palastviertel. Dortwohnte der Hofstaat mit seinen Beamten und Bediensteten, aber auchMenschen, die in den königlichen Werkstätten oderVersorgungseinrichtungen beschäftigt waren. Nicht zu vergessen dieGünstlinge des Königs. Doch die neue Hauptstadt zog im Laufe der Zeitimmer mehr Menschen an. Da die Altstadt bald aus den Nähten platze,

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siedelten sich die Neuankömmlinge südlich davon an. Irgendwann zogman auch um diese Häuser eine Stadtmauer, so entstand der zweiteBezirk. Doch die Hauptstadt verlor nichts von ihrem Reiz, wirkte weiterwie ein Magnet auf die Menschen dieser Welt. Noch mehr Menschenund es entstanden weitere Wohnstätten. Um die sich weiterausbreitende Metropole wurde eine weitere Stadtmauer gezogen, soentstand der dritte Bezirk.

An dem Zustrom von Menschen war bis heute nicht abgerissen. Einigewaren Glücksrittern, andere nur Menschen, die hofften in derHauptstadt ihr Auskommen zu finden. So kam es, dass außerhalb derStadtmauern immer mehr ärmliche Hütten von jenen entstanden, derenHoffnungen sich nicht erfüllten. Doch Max und seine Leute gehörten zuden Begünstigten, die innerhalb der Mauern der riesigen Metropole eineHeimat gefunden hatten. Hier fanden sie auch immer ein dankbaresPublikum, welches ihnen den Lebensunterhalt sicherte. Lief dasSchaustellergeschäft mal nicht so besonders, dann hatten sie durch MaxHeilkunst ein zweites finanzielles Standbein. Max war berühmt für seineHeilkunst, deshalb stand auf dem großen Schild über dem Tor zu seinemAnwesen auch in goldenen Lettern Circus Maximus & Medicus.

„Das sind wirklich gute Nachrichten“, stellte Odo voller Überzeugungfest.

Am nächsten Morgen brachen sie in aller Frühe auf, denn der Weg zurHauptstadt war weit. Wenn alles gut lief, dann erreichten sie Arthuradonin fünf Wochen.

„Und es lief alles gut“, schloss Jonathan seine private Vorlesung fürCarlotta.

*

„Sei mir nicht böse Carlotta aber ich muss langsam zurück, den Fünf-Uhr-Tee habe ich schon verpasst und wenn ich nicht vor demAbendessen erscheine, muss ich mir irgendwelche blöden Ausredeneinfallen lassen.“

„Ach du mein Armer, bei deiner Fantasie wirst du schon eine schöne,aber vor allem überzeugende Geschichte aus dem Ärmel zaubern, umdeine Bediensteten weiter hinters Licht zu führen. Auf jeden Fall hast du

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mich mit deiner Privatvorlesung richtig neugierig auf den weiteren Verlaufder Geschichte gemacht. Jonathan sei ein Lieber und überlass mir deinManuskript, - bitte.“ Carlotta sah ihren Geliebten mit einem Ausdruck inden Augen an, dem er sich nicht entziehen konnte.

„Aber natürlich meine Liebste“, wusste Jonathan sowieso keinen Grundwarum es nicht so sein sollte. „Aber lies nicht die ganze Nacht, morgenist auch noch ein Tag“ verabschiedete er sich mit einem Kuss von ihr.Kaum hatte Jonathan das Zimmer verlassen, griff sich Carlotta dasManuskript und begab sich ins Schlafzimmer, um es sich im Bettgemütlich zu machen. Aufgeregt schlug sie die nächste Seite desManuskriptes auf, um sich fasziniert den schwarzen Schriftzeichenhinzugeben.

*

Die Blätter an den Bäumen hatten sich schon verfärbt und der Wind bliesheftiger, als die Monate zuvor, der Herbst kündigte sich an. Man schriebdas Jahr 848, Mitte Temborius. Desdemona stand am Fenster ihresGemaches und schaute von ihrem erhöhten Platz auf die Dächer undTürme der Hauptstadt Arthuradon herunter. Ihr ins Alter gekommenerSchwiegervater, König Ulf, hatte sich auf Burg Trutzstein zurückgezogenund überließ die Regierungsgeschäfte seinem Sohn Brago. Desdemonazog die Luft und die Gerüche der Stadt tief ein, denn endlich war sie demZiel ihrer Träume ein großes Stück näher gekommen. Obwohl sie zurzeitnur im Hintergrund an den Fäden der Macht zog, genoss sie diesenZustand in vollen Zügen. Leider wurde ihre gute Laune durch denUmstand getrübt, dass sie noch immer nicht die königlichen Zwillingeaufgespürt hatte.

Gespannt erwartete sie die Ankunft zweier, ihr treu ergebenerGefolgsleute. Desdemona hatte die Beiden letztes Jahr nach Mhyritriasgeschickt, in der Annahme, dass die Knaben vielleicht dort, auf der Inselder Druiden, versteckt gehalten wurden. Ein Grund für ihre Vermutungberuhte auf den seltsamen Umständen, wie die Frischgeborenen ausBurg Trutzstein verschwanden. Obwohl die Druiden schon seitJahrhunderten verschwunden waren, stand für sie fest, nur einNachfahre der Zauberer besaß die Fähigkeiten, um der Hebamme als ihrEbenbild zu erscheinen. Mhyritrias war von jeher die Heimat der Druiden

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und so lag für sie die Vermutung nah, dass der Geheimnisvolle,vermutlich Nachfahre jener Rasse, die Königskinder, in denunzugänglichen Bergen der Insel, ihrem Zugriff entzog.

Kraftvoll, fast schon unverschämt, klopfte es an die Tür ihres Gemachs.Das konnten nur Einar oder Hagen sein, niemand sonst wagte so laut andie Tür zu klopfen wie die beiden Nordmänner. Die Beiden stammtenaus Eyskandyr, einem wilden, unbarmherzigen Land, dem nördlichstenTeil von Handun, wie man das Festland auch nannte. Eyskandyr lag aufder anderen Seite des Fanggründel-Meeres, nordöstlich vom GroßreichAskalan. Die äußerst raue Welt von Eyskandyr gestattete menschlichesLeben nur in den geschützten Fjorden der Küstenregionen. Landschaftund Klima sorgten dafür, dass nur ein ganz besonders harter, zäherMenschenschlag den Anforderungen dort gewachsen war.

Von Zeit zu Zeit bestiegen diese wilden Nordmänner ihre Drachenboote,um die Küstenorte der Marken Vrandyx und Quantaq heimzusuchen.Einar und Hagen hatten bei einem dieser Raubzüge Pech, sie gerietenmit ihrem Trupp in einen Hinterhalt der Schutztruppen Askalans. Obwohlzahlenmäßig weit unterlegen ergaben sich die Nordmänner nicht. SichErgeben war gegen ihre Natur, gegen ihren Glauben und so kämpfte sieohne Furcht vor dem Tod bis zum letzten Atemzug. Glaubten sie dochfest daran, dass sie auf diese Weise schnurstracks in die Halle ihrerAhnen gelangten. Die große Übermacht der Schutztruppe führte dazu,dass alle Nordmänner, bis auf Hagen und Einar getötet wurden. Wasjedoch nicht heißt, dass die beiden sich ergaben, sie waren einfach soschwer verletzt, so dass sie keinen Widerstand mehr leisten konnten.Einzig diesem Umstand verdankten es die Verteidiger von Askalan, dasssie die beiden Nordmänner lebend gefangen nehmen konnten. Wärendie Gefangenen jedoch nicht aus einem so zähen, widerstandsfähigenMaterial geschaffen, dann hätten sie den beschwerlichen Transport nachArthuradon bestimmt nicht überlebt. Anstatt an der Küste, gleich nebenihren Kammeraden, verscharrt zu werden, landeten sie in den Verliesender Burg, um dort auf ihre Hinrichtung zu warten.

Desdemona, immer auf der Suche nach todesmutigen Kriegern, erfuhrdurch ihr gut funktionierendes Spitzelsystem von den Nordmännern, diegegen alle Wahrscheinlichkeit dem Tod bisher getrotzt hatten. Persönlichbegab sie sich in das stinkende Verlies, um sich ein Bild von den

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Männern zu machen. Instinktiv erkannte sie, dass die Beiden für ihreZwecke wie gemacht waren. Desdemona ordnete an, dass dieGefangenen in eine saubere Kammer verlegt wurden, wo sie neueingekleidet wurden und auch reichlich zu Essen und trinken bekamen.Als sie dann wieder vor die Beiden trat, lockte sie nicht nur mit demAngebot, Treue für Leben und Freiheit, sondern auch mit ihrenweiblichen Reizen.

Das Angebot war für Einar und Hagen zu verlockend, um esauszuschlagen. Hätten sie im Zweikampf, mit einem Schwert in derHand, sterben dürfen, dann wäre das ihr Weg gewesen, doch im Falleder Ablehnung wartete auf sie der wenig ehrenvolle Tod durch denStrick. Ohne Waffe in der Hand sterben zu müssen, war für jedenNordmann das Schlimmste was ihm passieren konnte. Ihm blieb derEintritt in die Halle der Ahnen versagt. Unter diesem Gesichtspunkthatten sie eigentlich keine andere Wahl und so nahmen sie DesdemonasAngebot an.

Schnell erkannte Desdemona die Qualitäten der Nordmänner undbeglückwünschte sich zu ihrem Glücksgriff. So war es auch kein Zufall,dass die Kämpfer aus dem Norden recht schnell zu ihren ganzpersönlichen Leibwächtern avancierten. Um sich die Beiden gefügig zumachen, kannte Desdemona keine Skrupel und setzte weiterhin auchihren Körper ein und wie gut sie darin war, ließ sich daran erkennen,dass ihr Einar und Hagen schon nach kurzer Zeit bedingungslos ergebenwaren. Auf Desdemonas Befehl würden sie, ohne mit der Wimper zuzucken, dem Tod ins Auge sehen. Zurzeit standen sie vor der Tür undwarteten ergeben auf ihr „herein“. Desdemona ließ genau so viel Zeitverstreichen, dass es keinen Zweifel daran gab, wer hier das Sagenhatte, dann erst ertönte ihr „herein“.

Schon der Anblick der beiden Nordmänner konnte diesen und jenen inAngst und Schrecken versetzen. In ihren kurzärmligen Wamsen mitFellkragen, kamen die Tätowierungen auf ihren muskulösen Armenauffällig zur Geltung. Die halblangen Hosen und Sandalen waren ausdem gleichen, weichen Leder gefertigt. An ihren breiten Ledergürtelnbefanden sich eine kleine Streitaxt und ein langes Messer. Doch amauffälligsten waren ihre vernarbten, kalt dreinblickenden Gesichter mitden strohblonden, störrischen Haaren und den unnatürlich blauen

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Augen. Unaufgefordert knieten beide sofort nieder, ohne jedoch devotden Blick zu senken. Als sich die schmalen Lippen von Einar öffneten,gaben sie ein gesundes Raubtiergebiss frei.

„Immer zu Diensten Herrin!“

Ein herablassender Wink von Desdemona ließ die Beiden aufstehen.Desdemona zeigte auf den Tisch, auf dem zwei goldene Pokale standen.

„Leider gibt es nichts zu feiern, Herrin“, kam Hagen gleich auf den Punkt.

„Wir haben uns gewissenhaft umgehört, haben Geld und Gewalteingesetzt, doch niemand hat zwei ähnlich aussehenden Knabengesehen oder auch nur von ihnen gehört. Auch der anderen Sache sindwir nachgegangen, ebenfalls ohne Erfolg. Sollte noch ein Druide aufMhyritrias leben, so pflegt er jedenfalls keinen Kontakt zu den dortansässigen Menschen.“

Desdemonas Enttäuschung hielt sich in Grenzen, eigentlich bestätigtensich nur ihre Ahnungen.

„Trinkt trotzdem, schließlich ist es nicht eure Schuld, dass sich dieKnaben in Luft aufgelöst haben. Wie immer habt ihr eure Arbeit zumeiner vollsten Zufriedenheit erledigt und das ist immer eine Belohnungwert.“ Ungeniert knöpfte sie ihr Kleid auf und ließ es zu Boden gleiten.Nackt und aufreizend bewegte sie sich zu dem großen, breiten Bett. Denbeiden Nordmännern schien diese ungewöhnliche Art ihrerSchattenkönigin nicht vollkommen unbekannt. Schnell entledigten siesich ebenfalls ihrer Kleidung und legten sich zu ihrer Herrin. Wenn derSchein nicht trog, dann sah es so aus, als wenn die brutale Art, wieNordmänner Sex machten, Desdemona gefiel. Jedenfalls musste mandas aus ihrem lustvollen Stöhnen schließen. Oder war es einfach nurihre Art die Nordmänner, die wilden Tieren sehr ähnlich waren, zuzähmen? Dass sie dabei gleich noch ihre eigene Lust befriedigenkonnte, kam ihr dabei sehr zustatten. Desdemona war ebenunersättlich, in der Liebe wie in ihrer Machtgier.

*

Carlotta stieß einen sehnsüchtigen Seufzer aus, nur zu gerne hätte siesich ihrer erneut aufkommenden Lust hingegeben. War sie zuerst nur

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erstaunt über das Aufkommen des schon verloren geglaubten Gefühls,denn sie hatte das Kapitel Sex mit dem Tod ihres Mannesabgeschlossen, so war sie durch Jonathan wieder auf den Geschmackgekommen. Im Grunde verspürte sie immer öfter ein starkes Verlangennach Sex, seit sie das erste Mal mit Jonathan im Bett war. Leider lagJonathan zurzeit nicht neben ihr, sonst hätte sie schon gewusst was zumachen wäre. Du bist Schuld Jonathan, dass ich weiterlesen muss. Beidiesem Gedanken musste sie schmunzeln, blätterte die Seite um undversank wieder in der wundersamen Welt von Asgardun.

*

Fast zur gleichen Zeit auf Burg Trutzstein. Betrübt und schwerfällig stiegKönig Ulf die Wendeltreppe im Süd-Turm nach oben. Immer deutlicherspürte er, dass er sich dem Ende seines langen Weges näherte. MitBedauern musste er feststellen, dass sich die Beziehung zu seinerjungen Frau Isabella nach den Fehlgeburten immer mehr abkühlte.

Isabella, auf ihrer Suche nach Trost, lernte einen jungen Priester derneuen Glaubensrichtung kennen, die seit Anfang des Jahrhunderts beimVolk großen Anklang fand. Vielleicht hatte der Erfolg der neuen Religionauch damit zu tun, dass die Legenden davon sprachen, dass ihr ProphetMinèasus in einer Lichtkugel zum Himmel aufgestiegen sei. Denn alsMinèasus Anfang des Jahrhunderts mit einem Segelschiff Askalanerreichte, nahmen nur wenige Menschen Notiz von seiner Ankunft. Umsoerstaunlicher, da die Ankunft eines Schiffes aus dem märchenhaftenLand Anethàlias schon allein für Aufsehen sorgte. Was wohl demUmstand geschuldet war, dass nur wenige Schiffe die weite, gefährlicheReise in Angriff nahmen. Und nur wenige Menschen brachten den Mutauf, Bestandteil einer so gefährlichen Reise zu sein. Doch dem armenMinèasus blieb nichts anderes übrig, als dieses Wagnis einzugehen. Mitseinen aufwieglerischen Thesen hatte er sich die Obrigkeit vonAnethàlias zum Feind gemacht. Als sich die Anzeichen verdichteten,dass ihm der Herrscher nach dem Leben trachtete, entschloss sichMinèasus zur Flucht. Einige Seeleute behaupteten später sogar, dassihre glückliche Heimkehr nur der Anwesenheit des Propheten zuverdanken sei. Als ihm die Menschen von Askalan die Frage stellten,warum er nicht für seinen Glauben gestorben sei, gab Minèasus ihneneine überraschende Antwort. Mein Gott verlangt von mir, dass ich für

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meinen Glauben lebe, um vielen Menschen seine Botschaft zu bringen,Tod nütze ich ihm nichts.

Anfangs hörten ihm nur wenige Menschen zu, doch beharrlich sprach ervon einer Welt in der die Menschen friedlich und in Liebe miteinanderlebten und niemand Niemandes Herr sei. Natürlich machte ihn dass auchbei den hier Herrschenden nicht gerade beliebt, doch da er sich eh nurgeringen Zulaufs erfreute, wollte die Obrigkeit seine Thesen nicht durchseinen gewaltsamen Tod aufwerten. Minèasus Beharrlichkeit und seinedemutvolle, einfache Art, wie er sein Wort lebte, überzeugte mit der Zeitjedoch immer mehr Menschen. Und so fand auch Isabella Trost indiesem neuen Glauben. Sie verbrachte die überwiegende Zeit desTages mit Andachten und Gebeten. Erst letztes Jahr bat Isabella ihrenMann, König Ulf, inständig um die Erlaubnis, am Rande des Drud-Gebirges ein Kloster erbauen zu dürfen. Seitdem weilte sie wochenlang,in Begleitung jenes jungen Priesters, am Ort des Baugeschehens.

Doch das war noch nicht alles was den König belastete. Denn nicht nurseine Frau hatte sich von ihm abgewandt, sondern auch sein SohnBrago ließ sich nur noch selten blicken, seit er ihm einen Großteil derRegierungsgeschäfte überlassen hatte. Zwar war er, Ulf, immer noch imBesitz des königlichen Siegels, doch sein Machtverlust waroffensichtlich. Die spärlichen Informationen, die den König immer nocherreichten, besagten jedenfalls, dass sein Sohn Brago nach und nachalle wichtigen Posten mit seinen Günstlingen besetzte.

Schnaufend nahm der König die letzte Stufe und steuerte auf die einzigeTür in diesem Stockwerk zu. Obwohl ein König nicht anzuklopfenbrauchte, tat er es doch, bevor er eintrat. Hinter der dicken Eichentürbefand sich das Reich seines Astrologen, dem einzigen Menschen, derihm noch etwas bedeutete. Tycho saß in einem Ohrensessel, dicht amKamin, er sah noch nicht einmal auf, als sein König das Turmzimmerbetrat. Im Kamin brannte wie immer ein Feuer, denn Tycho schien immerzu frieren. Die flackernden, tanzenden Flammen im Kamin erhellten denRaum auf eine gespenstische Weise, da auf Grund der geschlossenenFensterläden ansonsten Dunkelheit herrschte.

„Was führt dich zu mir mein König?“

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„Sei nicht so förmlich Tycho, sag doch einfach Ulf zu mir“, erwiderte derKönig und schloss die Tür hinter sich.

Mit schweren Schritten und schwer atmend legte der König den Wegzum zweiten Ohrensessel zurück, um sich erschöpft hinein sinken zulassen. Der Astrologe übersah geflissentlich die Schwäche seinesKönigs und fragte ihn stattdessen, „warum willst du eigentlichabdankten?“

Zuerst antwortete der König nur mit einem glucksenden Lachen.

„Ganz einfach, ich gab die Macht schon aus den Händen, als ich Bragodie Regierungsgeschäfte übergab. Nein, eigentlich schon viel früher, alsich seiner Heirat mit Desdemona zustimmte. Diese Hexe hat ihn mit ihrerMachtgier vergiftet und wird nicht eher ruhen bis alles in Scherben liegt,was das Haus Askalan aufgebaut hat.“

Eine Weile herrscht Schweigen, nur das brennende Holz im Kaminknisterte leise und der Wind rüttelte hin und wieder an den hölzernenFensterläden.

„Ulf, glaubst du das wirklich?“, wollte Tycho mit einem bedeutsamenUnterton in der Stimme wissen, nur um gleich darauf in seine normaleTonlage zurückzufallen. „Aber entschuldige, ich habe dir nichts zuTrinken angeboten. Möchtest du vielleicht auch einen heißenKräutertee?“

Ohne eine Antwort abzuwarten stand Tycho auf, holte einen Holzbechervom Regal an der Wand und begab sich zum Kamin. Über dem Feuerhing ein Kupferkessel, dessen Inhalt den ganzen Raum mit seinemwürzigen Duft erfüllte. Ohne viele Umstände tauchte Tycho denHolzbecher in die Flüssigkeit und schöpfte das heiße Getränk mangelsKelle einfach so heraus. Der König wusste, dass es keinen Sinn machteandere Wünsche zu äußern, denn Tycho hatte nichts anderes im Hause.

„Vielleicht sollte ich das nächste Mal einen Krug Roten mitbringen. – Wiesoll ich deine Frage verstehen?“, schien sich der König plötzlich an diezuvor gestellte Frage zu erinnern.

„Ja, ein guter Tropfen Rotwein, heißgemacht und mit Gewürzen, daswürde mir auch munden“, ignorierte Tycho die Frage und ging

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stattdessen auf das Angebot seines Königs ein, wobei er sich mit derZunge über die spröden Lippen fuhr, nur um sich anschließend demernsteren Thema zuzuwenden.

„Ich finde die Frage muss erlaubt sein, ob Desdemona in deinem Sohnetwas wecken konnte, was dort nicht vorhanden war. Ich denke, dass sieihn nur für etwas begeisterte, was schon seit jeher im Verborgenenschlummerte. Weißt du eigentlich wie das Volk deinen Sohn nennt?“

Kurz blitzte es in den Augen des Königs auf, nur um gleich darauf wiederdiesem gleichgültigen Ausdruck platzzumachen.

„Auch ich habe meine Informanten“, antwortete der König resigniert.„Bastardo“, flüsterte der König leise, griff den Holzbecher und schlürfteden heißen Tee.

Wieder senkte sich Schweigen über die beiden alten Männer, ohne dases auch nur im Geringsten peinlich wirkte. Unvermittelt fing der König zuerzählen an.

„Damals, als ich die Zwillinge begrub, hörte ich eine Stimme. Mir schienes so, als wenn sie vom Himmel zu mir herunter sprach. SeltsamerWeise hörten sie der Priester und die Stallknechte nicht, obwohl mir dieOhren dröhnten. Hätte ich nicht zuvor Gott nach dem Warum gefragt,vielleicht hätte er mich dann nicht so angebrüllt. Aber ich waraufgebracht und wollte wissen warum meine Kinder sterben mussten,und Er antwortete mir. Die Antwort hat mir zwar nicht gefallen, aber Erantwortete mir. Seither denke ich oft über seine Worte nach, genaugenommen denke ich über nichts anderes mehr nach.“

Obwohl der König den Inhalt dieser Worte offen ließ, war demAstrologen nicht die Spur von Neugier anzumerken. Tycho kannte denKönig eben zu gut und deshalb wartete er geduldig, bis sein König dasGeheimnis lüftete. Und wie nicht anders zu erwarten wurde seineGeduld belohnt.

„Gott gab mir zur Antwort, weil deine Blutlinie mit den üblen Taten deinerVorfahren vergiftet ist. Seit Jahrhunderten unterdrückt euer Geschlechtdie Völker von Asgardun, es wird Zeit, dass der Tag der Abrechnungheraufzieht. Ja, genau das sagte Er zu mir. Aber wir, das Geschlecht derAskanier, wir haben doch das Land geeint, seit Jahrhunderten herrscht

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Frieden und allgemeiner Wohlstand“, brachte der König seinUnverständnis, über Gottes Anklage, am Ende zum Ausdruck.

Lange versanken die beiden Männer in Nachdenklichkeit, wobei TychosGedanken einen anderen Weg gingen, als die Gedanken des Königs.Dabei bemerkte der König nicht, wie ihn sein Astrologe fast schonmitleidig, unter dichten Augenbrauen, anblickte. Nach einer Weile gabsich Tycho einen Ruck und sagte dem König unverblümt seine Meinung.

„Ulf, es ist dein gutes Recht die Dinge so zu sehen. Doch wenn duwirklich davon überzeugt bist, warum lassen dir die Worte, die WorteGottes, wie du sagst, keine Ruhe? Tatsache ist, dass die Herrschaftderer von Askalan mit Verrat und Blut erkauft wurden. Vielleicht hat deinGeschlecht auch Gutes in diese Welt gebracht, aber wenigstensgenauso viel Verwerfliches, aber vor allem hat deine Blutlinie Asgardunseinen Namen, seine Identität geraubt. Auch ward ihr nicht zach dabei,wenn es darum ging eure Macht weiter auszubauen. Etwas was dusagst, erinnert mich an die uralten Prophezeiungen der Druiden,jedenfalls was die Zukunft Asgarduns betrifft. – Mein Gott, wie langehabe ich diese Welt nicht mehr bei ihrem alten, angestammten Namengenannt?“

Der König hörte zwar interessiert zu, aber sein Gesichtsausdruck ließkeine Zweifel daran, dass er die Erklärungen Tychos nicht gelten ließ. Sogeschah es, dass sie sich lange schweigend gegenübersaßen, bis Tychodie Stille durchbrach.

„Ulf, komm mit auf den Turm, ich will dir etwas zeigen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, stand Tycho auf, ergriff eine kalte Fackelaus der Wandhalterung, hielt sie ins Kaminfeuer und begab sich zur Tür.Der König sah ihn mit Unverständnis an, doch Tychos Bestimmtheit ließkeinen Zweifel daran aufkommen, dass es da oben etwasaußerordentlich Interessantes zu sehen gab. Bevor sie auf das luftigeDach des Turms traten, steckte Tycho die brennende Fackel in eineHalterung im Treppenhaus. Draußen, auf dem Dach des Turmes,empfing sie Dunkelheit, Kälte und ein klarer Himmel. Ein mondloser,blinkender Sternenhimmel überspannte die ganze Welt. Fasziniert blickteder König nach oben, noch nie fühlte er sich dem Himmel so nah. Tychofummelte eine Weile an dem Fernglas herum, das auf einem Gestell gen

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Himmel gerichtet war. Nachdem er mehrfach durchgeblickt hatte schiener endlich zufrieden.

„So Ulf, nun blicke hindurch und sage mir was du siehst.“

Ulf, ein großer, ehemals stattlicher Mann, musste sich leicht bücken,dann presste er sein Auge auf das Okular.

„Na, was siehst du?“, ließ Tycho nicht locker.

„Nichts Besonderes, nur zwei helle, eng beieinander stehende Punkte,wohl weit entfernte Sterne“, die Stimme des Königs klang fast ein wenigenttäuscht.

„Aber genau diese beiden Punkte sind etwas Besonderes. Ich habe sievorigen Monat erst entdeckt und ich bin mir ziemlich sicher, davorblinkten sie noch nicht am nächtlichen Himmel.“

Der König wusste, dass Tycho Sternenkarten anfertigt, seit er dasHandwerk des Astrologen beim Großen Meister Abraxi erlernte, somitschien jeder Irrtum ausgeschlossen.

„Und was bedeutet das deiner Meinung nach?“, nahm der König denDialog nach einer Denkpause wieder auf

Tycho dachte eine Weile nach, so als wollte er auf keinen Fall etwasFalsches sagen. „Was es im Einzelnen bedeutet, kann ich noch nichtsagen, aber es bedeutet auf jeden Fall Veränderungen für unsere Weltund zwar umwälzende Veränderungen.“

„Das klingt zwar sehr allgemein, andererseits birgt es eine gewisseLogik“, stellte der König nach kurzem Nachdenken fest. Hörbar zog erdie Luft ein, „vielleicht ist es gut, dass ich das nicht mehr erleben muss“,fügte er mit dem Gespür eines Menschen hinzu, der sein nahes Endespürte.

Geschickt verbarg Tycho seine Traurigkeit, denn die Sterne hatten ihmlängst verraten, dass der König noch vor Ablauf des Jahres sterbenwürde. Irgendetwas verbot ihm jedoch, mit dem König darüber zusprechen. Andererseits fehlte es ihm an der Kraft, den König mit einerwohltuenden Lüge zu besänftigen.

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„Eines Tages müssen wir alle gehen und wohin uns der Weg führt, dasswissen wir erst, wenn wir dort angekommen sind.“

Erstaunt blickte ihn der König an. „Du glaubst an ein Leben nach demTod, Tycho?“

„Glauben? – Nein! Ich hoffe, ich wünsche es mir. Doch ich bin überzeugtdavon, dass nichts verloren geht und alles wieder in eine übergroßeSchüssel zurückfließt, dahin zurück, woher alles Leben einst kam. Dasbedeutet nicht unbedingt ein Leben nach dem Tod.“ Sehnsüchtig blickteTycho zu den Sternen.

Gemeinsam stiegen sie die Treppe wieder herab, wobei Tycho mit derFackel voran schritt. Auf dem Treppenabsatz vor seiner Tür trennten sichihre Wege. Tycho drückte dem König die Fackel in die Hand undverschwand in seinem Zimmer, wobei er einen nachdenklichen Königzurückließ.

Am siebenzehnten Tag des Monats Noverlem im Jahre 848, noch bevorder erste Schnee fiel, schlief der König friedlich ein. Boten brachten nichtnur die Nachricht vom Tod des Königs zu seinem Sohn nach Arthuradon,sondern auch die Krone, das Siegel und einen Brief seiner Stiefmutter. Indem Brief teilte ihm seine Stiefmutter Isabella kurz und bündig mit, dassder König in der Familiengruft auf Burg Trutzstein beigesetzt wurde, siedie Krone abgelegt habe, um sich in das halbfertige Kloster Drudsteinzurückzuziehen. Im Grunde war Brago froh, dass sich seine Stiefmutternicht in den Vordergrund drängte, sondern abdankte, um sich in dieAbgeschiedenheit eines Klosters zu begeben. Um den Weiterbau unddessen Finanzierung machte er sich keine Gedanken, da er wusste,dass seine Stiefmutter Isabella genug eigenes Vermögen besaß. Dochim Grunde interessierte ihn nicht was Isabella tat, wenn sie sich nur ausseinem Leben heraushielt. Alles in allem trug der Brief dazu bei, dasssich seine gute Stimmung noch mehr hob.

König Brago, - wie das klang, ja das klang wirklich gut. Vielleicht würdedie Krone bei seiner Frau Desdemona das Feuer der Liebe wiederentfachen. Ihre Beziehung war in der letzten Zeit ziemlich abgekühlt.Also begab er sich sofort zu Desdemona, um ihr die gute Nachricht zuüberbringen, dass sie sich nun bald Königin nennen durfte. Undtatsächlich, sie enttäuschte ihn nicht. Sie umschmeichelte ihn mit Worten

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und mit einem verführerischen Lächeln. Fast sah es so aus, als wenn sieihm wieder ihr Herz schenkte, aber auf jeden Fall bot sie sich ihm aufaufreizende Art an. Dieses kurze Aufflammen der Gefühle sorgte dafür,dass Brago mit seiner Frau mal wieder im Bett landete und sieschwängerte.

Großzügig überließ Brago seiner Frau das ganze Drumherum derKrönungsvorbereitungen, wobei ihm nicht verborgen blieb, dass sie indieser Aufgabe schier aufzublühen schien. Vierzehn Tage später fanddie pompöse Krönung statt, wobei das Volk wenig Anteil nahm. Auch anBragos Spitznamen änderte sich nichts, wenn seine Spitzel nichtlauschten, nannte ihn das Volk weiterhin König Bastardo.

Der plötzlich aufwallende Rausch von Zuneigung hielt bei Brago undDesdemona jedoch nicht lange vor. Schon bei den ersten sichtbarenAnzeichen der Schwangerschaft kühlte sich ihre Beziehung wiedervollkommen ab. Der König genoss das Hofleben und die große Auswahlan weiblichen Verehrerinnen, während Desdemona etwas vollkommenAnderes bewegte. Obwohl ihr Mann sie vor Aller Augen betrog, sah mansie nur mit zufriedenem Gesichtsausdruck. Was war es, dass ihr solcheZufriedenheit gab. Es war das Gefühl, den Thronerben unter demHerzen zu tragen. Ihre Pläne würden sich erfüllen, sobald der kleinePrinz geboren war. Auch König Brago war äußerst zufrieden, als ihm einStammhalter geboren wurde, sah er doch nicht die verborgene Gefahr,die ihm daraus erwuchs. Der Säugling erhielt den Namen Zarduq, wobeier sofort den Spitznamen der Schwarze Prinz erhielt und das wegenseiner ungewöhnlichen, schwarzen Lockenpracht.

An einem warmen Herbsttag des Jahres 849 lud der König zu einergroßen Jagd in den Wäldern des Königsforstes. Die Hunde hatte dieFährte aufgenommen und wie es sich zeigte, eine ganz besondereFährte. Mit großen Sätzen flüchtete der weiße Hirsch, nur noch verfolgtvon den schnellsten Reitern. Vorneweg König Brago auf seinem feurigenRappen, gefolgt von vier seiner treusten Ritter und Einar, demVertrauten seiner Frau Desdemona. Im schwierigen Gelände fielen dieRitter immer weiter zurück, nur Einar schien an den Hinterhufen desköniglichen Pferdes zu kleben. Immer wieder blickte sich Einar um undals genügend Bäume die Sicht versperrten, bot sich endlich Gelegenheitfür seinen schändlichen Auftrag. Ein kräftig geführter Schlag seiner

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Keule zertrümmerte das hintere, linke Knie des königlichen Pferdes. DerGaul wieherte schmerzhaft auf, wobei es fast wie ein hoher Schrei klang.Im selben Moment geriet das Pferd ins Straucheln und stolperte, so dassder König im hohen Bogen durch die Luft flog. Bevor sich der Königaufrappeln konnte war Einar auf seinem Pferd neben ihm und die Keuleschlug ein zweites Mal zu. Mit einem knirschenden Geräusch brach dasGenick und König Brago sackte tot in sich zusammen. Bevor Einar ausdem Sattel sprang, steckte er die Keule in eine Halterung am Sattel undals die ersten Reiter erschienen, sahen sie nur wie sich Einar besorgtüber den König beugte. Als die Jagdgesellschaft den Unfallort erreichte,hielt Einar den schlaffen Oberkörper des Königs im Arm und blickte denAnkommenden mit bekümmertem Gesichtsausdruck entgegen. Sofortbildeten die Getreuen des Königs einen Kreis, nur um zu erkennen, wassie erkennen sollten, der König hatte sich bei einem Reitunfall dasGenick gebrochen.

„Wie konnte das nur passieren?“, formulierte einer der Günstlinge desKönigs die Frage, die alle bewegt.

„Kann nicht einer die gequälte Kreatur von seinen Schmerzen erlösen?“,zischte der Kanzler, als er neben dem König niederkniete.

Ein Höfling entfernte sich und bald darauf verstummten die grausigenSchreie des Pferdes.

„Wie immer wollte der König den kürzesten Weg nehmen, also hielt ermit seinen Gaul auf den umgestürzten Baum dort zu. Mitten im Sprungscheute das Tier und stieß mit dem linken Knie gegen den Baumstamm.Zwar kamen Ross und Reiter noch irgendwie über das Hindernis, dochdann strauchelte das Pferd und warf den König ab. Er muss sounglücklich aufgeschlagen sein, dass er sich das Genick brach.“ Nurstockend konnte Einar von dem schrecklichen Unfall berichten, so sehrschien er von dem Unglück mitgenommen. Inzwischen kehrte der Höflingzurück, der das königliche Pferd von seinen Leiden erlöst hatte.

„Kein Wunder, dass das Pferd des Königs strauchelte, es hat sich dieKniescheibe zertrümmert.“ Womit er im Endeffekt die Aussage von Einarbestätigte.

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„Was für ein Jammer, aber wer sagt es der Königin?“, ertönte das Klagenaus der Menge.

„Das wird wohl an mir hängenbleiben“, stellte der Kanzler mit finstererMiene fest.

„Verzeiht Kanzler, doch mir steht der schwere Gang bevor, denn obwohlich dicht hinter dem König ritt, konnte ich das Unglück nicht verhindern.Wenn die Wut der Königin jemanden treffen soll, dann mich. Ich werdesie mit Demut ertragen, denn ich fühle mich schuldig.“

Als wenn zu diesem Thema alles gesagt war, erhob sich Einar, wobei erden König nicht aus seinen Armen gleiten ließ. Wie erwartet widersprachihm auch niemand, denn keiner war besonders scharf darauf dieschlechte Post der Königin zu überbringen. Als wenn Brago leicht wieeine Feder war, trug Einar ihn zu seinem Pferd, um ihn dann bäuchlingsvor den Sattel zu legen. Sichtlich niedergeschlagen folgte ihm dieJagdgesellschaft zum kleinen Jagdschlösschen am Rand desKönigsforstes. Während des Abendmahls begann eine heftige Debatte,wer denn nun die Macht im Land übernehmen sollte. Niemand beachteteEinar und so sah auch niemand sein verschlagenes Grinsen, als er sichin sein Gemach zurückzog. Ohne vom Rest der JagdgesellschaftAbschied zu nehmen, machte er sich noch vor dem Morgengrauen aufden Weg nach Arthuradon. Die Zurückgebliebenen ließen sich Zeit mitder Rückkehr zum Hof, in der Hoffnung, dass sich die Königin bis zuihrer Ankunft beruhigt haben würde.

Was waren die getreuen Ritter und Günstlinge des Königs beimEintreffen in der Hauptstadt überrascht, als sie erfuhren, dassDesdemona schon Tatsachen geschaffen hatte, was die Machtfragebetraf. Sie hatte das Baby, Prinz Zarduq, zum König krönen lassen, nurum selbst die Regentschaft zu übernehmen. Als der Kanzler davonhörte, drang er sofort auf eine Audienz bei der Königin. Viele Augensahen den Kanzler in das Regierungszimmer der Königin treten, dochniemand sah ihn je wieder herauskommen. Schnell merkten dieGünstlinge von Brago, dass ein neuer Wind in den ehrwürdigen Hallender Burg wehte. Den meisten gelang es ohne große Mühe ihren Mantelder neuen Windrichtung anzupassen. Doch wem das nicht gelang, derverschwand wie der Kanzler auf Nimmerwiedersehen. Wer sich seinen

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Unwillen über die Maßnahmen der Regentin anmerken ließ, der fandsich schnell im Kerker oder in der Kanalisation wieder. Nur wenigenAufmüpfigen gelang die Flucht, um in einer verborgenen Ecke desLandes unterzutauchen.

Um die Bewohner Arthuradon auf ihre Seite zu ziehen, zeigte sich dieneue Regentin von einer bisher unbekannten Seite. War sie auf dereinen Seite gnadenlos zu ihren Widersachern, so senkte sie auf deranderen Seite die Steuern für die einfachen Bürger, ließ Nahrungsmittelfür die ganz Armen verteilen, richtete sogar Suppenküchen ein. Dochdas, was sie den Menschen ihrer Hauptstadt mit der einen Hand gab,holte sie sich mit der anderen bei den Bürgern der Marken zurück.Rücksichtslos presste sie ihre Vasallen aus. Ein weiterer geschickterSchachzug bestand darin, die neue Religion zu vereinnahmen, um sievor ihren Karren zu spannen. Sie führte das Amt eines Patriarchen ein,der mit einer Person ihres Vertrauens besetzt wurde. Am Ende stellteder Patriarch nichts weiter als eine weitere Marionette in DesdemonasSchattenkabinett dar. Seine Aufgabe bestand einzig darin mit Hilfe desneuen Glaubens die Massen so zu beeinflussen, dass die Macht desKönigshauses weiter gestärkt wurde.

*

Carlotta schien nicht zu merken, wie ihre Augen immer kleiner wurden,auch nicht wie ihr das Manuskript entglitt und sie immer tiefer in dieKissen sank.

„Was für Abgründe tun sich in dieser Frau auf“, murmelte sie noch,schon halb schlafend. Kein Wunder das sie von blutrünstigenNordmännern träumte, die sie gefangen nahmen. Doch wie seufzte sieim Schlaf erleichtert auf, als ein mutiger Ritter sie aus den Händen derBösewichte befreite und wie seltsam, irgendwie schien ihr der prächtigeRitter bekannt vorzukommen.

IV Ein ungewöhnlicher Besucher

Als Jonathan im letzten Licht der Dämmerung Wullingham-Castleerreichte, erwartete ihn schon ein aufgeregter Henry. Vollkommen

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untypisch überfiel ihn sein Buttler, um ihn mit einer Neuigkeit zukonfrontieren.

„Sir, wir hatten heute merkwürdigen Besuch, ein echt unangenehmerZeitgenosse. Ohne einen Grund zu nennen, verlangte er sie zusprechen. Auch als ich ihn damit konfrontierte, dass sie nicht anwesendseien, ließ er sich nicht abwimmeln. Er wartete den ganzen Tag vor demAnwesen. Bevor er sich verdrückte, angeblich um in ein Gasthaus inCredenhill zurückzukehren, kündigte er noch an, dass er morgen wiedererscheinen würde.

„Na und“, fand Jonathan nichts wirklich Aufregendes an der Botschaft.

„Würde es sich nicht um einen gewissen Boris Kerusian handeln, dannhätte ich sie damit überhaupt nicht belästigt“, dabei verhaspelte sich derButtler mehrfach, was dafür sprach, das Henrys Nerven auf äußersteangekratzt waren.

Zwar bemerkte Jonathan mit Verwunderung das ungewöhnlicheVerhalten seines Buttlers, doch auch der Namenshinweis sagte ihmnichts. Leicht ungehalten zog er seine linke Augenbraue etwas nachoben, denn er war nicht in Stimmung für irgendwelche Rätselspiele.

„Meine Schuld Sir, aber ich bin so aufgeregt, dass ich ganz vergaß, dasssie die Vorgeschichte nicht kennen, Sir. Also noch mal ganz von vorne.Bei meinen Nachforschungen im Internet, wegen der magischenZeichen, stieß ich des Öfteren auf Seiten jenes Herrn Kerusian. SeinesZeichens eigentlich Astrophysiker, scheint er sich aber schon seitlängerer Zeit auch mit Paranormologie zu befassen, dabei im speziellenmit Paraphysik und Parapneumatologie“, rang sich Henry eineverständlichere Erklärung ab, wie er glaubte.

„Ich verstehe immer nur Chinesisch“, verlor Jonathan langsam dieGeduld.

Henry sammelte sich, legte sich im Gedanken seine Worte zurecht undstartete den nächsten Versuch.

„Der Besucher scheint etwas mit meiner Suche im Internet wegen dermagischen Zeichen zu tun zu haben. Vermutlich hat mich der Computervon Herrn Kerusian auf irgendeine Art registriert, als ich auf seinen

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Seiten das Phänomen der magischen Zeichen erforschte. Darausschließe ich, dass der Mann ebenfalls ein großes Interesse an unserenmagischen Zeichen besitzt. Meine wiederholten Nachfragen wecktenanscheinend sein Interesse, weshalb er meine Spur im Internetverfolgte. Wobei der Aufwand, den er bei unserem Aufspüren betrieb,aber auch seine weite Anreise aus Petersburg und seine Beharrlichkeitdafür sprechen, dass mehr als nur ein weitläufiges Interesse an uns undden Zeichen besteht.“

Jonathan dachte angestrengt nach. „Sie meinen, dass er dieInformationen auf seinen Internetseiten als Köder benutzte? Und als derRichtige anbiss, folgte er der Angelschnur?“

„Ja, genau, sie haben es auf den Punkt gebracht“, schien Jonathanerleichtert, dass sein Herr endlich begriff, was er ihm sagen wollte.

„Na, das hat ja wohl bis morgen Zeit. Ich esse auf meinem Zimmer undgehe dann früh schlafen, morgen scheint ein anstrengender Tag zuwerden, so wie sie mir den Herrn beschrieben haben“.

Am nächsten Tag, der Vormittag war schon fortgeschritten, Jonathanschwitzte an den Geräten im Fitnessraum, als Henry erschien.

„Sie brauchen nichts zu sagen Henry, ich sehe es ihrem Gesicht an. HerrBoris Kerusian steht vor der Tür.“

Henry nickte zur Bestätigung.

„Setzen sie den Herrn ins Kaminzimmer und bieten ihm etwas zu trinkenan. Ich mache mich nur frisch und komme anschließend.“

Eine halbe Stunde später betrat Jonathan das Kaminzimmer und blickteauf einen grauhaarigen, gebückten Mann, der die Jagdflinten in seinemWaffenschrank bewunderte.

„Herrliche Waffen“, bemerkte der Besucher ohne aufzublicken. Langsamdrehte er sich um und sah Jonathan, aus einem vom Lebengezeichneten Gesicht, mit wachen Augen an.

„Professor Boris Kerusian“, stellte er sich vor, gleichzeitig hielt erJonathan die Hand hin.

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„Jonathan Mannix, Herr über Wullingham. Rede wir nicht lange um denheißen Brei herum, was wollen sie von mir?“, ließ Jonathans Stimmekeinen Zweifel daran, dass er den Besuch des Professors alsunerwünscht betrachtete.

„Warum so ablehnend?“, ließ sich der Besucher jedoch nicht imGeringsten davon abschrecken, „oder haben sie irgendetwas zuverbergen?“ Wachsam, fast schon lauernd beobachtete der Professorsein Gegenüber. Doch von Jonathans Gesicht ließ sich absolut nichtsablesen, er hatte die Maske eines buddhistischen Mönches aufgesetzt.

„Und wenn dem so wäre, was geht es sie an?“, eröffnete Jonathan diePokerpartie.

Endlich schien der Professor zu begreifen, dass die Nuss, die erknacken wollte, sich härter präsentierte als er dachte.

„Entschuldigen sie mein überfallartiges Erscheinen und auch meinunhöfliches Benehmen“, lenkte er fast schon unterwürfig ein. „Schon alsich noch Professor der Physik in Moskau war, befasste ich mich mitparaphysikalischen Erscheinungen. Doch bald erkannte ich, dass ich soden wirklichen Geheimnissen des Lebens nicht auf die Spur kommenwürde. Also vertiefte ich mich noch in ein weit umfassenderes Gebiet,nämlich der Parapneumatologie.“

Als er Jonathans verständnislosen Gesichtsausdruck sah, zeigte sich einverstohlenes Lächeln unter seinem etwas zu langen, grauenSchnurrbart.

„Dieses Gebiet beschäftigt sich unter anderem mit Phänomenen derEingebung und Erleuchtung, Inspiration und Intuition. Auf diesem Wegentdeckte ich alte, keltische Runenschriften, die von Reisen zwischenden Welten sprachen. Sie erzählten die unglaubliche Geschichte, dassder erste keltische Druide aus einer anderen Welt auf unsere Erdegelangte. In diesem Zusammenhang wurden ganz spezielle Zeichenerwähnt und genau deshalb bin ich hier. Dreißig Jahre musste ich aufdiesen Hinweis warten. Einzig die Frage nach dem sehenden SchwertUthrut verwirrte mich ein wenig, ein mir neues, unbekanntes Zeichen.Und nun bin ich hier, um Antworten zu erhalten, auf Fragen, die ich mirschon ein ganzes Leben stelle. Denn ihre intensive Suche auf meinen

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Seiten konnte nur eines bedeuten, jemand schien mit den Zeichen aufeine Weise in Kontakt gekommen zu sein, die Fragen aufwarf. Fragendie der Antwort bedurften.“

Ungerührt hörte sich Jonathan die Erklärung des Professors an, wobei erseinen ablehnenden Gesichtsausdruck nicht ablegte.

„Eine wirklich schöne Geschichte, vielleicht sollten sie darüber ein Buchschreiben, statt mich damit zu belästigen. Denn ich weiß wirklich nicht,was ich mit ihren seltsamen Hobbys zu tun habe?“, erteilte Jonathandem Professor eiskalt eine Abfuhr.

„Aber Sir, ich muss unbedingt den Raum sehen, indem sich die Zeichenbefinden. Ich muss es mit eigenen Augen sehen, dass alles der Wahrheitentspricht, worüber die Legende der Druiden berichtet“, kam es fastflehentlich über die Lippen des Professors. „Bitte!“, gleichzeitig senktensich die von Hause aus gebeugten Schultern des Professors noch tieferund ein weinerliches Schluchzen entrang sich seiner Kehle.

„Mann, sind sie sich denn für nichts zu schade? Hören sie mit dieserunwürdigen Vorstellung auf, das ist ja unerträglich“, verbat sich Jonathaneine solche Schmierenkomödie. Als er den, immer mehr in sichzusammensinkenden Mann betrachtete, regte sich aber doch so etwaswie Mitleid in ihm.

„Wenn sie mir versprechen, dass sie auf Nimmerwiedersehenverschwinden, falls ich ihrem Wunsche entspreche, dann könnte ichmich dazu breitschlagen lassen“, bemühte sich Jonathan um eineLösung des Problems.

„Alles was sie wollen“, versprach der Professor sofort.

„Folgen sie mir“, wies Jonathan den Weg. „Der Raum ist mit einerPanzertür gesichert, kann aber über Videokameras eingesehen werden“,erklärte er dem Professor schon auf dem Weg dorthin.

Als sie den Raum mit den Pflanzen passierten, zuckte der Professorerschrocken zusammen, als ihm ein buntgefiederter Sänger fast insGesicht flog. Wenig später erreichten sie ihr Ziel und Jonathan aktivierteden Bildschirm. Gleich darauf erschienen vier Felder auf dem Bildschirm,für jede Kamera eins. Während der Professor über den Monitor in den

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Raum starrte, der in ein blaues Licht getaucht war, was die Zeichenleuchten ließ, erinnerte sich Jonathan an den Einbau der Panzertür. Umdie Panzertür einzusetzen musste ein Teil des Turmdaches, der Deckeund der Wand entfernt werden. Erst dann konnte sie mittels Kranes vonoben heruntergelassen und an der richtigen Stelle platziert werden.Dann wurde der Metallrahmen der Tür in die Wand eingemauert, dieDecke und das Dach wieder geschlossen. Eine Schweine-teure-Aktion.Während dessen schien der Professor jedwedes Zeitgefühl verloren zuhaben, reagierte erst wieder, als ihn Jonathan an der Schulter rüttelte.

„Erstaunlich, wirklich erstaunlich! Aber wie ist es ihnen nur gelungen,dass die Zeichen leuchten, dass sollte doch eigentlich nur geschehen,wenn das Tor aktiviert ist“, stammelte der aufdringliche Gast, ohne denBlick vom Monitor zu wenden.

„Das blaue Licht“, war Jonathans knappe Antwort.

„So, so Blaulicht“, wiederholte der Professor sinnend, um nach einerlängeren Denkpause fortzufahren. „Auch wenn sie, mit Hilfe meinerInternet-Seiten, die Bedeutung der Zeichen enträtselt haben, scheinensie doch nicht den Schlüssel gefunden zu haben, der das Tor zu deranderen Welt aktiviert“, gewann der Professor plötzlich eine Erkenntnis,die dafür sorgte, dass er langsam wieder Oberwasser bekam. Einschneller Blick in Jonathans Gesicht verschaffte ihm Gewissheit, dass ermit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte.

„Sir, ich könnte ihnen vermutlich dabei helfen das Geheimnis zu lüften.Dazu brauche ich jedoch Informationen. Die Wichtigste, wer malte dieZeichen an die Wand und woher kannte er die Zusammenhänge?“

Eine gute Frage, ging es Jonathan durch den Kopf, die Antwort wüssteich selbst gern. Obwohl es nur einen gab, der dahinter stecken konnte.Doch nur woher sollte der alte Lord Edward die Kenntnisse haben?

„Ich weiß es selbst nicht“, verriet Jonathan nicht die ganze Wahrheit.„Kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie das Geheimnislüften wollen.“

Jonathans Aussage, die im krassen Gegensatz zu den vorherigenAbfuhren stand, ließ die Laune des Professors weiter steigen, dennwenn der Lord etwas von ihm wissen wollte, dann warf er ihn nicht raus.

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„Das Lüften solcher Geheimnisse hat etwas mit meinen geistigenFähigkeiten zu tun, die ich während meines Studiums derParapneumatologie erworben habe. Wenn ich mich auf Menschen oderGegenstände konzentriere, die in irgendeinem Zusammenhang mit demGeheimnis stehen, gelange ich über Inspirationen zu Erkenntnissen, diemir anschließend bei der Problemlösung helfen.“

Jonathan wurde zwischen Neugier und Ablehnung hin und her gerissen,am Ende siegte die Neugier.

„Also gut, sie bleiben zum Essen, danach lüften sie das Geheimnis,wenn nicht, verlassen sie Wullingham-Castle schneller als sie denken,nicht wahr Bomba?“ Jonathan machte ein unauffälliges Zeichen mit derHand und der Hund bluffte einmal laut. „Er liebt Menschenfleisch,besonders von russischen Professoren.“

Die letzte Bemerkung schien den Professor nicht im Geringsten zuerschrecken, wie er auch sofort mit Worten zum Ausdruck brachte. „DerHund kann doch keiner Fliege etwas zu leide tun, das spüre ichdeutlich.“

„Ein Plus für sie. Wenn ihre anderen Eingebungen ebenso zutreffendsein sollten, dann haben sie sich ihr Mittagessen verdient“, gab Jonathanseine Ablehnung endgültig auf und schlug Töne der Versöhnung an.

Später speisten sie zusammen im Kaminzimmer, Henry bediente.Jonathan wollte nicht, dass die anderen Bediensteten allzu viel von denanstehenden Gesprächen mitbekamen. Schon während des Essensfragte der Professor Jonathan über den alten Lord aus. Als Jonathandavon sprach, dass der alte Lord oft in dem Zimmer vor Bildern saß, dieer abgehängt hatte, da wurde Boris hellhörig.

„Na, das ist doch ein erster tauglicher Hinweis. Nach dem Essen mussich unbedingt die bewussten Bilder in Augenschein nehmen“, forderteder Professor, ohne jedoch einen Grund dafür anzugeben.

So kam es, dass Jonathan seinen Gast nach dem Essen ins Atelierführte, das sich im Westflügel direkt hinter Jonathans Arbeitszimmerbefand. Jonathan öffnete die entsprechende Transportkiste, um die vierBilder hervorzuholen und an die Wand zu stellen. Eingehend fixierte derProfessor die Werke, wobei er sie sogar vorsichtig mit den Fingern

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berührte. Augenscheinlich zog es ihn jedoch immer wieder zum Gemäldemit dem Titel „Hexenthing“ hin.

„Ich bin mir relativ sicher, das Bild hier hat dem alten Lord dasGeheimnis verraten“, legte er sich plötzlich fest.

Nicht, dass Jonathan seinem Gemälde etwas Mystisches absprach,trotzdem konnte er beim besten Willen nichts erkennen, was für dieAussage des Professors sprach. Jonathans Blick blieb an der Oberhexehängen, die im Vordergrund mit offenem Gewand dominierte. Auf ihrengroßen, prallen Brüsten machte es sich ein Leguan mit menschlichemKopf gemütlich, ansonsten blickte sie eher desinteressiert ins Nirgendwo.Auch die anderen beiden Hexen versuchten eher mit ihren körperlichenReizen Aufmerksamkeit zu erregen, was ihnen bei dem Pan mitBrustharnisch und eiserner Maske auch gelang. Auch der fliegendeFisch und das steinerne, gestrandete Schiff im Hintergrund enthieltenkeine Hinweise auf die Zeichen, trotzdem beharrte der Professor aufseiner Erkenntnis.

„Könnte wir vielleicht eine Lampe mit blauem Licht zum Einsatzbringen?“, schien Boris plötzlich einem Geistesblitz zu haben.

Jonathan nickte.

„Wenn wir den Raum auch noch abdunkeln, dann werden sie sehen wasich meine.“ Der Professor schien sich ganz sicher.

Ein Zeichen von Jonathan und Henry machte sich auf den Weg. Als erzurückkam hielt ihm der Professor verlangend seine Hand hin undJonathan stimmte seinem Ansinnen nickend zu. Während Henry dieFensterläden schloss, schaltete der Professor die Blaulichtlampe an, sodass auf dem Gemälde, bis dahin versteckte Zeichen zu leuchtenbegannen. Der Schwanz des Leguans, der zuvor im Gewand der Hexeverschwand, beschrieb nun einen Kreis, um in seinem Mund zuverschwinden. Bei der zweiten Hexe, etwas links davon, hing dasmagische Dreieck als Amulett um deren Hals. Der Pan trug das sehendeSchwert Uthrut an seiner Seite und bei der dritten Hexe, ganz rechts aufdem Bild, erschien das Horus-Auge auf ihrer Maske. Zwischen allen vierFiguren leuchtete der Drudenfuß.

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„Aber das ist doch unmöglich, wie kommen die magischen Zeichen aufmein Bild? Ich habe sie nicht darauf gemalt!“, brach es ungläubig ausJonathan heraus.

Ein siegessicheres Leuchten blitzte in den Augen des Professors. „DieAntwort auf diese Frage erhalten sie nur, wenn ich in die Kammer darf“,spielte er eiskalt den Trumpf aus, den er soeben in die Hand bekam.

Jonathan schien zuerst unschlüssig, doch nur um letztendlicheinzusehen, dass er so kurz vor dem Ziel nicht auf halbem Wegstehenbleiben konnte. Zwar hatte er da so eine Vermutung, die sich aufden Stuhl im Raum bezog, einfach weil sich nichts Anderes im Raumbefand. Doch genau an diesem Punkt endete seinVorstellungsvermögen, denn was sollte ein einfacher, aus rohen Hölzerngefertigter Stuhl mit der Lösung des Geheimnisses zu tun haben? AmEnde stimmte er widerwillig dem Ansinnen des Professors zu. „Gleich?“

„Worauf sollten wir noch warten? Schließlich wollen sie mich dochloswerden und das verspreche ich ihnen, danach verschwinde ich undwir werden uns nie wiedersehen.“ Die Stimme des Professors klang sobegeistert, dass Jonathan den kleinen, gebückten Mann etwas genauerin Augenschein nahm. Diese plötzliche gute Laune beim Professor kamJonathan zwar verdächtig vor, doch was sollte schon passieren?

„Wenn dem so ist, dann sollten wir nicht zögern“, willigte Jonathan ein,wobei sich ein Gefühl in seinem Magen meldete, für das er keineErklärung hatte.

Als sie dann alle vor dem geheimnisvollen Turmzimmer standen undJonathan den Zahlencode eingab, musste der Professor hinter HenrysRücken warten, sicher war sicher. Henry drehte am Rad in der Mitte derStahltür und geräuschlos schwang die Tür auf.

„Henry, sie bleiben draußen und verschließen die Tür hinter uns“, leiseund für den Professor nicht hörbar fügte er noch hinzu, „keine Ahnungwas er vorhat, doch er wird uns nicht überlisten.“

Henry schien damit nicht einverstanden, denn er wollte schonprotestieren. Jonathans Blick ließ ihn jedoch einlenken, er nickte, wobeier dann jedoch aufzeigte, dass er auf alles vorbereitet war. Er schob das

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Jackett beiseite und zeigte Jonathan den Revolver, der hinter demGürtel steckte.

„Wenn der Kerl irgendeine Schweinerei plant, bin ich umgehend drin undknalle den Mistkerl ab“, flüsterte er Jonathan leise zu.

Eigentlich wäre das Flüstern gar nicht nötig gewesen, denn derProfessor war schon mitten im Raum und betrachtete das einsameMöbelstück von allen Seiten. Sein Blick starrte gebannt auf deneigenwilligen Stuhl, der aus einfachen, rohen Stöcken bestand, die aufunerklärliche Weise fest miteinander verbunden schienen. Leiseschwang die schwere Tür in ihre Angeln zurück. Sichtlich nervösverfolgte Henry jede Bewegung der beiden Männer auf denBildschirmen. Nur das Gespräch bekam er nicht mit, sie sprachen sehrleise und zudem auch nicht ins Mikro.

Während Jonathan geduldig auf die versprochene Lösung des Rätselswartete, verfolgte er misstrauisch jede Bewegung seines seltsamenGastes.

„Ich dachte es mir gleich, als ich ihn sah. Der Stuhl ist die Lösung allerGeheimnisse. Ich erzählte ihnen doch vom ersten Druiden der Kelten,sagte ich ihnen auch, dass er Arthurmalix hieß? Schon mal gehört denNamen?“, gespannt betrachtete der Professor sein Gegenüber.

Bei Nennung des Namens, setzte Jonathans Herzschlag einen Momentaus, so fuhr ihm der Schreck in die Glieder. Natürlich kannte er denNamen aus seinem Buch, doch er verstand die Verbindung zur realenWelt nicht, außer? Er war außerstande den Gedanken zu Ende zudenken. Der mörderische Krieger aus seinem Traum oder was immer damit ihm geschah, nannte ihn bei diesem Namen, doch das gab alleseinfach keinen Sinn. Fast wie unter Schock sah er zu wie der Professorein Stück Holz von der Sitzfläche des Stuhls abtrennte. Obwohl der Ast,dieses unbearbeitete Stück Holz, zuvor mit dem Stuhl fest verbundenschien, konnte es der Professors ohne Mühe vom Rest lösen.

„Der Schlüssel zu den Welten“, stellte der Professor mit triumphierenderStimme fest, während er das Teilstück eines ehemals langen Astes, oderwas das Stück Holz sonst darstellte, hochhielt. Blitzschnell näherte ersich der Wand mit dem Drachenkreis, um den Kopf des Lindwurms mit

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dem Stock zu berühren. Wie auf ein geheimes Zeichen fing derDrachenkreis, dargestellt durch den Körper des Lindwurms, sich an zudrehen. Gleichzeitig wurde die Kammer in ein gleißendes Licht getaucht,als sich das Tor zu der andern Welt öffnete.

Der überraschende Ablauf des Geschehens traf Jonathan vollkommenunvorbereitet, schien ihn zu überfordern. Vermutlich machte seinKreislauf schlapp, denn ihm wurde trieselig, was ihm glauben machte,dass der Boden unter seinen Füßen schwankte. Hilflos ließ sichJonathan auf den Boden sinken, während der Professor einentriumphierenden Schrei ausstieß und sich in das gleißende Licht desTores stürzte. Henry, der das Szenario vor der Stahltür, auf dem Monitorverfolgte, stand ebenfalls kurzfristig unter Schock. Somit dauerte esentscheidende Momente bis er sich fing und reagierte. Als die schwereStahltür aufschwang, gab es nichts mehr zu verhindern. Wobei Henrydas Verschwinden des Professor nun überhaupt nicht nah ging, ermachte sich nur Sorgen um seinen Lord.

„Ist er weg?“, stöhnte Jonathan.

„Ja, es ist verrückt, doch der Professor ist einfach durch die Wandgesprungen, als wenn sie nicht existierte. Unerklärlich, aber er ist in demgleißenden Licht des Drachenkreises spurlos verschwunden.“ standauch Henry noch immer unter dem Eindruck, dass das fantastischeEreignis verursachte.

Als wenn sie es beide nicht glauben wollten, ruhten ihre Blicke an derWand, wo sich der drehende Kreis gerade wieder zusammenzog. Alsdie Drehung zum Stillstand kam, befand sich der Drachenkopf wiederoben und das Leuchten im Inneren des Kreises wurde immer schwächer.

„Kein Wort - zu Niemanden“, wies Jonathan seinen Buttler unnötigerWeise an.

„Das würde mir sowieso niemand glauben“, erwiderte Henry resigniert.Inzwischen untersuchte Jonathan den Stuhl, der fest und stabil wie ehund je wirkte.

„Der Stuhl kommt hier raus, ich nehme ihn mit in mein Zimmer“, wobeiJonathan offen ließ, welches Zimmer er meinte, „der Stuhl birgt indiesem Raum ein zu großes Gefahrenpotential.“

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Henry nickte verstehend, obwohl er gar nichts verstand. Ein wenigverstört verließen sie den Ort des mystischen Geschehens und jederversuchte auf seine Weise damit fertig zu werden. Jonathan, indem ersich Bomba schnappte und einen Spaziergang machte, während Henryin seinem Zimmer auf der Geige spielte. Am Ende würden beide nocheine Zeit lang an diesem Ereignis zu knabbern haben, zu unwirklich wardas Geschehen.

Zum Glück sorgten am nächsten Tag die angekündigten Abordnungender Universitäten für Ablenkung. Obwohl ihre Arbeiten in denunterirdischen Gängen und Verliesen noch nicht vollkommenabgeschlossen waren, gab es etwas Entscheidendes, was sie Jonathanmitteilen wollten. Jonathan staunte nicht schlecht als ihm derProjektleiter bei der Begrüßung einen Vertreter des königlichen Hofesvorstellte. Nachdem die förmliche Teil erledigt war, fing der Projektleiter,ein Professor aus Oxford, an die bisherigen Untersuchungsergebnissezu präsentieren, wobei er einfach nicht auf den Punkt kam. Im Grundepräsentierte er nicht viel mehr als dass, was Jonathan schon wussten.Als sich in Jonathans Gesicht darüber zuerst Unverständnis und danneine Zornesfalte über der Nase abzeichnete, ergriff der Abgesandte derköniglichen Familie, ein gewisser Lord Remmington, das Wort.

„Sehr verehrter Mylord Wullingham, was ihnen der Professor eigentlichsagen sollte, die Untersuchungen werden auf Intervention derköniglichen Familie eingestellt. Inoffiziell darf ich ihnen jedoch mitteilen,dass einiges dafür spricht, dass die Gebeine aus dem Verlies, unter ihrerBurg, die sterblichen Überreste von Richard II. sein könnten. Die offizielleVersion besagt jedoch, dass es sich um eine zwar hochgestellte, aberweiterhin unbekannte Persönlichkeit handelt. Für die erste Versionspricht vor allem die Bibel, in der sich auf den letzten Seiten einpersönlicher Eintrag des Verstorbenen befindet. Doch es liegt nicht imInteresse des Königshauses die Geschichte Englands umzuschreiben.Deshalb werden die Gebeine des Verstorbenen in aller Stille, ohne jedesAufsehen beigesetzt. Selbstverständlich in Westminster Abbey, was dieÖffentlichkeit jedoch nicht erfährt. Um keine Irretationen unter derWissenschaft auszulösen, verbleiben die Artefakte im Besitz derköniglichen Familie. Die Königin zollt ihnen ihre Anerkennung indem siesie“, dabei drehte er sich kurz um und ließ sich etwas reichen, „zum Earl

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von Wullingham ernennt. Herzlichen Glückwunsch Mylord“, gleichzeitigüberreichte er dem vollkommen verdatterten Jonathan dieentsprechende Urkunde.

Blicklos starrte der Angesprochene auf die Urkunde und verstandüberhaupt nichts mehr. Das Schicksal hatte sich gerade mal wiedereinen seltsamen Scherz erlaubt. Oder wie konnte es sonst sein, dass ihnein verirrter Pfeil zum Earl machte? Inzwischen waren alle aufgestanden,um dem vom Viscount zum Earl erhobenen Jonathan zu gratulieren,allen voran Henry.

„Könnte es sein, dass die Königin jetzt auf meine Verschwiegenheitzählt?“, murmelte Jonathan, wobei sich seine Lippen kaum bewegten.Auf seinen bohrenden Blick antwortete Lord Remmington mit einemleichten, jedoch sehr bestimmten Nicken.

„Natürlich wird sich die Sache nicht total vertuschen lassen. Doch deroffizielle Bericht, indem die Bibel und der Brief noch nicht mal erwähntwerden und das Verschwinden der Artefakte sollten ausreichen, um nichtmehr als Gerüchte aufkommen zu lassen, aber eben nicht mehr“, fügteder Gesandte der Königin noch hinzu.

Später, als ein kleiner Imbiss und Getränke gereicht wurden, geselltesich Jonathan zu den Professoren.

„Und was ist für sie dabei herausgesprungen?“

Zuerst schauten sie verlegen zur Seite, doch dann rückten sie doch nochmit der Antwort heraus.

„Unseren Universitäten wurden großzügige finanzielle Hilfen für unsereForschungen zugesichert.“

„Ja, so profitieren wir wohl alle davon“, schien sich Jonathan in seinerHaut trotzdem nicht wohl zu fühlen. „Wer weiß wie oft die Geschichteschon auf ähnliche Weise verfälscht wurde? Andererseits hat der Toteeine angemessene Ruhestätte gefunden und genaugenommen sind wirihm nicht mal das schuldig“, fügte er noch nachdenklich hinzu.

Jonathan drehte sich abrupt um, denn ein schaler Geschmack machtesich in seinem Mund breit, vermutlich weil er gerade erkannte, dass er

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kein Deut besser war als die anderen Nutznießer dieserVertuschungsaktion. Während er so darüber nachdachte, trat einLeuchten in seine Augen und ein Lächeln umspielte unmerklich seinenMund. Vielleicht gelangten irgendwann doch noch die Beweise an dieÖffentlichkeit. Da gab es noch immer die vielen Fotos, die sie von denFundstücken gemacht hatten. Auch das Video von ihremErkundungsgang befand sich in seiner Hand. Wer sollte ihn daranhindern, einem Anwalt die Beweisstücke zu übergeben, die jener, nachseinem Tod, veröffentlichte? Fast hätte Jonathan bei diesem Gedankenlaut losgelacht. Auf jeden Fall sorgte seine Eingebung dafür, dass sichseine Stimmung wieder hob und er mit einem Lächeln die Gratulationenentgegen nahm.

Am späten Nachmittag, als die Delegation Wullingham-Castle wiederverließ, war Jonathan längst wieder der Alte. Nach einem ausgiebigenSpaziergang mit Bomba und Caligula fand er endlich die Zeit sich wiedermit seiner ganz persönlichen Wirklichkeit zu befassen. Während er seinArbeitszimmer aufsuchte, gingen ihm die gestrigen Ereignisse umProfessor Kerusian immer und immer wieder durch den Kopf. DasUnglaubliche, Unvorstellbare war geschehen, ein Mensch seiner Weltfand einen Weg, um in eine andere Welt zu gelangen. Und ein Teildieses seltsamen Stuhles fungierte dabei als Schlüssel. Zeit, dass ersich intensiv mit diesem mysteriösen Stuhl befasste.

Die Sitzfläche bestand aus fünf dicken Hölzern. Zwei lange Holzstäbe,mit Querstück in Schulterblatthöhe, bildeten die Lehne und hinterenStuhlbeine. Die vorderen Stuhlbeine bildeten zwei entsprechend kürzereStücke. Aber wodurch wurden die einzelnen Stücke alsfunktionstüchtiges Ganzes zusammengehalten? Ja wodurch nur?Jonathan prüfte den Stuhl von allen Seiten, von oben und von unten. Esgab keine Nägel, Schnüre oder erkennbare Klebstellen, die das GanzeGebilde zusammenhielten, aber es hielt. Wie er es beim Professorbeobachtet hatte, zog er an einem Teilstück, in diesem Falle einemvorderen Stuhlbein. Es ließ sich ohne Widerstand entfernen. Wobei erden Eindruck gewann, dass das Holzstück nicht dem Druck seiner Handgehorchte, sondern eher seinem Willen nachgab. Eingehend studierte erdas abgetrennte Stück Holz, ohne eine logische Erklärung dafür zufinden, wie die Sache funktionierte. Als er im Umkehrschluss das Stück

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Holz wieder an seine angestammte Stelle hielt, ging es wieder eine festeVerbindung mit dem Rest ein. Prüfend setzte sich Jonathan auf denStuhl, bewegte sich schuckelnd hin und her, doch das hölzerne Gebildehielt.

Einem Gedankenblitz folgend, entfernte er die beiden vorderenStuhlbeine und hielt ihre Enden aneinander. Sein Erstaunen hielt sich inGrenzen als er feststellte, dass er plötzlich einen längeren Stab in derHand hielt. Aus zwei Holzstücken war eine Einheit geworden. Aufgeregtzerlegte er den ganzen Stuhl in seine Einzelteile und fügte sie zu einemStab zusammen. Obwohl es nur mit Zauberei zu erklären war, hielt erjetzt einen zwei Meter langen Stab in der Hand, der zuvor ein Stuhl war.Natürlich ließ ihm das Ergebnis keine Ruhe und so brach er ein Stücknach dem anderen vom Stab wieder ab und baute aus denEinzelstücken wieder einen Stuhl.

Bei diesem Stuhl ging es nicht mit rechten Dingen zu. Ziemlich verblüfftmusste er am Ende akzeptieren, dass es Wahrheiten gab, für die erkeine Erklärung hatte. Auch wenn dem so war, so hatte er doch einepassable Möglichkeit gefunden, um den magischen Stuhl unsichtbar zumachen. Wer schenkte schon einem langen, unansehnlichen Holzstab,der in einer Ecke sinnlos rumstand, seine Aufmerksamkeit? Dasfolgende Zerlegen des Stuhles, die Verwandlung in einen Stab, ging ihmdann auch schon viel schneller von der Hand. Mitten in dieserBeschäftigung erfasste ihn ein Gedanke, der ihn aus dem Gleichgewichtbrachte.

Mit wackeligen Beinen setzte er sich in einen der Sessel. Hatte er nichtin seinem Buch etwas über einen Druiden Arthumalix geschrieben, dervon der Hexe Roxane einen langen Ast vom Baum des Lebens bekam,vom Baum mit dem Namen Urburmutha? Sogar Professor Kerusianerwähnte den Namen Arthumalix, angeblich einem Wesen, das aus eineranderen Welt zu den Kelten kam und ihr erster Druide wurde. Das warfdie Frage auf, wo war der Zusammenhang zwischen seinerausgedachten Geschichte, den Personen, anderen Dingen aus seinemRoman und den mysteriösen Geschehen in seiner Welt? Vor allem, wieund warum war seine Person, Jonathan Lucas Mannix, in diese Sacheverwickelt? Er war nicht der Mensch, der an Zufälle glaubte, schon garnicht, wenn sie in solcher Anhäufung auftraten. Viele Fragen, die einer

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Antwort bedurften. Doch zuvor wollte er mit Bomba erst einmal seinenAbendspaziergang machen. An der frischen Luft, mit dem Hund anseiner Seite und dem unendlichen Sternenhimmel über sich, kamen ihmdie Fragen dann doch nicht mehr ganz so dringlich vor.

Den nächsten Tag begann Jonathan wieder nach Plan. Caligulas Käfigsäubern, frisches Wasser und Futter reinstellen, Tai Chi, Henry erschienpünktlich wie immer, Schwimmen, Frühstücken, Bomba, Fitnessraumund Mittagessen. Auch Carlotta stand wieder auf seinem Stundenplan,schließlich gab es einiges zu erzählen. Nachmittags bei einer Tasse Teeerzählte er Carlotta von der Kommission und deren Ergebnissen, dabeiließ er ganz nebenbei fallen, dass er jetzt den Titel eines Earls trug.

„Aber das ist ja toll, da freue ich mich aber für dich, wenn du soweitermachst, dann bringst du es noch zum Duke.“ Carlotta sprang auf,kam um den Tisch herum und gab Jonathan einen Kuss. „Aber sei mirnicht böse, als Schriftsteller bist du mir lieber. Ich habe in deinem Buchweitergelesen, bis ich eingeschlafen bin. Du schilderst die Welt Asgardunund deren Menschen so, als wenn du dort gelebt hast, nicht, als wennalles nur Fiktion ist. Ich bin wirklich sehr angetan. Wollen wir heute dieGeschichte nicht doch im Bett lesen?“

„Du willst mit mir ins Bett?“, Jonathan legte bewusst eine Pause ein undsah Carlotta verlangend an, um dann fast enttäuscht hinzuzufügen, „umzu lesen?“

Carlotta lachte aufreizend, „alles hat seinen Preis!“

Als sie, nachdem sie ihrer Lust gefrönt hatten, zufrieden nebeneinanderlagen, stellte Jonathan eine unglaubliche Frage in den Raum.

„Und was wäre, wenn ich wirklich dort war, mich nur nicht mehr bewusstdaran erinnern kann? Stattdessen manifestieren sich meineErinnerungen als Fantasie in einem Roman.“

Carlotta setzte sich auf und betrachtete ihn eingehend, ob er sichvielleicht einen schlechten Scherz mit ihr erlaubte. Doch sie konnte inseinem Gesicht und seinen Augen nichts dergleichen erkennen.

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„Das würde zwar einiges erklären, gleichzeitig wäre es aber das absolutVerrückteste, was ich bisher von dir gehört habe.“

Jonathan nickte, „ja, so sehe ich das auch. Lesen wir lieber in meinemBuch, dann kommen wir auf andere Gedanken.“

Carlotta lachte plötzlich laut los. „Der war wirklich gut, da kommen wir aufandere Gedanken. Wie soll das denn gehen, wenn wir in deine, von direrfundene Welt eintauchen? Vielleicht hast du dich beim Schreibendeines Buches so intensiv damit beschäftigt, dass du Fantasie undRealität nicht mehr auseinander halten kannst.“

„Verstehe ich dich richtig? Du meinst also, wenn ich nicht aufpasse wäreich reif für die Klapse?“, stellte Jonathan gespielt resignierend fest.

„Ja, aber nur wenn ich dein Psychiater sein darf“, ging Carlotta auf seinSpielchen ein.

„Das klingt fantastisch. Sagte ich dir schon, dass es eine von meinenbevorzugten sexuellen Fantasien ist, es mal mit einer Psychiaterin mitgroßen Brüsten auf ihrer Ledercouch zu treiben?“, stellte Jonathan imBrustton der Überzeugung fest.

„Na, dann steht ja deiner Heilung nichts mehr im Wege“, gleichzeitig ließCarlotta die Decke von ihren großen Brüsten rutschen und streckte sieihm ungeniert entgegen.

„Aber Frau Doktor, wie soll ich denn bei diesem Anblick lesen, dabekomme ich ja kein vernünftiges Wort heraus“, was ihn jedoch nichtdavon abhielt mit einer Hand ihre vollen Brüste zu streicheln. „Carlottaehrlich, du musst dich jetzt entscheiden ob du nochmal Sex haben willst,wobei du bedenken solltest, ein zweites Mal und der morgige Tag ist füreinen alten Mann wie mich gelaufen.“

Carlotta setzte ein bestürztes Gesicht auf, verbarg ihre Brust, griff dasManuskript und reichte es Jonathan.

„Verzeih mir, du schwacher Mann. Lass uns in deine Fantasiewelteintauchen, vielleicht können wir dann das Fleischliche vergessen.“ Ihreinsetzendes Lachen verriet, wie sehr ihr das Spiel gefiel.

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Jonathan einsetzende Stimme entführte sie dann beide in diefantastische, mittelalterliche Welt von Asgardun und ließ alles anderedahinter verschwinden.

V William und Isabella

Zweihundert Kilometer südlich der Hauptstadt Arthuradon lagen riesigeWälder, Königsforst genannt. Nördlich jenes Forstes lag der Sitz desGrafen von Huntingen, ein verwaistes, heruntergekommenes Gemäuer,mit einem kleinen, beschaulichen Dorf. Vor gut hundert Jahren ergab essich, dass ein tapferer Krieger, der seinem König, bei einem Scharmützelmit Nordmännern, das Leben rettete, dabei seinen Schwertarm verlor.Der König schlug den einfachen Krieger zum Ritter und machte ihn imgleichen Atemzug zum Earl von Huntingen, dazu gehörte, dass er vonda an das Amt des königlichen Wildhüter über den Königsforstbekleidete. Seine Grafschaft umfasste somit den Ort Huntingen,bestehend aus Burg und Dorf, sowie den geamten Königsforst.Weiterhin wurde urkundlich vom König festgelegt, das Brunus, so hießder neue Graf, Amt und Lehen auf Lebenszeit erhielt und allemännlichen Nachkommen erbberechtigt waren.

Brunus, von seinen Leuten auch Hunter genannt, zog mit seiner Frauund den Kindern in das verfallene Gemäuer und brachte Leben in dieehemals stolze, aber nun leer stehende, dem Verfall preisgegebeneBurg. Um ein funktionierendes Gemeinwesen, aber auch um die Burgwieder aufzubauen, brauchte er mehr Menschen als das Dorf Huntingenhergab. Seinem Ruf folgten ein paar Dutzend Menschen, aus denArmenvierteln Arthuradons, weil sie erkannten, dass sie dort keineZukunftsperspektiven hatten. Trotzdem wurde Brunus Werk erst vonseinem Sohn Ralf vollendet.

Um seine Grafschaft wirtschaftlicher zu machen lockte Graf Ralf Bauernin die Region, indem er ihnen versprach für zehn Jahre nur den halbenPachtpreis zu nehmen. Das sprach sich schnell herum und so siedeltensich in kürzester Zeit einige Bauernfamilien um Huntingen an. In ihremGefolge kamen auch ein Schmied, ein Sattler, ein Küfer und einSchankwirt hierher. Nach ein paar Jahren hatte der Graf genug Geldbeisammen, um eine Mühle und ein Sägewerk zu errichten.

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Im Jahre 853, der zweite Sommermonat, der Julischem, neigte sichseinem Ende zu und Barth von Huntingen, ein Nachfahre des erstenGrafen von Huntingen, saß hinter seinem Schreibtisch und grübelte überdem jährlichen Bericht, den er für den königlichen Kämmerer zumJahresende erstellen musste. Wie jedes Jahr mussten Jagdpachten, derVerkauf von Wild und Holz abgerechnet werden. Leider verschlangendie Personalkosten eine Menge des eingenommenen Geldes. Der Waldwar riesig und wenn er richtig vor wildernden Bauern geschützt werdensollte, benötigte er genau die Anzahl Wildhüter, die er zurzeitbeschäftigte. Doch das sah der geldgierige Kämmerer anders, erbeschwerte sich jedes Jahr aufs Neue, dass die Einnahmen aus demKönigsforst so gering ausfielen. Dabei übersah er geflissentlich, dassder Graf von Huntingen, der oberste, königliche Wildhüter, keinerleiGeldmittel zur Durchführung seiner Aufgaben vom Schatzamt erhielt. Ermusste alle Kosten, die der königliche Forst mit sich brachte selbsterwirtschaften, um sie dann mit den Einnahmen zu verrechnen. So kames, dass sich jedes Jahr das gleiche Prozedere abspielte. Der Graf legteseine penibel geführte Abrechnung vor, worauf der Kämmererunzufrieden Aufjaulte, weil für die Krone nicht sehr viel übrig blieb. Nur,dass das auch das Einzige war, was der Kämmerer tun konnte, denndie Zahlen in den Bücher des Grafen hielten jeder Überprüfung stand.Auch sonst konnte der Kämmerer dem Grafen nichts anhaben, da jenersich immer auf die Urkunde, die seine Vorfahre Brunus vom damaligenKönig erhalten hatte, berufen konnte. Zum Leidwesen des Kämmererswar darin alles geregelt und der Graf tat weiter nichts, als sichBuchstabengetreu daran zu halten.

Unerwartet klopfte es ungehörig laut an die Tür, woraus Barth schloss,dass es sich bei dem Klopfer um keinen seiner Leute handelte. BevorBarth etwas sagen konnte, wurde die Tür aufgerissen und eingeckenhafter Typ, augenscheinlich ein Stadtbewohner, trat ein.

„Wo kann ich hier den Grafen finden?“, blaffte der Geck sofort los, nichtsahnend, dass er dem Gesuchten direkt gegenüber stand.

Kein Wunder das er den Grafen nicht erkannte. Seit jeher fühlten sichdie Hunters nicht wirklich dem Adel zugehörend und so gaben sie sichauch. Hingegen sah Barth sofort, wen er da vor sich hatte, denn dieTypen aus der Umgebung des Kämmerers erkannte er allein schon am

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Geruch. Seine Erkenntnis führte dazu, dass er absichtlich auf sturschaltete.

„Mann, habt ihr es am Ohr, ich fragte euch etwas?“ Anscheinend hatteder Fremde noch nichts davon gehört, dass man mit Freundlichkeit oftweiter kam.

„Ach, ihr meint mich. Ich dachte ihr brüllt den Kamin an.“ Barth erhobsich hinter seinem Tisch zu voller Größe und fixierte sein Gegenüber.„Ich gebe euch jetzt einen wohlgemeinten Rat, schlagt ihr nicht soforteinen anderen Ton an, dann werde ich euch hiermit“, dabei zeigte erdem ungebetenen Besucher seine gewaltige Faust, „eins in die Fresseschlagen.“

Barth war ein selbstbewusster Mann, schließlich führte er nicht nur einhartes aber gerechtes Regiment über fünfzig Wildhüter, sondern als Grafvon Huntingen war er unumschränkter Herrscher über viele Menschen.

„Ihr droht einem königlichen Boten?“, reagierte der Fremdeeingeschüchtert, indem er sich hinter seiner Position versteckte.

„Woher sollte ich wissen, dass ein so ungehobelter Laffe ein königlicherBote ist?“, hielt Barth ihm zu Recht vor. „Hättet ihr euch vorgestellt wie essich gehört, wäret ihr anders empfangen worden. – Wie ihr seht habe ichtun. Was wollt ihr, aber fasst euch kurz“, fuhr der Graf den Besucherbarsch an.

„Ihr seid der Graf?“ Mit Unverständnis blickte der Bote auf Barth, der aufGrund seines Äußeren eher wie ein Verwalter wirkte. Gleichzeitig öffneteer seine lederne Botentasche und zog ein versiegeltes Schriftstückheraus.

Während ihm Barth die geöffnete Hand hinhielt, funkelten seine Augenden Boten ungeduldig an. „Gebt endlich her!“

Der Bote gab ihm das Schriftstück mit einem hämischen Grinsen, dassich Barth zuerst nicht erklären konnte. Er kontrollierte, das ihmbekannte Siegel des Kämmerers und erbrach es. Beim Lesen desSchriftstücks wurden seine Augen immer größer und seineHalsschlagadern schwollen gefährlich an. Zwar dankte ihm derKämmerer für seine geleistete Arbeit, doch dann verkündete er

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hochtrabend, dass seit der Regentschaft Desdemonas ein neuer Geistim Königreich eingezogen sei. Wortgewand beschrieb er, dass einsolcher Umbruch Männer mit Visionen und besonderen Fähigkeitenbenötigte. Er, der königliche Kämmerer sei beauftragt worden in diesemSinne die Dinge des Landes neu zu regeln. Dabei sei er zu derErkenntnis gelangt, dass die Fähigkeiten des Grafen Huntingen aufeinem anderen Gebiete lägen, als den königlichen Forst zu führenEntsprechend seinen Fähigkeiten, bekäme der Graf von Huntingen einneues Lehen, an der Nordgrenze zu Bersaskan und die ehrenvolleAufgabe die Rebellen zu bekämpfen. Barth schüttelte unwillig den Kopf,denn das stellte eine deutliche Verschlechterung seiner Position dar,dann las er weiter. Königlicher Wildhüter und Graf von Huntingen würdejemand, der die gleichen Visionen wie die Regentin teilte. Er Barth sollesofort seine Sachen packen und sich auf den Weg nach Burg Moorthummachen, um dort seinen neuen Posten anzutreten.

„Ist der Kämmerer verrückt geworden?“, polterte Barth los. „Das kann derKämmerer gar nicht. Nicht mal der König hat mein verbrieftes Recht jeangetastet, wie kommt der Kämmerer im Namen der Regentin dazu?Noch besitze ich die königliche Urkunde, die mir und meinen Erben Amtund Lehen auf Lebzeiten zusichert.“

„Vielleicht wusste der Kämmerer davon nichts?“, lenkte der Bote plötzlichdevot ein. „Könntet ihr mir die Urkunde zeigen, damit ich dem Kämmererdavon überzeugen kann, dass er einem Irrtum unterliegt?“

Barth, eine ehrlich Haut, schöpfte bei den freundlichen Worten des Botenkeinen Verdacht, welchen auch? Er erhob sich, drehte dem Boten denRücken zu und trat an den schweren, mit kunstreichen Schnitzereienversehenen Schrank. Der Bote konnte nicht genau erkennen was Barthdort machte, doch es sah so aus, als wenn der Grafeinen Schlüssel, dener an einem Band um den Hals trug, just hervorholte. Der Bote streckteseinen Kopf zur Seite und konnte nun sehen, dass der Graf wirklicheinen Schlüssel in der Hand hielt und ein Fach des Schrankes damitaufschloss. Anscheinend hatte der Bote genug gesehen, denn nunhandelte er blitzschnell. Vielleicht sah er wie ein Geck aus, doch erverstand sein übles Handwerk. Übergangslos hielt er einzweischneidiges Messer in der Hand, trat hinter den königlichenWildhüter und stach mit dem Messer zu. Er schien genau zu wissen wo

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er hin stechen musste, um einen Mann augenblicklich kampfunfähig zumachen. Ohne sich um den, am Boden liegenden, sterbenden Grafen zukümmern, stieg er über ihn hinweg, um sich in den Besitz des bewusstenDokuments zu bringen. Doch anscheinend hatte das Schicksal etwasdagegen, denn es geschah etwas Unplanmäßiges.

Die Dämmerung war schon herein gebrochen und William, der Sohn desköniglichen Wildhüters und Grafen, kehrte von einem Jagdausflug ausdem Wald zurück. In einer Hand hielt er den Bogen, in der anderen zweigeschossene Hasen an ihren Ohren. Schon von weiten konnte er dasLicht im Arbeitszimmer seines Vaters erkennen. Sein Vater würde sichfreuen, dass er so erfolgreich war, denn er aß gerne Hasenbraten.Freudig stieg er die Treppen im Turm empor, um seinem Vater die fettenHasen zu zeigen. Vor dem Arbeitszimmer seines Vaters angekommenstieß William die Tür auf, natürlich ohne anzuklopfen, so wie er es immertat. Doch leider stieß er auf eine Situation, mit der er nun wirklich nichtrechnen konnte. Sein Vater lag in einer großen Blutlache und ein Mannmit blutigem Messer in der Hand, griff gerade in das Schrankfach, für dasnur sein Vater den Schlüssel besaß. Eine eindeutige Situation. Williamreagierte schnell, so wie er es in der Wildnis bei der Jagd gelernt hatte.Hielt er soeben noch zwei Hasen an ihren Ohren in der rechten Hand, sowar dort plötzlich einen Pfeil. Seine Bewegungen gingen so rasendschnell, dass der Fremde mit dem Reagieren nicht nachkam. Wasnatürlich auch daran lag, dass er ebenso von der neuen Situationüberrascht wurde. Als er dann gerade sein Messer zum Einsatz bringenwollte, traf ihn der Pfeil ins linke Auge, und bevor er einenSchmerzensschrei ausstoßen konnte, der nächste mitten ins Herz.William wusste, der Kampf war vorbei, deshalb verschwendete er keinenBlick mehr auf den sich im Todeskampf krümmenden Fremden. Brutalstieß er ihn mit den Füssen beiseite, um sich über seinen Vater beugenzu können.

„Vater, was ist passiert?“, Hilflosigkeit schwang in seiner Stimme.

Barth zwang den Tod, mit einem letzten Kraftaufwand, noch auf derSchwelle zu verharren, um seinem Sohn mit immer schwächerwerdender Stimme etwas ins Ohr zu flüstern.

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„Sie brechen das Recht, sie wollen uns vertreiben. Der Brief auf demSchreibtisch. Du musst die Urkunde an dich nehmen, sie ist alles was wirhaben. Pass auf dich auf mein Sohn“, röchelte er die letzten Worte,während ein Blutschwall aus seinem Mund quoll. Urplötzlich brach dasLicht in seinen Augen. Barth Hunter, Graf von Huntingen und obersterköniglicher Wildhüter war tot, gemeuchelt von einem gedungenenMörder. Der Raum schien sich um William zu drehen, doch noch hoffteer aus diesem Albtraum zu erwachen. Bis vor wenigen Augenblicken warer der geachtete Sohn eines Grafen, der sich um seine Zukunft keineSorgen machen brauchte. Mit einem Schlag war das alles zerstört.Denn die mächtigen Feinde, die seinen Vater ermorden ließen, um sichin Besitz der königlichen Urkunde zu bringen, welche seinem GeschlechtTitel und Land sicherte, würden ihn als Mörder eines königlichen Botenhinstellen. Denn eines war sicher, die Feinde seines Vaters waren auchseine Feinde.

Wenn er sich vor ein paar Minuten noch mit Hasenbraten in braunerSoße, Kraut und frischem Brot, und dazu einen Humpen Bierbeschäftigte, kreiste seine Gedanke jetzt darum, was er als nächstes tunsollte. Er musste untertauchen, soviel stand fest. Nur wollte auch dasspurlose Verschwinden gut geplant sein. In seiner Hilflosigkeit überlegteer, bei wem er Hilfe finden konnte. Ihm fiel nur eine Person ein - Kyyraq.

Kyyraq war nicht nur der Knecht seines Vaters, sondern Mädchen füralles. Er versorgte die Pferde, führte anfallende Reparaturarbeiten amHaus oder an den Fuhrwerken aus, aber vor allem kochte er Vater undihm das Essen. Man konnte ihn durchaus als eine Vertrauenspersonbezeichnen. Einst hatte Barth den Nordmann Kyyraq aus dem Gefängnisfreigekauft und als Leibeigenen mit nach Huntingen gebracht. Jenerhatte seinen vorherigen Besitzer erschlagen, war entflohen, wurdejedoch wieder eingefangen, als er bei einem Diebstahl erwischt wurde.Eigentlich erwartete ihn der Strick, doch einmal in seinem Leben schiener Glück zu haben. Da die Regentin immer Geld brauchte, verkaufte siesogar zum Tode Verurteilte als Arbeitssklaven. Barth brauchte unbedingtein paar preiswerte Arbeiter und Kyyraq war einer von den Sklaven, dieBarth erwarb. Natürlich galt Kyyraq als gefährlich, da er seinenvorherigen Besitzer erschlagen hatte, doch geschah das nicht grundlos.Weil Kyyraq mit dem Knecht eines anderen Gutsbesitzers sprach,

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glaubte sein Besitzer, sein Sklave würde über ihn reden, irgendwelcheDinge über ihn ausplaudern. Zur Strafe ließ er ihm die Zungeabschneiden. Kyyraq hatte es ihm nur heimgezahlt

Doch der Nordmann war alles andere als gewalttätig, vielmehr war erumgänglich und schuftete für zwei. Bald nahm ihn Barth, gegen dieWarnung aller Dorfbewohner, nicht nur die Ketten ab, sondernbeschäftigte ihn als Knecht im Haus. Das machte für Barth Sinn, da esschon lange keine Frau mehr im Haus gab. Als Williams Mutter vor achtJahren an Lungenentzündung starb, wollte sein Vater keine andere Fraumehr im Haus, nicht mal eine Magd. Ja, mit Kyyraq konnte er darüberreden, gestand sich William ein.

William fand den Gesuchten im Stall, wo er die Pferde versorgte. DerGesuchte blickte hoch und sein verwunderter Blick schien zu fragen,Will, hast du gar nichts geschossen? Kein Wunder, dass der Nordmannso dachte, denn Will brachte immer Beute aus dem Wald mit, denn erwar ein guter, nein, der beste Bogenschütze weit und breit.

„Kyyraq, komm bitte mit“, forderte ihn William mit belegter Stimme auf.

Jetzt erst bemerkte Kyyraq, dass irgendetwas nicht stimmte. Er ließ dieMistgabel fallen und folgte dem Jungen in den Wohnturm. In dergeöffneten Tür zum Arbeitszimmer seines Herrn blieb er fassungslosstehen. Gerne hätte er dem jungen Will etwas Tröstendes gesagt, dochseine abgeschnittene Zunge hinderte ihn daran. Es gab mal eine Zeit, daversuchte er noch sich mit Worten verständlich zu machen, doch mitdem undefinierbaren Zischen, dass dabei erklang, verschreckte er dieMenschen nur. Also unterließ Kyyraq solche Versuche. Trotzdem war erin der Lage sich mit Menschen zu verständigen, jedenfalls mit jenen,die er besser kannte. William erklärte ihm zuerst kurz was passiert war.

„Kyyraq ich muss verschwinden. Wenn die Mächtigen aus Arthuradonnicht davor zurückschrecken meinen Vater, einen Grafen, umzubringen,so haben sie noch weniger Skrupel mir das Gleiche anzutun. Irgendwerhat ein Auge auf Huntingen geworfen und will sich ins gemachte Nestsetzen.“

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Kyyraq hörte aufmerksam zu, nur um sich dann an die Brust zu klopfenund eine Armbewegung zu machen, mit der er deutlich anzeigte, dass erWill begleiten wollte.

„Nein Kyyraq, ich bin ab jetzt vogelfrei“, lehnte William kategorisch abund erklärte ihm auch gleich noch seine Gründe. „Auch wenn ich denMörder verschwinden lasse und alle Spuren beseitige, so dass sie denBeweis nicht antreten können, dass ich den Boten umgebracht habe, soändert das am Ende nichts. Die Drahtzieher im Hintergrund sindbestimmt nicht blöd und können eins und eins zusammenzählen.Außerdem bin ich als rechtmäßiger Erbe, laut Urkunde des Königs, dernächste Graf von Huntingen, genug Gründe um mir nach dem Leben zutrachten. Zum Glück bleibt uns ein wenig Zeit, um die Dinge hierordentlich zu regeln. Schließlich wird der Bote bestimmt nicht vorAblauf von zwei Wochen in Arthuradon erwartet. Wenn du Vaterwaschen, neu ankleiden und auf sein Bett legen würdest, dann wäre ichdir schon sehr dankbar. Derweil entsorge ich diesen Bastard, dermeinen Vater umbrachte. Ach noch etwas – verbreite im Dorf dieNachricht, dass meine Vater Besuch von einem königlichen Boten hatte,der ihm schlechte Nachrichten überbrachte. Nachdem der Bote wiederweggeritten sei, verstarb mein Vater an Herzversagen. Ja genau, dassgeschah, weil er sich so über die Botschaft aufregte. Das ist gut, daranwerden die ruchlosen Verräter aus der Hauptstadt eine Weile zuknabbern haben.“

Das ihm seine Worte und Erkenntnisse keinen Trost spendeten, wurdesichtbar, als er den toten Mörder seines Vaters einen wütenden Fußtrittverpasste. Doch dann besann er sich und vergewisserte sich, dass diekönigliche Urkunde noch im Fach lag. Gewissenhaft verschloss er dasFach, um sich danach den Schlüssel umzuhängen. Den Brief desKämmerers an seinen Vater, der noch immer auf dem Schreibtisch lagschenkte er keine Beachtung. Für ihn ein Ding ohne Wert.

Mit leerem Blick verließ er das Arbeitszimmer und begab sich zum Stall.Nachdem er seinen Leon gesattelt hatte, kehrte er zum Wohnturmzurück. Niemand bemerkte wie er die Leiche des Boten auf dessen Pferdwarf und festband. In der aufkommenden Dunkelheit verschwand er wieein lautloser Schatten im Forst. Im Wald selbst war es inzwischenstockdunkel, doch er kannte das Gelände wie das Innere seiner

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Jackentasche. Auf einem schmalen Pfad ritt er immer tiefer in dasGehölz, bis er eine Stelle erreichte, wo er schon des Öfteren übernachtethatte, dort schlug er sein Nachtlager auf. Beim ersten Morgengrauen ritter weiter, tiefer, immer tiefer in den Wald hinein. Den Pfad hatte er längstverlassen, doch er schien immer noch zu wissen wohin er wollte. Amspäten Nachmittag erreichte er eine Schlucht, aus deren Tiefe dasGrunzen und Quietschen einer Herde Wildschweine drang. Er lud dieLeiche ab, entkleidete sie und warf sie den Abhang hinunter. Verschrecktstoben die Wildschweine auseinander, nur um bald darauf ihre grausigeArbeit zu verrichten. Unwahrscheinlich das überhaupt jemand die Leicheim Wald gefunden hätte, doch so war es unmöglich. Egal wasirgendwelche Sucher später anstellten, der königliche Bote würdespurlos verschwunden bleiben. Zusammen mit den anderen, von ihmgelegten, falschen Spuren, sollte es ihm gelingen, die Auftraggeber desMörders eine Weile in die Irre führen. Schnell brannte ein kleinesLagerfeuer, indem er die Kleidung des gedungenen Mörders warf, nichtohne sie zuvor durchsucht zu haben. Die gefüllte Geldbörse am Gürteldes Mörders war dabei kein Ausgleich für den Verlust seines Vaters undseiner vielversprechenden Zukunft. Trotzdem nahm er sie an sich, dennauf seiner Flucht würde er Geld brauchen. Die Geldschatulle seinesVater enthielt nur das nötigste, um den Betrieb auf dem Gutaufrechtzuerhalten.

So wie er zuvor den Mörder durchsuchte, so widmete er sich jetztdessen lederner Umhängetasche. Der Träger der Tasche hatte sich beiseinem Vater als königlicher Bote ausgegeben und ihm ein Schreibendes Kämmerers ausgehändigt. Deshalb konnte es kein Zufall sein, dasssich in der Tasche noch ein versiegeltes Dokument befand. Da musstees einen Zusammenhang geben. Kurz blickte William auf dasversiegelte Dokument in seiner Hand. Doch nach allem was geschehenwar, hatte er keine Skrupel, um das königliche Siegel aufzubrechen.Dann las er das Schreiben.

Lieber Cousin, hochgeschätzter Freund, begann der Brief, um dannunverblümt das Komplott zu beschreiben. Wie versprochen habe ich dieSache in unserem Sinn geregelt. Der Bote wird euch das besagteDokument übergeben. Der Verlust dieses Dokuments kostete demGrafen von Huntingen Titel und Lehen, und das Leben, fügte William in

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Gedanken hinzu. Das zweite Exemplar befindet sich übrigens in meinemBesitz. Wenn alles so verläuft wie geplant und da bin ich mir ganz sicher,wird die Regentin euch, Richard Axelot, zurzeit Steward von BurgFornax, zum königlichen Wildhüter und Earl von Huntingen ernennen.Königlicher Kämmerer und die Unterschrift Roger Tanabur. PS. Der Botehat seine Schuldigkeit getan.

Die Erkenntnis, dass der Bote eigentlich schon tot war, bevor ihn seinePfeile trafen, spendete William keinen Trost. Geduldig wartete er, bis alleSpuren verbrannt waren. Der verräterische Brief, ein Beweis für dieSchuld des Kämmerers, wanderte zurück in die Tasche. Dabei fiel ihmein, dass der Brief an seinen Vater noch auf dem Schreibtisch liegenmusste. Er wollte sie beide aufbewahren, denn sie waren der Beweis fürden abgrundtiefen Verrat des Kämmerers. Und wer weiß. Zurzeit sah eszwar nicht so aus, aber manchmal änderten sich die Zeiten, vielleichtergab sich irgendwann, in der Zukunft, wenn Gott es wollte, dieGelegenheit, den Kämmerer zur Rechenschaft zu ziehen.

Im Laufe des nächsten Tages traf er wieder in Huntingen ein. Er nahmdas Beileid der Dorfbewohner entgegen und erklärte ihnen dabei, dasser Huntingen verlassen würde, da ein neuer Mann das Amt desköniglichen Wildhüters übernehmen würde. Am Tag darauf wurde seinVater neben seiner Mutter auf dem kleinen Dorffriedhof beerdigt. Dasganze Dorf nahm Anteil und William konnte in den Augen der Menschenerkennen, dass ihre Trauer echt war. Zwar war sein Vater ein harter undgestrenger Mann, doch er war auch fair zu den Leuten. Im Gegenteil, inschlechten Zeiten stundete er ihnen die Pacht zu einem geringen Zins.Nein, die Leute wussten was sie an ihm hatten und machten sich Sorgendarüber, was sie bekommen würden. Aus diesem Grund wunderte sichWilliam auch nicht, dass der Dorfälteste um ein Gespräch bat, denn diemeisten Dorfbewohner hatten langfristige Schulden bei seinem Vater.Der Dorfälteste druckste bedrückt herum, weil er nicht wusste, wie er dasThema beginnen sollte.

„Jack, nun sag doch schon was du auf dem Herzen hast“, forderteWilliam den Dorfältesten auf. „Du willst wissen, was mit euren Schuldengeschieht? - Ihr habt keine Schulden mehr, denn ich habe dieSchuldscheine und alle Unterlagen verbrannt. Der Neue wird nichtsvorfinden, kein Schreiben, kein Buch, in dem irgendwelche Zahlen

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stehen, nichts. Und damit er keinen Verdacht schöpft, werde ich imArbeitszimmer meines Vaters ebenfalls einen Brand legen, ihr könntdann behaupten, dass dabei alle Unterlagen vernichtet wurden undschon wäret ihr Schuldenfrei.“

„Aber Herr“, stieß Jack entsetzt aus. „Das Haus eurer Eltern, in dem ihrgeboren wurdet, könnte dabei abbrennen.“

„Wäre möglich, - ihr könnt es ja verhindern, wenn ihr wollt. Obwohl ich esdem Neuen nicht gönne, dass er sich ins gemachte Nest setzt, um essich dort gemütlich zu machen“, konnte William seine angestaute Wutnicht mehr unterdrücken.

Am Nachmittag packte er seine persönliche Habe und die wenigenWertsachen seines Vaters zusammen, dann begab er sich zum Stall.Verwundert stellte er fest, dass dort schon zwei gesattelte Pferde unddas schwer bepackte Pferd des Boten reisefertig bereitstanden. Als erdie Pferde aus dem Stall führte, trat Kyyraq, mit einer brennenden Fackelin der Hand, gerade aus dem Anbau, in dem sich die kleine Schmiededes Gutes befand. Kyyraqs Anhänglichkeit rührte ihn sehr und wenn erehrlich zu sich war, machte es ihn froh, nicht ganz allein in die fremdeWelt hinaus zu müssen.

„Danke Freund, dann wollen wir die Sache zu Ende bringen undverschwinden.“

William übergab Kyyraq die Zügel seines Pferdes, gleichzeitig nahm erihm die Fackel aus der Hand. Viele Augenpaare beobachteten, wie er imWohnturm verschwand. Als er wieder heraustrat folgten seinen Spurenschon die ersten, leichten Rauchschwaden. Ohne sich umzublickenbegab sich William zum wartenden Kyyraq. Wortlos stieg er auf seinPferd und gab ihm einen leichten Schenkeldruck, so dass es lostrabte.Starr nach vorn blickend verließ er den Ort, wo es keine Zukunft mehr fürihn gab. Kyyraq folgte ihm, wobei er das dritte Pferd am Zügel hintersich herführte. Bedrückt folgten ihnen viele Augenpaare, denn mit dementschwindenden Sohn des Grafen, türmte sich eine ungewisse Zukunftam Horizont auf, ähnlich einem Unwetter. Viele der hier Ansässigenwussten aus Erfahrung das Veränderungen selten etwas Gutes für deneinfachen Menschen mit sich brachten. Doch sie wussten auch, dass siedaran nichts ändern konnten und so ergaben sie sich stoisch in ihr

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Schicksal. Doch dann erwachten die Dorfbewohner aus ihrer Lethargieund taten alles, um den Brand zu löschen. Das Arbeitszimmer, woWilliam den Brand legte, und alle darin befindlichenEinrichtungsgegenstände, natürlich auch die darin befindlichenDokumente, waren nicht zu retten, aber der Turm selbst und der Anbaublieben in ihrer Substanz erhalten.

„Vielleicht ändern sich die Zeiten irgendwann, schließlich ist dasSchicksalspendel ständig in Bewegung. Dann kehrt unser junger Herrvielleicht zurück und dankt es uns, dass wir sein Elternhaus vor derZerstörung retteten“, verkündete Jack, der rußgeschwärzte Dorfälteste,seinen Mitstreitern.

Noch gab es für William und Kyyraq keinen Grund sich zu verstecken,noch suchte niemand nach ihnen. Bevor jener Fall eintrat, gedachteWilliam eine große Entfernung zwischen sich und Huntingen gebracht zuhaben. Aus diesem Grunde ließen sie den Königsforst im wahrstenSinne des Wortes links liegen, wobei sie den Weg benutzten, der amForst entlangführte. Tag für Tag ritten sie weiter nach Süden, immerdarauf bedacht nicht aufzufallen. Aus diesem Grund mieden sie jedesDorf, jede noch so kleine Siedlungen, ja sogar einzelnen, abgelegenenGehöften gingen sie aus dem Weg. Nach zwanzig Tagen befanden siesich auf Höhe von Burg Trutzstein, die sie im Schutz der Nachtpassierten. Nach einer weiteren Woche stießen sie auf die erstenAusläufer des Drud-Gebirges. In seinen weit verwinkelten, verstecktenTälern glaubte William sich vor seinen Häschern verstecken zu können.Auch, weil sie sich ziemlich sicher waren, bis dahin von Niemandenbemerkt worden zu sein.

Tief in der Wildnis, in einem bewaldeten Tal mit Bach, fanden sie endlicheinen geeigneten Unterschlupf. Die Höhle besaß eine gewichtigeEigenschaft, in ihr entsprang eine Quelle, die sich in einem natürlichenFelsbecken sammelte, bevor sie sich ihren Weg nach draußen suchte.Zudem schien die Höhle durch Luftschächte, die das Gestein des Bergesdurchzogen, gut belüftet zu sein, ein wirklich ideales Versteck zumÜberwintern.

„Na, was hältst du von unserem neuen Zuhause?“, wollte William vonKyyraq wissen.

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In seiner ausgeprägten Zeichensprache gab jener zu verstehen, dass erschon mit schlechteren Unterkünften vorlieb nehmen musste. Er atmetetief ein, breitete beide Arme aus und grinste befreit. Was wohl so vielbedeuten sollte wie, wir leben und sind frei.

„Genau Kyyraq! Hier haben wir alles was wir brauchen. Wild in Hülle undFülle, Futter für die Pferde, bestimmt gibt es irgendwo in der Nähe aucheinen Weiher in dem wir fischen können. Wenn Gras über die Sachegewachsen ist, besuchen wir am Rande des Gebirges Siedler, denen wirBrot, Graupen, Linsen und frisches Gemüse abkaufen können.“ Plötzlichverstummte der junge William, weil er heftig schlucken musste. „DankeKyyraq, dass du mich begleitest, ich wüsste nicht wie ich das Ganzesonst durchstehen sollte.“

William drehte sich weg, damit der Nordländer nicht die Tränen in seinenAugenwinkeln sah. Gerührt trat Kyyraq zu ihm und legte ihm die Händeauf die Schultern, dann nahm er seinen jungen Freund in die Arme.Soviel Gefühl hätte niemand dem harten Nordländer zugetraut, auchWilliam nicht. Plötzlich packte der große starke Nordländer William undwarf ihn in die Luft, fing ihn wieder auf und gab ihm einen Klaps auf dieSchulter. William, gegen den Nordmann ein Leichtgewicht, war zuerstüberrascht, doch dann verstand er Kyyraq. Vorerst waren sie inSicherheit und brauchten sich um ihre Zukunft keine düsteren Gedankenmachen. Gemeinsam befreiten sie die Pferde von ihrem Gepäck, um sieanschließend abzusatteln, ihnen Fußfesseln anzulegen, damit sie, vorder Höhle, sich selbst überlassen, grasen konnten. Dort auf der Wiesefanden sie Wasser und Gras und brauchten nicht versorgt werden.

Während sich William in der näheren Umgebung auf die Suche nachtrockenem Feuerholz machte, trug Kyyraq ihre Sachen in die Höhle.Nach erfolgreichem Holz sammeln, griff sich William Pfeil und Bogen, umauf die Jagd zu gehen. Es war nicht viel was er am ersten Tag schoss,doch die zwei Fasanen würden für heute als Mahlzeit reichen.

Kyyraq war in der Zwischenzeit auch nicht untätig geblieben, er hattealles darangesetzt, um die Höhle ein wenig wohnlich zu machen. DerBoden war sauber und an der Höhlenwand lagen Decken und zweiJutesäcke, die er anscheinend mit Gras gefüllt hatte. William staunte,woran der einfache Nordmann alles gedacht hatte. Er wäre nie auf die

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Idee gekommen einen Jutesack mitzunehmen. Im Laufe der Zeit sollte ermitbekommen, dass der Nordmann ein praktisch denkender Menschwar, den die Wildnis nicht erschrecken konnte. Wie auch, schließlichstammte er aus einer Gegend, die den dort lebenden Menschen weitmehr abverlangte, als hier in diesem eher gemäßigten Klima.

Stolz zeigte William seinem stummen Freund die Beute. Ja, Jagen waretwas, was er gut konnte. Jetzt zahlte es sich aus, dass er schon alskleiner Junge die besten Jäger des Königsforstes auf der Pirschbegleitete. Sogar erfahrene Wildhüter seines Vaters versetzte er, mitseiner anscheinend angeborenen Kunstfertigkeiten mit dem Bogen, inErstaunen. Wobei der Umstand, dass William von einem wahren Meisterdes Fachs unterrichtet wurde, den Wildhütern seines Vaters nichtbekannt war. Denn obwohl der alte Baldur fast blind war und den Jobnicht mehr ausfüllen konnte, hatte er nichts von seiner Kunstfertigkeit mitdem Bogen verlernt. Da ihn der Graf trotz seines Mankos nichtfortschickte, sondern ihm ein Gnadenbrot gab, zeigte er sich auf seineWeise erkenntlich. Er schenkte dem jungen William nicht nur seineneinzigartigen Bogen, sondern bildete ihn auch noch daran aus.

Um Baldurs unglaubliche Meisterschaft mit dem Bogen zu verstehen,musste man wissen, dass er nicht aus Askalan stammte. Seine Heimatlag, nach seiner Aussage, noch weit hinter dem wilden Land Balbadur.Er stamme aus dem sagenumwobenen Land Anethàlias. Vieles sprachdafür, dass er die Wahrheit sagte, denn seine Haut war viel dunkler alsdie, der hier geborenen Menschen und sein Bogen bestand aus einemHolz, das hier nicht wuchs. Unter den Wildhütern kursierten dieunglaublichsten Geschichten von Baldurs Treffsicherheit, aber auch mitwelcher Schnelligkeit, der damals noch Sehende, seine Pfeile in Zielschickte. Letzten Winter starb der alte Baldur, doch das Schicksal ließihm ausreichend Zeit um sein ganzes Wissen, jedenfalls was dieKunstfertigkeit mit Pfeil und Bogen anbelangte, auf William zuübertragen. Vielleicht erkannte er, mit seinen durch die Blindheitsensibilisierten Sinnen, dass William ein ähnliches Naturtalent besaß wieer selbst. Vielleicht wollte er aber auch nur, dass etwas von ihm in dieserWelt zurückblieb, auch wenn es nur das Wissen um seine Kunstfertigkeitwar.

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Gestenreich gab Kyyraq seinem jungen Freund zu verstehen, dass jenerein paar Steine suchen sollte, um die gedachte Stelle für das Lagerfeuereinzugrenzen. Dabei zeigte er ins Höhleninnere hinein. Denn nochreichte das Tageslicht ein Stück, in den sich tief dahinziehendenFelsschlund hinein. So war es William möglich, die Steinbrocken, diehier rumlagen, einzusammeln. Während Kyyraq die Fasane rupfte undausnahm, sammelte William fleißig Steine und legte auch gleich denKreis an, in dem das Lagerfeuer errichtet werden sollte. Der Nordmannschien fast zufrieden mit dem Ergebnis, vergrößerte den Steinkreisjedoch noch ein wenig, indem er noch ein paar Steine hinzugefügte,dann schlug er William anerkennend auf die Schulter. Als Kyyraq anfingtrockene Äste zu einem Stapel zu schichten, kam sich Williamüberflüssig vor und so beschloss er die Pferde in die Höhle zu holen,schließlich neigte sich der Tag langsam seinem Ende zu. Kyyraq ließsich in seiner Arbeit nicht stören und schob ein Bündel trockenes Grasunter den Holzstoß, bevor er mit seinem Messer auf dem Flintsteinherum kratzte. Gekonnte richtete er den Funkenregen auf das trockeneGras, wodurch er den Feuergeist herbeirief. Schnell züngelten kleineFlammen aus dem Gras und fraßen sich knisternd ins Holz. Deraufsteigende Rauch verzog sich in irgendwelchen Felsritzen und würdeso, unauffällig verteilt aus dem Berg entweichen. Der Feuergeistschien Spaß an seiner Arbeit zu haben, denn schon bald züngelten dieersten, roten Flammenzungen oben aus dem Holzstoß heraus. MitUrgewalt siegte das Feuer über das Holz, wobei die zuckenden,tanzenden Flammen seltsam hüpfende Schatten an die Felswändewarfen. Aufgeregt gab Kyyraq seinem Gefährten durch Zeichen zuverstehen, dass der helle, verräterische Lichtschein des Lagerfeuers,wenn erst die Nacht mit ihrer Dunkelheit richtig hereingebrochen war,einem spähenden Auge nicht entgehen konnte.

William verstand den Hinweis, ergriff die Axt, die an einer Wand lehnteund begab sich nach draußen. Alles was ihn dafür geeignet erschienbekam es mit seiner Axt zu tun. Lange Äste, kleine Bäumchen, mitBlattwerk dienten dann dazu, um den Eingang der Höhle zu verdecken.Bei nächster Gelegenheit wollte er eine Vorrichtung bauen, die man vorden Höhleneingang schieben konnte, die gleichzeitig auch als Schutz vorwilden Tieren diente. Als William nach getaner Arbeit in die Höhlezurückkehrte, stieg ihm ein verführerischer Duft in die Nase. Der Duft

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kam von der Pfanne über dem Feuer, in dem das Fasanenfleischbrutzelte. Geduldig setzte er sich neben das Feuer und sah zu wieKyyraq die abgetrennten Fasanenteile wendete, bis sie von allen Seitenbraun und knusprig waren. Endlich gab Kyyraq das lang erwarteteZeichen und sofort piekte William mit seinem Messer ein Stück Fleischauf. Auch wenn er frisches Brot oder eine Beilage vermisste, ließ derHunger solche Nebensächlichkeiten vergessen. Während er dasFleisch kaute, dachte er an den Sack Getreide, der sich unter ihremGepäck befand. Vielleicht besaß Kyyraq eine Idee, wie man einen Ofenbaute, indem sie dann Brot backen konnten. Nach dem Essen machtesich der lange, anstrengende Tag bemerkbar und William merkte wie ihmdie Müdigkeit in die Knochen fuhr. Schläfrig schleppte er sich zurLagerstatt und fiel auf den mit Gras gefüllten Jutesack. Als Letztes hörteer noch weit entferntes Wolfsgeheul, dann versank er in einen tiefenSchlaf.

Vorsichtig blinzelte William und rieb sich die Augen. Sonnenlicht drang indie Höhle, da Kyyraq einen Teil des schützenden Geästes vomHöhleneingang entfernt hatte. Über dem Feuer hing ein Kessel, dessenInhalt Kyyraq mit einem Holzlöffel umrührte. Als der Nordmannbemerkte, dass ihn William ansah, schüttelte er mit der anderen Handeinen leeren Stoffsack. William verstand, heute gab es die letztenGraupen, wurde Zeit, dass sie sich nach anderen Nahrungsquellenumsahen. Kyyraq schien das genauso zu sehen, denn als sie nach demFrühstück vor die Höhle traten, tat er plötzlich so, als wenn er fror, zeigteauf seinen geöffneten Mund und rieb sich den Bauch.

„Du meinst bis zum Einbruch des Winters sollten wir uns ein Vorratslageranlegen? Ich habe auch schon darüber nachgedacht. Leider kenne ichmich nur mit Wild aus, hoffentlich hast du auf den anderen Gebietenmehr drauf als ich. Aber zuerst sollten wir unser neues Revierkennenlernen, dabei können wir auch gleich unsere Ressourcenbegutachten“, machte William zum Ende einen durchaus brauchbarenVorschlag.

Bald darauf ritten sie los, wobei sie das dritte Pferd mitnahmen. Erstenswollten sie es nicht schutzlos in der Höhle zurücklassen, zweiten gab esvielleicht etwas zu transportieren, dann besaßen sie ein Lasttier. AmRande des Tales wuchsen dichte Brombeersträucher und auch

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Apfelbäume mit kleinen Früchten. Ein Rinnsal, vermutlich aus der Quellein ihrer Höhle gespeist, schlängelte sich durch die angrenzendenWiesen. Als Ziel hatten sie die Umrundung des Berges ausgegeben,indem sich ihre Höhle befand. Im Verlauf des Tages stellte sich jedochheraus, dass dieses Unterfangen schwerer als gedacht war. Der Bergwar nur ein Glied in einem sich lang dahinziehenden Höhenzug. GegenMittag mussten sie das Unternehmen abbrechen, da sie keinenbrauchbaren Weg fanden, um den Berg zu umrunden. Doch Ärger wolltedeshalb nicht aufkommen, da sie zur gleichen Zeit auf einen verträumtenWeiher stießen, der stimmungsvoll von einigen alten Weiden begrenztwurde. Im klaren Wasser konnten sie eine Unzahl umher schwimmender,schuppiger Wasserbewohner erkennen. Kyyraqs Augen fingen an zuleuchten, als er die vielen Fische sah. Die unbekümmerten Tiereschienen Kyyraq daran zu erinnern, dass es Zeit fürs Mittagessen war.

„Aber wie Kyyraq?“, wusste sich William keinen Rat, da sie leider keinAngelzeug besaßen.

Ohne zu überlegen schoss Kyyraq mit einem fiktiven Bogen einen PfeilRichtung Fische.

„Und du meinst das könnte klappen?“

Noch nie hatte William auf diese Weise Fische gefangen. Doch derHunger, den er in seinen Eingeweiden wühlte, bewegte ihn dazu dieSache wenigstens auszuprobieren. Bevor er ins Wasser stieg, zog er dieStiefel aus und krempelte die Hose ein Stück hoch. Um sich an dieFische anzupirschen, setzte er im Wasser vorsichtig einen Fuß vor denanderen. Verwundert stellte er fest, dass das nicht nötig war, denn dieFische flüchteten nicht. Daraus schloss er, dass die letzte Begegnungmit Menschen lange zurückliegen musste, vermutlich sogar der letzteBesuch eines Fischreihers. Blitzschnell verließ der Pfeil die Sehne undbohrte sich in einen Fischkörper. Schnell ergriff er das Pfeilende undwarf den zappelnden Fisch hinter sich ins Gras, wo sich Kyyraq desschuppigen Gesellens liebevoll annahm. Nachdem die anderen Fischeihren kurzen Schrecken überwunden und ihn vermutlich gleich daraufauch wieder vergessen hatten, schwammen sie wieder um WilliamsBeine herum. Plop, durchschlug der zweite Pfeil die Wasseroberflächeund spießte den nächsten Fisch auf. Noch zweimal war William

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erfolgreich, dann stellte er seine ungewöhnliche Jagd ein und verließ dasWasser.

Kyyraq zeigte zum Waldrand, dort wollte er das Lager aufschlagen.Nachvollziehbar für William, denn dort befanden sie sich nicht wie aufdem Präsentierteller, sondern konnten ihr Lagerfeuer im Schutz derBäume anzünden. Während Kyyraq die Fische ausnahm und auf Stöckespießte, machte sich William daran das notwendige Feuerholz zusammeln. War es die aufkommende Trägheit nach dem guten,reichhaltigen Essen oder einfach nur Vernunft, dass sie zur der Einsichtgelangten, zu ihrer Höhle zurückzukehren? Doch zuvor nahmen sie dieEinladung der Brombeersträucher an und gönnten sich noch einDessert.

Auf dem anschließenden Weg zu ihrem Höhlenquartier gestanden siesich ein, dass sie der Problemlösung, wie sie den Winter hier draußenüberleben sollten, nicht wirklich näher gekommen waren. Sobeschlossen sie am nächsten Tag getrennt auf Erkundung zu gehen,einfach weil sie auf diese Art ihr Revier doppelt so schnellkennenlernten. So vergingen die Tage mit Auskundschaften derUmgebung, Jagen, sowie dem Anlegen eines Holz- und Heuvorrats. Beidem reichhaltigen Wildangebot sollte es auch im Winter nicht an Fleischmangeln. Kyyraq sammelte auch Pilze, essbare Wurzeln und Äpfel.Eines Abends zeigte der Nordmann seinem Begleiter aufgeregt eineHandvoll Bucheln.

„Was ist denn an den Bucheckern so aufregendes?“, verstand Williamden Enthusiasmus seines Partners nicht.

Kyyraq suchte sich einen flachen Stein, legte die Bucheln auf denHöhlenboden und zerrieb sie mit dem Stein. Dann zeigte er auf diePfanne, den Kessel und die Stelle, wo er mit dem Bau des Ofensangefangen hatte.

„Du meinst wir könnten sie essen? Stimmt, die Wildschweine werdenrund und fett davon. Außerdem können wir in unserer Situation nichtwählerisch sein, wir müssen nehmen was die Natur uns bietet“, erkannteWilliam wie recht der Nordmann doch hatte.

Kyyraq hob ein paar Krümel auf und reichte sie William.

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„Du meinst ich soll sie mal kosten?“ Leicht widerwillig legte er sich dieKrümel auf die Zunge und war von dem Geschmack überrascht, dennes schmeckte nach Nuss.

