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Korsett oder Katalysator ? - Gedanken zur Rolle des Rechts im Sport

Date post: 21-Jul-2015
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Korsett oder Katalysator ? - Gedanken zur Rolle des Rechts im Sport Herbert Fischer-Solms im "Sportgespräch" mit den Stuttgarter Rechtsanwälten Marius Breucker und Christoph Wüterich Athleten klagen sich vor Schiedsgerichten zu den Olympischen Spielen, fordern Schadensersatz für Dopingsperren oder stellen die Athletenvereinbarungen in Frage - Gerichtsverfahren spielen im Sport nicht mehr nur eine Nebenrolle. Schwerpunktstaatsanwaltschaften ermitteln wegen Dopings, "Kronzeugen" beichten gegenüber Anti-Doping-Organisationen, selbst über Rote Karten wird mit anwaltlicher Hilfe prozessiert. Nehmen Juristen dem Sport seine Unbeschwertheit? Geht die schönste Nebensache der Welt im Dschungel der Paragraphen verloren? Über die gewachsene juristische Bandbreite des Sports diskutierte Herbert Fischer-Solms mit den Rechtsanwälten Dr. Marius Breucker und Dr. Christoph Wüterich aus der Stuttgarter Kanzlei Wüterich Breucker. Die Beiträge basieren auf redigierten Auszügen des "Sportgesprächs" im Deutschlandfunk vom 11. Dezember 2011 unter dem Titel "Zwischen Markenrecht, Persönlichkeitsrecht und Anti-Doping-Gesetz - Die juristische Bandbreite des Sports". Herbert Fischer-Solms: "Sportrechtler die wahren Beweger im Sport?"
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Korsett oder Katalysator ? - Gedanken zur Rolle des Rechts im Sport

Herbert Fischer-Solms im "Sportgespräch" mit den Stuttgarter Rechtsanwälten Marius Breucker und

Christoph Wüterich

Athleten klagen sich vor Schiedsgerichten zu den Olympischen Spielen, fordern Schadensersatz für

Dopingsperren oder stellen die Athletenvereinbarungen in Frage - Gerichtsverfahren spielen im Sport

nicht mehr nur eine Nebenrolle. Schwerpunktstaatsanwaltschaften ermitteln wegen Dopings,

"Kronzeugen" beichten gegenüber Anti-Doping-Organisationen, selbst über Rote Karten wird mit

anwaltlicher Hilfe prozessiert. Nehmen Juristen dem Sport seine Unbeschwertheit? Geht die

schönste Nebensache der Welt im Dschungel der Paragraphen verloren?

Über die gewachsene juristische Bandbreite des Sports diskutierte Herbert Fischer-Solms mit den

Rechtsanwälten Dr. Marius Breucker und Dr. Christoph Wüterich aus der Stuttgarter Kanzlei

Wüterich Breucker. Die Beiträge basieren auf redigierten Auszügen des "Sportgesprächs" im

Deutschlandfunk vom 11. Dezember 2011 unter dem Titel "Zwischen Markenrecht,

Persönlichkeitsrecht und Anti-Doping-Gesetz - Die juristische Bandbreite des Sports".

Herbert Fischer-Solms: "Sportrechtler die wahren Beweger im Sport?"

Herbert Fischer-Solms: Herr Wüterich, Sportrechtler, das sind doch die wahren Beweger im

modernen Sport, oder wollen Sie da widersprechen?

Christoph Wüterich: In der Tat gewinnt das Recht größere Bedeutung im Sport: Zunehmend werden

auch Fragen des Sports unter rechtlichen Aspekten betrachtet. Der Sport greift nach dem Recht, weil

es ein geeigneter Konfliktlösungsmechanismus ist. Die Zeiten, in denen es nur um Spielregeln ging,

die man nicht justizförmig behandelte, sind unwiederbringlich vorbei. Deswegen gewinnt der

Sportrechtler eine gewisse Bedeutung; aber er ist nicht derjenige, der alles bewegt.

Herbert Fischer-Solms: Herr Breucker, zu den Juristen im Sport: An den großen, wichtigen und

spektakulären Entscheidungen im heutigen Sport sind Juristen beteiligt.