„Kyyraq, kann es sein, dass da, wo du herkommst, euer Überleben vonsolchem Wissen abhing?“

Kyyraq nickte heftig und schob sich die restlichen Krümel in den Mund.Der erste Schritt war getan, um Wildnis und Winter die Stirn zu bieten.Die folgenden Wochen waren vor allem mit Jagen und Sammelnausgefüllt, um einen größtmöglichen Vorrat, von allem, was siebrauchten, anzulegen. Im Verlauf seines Umherstreifens stieß Williamauch auf die Fußspuren eines ausgesprochen großen Bären, ohne dasser ihn je zu Gesicht bekam. Selbstverständlich teilte William seinemPartner seine Beobachtung mit, was jenen dazu veranlasste etwas zubauen, dass ihren Höhleneingang sichern sollte. Ein rohes Holzgestell,von dem schräggestellte, angespitzte, kräftige Äste nach außen zeigtenwar das Ergebnis. Dieses tödliche Hindernis baute er direkt hinter derAbdeckung des Höhleneinganges auf.

Wie jeden Tag versank das Tagesgestirn im Westen hinten den Bergenund William holte die Pferde von der Wiese, um sie weiter hinten in derHöhle in ein grob gezimmertes Holzpferch zu stellen. Anschließendverschloss er den schmalen Spalt, der ihnen als Eingang in die Höhlediente, mit dem dafür bereitstehenden Ast- und Blattwerk. Eigentlich waralles so beschaulich wie immer. Bis, ja bis die Wildnis heftig an ihre Türklopfte. Wobei die Tür leider nur aus losen Ästen Zweigen und demdazugehörigen Blattwerk bestand, eben gerade ausreichend um denHöhleneingang vor neugierigen Blicken zu verbergen.

Es war das laute, bösartige Brüllen des Bären, das sie aufschreckte.Wurde das Raubtier durch den Geruch ihrer Pferde angelockt oderhatten sie unwissend sein Winterquartier besetzt? Egal, Meister Petzschlich vor der Höhle hin und her und suchte nach einer Stelle, durch dieer hinein gelangen konnte. Als der Bär nicht fündig wurde, warf er sichmit seinem ganzen Gewicht gegen die Abdeckung. Nur eine Frage derZeit, wann die Wand aus Ästen, Zweigen und Blättern nachgab. Auchdas spezielle Hindernis mit angespitzten Ästen versagte, denn längsthatten sich die angespitzten Äste, für den Bären nur zu deutlich, durch

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das Laub gebohrt. Das Ächzen und Krachen von brechenden Ästensagten William und Kyyraq, dass die Situation langsam brenzlig wurde.

Instinktiv hatte William seinen Bogen gegriffen, um mit aufgelegtem Pfeildie Situation zu verfolgen. Plötzlich spürte er Kyyraqs Hand auf derSchulter und als er sich ihm zuwandte, sah er, dass sein Partnerenergisch den Kopf schüttelte. Auf seine ureigenste Art verdeutlichte erWilliam, dass man einen wildgewordenen Bären mit Pfeil und Bogennicht aufhalten konnte. Der metallene Ger in seiner Hand, mit dem ereinen Wurf andeute, schien ihm der einzige Weg zu sein, den Kampf zuihren Gunsten zu entscheiden. William musste sich eingestehen, dass erviel Glück benötigte, um mit nur einem Pfeil, den tödlichen Schuss zusetzen. Denn brach der Bär erst durch, dann würde alles sehr schnellgehen müssen, zu mehr als einem gezielten Schuss würde er kaumGelegenheit bekommen. Erschwerend kam hinzu, dass sich Meister Petzeinen dicken Winterspeck angefressen hatte. Kyyraq, ein wahrer Meistermit dem Ger, wog das Mordinstrument in seiner Hand, als ihm plötzlichnoch etwas einfiel. und Er zeigte zuerst auf eine lange Holzstangedanach auf die Rehkeulen, die in einer Felsennische hingen. Williamverfolgte gebannt wie Kyyraq anschließend den Bären imitierte, wie ersich weit aufrichtete, um an etwas zu gelangen, was über ihm hing.Endlich verstand William, was ihm Kyyraq mit seiner seltsamenVorstellung mitteilen wollte.

„Du willst mir damit sagen, dass ich dem Bären, wenn er durchbricht, dieKeule so hinhalten soll, dass er sich aufrichten muss, um sie zuerreichen?“ Kyyraq nickte heftig zu Williams Worten. „Und dann wirfst duihm den Ger mitten ins Herz“, fügte William verstehend hinzu.

William spießte eine der Rehkeulen auf die lange Holzstange, nur umanschließend seinen Partner mit den Augen festzuhalten, als suchte ernach einer Unsicherheit in dem gewagten Plan. Sinnlos zu erwähnen,dass auch Kyyraq nur die eine Chance erhielt, denn sollte der Wurf nichttödlich für den Bären enden, dann bekamen sie ein arges Problem. Dochwozu darüber lamentieren, Kyyraq wusste worum es ging, trotzdemschien er sich sicher zu sein.

Krachend zerbarsten einige der dicken Äste und der Bär schob sichbrüllend und mit weit aufgerissenem, geiferndem Maul in die Höhle. Nur

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das flackernde Feuer hielt ihn zunächst noch davon ab sich auf dieZweibeiner zu stürzen. Aug in Aug mit dem gefährlichen Gegner bildetensich Schweißperlen auf Williams Stirn, was ihn jedoch nicht davonabhielt die lange Stange mit der verführerisch duftenden Rehkeule so zuhalten, dass der Bär sich aufrichten musste, um den fetten Happen zuerreichen. Vor Erregung und Gier tropfte schaumiger Sabber aus demMaul des Raubtieres. Zuerst unentschlossen, ob er sich auf dieZweibeiner stürzen sollte, entschied er sich dann für das leichtere Ziel.Hoch richtete sich der Bär auf und angelte mit seinen Vorderläufen nachder Keule. Im selben Moment zischte der Ger an Williams Ohrvorbeizischte, um sich mit einem ekligen Geräusch in den Oberkörperdes Bären zu bohren. Kyyraq hatte nicht nur gut gezielt, sondern auchall seine Kraft in den Wurf gelegt. Überrascht und schmerzvoll brüllte derBär auf, nur um gleich darauf in sich zusammenzusacken. Gespanntverharrten William und Kyyraq auf ihren Plätzen, bereit sich mit Streitaxtund Pfeil und Bogen zu verteidigen. Doch das große, braune, pelzigeTier muckste sich nicht mehr. Kyyraq ergriff einen langen Ast undnäherte sich den Bären mit erhobener Axt. Immer wieder stieß er demBären den Ast in den Körper, doch Meister Petz war längst in denewigen Jagdgründen angekommen.

„Ein wirklich guter Wurf Kyyraq. Ein Zeichen, dass du mal ein wirklichgroßer Krieger deines Stammes warst. Gut das du mein Freund undnicht mein Feind bist“, redete sich William seinen Schrecken von derSeele.

Kyyraq grinste und hielt die Arme nach vorn, sodass sich dieHandgelenke überkreuzten, so als wollte er sagen, hat mir nichtsgenützt, ich wurde gefangen genommen. Um anschließend den Ger ausdem Körper des Bären zu ziehen, musste Kyyraq ein Bein in dessenKörper stemmen.

„Puh“, machte William als er seine weichen Knie bemerkte und ihmabschließend bewusst wurde, an welch dünnem Faden ihr Überlebensoeben hing.

Außer der Aufregung brachte ihnen dieses Abenteuer eine MengeFleisch und ein Bärenfell, mit dem sich Kyyraq in den kaltenWinternächten zudecken konnte. So aufregend das Abenteuer auch war,

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danach gab es wieder das tägliche Einerlei, mit den eingespieltenTagesabläufen. Eines Morgens, als sie aus der Höhle traten, lag Raureifauf den Wiesen, was wohl mit Nachdruck den bevorstehenden Winterankündigte. Wenige Tage später fiel der erste Schnee. Noch lag nur einedünne Schneedecke, so dass die Pferde draußen immer noch genugFutter fanden. Solange nicht mehr Schnee fiel, konnten die Pferdeweiterhin draußen futtern, nur dass einer sie dann bewachte. Ansonstenverließen sie die Höhle nur noch, um denn Vorrat an Feuerholz immerwieder aufzufüllen oder um etwas Frischfleisch zu jagen.

Dem Wetter angemessen hatten sie die Abdeckung vor demHöhleneingang, der sie zuvor nur vor neugierigen Blicken schützensollte, mit dichten Tannenzweigen verstärkt. Eine notwendigeMaßnahme, damit die Kälte nicht all zu sehr in die Höhle eindrang. Eineähnliche Schutzwand errichteten sie auch im Inneren der Höhle, so dassdie Wärme des Feuers nicht in den Berg abwandern konnte. Denn dieHöhle zog sich tief in den Berg hinein, wie Kyyraq bei der Suche nachgeeigneten Steinen für seinen Ofen festgestellt hatte. Genau genommenerreichte Kyyraq das Ende der Höhle nie. Vielleicht besaß sie keinwirkliches Ende, sondern führte irgendwo an anderer Stelle wieder ausdem Berg heraus? Der Winter war lang, vielleicht würde er versuchendas herauszubekommen, überlegte sich Kyyraq.

Im Laufe der nächsten Tage fiel immer mehr Schnee, so dass Williamdie von Kyyraq angefertigten Schneeschuhe aus Weidenzweigen undLederriemen schätzen lernte. Der gute Kyyraq hatte sogar darangedacht den Bärenfellmantel von Williams Vater einzupacken. JedenMorgen nach dem Aufstehen schufen sie eine kleine Lücke in ihrerSchutzwand und vergewisserten sich, dass draußen keine unliebsamenÜberraschungen auf sie lauerten. So kam es, dass William einesMorgens eine Blutspur vor ihrer Höhle entdeckte. Vorsichtig schob er dieZweige der Schutzwand etwas beiseite, um das Terrain vor der Höhle inAugenschein zu nehmen. Die verdächtige Blutspur führte bis ganz dichtan die Schutzwand heran. Ein Tier schien dort, wo es ein wenig wärmerwar, Schutz gesucht zu haben. Sofort unterrichtete er Kyyraq von seinerFeststellung. Sie ergriffen ihre Waffen, um dann gemeinsam, aber vorallem vorsichtig vor die Höhle zu treten. William hielt Pfeil und Bogenschussbereit, während Kyyraq seinen Ger wurfbereit hielt.

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Fast gleichzeitig senkten sie die Waffen, denn von dem Tier, das sich inihrer Höhlenabdeckung verkrochen hatte, ging keine Gefahr aus. Einjunger Wolf hatte sich unter den Zweigen der Schutzwand verkrochenund begann leise zu knurren, als sie sich ihm näherten. Seine Verletzungwar anscheinend so schwer, dass er dem Rudel auf seinenWanderungen nicht folgen konnte. Es konnte sogar sein, dass dasWolfsrudel die beiden Menschen beobachtete und sich langsam an ihreNähe gewöhnte. Auf jeden Fall hatte das Tier irgendetwas veranlassthier Schutz zu suchen. Kyyraq schien einen Einfall zu haben, denn erverschwand in der Höhle und holte ein Stück Fleisch, um es dem Wolfhinzuwerfen. Zwar blickte der junge Wolf gierig auf das Fleisch, doch ergetraute sich nicht aus seinem Versteck. Kyyraq schaltete sofort und zogWilliam am Wams zurück in die Höhle. William sah ihn zwarverständnislos an, widersetzte sich der Aufforderung aber nicht. Drinnengab ihm Kyyraq zu verstehen, dass der junge Wolf Zeit brauchte, umsich, wenn sie ihm immer wieder Futter gaben, ihnen zu vertrauen.Später, wenn er Vertrauen zu ihnen gefasst hatte, wobei das Füttern denAusschlag geben sollte, ergab sich vielleicht die Möglichkeit dieVerletzung des Tieres zu versorgen.

„Du meinst er gewöhnt sich so an uns, dass er zahm wird?“, konnteWilliam seine Verwunderung nicht verbergen.

Er hatte schon Geschichten gehört, dass ganz junge Wolfswelpen vonMenschen aufgezogen und wie Hunde gehalten wurden, aber hier lagdie Sache doch etwas anders. Doch Kyyraq schaute so zuversichtlichaus der Wäsche, als wenn er sich seiner Sache ziemlich sicher war. Inseiner unnachahmlichen Art erklärte der Nordmann seinem jungenPartner, dass sie so tun mussten, als wenn der Wolf überhaupt nichtvorhanden sei. Staunend verfolgte William wie sein väterlicher Freundmit Handzeichen und Körpersprache ihm die Sache erklärte. Am Ende,der auf so ungewöhnliche Weise erzählten Geschichte, nickte Williamseinem Freund verstehend zu.

Jeden Morgen, bevor sie ihrem normalen Tagesgeschäft nachgingen,warfen sie dem Wolf ein paar Stücke Fleisch in seinen Unterschlupf,welches jener auch sofort gierig verschlang. Zwar beäugte der Wolf sienoch immer misstrauisch aus seiner Deckung, doch er knurrte sie nichtmehr an. Am dritten Tag trat Kyyraq mit den Fleischstücken bis dicht an

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den Wolf heran. Während das Tier das Fleisch beschnüffelte und Kyyraqmisstrauisch beobachtete, beäugte der Nordmann eingehend denverletzten Vorderlauf. Anscheinend hatte der junge, unerfahrene Wolfheftige Bekanntschaft mit den Hauern eines Ebers gemacht. Der linkeVorderlauf war über dem Ellenbogengelenk bis zur Schulter aufgerissen.Nochmals Glück gehabt Grauer, dachte Kyyraq, dass hätte auch tödlichenden können. Kyyraq überließ dem Wolf das Fleisch und zog sichzurück.

Anschließend verdeutlichte er William, dass er einen Sud aus Kräuternherstellen wollte, um damit die Wunde zu versorgen. Die Verständigungzwischen den Beiden klappte inzwischen erstaunlich gut, was wohldaran lag, dass sie seit geraumer Zeit an ihrer Zeichensprachearbeiteten. William der gerade nichts zu tun hatte, sah zu wie seinFreund tiefer in der Höhle verschwand, um sich in die, gleich hinter derinneren Schutzwand liegende, Vorratskammer zu begeben. Als sie imHerbst ihre Vorräte anlegten, hatte Kyyraq neben den Heilkräutern aucheinen Vorrat an Heilerde angelegt, mit Beidem kehrte er jetzt zurück. Daseinmal ein Wolf der Nutznießer ihrer Vorsichtsmaßnahmen sein sollte,darauf wäre William jedoch nie gekommen. Doch zuvor stand ihrFrühstück auf dem Programm und dazu gehörte auch ein heißesGetränk. Da sie nur einen Kessel besaßen, musste der Wolf warten bisihr Kräutertee heiß war. In das restliche Wasser warf Kyyraq dieHeilkräuter und ließ sie den ganzen Vormittag köcheln. Am Ende warf ernoch zwei Hände Heilerde hinein und brachte anschließend den Kesselnach draußen, damit der Sud im Schnee abkühlte. William verfolgte mitInteresse das Treiben seines Freundes, auch wie er vom Bärenschinkenein paar kleinere Stücke abschnitt.

Dann war es soweit. In der linken Hand hielt Kyyraq die Schinkenstücke,in der Rechten einen dicken Brei aus Heilerde und Kräutersud.Langsam näherte er sich dem Wolf, kniete nieder, hielt ihm die geöffneteHand mit Schinken unter die Nase und als er fraß, schmierte er ihm mitder anderen Hand den Brei in und auf die verschorfte Wunde. Williamstaunte nicht schlecht, als er sah, dass sich der Wolf die Prozedurgefallen ließ. Am Ende leckte das Tier seinem Pfleger sogar dankbar dieHand. William war zutiefst beeindruckt, wie geschickt der Nordmann mitdem wilden Tier umging. Am nächsten Tag forderte Kyyraq seinen

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Partner auf, an seiner statt, den Wolf zu versorgen. William begriff sofortwas dahinter steckte. Kyyraq wollte, dass der Wolf zu ihnen BeidenVertrauen fasste. So wechselten sie sich jeden Tag ab, bis sie einesMorgens die kleine Ast- und Laubhöhle verlassen vorfanden.

„Schade, ich hatte mich schon an Wolf gewöhnt“, bedauerte Williamdessen Verschwinden.

Kyyraq schüttelte den Kopf und zeigte auf eine Stelle am Waldrand.Tatsächlich da humpelte Wolf auf die Höhle zu, so wie es schien, hatteer nur die ersten Gehversuche unternommen. Auch wenn Wolf mit jedemTag zutraulicher wurde, die Höhle betrat er nie. Seinen kleinenUnterschlupf, den er sich unter dichten Tannenzweigen derEingangsabdeckung eingerichtet hatte, schien ihm als Behausungdurchaus zu genügen. Am Tage unternahm er immer längere Ausflügekehrte aber regelmäßig beim Anbrechen der Dunkelheit zurück. DieWunde war gut verheilt, doch er humpelte noch immer, vermutlich weilMuskeln und Sehnen dauerhaften Schaden erlitten. Eines Nachts wecktesie das laute Geheul des Wolfsrudels, doch Wolf blieb stumm, er schiensich für sein neues Rudel entschieden zu haben. Von da an begleitete erdenjenigen, der draußen etwas zu erledigen hatte, auf Schritt und Tritt.

Langsam gingen ihre Vorräte zur Neige, doch zur gleichen Zeit wurde esauch etwas wärmer, so dass der Schnee anfing zu schmelzen. Aber derlangersehnte Frühling kündigte sich auch noch anders an. Der Schreider Wildgänse, die jetzt jeden Tag über das Tal flogen, war ein weiteresIndiz. William ging nun wieder regelmäßig auf die Jagd, wobei ihn Wolfbegleitete. Mit dem sicheren Instinkt eines wilden Tieres fand er dieFährte von Beutetieren, um William dann zur besten Schussposition zuführen. Bei erfolgreichem Jagdausgang bekam Wolf zur Belohnung anOrt und Stelle die noch warmen Innereien.

Als der Schnee den steigenden Temperaturen nichts mehrentgegenzusetzen hatte, schmolz er gänzlich dahin, bis alle Spuren deslangen Winters verschwunden waren. Dieser Neubeginn in der Naturführte bei William und Kyyraq zu der Erkenntnis, dass es Zeit wurde, umsich wieder mit Dingen des täglichen Bedarfs einzudecken. Dazumussten sie mit Menschen Kontakt aufnehmen, eine Siedlung finden.

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Kurz entschlossen packten William und Kyyraq ihre Sachen undverließen in Begleitung von Wolf das Tal, wobei sie sich nach Westenwandten. Ohne Eile durchzogen sie die bergige Landschaft, bis sie amzehnten Tag von einer Anhöhe auf eine weite Ebene blickten. Zu ihrerVerwunderung befand sich in der Abgeschiedenheit der Wildnis, am Fußdes Berges, eine größere Siedlung, in der geschäftiges Treibenherrschte. Verwundert schauten sie auf die vielen Holzhäuser,Stallungen und Viehgatter, aber vor allem auf das im Bau befindlicheriesige Gebäude aus Stein. Doch das war noch nicht alles. Im weiterenUmfeld erkannten sie umgepflügte Felder und eine Mühle deren großesSchaufelrad sich in einem Bach drehte. Da vieles jedoch noch unfertigwirkte, schlossen William und Kyyraq daraus, dass die Menschen dortunten noch nicht so lange hier siedelten. Auf Williams fragenden Blickzuckte Kyyraq nur mit den Schultern, auch er stand vor dem gleichenRätsel wie sein Partner. Als sie stetig auf die Siedlung zuhielten bliebWolf plötzlich zurück.

„Du bist ein kluges Tier. Du traust Zweibeinern, außer uns, nicht überden Weg und das kann ich aus eigener Erfahrung gut nachvollziehen.Den Winter über wurden wir Partner, doch du bist immer noch ein freierWolf, also auch frei in deinen Entscheidungen. Ich kann dir noch nichtsagen wie lange wir dort bleiben, doch in absehbarer Zeit kommen wirwieder hier vorbei. Würde mich ehrlich freuen, wenn du dann wieder zuuns stößt. Wenn nicht, dann wünsche ich dir viel Glück auf deinenWegen und erhalte dir dein gesundes Misstrauen allen Fremdengegenüber.“

Kyyraq, seiner Stimme beraubt, sprang vom Pferd und kniete sich insGras. Sofort stürmte Wolf auf ihn zu, setzte sich vor ihm hin und leckteihm übers Gesicht. Kyyraq griff ihm ins Genick und drückte seinen Kopfgegen Wolfs Stirn. So verharrten sie eine Weile, dann sprang Kyyraqauf, bestieg sein Pferd und ritt los, ohne sich auch nur noch einmalumzudrehen.

„Der Graue wird uns nicht vergessen, das heißt er wird auf uns warten“,äußerte sich William zuversichtlich und Kyyraq stimmte dem mit einemNicken zu. Plötzlich bremste William sein Pferd ab.

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„Halt Kyyraq, warte einen Augenblick! Es ist das erste Mal, dass wir seitunserer Flucht wieder auf Menschen treffen. Wir wissen nicht, ob mannach mir sucht. Wir sollten Vorsichtsmaßnahmen treffen. Dich hatniemand auf der Rechnung und wenn wir getrennt auftreten, dannkannst du beobachten, ob sich jemand für mich interessiert.“

Schon bei Williams ersten Worten stoppte Kyyraq sein Pferd, wobei erein nachdenkliches Gesicht machte und dann verstehend nickte. Als ersein Pferd mit einem Schenkeldruck wieder in Bewegung setzte, ritt er inentgegengesetzter Richtung, um auf einem anderen Weg in die Siedlungzu gelangen. William behielt das Packpferd und ließ sich genügend Zeit,damit Kyyraq vor ihm in der Siedlung eintraf. Dort herrschte geschäftigesTreiben, fast wie in einem Ameisenhaufen. Ein nie abreißender Stromvon Fuhrwerken brachte Steine aus einem nahegelegenen Steinbruchauf die Baustelle. Dort warteten schon fleißige Hände, um die Steineabzuladen, damit sie von Steinmetzen bearbeitet werden konnten.Wieder andere Arbeiter brachten die bearbeiteten Steine zum im Baubefindlichen Gebäude. Die Männer wirkten wild und ungepflegt, wasaber niemand zu stören schien. Staunend verfolgte William dasGeschehen, aber noch mehr staunte er über die Ausmaße des im Baubefindlichen Komplexes. Ein langgezogener Anbau war schonfertiggestellt, während von einem anderen Teil bisher nur dieGrundrisse zu erkennen waren. Jemand schien hier ein gewaltigesGebäude zu errichten und genau darauf konnte William sich keinen Reimmachen. Wer baute schon mitten in der Wildnis einen solch gewaltigenGebäudekomplex? Während er weiter das Treiben der Arbeiter verfolgte,sprach er immer wieder Menschen an, um herauszufinden, wo er dieDinge, die auf seiner Einkaufsliste standen, erstehen konnte. Diemeisten winkten uninteressiert ab, um sich sofort wieder ihre Arbeit zuwidmen.

Anders eine junge Frau in einer einfachen, schlichten Tracht, vermutlicheine Ordensschwester, sie hörte sich seine Frage aufmerksam an.

„Ich glaube zwar nicht, dass ihr auch nur einen Nagel bei uns erstehenkönnt, trotzdem steht euch der Versuch natürlich frei, danach zu fragen.Wenn euch überhaupt jemand helfen kann, dann ist es die ehrwürdigeMutter Vorsteherin.“

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Bei ihren letzten Worten zeigte die Frau auf zwei Personen, von denenniemand die Voraussetzungen einer Ehrwürdigen Mutter erfüllte, fandjedenfalls William. Ein älterer Mann und eine Frau, höchstens Mitte,Ende Zwanzig, diskutierten aufs Heftigste. Am Ende hob die Frau, dieeine ähnliche Ordenstracht trug, bestimmend eine Hand, als wollte siedie Diskussion beenden. Daraus entnahm William, wer hier das Sagenhatte. Nachdem William diesen außerordentlichen Vorgang registrierte,lenkte er seine Pferde dorthin. Direkt neben den Beiden stieg er vomPferd und baute sich demonstrativ vor ihnen auf. Dann wartete ersolange, bis er sah, dass er die Aufmerksamkeit der Frau besaß, diehier, er wollte es kaum glauben, hier Ton angab, dann erst sprach er siean,

„Entschuldigen sie meinen Aufzug Ehrwürdige Schwester, aber ich lebteneun Monate in der Wildnis. Eine junge Ordensschwester sagte mir,dass ich hier die ehrwürdige Mutter Vorsteherin treffen würde“, dabei sahsich William gespielt suchend um.

Durch sein übertriebenes Gehabe entging es William, dass bei seinenWorten ein verschmitztes Lächeln über das vorher so ernste undbesorgte Gesicht der Frau huschte, was sie nur noch jünger erscheinenließ. Hinzu kam, dass William durch die rüde Reaktion des Mannesabgelenkt wurde, mit dem sie zuvor sprach.

„Verschwinde du Bauernlümmel, siehst du nicht, das hier wichtige Dingebesprochen werden?“

William wollte sich schon abwenden, als ihn die wohlklingende Stimmeder Frau zurückhielt.

„Wartet junger Mann und zu euch Meister Bonfard, es gibt keinen Grundunfreundlich zu sein. Entschuldigen sie mich jetzt bitte, wir werden unserProblem einfach auf morgen verschieben. Ein Gespräch mit dem jungenWaldläufer erscheint mir erquickender als euer ewiges Aufzählen vonProblemen.“ Ohne eine Antwort von Meister Bonfard abzuwarten, wandsie sich lächelnd dem jungen William zu. „Entschuldigt das schlechteBenehmen meines Baumeisters. Ein wirklich genialer Mann, was dasBauen betrifft, leider ist er im Umgang mit Menschen weniger genial.“

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Bewundert schaute William die Frau an, die gerade einen anscheinendwichtigen Mann abgekanzelt hatte, um ihm ihre Zeit zu widmen. Siebesaß eine außerordentliche Autorität, aber auch ungeheure Tatkraft,aber vor allem bewunderte er ihren Liebreiz.

„Junger Mann, es tut mir leid, wenn ich euren Erwartungen von derehrwürdigen Mutter Vorsteherin nicht entspreche. Vermutlich stelltet ihreuch eine alte, runzlige Frau mit grauen Haaren darunter vor. Damitkann ich leider nicht dienen, aber mit wem habe ich eigentlich dasVergnügen und was ist euer Begehr?“

William hob ob ihrer Worte abwehrend die Hände, denn er warkeinesfalls von dem enttäuscht was er sah. Natürlich verbot es ihm dieSchicklichkeit, dass er seine Gefühle in Worte kleidete.

„Nennt mich einfach Will. Wie gesagt, ich lebte längere Zeit in derWildnis, viele Tagesritte von hier entfernt. Mir fehlt es eigentlich an allemund ich hoffte hier einiges zu erwerben“. Als er den strengen Blick derVorsteherin sah fügte er schnell noch hinzu, „ich verfüge überausreichend Barmittel.“

Die Art wie er das sagte, entlockte der Vorsteherin sofort wieder einLächeln.

„Wahrlich ihr belustigt mich, Will. Erst das Missverständnis bezüglichmeiner Person und nun habt ihr meinen Blick vollkommen falschgedeutet. Ich zweifelte keinesfalls daran, dass ihr die Dinge bezahlenwollt und könnt. Doch alles was wir hier besitzen, musste auf einemlangen Weg her geschafft werden und wir benötigen es selbst.“

William konnte seine Enttäuschung kaum verbergen, sah er doch allseine Hoffnungen entschwinden.

„Trotzdem vielen Dank, dass ihr mich wenigstens angehört habt,ehrwürdige Mutter“, klang er tief niedergeschlagen.

Seine Äußerung, aber auch sein Gesichtsausdruck wirkte dabeianscheinend auf sein Gegenüber so komisch, dass sie laut auflachenmusste.

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„Entschuldigt bitte Will, aber aus eurem Mund hört sich das wirklichkomisch an. Das mich die Ordensschwestern so nennen, daran habe ichmich gewöhnt. Doch wenn ein junger Mann das sagt, dann klingt daseinfach nur komisch in meinen Ohren. Nennt mich doch einfach Isabellaund ich verspreche euch, wir finden eine Lösung für euer Problem.“ Ja,bei der ehrwürdigen Mutter handelte es sich um niemand anderen als umIsabella, Ex-Königin des Landes.

Bei den freundlichen Worten Isabellas hellte sich Wills Gesicht sofortwieder auf.

„Wenn ihr die Hauptstraße weiter runter reitet“, dabei gab Isabellasausgestreckter Arm die Richtig an, „und euch dann rechts haltet, seht,aber vor allem riecht ihr schon die Pferdeställe. Nachdem ihr eure Pferdeuntergestellt und versorgt habt, empfehle ich euch einen Besuch desBadehauses. Anschließend seid ihr herzlich zum Abendessen im Remtereingeladen“, und wieder zeigte Isabellas Arm, wohin sich Williambegeben musste, wollte er der Einladung zum Essen Folge leisten.

William verbeugte sich, dann schlug er die angegebene Richtung ein.Einzig der Hinweis auf das Badehaus machte ihm zu schaffen. Am Endemusste er Isabella jedoch recht geben, jedenfalls nachdem er seineNase tief in seine Sachen gesteckt hatte. Gleich hinter der Baustelle undeinigen Unterkünften aus Holz, sah und roch er wie vorhergesagt dieStallungen. Die Stalltür stand weit offen, also führte er die Pferde hineinund suchte sich eine leere Box für seine Tiere. Nachdem er seinenBraunen abgesattelt und beide Pferde von ihren Geschirren befreit hatte,holte er Wasser für sie und fand auch die Truhe mit dem Hafer. Nachgetaner Arbeit tätschelte er Leon noch das Hinterteil.

„Bleibt einfach so stehen und mach keine falsche Bewegung“, erklangeine leise, darum nicht weniger bedrohliche Stimme hinter ihm.

Um seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, drückte derFremde William die Spitze eines größeren Messers links in die Rippen.William war total überrascht, denn der Fremde war vollkommenunbemerkt in seinen Rücken gelangt. Dieser Umstand alleine sprachschon für dessen Gefährlichkeit.

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„Also Bursche, du streifst jetzt ganz langsam den Gurt deiner Tascheüber den Kopf und reichst sie mir nach hinten, ohne dich umzublicken“,kamen auch schon die nächsten Anweisungen des Fremden.

Dabei sprach der Mann ohne jede Gefühlsregung, so als wenn nichtsPersönliches in seiner Handlungsweise lag. Vielmehr erweckte er denEindruck, als wenn er nur einer ganz alltäglichen Arbeit nachging. Etwaso, wie der Schlachter Schweine schlachtet, nicht weil er etwaspersönlich gegen die Tiere hatte, sondern weil es sein Job war. DasAbverlangen der Tasche ließ bei William sofort die Schatten derVergangenheit aus ihren Gräbern steigen. Ob der Fremde mit dieserVergangenheit etwas zu tun hatte, würde sich noch herausstellen. Nochsah William sich nicht verloren, noch hatte er eine berechtigte Hoffnungmit Namen Kyyraq und genau deshalb befolgte er die Anweisungen desFremden. Aufmerksam lauschte William nach hinten, wo ihm dieGeräusche sagten, dass der Fremde die Tasche öffnete. Als nächsteshörte er jedoch nicht das Klimpern der Geldbörse sondern das Raschelnvon Papier. Das sagte ihm, dass der Fremde die Dokumente aufrollte.

„Dachte ich mir doch gleich. Konnte schließlich kein Zufall sein, dass dudas Pferd, meines spurlos verschwundenen Partners Leofric, bei dirhast. Oder willst du leugnen, dass dein Name William Hunter lautet?“,klang die Frage schärfer als die vorherigen Anweisungen.

William dachte noch nach, ob es Sinn machte, dem Fremden eineGeschichte aufzutischen, wie, er hätte das Pferd gekauft, als er einseltsames Geräusch in seinem Rücken vernahm. Es erinnerte ihn starkdaran wie es klang, als der eiserne Ger von Kyyraq in den Körper desBären einschlug. Das folgende kurze Röcheln des Fremden und dasgleichzeitig Verschwinden der Messerspitze an seinem Rippen, ließWilliam herumwirbeln, wobei er sein eigenes Messer blitzschnell zog.Sofort erkannte er, dass die Gefahr vorüber war. Der Fremde lag mitseltsam verdrehten Gliedern im Stroh. Vorn, aus der Brust des Häschers,ragte die Spitze des ihm wohlbekannten Gers. Kyyraq hatte denFremden so gut getroffen, dass er noch nicht mal einen Schreiausstoßen konnte, um Hilfe herbeizurufen. Schließlich war es nichtgewiss, ob er alleine unterwegs war.

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„Danke mein Freund, das war knapp! Ich dachte schon du tauchst garnicht mehr auf. Ist gerade noch mal so gut gegangen“, merkte man esWilliam deutlich an, dass ihm der Schrecken erst jetzt so richtig in dieGlieder fuhr. Ein Stück entfernt stand Kyyraq und zuckte entschuldigendmit den Schultern. William besann sich, sammelte die Dokumente wiederein, um sie anschließend in der Tasche zu verstauen. Nachdenklichhängte er sich die Tasche über die Schulter, wobei er sich vorstellte,dass genauso gut er es sein könnte, der da tot im Stroh lag. Gemeinsamzogen sie den Toten in eine leere Box, wo William ihn durchsuchte.Außer der Geldbörse fand er in einer Brusttasche ein Schreiben desKämmerers, das jegliche Amtsträger anwies den Überbringer, eingewisser Kennard Jones, jegliche Hilfe angedeihen zu lassen. Williamüberlief ein Frösteln, sie hatten also noch nicht aufgegeben nach ihm zusuchen. Mitten in diese Vorstellung machte sich Kyyraq bemerkbar, dermeinte, sie sollten die Leiche erst mal unter dem Stroh verstecken.

William nickte verstehend und machte gleich noch einen Vorschlag. „Ambesten du stellst dein Pferd in diese Box, dann betritt niemand die Box,vor allem wenn du ebenfalls im Stroh liegst. Bei Anbruch derDunkelheit bin ich zurück und wir lassen die Leiche verschwinden.“ Miteinem fragenden Blick vergewisserte er sich, das Kyyraq keineEinwände erhob.

Nachdem er aus der Scheune getreten war, fragte er vorübergehendeLeute nach dem Weg zum Badehaus. Am Ende führten ihn die Hinweisezu einem großen, einstöckigen Holzhaus, das etwas abseits derSiedlung stand. Da die Entscheidung längst gefallen war, betrat erentschlossen das Gebäude. Suchend blickte er sich in derEingangshalle um, denn er sah niemand. Gerade wollte er sich lautstarkbemerkbar machen, als er von einer großen, vollbusigen Frauangesprochen wurde, die ihre beste Zeit offensichtlich schon hinter sichhatte.

„Hallo Söhnchen, neu hier, habe dich jedenfalls noch nie gesehen?“

William, der keine Lust hatte die Sache auszudiskutieren, brachteeinfach sein Begehr vor, aber vielleicht brachte er es etwas zu forschvor. „Ein heißes Bad, ein Stück Seife und ein Tuch zum abtrocknen!“

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„Warum so unfreundlich, Söhnchen? Ich wollte doch nur höflich sein“.Dabei setzte die welke Schönheit einen wohlwollenden Blick auf, um zuzeigen, dass sie ihm nicht böse war. Es folgte ein unerwartetesAngebot, dass sie mit einer Stimme vortrug, die süß wie Honig war.

„Junger Herr, ich glaube du brauchst nicht nur ein Bad. Irgendwie wirkstdu verspannt, vielleicht solltest du, im Anschluss an das Bad, noch einesder Zimmer im ersten Stock besuchen. Ich verspreche dir, danach bistdu nicht mehr so angekratzt, sondern völlig entspannt.“

William konnte mit dem Angebot der Frau jedoch nichts anfangen. Auchirritierte ihn der frivole Gesichtsausdruck, den sie dabei aufsetzte. Dasalles führte dazu, dass die Empfangsdame in ein vollkommenverständnisloses Gesicht blickte.

„Söhnchen, wo kommt du denn her? Na, dann muss ich eben deutlicherwerden. Willst du danach noch mit einer Frau zusammen sein?

Plötzlich ging William ein Licht auf, dass in diesem Haus nicht nurgebadet wurde, es war gleichzeitig auch ein Freudenhaus.

„Nein, danke“, lehnte William nun freundlich aber bestimmt ab. „Abervielleicht habt ihr jemanden, der mich rasiert?“

Seit er Isabella gesprochen hatte, störte ihn auf einmal das Gestrüpp inseinem Gesicht.

Schnell wechselten zwei Kupfermünzen den Besitzer und die Frau führteihn in einen Raum, in dem mehrere große Holzbottiche standen.

„Setz dich auf den Schemel, ich hole das Rasierzeug und sage demPersonal, dass es heißes Wasser bringen sollen.“

„Ihr?“, stieß William erstaunt aus.

„Nennt mich einfach Rosa und lass dich überraschen“.

Kurz darauf erschien sie mit allem, was man zum Rasieren brauchte.Zuerst schäumte sie das Gesicht von William ein, um dann mit einemkleinen, superscharfen Messer die Haare aus seinem Gesicht zuschaben. Da kamen auch schon die ersten Eimer Wasser. Zwei Knechteeilten mehrmals wieder hinaus, bis der Bottich über die Hälfte mit

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Wasser gefüllt war. Neben dem Bottich lagen ein Stück Seife, eineStielbürste und ein großes Tuch. Als auch Rosa den Raum verlassenhatte, riss sich William die Sachen vom Leib, um endlich den Dreck derletzten Monate vom Körper zu bekommen. Im Bottich war das Wasserangenehm warm, hätte aber ruhig noch ein paar Grad wärmer seindürfen. Als wenn Rosa seine Gedanken hörte, betrat sie wieder denRaum und stellte eine diesbezügliche Frage.

„Ist der junge Herr mit der Wassertemperatur zufrieden?“, dabei klangihre Stimme so, als wenn sie sich wirklich Sorgen um das Wohlbefindenihres Gastes machte. Vielleicht lag das daran, dass Rosa sofort einenNarren an dem Jungen gefressen hatte, erinnerte er sie doch an bessereTage, als ihr Mann Rob noch lebte. Wirklich, der Junge sah Rob sehrähnlich. Zumindest wollte sie sich das in ihrer Erinnerung glaubenmachen.

„Danke der Nachfrage. Ein wenig wärmer dürfte es wahrlich sein“, gabWilliam dann auch freimütig zur Antwort.

Ein unfraulicher Pfiff und schon eilte einer der Knechte mit einem Eimerdampfendem Wasser herbei. Vorsichtig goss er das heiße Wasser amFußende in den Bottich.

„So ist es genau richtig“, ging ein Strahlen über Williams Gesicht.

Eine Weile ließ er die Kruste auf seiner Haut weichen, wobei er dieangenehme Wärme des umgebenden Wassers genoss, das seinenKörper umspülte. Anschließend schrubbte er sich mit der Bürste sokräftig ab, dass seine malträtierte Haut eine unnatürliche, rote Farbeannahm. Danach tauchte er wieder in den Bottich ein und spülte sichden Dreck der letzten Monate endgültig vom Körper. Als wenn sie nurdarauf gewartet hatte, betrat Rosa auch schon wieder den Raum.

„Junger Herr, wenn ihr wollt, dann schneide ich euch auch die Haare,andererseits ihr habt wirklich schönes, volles, welliges Haar.“

William hatte selbst schon daran gedacht sich die Mähne zu stutzen,doch dann schüttelte er verneinend den Kopf.

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„Vielleicht ein anderes Mal, vielen Dank.“ Ohne sich um Rosa zukümmern, stand er auf, trat aus dem Bottich und wickelte sich das Tuchum den Körper.

„Söhnchen, hast du eigentlich bedacht, dass du jetzt wieder in deineschmutzigen, stinkenden Sachen schlüpfen musst?“, machte ihn dieFrau tatsächlich auf etwas Aufmerksam, woran er nicht gedacht hatte.

Während William sich noch fragte, warum er langsam das Gefühl bekam,dass sie die Glucke und er das Küken war, machte sie ihm einenVorschlag. „Wenn ihr wollt, dann könntet ihr eure Sachen zum Waschendalassen. Damit ihr nicht warten oder nackt nach draußen müsst, könnteich euch Kleidung aus meinem Fundus anbieten.“ Natürlich war ihrAngebot nicht ganz uneigennützig, da sie die Sachen nicht umsonstweggab.

Diesmal horchte William auf, denn ihm war durchaus bewusst, dassseine Sachen eine Wäsche vertragen konnten.

„Danke, das Angebot nehme ich gerne an. Aber nur wenn es sich umeinfache, schlichte, unauffällige Kleidung handelt, ich kann nichtsÜberspitztes gebrauchen."

Es dauerte nicht lange und Rosa kehrte mit Kleidungsstücken bepacktzurück. Die Größe hatte sie gut erkannt und Ausgefallenes befand sichauch nicht darunter. Wollene Unterwäsche und Strümpfe, eine Tunika,halblange Hose und Wams, alles in einem einfachen Braun.

"Äh Rosa", einen Augenblick überlegte er, ob es sich wirklich gehörte dieFrau mit ihrem Vornamen anzusprechen, aber dann fiel ihm wieder ein,was sie hier für ein Haus betrieb. " Also Rosa, ich würde die Sachengerne behalten, auch wenn meine eigenen wieder sauber sind, mach mirnur einen vernünftigen Preis. Halt, wartet! Morgen kommt noch einFreund von mir vorbei. Auch für ihn gilt Waschen, Rasieren und neueKlamotten, damit er auch seine Sachen zum waschen hier lassen kannund jetzt sagt mir einfach den Gesamtpreis.“

„Alles in allem, zwei Silberling junger Herr“, schien Rosa die Preispaletteim Kopf zu haben.

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Kurz ruckte Williams Kopf bei dem Preis herum, aber dann fiel ihm ein,dass hier, weit weg von jeder Zivilisation, alles einen anderen Preishatte, als da wo er mal zuhause war.

Nachdem das Geschäftliche geregelt war, zog William seine neuenKleidungsstücke an und verließ gutgelaunt das sogenannte Badehaus.Auf kürzestem Weg begab er sich zu dem Gebäude, das Isabella ihmgezeigt hatte. Aus der Nonnentracht und dem Titel Isabellas schloss er,dass das hier mal ein Kloster werden sollte. Auch wenn vieles noch nichtfertig war, so ließ sich die geplante, wirklich imposante Größe schonerkennen. Zielstrebig hielt er auf das fertige Gebäude zu. Nach demEintreten befand er sich in einer großen Halle, die als Speisesaalgenutzt wurde. Wenn er sich recht erinnerte nannte man solcheRäumlichkeit Remter.

An einer einfachen, langgezogenen Holztafel saßen dieOrdensschwestern und nahmen ihr einfaches Abendmahl ein, bestehendaus Grütze, Brot, Butter und Käse. Ganz am Ende der Tafel saß dieVorsteherin, die ihn wohlwollend entgegenblickte. Auf dem Weg zu ihremPlatz hatte William plötzlich eine Eingebung und ihm dämmerte, um wenes sich bei der ehrwürdigen Vorsteherin handelte. Der Name Isabellaund die unglaublichen Kosten, die dieses Unternehmen verschlangen,ließen nur einen Schluss zu. Hatte er die Frau schon vorher wegen ihresAussehens bewundert, so kam jetzt auch noch die Verehrung für seineehemalige Königin hinzu, die zu seinem Leidwesen und dem vielerBürger abgedankt hatte. Dass sie dem verhassten Hause der Askanierden Rücken zugekehrt hatte, machte sie für William noch mehr zurwahren Königin. Bevor ihn Isabella begrüßen konnte, kniete er niederund senkte sein Haupt.

„Euer Diener, verfügt über mich wie ihr beliebt, meine Königin.“

Isabella reagierte betroffen und ein trauriger Zug umspielte ihreMundwinkel, doch schnell fasste sie sich wieder. „Bitte Will, steht auf, ichbin nicht mehr Königin, ich habe abgedankt.“

William blieb knien und blickte auf, genau in ihre Augen. Einen Momentsah die Königin etwas was ihr Angst einjagte, obwohl sie eigentlichetwas Schönes erblickte. In Williams Augen loderte ein Feuer, wie sie esnoch nie bei einem Menschen sah. Kein Wunder, vereinigten sich doch

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gerade zwei Feuer in ihm zu einer gewaltigen Feuersbrunst. Ein Feuerwurde durch den Hass auf Desdemona und ihre Günstlinge gespeist,dass andere wurde gerade durch die glühende Verehrung zu seinerHerzenskönigin entfacht. Ihrem fordernden Blick gehorchend standWilliam auf und setzte sich neben Isabella auf den freien Platz. Hungriglangte er zu, um zwischen zwei Happen das Thema nochmalsaufzugreifen.

„Für mich seid ihr die wahre Königin und wenn ihr meine Diensteirgendwann einmal benötigt, so lasst es mich wissen.“

„Ohne Bart wirkt ihr ausgesprochen jung auf mich, Will. EtwasSchreckliches muss in eurem Leben geschehen sein, dass ihr euch indie Wildnis verkrochen habt? Sollte euch ein Unrecht widerfahren sein,dann gebt mir Kenntnis, ich habe noch immer einige Freunde bei Hofe“,überging Isabella einfach Williams Worte.

„Danke Isabella, aber soweit reicht euer Arm nicht. Auch würde ich euchniemals in die Angelegenheit hineinziehen, meine Feinde schrecken vornichts zurück“, lehnte William ihr freundliches Angebot kategorisch ab.

„Mal etwas anderes Will. Ich suche jemand, der die Leute hier mitWildbrett versorgt. Unsere Haustiere brauchen wir vorrangig zur Zucht,nicht um sie am Spieß zu braten. Wenn ihr den letzten Winter in derWildnis überlebt habt, müsst ihr etwas von der Jagd verstehen. ImGegenzug gebt ihr mir eine Liste der Dinge, die ihr benötigt und ichbesorge sie euch bis zum Spätherbst. Rechtzeitig genug, um vor demersten Schnee damit in der Wildnis zu verschwinden. Überlegt euchmeinen Vorschlag und sagt mir morgen Bescheid. – Einverstanden?“

Eigentlich sah Williams Plan etwas anders aus, doch wenn es keineandere Möglichkeit gab, um an die dringend benötigten Güter zukommen, dann war er auch bereit in diesen sauren Apfel beißen, dennetwas Anderes bedeutete ihr Angebot für ihn nicht. Beim Verabschiedenbetrachtete er Isabella unauffällig, wobei er sich eingestand, dass derApfel so sauer nun auch wieder nicht war.

„Einverstanden! Darf ich mir ein wenig Essen einpacken, ich habe danoch jemanden zu versorgen?“

„So, so ganz allein in der Wildnis“, bemerkte Isabella schnippisch.254

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Als William mit den Fressalien bei Kyyraq eintraf, wirkte dieser sehrunruhig auf ihn. Wortlos reichte er dem Nordmann die mit Butter undKäse belegten Brote und den Weinschlauch, den er unterwegserstanden hatte. Geduldig wartete er bis Kyyraq seinen Hunger undDurst gestillt hatte, dann verfrachteten sie die Leiche auf Kyyraqs Pferd.William trat zuerst aus der Scheune und überzeugte sich davon, dass dieLuft rein war. Ein leiser Pfiff und schon führte Kyyraq das Pferd mit derverdächtigen Last um die Scheune herum. Wenig später verschlucktenihn die Dunkelheit und der nahegelegene Wald. Zwischen tiefhängendenTannenzweigen, am Waldrand, wurde die Leiche zwischengelagert, umsie am nächsten Tag endgültig verschwinden zu lassen. Inzwischenbereitete William ihnen ein Lager oben auf dem Heuboden, wobei er daserste Mal den Stallknecht zu Gesicht bekam. Zwei Kupfermünzenwechselten den Besitzer und schon stellte der Knecht keine dummenFragen mehr. Vor dem Einschlafen berichtete William seinen Partnervom Angebot der Königin, wobei er gar nicht merkte, dass er über ihrePerson ins Schwärmen geriet. Erst als Kyyraq leise im Dunkeln lachte,bemerkte er seine Schwärmerei und wechselte abrupt das Thema.

„Du solltest morgen auch mal ins Badehaus gehen. Baden, rasieren undneue Klamotten, ist alles schon bezahlt. Eine Frau Namens Rosa führtden Laden, sie erwartet dich schon.“

Nur die Dunkelheit verbarg Kyyraqs ablehnenden Blick. Seine Antwortwar ziemlich eindeutig, er drehte sich einfach auf die Seite und tat so, alswenn er schlief und so das Angebot gar nicht mitbekommen hatte. BeimEinschlafen grübelte William noch über sein Schicksal nach, um sichbald darauf einem angenehmeren Thema zuzuwenden. Mit einemSeufzer und zufriedenem Lächeln im Gesicht schlief er ein. In seinemTraum geleitete er die erneut gekrönte Isabella zum Thron, er, ihr ersterRitter. Wie unpassend wirkten da der Geruch von Heu und Pferden als ererwachte. William und Kyyraq begaben sich zur Baracke derBauarbeiter, wo sie gegen ein kleines Entgelt ein deftiges Frühstückbekamen. Anschließend blieb William nichts anderes übrig als denwiderwilligen Kyyraq zum Badehaus zu zerren. Wobei es wohl dochmehr ein Spiel war, sonst hätte William seinen Partner nicht mit so wenigKraftaufwand bis zum Ziel gebracht. Plötzlich geschah etwas Seltsames.Kyyraq erblickte die Badehausbesitzerin Rosa und schon fügte er sich

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wie ein friedfertiges Lamm in sein Schicksal. Willig folgte er ihr in denRaum wo die Badebottiche standen.

William verstand zuerst nicht wo plötzlich der Widerwillen, derWiderstand seines Freundes geblieben war. Als ihm dann ein Lichtaufging, dass das wohl was mit Rosa zu tun hatte, konnte er sich einbelustigtes Grinsen nicht verkneifen. Doch schnell kehrten seineGedanken dahin zurück, was ihn bewegte. Sein Ziel hieß Baustelle unddort Isabella. Als er sich der Baustelle näherte, suchte er sie mit seinenAugen. Doch sie schien ihn vorher entdeckt zu haben, denn sie gab ihmmit winkendem Arm ein Zeichen wo sie stand. Während William auf siezuging hüpfte sein Herz vor Aufregung.

„Gott zum Gruße Ehrwürdige Mutter", begrüßte er sie wenig später,wobei der Schalk in seinen Augen blitzte. „Entschuldig die EhrwürdigeMutter, doch wenn ich euch nicht so anspreche, dann benutze ich wiederdas verbotene Wort.“

Sofort verschwand der pikierte Blick aus Isabellas Gesicht und machteeinem erfreuten Lachen Platz. Ihre Zähne blitzten, ihre Augenleuchteten, der ernste Ausdruck in ihrem Gesicht verschwand. Auf dieseWeise wirkte sie mit ihrem langen, blonden Haar und der mädchenhaftenFigur wie eine sehr junge Frau. William wurde warm ums Herz, dochsofort schallt er sich einen Narren, diese Frau war unerreichbar für ihn.Nur um sich einzugestehen, dass er auch schon mit einer Rolle in ihrerNähe zufrieden war.

„Ich nehme das Angebot an, versorge die Baustelle mit Frischfleisch, imGegenzug erhalte ich die Dinge die ich brauche im Herbst. Deshalbbräuchte ich Schreibzeug, um eine entsprechende Liste anzufertigen.Doch zuvor könnten wir schon einige Dinge besprechen, was dieFleischbeschaffung betrifft. Es erschiene mir angebracht, wenn uns zweiLeute mit einem Wagen begleiten, die das erlegte Wild transportieren.Die Männer müssten an einem Platz, den wir ihnen zeigen, ein Depoterrichten. Dann könnten mein Freund und ich die Zeit mit Jagenverbringen und müssten sie nicht mit dem Transport des Wildbretsvertrödeln“, machte William einen sehr praktischen Vorschlag.

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„Klingt sehr vernünftig, also wird es auch umgesetzt. Kommt mit Will, ichbringe euch zur Hütte des Baumeisters, da hält sich mein Sekretär auf. –Wann soll es losgehen?“

„Sobald ich die Liste geschrieben habe“, kam die postwendende Antwort.

Isabella winkte eine Ordensschwester herbei und flüsterte ihr etwas insOhr. Auf dem Weg zum Baumeister nahm William die Ledertasche vonder Schulter und hielt sie Isabella hin.

„Einen Wunsch hätte ich noch, der nichts mit unserem Abkommen zu tunhat. Könntet ihr meine Tasche für mich aufbewahren. In ihr befinden sichDokumente, die meine Herkunft bestätigen und aus denen hervorgeht,warum ich in die Wildnis flüchten musste. Sollte mir etwas zustoßen odersollte ich spurlos verschwinden, dann lest bitte die Dokumente und ziehtdann eure eigenen Schlüsse daraus.“

Isabella sah erst ihn, dann die Tasche, mit dem Ausdruck desErstaunens an. Obwohl ihr eine entsprechende Frage auf den Lippenlag, nahm sie sie wortlos entgegen. Nachdem William seine Listeangefertigt hatte, sie zweimal überprüfte, ob denn nichts fehlte, übergaber sie Isabella und verabschiedete sich schweren Herzens von ihr. Dochdas Leben ging weiter und nahm oft keine Rücksicht auf Gefühle. Aufdem Weg zum Badehaus träumte er verwegene Träume, nur um sicheinzugestehen, dass sie wohl nie Wirklichkeit würden. Die nächsteÜberraschung wartete ihn, als er das Badehaus erreichte. Auf derVeranda traf er auf einen extrem gutgelaunten Kyyraq, dem es mühelosgelang sich mit Rosa in der Gebärdensprache zu unterhalten.

„Erstaunlich was so eine Wäsche alles bewirken kann“, konnte sichWilliam eine dementsprechende Bemerkung nicht verkneifen, wobeiseine Gedanken eindeutiger waren.

„Kyyraq, wenn du dich von deiner Angebeteten losreißen könntest, wirhaben einen Job“, klang es ein wenig barsch, was wohl daraufzurückzuführen war, dass William so etwas wie Neid verspürte..

Rosa warf Kyyraq noch einen schmachtenden Blick zu, bevor sie sichabdrehte, um im Badehaus zu verschwinden. Auf dem Weg zumPferdestall entschuldigte sich William bei seinem Freund für seinenunangemessenen Ton. Kyyraq grinste nur und winkte ab. Damit war die

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Sache erledigt. Während sie die Pferde reitfertig machten stellte Williamnochmal klar, wie die Rollen verteilt waren.

„Ich reite mit dem Begleitwagen in östlicher Richtung, du lässt die Leichetief im Wald verschwinden und folgst uns dann.“

Kyyraq nickte verstehend, schwang sich auf sein Pferd, ergriff die Zügeldes Packpferdes, ritt um die Scheune herum und tauchte gleich daraufim angrenzenden Wald unter. William führte sein Pferd am Zügel zumSiedlungsausgang und wartete auf das Begleitfahrzeug. Er musste nichtlange warten, dann näherte sich das Gefährt, indem sonstwahrscheinlich Heu transportiert wurde, laut rumpelnd. Zwei jungeBurschen saßen auf dem Fahrerbock und blickten ihm neugierigentgegen. William grüßte sie nur kurz, saß auf und ritt voraus. Ihr Wegführte in östlicher Richtung in die hügelige, bewaldete Wildnis. Esdauerte nicht lange, dann heftete sich ein grauer Schatten unauffällig anihre Spur. Später, als einer der Fahrer den Wolf bemerkte, ergriff erseinen Speer.

„Nicht nötig, er gehört zu mir“, richtete William das erste Mal das Wort andie Beiden, nachdem er sein Pferd zwischen Wolf und den Wagengebracht hatte.

„Aber das ist doch ein wildes Raubtier?“, begehrte der Mann mit demSpeer auf, „dem kann man doch nicht trauen.

„Ihr könnt das sehen wie ihr wollt, für mich ist mein Wolfvertrauenswürdiger als die meisten Menschen“, dabei sah William dieBeiden abschätzend an. Als er sah, dass er mit seiner Bemerkung zuweit gegangen war, daran zu erkennen, dass die so Angesprochenenbeleidigte Mienen aufsetzten, entschuldigte er sich.

„Ich wollte euch nicht zu nahe treten, tut mir leid. Auf jeden Fall werdenwir mit seiner Hilfe das Wild schneller aufspüren und stellen.“

Mit seiner Entschuldigung und der entsprechenden Erklärung war fürWilliam die Angelegenheit erledigt und er gab seinem Pferd die Sporen.Mit dem Wagen kamen sie nur langsam voran und so wunderte sichWilliam auch nicht, dass Kyyraq sie bald darauf einholte. Sie nickten sichkurz zu, mehr brauchte es nicht, damit William wusste, dass das Kapitelmit dem toten Spitzel abgehakt war. Gegen Abend schlugen sie ein

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Lager auf, um von hier aus am nächsten Tag die eigentliche Arbeitaufzunehmen. William wies die beiden Burschen an, wie er sich das mitdem Depot vorgestellt hatte. Sie sollten eine Grube graben, um sie nachFertigstellung mit kräftigen Ästen und ausgestochenen Grasnarbenabzudecken. Er und Kyyraq würden dann die ausgenommenen,ausgebluteten Tiere an der Decke aufhängen. Wenn sie dann von ihrerersten Fuhre zurückkamen, war die nächste Ladung schon bereit.

Nur durch Wolfs Hilfe war es möglich, dass sie in den nächsten Tagen,drei Wildschweine, vier Rehe und einen Hirsch, sowie mehrere Hasenund Fasane erlegten. Genug, um die Gehilfen Ortwin und James daserste Mal mit dem Wagen zur Siedlung zu schicken.

William und Kyyraq wollten nach der erfolgreichen, aber auchanstrengenden, Jagd erst mal einen Ruhetag einlegen. Da sie diesmalAngelzeug dabei hatten, beschlossen sie den Tag an einem idyllischgelegenen Waldsee zu verbringen. Abends brieten sie am Lagerfeuerdie gefangenen Fische, wobei William eine Idee hatte. Ortwin undJames sollten das nächste Mal wenigstens zwei Fässer mitbringen. Inden mit Wasser gefüllten Fässern konnte man die Fische lebend in dieSiedlung bringen. Eine wohlschmeckende Abwechslung auf jedemSpeiseplan.

In den darauffolgenden Wochen erlangte William einen Jagdinstinkt, derdem seines Wolfes alle Ehre machte. Der Graue schien wirklich ein guterLehrmeister zu sein. Alles in allem entwickelten sie sich schnell zu einemgut eingespielten Team. Wolf spürte das Wild auf und stellte oder triebes seinen menschlichen Partnern zu. Reichten Pfeil und Bogen nichtaus, dann kam Kyyraq mit seinem eisernen Ger ins Spiel.

Eines Abends, sie näherten sich mit erlegtem Wild dem Depot, dabemerkte der sensibilisierte William, dass sich Wolf anders als sonstverhielt. Sofort zügelte er sein Pferd und gab Kyyraq ein entsprechendesZeichen, mit dem er ihn auf seine Wahrnehmung aufmerksam machte.Wie so oft, verstanden sie sich auch ohne Worte. Sie stiegen ab, bandenihre Pferde an, um sich dann zu trennen. Sofort tauchten sie aufunnachahmliche Weise in die sie umgebende Natur ein, so dass sie fürdas normale menschliche Auge so gut wie unsichtbar wurden. Aussicherer Deckung inspizierte William das Lager, wobei ihm zuerst nichts

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Ungewöhnliches auffiel. Wie immer stand das Fuhrwerk neben demDepot, die Pferde grasten, nur Ortwin und James waren anscheinenddurch andere Burschen ersetzt. Eigentlich noch kein Grund zur Sorge,doch dann sah er sich die Ersatzmänner genauer an und ein ungutesGefühl beschlich ihn. Sie wirkten in keiner Weise wie Bauerntölpel oderArbeiter, eher wie erfahrene Krieger. Wenig später entdeckte seinscharfer Blick Waffen, Schwerter und Speere, die unauffällig an einemBaumstamm lehnten. William hatte genug gesehen. Vorsichtig kroch errückwärts aus seinem Versteck und kehrte zu den Pferden zurück.

Kyyraq erwartete ihn schon aufgeregt und was er ihm auf Gesten reicheArt mitteilte, verstärkte Williams ungutes Gefühl nur noch mehr. Denn ererfuhr, dass ein Stück tiefer im Wald, in einem Versteck, noch mehrschwerbewaffnete Krieger lauerten. Ihr Depot hatte sich in einentödlichen Hinterhalt verwandelt. Im Grunde wäre es klug, sich einfachstill und leise aus dem Staub zu machen. Doch William wollte nichteinfach so verschwinden und das hatte zwei Gründe. Zum einen wollteer nicht auf ihren berechtigten Lohn verzichten, zum anderen, so glaubteer jedenfalls, war er Isabella eine Erklärung schuldig. Somit stand seinEntschluss fest.

Zuerst führten sie ihre Pferde leise noch weiter vom Lager weg, umdann, als sie sich sicher sein konnten, dass die Häscher sie nicht mehrhörten, loszureiten. Um zur Baustelle zu gelangen, mussten sie in einenweiten Bogen um den Hinterhalt herumreiten. Zum Glück wussten dieHäscher nicht, wann sie, die Gesuchten, zum Depot zurückkehrenwürden. Die Frage war nur, wann sie misstrauisch würden. Er, William,musste eben sein Glück auf die Probe stellen, wollte er die Dingeerledigen, die er für wichtig hielt.

Vorsichtig näherten sie sich der Siedlung, die den offiziellen NamenMemoria trug, obwohl sie längst von den Menschen Sankt Isabellagenannt wurde. Kurz davor griffen sie auf die bewährte Maßnahmezurück, auf getrennten Wegen das Ziel zu erreichen. William warteteeine Weile, um zu gewährleisten, dass Kyyraq, der von derentgegengesetzten Seite in den Ort gelangen wollte, mit ihm zusammeneintraf. Ihr Ziel, der Bau indem sich der Speisesaal, Küche und andereArbeitsräume befanden. Denn dort, im darüber gelegenen Stockwerk,befanden sich auch die kleinen Wohnzellen der Ordensschwestern. Er

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musste nicht lange warten, bis er Kyyraq entdeckte, der ausentgegengesetzter Richtung auf das Gebäude zugeritten kam.Ungeduldig sprang William vom Pferd, stürmte ins Treppenhaus, hastetedie Treppe hinauf, wo von einem langen Gang, links und rechts vieleTüren abgingen. Obwohl er nicht mit Gewissheit wusste, hinter welcherTür sich Isabellas Kammer befand, steuerte er auf die Tür am Ende desGanges zu. Es war nur ein Gefühl, dass auf dem Umstand beruhte, dasssie am Kopfende der Tafel saß. Vielleicht vernebelte ihn dasbevorstehende Treffen mit seiner heimlich Angebeteten die Sinne, aufjeden Fall bemerkte er nicht, dass sich jemand auf verdächtige Weise ineiner dunklen Nische versteckte. Vor besagter Tür bremste er abrupt abund klopfte an, so wie es sich gehörte.

„Wer ist da?“, erklang die wohlbekannte Stimme seiner Angebeteten.

Bevor er antworten konnte, spürte er den Atem eines Fremden unddessen Messer in seinem Rücken.

„Wer hat es denn da so eilig zur Ehrwürdigen Mutter zu kommen?“,zischte hinter ihm eine leise, unangenehme Stimme.

Dafür, dass William von der Situation total überrascht wurde, bekam ersich schnell wieder in den Griff. Zwar verfluchte er sich in Gedanken,dass er schon wieder ein Messer in seinem Rücken spürte, doch erspielte seine Rolle gut.

„Ein Bote mit wichtigen Nachrichten aus Menzonaq“, behauptete erfrech, „aber was geht dich das an?“

Dass er den Mann mit seiner Selbstsicherheit verunsicherte merkte erdaran, dass er dessen Faust und nicht das Messer in die Rippen bekam.

„Du antwortest nur auf meine Fragen“, zischte der Fremde, „was für eineBotschaft?“

Der Fremde hatte seine Chance gehabt und nicht genutzt, die nächsteFrage musste er seinem Schöpfer stellen, denn der Ger von Kyyraqklärte die Situation zu Gunsten Williams. Nun hielt sich William nichtlänger mit Höflichkeitsfloskeln auf, er drückte einfach die Klinke herunter,ergriff einen Arm des toten Fremden und zog ihn in die Kammer. Bevorer die Tür schloss, sah er noch, wie Kyyraq den Platz des Fremden in

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der dunklen Nische einnahm. Ja, auf seinen Freund konnte er sich blindverlassen, denn der schien einen siebenten Sinn dafür zu besitzen,wenn er William in gefährlichen Situationen zu Hilfe kommen musste. ImZimmer brannte eine Kerze und William erkannte in ihrem schummrigenLicht, wie Isabella entsetzt auf den Toten starrte.

„Bevor ich euch alles erkläre, lest bitte die Dokumente aus meinerTasche“, drängte William seine Angebetete. Auch wenn Williams Stimmezum Einen flehentlich klang, so war doch auch eine Dringlichkeitherauszuhören, der sich Isabella nicht entziehen konnte.. Während ihreAugen über die Dokumente flogen, nahm ihr Gesicht einen immerbesorgter werdenden Ausdruck an.

„Es tut mir Leid, dass ihr zum Spielball der Mächtigen wurdet“, dabeiberührte sie Williams Wange mitfühlend mit den Fingerspitzen. DieseVertrautheit führte dazu, dass William Einzelheiten des Dramas zuerzählte.

„Sie schreckten nicht davor zurück meinen Vater hinterhältig zuermorden. Ich überraschte den gedungenen Mörder und tötete ihn. Daich durch die Dokumente wusste wer dahinter steckt, blieb mir gar nichtsanderes übrig, als in die Wildnis zu flüchten. Doch sogar hier haben siemich nun aufgespürt. Die Schergen des Kämmerers legten sich in einenHinterhalt, um mich aus dem Wege zu räumen. Und sogar vor eurer Türwartete ein gedungener Mörder, der dank Kyyraq hier vor euch liegt, stattmeiner. Es tut mir leid Isabella, aber ich kann nicht weiter für eucharbeiten. Mein Partner und ich, wir verschwinden wieder in der Wildnis,dort sind wir nur sehr schwer aufzuspüren und wenn, dann sind wir imVorteil. Eine Bitte habe ich doch noch. Wenn meine Sachen eintreffen,so deponiere sie bitte so, dass wir sie unauffällig abholen können. Zudem Zweck vertraue Rosa aus dem Badehaus an, wo wir die Sachenabholen können."

Als William bei der Erwähnung von Rosa so etwas wie Enttäuschung inIsabellas Blick sah, musste er schmunzeln.

"Ich glaube zwischen Kyyraq und Rosa läuft was", ließ er Isabella nichtim Ungewissen, was es mit Rosa auf sich hatte. "Vor allem sei vorsichtigfür den Fall, dass dich die Spione der Regentin überwachen.“

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Isabella wollte etwas sagen, doch William hielt sich einen Finger vor denMund und machte „Pst“. Bedacht trat er auf sie zu und strich ihr über daslange, blonde Haar.

„Passt gut auf euch auf, meine Königin. Die Hexe Desdemona schrecktvor nichts zurück. Deshalb darf der da“, dabei zeigte William auf denToten, „auch nicht bei euch gefunden werden.“

Abrupt drehte er sich ab, ergriff den schlaffen Körper, zerrte ihn zumschmalen Fenster und warf ihn einfach hinaus.

„Wir nehmen ihn mit und lassen ihn im Wald verschwinden.“ An der Türblieb William noch einmal stehen. „Gebe Gott, dass sich die Zeitenändern und wir uns unter glücklicheren Umständen wiedersehen.“

Langsam, rückwärtsgehend, verließ der junge Grafensohn dass Zimmer.Bevor er leise die Tür hinter sich zuzog, warf er einen letzten, traurigenBlick auf Isabella. Kaum war die Tür verschlossen, flüsterte Isabella mitweinerlicher Stimme, „das hoffe ich auch – mein Liebster.“ Doch dashörte William schon nicht mehr.

Unbehelligt erreichten William und Kyyraq die, hinter dem Gebäude,wartenden Pferde. Nachdem sie den Toten auf das Packpferd geladenund befestigt hatten, verließen sie die Siedlung in westlicher Richtung.Zwar lag der schutzbietende Wald des Drud-Gebirges genau inentgegengesetzter Richtung, doch diesen Weg wagten sie nicht sogleicheinzuschlagen. Zu groß erschien ihnen die Gefahr den Häschern genauin die Arme zu reiten. Schließlich, jedenfalls wenn die bösen Buben nichttotal auf den Kopf gefallen waren, müsste es ihnen irgendwanndämmern, dass der Hinterhalt am Depot aufgeflogen war. Nur logisch,dass sich die Häscher dann auf den Weg nach Memoria machten, um zuüberprüfen, ob sich die Gesuchten vielleicht hier aufhielten.

Bei ihrer Flucht bemühten sich William und Kyyraq erst gar nicht darumverräterische Spuren zu vermeiden. Zurzeit legten sie nur Wert auf hoheGeschwindigkeit, um den Vorsprung auf ihre Verfolger weiterauszubauen. Bis zum Morgengrauen ritten sie an der Mhyrsa entlang,dem Flüsschen, welches die Mühle in Memoria antrieb. Bei Anbruch desTages erreichten sie eine Stelle, wo die Mhyrsa einen Knick nachNorden machte, dort verabschiedeten sie sich vom Fluss. Ohne

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erkennbaren Übergang verwandelte sich die Graslandschaft in eineausgedehnte Moorlandschaft, an deren Rande sich die Flüchtigen weiterRichtung Westen bewegten. Hier nutzten sie die landschaftlichenGegebenheiten, um den Toten spurlos im Moor verschwinden zu lassen.

Da sie sich nicht getrauten eine Rast einzulegen, den Pferden abertrotzdem eine Erholung verschaffen wollten, stiegen sie aus dem Sattelund führten sie an den Zügeln. Immer wieder ging ihr Blick nach hinten,ob dort am Horizont die Verfolger vielleicht auftauchten. Doch von ihnenwar weit und breit keine Spur zu entdecken. Einzig ein einsamer, grauerPunkt folgte ihrer Spur und ließ sich nicht mehr abschütteln. William undKyyraq grinsten sich an, Wolf hatte ihre Spur aufgenommen.

Am späten Nachmittag waren sie und die Pferde so erschöpft, dass sieum eine Pause nicht mehr herum kamen. Das Moor lag jetzt hinter ihnenund sie bewegten sich durch eine grüne Auenlandschaft, in der immerwieder einzelne Baumgruppen wie Inseln aus dem Gras wuchsen.Zwischen den Bäumen und Strauchwerk einer solchen Insel machten siedann endlich Rast. Ohne dass sie sich absprechen mussten, wusstejeder was er zu tun hatte. William machte sich auf die Suche nachtrockenem Holz, während Kyyraq die beiden Enten rupfte und ausnahm,die William in den frühen Morgenstunden am Rande des Moores mit Pfeilund Bogen erlegt hatte. Später am Lagerfeuer, als sie gesättigt waren,beratschlagten sie auf ihre unvergleichliche Art und Weise wie esweitergehen sollte.

„Ich fasse zusammen“, William sah seinen Partner eingehend an. „Hinteruns befinden sich unsere Häscher, im Süden liegt das Moor und imNorden liegt die Bucht von Menzonaq. Bleibt eigentlich nur der Wegnach Westen, wo wir irgendwann auf die hohen Berge des Drud-Gebirges stoßen müssten. Und wenn ich dich recht verstanden habe,könnten wir im Schutz des Bergwaldes unbemerkt die HafenstadtKandymar erreichen, um dort für eine Weile unterzutauchen. Ich gebe dirrecht, in einer solch großen Stadt, mit ihren vielen Menschen, fallen wirbestimmt nicht weiter auf und könnten auf angenehmere Weiseüberwintern als in der Wildnis.“

Noch immer bohrte sich Williams Blick in die Augen seines Gegenübers,immer auf der Suche nach einem Widerspruch, doch dieser nickte

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zustimmend. Nach einer Pause des Schweigens und Überlegens ergriffWilliam nochmals das Wort.

„Mangels besserer Ideen stimme ich deinem Plan zu, also lass uns einwenig schlafen und dann den weiten Weg in Angriff nehmen.“

*

Jonathan legte das Manuskript beiseite und ergriff Carlottas Hand. „Darfich dir mal ein Geheimnis verraten, mein Schatz? Nicht nur zuhörenmacht müde, auch das Lesen. Mein Vorschlag, wir machen Schluss,schließlich liegt vor mir auch noch der Heimweg.“

„Du könntest ja auch hier bleiben, wie du weißt ist mein Bett groß genugfür zwei. Mit dem anderen hast du wirklich recht, zuhören macht müde“,ein herzhaftes Gähnen bezeugte den Wahrheitsgehalt ihrer Worte.

„Heute nicht meine Liebste, ein andern mal vielleicht. Aber vielleichtbesuchst du mich und übernachtest mal auf Wullingham-Castle“, brachteJonathan eine vollkommen neue Variante ins Spiel.

„Aber ich denke du wolltest nicht“, führte Carlotta vor Aufregung denSatz nicht zu Ende.

„Ich habe nachgedacht. Dir macht es nichts aus was die Leute reden, mirschon lange nicht und wer weiß wie viel Zeit mir in meinem Leben nochbleibt. Außerdem ist es durchaus standesgemäß, wenn sich der Earl vonWullingham eine Geliebte hält.“

„Du Schuft“, stieß Carlotta gespielt empört aus und drehte sich aufJonathans Oberkörper. „So, so, deine Geliebte bin ich also, mehr nicht?“

„Ich finde, dass es etwas sehr Schönes ist, wenn man geliebt wird undich für meine Seite muss mit Demut feststellen, dass das mehr ist als ichmir vor kurzem noch vom Leben erhoffte“, Carlottas heftiges Fauchenunterbrach ihn, aber nur kurz, „aber wenn du Wert darauf legst, dannkönnen wir uns natürlich auch verloben.“

Carlotta verschlug es die Sprache, hatte ihr eben der begehrtesteJunggeselle des gesamten Distriktes einen Heiratsantrag gemacht oderhatte sie es am Öhrchen?

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„Du bist verrückt Jonathan! Ich versichere dir, dass ich mich in der Rolleder Geliebten sehr wohl fühle. Nein, ich genieße es. Wir sollten dieSache ganz ruhig auf uns zukommen lassen. Nun mach aber, dass durauskommst, ich muss ernsthaft über deinen Antrag nachdenken“.Deutlich war es Carlotta jedoch anzusehen, dass sie von seinem Antragnicht nur überrascht wurde, sondern dass sie sich mehr als nurgeschmeichelt fühlte. Tief in ihrem Inneren wusste sie schon jetzt, dasssie seinen Antrag ganz bestimmt nicht ablehnen würde.

Jonathan kehrte auf dem kürzesten Weg nach Wullingham Castle zurückund war dankbar, dass Henry sofort das Abendbrot auf seinArbeitszimmer brachte. Zum Malen fehlte ihm die innere Ruhe, alsospielte er auf seinem Computer noch ein wenig Schach. Schon baldmerkte er, dass auch das keinen Sinn machte, da seine Gedankenimmer woanders weilten. Eine innere Unruhe trieb ihn zur magischenKammer. Er schaltete den Bildschirm an und starrte hinein, doch derRaum war leer, bis auf die Bilder, die wieder an der Wand hingen.Nachdem er lange genug hinein gestarrt hatte, drehte er sich resigniertab und ging schlafen.

Unruhige Träume quälten ihn die ganze Nacht, wobei sich alleTraumsequenzen um die Welt von Asgardun drehten. Einmal glaubte ersogar, dass viele Arme nach ihm griffen und die Drude Roxane seinenNamen rief, doch nach dem Aufwachen war er sich dessen nicht mehrsicher. Einzig und allein seine Zerschlagenheit am nächsten Morgen ließihn glauben, dass er überhaupt nicht geschlafen, sondern in der Nachtzu Fuß durch Asgardun gewandert sei.

Obwohl der Tag noch nicht wirklich angebrochen war, stand er auf, dennan Schlaf war nicht mehr zu denken. Erst als er auf die Uhr sah, verstandJonathan warum Bomba nicht die geringste Lust verspürte, mit ihmGassi zu gehen. Es war erst kurz nach fünf, eine wirklich ungewohnteZeit zum Aufstehen. Der Lustlosigkeit seines Hundes Rechnung tragendging er zum Käfig von Caligula, wechselte den Sand und stellte neuesWasser und Futter hinein. Aber auch Caligula schien noch nichts vonihm wissen zu wollen. So von seinen tierischen Freunden im Stichgelassen, folgte er einem Gefühl und begab sich nochmals zumgeheimnisvollen Turmzimmer. Die Tür schien ordnungsgemäßverschlossen, alles schien in Ordnung. Als er jedoch Licht und Monitor

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einschaltete und in den Raum blickte, stieß er zischend die Luft aus. Inder Mitte des Raumes lag ein Stapel Kleidungsstücke. Eine Botschaft,aber von wem und was hatte sie zu bedeuten? Jonathan gab denZahlencode ein und öffnete die schwere Metalltür. Misstrauisch blickte erin den sonst leeren Raum, doch nichts geschah. Mit ein paar schnellenSchritten war er bei dem Kleidungsstapel, ergriff ihn, nur um den Raumfluchtartig wieder zu verlassen. Gedankenverloren kehrte er in seinSchlafzimmer zurück und ließ die Kleidungsstücke im Schrankverschwinden, so als wenn er es kategorisch ablehnte, sich weiter mitdem Thema zu befassen. Bomba hob verschlafen den Kopf, so als wenner sich durch die Unruhe, die Jonathan verbreitete, in seinem Schlafgestört fühlte. Gegen Jonathans Erwartungen reckte und streckte sichdie französische Bulldogge, riss ihr Maul zu einem herzhaften Gähnenauf und blickte Jonathan dann auffordernd in die Augen. Jonathanverstand, Bomba war jetzt für den morgendlichen Spaziergang bereit.

„Ja Bomba, so ist das nun mal, sonst treibst du mich aus den Federn,einfach weil du es noch immer nicht gelernt hast, dich auf die Toilette zusetzen. Heute bin ich mal der treibende Teil, da ich nicht mehr schlafenkonnte und an die frische Luft muss, damit der Sauerstoff meineGehirnzellen auf andere Gedanken bringt.“

Leise verließen sie das alte Gemäuer und gingen ihre Runde, vorbei ander Gärtnerei und dem Pferdestall, nur um festzustellen, dass hier nochalles schlief. Auf dem Rückweg machte er am Schwimmbecken halt, zogsich aus und sprang nackt ins Wasser. Das kühle Nass weckte ihnendgültig und vertrieb die bösen Geister der Nacht. Als er sich aus demBecken zog, fiel ihm ein, dass er nichts zum Abtrocknen mitgenommenhatte. Sein Blick fiel auf den Pavillon und er erinnerte sich schwach, dassihm Henry dort einen Schrank mit eben solchen Utensilien zeigte.Nachdem er sich abgetrocknet hatte, zog er sich einen Bademantel über,ergriff seine Kleidung und begab sich wieder ins Haus. Niemand schienseinen morgendlichen Ausflug und sein Bad im Adamskostüm bemerktzu haben. Jonathan musste grinsen, als er sich vorstellte, dass Selmaseine Aktion am Schwimmbecken mitbekommen haben könnte, wobei eseigentlich viel zu dunkel war, um genaueres zu erkennen.

Ansonsten verlief sein Vormittag nach dem gewohnten Schema, nurdass er heute gleich nach dem Frühstück die Folterkammer mit Namen

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Fitnessraum aufsuchte und sich bis kurz vor dem Mittagessen quälte.Bombas vormittags Spaziergang fiel aus, schließlich hatte der schonganz in der Frühe stattgefunden. Dass Jonathan nach dem Mittagessen,in Begleitung von Bomba, wie so oft bis zum Dunkelwerden verschwand,gehörte längst zum täglichen Gesprächsstoff der Bediensteten. Daniemand genaueres wusste, eröffnete das Tür und Tor für dieunmöglichsten Spekulationen. Carlotta empfing ihn mit offenen Armen,wollte aber gleich mit dem Lesen beginnen.

„Sieht ja fast so aus, als wenn ich meinen erotischen Reiz verlorenhätte“, spielte Jonathan den Enttäuschten, obwohl er ganz froh war, dassihn Carlotta nicht überforderte.

„Neben dir zu liegen, deiner Stimme zu lauschen und Neuigkeiten überdeine fiktive Welt zu erfahren, mag nicht amourös sein, doch es gibtdurchaus Tage, da bin ich mit dieser Situation vollkommen zufrieden.Außerdem weiß man ja nie“, ließ sie den Rest des Satzes offen.

„Na, wenn das so ist, dann sei dir noch mal verziehen“, dabei setzteJonathan eine Miene auf, wie sie sein Hund sonst trug, wenn erStöckchen spielen wollte.

„Nun guck mich nicht so aus traurigen Hundeaugen an, du bekommst jadeinen Knochen noch, aber nur wenn du artig bist“, gleichzeitig ließCarlotta ihr helles Lachen erklingen, woraus Jonathan entnahm, dass siegut drauf war. Kurz darauf lagen sie in bequemen Sachen auf dem Bettund Jonathan las aus seinem Manuskript vor.

V Eliasar von Falkenstein

Heute führte sie die Geschichte an einen anderen Ort, der Welt vonAsgardun. Die Reise führte sie zur Insel Mhyritrias im Jahre 852.

Auf Burg Falkenhorst, in einer Kammer des Wohnturms, stand eineinsamer Mann und blickte aus dem schmalen Fenster, auf die tief unterihm munter dahinfließende Mydruse. Das der Fluss so tief unter ihmdahinfloss lag nicht etwa daran, dass der Burgturm eine solchunglaubliche Höhe besaß, sondern das die Burg am Rande einer steilabstürzenden Klippe erbaut wurde. Hier endeten die Gebirgsausläufer

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des Anthras-Gebirges mit dem letzten hohen Berg, mit Namen Calumba.In die andere Richtung zog sich das Gebirge bis in den hohen Norden.Je weiter man nach Norden folgte umso gewaltiger wurde dasBergmassiv, mit seinen immer schneebedecken Gipfeln. Vom ewigen Eisder Gletscher gespeist, entsprang irgendwo zwischen den Bergen dieMydruse als schmales Bächlein. Auf dem Weg zum Meer entwickelte essich zuerst zu einem munteren Wildwasser und ab Burg Falkenhorst zueinem Fluss, auf dem sogar größere Schiffe fahren konnten. Auch einGrund warum die Burg genau hier stand.

Trotzdem war es kaum vorstellbar, wie das wehrhafte Gemäuer, andieser schwierigen Stelle, von Menschenhand erbaut wurde. DerBurgherr, denn um den handelte es sich, der da aus dem Fensterschaute, wusste nur zu genau, dass seine Vorfahren dieses schwierigeUnterfangen nicht ohne die Hilfe der Druiden vollbracht hätten.

Doch egal wie schwierig die Bauarbeiten an der zehn Meter dicken undzwanzig Meter hohen Schildmauer waren, danach war die Burguneinnehmbar. Im Westen grenzte die Schildmauer an einerunüberwindbaren Steilwand des Calumbas. Im Süden und Osten fiel derFelsen, auf dem die Burg stand, zweihundert Meter steil ins bodenlose.So blieb etwaigen Angreifern, welche die Mauer der Burg erstürmenwollten, nur ein einziger Weg, um die Burg einzunehmen. Dieser Weg,ein steiler Hang, war lang und gefährlich, da man sich seinem Ziel ohneDeckung nähern musste.

Trotzdem hatte die Uneinnehmbarkeit der Festung ihren Besitzern nichtsgenutzt. Nie fiel sie von Gegners Hand, nicht ein feindlicher Krieger warje über Sturmleitern in die Burg eingedrungen. Die Geschichte, derUntergang Asgarduns hatte sie ohne jeden Schwertstreich zu Fallgebracht. Arthur I., der König, der aus Asgardun, Askalan machte, hatteMhyr in die Knie gezwungen, indem er von weiten Waffenrasselnerzeugte. Auch wenn er die scheinheilige Zusage gab, den Menschendes Landes eine gewisse Autonomie zu belassen, kontrollierte amEnde, ein von König eingesetzter Truchsess, den westlichen Teil vonMhyritrias, den Teil, den das ehemalige Fürstentum Mhyr beherrschte.Somit hatte Burg Falkenhorst jeglichen, strategischen Wert eingebüßt.

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Er, Eliasar von Falkenstein, trug zwar immer noch den Titel einesBarons, doch ihm fehlten jegliche Macht und Einflussnahme auf derpolitischen Bühne. Unter diesen Voraussetzungen fühlte er sich eher wieein Falke mit gestutzten Flügeln und darum war er auch nicht gewillt,sich von seinen Leuten als Baron anreden zu lassen. Und so kam es,dass er sich im Laufe der Jahre immer mehr wie einer von ihnen fühlteund sich auch so benahm. Bald wunderte sich auch niemand mehrdarüber, dass der Baron bei der Ernte oder in den Ställen half, er packteimmer da an, wo eine Hand gebraucht wurde. Vielleicht war das genauder Grund, warum alle, die für ihn arbeiteten, zu ihm aufblickten. DaEliasar keinen Wert auf höfische Etikette legte, war es auch nichtverwunderlich, dass er nach und nach das höfische Leben auf der Burgeinschlafen ließ. Zwar befand sich die Burg noch immer in einemausgezeichneten Zustand, da er alles in seiner Macht daransetzte, sienicht verfallen zu lassen, doch zurzeit lebten nur er, sein Diener Ruudund seine Frau Gertrud auf der Burg. Alle anderen Menschen lebten aufdem dazugehörenden großen Gehöft am Fuß des Berges. Dort wurdealles erwirtschaftet, um das Überleben der kleinen Gemeinschaft zusichern und wie es schien waren alle mit diesem Zustand zufrieden. Fastwar es so, als wenn sich die Burg in einem Dornröschenschlaf befand,nur das hier nicht die Prinzessin, sondern ein Baron wachgeküsstwerden musste. Etwas, das gerade seinen Anfang nahm. Denn EliasarsGedanken beschäftigten sich mit einer Begebenheit, bei der er sich nichtsicher war, ob es sich um einen Traum oder eine Erscheinung imWachsein handelte.

Vor ein paar Tagen saß er wie so oft abends vor dem Kamin und trankein, vielleicht auch einen zweiten Becher Rotwein, als eine alte,grauhaarige, aber auf übernatürliche Weise immer noch schöne Frau, ineinem hell leuchtenden Gewand, vor seinen Ohrensessel trat. Soglaubte er jedenfalls im Nachhinein, vielleicht war er aber auch nur kurzeingenickt und träumte alles.

„Eliasar, wie kommt es, dass du keine Furcht zeigst wie es die Menschennormaler Weise tun, wenn sie von einem Geist heimgesucht werden?",begrüßte sie ihn mit einer Frage. "Nein, schon gut, du brauchst mir nichtzu antworten, denn es ist ja in Ordnung so. Mein Name ist Roxane undich lebe im Turm von Khemona, dort warte ich schon lange, ungeduldig

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auf die Zeit der Prophezeiung. Alles deutet darauf hin, dass wir jetzt amAnfang dieser Zeit stehen. Die prophezeiten Zwillinge wurden längstgeboren und wachsen in Sicherheit auf und ich, die Drude Roxane, habebeschlossen einen weiteren Trumpf im Kampf um Asgardun ins Spiel zubringen. In Minasmitrias, dem geheimnisvollen, ehemaligen Treffpunktder Druiden, den die Menschen nur den verzauberten Kristallpalastnannten, erwacht demnächst ein Knabe aus langem Schlaf, um sich indas Spiel, um die Macht einzubringen. Eliasar, ich bitte dich den Knabendort abzuholen, denn ich kann den Drud-Wald nur bedingt verlassen,weil meine Kräfte außerhalb nur allzu schnell schwinden. Wundere dichnicht über den Knaben, er sieht zwar wie ein Zwölfjähriger aus, doch erbesitzt schon enorme Fähigkeiten. Trotzdem benötigt er fürs erste deineHilfe, denn er kennt sich in unserer Welt noch nicht aus. Sei sein Schildund sein Schwert, bis der Knabe seiner eigenen Wege geht.“

„Vielleicht ist mir etwas entgangen, aber zu welchem Zeitpunkt stimmteich eurer Bitte zu?“, gab er knurrig von sich.

Denn Eliasar fühlte sich nicht nur in seiner abendlichen Besinnlichkeitgestört, sondern auf eine ihm unangenehme Weise in eine bestimmteRichtung gedrängt, aus der ihm eigentlich nur Ärger erwachsen konnte.Natürlich kannte er die Prophezeiung vom Untergang des ReichesAskalan und der Wiedergeburt des alten Asgarduns. Doch das hier gingihm alles ein bisschen zu schnell. Gerade löste sich die Erscheinung auf,trotzdem hörte er noch ihre Stimme.

„Du kannst dich meinem Wunsche nicht entziehen, dein Geschlecht istden Druiden verpflichtet. Wenn du mir nicht glaubst, dann höre in deinHerz hinein.“ Die Stimme verhallte und seitdem fragte sich Eliasar, ob ernur träumte oder ob an der Sache mehr dran war. Wie verlangt hatte r insein Herz hineingehört, aber keine Antwort erhalten.

„Um herauszufinden ob die Sache nur ein Hirngespinst ist, muss ichwohl zum Kristallpalast reiten und mich davon überzeugen, ob dortwirklich besagter Knabe auf mich wartet“, sprach er mit sich selbst, eineAngewohnheit bei der er sich in letzter Zeit immer häufiger ertappte.„Hab ja hier sowieso nichts zu tun. Wird Zeit sich mal wieder den Windum die Nase wehen zu lassen und die alten Knochen zu bewegen.“

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Nachdem er eine diesbezügliche Entscheidung getroffen hatte, war ihmwohler. Zuerst ging er zum alten Ruud und bat seinen Diener, dass erihm sein Schwert schärfte. Anschließend besuchte er dessen Frau in derKüche und fragte sie höflich, ob sie ihm einen Proviantkorbzusammenzustellen könnte.

„Na, machst du dich endlich auf den Weg, um doch noch eine Frau zufinden?“, wollte die alte Gertrud wissen.

„Aber Tante Trudi, welche Frau will denn einen mittellosen Mittvierziger?Nein, ich mache mich auf den Weg, um einen Knappen in meine Dienstezu nehmen“, plötzlich winkte er mit der Hand ab, „aber vielleicht ist allesauch nur ein Hirngespinst.“

„Du solltest dich wirklich mal wieder unter Menschen begeben, du redestwirr mein Sohn.“ So nannte ihn die alte Gertrud fast immer, da sie keineeigenen Kinder besaß.

„Genau Tante Trudi, du hast wie immer recht“, gab sich Eliasar lachendgeschlagen und kehrte in seine Turmkammer zurück, um das, was manauf einer solchen Reise immer benötigte, zusammenzustellen.

Das Lederwams, das zum besseren Schutz mit Eisenringen versehenwar, zog er gleich über. Die braune, wollene Kapuzenkutte, zwei Deckenund eine wasserundurchlässige Plane landeten erst mal auf dem Bett.Auch den breiten Ledergürtel, an dem er später das Schwert trug, legteer gleich an. Als nächstes schlüpfte er mit seinen Füßen in die Reitstiefelaus weichem Rehleder. Dabei blickte er sich suchend im Zimmer um, bisein verstehendes Grinsen seinen Mund umspielte. Er hatte seinen altenBogen in einer dunklen Ecke entdeckt. Doch wo war der Köcher mit denPfeilen? Sofort wanderte sein Blick zu der eisenbeschlagenen Truhe diein der anderen Ecke stand. In besagter Truhe fand er zwar seineStreitaxt und auch das lange Seil mit Eisenhaken, aber nicht den Köchermit den Pfeilen. Einer Eingebung folgend bückte er sich und sah untersBett. Fast schämte er sich, als er dort das Gesuchte liegen sah. DieFedern der Pfeile waren eingestaubt, so lange hatte er sie nicht mehrbenutzt. Verdammt! Trotzdem, mit jedem Gegenstand, den er auf Tischoder Bett legte, verbesserte sich seine Laune. Wie sagte die Drudenoch? Ach ja, ich sollte in mein Herz hinein hören - und wenn ich ehrlichbin, fängt es gerade an, eine fröhliche Melodie anzustimmen. Allein der

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Gedanke, dass er dem Monstrum Askalan vielleicht einen Knüppelzwischen die Beine werfen konnte, wirkt sich positiv auf seine, in letzterZeit gezeigte, Griesgrämigkeit aus.

„Ach ja, wäre das schön“, stieß Eliasar wie befreit aus, dabei erwachtenin ihm Gefühle, die er schon lange verloren glaubte.

Was er nicht anzog, stopfte er in einen großen ledernen Reisesack.Bogen und Köcher landeten da wo sie hingehörten, auf dem Rücken.Fröhlich pfeifend stieg er die Treppen des Turms hinunter undüberquerte den Hof in Richtung Stall. Das einzige Pferd im Stallbegrüßte ihn heftig wiehernd.

„Celebrus“, gab er seiner Stimme einen leicht vorwurfsvollen Klang, „nuntu doch nicht so, als wenn wir uns ein ganzes Jahr nicht gesehen hätten.Es könnte sein, dass du dich bald wieder nach dem gemütlichen Lebenim Stall zurücksehnst.“

Das Pferd sah ihn kurz mit großen Augen an, dann schüttelte es heftigwiehernd den Kopf, als wenn es Eliasars Worte empört zurückwies.„Schon gut, schon gut. Ich nehme alles zurück und behaupte dasGegenteil“, lenkte Eliasar schnell ein.

Das Pferd war fast reitfertig. Eliasar zog nur den Sattelgurt nochmalsnach, als er den schlurfenden Schritt des alten Ruud hörte.

„Ich bin gleich fertig Ruud“, und schon wand er sich seinem ins Altergekommenen Diener zu.

Da stand der alte Ruud. Wie immer hatte er ein trauriges Gesichtaufgesetzt, das Gleiche, das er schon die letzten Jahre zur Schau trug.Auf beiden Händen hielt er Eliasar das Schwert hin. Eliasar vermutete,dass der alte Ruud seinen guten Zeiten nachtrauerte. Wahrscheinlichwäre er liebend gern mitkommen, aber natürlich wusste er genau, dassdas nicht mehr möglich war. Wie immer berührte Eliasar der Anblick desSchwertes auf eigentümliche Weise. Das Schwert befand sich schon seitUrzeiten im Besitz seiner Familie und selbstverständlich besaß es aucheine Geschichte, die er oft genug von seinem Großvater und Vater anlangen Abenden am Kamin zu hören bekam.

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Einst, vor langer Zeit, beobachtete einer seiner Vorfahren, insternenklarer Nacht, wie ein Stern vom Himmel fiel. Am nächsten Tagmachte er sich auf die Suche nach der Einschlagstelle. Aus einem Tagwurden drei, doch dann fand er am Boden eines Erdtrichters einenseltsamen Klumpen Gestein. Als er das Hühnerei große Stück aufhebenwollte, stellte er erstaunt fest, dass das Ding ein außergewöhnlichesGewicht besaß. Er verfrachtete den Fund in seinen Rucksack undmachte sich auf den langen, beschwerlichen Heimweg. Später suchte erden Druiden auf, der in der Nähe der Burg lebte. Er hegte die Hoffnung,dass der weise Druide das Geheimnis des seltsamen Steins lüftenkonnte. Geduldig hörte sich der Druide die Geschichte an, umanschließend den ungewöhnlichen Klumpen in Augenschein zu nehmen.Auch betastete und beschnüffelte er den geheimnisvollen Gegenstand,dann ging ein verstehendes Lächeln über sein Gesicht.

„Oh, ein Klumpen Sternenstaub, ehemals Teil eines Gestirns! Lange,ach was, Ewigkeiten flog das Ding durch die Unendlichkeit des Kosmos,um dich zu finden. Du und deine Nachkommen ihr seid vom Schicksalauserwählt ihn seiner Bestimmung zuzuführen.“

Der Urahn von Eliasar verstand kein Wort.

„Dieser Brocken besteht aus einem ganz besonderen Metall, härter undstrapazierfähiger als alles Vergleichbare auf dieser Welt. Überlasse mirden Brocken und ich werde dir ein Schwert daraus schmieden wie es dieWelt noch nicht sah.“

Gegen ein gutes Schwert hatte sein Urahn nichts einzuwenden und sostimmte er zu. Natürlich war ihm klar, dass jeder Dienst einesGegendienstes bedurfte.

„Was wollt ihr dafür?“, stellte er dem Druiden die entsprechende Frage,als jener ihm die fertige Waffe überreichte.

Der Druide schmunzelte verschmitzt. „Die Waffe ist unbezahlbar, sagenwir, du und deine Nachkommen schulden uns Druiden einen Dienst.“

Schlagartig fiel es Eliasar wie Schuppen von den Augen, was die DrudeRoxane von ihm einforderte. Sie forderte das uralte Versprechen einesseiner Altvorderen ein, den Preis für das Schwert. Obwohl dieErschaffung des Schwertes schon sehr, sehr lange zurücklag, so dass

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der Name des Urahnen und seine Geschichte verloren gegangen wären,stände nicht alles in ihrem Familienbuch, so war er doch an dessenVersprechen gebunden. Eliasar nahm das Schwert von Ruud entgegenund wiegte es in der Hand, dabei fiel ihm der Rest derFamiliengeschichte ein.

„Welchen Namen soll das Schwert tragen?", wollte der Druide vonseinem Vorfahren wissen.

Der sah ihn nur verständnislos an, denn dass man einem Schwert einenNamen gab, war bei den Menschen hier nicht üblich.

"Eine solch besondere Waffe benötigt einen Namen", klärte ihn derDruide auf. "Falls du keinen besseren weißt, nenne es Phalyx, denn dasheißt in unserer Sprache Stern. Und wie du sagtest ist der Metallklumpenwie ein Stern vom Himmel gefallen.

Mit diesen Worten übergab der Druide Panyophan seinem UrahnenAmison das Wunderschwert, so stand es jedenfalls im Familienbuch.Seitdem wurde das Schwert vom Vater auf den Sohn weitergegeben,was wohl dafür sprach, dass die Geschichte einen wahren Ursprunghatte.

Verrückt, dass er derjenige sein sollte, welcher das Versprechen seinerAhnen an die Druiden einlösen musste. Andererseits sah es fast so aus,als wenn er sich am Anfang einer vielversprechenden Geschichte befandund wenn er das Ende erlebte, würde er um einiges klüger und dasFamilienbuch um eine Geschichte reicher sein. Nur eine Frage blieboffen, wem sollte er am Ende seiner Tage das Schwert überreichen?Bei diesem Gedanken wurde er ein wenig zornig und so stieß er dasSchwert mit einer heftigen Bewegung in die Scheide.

„Danke Ruud. Ich werde Antus Bescheid geben, dass er euch währendmeiner Abwesenheit mit allem Notwendigen versorgt. Leider kann ich dirnicht sagen, wie lange meine Abwesenheit dauert, aber macht euchkeine Sorgen.“

Zum Schluss nahm er den alten Ruud in seine Arme und drückte ihnheftig, denn er mochte ihn sehr. Auch wenn Eliasar gegenüber Trudi seinAlter etwas hervorgehoben hatte, so schwang er sich doch auffallendgeschmeidig auf Celebrus und ritt locker aus dem Stall. Hell erklangen

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die Hufeisen auf den Pflastersteinen des Hofes. Am Tor wartete Gertrudmit dem Verpflegungskorb und wischte sich schnell noch verstohlen eineTräne aus den Augenwinkeln. Eliasar hielt an, beugte sich herunter undgab Gertrud einen Schmatz auf die Stirn. Nachdem sie ihm den Korbgereicht hatte, schnäuzte sie laut in ein Tuch.

„Pass gut auf dich auf mein Junge“, schwang etwas Weinerliches in ihrerStimme mit. Schnell drehte sie sich um und verschwand im Torhaus.

Bevor ihn ebenfalls die Rührung ergriff, flüsterte Eliasar seinem Pferdetwas ins Ohr, worauf Celebrus in einen lockeren Trab verfiel. Gleichdarauf erzeugten die Hufe des Pferdes ein dumpfes Geräusch auf dendicken Holzbohlen der Zugbrücke, die über einen breiten Trockengrabenführte. Ohne Eile folgte er den Serpentinen, die von der Burg zum Fußedes Berges führten, wo das Gehöft lag. Ein ziemlich großer Komplex,fast schon ein kleines Dorf für sich. Das Gehöft war in der Form einesoffenen Rechtecks angeordnet. Rechts lagen die Gesindehäuser,geradezu das Herrenhaus und links die Pferdestallungen, mit Koppeln,die bis zur Felswand des Calumbas reichten. Ein Stück hinter denPferdestallungen, lagen die Schweine- und Geflügelställe mitentsprechendem Auslauf. Hinter dem Herrenhaus stand das Brauhaus,denn sie brauten ihr eigenes Bier. Etwas abseits lagen die Scheunenund der Geräteschuppen.

Neugierige Blicke hatten den Baron längst wahrgenommen, so dass einKnecht sofort das Reittier des Ankommenden übernahm. Und schon tratAntus, sein Steward, aus dem Haus, um seinen Boss zu begrüßen. Soherzlich wie sie sich begrüßten, konnte man deutlich erkennen, dass essich bei den Beiden um mehr als Herr und Untergebener handelte. Antuswar mehr Freund, der die Rolle des Verwalters übernommen hatte.Später, bei einem Becher Wein, besprach sie alles Notwendige, dannmachte sich Eliasar auf den langen Weg zum Kristallpalast, den Ort, dendie Druiden Minasmitrias nannten. Wobei die Legende ging, dass ingrauer Vorzeit etwas Gewaltiges mit einem feurigen Schweif vomHimmel fiel und eben an diesem Ort einschlug.

Auf seiner Weiterreise begleitete Eliasar ein zweites Pferd, das er amZügel führte. Schließlich verspürte er keine Neigung einen Knaben zusich aufs Pferd zu nehmen. Für diesen Zweck schien ihm eine kleinere,

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zierliche Stute durchaus geeignet. Nach zwei Tagesritten lagen dieletzten Anzeichen menschlicher Besiedlung hinter ihm. Nur dievereinzelten Schafherden mit ihren Schäfern und Hunden zeugtendavon, dass er die Zivilisation noch nicht ganz hinter sich gelassen hatte.Doch später verschwand auch dieser Hinweis auf menschliches Leben,so dass er die Natur ganz für sich alleine besaß.

Nach und nach stieg das Gelände langsam an, bis sein Weg auf einegewaltige Klippe zuführte. Nicht weit von seinem Standort entfernt,stürzte der Fluss Thräne, mit lautem Brausen, über besagte Klippe in dieTiefe. Wer den Weg auf die Hochebene nicht kannte, der stand jetzt voreinem Problem. Doch Eliasar musste den Weg nicht erst suchen, erkannte den schmalen, geheimen Pfad, der in das verbotene Land führte.

Natürlich gab es für die Einwohner von Mhyritrias kein förmliches Verbotdiese Gegend aufzusuchen, doch die Menschen mieden diesenLandstrich, da sie glaubten, dass ein böser Zauber auf ihm lag.Außerdem hielt sich nachdrücklich das Gerücht, dass in dieser Gegendein Drache sein Unwesen trieb. Doch solche Märchen scherten Eliasarwenig, vielmehr genoss er den malerischen Anblick der Landschaft. Seinnächstes Ziel, auf dem Weg zum Kristallpalast, war ein silbrig glänzenderSee, den die Druiden Himmelsauge nannten. Da er vor vielen Jahrendiesen Teil der Insel schon erkundete, sich schon damals nicht vonirgendwelchen Schauermärchen abhalten ließ, die im einfachen Volkkursierten, kannte er den Weg. Und wie nicht anders zu erwarten, fander dann auch nur eine paradiesisch, schöne Landschaft, statt böseZauberer und Drachen. Vor der Begegnung mit der Drude Roxane hieltEliasar sogar die Geschichte vom Kristallpalast, dem geheimenTreffpunkt der Druiden, eher für ein Märchen. Und das aus gutem Grund.Denn obwohl er die Gegend um den See herum schon mehrfachbesuchte, stieß er nie auf diesen sagenumwobenen Ort. Sollte er wiedernicht fündig werden, dann fand die Geschichte, derentwegen er sich aufden Weg machte, ein jähes Ende. Doch damit konnte er sich später nochbefassen, zurzeit suchte er einen Platz für sein Nachtlager.

Unter einer riesigen, uralten Eiche, in der Nähe des Sees, fand er dasGesuchte. Um Celebrus und die mitgeführte Stute brauchte er sich nichtzu kümmern, sie fanden hier mehr als genug saftiges Gras und frischesWasser. Doch wenn er nicht auf dem letzten, alten, harten Kanten herum

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kauen wollte, dann musste er etwas dagegen unternehmen. Das lauteSchnattern, dass vom See zu ihm herüber klang, regte seine Fantasiederart an, das nicht nur eine gebratene Ente vor seinem inneren Augeerschien, nein, sein Gehirn trieb ihren Spaß mit ihm und gaukelte ihmauch noch den dazu passenden Bratengeruch vor. Mit Bedauern nahmer zur Kenntnis, dass solche Hirngespinste nicht wirklich satt machten.Wollte er in den Genuss eines entsprechenden Bratens kommen, dannstand wie so oft im Leben vor dem Vergnügen die Arbeit. Der warmeFrühlingsabend bewirkte jedoch, dass Eliasar zuerst ein erfrischendesBad im See nehmen wollte. Dabei ging er davon aus, befand er sich ersteinmal dort, dann würde sich wohl auch eine Gelegenheit ergeben, ummit einem wohlgezielten Schuss eine der vielen Ente dazu zu überreden,ihm am Lagerfeuer Gesellschaft zu leisten. Natürlich würde er dem Tiernicht verraten, dass es sich dabei am Spieß über dem Feuer drehte.Gutgelaunt und erfrischt kehrte er zum Lager zurück, eine dumme Entehatte sich auch gefunden. Später saß er gesättigt im Gras und starrte indie Glut des Feuers. Müde ließ er sich nach hinten sinken und wolltegerade die Augen schließen, als ihm sein siebenter Sinn sagte, dass ernicht mehr alleine war.

„Du schon wieder“, nahm er die erneute Erscheinung der Drude Roxanewiderwillig zur Kenntnis.

Die Zauberin betrachtete ihn fast mitleidig, wobei sie leicht ihr greisesHaupt schüttelte.

„Menschen! – Eliasar, kannst du mir vielleicht verraten wie du dengeheimnisvollen Ort Minasmitrias, an dem sich der wundervolleKristallpalast befindet, ohne meine Hilfe finden willst?“

Als Antwort bekam die Drude von Eliasar nur ein schweigsamesSchweigen.

„Dachte ich es mir doch. Also pass jetzt bitte genauestens auf, meinjunger Freund!“ Nach der ausführlichen Beschreibung des Weges, zumgeheimnisvollen Ort, wollte sich Eliasar endlich auf die Seite drehen, umseiner Müdigkeit nachzugeben, als das scharfe „Halt!“ der Drude ihnaufschrecken ließ.

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„Du kannst doch nicht wirklich glauben, dass die bloßeWegbeschreibung reicht, um den sagenumwobenen Kristallpalast zufinden? Manchmal ist der Weg eben nicht alles. In unserem Fallebenötigst du noch eine ganz bestimmte Sternenkonstellation, sonst zeigtsich der Kristallpalast nicht.“

Kaum ausgesprochen, zeigte die Drude, dass sie über besondereandere Fähigkeiten verfügte. Die Himmelsrichtung konnte jeder zeigen,aber mit den Fingern leuchtende Punkte erzeugen, die in der Luftschwebten, das war schon etwas anderes

„Also Eliasar!", zog Roxane Eliasars Aufmerksamkeit auf sich, da jenerfassungslos auf ihren Zauber starrte. "Stell dir einfach vor, dass dieseleuchtenden Punkte Sterne am Himmel sind. Präge dir ihre Konstellationgut ein. Denn genauso müssen sie, drei Handbreit über dem Horizontstehen, damit du darunter den Kristallpalast findest. Ach, und nochetwas, wundere dich nicht, dass der Knabe schneller altert und wächstals es bei euch Menschen üblich ist. Übrigens sein Name istThyrogenius.“

„Wie kann man ein Kind nur Thyrogenius nennen?“, Eliasar schüttelteverständnislos den Kopf.

„Gehst du davon aus, dass er ewig ein Kind bleibt?“, brachte Roxanenun ebenfalls ihr Unverständnis für menschliches Gedankengut zumAusdruck.

„Gute Frau, ich habe Morgen einen weiten Ritt vor mir. Wenn du michjetzt bitte entschuldigst, dann würde ich gerne noch eine Mütze Schlafnehmen“, mit einem herzhaften Gähnen unterstrich Eliasar seine Worte.Gleichzeitig fiel ihm auf, dass die alte Frau so merkwürdig zuschmunzeln anfing, konnte sich aber beim besten Willen keinen Reimdarauf machen. Auch Roxanes anschließende Worte halfen ihm nichtweiter, verwirrten ihn eher.

„Nicht nur, dass ihr Menschen ein wenig schwerfällig im Denken seid,nein, ihr besitzt eine Art, die immer wieder komisch auf mich wirkt“,wobei ein hohes Kichern ihre Worte unterstrich. „Eliasar, was meinst duwohl, was du die ganze Zeit getrieben hast und warum just in diesemMoment die Vögel mit ihrem Gezwitscher beginnen?“

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Angestrengt suchte Eliasar nach der entsprechenden Antwort, dochbevor er sie fand, löste sich die Erscheinung von Roxane auf undtatsächlich, da drang doch wirklich Vogelgezwitscher an sein Ohr. Erstjetzt fiel ihm auf, dass er die Augen geschlossen hielt. Vorsichtigblinzelte er in die Welt hinaus und musste zu seinem Erschreckenfeststellen, dass der neue Tag schon graute. Vergeblich suchte er in sichnach dem Gefühl, welches ihm sagte, dass er wirklich geschlafen hatte.Betrübt stellte er fest, dass Träume von oder mit Druden anscheinendanstrengender waren als ein langer Tagesritt. Müde räkelte er sich, danngab er sich geschlagen und akzeptierte die Realität. Wenig später saß erim Sattel und ritt am Ufer des Sees mit dem bezeichnenden NamenHimmelsauge entlang. Nur zu verständlich, dass der dem Seeentspringende Fluss Thräne genannt wurde, sinnierte er über dieseltsamen Namen der Gewässer nach. Immer wieder orientierte er sichan markanten Landmarken, die ihm die Drude beschrieben hatte. Malwar es ein alter, verkrüppelter Baum, ein anderes Mal eine Felsnase, diehoch in den Himmel ragte oder eine spezielle Ausbuchtung im See. Andiesen Merkmalen konnte er erkennen, dass er sich gut im Zeitplanbefand.

Genau wie von der Drude beschrieben, erschien am folgenden Abendeine Sternenkonstellation am Himmel, die bis auf eine winzigeKleinigkeit, den leuchtenden Zauberpunkten glich. Gewissenhaft folgte erder vorgegebenen Richtung. Nur ein Stern, den die Drude Rhyalosnannte, war noch nicht an seinem Platz. Langsam zog bewussterLichtpunk am Himmel seine Bahn, bis er den entsprechenden Platzeingenommen hatte. Just in dem Moment stand das Sternenbild genaudrei Handbreit über dem Horizont. Suchend sah er sich um, als ihnplötzlich etwas Helles, Glitzerndes blendete. Vor ihm erhob sich derKristallpalast.

Vorbei war es mit seiner gespielten Ruhe, schließlich war er Zeuge, wiesich eine Legende bewahrheitete. Er war einer der wenigen Menschen,wenn es überhaupt jemanden vor ihm gab, der das sagenumwobeneBauwerk mit eigenen Augen sah. Das facettenreich geschliffene Kristall,aus dem das Gebäude zu bestehen schien, sammelte alles einfallendeLicht und leitete es ins Innere, wodurch es leuchten anfing. Er stopptedie Pferde und saß ab. Wenn er sich bisher auch einredete, dass

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Zauberei, wie sie in den Märchen und Legenden beschrieben wurde,nicht wirklich existierte, so widerstrebte es ihm doch, dieses unheimlicheBauwerk oder was es sonst darstellte zu betreten. Gespannt odermusste man besser sagen angespannt, wartete er darauf, das etwasgeschah. Lange musste er sich nicht gedulden und ein Schemen trat ausdem gleißenden Licht, dass den Kristallpalast einhüllte. Mit jedem Schrittnahm die Erscheinung mehr Konturen an und wenig später gewahrteEliasar einen weißblonden Knaben, in einem langen, ebenso weißenGewandt. Außer einem seltsam gewundenen Holzstab schien er nichtsbei sich zu haben.

„Bist du der Angekündigte“, sprach ihn der, vielleicht zwölfjährige Knabemit wohlklingender Stimme an.

„Mein Name ist Eliasar und wenn der deine Thyrogenius lautet, dann binich derjenige, der dich abholen soll. Aber verrätst du mir vielleicht wodeine Eltern sind?“, suchend sah sich Eliasar um.

„Tut mir leid, Eliasar, aber ich verstehe deine Frage nicht. Ich erwachtevor kurzem im Inneren des Schiffes, da war niemand außer mir. Bevorich erwachte, träumte ich von einer freundlichen, alten, grauhaarigenFrau. Deine Zeit ist gekommen, sagte sie zu mir, steh auf, du wirsterwartet.“

„Die Alte kenne ich“, versicherte Eliasar. „Wenn es dir recht ist, möchteich diesen unheimlichen Ort so schnell wie möglich verlassen, - kannstdu überhaupt reiten?“

Der Knabe zuckte mit den Schultern und trat an die Stute heran. Erstreichelt das Tier, welches ihn neugierig beäugte, am Kopf und flüsterteihm etwas ins Ohr.

„Was flüsterst du da mit dem Pferd?“

„Ich habe ihr nur meinen Namen gesagt und darum gebeten, dass sienachsichtig mit mir sein soll.“

Trotz des unhandlichen Stabes schwang sich der Knabe unglaublichgeschmeidig auf den bloßen Rücken des Pferdes.

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Als Eliasar anritt verfolgte der Knabe akribisch jede seiner Bewegungen,um sie gleich darauf nachzuahmen, was zur Folge hatte, dass sich dieStute in Bewegung setzte, um Eliasar auf Celebrus zu folgen.

„Dafür, dass du noch nie geritten bist, machst du deine Sache aber rechtpassabel“, lobte Eliasar seinen Schutzbefohlenen.

„Ich gebe mir nur Mühe euch genau zu imitieren. Warum wundert ihreuch darüber, dass bei mir klappt, was bei euch und eurem Pferdfunktioniert?“, zeigte der Knabe eine Logik, die Eliasar in Erstaunenversetzte.

„Du willst also behaupten, du imitierst mich einfach nur. Du willst mir alsotatsächlich einreden, das du mit bloßen Auge erkennst wann ichCelebrus mittels Schenkeldruck zu etwas veranlasse?“, stellte Eliasarfassungslos fest.

„Genau so ist es“, bestätigte der Knabe auf seine einfache aberdurchaus überzeugende Art.

Im Laufe der Zeit sollte Eliasar noch des Öfteren damit konfrontiertwerden, dass Thyrogenius sehr vieles auf diese einmalige Weiseerfasste und lernte. Als sich Eliasar umdrehte, um noch einmal einenBlick auf den fantastischen Kristallpalast zu werfen, war der Platz, wozuvor das glitzernde Gebäude stand, verlassen und dunkel. Eliasar ließsich seine Verwirrung nicht anmerken, einzig, dass er die Atemluft einwenig heftiger einzog als gewöhnlich, zeugte davon. Zügig, aber ohneHast entfernten sie sich vom mystischen Ort, um einige Kilometer weiter,im Schutze einiger Felsbrocken, ein Nachtlager aufzuschlagen.Nachdem ein kleines Feuer brannte und sie sich in ihre Decken gerollthatten, befasste sich Eliasar nochmal mit dem seltsamen Geschehen,dabei stieß er auf etwas Merkwürdiges.

„Du sagtest, du wärest in einem Schiff aufgewacht, doch ich habe nichtsgesehen, was einem solchen Objekt ähnelte“, bemerkte Eliasar leichtverwirrt.

Thyrogenius lächelte verständnisvoll.

„Nicht alle Schiffe haben Masten und Segel. Du kennst die Legende vomEintreffen der Druiden? Unsere Heimat ist irgendwo da draußen“, wobei

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sein ausgestreckter Arm zum Sternenhimmel zeigte. "Eine ferne Welt,damals dem Untergang geweiht. Unser Sternenschiff ähnelte eher einergroßen Kugel und in ihr flog der Rest meiner Rasse Jahrzehnte durchsUniversum. Irgendwann verließ uns das Glück und wir gerieten in einenKometenhagel, unser Schiff wurde getroffen und wir mussten notlanden.Euer wunderschöner Planet kam uns da gerade recht. Das, was ihr ineuren Legenden als etwas Glühendes beschreibt, dass vom Himmel fiel,das war unser Sternenschiff. Groß und schwer grub es sich tief in denBoden ein. Doch das Schiff war noch funktionstüchtig genug, um unseinen Weg zur Oberfläche zu ermöglichen. Der Kristallpalast ist nur einevom Schiff erzeugte Illusion.“

Zum Glück für Eliasar reichte das Licht des Feuers nicht aus, so dassder Knabe seinen verständnislosen Gesichtsausdruck nicht erkennenkonnte.

„Schiffe die vom Himmel fallen, Paläste, die nur eine optische Täuschungsind, Knaben, die Reiten vom zusehen lernen, wer soll das allesverstehen?“, murmelte Eliasar so leise, dass es seiner Meinung niemandhören konnte.

Hätte Eliasar das Grinsen seines jungen Begleiters gesehen, dann wäreer sich dessen nicht mehr so sicher gewesen. Damit war das Gesprächjedoch beendet und jeder hing seinen Gedanken nach. Als Eliasar in denfrühen Morgenstunden erwachte, stieg Nebel aus den Wiesen auf undsein Schutzbefohlener lag nicht mehr auf seinem Lager. Während er sichnoch umsah, erklang vom nahegelegenen See lautes Plätschern. EinGeräusch, das sofort seine Aufmerksamkeit erregte. Er folgte dem Klangund blieb plötzlich ruckartig stehen, denn was er sah, dass konnte nunwirklich nicht sein. Obwohl er es mit eigenen Augen sah, war er trotzdemnicht gewillt, das Gesehen als Realität zu akzeptieren. Denn das Wesen,das er sah, ähnelte auf erstaunliche Weise den Beschreibungen aus denalten Sagen und Märchen.

Der Großteil des Drachenkörpers stand noch im Wasser, nur seinRücken ragte heraus, während das Fabelwesen seinen langen Hals mitdem massigen Schädel ins Ufer Gras geschoben hatte. Der Drache hattedie Augen geschlossen, anscheinend weil er es genoss, dass ihmThyrogenius die schuppige Haut zwischen den Augen kraulte. Eliasar

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kniff sich ziemlich heftig in eine Wange, wobei er den dadurchverursachten Schmerz unterdrückte, um nicht einen lauten Schreiauszustoßen. Ziemlich gelangweilt öffnete der Drache seine Augen,denn obwohl er Eliasar Annährung längst bemerkte, schien er denMenschen einfach ignoriert zu haben. Anscheinend fühlte sich dasFabelwesen durch Eliasars Anwesenheit gestört, denn langsam schobes seinen Körper wieder ins Wasser zurück. Bevor der Drache mit einemleisen Schnaufen in den Fluten des Sees verschwand, trafen sich seineund Eliasars Blicke. Eliasar musste sich eingestehen, dass im Blick desTieres nichts boshaftes, eher eine unglaubliche Traurigkeit, zu erkennenwar. Bewegungslos und nachdenklich starrte der Baron noch lange aufdie Stelle, an der nur noch ein paar Wellen an das Fabelwesenerinnerten. Erst als sich Thyrogenius bewegte, löste sich seineErstarrung.

„Hragula hatte mich gerufen. Er ist ein Freund aus uralten Zeiten. Erhatte mir einiges zu berichten, so dass ich jetzt besser verstehe, warumich hier bin“, gab der Knabe unaufgefordert eine Erklärung ab.

„So, so du kennst sogar seinen Namen? Ich dachte er heißt einfach nurDrache. Und er hat dich gerufen? Seltsam ich hörte nichts.“ Eliasarschien sichtlich daran zu knabbern zu haben, dass Paläste erschienenund verschwanden, ein Knabe wie aus dem Nichts auftauchte und sichdann auch noch mit einem Tier traf und unterhielt, dass eigentlich nur inKindermärchen existierte.

„Das du nichts hörtest lag wahrscheinlich daran, dass er mich und nichtdich rief“, präsentierte der Knabe ihm umgehend eine einleuchtendeErklärung.

Eliasar schüttelte fassungslos den Kopf und sagte gar nichts mehr, esverschlug ihm schlichtweg die Sprache. Er fror, hatte Hunger und musstesich auch noch die umwerfenden Erklärungen eines zwölfjährigenKnaben anhören, dass überstieg sogar die Gelassenheit eines Ritters.

„Vielleicht hättest du deinen schuppigen Freund fragen sollen, wo wirwas Ordentliches zum Frühstücken finden“, gewann der Hunger beiEliasar langsam die Oberhand.

Thyrogenius schloss die Augen, wirkte dabei aber äußerst angespannt.

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„Herr, wenn ihr ein Feuer anfacht, dann besorge ich uns etwas zuessen.“ Seine Worte waren kaum verflogen, als der Knabe im hohenGras verschwand.

Eliasar ließ sich Zeit, sammelte trockenes Holz und entfachte ein Feuer.Die Zeit verging und Eliasar machte sich schon Vorwürfe, dass er denKnaben alleine losziehen ließ. Das Feuer war schon zur Glutheruntergebrannt, als Thyrogenius endlich wieder auftauchte. Aus denweiten Taschen seines Umhangs holte er rundliche Erdknollen hervor,um sie an den Rand der Glut zu legen. Dabei stellte er erfreut fest, „dakomme ich ja genau richtig, denn damit die Töffeln garen können, mussdie Glut genauso so sein, wie sie gerade ist.“

Obwohl Eliasar kein Wort verstand, schaute er interessiert zu, wie derKnabe mit einer Astgabel die Dinger, die er Töffeln nannte, ständig in derGlut drehte. Leider wollte sein Hunger davon nicht verschwinden. Docham Ende zahlte sich die Geduld aus, denn die Dinger schmecktengepellt nicht schlecht und machten zudem richtig satt. Gestärkt machtensie sich auf den langen Rückweg nach Burg Falkenhorst. Bis sie dieBurg erreichten war der Spätsommer längst ins Land gezogen und wiees die Drude vorhersagte, war aus dem Knaben ein Jüngling geworden.

Neben den alltäglichen Verrichtungen, wie Holzvorräte für den Winteranlegen, die Heuernte einbringen und vom Gut Lebensmittelheranschaffen, unterzog Eliasar seinen Schutzbefohlenen der hartenAusbildung eines Knappen. Nur an der Jagd wollte sich Thyrogeniuspartout nicht beteiligen. Vehement lehnte er es ab, dass Fleischgetöteter Tiere zu essen. Dafür verschwand er, wann immer es seineZeit zuließ in der Wildnis, um mit einem Sack voll Erdknollenzurückzukehren, die er Töffeln nannte. Ansonsten erwies sichThyrogenius als schweigsamer Mensch, der aber sehr gut zuhörenkonnte. Umso mehr wunderte sich Eliasar, als Thyrogenius einesAbends am Kamin das Gespräch von sich aus aufnahm.

„Eliasar, du hast mich nie gefragt, was es mit mir auf sich hat. Doch ichfinde schon, dass du wissen solltest, auf was du dich mit mir einlässt,denn es könnte tödlich enden.“

Eliasar musste kurz auflachen. „So ist das nun mal auf dieser Welt, dasLeben endet immer tödlich. Eine der wenigen Konstanten in unserer

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sonst so bewegten Welt. Zum Glück bleibt davon niemandausgenommen, egal ob die Menschen reich ob arm, ob mächtig oderohnmächtig, alle ereilt am Ende das gleiche Schicksal. Wenigstens gibtes da keine Unterschiede und glaub mir, dass ist auch gut so.“

Thyrogenius überlegte einen Moment, dann lächelte er verstehend.„Wenn du es so siehst, dann hast du natürlich recht. Was ich meine, eskönnte ein frühzeitiges, schmerzhaftes, qualvolles Ende mit dir nehmen.Denn meine Aufgabe besteht darin Chaos zu verbreiten, jedenfallssolange, bis die herrschende Ordnung zum Einsturz gebracht wurde.Doch zuvor muss ich zum Turm von Khemona, denn nur dort kann ichmeine Weihe zum Druiden erhalten.“

„Ich dachte bei dem Turm handelt es sich auch nur um eine Legende?“,schien sich Eliasar jedoch nach all den Ereignissen, die sich umThyrogenius rankten, nicht mehr ganz so sicher zu sein. „SeitJahrhunderten war niemand mehr im Wald von Drud, denn der Waldlässt niemand hinein und wenn doch, dann lässt er ihn nicht mehrhinaus.“

„Wenn mich der Wald nicht annimmt, dann bin ich nicht der, der ich seinsollte“, ließ sich Thyrogenius nicht beirren.

„Ein hohes Wagnis, wenn du mich fragst“, brachte Eliasar nochmalsseine Bedenken vor.

„Was ist ein Leben ohne Wagnisse? Aber glaube mir, ich weiß wer ichbin und auch der Wald wird mich akzeptieren. Was ich dir eigentlichdamit sagen wollte, ich werde dich früher oder später verlassen.“

Eliasar schaute den Knaben nachdenklich an. In der kurzen Zeit war erein ganzes Stück gewachsen und machte eher den Eindruck einesSechzehnjährigen. Trotzdem, er war immer noch ein Knabe, eben nurein etwas größerer Knabe. Wie wollte er allein den gefährlichen Wegbewältigen? Nur auf sich gestellt, musste er das wilde Land bis zur Küstezurücklegen, musste jemand finden, der ihn zum Festland übersetzteund dann war er noch lange nicht am Ziel. In der Mark Whallymarerwarteten ihn ausgedehnte Sümpfe, undurchdringliche Wälder undhohe Berge, sogar für einen erprobten Waldläufer eine schwierige

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Aufgabe. Thyrogenius schien seine Gedanken zu lesen, denn lächelndergriff er nochmals das Wort.

„Du darfst mich nicht mit anderen Knaben in meinem Alter vergleichen.Ich weiß genau was vor mir liegt und was ich tun muss, sei unbesorgt.Doch noch ist es nicht soweit, ich warte solange bis mich Roxanes Ruferreicht. Später dann, wenn ich meine Weihe erhalten habe, komme ichvielleicht zurück, denn ich brauche die Hilfe der Menschen, allein kannich die Aufgabe nicht bewältigen.“

Natürlich war es Eliasar nicht entgangen, welch gewaltige, geistige undkörperliche Entwicklung der Knabe in der kurzen Zeit vollzogen hatte.Vor den Ereignissen, die mit der merkwürdigen Geschichte umThyrogenius zu tun hatten, verwies Eliasar Geschichten von e Zaubereiin die Welt der Märchen. Doch der Kristallpalast, die Geschichte vomSternenschiff, der Drache, doch vor allem Thyrogenius selbst, hattenberechtigte Zweifel an seiner eingefahrenen Überzeugung geweckt.Eigentlich neigte Eliasar nicht dazu, alle Dinge, die er sich nicht erklärenkonnte, mit Zauberei abzutun, so wie es viele Menschen taten. Doch indiesem Falle, er schüttelte den Kopf, als wenn er die damit verbundenenGedanken verscheuchen wollte.

Eliasar blickte aus dem Fenster, auf das abschüssige Gelände, welchesgleich hinter der Zugbrücke begann. Anscheinend befand er sich in einerStimmung, die seine Gedanken veranlasste in die Vergangenheit zuwandern. Seine Vorfahren, die Druiden, die Burg, irgendwie hatte dasalles mit seiner jetzigen Situation zu tun. Und wer wollte schon sagen,welche Rolle die Burg in diesem Spiel um Macht noch einnehmenwürde? Doch eines war sicher, wenn ein Plan dahinter stand, dannwurde die Burg an dem besten Platz errichtet, den man sich nur denkenkonnte. Der Platz, auf dem Burg Falkenhorst thronte, musste sich derOrtsunkundige wie einen Absatz an einer riesigen, schräggestelltenPlatte vorstellen. An einer Seite auch noch von einer steilen Felswandbegrenzt, während die andere Seite und die Rückseite durch Abgründegesichert wurden. Der Hang an der Vorderseite, der auf die Schildmauerzuführte, besaß ein stetiges Gefälle von vielleicht zwanzig Grad. Allediese Umstände machten es fast unmöglich die Burg im Sturmeinzunehmen.

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Einmal, vor langer Zeit, musste der Truchsess von Urdwain, genau dasakzeptieren, als er herauf gezogen kam, um einem Altvorderen vonEliasar seinen Willen aufzuzwingen. Da er mit einem großen Heer kam,erfuhren die Menschen aus der Umgebung rechtzeitig davon und zogensich, mit ausreichenden Vorräten, auf die Burg zurück. Als der Winterkam musste der Truchsess die Belagerung unverrichteter Dingeabbrechen und sich unter erheblichen Verlusten zurückziehen. Von daan akzeptierte der Truchsess wieder den Vertrag derer von Falkensteinmit dem Ersten König von Askalan.

Damals, vor Jahrhunderten, als eine starke, bewaffnete Abordnung desKönigs von Askalan vor den Mauern von Burg Falkenhorst stand undden Lehenseid einforderte, hatten sich seine Altvorderen mit einemgeschickten Schachzug aus der Schlinge der Unterjochung befreit. Sieboten dem König zweihunderttausend Goldaq an, wenn er sie für alleZeit vom Lehenseid befreite und ihnen ihre Selbstständigkeit verbriefte.Ein Angebot, dass nur möglich war, weil die Druiden ihnen zur Seitestanden. Die ihnen zeigte, wo man in den Bergen Gold fand, wie man esabbaute, aber vor allem wie man daraus die entsprechendenGoldmünzen herstellte.

Der feindliche Heerführer, dem bewusst war, wie sehr dieser gewaltigeGeldsegen dem König bei seiner Aufgabe, den Bau der HauptstadtArthuradon zu bewältigen, helfen würde, erkannte sofort was für ihndabei heraus springen würde. Der König hätte für Jahre keineGeldsorgen mehr, und das verdankte er ihm. Das sollte dabei helfen, umin der Gunst des Königs zu steigen und einen hohen Posten zuergattern. Man einigte sich darauf, dass bei Lieferung der Geldsumme,die Barone von Falkenhorst im Austausch eine entsprechende Urkundeerhielten, ihren Titel, ihre Baronie und die dazugehörendeUnabhängigkeit solange behielten, wie die Könige aus dem Geschlechtder Askanier kamen. Als einzige Bedingung, bestand der König darauf,der jeweilige Baron von Falkenstein, jedes Jahr eine symbolischeAbgabe, von fünf Goldaq, beim Truchsess von Urdwain ablieferte.Immerhin Summe, von der sich ein Ritter, ein gutes Pferd, Rüstung undWaffen kaufen konnte.

Seit jener Zeit, anerkannten die Siedler von Skardyn, so nannten dieMenschen das Land westlich der Thräne, die Führerschaft derer von

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Falkenstein und sie fuhren gut damit. Der fehlgeschlagene Versuch desTruchsesses von Urdwain, erinnerte seine Nachfolger daran, dass esbesser war wenig zu bekommen, als vollkommen leer auszugehen. Alsolieferten die Barone von Falkenstein jedes Jahr die symbolische Abgabevon einem Goldaq an den Truchsess, was ihnen ihre Ruhe undUnabhängigkeit erhielt. Im Laufe der Jahrhunderte, schienen dieMächtigen in Arthuradon die abgelegene Baronie vergessen zu haben,was den Menschen westlich der Thräne Ruhe und Frieden bescherte.

Nun war es wieder mal soweit, die jährliche Abgabe an den Truchsesswar fällig. Eigentlich tätigte Eliasar seine Geschäfte in der viel nähergelegenen Hafenstadt Varnyx, einfach um sich den weiten undbeschwerlichen Weg in die Hauptstadt zu ersparen. Doch wenn er eh zurResidenz des Truchsesses musste, dann nahmen er gerne die höherenGewinne mit, die dort zu erzielen waren. Deshalb beschloss Eliasarzwei Wagenladungen mit Verkaufsgütern mitnehmen. Er dachte da andrei Fässer dunkles Bier, fünf Wagenrad große Käse, zehn Schinken imKräutermantel und eine Wagenladung Schafswolle und Pelze.Schließlich war er wie alle seine Vorfahren darauf bedacht den Anscheinzu wahren, dass er auf diese nachvollziehbare Weise die Abgabe anden Truchsess erwirtschaftete. Denn wenn bekannt wurde, dass erGoldmienen und eine Münzwerkstatt besaß, wäre es fraglich, ob dieGier der Mächtigen von Askalan danach nicht größer wäre alsVertragstreue.

Nachdem sich Eliasar von Ruud und Gertrud, sowie Thyrogeniusverabschiedet hatte, ritt er mit Celebrus zum Gut am Fuße des Berges,nicht ahnend was ihn dort erwartete. Sein Freund Antus hatte sich in denKopf gesetzt, die Gelegenheit dazu zu nutzen, ein Fest zu Ehren desBarons zu geben. Dazu wurden auch die Bewohner des zu Gutdazugehörenden Weilers, der nur ein paar hundert Meter westlich amMühlenbach lag, eingeladen. Da es das Wetter gut mit ihnen meinte,hatten sie Tische und Bänke auf dem Hof aufgestellt. Zu denVorbereitungen gehörte auch das Schlachten eines Schweines undSchafes, die sich auf dem Hof schon über Feuern an Spießen drehten.Natürlich durfte auch ein Bierfass nicht fehlen, welches der Burgherranstechen sollte. Alles war bereit, nur der Burgherr fehlte noch. Als er

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dann endlich auf den Hof ritt, war ihm die Überraschung deutlich insGesicht geschrieben.

"Du kannst es nicht lassen, was Antus?", dabei machte er eineablehnende Handbewegung, wobei sein Lachen ihn Lügen strafte.

Nachdem er vom Pferd gesprungen war, nahm er Antus in die Arme undsie klopften sich gegenseitig auf die Schulter.

"Das reicht Eliasar", dabei löste sich Antus aus der Umarmung. "Stichendlich das Fass an, die Leute sind am verdursten. Das Jahr hat es gutmit uns gemeint und die Leute haben sich eine Anerkennung verdient."Wohlweislich verschwieg er, dass das nicht der wirkliche Grund für denAnlass des Festes war. Zwar kam der Baron wenn die Arbeit rief, aber ernahm nie am geselligen Leben auf dem Gut teil. Antus wusste, dass dieBelegschaft genauso dachte wie er, es war der Baron, der sich dieseAnerkennung verdient hatte. Nur laut sagen durfte er es nicht.

Eliasar nickte, denn er kannte die Zahlen. Die Ernte fiel dieses Jahrbesonders gut aus, auch die Sauen und Schafe hatten reichlichNachwuchs, sogar zwei Kälber standen im Stall. Kein Wunder dassseine Leute einen zufriedenen Eindruck machten. Wobei Eliasargeflissentlich vergaß, dass er einen persönlichen Anteil daran hatte. Beiso viel Einsatz und Bescheidenheit war es kein Wunder, das er hohesAnsehen bei seinen Leuten genoss.

Antus drückte ihm Zapfhahn und Zapfhammer in die Hand und schob ihnzum Bierfass. Gekonnt setzte Eliasar den Hahn an die Zapfstelle undschlug ihn mit einem Schlag hinein. Sofort bildete sich eine SchlangeMenschen mit irdenen Krügen in der Hand, um sich einen kühlen,schäumenden Trunk zu holen.

"Leute, ich wünsche euch ein schönes Fest, last es euch schmecken, aufdass wir uns immer an die guten Zeiten erinnern", fühlte sich Eliasar alsihr Baron bemüßigt, noch ein paar Worte sagen zu müssen.

Viele klatschten und jubelten, denn sie mochten ihren Baron, auch wenner so nicht angesprochen werden wollte. Vor allem die Frauen waren vonihm angetan. Die meisten blickten ihn zwar nur verstohlen, schmachtendan, doch einige legten sich nicht diese Zurückhaltung auf. Kein Wunderwar er doch der begehrteste Junggeselle weit und breit.

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Mit der Zeit wurde die Stimmung immer ausgelassener, was vor allem andem dunklen, starken Bier lag. Als Antus auch noch höchstpersönlich zurFidel griff, da wurde sogar das Tanzbein geschwungen. Sogar Eliasar,der sich sonst hinter der Maske seiner Pflichten versteckte, die ihn oftunnahbar erscheinen ließ, wurde immer lockerer. Daraus resultierte,dass er auf einmal nur noch Eliasar, ein Mann unter Männern, war. BeimTanzen hielt er irgendwann auch mal die schöne Müllerin im Arm, seitletztem Jahr Witwe. Ihr weit älterer Mann war eine steile Holzstiege inder Mühle herabgestürzt, dabei hatte er sich das Genick gebrochen.Seitdem führte Mara die Mühle und bisher hatte sich niemand beklagt.Ihr strohblondes Haar trug sie im Nacken zu einem langen, dicken Zopfgeflochten und ihre graugrünen Augen wichen seinem Blick nicht aus.Auch wenn sie keine vornehmen Züge besaß, ihr Gesicht war etwas zubreit, konnte man sie mit ihren Grübchen und den vollen Lippen, aber vorallem wegen ihrer tollen Figur, durchaus als Schönheit bezeichnen. Wasfür ein Prachtweib, stellte Eliasar mit einem seltsamen Gefühl im Bauchfest. Als sich die Müllerin nach dem Tanz nach Luft schnappend auf eineBank setzte, warf sie ihm einen eindeutigen Blick zu, der seine Hormonenur noch mehr in Wallung brachte.

„Ich muss Morgen früh raus, wird Zeit das ich in die Federn komme“,verabschiedete sie sich scheinheilig bei ihm, wobei ihre Augen nocheinige, unausgesprochene Worte hinzufügten.

„Ja, - ähm“, begann Eliasar verlegen, „wenn es euch recht ist Mara,würde ich euch gern bis zur Mühle geleiten – der Sicherheit wegen“,fügte er noch schnell hinzu. „Die jungen Burschen sind heute sehrausgelassen, um nicht zu sagen angetrunken, - man weiß ja nie“, fand ermit jedem weiteren Wort zu seiner gewohnten Sicherheit zurück.

„Genau, man weiß ja nie“, stimmte sie ihm bedeutungsvoll zu.

Kaum hatten die Beiden den vom Feuer beleuchteten Hof verlassen,schmiegte sie sich an ihn und bot ihm ihre Lippen an. Eliasar, durch denAlkohol in lockerer Stimmung und angeheizt durch ihre Blicke, war nichtin der Verfassung, um diesem verlockenden Angebot zu widerstehen. Erriss sie an sich und küsste sie heftig, wobei er ihr seine Zunge tief in denMund stieß. Eine Hand umfasste Maras Taille, während die andere ihrevolle, pralle Brust umschloss, gleichzeitig pressten und rieben sie ihre

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Unterleiber aneinander. Die Müllerin stöhnte verlangend und zog ihnhinter eine Scheune, auch sie schien es auf einmal eilig zu haben. Sieließ sich einfach ins Gras fallen und schob ihren Rock hoch, im Mondlichtkonnte er ihre bloßen, geöffneten Schenkel deutlich erkennen. Wie erseine Hose runter streifte, daran konnte er sich später nicht mehrerinnern, alle Sinne waren nur noch auf das Eine gerichtet. Hart drang erin ihren, sich ihm entgegen wölbenden Körper ein, worauf sie laut undlustvoll stöhnte. Schnell steigerten sie sich in Ekstase, bis sie den Gipfelder Lust erreichten. Erschöpft fragte sich Eliasar, ob er vielleicht doch zulange enthaltsam lebte. Erst jetzt bemerkte er, dass ihn Mara mit ihrenBeinen umschloss und nicht frei geben wollte.

„Baron, wenn du glaubst, dass du mir so schnell durch die Lappen gehst,dann hast du dich gewaltig getäuscht“, sagte sie mit spitzbübischemLachen.

*

Gerade wollte Jonathan umblättern, als ihn etwas irritierte. Nicht das eres wirklich als unangenehm empfunden hätte, doch Carlottas Handmachte es ihm unmöglich weiter zu lesen. Zuvor war er in seinemVorlesen so vertieft, dass er nicht mal bemerkte, dass sich Carlottaausgezogen hatte und ihm ihren nackten Körper anbot. Als er sich zurSeite drehte sah er die Glut des Verlangens in ihren Augen.

„Dachtest du, du kannst mich mit deinen amourösen Ergüssen anheizenund ich zeige dann keine Reaktion?“, hauchte sie verlangend.

Seine Hand berührte ihr angewinkeltes Bein in Höhe des Knies und fuhrdann langsam an der Innenseite ihres Schenkels nach oben. Lustvollstöhnend erwartete seine Gespielin die finale Berührung. Vergessenwaren das Buch und die fantastische Welt von Asgardun, denn was ergerade erlebte war wenigstens genauso fantastisch. Das lag wohl vorallem daran, dass Carlottas kleine, geschickte Hand ihn fast zumWahnsinn trieb. Dem machte er ein Ende, indem er sich auf sie warf undin sie eindrang. Schweratmend und erschöpft, aber umso zufriedener,lagen sie später nebeneinander und starrten an die Decke.

„So viel dazu, dass deine erotischen Reize nicht mehr auf mich wirken.Wobei du zu unlauteren Mittel gegriffen hast. Bestimmt hast du diese

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erotische Szene nur in deine Geschichte eingebaut, um mich zuverführen“, begann Carlotta nach einer kleinen Verschnaufpause wiedereinen Dialog.

„Wie meinst du das mit dem Verführen? Wenn ich mich recht erinnereging wohl die Verführung mehr von dir aus oder hatte sich deine Handausversehen in meiner Hose verlaufen?“, spielte Jonathan denUnschuldigen.

„Deine Stimme und das erotische Spiel von Eliasar und Mara zwangenmich dazu, ich war nicht ich selbst, sondern nur deine Marionette“, gabCarlotta den Ball geschickt zurück, wobei sie Jonathan zufriedenanstrahlte.

Zufrieden ruhten sie sich noch eine Weile aus, tranken und aßen etwas,dann nahm Jonathan den Faden im Roman wieder auf.

*

Es wurde eine lange Nacht, die Eliasar alles abverlangte. Bevor ergegen Morgengrauen das Schlafgemach der Müllerin verließ, betrachteteer nochmals ihren wohlgeformten Körper im Schein einer Kerze.Anschließend deckte er die selig schlafende Mara mit einer Decke zu,zog sich an und verließ auf leisen Sohlen die Mühle. Auf dem Weg zumGutshof war er sich darüber im Klaren, dass sich der Aufbruch nachUrdwain etwas verzögern würde. Trotzdem zog er sich zufrieden dieDecke über die Ohren, als er endlich in seinem Bett lag. Egal wasgeschah, dieses schöne Erlebnis konnte ihm niemand mehr nehmen.

Die Sonne stand schon fast im Zenit, als Eliasar das Klopfen an seinerTür weckte. Ein wenig verlegen steckte Antus seinen Kopf durch denTürspalt.

„Eliasar, wenn du heute noch los willst, dann solltest du langsam in dieGänge kommen“, dabei umspielte ein amüsiertes Grinsen seinen Mund,dass er bewusst nicht unterdrückte.

„Lacht mich nur aus Antus, geschieht mir recht. Doch gestern Nachterfuhr ich, dass ich auch nichts weiter bin als ein Mann.“ Mit einerenergischen Bewegung setzte sich Eliasar auf die Bettkante und riebsich die müden Augen. „In einer Stunde bin ich bereit“

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Antus, der Verwalter, drehte sich ab und verließ die Schlafkammer, umdie entsprechenden Anweisungen zu geben. Bevor sich Eliasar auf denlangen Weg nach Urdwain zum Truchsess machte, hatte er noch etwasWichtiges zu erledigen. Schnell ritt er auf Celebrus zum südlichen Randdes Weilers, wo die alte Kräuterfrau Fridha, die auch gleichzeitig alsHebamme fungierte, in einem schmucken, kleinen Häuschen amWaldrand lebte. Viele Menschen behaupteten hinter vorgehaltener Hand,dass in ihren Adern gewiss ein Tröpfchen Drudenblut fließe. Wie vorjeder längeren Reise ließ sich Eliasar von ihr eine Viole mit einerschmerzstillenden, entzündungshemmenden Substanz geben. Vorlanger Zeit hatte sie ihm gezeigt, wie er die Flüssigkeit anzuwendenhatte. Denn nahm man zu viele Tropfen auf einmal, fiel man in einentiefen Schlaf, aus dem es bei ein wenig Pech kein Erwachen mehr gab.

Bei seiner Rückkehr warteten im Hof schon die beiden abfahrbereitenFuhrwerke. Als Celebrus merkte, dass es nicht in den Stall zurückging,schnaubte er freudig mit den Nüstern und scharte erwartungsvoll mit denVorderhufen den Staub auf. Endlich mal wieder eine Reise, vielleichtsogar ein Abenteuer, schien er zu denken. Erst jetzt ließ sich Eliasar vonAntus Schild und Lanze reichen. Ein letzter Blickkontakt mit seinemVerwalter, der mehr aussagte als viele Worte, dann lenkte er Celebruskräftigen Körper Richtung Osten. Gleich darauf verfiel sein treuesStreitross in einen lockeren Trab und die Planwagen folgten.

Auf jedem Wagen saßen zwei erfahrene Knechte, die von Eliasarpersönlich im Bogenschießen und Schwertkampf ausgebildet wurden.Schon vor langer Zeit erkannte Eliasar die Notwendigkeit, die Männerdes Gutes in der Waffenkunst auszubilden, damit sie sich, ihre Familienund das Gut verteidigen konnten. Schließlich stand ihm keine bewaffneteBurgbesatzung mehr zur Verfügung und er wollte nicht, dass dieMenschen des Gutes und Weilers vollkommen schutzlos waren. Zwarhatte er seinem Verwalter eingebläut, dass sich seine Leute bei Gefahrin ihr sicheres Waldversteck zurückziehen sollten, da er der Ansicht war,dass sei besser, als auf der Burg Schutz zu suchen. Trotzdem konntees natürlich nicht schaden, wenn sich seine Leute ihrer Haut erwehrenkonnten. So kam es, dass er nach und nach aus den Männern desGutes hervorragende Bogenschützen, aber auch brauchbare

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Schwertkämpfer machte. Zwei seiner besten Bogenschützen begleitetenihn, denn die Fahrt nach Urdwain war lang und nicht ganz ungefährlich.

Seit der Truchsess von Urdwain die Steuern für die Menschen in seinemMachtbereich auf ein schier unerträgliches Maß erhöhte, flüchteten vieleder einfachen Menschen, vor allem Bauern, über die Thräne nachWesten, um sich seinem Würgegriff zu entziehen. Denn das war auchTeil des alten Abkommens, dass das Land westlich des Flusses freiesLand war, das dem Truchsess nicht mehr unterstand. Schnell musstendie Flüchtlinge jedoch erkennen, dass das Überleben in der Wildnis auchkein Zuckerschlecken war. Einige Wenige verfielen in ihrer Not darauf,abgelegene Gehöfte, aber auch Reisende zu überfallen. Dadurch gab esböses Blut zwischen den Neuankömmlingen und den alteingesessenenNachfahren der Nordmänner, die sich vor sehr langer Zeit hierangesiedelt hatten.

Jene, also die Vorfahren von Eliasar, mussten vor langer Zeitnotgedrungen ihre alte Heimat Eyskandyr verlassen, da mehrere lange,harte Winter das Überleben unmöglich machten. Als sie an derWestküste der grünen Insel landeten, verliebten sie sich sofort in dasLand mit den welligen Hügeln, den eiligen Flüsschen, den schäumendenWasserfällen und den malerischen Hochmooren. Niemand trat ihnenentgegen, der ihnen das neue Land streitig machte und so nahmen siees in Besitz, um sich hier anzusiedeln. Einige Mutige zogen tiefer insLandesinnere, wo sie irgendwann auf die weisen Druiden stießen. Diesezeigten ihnen die besten Plätze zum Siedeln und so entstand auch daskleine Dorf Askandyr am Mühlenbach.

Lange Zeit blieb die Verbindung zwischen den Nordmännern und denDruiden ein loses Gebilde, bis zu dem Tag als eine Abordnung derDruiden erschien und den Anführer der Siedler mit Namen Asgyyr umeine Unterredung baten. Schnell stellte sich heraus, dass dieDruidenabordnung keinen reinen Freundschaftsbesuch machte. DieDruiden gaben zu erkennen, dass sie Interesse an der Tochter desStammesältesten hatten. Sie wollten, dass sie die Frau eines jungenDruiden wurden. Natürlich verstanden die Stammesführer nicht, warumdie Wahl gerade auf diese Frau fiel, obwohl ihnen bekannt war, dass sienicht nur heilende Hände besaß, sonder auch die Fähigkeiten deszweiten Gesichts besaß. Doch woher sollten das die Druiden wissen?

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Die Druiden machten Asgyyr und den Seinen die Sache schmackhaft,indem sie ihnen die vielfältigen Vorteile dieser Verbindung aufzeigten.Und da die junge Frau, nachdem sie den jungen Druiden kennenlernte,nicht abgeneigt war, kam es nicht nur zu einer Hochzeit der Beiden,sondern auch noch zu einem vielversprechenden Bündnis vonNordmännern und Druiden. Nur dieser Allianz verdankten es EliasarsVorfahren, dass sie in der Lage waren, die unbezwingbare BurgFalkenhorst zu bauen. Des Weiteren sorgte dieses Bündnis dafür, dassdie eingereiste Nordmänner und die alteingesessenen Druiden vieleJahrhunderte, von der restlichen Welt fast vergessen, eine wundervolle,friedliche Zeit durchlebten.

Mit den Menschen, östlich der Thräne, pflegten sie nur wenig Kontakt,bis auf etwas Handel. Erst als die gierige Hand der Mächtigen vonAskalan nach Mhyritrias griff, änderten sich die Dinge. Dank der Hilfeund Weitsicht der Druiden kam es zu besagter Einigung mit dem Königvon Askalan. Die Skandyr, wie sich die Menschen westlich der Thräneseit ihrer Ankunft hier nannten, überließen es ihren Baronen dieAbgaben zu entrichten und scherten sich nicht um den Zwist derrestlichen Welt. Und wieder einmal machte sich ein Baron auf den Weg,um dieser Pflicht nachzukommen.

Nach vierzehn Tagen, als der kleine Treck im Morgengrauen die Thräneüberquerten, wies die Natur mit einer unangenehmen Morgenkühle undeinem seltsam, würzigen Duft in der Luft darauf hin, dass sich derSpätsommer unweigerlich verabschiedete. Von jetzt an befanden sichEliasar und seine Leute in Feindesland, jedenfalls bezeichneten dieSkandyr, seit der Machtergreifung der Askanier, so das Land westlichder Thräne. Die Tage und Wochen vergingen ereignislos und als Eliasarschon hoffte, ohne Zwischenfälle die Hauptstadt Urdwain zu erreichen,verließ sie das Lächeln Fortunas.

„John und Gariban, versteckt euch im Wagen und haltet die Bogenbereit, uns kommen Bewaffnete entgegen“, verkündete Eliasar mitunaufgeregter, aber bestimmender Stimme.

„Herr, wie könnt ihr dass erkennen? Alles was ich erblicke, sind ein paardunkle, verschwommene Punkte am Horizont?“, brachte einer derWagenführer sein Unverständnis zum Ausdruck.

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„Was meinst du wohl warum man unseren Baron auch den Falkennennt? Nein, nicht weil er auf der Burg Falkenhorst lebt, sondern weil erdie Augen eines Falken besitzt“, belehrte John, einer derBogenschützen, seinen Gefährten.

„Schon gut John“, schien dem Baron die Lobeshymne auf seineSehfähigkeit peinlich zu sein. „Aber vergesst nicht, ihr sollt den Bogennur bereithalten. Es wird nur geschossen wenn ich das ausdrücklichbefehle und auch dann nur auf Arme und Schultern, haltet euch daranund nun macht euch unsichtbar.“

John und Gariban, der zweite Bogenschütze, verschwanden hinter derPlane. Eliasar fühlte sich, in diesem Moment, in seiner Entscheidungbestätigt die Beiden mitzunehmen. Sollte es tatsächlich zu einerAuseinandersetzung mit der Patrouille kommen, dann hatte er zweiTrumpfkarten in der Hinterhand. Vorsicht war alle Mal geboten, daEliasar Kunde davon hatte, dass die Leute des neuen Truchsess auchvor willkürlichen Übergriffen nicht zurückschreckten. Ja, die Ritter desTruchsess nahmen es mit Recht und Ordnung nicht so genau, wenn eskeine Zuschauer gab und sich der Rechtsbruch auch noch lohnte.Unvorsichtigen konnte es sogar passieren, dass sie nicht nur ihrEigentum sondern auch ihr Leben verloren.

„Es sind dreizehn, ein Ritter und zwölf Kriegsknechte“, stellte Eliasarsachlich fest und zwar so laut, dass es auch die Männer auf dem zweitenWagen vernahmen.

Der sich nähernde Reitertrupp bildete plötzlich eine weitgefächerte Linie,um ihnen den Weg zu versperren. Als Antwort fuhr der hintere Wagenneben den vorderen und Eliasar ritt ein Stück voraus, bis er sich denKriegsknechten des Truchsess bis auf Rufweite genähert hatte.

„Gebt den Weg frei, ich bin der Baron von Falkenstein“, forderte Eliasardie Männer unmissverständlich auf.

Er sah auch keinen Grund für unangebrachte Zurückhaltung, die manleicht als Unterwürfigkeit oder im schlechtesten Fall als Schwächedeuten konnte.

„Ho, ho, wie redet ihr denn mit mir. Ihr steht vor Ritter Elbraq, dem ErstenRitter des Truchsess von Urdwain. Außerdem kann ja jeder behaupten

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der Baron von Falkenstein zu sein. Vielleicht wollt ihr nurSchmuggelware oder Diebesgut in die Stadt bringen, wollt euch einfachdavor drücken die fälligen Abgaben zu zahlen. Lasst sehen was ihr aufdem Wagen habt, dann setze ich den Preis fest und ihr kommtungeschoren davon.“

„Das nennt ihr ungeschoren, wenn ihr uns unrechtmäßig eine Gebührauferlegt.“

Um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, senkte Eliasar seineLanze und gab so dem sich nähernden Kriegsknecht zu verstehen, dasser nicht gewillt war, ihn die Wagen inspizieren zu lassen.

„Wir besitzen einen Freibrief des Königs, der uns von derlei Abgabenbefreit, also macht den Weg frei.“

„Der König ist weit“, entgegnete Ritter Elbraq vieldeutig. „Woher weiß ich,dass ihr besagter Baron seid?“

„Wenn ich euch aus dem Sattel stoße, würdet ihr dann glauben, dass ichder Baron von Falkenstein bin? Oder fühlt ihr euch nur stark, wenn ihreine Übermacht hinter euch wisst?“, provozierte Eliasar bewusst seinenGegenüber.

„Egal wer ihr seid, ihr habt ein ziemlich freches Maul. Es macht mir nichtsaus, euch zuerst aus dem Sattel zu stoßen und dann meine Gebühreneinzutreiben!“

Entschlossen gab Ritter Elbraq seinem Pferd die Sporen. Eliasarreagierte vollkommen ruhig, nur flüsterte er Celebrus etwas ins Ohr, wasdiesen aus dem Stand losgaloppieren ließ. Dumpf trommelten die Hufeder Pferde auf dem trockenen Boden, die Lanzen senkten sich undgleich darauf stießen die Kontrahenten aufeinander. Zwar verbeulte ihmder fremde Ritter den Schild, doch jener, der sich Elbraq nannte, flog inhohem Bogen von seinem Pferd und landete ungelenk im Gras. Eliasarritt sofort zu seinem Kontrahenten und als jener sich noch benommenaufrappelte, blickte er auf die drohende Lanzenspitze von Eliasar.

„Euer Wort, dass wir ungehindert unseren Weg nach Urdwain fortsetzenkönnen.“

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„Was passiert sonst?“, knurrte Elbraq zerknirscht, aber auch voller Wut.

Vielsagend berührte Eliasar mit seiner Lanze die Stelle zwischen Helmund Rüstung.

„Das wagt ihr nicht“, begehrte Elbraq empört auf.

„Warum nicht? Ich werde den König anrufen. Ihr habt gegen seinenausdrücklichen Befehl verstoßen, um euch zu bereichern, ich habe michbloß gewehrt. – Also, euer Ehrenwort als Ritter!“

Gerade wollten die Kriegsknechte aus Urdwain ins Gescheheneingreifen, als wie durch Zauberhand ein Pfeil dem Vordersten in dieSchwerthand fuhr.

„Das ist die letzte Warnung“, rief ihnen Eliasar drohend zu, „das war keinGlückstreffer, der nächste Pfeil findet ein lohnenderes Ziel.“

Abrupt bremsten die Kriegsknechte ihre Pferde ab. Keiner war gewilltwegen der Gier ihres Anführers ins Gras zu beißen. Inzwischen rappeltesich Ritter Elbraq endgültig auf, ignorierte einfach die Lanzenspitze, zogsein Schwert und stürmte auf Eliasar los. Leichtfüßig wich Celebrus denstürmischen Angriffen aus, wobei sein wütendes Schnaufen verriet, dasihm diese Gangart nicht gefiel. Wortlos ließ Eliasar Schild und Lanzefallen, schwang sich aus dem Sattel und zog ebenfalls sein Schwert.

„Hach, hatte ich‘s doch geahnt, dass euch eure Ritterehre daran hindernwürde, mich einfach abzustechen“, schnaufte Ritter Elbraq und stürmtemit erhobenem Schwert auf Eliasar los, um einen kraftvollen Hieb gegenEliasars Kopf zu führen. Geschickt wich Eliasar dem Angriff aus, umauch die folgen Schwerthiebe seines Gegners mit dem Schwert zuparieren. Helles Klingen von Metall verkündete weithin, dass sich hier dieSchwerter zweier Kämpen kreuzten.

„Leider fehlt es euch an der Fähigkeit einen weisen Ratschlag zuerkennen, um ihn dann zu befolgen“, zischte Eliasar seinem Widersacherzu und ging zum Angriff über.

Von der plötzlich veränderten Gangart schien Ritter Elbraq doch etwasüberrascht, war Eliasar bis dato seinen Angriffen doch nur ausgewichen.Eliasar führte eine Finte aus, auf die sein Gegner wunschgemäß

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reagierte. Indem er bei seinem nächsten Schlag sein ganzes Gewicht inden Schwertarm verlagerte und eine Technik anwandte, die ihm seinVater beibrachte, sorgte er dafür, dass des Gegner Schwert in hohemBogen durch die Luft flog und außerhalb dessen Reichweite im Graslandete.

„Gesteht ihr nun endlich eure Niederlage ein oder muss ich mit euchauch noch um den Sieg würfeln? Bekomme ich nun endlich euerEhrenwort, dass ihr uns ungehindert nach Urdwain ziehen lasst odermuss ich euch verschnüren und auf einen der Wagen werfen?“ Eliasarließ eine gehörige Portion Sarkasmus in seine Fragen einfließen.

„Und dann?“, schien Elbraqs Fantasie nicht auszureichen, um sich dasEnde vorzustellen.

„Dann übergebe ich euch gefesselt, zusammen mit meiner Anklage,eurem Dienstherren, dem Truchsess. Was werden wohl die anderenRitter, die Hofdamen, aber vor allem euer Dienstherr dazu sagen?“, beiseiner Aufzählung schien sich Eliasar doch tatsächlich zu amüsieren,was Herrn Elbraq nicht verborgen blieb.

„Das wagt ihr nicht!“

Eliasar hüllte sich in Schweigen, obwohl er seinen belustigtenGesichtsausdruck beibehielt, sprach der harte Glanz seiner Augen eineandere Sprache. Genau dieser Blick war es, der Ritter Elbraqverunsicherte und zum Einlenken veranlasste.

„Ich gebe mich geschlagen und euch mein Ehrenwort“, gab er klein bei.

Eliasar nickte lässig, als wenn er nichts anderes erwartet hatte. Ohnesich weiter um den Gegner zu kümmern, sammelte er Schild und Lanzeauf, bestieg Celebrus und gab das Zeichen zur Weiterfahrt. Da er sichnicht mehr umdrehte, sah er nicht die wutschnaufende Miene seinesWidersachers und die Faust, die er ihm hinterher schüttelte. Trotz desVersprechens beobachteten sie am nächsten Tag angespannt dieUmgebung, doch die Patrouille tauchte nicht mehr in ihrem Blickfeld auf.

Am Nachmittag des zweiten Tages sahen sie, mit der tiefstehendenSonne im Rücken, die Stadt Urdwain, Sitz des Truchsess, demverlängerten Arm der Herrscher von Askalan. Die relativ niedrige

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Stadtmauer schien nicht wirklich zum Schutz gegen angreifende Kriegererrichtet worden zu sein, wahrscheinlich eher um die Stadtgrenzen zumarkieren und Gesindel abzuhalten. Der kleine Treck des Barons vonFalkenstein hielt direkt auf das westliche Torhaus zu. Eliasar, der anseinem Wappen als Baron von Falkenstein zu erkennen war, durftenohne jegliche Behelligung das Tor passieren. Auf kürzestem Weg fuhrensie zu ihrem Zielort, dabei passierten sie die großzügig angelegteHauptstraße, um dann in eine der vielen schmalen, verwinkelten Gassenzu verschwinden.

Der Händler, zu dem sie unterwegs waren, war ihm schon seit langemein Freund. Sie lernten sich vor Jahren kennen, als jener von Räubernüberfallen wurde und Eliasar sein Leben riskierte, um diesen Angriffabzuwehren. Seither pflegten sie nicht nur regelmäßigen Kontakt,sondern Bertram übernahm auch sämtliche Waren, die der Baron in dieStadt brachte. Kaum waren sie auf den Hof gefahren, als auch schonBedienstete erschienen, um ihnen behilflich zu sein. Wenig spätererschien auch Bertram persönlich. Die Bediensteten und Eliasars Leutebegannen sofort mit dem Abladen, während Bertram den Baron ins Hausführte. In einem Raum mit Kamin, ließ sich Eliasar in einen bequemenSessel fallen, streckte die Beine aus und nahm den Kelch mit Weinentgegen, den ihn eine Magd reichte.

„Obwohl ich mich immer freue dich zu sehen Eliasar, muss ich dir zumeinem Bedauern mitteilen, dass das kein guter Zeitpunkt für einenBesuch ist“, eröffnete Bertram das Gespräch. „König Brago ist unlängstverstorben und seine Frau Desdemona übernahm die Regentschaft fürihren Sohn. Seitdem hat sich in unserer Stadt einiges zum Schlechtenverändert. Die Regentin ernannte einen neuen Truchsess. PassenderWeise war der alte Truchsess gerade gestorben, ein Schelm, der sichetwas dabei denkt. Einer ihrer Günstlinge, Marduq von Murdaq, es heißt,dass er eine Weile das Bett mit ihr teilte, bekam das einträgliche Amtzugeschanzt. Der Mann brachte eine Schar junger Ritter mit, von denensich einer besonders unangenehm hervortat. Mit harter Hand sorgtejener dafür, dass niemand gegen die hohen Steuern aufmuckte. Warjemand trotzdem dumm genug seinen Protest allzu laut zu bekunden,verschwand er und wurde nimmer mehr gesehen.“

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„Meint ihr etwa Ritter Elbraq?“ sprach Eliasar amüsiert seinen Gedankenaus.

„Genau der!“, bestätigte Bertram.

„Sein Enthusiasmus erhielt vor zwei Tagen einen argen Dämpfer. Ichzeigte ihm seine Grenzen als Ritter und Schwertkämpfer auf.“ Nachdiesem kurzen Hinweis berichtete er seinem Freund ausführlich von demVorfall.

„Ein Grund mehr für dich die Stadt so schnell wie möglich wieder zuverlassen“, entfuhr es Bertram erschrocken, ob dieser schlechtenNeuigkeiten. Abwartend blickte er Eliasar an, als er jedoch feststellte,dass jener auf seine Warnung nichts erwiderte, fuhr er fort.

"Seit seinem Amtsantritt herrschen Willkür und Machtmissbrauch, sodass viele Menschen seinen Machtbereich schon verlassen haben. Erscheint zu glauben, dass er so weit weg von der Machtzentrale machenkann was er will, um sich zu bereichern. Seine Büttel quetschen dasLand aus wie eine überreife Frucht. Ständig streifen seine Patrouillendurch die Stadt, auf der Suche nach dem letzten Kupfnic, den sie denLeuten abnehmen können. Folge sind Preissteigerungen bei allem wasman zu Leben braucht. Kein Wunder das die Stimmung im Volk kaumschlechter sein könnte. Offen wagt niemand Widerstand zu leisten, derRichtplatz vor dem Ost-Tor zeigt nur zu deutlich was jenen passiert, diesich nicht anpassen. Eliasar, ich kann dich nur warnen, hier bist du nichtsicher. Für die Dauer deines Aufenthaltes brauchst du kein Heim, sondereinen verborgenen Unterschlupf. Und welch ein Glück, damit kann ichdienen. Ein befreundeter Händler, der nur selten in Urdwain weilt, besitztein hochummauertes Grundstück. Er hat mir seine Schlüssel anvertraut.Dort solltest du sicher sein. Dein Einverständnis vorausgesetzt, habe ichmeine Leute schon angewiesen, die Wagen zwar abzuladen, aber diePferde nicht abzuschirren.“

„Glaubst du wirklich, dass der Truchsess es wagt, sich an einem freienBaron zu vergreifen, gegen alle geltenden Gesetze?“, schien Eliasar nundoch sichtlich schockiert.

Bertram sank in sich zusammen und wirkte niedergeschlagen, trotzdemging er auf Eliasars Frage ein.

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„Eliasar, da ist etwas, dass du wissen solltest. In letzter Zeit tauchten hieroft Spitzel des Truchsess auf, um Erkundigungen über dich einzuziehen,vor allem, was und welche Menge von Waren du mir lieferst. Vonanderen Händlern hörte ich Ähnliches. Irgendwas ist da im Busch."

„Im Grunde nichts Neues, Bertram. Das uralte Abkommen meinerVorfahren mit dem König war bisher jedem Truchsess ein Dorn imAuge. Wie alle anderen vermutet auch der neue Truchsess, dass es aufBurg Falkenhorst etwas zu holen gibt. Ich bin nicht blauäugig und weiß,dass sich kein Truchsess an diese Abmachung halten wird, wenn derPreis den Einsatz lohnt. Doch schon deshalb habe ich auch keine Wahl,ich darf ihm keinen Vorwand geben. Deshalb muss vor dem Truchsesserscheinen, um meinen Teil des Abkommens einzuhalten. Ich kann esmir nicht leisten einfach zu verschwinden, denn dann hätte derTruchsess genau die Handhabe, die seinen Griff nach meinenBesitztümern rechtfertigt. Eine vertrackte, gefährliche Situation“, stellteEliasar sachlich fest.

„Die jährliche Abgabe?“, mutmaßte Bertram und Eliasar nicktebestätigend.

Es klopfte an der Tür und John, einer der Wagenführer, trat ein.

„Wir sind fertig!“

Eliasar wollte schon aufstehen, doch Bertram gab ihm auf eigentümlicheArt zu verstehen, dass er ihm noch etwas unter vier Augen zu sagenhabe. Sogleich gab Eliasar dem Wartenden ein Zeichen, dass ihnentließ, um sich sogleich erwartungsvoll seinem Freund zuzuwenden.

„Ich weiß nicht so recht, wie ich beginnen soll. Vor einiger Zeitdurchstreifte ein Knabe die Gegend und fragte jeden Händler, ob erdemnächst ins Land westlich der Thräne fahren würde. Ich nahm ihnbeiseite und fragte ihn, warum er dort hin wolle. Unverblümt erklärte mirder Knabe, dass er zu seinem Vater nach Burg Falkenhorst wollte.“

Eliasar zog überrascht eine Augenbraue hoch und unterbrach die Redevon Bertram.

„Er sagte nicht nach Askandyr, sonder sagte tatsächlich BurgFalkenhorst?“

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„Genau! Auf meine Frage, wer denn sein Vater sei, behauptete derKnabe, dass sei der Baron von Falkenstein. Als ich ihm noch mehrFragen stellte, schwieg er verstockt. Auf mein weiteres Drängen gab ermir zu verstehen, dass ihm seine Mutter verboten hätte mit Fremdendarüber zu sprechen. Trotzdem konnte ich den Knaben, mit NamenGawain, überreden bei mir zu bleiben, aber nur weil ich ihm versicherte,dass ihr noch vor Ablauf des Jahres hier eintreffen würdet.“

Bertram schloss seinen Bericht und blickte Eliasar, man konnte fastschon sagen, ein wenig neugierig an. Doch aus dessen erstauntenGesichtsausdruck schloss er, dass der Baron sich die Sache genausowenig erklären konnte wie er selbst. Wieder klopfte es an der Tür, dochdiesmal klang es eher zaghaft. Bertram nickte und Eliasar ging ein Lichtauf, wer dort vor der Tür stand.

„Kommt ohne Scheu herein!“, gab er seiner Stimme einen betontfreundlichen Ton.

Zögerlich wurde die Klinke heruntergedrückt, als wenn demjenigen nichtganz wohl in seiner Haut war, weshalb sich die Tür nur langsamöffnete. . Im Türspalt erschien ein großer, schlanker Schlacks, der demKnabenalter fast schon entwachsen schien.

„Nicht so ängstlich Gawain, hier tut dir niemand etwas“, machte Bertramseinem Schutzbefohlenen Mut.

Gawain nahm allen Mut zusammen, kam näher und blickte sichneugierig um, dann blieben seine großen, grauen Augen an Eliasarhängen. Er gab sich einen Ruck und trat vor den Baron und machte einegekonnte Verbeugung.

„Nicht so förmlich mein junger Freund. Ich habe von Herrn Bertramerfahren, dass du mich suchst. Leider zwingen uns gewisse Umständediesen gastlichen Ort umgehend zu verlassen“. Als Eliasar dasaufkommende Entsetzen im Gesicht des Jungen bemerkte, musste erschmunzeln. „Kein Grund zur Sorge, du kommst mit, schließlich muss ichmir ja noch dein Anliegen anhören. Nur müssen wir zuerst ein paarHäuser weiterziehen.“

Gawain entspannte sich, nickte artig und folgte den Männern nachdraußen. Zusammen traten sie auf den Hof. Dort war schon alles zur

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Abfahrt bereit. Auf dem zweiten Wagen saß ein junges Mädchen, dassEliasar schon vom Sehen her kannte. Bevor er eine Frage stellenkonnte, hatte Bertram die Antwort schon parat.

„Das ist Kate, sie begleitet euch in das andere Haus, um euch dort denHaushalt zu führen. Übrigens ist sie eine hervorragende Köchin.“

Längst hatte die Nacht ihr dunkles Tuch auf Stadt und Gassen gesenkt.Deshalb lief ein Bediensteter Bertrams vor den beiden Wagen her, ummit einer entsprechend abgeblendeten Lampe den Weg anzuzeigen.Schnell verschwand der heimliche Umzug in der alles verschlingendenDunkelheit. Um nicht durch laute Geräusche aufzufallen, hatten seineLeute die Hufe der Pferde mit Lappen umwickelt. Durch dieseMaßnahme, wurde der Klang stark gedämpft, den Hufe sonst erzeugten,wenn sie mit Kopfsteinpflaster in Berührung kamen. Ihre Bemühungensorgten somit dafür, dass sie unbemerkt ihr Ziel erreichten. Vor einerhohen Mauer mit geschlossenem Tor hielt ihr Führer an, schloss einekleine Pforte auf, die ins große Holz-Tor eingelassen war, verschwandnach drinnen, entriegelte von innen das Tor, um es dann leise zu öffnen.Heimlich, still und leise verschwand der Zug auf dem Grundstück undschon schloss sich das Tor wieder hinter ihnen.

Kate sprang als erste vom Wagen und verschwand im Haus, wo kurzdarauf ein sparsames Licht, durch die Ritzen der geschlossenenFensterläden zu sehen war. Während Bertrams Diener als nächstes dasStall-Tor öffnete, befreiten Eliasars Leute die Pferde von ihrenGeschirren, spannten sie aus, um sie dann im Stall unterzubringen.Auch Celebrus landete in einer Box des Stalles, wo er gleich darauf,genauso wie die Zugpferde versorgt wurde. Abschließend übergabBertrams Bediensteter die Schlüssel an Eliasar, verbeugte sich, umanschließend wieder in der dunklen Gasse zu verschwinden.

„Na komm Junge, lass uns unser vorläufiges Quartier in Besitz nehmen“,gleichzeitig machte Eliasar eine einladende Armbewegung zum Jungenhin, dann überquerte er den Hof und verschwand im Haus. Gawain, derdirekt hinter ihm ging, schloss die Tür.

„Herr, wenn ihr das Feuer im Kamin anzünden würdet, könnte ich schonmit der Zubereitung des Abendmahles beginnen“, erklang Kates helleStimme aus der Küche, die gleich nebenan lag.

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„So gut wie erledigt“, rief Eliasar zurück.

„Gawain, hilf mir bitte dabei meinem Waffenrock abzulegen, das Ding istdurch seine Metallringe unglaublich schwer. Du musst hinten nur dieSchnallen öffnen, dann kann ich ihn abstreifen“, forderte Eliasar denjungen Burschen auf, der sich als sein Sohn ausgab.

Nachdem er mit Hilfe des Jungen den Waffenrock abgelegt hatte, ließ ersich in den Ohrensessel am Kamin fallen und streckte die Beine aus.

„Wie man Feuer entfacht, dass hat dir deine Mutter doch bestimmtbeigebracht?“ Abwartend blickte er auf den jungen Burschen undgewahrte sein schüchternes Nicken. „Sehr gut, dann kannst du dichgleich ein zweites Mal nützlich machen.“

Während Gawain zum Kamin trat, den Feuerstein vom Kaminsims ergriffund sich über das Feuerholz bückte, entspannte Eliasar seine müdenGlieder. Das Knistern im Kamin sagte ihm, dass Gawain durchaus in derLage war ein Feuer anzuzünden.

„Kommt herein!“, rief Eliasar, als er vor der Tür Geräusche hörte.

Johns grinsendes Gesicht erschien zwischen Tür und Rahmen, nur umvon den Anderen, die ungeduldig hinter ihm standen, einfach ins Zimmergeschoben zu werden.

„Tut mir einen Gefallen Jungs, keine Förmlichkeiten, ihr wisst wie ich dashasse“, erinnerte Eliasar seine Leute an etwas, dass eigentlich bekanntwar.

„Gewiss Herr“, fast verschluckte sich Gariban an dem Herrn, „gewissEliasar.“

„Übrigens, dass hier ist Gawain, er gehört ab jetzt zu uns“, erklärteEliasar als erstes die Anwesenheit des Knaben, ohne jedoch einegenauere Erklärung dafür abzugeben.

Seine Knechte sahen sich kurz bedeutungsvoll an, doch niemand war soverwegen, um die entsprechende Frage zu stellen, obwohl sie allen aufder Zunge brannte.

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„Gawain, geh doch mal in die Küche und frage Kate, ob wir vielleichtzuerst etwas zu trinken bekommen könnten“, erlöste Eliasar denverlegenen Knaben vor den neugierigen Blicken seiner Leute.

Erleichtert verschwand Gawain in der Küche und kehrte kurz darauf mitvier Krügen zurück. Er stellte sie auf dem Tisch ab und verschwandsofort wieder, um die restlichen Krüge zu holen. Hinter ihm tauchte Katemit zwei Platten auf. Als sie die Platten auf den Tisch abstellte, konntendie Männer den kalten Braten, Käse, Brotscheiben, sowie Kruken mitButter, Honig und einer fettigen Tunke erkennen.

„Lasst es euch schmecken“, verkündete sie stolz. Als sie Eliasarsfragenden Blick bemerkte, beantwortete sie die unausgesprocheneFrage. „Ich habe schon zu Abend gegessen und würde jetzt gerne dieSchlafkammern herrichten.“

Eliasar nickte verstehend und dann an seine Leute gewandt, „lasst eseuch schmecken.“

Jene ließen sich nicht zwei Mal bitten und langten kräftig zu. Außer denEssgeräuschen war eine ganze Weile nicht weiter zu hören. Eliasar sahmit Erstaunen, dass Gawain wenigstens genauso viel aß wie dieerwachsenen Männer. Als die Becher ausgetrunken waren stand Gawainunaufgefordert auf und verschwand mit den leeren Krügen in der Küche,um sie frisch gefüllt wieder auf den Tisch zu stellen.

John, Gariban und die beiden anderen nickten ihm freundlich zu.

„Sehr aufmerksam von dir Gawain“, lobte ihn Eliasar. Obwohl Gawainverlegen zu Boden blickte, schien er sich sehr über das Lob zu freuen.

„Wir bleiben ein paar Tage hier“, wandte sich Eliasar an seine Leute. „Ichhabe die nächsten Tage noch einiges zu erledigen und ihr dürft dieGelegenheit nutzen, um private Besorgungen zu machen.“ Umständlichfingerte er in seiner Börse herum, die sich am selben Gürtel wie seinSchwert befand, um vor jeden einen Silling auf den Tisch zu legen.„Wenn ihr Einkäufe tätigt, dann lasst euch nicht übers Ohr hauen, abervor allem vergesst nicht zuvor die Pferde zu versorgen. Aber dasWichtigste, verhaltet euch unauffällig und passt auf, ob euch jemandfolgt. Für heute solltet ihr aber eure Kammern aufsuchen, so wie esaussieht ist der Tag gelaufen.“

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„Herr, äh Eliasar, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Wenn wiruns in die Stadt begeben, teilen wir uns auf, wobei die eine Gruppe dieandere verfolgt und beobachtet. Sollte einer so dumm sein, sich mit unsanzulegen, lassen wir ihn unauffällig verschwinden“, dabei machte Johnein Gesicht, als wenn er hoffte, dass selbiger Fall eintreten würde.

Kate erschien mit einer Öllampe in der Tür, die zum oberen Stockwerkführte, dort wo sich die Schlafkammern befanden und winkte denMännern auffordernd zu. Sie verstanden und folgten ihr. Eliasar wusste,dass er ihnen bezüglich Kate nichts auftragen musste. Sie kannten seineEinstellung zu diesem Thema und würden sie respektieren.

„So Gawain, nun sind wir allein und jetzt würde ich gerne doch nochdeine Geschichte hören.“

Eliasar stand auf und begab sich zum Kamin, wo er sich wieder in dengemütlichen Ohrensessel sinken ließ. Dabei zeigte er auf den zweitenSessel, der ihm gegenüber stand. Aus einem Beutel, den er am Gürteltrug, holte er ein Pfeifchen, stopfte Tabak hinein und zündete ihn miteinem Holzspan an, den er zuvor ins Kaminfeuer hielt. Gawain schien esjedoch die Sprache verschlagen zu haben, jetzt, wo er vor dem Mannsaß, den er so intensiv suchte. Doch als er seinen Blick auf den Baronrichtete, wurde er gewahr, dass er in die gleichen grauen Augen sah, wieer sie selbst besaß und schon verschwanden seine Beklemmungenzusehends.

„Aufgewachsen bin ich im Dörfchen Eichheim, zwei Tagesritte entferntvon Burg Trutzstein. Als meine Mutter vor knapp zwei Jahren an einemschrecklichen Fieber erkrankte und ihre Lebensgeister schwanden,weihte sie mich in ihr Geheimnis ein. Sie erklärte mir, dass ich der Sohndes Barons von Falkenstein sei und reichte mir dies hier.“

Gawain nestelte an einer Lederschnur herum, die er um den Hals trug,um an dessen Ende einen Ring aus dem Ausschnitt zu ziehen. Stolzund voller Hoffnung überreichte er Eliasar das Schmuckstück. Ein Blickund vor Eliasar innerem Auge tauchten die entsprechenden Bilder ausder Vergangenheit auf. Vor langer Zeit lud ihn der alte König Ulf zueinem Turnier ein, denn Eliasars Ruf als erfolgreicher Turnierritter hatteauch den königlichen Hof erreicht. Nachdem er seinem Ruf gerechtwurde, lagen ihm, dem strahlenden Sieger, die Verehrerinnen nur so zu

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Füßen. Er verguckte sich in eine junge Hofdame mit Namen Johanna,sie erhörte ihn und sie verbrachten die Nacht zusammen. Zum Abschiedschenkte er ihr eben diesen Ring. Er hatte nie wieder etwas von ihrgehört und so vergaß er sie im Laufe der Zeit. Doch jetzt, wo ihrgemeinsamer Sohn vor ihm saß, bedauerte er dieses Versäumnis.

„Wie alt bist du mein Sohn?“

„Mit zwölf bin ich von Zuhause abgehauen. , über Fast ein Jahr habe ichgebraucht um mich nach Urdwain durchzuschlagen. Morgen werde ichdreizehn Jahre alt“, blieb Gawain die Antwort nicht schuldig.

„Das nenne ich aber mal einen glücklichen Umstand. Erlaube mir, dirmorgen ein paar Sachen zu kaufen, wie sie ein Knappe benötigt. Und ichhoffe du verzeihst mir, dass wir uns erst jetzt kennenlernen.“

Bei seinen Worten beobachtete Eliasar aufmerksam die Mimik seinesSohnes. Als jener die Worte seines Gegenübers begriff, hellte sich seineMiene sichtlich auf.

„Ihr wollt mich zum Knappen ausbilden?“

„Was gäbe es sonst für einen Sinn, dir die entsprechende Ausrüstung zukaufen?“, erwiderte Eliasar lachend und stand auf. „Komm her meinSohn, lass dich in die Arme nehmen.“

Gawain sprang auf und umschlang seinen Vater, während dieser ihm dieArme um die Schulter legte. Schweigend verharrten sie geraume Zeit indieser Stellung.

„Meinst du nicht auch, dass es auch für uns langsam Zeit wird schlafenzu gehen?“

Erst in diesem Moment sah Eliasar die zierliche Kate in der dunklenTüröffnung stehen und fragte sich, was sie von ihrem Gesprächmitbekommen hatte. Doch die Unbekümmertheit mit der Kate ihnenzuwinkte, um ihnen mit dem Licht den Weg zu weisen, sprach nichtdafür, dass sie gelauscht hatte. Vereinzelt knarrten Dielen, als sie nachoben stiegen. Kate wartete, bis die beiden Männer den Treppenabsatzerreicht hatten, um sich dann in den links abzweigenden Flur zu

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begeben. Sie öffnete eine Tür, trat ein und zündete die Kerze an, die aufdem Schemel stand.

„Für den Burschen“, sagte Kate und verließ das Zimmer wieder.

Eliasar blinzelte seinem Sohn zu und folgte Kate. Der nächste Raum wargeräumiger und stattlicher ausgestattet, auch besaß er einen Kamin.Auch hier wieder die gleiche Prozedur. Kate betrat das Zimmer undzündete die Kerze an, die auf dem Tisch stand. Eliasar sah sich um undwar mit dem was er sah sehr zufrieden.

„Danke Kate, ich hoffe du bist auch gut untergekommen?“

„Ja Herr, neben der Küche ist eine kleine Kammer, in der habe ich micheingerichtet. – Schlaft gut, Herr!“

Bevor sich Eliasar bedanken konnten, hörte er wie sich die Tür hinterKate schon wieder schloss. Was für Tage, dachte er noch, als er sich dieDecke bis zu die Ohren zog. Erst die gefährliche Begegnung mit RitterElbraq und dann schenkt mir Gott, mir nichts dir nichts, einen Sohn.Schade Johanna, dass du das nicht erleben durftest. Mit ihrem Gesichtvor Augen schlief er ein, so dass es nicht verwunderlich war, dass ihn ddie Geister aus der Vergangenheit die ganze Nacht im Traumverfolgten. Vermutlich war das der Grund, dass er am nächsten Morgennicht sagen konnte, dass er gut geschlafen hatte. Doch bei genaueremNachdenken konnte er auch nicht das Gegenteil behaupten. Nur mitHose und Stiefel bekleidet begab er sich in den Hof, in dem er gesternAbend einen Brunnen bemerkte. Die Kurbel quietschte unangenehm, alser sich einen Eimer mit Wasser nach oben zog. Dieses Geräusch sorgtedafür, dass Kate auf der Veranda erschien.

„Aber Herr, ich hätte euch doch eine Schüssel mit warmen Wasser aufeuer Zimmer gebracht“, rief sie empört.

„Wie du siehst ist das nicht nötig, doch wenn du ein Stück Seife und einHandtuch hättest, so wäre mir das recht“, entgegnete der Baron.

Kate verschwand kurz im Haus, um eiligst auf den Hof gestürzt zukommen. Dabei trug sie in der Hand einen grauen Klumpen Seife, überdem Arm ein weißes Tuch.

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„Herr ihr müsst mir nur sagen, wenn ihr etwas wollt“, dabei schwangetwas in ihrer Stimme, dass dem Baron sagte, dass sie beleidigt war.

Ungerührt ergriff er die Seife und begann mit seiner Morgentoilette. AmEnde beugte er seinen Oberkörper nach vorn und kippte sich den Inhaltdes Eimers über selbigen. Laut prustend stieß er die Luft aus, denn dasWasser war eisig kalt.

„Das geschieht euch recht“, murmelte Kate ganz leise, wobei ihre Augenschadenfroh aufblitzten.

„Hast du was gesagt, Mädchen?“

„Oh nein, Herr. Aber wenn ihr es wünscht, dann weise ich eure Leute an,einen Zuber in eurem Zimmer aufzustellen. Wenn man genügend heißesWasser einfüllt, so könnte man sich hineinsetzen und gemütlich ein Badgenießen.“ Schnippisch reichte sie ihm das Tuch, drehte sich abrupt ab,um sich wieder ins Haus zu begeben.

„Kate scheint Haare auf den Zähnen zuhaben. Soviel Courage traut mandem zierlichen Persönchen gar nicht zu“, hörte Eliasar die Stimmeseines Sohnes hinter sich.

Als er sich zum Haus umdrehte, sah er seinen Sohn, der die hölzernenFensterladen zu seinem Zimmer geöffnet hatte.

„Wenn du das sagst, dann wird es wohl so sein“, erwiderte Eliasarlachend.

Zum Frühstück gab es frisches Brot mit Butter und dieses neuartigeGetränk, welches verwegene Seefahrer aus dem weit entfernten,märchenhaften Land Anethalias mitgebracht hatten. Eliasar trank esselbst erst einmal am Hofe von König Ulf. Erstaunlich, dass sich derBesitzer dieses Hauses solch, teure Köstlichkeit leisten konnte. Derwürzige Duft des Getränks stieg ihm in die Nase und regte sofort seinenAppetit an.

„Wie nennt ihr dieses Getränk noch mal?“, denn er hatte den Namenlängst vergessen.

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Statt einfach den erfragten Namen zu benennen machte Kate einnachdenkliches Gesicht um dann alles aufzuzählen, was sie darüberwusste.

„Bonsud, Herr. Der Ursprung, also die schwarzen Bohnen werdenzermahlen und dann mit kochendem Wasser übergossen. Dann lässtman das Ganze eine Weile ziehen, um am Ende den würzigen Sud zutrinken.“

Eliasar schaute in die Runde, nur um in die misstrauische Gesichterseiner Begleiter zu blicken. Ihm war klar, er musste das Eis brechen,also führte er den Becher an den Mund und schlürfte genussvoll dasheiße Getränk in sich hinein. Würzig, ein wenig bitter, aber irgendwieanregend. Sein zufriedener Gesichtsausdruck veranlasste seine Männerund seinen Sohn nun ebenfalls von dem unbekannten Getränk zukosten.

„Vielleicht sollten wir einen Sack von diesen schwarzen Bohnen kaufen“,ließ er nach dem Genuss des Bechers verlauten.

Nach dem Frühstück verschwanden Eliasars Männer im Stall und erwinkte Kate zu sich.

„Kate, sicherlich wirst du einkaufen müssen, hier hast du einen Beutelmit Geld.“ Seinen Worten folgte der metallisch klingelnden Beutel, derplötzlich durch die Luft flog, nur um durch einen geschickten Griff Katesaufgefangen zu werden. „Spann ruhig meine Männer ein, damit du nichtalles alleine schleppen musst, und gönn dir auch selber etwas. MeinSohn und ich werden den ganzen Tag unterwegs sein, es reicht alsowenn du zum Abend etwas kochst.“

„Wie viel darf ich mir nehmen, Herr?“, dabei klang ihre Stimme nicht imGeringsten schüchtern.

„Wir bleiben vier Tage in Urdwain, solange muss das Geld, das sich imBeutel befindet reichen. Was übrig bleibt ist deins“, bemühte sich Eliasardarum, seine Stimme belanglos klingen zu lassen.

Kate kippte den Inhalt des Beutels in ihre geöffnete Hand und zählte dieMünzen, wobei ihre Augen immer größer wurden. Klimperndverschwanden die Münzen wieder im Lederbeutel und ihr Gesicht hatte

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einen zufriedenen Ausdruck angenommen. Wenn Eliasar geglaubt hatte,dass sich Kate zieren würde, weil zu viel übrig blieb, so hatte er sichjedenfalls getäuscht. Kate hat nicht nur Haare auf den Zähnen, siewusste auch was sie wollte und sie war selbstbewusst, - und sie siehtverdammt gut aus, dachte Eliasar als sich das Mädchen entfernte. Ausden Augenwinkeln sah er, wie sein Sohn dem Mädchen hinterherschielte und er musste schmunzeln, denn da schien sich etwasanzubahnen.

Den ganzen Vormittag durchstreiften Eliasar und sein Sohn die Gassenvon Urdwain, auf der Suche nach Geschäften, die das anboten, was ersuchte. Am schnellsten wurde sie fündig, was die neue Kleidung undStiefel für seinen Sohn betraf. Doch Eliasar wollte seinem Sohn auchnoch etwas Besonderes schenken, er dachte da an einen Dolch, wie erzu einem Knappen passte. Endlich standen sie vor einem Geschäft,welches die unterschiedlichsten Waffen anbot. Der Besitzer, einzugereister Südländer, schien sie mit seinen Blicken zu taxieren, wartetedann aber höflich ab, bis Eliasar seine Wünsche vorbrachte.

„Ich suche einen Dolch für meinen Knappen, gut gearbeitet, nicht zuprotzig, aber trotzdem etwas Besonderes.“

Der Südländer führte sie zu einer Auslage mit eher bescheidenenWaffen, er schien den Baron für verarmten Landadel zu halten. Eliasarwarf einen Blick in die Auslage und lächelte den Händler freundlich an.

„Vielleicht habe ich meinen Wunsch nicht deutlich genug formuliert, dochich bin mir sicher, dass nie die Rede davon war, dass die Waffe billigsein muss. Nochmals zum hinhören, gut gearbeitet, nicht protzig, aberetwas Besonderes. Und entweder zaubert ihr jetzt etwas Passendes aufden Tisch oder wir gehen in ein anderes Geschäft, eures ist ja wohl nichtdas einzige am Platze.“ Die letzten Worte sagte Eliasar ein wenig vonoben herab, ohne den freundlichen Klang aus seiner Stimme ganzverschwinden zu lassen.

Der Südländer stutzte, sah sich Eliasar endlich genauer an und plötzlichschien ihm die Erleuchtung zu kommen.

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„Entschuldigt Baron, dass ich euch nicht gleich erkannte. Ich glaube ichhabe das Passende für euch“, noch während er sprach, verschwand erin den hinteren Räumlichkeiten.

Als er zurückkam trug er etwas in Händen, dass sich den Blicken derWartenden entzog, da es in ein Tuch eingewickelt war. Während er deneingewickelten Gegenstand auf den Tisch legte, blickte er Eliasar undGawain triumphierend an. Um die Spannung zu erhöhen, wickelte er denGegenstand beton langsam aus. Am Ende kam ein eher unscheinbarerDolch, aus schwarzem Metall mit ebensolcher Scheide, zum Vorschein.Der Knauf des Griffstücks umschloss einen seltsamen, ebenfallsschwarz wirkenden Stein. Vollkommen geräuschlos zog der Händler dieKlinge, die ebenfalls aus diesem eigentümlichen schwarzen Metallbestand, aus der Scheide. Theatralisch streckte er die Waffe in die Luftund als ein verirrter Lichtstrahl den Knauf traf, leuchtete der Stein blutrotauf. Gawains Augen wurden immer größer, der Zauber der Waffe schienbei ihm schon zu wirken. Eliasar hatte schon mal eine ähnliche Waffe beieinem Gesandten aus Balbadur gesehen, dem südlichsten, ihmbekannten Land. In dem anschließenden Gespräch mit dem Gesandtenmusste er sich jedoch belehren lassen, dass es ein sagenumwobenesLand gab, das noch viel weiter südlich lag. Weiterhin behauptete derGesandte, dass die wunderbare Waffe aus diesem weit entfernten Landstammte. In diesem Bewusstsein nahm Eliasar den Dolch in die Handund musste zu seinem Erstaunen feststellen, dass er viel leichter in derHand lag, als er dachte. Und natürlich bemerkte er wie wundervollausgewogen die Waffe war. Mit einer blitzschnellen Bewegungschleuderte Eliasar die Waffe auf die gegenüberliegende Wand, wo siezitternd im Auge eines aufgemalten Drachens stecken blieb.

„Ganz passabel! So etwas Ähnliches haben wir gesucht“, tat Eliasar so,als wenn die Waffe nicht wirklich seinen Ansprüchen genügte.

Staunend hatte Gawain den Wurf verfolgt und fragte sich nun, ob seinVater mit Absicht das Auge getroffen hatte oder ob es nur ein Zufall war.

„Und was soll das Ding kosten?“, spielte Eliasar den eherUninteressierten.

Der Händler rieb sich die Hände, als wenn er sich auf diesen Teil desGeschäftes am meisten freute.

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„Der Dolch ist wundervoll gearbeitet, diese Ausgewogenheit und derschwarze Blutstein, außerdem sollte man beachten, dass die Waffe eineweite Reise zurücklegte, um in diesen Laden und in eure Hand zugelangen - hundert Silling.“

Eliasar schlug sich bestürzt mit der Hand vor die Stirn, so dass es lautklatschte.

„Ich wollte doch nicht den ganzen Laden kaufen, nur diese unscheinbareWaffe. Fünfzig Silling, doch nur wenn ihr einen passenden Gürtel undeine Börse dazu gebt. Hm, - genau, das wäre ein annehmbarer Preis.“

Der Händler fing an zu jammern, hielt sich die Hände vor die Augen undals er sie wieder wegnahm, flossen doch tatsächlich Tränen über seinGesicht.

„Erstecht mich, wenn ihr mich ausrauben wollt“, jammerte er.

Gawain blickte fasziniert von einem zum anderen und suchte nach einerErklärung für das eigenartige Schauspiel. Hätte er in seinem jungenLeben schon mal ein Schmierentheater besucht, so hätte er dieschauspielerischen Meisterleistungen, die ihm hier vom Händler undseinem Vater geboten wurden, zu würdigen gewusst. Am Ende einigtensich sein Vater und der Händler auf fünfundsiebzig Silling, zuzüglichGürtel und Börse. Brummig verließ Eliasar mit seinem Sohn dasGeschäft, verfolgt von den Flüchen des Händlers. Kaum hatten sie sichein paar Schritte vom Geschäft entfernt, schlug Eliasar seinem Sohnlachend auf die Schulter. „Na, wie habe ich das gemacht?“

Verdattert schaute ihn Gawain an. „Was gemacht?“

„Oh, du bist ja noch vollkommen unverdorben. Das ist einerseits einebewundernswerte Eigenschaft, doch in dieser Welt nicht wirklich gefragt“,stellte Eliasar betroffen fest.

Gerade gelangten sie zu einem Platz, in dessen Mitte eine prächtigeBuche stand, deren Laub sich schon stark verfärbt hatte. Unter derBuche stand eine Bank und nicht weit davon entfernt befand sich einBrunnen.

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„Komm, mein Sohn!“, zog ihn Eliasar zur Bank. „Lass mich dir den Gürtelmit dem Dolch anlegen.“ Nach Vollzug klopfte er seinem Sohn auf dieSchulter, „herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Knappe Gawain.“

„Danke Vater! Darf ich dich etwas fragen?“ Gawain wartete bis seinVater durch ein Nicken seine Zustimmung gegeben hatte. „Sind wirreich?“

Diese direkte Frage auf sein Vermögen hatte Eliasar nun doch nichterwartet. Doch sein Sohn musste davon ausgehen, da der Dolch inseinen Augen ein kleines Vermögen gekostet hatte. Da der Baron dieFrage gestattet hatte, sah er sich auch dazu veranlasst siewahrheitsgemäß zu beantworten.

„Mein Sohn, die Frage ist nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten.Ich möchte mal so sagen, wenn wir es wollten, wären wir es, abermeistens wollen wir es nicht.“

„Vater, muss ich das verstehen? Ich weiß nur eins, einen Silling habe ichbei uns zuhause nie gesehen, bei uns gab es nur Kupfnics und auch dienur in geringen Mengen.“

Die Worte seines Sohnes machten Eliasar betroffen, weil es ihmaufzeigte wie wenig er von seinem Sohn wusste.

„Warum ging es euch so schlecht, deine Mutter lebte doch bei Hofe?“,brachte er sein Unverständnis zum Ausdruck.

„Das Leben am Hof fand für meine Mutter ein jähes Ende, vermutlichweil sie mit mir schwanger war. Sie musste einen Ritter heiraten, der nurein kleines Lehen besaß. Alles was das Lehen erwirtschafteteverbrauchte mein Stiefvater für sich, Kleidung, Pferde, Waffen,Geschenke für fremde Frauen und natürlich auch, um seineSaufkumpane auszuhalten. Für uns blieb nur wenig.“ Sachlich schilderteGawain seine damalige Lebenssituation. Obwohl es Eliasar nichtverwundert hätte, so konnte er doch keinen Vorwurf in seine Richtungheraushören.

„Das tut mir aufrichtig leid Gawain. Doch egal wie leid es mir tut, ich kanndie Zeit nicht zurückdrehen, um euer erfahrenes Unrecht ungeschehenzu machen. So ist das nun mal, niemand kann die Zeit zurückdrehen, um

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seine Versäumnisse und Fehler zu korrigieren. Doch ich verspreche dir,dass ich alles in meiner Macht stehende unternehmen werde, damit esdir von jetzt an besser geht!“

Gawain schaute seinen Vater aus großen, leuchtenden Augen an,plötzlich drehte er sich um und Eliasar sah nur noch, wie er sich mit demHandrücken durchs Gesicht wischte und ein unterdrücktes Schluchzenvon sich gab. Seinen Sohn so leiden zu sehen, tat Eliasar in der Seeleweh. Behutsam legte er ihm die Hand auf die Schulter, dabei flüsterte er.

„Kopf hoch mein Sohn! Zuerst mache ich einen Knappen und spätereinen Ritter aus dir. Und ich bin mir ganz sicher, wenn deine Mutter dannvom Himmel auf dich herab schaut, dann wird sie bestimmt sehr stolz aufdich sein“, und im Gedanken fügte er noch hinzu, und vielleicht verzeihtsie mir dann.

Nach diesem Moment großer Gefühle, setzten sie ihren Wegschweigend fort und verschwanden in den Gassen, die sie zu ihremQuartier führten. Plötzlich warnte Eliasar sein siebenter Sinn und als ersich unauffällig umsah, bemerkte er eine unscheinbare Person, die ihnenoffensichtlich folgte. Ihn ergriff ein grenzenloser Zorn, dass ihm derTruchsess oder wer immer dafür verantwortlich zeichnete, hinterherspionieren ließ.

„Wir gehen jetzt um die nächste Ecke, dann rennst du laut stapfenddavon. Kümmere dich nicht darum was hinter dir passiert“, sprachEliasar mit seinem Sohn, als wenn er über das Wetter redete.

Gawain wusste zwar nicht worum es ging, doch die Anweisung war klar,also gab er mit der Hand ein unauffälliges Zeichen, dass er verstandenhatte. Kaum hatten sie die Ecke umrundet, tat Gawain wie ihm geheißen,während Eliasar seinen Körper in einer dunklen Hausnischeverschwinden ließ. Schon hörte er das Keuschen und die trappelndenSchritte ihres Verfolgers. Als der Spitzel um die Ecke bog und geradeEliasars Versteck passieren wollte, zuckte Eliasars Faust vor und trafden Spitzel seitlich am Kopf. Wie vom Blitz gefällt brach der Mannzusammen. Schnell zog Eliasar den Körper des Mannes in die dunkleNische, lehnte ihn bequem gegen die Wand und setzte seinen Weg fort.Ein Stück voraus wartete sein Sohn und Eliasar erklärte ihm dasGeschehen.

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„Vater, was hat denn der Truchsess gegen dich, wir sind doch ehrbareLeute und keine Verbrecher?“, verstand der Junge die Angelegenheitnicht.

„Im Prinzip hast du recht, doch darum geht es nicht immer im Leben.Vermutlich ist es noch nicht einmal etwas Persönliches. Der Truchsessvermutet bei mir Geld, dass er für sich haben will. In seiner Macht- undGeldgier, wobei dass eine mit dem anderen oft einher geht, kennt erkeine Skrupel. Und darum ist es auch besser wenn er nicht weiß, wo wiruns zurzeit aufhalten“, bemühte sich Eliasar seinem Sohn die Umständezu erklären.

Damit war alles gesagt und sie verschwanden in dem Gewirr derGassen. Nach dem Abendessen tauschten Eliasar und seine Leute ihregewonnenen Erkenntnisse aus, nicht ohne bedauernd festzustellen,dass sich die politische Lage in Urdwain, seit ihrem letzten Besuch,erheblich verschlechtert hatte. Aus diesem Grund bat Eliasar seine Leuteauch, doch im sicheren Quartier zu verweilen und hier auf seineRückkehr von der Burg zu warten.

Am nächsten Tag, der Nachmittag war gerade angebrochen, machtesich Eliasar auf den Weg, um seinen Teil des alten Abkommens zuerfüllen. War auch die Stadt nicht wirklich befestigt, so konnte manselbiges von der Burg nicht behaupten. Hohe Mauern, wehrhafte Türmeund überall Wachen. Die schweren Torflügel des Torhauses standenjedoch weit offen. Links und rechts des Tores flankierten mehrereschwerbewaffnete Wachen den Weg. Auch wurde jeder Besuchergründlich kontrolliert. Eliasar ging unbeirrt auf das Tor zu und wie nichtanders zu erwarten stellte sich ihm ein wichtigtuerischer Sergeant in denWeg.

„Wer glaubst du wer du bist, dass du hier einfach so durchs Tormarschieren willst?“, dabei plusterte sich der Mann wie ein Pfau auf.

Eliasar schaute ihm solange ruhig in die Augen, bis sein Gegenübernervös wurde.

„Sergeant, wenn ihr es mir schriftlich gebt, dass ihr mich, den Baron vonFalkenstein, abgewiesen habt, obwohl ich dem Truchsess meinenjährlichen Tribut entrichten wollte, so soll es mir nur recht sein“. Als nicht

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sofort eine Antwort kam, warf der Baron einen kurzen, prüfenden Blickauf sein Gegenüber, dann fügte er noch hinzu, „oder könnt ihr vielleichtnicht schreiben?“

Der Sergeant lief rot an, schnappte wie ein Karpfen an Land nach Luft,um dann eine bedrohliche Haltung einzunehmen und einen Schritt aufden Baron zuzumachen. Bevor aus dem unüberlegten Verhalten desSergeanten Schlimmeres entstand, mischte sich eine scharfe Stimmeein, die aus einem Fenster über dem Tor erschallte.

„Sergeant, lasst den Mann passieren, aber nur in Begleitung einerWache. Wir wollen doch nicht, dass sich der Herr Baron in unsererschönen Burg verläuft.“

Natürlich erkannte Eliasar die Stimme sofort wieder, denn sie gehörteniemand anderen, als seinem Widersacher Ritter Elbraq. Der Sergeantmurmelte etwas Unverständliches, fuchtelte mit den Armen herum undein Wachsoldat begleitete Eliasar in die Burg, obwohl klar war, dass sichder Baron in ihr bestens auskannte. Denn es gab mal eine Zeit, da derBaron nicht wegen seiner Verpflichtung nach Urdwain kam. DerVorgänger des jetzigen Truchsess war ein liebenswürdiger, alter Mann,mit dem Eliasar sehr gut ausgekommen war. Oft hatte er bei seinenBesuchen sogar auf der Burg gewohnt oder an Turnieren teilgenommen,doch das war schon wieder lange, lange her, gehörte zu einer besserenVergangenheit. So folgte er dem Wachsoldaten und wunderte sich nicht,als aus einem Seitengang Herr Elbraq zu ihnen stieß. Sein Lächelnspiegelte eine gewisse Ungläubigkeit, aber auch Genugtuung wieder.

„Niemals hätte ich geglaubt, dass ihr euch in die Höhle des Bären wagt.Man kann euch wohl einiges nachsagen, aber nicht, dass es euch anMut mangelt“, begrüßte Elbraq den Baron.

„Ach wisst ihr Herr Elbraq, seit ich im letzten Winter meinen dritten Bärenerlegte, ging etwas von dem Grauen verloren, das dieses mächtige Tiersonst umgibt. Am Ende auch nur ein Lebewesen, dessen Zeit durch denTod begrenzt wird.“

Elbraq zog scharf die Luft ein, doch wie es aussah fehlte es ihm an einerguten Erwiderung. Endlich standen sie vor der Tür, die zum Festsaalführte und Elbraq entließ den Wachsoldaten. Aus dem Saal klangen

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laute Stimmen und Lachen. Wenn nicht alles täuschte, so tafelte derTruchsess mit Anhang dort. .

„Ich will nicht stören, ich kann später oder ein anderes Malwiederkommen“, wandte sich der Baron an Elbraq, ob dieserWahrnehmung.

„Das ist gewiss nicht nötig, euer Anblick wird den Appetit des Truchsesseher anregen“, gewann Elbraq endlich wieder Oberwasser und öffnetedie Tür.

Obwohl Eliasar sich in seiner Situation wahrlich nicht wohl fühlte, trat ermit festem Schritt vor den Truchsess. Dieser knabberte gerade an einerHühnerkeule und schaute seiner Tischnachbarin dabei ungeniert ins tiefausgeschnittene Dekolletee. Erst die plötzlich eintretende Stille machteihn auf den Ankömmling aufmerksam. Lässig ließ er die abgeknabberteKeule auf die Tischplatte fallen, ergriff den goldenen Pokal und nahmeinen genüsslichen Schluck daraus. Roter Wein rann ihm aus denMundwinkeln und tropfte von seinem Kinn auf seine feinen Kleider.

„Welch seltener Anblick, der Baron von Falkenstein. Vermutlich wollt ihrmich, genau wie meine Vorgänger, mit fünf Goldaq abspeisen. MeineUntertanen werden von der Steuerlast, die uns die Regentin von Askalanaufbürdet, erdrückt und ihr, die ihr euch freie Menschen von Skandyrnennt, glaubt euch aus Allem raushalten zu können. So wie ich das seheBaron, versteckt ihr euch hinter einem Abkommen, welches mehrereJahrhunderte alt ist, findet ihr das gerecht?“

Eliasar überlegte, ob das eine Frage war, auf die der Truchsess wirklicheine Antwort erwartete. Als der Truchsess nicht weitersprach und ihnauffordernd ansah und die Stille im Raum langsam unangenehm wurde,räusperte er sich.

„Gerechtigkeit muss ich meinen Leuten zukommen lassen, für dieGerechtigkeit gegenüber euren Leuten seid ihr wohl verantwortlich. Ihrerwähntet, dass eure Leute von der Steuerlast erdrückt werden, aber wieich zu meinem Erstaunen feststelle, scheinen die schlechten Zeiten beieuch noch nicht angekommen zu sein. Könnte es sein, das nicht alleSteuergelder nach Askalan in die königlichen Schatullen fließen?“

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Während die Günstlinge vor Empörung laut aufschrien, lief derTruchsess puterrot an, nur Eliasar schien unbeeindruckt.

„Wenn ich es recht bedenke, bin ich nicht hierhergekommen, um miteuch über Gerechtigkeit zu philosophieren“, Eliasar trat an die Tafelheran und legte die fünf Goldstücke vor dem Truchsess auf die Tafel.„Eigentlich bin ich nur hier, weil mich das Abkommen dazu verpflichtet.Hiermit habe ich meine Schuldigkeit getan und würde mich gernzurückziehen, - wenn ihr es gestattet, eure Herrlichkeit.“

Gerade wollte sich Eliasar abwenden, als er die unscheinbareHandbewegung des Truchsess bemerkte. Böses ahnend, wollte er sichnoch umdrehen, doch zu spät, ein harter Gegenstand traf ihn amHinterkopf und ließ seine Welt in einem schwarzen, zähflüssigen Breiversinken.

Hinter ihm stand triumphierend Ritter Elbraq, den Schemel noch in derHand, mit dem er den verhassten Widersacher heimtückischniedergestreckt hatte. Während langsam die normale Farbe in dasGesicht des Truchsess zurückkehrte, verzog er den Mund zu einemhämischen Grinsen, was wohl seine Genugtuung ausdrückte. Mit einerHandbewegung, die auch einer lästigen Fliege gegolten haben könnte,ließ er Ritter Elbraq verstehen, dass er den schlaffen Körper des Baronsentfernen sollte. An der Tafel wurde schon wieder getratscht undgelacht, gegessen und getrunken, niemand fühlte sich veranlasst demunglücklichen Baron seine Aufmerksamkeit zu schenken. Elbraq winktezwei Wachen herbei, die den armen Eliasar an den Beinen aus demSaal schleiften. Vor der Tür blieben die Wachen stehen und blicktenRitter Elbraq abwartend an.

„Ins Verließ mit ihm, aber kettet ihn an, er ist gefährlich“, gab erdiesbezügliche Anweisungen.

Derweil warteten Gawain und Eliasar Männer vergeblich auf dieRückkehr des Barons. Unerbittlich rann der Sand durchs Stundenglas.Es wurde dunkel, es wurde Nacht, doch der Baron tauchte nicht wiederauf. Bei gedrückter Stimmung aßen sie appetitlos ihr Abendmahl.

„Wir können doch nicht einfach nur so rumsitzen und warten“, begehrteGawain auf.

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„Doch, genau das werden wir tun, denn das hat uns der Baronaufgetragen, wenn du dich auch nicht mehr daran erinnern willst“, wiesihn John zurecht.

„Aber das zählt doch jetzt nicht mehr. Dass wir noch nicht mal eineNachricht von ihm erhalten haben, kann doch nur bedeuten, dass etwasUnvorhergesehenes, ja, etwas Schreckliches passiert ist. Unter diesemGesichtspunkt können wir doch nicht einfach die Hände in den Schosslegen und uns auf Eliasars vorherige Anweisung berufen“, widersprachihm Gawain vehement.

„Gawain hat recht“, stimmte Gariban zu, „irgendetwas ist hier faul. Undwenn der Baron Hilfe braucht, dann sind wir die Einzigen, die ihm helfenkönnen. Heute wohl eher nicht mehr. Doch Morgen ziehen wir in zweiGruppen durch die Stadt und sperren unsere Ohren auf. Vielleichtkönnen wir so irgendetwas über das Verschwinden deines Vaters inErfahrung bringen, Gawain.“

„Danke Gariban. Doch auch deinen Schlussfolgerungen kann ich nichtzustimmen. Die Tagesschicht der Wachsoldaten hängt doch jetztbestimmt in irgendeiner Schänke herum und versäuft ihren Sold. Bierund Wein lösen ihnen bestimmt die Zungen, eine bessere Gelegenheitgibt es doch gar nicht, um zu erfahren was mit meinem Vater geschehenist.“ Herausfordernd schaute der junge Sohn des Barons in die Runde,denn seiner Ansicht nach mussten seine Argumente den anderen docheinleuchten.

„Gawain hat schon wieder recht“, ertönte die helle Stimme Kates aus derKüchentür, wo sie die ganze Zeit gestanden hatte, um die Debatte zuverfolgen. „Ich weiß sogar in welcher Schänke sie sich besaufen. Einevon Bertrams Mägden hatte mal ein Verhältnis mit einem Wachsoldaten,sie hat es uns erzählt. Sie treffen sich nach dem Dienst immer im „TiefenFass“, einer Schänke nicht weit von der Burg entfernt, und das ausgutem Grund. Denn von da aus schaffen es die Männer immer noch,auch in total trunkenem Zustand, bis in ihre Quartiere.“

Gawain wollte schon aufspringen, um zur Tür zu laufen, als ihn Johnsanft auf die Bank drückte und erklärend hinzufügte.

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„Junge, auch wenn du uns überzeugt hast, so ist das, was jetzt getanwerden muss, Männersache. Gariban und ich werden uns darumkümmern, du gehst ins Bett und schläfst, vielleicht brauchen wir dichmorgen.“

Gawain wollte gerade aufmucken, musste aber feststellen, dass auch dieanderen Männer Johns Meinung teilte.

„Dein Vater reißt uns den Kopf ab, wenn dir etwas passiert. Und glaubemir, Gariban und ich, wir sind trinkfester als du, und genau das ist jetztgefragt“, fügte er noch hinzu.

Gawain begriff, dass die anderen ihre Gründe hatten, um ihn ins zweiteGlied zu schieben. Widerwillig fügte er sich in sein Schicksal. Bald daraufverließen John, Gariban und Kate das Grundstück. Kate würde ihnenden Weg zur Schänke zeigen und dort mit Gariban ein Pärchen spielen,während John so tat, als wenn er nicht zu ihnen gehörte, um ihnen denRücken freizuhalten. Gariban und Kate betraten die Schänke zuerst,während John draußen eine gewisse Zeit verstreichen ließ, um keinenVerdacht aufkommen zu lassen, dass sie doch irgendwie zusammengehörten. Im Schankraum sperrten sie die Ohren auf und als sie ausdem Munde eines Wachsoldaten das Wort Baron hörten, zeigte Katewas für ein kleines, verschlagenes Luder sie sein konnte. Wie zufälligstieß sie gegen den Wachsoldaten und machte ihm hübsche Augen,schnell umgarnte sie ihn und horchte ihn geschickt aus. Der nächsteBecher Wein, dem ihm Gariban ausgab, als er sich dazugesellte, löstedie Zunge des Soldaten endgültig. Bald darauf wussten Kate undGariban genug und verschwanden unauffällig aus der Schänke. John,der sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hatte, beobachtete dieSzene aufmerksam, vor allem ob jemand den Beiden folgte. Doch dieVorsichtsmaßnahme erwies sich als überflüssig, niemand interessiertesich für das Pärchen. Wenig später trafen sie sich in einer der dunklenGassen und schlichen zurück zu ihrem Quartier. Natürlich hatte sichGawain nicht hingelegt, sondern wartete genauso wie Ben und Scott aufdie Rückkehr der Drei. Bis spät in die Nacht saßen sie im Kerzenscheinam Tisch und beratschlagten, was sie tun konnten, ohne zu einemErgebnis zu kommen.

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„Aber es muss doch einen Weg geben, wie wir in die Burg gelangenkönnen, um meinen Vater zu befreien“, stöhnte Gawain verzweifelt.

„Im Augenblick können wir nur abwarten und auf eine Chance hoffen.Keine Ahnung wie sie aussehen wird, doch wenn sie auftaucht, müssenwir bereit sein“, versuchte Gariban den anderen ein wenig Hoffnung zumachen.

Und so lungerten immer zwei von ihnen am Tage in der Nähe desBurgtores herum und zwei andere abends im „Tiefen Fass“, um die soheißersehnte Chance nicht zu verpassen.

*

„Carlotta, bist du noch wach, du atmest nur so ruhig?“, fand Jonathanseinen Verdacht berechtigt.

Und tatsächlich, die Frau an seiner Seite war eingeschlafen. Sie schliefso fest, dass Jonathan sie in eine bequemere Lage schieben undzudecken konnte, ohne dass sie aufwachte. Anschließend griff Jonathanseine Sachen und verließ auf leisen Socken, gemeinsam mit Bomba,das Zimmer. Jedoch nicht, ohne zuvor das Licht auszumachen. Da ersich längst einigermaßen im Hause auskannte, wusste er wo er Zettelund Stift fand. Noch ein paar liebevolle Zeilen, die damit endeten, dasser seinem Engel einen guten Schlaf wünschte, mit denen er aber auchzum Ausdruck brachte, dass er sich schon darauf freute, um mit ihrweiter in seiner Geschichte zu lesen.

Draußen war es schon dunkel, doch Jonathan und Bomba waren denWeg in letzter Zeit so oft gegangen, dass sie ohne ZwischenfälleWullingham-Castle erreichten. Wenige Minuten nachdem er in seinemZimmer verschwunden war, klopfte es an der Tür.

„Herein“, knurrte Jonathan, eigentlich hielt sich sein Gesprächsbedarf inGrenzen. Doch er fing sich gleich wieder, als er Henrys sorgenvolleMiene sah.

„Sir, möchten sie noch etwas zu Essen und Trinken, oder kann ich sonstnoch etwas für sie tun?“

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„Nein, danke Henry. Ich weiß es zu schätzen, dass sie sich Sorgen ummich machen, aber es ist alles in bester Ordnung. Demnächst beendeich das Versteckspiel, doch bis dahin hoffe ich auf ihre Diskretion.“

„Aber natürlich Mylord, eher würde ich mir die Zunge abbeißen.“ Henryschien so schockiert von der Annahme seines Herrn, er könnteirgendetwas verraten, dass er ihn wieder mit Mylord ansprach.

„Entschuldigen sie Henry, am besten wir gehen jetzt schlafen und treffenuns morgen Früh zum Tai Chi. Gute Nacht Henry“, beendete Jonathandas Gespräch.

Die Tür schloss sich leise und Jonathan fiel müde ins Bett. Als ererwachte, beschloss er einen Tag der Erholung einzulegen, aber vorallem wollte er sich mal wieder an seinen, von ihm am Anfang erstellten,Tagesplan halten. Seine Königin musste mal einen Tag ohne ihnauskommen, da er sich zusätzlich auch noch um seine Bedienstetenkümmern wollte. Als er seiner geliebten Carlotta seinen Entschluss amTelefon mitteilte, staunte er ein wenig, dass sie gar nicht beleidigt daraufreagierte, ganz im Gegenteil.

„Das passt mir aber gut ins Konzept Jonathan. Ich habe auch einiges zuerledigen, was ich schon ein paar Tage vor mir herschiebe. Außerdemsollte man sowieso nicht jeden Tag sein Leibgericht essen, sonst verliertes genau die Vorzüge, die es zum Leibgericht machen“, gab sie ihm aufungewöhnliche Weise zu verstehen, wie gut ihr das Zusammensein mitihm tat.

„So, so, Leibgericht, so hat mich auch noch niemand genannt“, schienJonathan mehr oder weniger verblüfft von ihrer Aussage.

Zwei Tage später trafen sie sich wieder, um, wie sie Beide behaupteten,die Geschichte über die fantastische Welt von Asgardun weiter zu lesen.Wenn sie ehrlich gewesen wären, dann hätten sie sich eingestanden,dass es da auch noch wenigstens einen anderen Grund gab.

*

Mit brummendem Schädel erwachte Eliasar in miefiger Dunkelheit.Sofort bemerkte er, dass er in seiner Bewegungsfreiheit erheblicheingeschränkt war. Seine Handgelenkte steckten in kalten, eisernen

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Handschellen und die davon abgehenden Ketten waren in Hüfthöhe, inder feuchten Wand, verankert. Dadurch blieb ihm nur wenigBewegungsspielraum, gerade genug, um sich hinsetzen und seinenRücken an die feuchte, kalte Wand anzulehnen. Der muffige Geruch,der vom Boden aufstieg sagte ihm, dass das Stroh lange nichtgewechselt wurde. Da es kein Fenster gab, ließ das Loch auch jedenHauch von frischer Luft vermissen. Doch das war zweitrangig und er warauch nicht empfindlich. Viel mehr interessierte es ihn, wie lange er sichschon in diesem Loch befand? Die dicke, trockene Zunge und derbrennende Durst sprachen dafür, dass der Vorfall im Festsaal schon eineWeile zurücklag.

Die darauffolgenden, wilden Gedanken, die ihm durch seinen Kopfjagten, erinnerten ihn dann, auf schmerzhafte Weise, an denheimtückischen Niederschlag. Er konnte es einfach nicht fassen, dassder Truchsess geltendes Recht so offensichtlich brach. Dem Landstanden fürwahr harte Zeiten bevor, wenn der Truchsess nicht mal davorzurückschreckte einen freien Baron, ohne Grund ins Verließ zu stecken.Was machte er dann erst mit denen, die nur einfache Bürgern der Stadtoder Bauern aus dem Umland waren, wenn diese nicht spurten? Andieser Stelle hätte er gerne unwillig den Kopf geschüttelt, doch diehämmernden Kobolde, in seinem Schädel, gemahnten ihn daran davonAbstand zu nehmen.

Nach einer endlosen Zeit des herum Dämmerns, ließ ihn ein metallenesSchließgeräusch aufhorchen. Die schwere Tür quietschte in den Angelnund ein gedämpfter Lichtschein fiel in die Dunkelheit seines Verlieses.Sofort nutzte er die Gelegenheit, um die Zelle in Augenschein zunehmen. Jemand mit einer Fackel blieb auf dem Gang stehen,währenddessen ein alter Bekannter herein trat. Elbraq hielt in einer Handeinen Krug, in der anderen ein Stück Brot.

„Gestern nannte ich es noch Mut, heute bezeichne ich euer Verhalten alsgrenzenlose Torheit“, stellte Ritter Elbraq sachlich fest, wobeierstaunlicher Weise nicht der geringste Triumph aus seiner Stimmeherauszuhören war. „Wie konntet ihr euer Schicksal nur so extremherausfordern?“

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Eliasar verspürte kein Verlangen auf diese Frage zu antworten,stattdessen ging er zum Angriff über.

„Kann es sein, dass ihr dem Truchsess von unserer kleinenAuseinandersetzung nicht berichtet habt?“ Im gleichen Moment, wo erdie Frage stellte, wusste Eliasar, dass sich Ritter Elbraq dasEingeständnis seiner Niederlage, vor seinem Dienstherrn, verkniffenhatte. Auch Elbraq schien keine Lust zu verspüren darauf zu antworten,denn er überging die Frage einfach, um das Thema zu wechseln.

„Ich habe euch einen Krug Wein und etwas Brot mitgebracht. Zwar habeich euch auf Befehl meines Dienstherrn niedergeschlagen, doch ichlasse mir nicht nachsagen, ich hätte euch verdursten oder verhungernlassen. Zum Schluss noch einen guten Rat. Ihr solltet euch damitanfreunden dem Truchsess seine Frage in Bezug auf euren geheimenSchatz zu beantworten, sonst könnte das hier hart für euch werden.“

„Egal ob ich etwas sage oder das Geheimnis mit in den Tod nehme, erkann mich nicht wieder freilassen, sonst müsste sich die Regentin meineKlage anhören. Und wenn die Regentin nicht will, dass ihr ganzesHerrschaftssystem zusammenbricht, müsste sie den Rechtsbrecherbestrafen. Denn wenn bekannt würde, dass Verträge nichts mehr gelten,dann könnten dieser und jener Würdenträger auf die Idee kommen, dasses ihm genauso wie mir ergehen könnte. Nein, nein! Der Truchsess wirdmich irgendwo verscharren und behaupten er hätte mich ziehen lassen.Mit Empörung wird er jede Verdächtigung von sich weisen undbehaupten, dass er mit meinem Verschwinden nichts zu tun hat. Jetztwisst ihr wie ich die Sache sehe und ihr könnt unschwer darausschließen, dass er von mir nichts erfahren wird.“

Ritter Elbraq sah ihn fast mitleidig an. „Es gibt Methoden, um einenverstockten Mann die Zunge zu lösen.“

„Wir werden sehen. Egal was für Methoden ihr anwendet, ihr werdetfeststellen, dass sie nicht bei jedem Mann wirken. Meine Möglichkeitensind zurzeit zwar beschränkt, doch wenn sich mir die Möglichkeit bietetdem Truchsess eine herbe Enttäuschung zu bereiten, dann werde ichdiese Gelegenheit freudig nutzen“, machte Eliasar seinem Widersacherwenig Hoffnung auf die Preisgabe seines Geheimnisses. „Wolltet ihr mirden Wein und das Brot eigentlich nur zeigen, ansonsten her damit, ich

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habe Hunger und Durst“, forderte Eliasar sein Gegenüber frech auf,wobei er natürlich hoffte, dass jenen noch so etwas wie ein schlechtesGewissen plagte.

Der so Angesprochene nahm dem Baron die Worte nicht Übel, denn erreichte ihm das Brot und den Krug, um anschließend kopfschüttelnd dasVerlies zu verlassen. Elbraq schien schwer beeindruckt von der Art undWeise, wie Eliasar den Tatsachen ins Auge sah. Er fand einfach keineErklärung dafür, woher der Baron in dieser aussichtslosen Situation dieKraft nahm, um dem Truchsess die Stirn zu bieten. Was für ein Mann,dachte er, leider steht er auf der falschen Seite. Doch wenn er glaubte,damit sein Gewissen besänftigen zu können, dann war er einemTrugschluss aufgesessen. Und so kam es, dass er sich nachts unruhig inseinem Bett hin und her wälzte, was wohl vor allem daran lag, dass ereine Stimme hörte, die sich vor langer Zeit von ihm verabschiedet hatte.

„Elbraq“, erreichte ihn die Stimme mit anklagendem Tonfall, nur um ihnmit seinen Taten der letzten Zeit zu konfrontieren. „Vielleicht stehst duauf der falschen Seite?“, resümierte die Stimme am Ende. Mitquälenden Gewissensbissen wachte Elbraq auf und egal was er tat, derSatz wollte nicht mehr aus seinem Kopf.

In seiner Zelle besann sich Eliasar inzwischen auf außergewöhnlicheFähigkeiten, die seine Ahnen unter Anleitung der Druiden erlernten undan jede Generation weitergaben. Dazu gehörte, dass es sich auf einenPunkt, tief und versteckt in seinem innersten Wesen konzentrierte. Nachund nach zog er sich immer tiefer in diesen, ihm schutzbietendenBereich zurück, bis sein Körper nicht viel mehr war als eine schwachatmende, durchblutete Hülle. Als die Wachen bei ihrem nächstenKontrollgang durch eine Luke in die Zelle schauten, glaubten sie, dassden Baron der Tod ereilt habe. Erst als sie seinen verlangsamten Pulsan der Halsschlagader fühlten und bei angestrengtem Lauschen einenflachen Atem wahrnahmen, wurde ihnen bewusst, dass der Gefangenenoch lebte. Da sie sich auf die Sache keinen Reim machen konnten,informierten sie Ritter Elbraq.

Wenig später erschienen der Erste Ritter und sein Truchsess, um diebefremdliche Situation persönlich in Augenschein zu nehmen. Nachdemsich der Truchsess mit der Sachlage vertraut gemacht hatte, befahl er

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den Wachen kaltes Wasser herbeizuschaffen und über den Gefangenenauszugießen. Zu seinem Verdruss stellte der Truchsess fest, dass diekalte Dusche nichts am Zustand des Gefangenen änderte. Als auchheftige Schläge und Tritte den Baron nicht in die Wirklichkeitzurückbrachten, wechselte die Gemütsverfassung des Truchsess vonWut, über Verwunderung, in Hilflosigkeit. Elbraq jedoch ging ein Lichtauf, denn nun verstand er die Äußerungen des Barons. Genau wie derTruchsess so erkannte auch er, nur auf andere Weise, dass der Baron indiesem Zustand nicht angreifbar war. Zwar konnten sie ihn töten, aberwie wollten sie ihm dann noch das Geheimnis entlocken? Stieg derBaron schon zuvor in der Achtung von Ritter Elbraq, so nunBewunderung daraus.

„Verdammt, wie macht er das nur?“, tobte der Truchsess in seinerHilflosigkeit.

Da er von seinem Untergebenen jedoch keine Antwort erwartete, verließer wutschnaubend das Verließ. Seine schlechte Laune trug dazu bei,dass er den ganzen Tag nicht nur sehr ungehalten zu seinenBediensteten, sondern zu seinem gesamten Hofstaat war. Abends saßer mit seinen Beratern zusammen, doch niemand schien eineerfolgversprechende Idee zu haben, bis sich Ritter Elbraq meldete.

„Herr, vielleicht muss man auf seinen Zustand nicht mit Gewalt sondernmit Sanftmut reagieren. Ich könnte mich zu ihm setzen, mit ihm redenund versuchen so sein Vertrauen zu gewinnen. Vielleicht reagiert erirgendwann und antwortet mir.“

Einige Berater lachten abfällig, andere schüttelten belustigt die Köpfe,einzig der Truchsess horchte auf.

„Danke Ritter Elbraq, wenigstens macht ihr euch Gedanken, währendder Rest nur mein Geld nimmt“, zielte seine boshafte Bemerkung inRichtung seiner Berater. „Auf jeden Fall ist der Vorschlag nicht wenigererfolgsversprechend als die zuvor angewandte gewaltsame Methode.Ein Versuch kann kaum Schaden anrichten. Also macht euch an dieArbeit Ritter Elbraq und berichtet mir jeden Tag wie die Sache läuft.“

Am nächsten Tag bezog Ritter Elbraq Quartier in der Zelle des Barons.Zuvor ließ er das alte Stroh auswechseln und veranlasste, dass auf das

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neue Stroh zusätzlich wohlriechende Kräuter gestreut wurden. In diedafür vorgesehenen Wandhalterungen wurden zwei brennende Fackelngesteckt, welche den dunklen Raum in ein warmes Licht tauchten. ZumSchluss ließ Elbraq, von zwei Dienern einen bequemen Sessel in dasVerließ stellten, auch blieb die Tür wegen der besseren Belüftung offen.Nachdem er es sich im Sessel bequem gemacht hatte, fing er an, mitruhiger, einschmeichelnder Stimme, dem Baron alles Mögliche zuerzählen. In unregelmäßigen Abständen stand er auf und begab sich zudem, geistig immer noch abwesenden Baron, um ihm, in kleinenSchlückchen, Wein einzuflößen. Später ertappte er sich dabei, dass erdem Baron seine Lebensgeschichte erzählte. Stunden waren vergangenund Elbraq näherte sich mit seiner Lebensbeichte dem Ende. Er war soim Erzählen vertieft, dass er erschrocken zusammenzuckte, als dieStimme des Barons erklang.

„Und, seid ihr zufrieden, wie euer Leben bisher verlaufen ist?“

„Zufriedenheit, was bringt mir Zufriedenheit? Ich habe mir einemachtvolle Position erkämpft, verfüge über Geld und bekomme meistensdie Frauen die ich will. Was kann man mehr vom Leben erwarten?“,antwortete Ritter Elbraq leicht angesäuert.

„Das ihr meiner Frage ausweicht, ist mir Antwort genug“, gab Eliasarmüde und erschöpft von sich.

„Ihr müsst etwas essen“, wich Ritter Elbraq dem Thema aus. „Ich habeeuch kalten Braten und frisches Brot mitgebracht und der Krug ist vollrotem Wein.“

„Wollt ihr mir weismachen, ihr wisst nicht was Zufriedenheit bedeutet,welchen Wert es hat?", bohrte Eliasar weiter in der Wunde, die Elbraqgerade preisgegeben hatte.

"Kennt ihr nicht dieses Gefühl, sich mit der Welt im Einklang zu befinden,so dass man sich wünscht, alles würde bis in alle Ewigkeit so bleiben?Ihr wollt mir weismachen, ihr habt euch nie nach diesen Zustandgesehnt, der sich einfach nur gut anfühlt, wo man ruhig schläft und dasGewissen einen nicht im Schlaf quält?"

Eliasar horchte eine Weile tief in sich hinein, „ja, das ist Zufriedenheit.Leider gibt es hier und heute nur wenige Menschen die sich wünschen,

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dass Alles so bleiben möge wie es gerade ist. Im Gegenteil, die meistenMenschen hoffen auf Veränderung, hoffen, dass sich endlich die uraltenWeissagungen der Druiden erfüllen.“

Während der Baron sein Gegenüber unentwegt anschaute, vergaß ernicht von dem kalten Braten und Brot zu essen und den Krug mit Weinauszutrinken.

„Was wollt ihr eigentlich von mir, Elbraq?“

„Euch aushorchen“, gab jener mit umwerfender Ehrlichkeit zu. „DerTruchsess hat Beweise, dass ihr über ein ungewöhnliches Vermögenverfügen müsst. Eure Landwirtschaft wirft nicht so viel ab, dass ihr euchgewisse Anschaffungen leisten könntet. Allein die Pferde, die ihr letztesJahr erworben habt, sind ein Vermögen wert. Der Mann ist gierig, er willetwas vom großen Kuchen abhaben.“

„Der Truchsess will nicht etwas abhaben, er will den Kuchen ganz fürsich allein. Zu seinem Bedauern wird er bald bemerken, dass dieserHappen für ihn unverdaulich sein wird. Ich bin sogar der festenÜberzeugung, an diesem Happen wird er zugrunde gehen“, bemerkteEliasar leidenschaftslos.

„Wie meint ihr das?“ Elbraq schien von Eliasar Aussage verwirrt.

„Seid ihr taub und blind? Bekleidet euch mit einer unverfängliche Kutte,zieht euch die Kapuze tief ins Gesicht und mischt euch unters Volk“, gabihm Eliasar einen Hinweis.

„Ach was, das Volk, - Händler, Gesinde, Bauern und was da noch allesso dahinvegetiert, sie haben alle eine scheißende Angst, die sie lähmt “,wischte Elbraq den Hinweis verächtlich beiseite.

„Noch, doch eines Tages wird jemand kommen, der ihnen die Augenöffnet und die Angst ausredet, dann werden sie über das Landhinwegfegen und von euch und eures Gleichen wird nichts übrigbleiben“,versicherte Eliasar voller Überzeugung.

„Daran glaube ich nicht, trotzdem imponiert ihr mir. Ihr habt einen Weggefunden, um den Truchsess auf Distanz zu halten. Und obwohl ihr hierin Ketten liegt und eigene Sorgen habt, macht ihr euch Gedanken um

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eure Leute. Ihr schützt sie mit eurem Schweigen, ihr seid so anders alsdie Ritter die ich kenne“, gelang es Elbraq nicht seine Bewunderung zuverbergen.

„Ich kenne Geschichten aus einer Zeit, da gehörte es zu den Tugendeneines jeden Ritters die Schwachen zu beschützen. Damals sollen alleRitter so gewesen sein, ich hoffe ich mache ihnen Ehre“, trafen EliasarsWorte Elbraq wie Tiefschläge.

Elbraq ärgerte sich über die Aussage des Gefangenen, doch wenn erehrlich war, dann beschämte sie ihn. Nicht der Inhalt war es, eher mitwelcher Selbstverständlichkeit Eliasar diese Grundsätze von sich selbereinforderte.

„Und ihr meint wirklich, dass es sich lohnt für diese Tugenden zusterben - Eliasar?“

„Wenn es sein muss, auch zu sterben, aber vor allen Dingen für dieseTugenden zu leben. Das Leben sollte immer vor dem Tod kommen,jedenfalls nach meinem Verständnis.“ Eliasar lehnte sich satt zurück undschien fast ein wenig zufrieden. „Für die nächsten drei Tage habt ihrmich gerettet, solange halte ich es jetzt ohne zu trinken aus. Kommtwieder, wenn ihr mit mir über Rittertugenden reden wollt, doch hofft nicht,dass ihr mir ein Wort entlockt, welches euch meine Geldquelle offenbart.“

Es kam wie es kommen musste. In der nächsten Nacht wurde Elbraqbesonders heftig von Albträumen heimgesucht. Am folgenden Tag lief ertief bedrückt herum, nichts machte ihm Freude und das Schlimmste, erkonnte sich den Zustand einfach nicht erklären. So war es kein Wunder,dass er an der Tafel des Truchsess mehr Alkohol trank als für ihn gutwar. Am Abend fiel er ziemlich betrunken in sein Bett, musste zu seinemLeidwesen jedoch feststellen, dass die Gespenster seines schlechtenGewissens stärker wüteten als in der Nacht zuvor. Schweißgebadetschreckte er mitten in der Nacht hoch, weil ihm träumte, dass derSensenmann mit seiner knochigen Hand nach seiner Kehle griff.Zerknirscht gestand sich Ritter Elbraq ein, dass er sein Seelenheil in denletzten Jahren vernachlässigt hatte. Sichtlich verkatert verließ er seinGemach, um die kleine Burgkapelle aufzusuchen. Zwar hielt derTruchsess, wie viele Adlige auch, nichts von der neuen Religion, doch dadie Regentin den neuen Glauben zur Staatsreligion erhoben hatte,

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gehörte es einfach zum guten Ton ein entsprechendes Bauwerkvorweisen zu können.

Elbraq betrat die schlichte Kapelle, in der einige Kerzen ein schummrigesLicht verbreiteten. Der von seinem Gewissen geplagte Ritter kniete vordem Altar nieder, über dem ein silberner Reif zu schweben schien, dassichtbare Symbol jener Religion. Elbraq glaubte sich zu erinnern, wasder Reif symbolisierte, auch wenn er sich nicht eingehender mit derneuen Religion befasste. Der Prophet Minèasus behauptete, dass diesesSymbol auf einzigartige Weise Anfang und Ende miteinander verband,genau wie Gott es tat. Elbraq schien sich wirklich in einer verzweifeltenLage zu befinden, wie anders war es zu erklären, dass er zu betenanfing? Seine Andacht dauerte bis zum Morgengrauen und als er dieKapelle verließ, da lächelte er. Er wirkte auf den ersten Blick entspannt,fast schon zufrieden, doch wer in seine Augen sah, der konnte auchnoch etwas anderes darin finden, feste Entschlossenheit.

In dieser Nacht, während des Gebets, hatte er, ohne einen Schritt zu tun,die Seiten gewechselt. War es seine Erschöpfung, seine Verzweiflung,die ihn für den Glauben offen machte oder nur ein zufälliger Streich desSchicksals? Auf jeden Fall beschloss Elbraq, dass er in der nächstenNacht Eliasar von Falkenstein befreien würde. Im Laufe des Tagesvertröstete er den Truchsess, nicht ohne zum Ausdruck zu bringen, dasser nicht aufgeben würde, dem Baron sein Geheimnis zu entlocken.Gleichzeitig wies er aber auch darauf hin, dass der Baron eine harteNuss sei und dass eine solch schwierige Angelegenheit eben seine Zeitbrauchte. Da der Truchsess gerade von einer Leidenschaft heimgesuchtwurde, die den Namen Eleonore trug, winkte er verstehend ab. Seineaufgewühlten Hormone führten dazu, dass der Problemfall BaronFalkenstein, im Augenblick, für ihn nicht die erste Priorität besaß.Gnädig gestimmt entließ der Truchsess seinen Ersten Ritter, um sich mitvollem Elan seiner jüngsten Eroberung zu widmen.

Im Verlaufe des Tages ging Elbraq seinen üblichen Aufgaben nach,wobei er dem Stallknecht befahl zwei Pferde gesattelt bereitzuhalten undmit einem kleinen Vorrat an Proviant zu versehen. Niemand schöpfteauch nur den geringsten Verdacht, da Ritter Elbraq des Öfteren ingeheimer Mission durchs Land streifte. Nach dem üblichen, abendlichenGelage, bei dem sich Elbraq unauffällig zurückhielt, begab er sich in den

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Kerker. Der Wachposten schloss die Zelle auf und zog sich auf Befehldes Ersten Ritters in die Wachstube zurück, nicht ohne ihm zuvor denRing auszuhändigen, an dem sich der Zellenschlüssel und der Schlüsselfür die Fesseln befanden. Bevor Elbraq sich zu Eliasar begab, lehnte erdie Tür an. Ein Blick auf den Gefangenen sagte ihm, dass sich diesernoch immer in diesem seltsamen, abwesenden Zustand befand. AlsElbraq die Fesseln aufschloss, legten sich unerwartet die kräftigenHände des Barons um seinen Hals. Da er jedoch keinen Widerstandleistete, lockerte der Baron seinen Griff ein wenig.

„Nehmt mein Schwert und bringt mich um, doch wie wollt ihr ohne meineHilfe aus der Burg entkommen?“, keuchte Elbraq nach Luft ringend.

Mit allem hatte der Baron gerechnet, aber nicht gerade mit Hilfe von demMann, den er gedemütigt und der ihn hinterrücks niedergeschlagenhatte. Er löste seinen Griff vom Hals seines Gegenübers und ließ dieArme sinken.

„Wollt ihr etwa damit andeuten, dass ich, an eurer Seite, einfach so ausder Burg spazieren kann?“

„In meiner Begleitung, eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, ja, so solltees gelingen“, schien Elbraq keine Hindernisse zu sehen.

„So stellt ihr euch das also vor! Und wenn der Truchsess morgen frühvon meiner Flucht erfährt, glaubt ihr wirklich er wird sich gemütlichzurücklehnen und mich meiner Wege ziehen lassen?“ Eliasarsironisches Lachen zeigte seinem Befreier auf, was sein Gegenüber vondiesem Plan hielt.

„Wenn man euch reden hört, könnte man ja meinen, dass wir denTruchsess als Geisel gefangen nehmen sollten.“ Elbraq schüttelte denKopf, da er die Idee absurd fand.

„Meine Hochachtung Ritter Elbraq, die Idee hätte von mir stammenkönnen, soviel Weitsicht habe ich euch gar nicht zugetraut.“

„Ihr seid doch völlig wahnsinnig, Eliasar“, konterte Elbraq, da er der Ideenoch immer nichts abgewinnen konnte.

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Eliasar verlor keine Zeit, um seinem neuen Verbündeten den Planschmackhaft zu machen. Kurze Zeit später rief Elbraq die Wache mitlauter Stimme. Die eintretenden Soldaten starrten auf den Baron, der ineinem jämmerlichen Zustand, schwankend dastand, während ihm Elbraqdas Schwert in die Seite drückte.

„Ich bringe den Gefangenen jetzt zum Truchsess, er möchte ihmhöchstpersönlich noch ein paar Fragen stellen“, dabei sah Elbraq dieWachen vielsagend an. „Und danach hat es diesen Gefangenen niegegeben, ihr habt diesen Mann noch nie gesehen und die Zelle stand dieganze Zeit leer, - habt ihr mich verstanden?“

Zuerst sahen ihn die Wachen begriffsstutzig an, dann grinste einer undstieß seinem Kameraden den Ellenbogen in die Seite.

„Na klar Herr, außer euch ist hier niemand.“

Elbraq nickte herablassend und stieß den Gefangenen vor sich her.Sobald sie den Kerkerbereich verlassen hatten, beendeten sie dasSchauspiel. Elbraq gab dem Baron seinen Dolch und führte ihn aufgeheimen Wegen zum Gemach des Truchsess. Dieser war so mit Weinabgefüllt, dass die Hofdame es nicht für nötig erachtete, ihm in seinGemach zu folgen. Als der Baron den Truchsess anstieß, gab jener nurunwillige, schwerverständliche Laute von sich.

„Das nennt man wahrlich mal Glück, der Truchsess macht uns gewisskeine Schwierigkeiten. Ich ziehe ihm jetzt meine Sachen an, ich wäreeuch dankbar, wenn ihr etwas Passendes für mich besorgen würdet“,wandte sich Eliasar an Elbraq.

Jener kannte sich im Gemach seines Herrn bestens aus und als Eliasarmit der Umkleideaktion des Truchsess fertig war, fand er dieentsprechenden Kleidungsstücke für sich auf dem Bett. In dem weitenKapuzenmantel, auf dessen Rückseite das Wappen des Truchsess inÜbergröße prangte, konnte Eliasar durchaus für den Truchsess gehaltenwerden. Sicherheitshalber fesselte und knebelte Elbraq den Truchsess,dann warf er ihn sich über die Schulter und sie begaben sich zu denStällen. Niemand wagte es den Truchsess und seinen Ersten Ritteranzusprechen und so gelangten sie ohne Schwierigkeiten durchs Tor.

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Natürlich wollte Elbraq auf kürzestem Weg die Stadt verlassen, dochEliasar konnte diesem Wunsche nicht entsprechen.

„Meine Leute machen sich sicher seit Tagen Sorgen um mich. Ohne sieverlasse ich die Stadt nicht.“

Elbraq konnte nur zu deutlich heraushören, dass der Baron kein Aberduldete. Was schon alleine daran zu erkennen war, dass der Baron,ohne auf eine Antwort seines Begleiters zu warten, sein Pferd in eineder vielen dunklen Gassen lenkte, um darin zu verschwinden.

Was blieb Elbraq anderes übrig als den klappernden Hufgeräuschen zufolgen? Vor einem Tor, in einer hohen Mauer, erreichte Elbraq denBaron. Das Tor war nicht verschlossen, doch als sie auf den Hof ritten,erwartete sie eine unangenehme Überraschung. Jemand schloss hinterihnen das Tor sofort wieder und im Scheine zweier Fackeln, blickten siein zwei gespannte Bogen. Ohne ein Wort zu sagen schob Eliasar dieKapuze zurück und sprang vom Pferd.

„Tempo, Tempo, alles zum Abmarsch bereit machen! Bevor die Hälftedes Sandes durch ein Stundenglas gelaufen ist, möchte ich vom Hoffahren“, befahl Eliasar mit ruhiger, eindringlicher Stimme seinenMännern. Genauso ruhig zeigte er auf das Bündel, welches vor Elbraqbäuchlings auf dem Pferd lag. „Der Truchsess kommt gefesselt auf denzweiten Wagen, der Knebel bleibt solange in seinem Mund bis ich etwasAnderes anordne.“ Aus den Augenwinkeln sah Eliasar, dass John nochimmer den Pfeil auf Elbraq gerichtet hielt. „Der Ritter gehört ab jetzt zuuns, also senke den Bogen.“

„Können wir ihm denn trauen?“ Unbehagen klang aus der Stimme Johns.

„Ja!“, erwiderte Eliasar ein wenig barsch, um versöhnlicher hinzuzufügen„entspannt euch, ich bin zurück, jetzt wird alles gut.“

Plötzlich spürte Eliasar die Nähe eines Körpers, er drehte sich um undnahm seinen Sohn in die Arme. Jener vergrub sein Gesicht zwischenden Tuchfalten von Eliasars Mantel, in der Hoffnung, dass niemand seinSchluchzen hörte.

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„Weine ruhig mein Sohn, nicht alle Tränen sind von Übel. Besser deineTränen benetzen mein Wams, als dass sie deine Seele ersäufen“,tröstete Eliasar mit leiser, einfühlsamer Stimme seinen Sohn.

Währenddessen befolgten seine Männer die Befehle, die Pferde wurdenvor die Wagen gespannt, ihre Habseligkeiten aus dem Haus geholt under selbst schrieb ein paar Zeilen an Bertram. Als er wieder aus demHaus trat, staunte er nicht schlecht, als er Kate auf dem ersten Wagensitzen sah.

„Ich komme mit euch“, sagte sie trotzig, als sie seinen Blick bemerkte.Ihre Abwehrhaltung war jedoch völlig unnötig, denn Eliasar machtekeinerlei Anstalten, etwas Gegenteiliges anzuordnen. Er fand, dass Katealt genug war, um zu wissen was sie wollte, auch gehörte sie niemandund ein paar geschickte Hände mehr konnten sowieso nicht schaden.Ohne sie weiter zu beachten, ging er nochmals ins Haus, um noch einenentsprechenden Satz für Bertram der Nachricht hinzuzufügen.

Die Dämmerung war noch nicht mal zu erahnen, als die gesamteMannschaft mit Wagen und Pferden das Quartier verließ, um in die, nochdunklen Gassen der Stadt einzutauchen. Erst am Stadttor wollte sie einverschlafener Wachsoldat anhalten. Aber als er die große Gestalt imMantel des Truchsess erblickte, senkte er devot seinen Kopf, ohne auchnur einen Blick auf das Gesicht unter der tief heruntergezogenen Kapuzezu werfen. Der Wachsoldat sah dass, was er sehen sollte, wozu derbegleitende Ritter Elbraq natürlich einen gehörigen Teil beitrug. Und werwar er schon, dachte der Wachposten, dass er sich Gedanken darumhätte machen müssen, warum die beiden hohen Personen zweiPlanwagen begleiteten.