Marius Breucker: Ja, das ist bei Rechtsentscheidungen, so denke ich, auch sinnvoll, wenn dort

Juristen beteiligt sind. Natürlich sollte es nicht so sein, dass der Sport, wie es mit kritischem Unterton

heißt, "verrechtlicht" wird. Die Juristen sollten sich nicht des Sports "bemächtigen", als einer neuen

Spielwiese, auf der sie sich austoben. Aber so ist es auch nicht: In Wahrheit bewegt sich der Sport mit

fortschreitender Professionalisierung und Kommerzialisierung in das Recht hinein. Das ist eine

Konsequenz aus den zunehmend professionellen Strukturen in den Verbänden und Vereinen. Wenn

etwas professionell betrieben wird - das gilt für alle Lebensbereiche - braucht es auch Mechanismen

für einen Interessenausgleich und effektive Verfahren zur Streitbeilegung. Das Recht stellt beides zur

Verfügung.

Herbert Fischer-Solms: Gibt es noch andere Gründe für diese Entwicklung, zum Beispiel die

gewachsene wirtschaftliche Bedeutung des Sports - es geht um immer mehr Geld - oder das

gewachsene Selbstbewusstsein der Verbände oder der Athleten?

Marius Breucker: In der zunehmenden Bedeutung des Rechts spiegelt sich die gewachsene Rolle des

Sports in der Gesellschaft wider. Und mit der wirtschaftlichen Bedeutung wächst auch das

Selbstvertrauen der Beteiligten.

Herbert Fischer-Solms: Ein spektakulärer Fall: Der Leichtathlet Charles Friedek klagte auf

Schadensersatz, weil er nicht nominiert worden war für die Olympischen Spiele in Peking, Herr

Wüterich.

Christoph Wüterich: Da werden die Zusammenhänge deutlich: Eine Nichtnominierung bedeutet für

den Athleten erhebliche wirtschaftliche Einbußen. Der Athlet sagt, die Nominierungsrichtlinien seien

nicht ordnungsgemäß angewendet worden. Es gibt zu dieser Frage divergierende

Gerichtsentscheidungen. Jetzt sagt der Athlet, wenn diese Entscheidung rechtswidrig war, dann muss

der Verantwortliche die sich daraus ergebenden ökonomischen Folgen tragen. Das ist

paradigmatisch: Der Sport greift nach dem Recht, er hat das Recht als Konfliktlösungsmittel entdeckt.

Und in der Tat: Wenn dem Athleten 100.000 Euro fehlen, warum soll das an ihm hängen bleiben,

wenn er nicht richtig behandelt wurde?

Herbert Fischer-Solms: In der Vergangenheit haben die Athleten das meistens klaglos hingenommen.

Die Nominierungshoheit für Olympische Spiele liegt beim Olympischen Komitee, in Deutschland also

beim Deutschen Olympischen Sportbund, und man hat sich dem unterworfen. Diese Zeiten sind

offenbar vorbei.

Marius Breucker: Es sind weiterhin Einzelfälle, in denen Athleten vor Gericht ziehen, wenn sie nicht

nominiert werden. In diesem Fall rief der Athlet das Deutsche Sportschiedsgericht an. Es war der

erste Fall seit Gründung des Sportschiedsgerichts Anfang 2008. Der Impuls zur Gründung dieses

Schiedsgericht kam aus dem Sport heraus. Es hat im konkreten Fall rasch und effektiv im Wege des

einstweiligen Rechtsschutzes und später auch im Hauptsacheverfahren entschieden. Der Streit

wurde dann weitergetragen zu den staatlichen Gerichten. Es ist legitim, wenn ein Athlet eine

umstrittene Frage, die für ihn mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen verbunden war, juristisch

klären lässt. Ob es immer opportun ist, ob man das immer für klug hält, ist eine andere Frage. Unter

dem Strich ist es aber, so denke ich, eine normale Entwicklung, dass Fragen von wirtschaftlich großer

Bedeutung justiziabel geklärt werden, auch wenn sie ihren Ursprung im Sport haben.