Vor den Stadttoren ließen die Flüchtigen die Pferde kräftig ausholen undals der Morgen graute, lag die Stadt schon weit hinter ihnen. Eliasar warsich sicher, dass er alles getan hatte, um die Flucht erfolgreich zugestalten. Durch die Geiselnahme des Truchsess und demgleichzeitigem Verschwinden Ritter Elbraqs, war die Garnison der Burgführungslos. Vermutlich würde es eine gewisse Zeit dauern, bis diewenigen, hellen Köpfen begriffen, dass zwischen dem Verschwinden desTruchsess, Ritter Elbraqs und Eliasars eine Verbindung bestand. Bisdahin sollte ihr Vorsprung jedoch groß genug sein.

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Längst hatte Eliasar angeordnet, dass der Truchsess von seinem Knebelbefreit wurde und so wunderte er sich nicht wirklich, als er gegen Mittagdessen kräftige Stimme schimpfen hörte.

„Ich lasse euch alle vierteilen, ihr elenden Missgeburten. Sofort erscheinthier jemand und löst meine Fesseln, sonst lernt ihr mich kennen.“

Als sein Gegröle unerträglich wurde, ergriff Eliasar einen Knüppel, rittneben den Planwagen und schlug damit gegen die Stelle, wo sich hinterder Plane der Kopf des Schreihalses abzeichnete. Sofort vernahmen dieReisenden wieder das Zirpen der Insekten und das lieblicheVogelgezwitscher, welches der Truchsess zuvor mit seinem lautenherum Krakeelen übertönte.

Gegen Abend erreichten sie einen malerischen Weiher, an dem siekurzentschlossen ihr Nachtlager aufschlugen. Wasser und frisches Grasfür die Pferde, mit etwas Glück ein paar Fische zum Braten, diesemAngebot konnten sie nicht widerstehen. Ben und Scott befreiten diePferde von den Geschirren und Sätteln, dafür legten sie ihnenFußfesseln an. Celebrus blieb davon ausgenommen, da er solchesUnterfangen kategorisch ablehnte. Gawain half Kate beim Feuerholzsammeln, während John und Gariban die Angeln auswarfen. Indessenbefreite Eliasar den Truchsess aus seiner misslichen Lage, indem erseine Fesseln lockerte und ihm vom Wagen half. Als der Truchsess inEliasar seinen Peiniger erkannte, brach er sofort wieder inSchimpftiraden aus, die darin gipfelten, dass er den Baron aufhängenund die Gedärme herausreißen lassen wollte. Eliasar hörte sich eineWeile die üblen Beschimpfungen an, dann schob er sein Gesicht ganzdicht an das seines Gefangenen.

„Herr Truchsess ihr verkennt die Lage. Wenn ihr noch eine Beleidigungvon euch gebt, dann schlage ich euch einen Fuß ab, danach das Beinunterhalb des Knies, dann das gleiche beim anderen Bein undschließlich folgen die Arme auf die gleiche Weise. Natürlich würde icheuch ob eures Mutes bewundern, wenn ihr euch durch meine Wortenicht einschüchtern ließet“, zählte Eliasar mit sanfter Stimme auf, wases alles für erzieherische Möglichkeiten gab.

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„Das wagt ihr niemals. Ich bin der, von der Regentin, eingesetzteTruchsess“, doch als er den kalten, ruhigen Blick von Eliasar gewahrte,schluckte er heftig und verstummte.

„Vielleicht ist es euch noch nicht aufgefallen, ihr seid zurzeit nichts weiterals mein Gefangener, dessen Gesundheit, dessen Leben einzig vonmeinem Wohlwollen abhängig ist. Ich entscheide, ob ihr zu Essen und zuTrinken bekommt, ob ihr eure Füße behaltet und den Kopf auf euremHals“, ließ Eliasar keine Zweifel daran, dass sich die Spielregeln zuUngunsten des Truchsess verändert hatte.

Unerwartet trat Ritter Elbraq ins Blickfeld des Truchsess. Verblüfft stellteder Truchsess fest, dass sich sein Erster Ritter frei bewegte und dabeiauch noch seine Waffen an sich trug. Ob der Unglaublichkeit, was derGrund dafür sein könnte, dauerte es einen Moment, bis der Truchsesssich der Erkenntnis, dass hier Verrat im Spiel war, nicht mehrverschließen konnte. begriff. Mit wutverzerrten Gesicht wollte er geradezu einer Schimpftirade ansetzen, als er Eliasars erbarmungslosen Blickgewahrte. Schnell verschluckte er seine Worte und biss sich auf dieLippen, als zu riskieren, dass Eliasar seine Drohung wahrmachte.

„Na seht ihr, geht doch! Wie hilfreich doch Spielregeln sein können. Ach,noch etwas Marduq. Ihr entlasst Ritter Elbraq aus seinem Treueeid. Unddamit alles seine Ordnung hat, setzen wir eine entsprechende Urkundeauf.“

„Und was passiert wenn ich mich weigere?“, klang Marduqs Stimmeschon wieder aufsässig.

„Für mich kein wirkliches Problem, doch das spielt sowieso keine Rolle.Die Sache läuft so. Ihr habt Bedenkzeit bis wir die Thräne erreichen.Entlasst ihr Ritter Elbraq aus seinem Treueeid, so schenke ich euch dieFreiheit und ein Pferd, und ihr könnt ungehindert nach Urdwain reiten.“An dieser Stelle verstummte Eliasar, so als wenn es keine andereMöglichkeit in seinen Überlegungen gab.

Marduqs abwartender Blick verwandelte sich in einen fragenden, alsEliasar keine Anstalten machte, die Kehrseite der Medaille aufzuzeigen.„Und wenn nicht, dann bringt ihr mich um?“, konnte er sich seine

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logische Schlussfolgerung nicht verkneifen. Dass er so dachte, lag wohlvor allem daran, dass er von sich auf andere schloss.

„Ich könnte eure Bemerkung als Beleidigung auffassen, dann müsste icheuch jetzt einen Fuß abschlagen. Wollen wir euch zu Gute halten, dasses nur eure ungeschickte Art war, um nachzufragen. Nur überseht ihrdabei, dass ich nicht von eurer Art bin, also jemand, der einen wehrlosenMann umbringt. Etwas, dass euch gut zu Gesicht steht, wie ich auseigener Erfahrung weiß. Nein, ich würde die Entscheidung Gottüberlassen. Ich würde euch ziehen lassen, aber ohne Pferd und Waffen.Der Winter würde euch in der Wildnis überraschen und Gott müsste euchsehr wohlgesonnen sein, damit ihr überlebt. Und bevor ihr jetzt etwasdarauf erwidert, denkt an mein Versprechen.“

Marduq kämpfte einen gewaltigen Kampf mit sich, denn Zurückhaltung,Unterwürfigkeit und Demut waren nicht sein Ding. Am Ende siegtejedoch die Vernunft und er nickte nur, zum Zeichen das er verstandenhatte.

„Mit meiner Erziehungsmethode werdet ihr noch ein angenehmer Gastauf unserer Reise“, wandte sich Eliasar lachend ab und trat zu demwartenden Elbraq.

„Ihr habt doch bloß geblufft, als ihr dem Truchsess damit drohtet ihmGliedmaßen abzuschlagen?“ Wobei man Elbraq durchaus anmerkte,dass er sich dessen nicht wirklich sicher war.

„Der beste Bluff ist der, der keiner ist“, erwiderte Eliasar trocken.

Eindringlich suchte Elbraq nach einem Hinweis von Schwäche beiEliasar, schüttelte ungläubig seinen Kopf und widmete sich dann derFrage, die ihn weitaus mehr interessierte.

„Wird er mich aus meinem Treueeid entlassen?“

„Er ist gemein, hinterhältig, herrschsüchtig und was weiß ich noch alles,aber er ist nicht blöd. Der Truchsess wird die Urkunde unterschreiben, dabin ich mir ganz sicher“, verkündete Eliasar im Brustton derÜberzeugung.

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Bald brannte ein munteres Lagerfeuer und nach und nach trafen alle vonEliasars Leuten dort ein. Später, drehten sich, an mehreren Spießen, diegefangenen Forellen über der Glut. Der Duft, der davon ausging, regtebei den Wartenden die Magensäfte an. Damit die Wartezeit nicht zu hartwurde, schenkte Eliasar Rotwein aus einem Ziegenbalg ein. Das hob dieStimmung, machte gleichzeitig aber auch noch mehr Appetit. Nach demlangen, aufregenden Tag und dem guten Essen war es kein Wunder,dass allgemeine Müdigkeit aufkam, so dass sich alle zur Ruhe begaben.

Die nächsten Tage verliefen in ähnlich, eintönigen Gleichmaß, nur dasses von Tag zu Tag frischer wurde. Der zweite Herbstmonat, Temboriusgenannt, neigte sich seinem Ende zu, und es war nur eine Frage derZeit, wann sie bitterer Frost heimsuchen würde. Doch noch war die Naturihnen wohlgesonnen und so erreichten sie am zehnten Tag des MonatsNoverlem das Dörfchen Kieselfurt an der Thräne. Eliasar lenkte Celebrusneben den Wagen auf dem der gefangene Truchsess saß.

„Marduq, eure Bedenkzeit ist abgelaufen“, wies er seinen Gefangenenohne Theatralik auf das Ultimatum hin.

„Habe ich denn eine Wahl?“, wollte Marduq verbittert wissen.

„Aber natürlich“, ein unterdrücktes Lachen durchbrach Eliasars Worte.„Fast immer im Leben hat man eine Wahl, aber weil einem dieAuswahlmöglichkeiten oft nicht gefallen, glaubt mancher, er habe keineWahl. Ihr habt die Wahl, ob ihr von hier auf einem Pferdrücken denHeimweg antretet oder ob ich euch noch ein Stück mitnehme, um euchdann, in einer euch unbekannten Wildnis, im tiefsten Winter, denRückweg zu Fuß zu gestatten. Das nenne ich eine Wahl, egal wie ihr esseht – also?“

Marduq sah seinen Gegner verdrießlich an und man konnte erkennen,dass ihm die Geschichte nicht schmeckte.

„Wenn ich euch jetzt sage, dass ich euch unausstehlich finde, seht ihrdass dann als Beleidigung an und schlagt mir einen Fuß ab?“

Eliasar lachte herzhaft auf, so dass er zuerst gar nicht antworten konnte.Erst als er kurz nach Luft geschnappt hatte, sah er sich dazu wieder inder Lage.

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„Erstaunlich wie schnell ihr gelernt habt ein wenig vorsichtigeraufzutreten. - Nein, das ist für mich keine Beleidigung, denn ichempfinde das Gleiche für euch, anscheinend das Einzige worin wir unseinig sind. Auf dieser Basis komme ich gut mit euch aus, doch ihr habtimmer noch nicht die entscheidende Frage beantwortet.“

„Ich befreie Ritter Elbraq von seinem Treueeid und entlasse ihn ausmeinen Diensten“, gab sich der Truchsess geschlagen.

Eliasar fasste grinsend in sein Wams und zog eine Rolle Papier heraus.

„Wie gut, dass ich das Dokument schon aufgesetzt habe, so dass ihr esnur noch zu unterschreiben braucht.“ Eliasar wedelte mit der Papierrolleherum und ritt lachend weiter.

„Kommt zurück, ich will doch unterschreiben“, geriet Marduq fast inPanik.

„Ich reite nur in den Ort und suche eine Vertrauensperson, die eurefreiwillige Unterschrift bestätigt“, rief Eliasar über seinen Rücken zurück.

Als die Wagen etwas später in Kieselfurt eintrafen, war Eliasar wiederzur Stelle, befreite Marduq von seinen Fesseln und forderte ihn auf, ihmzu folgen. Langsam ritt Eliasar durch die einzige Straße des Ortes aufdie Schmiede zu.

„Was wollen wir in einer Schmiede?“, ertönte die verwunderte Stimmevon Marduq, er fand keine einleuchtende Erklärung für das Verhaltenvon Eliasar.

„Wie ihr vielleicht mitbekommen habt, sind wir durch die Furt ans andereUfer gelangt. Die Bewohner von Kieselfurt haben sich für dieseFlussseite entschieden, weil ihr Dorf hier auf freiem Land steht und sieeuch keine Abgaben leisten müssen. Sie haben noch nicht einmal einenDorfschulzen, somit ist der Schmied für mich eine durchaus geeignetePerson, um die Auflösung des Dienstverhältnisses zwischen euch undRitter Elbraq zu bezeugen“, klärte Eliasar den Truchsess auf.

Wie es sich für einen Schmied gehörte stand jener vor dem Amboss undblickte den Ankömmlingen nachdenklich, vielleicht sogar ein wenigbesorgt, entgegen. Der grobschlächtige Schmied, ein einfacher, aber

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ehrlicher Mann, nickte Eliasar und Marduq freundlich zu und während siesich auf ihn zubewegten, wischte er mit einem Lappen die metalleneOberfläche des Ambosses ab. Eliasar entrollte das Papier und legte esauf den Amboss. Aus einer Tasche zauberte er ein Tintenfässchen undeine Gänsefeder hervor und stellte, beziehungsweise legte sie daneben.

Der Schmied, der den Baron vom Sehen her kannte, wandte sich zuerstan jenen.

„Darf ich dem Truchsess und euch Fragen stellen, damit ich mit gutemGewissen meine Unterschrift unter das Dokument setzen kann?“

„Aber natürlich guter Mann, ich erachte es sogar als eure Pflicht, unsentsprechende Fragen zu stellen“, stimmte ihm Eliasar zu.

„Kann denn der Mann überhaupt lesen?“, wandte Marduq abfällig ein,bevor der Schmied seine erste Frage stellen konnte.

Der Schmied richtete sich auf und sah dem Truchsess ohne jedeUnterwürfigkeit in die Augen.

„Ich kann lesen“ antwortete er stolz und an den Baron gewandt,„vielleicht erinnert ihr euch nicht mehr daran, doch ihr schicktet uns vorJahren einen Geistlichen ins Dorf, der brachte einigen von uns Lesenund Schreiben bei.“

„Wäret ihr dann so liebenswürdig und würdet das Schriftstück vorlesen.Erstens damit auch ich den Inhalt erfahre und zweitens, um mich davonzu überzeugen, dass eure unglaubliche Behauptung stimmt“, verfielMarduq wieder in seine alte Rolle als Truchsess, wobei er sich einenherablassenden Tonfall nicht verkneifen konnte.

Der Schmied ballte seine gewaltigen Fäuste, als er aber das ruhigeNicken von Eliasar gewahrte, nahm er entschlossen das Papier vomAmboss und las vor.

„Skardyn/Kieselfurt, zehnter Noverlem im Jahre 852. Wir, Marduq vonMurdaq, Truchsess von Urdwain, entbinden Ritter Elbraq von Ellebruchvon seinem Treueeid und entlassen ihn aus unseren Diensten.“

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Zwar las der Schmied nicht flüssig, musste an einigen Stellen auchetwas überlegen, doch am Ende entsprach alles den Schriftzeichen aufdem Dokument.

„Kein Wort von seinem Verrat?“, begehrte Marduq auf.

„Es steht ja auch nicht drinnen, warum Elbraq euch verraten hat. Das ihrgegen jedes Recht verstoßen habt und mich ohne Anklage in den Kerkerwerfen ließet. Das Unrecht was Elbraq beging, das beging er nur, umeine anderes Unrecht aufzuheben. Wollten wir alles aufführen, was unsan diesen Punkt brachte, dann müsste ich ein Buch schreiben, - dazufehlte es mir leider an der entsprechenden Zeit“, erwiderte Eliasarsüffisant.

Marduq schnauft, verkniff sich aber jede weitere Erwiderung. Endlichkam der Schmied zu seinen Fragen.

„Hat man euch mit Waffengewalt oder mit Androhung von Gewaltgezwungen, dass ihr dieses Schriftstück unterschreibt?“, kam er gleichauf den entscheidenden Punkt.

„Nein!“, musste der Truchsess eingestehen, obwohl er gerne etwasanderes gesagt hätte.

Der Schmied nickte und wandte sich an Eliasar.

„Was würdet ihr mit dem Truchsess machen, wenn er nichtunterschreibt?“

„Ich würde ihn zwischen hier und Falkenstein freilassen“, kam dessenprompte Antwort.

„Ja, zu Fuß“, stichelte der Truchsess.

„Nennt mir einen Grund warum ich zu euch entgegenkommend seinsollte, wenn ihr mir in Punkto Dokument nicht entgegenkommt?Außerdem verstehe ich euer ganzes Geziere nicht. Sobald ihr wieder inUrdwain angelangt seid, besitzt dieses Dokument für euch doch sowiesokeinen Wert mehr. Ich tue es doch nur für das Seelenheil von Elbraq.Auch wenn ihr es nicht versteht, dem Mann ist einfach wohler, wenn ihrdieses Schriftstück unterzeichnet.“

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In den Augen des Truchsess war, ob dieser Worte, nur Unverständniszu erkennen. Endlich gab er sich einen Ruck, ergriff die Gänsefeder,tauchte sie in das kleine Tintenfässchen und setzte l seinen Namenszugschwungvoll unter das Dokument. Der Schmied fummelte einenKerzenstummel aus seinem Kittel, zündete ihn an der Glut an, warteteeinen Moment und ließ dann dass flüssige Wachs der Kerze neben denNamenszug des Truchsess tropfen. Marduq verstand den forderndenBlick des Barons und so drückte er seinen Siegelring in das noch weicheWachs. Nachdem der Baron und der Schmied ebenfalls das Dokumentunterschrieben hatten, rollte es der Baron zusammen und ließ es inseinem weiten Umhang verschwinden.

„Schmied, habt ihr vielleicht ein Schwert für den Truchsess?“

„Da hinten stehen einige Waffen, die keinen Besitzer mehr haben“,zeigte der Angesprochene in eine dunkle Ecke.

„Also Marduq, sucht euch eine Waffe und schwingt euch auf euer Pferd,damit ich euer Gesicht nicht mehr länger ertragen muss“, beendete derBaron den offiziellen Teil.

Ungläubig blickte der Truchsess ihn an, ließ sich aber nicht ein zweitesMal auffordern. Zuerst hörte man ihn kramen, dann erklang dassausende Geräusch, welches ertönt, wenn ein Schwert die Luft schnelldurchschneidet. Als der Truchsess wieder ins Licht trat, hatten sichGesichtsausdruck und Körperhaltung auf wundersame Weise verändert,vermutlich lag das an der Waffe in seiner Hand. Schon strahlte er wiederetwas von dieser unglaublichen Selbstgefälligkeit aus, die man getrostauch als Überheblichkeit bezeichnen konnte. Einen Augenblick schien erzu überlegen, ob er sich mit der Waffe in der Hand auf den Baronstürzen sollte. Doch dann grinste er arrogant.

„Vielleicht sollten wir uns das für später aufheben“, flüsterte er so leise,dass ihn niemand außer Eliasar verstand. „Wenn wir uns das nächsteMal sehen, werden die Waffen darüber entscheiden, wer der bessereMann von uns ist.“

„Vermutlich mit einer gewaltigen Übermacht in eurem Rücken“, fügteEliasar sarkastisch hinzu.

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Marduq winkte ab und verließ die Schmiede in Richtung Planwagen.Sein Pferd, dass Gawain bis dahin geritten hatte, war an einen Wagenfestgebunden. Zielsicher steuerte er darauf zu, band es ab und schwangsich behänd in den Sattel. Schnell entfernte er sich, ohne sich auch nurein einziges Mal umzudrehen. Währenddessen wartete der Rest vonEliasars Leuten in der einzigen Schänke, ganz in der Nähe derSchmiede. Als Eliasar zu ihnen stieß, legte er seinem Sohn beruhigenddie Hand auf die Schulter.

„Werden wir den Truchsess eines Tages wiedersehen, Vater?“

„Mit Sicherheit mein Sohn.“

Der Monat Zemborius hatte gerade die Hälfte übersprungen, als dieReisegesellschaft auf dem Gut von Burg Falkenhorst eintrafen. Siehatten länger gebraucht als gedacht, was daran lag, da sie auf halberStrecke, zwischen Kieselfurt und Falkenhorst, vom einbrechendenWinter überrascht wurden. Das Wetter zwang sie dazu, die Wagen zumSchlitten umzubauen, erst danach kamen sie im hohen Schneehalbwegs vorwärts. Jetzt saßen sie alle im großen Speisesaal des Gutesund diskutierten die Neuigkeiten.

„Glaubt ihr, dass uns der Truchsess in Zukunft zufriedenlässt?“, stellteein junger Knecht die unheilvolle Frage, die mehr oder weniger allebewegte.

Sofort setzte ein lautes Durcheinander ein, bis der Baron seine Stimmeerhob.

„Gebt euch nur nicht dieser trügerischen Hoffnung hin. Der Truchsesswird kommen und er wird ein Heer mitbringen, ein großes Heer. MeinerEinschätzung nach wird das wohl noch nicht im nächsten Jahr der Fallsein. Denn ohne die Hilfe der Regentin kann er die Aufgabe auf keinenFall bewältigen. Er muss nach Arthuradon reisen, die Regentinüberzeugen, dann das Heer aufstellen und das dauert alles seine Zeit.Kaum zu glauben, dass das bis zum nächsten Frühjahr zu schaffen ist.Denn, wenn das Unternehmen Erfolg haben sollte, dann müssten sieschon im Frühjahr auf Mhyritrias landen, damit genug Zeit für eineBelagerung von Burg Falkenhorst bleibt, bevor der nächste Wintereintritt. Denn der Wintereinbruch würde ihnen einen Strich durch die

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Rechnung macht. Wenn wir von dieser Überlegung ausgehen, dannsollte uns im nächsten Jahr noch keine Gefahr drohen. Aller Voraussichtbleibt uns also genügend Zeit, um uns auf dieses Ereignis vorzubereiten.Hier und jetzt solltet ihr das Leben genießen, anstatt euch den Kopfdarüber zu zerbrechen. In diesem Sinne, Antus stich ein Fass vomguten Roten an, wir haben etwas zu feiern.“

„Wir haben etwas zu feiern?“, wiederholte der Verwalter, indem er dieWorte extrem in die Länge zog.

„Ja, fragt sich denn keiner von euch, wer die neuen Gesichter in unsererRunde sind?“, erhob Eliasar laut seine Stimme, damit ihn auch jederVerstand. – „Ritter Elbraq wird mein Burgkommandant und übernimmtdie Ausbildung derjenigen, die sich zur Verteidigung der Burg melden.Kate, das junge Mädchen mit den blonden Zöpfen und den blauenAugen, ja die da, sie ist eine hervorragende Köchin. Und hier, der jungeMann heißt Gawain – und er ist mein Sohn. Na Antus, gibst du mir nunendlich recht, dass es etwas zu feiern gibt?“

Nicht nur der Angesprochene sah Eliasar mit großen Augen an, dochdann sprang Antus auf und verschwand im Keller, gefolgt von zweiKnechten. Schnaufend schoben sie das Weinfass auf einem Brett dieTreppe nach oben. Antus schlug den Hahn hinein und schon sprudelteder rote Wein in die bereitgehaltenen Becher. Schnell verbreitete sich dieNachricht von der Rückkehr Eliasars und dass er einen Sohnmitgebracht habe. Bald wusste es jeder im nahegelegenen Dorf, das aufdem Gut eine große Feier stattfand und jeder eingeladen war. Soverwunderte es nicht, dass sich jeder Dorfbewohner, der Laufen konnte,auf dem Gut einfand. Am Ende war der Festsaal knacke voll mitMenschen, doch das tat der guten Stimmung keinen Abbruch. ImGegenteil, es wurde auch noch ein Fass dunkles Bier angestochen, sodass der feuchtfröhlichen Nacht nichts im Wege stand.

Am nächsten Tag, nachdem alle ihren Rausch ausgeschlafen und dieBrummbirnen abgelegt hatten, setzten sich Eliasar, Antus und Elbraqzusammen, um die Situation in Bezug auf den Truchsess zu analysieren.Schnell wurden Pläne aufgestellt und wieder verworfen. Am Ende hattejeder eine Aufgabe, die ihn das nächste Jahr beschäftigen würde. Elbraqhatte sich um die Burg und ihre Verteidigung zu kümmern. Antus musste

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Vorräte anlegen, die in der Burg eingelagert wurden, die weitverstreutenWeiler mussten unterrichtet und Männer zur Verteidigung angeworbenwerden. Eliasar hatte für sich und seinen Sohn beschlossen, dass siesich im nächsten Frühjahr auf den Weg zur Hafenstadt Mhyrnaxmachten, um zum Einen etwas über die Pläne des Truchsess inErfahrung zu bringen, aber auch um Waffen zu kaufen und weitereMänner anzuwerben. Doch das hatte noch Zeit. Über Nacht traf sie derWinter mit voller Wucht, so dass jede Bewegungsfreiheit starkeingeschränkt wurde. In diesen dunklen, kalten Tagen saßen der Baronund seine Leute viel zusammen, schmiedeten Pläne und wartetendarauf, dass der Winter vorüberging.

Ein erster Frühlingshauch lag am Ende des Monats Rhubar im Jahre 853in der Luft. Gleichzeitig kehrte Thyrogenius aus den Bergen des Anthras-Gebirges zurück, wo er die vergangenen Monate nach dem Geist seinerUrahnen suchte. Gleich bei ihrem ersten Treffen teilte der junge Druideseinem Gastgeber Eliasar mit, dass er sich demnächst auf den Weg zumTurm von Khemona machen wollte. Eine Woche später war der Schneegeschmolzen und Thyrogenius nahm Abschied vom Baron.

„Thyrogenius, ich begleite dich morgen bis zum Gutshof, dort erhältst dueine Ausrüstung. Zuvor werden wir dem Stall einen Besuch abstatten,denn so wie ich dich kennengelernt habe, möchtest du doch sicher dieFuchsstute reiten, mit der ich dich vom Kristallpalast abholte?“

Der Angesprochene überlegte, ob Eliasar die Worte als Frage oder alsFeststellung meinte. Als ihm klar wurde, dass ihm Eliasar die Fuchsstuteschenken wollte, bekamen seine Augen einen seltsamen Glanz undbegannen zu leuchten. Sie begaben sich zu den Stallungen, wo sie vonCelebrus mit lautem Wiehern begrüßt wurden. Thyrogenius ging weiterzur Box, wo die Fuchsstute stand, tätschelte das Tier am Hals undflüsterte ihm etwas ins Ohr.

„Cymano“, so hatte er sie schon damals genannt und erklärt, dass das inder Sprache der Druiden Feuerglanz bedeutete, „wir bleiben zusammen“.Anschließend bedankte sich Thyrogenius bei Eliasar mit einem stillenLächeln und festen Händedruck.

Am nächsten Morgen, einem freundlichen Frühlingstag brachen Eliasarund Thyrogenius in aller Frühe auf. Gertrud und Ruud winkten ihnen

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noch lange aus dem obersten Fenster des Torhauses hinterher.Thyrogenius ritt die Fuchsstute wie kein Zweiter, wobei er weder Sattelnoch Zaumzeug benutzte, Schenkel, Hände und Stimme schienenauszureichen. Nie zuvor sah Eliasar, dass Tier und Mensch eine solcheEinheit bildeten. Auf dem Gutshof angekommen gab Eliasar dieentsprechenden Anweisungen und wenig später ritt der jungeThyrogenius mit zwei prall gefüllten Satteltaschen Richtung Osten. Seinerstes Ziel war die Hafenstad Mhyrnax, von dort wollte er nachKandymar übersetzen, dass gegenüber der Meerenge lag.

Sieben Tage später bestiegen Eliasar, Gawain, John und Gariban einkleines Boot, dass sie auf dem Flüsschen Mydruse bis zum Meer unddem Fischerdorf Seenadel bringen sollte.

VI Schicksalswege

Zufrieden schlug Jonathan das Manuskript zu, während sich Carlottamüde in ihre Kissen einkuschelte. Wie zwei Turteltauben genossen dieBeiden in vollen Zügen ihre liebevolle Zweisamkeit. Vielleicht derHauptgrund dafür, warum die mysteriösen Ereignisse in derTurmkammer immer mehr in Jonathans Gedächtnis verblassten.Natürlich spielten dabei auch noch andere Dinge eine Rolle, zumBeispiel das Jonathan heimliche Vorbereitungen traf, um Carlotta, aberauch seinem gesamten Umfeld eine handfeste Überraschung zupräsentieren. Damit sein Unterfangen auch wirklich bis zum letztenAugenblick eine Überraschung blieb, tarnte er das Ganze alsSommerfest.

So kam es, dass zum auserwählten Termin, hinter Wullingham-Castle,viele Buden aus dem Boden wuchsen. An ihnen konnten die BesucherRinge oder Bälle werfen, oder mit dem Luftdruckgewehr schießen. Ananderen Ständen konnten die Besucher aus den unterschiedlichstenkulinarischen Angeboten auswählen. Hier gab es einfach alles, wonachdas Herz begehrte oder besser gesagt der Magen verlangte. Nebeneinem Ketten- und einem Kinderkarussell gab es auch Hau-den-Lucas

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für die „starken Männer“. Zwar erhielten einige Honoratioren eineförmliche Einladung, ansonsten hatte Jonathan in der örtlichen Zeitungverkünden lassen, dass jeder eingeladen sei, der gute Laune mitbrachte.So schien es nicht verwunderlich, dass sich zum späten Nachmittagwahre Menschenmassen auf dem Festplatz hinter dem Haus tummelten.Auch die kleine Combo, die auf der Terrasse hinter dem Haus flotteTanzmusik spielte, erhielt regen Zulauf. Das lustigste an der ganzenGeschichte, die wenigsten Besucher kannten ihren Gastgeber vonAngesicht zu Angesicht. In der aufkommenden Dämmerung tauchteneine Unzahl von Lichtern und Lampions das bunte Treiben in einfarbenprächtiges Licht. Und da sich Jonathan nicht unbedingt wie einEarl gab, sondern locker und leger unter seinen Gästen wandelte, warendie meisten ziemlich überrascht, als die Combo einen lauten Tuschspielte und eine, ihnen vollkommen unbekannte Person das Podiumbetrat, um das Wort an sie zu richten.

„Liebe Gäste, verehrte Damen und Herren und auch ihr Kinder, ichmöchte mich persönlich herzlichst bei ihnen bedanken, dass sie sozahlreich erschienen sind und das Fest so wunderbar angenommenhaben. Als Hausherr von Wullingham-Castle begrüße ich sie erst jetztganz herzlich, weil ich mir dachte, Essen, Trinken und Spaß gehen vor.Nachdem sie tüchtig zugelangt haben, möchte ich mich nun doch an siewenden, denn ich muss ihnen mitteilen, dass das Sommerfest hiermitbeendet ist.“

Die meisten Besucher trauten ihren Ohren nicht und viele fragten denNachbarn, ob sie die Worte ihres Gastgebers richtig verstanden hatten.Dann setzte ein lautes Bedauern über das plötzliche Ende desSommerfestes ein, wobei niemand das breite Grinsen des Grafenverstand.

„Aber, aber, liebe Gäste! Es gibt nicht den geringsten Grund zuTraurigkeit, nein wirklich nicht. Ich sagte ja nicht das Fest wäre zu Ende,ich sagte nur, dass das Sommerfest hiermit beendet ist.“ Die Pause dieJonathan einlegte war dazu angetan, dass sich die meisten Besucherverständnislos ansahen, wer sollte das auch verstehen? Doch gleichdarauf sollte allen ein Licht auf gehen.

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„Hiermit erkläre ich meine Verlobungsfeier für offiziell eröffnet“, rief derGastgeber in die überraschte Menge, um endlich Licht in die Sache zubringen.

Für noch mehr Überraschung sorgte das Abschalten des Lichtes. Einigeganz Ängstliche stießen sogar Laute des Erschreckens aus. Doch daging das Licht schon wieder an, nur dass zusätzlich ein hellerScheinwerfer die Stelle beleuchtete, an der sich Jonathan und seineCarlotta den Besuchern präsentierten. Denn lauten Rufen der Gästekonnte Jonathan entnehmen, dass seine Überraschungsaktion durchausgelungen war. Bevor die Stimmung vollends überschwappte, gabJonathan der Combo ein Zeichen und die Musik setzte wieder ein. DerEarl nahm seine Carlotta in den Arm und schwang mit ihr gekonnt dasTanzbein. Viele Gäste ließen sich ebenfalls zum Tanz verleiten, anderekehrten wieder zu Essen, Trinken und Spaß zurück, doch die meistendiskutierten über den gelungenen Streich ihres Earls. Nach dem Tanzkamen die Gratulanten, wobei die ersten Jonathans Bedienstete waren.Henry strahlte übers ganze Gesicht und sagte etwas, so leise, dass esniemand anders hörte. „Versteckspielen endlich beendet?“

Jonathan gab ihm einen Klaps auf die Schulter, dann musste er schondie nächste Hand schütteln. Gegen Mitternacht brachte der extraeingerichtete Fahrdienst die letzten Unentwegten nach Hause,Gelegenheit für Jonathan und Carlotta sich zurückzuziehen.

Ihre erste gemeinsame Nacht in Wullingham-Castle sollte Jonathanunvergesslich bleiben, aber anders als er es sich erträumte. Zwar fingdie Nacht so an, wie es seiner Vorstellung entsprach, nur um in einemAlbtraum zu enden, der leider eine fantastische Nähe zur Realität besaß.Wenn er glaubte zu schlafen, was sollte dann diese rufende Stimme, diesich seiner zum Täuschen ähnlich anhörte. Noch merkwürdiger erschienihm der Umstand, dass sie nach Carlotta rief, die neben ihm im Bett lag.Erschrocken stellte Jonathan, ähnlich einem unbeteiligten Beobachter,fest, dass Carlotta alleine im Bett lag. Nur wo war er?

Carlotta öffnete verschlafen ihre Augen, nur um ebenfalls festzustellen,das ihr geliebter Lord nicht neben ihr im Bett lag. Dafür hörte sie jetztauch seine lockende Stimme, die immer wieder ihren Namen rief. Anlassgenug für Carlotta sich aus dem Bett zu schwingen. Nachdem sie sich

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einen Morgenmantel über und Hausschuhe angezogen hatte, folgte siedem Klang der ihr wohlbekannten Stimme. Wie an einer unsichtbarenLeine zog die Stimme sie in den Turm, in dem sich die verschlosseneKammer befand. Seltsamer Weise war der Bildschirm eingeschaltet undCarlotta konnte in den Raum blicken. Doch noch seltsamer muteteJonathan die folgende Szene an. Sein Körper lag hilflos auf dem Boden,so als wenn er zusammengebrochen war.

„Was ist mit dir mein Geliebter?“, rief Carlotta erschrocken als sie dieHilflosigkeit ihres Verlobten gewahrte.

Als durch die Gegensprechanlage auch noch ein schmerzhaftes Stöhnenerklang, war es um Carlottas Beherrschung geschehen. In ihreraufkommenden Panik versuchte sie verzweifelt die schwere Metalltüraufzuziehen. Doch die Tür rückte sich nicht, sie war fest verschlossen.

„Carlotta Liebling, du musst den Code eingeben“, erreichte sie dieschwache Stimme Jonathans durch die Gegensprechanlage, nur um anEnde die entsprechenden Zahlen hinzuzufügen, „1-9-4-8.“

Dem Wahnsinn nahe, aus Sorge um ihren Geliebten, tippte Carlotta diegenannten Zahlen auf der Tastatur an. Als sie danach amÖffnungsmechanismus drehte, siehe da, da ließ sich die Tür mitLeichtigkeit öffnen. Mit Erschrecken verfolgte der stille Beobachter, dersich nicht sicher war, ob er Jonathan war, denn der lag offensichtlich aufdem Boden, wie Carlotta den Raum betrat. Eigentlich wollte er eine lauteWarnung ausstoßen, doch kein Ton verließ seine Kehle, stattdessenstarrte er wie gelähmt auf das Geschehen. Zur Hilflosigkeit verdammt,musste er mit ansehen wie seine geliebte Carlotta kurz darauf, imgleißenden Licht des Drachenkreises, verschwand. Wie viel Zeit seitdemvergangen war, bis er schweißgebadet in seinem Bett erwachte, wussteer nicht zu sagen. Noch bevor er das Licht anmachte, wusste er, dassdie Stelle im Bett neben ihm leer sein würde. Und tatsächlich seineCarlotta war verschwunden. Bevor er sich von seinem Schreckenerholte, stand urplötzlich die Drude Roxane, aus seinem längstvergessenen Traum, vor ihm.

„Jonathan, Jonathan! Tut mir leid, aber leider hast du alle meinediesbezüglichen Hinweise ignoriert, deshalb musste ich zu diesemletzten, drastischen Mittel greifen. Du hast etwas in meine Welt kommen

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lassen, wodurch alle meine Planungen über den Haufen geworfenwurden. Darum ist es jetzt auch an die, alles wieder in Ordnung zubringen“, wirkte Roxane sehr ungehalten.

Jonathan klatschte sich mehrfach die flache Hand ins Gesicht, in derHoffnung, dass der Albtraum dann verschwinden würde. Doch es halfnichts, dieser Teil schien real zu sein.

„Ich habe keine Ahnung von was hier die Rede ist, sag mir lieber, ob ichträume oder wache?“, gab Jonathan erbost zurück.

„Es ist eher ein Traum“, nahm die Stimme der Drude einen versöhnlichenKlang an, „doch nur, weil ich dich anders nicht erreiche. Ich rede davon,dass du den alten, gebückt gehenden, kleinen Mann in meine Weltgelassen hast und jener gerade dabei ist ein fürchterliches Chaosanzurichten.“

„Du meinst Boris, den Professor?“, schien es Jonathan langsam zudämmern worum es ging.

„Ja, so nennt er sich wohl. Dadurch, dass du ihm gestattet hast durchdas Drachentor zu treten, geschahen Dinge, auf die ich leider keinenEinfluss habe. Darum gib nicht mir die Schuld, dass die Welt hinter demDrachentor in deine Wirklichkeit getreten ist. Alles was zuvor nur indeinem Buch existierte, nahm plötzlich reale Formen an. Der Professorist mit dem Wissen deiner Zeit eine große Gefahr für meine Welt. Ermuss weg und das ist deine Aufgabe ganz allein. Und damit du meineAufforderung nicht weiterhin einfach ignorierst, habe ich mir ein Pfandgeholt“, ließ die Drude keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Worte.

„Du hast Carlotta entführt?“, brach Jonathans Empörung mit Macht ausihm heraus und leise fügte er noch hinzu. „Nie hätte ich es für möglichgehalten, das meine Fantasiewelt zur albtraumartigen Wirklichkeit wird.“

„Deine Carlotta ist freiwillig gekommen“, erklärte ihm Roxane ihreSichtweise. „Jetzt schläft sie in meinem Turm, es liegt an dir, ob siewieder in deinem Bett aufwacht oder hier für ewig schläft.“

„Freiwillig, - das nennst du freiwillig? Du hast sie getäuscht, indem dumeine Stimme imitiertest“, konnte sich Jonathan gar nicht mehrberuhigen. „Ich werde kommen, denn du hast mich in der Hand. Ich

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muss nur noch eine Nachricht hinterlassen, damit man uns nicht alsvermisst meldet.“

„Menschen, so denken nur Menschen. Spar dir die Mühe Jonathan. Egalwann du in deine Welt zurückkehrst, ihr wird es so erscheinen, als wenndu nur einen Wimpernschlag weg warst. Pack deine Sachen und machdich auf die Suche und vergiss nicht den Stab, den magischenSchlüssel, der dir das Schlangentor öffnet“, drängte die Drude zur Eile.

„Du meinst den Stab, der vormals ein Stuhl war?“

„Stuhl? Mag sein, dass er auch mal die Gestalt eines Stuhlesangenommen hatte“, wirkte Roxane etwas ungehalten. „Einst, bevor ichden Stab dem Druiden Arthumalix anvertraute, war er Teil des BaumesUrburmutha. Der Stab erfüllt eher die Funktion eines magischenSchlüssels, der nicht nur verborgene Tore öffnet, sondern sogar dazugeeignet ist den Elementen seinen Willen aufzuzwingen. Doch, um einwahrer Meister des magischen Schlüssels zu werden, benötigt seinBesitzer Zeit, meines Wissens weit mehr Zeit als ein Menschenlebendauert. Genug geredet Jonathan, komm endlich in die Gänge, meineWelt ist in Gefahr und ob du es willst oder nicht, du wirst ihr Retter sein.Benutze deinen Verstand, dein Wissen aus dem Buch und denmagischen Stab, dann sollte es dir gelingen. Ach, übrigens, zieh dieKleidung an, die ich dir vor geraumer Zeit schickte und nimm auch denHund und den kleinen Nager mit, sie könnten hilfreich sein.“

Genauso plötzlich wie die Erscheinung der Drude aus dem Nichtsauftauchte, so verschwand sie auch wieder. Jonathan saß vollkommengeschockt in seinem Bett und blickte auf die leere Stelle neben sich. Justin dem Moment kam Bomba mit gesenktem Kopf, die Augenschuldbewusst auf den Boden gerichtet, durch die halb geöffnete Türgeschlichen. Jonathan erkannte sofort, dass der Hund ein schlechtesGewissen hatte.

„Bomba, schon gut, dich trifft keine Schuld. Gegen Drudenzauber sindwir alle machtlos. Pack deine Sachen, wir nehmen die Verfolgung auf“,beruhigend streichelte er seinem Hund über den Kopf.

„Sir, ist alles in Ordnung?“, ertönte auf einmal die Stimme von Henry vomFlur durch die geöffnete Tür.

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„Nein, nichts ist in Ordnung, ich muss verreisen. Während ich michanziehe, könnten sie mir einen Beutel mit Müsli-Riegeln, Nüssen undSchokoladen packen, ach ja und auch für den Hund irgendwasFressbares. Wir treffen uns anschließend in meinem Arbeitszimmer –und bitte keine Fragen“, verspürte Jonathan nicht die geringste Lustirgendwelche Erklärungen abzugeben.

Jonathan begab sich zum Kleiderschrank und öffnete die Türen, hinterder sich seine Trecking-Sachen befanden. Von der Unterwäsche, über T-Shirt, Sweatshirt, Jacke und Hose, Stiefel, bis zum Stetson ausgewachster Baumwolle, bot dieses Schrankteil alles, was den Aufenthaltin der Wildnis angenehmer machte. Rechtzeitig fiel ihm wieder derHinweis der Drude ein und er nahm die Kleidung in Augenschein, die erdamals achtlos in ein Schrankfach legte. Dreiviertel lange brauneLederleggins, deren Hosenbeine an der Seite geschnürt waren, dazueine passende Jacke aus dem gleichen Material, ein breiter Gürtel undpassende Stiefel. Beim Anziehen bemerkte er, dass sich seitlich an denHosenbeinen kleine Taschen befanden, in denen Wurfmesser steckten.

Auch die Jacke barg eine Überraschung. Im stark gepolstertenRückenteil waren zwei Scheiden eingearbeitet, die fast so aussahen, alssollten seine Samurai-Schwerter hineinpassen. Und zwar auf eineWeise, dass er beide Schwerter gleichzeitig ziehen konnte. Das langeSchwert, das Katana musste mit dem Griff nach links unten stecken, daskurze Schwert, das Wakizashi, entgegengesetzt, so dass der Griffrechts oben zeigte. Nachdem er sich angekleidet hatte begab er sich insein Arbeitszimmer und überprüfte seine Annahme. Als wenn dieScheiden genau für seine Schwerter gearbeitet waren, verschwandendie Klingen darin. Mit Bogen und Köcher kehrte er wieder zum Schrankzurück, wo er sein Jagdmesser ergriff, um es am Gürtel zu befestigen.Auch eine Feldflasche und die Gürteltasche für Caligula fanden dortnoch ihren Platz. Wobei er sich nicht erklären konnte, wobei ihmCaligula behilflich sein sollte. Doch wer war er, dass er den Rat einerDrude in den Wind schlug?

Mit gepacktem Rucksack begab er sich zum Käfig des Nagers. Währender seinen typischen Pfiff ausstieß, öffnete er die Käfigtür und hielt dieHand hinein. Gleich darauf erschien der Kopf Caligulas in einemHöhlenausgang des künstlichen Berges. Flink schauten die Knopfaugen

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umher und die spitze Nase kräuselte sich. Als Caligula die forderndeHand seinen Herrn sah, huschte er schnell und gekonnt über dendazwischenliegenden Hindernisparcours, um über Jonathans Hand undArm auf dessen Schulter zu klettern.

„Tut mir leid Calli, das ich deinen Nachtschlaf unterbrechen musste, aberunvorhergesehene Ereignisse zwingen mich dazu“, gleichzeitig steckteer sich noch mehrere Tüten von Caligulas Kraftfutter in die großenJackentaschen.

Als Henry mit fragendem Gesichtsausdruck und den angefordertenNahrungsmitteln eintraf, hielt Jonathan nur den Rucksack auf und Henryließ alles darin verschwinden.

„Calli, du musst jetzt in deine Tasche, der Rücken wird für anderesgebraucht.“

Gleichzeitig machte Jonathan eine Bewegung mit dem rechten Arm,wobei er mit der Hand die Gürteltasche berührte. Geschickt kletterte dieRatte auf diesem Weg in sein tragbares Quartier. Henry quollen fast dieAugen aus den Höhlen als er sah, wie sich sein Lord ausrüstete, fast so,als wenn er in den Krieg ziehen wollte. Unbeeindruckt davon bemühtesich Jonathan auch noch Bogen und Köcher auf seinem Rückenunterzubringen.

„Sir, ziehen sie in den Krieg?“, war es nun doch um HenrysBeherrschung geschehen.

„Ich hoffe nicht, doch es scheint mir schlauer auf alle Eventualitätenvorbereitet zu sein.“ Kurz schilderte er seinem Buttler die Ereignisse. „Sowie es aussieht, ist unser Versuch missglückt, den Zauber desDrachenkreises mittels Stahltür aus unserer Welt zu verbannen. .“

Entschlossen ergriff Jonathan den unscheinbaren Stab, der in einer Eckestand.

„Ich muss diesen Weg gehen, das bin ich meiner Carlotta schuldig.Henry, ihr Platz ist hier“, wurde Jonathan nun deutlich, bevor Henry seineHilfe anbieten konnte.

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„Aber, Sir, was soll ich denn den anderen erzählen, wohin sie undCarlotta verschwunden sind?“ Henry schien von der überraschendenWendung des Schicksals leicht überfordert.

„Ihnen wird schon etwas einfallen“, erwiderte Jonathan leichthin,wohlwissend, dass er für diese Welt nicht länger als einen Augenblickverschwunden sein würde, auch wenn sein Fortbleiben Tage, Wochenoder Monate dauern sollte. „Vielleicht eine plötzliche, geheimeVerlobungsreise“, ließ er seinen armen Buttler dann doch nicht im Regenstehen.

Gemeinsam begaben sie sich zum Turmzimmer, in dem sich dasunheilvolle Tor zu einer anderen Welt befand und tatsächlich diePanzertür stand offen.

„Hinter mir und Bomba wird die Tür wieder verschlossen, ich melde michüber die Sprechanlage, bis dann, und Kopf hoch Henry, wird schonschiefgehen.“

Jonathan, Bomba im Schlepptau, betrat den magischen Raum undwartete bis die Tür verriegelt war. Der unscheinbarer Stab, vor kurzemnoch ein einfacher, roher Stuhl, doch in Wirklichkeit der Schlüssel, derdas Tor nach Asgardun öffnen würde, berührte die Stelle an der Wand,von der er wusste, dass sich dort der Drachenkreis befand. Gleichzeitigmit dem Aufleuchten des Drachenkreises strahlten auch alle anderenmagischen Zeichen auf. Schon drehte sich das magische Tor, in Formdes Drachenkreises, wobei es ständig an Volumen zunahm, während inseinem Inneren eine übernatürliche Lichtquelle aufleuchtete. MitUnverständnis blickt Jonathan auf die Wand, wo sich durch einenunerklärlichen Zauber ein Durchgang in eine andere Welt entstand.Ohne sich noch mal nach Henry umzudrehen trat Jonathan gemeinsammit Bomba ins Licht, wodurch er sofort für das menschliche Augeverschwand.

Übergangslos stand Jonathan mit seinen Begleitern unter freiemHimmel. Nacht umgab sie, staunend betrachtete Jonathan dieleuchtende Pracht des fremden Sternenhimmels. Doch dann blieb seinBlick an den Monolithen hängen, die im Kreis um ihn aufgestellt waren.Als er seinen Blick senkte, bemerkte er, dass er auf einer Steinplattestand, auf der gerade das Leuchten des Drudenfußes an Energie verlor.

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Im gleichen Maße büßten auch die anderen magischen Zeichen, die aufdie Steine gemalt waren, von ihrer Leuchtkraft ein.

Jonathan, du befindest dich auf einem Hochplateau des Drud-Gebirges,nur ein paar Kilometer südlich von Memoria, schien irgendetwas in ihmzu sagen. Hilflos sah er sich um, da er keine Vorstellung besaß wohin ersich wenden sollte, um zur Klosterstadt Memoria zu gelangen. WobeiMemoria nur eine Zwischenstation sein konnte, denn ihm war klar, dasssein Weg nach Arthuradon führen musste, wenn er den Professor findenwollte. Plötzlich ruckte der Stab in seiner Hand, fast sah es so aus, alswollte ihm der hölzerne Stab die Richtung anzeigen. Passend dazubewegten sich seine Füße in die angezeigte Richtung. Kam es ihm nurso vor oder taten seine Füße gerade etwas, wozu sein Gehirn noch garkeinen Befehl gab?

„Ziemlich verrückt, ein solches Navigationsgerät. Doch was ist an dieserGeschichte schon normal? Komm Bomba das Abenteuer ruft, auchwenn ich viel lieber in meinem Bett neben Carlotta liegen würde. Wiesagte ich immer so schön? Das Leben ist keine Wunschsendung. Jetztheißt es sich der Aufgabe zu stellen und diesen schicksalhaften Weg zubeschreiten, der da direkt zu unseren Füßen verläuft.“

Wenig später ertastete Jonathan mit Hilfe des magischen Stabes einenschmalen Trampelpfad, der langsam, aber stetig bergab führte. Auchwenn Jonathan aus der Vogelperspektive nur wenige Kilometer vonbesagtem Kloster entfernt war, so half ihm das nur wenig, einfach ausdem Grund, weil er keine Flügel besaß. Das Schicksal verwies ihn aufden vorgegebenen Weg für Nichtvögel und der war steinig undbeschwerlich. In der Dunkelheit erschien der Weg besondersanstrengend, außerdem erforderte er seine ganze Aufmerksamkeit,wodurch er schnell ermüdete. Eine Weile kämpfte Jonathan gegen dieBeschwerlichkeiten des Weges und seine aufkommende Müdigkeit nochan, doch dann beschloss er eine Rast einzulegen. Einerseits um zuruhen, aber auch um das Tageslicht abzuwarten.

Davon vollkommen unberührt, bemühte sich längst eine geheimnisvolleMacht darum, dass sich die Schicksalswege von Thyrogenius, Williamvon Huntingen, in Begleitung seines getreuen Freundes Kyyraq und demsoeben auf dieser Welt eingetroffenen Jonathan kreuzten.

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Ein Teil dieser angebahnten Verknüpfung bestand darin, dass Williamund Kyyraq schon vor geraumer Zeit durch das Stadttor von Kandymarritten. Die westlichste Hafenstadt von Askalan, die man auch das Tornach Mhyritrias nannte. Wolf, der keine große Lust auf eine Stadt mitseinen Häusern und Menschenansammlungen verspürte, war im Wald,ein Stück vor den Stadttoren, zurückgeblieben. Sein Instinkt sagte ihmnur zu genau, dass er für das Stadtleben nicht geschaffen war.

Entgegen Wolf, der auf seinen Instinkt hörte, machten William undKyyraq sehr schnell die Erfahrung, dass die Uhren in Kandymar anderstickten als im Rest von Askalan. Hier war wenig vom Einfluss derHauptstadt Askalans, dem Königssitz, zu spüren. Das lag zum einen ander Wesensart der Menschen der Mark Whallymar, aber auch daran,dass der Stadtvogt, ein alter, besonnener Mann, seine Gefolgsleute nuraus Einheimischen rekrutierte. Somit war fast alles beim Alten geblieben,außer dass die Abgaben nach Arthuradon flossen.

William drückte den beiden Posten am Stadttor je einen Kupfnic in dieHand und schon konnten sie passieren, ohne dass irgendwelchenervigen Fragen gestellt wurden. Sie folgten ihren Nasen und demunverkennbaren Geruch, der von jedem Hafen ausging. Bald teilten sieden Weg mit Menschen die Lasten trugen, vollbeladenen Karren, die vonMenschen oder den unterschiedlichsten Tieren gezogen wurden oderauch nur solchen Menschen, die etwas kaufen wollten oder auf derSuche nach Arbeit waren. Wie jede Hafenstadt war Kandymar einSchmelztiegel der unterschiedlichsten Menschen aus Nah und Fern. DaWilliam und Kyyraq hoch zu Ross saßen, hatten sie natürlich einen weitbesseren Überblick als die Fußgänger.

William hatte es sich in den Kopf gesetzt, ein Quartier direkt am Hafen zusuchen, denn nirgendwo verbreiteten sich die Nachrichten aus aller Weltschneller als dort. Endlich fand sein umherschweifender Blick etwasPassendes. Direkt am Kai, zwischen zwei großen Lagerhallen, versprachein Schild Trinken, Essen und Quartiere. Der Schuppen hieß zum„Letzten Ausguck“ und über der Tür befand sich tatsächlich einsogenanntes Krähennest. Vermutlich von einem abgetakelten Schiff.William hielt genau darauf zu, wobei er Kyyraq ein Zeichen zum Wartengab. Vor dem Gasthaus schwang er sich aus dem Sattel undverschwand durch die Eingangstür. Obwohl erst vormittags, hielten sich

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einige, nicht ganz vertrauenswürdige Gestalten im schummrigen Lichtdes Schankraums auf. Hinter der Theke blickte ein bärtiger Mann mitAugenklappe hoch, augenscheinlich der Wirt. William verhandelte kurzmit ihm, dann schlug der Wirt mit der flachen Hand auf den Tresen undein junger Bursche sprang dahinter hervor. Der Wirt blaffte ihm ein paarAnweisungen zu und der Bursche folgte William nach draußen. Dortzeigte William dem Burschen eine kupferne Münze.

„Willst du noch mehr davon?“ Der Bursche nickte aufgeregt. „Du lernstseine Geschwister kennen, wenn du dafür sorgst, dass die Pferde gutesFutter und ausreichend Wasser erhalten.“ Mit einer Hand schlug Williamauf seine Geldbörse mit der anderen schnippte er dem Burschen denKupfnic zu, den dieser geschickt auffing und sofort in seiner Kitteltascheverschwinden ließ. Der Bursche nickte nochmals, ergriff die Zügel derPferde und führte sie durch eine schmale Gasse zum Stall, deraugenscheinlich gleich hinter dem Gasthaus lag.

„Aber nicht schummeln, ich passe auf!“, rief William dem jungenBurschen noch hinterher, bevor er Kyyraq ins Gasthaus folgte.

Als William in Begleitung Kyyraqs den Schankraum das zweite Mal betratrief eine neugierige Stimme. „Seid ihr Jäger?“

Kein Wunder, dass die Leute auf eine solche Idee verfielen, dennWilliams ungewöhnlicher Bogen und der mit Pfeilen gefüllte Köcherließen eine solche Annahme durchaus zu.

William blieb kurz stehen und sah einmal in die Runde. „Egal was wirsonst sind, wir gehören auf jeden Fall nicht zu denjenigen, die neugierigeFragen mögen?“

Ein einzelner, unterdrückter Lacher war die Antwort, ansonsten schienman seinen Hinweis verstanden zu haben. Kyyraq steuerte auf einenTisch am Rande des Schankraums zu, von wo aus sie den ganzenRaum überblicken konnten. Vielleicht durch Williams Stehenbleiben, sahKyyraq den großen, kräftigen Mann zu spät, der mit einem großenBierkrug in der Hand seinen Weg kreuzte. Obwohl Kyyraq nochversuchte ihm auszuweichen, rempelte er ihn leicht an, so dass dessenvoller Bierkrug etwas überschwappte. Erbost knallte der Mann denBierkrug auf den nächsten Tisch, um sich wutschnaubend dem Rempler

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zuzuwenden. Seinem hochroten Gesicht konnte man entnehmen, dasser unbedingt Dampf ablassen wollte. Zumindest wollte er den Remplerbeschimpfen und sollte sich die Gelegenheit ergeben, dann würde ervielleicht sogar handgreiflich werden. Gerade wollte der Erbosteloslegen, als er den eiskalten, warnenden Blick seines Gegenübersgewahrte.

„Ruhig Blut Bruder“, griff William beschwichtigend ein, da er keinAufsehen erregen wollte. „Ein versehentlicher, unglücklicherZusammenstoß, ich gebe euch gerne ein neues Bier aus.“

Der angerempelte Mann schnaufte unschlüssig, als ihm aufging, dass erum sein Vergnügen gebracht werden sollte.

„Anscheinend hat dein Partner nicht nur Tomaten auf den Augen,sondern auch keine Zunge im Mund, um sich selbst zu entschuldigen“,stichelte er, vermutlich weil er sich selbst noch nicht ganz schlüssig war,ob er sich nun mit dem schweigsamen Nordmann anlegen sollte odernicht.

„Woher weißt du?“, spielte William den Erstaunten, „meinem Partner fehlttatsächlich ein Stück Zunge. Die Geräusche die er mit dem Restverursacht, wenn er zu sprechen versucht, klingen fürchterlich undwürden dich vielleicht sogar erschrecken. Also lasst gut sein undbegnügt euch mit meiner Entschuldigung oder lasst es, aber geht endlichaus dem Weg“, ließ William endlich durchblicken, dass er nicht etwa ausFurcht vor einer Auseinandersetzung das freundliche Angebot machte.

Endlich schien dem Mann zu dämmern, dass sich der Fremde nicht beiihm entschuldigte weil er Angst vor ihm hatte. Verunsichert, ob dieserErkenntnis, nahm er seinen Bierkrug und verzog sich an einen weitentfernten Tisch. Unauffällig hatten alle Anwesenden den kleinen Disputverfolgt, wobei einige enttäuscht wirkten, dass es zu keiner Raufereikam. Als der Wirt William und Kyyraq die bestellten Bierkrüge auf denTisch stellte, flüsterte er ihnen zu.

„Ihr seid anscheinend neu in der Stadt. Der Kerl ist ein übler,stadtbekannter Schläger, dass hätte ins Auge gehen können. Wenn icheuch einen Rat geben darf, haltet euch aus allem heraus.“

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William grinste ihn an. „Genau das ist unsere Absicht, Hauptsache alleanderen halten sich auch daran.“

Kurz darauf servierte ihnen der Wirt Hammelbraten mit grünen Bohnenund frischem Brot. Die Portion war gut und reichlich und William spürteeine große, aufkommende Müdigkeit.

„Kyyraq ich sehe noch nach den Pferden, dann haue ich mich aufs Ohr.Halte du, die deinen offen, aber halte dich aus allem heraus.“

Der Angesprochene nickte verstehend, wobei er die Unschuldsmineeines Engels zur Schau trug. Im Stall fand William sofort die Boxen mitihren Pferden, schließlich waren es zurzeit die einzigen, untergestelltenTiere.

„Na Leon, bist du gut versorgt worden?“ Liebevoll tätschelte er seinemReittier die Schulter und streichelte seinen Hals. Sein Pferd antwortetemit einem freudigen Schnaufen, zusätzlich stupste ihm das Tier noch dieNüstern ins Gesicht.

„Gut zu wissen, dass der Bursche seine Arbeit ordentlich erledigt“, stellteWilliam zufrieden fest. „Leon, dann nutz die Zeit und ruh dich aus.Genieße einfach das Hotelleben, wer weiß, was die Zukunft für unsbereit hält?“

Beim Verlassen des Stalles stieß er fast mit dem jungen Burschenzusammen. „Hoppla, junger Mann! Warum so eilig, mein Pferd sagte mirgerade, dass du alles zu seiner Zufriedenheit erledigt hast.“

Grinsend zog der Bursche zwei Möhren aus seiner Tasche. „Ich habenoch nie ein so schlaues Pferd versorgt, aber dass es sprechen kann,das ist mir dann doch entgangen, Herr.“

„Aber davon kannst du getrost ausgehen. Natürlich spricht es nicht inunserer Sprache, doch wenn man die Pferdesprache versteht, dannbekommt man ganze Geschichten zu hören.“ Blinkend flog wieder einKupfnic durch die Luft und verschwand auf wundersame Weise in derHand des Burschen.

„Wie heißt er?“, verlor der Bursche seine Schüchternheit vollends.

„Schau ihn dir doch an, wie würdest du ihn nennen?“

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„Herr, dein Pferd hat Fell und Mähne eines Löwen und seineKörperhaltung und sein Blick zeugen von Mut, ich würde ihn Löwenennen.“

„Siehst du Junge, was dir das Pferd schon alles erzählt hat. Genau dasdachte ich auch und deshalb heißt er Leon. Aber mal etwas ganzanderes. Es könnte sein, das der Tag kommt, an dem mein Partner undich schnell und plötzlich verschwinden müssen. Wie erreiche ich dich,damit wir die Pferde schon gesattelt und gezäumt vorfinden?“

„Ganz einfach Herr, drei kurz Pfiffe und die Pferde sind imHandumdrehen reitfertig.“

„Gut zu wissen mein Junge. Sollte der Fall jemals eintreten, dann liegtder entsprechende Lohn unter meinem Kopfkissen“, stellte ihm Williamein zusätzliches Geld in Aussicht.

Zufrieden, aber Hundemüde, verließ er den Stall und begab sich auf ihregemietete Kammer. Mit Erstaunen stellte er fest, dass Kyyraq schonanwesend war. Sein Partner stand am offenen Fenster und betrachtetedas bunte Treiben auf den Piers. Willams Müdigkeit verhinderte, dass ernoch ein Gespräch anfing, stattdessen fiel er auf sein Lager und schliefsofort ein. Als er erwachte war es ziemlich dunkel in der Kammer,obwohl ihm sein Gefühl sagte, dass es schon früher Morgen seinmusste. Gleich darauf ging ihm ein Licht auf. Kyyraq hatte die hölzernenFensterläden geschlossen und verriegelt. Genau genommen war esdieses Sicherheitsbedürfnis von Kyyraq, das für sein Aufwachenverantwortlich zeichnete. Denn die Luft in der Kammer war zumSchneiden und es lag ein unangenehmer Geruch über allem.

William ging ein Licht auf und ein gequältes Grinsen durchzog seinGesicht, als er sich an die grünen Bohnen und das Hammelfleisch mitviel Zwiebeln und Knoblauch erinnerte. Schnell waren die Fensterlädenaufgestoßen und eine frische Meeresbrise vertrieb den Gestank. Tiefatmete William die frische Meeresluft ein und stellte mit Verwunderungfest, dass an den Piers schon wieder Betrieb herrschte. Gerade setzteeines der Frachtschiffe Segel, um seine Reise in die weite Weltanzutreten. Bei zwei weiteren Schiffen wurden letzte Güter an Bordgebracht, während auf dem Deck rege Betriebsamkeit herrschte. Wienicht anders zu erwarten setzten auch sie bald darauf Segel, um dem

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Führungsschiff zu folgen. Als sich ihm eine bekannte Hand auf dieSchulter legte, da wusste er, dass auch Kyyraq seinen Schlaf beendethatte. William drehte sich um und erkannte die unausgesprochene Fragein den Augen seines Freundes. Was machen wir hier eigentlich?Nachdem William eine Weile versonnen in sich hineingehorcht hatte, gaber seinem Gefährten die passende Antwort.

„Wir haben zwar unsere Verfolger abgeschüttelt, doch mir erscheint esratsam, dass wir etwas länger von der Bildfläche verschwinden. Und wokann ein Mensch besser untertauchen als unter Menschen? Aber das istnoch nicht alles. Ein unbestimmtes Gefühl sagt mir, dass wir hier einenHinweis erhalten, der uns sagt wie es weitergeht.“

Kyyraq zuckte verständnislos mit den Schultern.

„Ich kann es dir nicht mit Worten erklären, Kyyraq. Doch was haben wirschon zu verlieren? Lass uns einfach ein wenig die menschlicheGesellschaft und die Zivilisation einer Stadt genießen und abwarten.Vielleicht lernen wir Menschen kennen, die so denken wie wir?Spätestens, wenn unsere Häscher auftauchen und rumschnüffeln,machen wir eine Flocke und verziehen uns wieder in die Wildnis -einverstanden?“ William hielt Kyyraq die Hand hin und sein Gefährteschlug ein.

In der folgenden Zeit durchstreiften sie die Stadt, sperrten die Ohren aufund genossen es jeden Tag ein warmes Essen vorgesetzt zu bekommenund in einem Bett zu schlafen. Tag für Tag wiederholte sich ihrunauffälliges Streifen durch die Gassen und das Augen und Ohrenoffenhalten, ohne dass sie einen entscheidenden Hinweis erhielten.Vermutlich lag es einfach daran, dass sie Fremde waren und blieben, zudenen die Einheimischen einfach kein Vertrauen fassten. So verging derWinter ereignislos, so dass sich sogar William langsam fragte, auf was ereigentlich wartete.

Wie so oft stand William mal wieder am Fenster und beobachtete dasTreiben vor der Hafenkneipe, an den Piers. Kurz zuvor hatte einbauchiges Handelsschiff am Pier angelegt. Staunend betrachtete er dieungewöhnliche Konstruktion, die es den Passagieren ermöglichte, dasSchiff bequem, mit ihren Pferden, durch eine Seitenöffnung zuverlassen. Gerade wollte sich William abwenden, als ein junger Bursche,

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mit einer ungewöhnlich roten Fuchsstute, aus dem Bauch des Schiffes,die Planken zum Pier betrat. Wie in jedem Hafen lauerten auch hierüberall dunkle Gestalten herum, immer auf eine Gelegenheit wartend,leichte Beute zu machen. Diesen Subjekten schien jener, gerade demKnabenalter entwachsene Bursche, als eine solche Gelegenheit zuerscheinen. Einer der Halsabschneider wollte die Zügel der Fuchsstuteergreifen, worauf seine Hand schmerzhafte Bekanntschaft mit einemHolzstab machte, den der Bursche gut zu gebrauchen wusste. Damitschien das Schicksal des Burschen besiegelt zu sein, denn dieHerumlungernden zückten ihre Messer und kreisten ihn ein. Geradewollte William sein Schwert ergreifen und hinuntereilen, um in denungleichen Kampf einzugreifen, als er verblüfft den Mund öffnete. Nichtnur, dass sich der Bursche blitzschnell bewegte, nein, er handhabte denStock so geschickt, dass plötzlich vier Messer klappernd auf den Bodenfielen. Als einer der Angreifer sein Messer aufheben wollte, bekam eretwas mit dem Stab auf den Kopf. Die Haltung des Burschen ließ keinenZweifel daran, dass jeder, der das Gleiche versuchte, ebenfalls mit demharten Stab Bekanntschaft machen würde. Ungläubig sahen sich dieÜbeltäter an, doch niemand wollte der erste sein, der sich dieschmerzhafte Lektion abholte. Bedeppert kniffen sie ihre Schwänze einund verschwanden in der dunklen Gasse aus der sie gekommen waren.Ungerührt schob der Junge mit einem Fuß die Messer über den Pier, bissie plumpsend ins Wasser fielen. Gerade wollte er sich auf seineFuchsstute schwingen, als erneut drei Männer seinen Weg versperrten.Diesmal handelte es sich jedoch um ein anderes Kaliber Mann, nicht umkleine Diebe und Beutelabschneider, nein, William erkannte sofort einenihrer Verfolger aus Memoria wieder.

„Bursche, dein Pferd gefällt mir, ich würde es dir gerne abkaufen,jedenfalls wenn der Preis stimmt“, wurde der Junge von einer derfinsteren Gestalten angesprochen.

Thyrogenius, denn um niemand anderen handelte es sich, sah seineGegenüber freundlich an und schüttelte verneinend den Kopf.

„Ich brauche das Tier selbst und bin an eurem Geld nicht interessiert.“

„Ich hatte nicht vor allzu viel Geld in den Gaul zu investieren“, dabeilenkte der Nordmann den Blick, von dem Angesprochenen, zu einem

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schmalen Spalt zwischen zwei Häusern, wo ein Bogenschütze stand, dermit einem Pfeil genau auf Thyrogenius zielte.

Vom Fenster aus verfolgte William den Blick des Fremden, nur umfestzustellen, das sich bewusster Punkt seinem Blickfeld entzog. Doches gehörte nicht allzu viel Fantasie dazu, um sich vorzustellen, dass sichdie Situation für den jungen Ankömmling auf irgendeine Art dramatischverschlechtert hatte. Nicht nur weil William von Hause aus etwas gegenseine Verfolger hatte, ergriff er den Bogen und legte einen Pfeil auf.Durch sein eingeschränktes Blickfeld blieb es ihm jedoch verborgen,dass der hinterhältige Bogenschütze gerade mit Kyyraq Bekanntschaftmachte und aus dem Spiel genommen wurde.

Thyrogenius, der aufmerksam mit einem Auge sein Gegenüberbeobachtete, mit dem anderen jedoch das Geschehen in der Gasseverfolgte, handelte ebenso schnell. Doch wie schon gesagt, diesmalhandelte es sich bei seinen Gegnern um ein anderes Kaliber, keineinfaches Gesindel, sondern erprobte Kämpfer. Bevor sich Thyrogeniusversah, zogen die Angreifer blank und richteten ihre Schwerter auf ihn.Ohne sich lange mit der Vorrede aufzuhalten, bedrängte ihn jener, derihm am nächsten stand, auch sofort mit der Waffe.

William fand, dass der Zeitpunkt, wo er sich einmischen sollte,gekommen war. Die Bogensehne surrte noch, da brach ein Angreifergetroffen in die Knie. Gleichzeitig ließ William drei gellende Pfiffeerklingen. Und obwohl William schnell den zweiten Pfeil auflegte, schiendas Schicksal des jungen Burschen besiegelt. Gerade holte der Anführerder Nordmänner zum tödlichen Schlag aus, als ihn der schwarze Metall-Ger Kyyraqs vom Diesseits ins Jenseits beförderte. Der dritte Mannwartete nicht solange, bis er ebenfalls ein Opfer der unbekanntenSchutzpatrone des jungen Burschen wurde, sondern ergriff Hals überKopf die Flucht.

William packte ihr weniges Habe und legte einen Silling untersKopfkissen. Beim Durchqueren des Schankraumes legte er drei Sillingauf den Tresen und verschwand Richtung Stall. Direkt hinter ihm stürzteKyyraq mit dem blutigen Ger in der Hand in den Stall. Kyyraqs Pferd warschon reitfertig und auch Leon war gleich soweit. William zog noch den

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Sattelgurt fest, da hatte der Stalljunge Leon auch schon das Zaumzeugangelegt und Kyyraq ihr Reisegepäck an den Pferden befestigt.

„Danke Junge, dein Lohn liegt wie versprochen unter dem Kissen“,bedankte sich William bei dem Burschen, als sie hastig ihre Reittierebestiegen. Gleich darauf preschten ihre Pferde aus dem Stall, um in eineder angrenzenden, schmalen Gassen zu verschwinden.

Inzwischen hatte sich eine Menschenmenge an der Stelle versammelt,an der die beiden niedergestreckten Übeltäter lagen. Natürlich würde derflüchtige, dritte Mann die Obrigkeit aufsuchen und um Unterstützung beider Ergreifung der Täter bitten. Schließlich waren die Verfolger vonWilliam und Kyyraq im Auftrag einer mächtigen Person, aus demDunstkreis der Regentin, auf ihrer Spur. Konnte der Mann auch noch einamtliches Schreiben, einer hohen Persönlichkeit aus der Hauptstadtvorlegen, dann würde er die entsprechende Unterstützung bekommen.Während die Flüchtenden im flotten Trab die Gassen Richtung Stadttordurchquerten, gingen William diese und ähnliche Gedanken durch denKopf.

Kurz vor dem Stadttor schlossen sie zu der Person auf, die das Ereignisauslöste, weshalb sie Kandymar verlassen mussten. Ohne eineAbsprache zu treffen, gaben sie hinter dem Stadttor den Pferden dieZügel frei und brachten im Galopp so viele Kilometer wie möglichzwischen sich und der Stadt. Jedes Mal, wenn sie sich umblickten, zeigtesich der Weg hinter ihnen leer. Noch wurden sie nicht verfolgt. Nach zweiStunden verlangsamten sie ihr Tempo, damit sich ihre Pferde bei einergeruhsameren Gangart erholen konnten.

"Endlich Zeit, um sich bei meinen Rettern zu bedanken“, wand sichThyrogenius an die links und rechts von ihm reitenden William undKyyraq. „Ach übrigens, ich heiße Thyrogenius.“

William und Kyyraq sahen sich, ob dieses ungewöhnlichen Namens,grinsend an.

„Seltener Name“, sinnierte William, um nach einer Pause hinzuzufügen,„ich heiße William und mein Freund Kyyraq. Unsere Hilfe war nicht ganzso selbstlos wie es auf den ersten Blick erscheint. Die Männer, die euchbedrohten, verfolgen uns schon seit längerem und glaubt mir, nicht mit

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ehrbaren Absichten. Wir hätten sowieso aus der Stadt verschwindenmüssen und warum sich nicht mit einer guten Tat verabschieden?“

Als wenn ihnen plötzlich der Gesprächsstoff ausging, ritten sieschweigend nebeneinander her. Längst führte ihr Weg durch weiteGraslandschaften, in der kleine Baumgruppen wie Inseln im Meerstanden.

„Vielleicht sollten wir uns einen Platz zum Lagern suchen, etwasschießen und über dem Feuer braten“, versuchte William das Gesprächwieder in Gang zu bringen.

Thyrogenius drehte den Kopf zur Seite, und sein Gesichtsausdruckverriet, dass er angespannt war, so als wenn er auf irgendetwaslauschte. „Keine gute Idee. Wir werden verfolgt und sollten lieber nacheinem Platz Ausschau halten, wo wir uns gegen eine Übermacht gutverteidigen können. – Du meinst das ist unmöglich“, wand sichThyrogenius unversehens an Kyyraq, was ein gewisses Erstaunen beidem Nordmann auslöste, trotzdem nickte er zustimmend.

William verfolgte ungläubig den seltsamen Dialog und fing an zubegreifen, dass der Bursche mehr war, als ihnen das äußereErscheinungsbild glauben machen wollte. Thyrogenius Aussage führtedazu, dass sie wieder das Tempo erhöhten, wobei sie sich suchendnach einem geeigneten Platz umblickten, der ihnen Gewähr bot, dass siesich dort gegen eine Übermacht verteidigen konnten. Aber erst als sieein kleines Wäldchen passierten, erblickten sie etwas Entsprechendes.Ein gewaltiger Felsfinger aus Kalkgestein durchstieß den grünenGrasteppich, um sich dem Himmel dreißig Meter entgegenzustrecken.Nicht weit entfernt vom schroffen Felsen plätscherte friedlich einBächlein dahin. Thyrogenius verstand sofort Kyyraqs fragenden Blick.

„Uns bleibt genügend Zeit die Pferde zu tränken und unsereFeldflaschen und Wasserschläuche zu füllen. Wenn ihr euch umCymano kümmertet, dann könnte ich schon nach einem geeignetenAufstieg suchen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang Thyrogenius vom Pferd undverschwand hinter dem Felsen. Kyyraq ergriff die Zügel der roten

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Fuchsstute und ritt kopfschüttelnd zum Bach. Als sich ihre Blicke trafenmussten Kyyraq und William Lachen.

„Thyrogenius und Cymano, verrückter geht’s nimmer“, stimmte Williamseinem Freund lachend zu.

Während die Pferde soffen, füllten sie zwei Schläuche und ihreFeldflaschen mit Wasser und waren leicht erschrocken, als Thyrogeniuswie aus dem Nichts hinter ihnen auftauchte. Beide hatten sie nichtgehört, wie er sich ihnen näherte.

„Ich habe einen schmalen Pfad entdeckt, über dem man jedes Pferdeinzeln nach oben bringen kann. Ich würde vorschlagen, dass ich dasübernehme, während ihr vielleicht da drüben in dem Wäldchen nochetwas Feuerholz sammelt.“

William und Kyyraq überlegten noch, ob das jetzt eine Frage oderAnweisung von dem jungen Burschen war, als auch schon dieentsprechende Erklärung von Thyrogenius kam.

„Der Pfad ist wirklich schmal und gefährlich, ich verfüge über eine Gabemich den Tieren mitzuteilen. Sie vertrauen mir und werden mir folgen“.

„Da kennst du aber meinen Leon schlecht. Er hört nur auf mich, er wirftjeden fremden Reiter ab“, verkündete William im Brustton derÜberzeugung.

Thyrogenius erwiderte nichts, sondern bewegte sich auf Leon zu,schwang sich in den Sattel, dabei beugte er sich nach vorn, fast sah esso aus, als wenn er dem Pferd etwas ins Ohr flüsterte. Leon lieflammfromm eine Runde, hielt vor William an und ging dann auf beideKnie, als wenn er eine Verbeugung machte. William und Kyyraq standenmit offenen Mündern daneben und brachten kein Wort heraus. Wie aufKommando drehten sie sich um und eilten auf das Wäldchen zu, umFeuerholz zu sammeln. Als sie mit dem gesammelten Feuerholzzurückkehrten, stand nur noch Cymano am Fuße des Felsens unddrehte aufgeregt die Ohren hin und her. Plötzlich stieg die Stute hoch,wieherte hell und stampfte mit den Vorderhufen auf den Grasboden.

„Was hat sie bloß?“ William drehte sich suchend um. „Wolf? - Wolf bistdu das?“ Schon ließ er das Holz fallen und rannte seinem grauhaarigen

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Freund entgegen. Da keiner von beiden auswich, prallten sie heftiggegeneinander und purzelten ins weiche Gras. Während William demWolf durchs Fell strich, fühlte dieser sich bemüßigt seinem menschlichenFreund das Gesicht abzulecken.

„Auch wenn ich vielleicht störe, wir sollten uns langsam zurückziehen,unsere Verfolger treffen in spätestens fünfzehn Minuten hier ein“, ertönteplötzlich die auffordernde Stimme von Thyrogenius. Er schnalzte mit derZunge und sofort folgte ihm Cymano zum Pfad, der um den Felsenherum nach oben führte.

William packte Wolf am Kopf und sah ihm in die Augen.

„Schön alter Freund, dass du uns gefunden hast. Ich habe eine Bitte andich, da oben ist wenig Platz und du machst uns nur die Pferde nervös,außerdem brauche ich hier unten jemanden, der unsere Verfolgerbeobachtet und im richtigen Moment ihre Pferde vertreibt, du verstehstPartner?“

Als wenn Wolf antworten wollte, stupste ihm der Graue mit der kaltenNase gegen die Wange.

„Pass auf dich auf Partner, wir sehen uns“, verabschiedete sich Williamvon seinem vierbeinigen Freund.

Noch seinem grauen Freund nachsehend, hob William das Bündel Holzwieder auf und folgte Kyyraq den schmalen Pfad nach oben auf denFelsfinger. Dabei stellte er fest, dass eine Stelle des Pfades besondersgut geeignet war, um etwaige Angreifer aufzuhalten. Wie Thyrogeniusjedoch die Pferde an der Felsnase vorbeibekommen hatte, blieb ihm einRätsel, denn hier konnte ein einzelner Mann ein ganzes Heer aufhalten.Oben angekommen erkannte William, dass das kleine, bemoostePlateau vielleicht zwanzig Mal dreißig mal zehn Meter maß. Zu seinerVerwunderung wuchs an diesem einsamen, hochgelegenen Ort eineinsamer, kleinwüchsiger Baum, der eine Überraschung für sie bereithielt. Obwohl ungewöhnlich für die Jahreszeit hingen an seinen Zweigenreife Äpfel. Die Pferde hatten schon die Köpfe gesenkt, umherabgefallene Früchte zu fressen.

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„Hier stimmt was nicht, seit wann tragen denn Apfelbäume Mitte Marzenschon reife Früchte“, brachte William seine Verwunderung darüber zumAusdruck.

„Ruhig Blut mein Freund“, schaltete sich Thyrogenius sofort ein. „ImPrinzip hast du natürlich recht, jedenfalls wenn wir uns nicht auf einemDruden-Felsen befänden. Und glaube mir, an einem solchen Ort ist fastalles möglich.“

William schüttelte den Kopf, löste seinen Bogen vom Sattel und ging anden Rand des Plateaus. Zwar drang das laute Geräusch derstampfenden Pferdehufe bis zu ihm nach oben, doch ihre Verfolgerkamen erst ins Blickfeld als sie eine Baumgruppe umrundeten. Bei ihremAnblick verstand William endlich, wie es den Verfolgern gelang soschnell aufzuholen. Sie führten Pferde zum Wechseln mit sich. Ein guterMoment, um ihnen einen Willkommens Gruß zu schicken. Surrendverließ der Pfeil die Sehne und einer der Verfolger trat seinen letztenGang an. Sofort bremsten die anderen Reiter ihre Pferde ab und lenktensie eiligst in die Deckung des Wäldchens.

„War das wirklich nötig?“, erklang die vorwurfsvolle Stimme vonThyrogenius.

„Für mich schon. Diese Männer da unten stehen für jene, die den Auftragzum Mord meines Vaters gaben. Und das alles nur, um sich in denBesitz eines Stück Papiers zu bringen. Sie stahlen mir mein Erbe undnun wollen sie mir mein Leben stehlen, da ich im Besitz von etwas bin,das ihre Schuld beweisen würde.“ Williams Stimme klang bitter undwütend.

Thyrogenius Gesicht bekam einen mitleidigen Ausdruck, als er Williameine Hand auf die Schulter legte, um ihm Trost zu spenden.

„Ich bedauere deinen Verlust", zeigte Thyrogenius sofort seineAnteilnahme, um dann noch eine Druidenweisheit anzufügen. "Doch egalwie viel Menschen du tötest, dadurch wird nichts ungeschehen gemacht.Das Leben ist immer im Fluss, ständig Veränderungen unterworfen. Mirerscheint es fast unmöglich, dass uns das Schicksal dabei immer nursein schönes Antlitz zeigt. Denn das Schicksal hat zwei Gesichter undhin und wieder zeigt es uns dieses andere Gesicht, eher eine

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abstoßende Fratze, die niemanden gefällt. Das Schicksal hat auch zweiHände. Wann immer es uns mit der einen Hand Glück, Erfolg undWohlstand schenkt, kann es uns mit der anderen Hand alles wiederwegnehmen. Das zu verstehen, aber vor allem zu akzeptieren ist fürMenschen sehr schwer. Deshalb hinterlassen Verluste, vor allem vonliebgewonnenen Menschen immer tiefe Wunden auf ihren Seelen. Dochlass dir versichert sein, wenn du willst, dass deine Wunden heilen, dannmusst du deinen Hass besiegen.“

„Bestimmt hast du recht, doch noch bin ich nicht bereit dazu! Zurzeitschreit alles in mir nach Rache. Vielleicht gibt es irgendwann eine Zeitohne Hass, doch jetzt ist die Zeit der Vergeltung.“ Im selben Moment ließWilliam den nächsten Pfeil von der Sehne schnellen und ein Verfolger,der sich zu unvorsichtig zwischen den Bäumen bewegte, schrie getroffenvor Schmerz auf. „Nur damit sie wissen, dass ich wachsam bin.“

„Wenn es dunkel ist, holen wir euch“, brüllte eine wütende Stimme ausdem Wald zu ihnen herauf.

„Lass es mich auf meine Weise machen“, bat Thyrogenius mit sanfterStimme. „Ich besitze eine Viole voller Tropfen, die einen langen, tiefenSchlaf bewirken.“

„Als wenn du so einfach mal zu ihnen hinüber gehen könntest, um ihnendie Tropfen in ihre Becher zu füllen“, verwarf William die IdeeKopfschüttelnd.

„Freund, dir mangelt es an Vertrauen“, klang Thyrogenius Stimme eherwie die eines weisen, alten Mannes, als wie die eines Jünglings. „Siewerden mich nicht sehen und wenn sie erwachen, werden sie sich annichts mehr erinnern, jedenfalls was uns betrifft. Vertrau mir William!“

Als William sich umdrehte, sah er wie Kyyraq heftig mit dem Kopf nickte.Langsam beschlich ihn das Gefühl, dass ihr junger Begleiter über Gabenverfügte, die das Maß des Außergewöhnlichen bei weitem nochübertrafen. Mit einem leichten Kopfnicken stimmte er zu. WoraufThyrogenius sich umdrehte, um auf den schmalen Pfad zuzuhalten.

„Etwa jetzt gleich? Aber es ist doch noch hell“, schien William nun aberdoch überrascht.

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„Aber im Dunkeln kann es ja jeder“, erwiderte Thyrogenius schmunzelndund verschwand hinter der Biegung des Pfades, der um denFelsenfinger herum nach unten führte.

Vom Rand des Plateaus beobachteten William und Kyyraq wie ihr neuerFreund den Wiesenstreifen zum Wald hin überquerte, doch niemand riefihn an oder schoss einen Pfeil auf ihn ab.

„Kyyraq, verstehst du das?“

Der Nordmann, ein wirklich harter Bursche, holte ein heidnisches Amulettunter seinem Wams hervor und bewegte wortlos die Lippen, als wenn erseine Götter beschwor.

„Du hast recht, der Kleine ist unheimlich“, stimmte William seinemFreund zu, legte die Hände vors Gesicht und betete, so wie es ihm seineMutter, eine fromme Frau, vor langer Zeit beigebracht hatte. In diesemMoment vergaß er, dass er seinen vormaligen Glauben längst ausseinem Leben verbannt hatte. Der Glaube hatte Mutter und Vater nichtdavor bewahrt, frühzeitig von ihm gehen zu müssen. Warum sollte es beiihm anders sein? Doch das war in dieser unwirklichen Situationvergessen, da kehrte der Glaube seiner Kindheit ungefragt zurück.

Inzwischen hatte Thyrogenius das Blickfeld von William und Kyyraqverlassen und war hinter dem dichten Strauchwerk des Wäldchensverschwunden. Unbemerkt passierte er zwei Wachen, um kurz daraufdas Lager der Verfolger zu betreten. Dort saßen zwölf hartgesotteneMänner am Lagerfeuer und debattierten darüber, wann und wie sie denAngriff durchführen wollten. Thyrogenius nahm einen Weinschlauch auf,der neben dem Anführer lag und goss eine kleine Menge aus der Violehinein. Dann flüsterte er dem Anführer etwas ins Ohr, worauf jener denWeinschlauch ergriff, seinen Kumpanen zuprostete und ausgiebig trank.Anschließend kreiste der Schlauch, in dem sich ein herber Rotweinbefand. Als der Letzte getrunken hatte, nahm Thyrogenius den Schlauchentgegen, wobei er für den Kerl, der ihm den Schlauch gab, wie derAnführer aussah. Kurz darauf wurden die Männer von einer starkenMüdigkeit ergriffen und einer nach dem anderen versank in tiefen Schlaf.Thyrogenius stupste einige mit der Fußspitze an, doch von keinem kameine Reaktion. Zufrieden machte er sich mit dem Weinschlauch zu denbeiden Wachposten am Rande des Wäldchens auf. Die Beiden

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sprangen auf, da sie davon ausgingen ihren Anführer zu sehen, der siekontrollierte.

„Na Jungs, sauer, dass euch euer alter Hauptmann zum Postendiensteingeteilt hat?“, ließ Thyrogenius die raue Stimme des Anführerserklingen. „Hab euch nicht vergessen, hier auch für euch einen Schluckaus dem Schlauch.“

Eigentlich waren die Männer solche Fürsorge nicht gewohnt, aber gegeneinen Schluck Wein war nun wirklich nichts einzuwenden. Noch währendder zweite Mann trank, bekamen sie weiche Knie und sackten ins Gras.Um den Erfolg komplett zu machen, stimmte Thyrogenius einen leisenGesang, in der uralten Sprache der Druiden an. Langsam krochenMelodie und Worte in die Gehirne der Schlafenden, um alleErinnerungen bei ihnen auszulöschen, jedenfalls solche, die dieVerfolgten betrafen. Anschließend befreite er die überzähligen Pferdevon ihren Fußfesseln und beschwor sie mit einer Formel, damit sie ihmauf dem Fuß folgten. Oben auf dem Felsen stieß Kyyraq seinem FreundWilliam den Ellenbogen in die Rippen.

„Ich sehe es ja Kyyraq, ich habe doch keine Tomaten auf den Augen“,erwiderte sein junger Freund fassungslos.

Beide sahen sie, wie Thyrogenius das Wäldchen Richtung Felsenverließ, wobei ihm die Pferdeherde folgte.

„Pack schon mal unsere Sachen, ich glaube wir brechen noch vormDunkelwerden auf“, erkannte William das Zeichen, das ihnenThyrogenius damit anscheinend geben wollte.

Und so kam es, dass, als Thyrogenius auf dem Plateau bei seinenBegleitern erschien, die Pferde schon gesattelt waren, nur dasZaumzeug musste noch angelegt werden.

„Cymano, noch nie gehört, was bedeutet der Name?“, ergriff William dieGelegenheit, um seine Neugier zu befriedigen.

Thyrogenius schmunzelte, weil er genau wusste, dass William sich auchfür die Bedeutung seines Namens interessierte.

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„Cymano ist druidisch und bedeutet Feuerglanz. Daraus kannst duschließen, dass auch mein Name druidischen Ursprungs ist. Leider istThyrogenius nicht ganz so leicht zu übersetzen. Geist der Alten, trifft dieSache noch am Besten.“

Abwartend blickte Thyrogenius sein Gegenüber an, doch William gabsich keine weitere Blöße, da er sich ertappt fühlte. Grund genug fürThyrogenius sich abzudrehen und das erste Pferd vom Felsen zu führen.Nachdem er das letzte Pferd nach unten gebracht hatte, folgten auchWilliam und Kyyraq. Mit Wohlwollen registrierten die Beiden, dass sichWolf so positioniert hatte, dass die Pferde nicht nervös wurden. Wortlossaßen William, Kyyraq und Thyrogenius auf, um den mystischen Orthinter sich zu lassen. Im letzten Sonnenlicht leuchtete das Fell vonCymano glutrot auf, so als wenn die Stute beweisen wollte, dass sie denNamen Feuerglanz zu Recht trug. Die Männer ritten solange in denuntergehenden Tag wie es die Lichtverhältnisse zuließen. Später stiegensie ab und führten die Pferde noch ein Stück am Zügel. William nutztedie Gelegenheit, um den neben ihm gehenden Thyrogenius mit etwas zukonfrontieren, womit er sich die letzten Stunden geistig beschäftigte.

„Man könnte fast meinen das Schicksal hätte uns zusammengeführt. Wirreiten gemeinsam etwas entgegen, von dem ich keine Ahnung habe wases sein könnte."

Thyrogenius, hörte aufmerksam zu, wobei ein schwer zu deutendesLächeln seine Lippen umspielte. „Für dich mag das so aussehen. MeinWeg ist mir jedoch vorgegeben. Er führt mich geradewegs zum Turmvon Khemona. Wohin euer Weg führt, weiß ich nicht oder wolltest dudamit andeuten, dass ihr mich auch dorthin begleiten wollt?“

William und Kyyraq wechselten Blicke aus denen ihreUnentschlossenheit deutlich herauszulesen war. Zusätzlich zuckteKyyraq hilflos grinsend die Schultern, was so viel hieß wie, ich gehedahin wohin William geht.

„Khemona“, wiederholte William andächtig. „Ich dachte der Turm existiertnur in alten Legenden. Heißt es nicht in der Legende, dass man zuvorein hohes, schneebedecktes Gebirge überwinden und dann einenwiderborstigen Wald durchqueren muss?“

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„Mag sein, doch ich habe nicht die freie Wahl wie ihr. Mir wurde eineAufgabe zugewiesen. Um sie zu erfüllen, muss ich den vorgegebenenWeg beschreiten. Hohe Berge und widerborstige Wälder, kalte Winde,Schnee und Eis, noch bösartige Menschen können mich davonabhalten“, ließ Thyrogenius keine Zweifel daran aufkommen, dass ersich dazu berufen fühlte.

„Sich berufen fühlen ist eine Sache, doch den schweren Weg zubewältigen, ist eine ganz andere. Du kommst von der Insel Mhyritrias,bist jung und unerfahren, was macht dich so sicher, dass du fähig bistdiese schwierige Aufgabe zu bewältigen?“, gab sich William nicht diegeringste Mühe seine Zweifel zu verbergen.

„Ich weiß, dass ich es kann“, war die schlichte Antwort.

William schüttelte den Kopf, der Bursche gab ihm nur Rätsel auf.Thyrogenius kam ihm wie ein geheimnisvolles Buch vor und dasseltsame daran war, je mehr Seiten er von ihm kannte, umso rätselhaftererschien er ihm.

„Kyyraq und ich habe eh nichts Besseres vor und wer kann schon vonsich behaupten, den Turm von Khemona gesehen zu haben? Außerdemscheint es mir sicherer für uns, wenn wir eine Weile verschwinden.Womöglich gibt es auch noch andere Verfolger? Vielleicht vergisst manuns, wenn wir eine Weile verschwunden bleiben“, ging William nichtweiter auf die rätselhafte Natur ihres Begleiters ein.

„Wir sollten ein Nachtlager aufschlagen, sonst stolpert noch jemand undbricht sich ein Bein“, lenkte Thyrogenius die Aufmerksamkeit seinerBegleiter aufs Wesentliche.

Nachdem die Pferde versorgt waren, breiteten die Zweibeiner, unter demdichten Blätterdach eines alten Baumes, ihre Decken aus. EinLagerfeuer verbot sich von selbst, schließlich wollten sie nicht auf sichaufmerksam machen. Thyrogenius holte ein Brot aus seiner Satteltascheund schnitt für jeden eine Scheibe ab. Dazu gab es Äpfel die er auf demFelsfinger gepflückt hatte. Anschließend wickelte sich jeder in seineDecke und versuchte zu schlafen. Wolf reichte als Nachtwachevollkommen aus, denn wer sollte sie schon in dieser undurchdringlichenDunkelheit bemerken, wenn er nicht zufällig über sie stolperte. Kyyraq

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fing sofort zu schnarchen an, doch als ihm Thyrogenius die Hand auf dieBrust legte, verstummte das laute Geräusch, das vermutlich bis nachKandymar zu hören war. Von da an vernahm William von seinem Freundnur noch ruhige, leise Atemgeräusche.

William blickte stumm auf den Sternenhimmel und sann darüber nach,was Thyrogenius alles zu ihm gesagt hatte. Seine Gedanken führtendazu, dass die Sterne am Himmel zu kreisen anfingen, um am Endeeinen Strudel zu bilden. Und als wenn der Strudel Zauberkräfte besaß,zog er Williams Geist in eine unwirkliche, leere, dunkle Welt. Und wie esnur in solchen Welten, die man getrost auch Traumwelten nennen kann,möglich ist, trat er plötzlich aus der Dunkelheit in Isabellas kleineKlosterkammer. Leise weinte die schöne Ex-Königin in ihr Taschentuch,nur um sofort aufzuatmen, als sie ihn gewahrte. Und obwohl es klar seinmusste, dass William nur eine Geisterscheinung war, sprach sie ihnunerschrocken an.

„William, ich brauche dich. Desdemona, die Königin brachte meinenStiefsohn, König Brago um und jetzt trachtet sie mir nach dem Leben.William hilf mir“, flehte sie weinerlich, wobei ihre Stimme zum Ende hinimmer leiser wurde. Dafür hing ihr Weinen und Schluchzen noch eineWeile über der unwirklich, leeren Traumwelt.

„Bleib, doch“, rief William in die Leere, wobei ihn seine eigene, lauteStimme weckte.

„Wer soll bleiben?“, flüsterte Thyrogenius leise neben ihm.

William richtete den Oberkörper auf und erkannte, dass derTagesanbruch nah war. Wie von selbst bewegten sich seine Lippen under erzählte Thyrogenius seinen Traum, aber auch welche Rolle Isabellain seinem Leben spielte.

„Mir scheint, dass sich unsere Wege schon wieder trennen. William, dumusst dem Ruf deines Herzens folgen, es spürt, dass die Frau, die duliebst, deiner Hilfe bedarf“, stellte Thyrogenius sachlich fest.

„Aber es war doch nur ein Traum“, stieß William ungläubig aus.

„Wer weiß das so genau schon zu sagen. In manchen Träumen verbirgtsich das zweite Gesicht. Glaube mir, die Welt besteht nicht nur aus

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Dingen die wir sehen und anfassen können. Vertraue deiner innerenStimme, denn sie zeigte dir soeben den Weg, den du einzuschlagenhast.“

Erst jetzt, wo er Thyrogenius im Dunkeln nicht sah, stieß es William auf,das der junge Bursche mit der ruhigen, abgeklärten Stimme einesweisen Mannes sprach.

„Wer bist du wirklich?“

„Ich bin das was mein Name bedeutet. Ich bin das Vermächtnis derDruiden, gekommen, um das alte Reich Asgardun wieder zum Leben zuerwecken. Doch das bleibt unser Geheimnis.“

William glaubte bei den letzten Worten seines Gegenübers einschelmisches Lächeln herauszuhören. Nur für einen winzig, kurzenMoment ließ ihn der junge Druide hinter den Vorhang blicken, der seinGeheimnis verbarg.

„Thyrogenius, es war mir eine große Ehre ein Stück Weges mit dirgeritten zu sein und gerne hätte ich auch noch den Turm von Khemonagesehen, doch“, William stockte die Stimme.

„William, Kopf hoch. Wer will schon sagen welchen Schachzug dasSchicksal noch mit dir vorhat. Vielleicht spielt die Ex-Königin noch einewichtige Rolle im Kampf um die Wiederherstellung des alten Reiches vonAsgardun. Auf jeden Fall spüre ich es ziemlich deutlich, dass das keinAbschied für immer ist. Meine Geschichte, deine Geschichte und diealler anderen Beteiligten, sind so miteinander verwoben, dass man sienicht trennen kann. Hinzu kommt, dass sich immer da, wo sichSchicksalsstränge begegnen, sie sich mehr oder minder miteinanderverknoten. Wenn du am Ende deines Lebens, deinen Weg wie an einerSchnur zurückverfolgst, dann wirst du erkennen, es sind genau dieseSchicksalsknoten, die zählen.“

So trennte sich Thyrogenius von William und Kyyraq Mitte Marzen imJahre 853. Thyrogenius ritt in westlicher Richtung, wo er bald zwischenden ersten hügeligen Ausläufer des Drud-Gebirges verschwand.Indessen schlugen William und Kyyraq einen leichten Bogen nachNorden, um selbigen Ausläufern aus dem Weg zu gehen.

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*

Mit schlafwandlerischer Sicherheit fand Thyrogenius immer den bestenWeg durch das schwierige Gelände. Bald bauten sich die gewaltigen,immer schneebedeckten Gipfel des Drud-Gebirges vor ihm auf, so alswollten sie ihm den Weg verwehren. Doch kein noch so schwierigerAnstieg konnte ihn aufhalten. Auch der kalte Wind und einsetzender,heftiger Schneefall, in den Höhenlagen, konnten ihn bremsen. Als erdie Baumgrenze passierte, rutschte wie zufällig die Schneelastgeräuschvoll von der letzten Tanne. Von der schweren Last befreitwippten die Äste auf und nieder, so als wenn sie dem einsamen Reiterzuwinkten.

„Netter Zug“, meinte Thyrogenius zu Feuerglanz und winkte dem Baumzurück.

Wind und Wetter trotzend, erreichten Pferd und Reiter den ersten Pass,um von dort in ein geschütztes Tal zu gelangen. Doch das bedeutete nureine kurze Atempause im Kampf gegen die Natur, denn schon bald lagder nächste Aufstieg vor ihnen. Im gleichen Maß, wie ihm die Natur unddie Naturgewalten zu schaffen machten, wuchsen auch seineungewöhnlichen Kräfte. Gemeinsam trotzten Reiter und Pferd denanhaltenden Unbilden. Am dritten Tag blickten sie vom letzten Pass inein riesiges, fast kreisrundes, urtümlich bewaldetes Tal. Vor ihm lag derDrud-Wald. Die alten, mächtigen Bäume des Waldes mussten jedenBetrachter davon überzeugen, dass ihre Wurzeln in mystischer Erdesteckten. Nie hatte eine Menschenhand je einen Baum in diesem Waldgefällt. Seit Anbeginn der Zeit wucherte er wild vor sich hin, kein Wunder,dass er undurchdringlich erschien. Doch so sehr sich Thyrogenius auchanstrengte, der Dunst des Waldes verwehrte ihm den Blick auf den Turmvon Khemona. Während er den langen Abstieg in Angriff nahm, stieg dieSonne höher und höher, bis sich ihre warmen Strahlen durch dennebligen Schleier fraßen. Dabei kamen dem Tagesgestirn kalteFallwinde von den Gipfeln der schneebedeckten Berge zu Hilfe undplötzlich war der Nebelspuk vorbei. Die freie Sicht gab eines der größtenGeheimnisse dieser Welt frei.

„Oh, wer hätte das gedacht“, schien Thyrogenius überwältigt von demwas er sah.

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Denn was sich ihm gerade offenbarte, schien im Gegensatz zu allenNaturgesetzen zu stehen. Der Turm von Khemona war nicht aus Steingebaut, sondern bestand aus einem riesigen, uralten Baumgebilde.Einzelheiten konnte er aus der Entfernung zwar nicht ausmachen, dochvielleicht war es gerade das, was dem Gebilde etwas Mystisches gab.Auf der Talsohle, am Rande des urtümlichen Waldes angekommen, stiegThyrogenius von seinem Pferd. Beruhigend flüsterte er Cymano etwasins Ohr, dann schritt er auf die undurchdringliche grüne Mauer ausBäumen und Strauchwerk zu. Mit Sicherheit ein verwunschener Ort, andem er sich hier befand. Uralte Bäume hatten sich hier versammelt, dieihre schuppigen Borken aneinander wetzten, während sich ihre Ästeknarrend unterhielten. Doch ihn konnte dass nicht abschrecken, er warThyrogenius. Während er einen durchdringenden Gesang in der altenSprache der Druiden anstimmte, stieß er den Stab, den er bei seinemErwachen im Kristallpalast neben sich vorfand, in das weiche Erdreich.Mit jedem Wort steigerte sich die Lautstärke seines Gesangs, so dassam Ende das ganze Tal davon widerhallte. Erschöpft sank er nachBeendigung der Beschwörung auf den Boden, wobei er den Stabumklammerte, wohlwissend, dass ihn der Wald als das erkennen würdewas er war, ein Freund aus uralten Zeiten. Er ergriff die Zügel vonFeuerglanz und schritt auf das Hindernis aus Hecken, Gebüschen undBäumen zu. Feuerglanz schien der Sache nicht zu trauen, denn sie bliebbockig stehen.

„Cymano, nun hab dich mal nicht so mädchenhaft, wo ist denn deinVertrauen in meine Künste geblieben. Musstest du auf unserembeschwerlichen Weg je hungern oder frieren? Was glaubst du wohl wemdu das zu verdanken hattest?“

Ein lautes Wiehern ausstoßend und Kopfschüttelnd, setzte Feuerglanzzaghaft einen Huf vor den anderen. Doch erst als sie mit ihrenNasenspitzen den Waldrand fast berührten, geschah dasUnwahrscheinliche. Die undurchdringliche Wand, welche diePflanzengemeinschaft bildete, reagierte, so dass man glauben konnte,dass ein unsichtbarer Wächter eine Tür öffnete, auf der die Pflanzen nuraufgemalt waren. Plötzlich bildete sich vor ihnen ein schmaler Gang,gerade ausreichend für einen Menschen, der sein Reittier am Zügelführte. Kaum waren Thyrogenius mit Cymano ein paar Schritte in diesen

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verzauberten Wald getreten, da schloss sich der Gang hinter ihnenwieder. Ohne den kleinsten Kratzer davon zu tragen, durchquertenDruide und Tier dass sonst so feindliche Dickicht. Am Ende desungewöhnlichen Weges traten sie auf eine große, kreisrunde Lichtung.Dort, genau in der Mitte der Lichtung, erhob sich der Turm von Khemonamajestätisch in den Himmel. Für Thyrogenius wirkte das Gebilde ausunterschiedlich hohen Baumteilen wie eine gewaltige Kathedrale. Dasslag vor allem daran, dass sich eine Unzahl von Baumstämmen enganeinander presste, teilweise sogar einander umschlangen. Dadurchbildeten sich kleine Türmchen und Lücken wirkten wie Fenster. Die Mittedieses ungewöhnlichen, hölzernen Gebildes wuchs ein Stück höher inden Himmel als der Rest, so dass sie einer Kirchturmspitze glich.

Später würde Thyrogenius erfahren, dass sich im Inneren des GebildesHohlräume ja sogar Treppen befanden. Die Hohlräume glichen Zimmernund manchmal Sälen, die Treppen führten hoch bis in die Spitze.

Beeindruckt von dieser einzigartigen Konstruktion wanderte ThyrogeniusBlick bis ganz nach oben. Trotzdem gewahrte er aus den Augenwinkelndie weißgewandete Gestalt, die aus einer dunklen Öffnung des Turmestrat. Geschwinden Schrittes eilte er auf sie zu, nicht ohne noch ein Wortan Feuerglanz zu richten.

„Die Weide scheint mir groß genug und irgendwo wirst du auch einBächlein finden, also genieße die Zeit und mach dir um mich keineSorgen, altes Mädchen.“

Natürlich wusste Thyrogenius wer die alte, weißgewandete Frau war. Vorihm stand Roxane, die Wächterin von Khemona.

„Wird aber auch Zeit mein Junge“, begrüßte sie ihn. „AchteinhalbJahrhunderte sind eine lange Zeit, überhaupt wenn man keinen Besuchbekommt.“

„Dafür hast du dich aber gut gehalten, Mütterchen. Bis auf deinschlohweißes Haar und ein paar unwesentliche Falten scheint dir die Zeitnichts abverlangt zu haben.“

„Sei nicht so vorlaut Söhnchen, komm lieber her und lass dich drücken.“Roxane schloss ihn in ihre Arme und so verharrte sie längere Zeit imstummen Zwiegespräch. Plötzlich lösten sie sich voneinander.

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„Komm Söhnchen, ich will dir das Innere des Turmes zeigen und danachhaben wir viel zu besprechen“, forderte die Drude ihren Besucher auf.

*

Etwa zur gleichen Zeit legten William und Kyyraq in einemWahnsinnstempo fast den ganzen Weg bis nach Memoria in einemStück zurück. Das Tempo war nur möglich, weil sie die kleinePferdeherde im Schlepptau mit sich führten und alle Stunde dasReitpferd wechselten. Plötzlich bremste William sein Pferd ab undwartete bis Kyyraq es ihm gleichtat.

„Kyyraq es wird bald dunkel, wir sollten noch einmal rasten und Kräftesammeln“, schlug William vor. „Außerdem wird es Zeit einen Plan zuschmieden, wie wir weiter vorzugehen gedenken.“

So dicht vor ihrem Ziel wagten William und Kyyraq kein Feuer zumachen, so saßen sie sich im Dunkeln wie schemenhafte Schattengegenüber. Im selben Moment kam William die niederschmetterndeErkenntnis, dass es für einen solchen Fall keinen Plan gab. Wie auch,schließlich hatten sie keine Ahnung was sie erwartete. Niedergeschlagenwickelte er sich in seine Decke ein und versuchte ein wenig Schlaf zufinden.

Von tiefer Dunkelheit umfangen, fühlte er sich wie ein Gefangener ineinem bedrückenden Alptraum. Daran änderte auch das Säuseln desWindes im Geäst und die Laute nachtaktiver Tiere nichts. Auf denSchwingen, eines dieser nachtaktiven Tiere, flogen seine Gedanken indie Vergangenheit zurück. Doch diese Reise war mit Schmerzverbunden, denn sie erinnerte ihn an den Verlust seines Vaters, seinesElternhauses und seiner gesicherten Zukunft.

Plötzlich hörte er eine leise Stimme. War sie in ihm oder kam sie vonaußen? Auf jeden Fall war linderte sie seinen Schmerz und beruhigteihn, so dass er sich nicht ihren Worten verschloss.

William, sagte die Stimme, alles was du brauchst ist eine Vorstellung vondem was du willst. Diese Vorstellung zeigt dir den Weg den du gehenmusst, damit dein Traum Wirklichkeit werden kann. Dann nimm alle

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Kraft, allen Willen zusammen und gehe diesen Weg. Der Rest ergibt sichvon alleine.

Einen Moment lauschte er noch, doch genauso wie die Stimme aus demNichts kam, so verschwand sie auch wieder. Langsam begriff er, dassihm das Schicksal oder wer auch immer, eine Rolle aufgezwängt hatte,der er sich nicht mehr entziehen konnte. Es machte keinen Sinn demVergangenen nachzuhängen, denn es ließ sich nicht mehr ändern. Zwarwusste er nicht was vor ihm lag, doch er wusste was er wollte. Egal wieunmöglich es im Augenblick erschien, er wollte Isabella. Aber auf jedenFall, koste es was es wolle, wollte er da sein, wenn sie seine Hilfebrauchte. Er dachte so sehr an dieses von ihm geliebte Wesen, dass erplötzlich zu hören glaubte, wie sie, Hilfe heischend, seinen Namen rief,auch wenn das ein Ding der Unmöglichkeit war. Doch Thyrogenius hatteihm aufgezeigt, dass es mehr zwischen Himmel und Asgardun gab, alsMenschen sich erklären konnten. Ohne zu zögern sprang William auf,wobei er, mit einem Klaps der flachen Hand, den fest schlafendenKyyraq weckte.

„Freund, ich habe das Gefühl, dass uns keine Zeit mehr bleibt. Wirmüssen sofort aufbrechen, Isabella ist in Gefahr."

*

Gar nicht so weit von William und Kyyraq entfernt, verlief ein andererSchicksalsstrang, der sich alsbald mit den vorher genannten verknotensollte.

Der Tag hatte gerade begonnen, die Konturen der Berge und Bäumehoben sich langsam vom Himmel ab und auch die gefiederten Sängerfingen an ihn zu begrüßen. Jonathan räkelte sich noch und blinzelte inden aufgehenden Tag, nur um sich plötzlich ruckartig aufzusetzen. DerGrund dafür waren zwei Fremde, die gegenüber von seinem Schlafplatzsaßen und ihn erwartungsvoll anblickten. Suchend blickte sich Jonathannach Bomba und Caligula um. Dass ihm der kleine Nager nicht sofort insAuge sprang, fand er nicht wirklich verwunderlich, doch er hatte erwartet,dass sich die Französische Bulldogge in der kühlen Nacht dicht an ihnkuschelte. Unwillig schüttelte er seinen Kopf, während eine Hand nachdem Griff eines seiner Samurai-Schwerter unter der Decke suchte.

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„Kennen wir uns?“, richtete Jonathan sein Wort unwillig an die beidenFremden, die weiterhin reglos auf dem Baumstamm sitzen blieben.Während er die Beiden intensiv musterte, berührten seine Finger geradeden Griff der verborgenen Waffe.

Der eine Fremde, ein Mann mit kolossalen Körpermaßen, auf dessenbreiten Schultern ein dicker Hals mit mächtigem Schädel saß, schauteihn mit treudoofen Augen freundlich an, wobei er ausgesprochen friedlichwirkte. Der Andere, körperlich das genaue Gegenteil, klein, schmächtig,besaß ein ungewöhnlich schmales Gesicht, welches fast schon spitzzulief, was wohl an seiner langen Nase lag. Die engzusammenliegenden Augen blickten flink umher, was ihn pfiffigererscheinen ließ als den Koloss.

„Aber Boss, wir sind‘s doch“, tönte der schmächtige mit piepsigerStimme, wobei er zwei große Nagezähne sehen ließ, als er den spitzenMund öffnete. Der Koloss wackelte zustimmend mit seinem mächtigenSchädel, wobei seine fleischigen Wangen hin und her schaukelten.

„Nein, nein!“ Unwillig wedelte Jonathan mit einer Hand, als wenn er einTrugbild verscheuchen wollte. „Was ist denn das nun wieder für einverrückter Traum?“

Seiner eigenen Feststellung folgend schloss er wieder die Augen undlegte sich noch mal auf den Rücken. Wenn ich gleich tatsächlichaufwache, dann ist der Spuk vorbei, redete sich Jonathan ein. Nacheiner kurzen Wartezeit kneistete er mit den Augen, nur um festzustellen,dass das ungleiche Paar immer noch geduldig an der gleichen Stelleverharrte. Jonathan stand auf und begab sich zu den Beiden, berührteihre Körper und Gesichter, was jene gleichmütig ertrugen.

„Dann bist du wohl Bomba“, stellte er ungläubig fest, als er den Kolossberührte, „und du Caligula“, dabei legte er die andere Hand demSchmächtigen auf die Schulter. Beide stimmten aufgeregt nickend zu,während Jonathan das seltsame Paar kopfschüttelnd betrachtete.

„Na, dann lasst mal eure Geschichte hören, aber bitte so, dass ich sieauch verinnerlichen kann.“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen“, meldete sich Caligula zu Wort. „Als wirschliefen weckte uns eine Stimme und vor uns stand eine weißhaarige

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Frau, die sich Roxane nannte. Sie sagte, dass du Jonathan, zwei guteFreunde, auf deinem vor dir liegenden, schweren Weg, brauchst. Ja, undsie meinte, da wir das sowieso schon seien, würde sie uns mit einermenschlichen Gestalt und besonderen Fähigkeiten ausstatten. Und wiedu siehst, ist ihr das auf eindrucksvolle Weise gelungen.“

Bomba zeigte seine Zustimmung indem er zufrieden, grinsend mit demmächtigen Schädel nickte, wobei ein Geräusch aus seinem Kehlkopfdrang, dass eher an das Kollern eines Truthahnes erinnerte, als anirgendetwas, dass ihn als ehemaligen Hund kennzeichnete.

„Und warum bin ich nicht wach geworden?“, glaubte Jonathan ein Haarin der Suppe gefunden zu haben.

„Aber Herrchen, was für eine Frage, natürlich weil sie dich nicht rief“,brummte Bomba mit tiefer Stimme und ganz aufgeregt fügte er nochhinzu, „wir können uns auch jederzeit wieder in Hund und Rattezurückverwandeln, ganz wie du willst oder wie es die Situation erfordert.“

„Entschuldigt Jungs, aber das ist doch einfach nur verrückt. Andererseits,da ich hier mit euch rede, scheint was dran zu sein. Was jedoch nichtsdaran ändert, dass ich mich daran erst noch gewöhnen muss. Wasjedoch wiederum nicht heißt, dass wir diese fantastische Möglichkeitnicht in unserem Sinne nutzen werden. Seid mir willkommen Freunde.“

Gleich darauf tat er etwas, was ihm nie zuvor möglich war, er reichteBomba und Caligula die Hand. Die Beiden standen nun ebenfalls auf,reichten sich die Hände, so dass sie mit Jonathan einen kleinen Kreisbildeten.

„Herrchen“, setzte Bomba an, nur um sofort von Jonathan in seiner Redeunterbrochen zu werden.

„Bomba, tu mir einen Gefallen und höre mit diesem Herrchen auf. Ichheiße Jonathan, und nun sag was du zu sagen hast.“

„Schon gut“, im letzten Moment verschluckte er ein erneutes Herrchen,„wie du willst Jonathan. Also Jonathan“, fing Bomba nochmals an,„verlangt dieser bedeutsame Moment nicht einen irgendwie geartetenTreueschwur? Ich fände das jedenfalls angemessen.“

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„Eine gute Idee Bomba. Doch woher nehmen und nicht stehlen? Mir fälltjedenfalls kein passender Spruch auf Bestellung ein“, stimmte Jonathaneinschränkend zu.

„Eine Kette die nie bricht, ein Band das niemals reißt, ein Licht das nieerlischt, so stark soll unser Bund für immer sein“, überraschte sieCaligula, als er, mit piepsiger Stimme, einen dem Anlass angemessenenSpruch vortrug.

„Erstaunlich was Roxane bei dir alles bewirkt hat“, schien Jonathan vonCaligulas geistigen Fähigkeiten tief beeindruckt. „Trotzdem hoffe ich,dass du mehr als nur Sprüche klopfen drauf hast, denn nur mit Sprüchenallein werden wir die anstehenden Aufgaben nicht meistern.“

Sofort blitzte es in Caligulas Augen schlau auf. „Aber natürlich meingroßer Meister. Roxane hat mich mit der Fähigkeit ausgestattet, mich fürkurze Zeit schneller als die Zeit zu bewegen. Was zur Folge hat, dass ichmich für diesen Zeitraum der Wahrnehmung jedweden Lebewesensentziehe.“

„Schwer vorstellbar, kannst du das auch beweisen?“, meldete Jonathanseine Zweifel umgehend an.

Caligula grinste verlegen und holte hinter seinem Rücken das Samurai-Schwert hervor, das eigentlich unter der Decke verborgen liegen sollte.

„Wann? Wie hast du das gemacht?“, stammelte Jonathan. „Du hast dochdie ganze Zeit vor mir gestanden? Unglaublich! Deine Fähigkeit hat meinAuge überlistet. Damit lässt sich bestimmt etwas anfangen“, stellteJonathan zuerst überrascht, dann aber durchaus erfreut fest. Seinfragender Blick traf Bomba.

„Nein“, wehrte jener sofort ab, „mit Caligula Fähigkeiten kann ich nichtmithalten. Roxane meinte nur, dass ich zwar ein kleiner, aber von Hauseaus sehr kräftiger Hund sei. Sie hat meine natürlichen Fähigkeiten einwenig, ach was, gewaltig aufgemotzt. Jetzt besitze ich die Kräfte einesausgewachsenen Elefantenbullen. Steht etwas im Weg oder sollaufgehalten werden, dann bin ich genau der Richtige.“

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„Hm, also eine Art Hulk nur nicht in grün. Gut und schön, doch wie siehtes mit Waffen aus? Oder wollt ihr unsere Gegner mit bloßen Händenerwürgen?“ Jonathan sah seine Partner fragend an.

Grinsend gingen die Angesprochenen zum Baumstamm zurück, auf demsie zuvor saßen, griffen dahinter und als sie sich wieder umdrehten,konnte Jonathan erkennen, dass Roxane durchaus auch daran gedachthatte. Während Bomba eine gewaltige Keule in seinen Pranken hielt, zogCaligula einen Kreuzgurt über seine schmalen Schultern, an dem sichviele kleine Ledertaschen befanden, in denen Wurfsterne steckten. Umzu zeigen, wie geschickt er damit war, ließ er einen Stern in Richtungeines Baumes fliegen. „Das kann ja nun wirklich jeder“, stellte Jonathangelangweilt fest, musste sich jedoch gleich darauf revidieren, als vierweitere Wurfsterne den ersten auf engsten Raum einkreisten. „Schongut, du kannst damit umgehen“, gestand Jonathan seinen Irrtum ein.

Nach einem kleinen Imbiss brachen die Drei auf, um sich auf den Wegnach Memoria zu machen, wobei Jonathan sich einfach von seinemHolzstab leiten ließ. Obwohl der Stab ihnen immer den gangbarsten Weganzeigte, blieb der Abstieg mühselig. Auf eine unheimliche Art schien sieder Stab anzutreiben, denn er duldete kein längeres Rasten. Trotzdemgelangten sie erst bei Einbruch der Dunkelheit in die Nähe des Klosters.Vorsichtig, Bäume und Buschwerk als Deckung nutzend, bewegten siesich auf das Gebäude zu. Gleich darauf wurden sie in ihrer Achtsamkeitbestätigt, denn plötzlich kündigten laute Geräusche das Herannaheneiner größeren Reiterschar an. Schnell zogen sie die Köpfe ein undverschwanden hinter dichtem Strauchwerk. Kaum hatten sie sichunsichtbar gemacht, da preschten auch schon zwölf berittene,waffenstrotzende Nordmänner an ihrem Versteck vorbei.

Jonathan wusste nur zu gut was die Nordmänner vorhatten, schließlichhatte er die Geschichte in seinem Buch niedergeschrieben. Die Kerlewaren unterwegs, um Isabella, die ehemalige Königin von Askalan, zuentführen. Las man von solchen Gewalttaten in einem Buch, so war daseben nur eine schaurige Geschichte, doch wurde sie zur Wirklichkeit undman befand sich mittendrinnen, ohne eine Möglichkeit zum Eingreifen zubesitzen, dann spürte man eine übermächtige Hilflosigkeit und Wut.Jonathan musste sich eingestehen, dass sie leider etwas zu spät kamen,um den Ablauf der Geschichte zu beeinflussen. So blieb ihnen nur die

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Hoffnung, dass etwas Unplanmäßiges geschah. Um für jede Eventualitätgewappnet zu sein, schlichen sie sich näher an das Kloster heran undwarteten auf eine Chance, die sich vielleicht bieten würde.

„Also Freunde keine Heldentaten, wir wollen möglichst ungerupft aus derSache wieder herauskommen“, flüsterte Jonathan seinen Begleitern zu.

Aus sicherer Deckung erspähten sie zwei Schwerbewaffnete die mitFackeln, just in dem Moment, vor dem Eingang des schonfertiggestellten Klostergebäudes, Stellung bezogen. Der größere Teil derBande war schon im Inneren des Gemäuers verschwunden. Kurz darauftauchten fünf von ihnen wieder auf, um zwischen den Häusern vonMemoria zu verschwinden. Die heimlichen Beobachter blieben geduldigin ihrem Versteck, vor allem weil Jonathan zu wissen glaubte, wie dieGeschichte sich weiter entwickeln würde. Bomba und Caligula machtensich nicht so weitreichende Gedanken, sie vertrauten einfach ihremAnführer. Als die fünf Nordmänner nach geraumer Zeit zurückkehrten,konnte Jonathan ihrem lauten Gestreite entnehmen, dass sie sich nichteinig waren, wie es weitergehen sollte. Ein Teil war dafür schnell zuverschwinden, der andere Teil liebäugelte damit, alle Möglichkeitenauszuschöpfen, die das Kloster bot. Mitten in ihrem Gestreite trat derAnführer aus dem Gebäude und machte dem Spuk ein Ende, indem erein Machtwort sprach. Hinter ihm schob einer seiner GefolgsleuteIsabella durch die Tür. Die Entscheidung war also längst gefallen undhieß sofortiger Aufbruch. Die Pferde der Entführer waren noch vor demHaus angebunden, es fehlte also nur noch ein Reittier für Isabella.Während sich drei Mann zu Pferd auf den Weg zum Stall machten,vermutlich um erwähntes Reittier für Isabella zu besorgen, saß der Restschon auf, wobei der Anführer vorerst Isabella zu sich aufs Pferd nahm.

Gerade als die drei Nordmänner, auf den Stall zuhielten, verknüpftensich mehrere Schicksalsstränge, denn William und Kyyraq preschten,wie von Furien gehetzt, auf ihren Pferden, in die Stadt. Beide Seitenerfassten sofort die Situation und gingen aufeinander los. Wobei Williamund Kyyraq einen Tick schneller reagierten, weil sie genau mit einersolchen Situation rechneten. Bevor es zum direkten Zusammenstoßkam, setzten sie Pfeil, Bogen und Speer ein. Obwohl ihre Gegner eingutes Ziel boten, da sie Fackeln trugen, endete der Angriff nicht tödlichfür sie. Die Zielgenauigkeit von William und Kyyraq, litt unter den

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heftigen, schnellen Bewegungen ihrer Pferde. Der Ger von Kyyraq trafein Pferd mitten in die Brust, worauf das Tier strauchelte und sichüberschlug. Der Reiter konnte sich im letzten Moment aus dem Sattelwerfen, anscheinend unverletzt sprang er sofort wieder auf und griff zuFuß an. Durch diese Aktion geriet auch das Pferd des dicht dahinterreitenden Nordmanns ins Straucheln, wobei es seinen Reiter abwarf.Den dritten Angreifer traf ein Pfeil in die Schulter, was ihn dazuveranlasste sein Pferd herumzureißen und laut schreiend den Rückzuganzutreten. William, vor Angst um Isabella, wie von Sinnen, warf alleRitterlichkeit über Bord. Nur so war es zu erklären, dass er dem, sichgerade aufrappelnden Nordmann, im Vorbeireiten einen tödlichenSchwertstreich versetzte, um die Verfolgung des Flüchtenden nicht zuunterbrechen.

Jonathan und seine Freunde hörten zuerst nur ein unverständlichesGeschrei. Erst als der flüchtige Nordmann, seine Kumpane, beim heranReiten, schon von weitem lautstark warnte, begriff Jonathan, dass dasdie Chance war, auf die er wartete. Während der Anführer derNordmänner seine Befehle brüllte, so dass sich seine Gefolgsleuteformierten, sah Jonathan seinen Einsatz gekommen. Er schaltete allestörenden Gedanken ab, konzentrierte sich nur noch auf sein Ziel undplötzlich spürte er die Präsenz seines Meisters. Die Zeit, eigentlich alles,schien stillzustehen.

Jonathan spannte den Bogen, zielte sorgfältig und ließ den Pfeil von derSehne schnellen. Und obwohl die Lichtverhältnisse miserabel waren,sorgte sein Pfeil dafür, dass dem Anführer der Nordmänner die Worte imHalse stecken blieben. Wofür allem Anschein der Pfeil verantwortlichwar, der plötzlich aus dessen Hals ragte. Staunend und mit weitaufgerissenen Augen fiel der Getroffene vom Pferd. Zum Leidwesen vonJonathan schaltete der zweite Mann in der Hierarchie unglaublichschnell. Während er die Zügel des Pferdes ergriff, auf dem Isabella saßund es zur Flucht antrieb, erteilte er gleichzeitig lautstark seine Befehlean die übrigen Nordmänner. Der verletzte Mann riss die Fackeln aus denWandhalterungen, sprang vom Pferd und steckte sie in den Boden, sodass sie verlöschten. In der einsetzenden Dunkelheit konnte Jonathannur noch erahnen, dass sich die restlichen Nordmänner formierten, umden Rückzug ihres neuen Anführers zu decken.

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Die Dunkelheit hielt Jonathan jedoch nicht davon ab auf den PulkNordmänner einen Pfeilhagel abzuschießen. Doch dann stellte er seinenBeschuss ein, da er befürchtete, William und Kyyraq zu treffen, die jedenMoment in den Kampf eingreifen mussten. Achtlos ließ er seinen Bogenfallen und streifte den Köcher vom Rücken, stattdessen zog er seineSchwerter, um sich ebenfalls auf die zurückgebliebenen Nordmänner zustürzen. Bomba und Caligula folgten ihm ohne Aufforderung, in ersterLinie, um ihren Anführer zu beschützen. Caligula nutzte nun seineFähigkeit, um Zeit und Raum ein Schnippchen zu schlagen, was zurFolge hatte, dass zwei Nordmännern mit aufgeschlitzten Kehlen im Sandlagen, ohne dass sie den Sensenmann hatten kommen sehen. Bombahingegen tat das was er am besten konnte, er rannte einfach ein Pferdüber den Haufen, wodurch auch noch ein daneben laufendes Tier insStraucheln geriet. Als die abgeworfenen Reiter sich wieder aufrappelten,stürzten sie sich wutendbrand mit erhobenen Schwertern auf Jonathan.

Doch Jonathan war darauf vorbereitet. Er überließ sich ganz der Präsenzseines Meisters, wodurch er die Attacken seiner Gegner mit einerLeichtigkeit abwehrte, als wenn sein ganzes Leben nur ausSchwertkampf bestand. Geschmeidig, den Gegner immer im Augebehaltend, auch wenn sie nur Schatten waren, bewegte sich Jonathanzwischen seinen Gegnern hin und her, als wenn er auch Augen imHinterkopf besaß. Es waren die Augen seines Meisters, die ihm diesenRundumblick verschafften. Im entscheidenden Moment zuckten seineSchwerter blitzschnell vor und streckten die Gegner nieder. Als wenn ererwachte oder aus Trance zurückkehrte, gewahrte er plötzlich, dass derKampflärm verstummt war. In diese eingetretene Stille klang seineschwere Atmung unnatürlich laut.

„William, Kyyraq“, rief Jonathan die Namen seiner Romanfiguren in dieDunkelheit und um Missverständnisse vorzubeugen fügte er gleich nochhinzu, „ich und meine Gefährten sind Freunde, ich hole jetzt eine Fackel,damit wir gemeinsam das Schlachtfeld in Augenschein nehmen können.“

Allein, dass er die Namen der beiden Männer nannte, sollte ihm so vielZeit verschaffen, um den Platz des Geschehens zu beleuchten.Jonathan hatte sich wohlweislich gemerkt, wo der Nordmann die Fackelnin den Boden steckte. Nachdem er den Sand herausgeklopft hatte hielter sein Sturmfeuerzeug an die Umwicklung der Fackeln. Sofort fing das

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leicht entzündliche Material wieder Feuer und erhellte sein Umfeld.Langsam schritt er zurück zum Schauplatz des Kampfes. Am Randestanden einige reiterlose Pferde, am Boden zählte er sechs regloseGestalten.

„Danke Fremder, wir stehen in eurer Schuld“, sprach Jonathan plötzlichein Schatten von der Seite an.

Als der Sprecher in den Lichtschein der Fackel trat, erkannte Jonathannoch einen weiteren Mann. Wenn Jonathan mit seiner Annahme richtiglag, und so sah es aus, dann handelte es sich bei den Beiden wirklichum William und Kyyraq.

Der Nordmann nahm ihm eine der Fackeln ab und überzeugte sichdavon, dass seine am Boden liegenden Landsmänner in die ehrwürdigenHallen ihrer Ahnen eingetreten waren.

„Fremder, könnt ihr mir sagen, wie vielen Nordmännern die Fluchtgelangte?“, wollte William wissen.

„Nennt mich Jonathan“, dann zeigte er auf seine Begleiter, „meineFreunde, der Kleine heißt Caligula und der Große Bomba. Ja, denn ichbeobachtete, dass zwölf Nordmänner das Kloster überfielen. Sechsliegen hier, neben dem Eingang liegt der Anführer, mit meinem Pfeil imHals, zwei kehrten nicht vom Stall zurück, die habt ihr wohl erwischt.Bleiben drei Nordmänner übrig, die mit einer Geisel auf der Flucht sind“,stellte Jonathan das Ergebnis sachlich fest.

„Von den Dreien ist einer verletzt, mein Pfeil steckte noch in seinerSchulter, als ich ihn das letzte Mal sah“, fügte William noch ein Detailhinzu. „Wenn wir uns ranhalten, könnten wir sie einholen. Ich muss dieGeisel unbedingt befreien, sie darf nicht in die Hände der Regentinfallen, denn die Gefangene ist die Ex-Königin Isabella“

„Keine so gute Idee, ich und meine Begleiter sind nicht wirklich guteReiter. Außerdem könnte die Geisel dadurch in noch größere Gefahrgeraten, wenn wir die flüchtigen Nordmänner in die Enge treiben“,brachte Jonathan berechtigte Einwände vor. „Und woher wollt ihr wissen,dass es sich bei der Geisel um die Ex-Königin handelt?“

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„Ich weiß es eben, das muss euch genügen Fremder. Verdammt, ichkann doch hier nicht nur rumstehen und auf ein Wunder hoffen“, braches aus William zornig heraus.

„Was bleibt euch anderes übrig, wenn ihr nicht das Leben der Geiselgefährden wollt?“, wies Jonathan noch mal nachdrücklich auf dieKonsequenzen hin. „Außerdem liegt es doch auf der Hand, wohin dieNordmänner die Geisel bringen werden. Dort könnten wir sie auch späternoch befreien“, versuchte Jonathan sein Gegenüber zu beruhigen.

Die Worte, so leicht daher gesagt, weckten das Misstrauen von Williamund Kyyraq. Sie waren der Grund, warum William und Kyyraq denSprecher intensiver in Augenschein nahmen.

„Fremder oder Jonathan wie du dich nennst, woher wisst ihr das alles?Schon die Nennung unserer Namen, obwohl ich mich nicht erinnere euchjemals begegnet zu sein, kommt mir seltsam vor. Auch seid ihr seltsamgewandet, auch eure Schieß- und Fechtkunst scheint mehr alsvortrefflich zu sein, gibt es eine Erklärung für all das? Und deineGefährten könnten auch kaum gegensätzlicher sein“, zählte Williamalles auf, was sein Misstrauen erregte.

Kaum hatte er seine Aufzählung beendet, als er Kyyraqs Ellenbogenunsanft in seiner Seite spürte. Nachdem der Nordmann dieAufmerksamkeit Williams besaß, fing er mit Händen und Mimik zu redenan, um seinem Freund etwas mitzuteilen.

„So, so!“, wandte sich William wieder an Jonathan, als Kyyraq seinePantomime beendet hatte. „Mein Partner meint, dass dein kleiner Freundmit seinem Messern besonders gut umzugehen versteht. Traut man ihmeigentlich gar nicht zu, doch zwei tote Nordmänner mit durchschnittenerKehlen sprechen eine eindeutige Sprache.“

Da war genau das, was Jonathan befürchtet hatte - Fragen, auf die erkeine plausible Antwort geben konnte, ohne das Geheimnis zu lüften dasihn umgab. Vor allem, wer würde ihm die Geschichte glauben? Das eineGeschichte, die er zu Papier brachte zu Wirklichkeit erwachte, dass erdurch ein magisches Tor, aus einer anderen Welt hierher gelangte? Erverstand es doch selber nicht, wie sollten andere die Geschichte

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verstehen und glauben? Was blieb ihm anderes übrig, als die Frageeinfach zu übergehen.

„Was sollen deine Frage? Wir haben unser Leben riskiert, um euch zuhelfen, da haben wir wohl ein klein wenig Vertrauen verdient.“ Ohne eineReaktion abzuwarten, ob dieser Abfuhr, lenkte Jonathan die Gedankenseiner neuen Kampfgefährten in eine andere Richtung.

„Haltet ihr es nicht für angebracht endlich im Kloster nach dem Rechtensehen? Menschen könnten unsere Hilfe benötigen.“

Jonathans Ablenkmanöver schien gelungen, denn William nickteverstehend, obwohl er auf seine eigentliche Frage keine befriedigendeAntwort erhalten hatte. Gleich hinter der Tür wurde sie mit dem Anblickder niedergemetzelten, vierköpfigen Wache konfrontiert. Aber wer hatteschon etwas Anderes erwartet? Bevor sie sich damit eingehenderbefassen konnten, lenkten sie laute Rufe ab, die anscheinend aus demKeller kamen. Die so eingeschlossenen Klosterinsassen saßen fest, dadie Übeltäter die Tür einfach mit einem dicken Holzbrett, vormalsvermutlich Teil einer Holzbank, verkeilten. Jonathan gab Bomba mit denAugen ein Zeichen, worauf jener alle beiseiteschob, um das Problem mitroher Gewalt zu lösen. Bomba voll in seinem Element, schlug nur einmalmit seiner Keule zu, was zur Folge hatte, dass der Balken zersplitterteund die Tür sich wieder öffnen ließ. Verängstigte Augen blickten denBefreiern entgegen, bis eine der Nonne William erkannte.

„Schwestern beruhigt euch, wir sind in Sicherheit“, übernahm sie wieselbstverständlich die Führungsrolle.

Später, nachdem die Toten weggeschafft waren und wieder Ordnungherrschte, erstattete selbige Nonne William und Jonathan Bericht,obwohl sich jeder mit ein wenig Fantasie die Ereignissezusammenreimen konnte. Währenddessen fingen Kyyraq und Bombadie unverletzten Pferde des Gegners ein, um sie zusammen mit deneigenen Pferden in den Stall zu bringen. Nachdem alle Tiere versorgtwaren, kehrten sie in das Remter zurück. Hier war man inzwischen zudem Entschluss gelangt die Sache zu überschlafen, um dann eineEntscheidung zu treffen.

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„Glaubt nicht, dass ich meine Fragen, euch bezüglich, vergessen habe“,ließ William Jonathan noch wissen, bevor sie sich trennten.

Als sie am nächsten Morgen ihr Frühstück einnahmen, bohrten sich zweifragende Augenpaare in Jonathans Gesicht, doch er hatte die Zeitgenutzt, um sich eine glaubhafte Legende zurechtzulegen.

„Ist es Misstrauen oder nur Neugier, egal ich will euch eure Fragenbeantworten", lenkte Jonathan ein. "Wie ich schon sagte, mein Name istJonathan und ich komme aus einem fernen Land. Einer unserer Weisen,ihr würdet ihn vielleicht sogar als Zauberer bezeichnen, verstieß gegendie Gesetze, stahl niedergeschriebene Geheimnisse und flüchtete ineuer Land, um Zuflucht bei der Regentin zu suchen. Ich bin geschicktworden, um ihn zurückzuholen und um zu verhindern, dass der Flüchtigeunsere Geheimnisse verrät. Eine schwierige Aufgabe, denn die Regentinwird ihn nicht freiwillig herausrücken. Unsere Spione berichtetenunserem Rat der Weisen auch, dass die Regentin plante Isabella nachArthuradon zu entführen. Auf diese Art will die Regentin die Rebellen,aber auch die königlichen Zwillinge, die sich noch immer bedeckt halten,dazu zwingen, keinen Aufstand zu wagen. Schon allein daraus ergibtsich, dass Isabella nicht in akuter Lebensgefahr schwebt. Darumerscheint es mir schlau, wenn wir uns verbünden, schließlich haben wirfast identische Interessen“, schloss Jonathan seine Legende.

„Bist du für einen Kopfjäger nicht ein wenig zu alt?“, konnte sich Williameine diesbezügliche Bemerkung nicht verkneifen.

„Ich war nicht zu alt um drei Nordmänner zu töten, warum sollte ich fürdie Verfolgung eines Verräters zu alt sein? Die Jugend hat bestimmt ihreVorzüge, doch Wissen und Erfahrung sind durch nichts zu ersetzen.Jetzt zu etwas Anderem, wir brauchen einen Wagen, wie gesagt meineReitkünste nicht besonders und der da“, Jonathans Blick ging zu Bomba,„der kann nicht nur nicht reiten, es gäbe auch kein Pferd dass ihn tragenkönnte."

„Das ist nicht unser Problem, wir nehmen jetzt die Verfolgung auf undbefreien Isabella“, erklärte William ungerührt.

„Und ihr glaubt wirklich, Isabella würde die Aktion überleben? Ihr wolltleichtsinnig ihr Leben gefährden, obwohl ihr die Regentin mit Sicherheit

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nichts antut, da sie die Ex-Königin als Pfand braucht. Ich habeVerbündete in Arthuradon“, log Jonathan frech, „die mir bei derGefangennahme des Verräters und der Befreiung Isabellas helfenwerden.“

Kyyraq schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und als er WilliamsAufmerksamkeit besaß, nickte er heftig und zeigte auf Jonathan.

„Du glaubst wir sollten ihm vertrauen und mit ihm zusammen nachArthuradon ziehen?“ Zweifel schwangen in Williams Stimme. „Abernatürlich könnte Jonathan mit seiner Vermutung recht haben, dass dieNordmänner, in die Enge getrieben, Isabella etwas antun“, nur zudeutlich zeigten Williams Worte auf, das er von seinen Gefühlen hin undhergerissen wurde.

Bevor sie ihre Vorgehensweise weiter erörtern konnten, setzte sich eineFrau zu ihnen, die sie für eine Nonne hielten. Da sie die Kapuze ihrerKutte tief ins Gesicht gezogen hatte, blieb ihre Identität im Verborgenen.Ehe jemand fragen konnte, was sie wollte, ließ ihre glasklare, befehlendeStimme die Männer aufhorchen.

„Ich werde euch sagen wie es weitergeht.“

Erstaunt blickten sich William, Kyyraq und Jonathan an, nur Bomba undCaligula blieben gelassen, denn sie hatten die geheimnisvolleBesucherin sofort erkannt. Langsam zog sich die vorgebliche Nonne dieKapuze vom Kopf und schaute die drei Erstgenannten eindringlich mitihren eisgrauen Augen an.

„Roxane“, stieß Jonathan überrascht aus.

„Du kennst die Nonne?“ William schien nicht so recht zu wissen, wie erdie Situation einordnen sollte.

„Wenig Nonne, sie ist eine Legende, weithin bekannt als die Drude vonKhemona“, teilte Jonathan sein Wissen mit William und Kyyraq.

„Da euer Gefährte meine Identität offenbart hat, werdet ihr mir sicherlicheuer Gehör schenken“, ohne eine Antwort abzuwarten fuhr Roxane fort.„Jonathan und seine beiden Mitstreiter werden ohne euch die Verfolgung

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der Entführer aufnehmen, für euch“, dabei fasste sie William und Kyyraqins Auge, „habe ich eine ebenso wichtige Aufgabe.“

„Aber wie soll denn der alte Mann“, versuchte William seinem neuenVerbündeten die entsprechenden Fähigkeiten abzusprechen, vermutlichum sich selbst ins Spiel zu bringen, „Isabella aus den Händen derSchergen oder den Verliesen der Regentin befreien? Nur mit unszusammen hat er vielleicht eine Chance“, wehrte sich William vehementgegen das Ansinnen der Zauberin.

„Jonathan erhält Hilfe von einem Druiden mit Namen Thyrogenius.Davon ganz abgesehen hängt die Befreiung Isabellas bestimmt nicht vonder Anzahl der Befreier ab. Nur mit List und Geschick wird dasUnterfangen gelingen.“ Bevor Roxane den Faden weiter spinnen konntefiel ihr William schon wieder ins Wort.

„Etwa der selbe Thyrogenius von dem wir uns vor dem Drud-Gebirgetrennten, der auf dem Weg zum Turm von Khemona war, um seineDruidenweihe zu erhalten? Ja, wo ist er denn?“

„William“, bewusst einfühlsam wirkte die Drude auf den jungen Mann ein,schließlich wusste sie von dessen Gefühlen Isabella gegenüber, „wenndu mich mal ausreden ließest, dann würde ich euch alles erklären.Ersten, Thyrogenius ist im Stall und spannt zwei Pferde vor einenWagen, denn wie Jonathan schon erwähnte, sind er und seine Gefährtendes Reitens nicht in dem Maße mächtig, wie es nötig wäre. Außerdembedarf es einer Tarnung, damit sie unbehelligt und unerkannt nachArthuradon gelangen. Seine Tarnung besteht in selbigen Wagen vollerFelle, so dass ihn jeder für einen Fellhändler hält. Ein Schutzbrief derRegentin wird ihm die Tore zur Hauptstadt öffnen und niemand wirdVerdacht schöpfen, dass er ein Rebell sein könnte. Ist er erst mal in derStadt, dann erwartet ihn dort ein mächtiger Verbündeter. Mit dessenHilfe wird er Isabella befreien. Also William, du siehst, die AngelegenheitIsabella ist in besten Händen. Eure Aufgabe ist zeitlich weitausdringlicher."

Um ihnen ihre Aufgabe verständlich zu machen, musste die Drude weitausholen, auf die Ereignisse in Mhyritrias eingehen.

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"Der Truchsess von Urdwain ist Anfang Jenner vor der Regentinerschienen und ersuchte sie um Unterstützung im Kampf gegen denBaron von Falkenstein. Geschickt bauschte er seine privaten Probleme,die er mit dem Baron hatte, zu einem Aufstand auf, der von Mhyritriasausgehend, das ganze Reich überziehen könnte. Die Regentin ließ sichvon ihm einwickeln, vermutlich auch vor dem Hintergrund der altenProphezeiung. Mitte Marzen schiffte sich ein Heer von ZehntausendMann in Menzonaq ein, so dass sie vermutlich jetzt schon in derHafenstadt Mhyrnax gelandet sind. Zum Glück ist es vom Hafen bis zurBurg Falkenhorst ein weiter, beschwerlicher Weg, den sie mit ihremschweren Belagerungsgerät nicht so schnell zurücklegen können.Trotzdem tut Eile Not, damit ihr vor ihnen auf Burg Falkenhorst eintrefft.Zu diesem Zweck erwartet euch ein Schiff mit Waffen und elf wackerenRecken in Lhykantos."

"Was geht mich der Krieg auf Mhyritrias an, ich will Isabella befreien",unterbrach William barsch die Drude.

Zuerst traf ihn ein gestrenger Blick, dann fuhr die Drude unbeirrt fort.

"Ich begleite euch durch den Drud-Wald bis zum Flüsschen Lhy, woeuch ein Floß erwartet, dass euch bis zum Hafen von Lhykantos bringt.Einerseits müsst ihr den Baron von Falkenstein warnen, andererseits ihmdie Botschaft überbringen, dass er das Heer den Sommer über bindenmuss, denn nur dann haben die Rebellen von Asgardun eine Chanceden Aufstand in Gang zu bringen und erfolgreich abzuschließen.

Thyrogenius begibt sich, nachdem er Jonathan bei unseremVerbündeten abgeliefert hat, nach Bersaskan. Die Menschen dort habensich dem Regime von Askalan nie unterworfen. Thyrogenius wird sieveranlassen ihm zu folgen, um die Regentin zu stürzen, damit das alteAsgardun wieder auferstehen kann. Auf ihrem Marsch nach Arthuradonwerden sich die Menschen aus allen Marken dem Aufstand anschließen,zulange leiden sie schon unter dem Joch der Askanier. William, auchwenn du es noch nicht erkennst, aber wir ziehen alle am gleichenStrang. Wobei jeder seinen Fähigkeiten entsprechend seinen Beitragleisten muss.“ Roxane sah William eindringlich an, denn sie wusste, dieanderen musste sie nicht erst überzeugen.

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Nur zu gut verstand William die Argumente der Drude, trotzdem wollteihm die Sache nicht schmecken, aber noch weniger gefiel ihm, dass erkeinen Ansatzpunkt fand, um Widerspruch zu erheben. Williams Mundöffnete sich trotzdem zu einer Erwiderung, doch da traf ihn nochmals dergestrenge Blick Roxanes und verschloss seinen Mund.

„Ich bin mir dessen durchaus bewusst, dass jeder vor allen seine ganzpersönlichen Interessen verfolgen will", dabei sah sie Jonathan in dieAugen. "Doch ich versichere euch, dass der Erfolg jedes Einzelnen vomGesamterfolg des Großen Ganzen abhängt und das ist die BefreiungAsgarduns vom Joch der Askanier. Wenn das jeder endlich begriffen hat,dann sollten wir die Sache in Angriff nehmen", drängte Roxane am Endezum Aufbruch, was am deutlichsten daraus hervorging, dass sieaufstand und die Männer verließ. Zurück blieben drei staunendeMänner, die ihr mit offenen Mündern hinterher starrten. Jonathan löstesich als erster aus der Lähmung, erhob sich und rief, „Bomba, Caligula“.

William sah Kyyraq hilfesuchend an, worauf jener nur schicksalsergebendie Schultern hochzog, seinen Ger packte und dem Beispiel vonJonathan folgte. Zögerlich gestand sich William ein, dass dieSchicksalswürfel anscheinend anders gefallen waren als er es sichwünschte. Als William und Kyyraq aus dem Gebäude traten wurden sieZeugen wie Jonathan und seine so unterschiedlichen Begleiter dasFuhrwerk bestiegen. Auf dem Kutschbock saß ein alter Bekannter -Thyrogenius. Ein stummes Winken, dann begaben sich William undKyyraq zum Stall.

Jonathan ließ es sich nicht nehmen zu Thyrogenius auf den Kutschbockzu klettern. Währenddessen stiegen seine Gefährten auf die Ladeflächedes Gefährts, wo sie es sich auf den Fellen gemütlich machten. Bevorsich Jonathan auf den Kutschbock setzte, verstaute er seinen Rucksackin dem Kasten darunter. Bogen und Köcher landeten in Reichweite,direkt hinter der Sitzbank. Einzig den Stab, den magischen Schlüssel,der ihm das Tor zu dieser Welt öffnete, den gab er nicht aus der Hand.Kaum hatten alle ihren Platz eingenommen, da schnalzte Thyrogeniusmit der Zunge und die Pferde setzten sich in Bewegung. Los ging dieReise in eine ungewisse Zukunft.

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Jetzt erst sah sich Jonathan den Burschen genauer an, der dasFuhrwerk führte. Seine langen, weißgrauen Haare konnten nicht übersein jugendliches Alter hinwegtäuschen. Als sich ihm Thyrogeniusfreundlich zuwandte, konnte Jonathan etwas in dessen eisgrauen Augenerkennen, das nur schwer zu beschreiben war, etwas, dass zu demjugendlichen Gesicht einfach nicht passen wollte. Unglaublich, aber erhatte dabei das Gefühl, als wenn er in die Augen eines sehr, sehr alten,weisen Mannes blickte. Nachdenklich lehnte sich Jonathan zurück, umdie Ereignisse der letzten Tage Revue passieren zu lassen. Durch seinangestrengtes Grübeln bemerkte er nicht, wie schnell der Vormittagverflog. Erschrocken fuhr Jonathan zusammen, als er von Thyrogeniuseinen leichten Buff in die Rippen bekam.

„Entschuldige Jonathan, aber mit Worten warst du nicht zu erreichen.Deine Gefährten sind inzwischen schon abgestiegen, ich wäre dirdankbar, wenn du es ihnen gleichtun würdest. Vielleicht hast du es nochnicht bemerkt, aber das Gelände steigt leicht an und die Zugtiere sinddankbar für jedes Pfund, was sie nicht ziehen müssen.“

„Oh, entschuldige Thyrogenius, aber ich war ein wenig in Gedanken.“Sofort ließ Jonathan seinen Worten Taten folgen, indem er vomKutschbock sprang und neben dem Wagen herlief.

„So, so, du warst ein wenig in Gedanken! Hatte ich gar nicht bemerkt,hab mich schon gewundert, warum du so ruhig bist, dachte schon, dassdu ein Schweigegelöbnis abgelegt hast.“

Obwohl Thyrogenius seine Anspielung fast emotionslos vorbrachte,fühlte sich Jonathan auf den Arm genommen. Gerade wollte er zu einerscharfen Erwiderung ansetzen, als ihm sein Verstand signalisierte, dasser sich die Luft lieber für den kraftaufwendigen Anstieg aufsparen sollte.Dank eines kraftstrotzenden Bombas, der seinen Körper hinten gegenden Wagen stemmte, wurde der Anstieg für die Pferde nicht ganz soanstrengend wie gedacht. Trotzdem beschloss Thyrogenius am Endedes Aufstiegs eine Pause einzulegen. Die Pferde erhielten frischesWasser und anschließend einen Futtersack mit Hafer umgehangen, dieMenschen nutzen ebenfalls die Gelegenheit, um sich zu stärken. Vor derWeiterfahrt reichte Thyrogenius Jonathan eine Kutte aus brauner Wolle,mit dem Hinweis, dass seine Kleidung nicht zu einem Fellhändler passte.

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„Ach übrigens Jonathan, ab jetzt übernimmst du das Gespann. Wenn dudas Führen beherrschst, sind Bomba und Caligula an der Reihe. Später,wenn ich euch zu perfekten Fuhrleuten ausgebildet habe, erkläre ich dirden Weg nach Arthuradon und wie du dort in der Stadt unserenVerbündeten findest“, kam es lapidar über die Lippen von Thyrogenius.Jonathan war ob dieser Ankündigung ziemlich überrascht, klang es, alswenn sich der Plan geändert hatte.

„Wie? Ich dachte du lieferst uns bei dem geheimnisvollen Verbündeten inArthuradon direkt ab, so hatte ich jedenfalls Roxane verstanden“,brachte Jonathan dann auch seine Verwunderung zum Ausdruck.

„Tja Jonathan, da musst du wohl etwas falsch verstanden haben. Mirbrennt die Zeit unter den Nägeln, was wohl hauptsächlich daran liegt,dass mein weiter Weg nach Bersaskan nicht mein einziges Problem ist.Nebenbei muss ich auch noch einen Aufstand anzetteln und die neugewonnenen Mitstreiter gegen die Regentin bis vor die Tore vonArthuradon führen. Wenn du mir verrätst wo da die Zeit bleibt, um michan einer gemütliche Kutschfahrt zu beteiligen, dann wäre ich dir wirklichsehr verbunden. Also unterbreite mit jetzt bitte deine Vorschläge, ich binganz Ohr.“

Thyrogenius sah Jonathan auffordernd an, nur um sich an JonathansSchweigen zu weiden.

„Ach was, du hast keine Vorschläge? Dachte ich mir doch. Vielleichtwählte Roxane ihre Worte nur deshalb so zweideutig, um William undKyyraq nicht zu beunruhigen“, zeigte Thyrogenius erbarmungslos auf dieungeschminkte Wahrheit. Nachdem sich der junge Druide ein wenig Luftgemacht hatte, fand er aber auch wieder versöhnliche Worte.

„Habt einfach ein klein wenig Vertrauen zu mir, aber auch zu euch.Glaubt mir, ich bin durchaus in der Lage, euch auf eure Aufgabe sovorzubereiten, dass ihr sie mit Bravour bewältigt.“

Jonathan sah seinen Begleiter von der Seite an, vermutlich weil erherausfinden wollte, warum jener eine so hohe Meinung von ihm hatte.Doch dem Gesicht Thyrogenius war nichts zu entnehmen. Auch für dasnächste Rätsel hatte er keine Antwort parat. Vor seinem geistigen Augesah er die Karte von Asgardun, schließlich hatte er sich die Geschichte,

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mit allem was dazugehörte, ausgedacht. Wie wollte Thyrogenius diesenweiten, bestimmt auch gefährlichen Weg so zurücklegen, dass er nochvor Einbruch des Winters mit einem Heer vor Arthuradon stand?

"Wenn denn deine Reise nach Bersaskan so eilt, wie gedenkst duschnell dort hinzukommen? Ich sehe kein Reitpferd." Weil er fand, dasser ein Haar in der Suppe gefunden hatte, klang seine Stimme ein wenigüberheblich.

„Wirklich lustig Jonathan, was du so für Eingebungen hast. Bist du indeiner Welt vielleicht ein Spaßmacher? Mit einem Pferd würde ichWochen brauchen, die Zeit habe ich aber nicht. Meinst du nicht auch,dass es traurig wäre, wenn ein Druide nicht auch noch andereMöglichkeiten aus dem Ärmel zaubern könnte“, dabei gab er, als wenn ersich über seine eigenen Worte amüsierte, ein kindliches Kichern vonsich.

Jonathan sah den Druiden ungläubig an. „Vielleicht aufFalkenschwingen?“, meinte er einen Spaß zu machen.

„Ich dachte zwar mehr an einen Adler, doch im Prinzip hast du dasRätsel gelöst“, gab Thyrogenius trocken zurück.

Jonathan quollen fast die Augen über, zu unwirklich erschien ihm dieseVariante, obwohl er auf Grund der Verwandlung seiner tierischenFreunde, die Möglichkeit hätte erahnen können. Ja, in einem Buchniedergeschrieben, erschien alles möglich, doch in der Wirklichkeit? Einwenig irritiert kam Jonathan der Aufforderung nach und ergriff widerwilligdie Zügel. Doch schon bald gewann er Spaß an der Sache, ahmteThyrogenius Schnalzen nach, während seine Hände wie von selbst dieZügel leicht schüttelten, um den Pferden anzuzeigen, dass sie gefälligstihre Hufe in Bewegung setzen sollten. Schnell merkte Jonathan, dassdas mit dem Führen der Pferde und dem Lenken des Fuhrwerks etwaswar, das er durchaus bewerkstelligen konnte. Dabei verbiss er sich soin seine neue Aufgabe, dass er gar nicht darauf achtete, dassThyrogenius die ganze Zeit mit ihm redete. Erst die letzten Wortegelangten wieder durch sein Gehör bis ins Gehirn, „und dann erreicht ihrden Hof von Max.“

„Wer ist Max?“, schreckte Jonathan auf.

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„Jonathan, ich dachte du hast ein Buch über unsere Welt geschriebenund da weißt du nicht wer Max ist? Unser Verbündeter, der Anführer derSchaustellertruppe, der Medicus, derjenige, der die königlichen Zwillingeentführte, muss ich noch mehr Details aufzählen?“, zum Schluss nahmThyrogenius Stimme einen leicht vorwurfsvollen Klang an.

„Entschuldige großer Zauberer, doch mir fällt es noch immer unendlichschwer die Tatsache zu akzeptieren, dass meine Fantasiewelt mit allseinen Figuren aus dem Dornröschenschlaf erwachte“, gestandJonathan ehrlich ein. Wobei er mit seiner Wortwahl seinemReisegefährten ein unlösbares Rätsel aufgab, ohne es beabsichtigt zuhaben.

„Dornröschenschlaf?“, zog Thyrogenius das Wort ein wenig in die Länge.„Kannst du mir vielleicht verraten wer oder was ein Dornröschenschlafist?“

Jonathan staunte Thyrogenius ob dessen Frage zuerst ungläubig an,doch dann begriff er, dass die Märchen seiner Welt, der Erde, nicht dieMärchen dieser Welt waren. Der Umstand, dass der junge, schlaueDruide doch nicht allwissend war, sorgte dafür, auch wenn es sich nurum eine Belanglosigkeit handelte, dass Jonathan sich nicht mehr ganzso klein neben Thyrogenius vorkam und das tat ihm gut.

„Das ist eine etwas längere Geschichte, aber wenn du willst erzähle ichsie dir“, genoss Jonathan das Gefühl scheinbarer Überlegenheit.

Und so kam es, dass Jonathan, der Erdenbürger, auf dem Weg, durchdie wilden Ausläufer des Drud-Gebirges, dem Druiden Thyrogenius, dasMärchen von Dornröschen erzählte. Als sich am Ende der Geschichteseine Lippen schlossen, schien Thyrogenius in sich gekehrt, als wenn ersich intensiv mit der Mär befasste. Erst als sie in der hereinbrechendenDunkelheit ihr Lager aufschlugen, verlor Thyrogenius eine Bemerkungdarüber.

„Eine wirklich schöne Geschichte. Solltest du dich dazu entschließenlänger in unserer Welt zu bleiben, dann solltest du ernsthaft inErwägung ziehen, ob du die Geschichte nicht, im Rahmen einerAufführungen der Schaustellertruppe von Max, zum Besten geben willst.“

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„Mein junger Druide, wenn ich ehrlich sein soll, sah mein Plan eigentlichanders aus. Schnell meine Aufgabe erfüllen, um noch schneller in meineWelt zurückzukehren“, machte Jonathan kein Hehl aus seinerZukunftsplanung.

„Schade, aber das ist natürlich deine Entscheidung. Niemand wird dichdaran hindern“, klang ehrliches Bedauern aus Thyrogenius Stimme.

Zwei Tage später passierten sie im Morgennebel Burg Trutzstein. WobeiJonathan bedauerte, dass er die Burg nicht sehen konnte,

„Schade. Auch wenn es vielleicht vorteilhaft ist, dass uns von der Burgwegen diese Suppe niemand sehen kann, so hätte ich wirklich gerneeinen Blick darauf geworfen. Zu gerne hätte ich gewusst, ob sie derBeschreibung in meinem Buch entspricht“, erklärte Jonathan fast traurig.

„Jonathan, Jonathan, du hast es ja noch immer nicht begriffen. Als duüber die Burg geschrieben hast, da war es so, als wenn du sie erbautest.Natürlich sieht die Burg genauso aus wie in deinem Buch“, wobei derDruide sein Haupt unwillig schüttelte. „Aber nun zu etwas Wichtigerem,ich werde euch jetzt verlassen!“

„Aber ich dachte du beschreibst mir noch den Weg und erklärst mir wieich Max in Arthuradon finde“, bekam Jonathan einen gehörigen Schreck.

„Aber du kennst ihn doch, hab dir doch alles erklärt. Auf jeden Fall hastdu jemanden dabei, der ihn kennt“, dabei starrte Thyrogenius auf einenPunkt hinter Jonathan. „Oder hast du vergessen, was dir Roxane überden Stab sagte? Er zeigt dir den Weg und öffnet dir verschlosseneTüren.“

Jonathan drehte seinen Kopf und sah den mysteriösen Stab auf denFellen liegen. Daneben lagen Bomba und Caligula, die ein Nickerchenmachten. Ganz wohl war Jonathan nicht in seiner Haut, als Thyrogeniusvom Wagen sprang und ihm zum Abschied noch mal freundlichzuwinkte. Betroffen schaute Jonathan dem Druiden hinterher, bis jenernach wenigen Schritten im Dunst verschwand. Plötzlich merkte er, wiesich die Verantwortung, wie ein schweres Gewicht, auf seine Schulternsenkte. Doch am Ende sah er ein, dass hier kein Jammern half und sogab er den Pferden das Kommando zur Weiterfahrt. Längst befand sichdas Gefährt auf der alten Straße, die von Burg Trutzstein zur Hauptstadt

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Arthuradon führte. Später musste sich Jonathan eingestehen, dass dieFahrt absolut ereignislos verlief. Als sie nach vier Wochen endlich voneinem Hügel auf die noch weit entfernte Hauptstadt blickten, fielJonathan ein Stein vom Herzen.

VII Ein Mann mit vielen Fähigkeiten

Das Wetter schien Eliasar und seiner Bootsbesatzung, auf dem Weg zurKüste, hold zu sein, denn die frostigen Temperaturen wichen milderenGraden. Das Flüsschen Mydruse schoss schnell und ungestüm inseinem Bett dahin, obwohl die eigentlichen Wassermassen, derSchneeschmelze, aus den Bergen, noch auf sich warten ließen. Denersten Tag ließen sich Eliasar und seine Männer von der starkenStrömung einfach treiben. Als sich am nächsten Tag das Flüsschen zumFluss verbreiterte, setzten sie das Segel der Gig. Nur wenn der Windungünstig stand, mussten sie gezwungener Maßen zum Ruder greifen.Es entwickelte sich eine schweigsame Fahrt, da immer zwei Mannruhten, während sich die beiden anderen um die Bootsführungkümmerten. Auf diese Weise erreichten sie das FischerdörfchenSeenadel schon nach drei Tagen. Froh, endlich mal wieder das engeBoot verlassen zu können, kehrten sie ins einzige Gasthaus, dem„Heimathafen“ ein, um erste Informationen, aber auch eine warmeMahlzeit zu bekommen. Doch außer dem üblichen Klatsch und Tratsch,gab es dort nichts zu erfahren. Sie quartierten sich für eine Nacht ein,um am nächsten Tag, an der Küste entlang, nach Norden zu segeln.

Nächste Station war Thränenholm, ein Fischerdorf an der Mündung derThräne. Auch hier suchten sie wieder das Gasthaus auf, weil ausErfahrung dort alle Nachrichten zusammenliefen. Die „Thränenperle“ wargut besucht, sodass Eliasar und seine Begleiter nur ihre Lauscheraufsperren mussten, um endlich die ersten brauchbaren Nachrichten zuerhalten. Dabei hörten sie etwas, dass sie total überraschte. Irgendwerwusste zu berichten, dass der Truchsess von Urdwain, noch im letztenJahr, bei heftigen Winterstürmen nach Askalan übergesetzt war. Einanderer Mann, ein Fischer, behauptete, in den letzten Tagen, in derMeerenge von Kandymar, Kriegs- und Frachtschiffe der Regentingesichtet haben, die sich auf dem Weg nach Mhyrnax befanden.

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„Aber wie kann das sein, Vater? Bist du nicht davon ausgegangen, dasswir vor nächstem Jahr nichts zu befürchten hätten?", sprach ausGawains Stimme nicht nur Unverständnis, sondern auch Angst.

„Ruhig mein Sohn, wir wollen keine Aufmerksamkeit erregen“, wirkte derBaron sofort auf seinen Sohn ein, um leise hinzuzufügen. „Zugegeben,da lag ich wohl mit meiner Prognose voll daneben. Was wohl in ersterLinie daran lag, dass ich den Truchsess unterschätzt habe. Ich gingdavon aus, dass er den Winter im warmen Kämmerlein bei Wein undSchweinebraten abwarten würde. Habe ihm nicht zugetraut, dass er sichden Strapazen einer Winterreise aussetzt, habe schlicht und einfach denMann unterschätzt. Das wird mir nicht noch mal passieren“, gestandEliasar ohne drum Herumreden seinen Fehler ein.

„Und was machen wir nun Boss?“, wollte John wissen.

„Wir sehen aus wie Fischer, haben ein Boot mit Netzen, also werden wirunserem Fanggeschäft nachgehen und später unseren Fang auf demMarkt von Mhyrnax verkaufen.“ Eliasar beugte seinen Kopf über denTisch und sie steckten die Köpfe zusammen. „Dort überzeugen wir unsselbst vom Ausmaß der Invasion.“

„Wollten wir nicht vor allem Männer anwerben und Waffen kaufen?“,brachte Gariban einen Einwand vor, obwohl man ihm ansehen konnte,dass er die Antwort schon kannte.

„Wird wohl vorerst ins Wasser fallen“, kam dann auch die erwarteteAntwort von Eliasar. „Ich werde zwei vertraute Menschen darum bitten,dass sie unseren Aufruf weitergeben. Vielleicht kommt dieser und jener,doch so wie es aussieht, sind wir auf uns gestellt“, ließ Eliasar keineZweifel daran aufkommen, wie sich die Nachricht von der Invasionauswirken dürfte.

Ein paar Stunden später saßen sie wieder im Boot und segelten aufsoffene Meer hinaus. Zuvor hatten sie schon eine der beiden Brieftauben,mit der schlechten Post, auf die Reise geschickt. Zwei Tage spätersteuerten sie in aller Frühe mit vollem Fangkasten auf die Bucht und denHafen von Mhyrnax zu. Schon bei der Anfahrt sahen sie mehrere großeFrachtschiffe in der Bucht ankern. Ständig fuhren Ruderboote,vollbesetzt mit Kriegern, von den ankernden Schiffen zum Hafenpier.

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Während John und Gariban einen Stand auf dem Markt mieteten,machte sich Eliasar und Gawain auf den Weg, um das Ausmaß derInvasion zu erkunden. Sie folgten einem Trupp gelandeter Soldaten undgelangten so zum Heerlager, welches sich westlich der Stadt befand.Eliasar zählte die Zelte und kam zu der Überzeugung, dass zurzeitungefähr fünftausend Soldaten hier lagerten.

„Noch kein schweres Kriegsgerät“, stellte er mit Erleichterung fest, alsoblieb ihnen noch ein wenig Zeit.

Nachdem sie sich weiter in der Stadt umgehört hatten, trafen sie sich mitJohn und Gariban im „Goldenen Anker“.

„Ich habe mit ein paar Soldaten gesprochen, sie waren recht unbedarftund erzählten mir, dass nochmal so viele Krieger kommen würden. DieRegentin verfügt anscheinend nicht über genügend Frachtraum, deshalbmüssen die Schiffe den Turn zwei bis dreimal machen“, erklärte Eliasarseinen Leuten. „Doch jetzt das Beste, sie suchen noch Freiwillige fürniedere Aufgaben, wie Tragen, Aufbauen, Buddeln und was sie sonstihren Soldaten nicht zumuten wollen.“

„Aber was hat das mit uns zu tun?“, schaltete Gariban nicht sofort.

Eliasar grinste nur und sah John und Gariban eindringlich an. „Ich sucheübrigens auch zwei Freiwillige, die sich für diese Arbeit anwerbenlassen.“

„Boss, du meinst wirklich, du traust uns das zu, dass wir sieausspionieren und wenn nötig sabotieren?“, begriff John als Erster, wasihr Boss von ihnen erwartete.

„Das wäre der Plan. Ich würde es selbst machen, doch sie brauchenmich bei der Verteidigung der Burg dringender. Um in Verbindung zutreten, dient uns der Findling im Wäldchen nördlich der Burg alsTreffpunkt. In ganz dringenden Fällen schießt ihr einfach einen Pfeil aufdie Burg, ja so sieht mein Plan aus.“ Eliasars zwingender Blick hielt siegefangen und am Ende nickten sie zustimmend.

John wollte gerade die Geldbörse herausholen und das Geld für denverkauften Fisch seinem Boss geben, als dieser abwehrend den Kopfschüttelte.

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„Den Lohn habt ihr euch redlich verdient, macht euch noch ein paarschöne Tage, bevor euch der Ernst des Lebens einholt. Gawain und ichmüssen so schnell wie möglich zurück zur Burg, um dieVerteidigungsvorbereitungen zu beschleunigen, denn so viel steht fest,in spätestens drei Monaten belagern sie Burg Falkenhorst. Aber mit derKavallerie müssen wir viel früher rechnen“, kündigte Eliasar das Endeihres betulichen Beisammenseins.

Instinktiv spürte Eliasar, dass er angestarrt wurde, trotzdem vermied eres, sich suchend umzublicken. Gerade wollte er aufstehen, als am Tischhinter ihnen eine gewisse Unruhe entstand. Ein schmächtiger,unscheinbarer Typ, derjenige, der Eliasar die ganze Zeit betontunauffällig beobachtete, erhob sich, um hastig den Tisch zu verlassen.Gerade zwängte sich der schmächtige Kerl an seinem Tischnachbarnvorbei, als er wie vom Blitz gefällt zusammenbrach. John, in dessenRücken sich der Tumult abspielte, der somit die Situation nichteinschätzen konnte, sprang auf, wobei seine Hand sofort zum Messerfuhr. Anders der Mann, der anscheinend für den Tumult verantwortlichzeichnete, er suchte die Augen des Barons und grinste ihn verlegen an.

„Yaksir? Mann, was machst du denn hier? Lange nicht gesehen“,erkannte Eliasar sofort den Grinsenden und begrüßte ihn freundlich.

Doch sein Bekannter ging gar nicht auf die Begrüßung ein, stattdessenlallte er, „hilft mir mal einer, meinen betrunkenen Kumpel an die frischeLuft zu bringen?“, dabei erschien ein Blitzen in seinen Augen, daseinfach nicht zu einem Betrunkenen passen wollte.

Eliasar schaltete sofort und begab sich zum Nachbartisch, um seinemalten Bekannten zu helfen. Gemeinsam brachten sie den Schmächtigennach draußen, um gleich darauf in einer angrenzenden, schmalen Gassezu verschwinden. Schlagartig verschwand das Grinsen aus dem Gesichtdes Mannes, den Eliasar mit Yaksir angesprochen hatte.

„Ein Spitzel des Truchsess“, dabei zeigte Yaksir auf den Bewusstlosen.„Vermutlich wollte er sich gerade ein paar Sillinge verdienen, indem erdich bei der Obrigkeit verpfeift. Zum Glück habe ich dich erkannt undkonnte mir dadurch einiges zusammenreimen. Schließlich ist dieGeschichte von deiner Gefangennahme und Flucht aus Urdwain einegern erzählte Geschichte in allen Kneipen von Mhyritrias. Die Wut der

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Menschen auf den Truchsess wächst und die Schiffe mit den Soldatender Regentin tun ihr übriges. Vermutlich hat sie nun doch beschlossensich das Land westlich der Thräne auch noch unter den Nagel zureißen“, schien sein Freund aus alten Tagen gut informiert zu sein.

„Alles in allem liegst du mit deinen Prognosen vollkommen richtig. Waspassiert mit dem? Ach sag‘s mir lieber nicht, ich will‘s gar nicht wissen“,wobei er kein wirkliches Mitleid mit dem Verräter empfand. „Aber etwasAnderes, wenn du noch mehr von deiner Sorte kennst, Burg Falkenhorstheißt jeden Mann willkommen, der dabei hilft unsere Freiheit zuverteidigen.“

„Ein paar werden sich bestimmt finden. Versprochen Eliasar, wir werdenrechtzeitig da sein“, hielt ihm Yaksir die Hand hin.

Eliasar schlug ein, damit war für ihn die Angelegenheit erledigt und erkehrte ins Gasthaus zurück. Sein Sohn, John und Gariban rutschtenunruhig auf ihren Hinterteilen hin und her, irgendwie spürten sie, dassetwas nicht stimmte.

„Alles geregelt, kein Grund mehr zur Sorge“, beruhigte sie Eliasar.„Komm Gawain, wir haben einen weiten Weg vor uns und keine Zeitzum Vertrödeln. Kopf hoch Männer“, verabschiedete er sich von Johnund Gariban. Während die Beiden demnächst beim Heer alsArbeitskräfte anheuern würden, führte ihr Weg zum Fischerhafen.

Kaum hatten sie ihr kleines Boot bestiegen, schickte Eliasar eine zweiteBrieftaube, mit den neuesten Nachrichten, auf die Reise zur Burg.

Nachdem sie die schützende Bucht verlassen hatten, ergriff sie einkräftiger Nord Wind, der sie immer weiter weit aufs Meer hinaustrieb,egal wie hart sie am Wind segelten, um nach Westen zu gelangen. DenWetterumständen angepasst zogen sie ihr Ölzeug über und verstautenihre Ersatzkleidung, nachdem sie sie in einer wasserdichten Planeeingewickelt hatten. Mit der einbrechenden Dunkelheit steigerte sich diesteife Brise zum Sturm und drückte ihr kleines Boot immer weiter aufsMeer hinaus, immer weiter weg von ihrem eigentlichen Ziel. KeineChance, dass sie ihren Zielhafen, im Westen der Insel, unter diesenUmständen in absehbarer Zeit erreichten. Notgedrungen ergaben siesich in ihr Schicksal, denn mit dem kleinen Boot konnten sie den

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Naturgewalten nur trotzen, wenn sie sich vom Sturm treiben ließen. DieSegelfläche wurde soweit verringert, dass genau so viel Leinwandstehenblieb, wie nötig war, um Druck auf dem Ruder zu haben.

„Gawain“, brüllte Eliasar, Aufmerksamkeit heischend gegen das Tosendes Sturmes an, „wickle dir das Enden um den Körper und befestige dieTampen links und rechts in den Augen. Und dann nimm die Pütz undlenze um dein Leben.“

„Ja Vater, aber werden wir nicht immer weiter hinaus getrieben?“, alsGawain merkte, dass der Wind seine Worte ungehört davontrug, nickteer mit dem Kopf und tat wie ihm sein Vater geheißen.

Verbissen kämpfte jeder auf seinem Platz gegen die Naturgewalten, anSchlaf war dabei nicht zu denken. Als gegen Morgen der Sturm abflaute,sanken die Beiden erschöpft in sich zusammen und schliefen einentotenähnlichen Schlaf. Eliasar erwachte zuerst, ließ seinen Blickumherschweifen und war nicht überrascht, dass nichts außer einerleeren Wasserfläche zu sehen war. Schließlich hatte sie der Sturm dieganze Nacht vor sich hergetrieben. Die Frage war eigentlich nur, wie weitnach Süden sie aufs Grind Mar hinausgetrieben wurden. Gerade alsEliasar spürte, dass er trotz des Ölzeugs bis auf die Knochen durchnässtwar, riss die Wolkendecke auf und ein paar Sonnenstrahlen trafen ihn.

„Gawain, wach auf, wir müssen unsere nassen Sachen ausziehen, dochzuerst nimm einen Schluck aus der Buddel.“ Eliasar hielt seinem Sohndie Buddel hin, in der sich hochprozentiger Schnaps befand. „Das Gesöffist scharf, aber es wird dich von innen wärmen.“

Wenig später nahm auch er einen kräftigen Schluck, um anschließendseine nassen Sachen auszuziehen. Während ihre nackten Körper vonSonne und Wind getrocknet wurden, holte er das gut verschnürteKleidungspaket aus dem Holzkasten, der sich unterm Sitzbrett im Heckbefand.

„Wir haben Glück, die Ersatzsachen sind trocken geblieben“, stellteEliasar erfreut fest.

Bald darauf trugen sie trockene Kleidung, die nassen Sachen flattertenim Wind, das Segel war gesetzt und der Bug zeigte nach Norden. Dennirgendwo dort, so hoffte es Eliasar jedenfalls, sollte ihr Ziel liegen. Doch

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genauso wichtig erschien es Eliasar, dass sie wieder zu Kräften kamenund so holte er den wenigen Proviant aus dem Schutz des Holzkastens.Während sie sich stärkten, durchschnitt der Bug der Gig die sichkräuselnden Wellen, um schnellstens die verlorenen Meilen wiedergutzumachen. Doch die Bemühungen ihres tapferen Schiffchens wurdenje sabotiert. Als ob sie nicht schon genug vom Pech verfolgt wurden,schlief zum Nachmittag der Wind total ein, so dass sie hilflos auf demweiten, leeren Meer dahin dümpelten.

Eliasar stand auf, um sich die Beine zu vertreten. Bei dieser Gelegenheitstreifte sein Blick zuerst seinen schlafenden Sohn, um wie zufällig nachOsten abzuschweifen. Für das menschliche Auge eigentlich kaum zuerkennen, entdeckte er am Horizont einen winzigen Punkt. EinSchmunzeln umspielte seine Mundwinkel, weil ihm dabei einfiel, dassman ihn genau wegen seines scharfen Blickes auch den Falken nannte.Der winzige Punkt, vermutlich ein Segelschiff, schien in keiner Flaute zustecken. Eliasar wusste, dass das mit dem Wind auf dem Meer einemerkwürdige Sache war. Während der eine hilflos in einer Flautedümpelte, konnte, ein paar Seemeilen weiter, ein anderes Schiffdurchaus eine brauchbare Brise nutzen. Doch egal wie viel oder wiewenig Wind dieser und jener hatte, vor Einbruch der Dunkelheit würdekein Kontakt zu dem fremden Schiff zustande kommen.

„Vater, ist dort etwas, oder warum starrst du so angestrengt in dieRichtung?“, erklang die müde Stimme seines aufgewachten Sohnes.

„Ein Schiff, doch es ist noch sehr weit weg.“

*

William und Kyyraq verließen in Begleitung der Drude Roxane, dieCymano ritt, die Klostersiedlung Memoria. Ihr Weg führte zuerst nachWesten. Ein paar Stunden später, als Roxane einen Haken schlug, umzum Drud-Gebirge zu gelangen, zeigten die Köpfe der Pferde nachSüden. Hier in der Menschenabgeschiedenen Wildnis gesellte sich auchWolf wieder zu ihnen. William und Kyyraq waren über die Treue undAnhänglichkeit ihres halbwilden Freundes doch sehr erstaunt. In ihrerWiedersehensfreude sprangen sie von ihren Pferden, um ihren haarigen,vierbeinigen Partner zu begrüßen. Zu spät bemerkten sie Roxanesgestrengen Blick, der sie dann aber schließlich daran erinnerte, dass

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Wichtigeres auf sie wartete. Schuldbewusst senkten sie die Köpfen,bestiegen wieder ihre Pferde und weiter ging’s.

Obwohl sie sich mitten in der Wildnis befanden, bewegten sie sich aufeinem erstaunlich gut zu reitenden Weg. Weiter und weiter, immer tieferin die Berge hinein, führte dieser geheimnisvolle Weg. Einmal, als sichKyyraq eher zufällig umdrehte, stellte er mit Entsetzen fest, dass hinterihnen der Weg umgehend verschwand. Irritiert wand er den Kopf wiedernach vorn und murmelte, ohne die Lippen zu bewegen, ein Stoßgebet anseine nordischen Götter. Später, als sie in den Drud-Wald hineinritten,wunderte er sich nicht mehr, dass sich der Wald zwar vor ihnen öffnet,um sich hinter ihnen sofort wieder zu schließen.

Nach zwei Tagen erreichten sie einen Platz, der unmittelbar an dasFlüsschen Lhy grenzte. Der Tag neigte sich seinem Ende zu, als Roxaneauf einer Lichtung hielt. Anscheinend ihr Nachtquartier. Nachdem diePferde versorgt waren und ein Feuer brannte, stärkten sie sich ammitgeführten Proviant. Während des Essens wand sich Roxane an ihreBegleiter.

„Schon Morgen werdet ihr das Floß besteigen, welches euch schnell undsicher nach Lhykantos bringt. Dort erwartet euch im Hafen ein Schiff, mitdem ihr nach Mhyritrias gelangt. Auf dem Schiff befinden sich Waffenund Ausrüstungsgegenstände für den Baron von Falkenstein undzusätzlich noch elf wackere Recken.“

Bei Erwähnung selbiger Recken horchte William auf, denn er konnte sichauf eine solche Aussage einfach keinen Reim machen. Roxane, dieseinen zweifelnden Gesichtsausdruck bemerkte, rückte nun mit einerentsprechenden Erklärung raus.

„Einst waren sie die Fürsten der heutigen Marken, dann schliefen sielange Zeit in meinem Turm, nun scheint ihre Zeit gekommen.“

Die wenigen Worte der Drude regten Williams Fantasie an. Schließlichkannte jeder Mensch dieser Welt die Legende vom UntergangAsgarduns. Trotzdem ergab das Gehörte für ihn keinen Sinn, weshalber nachfragte.

„Doch nicht etwa die legendären Stammesfürsten, die vom VerräterArthus von Askalan in einen Hinterhalt gelockt und getötet wurden? Aber

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das ist über achthundert Jahre her, kein Mensch lebt so lange. Ach, dasist doch alles Unsinn, die Fürsten sind ermordet worden und längstvermodert“, eine wegwerfende Handbewegung unterstrich seineAussage.

„William, ich gebe ja zu, dass ist für einen Menschen nur schwer zuverstehen. Du hättest recht, wenn die Fürsten nicht auf meinen heiligenWaldboden gefallen wären. Schließlich ist der Drud-Wald kein normalerWald, er birgt Zauberkräfte. Mit seinen Zauberkräften sorgte dieLebensgemeinschaft Wald dafür, dass ein Funke Leben in dengefallenen Fürsten weiter glomm, bis ich sie in meinem Turm in einentiefen, langen, heilsamen Schlaf versetzte. Von da an sorgten meine,aber vor allem die Zauberkräfte des Waldes dafür, dass ihre schlafendenKörper gesundeten und die Zeit für sie still stand. Als ich vor kurzem dieFürsten erweckte, glaubten sie doch tatsächlich aus einem kurzen Schlaferwacht zu sein. Und so erstaunte es mich auch nicht, dass sich jedervon ihnen nur zu genau an den Verrat des Askanier erinnerte.Einfühlsam bereitete ich die Männer darauf vor, dass die Zeit einengewaltigen Sprung gemacht hatte und dass all ihre Lieben schon langeder Vergangenheit angehörten. Ein Schock, der sich jedoch alsbald inWut verwandelte. Ein Umstand, der es mir erleichterte die Fürsten vonihrer Aufgabe zu überzeugen. Sie brennen darauf das Reich derAskanier zu vernichten und Asgardun wieder aufleben zu lassen.“Nachdem das letzte Wort verklungen war, starrte Roxane blicklos insFeuer, so als wenn es dazu nicht mehr zu sagen gab.

William und Kyyraq hatten schwer an der Geschichte zu knabbern. Sokam es, das sie sich zurückzogen, sich in ihre Decken wickelten, um dieSache zu überschlafen. Für Beide eine unruhige Nacht. In aller Frühweckte sie die Drude und drängte zum Aufbruch. William und Kyyraqstellten erstaunt fest, dass sich ihr Gepäck und die Pferde schon aufdem Floß befanden. Wobei die Vierbeiner in einem kleinen Gatterstanden und nervös durch die Nüstern schnauften. Kaum befanden sichWilliam und Kyyraq auf dem Floß und hatten ihre Position hinter demgroßen Ruder eingenommen, als das Gefährt wie durch Geisterhand insWasser geschoben wurde. Sofort ergriff sie die Strömung und trieb dashölzerne, unhandliche Gebilde Richtung Meer.

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„Wie finden wir das Schiff im Hafen?“, rief William, der am Uferstehenden Drude zu.

„Ihr könnt es nicht verfehlen. Die dreimastige Hulk mit Namen „Möwe vonAsgardun“ ist viel größer als jedes Fischerboot, das dort ankert. Undmacht euch keine Sorgen um Wolf, ich kümmere mich um ihn“, kaumwaren ihre Worte verhallt, löste sich ihr Körper wie ein Trugbild auf.

Die Strömung des Flusses trug das Floß unermüdlich gen Süden, hin zurBucht von Lhykantos. Im Laufe des Tages wurde der Fluss immerbreiter, was dazu führte, dass das Wasser eine trägere Gangartanschlug. Trotzdem trieben sie gegen Abend in die Bucht vonLhykantos, die den Hafen beherbergte. Im letzten Tageslicht erkanntensie ein großes, dreimastiges Schiff, das in der Mitte der Bucht ankerte.Wenig später lösten sich zwei Ruderboote vom Dreimaster, um auf dasFloß zuzuhalten.

„Floß Ahoi, seid ihr William von Huntingen, auf den wir schon seit zweiTagen warten?“

Schwang da so etwas wie ein Vorwurf in der befehlsgewohnten Stimme.William war sich jedenfalls nicht ganz sicher.

„Ja, wir sind diejenigen, auf die ihr wartet und wer will das wissen?“

„Mein Name ist Walthyr von Whallymar, doch zum Vorstellen bleibt unsspäter noch genug Zeit.“

Ohne Ankündigung warf jemand ein dickes Tau zum Floß, dass Kyyraqtrotzdem geschickt auffing, um es geschwind um einen Pfahl desPferdegatters zu wickeln. Gleich darauf flog vom Zweiten Boot ebenfallsein Tau, das um den gegenüber liegenden Pfahl gewickelt wurde.Anschließend legten sich beide Bootsbesatzungen mächtig ins Zeug, umdas schwere, unhandliche Floß zur dreimastigen Hulk, einem Koggenähnlichen Schiffstyp, zu schleppen. Nachdem das Floß längsseits lagund vertäut war, erwartete sie die nächste schwere Aufgabe, dasVerladen der Pferde. Doch mit entsprechenden Geschirren, einemschwenkbaren Kran und der Muskelkraft der Besatzung, fand auchdieses Unternehmen ein glückliches Ende. Walthyr gab William undKyyraq einen Wink und geleitete die beiden zur Kapitänskajüte, die sichim Heck über die gesamte Breite des Schiffes erstreckte. Drinnen

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wurden sie schon vom Rest der Rebellenbewegung erwartet. Nachdemsich William und Kyyraq gesetzt hatten, spürte sie die neugierigen Blickeder anderen auf sich ruhen. Doch bevor sich die Beiden vorstellenkonnten, ergriff der Kapitän, ein alter Seebär mit grauem Bart undeisblauen Augen, das Wort.

„Bevor wir auf das eigentliche Thema kommen, sollten die Neuen wissenmit wem sie es zu tun haben. Mein Name ist Scuffi Bluemar, links vonmir sitzt Meritas von Menzo“, der Genannte erhob sich kurz undverbeugte sich, so dass sich William und Kyyraq die Person einprägenkonnten. Weiter ging die Vorstellung der Anwesenden mit Gathor vonGabolon, Beofan von Bersaskhan, Vladuq von Vrandyx, Walthyr vonWhallymar, Zerbass von Zebulhan, Raubarth von Rhandor, Quintus vonQuantaq, Mintus von Mhyr und Silius von Seomar. Genau wie derErstgenannte erhob sich jeder und blickte den beiden Neuen offen undehrlich ins Gesicht, um dann seine Verbeugung zu machen. Nachdemder Kapitän seine Vorstellung beendet hatte, erhob sich William undblickte in die Runde.

„Mein Partner heißt Kyyraq, ein Nordmann, der bei einem seinerRaubzüge in Gefangenschaft geriet. Als Sklave schnitt ihm sein Herr dieZunge ab, so dass ich für ihn sprechen muss. Mein Name ist William vonHuntingen, ich bin der Sohn des ermordeten Grafen Barth von Huntingenund ein erbitterter Feind der Regentin, was wohl das verbindendeElement in dieser Runde zu sein scheint“, schloss William dieVorstellung und setzte sich.

Wenig später ging die Tür auf und es wurde Essen und Getränkeserviert. Beim anschließenden Mahl kam man sich dann zwanglos näherund William erfuhr den Grund, warum Kapitän Scuffi Bluemar an ihrerSeite kämpfte. Sein Elternhaus stand an der Ostküste Askalans in demkleinen Fischerdörfchen Bluemar. Soldaten des Königs von Askalanverfolgten ein paar Nordmänner in der Gegend, wobei denEindringlingen die Flucht gelang. Sofort witterte der Befehlshaber derVerfolger Verrat, wobei der Verdacht auf die Einwohner von Bluemar fiel.Obwohl es keine Beweise gab, statuierte der Befehlshaber derköniglichen Soldaten ein Exempel. Da Niemanden der Verratzuzuschreiben war, wurde der Dorfälteste hingerichtet - Scuffis Vater.War es Zufall oder Bestimmung, auf jeden Fall begegnete der junge

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Scuffi dem geheimnisvollen Max, der irgendetwas in dem Jungenerkannte, was ihn dazu veranlasste, ihn auf einem seiner Schiffeunterzubringen. Dort arbeitete sich Scuffi vom Schiffsjungen bis zumKapitän hoch und seitdem gehörte seine ganze Loyalität Max. Und jenerMax, ein erklärter Feind des Königshauses, brachte Scuffi und seinSchiff an dieser Stelle ins Spiel.

„Anscheinend kennt jeder diesen geheimnisvollen Max, nur ich nicht“,zeigte William deutlich an, dass ihm der Erwähnte unbekannt war.„Immer wieder taucht sein Name auf, einmal ist er Schausteller, einanderes Mal Medicus und nun höre ich, dass er auch noch Schiffseignerist, wer ist der Kerl eigentlich?“

„Max ist ein Mann mit vielen Fähigkeiten, doch die benötigt er auch, umein Netz über das Land zu spannen und den Widerstand gegen das alteSystem voranzutreiben. Ja, er ist geheimnisvoll und damit das auch sobleibt, kennen nicht wirklich viele Menschen seine wahre Identität. Dochsteckst du in der Scheiße und brauchst einen starken Arm, der dichheraus zieht, Max ist sich für nichts zu schade. Einen treueren Freundwirst du nicht finden“, musste sich William am Ende mit der vagenAuskunft von Scuffi zufrieden geben.

„Ich verstehe. So einen Freund kenne ich auch“, dabei blickte ervielsagend auf seinen Tischnachbarn. „Kyyraq ist auch immer zur Stelle,wenn ich Hilfe brauche, er ist so etwas wie mein guter Geist“, dabeibekamen Williams Augen einen feuchten Glanz.

Als der Tisch weitgehend abgeräumt war und nur noch die Krüge mitdem Wein zurückblieben, da steckte sich dieser und jener ein Pfeifchenan und wieder richteten sich die Augen der Anwesenden auf William.Jener verstand durchaus die unausgesprochenen Fragen in ihrenBlicken und er ließ sich nicht erst mit Worten auffordern.

„Die Botschaft der Drude Roxane ist so klar wie einfach. Wir sollen unsnach Mhyritrias begeben, um den Baron von Falkenstein bei seinemKampf gegen das Heer der Regentin zu unterstützen. Unsere Aufgabebesteht darin, die Kräfte der Regentin solange zu binden, bisThyrogenius ein Heer aufgestellt hat, um Arthuradon anzugreifen. Ichweiß zwar nicht wie das gehen soll, doch Roxane klang sehrzuversichtlich.“

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Alle sahen sich verstehend an, endlich ging es los, nur einer schien dasanders zu sehen.

„Leider verzögert sich unser Auslaufen noch ein wenig, denn meine altenSeefahrer Knochen warnen mich vor einem aufkommenden Sturm. Hierin der Bucht liegen wir geschützt und egal wie eilig unser Auftrag aucherscheint, auf dem Meeresgrund nützen wir niemand“, ließ Scuffi keineZweifel daran aufkommen, wer für die Schiffsführung und somit für ihreSicherheit zuständig war. „Also trinkt noch einen Becher Roten, rauchtnoch ein Pfeifchen und tauscht euch aus.“

Als wenn der Wettergott Scuffis Worte hörte, fing kurz darauf der Windan in der Takelage zu orgeln. Auch blieb den Männern nicht verborgenwie unruhig die Bewegungen des Schiffes auf einmal wurden.Anscheinend das Signal für Scuffi, um die gesellige Runde zu verlassen.Befehle wurden gebrüllt und nackte Füße trappelten auf dem Deckherum. Dann hörte die Trinkrunde wie ein zweiter Anker ins Wasserplatschte, was dazu führte, dass sich das bockige Schiff wiederberuhigte. Nach und nach suchten die Männer der geselligen Runde ihreUnterkünfte auf, nur William und Kyyraq begaben sich an Deck, umfrische Luft zu schnappen. Als sie jedoch ein ungemütlicher, stürmischer,regnerischer Wind empfing, machten sie sofort wieder kehrt, um sichebenfalls in ihre Unterkunft zu begeben. Dort wurden sie vom genauenGegenteil empfangen. Die kleine, dunkle Kammer war angefüllt mitstickiger Luft. In dieser Situation kam es den Beiden zugute, dass sie inder letzte, Zeit, in der sie dem bequemen Leben adieu sagten, ziemlichabgehärtet wurden. Dazu gehörte auch, dass es ihnen nichtsausmachte, die Kabine mit vier weiteren Männern zu teilen. Bald erfülltenur noch das tiefe, ruhige Atmen der Schlafenden die Kabine. Einzig, dieunterschiedlichen, in unregelmäßigen Abständen ertönenden Schnarch-Geräuschen unterbrachen die Stille.

Beim Erwachen spürte William sofort, dass das Schiff nicht mehr vorAnker lag, sondern dass es sich mit den Naturgewalten maß. Der Sturmwar soweit abgeflaut, dass Kapitän Scuffi den Segelbefehl gab. Nunstampfte die „Möwe von Asgardun“ durch die kräftige Dünung desoffenen Meeres. Eigentlich sollte der Bug der Hulk nach Westen zeigen,doch der kräftige Wind stand so, dass sie einen weiten Schlag nachSüden machen musste. Am Nachmittag schrie der Ausguck „Boot ahoi,

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voraus“, dabei zeigte sein ausgestreckter Arm in Fahrtrichtung. DerKapitän schickte seinen Ersten Offizier mit einem Fernglas in denAusguck und alle warteten gespannt auf die Nachricht aus seinem Mund.

„Ein kleines Fischerboot, anscheinend mit zwei Mann besetzt, treibt ineiner Flaute“, rief der Erste Offizier mit seiner alles übertönenden Stimmeaus dem Ausguck herunter. Sofort entspannte sich das Gesicht vonScuffi und als er Williams Blick sah, da erläuterte er seine Nervosität.

„Bei dem Sturm der letzten Nacht wäre es auch möglich, dass einKriegsschiff der Regentin den schützenden Hafen von Mhyrnax nichtmehr erreichte, vom Kurs abkam und jetzt hier rumschippert. Schließlichtreibt sich auch der Fischer nicht freiwillig so weit vor der Küste vonMhyritrias herum. Der Sturm scheint ihn überrascht zu haben, kann vonGlück sagen, dass nicht schon die Fische an ihm nagen.“

Gleich darauf rief der Kapitän seine Befehle, worauf die „Möwe“ mit allerLeinwand, die sie tragen konnte, auf das Fischerboot zuhielt. Trotzdemdauerte es länger als William dachte, bis er das Fischerboot mit eigenenAugen sah.

„Fischerboot ahoi“, rief Scuffi hinüber, als sie mit immer schlafferwerdenden Segeln in Rufweite kamen, „braucht ihr Hilfe oder kommt ihralleine klar?“

*

Eliasar und sein Sohn hatten die Hulk viel eher gesehen, kein Wundersie war um ein vielfaches größer, als ihr kleiner Kahn. Mit gemischtenGefühlen bemerkten sie, dass das große Schiff direkt auf sie zuhielt.

„Sie haben uns entdeckt! Bleib ruhig mein Sohn! Für sie sind wir Fischer,die vom Sturm überrascht wurden, jedenfalls solange, bis wir wissen, obes sich um ein Schiff der Regentin handelt“, wies Eliasar seinen Sohnan.

Eliasar wusste, dass es sinnlos, aber auch dumm wäre einenFluchtversuch zu unternehmen. Also blieb ihm gar nichts Anderes übrig,als mit zwiespältigen Gefühlen auf das Zusammentreffen mit demfremden Schiff zu warten.

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„Eine Hulk“, beschrieb Eliasar seinem Sohn den Schiffstyp, „sie gehörteigentlich nicht zum Standardtyp der Kriegsflotte der Regentin.“

„Wenn mich meine Augen nicht trügen, dann steht am Bug der Name„Möwe von Asgardun“, stieß Gawain erstaunt aus.

„Das mit der Möwe hättest du noch raten können“, damit spielte Eliasarauf die entsprechende Gallionsfigur an, „doch Asgardun? Sohn, duscheinst meinen Falkenblick geerbt zu haben.“

„Anscheinend Vater“, grinste Gawain zufrieden zurück.

„Unmöglich, dass die „Möwe von Asgardun“ ein Schiff der Regentin seinsollte. Ein Name, den sie nicht dulden würde. Der Eigner, aber auch derKapitän und seine Besatzung müssen mutige Leute sein, dass sie ihrSchiff so nennen, es könnte ihnen als Hochverrat ausgelegt werden“,stellte Eliasar voller Überzeugung fest.

Das war genau der Moment, als sie der Ruf des Kapitäns erreichte.

„Ahoi, Möwe von Asgardun. Der Sturm hat uns sehr weit aufs Meergetrieben, keine Ahnung wie weit die Küste entfernt ist undschlussendlich sind wir mit unseren Kräften am Ende. Wir wärendankbar, wenn wir an Bord kommen dürften“, brachte Eliasar seineErleichterung über das Zusammentreffen mit dem fremden Schiff zumAusdruck.

Wenig später glitt die „Möwe von Asgardun“ längsseits, Taue wurdenhinüber geworfen und beide Boote miteinander vertäut. Eliasar griff in diePüttings und kletterte an ihnen hoch, um sich wenig später über dieReling zu schwingen. Ihm auf dem Fuße folgte Gawain. Auf demMitteldeck erwartete sie schon die verschworene Gemeinschaft der altenFürsten von Asgardun, William, Kyyraq und Kapitän Scuffi.

Der Kapitän trat vor und reichte dem Ankömmling seine verwitterte,schwielige Hand.

„Scuffi Bluemar“, abwartend schaute er dem Ankömmling in die Augen.

Eigentlich wollte Eliasar sich ebenfalls vorstellen, doch es verschlug ihmgerade die Sprache.

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„Der Scuffi Bluemar, der sagenhafte Weltenumsegler, der Einzige, derschon mehrfach das legendäre Reich Anethalias besuchte? – Eliasarvon Falkenstein mit seinem Sohn Gawain“, fand er endlich seineFassung wieder und stellte sich nun ebenfalls vor.

Zwar verbargen die Fürsten ihr Erstaunen gut, nur William fehlte dienötige Beherrschung, um seine freudige Überraschung laut herauszulachen.

„Das ist ja total verrückt, zu euch wollten wir“, fügte er dann aber docherklärend hinzu.

Nun sahen sich Vater und Sohn verständnislos an.

„Baron, folgt uns unter Deck, ich glaube wir haben einiges zubesprechen!“, übernahm nun Scuffi das Kommando.

Als sie später alle in der Kajüte des Kapitäns an der Tafel saßen, erklärteWilliam den Ankömmlingen seinen erstaunlichen Ausspruch. AuchEliasar sah keinen Grund mehr, seinen Rettern die Wahrheitvorzuenthalten und so legte er seine Karten auf den Tisch.

„Spätestens Ende Minar steht die geballte Streitmacht der Regentin vorBurg Falkenhorst. Doch ich rechne damit, dass berittene Streitkräfteschon vier Wochen vorher dort aufkreuzen. Mein Verwalter und derBurgkommandant haben bereits Kenntnis“, führte Eliasar weiter aus.

„Wie das?“, suchte Beofan von Bersaskhan erstaunt nach einerErklärung.

„Kleine, geflügelte Boten haben die Nachrichten überbracht. MeineVertrauten sind clever genug, um die richtigen Maßnahmen zu treffen.Trotzdem fände ich es toll, wenn der Wind zur Abwechslung mal aus derrichtigen Richtung bliese“, fügte Eliasar noch einen Wunsch hinzu.

Doch erst im Laufe des nächsten Tages wurde sein Wunsch vom Gottder Winde erhört. Zwei Tage später, gegen Mittag, sahen sie die Küstevon Mhyritrias, und hielten auf die Bucht zu, in welcher dasFischerdörfchen Seenadel lag. Trotzdem wurde es Abend, bis sie in denHafen einliefen und anlegten. Im letzten Tageslicht wurden die Pferdeüber einen breiten Laufsteg auf das Pier gebracht. Eliasar hatte seine

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neuen Verbündeten davon überzeugt, sofort aufzubrechen. Das spätereUmladen der Waffen und anderer Güter auf Barkassen, um sie auf demWasserweg zur Burg zu bringen, lag bei Scuffi in bewährten Händen. Sokam es, dass die kleine Heerschar, bestehend aus dem Baron, Williamund Kyyraq, sowie den elf Stammesfürsten, in die aufkommende Nachtritten. Dabei kam ihnen der Umstand zu Gute, dass der Baron vonFalkenstein das Land wie seine Westentasche kannte. Tatsächlichlegten sie noch diesen und jenen Kilometer zurück, bevor sie einNachtlager aufschlugen.

Doch zuvor, noch auf dem Weg in die Bucht, hatte der Baron zuerst mitseinem Sohn und dann mit dem Kapitän eine längere Aussprache.

„Kapitän, ich wollte euch bitten, meinen Sohn vorerst bei euch zubehalten“, brachte Eliasar sein Anliegen vor.

„Kein Problem, Baron. Wir können sowieso jede Hand beim Verladenund Transport der Güter gebrauchen. Natürlich treiben euch andereGründe. Ihr wisst nicht was euch daheim erwartet und ihr wollt eurenSohn vorerst in Sicherheit wissen. Macht euch keinen Kopf um ihn, ichwerde ihn hüten wie meinen Augapfel und sollte Seefahrerblut durchseine Adern fließen, dann finde ich es bestimmt heraus. Also Kopf hoch,konzentriert euch auf eure Aufgabe, sie wird schwer genug.“ Wie, umdas Bündnis zu besiegeln, hielt der Kapitän dem Baron die Hand hin.

„Ganz so ist es nicht. Wenn ihr die Waffen und Versorgungsgüter mitLastkähnen über die Mydruse zur Burg verschifft, wird euch mein Sohnvon besonderer Hilfe sein, denn er kennt den geheimen Zugang, der nurvom Fluss aus zu erreichen ist. Ansonsten habt ihr natürlich vollkommenRecht“, gleichzeitig schlug er in die hingehaltene Hand ein.

Natürlich war sein Sohn nicht wirklich begeistert, auch wenn ihn dasSchiffsleben eingenommen hatte. Viel mehr wollte er an der Seite seinesVaters gegen den verhassten Feind kämpfen. Doch als er die wichtigeAufgabe erfuhr, die er im Auftrag seines Vaters erledigen sollte,verschloss er sich dessen Argumenten nicht mehr. Am Ende gab eseinen kurzen Abschied und später ein paar verstohlene Tränen, dochdann meldete sich Gawain beim Kapitän zum Dienst.

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Am späten Nachmittag des zweiten Tages erreichte Eliasar mit seinenVerbündeten den Gutshof. Das Gut wirkte wie ausgestorben und erst aufdie Rufe des Barons kam ein Mann hinter der Scheune hervor.

„Nicht so schüchtern Rhufius, die Herren sind unsere Verbündeten. Abernun mal raus mit der Sprache, wo ist Antus?“, versuchte der Baronseinem Knecht die Hemmungen zu nehmen.

„Er ist mit unseren Leuten und einem Teil des Viehs ins geheimeVersteck in den Bergen gezogen. Er sagte, ihr werdet bald kommen undich sollte warten, um euch das auszurichten. Zuvor haben wir die Burgmit Vorräten versorgt. Ja, so lautete mein Auftrag“, dabei nickte Rhufiusmit dem Kopf, wobei er richtig stolz auf sich zu sein schien, dass er sichalles so gut gemerkt hatte.

„Gut gemacht Rhufius“, bekam er auch sogleich das bestätigende Lobvom Baron. „Du machst dich dann auch auf den Weg ins Versteck oderwenn du willst, darfst du auch auf der Burg bleiben. Doch du musst dichsofort entscheiden, denn steht der Feind erst mal vor dem Tor, sokommst du für längere Zeit nicht mehr raus.“

„Ich gehe zu meinen Leuten in die Berge“, schien Rhufius Entscheidungschon vor längerer Zeit gefallen zu sein.

Eliasar hob eine Hand und gab den Befehl zum Aufbruch. „Wir reiten aufdie Burg und beraten uns mit Elbraq.“

Schon von weitem sah Eliasar seinen Burgkommandanten auf dem Turmstehen, der zum Torhaus gehörte und winkte ihm zu, wohl wissend, dassihn jener bestimmt erkannte, da er durch ein Fernrohr blickte. Alsdeutlich sichtbares Zeichen, dass sich bisher kein Feind blicken ließ,deutete er die heruntergelassene Zugbrücke. Wenig später ritten sie mitlauten Getrappel und Geklapper über die dicken Holzbohlen, aus der dieZugbrücke bestand, über den Trockengraben und anschließend durchdas Torhaus, um schließlich auf dem Burghof die Pferde zu zügeln.Männer eilten herbei, um den Rittern die Pferde abzunehmen. NachdemEliasar vom Pferd gesprungen war, erblickte er Gertrud, die ihn mitTränen in den Augen entgegenblickte. Ohne sich um die Blicke deranderen zu scheren, stürmte er auf sie zu und umarmte sie.

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„Kein Grund zum Weinen, Tante Trudi. Der Junge ist vorerst inSicherheit und wir sind auf alles vorbereitet. Sie werden sich die Zähnean der Burg ausbeißen und außerdem halte ich noch ein paarÜberraschungen für sie bereit.“

Ein begrüßender Blick für seinen Burgkommandanten, dann begabensich die Ankömmlinge geschlossen in den großen Rittersaal.

*

Hinter Jonathan und seinen Gefährten lag eine vierwöchige Reise mitdem Fuhrwerk, bei der sich die unterschiedlichen Wesen weitaus näherkamen, als es ihnen als Mensch, Hund und Ratte je möglich war.Abwechselnd lenkten sie das Fuhrwerk, jagten und führten langeGespräche an den abendlichen Lagerfeuern. Als sie eines Abends vonweitem die Stadtmauern der Hauptstadt Arthuradon erblickten, dawusste Jonathan, dass ihnen bald eine große Prüfung bevorstand. In derNähe eines kleinen Eichenhaines schlugen sie ihr letztes Nachtlager auf.Im flackernden Schein ihres kleinen Lagerfeuers erklärte Jonathanseinen tierischen Freunden, das sie morgen ihr Ziel erreichen würdenund was sie dort erwartete, aber auch wie er die Dinge sah.

„Bomba, Caligula, morgen bewegen wir uns wieder unter Menschen. Ichhabe nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ihr euchwieder in eure Tiergestalten verwandeln solltet. Ihr seid mein größterTrumpf, den ich nicht vorschnell verschießen möchte. Als Hund undRatte seht und hört ihr Dinge, die mir vielleicht verborgen bleiben,außerdem haben wir im Notfall den Überraschungseffekt auf unsererSeite.“ Als er in ihre Gesichter sah, deutete er ihre Blicke falsch, denn erfügte schnell noch erklärend hinzu. „Wenn ihr euch verwandelt undplötzlich in Menschengestalt ins Geschehen eingreift, dann möchte ichden sehen, der nicht überrascht ist. Oder wie seht ihr das?“

Seine Gefährten nickten zustimmend, damit war die Sache geklärt. Amnächsten Morgen, als Jonathan erwachte, da kuschelte wieder der Hundan seiner Seite und der Schwanz der Ratte lugte unter der Decke hervor.

„Schön, dass ihr so verständnisvoll seid“, begrüßte Jonathan seine sounterschiedlichen Freunde.

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Ein kleines Frühstück und ab ging die Fahrt. Im Laufe des Vormittagsnäherten sie sich dem Moloch Arthuradon, der Stadt, die längst aus allenNähten platzte. Links und rechts der Stadttore war im Laufe der Zeit einärmlicher Bezirk aus einfachen Bretterbuden entstanden. Doch dieArmen der Ärmsten besaßen nicht mal das. Sie hausten in einfachenUnterständen, bestehend aus Ästen mit Blättern. Mit jedem Meter, densich Jonathan mit seinem Gefährt, auf der holprigen Straße, der Stadtnäherten, wuchsen die Stadtmauern höher aus dem Boden.

Längst hatte sich Jonathan mit seinem Fuhrwerk in eine lange Schlageähnlicher Fahrzeuge eingereiht. Viele Menschen brachten, genauso wieer, die unterschiedlichsten Waren in die Stadt. Direkt vor ihm kam geradeein schweres Fuhrwerk, beladen mit Baumstämmen, zum Stehen. Dievier Ochsen erweckten dabei den Eindruck, als wenn sie für diese kleinePause durchaus dankbar waren. Von hinten wurden sie von einemFuhrwerk mit Säcken, vermutlich Getreide, eingekeilt, so dass es keinZurück mehr gab. Seine Ängste und Sorgen stellten sich jedoch schonbald als unbegründet heraus, hatte er doch den Begleitbrief derRegentin. Nachdem er die Urkunde, eine vorzügliche Fälschung, derWache vorgezeigt hatte, bestehend aus zwei alten Veteranen, derenbeste Zeiten lange vorüber waren, wurden sie ohne Kontrollendurchgewinkt. Schon polterte das Fuhrwerk durch das gewaltigeTorhaus. Einem mächtigen Turm, den er schon bei der Anfahrtbewunderte.

Zwei Durchgänge führten hindurch, wobei einer den Verkehr in die Stadthineinleitete, während man durch den anderen die Stadt verlassenkonnte. Auf der anderen Seite der Stadtmauer ruckelte der Wagen überden angrenzenden, gepflasterten Platz. Während sich Jonathan nochbeglückwünschte, dass alles so glatt gelaufen war, begannen seineProbleme. Was hauptsächlich darauf beruhte, dass er sich in dem Gewirrvon Gassen nicht auskannte. Dabei verbot es sich einfach anzuhaltenund sich umschauen. Schließlich wollten hinter ihm noch andereFuhrwerk in die Stadt, er hätte einen Verkehrsstau ausgelöst. Und daswiederum hätte die Obrigkeit auf ihn aufmerksam gemacht. Etwaswonach ihm nun gar nicht der Sinn stand. Ein Blick nach vorn sagte ihm,dass von der breiten Hauptstraße, die er befuhr, in kurzen AbständenGassen abgingen. Überall hingen Nasenschilder an den Häusern, aus

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denen hervorging, welches Geschäft das betreffende Haus beherbergte.Plötzlich erinnerte er sich daran, dass der Druide eine Schmiedegasseerwähnte, der er bis zum Ende folgen sollte. Gerade passierte er dasBadehaus, indem Barbiere und Bader ihrem Geschäft nachgingen, als erauf einem Nasenschild über der nächsten Gasse, Hammer und Ambosserkannte. Mit den Zügeln veranlasste er das vordere, linke Pferd, dieRichtung zu wechseln, so dass sich Gespann und Wagen auf die Gassezubewegten. Erst jetzt erkannte er wie eng die Gasse war, was ihn dazuveranlasste die Gangart der Zugpferde nochmals zu verlangsamen. DerGeruch, der ihm hier in die Nase stieg, sprach dafür, das Pferdeställe inder Nähe waren.

Jonathans nächste Wahrnehmung ging von den Geräuschen aus, dieHämmer erzeugten, wenn sie das noch weiche Eisen auf dem Ambossbearbeiteten. Schlagartige wurde auch der Geruch des Pferdestalls vonHolzkohle und dem Schweiß schwer arbeitender Männer abgelöst.Spätestens hier, auch wenn er am Anfang der Gasse das Ständeschildübersehen hätte, wüsste er, dass er sich in der Schmiedegasse befand.Obwohl Jonathan dem Führen des Fuhrwerks seine volleAufmerksamkeit schenken, erhaschte er doch das Geschehen in einemder offenen Höfe. Bewundernd betrachtete er den muskulösen,rußverschmierten Hufschmied und seine Gesellen, wie sie mittelsKörperkraft und entsprechenden Werkzeugen ein Stück glühendes Eisenauf dem Amboss bearbeiteten, um daraus etwas zu formen, wasMenschen auf irgendeine Weise brauchten. Doch das war nur eineMomentaufnahme, da das Fuhrwerk seine ganze Aufmerksamkeiterforderte, vor allem da er gerade eine andere Gasse kreuzte.

Wieder im gegenüberliegenden Teil der Schmiedegasse, schielte er miteinem Auge wieder auf das Treiben, der hier ansässigen Menschen. Imnächsten Hof, dem des Waffenschmieds, erblickte er ein ähnlichesSzenario. Geschwitzte, rußverschmierte Männer, mit Lederschürzen, dienicht die Muße besaßen, um von der Arbeit aufzublicken. Der Gesellehielt mit einer Zange das glühende Stück Eisen, während der Meister mitdem Hammer, die noch weiche Masse bearbeitete. In der Glut, die vomLehrling mittels Blasebalg mit Sauerstoff versorgt wurde, wartetenweitere Stücke glühenden Eisens.

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Jonathan riss sich von dem Bild los, denn schon wieder steuerte er aufeine zu kreuzende, jedoch weit breitere Gasse zu. Die Fußgänger hier inder Hospitalgasse, vermutlich aus Erfahrung schlau, verharrten unddrückten ihre Körper dicht an die Wände der Häuser, bis das Fahrzeugsie passiert hatte.

Sein Blick fiel auf die Schänke „Zum Dicken Engel“, der die Durstigen zueinem Umtrunk einlud. Gern wäre er dort eingekehrt, um seinen Durst zulöschen. Doch dann hätte sein Fuhrwerk für eine gewisse Zeit die Gasseversperrt.

Auf seiner Fahrt hatte Jonathan etwas von der Bauweise desStadtviertels mitbekommen. Von den breiteren Gassen, denVerkehrsadern, gingen in regelmäßigen Abständen winzige Gassen ab,die nicht mal Namen trugen. Sie waren so schmal, dass sich zweiMenschen gerade mal so aneinander vorbeizwängen konnten.

Inzwischen machte Jonathans Gasse einen Schwenk nach rechts, wasschon wieder seine volle Konzentration erforderte, damit er nicht dieHauswände rammte. Als er um die Ecke rum war, kündigte sich dasEnde seiner Fahrt an. Denn er fuhr auf eine Mauer mit großem Holztorzu, welches weit offenstand. Über dem Tor befanden sich zwei Schilder,die darauf hinwiesen, um wessen Grundstück es sich hier handelte. Aufdem einen Schild prangte eine weiße Hand auf schwarzem Grund, aufdem anderen eine bunte Narrenkappe. Vor ihm lag das Areal von Maxdem Heiler und Anführer der Schausteller, somit war er am Ziel.

Bomba schien einen siebenten Sinn dafür zu haben, dass sie am Zielwaren, denn er erhob sich von seinem Lager, um sich zu recken und zustrecken. Auch Caligulas Köpfchen schob sich neugierig aus JonathansGürteltasche und seine flinken Augen sahen sich neugierig um. Kaumhatte Jonathan das Gespann auf dem Hof quietschend zum Stillstandgebracht, da näherte sich auch schon eine laut kläffende Hundemeute.Bomba richtete sich zu voller Größe auf, wobei es für Jonathan soaussah, als wenn er auf Zehenspitzen stellte und sich wie einOchsenfrosch aufblähte. Nachdem er sich in Pose gebracht hatte, nahmvon seinem hohen Standpunkt die Meute gelassen in Augenschein. Undwie um der Meute zu zeigen, dass er keinen gleichwertigen Gegnerentdeckt hatte, legte er sich wieder hin. Dieses abwertende Verhalten

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machte die heran tobende Meute nur noch rebellischer. Einer der Hunde,eine mittelgroße Ausgabe, sprang am Wagen hoch, um seinen Protest,mit sich überschlagenden Bellen, kundzutun. Ein anderer, zwar kleiner,anscheinend aber mit großer Sprungkraft ausgerüstet, machte denFehler auf die Ladefläche zu springen, wo Bomba auf den Fellenliegend, das Spektakel gelassen beobachtete. Bevor sich der Vorwitzigeversah, musste er feststellen, dass der Platzhalter nicht so phlegmatischwar, wie er aussah. Der aufdringliche Hund bekam von Bomba einenSchups mit der Schulter, so dass er erschreckt, einen hellen, schrillenLaut ausstoßend, wieder herunterfiel. Einem Burgbesitzer gleich, dergerade den angreifenden Feind abwehrte, setzte sich Bomba wieder aufden Fellstapel und blickte herausfordernd in die Runde. So als obBomba sagen wollte, wer meine Burg einnehmen will, der muss zuerstmich besiegen.

„Schluss mit dem Theater!“, ertönte eine Stimme, die keinenWiderspruch duldete. „Komm mal her, Öhrchen“, lockte der Rufer denHund, der gerade Bekanntschaft mit Bomba gemacht hatte. Der Mannkniete sich hin, streichelte den Hund und untersuchte ihn dabei. „Wie esaussieht ist dir nichts passiert. Hoffentlich merkst du es dir endlich, nichtimmer so vorlaut zu sein. Wenn Raffzahn sich zurückhält, dann solltestdu dir besser daran ein Beispiel nehmen, dann blieben dir solchunangenehme Erfahrungen erspart.“

Max, denn um jenen handelte es sich, erhob sich und schritt auf denAnkömmling mit fragendem Blick zu.

„Wie ich sehe habt ihr Felle auf eurem Wagen. Wenn ihr einen Käuferdafür sucht, dann habt ihr euch jedoch verfahren. Die Gerbergasse liegtvor der Schmiedegasse, guter Mann.“

Jonathan setzte ein Grinsen auf, aus dem Max entnahm, dass er mitseiner Mutmaßung falsch lag.

„Mein Name ist Jonathan, doch das tut eigentlich nichts zur Sache, ichhabe wichtige Post von einer alten Bekannten.“ Natürlich war sichJonathan durchaus im Klaren darüber, dass diese Ankündigung nichtausreichen würde, um das Vertrauen von Max zu gewinnen. Also zog erden knorrigen Stab unter den Fellen hervor und berührte Max damit.Augenblicklich ging über dessen Gesicht ein verstehendes Lächeln.

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„Ach, die Bekannte meint ihr, eine wirklich sehr gute Bekannte“, kleideteMax sein Verstehen in Worte. „Folgt mir bitte in mein Haus. Nein, zuerstmuss ich die Hunde miteinander bekannt machen, sonst gibt es nurStress. Wie heißt denn euer kleiner, kräftiger Klops auf dem Wagen?“

„Bomba! Ein friedlicher Bursche, lässt sich nur nicht auf der Nase herumtanzen. Bomba, komm her.“

Bomba sprang mit einer Geschmeidigkeit vom Wagen, die man deruntersetzten Bulldogge mit seinen kurzen Beinchen gar nicht zugetrauthätte.

„Sitz!“, forderte ihn Jonathan auf.

„Raffzahn, Blacky, Fleck, Öhrchen“, befahl nun Max seine Hunde zusich, dabei zeigte er auf eine Stelle neben sich. Da saßen sie aufgereihtwie die Orgelpfeifen gegenüber von Bomba und warteten Aufmerksam,was ihr Ober-Chef ihnen zu sagen hatte. „Damit das ein für alle Mal klarist, der Dicke ist hier zu Besuch und wird dementsprechend behandelt.“Zum Schluss wand er sich direkt an Raffzahn. „Ich mache dich für jedenÄrger persönlich verantwortlich, du bist der Chef und ich erwarte von dir,dass du deine Jungs im Griff hast, verstanden?“ Raffzahn winselte leise,denn er mochte es gar nicht, wenn Max streng mit ihm sprach. Hechelndhob er eine Pfote, so dass Max grinsen musste. „Wie ich sehe verstehenwir uns“, wobei eine Hand Raffzahn über den Kopf streichelte. „So dieSache ist erledigt, wir können ins Haus gehen.“

Jonathan nickte verstehend, was ihn aber nicht davon abhielt, Bomba imgleichen Sinne zu bearbeiten.

„Das Gleiche gilt natürlich auch für dich, Bomba. Damit es keineMissverständnisse gibt, ich erwarte von dir, dass du dich ebenso an dieAbmachung hältst. Mach dir die Bande einfach zum Freund, sind ehkeine Gegner für dich.“ Ein abschließender Streichler über BombasFledermausohren, dann folgte er dem Hausherrn.

Max ging voraus und führte den Besucher über eine hölzerneAußentreppe mit anschließender Veranda, ins Innere des Hauses.Wenig später gelangten sie in ein gemütliches Zimmer mit Kamin. Hierbot der Hausherr Jonathan einen Sessel an. Max ließ sich gegenüberebenfalls in einen Korbsessel sinken und wollte gerade den Mund zu

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einer Frage öffnen, als er gebannt auf Jonathans Bauch starrte.Jonathan folgte dem Blick und musste schon wieder grinsen, als er sah,was Max irritierte.

„Caligula, meine zahme Ratte“, fühlte Jonathan sich zu einer Erklärunggenötigt.

Max schluckte einmal heftig, um dann zu Ende zu führen, wovon ihn daskleine Köpfchen Caligulas abgehalten hatte.

„Tee, Bonsud oder ein Bier?“,

„Bonsud, was ist das?“, reagierte Jonathan verwirrt.

„Ihr seid wohl nicht von dieser Welt, denn so arm seht ihr nicht aus, dassihr euch das Getränk nicht leisten könntet. Wird aus gemahlenen,dunklen, kleinen Bohnen und kochendem Wasser gemacht“, schob Maxdie Erklärung doch noch hinterher.

„Ach so, Kaffee! Jetzt fällt es mir auch wieder ein, dass das Gesöff hierso genannt wird“, bat Jonathan um Verständnis. „Übrigens, ihr hattetvollkommen recht, ich bin nicht von dieser Welt.“ Seine Äußerung führtedazu, dass ihn ein weiterer erstaunter Blick von Max traf.

„Doch zuerst das Wichtige - Roxanes Botschaft. Die Regentin besaß dieUnverfrorenheit die Ex-Königin Isabella zu entführen und als Geisel zunehmen. Mit diesem Schachzug will sie wohl auf deren Söhne Druckausüben. Im Hinblick darauf, dass sie die Hauptstadt von Soldatenentblößt hat, um Krieg gegen den freien Teil von Mhyritrias zu führen,eine nachvollziehbare Maßnahme. Isabella wird irgendwo im Palastgefangen gehalten und ihr sollt sie befreien“, brachte Jonathan dieBotschaft auf eine kurze Formel.

„Woher wisst ihr von den Königskindern?“, im Gesicht von Max spiegeltesich Erstaunen, ja fast Erschrecken. „Kann mir beim besten Willen nichtvorstellen, dass Roxane das Geheimnis einem Fremden anvertraute.Außerdem sagt mir mein Gefühl, dass ihr etwas mit meinem Auftrag zutun habt.“

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„Das ist eine etwas längere Geschichte und eine Tasse Kaffee undetwas Gebäck wären jetzt vielleicht wirklich nicht fehl am Platz“, erinnerteJonathan seinen Gastgeber an dessen Angebot.

„Wie unhöflich von mir, aber gewiss doch“, und schon verschwand Max,um gleich darauf mit einem Glas Wasser zurückzukommen. „Das Anderedauert einen Augenblick, hier etwas zu trinken, damit der Mund nicht zutrocken wird.“

„Eigentlich weiß ich nicht wo ich anfangen soll“, wirkte Jonathan, ob derkomplizierten Geschichte ein wenig hilflos. „Ich gehe mal davon aus,dass ihr den Stab als das erkannt habt, was er wirklich darstellt. Einstgehörte er dem Druiden Arthumalix, der auf geheimnisvolle Weise denWeg in meine Welt fand. Ein anderer Mensch meiner Welt enthüllte dasGeheimnis, drang in eure Welt ein und verdingte sich bei der Regentin.Roxane befürchtet nun, dass selbiger Eindringling, der das geballte,überlegene Wissen meiner Welt mit sich rumträgt, die Geschichte eurerWelt zu euren Ungunsten beeinflussen könnte. Sie zwang mich in eureWelt, damit ich den Störfaktor wieder entferne. Das bedeutet, währendihr die Königin befreit, muss ich den Menschen aus meiner Weltgefangen nehmen.“

Max nickte verstehend. „Das erklärt einiges, aber nicht euer Wissen umdie Königskinder.“

„Die Geschichte ist so absurd, dass sich alles in mir sträubt sie jemandenzu erzählen“, wehrte Jonathan vehement ab.

„Versucht es einfach“, ließ Max nicht locker.

„In meiner Welt bin ich ein Bildermaler und Geschichtenschreiber, undwie soll ich sagen“, Jonathan stockte die Stimme.

„Weiter nur weiter, bis jetzt kann ich nichts Absurdes erkennen“,ermunterte ihn sein Gastgeber.

„Wie ihr wollt. Die Geschichte, die ich mir ausdachte und niederschriebhandelte von eben dieser, eurer Welt. Das Geschehen aus meinemBuch, scheint hier die Wirklichkeit zu sein und wenn das nicht absolutverrückt ist, dann weiß ich nicht“, dabei verfolgte Jonathan Aufmerksamdie Reaktion von Max.

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Der schaute mit offenem Mund blicklos in den Raum. „Das ist wirklichverrückt“, stimmte jener nun doch zu.

Gerade kam Jenny herein und stellte zwei Töpfe dampfenden Kaffeeund einen kleinen Weidenkorb mit Gebäck auf den Tisch. Fragendschaute sie Max an, doch der machte nur eine unscheinbareHandbewegung, worauf sie den Raum wortlos verließ. Jonathanschlürfte an dem heißen Getränk und griff sich ein Stück süßen Kuchen.Max wartete geduldig bis Jonathan aufgegessen hatte.

„Und das ist nun aber wirklich alles?“, wollte Max misstrauisch wissen.

Jonathan dachte angestrengt nach, dann schlug er sich erschrocken mitder flachen Hand vor die Stirn.

„Fast hätte ich vergessen zu erwähnen, dass ein gewisser Thyrogeniusauf dem Weg nach Bersaskan ist, um ein Heer gegen die Regentinaufzustellen. Er will von Norden durch die Marken ziehen und ihre Bürgerauffordern das Joch der Askanier abzuschütteln. Wann sie jedoch hiervor den Toren der Hauptstadt eintreffen, entzieht sich meiner Kenntnis.“

„Wurde aber auch Zeit, dass Geist der Alten endlich auf dem Planerscheint. Dachte schon, bleibt alles an mir hängen, doch nun ist mirnicht mehr Bange um unsere Sache, alles wird gut“, murmelte Max leisevor sich hin. „Wir haben die nächste Zeit viel zu tun, doch zuerst möchteich euch euer Zimmer zeigen. Wenn ihr Wert darauf legt, darf auch euerHund ins Haus und mit auf euer Zimmer. Aber vielleicht zieht euervierbeiniger Begleiter ja die Gesellschaft der Rasselbande vor. Siehaben einen Verschlag in der Scheune mit viel Stroh.“

„Wir werden sehen, doch wenn ich ehrlich sein soll, würde ich jetzt einwarmes Bad allem Anderen vorziehen und dazu vielleicht noch neue,saubere Kleidung“, ließ Jonathan keinen Zweifel daran, wo seinePrioritäten lagen.

„Das mit dem Bad sollte kein Problem darstellen, bei den Sachen tue ichwas ich kann. Folgt mir, im Keller befindet sich eine Waschküche“, nochwährend er sprach stand Max auf und begab sich zur Tür, wo erverharrte, um auf Jonathan zu warten.

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Der anschließende Weg führte über einen langen Flur, an dessen Endeeine Tür den Gang versperrte. Hinter der Tür erwartete sie eine Treppe,über die sie in den Keller gelangten. In der Waschküche standen zweigroße metallene Bottiche, auf gemauerten Podesten, die gleichzeitig alsÖfen fungierten. Max öffnete eine Ofentür und schob noch ein paarHolzscheite in die Glut.

„Ich lass mich doch nicht kochen“, hob Jonathan abwehrend beideHände.

Mit einem spöttischen Grinsen im Gesicht zeigte Max auf einenHolzbottich, der ein wenig abseits stand. Erst jetzt gewahrte Jonathannoch andere Details der Waschküche. In einer Ecke befand sich einePumpe, daneben standen mehrere Holzeimer, an Haken in der Wandhingen Tücher, was dafür sprach, dass der Badebottich auch vonanderen genutzt wurde.

„Na, dann viel Spaß“, wollte sich Max gerade abwenden, als ihnJonathans Einwand erreichte.

„Kommt jemand, um das Wasser in den Badebottich zu füllen?“ Alleinschon, dass er das Ganze in eine Frage kleidete, zeigte seine eigeneUnsicherheit in dieser Sache.

„Ich kann zwar meine Leute fragen, doch so wie ich das sehe, werde ichkeinen Dummen finden, der eure Arbeit macht. Da sind Eimer, aus derPumpe kommt das kalte Wasser, im Metallbottich ist das heiße Wasser.Hinter dem Badebottich liegen Seife, Lappen und eine Bürste mit Stiel.Vielleicht soll ich euch auch noch erklären wie das mit der Bürste und derSeife funktioniert?“ Max verdrehte den Kopf und schaute seinen Gastgespielt dümmlich an.

Jonathan, dem langsam ein Licht aufging, dass er gerade verarschtwurde, wand sich ab und fing an sich auszuziehen. Als er dann später imsehr warmen Wasser des Bottichs lag, um Schweiß und Dreckabzuweichen, verflog sein aufgestauter Ärger und er genoss das Bad invollen Zügen. Beim Abschrubben seines Körpers stimmte er sogar einLiedchen an.

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„Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, ob du`n Mädel hast oder auchkeins“, hallte seine Stimme durchs Kellergewölbe, um durch dasgeöffnete Kellerfenster auf den Hof zu gelangen.

Dort, auf dem Hof, errichteten der gewaltige Golo, der zwergenhafteAlbin, sowie der grauhaarige Fergus und der lausbübische Odo eineTheaterbühne.

„Weißt du, was eine Reeperbahn ist?“ wollte der lausbübische Odo vomgrauhaarigen Fergus wissen.

Fergus lauschte angestrengt in sich hinein, um dann resignierend denKopf zu schütteln.

„Nicht den geringsten Schimmer.“ Als er sah, dass Odo die beidenanderen Mitstreiter fragen wollte, fügte er noch hinzu, „wenn überhaupt,dann weiß es vielleicht Max, doch ich bezweifle das. Du wirst wohl denFremden direkt fragen müssen, jedenfalls wenn es dich wirklichinteressiert.“

„Nö, so wichtig ist es dann auch wieder nicht“, winkte Odo schnell ab.

Jonathan war noch mit dem Abtrocknen beschäftigt, als die Tür aufgingund Jenny mit den neuen Kleidungsstücken und einem KorbSchmutzwäsche erschien. Die junge Frau fungierte hier im städtischenQuartier als Mädchen für alles, heute war sie anscheinend für dieWäsche zuständig. Während Jenny den Korb abstellte und die frischeKleidung für Jonathan auf einem Holzschemel legte, betrachtete sie dennackten Jonathan ungeniert und ohne jede Scheu. Das änderte sichauch nicht als sie anschließend die abgelegten Sachen von Jonathanergriff. Neugierig befühlte sie die ungewöhnliche Wäsche des Fremden,denn solche Materialien bekam sie noch nie in die Hände.

„Ungewöhnliche Stoffe“, wisperte sie zu sich selbst, nur um sie mit denanderen Kleidungsstücken aus dem Korb in das heiße Wasser desMetallbottichs zu werfen.

Jonathan, der sich inzwischen das Handtuch um die Hüfte gewickelthatte, begutachtete den Kleidungsstapel auf dem Holzschemel.Unterwäsche aus Leinen, ein brauner, langärmeliger Kitte aus Wolle undeine dreiviertel lange Hose, gleicher Farbe und Materials. Da Jenny

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keine Anstalten machte die Waschküche zu verlassen, zog Jonathanseine Stiefel an, ergriff seine Lederoberbekleidung und wollte eigentlichfluchtartig die Waschküche verlassen. Doch unerwartet nahm sichjemand des Problems an, dass Jenny anscheinend für Jonathandarstellte. Als er nach seinem Gürtel griff, krabbelte Caligula aus derGürteltasche, richtete sich auf und stieß so etwas wie einen Pfiff aus.Erschrocken hielt Jenny in ihrer Arbeit inne und als sie die große,aufgerichtete Ratte sah, stieß sie erschrocken einen spitzen Schrei ausund verließ mit fliegenden Röcken die Waschküche.

„Na, geht doch, warum nicht gleich so. Danke Caligula, mein kleinerFreund, toll wie du die Situation gerettet hast. So bekomme ich dochnoch Gelegenheit mich anziehen, ohne von den Blicken diesesneugierigen Weibsstück verfolgt zu werden.“ Gerade wollte er dasHandtuch fallen lassen und seinen Worten Taten folgen lassen, alsJenny schon wieder ihren Kopf durch die Tür steckte.

„Max hat mir gesagt, dass das widerliche Tier eine zahme Ratte sei, diezu euch gehört. Nehmt sie und verschwindet, damit ich weiter meineWäsche waschen kann.“

Resigniert griff Jonathan den Kleiderstapel und verließ die Räumlichkeit.Oben auf dem Flur traf er auf Max.

„Welch seltsamer Aufzug, blieb euch keine Zeit zum Ankleiden“,bemerkte jener verwundert, wobei ein dümmliches Grinsen seinen Mundumspielte.

„Das Weib verließ den Raum einfach nicht. Vielleicht ist das hier soUsus, doch in meiner Welt ist es nicht üblich, sich vor fremden Frauennackt zu zeigen. Hättet ihr vielleicht die Güte mich zu meinem Zimmer zuführen?“, wirkte Jonathan leicht gereizt.

„Na, dann folgt mir ins obere Stockwerk, dort sind die Schlafkammern fürGäste“, erwiderte Max trocken.

Jonathan bekam beim Ausdruck Schlafkammer einen gehörigenSchrecken, denn wie Max es aussprach, klang es fast nach Verlies. Alser dann seine Schlafkammer sah, da wusste er, dass er schon wiederdiesem Spaßvogel von Max auf den Leim gegangen war. Ihn erwarteteein großes, geräumiges Zimmer mit Himmelbett und Kamin. Durch zwei

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verglaste Fenster wirkte der Raum hell und freundlich und man konnteauf den Hof blicken. Nachdem er die frischen Kleidungsstückeangezogen hatte, überlegte er, ob er sich die Lederjacke überziehensollte, weil er sich eigentlich nicht von seinen Schwertern trennen wollte.Da stand er nun und starrte auf das Rückenteil seiner Jacke und wusstekeine Lösung. Im selben Moment klopfte es kurz an seiner Tür undwenig später trat Max ein.

„Fühlt ihr euch bedroht oder warum wollt ihr die Jacke mit denSchwertern anlegen?“, bemerkte sein Gastgeber belustigt.

„Verzeiht, doch ich hänge sehr an den Stücken und fühle mich einfachwohler, wenn ich sie an mir trage“, erwiderte Jonathan trotzig.

„Solange ihr in meinem Haus weilt, könnt ihr euch getrost sicher fühlen.Doch wenn ihr einem inneren Zwang folgen müsst, dann habe ich auchkein Problem damit. Auch wenn ich es für meine Person ausgesprochenunbequem fände. - Darf ich mal sehen?“ Fordernd hielt ihm Max eineHand hin, „bitte!“, dabei grinste er Jonathan entwaffnend an.

Jonathan zog mit der linken Hand das kurze Schwert aus der Scheide.Anschließend ergriff er die flache Klinge mit Daumen, Zeige- undMittelfinger, um Max den Griff hinzuhalten. Sein Gegenüber verfolgtegebannt, mit welcher Geschicklichkeit und wie schnell der Mann aus derfremden Welt die Waffe zog und ihm hinhielt.

Mit einem „Danke!“ nahm Max die Waffe entgegen, um sie fachmännischin der Hand zu wiegen und anschließend durch die Luft sausen zulassen.

„Noch nie eine so ausgewogene Klinge in der Hand gehalten. Tragt ihrsie nur so herum, weil ihr an den Waffen hängt oder könnt ihr sie auch imErnstfall benutzen.“ Gleichzeitig stieß Max die Klinge ohne jede Warnungin Jonathans Richtung. Diesmal war sein Erstaunen nicht gespielt, als ermit der Klinge ins Leere stieß und Jonathan mit dem blitzschnellgezogenen zweiten Schwert den Angriff parierte.

„Oh, der alte Mann ist ein Meister der Kampfkünste, gut zu wissen.“

Mit zwei weiteren blitzschnellen Attacken überzeugte sich Max davon,dass die erste Parade von Jonathan kein Zufall war. Mit diesem neu

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gewonnenen Wissen gab er Jonathan das begutachtete Schwert wiederzurück. Ohne weiter auf Max seltsames Verhalten einzugehen, ließJonathan die beiden Schwerter wieder in ihren Scheiden verschwinden,um die ungewöhnliche Jacke zur Lederhose aufs Bett zu legen.

„Wie geht’s nun weiter?“, gestand Jonathan seinem Gegenüber seineRatlosigkeit ein.

Max erwiderte den nachdenklichen Blick von Jonathan, weil erangestrengt überlegte, wie er Jonathan die bittere Medizin verabreichensollte.

„Wir machen da weiter, wo wir gestern aufgehört haben. Wir versetzender Regentin Nadelstiche und warten auf unsere Chance. Die Frage ist,wie eilig wollt ihr in eure Welt zurück, denn so wie ich das sehe brauchenwir Zeit, da lässt sich nichts übers Knie brechen“, sprach Max denwunden Punkt von Jonathan offen an.

„Ich hatte so etwas Ähnliches befürchtet, aber trotzdem auf eine schnelleLösung gehofft“, machte Jonathan die Konfrontation mit der Realitätverdammt zu schaffen. Doch als er begriff, dass es für ihn keineAlternativen gab, erkundigte er sich, „und wie sehen die Nadelsticheaus?“

„In zehn Tagen führen wir ein neues Stück auf, ach übrigens ich brauchenoch einen Vorleser, der dem Publikum in den Pausen die Geschichtenäher bringt?“ tat Max so, als wenn es sich dabei um ein weit größeresProblem handelte als die soeben angesprochenen. Wie es aussah warer von einem Moment zum anderen in der Rolle des Theaterdirektorsgeschlüpft.

„Das nennt ihr Nadelstiche? Eine Theatervorführung, an der sich dieMenschen ergötzen und Gefallen finden, bezeichne ich eher alsMaßnahme den Frieden zu erhalten“, war Jonathan einigermaßenverblüfft.

„Ein klein wenig mehr Vertrauen solltet ihr mir schon entgegenbringen.Das Stück, welches wir vortragen, wird die Menschen zwarvordergründig unterhalten, doch der Inhalt des Stückes wird sie zumDenken anregen. Am Ende wird sie der Denkprozess zu einer

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Entscheidung zwingen“, schien Max sehr überzeugt von seinerMaßnahme.

Während des Gesprächs verließen sie das Zimmer und Max führteJonathan zu einer schmalen Stiege die nach oben führte.

„Ich dachte, das Haus hat nur zwei Stockwerke?“, verstand Jonathannicht so ganz wohin ihn Max führte,

„Vielleicht ist es euch bei eurer Ankunft entgangen, aber zum Anwesengehört auch ein Turm, von dem man einen guten Ausblick auf die Stadthat.“

Über die Stiege gelangten sie in eine fast leere Kammer mit schmalen,Schießscharten ähnlichen Fenstern. Im Halbdunkeln erkannte Jonathan,dass die Kammer anscheinend als Gerümpel-Kammer genutzt wurde.Ohne das Gerümpel zu beachten, bewegte sich Max auf die Leiter in derMitte des Raumes zu und kletterte behänd nach oben. Am Ende derLeider stieß er eine Klappe auf, durch die er dann auf die Turmplattformgelangte.

„Ihr müsst die Leiter schon selbst erklimmen“, ertönte Max Stimme vonoben zu Jonathan herunter.

Als Jonathan dann auf der Plattform stand, die von Zinnen begrenztwurde, musste er zugeben, dass sich der Aufstieg gelohnt hatte. Maxzeigte nach Norden und Jonathan ließ seinen Blick über die Dächer deszweiten Bezirks schweifen, wo die reichen Händler und Patrizierwohnten, und noch weiter hinaus, bis zum neuen Palas. Dahintererhoben sich trutzig die Türme und Mauern der alten Burg. Aber alleswurde von dem gewaltigen Turm überragt, der am nördlichsten Ende vonArthuradon stand, dort wo sich die Flüsse Vatyr und Vatyrraq gabelten.

Jonathan vollzog eine leichte Drehung nach Nordosten und schon rücktedie gewaltige, goldene Kuppel des Doms ins Blickfeld. Als Jonathan dieDrehung nach Osten weiter vollzog, blickte er über die Dächer desdritten Bezirks, dominiert von zwei kleineren Wassertürmen, einer bei derBrauerei, der andere bei den Papiermachern, jedenfalls wenn er MaxErklärungen Glauben schenkte. Langsam drehte sich Jonathan weiter,wobei sein Blick am mächtigen Torhaus der Stadtmauer kurzhängenblieb. Nach Westen blickte Jonathan auf den Vatyrraq und dass

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Fischerdorf auf der anderen Seite des Flusses. Während Jonathan nochganz in Gedanken die neuen Eindrücke in sich aufsog, registrierte er,dass sein Gastgeber wieder den Dialog aufnahm.

„Jonathan, verratet ihr mir, wie ihr damit klar kommt, dass euch dasSchicksal in meine, eine bestimmt anders gearteten Welt als die eure,verschlagen hat.“

Jonathan überlegte eine Weile und entschied sich dann für eine eherphilosophische Antwort.

„Eine Frage, die ich mir auf ähnliche Weise, auch schon für andereEreignisse in meinem Leben stellen musste. Vielleicht ist es ja gar nichtdas Schicksal, was ein Spiel mit mir, mit uns treibt? Vielleicht sind unsereSeelen so etwas wie Wanderer zwischen den Welten, die auf Geheißeines mächtigen, im Dunkeln wirkenden Regisseurs ins Leben gerufenwurden, um ein gewaltiges, irres Theaterstück von Liebe und Hass,Macht und Ohnmacht, Reichtum und Armut aufzuführen. Zu diesemZwecke bekam jede Seele vom großen Regisseur einen menschlichenKörper als Kostüm zugewiesen. Je nachdem, wie der Regisseur gelauntist, beendet er für die entsprechenden Schauspieler das Stück und siemüssen ihre nutzlos gewordenen Kostüme abgeben. Wohin gehen siedann? Niemand weiß es, nur der Regisseur könnte die Fragebeantworten, doch jener hält sich bedeckt. Vielleicht ziehen sie wieWanderschauspieler zum nächsten Stück, auf einem anderen Planetenoder es wartet etwas vollkommen Neues auf sie.“

Max schien es die Sprache verschlagen zu haben, mit solcher Antworthatte er nun wirklich nicht gerechnet. „Eine interessante Sichtweise, ichwerde bestimmte eine Weile darüber nachdenken.“Schweigendverließen sie den Turm und Max führte Jonathan zur überdachtenVeranda, von der man einen guten Überblick auf den Hof besaß, da siesich auf Höhe des ersten Stockwerks befand. Noch immer arbeitetenOdo und Fergus an der Erweiterung der Bühne. Währenddessen verließder riesige Golo, mit einer Pauke vor dem Bauch geschnallt, zusammenmit dem zwergenhaften Albin gerade das Grundstück, um in der dahinterliegenden Gasse zu verschwinden. Bevor Jonathan eine diesbezüglicheFrage stellen konnte, drangen zuerst das laute Dröhnen der

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Paukenschläge und dann die tiefe, durchdringe Stimme des Zwerges ansein Ohr.

„Hört, hört ihr Leute, im Circus Maximus wird nächste Woche ein neues,unterhaltsames Stück aufgeführt. Das Stück handelt von einem fernenLand, einer schönen Prinzessin und, ach, kauft besser eine Karte undschaut es euch an.“ Die gewaltige Stimme des Zwerges verstummte, umdem Bum, Bum, Bum der Pauke platzzumachen.

„Allen Interessenten an guter Unterhaltung empfehlen wir schon jetzt beiuns Karten zu kaufen, da die Plätze im Circus Maximus begrenzt sind.“

Bum, Bum, Bum und wieder schlug Golo mit dem Schlägel auf dieTierhäute seines Instruments.

„Schaut und hört die Mär von den zwei Brüdern, die das Land von derSchlange befreiten“, hörte Jonathan die leiser werdende Stimme Albins.

Übergangslos versiegte die Geräuschquelle, vermutlich waren dieBeiden um eine Ecke gebogen. Jonathan erinnerte sich, dass dieSchmiedegasse nach circa fünfzig Metern einen Schwenk nach linksmachte, um später auf der Hauptstraße zu enden.

„Ein sehr gewagtes Thema“, sinnierte er, „das könnte die Regentin inden falschen Hals bekommen.“

„Deshalb verlegte ich die Geschichte bewusst in ein fremdes, weitentferntes Land. Ich behaupte einfach, dass ihr, unser weitgereister Gastund Vorleser, die Mär aus eurer Heimat mitbrachtet. Aus einem Land,dass so weit entfernt von dem unseren liegt, dass nie zuvor ein Menschvon dort in unsere Welt gelangte“, erklärte Max.

„Da könnte sogar etwas Wahres dran sein. Eine guteVerschleierungstaktik, doch die Regentin ist nicht blöd“, wies Jonathannochmals auf die Gefahren hin, die ihnen durch dieses doch eherpolitische Stück drohten.

„Natürlich ist Desdemona alles andere als blöd, sie ist ein schlaues,durchtriebenes Luder. Trotzdem sind ihr in diesem Fall die Händegebunden. Sie würde als Letzte auf die Verbindung zwischen der Märund der Wirklichkeit hinweisen. Einen Teufel wird sie tun, sie wird lächeln

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und innerlich kochen", wischte Max die Gefahr einfach hinweg."Papperlapapp, ich gebe euch das Drehbuch zum Lesen. Vielleicht findetihr Gefallen daran und übernehmt die Rolle des Vorlesers."

Obwohl Jonathan noch nicht zugesagt hatte, nahm er das Drehbuchentgegen und studierte es. Beim Lesen erkannte Jonathan schnell dieStellen, die er vorzutragen hatte. Immer mehr vertiefte er sich in dieGeschichte, um Max später dazu zu befragen.

„Alles schön und gut, aber habt ihr euch mit der riesigen Schlange, demLindwurm nicht etwas übernommen? Ich kann mir beim besten Willennicht vorstellen, wie ihr den Kampf gegen das Ungeheuer auf der kleinenBühne bewerkstelligen wollt?“

Max sah ihn einen Augenblick mit Unverständnis an. "Oh, ich vergaßwohl zu erwähnen, dass an einigen Stellen des Stückes Puppenanstelle von Schauspielern auftreten? Lernt ihr nur euren Text, dannwerden wir den Rest schon schaukeln“, ließ Max seinen Gast mit einemerstaunten Gesichtsausdruck zurück.

"Kann mich gar nicht erinnern schon zugesagt zu haben? Glaubte ichdoch, dass ich mit dem Schwert gegen die Bösewichte dieser Weltkämpfen müsste und nun soll ich in die Rolle eines Vorlesers schlüpfen,um mit Worten den Kampf gegen die Regentin aufzunehmen“, brubbelteJonathan leise vor sich hin, jedoch nicht leise genug. "Aber, wenn essein muss, dann bin ich an Bord."

„Das ist gut! Übrigens, ich bin überzeugt davon, dass das Wort eine weitschärfere Waffe sein kann als jedes Schwert“, ließ Max seinen Gastnoch wissen, dann ließ er ihn allein.

Zuerst las Jonathan das Stück im Ganzen, später nur die Stellen, die ihnbetrafen. Als er fürs Erste genug hatte, brachte er das Drehbuch auf seinZimmer und spielte ein wenig mit Caligula.

„Was hältst du davon, wenn wir uns mal den gesamten Komplexansehen? Immer gut zu wissen, wo man sich aufhält.“ Caligula trippelteüber Jonathans rechten Arm auf die Schulter und gab so zu erkennen,dass er für den Ausflug bereit war. Wie zufällig trafen sie Max vor demHaus.

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„Darf ich dich durch mein kleines Reich begleiten oder willst du alleineauf Erkundung gehen?“ Abwartend schaute Max seinem Gast insGesicht.

„Wo sind eigentlich die Zwillinge?“, überraschte Jonathan seinGegenüber mit einer Gegenfrage.

„Sei gewiss, sie sind da, auch wenn du sie vielleicht noch nicht gesehenhast. Mal sehen die Bewohner von Arthuradon den Einen, mal denAnderen, aber niemals sehen sie die Beiden zugleich. Zwillinge würdennur das Interesse der Regentin erwecken, wobei sie bestimmt nichtdavon ausgeht, dass sich die Gesuchten direkt vor ihrer Nase befinden.Ich weiß, dass die Regentin meine Schutzbefohlenen jahrelang mitgroßem Aufwand suchen ließ, doch niemals in ihrer Hauptstadt. Verzeiht,aber damit ist dieses Thema erledigt, folgt mir“, stellte Max klar, dass ernicht weiter darüber reden wollte.

Im Gegenteil, als wenn das vorangegangene Gespräch überhaupt nichtstattgefunden hatte, wechselte Max das Thema, dabei wies er mit einerHand auf die im Umbau befindliche Bühne.

„Dass wir die Bühne vergrößern, hast du wohl schon erkannt, auch wennsie noch nicht ganz fertiggestellt ist? Aus dem restlichen Hof wird zugegebener Zeit der Zuschauerraum. Für einige, die besser betuchtengibt es einfache Holzbänke zum sitzen, der große Rest muss stehen.“

Jonathan beschäftigte sich noch mit dem Gesagten, denn den Hinweisauf die besser Betuchten, gab ihm zu denken, da machte Max eineschwungvolle Körperdrehung, um sich den nächsten Örtlichkeitenzuzuwenden.

„Da drüben liegen Scheune und Pferdestall. Wenn du willst könnten wirja mal schauen, ob sich die Hunde dort aufhalten.“

Ohne eine Antwort von Jonathan abzuwarten, bewegte er sich auf denPferdestall zu. Was blieb Jonathan anderes übrig als ihm zu folgen. Voreiner Pferdebox blieb Max stehen und als Jonathan hineinblickte, sah erdie Meute, in deren Mitte Bomba mit den anderen Hunden um die Wetteschnarchte. So wie es aussah hatte Bomba seinen Rat befolgt, so dassihn die, bis dato fremden Hunde, in ihr Rudel aufgenommen hatten.

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Jonathan registrierte das mit Wohlwollen, denn nun war er diese Sorgelos.

Inzwischen hatte Max am Ende der Scheune eine unscheinbare Holztürerreicht und winkte seinem Gast zu, ihm zu folgen. Sie verließen durchbewusste Tür die Scheune und traten in einen Raum, der auf Jonathanfast wie ein Operationsraum wirkte. In der Mitte stand ein schmalerTisch, dessen metallene Oberfläche silbern schimmerte, mehrereLampen hingen an der Decke. An der Wand ein Hängeschränkchen mitTöpfchen und Violen, darunter ein Tisch auf dem Instrumente lagen, dieauf ihn wie Folterwerkzeuge wirkten.

„Nur für den Fall das meine heilenden Hände und die alten Elixiere derDruiden versagen“, gab Max eine vage Erklärung ab, dann fiel sein Blick,ein wenig vorwurfsvoll, auf den Nager auf Jonathans Schulter, „bitte lassdeine Ratte verschwinden, wir haben soeben mein Hospital betreten.“

Jonathan verstand, klopfte gegen die Gürteltasche und schonverschwand Caligula von seiner Schulter in der Tunika, um durch denÄrmel in die Tasche zu gelangen und darin zu verschwinden. Durch eineweitere Tür gelangten sie in einen großen, hellen Raum. Durch die Mitteführte eine Art Gang, links und rechts standen Betten, die durchVorhänge voneinander getrennt waren. Jonathan zählte zwanzig Betten,doch nur die Hälfte war belegt. Max ging an jedes Bett und sprach einpaar tröstende Worte, einem Patienten wischte er das Gesicht mit einemfeuchten Lappen ab, einem anderen gab er zu trinken. Wie durch Zufallgewahrte Jonathan einen jungen Burschen, vielleicht sechszehn,siebzehn Jahre alt, der sich ebenfalls um die Kranken kümmerte. Undplötzlich war ihm klar, dass er einen der Zwillinge vor sich hatte. VomHospital führte Max seinen Gast in ein angrenzendes Gebäude.

„Unsere Armenküche! Wir beköstigen am Tag ungefähr fünfhundertPersonen, vor allem Kinder. Für sie ist der Hunger die schlimmste allerKrankheiten. Außerdem backen wir Brot, das wir im Armenviertelverteilen“, erklärte Max ohne jeden Pathos.

„Aber das muss doch Unsummen kosten“, staunte Jonathan.

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„Zum Glück verfüge ich über die entsprechenden Mittel und nicht nurdass, viele, denen ich zuvor half, die helfen jetzt mir. Ja, mein Systemfunktioniert“, fügte Max noch leise hinzu.

„Was für ein System?“ Mit seiner Andeutung schien er JonathansNeugier geweckt zu haben.

„Nicht hier, folgt mir in den Garten“, wehrte Max ab.

Sie traten aus dem Hospital und standen übergangslos in derBrunnengasse. Gegenüber lud die Schänke „Zum Klingenden Amboss“zum Biertrinken ein.

„Habt ihr Appetit auf Gerstensaft?“ Ohne eine Antwort abzuwarten schobMax seinen Gast in den Biergarten.

Unter einer riesigen Kastanie nahmen sie Platz und gaben ihreBestellung auf. Von hier konnte Jonathan auch auf den Brunnenplatzblicken, der zwischen der Schänke, der Armenküche, dem Hospital undMax Anwesen lag. In der Mitte stand ein kleiner, aber feinerSpringbrunnen, der anscheinend ein Fabelwesen darstellte, aus dessenMund, Nasenlöchern und Ohren das Wasser sprudelte. Eine Bedienungstellte die Bierkrüge vor ihnen ab und kassierte sogleich.

„Jonathan, heute bist du mein Gast. Morgen, wenn du deine Felleverkauft hast, kannst du allein bezahlen, - oder mich einladen. ZumWohle, Jonathan“, prostete ihm Max zu.

„Danke Max, zum Wohle“, und schon floss der kühle Gerstensaft durchihre durstigen Kehlen.

Schweigend genossen sie ihr Bier. Nachdem sie ihren Durst gelöschthatten, stand Max einfach auf. Jonathan brauchte keine Aufforderungmehr, er hatte sich an Max Eigenart schon gewöhnt. Ihr Weg führte querüber den Brunnenplatz in dessen westliche Ecke. Jonathan hatte zuerstden Eindruck, als wenn sie vor einer durchgehenden Mauer standen, nurum plötzlich eine Tür wahrzunehmen. Als er sich umdrehte, machten dieMenschen auf ihn den Eindruck, als wenn diese sie nicht mehrwahrnahmen. Merkwürdig, ging es ihm noch durch den Kopf, dann warer schon hinter Max durch die geheimnisvolle Tür getreten.

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„Und das ist mein Garten“, erklärte Max mit einer weitausholendenArmbewegung.

Jonathan blickte auf eine Wildwiese, ein paar Obstbäume und einenkleinen Teich im hinteren Bereich. Max begab sich zu dem kleinenPavillon, wo er sich in einen Korbsessel fallen ließ. Jonathan tat es ihmgleich und so verharrten sie eine Weile im Schweigen, dann nahm Maxden Faden wieder auf.

„Das System, du willst wissen, was ich damit meine? Ganz einfach, ichheile Menschen, beköstige sie und zeige ihnen einen Weg aus demElend. Doch nicht alle haben den Mut etwas vollkommen Neuesanzufangen, denn darauf läuft es am Ende hinaus. Doch wer sich aufmich einlässt, dort zu siedeln, wo ich es ihm zeige, den unterstütze ichmit Werkzeug, Waffen, Nutztieren und Saatgut. Die meisten schaffendiesen Neuanfang. Irgendwann wirft ihre Arbeit Gewinn ab und dannunterstützen sie mich, damit ich weiteren Menschen helfen kann. Sofunktioniert das System. Ich besitze Schiffe für den Transport, denn siesiedeln nicht auf Asgardun, sondern im freien Teil von Mhyritrias odernoch weiter weg, im wilden Balbadur. Dort gibt es unendlich viel Land,wo keine Menschenseele lebt, man muss es nur roden und urbarmachen, dann gibt es den Menschen alles was sie zum Leben brauchen.Auf dem Weg in diese neue Welt müssen meine Schiffe das Grind Marüberqueren, um später den Fluss Burca stromaufwärts zu segeln, bis tiefin die Wildnis hinein. Am Rande des Khalaban-Gebirges siedeln schonüber tausend Menschen aus Arthuradon und Umgebung. Sie warenvormals alles arme Schlucker, die eigentlich nur noch ihr Leben zuverlieren hatten. Sie haben gelernt zusammenzuhalten und dass siezusammen stark sind. Ja, so funktioniert das System“, schloss Maxseinen Vortrag.

Bewundernd schaute Jonathan seinen Gastgeber an. „Eine gute Sache,wenn sie funktioniert.“

Währenddessen war die Sonne hinter der hohen Stadtmauerverschwunden und es fing zu dämmern an. Max fuhr sich mit der Handüber den Magen und horchte in sich hinein.

„Jonathan, wenn es dir so ähnlich geht wie mir, dann müsstest du einenBärenhunger verspüren. Hoffentlich haben wir uns nicht verschwatzt und

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die Anderen haben schon alles aufgegessen. Nun komm endlich, dasAbendmahl ruft.“

Max sprang auf und lief Richtung Haupthaus. Als Jonathan vom Gartenin den Hof trat stieß er einen Pfiff aus. Während er auf Bomba wartete,bemerkte er mit Erstaunen, dass der Garten anscheinend hinter einerfesten Mauer verschwunden war. Wo vorher ein freier Durchgang zumGarten war, versperrte dieses hässliche Gebilde auf einmal den Blick aufdas kleine, grüne Paradies.

„Alles nur Illusion, wer sich von der Mauer nicht abschrecken lässt,gelangt trotzdem in den Garten“, ertönte hinter ihm die Stimme von Max.

Bevor Jonathan darauf reagieren konnte, sprang ihn Bomba vollerFreude bis vor die Brust, so dass er Mühe hatte, sich nicht auf denAllerwertesten zu setzen.

„Komm her mein Dicker. Wie ich sehe geht es dir gut und du hastmeinen Rat beherzigt, sie dir zu Freunden zu machen, was direindrucksvoll gelungen ist. Schlaf gut, mein Junge.“

Jonathan gab seinem Hund zum Abschied einen Klaps, dann folgte Maxins Haus. Gleich hinter dem Eingang führte eine Tür nach links in dengroßen Speisesaal. An der großen Tafel saß die ganzeSchaustellertruppe und schaute den Beiden erwartungsfroh entgegen.

„Länger hätte wir auch nicht gewartet“, grummelte die dicke Nelly, diehier, wie auch woanders, egal wo sie mit ihrer Truppe auftraten, alsKöchin fungierte.

Statt einer Antwort erschien ein entwaffnendes Lächeln auf Max Gesicht.Er zeigte Jonathan seinen Platz direkt neben ihm, um sich dannebenfalls hinzusetzen. Ein junger blonder Jüngling verließ noch mal denTisch, verschwand im Nebenraum und kehrte mit einer Schüssel Wasserund einem Tuch zurück. Er stellte die Schüssel zwischen Max undJonathan hin, damit sie sich die Hände waschen konnten. Anschließendhielt er ihnen auch noch das Tuch zum Abtrocknen hin, dann gab Maxden Startschuss.

„Guten Appetit, lasst es euch schmecken, ihr habt es euch verdient.“

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„Danke Max“, kam die Antwort der Anwesenden wie aus einem Mund.

Gleich darauf herrschte nur noch gute Laune am Tisch, zwischenallgemeinen Essensgeräuschen wurden Späße gemacht und diese undjene Information ausgetauscht. Jonathans Blick schweifte über die reichgedeckte Tafel und er entschied sich für ein Stück Brust von demgroßen, gebratenen Vogel, dazu Bratkartoffeln und einem Gemüse,wobei es sich vermutlich um Kohl handelte.

Gerade wollte er den ersten Bissen in den Mund schieben, als ihn deralte Fergus anstieß, der neben ihm saß.

„Eine gute Wahl, den Schwan bekommt Nelly immer vorzüglich hin.“

Auf einmal war Jonathan nicht mehr so überzeugt davon, ob er dierichtige Wahl getroffen hatte. In seiner Welt wäre er nie auf die Ideegekommen gebratenen Schwan zu essen. Doch er überwand seinenWiderwillen und kaute skeptisch auf dem Fleisch herum. Mit Erstaunenstellte er fest, dass das Fleisch auf der Zunge zerging und durchausschmackhaft war. Nachdem er auch noch einen Schluck Rotwein ausseinem Kelch getrunken hatte, aß er die Portion mit Heißhunger auf. AlsNachspeise wählte er eine Schüssel mit süßem Gries, übergossen miteiner roten, fruchtigen Soße. Auf einmal bemerkte er, dass sich alleGesichter ihm zuwandten, was wohl daran lag, dass Caligula plötzlichauf seiner Schulter saß, wo er die allgemeine Aufmerksamkeit sichtlichgenoss. Max machte mit dem Mund ein Geräusch, das verdammt demKlingeln eines Glöckchens ähnelte und schon drehten sich die Köpfe derAnwesenden ihm zu.

„Wird Zeit, dass ich unseren Gast unserer Gemeinschaft richtig vorstelle.Sein Name ist Jonathan, er kommt auf Empfehlung einer wirklich gutenFreundin und er ist weit gereist, um uns bei unserer Arbeit zuunterstützen. Sein kleiner Freund, eine zahme Ratte, hört auf denNamen Caligula. Sein zweiter Freund, ein kurzbeiniger, kräftiger Hundhört auf den Namen Bomba, übrigens ein schlaues Kerlchen, hat dieHerzen unserer Hundemeute im Sturm erobert.“

„Und was kann er, was ihn dazu befähigen könnte, uns bei unsererArbeit zu helfen?“, durchschnitt Jennys abweisende Stimme dieeingetretene Stille.

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„Jonathan erscheint mir bestens geeignet, um in unserem neuen Stückdie Nummer des Vorlesers zu übernehmen. Aber er besitzt auch nochandere Fähigkeiten, er trägt seine Schwerter nicht nur zur Zierde“,ignorierte Max einfach die Unterbrechung durch Jenny und fuhr einfachmit seiner Vorstellung fort.

„So eine Art geheimnisvoller Schwertmeister?“ stieß der junge Odo aus,während alle anderen deutlich, hörbar die Luft einsogen.

„Ja, dass sagte ich doch gerade“, spielte Max den Schroffen, um dannaber gleich wieder den netten Gastgeber zu mimen. „Ich vermute erbesitzt noch andere Fähigkeiten, die er jedoch noch hinter dem Berghält. Aber wenn ihr mich nicht immer unterbrechen würdet, dann könnteich unserem Gast auch noch unsere Gemeinschaft vorstellen.

„Jenny hast du ja schon in der Waschküche kennengelernt.“ Einallgemeines Lachen und Kichern brach aus, denn die Geschichte hattesich schon rumgesprochen.

„Außer, dass sie in der Waschküche fremden, nackten Männernauflauert, spielt sie in unseren Stücken die jugendliche Liebhaberin.Links neben dir sitzt Fergus, unser Urgestein, besonders gut in der Rolledes greisen Königs. Daneben der vorlaute Odo, Hans Dampf in allenGassen und immer für die Rolle des Tollpatsches geeignet. Auf deranderen Seite des Tisches sitzen die unzertrennlichen Golo und Albin.Ihre Rollen sind ihnen vom Leben auf den Leib geschrieben, Riese undZwerg.“

Alles lachte, als sich die beiden verdutzt ansahen.

„Und unser jugendlicher Held Benidor“, dabei zeigte Max auf denverlegen auf den Tisch schauenden Jüngling, bei dem es sich nur umeinen der Zwillinge handeln konnte.

„Und zum Schluss unser wichtigstes Familienmitglied, Nelly, die guteSeele der Truppe, aber vor allen unsere Köchin.“

Die Angesprochene drehte sich leicht verlegen ab, in Wirklichkeit genosssie das Lob. Die plötzlich eintretende Ruhe und die auf Jonathanruhenden Blicke, machten ihn etwas nervös. Als wenn Caligula dieStimmung seines Herrn spürte, verschwand er oben in dessen Gewand,

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um kurz darauf aus seinem Ärmel zu kriechen und vor ihm, auf demTisch, Männchen zu machen. Jonathan griff in die aufgenähte Tascheund holte ein Leckerli hervor.

„Ja, Caligula, wenn du das Leckerli haben willst, dann musst du es dirverdienen.“

Gebannt schauten alle zu, wie Jonathan seinen Kopf vorbeugte und mitder Ratte tuschelte. Anschließend lehnte sich Jonathan mit einembreiten Grinsen im Gesicht zurück, während sich die Ratte neugierig imRaum umblickte. Plötzlich schien sie das Gesuchte erblickt zu haben undkletterte vom Tisch, wobei sie kurz aus dem Blickfeld der Anwesendenverschwand. Als der flinke Nager wieder auftauchte, bewegte er sichwieselflink auf einem Bord, das sich an der Wand befand. Dort hing aneinem Haken ein Ring mit Schlüsseln. Geschickt schob Caligula denRing vom Haken und das Schlüsselbund fiel zu Boden. Nicht allekonnten sehen, wie die Ratte, nachdem sie vom Bord, über ein tieferstehendes Schränkchen auf dem Boden gelangte, den Ring mit denSchlüsseln ins Mäulchen nahm und zu Jonathan trug. Jonathan beugtesich zur Seite und hielt die offene Hand zum Boden. Caligula stieg aufdie Handfläche und ließ sich wie im Fahrstuhl auf den Tisch befördern.Anschließend tauschte Jonathan das Schlüsselbund gegen ein Leckerliein. Das Staunen war allen ins Gesicht geschrieben, bis auf Max.

„Wie bringt er die Ratte dazu?“, brachte Benidor das Erstaunen aller überdas Kunststück des Nagers zum Ausdruck.

„Mir scheint unser Gast ist neben dem Schwertmeister auch noch einTiermagier, er versteht ihre Sprache und die Tiere seine“, fand Max eineetwas ungewöhnliche Erklärung für das Schauspiel. „Vielleicht glaubt ihrmir jetzt, dass er eine Bereicherung für unsere Truppe darstellt.“

Während ein lautes Stimmengewirr den Raum erfüllte, stand Jonathanauf und begab sich auf sein Zimmer, denn er fühlte die Müdigkeit nichtnur in seinen Knochen, sondern besonders in seinem Geist. Wie inTrance zog er sich aus, kroch unter die Decke und war auch schoneingeschlafen. Mitten in der Nacht wurde Jonathan durch lautesGeschrei, auf dem Hof, aus dem Tiefschlaf gerissen. Es dauerte jedocheine Weile bis er begriff wo er war. Verschlafen trat er ans Fenster, umden Tumult zu begutachten. Natürlich wurde nicht nur Jonathan, sondern

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auch Max und dessen Partner aus dem Schlaf gerissen. Als Max schonangezogen auf die Veranda trat, hatte sich Jonathan gerade mal ansFenster gekämpft. Er konnte zwar Max in der Menschenmenge nichtausmachen, dafür hörte er die aufgeregten Stimmen all der Menschen,die auf dem Hof durcheinanderschrien.

„Ein Feuer, ein großes Feuer, ein Feuer im östlichen Stadtteil, imArmenviertel!“ Plötzlich übertönte eine hysterische Stimme alle anderen.„Der Wind weht aus Osten, bald treibt er das Feuer über die ganzeStadt!“

„Die halbe Stadt ist auf den Beinen und hilft schon beim Löschen“,versuchte ein besonnener Mensch die Situation zu beruhigen.

Max hatte genug gehört. Laut erteilte er seinen Leuten Befehle, woraufdie seinen auseinander stoben, um mit Eimern, Feuerhaken undFeuerklatschen zurückzukehren. Das alles konnte Jonathan vom Fensteraus sehen und hören, während er sich anzog. Gerade schlüpfte er inseine Lederjacke mit den versteckten Schwertern auf dem Rücken, alsdie Menschenmenge, angeführt von Max, schnellen Fußes dasGrundstück verließ. Auf diese Weise erreichten Max und seine Mitstreiterin kurzer Zeit den Marktplatz, von wo aus sie auch schon den hellenFeuerschein über dem östlichen Teil der Stadt erkennen konnten. Sofortwurde Max klar, dass ihre Aufgabe nur darin bestehen konnte, einÜbergreifen des Feuers auf anliegende Gebäude zu verhindern. VieleMenschen bildeten Eimerketten und holten Wasser aus den Becken dernahegelegenen Färberei, andere vom Brunnen Tucher- EckeEngelgasse. Doch die in Flammen stehenden Wohnblocks der Armen,gekennzeichnet mit den Bildern eines Schwans und Engels, waren nachMax Meinung nicht mehr zu retten. Plötzlich zupfte ihn jemand am Ärmelund er blickte in das rußverschmierte, verweinte Gesicht einerverhärmten Frau, mittleren Alters.

„Meine Kinder, meine Kinder“, schrie die Frau verzweifelt, „sie sind nochda drinnen“, dabei wurde ihre Stimme immer wieder von ihremSchluchzen unterbrochen, gleichzeitig zeigte sie auf denGebäudekomplex mit dem Schwanenbild. Jonathan, der geradeschnaufend am Ort des Geschehens eintraf, sah gerade noch, wie Maxin einem qualmigen Torbogen verschwand, um auf den dahinter

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gelegenen Innenhof zu gelangen. Ohne sich Rechenschaft über seinTun zu geben, folgte Jonathan dem entschwindenden Max. Auf demrauchigen Hof angekommen, sah sich Jonathan plötzlich mit einerSituation konfrontiert, mit der er nun wirklich nicht gerechnet hatte.

Max, bar jeder Waffe, wurde von zwei bösartig dreinschauendenKriegern mit Schwertern bedroht. Doch dann geschah etwas Seltsames.Anstatt in Angst und Schrecken versetzt zu werden, weckte dieBedrohung etwas in Jonathan, von dem er gar nicht wusste, dass es inihm vorhanden war. Mutig zog er seine Samurai-Schwerter und warf sichzwischen Max und die Angreifer, wobei er noch ein kurzes StoßgebetRichtung Himmel sandte. Über alles andere konnte er sich später denKopf zerbrechen, denn jetzt ging es ums Ganze. Mit einer gleitendenBewegung nahm er den Platz zwischen den Angreifern ein. Die folgendeDrehung versetzte ihn in die Lage, mit Rechts den Schwerthieb deseinen Angreifers abzuwehren, während er gleichzeitig dem anderen,total überraschten Nordmann, den Hals aufschlitzte. Max, anscheinendder festen Überzeugung, dass Jonathan der Aufgabe gewachsen war,hatte dem Kampfgeschehen den Rücken zugekehrt. Noch einmal tiefLuft geholt, dann rannte er in das lichterloh brennende Treppenhaus.Doch davon bekam Jonathan nichts mit, zu sehr hatte er sich in denKampf verbissen, der alles andere als entschieden war. Zwar fiel derKrieger mit der stark blutenden Halswunde zu Boden, dafür stürzte sichder Andere umso wütender mit erhobenem Schwert auf Jonathan. Anreiner Muskelkraft war ihm der Angreifer sicher überlegen, also tatJonathan ihm nicht den Gefallen sich auf einen brutalen,kraftaufwendigen Kampf einzulassen. Tänzerisch wich er aus undbrachte seine überlegene Technik ins Spiel. Schnell erkannte derNordmann die Überlegenheit seines Gegners auf diesem Gebiet. Als erihn auch mit den nächsten Attacken nicht verletzen konnte, ergriff er dieFlucht, in eines der brennenden Häuser. Der Gedanke an eineVerfolgung verschwand jählings, als Jonathan von einem heftigenHustenanfall heimgesucht wurde. Kein Wunder er stand inmitten vonQualmwolken. Gerade wollte er den Hof verlassen, als Max wie einPhantom aus den Flammen auf ihn zukam, auf jedem Arm ein guteingewickeltes Bündel tragend.

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„Jonathan!“, rief Max laut, „nimm sie mir ab, ich habe noch etwasWichtiges zu erledigen, sonst brennt die ganze Stadt lichterloh.“ Schondrückte Max dem verdatterten Jonathan die Kinder in die Arme.

„Raus hier, der Qualm wird immer schlimmer.“

Die Stimmlage von Max duldete keinen Widerspruch, also rannteJonathan hustend los. Als er sich ein letztes Mal umblickte sah er austränenden Augen, wie sich Max, mit weitausgebreiteten Armen, zudrehen begann. Doch da tauchte er schon in den Torbogen ein, der ihnaus dem Gefahrenbereich brachte. Auf der anderen Seite desTorbogens atmete er tief durch und war froh der Feuerhölle entronnen zusein. Auch beglückwünschte er sich, dass er auf seine innere Stimmehörte, die ihm befahl die Jacke mit den Schwertern anzuziehen. Wobeies ihm im Nachhinein so vorkam, als wenn seine innere Stimme starkder seines Meisters Li ähnelte. Total in diesen Gedanken vertieft, zuckteer erschrocken zusammen als sich eine laut schreiende Frau auf ihnstürzte und ihm die Bündel entriss. Nachdem er seine Gedankengeordnet hatte, begriff er, dass es sich um die Mutter der Babyshandelte, die er gerade noch in den Armen hielt. Währenddessenwickelte die Frau mit zittrigen Händen die Bündel aus, um gleich daraufeinen Jubelschrei auszustoßen.

„Ein Wunder, ein Wunder, meine Kinder leben“, schrie sie so laut, alswenn sie der ganzen Welt die frohe Botschaft mitteilen wollte, wobei ihrdie Tränen in Strömen übers Gesicht liefen. „Danke guter Mann, Gottsoll‘s euch vergelten, tausend Mal Dank“, überschüttete dieüberglückliche Mutter den vermeintlichen Retter mit ihrem Dank.

Jonathan war so perplex, dass ihm zuerst die Worte fehlten.

„Bedankt euch bei Max den Medicus, er hat sie aus den Flammengerettet“, stellte er die Sache dann doch noch richtig.

„Wo ist denn Max?“, hörte Jonathan plötzlich die Stimme Jennys nebensich.

Resigniert zeigte Jonathan auf das in Qualm gehüllte Haus. Plötzlichging ein Aufschrei durch die Menschenmenge, denn Feuer und Qualmbildeten so etwas wie einen Wirbel, der unglaublich schnell zum Himmelschoss. Am Himmel blähte sich das Gebilde zu einer riesigen,

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schwarzen Wolke auf, die plötzlich mit Urgewalt, wie eine überreifeFrucht platzte. Aus dem Inneren des magischen Gebildes stürzte eingewaltiger Wasserschwall auf die brennenden Häuser hernieder. DieWassermassen schlugen mit solcher Wucht auf die brennenden Häuser,dass sie einen Großteil der Flammen sofort erstickten und den Restertränkten. Während Anwohner und Helfer noch gebannt zum Himmelstarrten, wankte aus den qualmenden Trümmern ein total erschöpfterMax. Mit letzter Kraft schleppte er sich zu Jonathan und Jenny, um kurzvor Jonathan in sich zusammen zu brechen. Geistesgegenwärtig griffJonathan zu und ließ ihn behutsam zu Boden gleiten.

„Schickt jeden, der mutig genug ist, in die Häuser. Die Leute müssenjede Stelle, wo sich Brandnester verstecken könnten, mit ihrenFeuerhaken aufreißen und jeden noch so kleinen Brandherdbekämpfen“, flüsterte Max mit letzter Kraft, dann schwanden ihm dieSinne.

Jonathan brüllte die entsprechenden Befehle mit aller Kraft in dasherrschende Tohuwabohu und schien damit auch Erfolg zu haben. DieMenschen reagierten und begaben sich mit Feuerhaken, Feuerklatschenund gefüllten Wassereimern in die Häuser, um die sinnvollen Befehleauszuführen. Dankbar nahm Jonathan zur Kenntnis, dass Golo sich umMax kümmerte. Der riesige Kerl hob Max hoch wie eine Feder undverließ in Jennys Begleitung die Unglücksstelle.

Nachdem alles soweit geregelt war, begab sich Jonathan nochmals aufden Innenhof, nur um festzustellen, dass der getötete Nordmannebenfalls verschwunden war. Resigniert stellte er fest, dass es für ihnhier nichts mehr zu tun gab, längst hatten ein paar beherzte Bürger, diesich mit Brandbekämpfung auskannten, das Kommando übernommen.Auf dem Heimweg schlugen Jonathan viele Bürger Arthuradons auf dieSchulter, anscheinend hatte die Geschichte der geretteten Babys schondie Runde gemacht. Am nächsten Tag wusste er nicht zu sagen, wie erwieder in sein Bett gekommen war. Keiner weckte ihn und so war derVormittag schon fast vorüber, als sich Jonathan im Speisesaal einfand.Niemand war da, doch es stand noch genug Essen auf dem Tisch. Kaumhatte er sich hingesetzt, als die Tür zur Küche aufging und Nelly einenKrug mit Kaffee vor ihn hinstellte.

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„Danke Meister Taiquan, dass ihr unseren Herrn gerettet habt. Wirstehen alle in eurer Schuld. Wenn ihr einen Wunsch habt, was dasEssen betrifft, dann kommt einfach zu mir in die Küche und ich werdenichts unversucht lassen, um eure Wünsche zu erfüllen.“ Blickte ihnNellys gestern noch eher skeptisch an, so schien sie Jonathan heute zubewundern.

„Wie habt ihr mich gerade genannt?“, konnte Jonathan seine Verblüffungnicht verbergen.

„Meister Taiquan“, wiederholte Nelly mit einer Selbstverständlichkeit, diekeinen Platz für Zweifel ließ. „Die Geschichte, mit welch überlegenerSchwertkunst ihr die mörderischen Nordmännern besiegtet, ihr wisstdoch, die die Max bedrohten, hat bestimmt schon die Runde durch dieganze Stadt gemacht. Ihr seid das heutige Stadtgespräch“.

Während Jonathan fassungslos den Kopf schüttelte, fügte Nelly nochvoller Überzeugung hinzu. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass euchirgendwer noch Jonathan rufen wird.“

„Aber“, Jonathan versagte die Stimme, eigentlich wollte er sagen, aberwoher wisst ihr davon? Doch die Antwort lag eigentlich auf der Hand, derüberlebende Nordmann war bestimmt nicht dafür verantwortlich, daherblieb nur Max. Andererseits, so wie er Max kennengelernt hatte, konnteer ihn sich als Schwatzbacke kaum vorstellen. Während er seinFrühstück aß und angestrengt über die Sache nachdachte, kam dieLösung des Rätsels auf leisen Füßen zu ihm. Jemand berührte vorsichtigseine Schulter und Jonathan drehte den Kopf zur Seite.

„Jenny?“

„Meister Taiquan, Max will euch sehen.“

Erschrocken sprang Jonathan auf. „Geht es ihm so schlecht, dass ernicht selber kommen kann?“

Jenny nickte bedrückt und ging voraus. Über eine paar knarrendeHolzstiegen gelangten sie in den ersten Stock. Gleich darauf stand er vorMax, der mit bleichem Gesicht, kraftlos im Bett lag. Mit hilflosem Grinsenhob der Geschwächte eine Hand und zeigte auf die Stelle neben sich.

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Jonathan hatte Mühe seine Erschütterung, über den hilflosen Zustandseines Verbündeten, zu verbergen.

„Ich muss mich entschuldigen mein Freund, doch ich kann euch heutenicht zum Curzenwerter begleiten“, flüsterte Max so leise, dass Jonathanseinen Kopf zur Seite neigte, weil die leise gesprochenen, ehergeflüsterten Worte nicht zu verstehen waren. Erst als er sein Ohr ganzdicht an den flüsternden Mund von Max hielt, vernahm er dessen Wortedeutlich. Leider besaß Jonathan nicht den geringsten Schimmer wovonMax sprach, deshalb sah er ihn verständnislos an.

„Na die Felle, du willst sie doch verkaufen?“, unternahm Max dennächsten Anlauf.

„Ach so, du meinst den Kürschner, aber das hat doch Zeit“, winkteJonathan ab.

„Auf keinen Fall mein Freund, du bist das Gesprächsthema der Stadt,der Retter der Säuglinge, der Held, der die Brandstifter besiegte. Duwirst nie einen besseren Preis für deine Felle erhalten als heute, alsoergreif die Chance beim Schopf.“

Müde schloss Max die Augen. Jonathan glaubte schon, dass seinGastgeber eingeschlafen war, doch da bewegten sich nochmal dessenLippen. „Gut gemacht mein Freund.“

Auf Zehenspitzen verließ Jonathan das Zimmer, wobei er leise vor sichhinmurmelte, „ich hab doch keine Ahnung welchen Wert die Fellehaben? Wie stellt er sich das nur vor?“

„Der alte Fergus kann dich begleiten, der war vor seiner Zeit bei uns einangesehener Tuchhändler“, gab ihm Jenny, die hinter ihm das Zimmerverlassen hatte, einen Tipp, nur um noch eine Erklärung hinzuzufügen.„Übrigens, Max hat nicht geplaudert. Jedenfalls nicht im eigentlichenSinne, er hat im Fieberwahn von deinem Schwertkampf erzählt und ichhabe es dann Albin erzählt und so weiter, und so weiter.“

„Dir habe ich also das Taiquan-Gequatsche zu verdanken.Dankeschön!“, fügte er noch sarkastisch hinzu.

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Als Jonathan auf den Hof trat staunte er nicht schlecht, denn ihnerwartete eine Überraschung. Auf einem geräumigen, zweirädrigenHandkarren lagen seine Felle, zwischen den Holmen stand schon Golound Fergus machte eine einladende Handbewegung.

„Man sollte die Felle verkaufen, solange das Eisen heiß ist“, empfing ihnder ins Alter gekommene Schauspieler. Als er Jonathans fragenden Blicksah, fügte er erklärend hinzu, „ich gebe zu, ich habe den Spruch einwenig abgewandelt, schließlich wollen wir kein Eisen schmieden,sondern Felle verkaufen.“

Jonathan schien von dem seltsamen Gerede genervt und zuckte nurhilflos mit den Schultern, dafür nahm er dankbar zur Kenntnis, dass sichBomba eingefunden hatte, um nicht mehr von seiner Seite zu weichen.Golo stemmte seine Füße gegen den Boden und der Karren rolltelangsam an. Derweil begab sich Fergus vor ihren Zug und sobaldjemand den Weg versperrte rief er mit lauter Stimme, „macht Platz fürden Helden von Arthuradon, macht Platz für den unbesiegbarenTaiquan.“

Als wenn Fergus eine geheimnisvolle Zauberformel benutzte, traten diePassanten beiseite, zwängten sich an die Hauswände und bestauntenJonathan und dessen ungewöhnlichen Hund. Missmutig verfolgteJonathan wie ihn die Leute anstarrten. So kam es, dass er mit leeremBlick hinter dem Wagen her trottete und sich von der Außenweltabschottete, indem er sich in seine Gedanken zurückzog. SeinAbschalten von der Außenwelt führte dazu, dass er fast hinten gegenden Karren lief, als dieser langsamer wurde, um in einen Torbogenabzubiegen. Verwundert sah sich Jonathan um, denn sie waren schonam Ziel, auf dem Hof der Kürschnerei. Geradezu befanden sichWerkstätten, links und rechts anscheinend die Wohnbereiche und hinterihnen, zur Straße hin die Verkaufsräume. Sie mussten nicht lange wartenund ein gutgekleideter Mann, mittleren Alters, mit einem Gesicht, das aneinen Dachs erinnerte, erschien auf dem Plan.

„Oh, Meister Vaughnic höchst persönlich“, ergriff Fergus sofort dieInitiative.

Der Angesprochene blickte gezwungen uninteressiert auf dieWagenladung mit Fellen, wobei sein Kennerauge natürlich sofort

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erkannt, dass es sich um Hermeline, Zobel und Otter handelte. Ferguspasste sich dem Gehabe des Kürschner-Meisters an und ging überhauptnicht auf die Felle ein, stattdessen stellte er Jonathan vollmundig als denMann vor, der zurzeit in aller Munde war.

„Und welche Ehre verdanke ich euren Besuch?“, wollte Meister Vaughnicvon Jonathan wissen, nachdem er sich höflich verbeugt hatte.

Jonathan tat so, als wenn er einen Augenblick angestrengt nachdachte.Plötzlich ließ er den verdatterten Kürschner Meister stehen, verließ denHof durch den Torbogen und kehrte nach kurzer Zeit wieder zurück. Nunwar es an den Anderen erstaunte Gesichter zu machen, denn keinerkonnte sich Jonathans Verhalten erklären.

„Ich war nur noch mal draußen, um mich zu überzeugen, dass dort dasZeichen eurer Zunft hängt, dachte schon wir haben uns verfahren. Umauf eure Frage zurückzukommen, ihr seid der Curzenwerter und ichhabe einen Wagen voller Felle, was meintet ihr, könnte das bedeuten?“

Fergus und Golo wendeten sich ab, damit Meister Vaughnic nicht ihrdümmliches Grinsen sah.

„Ich dachte mir, ihr habt immer Bedarf an hochwertigen Fellen und genaudas biete ich euch an. Es sind die besten Felle die ihr erstehen könnt,denn sie stammen aus einer Gegend, dem ein besonderer Zauberanhaftet, dem Drud-Wald. Wenn ihr jetzt so freundlich sein wolltet, ummeine Ware zu prüfen, dann wären wir schon einen ganzen Schrittweiter. Und wenn ihr der Sachverständige seid, für den die Stadt euchhält, dann werdet ihr mir auch ein anständiges Angebot machen.“

Um die Sprachlosigkeit von Meister Vaughnic komplett zu machen,krabbelte gerade Caligula aus dem Kragen auf Jonathans Schulter,blickte sich interessiert um, wobei er sich zu voller Größe aufrichtete.Wie erstarrt, keines Wortes oder Bewegung fähig, blickte der Kürschnerauf das possierliche Nagetier. Das ganze Schauspiel dauerte nurSekunden, dann verschwand der kleine Nager, so als wenn er nievorhanden war, wieder in der Jacke seines Herrn. Meister Vaughnicschnappte nach Luft, setzte zu einer Frage an, verwarf sie dann abersogleich wieder. Ohne seinen Blick von Jonathans Schulter zu wenden,begab er sich zum Wagen und erst als seine Finger die Felle berührten,

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entspannte er sich wieder ein wenig. Gleich darauf erweckten diehochwertigen Felle sein fachmännisches Interesse und er verdrängte dieunglaubliche Erscheinung auf Jonathans Schulter.

„Eine wirklich außerordentlich Qualität, ich würde euch einen Goldaq undvierzig Silling für alles geben“, Meister Vaughnic schien den Nager aufJonathans Schulter seinem schlechten Schlaf der letzten Nachtzuzuschreiben, denn schon war er wieder der Alte, schlüpfte in die Rolledes geschäftstüchtigen Kürschners.

Urplötzlich setzte Jonathan ein Gesicht auf, als wenn er starkeZahnschmerzen verspürte, dazu passte gut, dass er sich eine Handgegen die Wange drückte.

„Nennt ihr das ein anständiges Angebot?“ stieß Jonathan mit ächzenderStimme aus, die seinen Schmerz verdeutlichen sollte.

Meister Vaughnic blickte nochmals zu den Fellen, doch sein Angebotschien zu stehen. Doch wie zuckte er zusammen, als plötzlich die Ratteerneut auf Jonathans Schulter erschien.

„Sieht denn keiner außer mir dieses Tier“, stammelte er hilflos in dieRunde.

Doch niemand machte Anstalten die Erscheinung zu bestätigen, alsoschloss der verwirrte Kürschner einfach die Augen. Nachdem ermehrmals tief durchgeatmet hatte, blinzelte er durch die, zu kleinenSehschlitzen, verengte Augen. Erleichtert atmete er auf, der Spuk warwieder verschwunden.

„Zwei Goldaq wären ein vernünftiges Angebot“, erkannte und nutzteJonathan die kleine Schwäche des Kürschners.

„Wollt ihr mich in den Ruin treiben guter Mann, ich präge die Münzendoch nicht selbst. Aber gut, die Ware ist schon etwas Feines, meinletztes Angebot einen Goldaq und sechzig Sillinge.“

Jonathan blickte zu Fergus und gewahrte dessen zustimmendes Nicken.

„Abgemacht Meister Vaughnic.“ Jonathan trat einen Schritt vor und hieltdem Kürschner die Hand hin, der Meister schlug ein und das Geschäftwar besiegelt.

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Anschließend bat Meister Vaughnic seinen Geschäftspartner ins Kontor.Dort gab er Anweisung den Wagen abzuladen und verschwand fürgeraume Zeit in einem Nebenraum. Als er wieder erschien hielt er einprall gefülltes Ledersäckchen in einer Hand, dessen Inhaltverheißungsvoll klingelte. Gerade wollte er das Säckchen öffnen undausschütten, als Jonathan Einspruch erhob.

„Nicht nötig Meister Vaughnic. Ich habe höchste Achtung vor euch undeurem Geschäftsgebaren“, und leise fügte er noch hinzu, „außerdemwürde niemand so dumm sein, einen Taiquan übers Ohr zu hauen.“

Blitzschnell zog er beide Schwerter gleichzeitig aus ihren Scheiden undwirbelte mit ihnen eindrucksvoll vor der Nase des verdattertenKürschners herum. Mitten in der Bewegung verschwanden die beidenSchwerter wieder auf seinem Rücken und er hielt Meister Vaughnic dieHand hin, um den Geldbeutel in Empfang zu nehmen.

„Äh, Meister Taiquan, gewährt ihr mir eine kleine Gunst“, verlegen blickteihn der Kürschner an, um dann stammelnd nach Worten zu suchen.„Darf ich die Kunden darauf hinweisen, dass die Kleidungsstücke ausFellen gefertigt wurden, die von Tieren stammen, die der große,unbesiegbare Taiquan im Drud-Wald fing`.“

„Ihr wollt mit meinem Namen zu Werbezwecken für eure Produktebenutzen?“, begriff Jonathan erstaunt. „Hätte ich das gewusst, hätte ichdoch mehr verlangen sollen, aber meinetwegen“, verließ Jonathanlachend das Kontor.

Auf dem Nachhauseweg drängte sich Fergus an Jonathans Seite.

„Der Trick mit der Ratte war genial, denn auch schon das erste Angebotwar erste Güte.“

„Was für eine Ratte? Hat jemand eine Ratte gesehen?“, schauspielerteJonathan gekonnt.

„Vielleicht sollten wir ihn nicht nur vorlesen lassen, an ihm ist einSchauspieler verloren gegangen“, wandte sich Fergus begeistert anGolo.

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„Wie du meinst Fergus, aber von was für einer Ratte sprichst du?“,schien Golo Gefallen an dem Verwirrspiel zu finden.

Plötzlich lachten alle drei schallend los, so dass andere Passantenstehen blieben und sich verwundert anschauten. Auf dem Anwesen vonMax trennten sich ihre Wege. Golo brachte den Karren in die Scheune,Fergus begab sich in die Küche zu Nelly, vermutlich um die Geschichtebrandheiß zum Besten zu geben, Bomba suchte die Hundemeute undJonathan wollte unbedingt sehen wie es Max ging. Leise klopfte er andie Tür, doch niemand bat ihn herein. Dafür öffnete sich nach kurzer Zeitleise die Tür zu einem Spalt und Benidor oder vielleicht war es dochAberon, bat ihn herein.

„Max schläft, aber das Schlimmste hat er überstanden“, flüsterte derjunge Bursche, gleichzeitig zeigte er auf einen Stuhl, der neben dem Bettstand.

Jonathan setzte sich und blickte in das Gesicht seines Gastgebers, indem sich deutlich dessen Erschöpfungszustand widerspiegelte. Dochwas konnte es sein, das Max so erschöpfte, fragte sich Jonathanbesorgt, obwohl er einen bestimmten Verdacht hegte. Zu genauerinnerte er sich daran, wie sich Max auf dem Hof im Flammenmeerdrehte, wodurch er anscheinend diesen eigentümlichen Wirbel erzeugte.Das Gehabe schien zu bewirken, dass sich der Qualm am Ende desWirbels zu einer Wolke zusammenballte, aus der sich dann, durch einenweiteren Zauber, die Wassermassen auf den Brandherd ergossen.Jonathan war so in Gedanken, dass er gar nicht bemerkte, dass Max dieAugen geöffnet hatte und ihn beobachtete.

„Ja Jonathan, genauso hat es sich abgespielt und glaube mir, eserfordert ungeheure Kräfte, um die Naturgewalten zu beherrschen.Schon für einen echten Druiden ein großer Zauber, aber für einen wiemich, der die Druidenkunst kaum beherrscht, geht es dabei richtig ansEingemachte. Ja mein Freund, du musst wissen, dass ich kein echterDruide bin, nur ein entfernter Nachkomme ohne jede Ausbildung“, wirktedie Stimme von Max schon kräftiger als noch am Morgen.

„Also ein Naturtalent“, stellte Jonathan mit einem Schmunzeln fest.

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„Mag sein, dass du recht hast, doch das ändert nichts daran, dass ichmit meinen Kräften haushalten muss, sonst bringt mich das nächsteZauberkunststück um. Ich bin eben mehr Mensch als Druide, auch wennetwas von ihrem Blut durch meine Adern fließt“, lüftete Max weiter denSchleier, der seine Person umgab.

„Ich weiß auch nicht wie ich gerade jetzt darauf komme, aber Roxanebehauptete, das der Stab vom Baum Urburmutha nicht nur Wege weistund Tore öffnet, sondern das er ein Ding der Macht sei, mit dem man dieElemente beherrschen kann“, erinnerte sich Jonathan plötzlich.

Max Blick glitt in eine Ecke des Raumes, wo ein ebenso seltsam,knorriger Stab stand.

„Gut zu wissen mein Freund. Und als Freund bitte ich dich auch umeinen Gefallen. Deine Schwertkunst ist wirklich groß, sei BenidorsLehrmeister, bringe ihm deine Schwertkampftechnik bei. Der Junge istschon ein recht guter Schwertkämpfer, doch von dir kann er noch viellernen. So wie du dich mit deinen Schwertern bewegst, so etwas habeich zuvor noch nicht gesehen.“ Die Worte von Max erfüllte Jonathan mitStolz, auch wenn er es nicht offen zeigte.

„Vermutlich liegt das daran, dass mir ein hervorragenden Meister zurSeite stand, ein Shaolin-Mönch. Die Shaolin-Mönche haben überJahrhunderte diese Kampftechnik entwickelt und vervollkommnet. Dochich hätte nie geglaubt, dass ich die erlernte Technik für Kampfzweckenutzen würde. Eigentlich erlernte ich die Fähigkeiten mit den Schwerternfür spirituelle Zwecke. Dadurch fehlte mir das Bewusstsein, dass ich dieKampftechnik durchaus auch im Ernstfall benutzen könnte. Erst als esum Leben und Tod ging, begriff ich den praktischen Wert der Übungen.Aber vermutlich hätten meine Fähigkeiten mit den Schwertern nichtausgereicht, wenn nicht etwas Unerklärliches, fast Unheimliches Besitzvon mir ergriffen wäre. Egal wie ich mich bewegte, ich spürte - fastglaube ich, dass ich es sah - was der Gegner in meinem Rückenunternahm? Und als wenn mich diese übersinnliche Fähigkeit lenkte,wehrte immer der günstigere Schwertarm den Angriff des Gegners ab.So unglaublich es klingt, aber so kam es mir vor. Es war, als wenn michjemand führte. Vielleicht mein alter Meister?“

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„Warum nicht, die Druiden beherrschten ähnliche Fähigkeiten, also musses möglich sein. Vermutlich umgibt dich der Geist deines Meisters, derdich auf diese Weise lenkte und beschützte. Alles ist möglich“, stellteMax voller Überzeugung fest.

„Meister Li war es, der mir die Schwerter zum Abschied schenkte“, undflüsternd fügte Jonathan noch hinzu, „als er zum Sterben in seine Heimatging.“

„Na, da haben wir es doch! Dein Meister ließ etwas von sich zurück, umfür immer bei dir zu sein. Ich muss mich in Bezug auf dich berichtigen, dubist mehr als ein Taiquan, ein Schwertmeister, du bist das Medium einesSchattengeistes, doch das behalten wir lieber für uns“, dabei sah erBenidor eindringlich an.

Übergangslos schlossen sich seine Augenlider und Max war wiedereingeschlafen. Jonathan nutzte die Gelegenheit und gab Benidor miteinem Wink zu verstehen, dass er ihm vor die Tür folgen sollte.

„Nach dem Mittagessen mache ich einen kleinen Spaziergang mitBomba, anschließend könnten wir auf dem Hof die erste Übungseinheitabsolvieren“, abwartend studierte er den jungen Mann, der mit Sicherheiteiner der entführten Prinzen war.

„Gerne Meister“, strahlte der Angesprochene übers ganze Gesicht.

Glaubte Jonathan, dass er nach dem Essen mit Bomba alleine einenAusflug vor die Stadttore machen würde, so wurde er von der aufgeregt,winselnden Hundemeute eines Besseren belehrt. Für den Ausflug hatteer wieder seine Ledersachen angezogen, wobei ihm die Schwerter aufseinem Rücken ein Gefühl von Sicherheit gaben. In der Rechten hielt erbewussten Stab und so schritt er kräftig aus, umringt von der wuselndenHundemeute. Auf seinem Weg durch die Gassen des Viertels traten dieBürger respektvoll zur Seite und zu seinem Erstaunen bemerkte er, dasssogar die Schmiedehämmer kurzzeitig verstummten, als er an denWerkstätten vorbeiging. Jonathan hegte die Hoffnung, dass der Trubelum seine Person bald wieder verblassen würde, denn irgendwie war ihmso viel Aufmerksamkeit unangenehm. Also schritt er noch schneller ausund war froh als er endlich das Torhaus durchschritten hatte. Vorbeiführte sein Weg an den armseligen Behausungen der Allerärmsten. Zum

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Glück lagen auch die bald hinter ihm, so dass seine Augen nur nochweite Wiesen mit vereinzelten Baumgruppen streiften. Endlich, endlichwar er allein. Nein, nicht wirklich. Gerade bellte ihn Bomba an, weil erden Stock nicht beachtete, den sein Hund ihm vor die Füße legte. Wievon einer Last befreit ergriff Jonathan das angebotene Spielgerät undschleuderte es so weit von sich, als es ihm nur möglich war. Bombarannte los und die ganze Meute hinterher. Wenn Bomba davonausgegangen war, dass das Spiel so wie immer verlief, dann lag er totaldaneben. Plötzlich hieß das Spiel, alle gegen Bomba. An einem Endedes Knüppels zerrten Raffzahn, Blacky, Fleck und Öhrchen, am anderenstemmte Bomba seine kurzen, kräftigen Beine in den Boden. So wogteder Kampf eine Weile unentschieden hin und her, bis Bomba die Geduldverlor und den Knüppel so heftig schüttelte, bis sich am anderen Endekein Hund mehr halten konnte. Stolz brachte er sein Stöckchen zuJonathan und legte es vor ihm ab.

„Du bist eben Bombastic Bob, eine Bulldogge, wenn auch eine kleineAusgabe. Du bist der King, doch ein König zeichnet sich auch durchGroßmut aus, vielleicht solltest du mal darüber nachdenken.“

Während Jonathan sprach, saß der Hund vor ihm, legte seine schonfaltige Maske in noch mehr Falten, wobei er zusätzlich noch den Kopfverdrehte. Fast sah es so aus, als wenn er angestrengt nachdachte.Plötzlich nahm er den Knüppel wieder ins Maul und trabte zurück zurMeute, die anscheinend jedoch die Lust an dem Spiel verloren hatte.Jedem hielt er den Knüppel hin, doch nur Öhrchen, der Kleinste undSchwächste ging auf sein Angebot ein. Tapfer biss Öhrchen in das Holzund zerrte daran herum. Und das Unglaubliche geschah, Bomba wurdeauf die Seite geworfen, jedenfalls sah es für den unbeteiligten Betrachterso aus. Ergeben überließ er dem Gewinner die Beute. Nur mit großerMühe konnte Öhrchen den Riesenknüppel ein Stück wegschleppen.Doch das Ding war einfach zu schwer für ihn, also ließ er den Knüppelins Gras fallen und setzte sich mit Stolz gefüllter Brust oben drauf.Endlich nahmen Raffzahn, Blacky und Fleck davon Kenntnis, welchgroßartigen Sieg ihr Kumpel errungen hatte und bejubelten das Ereignismit lautem Gebell. Jonathan war inzwischen bei Bomba angelangt,kniete sich hin und streichelte seinen King liebevoll.

„Du bist ein weiser König, ich bin stolz auf dich, Bomba.“ 461

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Sein Hund antwortete mit einem gurgelnden Grunzen, während er dieLiebkosung seines Herrn und Gebieters genoss. Viel zu schnell war dieZeit vergangen und so machte sich Jonathan und die Meute wieder aufden Heimweg.

Bellend rannte die Hundemeute auf den Hof zum Wassertrog, einemausgehöhlten Baumstamm, der unter dem Küchenfenster stand. Fünfrosige Zungen, unterschiedlicher Länge, schleckten das kühle Nass ausdem Trog ins Maul. Von der Veranda winkte ihm ein immer nochgeschwächter Max aus einem Korbsessel zu. Auch Jonathan verspürteden gleichen brennenden Durst wie die Hunde. Gerade wollte er eineentsprechende Bemerkung machen als Max laut und vernehmlich„Simsalabim“ sagte. Die Tür ging auf und Benidor trat mit einem großenKrug voller Gerstensaft heraus und reichte ihn Jonathan.

„Ein großartiger Zauber, ich hoffe nur er schwächt dich nicht erneut“,spielte Jonathan lachend auf die Ereignisse der letzten Nacht an.

Max machte ein gespielt beleidigtes Gesicht. „Ich kann den Krug auchwieder wegzaubern.“

Schnell setzte Jonathan den Krug an die Lippen, um ihn in einem Zugbis zur Hälfte zu leeren.

„Gnade großer Magier, ich bin am verdursten und verspreche demütignie mehr an euren Fähigkeiten zu zweifeln“, spielte Jonathan denUnterwürfigen.

„Fergus hatte schon recht, an euch ist ein Schauspielerverlorengegangen. Jonathan wollt ihr nicht für immer ein Mitglied meinerSchausteller Truppe werden? So einen wie euch könnten wir wirklich gutgebrauchen. Ich bin recht traurig, dass mir eure Vorstellung beimKürschner entgangen ist. Alleine die Schilderung von Fergus war schonköstlich, wie muss dann erst die Wirklichkeit gewesen sein. Schade,schade.“ Max schien ehrlich enttäuscht zu sein, dass ihm dieser Spaßentgangen war.

„Ich weiß ja nicht was Fergus euch erzählte, aber es war ein ganznormaler Handel, nicht mehr und nicht weniger“, versicherte Jonathanvoller Überzeugung.

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„So, so, ein ganz normaler Handel, und wie war das mit der Ratte aufdeiner Schulter?“

„Du meinst Caligula? Ich würde sagen, eine unwesentlicheRanderscheinung, nicht der Rede wert“, spielte Jonathan dieAngelegenheit weiter herunter.

Jonathan stand mit dem Rücken zum Hof, so bemerkte er nicht, dasssich Fergus, Odo, Golo, Albin, Artemis und Jenny dort eingefundenhatten. Er wurde ihrer erst gewahr als sie begeistert in die Händeklatschten.

„Jonathan, du schauspielerst ohne es zu merken, doch dein Publikumzollt dir trotzdem den verdienten Applaus“, versicherte Max und klatschteebenfalls in die Hände.

„Eines wollen wir mal klarstellen, ihr seid die Schauspieler, ich bin nurder Vorleser und dabei bleibt es auch, basta“, ließ Jonathan keinenZweifel daran, wie er die Sache sah.

„Ist er nicht köstlich“, hörte Jonathan Jennys Stimme, „und soüberzeugend“, fügte Albin hinzu.

Jonathan sah sie eindringlich an. „Was meint ihr wohl woran das liegt?“,und ohne die Antwort abzuwarten fügte er hinzu, „weil ich es so meine,wie ich es sage.“ Zornig blickte er dabei in die Runde, wobei aus seinenAugen Blitze zu schießen schienen

„Das sind übrigens die besten Schauspieler, die so in ihre Rolleschlüpfen, als sei das Schauspiel die Realität oder die Realität dasSchauspiel“, ließ sich Max in seiner Ansicht über Jonathansschauspielerische Qualitäten nicht beirren.

„Na gut, ich gebe mich geschlagen. Ihr alle könnt das sehen wie ihr wollt,dass ändert nichts daran, wie ich darüber denke. Ich bin einfach so, mirliegt es fern zu schauspielern. Aber vielleicht liegt es auch an euch.Vielleicht liegt es einfach daran, dass ihr mich mit eurenSchauspieleraugen seht, denn nie zuvor glaubte jemand, dass ichschauspielere.“ Jonathan hob die Arme zum Zeichen seiner Aufgabe.

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„Sei mir nicht böse Jonathan, aber in unserem ureigensten Interessehoffe ich, dass der Grund, warum du in unserer Welt weilst, noch einWeilchen Bestand hat. Doch jetzt erwartet dich etwas, was du vielleichtnoch besser kannst, da ist auch schon dein Schüler.“

Max zeigte auf den wartenden Benidor, der inzwischen sein Schwert ausdem Haus geholt hatte.

„Das brauchen wir heute nicht“, wandte sich Jonathan an den ungeduldigWartenden. „Willst du das Schwert so beherrschen wie ich, dann musstdu akzeptieren, dass es nur eine untergeordnete Rolle spielt. AmAnfang, im Mittelteil und bis kurz vor dem Ende dreht sich alles um denBewegungsablauf. Und weil das so ist, üben wir besser ohne Schwerter.“Um dem Gesagten die rechte Aussagekraft zu geben, zog er seineLederjacke mit den Schwertern aus und legte sie über die Brüstung derVeranda. „Komm!“

Gleich darauf nahmen Jonathan und sein Schüler in der Mitte des HofesAufstellung und Jonathan erklärte Benidor die erste Übung.

„Stell dich in Armlänge vor mir auf und versuche mich mit denHandflächen zu berühren, wenn es dir gelingt schubse mich“, forderteJonathan den gespannt zuhörenden Benidor auf.

Längst hatte es sich der Rest der Truppe auf der Veranda gemütlichgemacht und schaute interessiert zu. Egal was Benidor anstellte,Jonathan wich mit gleitenden, fast schwebenden Bewegungen sogeschickt aus, dass der Junge immer ins Leere stieß. Als die Arme desJungen wieder mal nach vorn stießen, um Jonathan zu berühren, wich erseitlich aus, und gab Benidor einen leichten Schubs, so dass jener insStraucheln geriet.

„Wie macht er das nur?“ stieß Odo entgeistert aus.

„Er ist Benidor geistig immer einen Schritt voraus“, stellte Max vollerÜberzeugung fest.

„Mag sein, doch das erklärt noch lange nicht die Schnelligkeit seinergleitenden Bewegungen“, wies Albin auf einen Umstand hin, den er nichtverstand.

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„Sieht ja fast so aus, als wenn er schwebt“, fügte Jenny noch hinzu.

Jonathan winkte Benidor zu sich und trat ganz dicht hinter ihn.Irgendetwas flüsterte er seinem Schüler ins Ohr, was die Anderen jedochnicht hören konnten, da sich Jonathans Mund fast an Benidors Ohrbefand. Anschließend ergriff Jonathan die Arme seines Probanden, umsich dann ganz langsam zu bewegen. Fast sah es so aus, als wenn dieBeiden miteinander verbunden waren, denn ihre Bewegungen liefenabsolut synchron ab. Zwei Schritte vorwärts, einen seitlich, zwei zurück,mal rechts rum, mal links rum. Dabei stießen die Arme nach imaginärenGegnern. Wieder und wieder wiederholten sie die Schrittfolgen. Benidorging so in seiner Aufgabe auf, dass er gar nicht bemerkte, wie sichJonathan von ihm löste. Und obwohl ihn sein Meister nicht mehr lenkte,vollzog er den Bewegungsablauf immer besser. Jonathan überließ ihnsich eine Weile selbst, dann klatschte er in die Hände. Erst jetztbemerkte sein Schüler, dass er nicht mehr von Jonathan geführt wurde.

„Aber Meister, wie geht das? Ich habe euer Fehlen gar nicht bemerkt.Aber vor allem, wie kann es sein, dass mir der Bewegungsablauftrotzdem gelang?“

„Kein so großes Wunder Benidor. Alles eine Frage des Vertrauen. Zuersthast du dich von meinem Geist und Körper führen lassen, dann nur nochvon meinem Geist. Denn auch wenn ich nicht mehr hinter dir stand unddich körperlich lenkte, so tat es mein Geist weiter. Für heute ist jedochgenug. Wann immer du die Übung wiederholst, konzentriere dich aufdein Gefühl, welches dich soeben leitete, dann wird es immer wiederklappen.“ Jonathan schien zufrieden mit seiner Arbeit.

Als er auf die Veranda trat blickte er nur in große, staunende Augen,sogar Max konnte nicht fassen, was da vor ihrer aller Augen ablief.

„Und du bist dir sicher Jonathan, dass du in deiner Welt nicht als Magierfungierst? Oder hat dich vielleicht Roxane mit Zauberkräften versehen,denn hier geht es nicht mit rechten Dingen zu“, schien Max keinelogische Erklärung für das Geschehen zu haben.

„Die Antwort ist nein, ich weiß jedenfalls nichts davon. Aber vielleicht hatder wundersame Stab etwas damit zu tun, ansonsten fehlt mir auch eineeinleuchtende Erklärung. Seit ich auf dieser, eurer Welt weile, habe ich

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das Gefühl, ich muss nur mit letzter Konsequenz etwas wollen, dannschaffe ich es auch. Wollen wir hoffen, dass das Gefühl noch langeanhält, könnte hilfreich sein. Doch über eines solltet ihr euch immer imKlaren sein, mir geht es nicht um eure Welt, ich will einzig und alleinmeine Carlotta zurück und dann verschwinde ich wieder.“ Jonathanergriff Jacke und Stab und verschwand im Haus.

„Er muss diese Carlotta sehr lieben, wenn er das alles für sie auf sichnimmt“, sah Jenny ihren Besucher auf einmal mit ganz anderen Augen.

„Er weiß es selber nicht, vielleicht sieht man es ihm deshalb nicht an,aber er ist außergewöhnlich und dazu noch gefährlich. Gut dass er aufunserer Seite steht“, bemerkte Max und alle nickten zustimmend.

So vergingen für die Schaustellertruppe die nächsten Tage mit demAufbau der Bühne, erstellen des Bühnenbildes, basteln der Puppen unddem perfektionieren der Rollen. Vormittags feilte Jonathan an seinenVortrag, während er sich am Nachmittag als Lehrmeister von Benidorbetätigte. Wobei manchmal das Gefühl in ihm aufkam, als wenn es sichnicht um die gleiche Person vom Vortag handelte. Doch es war eben nurein Gefühl, einen äußerlichen Unterschied konnte er nicht feststellen.Dazwischen trieb sich Jonathan auch mal mit der Hundemeute herumoder stromerte mit Bomba durch die Stadt. Doch egal was er unternahm,der Tag der Aufführung kam immer näher und endlich war es soweit.

Im letzten Licht des Tages kamen die ersten Besucher, unter ihnen gutgekleidete Handwerksmeister, der unterschiedlichsten Zünfte, einfacheMenschen aus dem Armenviertel und sogar ein paar wohlbetuchteBewohner des zweiten Bezirks, reiche Händler und Patrizier. Nach undnach füllte sich der Hof mit erwartungsvollen Zuschauern. Die Reichen,die sich die teuren Karten für die Bänke leisten konnten, saßen weitervorn, hinter ihnen aber auch an den Seiten standen jene, die nicht überderen Barmittel verfügten. Laut ging es zu, denn viele kannten sich,außerdem priesen Händler Ware an, die sie in Bauchläden vor sichhertrugen.

Unbeeindruckt von dem lauten, geschäftigen Treiben, auf ihrem Hof,hatten sich Max, der sich inzwischen vollständig von seinenZaubereskapaden erholt hatte und seine Schauspielkollegen in derKüche versammelt. Während sie tranken und einen kleinen Imbiss zu

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sich nahmen, erteilte ihnen Max letzte Instruktionen. Dann war es soweit.Auf geheimen Wegen gelangten sie ungesehen auf die Bühne. NurJonathan verließ die Küche auf dem üblichen Weg und nahm seinenPlatz auf der Veranda ein. Dort stand ein Pult, bestückt mit demDrehbuch, einer Ampel und einem Becher Wasser. Die abgeblendeteAmpel warf ihr Licht nur auf das Drehbuch, um Jonathan das Lesen derSchriftzeichen zu ermöglichen. Doch er war sich sicher, dass er seinenText auch ohne Drehbuch beherrschte. Einzig, um den Ablauf desTheaterstückes zu verfolgen, damit er seinen Einsatz nicht verpasste,benötigte er vielleicht noch dieses Hilfsmittel. Noch verbreiteten vieleAmpeln, die ringsum an den Wänden befestigt waren, ein warmes Licht.Gelegenheit für Jonathan die Besucher in Augenschein zu nehmen.

Der dreimal ertönende Gong sorgte dafür, dass sich zwei Jungs, dieextra für diese Aufgabe angeworben wurden, daran machten und einengroßem Teil der Lampen abblendeten. Schlagartig wurde es auf dem Hofmerklich dunkler. Die Zuschauer unterbrachen ihr aufgeregtesSchwatzen jedoch nicht, da sich vorne auf der Bühne noch immer nichtstat, denn der Vorhang blieb noch geschlossen. Mit dem zweimaligenertönen des Gongs wurden die Ampeln total abgedunkelt, worauf sicheine spürbare Spannung auf das ganze Areal legte. Jonathan schlucktedie aufkommende Aufregung, mit einem großen Schluck Wasser, ausseinem Becher, herunter und als der Gong kurz darauf einmal ertönte,schlüpfte er in die Rolle des Vorlesers.

„Verehrte Besucher begleiten sie mich auf eine Reise in ein weitentferntes Land“, begann Jonathan seinen Text.

Gleichzeitig öffnete sich der Vorhang und die Zuschauer glaubten in dieunendliche Weite eines Meeres zu blickten, über dem sich auch noch einsternenbedeckter Himmel wölbte. In dieses Szenenbild ließ Jonathanseine Worte einfließen.

„Gemeinsam fahren wir über ein dunkles Meer voller Gefahren. WildePiraten und schreckliche Meeresungeheuer könnten uns auflauern, dochunser Kapitän ist mit allen Wassern gewaschen und so bringt uns sicheran die Gestaden des geheimnisvollen Landes Inuba.“

Jonathans letzte Worte hingen noch über den Zuschauern, als dieSterne verblassten und es auf der Bühne unmerklich heller wurde. Im

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Hintergrund schien eine Sonne aufzugehen, so dass die Zuschauer dasneue Bühnenbild erkennen konnten. Vor ihnen lag ein langer, mitPalmen bestandener, Strand, in den ein Fluss mündete. Der Flussschlängelte sich malerisch ins Landesinnere, wobei auf seiner rechtenSeite, an einer Ausbuchtung, eine große Stadt mit Hafen lag. Ihrgegenüber konnten die Zuschauer ein märchenhaftes Schloss mit vielen,hohen, spitzen Türmen bewundern.

„Danken wir Gott, dass wir das gefährliche Meer überwunden haben unddass uns nun die sicheren Gestade von Inuba erwarten. Wobei unserZiel nicht der abenteuerliche Hafen von Inuba ist, sondern dasmärchenhafte Schloss Salafaki, wo die Königin Pirivula seit Stunden inden Wehen liegt“, lenkte Jonathan die Aufmerksamkeit der staunendenZuschauer auf die linke Flussseite. Seine Ankündigung, aber vor allemdas plötzliche Zuziehen des Vorhangs sorgte dafür, dass die Spannungunter den Zuschauern wachgehalten wurde.

„Hört doch das schmerzhafte Stöhnen der Königin, es scheint eineschwierige Geburt zu sein“, suggerierte Jonathan den Zuschauern miteindringlicher Stimme, in die Dunkelheit hinein.

Seine eindringlichen Worte führten dazu, dass dieser und jener wirklichein Stöhnen hinter dem Vorhang zu vernehmen glaubte. Doch da gingder Vorhang schon wieder auf und ließ keinen Platz mehr fürirgendwelche Fantasien. Denn nun erhielten die staunenden ZuschauerGelegenheit in das königliche Schlafgemach zu blicken. Im Bett lag diestöhnende Königin, die von Jenny gespielt wurde, während sich zweiHebammen um sie kümmerten, gespielt von der dicken Nelly und demmit einer Perücke verkleideten Benidor. Kaum hatten die Zuschauer dasBild in sich eingesogen, als eine dunkle, unheilvoll wabernde Wolke, diein den Raum schwebte, sie in ihren Bann zog. Erschrocken stöhnteneinige Zuschauer auf, als aus der Wolke eine ebenso dunkel gekleidetePerson heraustrat. Seltsamer Weise schienen die anwesenden Frauendie Person nicht zu bemerken. Übergangslos durchschnitt das typischeGeschrei von Neugeborenen den Raum. Während die Hebammen dieSäuglinge in saubere Tücher wickelten und die Königin erschöpf in ihreKissen sank, schien sich ein Zauber auf die Anwesenden zu legen. DieErstarrung der Frauen nutzte der unheimliche Besucher, um ans Bett derKönigin zu treten. Wobei das Gesicht des unheimlichen Besuchers

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unter einer weiten Kapuze verborgen blieb. Umso erstaunter waren dieZuschauer als die Kapuze zurückgezogen wurde und sie einFrauengesicht mit langen, wallenden Haaren erblickten. Hatten doch diemeisten angenommen, dass es sich bei dem Unheimlichen um einenMann handeln müsste. Auch Jonathan schaute fasziniert auf die Szene,vor allem weil er wusste, dass die geheimnisvolle Frau von Max gespieltwurde.

„Gebt mir die Kinder“, forderte die geheimnisvolle Frau die Hebammemit wohlklingender, aber auch befehlender Stimme auf.

Wie eine Marionette ihrem Puppenspieler gehorcht, so gehorchte dieHebamme, welche die Kinder hielt, dem Zauber dieser Stimme. Diefremde Frau oder war es doch ein verkleideter Mann, ließ die Kinder inihrem wallenden Umhang verschwinden. Als sich das unheimlicheWesen, im hinteren, dunkleren Teil des Raumes spurlos zuverflüchtigen schien, quittierten das die Zuschauer mit einem leisenAufstöhnen. Als wenn das soeben Geschehene nicht stattgefundenhatte, verlangte die Königin mit schwacher Stimme nach ihren Kindern.Jonathan kannte seinen Einsatz, also erhob er seine Stimme.

„Doch wie erstaunt war die Königin, als sie bemerkte, dass dieHebamme nur zwei große Steine in ihren Armen hielt.“

„Was ist das?“, schrie die Königin außer sich vor Enttäuschung und Wut,„Zauberei, Entführung! Wachen, holt sofort den König herbei.“

Erschrocken ließ die Hebamme die Steine aus ihren Armen fallen,worauf sie polternd auf den Boden schlugen, was von einigenschreckhaften Zuschauern mit spitzen Schreien untermalt wurde. AuchJonathan blieb die Unruhe nicht verborgen, die das Publikum, ob desmerkwürdigen Geschehens plötzlich ergriff. Erst als der König, gespieltvom alten Fergus, ins Schlafgemach stürmte, beruhigten sich dieZuschauer wieder. Der König kniete vor dem Bett nieder und schlug sichdie Hände vors Gesicht.

„Pirivula, wie konnte das geschehen?“, brach es mit tränenerstickenderStimme aus ihm heraus.

„Mein Gebieter, ein Fluch scheint auf unserem Haus zu liegen, wie sonstkönnte ich Steine statt Babys zur Welt bringen?“, schluchzte die Königin.

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„Niemand darf von diesem Fluch erfahren“, ordnete der König an,nachdem er seinen ersten Schock überwunden hatte. Gequält bückte ersich, um die Steine aufzuheben.

Noch während sich der Vorhang schloss, erhob Jonathan seine Stimme,um den Faden der Geschichte weiter zu spinnen und die kleine Pausezu füllen, die nötig war, um das Bühnenbild zu verändern.

„König Wallumir, der kein hohes Ansehen im Volk besaß, da seinGeschlecht seit Generationen das Land unterdrückte, musste unter allenUmständen verhindern, dass irgendetwas vom Fluch, der auf seinemHause lastete, nach draußen drang. Zu groß war die Gefahr, dassumstürzlerische Kräfte den Vorgang als einen Fingerzeig Gottesansahen und ihn geschickt einsetzten, um das Land in einenBürgerkrieg zu stürzen. Er rief seinen treuergebenen Wildhüter zu sichund gab ihm den Auftrag, die verräterischen Steine, im dunklen Wald,heimlich zu vergraben.“

Als der Vorhang wieder aufging, blickten die den Zuschauer auf denRand eines urwüchsigen Waldes. Ein Lied pfeifend betrat eingrüngekleideter Jägersmann das Bühnenbild. Golo, denn kein andererspielte den Jäger, setzte seinen Rucksack ab und holte die bewusstenUnglückssteine hervor. Eine Weile sah er sie nachdenklich an, dannentsorgte er sie einfach am Waldesrand. „Welch blödsinniger Auftrag,Steine im Wald zu vergraben. Als wenn es jemanden kümmerte, wennsie hier einfach rumliegen, wie es Steine nun mal so an sich haben“, ließder Jäger die Zuschauern über seine Beweggründe nicht im Unklaren,bevor er, wieder ein Liedchen pfeifend, aus dem Bühnenbildverschwand. Jonathan schien nur auf diesen Moment gewartet zuhaben, denn schon übernahm er wieder die Funktion des Erzählers.

„Niemandem, auch nicht dem Jäger, war anscheinend der Umstandbekannt, dass in bewusstem Wald, eine gute Fee lebte. Sie sorgte schonseit Urzeiten für den urwüchsigen Wald und dessen Bewohner, darumhatte die Waldgemeinschaft absolutes Vertrauen zu ihr. Und soverwunderte es nicht, dass die Fee, auf Wegen, die für uns Menschen imVerborgenen liegen, von dem Vorfall erfuhr.“

Erstaunt gewahrten die Zuschauer wie eine weißgekleidete Frau, mitgoldenen Haaren, auf die Bühne schwebte.

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Dieser Max ist ein begnadeter Verwandlungskünstler, zollte Jonathandem Darsteller im Stillen seine Anerkennung, wusste er doch, dass Maxauch die Fee spielte. Zielsicher hielt die Fee auf die Steine am Waldrandzu und hob sie auf. Sorgsam befühlte sie, mit ihren langen, knöchrigenFingern, die wundersamen Steine Doch was machte sie da. Warum legtesie ihr Ohr an die Steine?

„Oh, wie wunderbar, die Herzen schlagen noch“, stieß sie plötzlichtriumphierend aus. Während sie die Steine in ihren Armen wiegte,vollführte sie ein freudiges Tänzchen, wobei sie sang, „ja, ja, ja, noch istnichts verloren.“

Abrupt unterbrach sie ihren Tanz und Gesang und ließ ein diabolischesKichern erklingen, während sie die Steine in ihrem Gewandverschwinden ließ. Dem Publikum den Rücken zuwendend, entschwebtesie den Blicken der Zuschauer. Kaum war sie verschwunden, da schlosssich auch der Vorhang. Jonathan war so fasziniert von dem Trick,obwohl er ihn schon von der Generalprobe kannte, dass er fast seinenEinsatz vergessen hätte.

„Tief im Wald befahl die gute Fee den Bäumen ein wenig auseinander zurücken, um auf diese Weise eine Lichtung entstehen zu lassen, in derenMitte sie die Steine vergraben konnte. Wenn es nicht regnete, goss siedie Stelle und sorgte auch sonst für die bald sprießenden Keimlinge. Mitjedem Jahr wurden die Bäume ein Stück größer, bis sie zu prächtigenApfel- und Birnenbäumen wurden.

Auch wenn der König den Fluch vor seinen Untertanen geheim haltenkonnte, so doch nicht vor den dunklen Mächten, die solange imVerborgenen lebten, bis sie eine Schwäche bei den Menschenerkannten. Sie glaubten, nun sei der Zeitpunkt gekommen, damit dasBöse, in Gestalt eines riesigen Wurmes, das Königreich Inubaheimsuchen konnte. Der Wurm überfiel die Menschen, tötete sie undvernichtete die Ernte. Was blieb dem König anderes übrig, wollte ersein Reich nicht verlieren, als sich dem Wurm zum Kampf zu stellen.“

Wieder ging der Vorhang auf und die Zuschauer blickten auf die Szene,in der sich der alte König Wallumir, diesmal durch eine Marionettedargestellt, mutig dem Ungeheuer in den Weg stellte. Der Wurm war einkleines Wunderwerk, denn er bestand aus einem kunstvollen Gebilde

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aus feinen Holzstreben, die mit Stoff überspannt waren. Der schaurigeKopf kunstvoll aus Papier und Leim geformt und wundervoll bemalt, sodass er mit seinem weit aufgerissenen Maul dafür sorgte, dass denZuschauern ein Schauer über den Rücken lief. Das Gebilde wurde mitStangen von unten bewegt, die Max, Golo und Odo bedienten. Mutigstellte sich der König dem Ungetüm mit dem Schwert in der Hand in denWeg und das, obwohl er nie eine echte Chance besaß, um das Untier zubesiegen. Und so kam es wie es kommen musste, der Wurm riss dasMaul auf und spie dem König eine Giftwolke ins Gesicht. Mitweitaufgerissenen Augen, nach Luft ringend ging der König in die Knie,sank auf den Boden, um dort qualvoll zu sterben.

Doch das Königshaus gab nicht auf. Als nächster versuchte sich derKronprinz als Retter des Landes. Zwar schützte er sich mit einemgläsernen Schild vor den giftigen Ausdünstungen des Wurmes, trotzdemereilte ihn ebenfalls ein tödliches Schicksal. Zu sehr konzentrierte er sichauf den weit aufgerissenen Schlund des Wurmes, wodurch er den heransausenden, kräftigen, mit Stacheln bewehrten Schwanz übersah. Als ihnder Stachel von hinten durchbohrte, ging ein ohnmächtiges Stöhnendurch die Reihen der Zuschauer. .

„Von da an beherrscht der Lindwurm das Land und die Königin warGefangene in ihrem eigenen Schloss“, beendete Jonathan diegrauenvolle Szene. Während sich der Vorhang schloss, war es wiederJonathans Aufgabe auf die nächste Spielszene überzuleiten.

„So vergingen die Jahre und längst hatte die Königin und das Volk jedeHoffnung aufgegeben, dass sich die Situation jemals wieder zum Gutenwenden würde. Doch wie wir alle wissen, sollte man die Hoffnung nieaufgeben, denn nur, wenn man fest an etwas glaubt, kann es in Erfüllunggehen.“

Im selben Moment als Jonathan die Worte aussprach war er sich dessenbewusst, dass das die Botschaft war, die Max den Menschen vonAskalan sandte.

Als der Vorhang wieder den Blick auf die Bühne frei gab, erblickten dieZuschauer nochmals die Waldlichtung, wo die Fee die zwei Steinevergraben hatte. Die Schösslinge waren im Laufe der Zeit zu zweiausgewachsenen Obstbäumen herangewachsen. An ihren Zweigen

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hingen reife Früchte, die nur darauf warteten, gepflückt zu werden. Zweijunge Burschen, die sich anscheinend im Wald verlaufen hatten oderhatte sie ein geheimer Zauber hergeführt, betraten gerade die Szene?Und natürlich kam es so wie es kommen musste, warum sollten dieBeiden auch den Verlockungen der reifen Früchte widerstehen? Der einepflückte einen Apfel, während sich der andere für eine Birne entschied.Genüsslich verspeisten sie die Früchte, legten sich unter die Bäume undschliefen ein. Wie aus dem Nichts erschien die gute Fee, um die beidenSchlafenden wohlwollend zu betrachten. Sie schien zufrieden mit demwas sie sah, denn sie kniete sich zwischen ihnen hin und berührte ihreKöpfe.

„Lange mussten ich und der Wald, aber auch das ganze Land auf euchwarten, doch endlich seid ihr erschienen, um den Fluch zu beenden“,begrüßte die Fee die Jünglinge, worauf jene erwachten.

Die Jünglinge, die sich wie ein Ei dem anderen glichen, blickten sich obder Worte der alten Frau verständnislos an.

„Mütterlein, ihr sprecht in Rätseln“, kam es von den Beiden wie auseinem Mund.

„Oh, aber natürlich“, verstand die Fee die Verwirrung der Jünglinge.„Einst wurde das Herrschergeschlecht von Inuba von seinem Volkverehrt. Doch irgendwann vergaßen die Herrscher, was ihre eigentliche,ihre wichtigste Aufgabe war. Statt dem Wohle des Volkes zu dienen,lebten sie ihre Wünsche aus und missbrauchten ihre Macht. VielenMenschen taten sie Unrecht, darunter auch einer Zauberin, die dasHerrscherhaus daraufhin mit einem Fluch belegte. Statt Kinder gebar dieKönigin Steine. Aus den Steinen wuchsen Bäume, von deren Früchtenihr gegessen habt, wodurch der Fluch besiegt wurde“, bemühte sich dieFee die Jünglinge aufzuklären. Trotzdem schienen die Beiden nicht zuverstehen.

„Und nun?“, sprachen sie mit einer Stimme.

„Aber das liegt doch auf der Hand. Der Wald hat euch geduldet und zudieser Lichtung geführt, das kann kein Zufall sein. Ihr seid dieAuserwählten, die das Land vom Bösen befreien sollen. Natürlich bedarfes mehr, um den Lindwurm zu bezwingen, als Früchte von verzauberten

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Bäumen zu essen. Vor allen benötigt ihr Überzeugungskraft, denn ihrbraucht Helfer. Auch braucht ihr Mut, denn ihr müsst mit gutem Beispielvorangehen. Und ihr braucht einen erfolgversprechenden Plan undgenau dabei werde ich euch helfen. Sagt euren Helfern, sie sollen mitBogen und Speeren kommen, um so das Untier aus sicherer Entfernungzu attackieren. Auch wenn diese Maßnahme nur Nadelstiche für denWurm sind, so sind sie doch geeignet, um das Untier vom eigentlichenManöver abzulenken. Denn eines ist doch klar, um das Ungeheuer fürimmer zu besiegen, müsst ihr ihm den Kopf abschlagen“, beschwor dieFee die Jünglinge.

Der Vorhang fiel und Jonathan Stimme kam wieder zum Einsatz.

„Und so kam es, das sich das Land gegen das Böse erhob, an derSpitze die Jünglinge, die das Obst von den verzauberten Bäumen aßen.Mit Hilfe der Fee und vielen Helfern besiegten sie den Wurm“, trugJonathan die entscheidende Passage vor.

Gespannt warteten die Zuschauer, dass sich der Vorhang wiederöffnete, nur um dann staunend auf den abgeschlagenen Lindwurmkopfzu blicken, der in einer großen Blutlache lag. Unweit davon knieten diesiegreichen Jünglinge vor der Königin.

„Erhebt euch meine tapferen Söhne, denn wer wollte jetzt noch daranzweifeln, dass ihr meine verwunschenen, verschwundenen Kinder seid.Ein guter Zauber hat euch vom Bann befreit, damit ihr das Böse besiegt.Kommt, lasst uns dem Volke verkünden, dass jetzt das goldene Zeitalteranbricht.“

Einen Augenblick herrschte absolutes Schweigen im Zuschauerraum,doch dann begriffen die Menschen von Arthuradon die Botschaft undBegeisterung brach aus. Die Leute klatschten und brachen in Jubelrufeaus. Zuerst nur vereinzelt, doch dann von immer mehr Menschenaufgenommen, ging ein Ruf durch die Menge, „tötet den Wurm, tötet denWurm.“

Inzwischen traten die Schauspieler auf die Bühne und nahm denApplaus der Menge entgegen. Max hob beide Arme, wartete bis Ruheeingekehrt war, um dann noch einmal das Wort zu ergreifen.

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„Schön, dass euch dass Märchen aus dem fernen Land Inuba gefallenhat, und die Moral von der Geschicht, trau keinem, giftigen Wurme nicht.In diesem Sinne Brüder und Schwestern, passt gut auf euch auf, dennso mancher unscheinbare Wurm trägt das Zeug zum Ungeheuer in sich.“

Längst erleuchteten Ampeln und zusätzliche Fackeln wieder den Hof, imVolksmund auch Circus Maximus genannt. Aufgewühlte Zuschauerverließen laut schwatzend den Schauplatz des Geschehens, um dieversteckte Botschaft des Theaterstücks in die ganze Stadt zu tragen.

„Jonathan, wie stehst du jetzt zu dem, was ich Nadelstiche nenne? Wieist deine Meinung, gelungen oder habe ich das Ziel verfehlt?“, tat Maxso als wenn er neugierig auf Jonathans Antwort war.

„Hoffentlich sticht sie nicht zurück“, brachte Jonathan seineBefürchtungen ehrlich zum Ausdruck.

„Ja, die Frage bleibt. Offen wird sie uns nicht angreifen, aber wir solltennatürlich auf der Hut sein“, gestand Max ein. „Doch für heute Nacht istnichts zu befürchten, schließt das Tor, danach treffen wir uns alle zueinem Umtrunk in meinem Kaminzimmer.“

So vergingen die Tage und Wochen ohne dass sie von der Regentinetwas hörten. Jonathan unterrichtete weiterhin Benidor im Schwertkampfund an jedem Sonntag führten sie ihr Stück vor vollem Haus auf.

VIII Kampf um Burg Falkenhorst

Den Tag nach seiner Ankunft auf Burg Falkenhorst nutzte Eliasar, umdie Festung zu inspizieren. Selbstverständlich wurde er dabei vonseinem Burgkommandanten Elbraq begleitet. Mit Genugtuung stellteEliasar fest, dass sein Burgkommandant hervorragende Arbeit geleistethatte, die Burg schien gerüstet, um einer längeren Belagerungstandzuhalten. Einzig die Anzahl der Verteidiger erfüllte Eliasar mitSorge. Eigentlich sollten doppelt so viele Männer die Mauern besetzen.Doch das, was den Verteidigern an Masse fehlte, das glichen sie mit vielEnthusiasmus und Einfallsreichtum aus. Eliasar erkannte, genau wie

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Elbraq, die Wichtigkeit dessen, dass die Unterbesetzung der Mauern denAngreifern so lange wie möglich verborgen bleiben sollte. MitBewunderung stellte er fest, wie Elbraq dieses Problem löste. DessenErfindungsreichtum sorgte dafür, dass dem Feind die Lücken, in ihrenVerteidigungsreihen, nicht sofort ins Auge sprangen. Unter Anleitungdes Burgkommandanten hatten geschickte Hände aus Holz, Stroh undAusrüstungsgegenständen Attrappen geschaffen, die die Lücken auf derBurgmauer auffüllten. Und das Gute an diesen künstlichen Soldaten, siebrauchten keinen Schlaf und kannten keinen Schmerz.

„Solange der Gegner die Wälle nicht erstürmt, könnte dein Trickfunktionieren“, dabei klopfte Eliasar seinem Burgkommandantenanerkennend auf die Schulter.

Später im großen Rittersaal erklärte Eliasar seinen neuen Verbündeten,sowie den Offizieren und Unteroffizieren der Burg seinen Plan.

„Eine kleine, berittene, schlagkräftige Truppe, unter meiner Führung, wirdaußerhalb der Burg agieren, womit der Feind wahrscheinlich nichtrechnet. Mit überraschenden, blitzartigen Angriffen werden wir sieirritieren, so dass sie sich nicht nur auf die Einnahme der Burgkonzentrieren können. Natürlich wären diese Angriffe nochwirkungsvoller, wenn es uns im Vorfeld gelänge ihre Kavallerieauszuschalten“.

„Ho, ho Herr Baron!“, erhob Fürst Quintus seine dröhnende Stimme.„Das klingt für mein Ohr recht hochtrabend.“

Eliasar, der ein feines Gespür besaß, erkannte im selben Momentdeutlich, dass die anderen Fürsten so ähnlich dachten.

„Gewiss sind das hochgesteckte Ziele“, schränkte der Baron ohneUmschweife ein, nur um hinzuzufügen, „doch wie anders sollten wir denAngriff eines haushoch überlegenen Gegners abwehren? Ihr Mehr anSoldaten und Waffen müssen wir durch Mut und Einfallsreichtumausgleichen. Ich habe da auch schon so meine Ideen. Nicht weit von hierin den Bergen gibt es eine Stelle, die für einen Hinterhalt außerordentlichgut geeignet wäre. Aber das hat noch ein wenig Zeit. Morgenunternehmen wir einen kleinen Ausflug, um den Rest meiner Leute in

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ihrem Waldversteck zu besuchen. Sie haben ein Recht darauf, dass ichsie über alles informiere.“

„Schön und gut, aber warum treibt ihr alles mit einer solchen Eile voran,als wenn der Gegner schon morgen vor den Toren der Burg stehenwürde?“, brachte Fürst Beofan von Bersaskhan sein Unverständnis zumAusdruck, wobei er den Baron mit Blicken durchbohrte, als wenn er aufdiese Weise die Antwort zu finden glaubte.

Eliasar hielt seinem festen Blick stand, dann ließ er keinen Zweifel daranaufkommen, dass Eile durchaus Not tat.

„Natürlich dauert es noch, bis das gesamte Heer mit dem schwerenGerät vor der Burg Position bezieht. Doch die berittene Vorhut, ihreKavallerie könnte schon in zwei, drei, im günstigsten Fall, für unsgesehen, vier Wochen, auf dem Plan erscheinen. Vor allem haben nochviel zu erledigen, wobei die Zeit gegen uns arbeitet.“ Am Ende hörten dieAnwesenden Eliasars Erregung über so viel Unverständnis heraus.

„Verzeiht Baron, ich sehe das genauso. Ich wollte nur, dass ihr das denanderen, mit allem Nachdruck klar macht“, beschwichtigte ihn Beofandann auch sogleich.

Es wurde eine lange Nacht, Befehle wurden formuliert undniedergeschrieben, damit keine Fragen offen blieben. Am nächsten Tag,kurz bevor sich Eliasar mit seinen neuen Gefährten auf den Weg in dieBerge machte, um das geheime Versteck von Antus und dessen Leutenzu besuchen, suchte ihn Elbraq auf.

„Soeben ist eine seltsame Nachricht von Max eingetroffen“, dabeiwedelte Elbraq mit einem gerollten, kleinem Stück Papier herum. Eliasarergriff den Zettel und las mit krauser Stirn die Nachricht: Der Feind ist imBesitz einer neuartigen, schrecklichen Schusswaffe. Sie funktioniertjedoch nur mit Schießpulver, wobei das „nur“ unterstrichen war.

„Hast du eine Ahnung was Max uns damit sagen will?“, schien Elbraq mitder Botschaft überfordert.

„Noch nicht mein Freund, doch ich werde es herausfinden“, und währendsich Eliasar zur Tür bewegte, fügte er noch leise hinzu, „und dann werdeich es dich wissen lassen.“

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Während sich Eliasar mit den neuen Gefährten auf den Weg zumVersteck in den Bergen machten, hatten Elbraq und seine Männeranderes zu tun. Sie verließen die Burg mit Fuhrwerken vollerArbeitsgerät und einer größeren Anzahl kleiner Fässchen, die mitSchießpulver gefüllt waren. Denn was Schießpulver war, welcheWirkung es hatte und wie man es herstellte hatten die Druiden EliasarsVorfahren gelehrt. Seine Vorfahren, aber auch Eliasar, benötigten es inden Bergwerken bei der Goldgewinnung. Doch hier und jetzt war demPulver eine andere Aufgabe zugedacht. Um dieser Aufgabe gerecht zuwerden, hatte sich Elbraq intensiv in die Lage des Feindes versetzt, umbestimmen zu können, wo die Pulverfässchen platziert werden mussten.Es ging darum, wo der Feind sein Lager, aber vor allem das neuartigeSchießgerät aufstellen würde. Das Ding musste auf jeden Fall über denkleinen Bach am Fuße des Berges transportiert werden, um es amschrägen Hang, an dessen oberem Ende die Burg stand, in Stellung zubringen.

Nach diesen Überlegungen fertigte Elbraq einen Plan, damit seine Leutewussten, wo sie die Sprengfallen vergraben sollten. Schließlich ging esdarum die Pulverfässchen an den richtigen Stellen zu vergraben. Vonder Stelle, wo sich das Pulver unter der Erde befand, mussten zusätzlichnoch Gräben gezogen werden, um darin die Schläuche mit den Luntenverschwinden zu lassen. Die Schläuche mit den Lunten führten dannzum östlichen Steilhang, wo sie unter Gestrüpp versteckt wurden. AuchEliasar war der Überzeugung, dass es schon mit dem Teufel zugehenmusste, wenn die Angreifer das neuartige Schießgerät nicht direkt oderin der Nähe eines der versteckten Pulverfässchen aufstellte. Auch warkaum anzunehmen, dass der Steilhang vom Gegner bewacht wurde,wenn er seine Stellungen eingenommen hatte. Denn der Ort wurde vomBach und moorigen Wiesen begrenzt. Um später die Sabotage zuvollenden, brauchten seine Leute, nur in dunkler Nacht, im Schutz derSteilwand, bis an die Lunten zu gelangen.

In Gedanken hatte sich Elbraq ihr bevorstehendes, nächtlichesUnternehmen schon ausgemalt. Mit dem Boot von der Mydruse in denkleinen Bach hinein, der unter dem Steilhang entlanglief. Ein paarMeter zu der Stelle hochklettern, wo die Röhren mit den Lunten aus demHang ragten. Die Lunten anzünden und so schnell wiemöglich in der

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dunklen Nacht verschwinden. Das mächtige Getöse, mit dem diePulverfässchen explodierten, sollte dem Feind in die Glieder fahren, abervor allem die neuartige Waffe vernichten.

Sollte der Plan aus irgendeinem Grund schiefgehen, dann blieb immernoch die Variante Gutshaus. In einer geheimen Kammer im Kellerbefand sich ein großes Lager Schießpulver, das sie unbemerkt übereinen Geheimgang erreichen konnten. Vermutlich würden sich dieführenden Köpfe des feindlichen Heeres dort einquartieren und bei einerSprengung, zum richtigen Zeitpunkt, ums Leben kommen. Ja, Elbraq warsich sicher, wenn er hier mit seiner Arbeit fertig war, dann hatte er seinenTeil getan, um den Angriff abzuwehren oder wenigstens zum Stocken zubringen.

Unterdessen ritten Eliasar, einer seiner Männer mit Namen Bogomir,William und Kyyraq, sowie die Fürsten, am Rande des Calumba-BergesRichtung Westen. Vorbei am verlassenen Gut erreichten sie schon baldden Weiler, den seine Bewohner vollmundig Skandyrha nannten. DiePferde durchschritten auf ihren langen Beinen mühelos den flachenMühlenbach, um auf der anderen Seite in großzügig angelegteObsthaine einzutauchen. Dahinter gelangten sie auf offenes Grasland,wo die Hufe ihrer Reittiere, bei einer flotten Gangart, auf den weichenBoden trommelten. Links von ihnen, also im Westen, hatte gerade dasMassiv des „Kleinen Bruders“ den „Calumba“ abgelöst. Hier wuchs amFuße des Berges lichter Mischwald. Je weiter der Reittrupp jedoch nachNorden gelangte, umso dichter und undurchdringlicher wurde der Waldam Fuße der Berge. Noch weiter im Norden kündigte sich auch schondas nächste Bergmassiv mit dem Plattenberg an.

Nach einem einstündigen, flotten Ritt, entlang des Waldes, erreichten sieeinen gurgelnden Bach. Was lag da näher, als dass die Einheimischenden Bach, ob seiner typischen Geräusche, Ghurgel nannten. ? Eliasarshob die Hand und zeigte dann die neue Richtung an. Die Reiterscharverließ das offene Grasland und drang in den Wald ein. Als sich überihnen das dichte Blätterdach schloss, verschwanden die schroffen Bergeaus ihrem Blickfeld und so konnten sie auch nicht den Berg mit demseltsamen Namen „Zipfelmütze“ bewundern.

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Immer wieder musste Eliasar beim Anblick des Berges über desseneigenartigen Namen schmunzeln. Doch wenn er dann zum Gipfelblickte, musste er sich eingestehen, dass der Name wie die Faust aufsAuge passte. Die seltsam geformte Spitze, seiner höchsten Erhebung,sah einer Zipfelmütze eben sehr ähnlich. Und genau dieses Massivumschloss mit seinen Ausläufern ein Tal, auf das sie gerade zuhielten.Vielleicht gehörte die Zipfelmütze einem versteinerten Riesen, der mitseinen Armen das Tal schützend umschloss. Eliasar ließ allediesbezüglichen Gedanken sausen, denn er musste sich auf den Wegkonzentrieren. Schnell fand er den geheimen Pfad, der sie zu einersteilen Felswand mit Wasserfall führte. Dort angelangt sahen sich einigeBegleiter von Eliasar verständnislos an und um, da der Pfad hier zuenden schien. Einzig William und Kyyraq sahen sich verstehend an.Beide lebten lange genug in der Wildnis, um die Bedeutung desWasserfalls zu enträtseln. Ohne auf die ungläubigen Gesichter derFürsten zu achten, hielt Eliasar direkt auf die Wand aus fallendemWasser zu. Erst da ging den Fürsten ein Licht auf, dass der Weg hierwohl doch noch nicht endete. Der geheime Zugang, zum Versteck derSiedler, lag direkt vor ihnen. Hell klangen die Hufe auf dem nacktenGestein in der feuchten Grotte. Nach ein paar Metern umritten sie einenFelsvorsprung und blickten auf den hellen Höhlenausgang, wo sie Antusschon erwartete.

„Ist denn der Zugang überhaupt nicht bewacht?“, erzürnte sich Raubarthgegenüber Antus. Für Raubarth anscheinend ein unglaubliches,unverzeihliches Versäumnis.

„Anscheinend haben die Wachen alles richtig gemacht, wenn sie nichtentdeckt wurden“, erwiderte Antus grinsend. „Sollte der Feind dengeheimen Eingang tatsächlich entdecken, so erwarten ihn unangenehmeÜberraschungen, natürlich erst wenn er die Grotte passiert hat.“

„Ihr meint, er darf rein aber nicht mehr raus?“, konnte Vladuq vonVrandyx seine Begeisterung kaum zügeln.

„Genau“, bestätigte Antus.

Eliasar hatte den Dialog neugierig verfolgt, doch jetzt sprang er vomPferd und umarmte seinen Freund Antus. Sie sahen sich nur in dieAugen und bedurften keiner weiteren Worte. Anschließend folgten sie

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dem Pfad, der durch eine schmale Schlucht führte. Auch die Fürstenerkannten, dass diese enge Passage mit nur wenigen Kämpfern gegeneine vielfache Übermacht verteidigt werden konnte. Nach ein paarhundert Metern öffnete sich die Schlucht zu einem weiten, fastkreisrunden Tal, das durch einen munteren Wildbach in zwei fastgleichgroße Hälften geteilt wurde. Die Menschen des Tales nutzten dieKraft des Wassers, indem sie es dazu verdammten das große Rad einerWassermühle anzutreiben. Auf der anderen Seite des plätscherndenWildwassers stand eine kleine Siedlung mit Stallungen, Gemüsegärtenund Koppeln und noch tiefer im Tal waren sogar Felder zu erkennen.

„Unsere langfristige Planung hat sich wahrhaftig ausgezahlt, wer hättedas je gedacht“, bemerkte Eliasar, während sein Blick stolz durchs Talstreifte.

Dazu musste man wissen, dass hier immer zwei Familien lebten, die denBetrieb das ganze Jahr aufrecht erhielten, damit bei Gefahr alleMenschen des Gutes und des dazugehörenden Weilers hier Zufluchtfinden konnten. Als sie über die Brücke ins Dorf ritten und die Pferde vordem Gemeindehaus anbanden, sinnierte Antus und es klang fast einwenig traurig.

„Ein wundervolles Tal! Ich glaube, ich werde es vermissen, wenn wir inunser altes Domizil zurückkehren.“

„Wenn dir der Job als Verwalter zu viel wird, dann kannst du ja hier deinAltenteil beziehen“, erwiderte Eliasar trocken.

Einen Augenblick herrschte unter den Versammelten betretenesSchweigen. Doch als sich dann Eliasar und Antus lachend in den Armenlagen, da wurde den verstört dreinblickenden Fürsten klar, dass es sichnur um ein freundschaftliches Geplänkel zwischen zwei altenWeggefährten handelte. Als sie später im Gemeindehaus imVersammlungssaal platzgenommen hatten, unterbreitete Eliasar ihnenseinen Plan zur Vernichtung der feindlichen Reiterei.

„Unweit von hier lieg der Höllengrund, ein großes Tal mit einem Moor.Wenn man in das Tal hineinreitet, stößt man auf einen Weg, der zuerstrecht breit erschein. Später jedoch wird der Weg zum schmalen Pfad,der in schwindelerregenden Höhen, immer am Abgrund entlang, zum

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Hochplateau führt. Wenn wir die feindliche Reiterei dorthin lockenkönnten, gäbe uns die Örtlichkeit jede Menge Möglichkeiten, um ihneneinen vernichtenden Schlag zu versetzen.“

Bevor Eliasar weiter sprechen konnte, meldete sich Silius von Seomar zuWort. „Klingt aber für den Lockvogel nicht ganz ungefährlich.“

„Ja, aber nur, wenn wir nicht ein paar Sicherungen einbauten. Ihr habtrecht, auf eine direkte Konfrontation sollten wir es dabei nicht ankommenlassen“, stimmte Eliasar zu. „Aber die Einzelheiten erkläre ich euch vorOrt, jetzt sollten wir erst einmal den Gerstensaft verkosten, der hiergebraut wird.“

Wie auf Kommando ging die Tür zur Küche auf und drei Frauenschleppten die schweren Bierkrüge herein. Man konnte später mit Fugund Recht behaupten, dass es eine sehr gründliche Verkostung wurde.Trotzdem fand jeder seinen Schlafplatz, um seinen Rauschauszuschlafen. Nach dem gemeinsamen Frühstück traf man sich im Stallbei den Pferden, um die Höllenklamm zu besichtigen. Noch im Stallwendete sich William an Eliasar.

„Bei unserem Ritt durch den Wald konnte ich feststellen, dass sich dortjede Menge Rotwild aufhält. Kyyraq und ich würden gerne auf die Jagdgehen, um die Leute des Tales mit Wildbrett zu versorgen.“

Eliasar sah ihn leicht vorwurfsvoll an, so als wenn er sagen wollte, meinPlan zur Vernichtung der feindlichen Reiterei interessiert dich also nicht.

„Es ist nicht so, dass wir uns vor der anderen Aufgabe drücken wollten,doch ich bin kein ausgebildeter Krieger, dafür aber ein hervorragenderJäger.“ Und mit einem Blick auf Kyyraq, „und mein Freund weicht ehnicht von meiner Seite.“ Bevor Eliasar etwas erwidern konnte brachteWilliam schnell noch ein überzeugendes Argument vor. „Wie ich hörtemüssen sogar Krieger essen und warum das eigene Vieh schlachten,wenn der Braten vor der Haustür grast.“

Eliasars Gesichtszüge hellten sich auf und er konnte sich ein Grinsennicht verkneifen.

„Wenn ihr nur halb so gut mit dem Bogen wie mit der Zunge seid, dannwerden wir reichlich Fleisch zu essen bekommen. Noch ein Hinweis von

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meiner Seite, wenn ihr weiter nach Norden reitet, dann stoßt ihr auf nochgrößeres Wild, Elche und Wisente. Aber spätestens in vierzehn Tagentreffen wir uns wieder im Tal, sonst versäumt ihr das Wichtigste.“

Später verließ die Schar um Eliasar in loser Formation das Tal. AmWaldrand trennten sich William und Kyyraq vom Rest der verschworenenGemeinschaft, um den Weg nach Norden einzuschlagen. Eliasar und dieFürsten ritten in entgegengesetzter Richtung, um zum Plattenberg zugelangen. Gewaltig wuchs das Massiv vor ihnen aus dem Boden, bis dieaufgetürmten Steinmassen sie verschluckten. Genau genommenverschwanden sie in einer Schlucht, die sie direkt ins Höllenmoor führenwürde, wenn sie nicht rechtzeitig den Weg nach oben einschlugen. AlsCelebrus den Richtungswechsel vornahm, warnte er die anderenVierbeiner mit einem heftigen Wiehern. Auf dem breiten, steinigen Weg,der an der Felswand zu kleben schien, gelangten sie immer weiter nachoben. Bald schon lag der Höllengrund, bewachsen mit Sumpfzypressenund allerlei Strauchwerk, tief unter ihnen. Eliasar hob den Arm zumZeichen des Anhaltens, aber auch, um die anderen rechtzeitig daraufhinzuweisen, dass sich der Weg sogleich dramatisch verengen würde.

„Antus und seine Männer werden dort oben, am Rande des Plateaus,Gesteinsbrocken anhäufen“, dabei zeigte seine Hand Richtung Himmel.„Wenn der letzte Verfolger diese Stelle hier passiert hat, wird ihnen derRückweg durch herabfallende Gesteinsmassen versperrt. Befindet sichder Feind erst auf dem sich anschließenden, gefährlich, schmalen Pfad,dann ist jeder herabfallende Felsbrocken dazu geeignet, Reiter undPferd in die Tiefe zu stürzen“, erklärte Eliasar anschaulich seinen Plan.

„Und wo bleiben diejenigen, die den Lockvogel spielen?“, warf Raubarthvon Rhandor eine berechtigte Frage auf.

„Geduld mein Freund. Sobald wir den bewussten Punkt erreichen, wirdes dir klarwerden“, vertröstete Eliasar ihn auf später.

Wie angekündigt verengte sich der Pfad auf dramatische Weise. Hierkonnte sich nur noch ein Reiter allein sicher bewegen. Nach achthundertMetern machte der Weg einen scharfen Knick, um hinter einer Felsnasewieder breiter zu werden. Eliasar sah seine Mitstreiter vielsagend an.

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„Der Knick ist der Knackpunkt. Erreichen wir die Stelle rechtzeitig vorunseren Verfolgern, dann sind wir auf der Siegerstraße. Ein lauterHornstoß, das verabredete Signal und unsere Leuten auf dem Plateauwissen, dass wir in Sicherheit sind. Zeit für sie die Steinschlägeauszulösen, um unseren Verfolgern die Hölle zu bereiten. Urplötzlichsind der Weg nach vorn und zurück versperrt, danach sind sie hilflosunserem Stein Bombardement ausgeliefert und verloren“, beschworEliasar Bilder von der Vernichtung des Feindes herauf.

„Und wie kommen wir zurück, wenn der Weg mit Steinen versperrt ist?“kam sofort die entsprechende Frage von Quintus von Quantaq.

„Sind wir erst oben auf dem Plateau, so gelangen wir über geheimePfade ins Tal zurück. Zwar ist der Weg beschwerlich, meistens müssendie Pferde geführt werden, doch es lohnt sich. Denn wenn der Feindseine Reiterei verloren hat, ist das feindliche Heerlager angreifbarer füruns. Ihr versteht, plötzlich, schnell vorstoßen, größtmöglichen Schadenanrichten und wieder verschwinden Das hält unsere Verluste gering undzermürbt den Feind.“

Eliasars dabei gezeigter Enthusiasmus schien nicht von allen geteilt zuwerden. Zu dieser Ansicht musste man kommen, wenn man denzweifelnden Ausdruck in ihren Gesichtern sah. Oder lag es nur daran,dass die alten Recken zu ihrer Zeit den Kampf im offenen Feld suchten?War das, der wahre Grund, warum sie sich mit Eliasar Taktik nichtanfreunden konnten? Eliasar schien das zu erkennen.

„Bedenkt, die Übermacht ist gewaltig, wir brauchen jede List, die diesesUngleichgewicht zu unseren Gunsten verschiebt. Davon ganzabgesehen gibt es bestimmt genug Gelegenheit, um sich als tapfererRitter auszuzeichnen“, ließ Eliasar nicht locker.

Gathor von Gabolon schien sich als erster einsichtig zu werden.Trotzdem nahm er Eliasar in die Pflicht, indem er ein lautes,„versprochen ist versprochen“, ausrief.

Zuerst blickten sich die Männer verdutzt an, nur um dann lautloszulachen. Relativ unbeeindruckt von der allgemeinen Heiterkeit gabEliasar Celebrus mit den Schenkeln zu verstehen, dass er langsam undvorsichtig in Gang kommen sollte, um sich auf dem schmalen, steilen

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Weg Richtung Plateau zu bewegen. Das Zeichen für die Anderen zumAufbruch. Oben angekommen führte Eliasar die Schar zu einemerhöhten Punkt am nordöstlichen Rand des Plateaus. Von hier obenhatten sie einen weiten Blick ins Land.

„Von dort werden sie kommen“, Eliasar zeigte nach Nordosten. AlleAugen folgten seinem Arm. Nach einer Weile meldete sich Meritas vonMenzo zu Wort.

„Ein guter Punkt um einen Beobachtungsposten einzurichten. Beiunserer Ankunft auf Burg Falkenhorst bemerkte ich, dass Elbraq imBesitz eines Fernglases ist.“ Meritas Blick wanderte suchend in südlicherRichtung, so als wenn er glaubte, dass dort die Burg sein müsste.

Eliasar folgte dem Blick des Redners und nickte bestätigend.

„Ich weiß nur nicht, ob ein Signalfeuer Sinn macht, ob es von der Burggesehen werden kann?“, schienen Meritas jedoch Zweifel zu plagen.

„Durchaus! Wobei ihr am Tage Laub ins Feuer werfen solltet, dieRauchwolke könnte der Beobachtungsposten, den die Burgbesatzungauf dem nahegelegenen Gipfel einrichten müsste, unmöglich übersehen.Nachts reicht der helle Schein eines Feuers“, stimmte Eliasar denAusführungen von Meritas zu.

Trotz der Zustimmung stutzte Meritas, denn er hatte etwas herausgehört,was ihm zu denken gab.

„Wen meint ihr mit Ihr?“, stellte sich Meritas bewusst dumm.

Eliasar ging nicht direkt auf die Frage ein, sondern holte ein wenig aus.„Antus und seine Leute, Männer wie Frauen, sind damit beschäftigtgroße Mengen Steine an den Rand des Plateaus zu schaffen. Auf derBurg sind sie eh schon unterbesetzt, also bleiben nur wir. Es war eureIdee“, den Schluss daraus überließ Eliasar seinen neuen Gefährten.

„Schon gut, schon gut, ich habe verstanden“, begriff Meritas endlich, waser sich da gerade eingebrockt hatte. „Ich schlage vor, immer zwei Mann,jeden Tag wird abgewechselt. Ein Unterstand, ein paar Decken undnatürlich das bewusstes Fernglas, machten Sinn. Da die Idee von mirstammt, mache ich selbstverständlich den Anfang.“

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„Ich bleibe bei dir, Meritas“, meldete sich Walthyr von Wallymar alszweiter Freiwilliger.

„Ich denke wir können in Ruhe das Holz heraufschaffen, einenUnterstand bauen und auch noch gemeinsam dreimal zu Abendessen.Bis dahin sollten sich die Pärchen gefunden haben. Tag eins gehörtjedenfalls Meritas und Walthyr“, bremste Eliasar sofort dieaufkommende Eile. „Für heute jedenfalls reiten wir zur Burg. Elbraqmuss erfahren wie die Dinge stehen, damit er einenBeobachtungsposten auf den Berg schickt.“

Während Bogomir zu Antus ins versteckte Tal ritt, um Lasttiere für denTransport des Holzes auf den Plattenberg zu organisieren, erreichtenEliasar und seine Gefährten am frühen Abend hungrig und nochdurstiger Burg Falkenhorst. Beim anschließenden Festmahl im großenRittersaal instruierte Eliasar seinen Burgkommandanten. In aller Frühedes nächsten Tages machte sich die Truppe um Eliasar wieder auf denWeg zum Höllengrund. Ihre Pferde waren mit Äxten, Sägen, Seilen,Decken und Proviant beladen. Am Treffpunkt erwartete sie schonBogomir mit vier Eseln.

„Die anderen Esel braucht Antus um Steine zu befördern“, erklärteBogomir das Fehlen weiterer Lasttiere.

„Zur Not müssen wir eben zweimal den Weg zurücklegen“, zuckteEliasar schicksalsergeben mit den Schultern.

Nachdem genug trockenes Brennholz gesammelt, verschnürt und diePacktiere damit beladen waren, machten sich vier Mann auf den Weg,um es nach oben zu befördern. Die Zurückgebliebenen Männer nutztendie Zeit, um Hölzer für den Bau des Unterstandes zu schlagen. Erst amspäten Nachmittag kehrten die Vier zurück. Unschlüssig schauten sichdie Männer an, ob sie die nächste Tour auch noch antreten sollten.

„Es hat nur Sinn, wenn die Vier oben nächtigen, ansonsten verschiebenwir die Angelegenheit auf Morgen“, stellte Eliasar fest.

Die vier Betroffenen sahen sich an und als wenn sie einestilschweigende Vereinbarung trafen, beluden sie die Esel mit denHölzern, packten ihre Sachen und verabschiedeten sich. DieZurückbleibenden schlugen an einer geschützten Stelle ein Nachtlager

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auf. Während sich die verbliebenen Fürsten die Zeit mit Fechtübungenvertrieben, ergriff Eliasar seinen Bogen und verschwand mit Bogomir imWald. Kurz vor dem Dunkelwerden kehrten sie mit einem erlegtenJungschwein zurück, welches sie an einer Stange auf den Schulterntrugen. Was freuten sich alle, als sich der Braten an einem Spieß überder Glut des Feuers drehte. Da zum Proviant auch ein kleines FässchenBier gehörte, versprach der Abend ganz gesellig zu werden.

Am nächsten Tag, die Sonne stand fast im Zenit, da kamen die Vier vomBerg mit den Eseln zurück und freuten sich aufrichtig, dass man ihnenetwas vom Braten und Bier übrig gelassen hatte.

„Wir brauchen noch zwei Ladungen lange Stangen für den Unterstand.Dierestlichen Packtiere können die Säcke mit dem Laub tragen“, stellteBeofan fest, nachdem er mit seiner Mahlzeit fertig war. „Wenn wir alleanpacken, sollte der Unterstand heute Abend fertig sein.“

„Also noch eine Nacht auf dem zugigen Plateau“, klang die Stimme vonMintus nicht gerade begeistert.

„Du hattest vorher gewusst, dass du für deine Rache Opfer bringenmusst, also nimm es hin wie ein Mann“, erinnerte Beofan seinenGefährten daran, dass sie nicht zum Spaß hier waren.

„Du hast ja recht, doch ich glaubte, wir kämpften mit Schwert und Lanzehoch zu Ross, so wie es sich für einen Ritter geziemt, stattdessentransportiere ich Hölzer auf einem Esel und baue einen Unterstand.Wenn ich mich recht erinnere, waren das zu unserer Zeit noch Arbeitenfür Knechte.“ Bevor Beofan darauf etwas erwidern konnte, fügte Mintusniedergeschlagen hinzu, „ich weiß, ich weiß, wir haben keine Knechte,wir haben keine Knappen, aber zwei gesunde Hände und Beine.Entschuldigt Brüder, aber ich bin eben ein ganz klein wenig enttäuscht.“

Einige nickten durchaus verstehend, doch alle waren sich der Bedeutungder Sache bewusst und so bissen sie in den sauren Apfel. Schließlichbauten sie den Unterstand auf dem Berg nicht aus Langeweile, sondernzum Schutz für den Beobachtungsposten, der die Annäherung desFeindes rechtzeitig an die Burg weitergeben sollte.

„Einen Augenblich Freunde! Versteht mich bitte nicht falsch, doch ichkann euch nicht aufs Plateau begleiten, auf mich wartet noch eine

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andere Aufgabe“, meldete sich Eliasar zu Wort, wohlwissend, dass daswieder böses Blut geben konnte, deshalb fügte er noch erklärend hinzu.„Ich hoffe noch ein paar hilfreiche, tapfere Hände zu rekrutieren, dochdazu muss ich durchs Land streifen, kann nicht hier bleiben.“

Zum Glück hatte er noch einen Trumpf im Ärmel oder besser gesagt inder Satteltasche. Geschwind holte er die beiden irdenen Buddelnheraus. „Obstschnaps, aber bitte erst vernichten, wenn ihr eure Arbeitbeendet habt.“ Mit einem Schenkeldruck brachte er Celebrus neben dasPferd von Beofan, der von allen Fürsten als Wortführer respektiertwurde. „Hier“, und schon wechselten die Flaschen den Besitzer.

„Wir sehen uns spätestens in vierzehn Tagen im versteckten Tal,welches du Goldene Perle nanntest“, dabei zeigte Eliasar lachend aufQuintus, der dem Tal diesen blumigen Namen gab. Quintus meinte, dassdas Tal aus der Vogelperspektive so aussehen müsste, mit seinengoldenen Getreidefeldern zwischen nackten, graublauen Felsen.

Während sich die Fürsten auf den Weg hoch zum Plateau machten,ritten Eliasar und Bogomir am verlassenen Gut vorbei, um später demVerlauf der Mydruse zu folgen. Eliasar war sich darüber im Klaren, solltesein alter Kumpel Yaksir Gleichgesinnte gefunden haben, so würden sieden Wasserweg nehmen. Yaksir und seine Freunde waren armeSchlucker, von denen keiner ein Pferd besaß und der Landweg aufSchusters Rappen, der konnte sich endlos lang dahinziehen. Außerdembarg der Landweg auch größere Gefahren. Immerhin war es möglich aufberittene Patrouillen des Feindes zu stoßen. Nein, sie würden sich einBoot oder mehrere beschaffen, um zuerst an der Küste entlang zusegeln und dann die Mydruse flussaufwärts bis Burg Falkenhorst zufolgen. Des Weiteren erwartete er sehnsüchtig seinen Sohn mit denHilfsgütern. Am zweiten Tag ihres Rittes sah Eliasar einen seltsamenKonvoi von Booten auf dem Fluss. Jeweils fünf vollbesetzte Kutter zogenje zwei große Lastkähne. Eliasar nahm sein Horn aus der Halterung amSattel und stieß kräftig hinein, dann gab er Celebrus mit einemSchenkeldruck zu verstehen, dass er die Gangart beschleunigen solle.Durch das Hornsignal wurden die Bootsbesatzungen auf die Reiteraufmerksam. Das Führungsboot klinkte sich aus dem Konvoi aus, um aufeine sandige Stelle am Ufer zuzuhalten. Wenig später lagen sich Eliasarund sein Sohn in den Armen.

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„Vater, ich bringe nicht nur die Versorgungsgüter, sondern auch nochzweihundert Mann Verstärkung für die Burg.“

Gleich nachdem sich Eliasar aus der Umarmung seines Sohnes gelösthatte, bemerkte er Yaksir.

„Tut mir leid Baron, doch mehr Männer konnte ich in der kurzen Zeit nichtauftreiben. Doch die Männer, die mir folgten, sind hochmotiviert und guteKämpfer. Kein Wunder, in ihren Adern fließt noch immer das Blut unserVorfahren aus Eyskandyr. Die Männer brennen darauf die Truppen derRegentin aus dem Land zu jagen“, bemühte sich Yaksir, denoffensichtlichen Mangel an Quantität seiner Truppe, durch Qualitätaufzuwerten.

„Danke mein Freund. Du brauchst dich für nichts zu rechtfertigen. Mir istwirklich jeder Mann willkommen, der an unserer Seite kämpfen will“,brachte Eliasar seine ehrliche Freude zum Ausdruck. „Insbesonderenatürlich jene Männer die sich Skandyr nennen. Männer derenVorfahren, so wie die meinen, einstmals aus dem eisigen Nordostenunserer Welt auf diese Insel kamen. Willkommen Männer!“, rief er laut zuden Booten hinüber.

Auf den Booten nahmen die Männer seinen Ruf auf, streckten Armeempor, ballten die Hände zu Fäusten und riefen immer wieder laut„Skandyr, Skandyr!“

„Gut Yaksir, dass du dich mit deinen Leuten meinem Sohnangeschlossen hast. So brauche ich euch nicht zu erklären wie ihr vomFluss über den geheimen Zugang auf die Burg kommt. Gawain kenntden Weg. Und für dich mein Sohn bedeutet das, dass du mehr helfendeHände zur Verfügung hast, um die Lastkähne zu entladen.“

Inzwischen waren der Konvoi von Kuttern und Lastkähne langsamvorbeigezogen, was bei Yaksir und Gawain eine gewisse Unruheauslöste, so dass sie von einem Bein aufs andere traten.

„Sohn, warum bist du eigentlich so spät dran?“, erkundigte sich Eliasar,dessen scheinbare Unruhe einfach ignorierend.

„Immer das gleiche Lied, es mangelte mir an Hilfskräften. Kapitän Scuffizierte sich, sein schönes Segelschiff total von Mannschaft zu entblößen,

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um die Lastkähne bis zur Burg zu schleppen. Doch ihm wäre nichtsanderes übrig geblieben, wären nicht Yaksir und seine Leute erschienen.Kapitän Scuffi atmete sichtlich erleichtert auf, als so viele helfendeHände plötzlich erschienen.“, fiel Gawains Erklärung überzeugend aus.

„Verstehe und warum steht ihr dann hier noch rum, anstatt beimSchleppen zu helfen?“, zog Eliasar sein Gesicht in strenge Falten, nurum gleich darauf belustigt loszulachen. „Gut gemacht ihr Beiden, abernun solltet ihr euch wirklich auf den Weg machen, grüßt mir Elbraq. UndGawain, pass auf dich auf mein Sohn“, verabschiedete sich Eliasar.

„Das gleiche gilt für dich Vater“, rief Gawain ihm zu, als er hinter Yaksirins Boot stieg.

Lange schaute Eliasar den Booten hinterher, bis sie irgendwann hintereiner Flussbiegung verschwanden.

„Komm Bogomir, wir wollen noch ein wenig durchs Land streifen, bevorwir zu den anderen zurückkehren.“

Sie ritten kreuz und quer durchs Land, doch alle Weiler und Gehöftewaren verlassen, die Bewohner waren mit allem was sie hatten in dieBerge oder Wälder geflüchtet. Schwere Zeiten für den Feind, jedenfalls,wenn der mitgeführte Proviant zur Neige ging. Eliasar grinste grimmig insich hinein. Nach zehn Tagen kehrte er zum Tal mit dem schönenNamen Goldene Perle zurück. Hier traf er nicht nur auf elf Fürsten, diesich zu Tode langweilten, sondern auch auf William und Kyyraq. VonAntus erfuhr er, dass alle Arbeiten auf dem Plateau beendet waren. Nunbefanden sich am Rande des Abgrunds große Steinhaufen, die soplatziert waren, dass sie sich jederzeit in tödliche Steinschlägeverwandeln konnten. Außerdem hatten zwei von Antus Leuten denWachposten auf dem Plateau übernommen, so dass die Fürsten von derlästigen Aufgabe befreit waren.

„Wird Zeit, dass bald etwas passiert, sonst rosten wir ein. Die guteVerpflegung trägt auch noch seinen Teil dazu bei, dass wir immer trägerwerden“, erklärte Beofan den Gemütszustand seiner Mitstreiter.

„Na, wenn dem so ist, dann sollten wir etwas dagegen unternehmen.Morgen früh reiten wir Richtung Kieselfurt und wenn Gott will, so treffenwir auf eine nicht zu starke Vorhut, an denen ihr euer Mütchen kühlen

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könnt. Na wie hört sich das an?“, erwiderte Eliasar so laut, dass alleAnwesenden es hören konnten.

„Ach, wäre doch schon Morgen“, seufzte Nathan von Nhabu und allelachten.

Die Ankündigung schien die Trägheit der Fürsten wegzuzaubern,hektisch fingen sie an ihre Waffen und Ausrüstungsgegenstände zuüberprüfen oder sie gingen in den Stall, um sich um die Pferde, dasSattel- und Zaumzeug zu kümmern. Die Pferde bekamen eineSonderration Hafer, denn wer wusste schon, was der nächste Tagbringen würde. Als sie am nächsten Morgen in voller Kampfmontur undhoch zu Ross aufbrachen, bewunderten die Bewohner des Tales daseindrucksvolle Schauspiel. Eliasar und seine Gefährten schlugen einenWeg nach Osten ein, wobei sie den Waldrand als Deckung benutzten.Gegen Mittag machten sie eine längere Rast. Bei einem Blick in dieGesichter seiner Mitstreiter bemerkte Eliasar, dass nicht alle seinenOptimismus teilten, hier auf einen Spähtrupp des Feindes zu treffen.

„Worauf beruht eigentlich euer Glaube, dass der Feind den Weg überKieselfurt nimmt?“, kam dann auch schon eine entsprechende Frage vonNathan.

„Das hat wenig mit Glauben zu tun. Es liegt einfach an dengeographischen Gegebenheiten. Reisende, jedenfalls, wenn sie schwereLasten transportieren, müssen diesen Weg nehmen. Im Namen desOrtes Kieselfurt ist nicht umsonst das Wörtchen Furt enthalten. Seidgewiss, sie nehmen diesen Weg. Und was liegt näher als Spähtruppsvorauszuschicken, um nicht in irgendeinen Hinterhalt zu laufen“, ließEliasar keinen Zweifel an seinen Überlegungen aufkommen. Und dannging ein genüssliches Grinsen über sein Gesicht.

„Warum grinst ihr so dümmlich?“, bezog Beofan das Verhalten desBarons auf sich, da er keine andere Erklärung wusste.

„Dreimal dürft ihr raten, großer Fürst von Bersaskhan“, erwiderte derAngesprochene sichtlich gut gelaunt.

Irgendetwas in Eliasars Stimme ließ die Fürsten aufhorchen, aufspringenund aufgeregt nach Osten blicken, doch der Horizont schien leer.

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Bogomir, der sich sonst dezent im Hintergrund hielt, klärte die Fürstenauf.

„Auch wenn der Horizont euch leer erscheint, so heißt das nicht, dassder Baron nicht etwas gesehen hat. Nicht umsonst wird er ob seinerscharfen Augen auch der Falke genannt.“ Und weil Bogomir seinenBaron kannte, ging er zu seinem Pferd und überprüfte betont sorgfältigdie Festigkeit der Gurte, nur um sicher zu gehen, dass ihm imKampfgetümmel kein lockerer oder durchgescheuerter Gurt zumVerhängnis wurde. Dann hing er sich den Köcher mit Pfeilen um, ergriffden Bogen und schwang sich auf sein Pferd.

„Tatsächlich“, rief auf einmal der Fürst von Vrandyx und zeigte mit einerHand auf einen Punkt am Horizont, „da kommen sie.“

Sofort machte sich allgemeine Aufbruchsstimmung breit.

„Nicht so hastig Freunde. Zuerst müssen wir wissen wie viele es sind.Bei unserer geringen Stärke, in einer Situation wo jeder Mann gebrauchtwird, können wir es uns nicht leisten, in einem unwichtigen Vorgeplänkel,größere Verluste zu erleiden“, bremste Eliasar den Tatendrang seinerKampfgefährten. „Vorerst bleiben wir hier schön in Deckung und wartenab. Bogomir wird“, aus den Augenwinkeln sah der Baron eineArmbewegung von William, „in Begleitung von William und seinemnordischen Schatten die Lage auskundschaften.“

Die so zu Spähern ernannten, entfernten sich schnell vom Rastplatz undhielten zügig auf den anreitenden Feind zu, während sich bei denFürsten, mit jeder Minute, die verstrich, wachsende Ungeduld breitmachte. Endlich, nach einer knappen Stunde kamen die Drei zurück,wobei sie sofort von allen umringt wurden.

„Ungefähr dreißig Mann, vielleicht einer weniger oder mehr“, berichteteBogomir, William und Kyyraq nickten bestätigend.

Gespannt blickten alle auf Eliasar.

„Ein Übergewicht von fast eins zu drei“, begann er und schonverfinsterten sich die Gesichter der Fürsten, was bei Eliasar ein Lachenerzeugte. „Keine vorschnellen Schlüsse, meine Freunde. Denn eines istdoch klar, für die Moral unseres Widerstandes ist es sehr wichtig, dass

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wir dem Feind, bei unserem ersten Aufeinandertreffen, deutlich klarmachen, wer hier der Herr im Hause ist. Doch im Angesicht ihrerÜbermacht, sollten wir uns eine siegversprechende Schlachttaktikzunutze machen. Bogomir, William und Kyyraq sind für den Ritterkampfnicht ausgerüstet, doch sie können natürlich mit Pfeil und Bogen demGegner zusetzen.“ Anschließend erklärte Eliasar den Fürsten seinenKampfplan und erstaunlicher Weise erhob niemand Einspruch. Als sieaufgesessen waren und sich locker formierten, da war dernäherkommende Feind deutlich zu erkennen.

„Übrigens, es sind einunddreißig Ritter“, bemerkte Zerbass von Zebulhanüberflüssiger Weise, was wohl doch für seine aufkommende Nervositätsprach.

Langsam und ohne Hast ritten Eliasar und seine Gefährten dem Feindentgegen. Als sie noch zweihundert Meter voneinander entfernt waren,hob der Anführer des feindlichen Spähtrupps einen Arm und seineMänner hielten an. Er reichte seinem Nebenmann Lanze und Schild undritt furchtlos weiter.

„Respekt“, knurrte Silius seinem Nebenmann zu. „Leider kämpft derMann auf der falschen Seite.“

Während Eliasar dem Beispiel des feindlichen Anführers folgte, BogomirLanze und Schild überreichte, holte Beofan ein Tuch aus seinerSatteltasche und befestigte es an seiner Lanze. Als er die Lanzenspitzein den Wind hielt, blickte alle auf die alte Fahne Asgarduns. Auf blauemGrund ein braunes Rad mit zwölf Speichen, welches die Einheit der zwölfStämme symbolisierte, darüber die weiße Taube Asgarduns.

„Genau der richtige Zeitpunkt“, bemerkte Eliasar, bevor er sich auf denWeg zu seinem Gegenspieler machte.

In der Mitte beider Formationen standen sich Eliasar und derBefehlshaber des feindlichen Spähtrupps gegenüber.

„Mein Name ist Ghallawhan von Ghandyr, Offizier im Heere der Regentinvon Askalan“, sprach er den, für ihn fremden, Ritter mit fester Stimme an,während seine Augen den Mann kritisch musterten.

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„Eliasar, Baron von Falkenstein“, erwiderte jener kühl. „Darf ich euchfragen, was ihr westlich der Thräne in voller Kriegsmontur zu suchenhabt?“

„Aber Baron, lassen wir doch die Spielchen. Ihr habt euch mit demTruchsess angelegt und das ist die Antwort der Regentin. Doch ich sehedie Sache nicht persönlich, ich bin nur hier, um einen Auftragauszuführen. Darum lege ich euch Nahe, ja bitte ich euch, legt dieWaffen nieder, verlasst den Weg des sicheren Todes. Ihr seht dochselbst unsere Übermacht ist erdrückend“, forderte Ghallawhan seinGegenüber emotionslos auf.

Eliasar betrachtet den feindlichen Unterhändler eingehend, dannbeschloss er seine Antwort nicht ganz so scharf zu formulieren, sondernes auf der philosophischen Ebene zu versuchen.

„Danke eurer Fürsorge. Eurer Bitte entnehme ich, dass ihr euch nochkeine tieferen Gedanken in Bezug auf den Tod gemacht habt. Denn ihr,ich, jedermann, beschreitet den von euch beschriebenen Pfad und dasseit dem Tag unserer Geburt. Am Ende dieses Weges, von dem keinerweiß wie lang er sein wird, erwartet jeden, ohne Ausnahme, mitSicherheit der Tod. Es ist genaugenommen die einzige Gewissheit inunserem Leben. So wie es also mich treffen könnte, so könnte es aucheuch und eure Männer treffen. Wäre es nicht schade, wenn euer Weghier und heute endet? Darum gebe ich euch ebenfalls einengutgemeinten Rat. Kehrt um und verlasst das freie Skardyn, auch wennmeine Männer darüber bestimmt enttäuscht sind.“

Sein Gegenüber blickte ihn ungläubig an, dann schüttelte er den Kopf.„Auf jeden Fall kann niemand hinterher behaupten, ich hätte es nichtversucht“, murmelte er leise vor sich hin, schnalzte mit der Zunge,worauf sein Pferd eine Drehung vollführte, um sich im Galopp auf seinewartenden Mitstreiter zuzubewegen.

Als Eliasar sein Pferd wendete, sah er, dass sich seine Kampfgefährtenschon zu einer breiten Phalanx formiert hatten. Im Zentrum derFormation stand der Krieger mit dem mächtigsten Streitross, FürstBeofan von Bersaskhan. Zwischen ihm und Walthyr von Whallymarklaffte eine kleine Lücke, genau so groß, dass Eliasar seinen tapferenCelebrus hinein dirigieren konnte.

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„Männer, jetzt gilt es und denkt dran was wir besprochen haben! WennBeofan seine Lanze senkt, dann wechseln wir in die abgesprocheneFormation. Und sobald wir zwischen ihnen sind, Lanzen weg und langenHafer.“

„Asgarduuuun“, stieß Beofan mit gewaltiger Stimme aus und die Pferdetrabten an, um gleich darauf Geschwindigkeit aufzunehmen.

Gleich darauf schwirrten ein paar Pfeile über sie hinweg, die jedochkeinen großen Schaden anrichteten, Was wohl daran lag, dass beideFormationen sich in Staubwolken hüllten. Trotzdem schickten Bogomirund William beharrlich Pfeil um Pfeil dem anreitenden Feind entgegen.Schnell näherten sich die Formationen, wobei der Feind ihnen in dreihintereinander reitenden Reihen entgegen kam, genau wie es Eliasarvorhergesagt hatte. In den Augen der alten Ritter Asgarduns glomm einunheimliches Feuer und dieser und jener bleckte in Erwartung desAufeinandertreffens die Zähne. Die Hufe der Pferde trommelten immerschneller auf den Grasboden und die Fahne Asgarduns flatterte fröhlichim Wind. Kurz vor dem Zusammenprall senkte sich die Lanze mit derFahne und ihre Schlachtreihe verwandelte sich blitzschnell in einen Keil.Jetzt, kurz vor dem Aufeinandertreffen, fanden nicht nur die Pfeile vonBogomir und William, sondern auch der schwergewichtige Ger vonKyyraq ein Ziel. Schwer getroffen schwankte der die Ritter, in der Mitteder feindlichen Formation, im Sattel. Genau in diese Lücke stießenBeofan, Eliasar und Raubarth, welche die Spitze des Keils bildeten.Schon stießen sie, wie ein warmes Messer, dass durch Butter fährt,mitten in den Feind hinein, wobei ihre Lanzen drei Ritter, aus der Mitteder zweiten Reihe, aus ihren Sätteln zu fegen. Wie abgesprochen ließendie Ritter der Keilspitze ihre Lanzen fallen, um sie durch Schwert,Streitaxt und Streitkolben zu ersetzten. Auch der Rest ihrer Formationwar in die klaffende Lücke gestoßen, um in dem entstandenen Knäuelaus Pferden und Reitern wie Ausgeburten der Hölle zu wüten. Der Feindschien von der plötzlich veränderten Taktik vollkommen überraschtworden zu sein, denn zusehends schmolz die Übermacht des Feindesdahin. In kürzester Zeit war die Entscheidung gefallen und diefeindlichen Ritter, die sich noch im Sattel hielten, verließen fluchtartigden Ort ihrer Niederlage. Nur Ghallawhan hielt noch den fürchterlichenSchlägen von Beofans Streitkolben stand. Bevor Beofan mit einem

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letzten, gewaltigen Schlag seinen Gegner niederschmettern konnte, rittEliasar dazwischen.

„Ergebt euch Ghallawhan. Seht euch doch um, euer Kampf ist längstverloren, es ist vorbei. Ihr habt wahrlich tapfer gekämpft, niemand kanneuch Feigheit unterstellen. Sinnlos jetzt noch den Tod herauszufordern.Wie sagtet ihr so schön zu mir, verlasst den Weg des Todes. Jetzt gebeich euch denselben Rat.“

Jetzt erst sah sich Ghallawhan um, wobei er mit Erschrecken feststellte,dass ein Großteil seiner Leute reglos im Gras lag und der Rest dasSchlachtfeld fluchtartig verlassen hatte. Deprimiert ließ er sein Schwertkraftlos sinken und ins Gras fallen.

„Ich war mir so sicher, wie konnte das nur geschehen“, stammelte er.Niedergeschlagen glitt er vom Pferd und ließ sich ins Gras sinken, wo erden Kopf zwischen seinen Knien verbarg. „Wie geht es nun weiter?“,schien er sich nach kurzer Zeit wieder gefasst zu haben.

„Das liegt an euch. Wenn ihr mir euer Ehrenwort gebt, nicht mehr gegenuns zu kämpfen, dann seid ihr frei und könnt von dannen ziehen“,machte ihm Eliasar ein ehrenvolles Angebot.

„Und sonst?“

„Wartet der Kerker von Burg Falkenhorst auf euch“, ließ Eliasar keinenZweifel an den Folgen.

Noch während Ghallawhan grübelte, hob Eliasar dessen Schwert vomBoden auf und hielt es ihm mit dem Griff voran hin.

„Seid kein Narr Ghallawhan, auch auf Burg Falkenhorst sind die Verliesekein Ort wo man sich wohl fühlen könnte. Außerdem habe ich eineBotschaft für den Truchsess und ich hoffte ihr würdet sie überbringen.“

Von seinen Gefühlen hin und her gerissen suchte Ghallawhan nacheiner Entscheidung. Er gab sich die Schuld an der Niederlage und sowäre der Aufenthalt im Verließ nur eine gerechte Strafe, doch am Endesiegte die Vernunft.

„Ich nehme eurer Angebot an und gelobe nicht mehr gegen euch zukämpfen“, schienen Ghallawhan die Worte trotzdem viel Überwindung zu

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kosten. Mit gesenktem Blick ergriff er das hingehaltene Schwert undschob es in die Scheide.

„Ghallawhan glaubt mir, ihr habt die richtige Wahl getroffen“, war Eliasarfroh, den tapferen Ritter nicht ins Verlies stecken zu müssen.

„Richtet dem Truchsess bitte aus, dass er sich an Burg Falkenhorst dieZähne ausbeißen wird, so wie alle anderen Angreifer zuvor. Und obwohler ungebeten in unser Land einfiel, entbiete ich ihm meineGastfreundschaft, er darf in meinem Gutshaus wohnen und gegen einenkleinen Obolus sich an meinen Biervorräten gütlich tun.“ Eliasar ärgertesich noch immer, dass sie die beiden großen Fässer im Keller belassenmussten, aber es gab wichtigeres zu tun, als die großen, schwerenFässer zur Burg zu trensportieren. Vermutlich würde der Truchsess andem Umstand zu knabbern haben, dass er ihm zwei große, volle Fässerüberließ. Sein Misstrauen würde ihm bestimmt eine Falle vorgaukeln,vielleicht, dass das Gebräu vergiftet sei. Dieser Gedankengang hobsofort wieder seine Laune, als ihn Ghallawhan Worte aufhorchen ließen.

„Ich werde eure Botschaft wortgetreu übermitteln, kann aber eurenOptimismus nicht ganz teilen. Denn diesmal sieht die Sache anders aus.Die Regentin hat dem Truchsess eine neuartige Waffe und derenErfinder mitgegeben. Jener nennt das Ding Bombarde. Mit Rauch undviel Getöse schleudert dieses Hölleninstrument eine riesige Steinkugelmit enormer Wucht über eine weite Strecke. Die Mauern eurer Burgwerden den Beschuss auf Dauer nicht standhalten“, ließ Ghallawhankeinen Zweifel daran aufkommen, wie er den Ausgang derAuseinandersetzung sah. Und wenn sich Eliasar nicht irrte, dann klangso etwas wie Mitleid aus der Stimme des Besiegten heraus.

Eliasars Kopf ruckte unmerklich herum, bekam er doch gerade denzweiten Hinweis auf diese geheimnisvolle Waffe. Geschickt nutzte er dieGunst des Augenblicks, womit Ghallawhan Gesprächigkeit gemeint war,um mehr über die neuartige Waffe zu erfahren. Das Ende des Kampfesund das eigene Überleben, auch wenn er sich die Möglichkeit vonVerletzung und Tod nicht eingestand, lösten die Zunge des jungenRitters.

„Ich war dabei als der Erfinder die neuartige Waffe der Regentinvorstellte. Ein Riesenteil, das eine Steinkugel, über eine Entfernung von

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tausend Metern, in Ziel feuerte. Ich war dabei als ein solches Geschosseine solide Steinmauer zertrümmerte. Ein wirklich beeindruckendesErlebnis“, beschrieb Ghallawhan die Zerstörungskraft der Waffe.

„Und wie muss ich mir so ein Ding vorstellen“, spielte Eliasar denUnbedarften.

„Eigentlich ganz simpel. Ein langes, dickes Metallrohr, vorne offen,hinten geschlossen, befestigt auf einem entsprechenden Holzblock. Indas Rohr kommen Schießpulver und die Kugel, der Geschützführerzündet eine Lunte und schon explodiert das Pulver im Rohr mit lautemKrabum. Im selben Moment fliegt die Kugel mit Feuer und Rauch vorneaus dem Rohr. Und egal wo die Kugel einschlägt, am Endezerschmettert sie das Ziel mit unglaublicher Wucht“, klatschend schlugGhallawhans Faust in die offene Handfläche seiner anderen Hand.

Eliasar legte sein Gesicht in Falten. Das neuartige Ding konnte dieAuseinandersetzung zu ihren Ungunsten verschieben. Schnell glättet erseine Falten und zwang sich ein siegessicheres Lächeln ins Gesicht.

„Sei’s drum Ghallawhan. Doch ich bin immer noch der Ansicht, nicht dieWaffen entscheiden einen Krieg, sondern die Männer die sie führen.Meine Männer kämpfen für ihre Freiheit, eure nur gezwungener Maßen,oder für Sold. Lebt wohl und das wir uns in friedlicheren Zeiten wiederbegegnen mögen.“

„Ein wahrlich frommer Wunsch, doch aus Erfahrung weiß ich, dassWünsche nur selten in Erfüllung gehen.“ Ghallawhan schwang sich aufsein Pferd und ritt dem heraufziehenden Nachmittag entgegen.

Die Fürsten waren dem Gespräch mit stummer Verwunderung gefolgt.

„Meint ihr, an der Geschichte ist etwas dran?“, wandte sich Beofanungläubig an Eliasar.

„Doch, ich glaube schon. Mir ist die ungeheure Kraft von Schießpulverdurchaus bekannt. Und wenn ich Herrn Ghallawhan richtig verstandenhabe, dann ist es nur logisch, dass die Kugel mit ungeheurer Wucht ausdem Metallrohr herausschießt, wenn hinter ihr das Pulver gezündetwird“, doch mit Gedanken schien Eliasar schon ganz woanders zu sein.

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Einige der Fürsten waren längst im nahegelegenen Wald verschwunden,um trockenes Holz für einen großen Scheiterhaufen zu sammeln. Auchwenn es ihre Feinde waren, die da tot im Gras lagen, so waren sie nichtgewillt sie dort verrotten zu lassen. Achtzehn tote Menschen hatten ihrerAnsicht ein Recht auf eine würdige Bestattung. Bevor sie die Toten aufden Holzstapel legten, zogen sie ihnen die Kleidung aus und nahmenauch ihre Waffen in Verwahrung, vielleicht konnte sie später nochmalsvon Nutzen sein. Über die Toten legten sie nochmals einen Stoß Holz,dann wurde der Scheiterhaufen gleichzeitig von allen Seiten angezündet.Gierig fraßen sich die Flammen durch das trockene Holz. Als dieFlammenzungen jedoch die menschlichen Körper erfassten, saßenEliasar und seine Gefährten auf, keiner hatte Lust auf den Geruch vonverbranntem Menschenfleisch. Ohne sich umzublicken machte sich diekleine Schar auf den Rückweg. Noch vor dem Dunkelwerden erreichtensie das verstecke Tal. Sofort setzte sich Eliasar mit Antus zusammen,um die neuen Aspekte des Krieges zu besprechen. Er teilte seinemFreund die neuen Erkenntnisse mit und das er es für nötig erachtete,dass jemand die neue Waffe ausspionieren, um sie wenn möglich,vielleicht sogar zu sabotieren. Dabei ließ er durchblicken, dass imGrunde nur Antus oder er selbst in Betracht kamen. Nur sie kanntenschließlich John und Gariban, die im feindlichen Heer als Hilfskräftemitzogen. Plötzlich grinsten sie sich, ob dieser Erkenntnis, spitzbübischan.

Am nächsten Tag teilte Eliasar den Fürsten seinen Entschluss mit. Undobwohl diese nicht wirklich begeistert waren, dass für sie wieder nur daseintönige Warten übrig blieb, mussten sie die Fakten anerkennen.Natürlich war allen klar, dass Antus und Eliasar eine Tarnung brauchten.Ihrem Plan zufolge wollten sie sich als Spielmannsleute ausgeben, um indieser Verkleidung unerkannt im Tross des Feindes unterzutauchen.Dabei kam es Beiden zustatten, dass sie nicht nur im Besitz von Fidelund Laute waren, sondern die Instrumente auch noch gut beherrschten.Hinzu kam, dass sich Eliasars Erscheinungsbild seit demZusammentreffen mit dem Truchsess insofern verändert hatte, dass ersein Gesicht hinter einem Vollbart versteckte. So kam es, dassgeschickte Frauenhände die ganze Nacht damit zubrachten, dieentsprechenden Trachten zu nähen. Als am nächsten Tag die Anprobeder neuen Kleider auf dem Programm stand, da lachten nicht nur die

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Fürsten, sondern auch die so verkleideten. Was wohl vor allem an denungewöhnlichen Farben der Kleidung lag. Kittel und Beinkleider, so wiedas Wams zweifarbig, in der Mitte geteilt, in leuchtend grellem Grün undGelb. Dazu trugen die beiden selbsternannten Spielleute brauneSchlapphüte, die mit gelben Bändern und einer kecken Fasanenfedergeschmückt waren. Nur auf ihre gewohnten Reitstiefel wollten Eliasarund Antus nicht verzichten.

„So kommt ihr uns aber nicht davon. Unsere Augen habt ihr überzeugt,denn ihr seht tatsächlich wie echte Spielleute aus, aber könnt ihr auchunsere Ohren überzeugen?“, brachte Nathan die Erwartungen aller aufden Punkt und forderte eine Probe ihrer Kunstfertigkeit.

Eliasar und Antus ergriffen ihre Instrumente, stimmten sie, um dann einefröhliche Melodie erklingen zu lassen. Als beide dann auch noch dasLied mit ihren Stimmen untermalten, da staunten die Zuhörer nichtschlecht.

„Hätten wir das vorher gewusst, dann wären die Abende fröhlicherverlaufen“, bemerkte Gathor.

„Auf unserer Siegesfeier solltet ihr nochmals in diese Rolle schlüpfen“,fordert Vladuq lachend und alle klatschten Beifall.

„Soweit ist es noch lange nicht. Zuerst muss der Bär erlegt werden,bevor das Fell verteilt wird. Und ich denke, das wird noch ein hartesStück Arbeit“, erteilte Eliasar ihren Optimismus einen kleinen Dämpfer.

Um nicht Aufzufallen und sich aufdringlichen Fragen auszusetzen,wechselten Antus und Eliasar von ihren wertvollen Streitrössern aufunauffällige Reittiere. Zu Spielleuten passten eben besser schwerfälligeKaltblüter. Als sie auf den schwergebauten Kaltblütern das Dörfchenverließen, standen nicht nur die Fürsten im Freien und blickten ihnenhinterher, sondern alle Bewohner, die nicht gerade anderweitigbeschäftigt waren. Während ihnen die Frauen hinterher winkten, gabenihnen alle ihre guten Wünsche mit auf dem Weg, in der Hoffnung dassdas Unternehmen erfolgreich verlaufen würde. Auch wenn die Vierbeinervon Eliasar und Antus schwerfällig wirkten, so waren sie durchaus in derLage einen flotten Trab hinzulegen. Schon bald hatten sie das versteckteTal verlassen und ritten durch den dichten, anschließenden Wald. Gegen

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Mittag machten sie an einem Bach Rast. Während die Pferde grastenund Antus Feuerholz sammelte, ging Eliasar auf die Jagd. Späterdrehten sich zwei Rebhühner über dem Feuer und die beiden Freundeschienen zufrieden.

„Fast wie in alten Zeiten“, bemerkte Antus.

„Ja, bis du das Ritterdasein aufgabst und als Verwalter in meine Dienstegetreten bist“, erwiderte Eliasar.

Eliasar kannte Antus Geschichte, der eigentlich Arthus von Seomar hieß,und aus einem angesehen Rittergeschlecht der Mark Quantaq stammte.Als tapferer Verteidiger der Küste, gegen immer wieder einfallendeNordmänner, machte er sich einen Namen, war ein im ganzen Landangesehener Ritter. Doch als er sich beim Kanzler über den Truchsessder Mark beschwerte, weil jener Fischer, also die eigenen Leute folterte,weil er glaubte, sie mauschelten mit dem Feind, da musste er erkennen,dass Rittertugenden nicht wirklich hoch im Kurs standen. Der Kanzlerhielt es nicht mal für nötig ihm zu antworten. Stattdessen wurde er in dieHauptstadt Thanus vor den Truchsess zitiert, der ihm unverhohlendrohte. Vermutlich weil Ritter Arthus ein so hohes Ansehen im Volkebesaß, sperrte man ihn nicht ein, sondern ließ ihn gehen. Jedoch nur,um ihm Mordbuben hinterher zu schicken. Doch Arthus alias Antus wargewarnt und so entging er dem Mordanschlag leicht verletzt. Grundgenug für ihn, um unterzutauchen, sogar ohne sein Anwesen nocheinmal aufzusuchen.

Auf kürzestem Weg begab er sich ins Fischerdorf Bluemar, wo er einigeFreunde besaß. Wie es der Zufall wollte hielt sich Kapitän Scuffi mitseiner „Möwe von Asgardun“ im Hafen auf und gewährte ihm Zuflucht.Über Umwege landete Arthus in der Hafenstadt Mhyrnax. Er verdingtesich als Haferarbeiter und wartete auf eine Gelegenheit, um sich ins freieLand westlich der Thräne abzusetzen. Als ein Zug Siedler, auf dem Wegnach Skardyn, Krieger zum Schutz anwarb, ergriff Arthus dieGelegenheit. Unterwegs hörte er immer wieder von einem Baron vonFalkenstein, der scheinbar kein großer Freund des Königreichs Askalanund seiner Herrscher war. Abgebrannt und nur mit seinen Kleidern aufdem Leib, dem Schwert am Gürtel und der Fidel auf dem Rücken, traf erauf Burg Falkenhorst ein. Obwohl der alte Ruud versuchte ihn

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abzuwimmeln, beharrte Arthus auf eine Unterredung mit dem Baron.Eliasar erkannte sofort, dass er es nicht mit einem abgebranntenStrauchdieb zu tun hatte. Zudem war ihm der Mann auf Anhiebsympathisch und nachdem er seine Geschichte vernommen hatte,machte er ihm ein verlockendes Angebot.

„Ich suche schon lange jemandem, dem ich die Verwaltung meinesGutes anvertrauen kann, anscheinend habe ich ihn gerade gefunden.Um das Schicksal nicht herauszufordern, würde ich vorschlagen, sicheinen anderen Namen zulegen. Wir sind hier zwar weit weg vom Schuss,doch man weiß ja nie. Ansonsten bleibt deine Geschichte unter uns.“

Und so kam es, dass aus dem Ritter Arthus von Seomar der VerwalterAntus wurde.

Nachdem sie gespeist, sie das Feuer gelöscht hatten, ritten sie aus demWald in eine weite, offene Graslandschaft, die nur mit vereinzeltenBaumgruppen bewachsen war. Die Köpfe der Pferde schwenkten nachOsten, der Richtung, aus welcher der Feind kommen musste.Unermüdlich legten sie Kilometer um Kilometer zurück, erst diehereinbrechende Dunkelheit bremste ihren Tatendrang. Noch ein kleinerImbiss vom mitgeführten Proviant, dann rollten sie sich in ihre Deckenund begaben sich zur Nachtruhe. Mit dem ersten Tageslicht ging’sweiter.

Fünf Tage später, sahen sie in der Dämmerung die Flanke des langen,sich langsam fortbewegenden Heerwurms. Ein kleiner Schlenker undschon befanden sie sich wieder außerhalb der Sichtweite des Feindes.Erst bei Dunkelheit näherten sie sich dessen riesigem Lager. Die ersteWache, auf die sie trafen, boten sie einen Obstschnaps aus ihremProviant an und erkundigten sich nebenbei nach dem Lagerplatz desTrosses. Wie zu erwarten, erweckten zwei fahrende, freundlicheSpielleute nicht den geringsten Verdacht bei den Wachen. Ganz imGegenteil, es erschien ihnen nur selbstverständlich, dass sie sich demTross anschließen wollten. Da das Heerlager riesig war, dauerte esseine Zeit, bis sie die Wagen und das große Zelt des Trosses gefundenhatten. Gleich daneben befand sich eine provisorische Koppel, wo sieihre Pferde für ein kleines Entgelt abgaben.

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Im proppenvollen Vergnügungszelt des Trosses ging es hoch her. Wernicht gerade Wache schob oder kein mehr Geld besaß, kehrte hier ein,trank Bier und auch Stärkeres, ließ sich von Spaßmachern, Gauklern,Spielleuten unterhalten, wobei dieser und jener Soldat später in denArmen einer der vielen Huren landete, die hier ebenfalls ihrem Gewerbenachgingen. Eliasar und Antus mussten eine Weile warten, bis an denvollbesetzten Tafeln Plätze frei wurden. Doch als sie sich dann endlichzu den Trinkenden gesellten, kamen sie schnell mit den Soldaten insGespräch. Irgendwann fielen einem, der angetrunkenen Soldaten, diemitgeführten Instrumente auf.

„Was seid ihr denn für Spielleute, sauft wie wir Soldaten, anstatt euremGewerbe nachzugehen“, empörte sich der Mann.

„Guter Mann, wir sind gerade erst angekommen und habenausgetrocknete Kehlen. Bevor wir unsere Stimmbänder nicht geölthaben, bekommen wir keinen Ton heraus. Gib uns ein Bier aus, wartebis wir es ausgetrunken haben und dann sind wir gerne bereit unsereKunst vorzutragen“, gab sich Eliasar keine Blöße.

Der Soldat krakeelte laut nach der Bedienung und bestellt für die beidenSpielleute Bier. Noch während sie tranken nahmen Eliasar und Antus dieLedersäcke mit den Instrumenten vom Rücken und holten Laute undFidel heraus. Ein letzter Zug aus dem Krug, dann sahen sich Antus undEliasar an und Ersterer gab auf seinem Instrument den Ton an. Gleichdarauf setzte Eliasar mit der Laute ein und beide stimmten den Texteines fröhlichen Trinkliedes an. Einigen Soldaten schien der Textbekannt zu sein, denn sie grölten laut mit, während andere mit denHänden oder den Bechern, die sie damit hielten, im Takt auf die hölzerneTischplatte schlugen. Am Ende schrien und klatschten die Zuhörer vorBegeisterung. Bestimmt war es kein Zufall, dass sich im Laufe desAbends John bei Eliasar und Antus am Tisch einfand. Zwanglos kamendie Drei zwischen zwei Musikvorträgen ins Gespräch. Eliasar und Antuserfuhren, dass John und Gariban zu einer Pionierabteilung gehörten, diedem schweren Geschütz und dessen Begleitfahrzeugen, den Wegebnen musste. Steine mussten weggeräumt oder Löcher mit Sandaufgeschüttet werden. Half das alles nichts, wurden dicke Eichenbohlenvor die Räder der schweren Blocklafette gelegt werden, damit die

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großen, kompakten, eisenbeschlagenen Räder einen gefahrlosen Wegfanden.

Über die Funktionsweise oder die Schwächen der neuartigen Waffekonnte John jedoch keinerlei Angaben machen. Nur so viel hatte Johnaus Gesprächen der Bedienungsmannschaften herausgehört, dass derEinzige, der die Bedienung der neuartigen Höllenmaschine wirklichbeherrschte, ein Fremder war, der von allen nur Erfindicus genanntwurde. John beschrieb ihn als alten, schmächtigen, gebückt, gehendemMann. Als wenn es sich um ganz normale Festzeltgespräche handelte,lachten John, Eliasar und Antus plötzlich laut auf und schlugen sich aufdie Schenkel, so dass es für den unbeteiligten Beobachter eher nacheinem witzigen Gespräch unter zufälligen Saufkumpanen aussah. DerEindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass sie sich immer wiederzuprosteten. Nachdem John seinen Bierkrug geleerte hatte, verschwander genauso unauffällig wie er zuvor erschienen war. Niemand, der dieSzene zufällig beobachtete, wäre auf die Idee gekommen, dass es sichhierbei um ein konspiratives Treffen von Spionen handelte.

Um ihrer Rolle gerecht zu werden ließen Eliasar und Antus erneut ihreInstrumente erklingen, wobei sie als nächstes ein zotiges Lied zumBesten gaben. Anscheinend kam es bei den Soldaten besonders gut an,denn dieser und jener warf den Huren lüsterne Blick zu. So wundertesich Eliasar auch nicht, als eines der liederlichen Weiber ihm etwasDementsprechendes ins Ohr flüsterte. Eliasar wohl wissend, dass eineHand die andere wäscht, gab Antus ein Zeichen und schon schmettertendie verkappten Spione das nächste Lied derselben Kategorie hinterher.Anscheinend hatten die Huren erkannt, dass genau diese Lieder dieStimmung in ihrem Sinne anheizte. Und so kam es dann auch. Derderbe, mit sexuellen Anspielungen gespickte, Text brachte die Hormonebei vielen Soldaten in Wallung und plötzlich florierte das Geschäft derHuren. Als die Spielleute später eine der Frauen nach einem Quartierfragten, wurde ihnen ein Platz unter einem der vielen Planwagenangeboten.

Das Heer brach am nächsten Tag in aller Frühe auf, der Tross hattenicht die gleiche Eile. Für einen kleinen Obolus bekamen Eliasar undAntus ein Frühstück im großen Zelt des Trosses, danach machten siesich ebenfalls auf den Weg, schließlich wollten sie die neuartige Waffe

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endlich in Augenschein nehmen. Sie gaben den Pferden die Hacken undso kam es, dass sie schon bald das Ende des langen Heerzugeserblickten. Um nicht aufzufallen, ließen sie die Pferde in einengemächlichen Zuckeltrab fallen. Schon von weitem konnten Eliasar undAntus erkennen, dass das Geschütz von zehn kräftigen Kaltblüterngezogen wurde. Die Bedienungsmannschaft, die Pioniere und zehnweitere Planwagen bildeten das Ende des Heerzuges und das hatteseinen Grund. Die schwerbeladenen Fahrzeuge kamen nur langsamvorwärts, was auch dazu führte, dass die Bedienungsmannschaft lockernebenher laufen konnte. Doch auch wenn sich die Wunderwaffe desTruchsess auf Grund ihrer Schwerfälligkeit am Ende des Heerzugesbefand, so war die kostbare Waffe nicht ohne Begleitschutz. Deutlichdaran zu erkennen, dass ein Stück voraus circa Zweihundertschwerbewaffnete, disziplinierte Ritter die Wunderwaffe eskortierten.

Wie auf ein geheimes Kommando holten die Beiden ihre Instrumentehervor, um eine traurige Melodie anzustimmen. In Hörweite derBedienungsmannschaften setzten sie mit dem dazugehörigen Text ein.Das Lied handelte von der schönen Marie, die auf ihren Liebstenwartete, der in den Krieg gezogen war. Viele Gesichter wandten sichihnen zu, doch niemand fand etwas Verdächtiges daran, dass zweiSpielleute singend vorüberritten. Beim langsamen Vorbeireiten nahmenEliasar und Antus nicht nur die neuartige Waffe unauffällig inAugenschein, sondern auch ihren Erfinder. Der Mann, der auf demmächtigen Holzblock saß, auf dem das Eisenrohr befestigt war, schien insich gekehrt. Ganz anders der nebenher marschierende Sergeant derBedienungsmannschaft, jener schien nicht nur dankbar für jedeAbwechslung, sondern auch sehr redselig.

„Na ihr Spielmannsleute, da staunt ihr? Bestimmt habt ihr noch nie soetwas Merkwürdiges gesehen. Mit dem Ding werden wir die rebellischenBewohner Skardyns, aber vor allem den Baron von Falkenstein in seineSchranken weisen.“

Eliasar und Antus sahen sich so an, als verstünden sie kein Wort.

„Entschuldigt Sergeant, aber wir sind nur fahrende Spielleute, wir habenkeine Ahnung von Waffen und Kriegsführung“, spielte Antus denAhnungslosen.

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„Genau Partner, du sagst es“, stimmte Eliasar zu und fügte gleich nocheine Frage an, die das verdeutlichte. „Partner hättest du gedacht, dasses sich bei dem Ding überhaupt um eine Waffe handelt?“

Eliasar stierte einfältig auf das gewaltige Eisenrohr, wobei er ungeschicktden Kopf verdrehte.

„Vielleicht so eine Art Rammbock, mit dem sie das Tor zur Burgzerstören wollen?“, spielte er weiter die Rolle des dummen Musikanten.

Die offensichtliche Unwissenheit seiner Gesprächspartner vermitteltedem Sergeanten ein Gefühl der Überlegenheit und schon fing er an sichmit seinem Wissen zu brüsten.

„Guter Mann, das hier ist eine neuartige Waffe, deren Wirkungzerstörender ist, als du es dir auch nur vorstellen kannst. Das langeMetallrohr“, weiter kam er nicht, weil der kleine Mann, Erfindicusgenannt, auf dem Plan erschien und eingriff.

„Halts Maul du Dummkopf, sonst kannst du mit den Hilfskräften den Wegebnen!“, stauchte er den Sergeanten zusammen.

Zuerst rötete sich das Gesicht des so angesprochenen, dann verschlosssich sein Gesichtsausdruck, schlussendlich drehte er sich ab und gingauf die andere Seite der Bombarde. Eliasar und Antus sahen sichbedeutungsvoll an.

„Wegen uns solltest du dir keinen Ärger einhandeln“, riefen ihm Antushinterher, „wir sind nur Musikanten, gutes Essen, ein gutes Bier, eineschöne Frau, mehr verlangen wir vom Leben nicht.“

Lachend ritten sie an dem schweren Gefährt vorbei, während Antus wieauf Kommando ein Lied anstimmte. Auch Eliasar griff wieder in dieSeiten und so entfernten sie sich musizierend vom Ende des Heerzuges,um den deutlich sichtbaren Spuren zu folgen, die das marschierendeHeer hinterließ. Später, als sie auf die hinterste Kolonne des Feindestrafen, nahmen sie auch die Soldaten gründlich in Augenschein. Was siesahen gefiel ihnen nicht. Einerseits war der Feind gut ausgerüstet, abervor allem schienen die einfachen Soldaten gut drauf zu sein, letzteressprach vor allem für gute Verpflegung. Doch Eliasar und Antuswussten, dass sich das ändern würde, sobald die Vorräte verbraucht

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waren und das Hinterland nichts mehr hergab. Eliasar war sich sicher,dass der Nahrungsbedarf auch nicht durch gejagtes Wild sichergestelltwerden konnte. Bei zu heftiger Jagdausübung würde das Wild nachWesten und Norden auf die schwer zugänglichen Hochebenen desAnthras-Gebirges ausweichen.

Eliasar und Antus sahen sich an, hier gab es für sie nichts mehr zubestellen. Langsam setzten sie sich nach Westen ab. Erst als sieaußerhalb der Sichtweite des Heeres waren, beschleunigten sie dieGangart ihrer Pferde. Vier Tage später ritten sie auf den Wasserfall zu,hinter dem sich der Eingang zum versteckten Tal befand. Das lauteSchmettern von Eliasars Horn kündigte ihre Rückkehr im Dorf an. So wares kein Wunder, dass sie schon vor dem Gemeindehaus erwartetwurden. Knechte nahmen ihnen die Pferde ab und jemand reichte ihnenKrüge mit frischem, kühlem Bier. Nachdem sie den Begrüßungstrunk zusich genommen hatten, begaben sie sich in den großen Saal, um denanderen Bericht zu erstatten.

„Das sind ja keine guten Nachrichten“, stellte Beofan anschließendsachlich fest.

Eliasar stand auf und ließ seinen Blick in die Runde schweifen.

„Natürlich hat Beofan recht, gute Nachrichten klingen anders. Undtrotzdem, jedes Ding hat seinen Schwachpunkt. Und so habe ich michauf dem ganzen Rückweg damit beschäftigt, wo bei der neuartigenWaffe der Schwachpunkt liegt. Und siehe da, plötzlich kam mir dieErleuchtung, vielleicht auch weil mir die Nachricht von Max wieder in denSinn kam. Doch den damit verbundenen Plan können wir erstdurchführen, wenn die Waffe ihren Zielpunkt erreicht hat. Aber mit etwasAnderem könnten wir den Truchsess mehr als nur ärgern und würdenvermutlich auch noch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wenn wirden Erfindicus gefangen nehmen, wird die Reiterei doch allesdaransetzen, um seine Entführung zu verhindern und das wiederum gibtuns die Möglichkeit, der Reiterei, die bewusste Falle zu stellen. Am Endesind Erfindicus und Reiterei futsch und wir sind oben auf.“ Bei seinenletzten Worten griff sich Eliasar ein verkokeltes Stück Holz aus demKamin und malte eine Geländekarte auf die Tischplatte.

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„Wenn der Zug mit dem Geschütz hier angelangt ist“, Eliasars Fingerzeigte auf ein Kreuz, das er zuvor auf die Tischplatte gemalt hatte,„schlagen wir zu, während ihr hier lauert“, sein Finger wechselte zueinem wenig entfernten Kreuz.

„Sollten unsere Kaltblüter nicht in der Lage sein den Vorsprung zuhalten, kommt die Variante Bogenschützen ins Spiel. Ihr Pfeilhagel solltedie Verfolger dazu zwingen etwas abzubremsen und Abstand zu halten.Wenn der Feind sich dann von seinem Schrecken erholt hat, sollten wiruns schon in der Schlucht befinden, um auf dem steilen Pfad inSicherheit zu gelangen. Damit wir uns richtig verstehen, Antus, derGefangene und ich bilden weiterhin das Ende, damit der Speck direkt vorden Nasen der Verfolger hängt und sie nicht die Lust an der Verfolgungverlieren“, abrupt beendete Eliasar die Schilderung seines Plans.

„Und dann?“ stieß Quintus aufgebracht aus, „wie geht’s weiter?“

„Na, dann schnappt die Falle zu“, erwiderte Beofan, „aber das heißt jadann wohl, dass du und Antus nochmals in die Rolle derSpielmannsleute schlüpfen müsst.“

„Genau!“, schien Eliasar mit seinen Gedanken längst woanders. Als sichWalthyr zu Wort meldete wurde er jedoch schnell wieder mit derGegenwart konfrontiert.

„Eine Sache bereitet mir jedoch Kopfzerbrechen. Wenn die Männer alsBogenschützen gebraucht werden, um euren Rückzug decken, wer löstdann die Steinschläge aus? Ich könnte mir vorstellen, dass dafürbestimmt viele kräftige Hände gebraucht werden?“ Walthyr schien imGeiste nachgezählt zu haben und da erschien es nicht verwunderlich,dass er ein Missverhältnis feststellte, von Männern die benötigt wurdenund die tatsächlich zur Verfügung standen.

„Schon wieder habt ihr mich ertappt“, gestand Eliasar dann auchfreimütig ein. „Unsere Rückzugsversicherung frisst fast unsere gesamtenKräfte auf. Darum werde ich wohl in die Trickkiste greifen müssen. Wirwerden die Lawinen mit Blitz und Donner den Berg hinunter jagen.“ FürEliasar und Antus schien diese Aussage nichts Ungewöhnliches zuenthalten, dagegen schauten sich die Fürsten verständnislos an.

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„Wir haben zwar keine Bombarde, doch wie Schießpulver funktioniertund hergestellt wird, wissen auch wir. Sind die Sprengladungenangebracht, dann reichen drei Männer vollkommen aus, um eingewaltiges Höllenspektakel auszulösen.“ Eliasar sah zuversichtlich in dieRunde, musste zu seinem Erstaunen jedoch feststellen, dass es seinenVerbündeten die Sprache verschlug.

„Seid ihr vielleicht so etwas Ähnliches wie ein Alchimist?“, brachteWalthyr schließlich das Unverständnis aller zum Ausdruck.

„Nein, nein, Gott bewahre!“, wehrte Eliasar sofort ab.

„Wenn ihr kein Alchimist seid, dann vielleicht ein Zauberer?“ Raubarthzog die Stirn in Falten und strich sich mit der Hand durch den Bart.

Eliasar erkannte, dass er den Fürsten eine Erklärung schuldig war.

„Als meine Vorfahren, vor vielen hundert Jahren, einen Pakt mit denDruiden eingingen, erlangten sie Kenntnisse, die dem normal Sterblichenverborgen blieben. Aber das sind Familiengeheimnisse, die darf ich nichtpreisgeben“, wehrte Eliasar jede weitere Frage ab.

Nach und nach löste sich die Gesellschaft auf, dass gab Eliasar undAntus endlich Gelegenheit sich ins Badehaus zu begeben, um sich denDreck der letzten Tage vom Körper zu waschen. Auch nutzten sie dieGelegenheit um die bunte Spielmannstracht vorübergehend gegenfrische, nicht ganz so bunte Kleidungsstücke zu wechseln.

Am nächsten Tag bot Antus vierundzwanzig Männer auf, die nicht nurmit Pfeil und Bogen gut umgehen konnten, sondern auchausgezeichnete Reiter waren. Anschließend übten die Männer unter derLeitung von Antus und Eliasar den Ernstfall. Erst als sich die Beidensicher waren, dass ihre Männer verstanden, worauf es ankam, gaben sieden Marschbefehl.

William und Kyyraq bekamen schon zuvor eine besondere Aufgabezugewiesen. Sie sollten in sicherer Entfernung den Heerzug begleitenund beobachten, um die Fürsten und ihre kleine Streitmacht rechtzeitigzu unterrichten, wann der Zug am Losschlage-Punkt eintraf. Ein paarTage später, mitten in der Nacht, trafen als Eliasar und Antus ein zweitesMal beim Tross ein. Bevor sie sich ins Festzelt begaben, versteckten sie

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ihre Waffen unter dem Planwagen der Hure, der ihnen schon mal alsNachtlager diente.

Trotz der späten Stunde tobte dort noch das Leben. Als man dieAnkömmlinge sah, wurden sie mit lautem Hallo begrüßt. Nach einemKrug Bier gaben Eliasar und Antus wieder ein paar Lieder zum Besten.Auch fanden sie Gelegenheit sich auch noch mit John und Gariban zutreffen, um sie in die neuen Pläne einzuweihen. Geruhsam verliefen dienächsten Tage, das änderte sich erst kurz bevor sie die verabredeteLandmarke erreichten.

Am Abend vor der geplanten Aktion trafen sich Eliasar, Antus, John undGariban im Festzelt, nach außen hin, um zu würfeln. John und Garibanschien das Glück über die Maßen hold, denn sie nahmen denSpielleuten etliche Sillinge ab. Fast die gesamte Begleitmannschaft derBombarde war wesend, auch der interessiert zuschauende Erfindicus.Während Gariban den lautstarken Forderungen nach einer Lage Biernachkam, forderte Eliasar den kleinen, schüchternen Mann auf, dochauch einmal sein Glück mit den Würfeln zu versuchen. Erst als sich auchseine Kanoniere lautstark der Forderung anschlossen, setzte sich derErfindicus, wenn auch widerwillig, an den Spieltisch. Bald darauf ändertesich der Gemütszustand des Mannes, den man zuvor noch zum Spielüberreden musste. Mit jedem Mal, mit dem er gewann, fand er das Spielaufregender, steigerte sich seine Spiellust.

Erst in den frühen Morgenstunden, niemand war mehr nüchtern, löstesich die Spielrunde auf. Sogar der Erfindicus, im Hochgefühl desGewinnens, sprach dem Bier reichlich zu. Was sogar dazu führte, dasser mit den Spielleuten Brüderschaft trank. Deshalb wunderte sich auchniemand, dass sich die Spielleute am Vormittag beim Erfindicus unddessen Leuten verabschiedeten. Wobei es der verkatertenBedienungsmannschaft vollkommen entging, dass Eliasar und Antus dieMusikinstrumente gegen Schwert und Schild getauscht hatten. Sielagerten jetzt dort, wo sie zuvor die Waffen versteckt hatten. Die Gefahr,dass sie bei der bevorstehenden Flucht beschädigt wurden, war einfachzu groß. Vielleicht gab es irgendwann eine Gelegenheit die Instrumentezurückzubekommen. Doch im Moment hatten sie andere Sorgen,schließlich wollten sie den Erfindicus entführen.

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Wie gesagt, niemand beachtete sie wirklich, bis sie plötzlich die Pferdeantrieben und durch die herumstehenden Soldaten preschten, doch dawar es schon zu spät. Beim Vorbeireiten an der Kanonenlafette ergriffAntus den dort sitzenden Erfindicus und zog den lautstarkProtestierenden gewaltsam zu sich auf Pferd.

„Mann, hört endlich auf zu zappeln, sonst schneide ich dir die Kehledurch“, fuhr Antus den Mann. an.

Hinter ihnen erklang ein Horn und während sich die feindliche Reitereinoch sammelte, brüllte der Sergeant für alle laut und verständlich, „dieSpielleute entführen den Erfindicus!“

Wenig später hatten die Flüchtenden die gesamte berittene Eskorte anden Hinterhufen ihrer Pferde. Da Eliasar und Antus nicht auf ihrenschnellen, kampferprobten Rössern ritten, sondern die zwar durchauswilligen, jedoch nicht so spritzigen Kaltblüter, schmolz der Vorsprungschnell dahin. Je näher sie dem rettenden Felseinschnitt kamen, umsonäher rückten ihnen die Verfolger auf den Pelz. Ein Schwarm Pfeile, derurplötzlich über Eliasar und Antus hinweg flog, sorgte im rechten Momentdafür, dass die Verfolger die Lücke nicht schlossen. Dadurch, dass dievordersten Reiter unerwartet abbremsten, um nicht von dem Pfeilhagelgetroffen zu werden, herrschte plötzlich ein übles Durcheinander.Während der Befehlshaber der feindlichen Reiterei bemüht war, wiederOrdnung in seine Truppe zu bekommen, brachen die im Hinterhaltliegenden Gegner aus der Deckung des Waldes, um sofort in vollemGalopp auf die Schlucht zuzuhalten. Dicht hinter ihnen folgten Eliasarund Antus mit ihrem Gefangenen. Als der Feind endlich die Verfolgungwieder aufnahm, befanden sich die Flüchtenden schon auf demschmalen Felsband, dass sie in Sicherheit bringen sollte. Auf halbemWeg zum sicheren Abschnitt wagte Eliasar einen Blick hinter sich undmusste mit Erschrecken feststellen, dass die Verfolger auf ihrenschnellen Pferden unglaublich aufgeholt hatten. Ehrlich musste er sicheingestehen, dass seine Rechnung nicht ganz aufgehen würde.

„Antus, wenn ich die Verfolger nicht aufhalte, erreicht keiner von unsrechtzeitig den rettenden Abschnitt. Du bringst den Erfindicus inSicherheit! Wenn ich vom Pferd springe, stoße ich einen Schrei aus. Vonda an zählst du bis zehn, dann musst du das verabredete Signal mit dem

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Horn geben“, durchdrang Eliasars Stimme das laute Hufgetrampel aufdem felsigen Untergrund, so dass sein Freund ihn verstand.

Ihre Blicke trafen sich und Antus wusste, dass er Eliasar von seinemVorhaben nicht abhalten konnte. Ein kurzes Nicken und er mobilisiertedie letzten Kraftreserven seines sichtlich erschöpften Pferdes. Dann wares soweit, einen lauten Schrei ausstoßend sprang Eliasar nach hintenvom Pferd. Noch während des Sprunges bugsierte er den Schild vomRücken, zog das Schwert aus der Scheide und hieb seinem Gaul dieflache Klinge aufs Hinterteil.

„Verschwinde, du Gras fressendes Ungeheuer, mach, dass du inSicherheit kommst!“, rief er ihm hinterher, als er sich schon demanreitenden Feind zuwandte.

Mit schrecklichem Gebrüll und erhobenem Schild stürzte er sich wie eineAusgeburt der Hölle auf den angaloppierenden Gegner. Das vorderstePferd war so überrascht, dass es scheute, was dazu führte, dass diedicht dahinter Reitenden mit ihm zusammenstießen. Ein unheilvollesDurcheinander entstand, welches Eliasar brutal ausnutzte. Grausamschlug sein Wunderschwert Phalyx zu, verletzte Ritter und Pferde. In derallgemeinen Panik versuchten die Pferde auszuweichen, doch dazureichte der Platz einfach nicht aus, rechts von ihnen eine Steilwand, linksder drohende Abgrund. Mit lautem Todesschrei stürzten vier Reiter mitsamt Pferden in den Höllengrund. Doch endlich schienen zwei Rittererfasst zu haben, dass ihnen nur ein Mann den Weg versperrte und zweiLanzen richteten sich zum Todesstoß auf Eliasar. Der Baron erkanntedie tödliche Gefahr, ihm war klar, dass er nicht beiden Lanzenausweichen konnte. Doch im selben Moment veränderte der brüllendeRuf eines Horns und das darauf folgende Donnern und Grollen dieSituation. Nicht nur Eliasar hatte das Gefühl, dass der Berg schwankte,sondern auch der Feind und dessen Reittiere. Einzig Eliasar kannte dieBedeutung, dass gleich ein gewaltiger Steinhagel folgen würde. Wenn erauch nicht mehr den Sieg über die feindliche Reiterei mitfeiern durfte, sowusste er doch, das er seinen Beitrag zum Gelingen des Planesbeigesteuert hatte und das machte ihn ein wenig stolz. Im Augenblickdes Hochgefühls traf ihn etwas am Kopf und es wurde Dunkel um ihnherum.

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Als Antus ins Horn stieß, näherte sich sein Pferd mit letzter Kraft undschwer schnaufend der Felsnase, welche Sicherheit vor den Verfolgernund dem Steinhagel versprach. Noch während er und das reiterlosePferd von Eliasar den Felsvorsprung umrundeten, brach hinter ihnen dieHölle los. Als Antus den Sammelplatz erreichte, blickte er in dieverstörten und fragenden Gesichter der Fürsten. Doch was sollte ersage? Im Augenblick war es ihm unmögliche die stummen Fragen derKampfgefährten zu beantworten, denn ihm steckte ein Kloss im Hals,den er erst einmal herunter würgen musste.

Vorerst beschäftigte ihn die Frage, ob es die Sache wert war, dass erdafür seinen besten Freund verlor? Eine Frage, die sich immer dannstellte, wenn die Unbarmherzigkeit des Schicksals den Falschen traf.Antus wusste was Eliasar dazu gesagt hätte. Seit wann gibt es im Lebenetwas umsonst, du musst immer bezahlen, genauso verhält es sich mitder Freiheit. Kalt grinsend, bestätigte er sich seine Erkenntnis durch einNicken des Kopfes, nur dass die Fürsten mit seinem Gesichtsausdrucknichts anzufangen wussten. Ja, Eliasar hatte recht und ich hättegenauso gehandelt, gestand sich Antus am Ende ein. Schließlich gabder Erfolg Eliasar recht. Sein Plan war aufgegangen, auch wenn es ihmdas Leben kostete. Die Falle hatte funktioniert, ein Großteil derfeindlichen Reiterei war vernichtet. Zusätzlich hatten sie noch denErfinder der neuartigen Waffe in ihre Gewalt bekommen, was dem Feindhoffentlich Probleme bereitete. Später, als sie, gezeichnet von demEreignis, auf dem Plateau anlangten, machte sich die Anspannung beiden Fürsten Luft, indem sie Antus bestürmten, wo denn Eliasarabgeblieben sei. Wobei es eigentlich klar war, dass er es nicht schaffte,sich in Sicherheit zu bringen.

„Er hat getan, was getan werden musste. Er hielt die feindliche Reitereiauf, so dass die Falle zuschnappen konnte. Ohne Reiterei werden wirdem Feind das Leben so schwer machen, dass ihm bald die Lust andem Krieg vergeht. Von nun an können wir sie empfindlich treffen wannund wo wir wollen, packen wir es an“, bemühte sich Antus seineNiedergeschlagenheit zu verbergen.

„Mann Antus, habt ihr denn gar keine Gefühle?“, konnte Beofan die Artund Weise, wie der Angesprochene mit dem Verlust seines bestenFreundes umging, nicht begreifen. „Ihr seid kalt wie eine

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Hundeschnauze, aber natürlich habt ihr recht“, schränkte er am Endedann noch ein, wobei ihm seine Gefährten aus grauer Vorzeit durchKopfnicken zustimmten.

Antus wusste, mit seinen Gefühlen musste er ganz alleine klarkommen.Doch egal wie diese sich äußerten, ob er sie zeigte oder verborgen hielt,nichts konnte ihm seinen Freund zurückbringen. Innerlichniedergeschlagen, doch mit aufrechter Körperhaltung ergriff Antus dieZügel seines Pferdes, um die Spitze des Zuges zu übernehmen. Mitgesenkten Köpfen folgten ihm die Kampfgefährten, um auf geheimenPfaden wieder ins Goldene Tal zu gelangen.

*

Stunden später, an einem ganz anderen Ort, wurde Eliasar durchschmerzhaftes Hämmern in seinem Kopf geweckt, so glaubte erjedenfalls zuerst. Sofort drang durch die Dunkelheit, die ihn umgab, einefreundliche, vertrauenserweckende Stimme.

„Du bist in Sicherheit!“

Noch während er den Worten nachlauschte, kam seine Erinnerungzurück und er fragte sich, wie es sein konnte, dass er den Absturz insMoor überlebte? Panik wollte in ihm aufkommen, als er feststellte, dasser, obwohl er die Augen aufriss, immer noch von einerundurchdringlichen Finsternis umgeben war.

„Geduld mein Freund“, und schon wurde es hell, irgendwer hatte ihmetwas von Stirn und Augen entfernt. „Ihr hattet eine gewaltige Beule ander Stirn, die kühlen Moorpackungen haben jedoch dafür gesorgt, dasses euch endlich wieder besser geht“, sprach der Unbekannte weiter.

Vorsichtig bewegte Eliasar seinen Kopf, um seinen Wohltäter inAugenschein zu nehmen. Das Wesen, welches dann in sein Sichtfeldkam, wirkte dann jedoch äußerst befremdlich auf ihn, was er sich damiterklärte, dass sein Sehvermögen vermutlich noch beeinträchtigt war. Vorihm stand ein Wesen von zwergenhaftem Wuchs, dessen Gesicht mitMoor verschmiert war. Sein langer, grüner Bart wirkte so, als wenn eraus Algen bestand. Dazu passte auch die Mütze, die das Männlein aufdem Kopf trug, denn sie schien aus Moss zu sein. Ähnlich sah es bei

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dem Rest der Kleidung aus, die auch aus Pflanzen zu bestehenschienen.

„Danke, wer immer du auch bist“, fand Eliasar, trotz aller Verwunderung,die passenden Worte. „Entschuldige mein Erstaunen, doch noch niehörte ich von so etwas Seltsamen wie dir. Also wer bist du, der du hier imHöllengrund lebst?“

Das Fabelwesen oder was immer es darstellte, blickte Eliasarnachdenklich an, doch dann bewegten sich seine wulstigen Lippen under sprach mit angenehmer Stimme.

„Ich lebe schon lange hier, bin ein Teil des Moores, glaubte ichjedenfalls. Hatte schon lange vergessen, wer ich einmal war. Erst dieBegegnung mit dir, besser gesagt mit deinem Schwert, brachte dieErinnerung zurück. Vor hunderten von Jahren ereilte mich meinSchicksal genau an der Stelle, die auch dir zum Verhängnis wurde. DerVerräter Cimberlim lauerte mir oben am Steilhang auf und stieß mirhinterhältig sein Schwert in den Rücken. Obwohl ich schon vom Todegezeichnet war, gab mir der Verräter noch einen Schubs, so dass ich indie Tiefe stürzte. Doch dann geschah etwas Wundersames. Das Moorerkannte etwas in mir, von dem ich selbst nicht wusste, dass es in mirsteckte. Mein Körper war zwar nicht mehr zu retten, dafür ging das Moormit meinem Geist eine geheimnisvolle Symbiose ein und so lebte ich aufdiese Weise weiter. Als gestern die Felswand erzitterte, Steine undMenschen ins Moor stürzten, fühlte mein Geist etwas Bekanntes, deinSchwert und so rettete ich dich“, schloss das Wesen seinen Bericht, alswenn damit alles erklärt war.

Eliasar schwirrte der Kopf und seine Gehirnerschütterung trug auch nichtgerade dazu bei, dass er die ungeheure Tragweite des Gesagtensogleich verstand. Verwirrt schüttelte er den Kopf, stellte das Gehabejedoch sofort wieder ein, da der Schmerzpegel in seinem Schädel sofortwieder anstieg.

„Aber was hat das alles mit meinem Schwert zu tun?“

„Na, so schwer ist das nun aber wirklich nicht“, schüttelte nun derMoorgeist verständnislos seinen Kopf. „Vielleicht hilft es dir weiter, wennich dir sage, dass ich damals den Namen Panyophan trug. Wie du aus

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deiner Familiengeschichte wissen solltest gab mir dein Altvorderer“,seine Stimme geriet ins stocken, „verdammt wie hieß er nur noch, ist jaauch egal, auf jeden Fall gab er mir den Klumpen Metall, der vomHimmel fiel. Ich bin derjenige, der das Schwert Phalyx schuf und nun sagmir endlich deinen Namen!“

Eliasar stöhnte auf, aber nicht vor Schmerz, sondern weil ihm dieunglaubliche Mär zu schaffen machte. Wie er es trotzdem zustandebrachte, dass seine Lippen das Wort Eliasar formten, wusste er späternicht zu sagen.

„Schön, schön, Eliasar. Befolge nur meine Anweisungen, dann kannst dubald zu den Deinen zurückkehren. Du bist müde, du bist erschöpft, dubrauchst Schlaf, also schließe endlich deine Augen und schlafe“,beschwor der Moorgeist den verwundeten, erschöpften Eliasar miteinschmeichelnder Stimme. Kaum vorstellbar, dass dieses seltsameWesen dereinst als Druide Panyophan durch die Wälder und Bergestreifte, dachte Eliasar noch, als sich wie von selbst seine Augenschlossen, sein Atem ruhiger wurde und er in einen tiefen, traumlosenSchlaf verfiel.

*

Zwei Tage später, denn solange dauerte es, bis Antus mit seinenGefährten die Siedlung im sicheren Tal erreichten, traf eine Brieftaubeauf Burg Falkenhorst ein. Als der kleine gefiederte Bote denTaubenschlag betrat, wurde ein Glöckchen bewegt und das Geläutalarmierte den Tierpfleger. Der Mann wusste natürlich was er zu tunhatte und so entfernte er sofort das kleine, röhrenförmige Behältnis vomBein der Taube, um die Nachricht zum Burgkommandanten zu bringen.Ritter Elbraq las fassungslos, dafür immer wieder die kurze, aber sobedeutungsvolle Nachricht, vom Tode des Barons. Nachdem er sichwieder etwas gefasst hatte, wusste er um seine Pflicht und machte sichauf die Suche nach Gawain. Ein schwerer Gang, denn er musste demJungen die betrübliche Nachricht vom Tode seines Vaters überbringen.Er fand den Sohn des Barons auf der Schildmauer, wo er mit anderendas Eintreffen des Feindes beobachtete. Alle warteten gespannt darauf,dass die angekündigte, neuartige Wunderwaffe des Gegners auf demHang in Stellung gebracht wurde. Doch zurzeit herrschte auf der Ebene

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vor dem Hang noch ein heilloses Durcheinander. Denn der Gegnerrichtete sich zuerst einmal h ein. Wagen wurden entladen, Zelteaufgebaut, eben alles getan was für ein so großes Heerlager von Nötenwar.

Als einige Soldaten neugierig den Hang zu Fuß erklommen, schickteihnen der Befehlshaber des Triboks, jener großen Schleuder, die imBurghof stand, eine tödliche Warnung. Die Wurfgeschosse, die in derNähe der feindlichen Soldaten einschlugen, ließe jene erschrockenauseinanderspritzten. Eine Warnung die aufzeigte, bis hierher und nichtweiter. Elbraq, der den Vorfall interessiert verfolgt hatte, vergaß jedochnicht, was sein eigentlicher Grund war, weshalb er hier stand.

„Gawain, folge mir bitte in mein Quartier.“

Gawain riss sich vom Anblick des feindlichen Heeres los und folgteseinem Burgkommandanten. Natürlich war er nicht auf den Kopf gefallenund so konnte er sich denken, dass es Nachricht von seinem Vater gab.Als er dann in Elbraqs ernstes Gesicht blickte, wusste er sofort, dass essich um keine gute Nachricht handeln konnte, doch niemals rechnete erdamit, dass sein Vater gefallen war.

„Nein in“, schrie er ungläubig auf, wollte die Nachricht nicht akzeptieren.„Das kann nicht sein, nicht mein Vater.“ Schluchzend lehnte er seinenKopf an Elbraqs Brust und dieser ließ ihn gewähren, obwohl er eigentlichselber Beistand benötigte.

„Gawain, dein Vater ist ein Held. Er allein hat die feindliche Reitereiaufgehalten, bis sie durch den ausgelösten Steinschlag in denHöllengrund gerissen wurde“, flüsterte Elbraq mit leiser Stimme, „dochich weiß, dass dir das kein Trost sein kann. Mich tröstet es auch nicht."

„Wir hatten noch so viel vor, mein Vater und ich, dass soll nun allesvorbei sein?“, stammelte Gawain, der wie vor den Kopfgeschlagendastand.

Als es nichts mehr zu sagen gab, verließ er gebückt, wie unter einerschweren Last, das Zimmer des Burgkommandanten. Natürlich ließ sichdie Nachricht vom Tode des Barons nicht verheimlichen. Im Gegenteil.Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Burg.Fassungslos, bestürzt, zu Tode erschrocken, schauten sich die Männer

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und Frauen der Burgbesatzung an. Und allen stand die gleiche Fragemitten im Gesicht, wie sollte es bloß weitergehen? Der Baron warschließlich mehr als ihr oberster Herr, er war der Ursprung desWiderstandes, das Feuer welches sie antrieb. Gab es jemanden, derdiese Rolle übernehmen konnte? Die meisten zweifelten daran und vieleschien der Mut zu verlassen. Elbraq blieben die Gefühle derBurgbesatzung nicht verborgen, er spürte die aufsteigende Ohnmachtbei seinen Leuten. Er musste etwas unternehmen und so gab er denBefehl, dass sich alle, bis auf wenige Posten, im Innenhof der Burgversammeln sollten. Wenig später standen die Verteidiger der Burgschweigend, in bedrückter Stimmung auf dem Burghof. Trotzdemblickten sie erwartungsvoll zu ihrem Burgkommandanten empor, in derHoffnung, dass er ihnen einen Ausweg aus der Misere aufzeigte.

„Männer und Frauen, vor nicht allzu langer Zeit kämpfte ich noch auf derSeite des Feindes“, offenbarte sich Elbraq, obwohl dieser Umstand denmeisten bekannt war. „Doch ein Ritter ohne Furcht und Tadel überzeugtemich davon, ohne viele Worte zu machen, dass ich auf der falschenSeite stand. Ja, der Baron überzeugte mich davon, dass Ritterlichkeit,Ehre und Freiheit bedeutendere Güter sind als Macht und Ruhm. Unddeshalb sind wir doch hier, um der Machtgier der Regentin und desTruchsess Einhalt zu gebieten, um unsere Werte, unsere Freiheit zuverteidigen. Stellt euch vor, der Baron schaute aus den himmlischenGefilden auf uns herab, soll er dann stolz auf uns sein oder sichenttäuscht abwenden?“ Elbraq legte eine Pause ein und schaute seinenLeuten in die Augen, nur um seine Stimme noch eindringlicher zuerheben. „Bewohner Skardyns lasst uns für unsere Freiheit, aber auchfür das Andenken des Barons kämpfen.“

Einen Augenblick herrschte Stille, dann rief es einer, dann stimmten alleein.

„Für den Baron, für den Baron!“

Da war sie wieder, diese Energie, diese Flamme, welche sich derUnterdrückung entgegenstemmte, welche die Macht der Askanierüberwinden wollte, um ein neues, menschlicheres Gemeinwesen zuerschaffen. Obwohl Elbraq das Herz über den Verlust seines Freundesblutete, war er doch Stolz darauf, dass er bei seinen Leuten das

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verlöschende Feuer wieder entfachen konnte. Als Elbraq später in derNacht auf dem Torhaus stand und zu den Feuern des Feindes schaute,gesellte sich ein Mann an seine Seite.

„Es war richtig ihnen keine Zeit zum trauern zu lassen, sie brauchendieses Feuer, wenn sie überleben wollen.“

„Danke Yaksir. Wir wollen nur hoffen, dass wir nicht allzu bald dennächsten Dämpfer bekommen. Diese neuartige Waffe soll eineverheerende Wirkung besitzen. Hoffentlich sind dir Sprengladungenrichtig platziert, sonst Gnade uns Gott.“

Gemeinsam blickten sie auf die unzähligen, leuchtenden Punkte in derNacht, die Lagerfeuer des Gegners. Wenn sie eines Nachts nicht mehrbrannten, dann war der Spuk vorbei.

*

Als Eliasar das nächste Mal erwachte, ohne zu wissen wie viel Zeitinzwischen vergangen war, fühlte sich der Boden unter ihm fester an.Auch wusste er nicht mit Bestimmtheit zu sagen, ob die Begegnung mitdem Moorgeist der Wirklichkeit entsprach oder eher seinen fieberndenTräumen entsprungen war. Eines stand jedoch fest, er atmete, somithatte er den Sturz in den Höllengrund überlebt und das war das Einzigewas wirklich zählte. Während er sich aufsetzte, blickte er sich um. Dabeispürte er eine raue Felswand in seinem Rücken, die wohl zum südlichenPlattenberg gehören musste. Dann stellte er mit Erstaunen fest, dass derHöllengrund von hier unten ganz anders aussah als aus luftiger Höhe.Von dem Moor war gar nicht so viel zu sehen, da auf kleinen, festenInseln sich allerhand Pflanzen angesiedelt hatten, mal abgesehen vonden riesigen Sumpfzypressen,

Ein wenig schwerfällig stand er auf, wobei er sich auf sein Schwertstützte, dass wohl, wenn er der Geschichte Glauben schenken wollte,sein Leben rettete. Mit jedem Schritt wurde er sicherer und plötzlichwusste er, warum er sich auf die Felswand zubewegte. Da war eineErinnerung, an etwas, dass ihm der Geist von Panyophan, anscheinendwährend seines Genesungs-Schlafes mitteilte. Jener versicherte ihm,dass sich dort ein Höhleneingang befand, der zu einem unterirdischenGang führte, über dem er sein Burg erreichen konnte. Das war sein Ziel,

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denn er wollte seinem Sohn, aber auch seinen Leuten zeigen, dass ernoch lebte. Der arme Gawain, was hatte er durchmachen müssen.Zielsicher steuerte er auf eine Stelle zu, an der sich ein schmaler Spalt inder Felswand öffnete. Nachdem er sich hindurchgezwängt hatte, stellteer erstaunt fest, dass die Höhle gut ausgeleuchtet war. Überall in derFelswand glitzerten Bergkristalle, Goldadern und Edelsteine, welche dieHöhle und den anschließenden Gang in ein gleißendes Licht tauchten,was nichts daran änderte, dass der Weg beschwerlich war. Mal wurdeder unebene Gang schmaler oder die Decke senkte sich herab,manchmal führte er nach Oben, nur um wenig später in die Tiefe zustürzen.

Nach und nach verlor Eliasar jedes Zeitgefühl, dafür empfand er Zornund Wut. In ihm kam ein Gefühl hoch, als wenn ihn wer oder was daranzu hindern versuchte, sein Ziel zu erreichen. Vielleich gab es nebendem, ihm wohlgesonnenen Moorgeist einen Berggeist, der ihm nichtwohlgesonnen war? Seine Wut sorgte dann jedoch dafür, dass er sichnicht unterkriegen ließ, nicht aufgab. Total erschöpft kam er dann dochirgendwann in der Grotte an, die sich unter seiner Burg befand. Nur vonhier gelangte man, über geheime Wege, vom Fluss in die Burg. Und weilElbraq ein sorgsamer Burgkommandant war, ließ er diesen Zugangbewachen.

Erschrocken wichen die Männer, die hier Posten schoben, vor ihmzurück. Kein Wunder bei seinem Aussehen und dem modrigen Geruch,der von ihm ausging. Doch dann nahm einer der Männer seinen ganzenMut zusammen und hielt die Fackel so, dass er in das Gesicht desWesens blicken konnte. Erschrocken zuckte er zurück, weil er nunglaubte einen Geist zu sehen, hieß es doch der Baron sei tot.

Eliasar nutzte die Gelegenheit um den Mann ruhig anzusprechen.

„Jack, du brauchst keine Angst zu haben, weder bin ich ein Geist nochein Toter. Vermutlich sehe ich schrecklich aus, doch ich habe überlebtund einen Weg zu euch gefunden. Also tue mir den Gefallen und gib dasZeichen, dass der Korb nach oben gezogen wird, nachdem icheingestiegen bin.“

Langsam und vorsichtig näherte sich der Angesprochene, sprach dochder Unheimliche mit der Stimme seines Herrn und nannte ihn beim

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Namen. Ungläubig berührte er das Gesicht des Barons und dieser ließes geschehen.

„Na, glaubst du mir jetzt? Dreckiges Fleisch, aber Fleisch. So Jack, dasmuss reichen, ich will zu meinem Sohn“, fuhr er ihn mit befehlsgewohnterStimme an und genau das schien den Ausschlag zu geben.

„Ja Baron, aber natürlich Baron“, wobei er Eliasar den Weg mit derFackel ausleuchtete.

Eliasar stieg in den Korb und Jack gab das verabredete Zeichen, indemer dreimal kurz am Seil zog. Langsam hob sich der Korb nach oben indie Dunkelheit, zurück blieben zwei leicht verstörte Posten. Als Eliasarfünfzig Meter weiter oben aus dem Korb stieg, hielten ein paar Männerdie Luft an und starrten ihn aus weit aufgerissenen Augen an.

„Schon gut Jungs, ich bin es wirklich, der Leichenschmaus fällt aus.Hallo Hubert, altes Haus“, erkannte er einen der Männer. Seine Stimmeund die lockere Art, wie er die Männer ansprach, lösten dann den Bann.

„Ich werde verrückt, der Alte lebt wirklich“, fasste sich der mit Hubertangesprochene zuerst. „Schön Baron, dass ihr wieder mitmischt, ist auchgar nicht eure Art, sich zu verdrücken, bevor die Arbeit getan ist.“

Alles lachte befreit auf und der Baron schob sie beiseite, um dieendlosen Stufen nach oben zur Burg in Angriff zu nehmen. Noch bevorer an Elbraqs Zimmertür klopfte, hatte sich die erstaunliche Kunde vonder Rückkehr des Barons auf den Weg durch die Burg gemacht.

„Herein“, drang Elbraqs Stimme nur leise durch die dicken Holzbohlender Tür.

Langsam öffnete Eliasar die Tür einen Spalt.

„Nicht so schüchtern, tretet doch ein und tragt euer Begehr vor“, forderteihn Elbraq auf.

Als er dann auf die zerlumpte, dreckige Gestalt blickte, die eine gewisseÄhnlichkeit mit dem Baron besaß, verschlug es ihm die Sprache.

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Der Baron winkte ab. „Ihr haltet euch besser als die anderen, auf die ichzuvor traf. Vielleicht sollte ich doch erst ein Bad nehmen und mich neueinkleiden, bevor ich mich meinem Sohn zeige.“

Doch dafür war es zu spät, hinter ihm wurde ein Schrei ausgestoßen unddann umklammerten ihn zwei Arme, als wenn sie ihn nie wiederloslassen wollten.

„Ich wollte es nicht glauben, doch in der ganzen Burg kursiert dasGerücht, das du von den Toten auferstanden bist“, überschlug sich dieStimme von Gawain.

„Und da hast du deinen Posten verlassen und bist einfach hergeeilt?“,vollendete der Baron in gestrengem Ton.

„Nein Vater, ich habe mich beim Wachoffizier abgemeldet.“ Immer nochungläubig stierte er seinen Vater an. „Aber wie kann man einen Sturz insHöllenmoor überleben?“

„So genau weiß ich das auch nicht, nur so viel, die alten Geister dieserWelt sind uns wohlgesonnen. Alles andere später. Ich muss erst rausaus diesen Klamotten und den Dreck von meinem Körper waschen.“

„Ich veranlasse alles, Vater. Wenn du in deinen Quartier ankommst istalles hergerichtet“, versprach Gawain und verschwand eiligst.

„Wie meinst du das mit den alten Geistern dieser Welt, Eliasar?“, fandnun auch Elbraq seine Stimme wieder.

„Das ist eine besondere Geschichte, die hebe ich mir für den Kamin undeinen Becher Rotwein auf. Doch mich interessiert etwas ganz anderes,wie sieht die Lage hier aus?“

„Der Feind hat sich am Fuße des Berges eingerichtet. Morgen wird erwohl das Schießgerät in Stellung bringen. Und bevor du fragst, ja, dieSprengladungen sind bereit.“

„Ich habe nicht an dir gezweifelt Elbraq. Hoffentlich hat der Erfindicusseinen Leuten nicht alle Geheimnisse offenbart, hoffentlich hat er etwasfür sich behalten, so dass sich die Bedienungsmannschaft erst langsaman die Funktion der Bombarde herantasten muss. Ach übrigens denMann konnten wir gefangen nehmen.“

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„Mit ein bisschen Glück stellen sie die Bombarde auf den richtigenFleck“, sorgte die Rückkehr des Barons dafür, dass Elbraq wieder einwenig optimistischer in die Zukunft sah.

Am nächsten Tag, in aller Frühe, machte sich eine Brieftaube auf denWeg zum Goldenen Tal, um die gute Botschaft vom Überleben desBarons zu verkünden. Auf der anderen Seite machte sich der Gegnerdaran die neuartige Waffe in Stellung zu bringen. Während dasPferdegespann das schwere Gerät über die Brücke und ein Stück denHang hochzog, versammelten sich in der Burg die Verteidiger erneut aufdem Hof. Alle Verteidiger sollten sich mit eigenen Augen davonüberzeugen, dass das Gerücht der Wahrheit entsprach, dass der Baronlebte. Natürlich nutzte der Baron die Gelegenheit, um ein paaraufmunternde Worte an seine Leute zu richten. Anschließend begab ersich mit Elbraq und Gawain auf das Torhaus. Mit seinen scharfenRaubvogelaugen beobachtete er gespannt die Tätigkeiten derBedienungsmannschaft. So wie er, verfolgten viele Augen dasGeschehen am Fuße des Berghanges. Trotzdem zuckten die Verteidigererschrocken zusammen als ein lauter Knall den ersten Schussverkündete. Doch die Kugel richtete keinen Schaden ein, sie schlug nachder halben Strecke harmlos in den Hang.

„Sie haben zu wenig Schießpulver genommen und die Höheneinstellungstimmte nicht. Das Wissen darum hat der Erfinder doch tatsächlich fürsich behalten“, behielt der Baron seine Erkenntnissen nicht für sich.„Kein Grund zum Frohlocken, sie werden nach und nach herausfinden,vermutlich schneller als uns lieb ist, was sie falsch gemacht haben“,fügte er besorgt hinzu.

Der Baron sollte rechtbehalten. Hatten die Verteidiger der Burg beijedem Fehlschuss hämisch gelacht und laut ihren Spott von derBurgmauer heruntergerufen, so schien allen der Schreck gehörig in dieGlieder zu fahren, als die erste, schwere Steinkugel mit voller Wucht insMauerwerk des Torhauses einschlug. Das die Bedienungsmannschaftder Kanone zwischen den Schüssen immer längere Pausen einlegten,führte Eliasar daraus zurück, das sich das Rohr der Bombarde bei jedemSchuss stark erhitzte. Bis zur Dämmerung hatte die Mauer gehalten undgleich würde es Dunkel werden, Zeit zum Verschnaufen. Doch einenSchuss würden die Angreifer wohl noch abgeben.

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„Räumt den Turm!“, wies Eliasar lautstark alle an, die mit ihm von hieroben den Feind beobachteten.

„Sie haben sich langsam auf das Torhaus eingeschossen, es wird zugefährlich hier oben. Irgendwann erhalten wir einen Volltreffer. Ziehtauch die Leute von der Schildmauer bis auf wenige Beobachter ab. AlleMänner ziehen sich in die Berghöhle zurück, dort sind sie sicher.“

Sofort kam Bewegung in die Männer und wenig später beobachteten nurnoch vier Soldaten von relativ sicheren Positionen auf der Schildmauerden Feind. Der Letzte Schuss hatte es dann auch in sich, denn er trafdas Torhaus genau über dem Eingangstor. Steine splitterten aus derMauerung und verschütteten den Durchgang.

„Noch so ein Treffer und die Turmplattform hält nicht mehr stand. Gutdass es schon so dunkel ist, dass der Feind seinen Erfolg nicht mehrwahrnehmen konnte“, murmelte Elbraq.

„Genau, sonst würden sie noch einen Schuss auf gut Glück abgeben,der dem Torhaus den Rest gibt. Wir müssen in der Nacht die Schädensoweit provisorisch beheben, dass der Feind den schweren Schaden,den er uns mit seinem letzten Schuss versetzte, nicht erkennt“, machteEliasar schon einen Plan für die Nacht, schließlich mussten sie allesunternehmen, um ihre prekäre Situation zu verschleiern.

Elbraq nickte, doch darum mussten sich andere kümmern, denn erwürde das Kommando anführen, welches die Sprengladungen zündensollte. Er und vier junge Männer würden in der Nacht die Burg über dengeheimen Zugang in der Grotte verlassen. In einem kleinen Boot würdensie von der Mydruse aus in den Calumba-Bach einfahren, um im Schutzeder Dunkelheit und des Felshanges die Stelle zu erreichen, wo dieZündschnüre versteckt waren. In der Stunde vor dem Sonnenaufgangwürden sie zuschlagen und dem Feind zeigen, dass sie auch die Kraftvon Schießpulver kannten.

Eliasar begleitete den Sabotagetrupp bis zum Boot, schüttelte jedenMann die Hand oder schlug ihm aufmunternd auf die Schulter. Als erElbraq die Hand reichte, blickte er in ein rußgeschwärztes Gesicht, ausdem das Weiß der Augen herausstach. Worte brauchte es nicht, siewussten Beide was vom Erfolg des Unternehmens abhing. Fast lautlos

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entfernte sich das kleine Boot und verschwand, bis auf eine kleine, helleBugwelle, in der Dunkelheit. Eliasar eilte wieder nach oben auf die Burg,wo er zusammen mit seinem Sohn von der Schildmauer in dieDunkelheit starrte.

Langsam, jedes Geräusch vermeidend steuerte Elbraq den Bug desBootes in den einmündenden Bach, um sich unbemerkt dem Ziel zunähern. Als der Mond wieder einmal durch die Wolken blinzelte, erkannteElbraq die Stelle, wo sie den Hang erklettern mussten. Ein Wink mit derHand und der Mann vorn im Bug befestigte das Boot an einer der hierwachsenden Weiden. Elbraq und ein weiterer Mann, sprangen vom Bootin den Hang, um sich an dem Gestrüpp, was dort wuchs, nach oben zuziehen. Am Rande des Hanges angekommen, fanden sie in derFinsternis jedoch nicht sogleich die Stelle, an der die Schläuche, mit denZündschnüren versteckt waren. Geduldig warteten sie, bis sich dieWolke wieder verzog, die kurzfristig den Mond verdeckte. Gleich darauferkannten sie im Mondschein, die Stellen, wo die Zündschnüreverborgen waren.

Um den Hals trugen die beiden Saboteure abgeblendete Lampen, inderen Innerem Kerzen brannten. Elbraq blickte sich noch mal um, danngab er das Zeichen, die Flamme der Kerze an die Zündschnüre zuhalten. Zischend und Funken sprühend, fraß sich das Verderben insInnere des Schlauches, unaufhaltsam zur Sprengladung hin. Hurtig, abernicht ohne die nötige Vorsicht walten zu lassen, kletterten Elbraq undsein Begleiter die Felswand wieder hinunter, stiegen ins Boot, die Leinenwurden gelöst und schon trieben sie mit der Strömung RichtungMydruse. Auf halber Streckt, jedoch dem Gefahrenbereich entronnen,durchzogen unvermittelt grelle Blitze, mit Urgewalt, die Nacht und einheftiges Donnern erfüllte die Luft. Die Erschütterung führte dazu, dassdie Männer im Boot glaubten sie hüpften auf den Wellen. Doch Angstwollte nicht aufkommen, zu groß war der Stolz über den Erfolg ihresUnternehmens. Verschwörerisch grinsten sie sich an, wobei ihreZahnreihen hell in ihren rußverschmierten Gesichtern leuchteten. Elbraqschüttelte die Faust zum Himmel, wobei er ein lautes, im Donneruntergehendes „Ja“ ausstieß.

Auf der Schildmauer hüpfte Gawain wie ein kleines Kind vor Freude,während Eliasar noch auf etwas zu warten schien. Doch das Andere ließ

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sich Zeit, so das Eliasar schon glaubte, sein zweiter Plan seifehlgeschlagen. Doch dann zuckten helle Lichtblitze hinter den Felsendes Calumbas auf und ein erneutes Donnern ließ die Luft erzittern. Mitfragenden Augen sah Gawain seinen Vater an.

„John und Gariban haben die Wagen mit den Pulverladungen gesprengt.Hoffentlich konnten sich die Beiden rechtzeitig in Sicherheit bringen. Ja,mein Sohn, ohne Pulver ist das Kugel schleudernde Monstrum nichtswert. Egal ob die Bombarde noch funktionstüchtig ist oder nicht, ohnePulver jagt sie keine Kugeln mehr in unsere Mauern.“

Eliasar legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter, ihm war ein wenigwohler, wenn ihnen auch immer noch schwere Zeiten bevorstanden,denn so schnell würde der Feind nicht aufgeben.

IX Ein Bote Namens Horus

Viele hunderte Kilometer entfernt, ging bei Jonathan alles seinengewohnten Gang, bis zu jenem Tag, als der langgezogene Schrei einesWanderfalke ertönte, welcher über dem Anwesen von Max kreiste. Max,der gerade auf dem Hof mit den Hunden spielte, reagierte seltsamerWeise auf den Ruf des gefiederten Besuchers, als wenn er ihm galt.Während er aufs Haus loslief, gab er Jonathan, der mit Benidor oder wares doch Aberon, seine täglichen Schwertübungen abhielt, ein Zeichenmit der Hand, dass jener ihm folgen sollte. Jonathan ließ den verdutztdreinblickenden Prinz einfach stehen und heftete sich schnellen Schrittesan die Fersen seines Gastgebers. Ein wenig nach Luft ringend erreichtensie die Aussichtsplattform des Turmes. Ein lederner Handschuh, wie ihnFalkner benutzen, der in einer Wandnische lag, erweckte bei Jonathanden Eindruck, als wenn Max den Falken erwartete. Gleich nachdem Max,den nun mit Leder geschützten Arm ausstreckte, landete der Raubvogelgekonnt darauf. Deutlich war an einem Bein des Raubvogels ein kleines,röhrenförmiges Lederbehältnis zu erkennen. Max streifte dem Vogel eineHaube über, die wohl ebenfalls in der Nische lag, um Jonathananschließend aufzufordern, das Band zu lösen, womit das Behältnis amBein des gefiederten Boten befestigt war.

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„Gut gemacht Horus, du machst jetzt eine kleine Pause“, lobte Max denRaubvogel. „Wenn Jonathan endlich den Knoten an dem Band lösenwürde, mit dem die Nachricht an deinem Bein befestigt ist, dann könnteich sie lesen, um dann die Antwort zu schreiben", tat Max so, als wenn ermit dem Vogel sprach.

Jonathan gab sich redlich Mühe, doch der Knoten der Lederschnur saßrecht fest am schlanken Bein des Vogels. Endlich erkannte Max dasDilemma und setzte den Falken einfach auf Jonathans Schulter. Die gutgepolsterte Lederjacke sorgte dafür, dass die scharfen Krallen nichtJonathans Haut ritzten. Während Max den Knoten befingerte, murmelteer unverständliches Zeug, doch die Beschwörung half. Als wenn dieSchnur lebendig wurde, ähnlich einer Schlange, löste sich der Knoten,fast von selbst. Was dazu führte, dass das röhrenförmigeTransportbehältnis in die offene Hand von Max fiel. Wortlos ließ erJonathan stehen, um in seinem Zimmer die Nachricht zu lesen und dieAntwort zu schreiben. Jonathan verstand auch ohne Worte, dass derVogel sich an der frischen Luft wohler fühlte, als in der Enge einesRaumes, also fügte er sich in sein Schicksal als Vogelständer. Nach undnach fand Jonathan sogar Gefallen an der ungewöhnlichen Situation.Nie zuvor war er einem Raubvogel so nah. Während er die Aussichtgenoss, kehrte sein Blick immer wieder zu seinem gefiedertenSchutzbefohlenen zurück.

„Findest du es nicht auch seltsam, dass Max dich Horus nannte?“, hörteJonathan sich, mit einschmeichelnder Stimme, mit dem Vogel sprechen.

„Wie kann es sein, das eine Geschichte aus meiner Welt, dieGeschichte vom Falkengott Horus aus der ägyptischen Mythologie, indiese Welt gelangte? Oder willst du tatsächlich behaupten, dass durechts das Sonnenauge und linke das Mondauge trägst?“ Jonathanschüttelte unwillig den Kopf, als wenn er gerade den Blödsinn seinesGeredes bemerkte, dabei entging es ihm, dass Max schon wieder dieTurmplattform betreten hatte.

„Lass mich erst die Nachricht am Falkenbein befestigen, dann erkläre ichdir, warum ich den Falken so nenne“, schien Max doch mehr vonJonathans Gerede mitbekommen zu haben, als jenem lieb war.

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Geschickt wickelte Max die Lederschnüre um das Bein und verknotetesie.

„Bist du bereit Horus, zu deinem Herrn zurückzufliegen?“, eine reinrhetorische Frage, denn schon nahm er ihm die Haube ab und gabJonathan das Zeichen, dem Vogel Starthilfe zu geben.

Jonathan trat zwischen zwei Zinnen und streckte den entsprechendenArm aus. Der Falke verdrehte den Kopf, so als wenn er Jonathaneingehender betrachten wollten, gleichzeitig kletterte er behäbig auf denausgestreckten Arm. Jonathan erwiderte den auffordernden Blick desVogels und als wenn er ein Signal von dem Gefiederten erhielt, riss erden Arm mit Schwung in die Höhe. Sofort löste der Falke seine Krallenvom Arm, breitete seine Flügel aus und glitt in die Tiefe, nur um gleichdarauf mit kräftigen Flügelschläge dem blauen Himmel entgegen zustreben.

„Komm Jonathan, wir haben viel zu bereden und das lässt sich bei einemguten Roten besser bewerkstelligen“.

Jonathan folgte seinem Gastgeber ins Kaminzimmer und staunte nichtschlecht, als er das erste Mal die Zwillinge nebeneinander sah.

„Benidor und Aberon spielen, ebenso wie du Jonathan, eine derHauptrollen in diesem Stück um Macht und Freiheit“, begann Max. „Wieihr euch vielleicht denken könnt, schickte uns Thyrogenius eineBotschaft mit dem Falken. Er schreibt, dass er mit einem großen Heervor Gabylon, der Hauptstadt der Mark Gabolon steht. Die Anzeichenverdichten sich, dass sich die Stadt kampflos ergeben wird. Ein zweitesHeer, nicht ganz so stark, ist auf dem Schiffsweg Richtung Arthuradon.Unser druidischer Freund bittet mich, dass ich Aberon zu ihm schicke. Ermeint, einer der rechtmäßigen Thronfolger sollte an der Spitze desHeeres stehen, welches gegen die Regentin zieht. Außerdem besitzt erHinweise, dass ein von der Regentin gedungenes Söldnerheer auf dieOstküste von Asgardun zuhält. Sobald mit den Stadtvätern von Gabylonalles geklärt ist, zieht Thyrogenius mit seinem Heer Richtung Osten,überquert das Nhab-Gebirge und vereint sich am Vatyr mit dem anderenTeil seines Heeres. Er will verhindern, dass das Söldnerheer dieHauptstadt erreicht und die Truppen der Regentin verstärkt. Wenn alles

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wie geplant verläuft, dann stellt er das Söldnerheer in der Tiefebene vonQuantanaq.“

Nacheinander sah Max seinen Zuhörern in die Augen, so als wollte ererforschen, ob jeder die Botschaft verstanden hatte.

„Wann soll ich aufbrechen, Onkel Max“, meldete sich Aberon zu Wort.

„Gleich Morgen in aller Frühe machst du dich auf den Weg. Nachdem duüber den Vatyr übergesetzt hast, reitest du an seinem Ufer immer nachNorden, bis du die Schiffe der Verbündeten auf dem Vatyr gewahrst.“

„Und was bleibt für uns zu tun“, fühlte sich Jonathan auf einmalüberflüssig.

„Wir spielen weiter Theater oder was dachtest du?“, erwiderte Maxlachend. „Ach, da fällt mir wieder ein, dass ich dir die Horus Geschichtenoch gar nicht erzählt habe. Willst du sie noch immer hören?“

Ohne Jonathans Antwort abzuwarten, begann er zu erzählen.

„Vor langer Zeit traf ich nachts im Traum ein seltsames Wesen. Denn esbesaß den Körper eines Menschen und den Kopf eines Falken. Wirkamen ins Gespräch und das Wesen erzählte mir, dass sein NameHorus sei und dass er seine Welt, eine fruchtbare Flusswelt, umgebenvon rotem Wüstensand, verlassen hatte. Im Wüstensand, in der Näheeiner großen Stadt, erhoben sich gigantische Bauwerke in den Himmel,die er Pyramiden nannte. Sie wurden zu Ehren der verstorbenen Königeerbaut. Zeit, geschichtliche Ereignisse, verändertes Denken derMenschen, aber vor allem neue Religionen sorgten dafür, dass seineund die Macht seiner Gottbrüder und Schwestern zusehendsschwanden. Am Ende blieb nur eine blasse Erinnerung von denglorreichen Zeiten jener Götter in der Erinnerung der Menschen zurück.Da beschlossen alle Götter sich eine neue Welt zu suchen, wo dieMenschen ihr Wirken noch zu schätzten wussten. Doch nur er, der sichHorus nannte, gelangte bis in unsere Welt, da er der einzige Gott war,der das Fliegen beherrschte. Jetzt lebt er in einem fruchtbaren Flusstal,ähnlich seiner verlorenen Welt, weit südlich von Anethalias. Ja, undseitdem nenne ich alle Falken Horus.“

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Jonathan stierte ihn an, als wenn er jeden Moment ein spöttischesGrinsen im Gesicht von Max erwartete. Doch als nichts dergleichengeschah begriff er, dass ihn Max nicht auf den Arm nehmen wollte.

„Träumst du häufig so merkwürdige Sachen oder handelt es sich umeinen Einzelfall?“, ließ Jonathan die Sache keine Ruhe, hoffte er aufeine Erklärung.

Max sah ihn nachdenklich an, wobei er anscheinend tief in sichhineinhorchte.

„Jetzt, wo du diese Frage aufwirfst, muss ich mir eingestehen, dass ichständig irgendwelche Traumbegegnungen habe.“

Unpassender Weise erklang ein lautes Klopfen an der Tür.

„Eindeutig Ferguson“, bemerkte Max.

Gleich darauf ging die Tür auf und das zerfurchte Gesicht von Fergusonerschien im Türspalt.

„Ein Bote der Regentin“, erklärte er die Störung.

„Einen Augenblick! Banidor und Aberon, macht euch unsichtbar", wiesMax die Zwillinge an. Sofort bewegten sich die Beiden auf die Rückwanddes Zimmers zu, um hinter einer kaschierten Tür zu verschwinden.

"So Fergus, nun kannst du den Boten hereinschicken.“ Eine einladendeArmbewegung von Max unterstrich die Aufforderung.

Wenig später betrat der Bote, ein junger Bursche, das Zimmer undblickte sich neugierig um, bis ihn der Hausherr ansprach.

„Wenn ihr eure Neugier befriedigt habt, könntet ihr mir erklären, was dieRegentin von mir will?“, erinnerte Max den Boten freundlich an seinenAuftrag.

Doch dieser zuckte nur mit den Schultern und öffnete seine lederneUmhängetasche, zog eine gesiegelte Papierrolle heraus und hielt sieMax hin.

„Wenn ihr Max der Medicus seid, dann ist das die Botschaft für euch.“

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Ein kaum wahrnehmbares Nicken des Angesprochenen und schon hielter die Papierrolle in seiner Hand. Der Bote drehte sich ab, um dasZimmer wieder zu verlassen.

„Halt! Solltest du nicht meine Antwort abwarten“, fand Max das Verhaltendes Boten merkwürdig.

„Davon weiß ich nichts. Mein Auftrag lautete, euch die versiegelteBotschaft zu überbringen. Das tat ich und somit ist mein Auftrag erledigt,einen guten Tag die Herren“, verabschiedete sich der Bote undverschwand durch die von Fergus aufgehaltene Tür.

Noch bevor Max das Siegel aufbrechen konnte, waren die Zwillingewieder da. Währenddessen flogen Max Augen über das entrollte Papier,dann las er den Text vor.

„An den weithin bekannten Medicus und erfolgreichen TheaterdirektorMaximus. Wir wünschen sein Erscheinen am morgigen Tag, zweiStunden nachdem die Sonne im Zenit stand, um mit ihm die Aufführungseines Stückes im königlichen Theater zu besprechen. Seine Hoheit dieRegentin von Askalan, Desdemona.“

Max ließ seinen Blick in die Runde schweifen.

„Der Tanz beginnt. Das hat zur Folge, dass ich eine kleine Planänderungvornehmen muss. Aberon, du reitest nicht allein, dein Bruder Benidorwird dich begleiten. Hier wird es zu gefährlich für euch. Ihr trefft dieabgesprochenen Vorbereitungen, denn es könnte sich auch um eineFalle der Regentin handeln, um euch aus eurem Versteck zu locken.Anschließend begebt ihr euch auf die „Picaro“ die im Osthafen liegt, ummit ihr auf dem Vatyr bis Quiem zu segeln. Im Pferdestall des altenJacko warten zwei Reittiere und eure Ausrüstung auf euch. Von dortreitet ihr in einem weiten Bogen an Arthuradon vorbei, um später dannwieder auf den Vatyr zu stoßen. Also macht euch fertig.“

„Aber Onkel Max, wer soll denn unsere Rollen im Theaterstückübernehmen?“, begehrte Benidor auf, aus Sorge, dass sein Onkel nichtdem Wunsche der Regentin entsprechen könnte.

„Das soll nicht eure Sorge sein. Mir fällt da schon etwas ein, nichtumsonst habe ich von euren Gesichtern Gipsabdrücke gemacht“, schob

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Max einer aufkommenden Diskussion über dieses Thema sofort einenRiegel vor.

Die Zwillinge schienen Max, den sie Onkel nannten, sehr genau zukennen, denn ohne einen weiteren Widerspruch standen sie auf undverließen das Zimmer. Jonathan, der das ganze Geschehen aufmerksamverfolgte, blickte so fragend aus der Wäsche, dass Max erst schmunzelnmusste und dann eine Erklärung abgab.

„Als ich vor langer Zeit die Drude Roxane in ihrem Zauberwald besuchte,zeigte sie mir eine Kunstfertigkeit, wie man aus einem, mir zuvorunbekanntem Material, mit Hilfe von Gipsabdrücken, täuschend ähnlicheMasken von Gesichtern anfertigen kann. Sie meinte noch, eines Tageswerde ich ihr dafür noch dankbar sein. Der Tag ist gekommen.“

Jonathan nickte verstehend, er hatte schon von solchen Masken gehört,glaubte nur nicht daran, dass Max über die entsprechenden Materialienund Fähigkeiten verfügte. Als er mit Max auf dem Hof stand, um dieZwillinge zu verabschieden, da staunte Jonathan nicht schlecht. Wiehatten sich die Prinzen verändert. Niemand würde in den beidendunkelhäutigen, schwarzhaarigen Burschen in zerlumpten Sachen dieköniglichen Zwillinge vermuten.

„Na, ist die Tarnung perfekt?“, wollte Max unnötiger Weise von Jonathanwissen.

Nach der Verabschiedung zogen die beiden zerlumpten Burschen, vonNiemand beachtet, zum Hafen und bestiegen unerkannt das Schiff mitNamen „Picaro“.

Am nächsten Tag verließen Max und Jonathan rechtzeitig das Anwesen,um sich auf den Weg zum Palast der Regentin zu machen. Jonathanhatte darum gebeten ihn begleiten zu dürfen und Max sah keinen Grunddieser Bitte nicht zu entsprechen. Zwar waren sich Beide darüber imKlaren, dass die Regentin heute noch nichts gegen sie unternehmenwürde, denn sie wollte ja die Königszwillinge, aber gute Gefühle wolltentrotzdem nicht aufkommen. Zurzeit schien die Regentin mit ihnen eherein wenig Katz und Maus zu spielen. Wobei Max die Sache ein kleinwenig anders sah, denn wer wusste schon so genau, wer am Ende dieKatze und wer die Maus sein würde. Ihre ersten Schritte führten

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notgedrungen durch die Schmiedegasse, wo dieser und jenerHandwerker die Arbeit für einen Augenblick ruhen ließ, um Max undseinen sagenumwobenen Begleiter einen Gruß zuzurufen oder ihnenwenigstens mit der Hand freundlich zuzuwinken. Die Marktgasseveranlasste sie nach rechts abzubiegen, um auf den Marktplatz zugelangen. Wie immer tobte hier das Leben, blühte der Handel. Obwohldie Leute bei ihrem Anblick sofort Platz machten, dauerte der Weglänger als gewohnt, da Max von vielen Bürgern angesprochen wurdeund nicht die Unhöflichkeit besaß, ihre Fragen unbeantwortet zu lassen.

Endlich, nachdem sie sich zum Torhaus des zweiten Bezirksdurchgekämpft hatten, stellten sie fest, dass man sie dort schonerwartete. Der Sergeant winkte sie mürrisch hindurch und schon standensie auf dem Festplatz des zweiten Bezirks. Links blickten sie auf dasStändehaus der Kaufleute und das Gerichtsgebäude, auf der anderenSeite gruppierten sich die kleinen Paläste der reichen Patrizier, umweitflächige Gärten mit Brunnen. Bevor sie sich versahen, standen sievor dem stark befestigten Tor zum neuen Palastviertel. Der Kommandantdes Torhauses, ein riesiger, grimmig dreinschauender Nordmann,übergab sie einer vierköpfigen Begleitwache. Auf der anderen Seite desTorhauses lenkte Max den Blick von Jonathan nach rechts auf dasprächtige Gebäude, auf dessen Dom eine goldene Kuppel imSonnenlicht glänzte.

„Jonathan, wenn es deine Zeit erlaubt, solltest du mal einen Blick in dasInnere des Doms werfen. Egal wie man zu dem Glauben steht, es isteinfach beeindruckend“, erklärte ihm Max.

Geradezu blickten sie auf die hohen, starken Mauern der alten Burg, dienichts von ihrer Unüberwindbarkeit eingebüßt hatte. Flankiert von denWachen schritten sie nach links, vorbei am Theater undVersorgungsgebäuden, bis sie vor dem prächtigen Portal des Palastesstanden. Im Inneren blieb keine Zeit, um die Pracht des Gebäudes zubewundern, da die Wachen zielstrebig auf eine übergroße Flügeltürzuhielten. Vor der mit Gold verzierten Flügeltür standen zwei weitereNordmänner, die stoisch an ihnen vorbeiblickten. Eine kleine,unscheinbare Nebentür ging auf und der Hofmarschall trat heraus,informierte sich bei der Begleitwache nach den Besuchern undverschwand wieder. Die Zeit zog sich und nichts geschah. Während

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Jonathan langsam unruhig wurde, war Max nichts anzumerken. Endlichöffneten sich die Flügel der Tür, etwas donnerte auf die marmornenFliesenplatten und eine laute, wohlklingende Stimme verkündete,„Maximus Medicus mit Begleiter.“

Die so Angekündigten betraten den Thronsaal und Jonathan schiensichtlich beeindruckt von der gewaltigen, säulengestützten Halle, anderen Ende, auf einem erhöhten Podest, der reich verzierte Thron stand.Abschätzend blickte ihnen Desdemona entgegen, wobei sie aus derFerne noch immer wie eine junge Frau wirkte. Ihre Figur war tadellos, diedunkle Haarpracht ließ nichts zu wünschen übrig und im Gesicht zeigtesich nicht die kleinste Falte. Während sich Max und Jonathan dem Thronnäherten, schien die Regentin wie aus Stein gemeißelt, um mitmaskenhaftem Gesichtsausdruck den Besuchern entgegenzublicken.

Etwas unpassend wirkte ihr vierjähriger Sohn, Prinz Zarduq, an diesemOrt, der auf einem Holzpferd aufgeregt hin und her schaukelte. Das Bildwurde vervollständigt durch zwei riesige Nordmänner die zur Steinsäuleerstarrt, reglos neben dem Thron standen. An den Wänden desThronsaales standen in regelmäßigen Abständen weitere Wachen, dieLeibgarde der Regentin. Max blieb in gehörigem Abstand stehen undverbeugte sich, Jonathan folgte seinem Beispiel.

„Tretet doch näher“, forderte die Regentin ihre Besucher auf. „Wie ichsehe habt ihr euren Leibwächter mitgebracht, glaubt ihr das sei nötig?“,eröffnete sie das Spiel mit dem Versuch einer Provokation. Doch da warsie bei Max an den Falschen geraten. Denn schon legte der soAngesprochene, ganz Schauspieler, einen verständnislosenGesichtsausdruck auf.

„Jonathan, mein Begleiter, ist Niemandes Leibwächter, er ist der Erzählerin unserem Theaterstück und heute ein neugieriger Besucher desPalastes, da er von weither kommt und noch nie solche Pracht sah“,führte Max den Verdacht der Regentin ad absurdum.

„Da hörte ich aber etwas ganz Anderes. Um euch zu beschützen soll erzwei Nordmänner getötet haben“, ließ die Regentin keinen Zweifel daranaufkommen, dass sie durchaus Bescheid wusste.

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„Seitdem geistert die Geschichte vom Taiquan durch die Stadt“, fügte sielauernd hinzu.

„Keine Ahnung, wer solche Märchen verbreitet. Erstens tötete Jonathannur einen Angreifer und zweitens handelte er in Notwehr. Die Mär vomTaiquan scheint jemand erfunden zu haben, der Jonathans überlegeneKampftechnik mit einem tanzenden Schatten verwechselte“, brachte Maxsein Sicht der Dinge vor.

„Kann euer Begleiter nicht für sich selbst sprechen?“, gefiel der Regentindie allzu redegewandte Art von Max nicht, wobei sie Jonathanauffordernd ins Visier nahm.

„Selbstverständlich“, ließ sich Jonathan nicht ein zweites Mal auffordern.Obwohl die Körpersprache der Regentin eindeutig signalisierte, dass sieein wenig mehr als das so eben vernommene Selbstverständlicherwartete, sah Jonathan keinen Grund von sich aus mehr auf dieseFrage zu sagen.

„Ein recht wortkarger Zeitgenosse“, reagierte sie sich nach einer kurzenWartezeit enttäuscht auf Jonathans Zurückhaltung.

„Regentin, ich versichere euch, der Schein trügt. Wartet nur ab, bis ihrihn in meinem Theaterstück als Erzähler erlebt, in dieser Rolle ist erunübertroffen“, versicherte Max.

„Gut, dass ihr es erwähnt, denn genau deshalb habe ich euch jaherbestellt. Wann wäret ihr denn in der Lage euer Stück in meinemgroßen Theater aufzuführen?“

„Um euch eure Frage gewissenhaft beantworten zu können, müsste ichzuvor die Bühne und ihre technischen Einrichtungen besichtigen“, warMax auf ihre Frage vorbereitet.

Das leuchtete der Regentin ein und sie nickte verstehend.

„Bevor ich euch entlasse und ihr in Begleitung des Hofmarschalles dieBühne besichtigt, hätte ich gerne eines dieser sagenumwobenenSchwerter gesehen.“

Was dann geschah ging so schnell vor sich, dass es die Wachen erstregistrierten, als die Regentin das Schwert schon in der Hand hielt. In

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einer unglaublich schnellen, gleitenden Bewegung stieß Jonathan vor,während er mit der Linken ein Schwert zog und der Regentin den Griff indie Hand legte.

„Ihr seid wirklich gut, wollt ihr nicht in meine Dienste treten?“, schien dieBewunderung in ihrer Stimme nicht gespielt.

„Ich bin mir der Ehre voll bewusst, doch ich bin kein Krieger, eher dasgenaue Gegenteil. Meinem Glauben gemäß darf ich meine Schwerternur zur Selbstverteidigung benutzen. Für mich sind es mehr mystischeGegenstände, die ich bei meinen tänzerischen Ritualen benutze“, ließJonathan keinen Zweifel daran aufkommen, dass das Kriegshandwerknicht sein Ding war.

„Schade“, grummelte die Regentin, um abrupt das Thema zu wechseln.„Eine wundervolle Waffe, die wirklich nicht aus unserer Welt zu stammenscheint, was ja wohl die Legende, die sich um euch rankt nur bestätigt.Wo liegt diese ferne, fremde Welt eigentlich genau?“

„Weit im Süden, am anderen Ende der Welt, ein Menschenlebenentfernt“, lautete Jonathans zwar spontane, aber wenig präzise Antwort.Auch wenn die Beschreibung den Anschein erweckte genaue Auskunftzu geben, so blieb die tatsächliche Lage hinter einem geheimnisvollenVorhang verborgen.

„Seltsam, eine ähnliche, unbefriedigende Antwort bekam ich vor kurzerZeit von einem anderen Reisenden.“ Ein bohrender Blick traf Jonathan.

„Ich würde ihn gern kennenlernen, vielleicht stammt er tatsächlich ausmeiner Welt, obwohl ich das stark bezweifle“, zeigte Jonathan eingewisses Interesse, ohne sich dabei zu weit aus dem Fenster zu lehnen.

„Ich wäre auch an dieser Begegnung interessiert“, wieder traf Jonathanihr bohrender Blick, so als suchte die Regentin eine verräterischeReaktion bei ihm. Als sie nicht fündig wurde fuhr sie fort, „doch leider istdas zurzeit nicht möglich. Im Gegensatz zu euch trat er sofort in meineDienste, nun kämpft er mit einem großen Heer gegen Rebellen auf derInsel Mhyritrias.“

„Dann werde ich wohl kaum das Vergnügen haben ihn kennenzulernen.Im Herbst werde ich hier meine Zelte abbrechen, um das unendliche

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Westmeer zu überqueren, auf der Suche nach den märchenhaftenGefilden von Amuch“, spielte Jonathan weiter die Rolle einesWeltreisenden.

„Aber das ist doch ein Ammenmärchen. Niemals ist jemand von einersolchen Reise zurückgekehrt. Nach Westen hin gibt es nichts alsWasser, Wasser und noch mehr Wasser“, reagierte die Regentin leichtzornig.

„Tut mir leid, wenn ich euch widersprechen muss“, heuchelte Jonathanden Unterwürfigen. „Nur weil niemand zurückgekommen ist, bedeutetdas noch lange nicht, dass die Suchenden Amuch nicht gefunden haben.Vielleicht ist es dort so wunderbar, dass niemand zurückkehren wollte.Immerhin wäre das eine plausible Erklärung“, schien Jonathan Spaß ander Diskussion zu finden.

Energisch schüttelte die Regentin den Kopf, damit schien dieUnterredung beendet, dieser Anschein wurde noch durch ihre herrischeHandbewegung verstärkt. Der Hofmarschall begleitete Max undJonathan zum Theater, um sie durch einen Nebeneingang zur Bühneund den technischen Einrichtungen zu bringen. Was Max dort sah,waren Möglichkeiten von denen er noch nicht mal zu träumen wagte undso sah man ihm seine Begeisterung deutlich an. Als ihm derHofmarschall auch noch zusicherte, dass Max so viele Schauspieler,Komparsen und Helfer bekommen würde wie er brauchte, traf er eineEntscheidung.

„Teilt der Regentin mit, nächsten Sonntag in drei Wochen kann diePremiere stattfinden“

„Eher nicht?“, schien der Hofmarschall dann doch enttäuscht.

„Das Stück muss der großen Bühne angepasst werden und auch einpaar dadurch notwendige Umstellungen im Stück müssen dann nocheingebaut und geprobt werden. Schließlich wollen wir die Regentin nichtenttäuschen oder wollt ihr die Verantwortung dafür übernehmen?“Geschickt hatte Max dem Hofmarschall den Schwarzen Peter zugespieltund wartete nun gespannt auf dessen Antwort.

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Der machte ein Gesicht, als wenn er auf eine saure Zitrone gebissenhatte. „Schon gut, ich habe verstanden und werde die Regentindementsprechend instruieren. “

Max und Jonathan grinsten sich an, sie hatten drei Wochen gewonnen,um herauszufinden, wo die Regentin die Ex-Königin Isabella gefangenhielt. Und vielleicht gewährte ihnen das Schicksal eine Gelegenheit, umsie zu befreien. Denn standen erst Thyrogenius, Benidor und Aberon mitdem Rebellenheer vor den Toren, würde die Regentin die Geiselbenutzen, um Druck auf die Zwillinge auszuüben.

Bei der Rückkehr zum Anwesen wurden alle Vorbereitungen getroffen,um am nächsten Tag ins königliche Theater umzuziehen.

Mit einem großen Planwagen voller Requisiten machte sich am nächstenTag die ganze Truppe auf den Weg zum königlichen Theater. Sogar diedicke Nelly nahmen sie mit, denn niemand wollte auf ihre köstlichenGerichte verzichten. Denn, wie Max festgestellt hatte, gab es in denKellern des Theaters nicht nur diverse Werkstätten, sondern sogar eineKüche.

Zuerst nahm die Schausteller Truppe die große Bühne mit ihrentechnischen Einrichtungen in Augenschein und diskutierte dieVeränderungen, die nötig waren, um das Stück mit diesen Möglichkeitenvoll zur Geltung zu bringen. Danach setzte sich Max mit demBühnenbildner zusammen, um mit ihm die Anfertigung der Kulisse zubesprechen. Zusammen zeichneten sie Skizzen und besprachen diefarbliche Gestaltung der Bühnenbilder. Danach wurde festgelegt inwelcher Reihenfolge sie in der Kulisse an den Flaschenzügenaufgehängt wurden. Deren zeitlicher Einsatz im Stück würde währendder Proben eingeübt werden. Natürlich tauchten jeden Tag neueProbleme auf, die Max jedoch gekonnt mit den Verantwortlichenmeisterte.

Eine Woche vor der Premiere fand die Kulissenprobe statt. Das Licht imTheater erlosch und alle waren schier aus dem Häuschen, als sich derVorhang öffnete und sie den Bug eines Schiffes erblickten, der sich vordem sternenbesetzten Himmel hob und senkte, so als pflügte ertatsächlich durch hohe Wellenkämme.

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„Wie geht das, dass die Sterne wirklich leuchten?“, wollte Odo aufgeregtwissen.

„Wir haben die gelbe Farbe mit Phosphorpulver angereichert und sievom Schnürboden aus kurz zuvor mit Scheinwerfern angestrahlt, jetztgeben die vielen, gemalten Punkte das Licht wieder ab, also wirklichkeine Zauberei, auch wenn es für den einfachen Geist so aussieht“,erklärte Max.

Langsam verblasten die Sterne auf natürliche Weise, worauf sich in dieaufkommende Dunkelheit das zweite Bühnenbild herabsenkte. Doch erstals ein versteckter Scheinwerfer hinter der Bühne einen künstlichenSonnenaufgang erzeugte, konnte der Betrachter das neue Bühnenbilderkennen. Auch wenn im Vordergrund Palmenwedel rauschten, so würdedie Aufmerksamkeit des Publikums naturgemäß auf das traumhaftschöne Schloss Salafaki gelenkt werden. Und mancher würde glaubenden Duft der fremdartigen Blumen zu riechen, die im Garten vor demSchloss wuchsen und sich fragen woher das fremdartigeVogelgezwitscher kam. Nachdem das Publikum sich an dermärchenhaften Kulisse sattgesehen hatte und Jonathans Beitrag dazugehört hatte, würde der Vorhang fallen, um sie mit dem folgendenBühnenbild in das königliche Schlafgemach zu entführen. Was Maxveranlasste seine Schauspielkollegen nochmals auf eine Änderung desAblaufs hinzuweisen.

„Ihr müsst euch vorstellen, die Königin liegt im Wochenbett, an ihremBett stehen die Hebamme und zwei Mägde. Die drei Frauen bemerkenjedoch die wabernde, schwarze, durch den Raum ziehende Wolke nicht“,dabei senkte er seine Stimme und gab ihr einen geheimnisvollen Klang.Als wenn er seine Zuhörer erschrecken wollte, machte er sich groß underhob seine Stimme.

„Plötzlich steigt ein Schemen aus der Wolke, um die Zwillinge zuentführen. Meine Rolle, wie euch bekannt sein sollte, ist. Nachdem ichder Hebamme die Frischgeborenen abgenommen und ihr dafür zweiSteine untergeschoben habe, verschwinde ich mit Knall und Blitz in derVersenkung“, führte Max die Szene zu Ende und alle nickten verstehend,kannten sie doch die kleine, aber wirksame Veränderung im Ablauf.

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Auf einen Ruf von Max folgte das nächste Bühnenbild, das mit demurwüchsigen Zauberwald. Genau wie später die Zuschauer waren auchdie Schauspieler beeindruckt, als das Bühnenbild auseinanderging undden Blick auf die Waldlichtung freigab, wo die Fee die Steine vergrabenwürde.

„Unglaublich“, seufzte der riesige Golo gerührt. Auch die restlichenBühnenbilder fanden die Anerkennung der Schaustellertruppe.

„Ab morgen üben wir in der echten Kulisse. Die Texte sollten eh sitzen,es geht also nur um die leicht geänderten Abläufe. Jonathan, übrigenseine weitere Aufgabe für dich. Du als Vorleser, eigentlich liest du ja garnicht mehr vor, sondern erzählst, hast somit von deiner Position denbesten Überblick. Du musst uns bei den Proben Anweisungen geben,wie wir uns zu bewegen haben, wo wir zu stehen haben, na du weißtschon“, schanzte Max, am Ende der Einweisung, Jonathan eine neueAufgabe zu.

„Du meinst ich soll den Regisseur mimen?“, reagierte Jonathans erstauntauf Max Ansinnen.

„Nennt man bei euch denjenigen so, der eine solche on Aufgabeübernimmt?“, schien Max die Bezeichnung Regisseur nicht zu kennen.

Jonathan schien es jedoch die Sprache verschlagen zu haben, denn ernickte nur.

„Na, dann ist ja alles klar, für heute ist Schluss, wir gehen nach Hauseund feiern ein Fest“. Max klatschte in die Hände und seine Truppestimmte ein.

*

Inzwischen waren die Zwillinge unbehelligt in Quiem angekommen, wosie sich auf kürzesten Weg in den Pferdestall des alten Jacko begaben.Zu ihrem Erstaunen mussten die Zwillinge feststellen, dass sich da einkleines Problem auftat, als sie ihre königliche Ausrüstung einforderten.

„Von was redet ihr da, elendes Bettlergesindel“, fuhr sie der alte Jackoerbost an.

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Benidor begriff sofort. Als er seinen Zwillingsbruder Aberon ansah, zeigteer mit dem Finger auf ihn und fing, ob dessen erbärmlichen Aussehens,heftig zu lachen an.

„Bruderherz, der Mann hat recht. In unserer Aufmachung sehen wirwirklich nicht wie die königlichen Prinzen aus.“

Sie erkundigten sich nach einem Badehaus, um ihre Verwandlung inAngriff zu nehmen. Max hatte ihnen eine Substanz mitgegeben, die sieins Badewasser schütten mussten, um ihre dunkle Hautfarbe und dieschwarzen Haare wieder verschwinden zu lassen. Als sie das nächsteMal vor den alten Jacko traten, trugen sie zwar noch immer ihre Lumpen,aber ihre unglaubliche Ähnlichkeit sprach eine eindeutige Sprache.

Jacko fiel auf die Knie und senkte beschämt sein Haupt. „Verzeiht mirkönigliche Hoheiten, doch“, weiter kam er nicht, denn Aberon unterbrachihn.

„Schon gut, euer Irrtum war nur zu verständlich. Steht bitte auf, ihr, derihr auch in dunklen Zeiten zu uns gehalten habt. Wir sind in eurerSchuld, also hebt euer Haupt, um unseren Dank entgegenzunehmen.“

Jacko führte sie zu einer versteckten Klappe im Boden des Pferdestalls,unter der sich ein unterirdisches Versteck befand, wo dieAusrüstungsgegenstände für die Prinzen schon seit Jahren lagerten.Feinste Gewänder, Rüstungen und Waffen warteten hier auf den Tag,wo ihre Besitzer sie anlegen würden. In einem abgetrennten Teil desStalles standen zwei prachtvolle Rösser, eines Königs durchaus würdig.Nach einem kleinen Imbiss schwangen sich Benidor und Aberon auf ihrePferde, verabschiedeten sich vom alten Jacko und machten sich auf denlangen Weg zum Treffpunkt mit den Rebellen.

Der alte Jacko stand in der offenen Stalltür und blickte ihnen langehinterher. Tränen rannen über seine Wangen und er murmelte immerwieder, „dass ich das noch erleben durfte.“

Den ausgeruhten Pferden merkte man an, dass sie froh waren dem Stallendlich entronnen zu sein. Und als die Zwillinge dann auch noch dieGangart verschärften, wieherten sie wie befreit auf. Nordöstlich vonihrem Ausgangspunkt gelangten die Prinzen in ein hügeliges Gelände,mit viel Gras und losen Baumgruppen. Würden sie von hier hundert

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Kilometer weiter östlich reiten, gelangten sie zur Tiefebene vonQuantanaq, dem Gebiet, wo der weise Druide Thyrogenius dasSöldnerheer stellen wollte. Doch das war noch Zukunftsmusik, zuerstmussten sie die Rebellen treffen. Das Glück war ihnen jedoch hold, dennsie mussten nicht bis zum Vatyr reiten, auf halber Strecke kamen ihnendie vereinigten Heere Asgarduns, mit Thyrogenius an der Spitze,entgegen.

Thyrogenius Blick wurde ernst, als er zwei, statt nur eines erwartetenPrinzen sah.

„Seid mir willkommen königliche Hoheiten. Liege ich richtig mit derAnnahme, dass Max euch in Sicherheit wissen wollte. Ja, dieseverschlagene Regentin ist äußerst gefährlich, viel gefährlicher als einNordmann mit Waffen. Max hat richtig gehandelt.“

Das Heer zog bis zum Sonnenuntergang weiter, dann schlug es seinLager auf. Im Zelt von Thyrogenius berichteten die Prinzen von denEreignissen in der Stadt.

„So, so ein Taiquan hat sich euch angeschlossen und euch in derSchwertkunst ausgebildet. Wusste gar nicht, dass der Mann solchaußergewöhnliche Fähigkeiten besitzt. Andererseits hätte ich draufkommen können, Roxane holt nicht den erstbesten Fremden aus seinerWelt, wenn er keine besonderen Fähigkeiten besitzen würde“, sinnierteThyrogenius.

„Du kennst Jonathan“, kam es von den Zwillingen wie aus einem Mund.

„Kennen ist wohl zu viel gesagt, wir reisten eine Zeit gemeinsam“,gestand der Druide. „Und, werden euer Onkel und der Taiquan in derLage sein, eure Mutter rechtzeitig zu befreien?“

Mit unglücklich wirkenden Gesichtern zuckten die Prinzen mit denSchultern.

„Schaut nicht so traurig, ich habe ein gutes Gefühl“, munterteThyrogenius die Zwillinge auf. „Wir müssen den Beiden schon vertrauen,denn wir haben unsere eigene, schwierige Aufgabe. Wir müssendreitausend gut ausgebildete, furchtlose Krieger aus Eyskandyraufhalten. Denn erreichen sie die Hauptstadt, und können die Truppen

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der Regentin verstärken, dann wird sich die Einnahme von Arthuradonaußerordentlich schwierig gestalten. Der Feind ist gestern an derOstküste in der Bucht von Skryft nahe dem Fischerdorf Klytos gelandet“,erklärte er weiter.

„Woher wollt ihr das wissen?“, begehrte Benidor auf.

„Eine Möwe hat es mir erzählt.“ Als er die verständnislosen Gesichter derPrinzen sah, fügte Thyrogenius lachend hinzu. „Benidor, du musstwissen, diese Vögel sind sehr geschwätzig, ganz im Gegensatz zu denRaben“. Damit Benidor nicht glaubte er würde sich über ihn lustigmachen fügte Thyrogenius noch ernst hinzu, „ich weiß es eben, vertrautmir einfach.“

Benidor nickte, denn er spürte plötzlich, dass es dem weisen Druidenfern lag einen Spaß zu machen. Die nächsten zwei Tage marschiertensie ununterbrochen Richtung Osten, um am Rande der Tiefebene vonQuantanaq, auf einer Hügelkette, Stellung zu beziehen. Thyrogenius gabAnweisung, dass sich die Krieger ausruhen sollten, um anschließendihre Stellung zu befestigen. Denn im Gegensatz zum Heer derNordmänner, waren der überwiegende Teil seiner Krieger keineausgebildeten Soldaten. Von seinen Fünftausend Mann hatten vielleichttausend eine Waffenausbildung, der Rest waren Handwerker undBauern, bewaffnet mit allem, was man als Waffe benutzen konnte. Somitwar ihre zahlenmäßige Überlegenheit nicht so viel wert, gäbe es nicht soetwas, wie einen versteckten Trumpf im Ärmel. Plötzlich mussteThyrogenius schmunzeln, schließlich war seine Person bewussteTrumpfkarte.

Im Grund war sein Heer eigentlich nur eine Ablenkung für den Gegner.Die Nordmänner sollte ein zahlenmäßig überlegenes Heer auf denHügeln erblicken. Dafür reichten seine Mannen vollkommen aus. IhrAnblick sollt ausreichen, damit das feindliche Heer Halt macht, um sichauf die neue Situation einzustellen. Das war der Punkt, an dem dieNordmännern von ihm die Chance erhielten, um kehrt zu machen.Sollten sie jedoch nicht auf sein friedliches Angebot eingehen, so hatteer sie genau da, wo er sie haben wollte.

Thyrogenius schien zufrieden, denn bisher lief alles so wie von ihmgeplant. Doch die Nordmänner ließen sich Zeit, Thyrogenius und die

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Seinen mussten fünf Tage warten, erst dann meldeten Späher dieVorhut der Nordmänner. Thyrogenius, wie übrigens die meisten Männerseines Heeres, beobachteten gespannt den Aufmarsch deskampferprobten Gegners. Dabei sah sich Thyrogenius in seinerAnnahme bestätigt, dass einer dieser furchterregenden Krieger esbestimmt mit dreien seiner Männer aufnahm. Neben dem Druidenstanden die Prinzen und Thyrogenius spürte nur zu genau, dass dieBeiden auf den Kampf brannten. Doch sein Plan sah nun mal andersaus. Der Feind sah das Heer auf den Hügeln, eine Stellung, dieaugenscheinlich nur unter großen Verlusten einzunehmen war. Nur gut,dass der Feind auf diese Entfernung nicht erkennen konnte, dass es sichum kein wirkliches Kriegsheer handelte. Thyrogenius stieß einenlanggezogenen Pfiff aus und schon kam Cymano schnaufendangetänzelt. Wie immer hatte die Stute zu ihrem Herrn gefunden. Bevorsich Thyrogenius auf den Rücken des Pferdes schwang, gab er denZwillingen noch eine Erklärung.

„Ich reite jetzt zu unseren uneingeladenen Gästen und fordere sie nettauf, kehrt zu machen. Ihr verhaltet euch ruhig, egal was geschieht, jetztwo sie sich auf dem passenden Fleck versammelt haben, habe ich dieSache im Griff.“

Benidor und Aberon verstanden kein Wort, doch sie nickten und gabendie Anweisung weiter. Gebannt verfolgten zehntausend Augen auf denHügeln, wie ihr Anführer den furchterregenden Angreifern entgegen ritt.Genauso gebannt blickten sechstausend grimmige Augen demweißhaarigen Mann auf der roten Fuchsstute entgegen. Doch nur zweiMann traten ihm entgegen, Hagen und Einar, die Vertrauten derRegentin. Wie Raubtiere, die ihre Beute fixierten, starrten sie denDruiden an. Auch wenn sie sonst Raubtieren sehr ähnlich waren, so ließsie ihr Instinkt in diesem Fall im Stich. Wie anders war es zu erklären,dass sie nichts von der Gefährlichkeit der Situation spürten, auf die siegerade zusteuerten.

„Kehrt um“, schmetterte die Stimme des Druiden schon von Weitem denbeiden wie Donnerhall entgegen, „denn alles was euch hier erwartet, istder Tod in feuchter, kalter Erde.“

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„Ganz im Gegenteil alter Mann“, feixte Einar, als der Druide, ein Stückvon ihnen entfernt, vom Pferd gesprungen war, „uns erwartet reicheBelohnung durch die Regentin. Wir dürfen die Hauptstadt plündern,jedem Überlebenden stehen drei Sklaven zu und alles was er wegtragenkann.“

Thyrogenius zuckte über so viel Verrat der Regentin zusammen,gleichzeitig erkannte er, dass die Gier der Angreifer nur der Tod stoppenkonnte.

„Dann fahrt zu euren Ahnen“, nahm seine Stimme einen überirdischenKlang an, nur um seinem Pferd danach etwas zuzuflüstern: „Cymanozieh dich zurück, dass hier ist einzig meine Angelegenheit!“

Und schon fuhr sein Druidenstab kreisend durch die Luft, dabei spracher mit immer lauter werdender Stimme, in einer fremdartigen Sprache,seine Zauberformeln. Einar und Hagen, ließen sich von denBeschwörungen des Druiden jedoch nicht verschrecken. Nein, imGegenteil, sie erkannten, dass hier Worte keinen Sinn mehr machtenund gaben das Zeichen zum Angriff. Sofort setzte sich das feindlich Heerin Bewegung. Doch sie kamen nicht weit. Verdutzt schauten die meistennach oben als plötzlich eine dunkle Wolke am Himmel auftauchte, diesich auf unnatürliche Weise schnell auf sie zubewegte. Verwirrenderschien auch, dass die Wolke summte und brummte, so, als wenn sichAbermillionen von Insekten näherten.

Endlich begriffen Einar und Hagen von wem die eigentliche Gefahrausging und sie stürmten immer schneller auf den Druiden zu. Fast blinddurch die Insektenwolke, die sich gerade auf das Heer senkte, folgtendie Krieger mutig ihren Anführern. Doch wenn man ThyrogeniusKörpersprache vertraute, dann schien ihr Schicksal längst besiegelt. Miteinem urigen Schrei stieß der Druide seinen Zauberstab in den Boden,worauf sich ein gewaltiger Riss vor ihm auftat. Die wenigstenNordmänner erkannten die Gefahr, auf die sie zu taumelten. Doch auchwenn sie die Gefahr erkannt hatten, sie wurden durch die Nachfolgendenin den Abgrund gestoßen, um in feuchter, kalter Erde Asgarduns denTod zu finden, so wie es Thyrogenius vorhergesagt hatte.

Von den Hügeln verfolgten tausende Augenpaare das übernatürlicheSchauspiel. Doch bald gesellte sich bei ihnen, zum Erschrecken über

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das grausame Geschehen, eine ganz natürliche Erleichterung hinzu,dass sie den Gefahren einer blutigen Schlacht entronnen waren. Erstjetzt begriffen die Männer, die Asgardun befreien wollten, welche Machtvon dem Druiden ausging. Verwundert fragten sie sich, wie es möglichwar, dass diese Macht verschwand? Zuerst nur vereinzelt, dann machtesich bei allen die Erleichterung Luft, dass es vorbei war, dass man lebte.Aus ihrem ausgelassenen Schreien und Jubeln formte sich immer mehrein Ruf.

„Asgardun!“, schallt es über die Ebene, womit alle die Hoffnung auf einebessere Zeit verbanden.

Benidor und Aberon teilten nicht die Gefühle ihrer Leute, sie sahen dieSache eher mit gemischten Gefühlen. Glaubten sie doch, dass dieChance vertan war, sich als kommende Könige zu beweisen.

„Es ist keine Kunst einen Menschen zu töten, aber ihn zu heilen und amLeben zu erhalten wie es euer Onkel Max vollbringt, das ist die wahreKunst“, appellierte Thyrogenius an Herz und Verstand der Prinzen, als erihre Gefühle erkannte.

Widerwillig gaben sich die Beiden geschlagen, was wohl vor allem daranlag, dass es keinen Feind mehr zu besiegen gab. Nachdem der Jubelverebbt war, erteilten die Prinzen die entsprechenden Befehle, um dasHeer zu formieren. Anschließend machten sie sich auf den langenMarsch nach Arthuradon.

*

Heute war der Tag der Premiere. Max stand hinter dem geschlossenenVorhang und blickte in den gefüllten Saal. Die Loge der Regentin warnoch leer, dafür schwatzten überall im Saal einflussreiche Patrizier unddie führenden Köpfe der Gilden lautstark miteinander. Auch sah er, dassJonathan die Loge direkt neben der Bühne besetzt hatte. Der idealePlatz, um von dort die Rolle des Erzählers zu schlüpfen. Wobei erfeststellte, dass er aus Jonathan nicht so richtig schlau wurde. Aufgewisse Weise war ihm Jonathan immer noch ein Rätsel. Offensichtlichein Mann der schönen Künste, schlummerte tief in ihm etwasvollkommen Gegensätzliches. Da war etwas, dass, wenn es aktiviertwurde, seine kreative Seite Verdrängte, um seine gewalttätige, sehr

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zerstörerische Seite zu Tage zu fördern. Wobei es nur logisch erschien,dass sogar diese gewalttätige Seite von Jonathan durchaus kreativ war.Jonathan kämpfte eben nicht mit roher Gewalt, alles geschah tänzerisch,sogar das töten. In seiner Erinnerung wirkte Jonathans Kampf mit demNordmann eher wie eine flüchtige Bewegung mit dem Schwert, dasdennoch tödlich endete. Jonathan schien seinen Gegnern den Tod ehereinzuhauchen, ja, das war der passende Ausdruck gestand sich Maxein.

Nachdem er den Gedankengang beendet hatte, widmete sich Maxwieder dem Geschehen vor der Bühne. Ganz deutlich spürte er, dass dieRegentin heute etwas Entscheidendes unternehmen würde. Er hattekeine Ahnung, wie er und seine Leute aus der Sache herauskommenwürden, doch er hatte volles Vertrauen in die alten Kräfte von Asgardun.

„Ach was, wir spielen unser Stück und dann sehen wir weiter“, machte ersich selber Mut.

„Was hast du eben gesagt“, wollte Jenny wissen, die sich leise vonhinten herangeschlichen hatte.

„Nichts, Jenny! Bin nur ein wenig kribbelig, ist schließlich eine Premiere,oder hast du schon mal in einem königlichen Theater gespielt?“

„Genau genommen ist es keine Premiere, wir haben das Stück schon sooft gespielt. Aber du hast recht, heute ist alles anders. Ich bin nurgekommen, um dir Glück zu wünschen.“ Jenny nahm Max in die Arme,spuckte ihm über die Schulter, wobei sie die alte Glücksformel sprach,„toi, toi, toi!“

„Danke Jenny, wird schon schief gehen.“

Gemeinsam mit Jenny verließ er die Bühne, denn soeben erklangdreimal ein Gong. Im Zuschauersaal wurden die Leuchter oben durch dieDecke gezogen, sodass nur noch ein paar Ampeln ein schummerigesLicht verbreiteten. Neben diesen Ampeln standen Diener, um sie beimletzten Gong vollkommen abzublenden. Gerade kam Unruhe im Saalauf, da die Regentin mit ihrem Hofstaat erschien, um in den reserviertenLogen platzzunehmen. Beim letzten Gong wurde es schlagartig dunkel,so dass einige ängstliche Damen einen spitzen Schrei ausstießen. DerVorhang ging auf und gab den Blick auf das erste, beeindruckende

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Bühnenbild frei. Als alle Zuschauer noch staunend auf den Bug desSchiffes blickten, der sich vor sternenbesetzten Himmel hob und senkteund dabei gelungene Attrappen von Wellenkämmen durchpflügte, erhobJonathan seine Stimme.

„Hört das Rauschen der Wellen, seht wie der Bug unseres Schiffes dieWellen durchschneidet auf dem langen, gefährlichen Weg zu denGestaden des märchenhaften Landes Inuba. Wir kommen genau zurrechten Zeit, um Zeuge von schicksalhaften Ereignissen zu werden. SeitStunden schon liegt die Königin Pirivula, in ihrem Schloss Salafaki, inden Wehen, um dem König den Thronhalter zu schenken. Folgt mir undstaunt.“

Langsam verblasten die Sterne, wobei sich in die aufkommendeDunkelheit das zweite Bühnenbild herabsenkte. Was die Zuschauerjedoch erst gewahrten, als ein versteckter Scheinwerfer hinter der Bühneeinen künstlichen, aber eindrucksvollen Sonnenaufgang erzeugte. ImLicht des aufgehenden Tagesgestirns konnten die Zuschauer einenersten Blick auf Schloss Salafaki werfen. Palmenwedel rauschten imVordergrund und fremdartiges Vogelgezwitscher erklang. Und mancherZuschauer glaubte den Duft der fremdartigen Blumen zu riechen, die imGarten vor dem Schloss wuchsen. Alles wirkte so echt und lebendig,dass sich die staunenden Zuschauer gar nicht an dem Bild sattsehenkonnten. Was sie eindrucksvoll, durch Laute des Bedauerns zumAusdruck brachten, als sich der Vorhang kurz senkte. Doch sofortverstummten die Geräusche, als der Vorhang verschwand und den Blickins königliche Schlafgemach frei gab. Wo die Königin in den Wehen lag,die Hebamme und zwei Mägde neben dem Bett standen, um ihr, in ihrerschweren Stunde, beizustehen. Vollkommen überraschend für dieZuschauer, waberte plötzlich eine dunkle Wolke durch das Gemach. Dieerschreckten Laute welche einige Zuschauer ausstießen, sprachendafür, dass sie die dunkle Wolke ängstigte, vor allem, da die Frauen imZimmer sie nicht wahrnahmen. Doch langsam wich der Schrecken einemStaunen, denn Max und seine Truppe spielten so gut wie noch nie undauch Jonathan übertraf sich selbst. Trotzdem war hier alles anders, alsim Zirkus Maximus, wo ihnen am Ende des Stückes immer brausenderBeifall entgegenschlug. Riefen die Zuschauer dort frenetisch, "tötete denWurm, tötet den Wurm", so schlug ihnen hier eisige Stille entgegen.

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Wobei es durchaus fraglich war, wie das Stück bei den Zuschauernankam. Vielmehr wirkte ihr Verhalten so, als wenn sie gespannt auf dieReaktion der Regentin warteten, aus Angst sich falsch zu verhalten. IhreReaktion ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Eiskalt durchschnittihre Stimme die unheimliche Stille, wobei sie aufstand, symbolisch dieHände bewegte, als wenn sie klatschte.

„Bravo, Bravissimo großer Maximus, handwerklich eine wirklichgelungene Aufführung. Aber das ändert nichts daran, dass ihr euch desHochverrats schuldig gemacht habt. Nehmt sie fest!“

Wie aus dem Nichts tauchte die schwerbewaffnete Garde der Regentinvor und hinter der Bühne auf. Damit auch ja niemand von denSchauspielern auf dumme Gedanken kam, richteten sich vieletodbringende Armbrüste auf sie, aber vor allem auf Jonathan. Auchwenn er seine Schwerter dabei gehabt hätte, was hätte er gegen einesolche Übermacht ausrichten können? Inzwischen hatte sich dieRegentin erhoben, war an die Brüstung ihrer Loge getreten, stützte sichlässig ab und verkündete siegessicher.

„Danke großer Theaterdirektor, dass du mir diejenigen, die ich solangesuchte, die Zwillinge, frei Haus geliefert hast“, dabei blickte sie vollerHass auf die blondgelockten Jünglinge, welche die Früchte von denverwunschenen Obstbäumen gegessen und anschließend den Wurmgetötet hatten.

Als wenn alle Vorwürfe der Regentin an ihm abprallten, machte Max einetiefe Verbeugung, um dann das Wort an die Regentin zu richteten.

„Hoheit, ich kann euch nicht ganz folgen. Die Beiden“, dabei zeigte er aufdie bewussten Schauspieler, „sie sind noch nicht mal entfernteVerwandte, geschweige denn Zwillinge. Genaugenommen weiß ichüberhaupt nicht von was und wem ihr sprecht. Tatsache ist und bleibt,die beiden sind nur Schauspieler. Wie immer haben sie nur eine Rollegespielt.“

Um alle Zweifel zu beseitigen gab Max den Blondgelockten einen Wink,worauf jene sich die Masken von den Gesichtern zogen. Hervor kamenJenny und Odo, die sich ein diebisches Grinsen nicht verkneifenkonnten.

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Die meisten Zuschauer schienen geschockt, da die Masken wie echteGesichter wirkten. Die Regentin stieß einen fürchterlichen Schrei ausund verließ wutschnaubend ihre Loge. Der neue Sachverhalt schien abernichts daran zu ändern, dass die Schauspieltruppe festgenommen war.Als sich Jonathan mit Bomba, der in der Loge, als Jonathan denErzähler mimte, ein Nickerchen machte, sich zu seinen Gefährten auf dieBühne begab, erfreute er sich der besonderer Aufmerksamkeit derGarde, da auch sie die Geschichte von seinen Kampfkünsten kannten.

„Wir sind alle unbewaffnet, auch werden wir keinen Widerstand leisten,würdet ihr also eure Mordinstrumente senken. Wovor habt ihr eigentlichsolche Angst?“, redete Max ruhig auf die Wachen ein.

Auf einen Wink des befehlshabenden Offiziers wurden dieFestgenommenen durchsucht und als wirklich keine Waffen gefundenwurden, entspannte sich die Situation sichtlich. Die Schauspieler wurdenvon der Garde umringt und während sie hinter die Bühne geleitetwurden, verfolgten sie einzelne Verräter-Rufe aus dem Zuschauerraum.Auf kürzestem Weg wurden sie durch den Hinterausgang in dengegenüberliegenden Turm des Palastes geführt, wo sich die sicherstenVerliese befanden. Am Ende landeten sie in einem großen Raum, dermit Käfigen unterteilt war. Max und Jonathan erhielten separate Käfige,der Rest der Truppe landete in einem etwas größerenGemeinschaftskäfig. Diese Art von Verwahrung hatte den Vorteil, dassdie Wächter alles beobachten konnten, es gab keinen Raum fürGeheimnisse. Während Max und Jonathan sehr gefasst wirkten, konnteman den anderen ihre Angst durchaus ansehen. Nach kurzer Zeiterschien der Kommandant der Garde, um sich zu Jonathans Käfig zubegeben.

„Herr, die Regentin hat Gefallen an deinem seltsamen Hund gefunden.Was die Frage aufwirft, warum soll das prächtige Tier mit dir zusammensterben? Wenn dir etwas an dem Tier liegt, dann gib es heraus“, kam erohne Umschweife auf den Punkt.

Jonathan kniete sich zu seinem Hund hin und flüsterte ihm etwas insOhr.

„Was machst du da?“, erreichte ihn sofort die barsche Stimme desKommandanten.

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„Na, wie sieht’s denn aus? - Ich verabschiedete mich von ihm und trugihm auf immer brav zu sein“, ignorierte Jonathan den barschen Ton undgab eine fast wahrheitsgemäße Antwort.

Unwillig schüttelte der Kommandant den Kopf und wies eine Wache an,den Käfig aufzuschließen. Als wenn er gerade nichts Besseres vorhatte,trottete Bomba aus dem Verlies und setzte sich artig vor demKommandanten hin. Der schien jedoch kein Vertrauen zu Bomba zuhaben, denn er wickelte ihm ein Seil um den Hals, um ihn dann hintersich herzuziehen. Hatte der Hund das Interesse der Regentin gefunden,so schien der kleine Nager in Jonathans Gürteltasche bei niemandAufmerksamkeit erregt zu haben. Daran änderte sich auch nichts, als eraus Jonathans Gewand und dann durch die Gitterstäbe kroch. Nur dieAugen von Jonathan und Max verfolgen aufmerksam den Weg derRatte, die auf den Namen Caligula hörte. Als das kleine Tierchen denZellentrakt verließ, trafen sich Jonathans und Max Augen.

Die Zeit verging und nichts geschah, nur Jonathan und Max wussten,dass die Zeit gerade für sie arbeitete. Im Gang zwischen den Käfigenstanden vier schwerbewaffnete Nordmänner und im Wach-Raumdahinter hielten sich bestimmt noch mehr auf. Keine leichte Aufgabe fürden kleinen Caligula. Nur war Caligula in dieser Welt mehr als nur einezahme Ratte und so kam der Tod zu den Wachen, bevor sie wusstenwie ihnen geschah. Ein auf mysteriöse Weise erschreckender Vorgang,als sich die Wachen mit ihren Händen an die Hälse fuhren und Blutzwischen den Fingern hervor spritzte. Dazu ein kurzes Röcheln undschon brachen sie vom Tode gezeichnet zusammen. Kein Wunder, dasssich die Schausteller Truppe zu Tode erschreckte. Sie hatten sich nochnicht von ihrem Schrecken erholt, als wie aus dem Nichts einschmächtiger Jüngling zwischen den niedergesunkenen Wachenauftauchte. Er bückte sich, um sein blutverschmiertes Messer an derenSachen abzuwischen. Dabei nahm er einer Wache auch dasSchlüsselbund für die Zellen ab. Zuerst wand er sich dem Käfig zu,indem Jonathan gefangen gehalten wurde. Zum verständlichen Grauenin den Gesichtern der Schauspieler gesellte sich nun auch nochUnverständnis darüber, wie vertraut Jonathan mit dem Schmächtigenwar.

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„Caligula?“, stieß Max ungläubig aus, um gleich darauf ein verstehendes„Roxane“ hinterherzuschicken.

Als die anderen Gefangenen begriffen, dass ihr Retter das possierlicheTierchen zu sein schien, dass sonst in Jonathans Gürteltasche wohnte,brach ein regelrechter Tumult aus. Es fielen Worte wie: „das ist doch garnicht möglich; was für ein blutrünstiges Monster; unglaublich; das machtmir Angst; kann ja gar nicht sein; sowas gibt es nicht; unmöglich; wie hater das nur gemacht: hat einer was gesehen?“

Während Caligula Jonathan das Schlüsselbund reichte, schaute erbetreten zu Boden, so dass Jonathan seinem Retter besänftigend, aberauch verständnisvoll über die Schultern streichelte.

„Danke Caligula, gut gemacht“, brachte er dann gleich auch noch seineAnerkennung zum Ausdruck, um sich dann an die Anderen zu wenden.

„Egal wie ihr zu der Sache steht, ihr solltet nicht vergessen, dass unsunser kleiner Freund gerettet hat. Er hatte keine Zeit, aber auch nicht dieMöglichkeit, um die Sache unblutig zu erledigen. Er ist seinem Instinktgefolgt. Die Seinen waren in Gefahr, die anderen der Feind. Sein odernicht Sein, diese Frage stellte sich ihm und er hat sich für unsentschieden, also seit ihm dankbar, etwas Anderes hat er wahrlich nichtverdient.“ Und obwohl sich Jonathan bemühte ruhig zu bleiben, war ihmdeutlich anzumerken, dass er voll und ganz hinter Caligula stand.Während seiner Worte vergaß er jedoch nicht die anderen Käfigeaufzuschließen.

„Ist ja schon gut Jonathan, du hast ja recht. Doch bedenke wie diesesEreignis auf einen unvorbereiteten Menschen wirken musste. DerAnblick war einfach grausig“, bat Max um Verständnis für seine Leute.

Auch wenn das Gemurmel aus dem großen Käfig zum Einen beschämtund verwirrt klang, so war es vor allem Zustimmung zu dem was Maxanführte.

„Mag alles sein, doch wie sah denn die Alternative aus? Oder glaubtwirklich einer von euch, dass die Regentin Gnade hätte walten lassen?“Bei seiner Feststellung warf Jonathan einen grimmigen Blick in denKäfig der Schausteller.

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Bevor sie das Thema vertiefen konnten, füllte ein riesiger Koloss denTürrahmen aus, wobei er beim Eintreten, den Kopf noch senken musste.

„Was ist denn das“, durchschnitt der spitze Schrei von Jenny die Stille.

„Melde mich zurück Boss“, dröhnte eine tiefe Stimme aus dem Mund desMonstrums. „Ich habe die Regentin gleich mitgebracht.“

Erst jetzt bemerkten Jonathan und seine Freunde, dass der Koloss,welcher Jonathan mit Boss ansprach, etwas unter dem Arm trug.

„Sie hat so laut geschrien und rumgestrampelt, dass ich sie in einenTeppich wickelte und ihr ein Tuch in den Mund stopfte“, entschuldigtesich der Koloss bei Jonathan.

„Schon gut Bomba, du hast alles richtig gemacht“, beruhigte ihnJonathan.

„Hätte ich mir ja gleich denken können, wenn Roxane in die Trickkistegreift, dann tut sie es auch richtig.“

Max schüttelte den Kopf, als wenn er sich selber schalt. Den restlichenSchauspielern hatte es inzwischen total die Sprache verschlagen, sodass sie mit offenen Mündern von Bomba zu Caligula gafften.

„Wie geht es denn nun weiter?“, schien der alte Fergus als erster dieFassung wieder zu finden.

„Na das liegt doch auf der Hand. Die Regentin führt uns zur Ex-KöniginIsabella. Danach reden wir Desdemona gut zu, damit sie abdankt undIsabella, die eigentliche Königin, an ihre Stelle treten kann“, schien Maxgut vorbereitet auf ihre Fragen zu sein.

Bomba hatte den Teppich inzwischen an die Wand gestellt und Maxentfernte der Regentin den Knebel, dabei redete er leise, aberbestimmend auf sie ein.

„Kein Geschrei, kein Geschimpfe, auf Fragen wird wahrheitsgemäßgeantwortet, sonst lernst du mich kennen.“

Desdemonas angstgeweitete Augen blickten zwischen Max und demmonströsen Bomba hin und her, dann nickte sie verstehend mit demKopf.

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„Aber nur wenn du mir das Monstrum vom Leib hältst werde ichkooperieren“, stellte sie doch noch eine Bedingung.

„Das sollte kein Problem sein“, mischte sich Jonathan ein, „ich wolltesowieso gerade mit meinen Freunden verschwinden. Fühle mich ohnemeine Schwerter irgendwie nackt.“

Ohne eine Antwort abzuwarten verschwand Jonathan mit seinenmenschgewordenen, tierischen Freunden durch die Tür, um sich auf denWeg zum Theater zu machen. Max und seine Gefährten, nun auf sichallein gestellt, entschlossen sich dazu, die herumliegenden Waffen dertoten Wachen an sich zu nehmen. Sicherheitshalber verschloss Maxnoch die Tür zum Verlies, dann warteten sie unruhig auf die Rückkehrihrer kampferprobten Freunde. Als es nach einer Ewigkeit, so kam esden Wartenden jedenfalls vor, an der Tür klopfte, hatte Max seinen Teilder Arbeit erledigt, denn er wusste inzwischen wo die Ex-Königingefangen gehalten wurde. Dafür hatte er der Regentin Erleichterungverschafft und sie vom Teppich befreit. Doch sein Vertrauen zuDesdemona hielt sich in Grenzen, deshalb hatte er ihr die Hände aufdem Rücken gefesselt. Jonathan schlug die beiden Zauberstäbe, die erebenfalls mitgebracht hatte, gegeneinander, um Max zu verdeutlichen,dass sie sich endlich auf den Weg machen sollten, um Isabella zubefreien. Auf dem Weg durch den Palast bildeten Jonathan, Bomba undCaligula die Spitze. Stellten sich ihnen Wachen in den Weg, obwohl dieRegentin sie aufforderte die Waffen niederzulegen, dann machten sieBekanntschaft mit Bomba und seiner Holzkeule. Am Ende ihres Weges,standen sie im obersten Stockwerk, des östlichen Turmes, vor einerverschlossenen Tür.

„Den Schlüssel!“, flüsterte Max nur, worauf die Regentin eine Bewegungmit dem Kinn zu ihrem Ausschnitt hin machte.

Ungeniert löste Max den Verschluss und zog die Kette heraus, an derenEnde ein Schlüssel hing. Zuversichtlich steckte er den Türöffner insSchloss und drehte ihn herum. Leise schwang die Tür auf und sein Blickfiel auf eine wunderschöne Frau, die am Fenster saß und hinausblickte.Langsam, ohne jede Neugier, wandte die Frau ihr Gesicht Richtung Tür.Ihr fragender Blick wich einem gewissen Erstaunen, als sie sah, wie Maxniederkniete.

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„Hoheit, wir sind gekommen, um euch zu befreien. Eure Söhne sind miteinem großen Heer auf dem Weg nach Arthuradon und die Regentin istunsere Gefangene.“

Fassungslos starrte Isabella auf denjenigen, der die frohe, die unerwartete Botschaft brachte. Schnell wand sie ihr Gesicht ab, um sich miteinem Tuch die verdächtigen Tränen weg zu tupfen. Als sie sich wiedergefasst hatte und erhob, war sie wieder ganz in die Rolle der Majestätgeschlüpft, die sie vor dem Tode ihres Mannes war.

„Erhebt euch mein Freund und berichtet mir.“

„Meine Name ist Max“, druckste der Angesprochene herum, „draußenwarten meine Freunde und eigentlich haben wir keine Zeit für einenSchwatz. Die Regentin muss abdanken und ihr müsst die Amtsgeschäfteübernehmen. Die Nordmänner müssen entwaffnet werden und das Volkvon Arthuradon muss vom Machtwechsel erfahren. Was ich damit sagenwill, wir haben viel zu tun.“

Isabella nickte verstehend mit dem Kopf, trat vor ihren Retter und hieltihm die Hand hin.

„Danke, Max! Bitten sie doch ihre Freunde herein und stellen sie sie mirkurz vor, soviel Zeit muss sein.“

„Aber natürlich, so viel Zeit muss wirklich sein“, stimmte Max Isabella zuund verschwand nach draußen.

Isabella hörte nur ein leises Stimmengemurmel, dann traten ihre Befreierein und formierten sich zu einer lockeren Reihe. Während Max mit derEx-Königin die Reihe abschritt stellte er ihr seine Mitstreiter vor.

„Fergus, spielt in meiner Theatertruppe meistens den König, bei Golound Albin ist ja wohl klar, welche Rolle sie übernehmen, Odo, HansDampf in allen Gassen, Jenny und Artemis übernehmen alle weiblichenRollen wie sie kommen und Nelly ist für unser leibliches Wohl zuständig“.Max legte eine kleine Pause ein, schnappte nach Luft und leckte sich mitder Zunge über die trockenen Lippen.

Staunend registrierte Isabella, dass sie nicht von Soldaten, sondern voneiner Theatertruppe befreit wurde, worauf ihr ein kaum verständliches,

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„unglaublich“, über die Lippen kam. Plötzlich hefteten sich ihre Augen anDesdemona, die sich hinter den Schaustellern zu verstecken versuchte.Während in Isabellas Blick kein Hass, nichts Nachtragendes, sondereher Mitleid zu erkennen war, hatte sich ihre Gegenspielerin nicht so gutim Griff. Aus ihrem maskenhaften Gesichtsausdruck sprach deutlich ihreUnversöhnlichkeit, was noch durch die Giftpfeile, die sie mit ihren Blickenverschoss, verstärkt wurde. Max, dem die Situation nicht verborgenblieb, lenkte das Interesse Isabellas geschickt auf Jonathan.

„Ein unverzichtbarer Freund, genialer Erzähler, Weltenreisender undTaiquan, der mit seinen Freunden, Bomba und Caligula großen Anteil aneurer Befreiung hatte. Außerdem lehrte er eure Söhne seineaußergewöhnliche Fechtkunst, damit sie sich gegen ihre Feindeerfolgreich verteidigen können.“

Ob so viel Lob von Max schaute Jonathan verlegen zu Boden, währenddie Ex-Königin bei der Erwähnung ihrer Söhne sichtlich aufgeregt wurde.

„Ja, es geht ihnen gut“, beruhigte sie Max sofort, „und bald werdet ihr siein eure Arme schließen. Doch jetzt sollten wir in den Thronsaal, um dieanstehenden Formalitäten zu regeln“.

Bei dieser Ankündigung versteifte sich Desdemona und ihrGesichtsausdruck glich eher einer teuflischen Maske, als dem einerschönen Frau.

„Bomba und Caligula ihr kümmert euch um die Regentin, ich traue ihrnicht über den Weg. Sollte sie auch nur den geringsten Versuch vonVerrat unternehmen, zerquetschst du ihren Kopf zu Mus“, dabei sah Maxden kolossalen Gefährten von Jonathan auffordernd an.

Bomba wollte sich gerade gegen ein solches Ansinnen wehren, als erdas leichte Zwinkern in den Augen von Max gewahrte.

„Mit Vergnügen“, dabei klatschte er seine Hände zusammen, dass alleerschrocken zusammen fuhren. Als der Koloss das bemerkte, legte ersein Gesicht in Falten und stammelte verlegen, „tut mir leid, ich wollteniemanden Erschrecken, hab einfach zu viel Kraft.“

Caligula flüsterte der Regentin etwas ins Ohr, worauf sie ihreGesichtsfarbe verlor, während Bomba so tat, als wenn er eine imaginäre

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Kugel zwischen seinen riesigen Pranken zerquetschte. Soeingeschüchtert verließ Desdemona der letzte Mut, etwas schien in ihrzusammenzubrechen.

„Also mach keinen Quatsch“, flüsterte ihr Caligula mit piepsiger Stimmeins Ohr, „erspar mir einfach den ekeligen Anblick, wie dein Gehirnzwischen Bombas Fingern hervorquillt.“

Bewusst regte Caligula die Fantasie der Regentin an, wobei er zuvorschon durchblicken ließ, wie die Wachen gestorben waren. Er überließes ihrer Fantasie was passieren würde, wenn sie auch nur an Verratdachte. Er hatte keine Skrupel der bösen Frau die Kehledurchzuschneiden, wenn sie auch nur den leisesten Versuch unternahmseinem Herrn zu schaden.

Isabella wurde, ob so viel Treue, gerade von einer Welle der Rührungergriffen. Sie machte vor ihren Befreiern einen Knicks und bedanke sichimmer wieder bei ihnen. Peinlich berührt drängte Max zum Aufbruch. Bisauf unwesentliche Zwischenfälle, einige Wachposten wollten ihre Waffenpartout nicht niederlegen, bis ihnen Bomba auf umwerfende Art, mitseiner Keule klarmachte, dass es einfach gesünder für sie war,erreichten sie den Thronsaal. Während Isabella auf dem Thronplatznahm und sich ihre Begleiter daneben aufstellten, donnerte Bombaseine Keule so stark auf die Marmorfliesen, dass das Gebäude erzitterte.Wenig später erschienen Hofbedienstete, Beamte, der Hofmarschall undder Hauptmann der Garde mit wenigen Getreuen. Ein unglaublichesTohuwabohu brach aus, bis Max mit einer Stimme, die ihm niemandzugetraut hätte, den Lärm übertönte.

„Die Regentin dankt ab, die Ex-Königin Isabella übernimmt dieAmtsgeschäfte, und ihr“, seine ausgestreckte Hand zeigte auf denHauptmann der Garde, „ihr legt sofort eure Waffen nieder“.

„Wer seid ihr, dass ihr uns Befehle erteilt?“, ließ sich der Hauptmannjedoch nicht beeindrucken.

„Mein Kanzler“, herrschte ihn Isabella an.

Inzwischen hatte Jonathan vor dem Hauptmann und seinen LeutenStellung bezogen, wobei er den Hauptmann mit gelassenem Blickfixierte.

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„Tut besser was der Kanzler sagt“, sprach Jonathan mit einer Ruhe inder Stimme, die den Hauptmann aufhorchen ließ.

„Seid ihr derjenige, den man den Taiquan nennt? Du magst zwei, dreivon uns töten doch niemals alle“, stellte der Hauptmann kalt fest.

„Wer hat gesagt, dass ich mit euch kämpfen werde? Ich kämpfe nur ummich oder meine Freunde zu verteidigen, dass wird jedoch nicht nötigsein. Benutzt einfach euren Verstand, was meint ihr wohl, wo der Restdeiner Leute ist? Legt die Waffen nieder und ihr behaltet Leben undFreiheit. Ich finde, ein durchaus annehmbarer Handel. Also entscheideteuch, aber sofort!“

Als neben Jonathan die gewaltige Gestalt von Bomba auftauchte, ließendie ersten Wachen ihre Waffen scheppernd auf den Marmorboden fallen.Der Hauptmann kämpfte einen schweren inneren Kampf, doch dannsiegte seine Vernunft. Resigniert drehte er ab und verließ, gefolgt vonseinen Gefährten, geschlagen den Thronsaal.

„Puh, das war aber knapp“, stieß Odo aus.

„Für wen?“, erwiderte Jonathan grinsend, was seinen Gefährten einerleichtertes Lachen entlockte.

Der Hofmarschall und einige Beamte wandten sich an Max, umInstruktionen zu erhalten, wie es weitergehen sollte. Max, der sich nichtangesprochen fühlte, sah sich hilfesuchend um, bis er den Blick vonIsabella gewahrte, da begriff er, dass das mit dem Kanzler kein Spaßwar.

„Das nenne ich mal eine Kariere, vom Theaterdirektor zum Kanzler“,stieß Jonathan belustigt aus. „Hat der Herr Kanzler vielleicht eineAufgabe für mich?“

Max winkte unwirsch ab und wurde im nächsten Moment von denaufgeregten Hofbeamten umringt. Jeder wollte sich in den Vordergrunddrängen und dem neuen, starken Mann an der Seite der neuen und altenHerrscherin zeigen, dass er auf ihn zählen konnte. Der Rest der Weltschien für Max hinter dieser Kulisse zu versinken, so dass sich Jonathanbemüßigt fühlte seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Er begab sichzu Isabella die offensichtlich, tief in Gedanken versunken, den ganzen

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Trubel auf diese Weise entfloh. Jonathan blieb abwartend vor ihr stehen,doch als ihn die Ex-Königin und neue Herrscherin von Askalan nichtbemerkte, sprach er sie leise, aber mit Nachdruck an, „Hoheit!“

Isabella blickte ihn fast gequält an, doch dann fasste sie sich und blickteihrem Retter dankbar in die Augen.

„Was wünscht ihr, Jonathan?“

Jonathan trat ganz dicht neben Isabella, beugte sich nach vorn undflüsterte ihr etwas ins Ohr. Danach drehte er seinen Kopf, so dass sichsein Ohr dicht am Mund von Isabella befand, um Isabellas Antwortentgegen zu nehmen. Am Ende nickte Jonathan verstehend. Bomba undCaligula bemerkten sofort Jonathans fordernden Blick, bei Golo undAlbin musste er zusätzlich noch energisch mit der Hand winken.

„Folgt mir, falls ihr mit dem sinnlosen Rumstehen nicht zu beschäftigtseid?“, forderte Jonathan die Auserwählten auf, ohne eine weitereErklärung abzugeben.

Caligula hatte zwar Jonathans Blick verstanden, doch da er noch eineandere Aufgabe wahrnahm, richtete er seinen Blick auf die Regentin undzuckte mit den Schultern.

„Genau um sie geht es doch“, knurrte Jonathan ihn an, „oder willst du dienächste Zeit damit verbringen auf sie aufzupassen? Wir brauchen einensicheren Ort für sie und ich habe einen gefunden.“

Bevor Desdemona den Mund zu einem Widerspruch öffnen konnte,herrschte sie Jonathan mit einem unmissverständlichen „Nein“ an, undwies Bomba an, die Regentin wieder zu knebeln und in den Teppicheinzuwickeln. Brauchte ja niemand zu wissen, wohin sie die Regentinbrachten. So bemerkten die meisten Anwesenden im Thronsaal nichtmal, wie sie mit der Regentin verschwanden. Bevor sie aus dem Palasttraten, übergab Bomba den kostbaren Teppich an Golo, um sich gleichdarauf wieder in eine Bulldogge zu verwandeln. Caligula folgte demBeispiel seines großen Freundes und verwandelte sich auch wieder inseine Urform. Golo und Albin sahen sich bei so viel Zauber betroffen an,auch weil sie den Grund nicht verstanden. Natürlich, blieb es nicht aus,dass die Kunde vom Umsturz auch die Burgbesatzung erreichte. Wenwunderte es, dass das schwere, eisenbeschlagene Tor geschlossen war.

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Jonathan erhob laut seine Stimme, um die Aufmerksamkeit derBurgbesatzung auf sich zu ziehen. Mit lauter Stimme forderte er dieBurgbesatzung auf das Tor zu öffnen und ihm die Burg zu übergeben.Niemand auf der Mauer beachtete das kleine, unscheinbare Tierchen,Das sich auf die Burgmauer zu bewegte, um dort in einer Mauerritze zuverschwinden.

„Die Regentin hat ihr Amt niedergelegt und ich bin im Namen derrechtmäßigen Königin Isabella von Askalan hier, um ihre Interessen zuvertreten. Im Namen der rechtmäßigen Herrscherin fordere ich euch einletztes Mal auf das Tor zu öffnen. Ansonsten müsst ihr dieKonsequenzen tragen. Spätestens wenn die wahren Thronerben, dieSöhne von Isabella und dem verstorbenen König Ulf, mit ihrem großenHeer hier einmarschieren. Seid nicht dumm, erkennt, dass sich dieMachtverhältnisse zu euren Ungunsten verschoben haben. Noch ist Zeit,noch habt ihr die Gelegenheit euch für die richtige Seite zu entscheiden.Nutzt eure Chance!“

Anscheinend machte Jonathan mit seiner kleinen Abordnung keinenEindruck auf die Burgbesatzung, was dann auch den Worten desBurgkommandanten zu entnehmen war.

„Mag sein, mag nicht sein. Euch kennen wir nicht, dass muss uns schondie Regentin selbst sagen. Wenn euch euer Leben lieb ist, dann haltetihr und eure Leute Abstand! Bestätigt die Regentin eure Angaben undgibt den Befehl zur Übergabe, dann werden wir uns einig, ansonstenmüsst ihr die Burg einnehmen, ich übergebe sie euch jedenfalls nicht“,ließ der Kommandant keine Zweifel daran aufkommen, wem seineLoyalität galt.

„Ich kann euer Misstrauen zwar nicht nachvollziehen, doch wenn ihrdarauf besteht, dann soll es so sein“, ging Jonathan nach einer kurzenBedenkzeit auf die Forderung des Burgkommandanten ein.

Auf sein Zeichen legte Golo den Teppich auf das steinigeStraßenpflaster und rollte ihn aus, so dass die Regentin zum Vorscheinkam. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit hob er sie hoch und stellte sieauf ihre Beine, was ihm jedoch einen bösen Blick von ihr eintrug.Jonathan hingegen nahm keine Rücksicht auf die Gefühle Desdemonasund gab ihr einen kleinen Schubs Richtung Burgtor, so dass sie sich mit

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auf dem Rücken gefesselten Händen und Knebel im Mund auf den Wegmachen musste. Die Männer auf der Mauer und hinter denSchießscharten starrten ungläubig auf ihre allmächtige Herrscherin,dabei übersahen sie den kleinen Hund, der neben ihr herlief.Misstrauisch machte einer der Männer eine kleine Klappe im Tor auf undspähte hinaus. Als er niemand außer der Regentin sah, öffnete er diekleine Pforte, die im riesigen Tor eingelassen war, um die Regentin in dieBurg zu ziehen. Natürlich achtete der Posten nicht auf den kleinen Hundund so nutzte Bomba die Gelegenheit, um ebenfalls in die Burg zugelangen. Die Überrumpelung war perfekt, als Bomba in der Gestalt desKolosses mit seiner riesigen Keule den Torwächter bedrohte, währendCaligula dem Burgkommandanten ein Messer an den Hals hielt. Bevorsich die restliche Burgbesatzung von ihrem Schrecken erholte, hatteBomba schon das Tor geöffnet, so dass Jonathan den Innenhof betretenkonnte. Sich wachsam umblickend, hielt der es nicht mal für nötig seineSchwerter zu ziehen. Mit seiner Selbstsicherheit demonstrierte er demBurgkommandanten seiner Überlegenheit, was sich auch in seinenWorten ausdrückte.

„Eine kluge Entscheidung uns die Burg zu übergeben. So deute ichjedenfalls euer Verhalten. Widersprecht mir, wenn ich falsch liege. Vonjetzt ab dient ihr der neuen Herrscherin, dass heißt ihr habt meineBefehle ohne Widerspruch zu befolgen. Wenn ihr jedoch meint, dass ihrdas nicht wollt, warum auch immer, dann solltet ihr sofort eure Waffenniederlegen und anschließend Burg und Stadt verlassen. Das giltübrigens auch für alle anderen“, wand sich Jonathan auch an dierestlichen Männer der Burgbesatzung. „Ihr müsst euch jetzt sofortentscheiden! Das Tor ist offen, ihr könnt gehen, ansonsten untersteht ihrmeiner Befehlsgewalt. Verrat wird mit dem Tode bestraft, also?“

Jonathans fester Blick ging von einem zum anderen. Drei Mann ließenihre Waffen fallen und traten durch das Tor, dem Rest war es vermutlichegal, wem sie dienten. Als wenn von ihnen keine Gefahr ausging, drehteJonathan ihnen den Rücken zu, um sich nach links auf den dortigenTurm zuzuwenden. Seine Gefährten mit der Gefangenen folgten ihm,obwohl es ihnen schwer fiel genauso sicher zu wirken wie Jonathan.

Diese Verhalten musste für die Burgbesatzung deprimierend sein, sahes doch so aus, als wenn die Eindringlinge ihnen nichts zutrauten. Nur

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der Burgkommandant schien eine Chance in Jonathan Verhalten zusehen, er riss einem Soldaten den Speer aus der Hand, doch als er mitdem Arm zum tödlichen Wurf auf Jonathans Rücken ausholte, brach erröchelnd zusammen. Entsetzt blickten seine Soldaten auf das Blut, dasaus seinem aufgeschlitzten Hals spritzte, ohne eine Erklärung dafür zuhaben. Widerwillig drehte sich Jonathan um, weil er schon wusste, dassihn kein schöner Anblick erwartete. Doch dann riss er sich zusammenund brachte die Sache zu Ende.

„Wie ich schon sagte, Verrat wird mit dem Tode bestraft. Wer nochinnerhalb der Burgmauern anwesend ist, wenn ich zurückkomme, deruntersteht meiner Befehlsgewalt. Noch ist Zeit zu verschwinden.“ Damitwar nun wirklich alles gesagt und Jonathan schritt auf den Eingang desTurms zu.

„Muss denn der Kleine jedem, der aus der Reihe tanzt, immer gleich dieKehle durchschneiden?“, hörte er hinter sich die Stimme von Golo.

„Er hat versucht Jonathan hinterrücks zu töten. Was meinst du in diesemZusammenhang, mit aus der Reihe tanzen?“, ließ Albin den Einwandseines großen Freundes nicht gelten.

Golo schnaufte laut, damit war die Sache erledigt. Im Inneren des Turmsführte eine Wendeltreppe tief nach unten, dort wo es besonders dunkel,kühl und feucht war. Jonathan griff eine der Fackeln, die in Abständen ander Wand in Halterungen steckten und zündete sie mit seinemSturmfeuerzeug an. Golo griff sich die nächste Fackel und hielt sie andie brennende von Jonathan. Sofort warfen die Flammen gespenstischeSchatten an die graue Wand, die sich in zuckenden Bewegungen dieWendeltreppe immer weiter nach unten begaben. Am Ende versperrteihnen eine schwere, metallbeschlagene Tür den Weg. Suchend hieltJonathan die Fackel an die dunkle Wand, bis er den Schlüssel fand. DasDing war schon rostig und ließ sich nur schwer im Schloss bewegen.Knarrend öffnete sich die Tür und gab den Blick auf einen völlig leerenRaum frei. Nur ein rundes Gitter im Boden ließ erahnen, wo sich daseigentliche Verlies befand. Desdemona blickte mit schreckensweitenAugen auf das, was ihr bevorstand. Caligula und Albin lösten dieHalterungen des Gitters und Bomba hob es heraus, so dass die dunkleÖffnung sie fast wie ein wildes Tier ansprang. Jonathan zog Desdemona

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den Knebel aus dem Mund und Caligula zerschnitt die Fesseln auf ihremRücken. Mit einem wilden Aufschrei wollte sich die ehemalige Regentinauf Jonathan stürzen.

„Halt“, zischte Jonathan leise, aber umso gefährlicher, „du hast die Wahlzwischen dem da“, seine Hand zeigte auf das Loch, „oder dein Lebenendet hier und jetzt. Oder glaubst du wirklich ich traue einer Frau wie dir,die ihren Mann umbringen lässt und mit seinem Mörder schläft.“

„Woher weißt du?“, stammelte Desdemona geschockt und sank in sichzusammen.

„Ich weiß es, das sollte genügen“, klang Jonathans Stimme kalt undschneidend wie ein Blizzard.

Golo hatte inzwischen ein Seil gefunden, an dem die Bemitleidenswertenin das dunkle Loch gelassen werden konnte. Er ließ ein Ende imdunklen Loch verschwinden, bis er nur noch das andere Ende in derHand hielt. Jonathan zeigte wortlos auf das Seil und Desdemona ergabsich endlich in ihr Schicksal. Langsam verschwand ihr Körper in demdunklen Schlund, bis nur noch ihr Gesicht zu sehen war. Ein letzterhasserfüllter Blick auf ihre Bezwinger, dann ward sie nicht mehrgesehen. Gleich nachdem das Seil herausgezogen, das Gitter eingesetztund verriegelt war, gab Jonathan das Zeichen zum Aufbruch.

„Sie hat es verdient eine Zeit da unten zu schmoren. Morgen bringe ichihr Essen, Trinken und einen Eimer für die Notdurft. Was mit ihr am Endegeschieht, das müssen andere entscheiden“, erklärte Jonathan seinenMitstreitern.

Nachdem er die Tür verschlossen hatte, ließ er den Schlüssel in einerTasche verschwinden. Seiner Meinung nach hatte er das ProblemDesdemona fürs erste gelöst. In den Thronsaal zurückgekehrt, stellteJonathan fest, dass Max gerade die letzten Befehle erteilte. Isabellahatte sich schon zurückgezogen. Auf dem Rückweg zu ihrem Quartierberichtete Jonathan seinem Partner, was er inzwischen erledigt hatte. ImQuartier angekommen, stellten die Beiden fest, dass Nelly und Jennyauch nicht untätig gewesen waren. Die Tafel war reich gedeckt und ludzum Abendmahl ein. Das gute Essen und ein noch besserer Roter

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trugen dazu bei, dass sich der Druck bei der Schaustellertruppe nachund nach löste.

„Jetzt muss ich nur noch den Professor in die Finger bekommen, dannkann ich wieder in meine Welt zurückkehren“, kündigte Jonathanfrohgelaunt an.

Zu seinem Erstaunen bemerkte er, dass seine Ankündigung nichtannähernd so positiv aufgenommen wurde, wie sie in seinen Ohrenklang. Er blickte mehr in betroffene, fast traurige Gesichter.

„Leute, Freunde, es war doch von Anfang an klar, dass ich hier nichtganz freiwillig bin. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass, wennmeine Aufgabe erfüllt ist, ich und meine Begleiter wieder heimkehren. Ichwurde in eine andere Welt hineingeboren, sie fehlt mir, auch wenn sienicht vollkommen ist. Kein Grund zum Katzenjammer, eine Weile bleibeich euch ja noch erhalten, da irgendein Kerl, mit dem Heer der Regentin,Burg Falkenhorst belagert.“

„Darauf ein Prost!“ Max hob seinen Kelch, blickte auffordernd in dieRunde, bis seine Gefolgsleute seinem Beispiel folgten.

Im Dunkeln der Nacht verließen Menschen die Stadt, denen derMachtwechsel negative Veränderungen versprach. An einem sicherenPlatz würden sie ihre Wunden lecken und auf eine Schwäche der neuenHerrscherin warten. Doch darauf würden sie vergeblich warten.Geschickt lenkte Max die Geschichte in eine Richtung, die die Zeitenunter Desdemonas Herrschaft vergessen ließ. Vierzehn Tage späterfestigten sich die neuen Machtverhältnisse auf eindrucksvolle Weise.Hörner erschallten von den Türmen der Stadtmauern und bald daraufläutete die große Glocke des Doms, um den Bürgern das Erscheineneines großen Heeres anzukündigen. Auf der anderen Seite des Vatyrentstand ein großes Feldlager, denn für die Masse des Heeres war dieStadt zu klein. Nur eine kleine Abordnung setzte über den Fluss, um indie Stadt zu gelangen. An der Spitze des kleinen Zuges ritten diePrinzen mit Thyrogenius, dahinter folgten hohe Persönlichkeiten aus denMarken Bersaskhan, Gabolon, Nhabu, Vrandyx und Quantaq. Gleichhinter dem Torhaus wurde die Abordnung von blumengeschmückten,Fähnchen schwenkenden Bürgern Arthuradons empfangen. Diefröhliche, ausgelassene Menschenmenge flankierte den Weg bis zum

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Palastviertel. Vor dem Tor zum Palastviertel wurden die Ankömmlingevon einer aufgeregten Isabella erwartet, sollte sie doch heute zum erstenMal ihre Söhne in die Arme schließen. Alle Bemühungen von Max, dieAufregung der Herrscherin herunterzufahren, schlugen fehl und so gaber sich geschlagen.

Jonathan und seine Gefährten hielten sich etwas im Hintergrund, amliebsten hätte er gar nicht am Empfang teilgenommen, doch Isabellabestand darauf. Als Isabella die jungen Männer an der Spitze des Zugesgewahrte, verlor sie endgültig ihre Fassung. Da kamen ihre so langevermissten Söhne, was scherten sie das Protokoll. Isabella ließ ihrenGefühlen einfach freien Lauf, was dazu führte das sie anfing aufgeregtzu hüpfen. Beim Anblick ihrer Mutter hielt es Benidor und Aberon nichtmehr in den Sätteln. Sie sprangen von den Pferden und eilten ihrerMutter entgegen. Glücklich fielen sie sich in die Arme und schämten sichauch ihrer Tränen nicht.

„Lasst euch ansehen, meine geliebten Söhne. Groß und erwachsen seidihr geworden. Du bist mein Erstgeborener“, wandte sich Isabella ihremSohn Aberon zu, „und du mein Zweitgeborener“, dabei lachte sie Benidoran.

„Aber Mutter, wie kann es sein? Wir gleichen uns wie ein Ei demAnderen, bisher konnten uns nur Max und Jenny auseinanderhalten“,dabei berührte Aberon mit der Hand seine Stirn über der linkenAugenbraue.

„Gib es zu, du hast geraten und Glück gehabt“, fand auch Benidor denUmstand erstaunlich, dass ihre Mutter sie auseinander halten konnte,obwohl sie sie heute das erste Mal sah.

Isabella lachte glücklich auf, doch dann musste sie feststellen, dass danoch mehr Menschen waren, die an ihrem Glück teilhaben wollten.Immer lauter wurde der Ruf der Menge nach Isabella und ihren Söhnen.

„Hört meine Söhne die Pflicht ruft. Wir werden uns wohl dem Volkezeigen müssen“, wurde Isabella eine Nuance ernster. „Max hat an allesgedacht, hat extra ein erhöhtes Podest errichten lassen, also kommt.“

Gemeinsam stiegen sie, gefolgt von Max, die breite Holztreppe zumPodest hinauf. Als sie sich oben dem Volke zeigten stieg der Lärmpegel

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noch weiter an, bis Max vortrat und die Arme hob. Viele der Bürgerkannten Max als einen Menschen, der immer da war, wenn Hilfegebraucht wurde, aber auch als denjenigen, der ihnen unterhaltsame,amüsante Kurzweil in seinem Theater bescherte. Er besaß die Achtungder Bürger, also verstummten sie und warteten gespannt, was ihnendieser Max zu sagen hatte.

„Bürger von Arthuradon, die Regentin Desdemona hat abgedankt, dassKönigreich Askalan gehört der Geschichte an. Dass Fürstentum Askalankehrt in den Schoß der Gemeinschaft von Asgardun zurück. Die FürstinIsabella und ihre Söhne Aberon und Benidor werden ab jetzt dieGeschicke unseres Fürstentums lenken.“

Max trat zurück und schob die Drei nach vorn, damit das Volk sie inAugenschein nehmen konnte und schon brach der Jubel wieder los. Maxhatte mit Steuererleichterungen dafür gesorgt, dass der Umbruch an derSpitze des Fürstentums von der Bürgerschaft positiv aufgenommenwurde. Des Weiteren warb er auf dem Markplatz mit Freibier und Essensatt darum, dass das neue, alte Herrschergeschlecht angenommenwurde. Feierten die einfachen Bürger auf dem Marktplatz, so zogen sichdie Honoratioren ins Palastviertel zurück, wo anschließend einrauschendes Fest stattfand. Was nichts daran änderte, dass alleBeteiligten am nächsten Tag vom Alltag eingeholt wurden.

Am Ende, eines langen anstrengenden Tages, kam es zu einerZusammenkunft von Isabella und ihren Söhnen auf der einen, sowie Maxund Jonathan auf der anderen Seite. Glücklich strahlte Isabella ihreSöhne, aber auch die beiden Gäste an.

„Danke Herr, dass du mir diesen unvergleichlichen Moment des Glücksgeschenkt hast, indem du mir meine Söhne zurück gabst“, nur um etwasnachdenklicher hinzuzufügen. „Vielleicht der beste Moment zum Sterben,denn dieses Glück ist durch nichts zu übertreffen.“

„Oh Mutter, sag bitte sowas nicht“, bestürzt kniete Benidor sich nebenseiner Mutter hin und ergriff ihre Hand. „Mag sein, dass dir dieserMoment zum Sterben geeignet erscheint, vielleicht weil so viel Glück nurschwer zu ertragen ist oder weil du denkst, danach kann es mit denGefühlen nur noch bergab gehen. Doch jeder Moment, der zum Sterbengut genug ist, der sollte auch zum Leben gut genug sein. Wobei ich dich

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bitte, dass du die letztere Möglichkeit bevorzugst. Und wer weiß schonwas die Zukunft noch für dich bereit hält, du bist doch noch nicht zu alt,um noch mal einen Mann zu finden.“

„Genau Mutter“, stimmte Aberon seinem Bruder zu, „du bist eine schöne,bedeutende Frau, die Freier werden Schlange stehen.“

Isabella hob abwehrend die Hände, obwohl ihre Gedanken sofort einganz bestimmtes Bild formten. Ja, es gab einen Mann nach dem sich ihrHerz jede Nacht verzehrte. Max spürte, dass der Fürstin Isabella dieSituation unangenehm war und so griff er ein.

„Wenn die Hoheiten dann soweit wären, dann könnten wir uns demTagesgeschäft widmen. Thyrogenius hat Befehl gegeben, dass sich dasHeer einschifft. Er sollte, wenn ihm die Winde gesonnen sind, was sie mitSicherheit sein werden, in drei Wochen Burg Falkenhorst erreichen. Inseiner Letzten Botschaft berichtete Eliasar von Falkenstein davon, dasssie die neuartige Waffe vernichtet und den anschließenden Angriff aufdie Burg abwehren konnten. Der Truchsess beschränkt sich zurzeitdarauf die Burg zu belagern, doch das kann er maximal bis zum Herbstdurchhalten. Schon jetzt desertieren seine Soldaten in Scharen, so dasses ungewiss erscheint, wie lange er die Belagerung aufrecht erhaltenkann. Alles in allem gute Nachrichten.“

Ja, dachten die Anwesenden, alles in allem gute Nachrichten. Sogeschah es, dass, während der Krieg vor Burg Falkenhorst seinem Endezuging, Max, die Zwillinge Aberon und Benidor und einige Getreue dafürsorgten, dass in Arthuradon eine neue Ordnung einzog. Die Nordmännerwurden entlassen und eine Ordnungstruppe aus Einheimischenaufgestellt. Es kostete Max zwar einige Überredungskünste, doch dannerklärte sich Jonathan dazu bereit der Polizeitruppe vorzustehen.Natürlich mit der Einschränkung, dass er, sobald der Professor hiereintraf, sich wieder in seine Welt begeben würde.

Trotzdem oder gerade, wenn es seine Zeit erlaubte, stromerte Jonathanmit der Hundemeute vor den Stadttoren herum. Eines Tages, es regneteleicht, von einem grauen, wolkenverhangenen Himmel, was für Jonathanjedoch keinen Hinderungsgrund darstellte, um die Stille und Ruhe einStück vor den Stadttoren zu genießen. Ein weiter Schlapphut undentsprechender Umhang genügten, um ihn vor den Regentropfen zu

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schützen. Wie so oft hing Jonathan seinen Gedanken nach, waswiederum dazu führte, dass die Welt um ihn herum wie in einem Meer zuversinken schien. Wie konnte ihn in diesem Bereich tiefsterAbgeschiedenheit eine Stimme erreichen? Wer besaß die Macht dazuoder fantasierte er? Nein, deutlich hörte er seinen Namen und dieStimme schien seiner geliebten Carlotta zu gehören. Also schien er dochzu fantasieren.

„Jonathan, was machst du denn hier draußen, so ganz alleine imRegen?“, klang die Stimme sehr nah.

„Carlotta? Ich denke so sehr an dich, dass ich mir einbilde deine Stimmezu hören. Und jetzt glaube ich auch noch deine Hände auf meinenSchultern zu spüren, vermutlich werde ich langsam verrückt“, sahJonathan keinen Grund, nicht mit der imaginären Stimme zukommunizieren.

„Aber Schatz, du bildest dir nichts ein.“

Jonathan sprang von dem Baumstamm auf, der ihm als Sitzgelegenheitdiente und machte mit seinem Körper eine Drehung in der Luft.Tatsächlich, jedenfalls, wenn es kein Trugbild war, dann stand da seineCarlotta in einem grünen Umhang mit Kapuze. Seine Hände griffen nachihr, zogen sie ganz dicht an seinen Körper und seine Lippen suchtenihren Mund. Nein, das konnte kein Trugbild sein, wenn doch, dann hätteer es schon viel früher herbeirufen sollen.

„Oh Jonathan, alles wird gut“, japste Carlotta nach Atem ringend undnachdem sie sich erholt hatte fügte sie noch hinzu. „Roxane wartet ander Straße mit einem Zweispänner auf uns“, gleichzeitig versuchte sieJonathan in die angegebene Richtung zu ziehen.

„Soll sie doch warten, sie hat uns das doch alles eingebrockt. Ich will mitdir alleine sein, lass uns laufen.“

Doch bevor er seine Füße in Bewegung setzte, riss er Carlotta erneut ansich und küsste sie mit all seinem angestauten Verlangen. Auf ihremRückweg zur Stadt, blickten sie sich immer wieder an, so als wenn siesich nicht aneinander sattsehen konnten.

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„Du siehst gut aus Jonathan. Ich meine noch jünger als du zuvor schonausgesehen hast. Die Luft dieser Welt scheint dir gut zu bekommen“,stellte Carlotta dabei fest.

Jonathan ging nicht auf ihre Feststellung ein, seine Gedanken warenganz woanders.

„Roxane hat dich also nicht im Unklaren darüber gelassen, worum es beider Sache ging? Gut so. Wir werden bald in unsere Welt zurückkehren,dann wird uns alles nur noch wie ein böser Traum erscheinen, der mitder Zeit immer mehr verblassen wird, mein Liebling.“

„Aber Jonathan, jetzt tust du Roxane aber Unrecht. Sie hat alles getan,damit mir die Zeit nicht zu lang wurde, dabei hat sie mir einige Tricksverraten, die ich in meinem zukünftigen Leben vorteilhaft anwendenkann. Zwar habe ich dich schmerzlich vermisst, doch zum Glück warenes ja nur wenige Tage.“

„Tage? Von was sprichst du?", trafen Carlottas Worte bei ihm aufUnverständnis. "Wochen, es waren Wochen. Viele Wochen ohne dich,wie soll ich da gut auf sie zu sprechen sein? Bei dir scheint sie getrickstzu haben, doch ich musste den Kelch bis zur bitteren Neige auskosten.Aber lassen wir dass, ich kann deutlich Licht am Ende des Tunnelserkennen.“

Inzwischen hatten sie sich dem Torhaus genähert und die Torpostennahmen Haltung an und grüßten Jonathan, schließlich war er ihrVorgesetzter. Missbilligend stellte Jonathan fest, das Roxane hinter demTor auf sie wartete.

„Jonathan, Jonathan, habe gar nicht gewusst, dass Menschen sonachtragend sein können. Nun steigt schon auf, dann sind wir schnellerbei Isabella. Gute Nachrichten erwarten euch“, blitzte ihn Roxaneschelmisch an.

Jonathan setzte einen fragenden Gesichtsausdruck auf, doch Roxaneließ sich nichts entlocken. Erst im Thronsaal, in Anwesenheit vonIsabella, den Zwillingen und Max verkündete sie, dass die „Möwe vonAsgardun“ im Laufe des morgigen Tages Arthuradon erreichen würde.

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„Und haben sie den Professor?“, ließ Jonathan keine Zweifel daranaufkommen, wo seine Prioritäten lagen.

„Es scheint dir wirklich wichtig zu sein, uns so schnell wie möglich zuverlassen“, stellte Max mit einem gewissen Vorwurf in der Stimme fest.Jonathans Gesichtsausdruck verschloss sich, genauso wie sein Mund.

„Sei ein wenig nachsichtiger mit ihm, Söhnchen“, stellte sich Roxaneunerwartet auf Jonathans Seite. „Wer weiß, wie du dich fühlen würdest,wenn du plötzlich in eine fremde Welt verschlagen würdest. Ich habe esihm versprochen, wenn seine Aufgabe erfüllt ist, darf er in seine Weltzurückkehren.“

„Ich frage mich nur, warum Jonathan es einfach nicht wahrhaben will,dass er in unsere Welt passt wie die Faust aufs Auge“, war Max kurzdavor die Fassung zu verlieren. Wobei die meisten Anwesenden denWorten von Max zustimmten.

Roxane bekam ein verschmitztes Lächeln, so als wenn sie etwaswüsste, was diesen Umstand erklärte. Zwar zierte sie sich noch einwenig, doch als sie den fordernden Blick von Max sah, gab sie nach.

„Oh, das ist nun wirklich kein Wunder, denn irgendwie gehört er zudieser Welt. Ist denn noch keiner von euch darauf gekommen, dassJonathans Wurzeln bis nach Asgardun reichen? Ja, Jonathan, du bist einNachkomme des Druiden Arthumalix. Auch in deinen Adern fließtDruidenblut, auch wenn es vielleicht nur noch ein Tröpfchen ist.Jonathan, oder hast du wirklich geglaubt, dass das Alles nur ein Zufallwar? Man erbt nicht einfach so Wullingham und wird mit Geheimnissenkonfrontiert, die dich dann in eine fremde Welt führen. Es liegt doch aufder Hand, dass du mit Lord Edward entfernt verwandt warst. Auch inseinen Adern floss Druidenblut, darum erbtest du Wullingham. ImGrunde genommen bist du nur nach Hause zurückgekehrt, in die Heimatdeiner Vorfahren.“

Alle schienen verblüfft, nachdem Roxane das Geheimnis um Jonathangelüftet hatte. Wobei Jonathan derjenige war, den die Botschaft ammeisten umhaute. Hilfesuchend sah er sich nach einem Stuhl um, da ihmseine Knie wackelig wurden.

„Nun wird mir einiges klar“, murmelte Max leise vor sich hin.570

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Nachdem Jonathan ein paar Mal tief ein und aus geatmet hatte, erhob ersich und trat vor Isabella.

„Ich bitte um Erlaubnis mich zurückziehen zu dürfen, das muss ich erstmal verdauen.“

Isabella nickte verstehend. Jonathan ergriff Carlottas Hand, um sie hintersich aus dem Saal zu ziehen. In ihrem Gemach trat Jonathan ansFenster und sah versonnen auf die Stadt, die sich gerade für denEmpfang der Fürsten schmückte. Fürsten, die aus einer Zeit stammten,als die Welt von Asgardun noch in Ordnung war.

„Max hat Recht, das erklärt so einiges“, hörte Jonathan die StimmeCarlottas hinter sich. „Kein Wunder das du mich mit deinem Charmeverzaubert hast, das Blut eines Zauberers fließt durch deine Adern.Auch dein unverschämt jugendliches Aussehen scheint etwas mit denGenen deiner mysteriösen Vorfahren zu tun zu haben“.

Jonathan tat so, als wenn er ihre Worte gar nicht hörte, vielleicht lag esaber auch daran, dass das Blut sehr laut in seinen Ohren pochte? Würdedenn dieser verrückte Traum gar nicht mehr enden? Andererseits? Als erCarlottas Arme spürte, die sich um seine Hüfte legten, musste er sicheingestehen, dass die Gene der Druiden auch vorteilhaft sein konnten.

„Jonathan, egal was oder wer du bist, ich liebe dich. Also mach dirkeinen Kopf wessen Gene du mit dir herumträgst, daran lässt sichsowieso nichts ändern. Ist eben nur ein wenig verrückt, was wiederumsehr gut zu dir passt.“

Jonathan drehte sich um und erkannte in Carlottas Augen all daswonach er sich seit Wochen sehnte.

„Du hast Recht, Rehauge. Morgen kommt der Professor, dann geht esab nach Hause und wir leben ein stinknormales Leben als Graf undGräfin von Wullingham.“

Carlotta blickte ihren Geliebten verdattert an, dann lachte sie schallendlos, „das nennst du ein stinknormales Leben?“ Kopfschüttelnd sah sieden Mann an, der ihr Leben total auf den Kopf gestellt hatte.Stinknormal, sie Carlotta Morgan, die Frau eines einfachen Arbeiters,

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Gräfin von Wullingham. Wer so etwas behauptete, der musste wahrlichverrückt, ein Außerirdischer sein oder Jonathan Lucas Mannix heißen.

„Jo, meinst du nicht auch, wir hätten etwas nachzuholen?“, dabei loderteein Feuer in Carlottas Augen, dessen Hitze auf Jonathan sofortübersprang.

„Aber Carlotta“, stieß Jonathan gespielt erschrocken aus, nur um siegierig mit den Augen zu verschlingen, sie an sich zu ziehen, um ihrGesicht wild abzuküssen. Später lagen sie aneinander gekuschelt inihrem riesigen Himmelbett und genossen dieses herrliche Gefühl derZweisamkeit.

„Jonathan, darf ich dir mal eine Frage stelle?“ Jonathan brummte nurzufrieden, was wohl Ja bedeuten sollte.

„Warum hast du dir eigentlich nicht ein so junges, hübsches Ding wie LilyKleinschmidt gesucht? Ich bin mir sicher, du hättest mehr als nur einesolche Frau haben können.“

„Ja mein Schatz, möglich! Aber ich stehe nun mal auf reife Früchte“,genießerisch fuhr Jonathans Hand über ihre pralle Brust. „Aber mal imErnst, ich weiß auch nicht warum gerade du, es ist ein Gefühl, dass ichnicht erklären kann.“

„Verstehe Jonathan, mir ging es genauso.“ Glücklich kuschelte sichCarlotta an Jonathan.

Am nächsten Tag standen die Beiden, wie viele Andere, auf derwestlichen Stadtmauer und schauten auf den Vatyrraq, den Abzweig desVatyr, dem Vater aller Flüsse. Ihr Warten wurde belohnt. Mitvollgeblähten Segeln erschien die „Möwe von Asgardun“ am Horizontund hielt stetig auf Arthuradon zu. Dabei erschien es den wartendenMenschen so, als wenn der Windgott von einer geheimnisvollen Kraftangehalten wurde, genauso zu wehen, wie der Fluss verlief.

„Thyrogenius“, murmelte Jonathan, als auch ihm dieser Umstandaufstieß.

„Was hast du gesagt Liebling?“

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„Ich habe nur festgestellt, dass Thyrogenius den Wind anleitet, demSchiff zu dienen. Er kennt wohl den Trick wie man mit dem Stab, vomBaume Urburmutha, die Elemente beherrscht.“

Mit jeder Minute konnten sie mehr Einzelheiten des prächtigenSegelschiffes erkennen, auch die Menschen, die an der Reling standenund neugierig zu ihnen herüberblickten.

„Ist es wahr, dass die Fürsten über Achthundert Jahre alt sind?“,schienen Carlottas Gedanken in eine ganz andere Richtung zu gehen.

„Wenn man davon ausgeht, dass sie vor so langer Zeit geboren wurden,dann ja. Wenn man aber bedenkt, dass sie fast die ganze Zeit in einemtotenähnlichen Schlaft verbrachten, dann sind sie jünger als wir. Dusiehst Carlotta, die Frage ist nicht mit einem einfachen ja oder nein zubeantworten. Es kommt darauf an, aus welchem Blickwinkel man dieSache betrachtet.“

„So wie ich das sehe, werde ich wohl nie ein klares ja oder nein von dirzu hören bekommen, da deine Betrachtungsweisen oft viel zuphilosophisch sind.“

„Das würde ich so nicht sagen. Frag mich doch mal, ob wir unseremZimmer einen Besuch abstatten wollen“, trieb Jonathan seineAngebetete in die Enge.

„Du Ferkel, da musst du schon noch ein bisschen warten, oder glaubstdu ich will den Empfang verpassen?“, holte sich Jonathan eine glatteAbfuhr.

„Vielleicht nur eine kleine Stippvisite, bitte“, klang seine Stimme fastflehentlich.

Erst jetzt sah ihn Carlotta genauer an, nur um ein verlegenes „Oh“auszustoßen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, machte sie kehrt undhielt auf die Pforte zu, die von der Stadtmauer in den Turm führte, vonwo aus sie in den Palas gelangten. Wie zufällig erreichte sie vorJonathan ihr Gemach und genauso zufällig bückte sie sich, wobei sie dieRöcke hochschlug.

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„Mein Gott ist das ein Anblick“, stieß Jonathan vor Erregung aus.Jonathans lautes, lustvolles Atmen wurde von Geräuschen begleitet, diedarauf schließen ließen, dass er seine Hose öffnete und herunter gleitenließ. Und schon presste er seinen Körper gegen Carlottas Hinterteil unddrang in sie ein. Kurz und heftig stillte Jonathan sein Verlangen, so dassder Akt schnell in einem heftigen Zucken endete, wobei Jonathan auchnoch einen Laut der Zufriedenheit ausstieß.

„Carlotta, du treibst mich mit deinem geilen Körper in den Wahnsinn.Aber woher wusstest du, dass mir genau danach der Sinn stand“,keuchte Jonathan noch, während er sich von ihr löste.

„Sagen wir mal so, es stand dir ins Gesicht geschrieben“, war Carlottaum eine Antwort nicht verlegen, wobei sie sich ein Tuch zwischen dieSchenkel drückte, um sich dann ins Bad zu begeben.

Dank dem genialen Zauberer Cimberlim verfügte der mittelalterliche Bauüber fließend warmes und kaltes Wasser. Nachdem sie dieWasserhähne aufgedreht hatte, zog sich Carlotta aus, um dann in dieWanne zu steigen. Wenig später erschien ein nackter Jonathan undmachte ebenfalls Anstalten, um in der Wanne platzzunehmen. Da nützteauch Carlottas heftiger Protest nichts. Als sie später beim Empfang imThronsaal erschienen, ließ es sich nicht übersehen, dass sie einglückliches Paar waren. Sich seiner Stellung wohl bewusst, nahmJonathan mit seiner Angebeteten neben dem Thron Aufstellung. Isabella,die Zwillinge und Max begrüßten Jonathan und seine Gefährtin miteinem Kopfnicken, wobei sich Max ein verstohlenes Grinsen nichtverkneifen konnte.

„Ist was?“, stellte Jonathan verwundert fest.

„Was soll denn sein? Ich freue mich, dass du so zufrieden undausgeglichen wirkst. Nein, dass ihr beide so ausseht.“

Bevor sie ihr Gespräch vertiefen konnten, donnerte der Stab desHofmarschalls auf die Fliesen und kündigte mit lauter Stimme dieeintretenden Besucher an: „Thyrogenius, Druide aus Mhyritrias, Baronvon Falkenhorst mit Sohn, sowie sein Begleiter, Ritter Arthus vonSeomar.“ Als nächstes folgte die Vorstellung der Fürsten.

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„Meritas von Menzo, Gathor von Gabolon, Beofan von Bersaskhan,Vladuq von Vrandyx, Walthyr von Whallymar, Zerbass von Zebulhan,Raubarth von Rhandor, Quintus von Quantaq, Mintus von Mhyr, Siliusvon Seomar, Nathan von Nhabu.“

Als alle schon glaubten die Zeremonie sei beendet, erhob derHofmarschall nochmals seine Stimme, „Graf William von Huntingen mitRitter Kyyraq“, und zwei weitere Männer traten ein.

Isabella hatte sich längst erhoben, machte einen Knicks mit Verbeugung,um anschließend die Ankömmlinge zu begrüßen.

„Ich freue mich von ganzem Herzen die Männer begrüßen zu dürfen, dieeinen so bedeutenden Beitrag leisteten, damit das alte Asgardun eineneue Chance bekommt. Zwölf gleichberechtigte Fürstentümer untereinem Dach, so wie es Jahrhunderte funktionierte.“

Beofan hob die Fahne, die er seit dem Scharmützel mit der Vorhut desfeindlichen Heeres nicht mehr aus der Hand gegeben hatte undschmetterte ein lautes „Asgardun“ in den Saal, worauf die restlichenFürsten seinen Ruf wiederholten. Freudig klatschten sich die Männergegenseitig auf die Schultern, als ein lautes, empörtes „Mörder“ diefreudige Szene durchschnitt.

William, der den Ruf ausgestoßen hatte, zeigte mit ausgestreckter Handauf den Kämmerer, der sein Mäntelchen nach dem Wind gedreht hatteund noch immer dem Hofstaat angehörte.

„Dieser Mann, Roger von Tanabur, hat meinen Vater ermorden lassen,er hat sein Leben verwirkt“, stieß William wütend aus, zog sein Schwert,um sich auf den Unglücklichen stürzen.

„Halt!“, gebot Isabella, die Fürstin von Askalan, dem Treiben Einhalt. „Ichgestattete kein Blutbad. Heute am Tag dieses freudigen Ereignisses derWiedergeburt von Asgardun, sollten die Waffen ruhen.“

„Ich kenne den Mann überhaupt nicht, weiß nicht was er von mir will“,witterte der Kämmerer seine Chance und wehrte empört denschwerwiegenden Vorwurf ab.

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„Schweigt Verräter“, fuhr Isabella ihn zornig an. „Ich habe euren Brief anden Steward von Burg Fornax gelesen. Legt den Mann in Ketten, er istauf Lebenszeit verbannt. Sobald ein Schiff nach Balbadur fährt, soll er anBord gebracht werden. Betritt er nochmals den Boden von Asgardun, sohat er sein Leben verwirkt.“ Ein Handzeichen von Isabella und zweiWachen ergriffen den Mann und führten ihn ab.

„Tut mir leid, dass unser freudiges Ereignis einen kleinen Dämpfererhielt. Doch so wie die Geschichte unseres Landes gelaufen ist, werdenwir wohl noch eine Weile mit den Altlasten des Regimes Desdemonaleben müssen“, wandte sich Fürstin Isabella an die Anwesenden. „Bittefolgt mir jetzt in den Speisesaal, schließlich soll das Ereignis gebührendgefeiert werden.“

Als sich Isabella erhob, wurden die Flügeltüren zum benachbarten Saalgeöffnet, so dass sich die Gesellschaft nach nebenan begeben konnte.Auf dem Weg dorthin suchte Jonathan die Nähe von Eliasar, dem Grafenvon Falkenstein.

„Graf, wie ich hörte soll sich der Professor in eurem Gewahrsambefinden. Könnt ihr mir sagen wo er ist?“

Eliasar sah sich den Mann an, der ihn da von der Seite ansprach, wobeier eine abweisende Miene aufsetzte. Was wohl vor allem daran lag, dassJonathan ein Unbekannter für ihn.

„Wer will das wissen?“

„Mein Versäumnis“, räumte Jonathan sofort ein. „Jonathan, Polizeichefvon Arthuradon! Doch das ist eigentlich nicht das Thema, vielmehr meinDeal, den ich mit Roxane habe. Ich habe meinen Teil erfüllt, der Manngehört mir“, musste sich Jonathan Mühe geben, um einenaufkommenden Zorn zu unterdrücken.

„Oh, der Taiquan. Der Erfindicus ist an einem sicheren Ort und wird euchbei Gelegenheit übergeben. Doch nicht jetzt und hier, schließlich habenwir etwas zu feiern“, legte Eliasar seine Zurückhaltung ab und klopfteJonathan freundschaftlich auf die Schulter.

Leider wollte bei Jonathan die gute Stimmung, die allgemeinhinherrschte, nicht aufkommen. Ihm stand der Sinn nur noch danach

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endlich aus dieser Welt zu verschwinden und in seine eigenezurückzukehren. Suchend sah er sich um und entdeckte auch alsbaldRoxane, die mit Thyrogenius und Max die Köpfe zusammensteckte.Ohne sich um irgendwelche Etikette zu kümmern, unterbrach er ihrGespräch.

„Roxane, ich bin der Ansicht, dass ich meinen Teil unserer Abmachungerfüllt habe. Also übergebt mir den Professor, damit ich in meine Weltzurückkehren kann“, klang seine Stimme nicht gerade freundlich.

„Jonathan, Jonathan, warum so aufgebracht. Genieße doch die kurzeZeit, die du noch in unserer Welt weilst. Oder hast du vergessen, dassdu für die Menschen dieser Welt ein Held bist. Sie sehen zu dir auf,bewundern dich“, ließ sich Roxane von Jonathans Unfreundlichkeit nichtanstecken.

„Sind wir dir so zuwider Jonathan?“, warf Max traurig ein.

War es der Ton, waren es die Worte, die Jonathan zur Besinnungbrachten oder der traurige Blick seines Freundes.

„Nein, natürlich nicht. Aber was soll ich machen, ich fühle mich hiereinfach fehl am Platz? Ich sehne mich nach meiner Welt, wo ich ebenkein Held bin“, gestand Jonathan resignierend ein.

Verständnisvoll trat Roxane an ihn heran und legte ihm eine Hand aufden Kopf.

„Ja, so ein Weltenwechsel kann problematisch sein. Anscheinend habeich dich doch ein wenig überfordert. Vertraue mir Jonathan, nur nochkurze Zeit und du kannst in deine Welt zurück. Wie fühlst du dich jetzt?“,wobei sie ihn forschend ansah.

„Komisch, die Unruhe, die mir so zusetzte, ist plötzlich verschwunden“,verstand Jonathan seinen Gefühlswandel selbst nicht.

„Gut so, dann genieße die Feierlichkeiten. Ich glaube Carlotta macht sichSorgen um dich, also husch, husch ab mit dir.“ Lächelnd gab ihmRoxane gleichzeitig einen kleinen, aufmunternden Klaps.

„Alles in Ordnung Jonathan?“, wollte Carlotta dann auch gleich von ihmwissen.

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„Ja Liebste, jetzt wieder.“ Seine Hand ergriff die ihre und schon führteJonathan seine Partnerin zu ihren Plätzen an der Tafel.

Später, nachdem sich ein Großteil der Gesellschaft zurückgezogenhatte, bat Isabella einige Wenige in ihr großes Kaminzimmer.

„Jonathan, ich habe mit Bedauern gehört, dass ihr uns verlassen wollt?“,dabei konnte jeder heraushören, dass die Traurigkeit in Isabellas Stimmenicht gespielt war.

Die neue Fürstin von Askalan rechnete es Jonathan hoch an, dass erihre Söhne so gut ausgebildet hatte. Auch sein Anteil an derGefangennahme der Regentin und ihrer eigenen Befreiung spieltendabei ebenfalls eine Rolle.. Nachdenklich fiel der Blick von Isabella aufdie beiden seltsamen Gestalten die sich im Hintergrund aufhielten. Beidem Gedanken, dass der riesige Bomba ein Hund und der kleineCaligula eine Ratte war, ging ihr ein Schauer über den Rücken.

„Hoheit, für die Zeit der Feierlichkeiten stehe ich euch noch zurVerfügung, doch danach kehre ich in meine Welt zurück. Auch wenn eshier anscheinend niemand versteht, doch ich fühle mich hier fehl amPlatz. Mich zieht es dahin zurück, wo ich meiner Meinung nachhingehöre. Was geschieht übrigens mit der Regentin?“, wechselteJonathan abrupt das Thema.

„Ich werde mich ihrer annehmen“, meldete sich sofort Roxane zu Wort.„Vielleicht gelingt es mir ihre dunkle Seite etwas aufzuhellen. Wenn nicht,wird sie wohl ihre Zeit im Turm von Khemona verbringen.“

„Wenn wir schon dabei sind in die Zukunft zu blicken, so sehe ich michdort nicht als Kanzler des Fürstentums Askalan“, nutzte Max dieGelegenheit, um endlich dieses leidige Thema auf den Tisch zu bringen.

„Wie wäre es denn mit Eliasar von Falkenstein, ein fähiger Mann, dersich am Ende der Welt verkriecht, anstatt seine Fähigkeiten zum Wohleder Allgemeinheit einzubringen.“ Geschickt brachte er den Baron vonFalkenstein ins Spiel, was dazu führte, dass sich alle Augen auf denAngesprochenen richteten.

„Nein, nein, daraus wird nichts. Ich habe vollkommen andere Pläne“,wehrte Eliasar das Ansinnen vehement ab. „Doch ich hätte da einen

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Mann, der alles mitbringt, was ein Kanzler mitbringen muss. Zwarverliere ich den besten Verwalter, den ich je hatte, doch zum Wohle derAllgemeinheit würde ich dieses Opfer bringen.“

Nicht alle wussten sogleich wer damit gemeint war, auch hielt sich derGenannte im Hintergrund bedeckt. Isabella folgte dem Blick von Eliasarund ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

„Tretet vor, Arthus, Ritter von Seomar. Ein solches Lob aus berufenenMund hat großes Gewicht, doch wie denkt ihr darüber?“, wollte Isabellawissen.

„Ganz ehrlich? Ich bin verwirrt über so viel Vertrauen. Doch es scheintmir eine Herausforderung zu sein, der ich mich stellen würde. Verstehenur nicht warum Max nicht weitermachen will?“, zeigte der soAngesprochene durchaus seine Bereitschaft aber auch seinUnverständnis.

Max, der spürte, dass sich schon wieder alles auf ihn konzentrierte,ergriff die Gelegenheit, um ein für alle Mal die Sache richtig zu stellen.

„Auf mich wartet das Theater und die Patienten, so wie auf Jonathanseine ihm eigene Welt. Ja, in diesem Punkt muss ich Jonathanrechtgeben. Jeder sollte wissen, wer er ist und wo er hingehört. JaJonathan, ich verstehe dich immer besser.“

Am Ende schien Max mit dem Verlauf des Tages doch noch sehrzufrieden, denn so wie es aussah, war er das lästige Kanzleramt los.Eine Last, die ihm die Luft zum Atmen nahm. Völlig unerwartet meldetesich Carlotta zu Wort.

„Toll, dass hier jeder weiß, was er mit seiner Zukunft anfangen will. Dochmich interessiert viel mehr, wie der Kampf um Burg Falkenhorst seinEnde fand.“

„Aber das ist doch allgemein bekannt“, fühlte sich Eliasar zwarangesprochen, verstand die Frage aber anscheinend nicht, „wir habengewonnen.“

„Ja schon, aber wie“, ließ Carlotta nicht locker und durchbohrte denBaron mit ihren Blicken.

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„Hm!“, schien Eliasar zu verstehen, dass er gegen so viel Wissbegierdekeine Chance besaß. „Wenn allgemeines Interesse besteht, dann würdeich einen kurzen Bericht abgeben“, wobei er aber vor allem seinAugenmerk auf Isabella richtete. Die Fürstin nickte zustimmend und sogab Eliasar seine Zurückhaltung auf und die Geschichte zum Besten.

„Der Anfang vom Ende war wohl die Vernichtung der Bombarde und desSchießpulvers. Das gesamte Heer des Truchsess schien nach dengewaltigen Explosionen unter Schock zu stehen. Zeit, welche wirnutzten, um das beschädigte Torhaus instandzusetzen. Der Feind warzum Glück zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um unsere Aktivitätenüberhaupt wahrzunehmen. Nach der Explosion desertierten jede NachtSoldaten des feindlichen Heeres, so dass sich der Truchsess genötigtsah ein blutiges Exempel zu statuieren, um dem Exodus Einhalt zugebieten. Anschließend befahl der Truchsess, die Zeichen der Zeiterkennend, den Sturmangriff auf die Burg. Nur die Wenigsten erreichtenmit ihren Sturmleitern die Mauern, zu beschwerlich und gefährlich warder ansteigende Weg bis zur Burgmauer. Tribok und Pfeile hieltenblutige Ernte unter den Angreifern. Am nächsten Morgen war das Heerverschwunden, nur ein einsamer Ritter hielt tapfer auf die Burg zu, wolltesich nicht geschlagen geben. Der Truchsess wusste, dass er verlorenhatte. Doch wenn er den Baron im Zweikampf tötete, dann konnte erwenigstens sein Gesicht wahren, so schien er jedenfalls zu denken. Alsorief er zur Burg hoch, Baron von Falkenstein stell dich zum Zweikampf.Ich, Marduq von Murdaq, fordere euch auf Leben und Tod. Nachdemdas Töten endlich ein Ende gefunden hatte, stand mir eigentlich nicht derSinn danach, also rief ich ihm von der Burgmauer zu: Marduq der Kampfist vorbei, genau wie deine Zeit als Truchsess, also verschwinde undbring dich in Sicherheit. Doch der Mann wollte nicht hören, krakelte lautherum und beschimpfte mich als Feigling. Solche Beleidigung ausseinem Munde konnte ich locker ertragen, ich wusste ja, wer es sagte,aber vor allem warum er es sagte. Doch dann stellte er in den Raum,dass ich ihm seine Ritterehre genommen hätte, die er nur in einem fairenZweikampf zurück erlangen könnte. Was blieb mir übrig. Ich warf michnochmal in meine Kampfkleidung, bestieg Celebrus und ritt aus der Burg.Ich hätte natürlich oben warten können, dann hätte der Truchsess denHang herauf reiten müssen. Doch das wäre nicht ritterlich gewesen, alsoschlug ich einen Platz am Ende des Hanges vor, wo wir beide die

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gleichen Bedingungen vorfanden. Bezeichnend, was mein Gegenspielerdazu sagte: Oh, wie edel und nobel, Ritter Eliasar, doch natürlich habt ihrRecht! Vor dem Gutshof fanden wir das Gesuchte, nahmen Aufstellungund ritten mit gesenkten Lanzen aufeinander zu. Der Aufprall wargewaltig, die Lanzen zersplitterten an den Schilden, doch wir konntenuns Beide im Sattel halten. Also zogen wir unsere Schwerter und hiebenaufeinander ein. Celebrus schien an dieser Art der Auseinandersetzungkeinen Gefallen zu finden, denn mit einer plötzlichen Attacke stieß er dasPferd des Gegners um. Im letzten Moment bekam Marduq die Füße ausden Steigbügeln und warf sich aus dem Sattel, sonst hätte ihn sein Pferdunter sich begraben“, Eliasar verstummte plötzlich, als wenn die Bilderdes Kampfes wieder vor ihm standen.

„Und, wie endete der Kampf?“ wollte Carlotta blauäugig wissen.

„Ich stehe hier vor euch“, schien Eliasar plötzlich keine Lust mehr zuverspüren, um den Ausgang des Kampfes im Detail zu schildern.

Carlotta sah Jonathan fragend an, worauf dieser ihr in Ohr flüsterte, „ermeint damit, dass er lebt, sagt genug aus.“

„Oh“, stieß Carlotta betroffen aus.

Arthus von Seomar erbarmte sich und erzählte die Geschichte zu Ende.„Wir, die Fürsten und ich, wurden Zeugen des Kampfes. Eliasar stiegebenfalls vom Pferd und reichte Marduq das Schwert, welches jenerbeim Sturz verloren hatte. Wutentbrannt stürzte sich Marduq auf denBaron, doch bald musste er erkennen, dass der Baron auf jede seinerFinten eine Antwort parat hielt. Irgendwann führte der Baron einen solchgewaltigen Schwertstreich, dass er Marduq die Waffe aus der Handschlug und jene in hohem Bogen durch die Luft flog. Bevor derTruchsess seine Waffe wieder ergreifen konnte, spürte er dieSchwertspitze des Barons an seiner Kehle. Stoßt doch endlich zu,forderte ihn Marduq auf, doch der Baron schüttelte traurig den Kopf,wandte sich ab und ließ Marduq einfach stehen. Doch Marduq konntedie Niederlage anscheinend nicht verwinden, denn er griff sein Schwertund stürzte sich von hinten auf den Baron. Sein Schwert zum tödlichenSchlag erhoben brach er getroffen zusammen.“

Aufgeregtes Gemurmel erfüllte den Raum.

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„Wie kann das sein?“, fasste Benidor das Unverständnis aller in Worte.

„Sein Schwert“, dabei zeigte Jonathan auf den Baron und um alleMissverständnisse auszuräumen, fügte er noch hinzu, „das Schwert desBarons erkannte die Gefahr und wehrte sie ab." Erklärend fügteJonathan dann noch an. „Der Baron führt Phalyx als Waffe, erschaffenvom legendären Druiden Panyophan, erschaffen aus einem KlumpenSternenstaub. Also eine mehr als außergewöhnliche, wenn nicht eineWunderwaffe.“

Nun wandten sich aller Augen Jonathan zu, zu erstaunlich schien seinWissen um diese Sachen.

„Ihr seid mehr als geheimnisvoll, Fremder“, kannte Eliasars Verblüffungkeine Grenzen.

„Das ist eine lange, fantastische Geschichte, die euch Roxane an langenWinterabendenden am Kamin erzählen kann, denn ich werde morgenabreisen - oder Roxane?“, verspürte Jonathan keine Lust das Geheimniszu lüften.

„Ganz wie du willst Jonathan. Deiner Heimreise steht nichts mehr imWege, wenn ich es auch außerordentlich bedauere. Ich bin überzeugtdavon, dass du durchaus eine Bereicherung für unsere Welt darstellenwürdest“, schwang ehrliche Traurigkeit in Roxanes Stimme.

Isabella klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zuziehen.

„Freunde entschuldigt mich bitte, doch wichtige Regierungsgeschäftebedingen, dass wir unser geselliges Beisammensein beenden müssen.“

Als Jonathan und Carlotta in ihrem Zimmer ankamen, platzte es ausCarlotta heraus.

„Jonathan verstehst du dieses plötzliche Ende, dass glich ja fast einemRauswurf?“

„Vermutlich habe ich sie mit meiner Entscheidung verärgert. Doch dasspielt nun auch keine Rolle mehr, morgen geht‘s nach Hause, morgenbekommen wir unser altes Leben zurück.“

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„Na, nun übertreibst du aber, Jonathan. So schlimm war es hier dochnun auch wieder nicht. Ich habe gesehen wie dich die Prinzenangesehen haben, aus ihren Blicken sprach die pure Bewunderung undMax scheint dir ein echter Freund geworden zu sein.“ Auf einmal gingCarlotta ein Licht auf. „Ach so ist das! In Wirklichkeit fällt es dir schwerdiese Welt zu verlassen, deine Schroffheit und Ablehnung ist so eine ArtSchutzschild. Komm her mein großer Junge, ich bin doch bei dir undwerde dich nie verlassen.“

Sie schlossen sich in die Arme und Jonathan flüsterte leise, „ich weiß!“Damit schien das Thema beendet, denn sie wandten sich einem Themazu, an dem sie immer wieder viel Spaß hatten. Als sie am nächstenMorgen ihr Gemach verließen, gesellten sich Bomba und Caligula zuihnen, ansonsten schien der Palast wie ausgestorben.

„Jungs“, sprach Jonathan die Beiden an, „wenn ihr hier bleiben wollt, umeure menschlichen Gestalten zu behalten, dann wäre das durchaus inOrdnung, meinen Segen hättet ihr.“

„Nö Boss, wir bleiben bei dir“, brummte Bomba und Caligula nickte wieselbstverständlich.

Jonathan wandte sein Gesicht ab, so dass die Beiden nicht seineErleichterung sehen konnten. Als sie aus dem Palast traten, wartete einPlanwagen, gezogen von zwei Pferden, auf sie. Auf dem Fahrerbock saßThyrogenius, der sie mit einem freundlichen Lächeln empfing. Jonathanund Carlotta sahen sich um, doch keine Menschenseele ließ sichblicken. Carlotta schüttelte den Kopf, um ihrem Unverständnis gleichdarauf in Worten Luft zu machen.

„Das finde ich nun aber doch ein wenig undankbar, nach allem was dufür sie getan hast.“

„Ganz ehrlich Carlotta, ich tat es nicht für sie, ich tat es einzig und alleinfür mich. Ich wollte dich zurück und wenn du es von dieser Seitebetrachtest, dann schulden sie mir nichts, auch keinen Dank“, machteJonathan keinen Hehl daraus wie er die Dinge sah.

Thyrogenius stieß ein ungeduldiges Schnaufen aus, nur umanschließend den Aufbruch anzumahnen.

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„Nun kommt endlich ihr Turteltauben, Bomba und Caligula haben schonauf der Ladefläche platzgenommen.“

Nachdem sich endlich die ganze Gesellschaft auf dem Fuhrwerk befand,schnalzte Thyrogenius mit der Zunge, um den Pferden das Zeichen zumAntraben zu geben. Langsam rollte der Wagen an, auf das Torhaus zu,ohne dass sich eine Menschseele blicken ließ. Das Viertel wirkte wieausgestorben. Geräuschvoll rollten die Räder des Fuhrwerks über dasStraßenpflaster durch den schummrigen Tunnel des Torhauses. Umsogrößer war der Kontrast beim Verlassen des Torhauses. Nicht nur dassie von Licht umflutet wurden, nachdem sie aus dem das Torhausfuhren, nein, sie wurden von einem unbeschreiblichen Lärm empfangen.Hier, auf dem Markplatz hatte sich der Großteil der Bürger vonArthuradon versammelt, wo sie ihrem Helden, ihrem Taiquan frenetischzujubelten. Ungläubig starrte Jonathan auf die vielen Menschen, die nureine schmale Gasse ließen, damit der Wagen durchfahren konnte. AmEnde der langen, aus Menschen gebildeten Passage, standen Isabella,die Zwillinge, Max, der Baron, die Fürsten, aber auch die Theatertruppe,der er kurze Zeit angehörte. Gerührt wischte sich Jonathan mit demÄrmel über die Augen, tat so, als wenn er etwas ins Auge bekommenhatte. Der Wagen wurde langsamer, der Jubel noch lauter, dann standendie Räder still. Hilflos blickte Jonathan den neben ihm sitzendenThyrogenius an.

„Nun steig schon ab, sie wollen sich bei dir bedanken“, zischte dieserihm leise zu.

Jonathan schwang sich vom Fahrerbock und half dann Carlotta beimAbsteigen, gleichzeitig rief er, „Bomba, Caligula kommt schon, ihr gehörtdazu.“

Anschließend wurden viele Hände geschüttelt und Höflichkeitenausgetauscht, bis Jonathan, Carlotta, Bomba und Caligula vor derStadtmauer neben dem Torhaus standen. Wie auf ein heimlichesZeichen legte sich von einem zum anderen Moment eine unheimlicheStille über den Platz. Erst jetzt gewahrte Jonathan, die mit einem Tuchverhangene Stelle an der Stadtmauer. Als Max gewahrte, dass sichJonathans Augen auf eben jene verhangene Stelle richteten, riss er,ohne jedwede Ankündigung, das Tuch herunter. Jonathan, aber auch

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alle anderen blickten auf eine Gedenktafel. Dort stand in Steingemeißelt: Arthuradon dankt seinen Ehrenbürgern Jonathan, Bomba undCaligula. Sie kamen als Fremde aus einer fernen Welt und gingen alsFreunde.

„Wir sind euch für alle Zeit zu Dank verpflichtet, unsere Tore stehen euchfür immer offen, danke Jonathan, Bomba und Caligula“, ergriff Isabelladas Wort.

Jonathan musste sich räuspern, denn so viel Dankbarkeit und Sympathiehatten einen Klos, der Rührung, in seinem Hals entstehen lassen. Dochdann sammelte er sich und fand die richtigen Worte.

„Ein schöneres Abschiedsgeschenk hättet ihr uns nicht machen können,danke Isabella, danke, ihr Menschen von Arthuradon.“

Vollkommen überrascht stellte Jonathan fest, dass ihn Isabella in dieArme schloss und einen Kuss auf die Wange drückte. Leise hörte er dieWorte in seinem Ohr, „ihr seid ein fantastisches Paar, halte sie fest.“

„Darauf könnt ihr euch verlassen, Fürstin“, hauchte Jonathan zurück,dann wandte er sich abrupt ab, ergriff Carlottas Hand und begab sich mitihr wieder zum Wagen.

„Der Stab liegt hinten im Wagen, für alle Fälle“, flüsterte ihm Max nochzu, während er dicht hinter ihm ging, „mach‘s gut alter Junge.“

Beim Anfahren des Planwagens winkten Jonathan und Carlotta denZurückbleibenden zu, dann verschwand das Gefährt im Tunnel desletzten Torhauses Arthuradons und der Abschiedstrubel wurde immerleiser, je weiter sie fuhren. Jonathan schob die Plane beiseite und blickteauf einen gefesselten, verängstigten Professor, sowie zwei stolzeGefährten.

„Calli, löse die Fesseln des Professors und mache ihm klar, dass jederFluchtversuch zwecklos ist“, wies er das Wesen an, das als Hausratteauf die Welt kam.

Caligula setzte ein verstehendes Grinsen auf. Es machte ihn Stolz, dassJonathan ihm zu verstehen gab, dass er davon ausging, dass sich derGefangene bei ihm in sicheren Händen befand. Nachdenklich wandte

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sich Jonathan an Thyrogenius, denn der Professor warf trotzdem einigeProbleme auf.

„Was mache ich mit dem Professor bloß, wenn wir erst zu Hauseangelangt sind? Er weiß zu viel, könnte mir Unannehmlichkeitenbereiten. Hast du vielleicht einen Rat für mich, weiser Mann?“

Der Druide lächelte verstehend. „Jonathan, mach dir keinen Kopf, wirsind noch eine Weile unterwegs, da wird mir bestimmt noch etwasPassendes einfallen.

Längst lag die Stadtmauer ein Stück hinter ihnen und das Fuhrwerkholperte über die gepflasterte Straße Richtung Süden, dort wo derKönigsforst, Memoria und der magische Steinkreis lagen. Denn es gabnur diesen einen Weg zurück nach Wullingham Castle. Irgendwannverwandelte sich die gepflasterte Straße in einen sandigen Weg, so dassdie Hufe der Zugpferde reichlich Staub aufwirbelten. Drei Tage späternäherten sie sich dem Königsforst und Thyrogenius stieß einen langenPfeifton aus.

„So Jonathan, würdest du jetzt die Zügel übernehmen? Ich gehe maldavon aus, dass du die Fähigkeit dazu in der kurzen Zeit nicht verlernthast.“

„Und was machst du?“, verstand Jonathan nicht, was der Druidevorhatte.

Doch ein lautes Wiehern und das Erscheinen der Fuchsstute Cymano,beantwortete seine Frage, ohne das Thyrogenius etwas sagen musste.Wenig später trabte Cymano neben dem Wagen her, so dass der Druidedirekt vom Bock auf den Pferderücken springen konnte. Woher plötzlichder magische Stab in seine rechte Hand kam, blieb Jonathan ein Rätsel.

„Ich reite voraus und schaue mich nach einem geeigneten Lagerplatz fürdie Nacht um. Mach du nur deinen Job und überlass mir den meinen“,rief ihnen Thyrogenius noch zu, bevor er Cymano mit einemSchenkeldruck dazu veranlasste die Gangart zu beschleunigen.

Carlotta lehnte sich bei Jonathan an, sie schien die Kutschfahrt zugenießen. Die Sonne verschwand schon hinter den Bäumen, als sievoraus ein Lagerfeuer sahen. Im letzten Tageslicht verließ Jonathan mit

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dem Gefährt den Weg, um es nur wenige Meter abseits vom Feuer,neben einer alten Buche, zum Stehen zu bringen. Jetzt hörten sie auchdas muntere Sprudeln eines Bächleins, dass nur wenige Meter entferntan ihrem Lagerplatz vorbei floss. Jonathan half Carlotta vom Fahrerbockund auch die anderen Fahrgäste stiegen ab. Plötzlich sprang Jonathander verführerische Duft einer Gemüsesuppe entgegen und er gewahrteden Kessel über dem Feuer.

„Mein Gott, habe ich einen Hunger, du nicht auch?“, wollte er vonCarlotta wissen.

„Riecht wirklich gut, was der Zauberer über dem Feuer köchelt“,beantwortete sie seine Frage nicht direkt.

Gerade noch rechtzeitig fiel es Jonathan ein, dass die Pferde versorgtwerden mussten. Er gab Bomba ein Zeichen, worauf dieser ihm beimAbschirren der Zugtiere half. Nachdem sie ihnen Fußfesseln angelegthatten, überließen sie die beiden Kaltblüter sich selbst, schließlich warenGras und Wasser ausreichend vorhanden. Wenig später saß dieReisegesellschaft an einer kleinen, gedeckten Tafel neben dem Feuer,um sich das Abendmahl schmecken zu lassen. Gemüseeintopf, frischesBrot, und ein Becher Rotwein wurden angeboten. Als Thyrogenius imScheine der Glut auch noch auf seiner Hirtenflöte spielte, schien das beiCarlotta eine romantische Seite anzuschlagen.

„Jetzt bekommen wir doch noch unsere Verlobungsreise, Liebster“,hauchte sie Jonathan ins Ohr.

„Verzeih Rehauge, aber die hatte ich mir ein klein wenig andersvorgestellt.“ Als Jonathan ihren schmollenden Gesichtsausdruckbemerkte fügte er schnell hinzu, „aber natürlich hast du recht Liebling,einer gewissen Romantik entbehrt unsere Kutschfahrt durch die schöneLandschaft natürlich nicht.“

„Genau das meinte ich doch, Liebster. Wir sind zusammen, eineromantische Kutschfahrt, abends Lagerfeuer, eine festliche Tafel unddann noch dieser traurige, betörende Klang der Panflöte, das ist dochschön, aber wie macht er das alles?“

„Er ist ein Druide, mit anderen Worten ein Zauberer“, verstand Jonathanihren Einwand nicht.

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„Aber Jonathan, es gibt doch keine Zauberer, höchstens im Märchen.Andererseits, dass mit dir kommt mir manchmal auch wie ein Märchenvor.“ Ein glückliches Seufzen von Carlotta beendete dann das Thema.Behaglich kuschelte sie sich bei Jonathan an und wenig später hörte ernur noch ihren ruhigen Atem.

„Carlotta“, flüsterte er, „Carlotta schläfst du“? Keine Antwort nur diesesruhige, gleichmäßige Atmen.

„Boss, soll ich dir mit ein paar Decken eine Lagerstatt im Fuhrwerkbereiten?“, hörte Jonathan plötzlich die leise Stimme von Bomba inseinem Ohr.

Dankbar über so viel Aufmerksamkeit, nickte Jonathan und sinniertenoch darüber nach, ob ihm Bomba und Caligula als menschliche Wesenoder als Hund und Ratte lieber waren. Plötzlich spürte er wie jemandCarlotta hochhob und wegtrug. Bomba war zurückgekommen und trugCarlotta, als wäre sie leicht wie eine Feder, zum Wagen, um mit ihr hinterder Plane zu verschwinden. Als sich Jonathan ebenfalls auf den Weg zuseinem Schlafplatz machte, bemerkte er, dass auch unter dem WagenDecken ausgebreitet waren. Während des Einsteigens sah er noch, dassThyrogenius mit dem Professor am Lagerfeuer saß und leise auf ihneinsprach.

„Boss, schlaf gut, um den brauchst du dich nicht zu kümmern“, dabeizeigte Bomba auf den Professor. „Einen Fluchtversuch wird er nichtunternehmen, nachdem Calli ihm seinen Trick gezeigt hat.“

Jonathan nickte verstehend und gestand sich ein, dass Caligula fürjeden Gegner eine absolut tödliche Gefahr darstellte. Was wohl daranlag, dass der Gegner das Messer nicht sah, welches ihm den Halsaufschlitzte. Inzwischen hatte er den Wagen erreicht und schlug diePlane zum Innenraum des Wagens zurück. Vorsichtig fühlte er imDunkeln nach Carlotta, um sich sacht danebenzulegen. Eine Weilestarrte er noch ins Dunkle, bis der ruhige, gleichmäßige Atem Carlottasauch ihn einschläferte. Es war noch sehr schummrig, als ihn das ersteTrällern der Vögel weckte. Leise stand er auf, denn Carlotta schlief nochtief und fest. Unter dem Wagen lagen Bomba und der Professor, Calliwar nirgendwo zu sehen. Plötzlich landete etwas Kleines, Braunes aufseiner Schulter, richtete sich auf und stieß einen leisen Pfiff aus.

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„Hallo Calli, mal wieder in die alte Gestalt geschlüpft?“

Liebevoll schmiegte sich das putzige Tier an Hals und Wange, so alswenn es genau diese Zärtlichkeit vermisst hätte.

„Verstehe! Tu dir keinen Zwang an, ein wenig hat es mir auch gefehlt.Sind eben liebgewonnene Gewohnheiten aus Zeiten als wir nur unshatten.“

Jonathans Hand streichelten den kleinen Gesellen über Kopf undRücken, was dieser sichtlich genoss, um gleich darauf mit einemgewaltigen Satz von der Schulter zu springen. Jonathans Blick fiel aufdie Feuerstelle. Unter dem Kessel brannte ein kleines Feuer undThyrogenius rührte mit einem langen Holzlöffel den Inhalt um.

„Haferbrei mit Rosinen“, murmelte Thyrogenius, als er Jonathansfragenden Blick bemerkte.

Jetzt, dicht am Kessel, krabbelte Jonathan der Duft des angekündigtenFrühstücks doch noch in die Nase. Doch sein Weg führte zum Bach, erhatte das Bedürfnis sich ein wenig frisch zu machen. Das Wasser wareiskalt und vertrieb sofort die letzten Schlafmäuse aus seinem Gehirn.Bomba und der Professor krabbelten gerade unter dem Wagen hervor,nur seine Carlotta fehlte noch. Als Jonathan in den Wagen blickte, saher, dass sich seine Geliebte heftig räkelte.

„Dornröschen, schaffst du es alleine, oder muss ich dich wachküssen“,sprach er leise in den Innenraum hinein.

„Was hat das eine mit dem anderen zu tun“, gab sie verschlafen zurück.Ruck Zuck war Jonathan bei ihr und hauchte ihr Leben ein.

„Das muss reichen Schatz, das Frühstück wartet“, flüsterte Jonathan ihrins Ohr, während seine Hand ihren Körper streichelte.

„Mach mehr“, hauchte sie verführerisch, doch Jonathan blieb hart, dafürfing er an sie zu kitzeln.

„Du bist gemein, es war gerade so schön“, wurde Carlotta leicht zornig.

„Ich weiß, doch wir befinden uns hier wie auf dem Präsentierteller,vielleicht hast du das vergessen?“

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„Oh!“, mehr kam zu diesem Thema nicht über ihre Lippen, dafür erhobsie sich und folgte Jonathan nach draußen.

Auf dem Weg zur Tafel ordnete sie ihre Kleider und fuhr sich mit derHand durchs Haar. Alle Anderen blickten den Beiden erwartungsvollentgegen. Erst als auch Jonathan und Carlotta platzgenommen hatten,füllte Thyrogenius die Schüsseln mit Brei und Caligula servierte. Der Breimachte nicht nur satt, sondern schmeckte auch vorzüglich.

„Thyrogenius, könnte ich das Rezept von dir haben“, meldete sichCarlotta zu Wort, nachdem sie sehr undamenhaft ihre Schüssel sogarmit einem Finger saubergeputzt hatte.

Der Druide hob den Blick und sah sie mit einer tiefen Freundlichkeit an.„Schon geschehen, meine Teuerste.“

„Wie?“, wobei sie ihr ganzes Unverständnis in das eine Wort legte, nurum gleich darauf auszustoßen, „oh, wie macht er das nur?“

„Pass auf Carlotta, sonst wird Oh noch zu deinem Lieblingswort“,erinnerte sieh Jonathan an das Oh, als er sie aus dem Wagen holte.

„Dann eben verdammt, wie macht er das bloß, ich hab‘s im Kopf“, konntesich Carlotta gar nicht beruhigen.

„Na, du weißt doch, die Sache mit den Märchen“, erklärte ihr Jonathanlachend.

„Wenn ihr alle satt geworden seid, dann könntet ihr euch langsam aufden Weg machen. Ich muss hier noch Ordnung schaffen, folge euchdann später“, gab Thyrogenius das Zeichen zum Aufbruch.

Die nächsten Tage verliefen in einem angenehmen Gleichmaß, wodurchsich bei Carlotta der Eindruck verstärkte, sie befände sich auf einerwundervollen Reise durch eine Märchenwelt. Nach drei Wochen stiegdas Gelände merklich an und ohne Thyrogenius Zauberkünste hätten sievermutlich keinen befahrbaren Weg mehr gefunden. Doch mit seinemZauberstab ebnete er Wege oder schuf sogar welche. Trotzdem musstensie des Öfteren absteigen weil der Weg zu steil wurde. Nachdem diePferde ausgespannt waren, hing sich Bomba das Geschirr über dieSchultern und zog den Wagen mühelos jeden Steilhang hoch. Natürlich

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verlangsamte das ihre Reisegeschwindigkeit, doch auch mit kleinenSchritten kommt man sicher ans Ziel. Und so war es nicht verwunderlich,dass sie eines nachmittags, auf den Steinkreis zufuhren, der das Tor zuihrer Heimatwelt beherbergte. Nachdem Jonathan das Fuhrwerkabgestellt hatte, versammelte sich die ganze Reisegesellschaft in derMitte des Steinkreises.

„Seid ihr bereit?“, stellte der Druide eine fast überflüssige Frage.

„Mach schon oder worauf wartest du noch“, entgegnete Jonathangenervt.

Thyrogenius berührte mit seinem Stab einen der Menhire, worauf sofortauf allen Steinen die magischen Zeichen aufleuchteten. Ein letzter,fragender Blick auf Jonathan, dann berührte er den Kopf des Drachen.Sofort fing sich dieser an zu drehen, wobei der Kreis, den seinschlangenhafter Körper bildete, nicht nur größer und größer wurde,sondern auch ein gleißendes Licht in seinem Inneren entstand. Jonathangab ein Zeichen, worauf Caligula im Lichtschein verschwand. Bombaschubste den Professor Richtung Drachenkreis und hindurch, nur um ihnauf der Stelle zu folgen.

„Carlotta, bitte du vor mir“, wies Jonathan seine Verlobte an. „Hab keineAngst“, fügte er noch beruhigend hinzu.

Carlotta nahm sich ein Herz und schon verschluckte sie das Licht.Jonathan nahm nochmals Blickkontakt zu Thyrogenius auf, um dann denentscheidenden Schritt zu vollziehen, der ihn in seine Weltzurückbrachte. Bewusst verzichtete er auf ein „auf Wiedersehen“,bewusst hatte er auch den Stab im Wagen zurückgelassen, so glaubteer jedenfalls. Als er im Raum, der sich im westlichen Turm vonWullingham Castle befand, zu den anderen trat, da war sich Jonathansicher, dass er alle Brücken nach Asgardun hinter sich abgebrochenhatte. Bevor Jonathan an die Gegensprechanlage trat, blickte er Bombaund Caligula auffordernd an.

„Jungs, glaubt ihr nicht auch, dass das der gegebene Zeitpunkt wäre, umwieder in eure alten Gestalten zu schlüpfen?“

Die Angesprochenen setzten schuldbewusste Mienen auf, dann gingalles so schnell, dass es mit dem menschlichen Auge nicht zu verfolgen

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war. Plötzlich erklang Bombas Kläffen zu Jonathans Füßen und dashohe Piepsen von Caligula, als er an Jonathans Kleidung hochkletterteund in der Jacke verschwand. Während Carlotta sich alle Mühe gab, denmagischen Vorgang zu verfolgen, begab sich Bomba, wie es sich füreinen Hund gehört an die Seite von Jonathan. Nur der Professor wirktemit seinem leeren Blick irgendwie abwesend.

Davon vollkommen unbeeindruckt trat Jonathan an die Sprechanlageund rief ein lautes, „Henry“ hinein, wohlwissend, dass seineAbwesenheit, hier in dieser Welt, nur kurze Zeit betrug. Jedenfalls wenner den Worten der Drude Roxane Glauben schenkte. Und dem schien sozu sein, denn es dauerte nicht lange und der Monitor ging an und HenrysGesicht erschien darauf. Fassungslos stierte jener auf die Bildschirme,auf denen deutlich sein Lord, dessen Verlobte und der Professor zuerkennen waren. Zwar öffnete sich sein Mund, doch er klappte wiederzu, ohne dass er einen Ton heraus gebracht hatte.

„Henry, wären sie so freundlich die Panzertür zu öffnen“, brachte ihnJonathans Stimme auf Trab.

„Jawohl Mylord, aber natürlich Sir“, stammelte der Diener verwirrt.

Lautlos schwang die schwere Panzertür auf und Henry berührteungläubig den Arm seines Herrn, als dieser durch die Tür trat.

„Sir, ihr seid es wirklich, ich dachte schon ich wäre einem Spukaufgesessen. Wie kann es sein, dass ihr schon wieder mit Mylady unddem Professor zurück seid? Gerade sah ich euch durch den Lichtkreistreten, kehrte dem Raum den Rücken, hatte soeben das Treppenhauserreicht, als ich meinen Namen rufen hörte.“

„Eine lange Geschichte Henry, nicht jetzt, vielleicht später einmal“,würgte Jonathan das Thema sofort ab. „Dem Professor geht es nicht gut,bringt ihn in einem Gästezimmer unter, er wird morgen abreisen.“

Henry lag schon die nächste Frage auf den Lippen, doch er verschlucktesie, als er Jonathans abweisenden Gesichtsausdruck sah. So packte erden Professor, der sichtlich einen verwirrten Eindruck machte, am Armund zog ihn hinter sich her. Eine Sorge weniger dachte Jonathan undwand sich an seine Verlobte.

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„Was meinst du Carlotta, ob wir nach diesem aufregenden Erlebniseinfach so, in unseren, nur kurz unterbrochenen, Schlaf zurückfinden?“

„Du kannst Fragen stellen, Liebling. Woher soll ich das wissen? Aber wieich dich kenne, fällt dir bestimmt etwas ein, das uns müde macht“, dabeiumspielte ein verführerisches Lächeln ihren Mund.

Doch wie so oft im Leben kam es dann ganz anders. Kaum lagen siewieder friedlich, nebeneinander in ihrem Bett, als sie der Schlafheimsuchte, so als wenn es die ganze Geschichte nie gegeben hatte.Als ihr Atem ruhig und gleichmäßig davon Zeugnis gab, dass sie tiefschliefen, verließ Caligula seinen Käfig und verwandelte sich wieder indas knabenhafte Wesen, in das ihn Roxane auf Asgardun verzauberte.Wie der große, hölzerne Stab in seine Hände gelangte, sollte für immersein Geheimnis bleiben. Auf leisen Sohlen begab er sich zumschlafenden Bomba und berührte ihn sanft. Bomba stieß ein leisesSchnaufen aus, erhob sich und folgte seinem Freund nach draußen, woauch er sich verwandelte. Caligula legte einen Finger auf den Mund undging lautlos voran. Leise wie Schatten verließen sie das Haus, um sichauf den Weg zum angrenzenden Wäldchen zu machen.

„Jonathan glaubt, dass er den Stab in Asgardun zurückgelassen hat, wirwollen ihn in diesem Glauben lassen“, erklärte Caligula seinem großenFreund verräterisch. „Wir verstecken ihn im Wäldchen, wer weiß wofürwie ihn noch brauchen.“

„Hm, und du meinst das ist O.K.?“, schien Bomba nicht wirklichüberzeugt von der Idee.

„Aber Großer, denk doch mal nach. Brauchen wir ihn nicht, dann bleibt ereinfach im Wald liegen, ein Stock unter Stöckern. Doch sollte irgendeinUmstand eintreten, der es nötig macht, Verbindung mit unserenFreunden in Asgardun aufzunehmen, dann wissen wir wo der Schlüsselzu suchen ist. Wo siehst du ein Problem?“

Bomba machte ein nachdenkliches Gesicht, dann ließ er ein tiefesBrummen ertönen. „Du könntest recht haben, Kleiner. Scheint keinenSchaden anzurichten, dass was du vorhast. Also gut, ich bin dabei.“

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Sie bahnten sich ihren Weg in das urtümliche Wäldchen, unweit desHauses, indem die Natur sich selbst überlassen blieb. Plötzlich bliebCaligula stehen und reichte Bomba den Stab.

„Das ist weit genug. Hier kommt bestimmt kein Schwein hin, hier kannstdu den Stock in den Boden rammen. Du hast einfach mehr Kraft“, fügteCaligula noch auf den fragenden Blick Bombas hinzu. „Aber lass ihnnoch ein Stück aus der Erde blicken.“

Bomba blickte seinen kleinen Freund aus faltigem Gesicht irgendwietraurig an. „Du denkst wohl ich bin doof?“

„Entschuldige Großer, so war das nicht gemeint. Du bist mein besterFreund und natürlich bist du nicht doof.“

Ein breites Grinsen ging über Bombas Gesicht, als er den Stab fest, abergefühlvoll in den Boden rammte.

„Findest du nicht auch, dass wir ein gutes Team sind?“, brummelteBomba auf dem Rückweg.

„Was heißt hier gut? Wir sind unschlagbar und wir haben eineaußerordentlich wichtige Aufgabe, wir müssen Jonathan beschützen undzwar so, dass er es nicht merkt“, setzte Caligula noch einen oben drauf.

„Au ja, das macht bestimmt Spaß“, stimmte Bomba begeistert zu.

Am Rande des Wäldchens setzten sie sich auf einen umgestürztenBaumstamm und blickten auf das vom Mondschein beschieneneAnwesen.

„Calli, hast du eine Vorstellung wie die Sache weitergeht?“, nahm Bombanach einer Weile das Gespräch wieder auf.

„Der Professor wird nach Hause geschickt. Thyrogenius hat dafürgesorgt, dass er sich an nichts mehr erinnert. Und unsere beidenTurteltäubchen werden nach einer gewissen Zeit glauben, einenfantastischen Traum geträumt zu haben. Doch wir beide wissen esbesser. Solange es uns und unsere fantastische Gabe gibt, wird dieGeschichte bestimmt nicht zu Ende sein“, erklärte Caligula seinemFreund die Sache, so wie er sie sah, voller Überzeugung.

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Bomba, nicht der schnellste im Denken, verharrte längere Zeit imSchweigen.

„Kleiner, du könntest recht haben und um so länger ich darübernachdenke, umso besser gefällt mir der Gedanke.“ Bomba legte seinengewaltigen Arm um die schmächtige Schulter seines Freundes undkeiner von beiden fand es seltsam, dass sich hier mitten in der Nacht, imMondschein, eine Ratte und ein Hund unterhielten.

Ende

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