Herbert Fischer-Solms: Der Dopingfall Claudia Pechstein ist seit 2009 aktuell. Sie hatten für die

Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft das Mandat. Herr Breucker, kann man sagen, dass es einen

solchen Rechtsstreit im deutschen und im internationalen Sport noch nie gegeben hat?

Marius Breucker: Soweit ersichtlich war es der erste Fall, in dem ein internationaler Athlet auf

Grundlage nur eines indirekten Beweises angeklagt und dann wegen Dopings verurteilt und für zwei

Jahre gesperrt wurde.

Herbert Fischer-Solms: Claudia Pechstein verweist darauf, dass sie nach ihrer Sperre und bis heute

dieselben Werte habe, wie 2009, als sie gesperrt wurde. Gleichwohl wurde sie später nicht mehr

gesperrt. Der internationale Verband, die ISU, sagt, sie habe ihre Regeln geändert. Wie sieht das der

Jurist?

Marius Breucker: Der entscheidende Faktor dieses Falles war und ist die Frage, ob die Blutwerte der

Athletin den Schluss zulassen, dass sie nur durch Doping hervorgerufen werden können. Das ist eine

Frage, die uns in wissenschaftliche medizinische und biochemische Sphären führt. Im Kern ist es aber

keine juristische, sondern eine tatsächliche Frage: Entweder die Werte lassen den Rückschluss auf

Doping zu oder eben nicht. An dieser tatsächlichen Frage kann die Änderung eines Regelwerkes oder

eines Blutpassprogrammes letztlich nichts ändern. Dort werden nur Kriterien formuliert, die bei der

Entscheidungsfindung helfen sollen. In der Sache selber kann aber 2009 nichts anderes gegolten

haben als heute: Entweder der Schluss auf Doping ist bei objektiver Betrachtung zwingend oder

nicht.

„Claudia Pechstein 2008“ von Bjarte Hetland - Own work. Lizenziert unter CC BY

3.0 über Wikimedia Commons.

Herbert Fischer-Solms: Es stellen sich viele Fragen. Wir können das an dieser Stelle nicht unbegrenzt

untersuchen, aber vielleicht doch noch eine Frage an Marius Breucker: Könnte es sein, dass Claudia

Pechstein Recht bekommt, dass also ihre Werte 2009 genauso beurteilt werden müssen wie die

jetzigen?

Marius Breucker: Man muss zwei Ebenen unterscheiden: Das sportrechtliche Verfahren ist

rechtskräftig abgeschlossen. Es gibt juristisch keine Möglichkeit mehr, das Schiedsverfahren als

solches nochmals aufzurollen. Das ist für die Athletin sicherlich schwer zu akzeptieren, aber juristisch

eindeutig: Der Fall ist abgeschlossen - Roma locuta, causa finita. Von der Frage der Rechtskraft des

Schiedsspruchs zu unterscheiden ist aber die tatsächliche Frage: 2009 erhob die ISU eine Anklage und

es kam zu einer Verurteilung; später gab es vergleichbare Werte, die jedenfalls bislang offenbar nicht

zu dem Schluss geführt haben, eine Anklage zu erheben oder die Athletin verurteilen zu können.

Insofern ist die Tatsachenfrage, ob die Werte den Rückschluss auf Doping zulassen oder nicht, nach

wie vor offen und stellt sich vielleicht mehr denn je. Das Schiedsverfahren selbst ist rechtlich

abgeschlossen. Nicht ausgeschlossen sind etwaige Schadensersatzansprüche der Athletin, wenn sich

herausstellen sollte, dass die Sperre zu Unrecht erfolgte und der Schiedsspruch unwirksam war oder

in Deutschland nicht anzuerkennen ist.

Herbert Fischer-Solms: Claudia Pechstein hatte vor längerem angekündigt, sie wolle mit ihrem Fall

vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen. Sie hat darauf verzichtet. Aber wir

wissen, dass dort schon einige Verfahren mit Sportlern anhängig sind. Ein Beweis für das neue

Selbstbewusstsein der Athleten?

Christoph Wüterich: Ich weiß nicht, ob es dabei um das Selbstbewusstsein der Athleten geht. Es gibt

einige Themen, bei denen mögliche Rechtsverletzungen greifbar sind. Das kann man auch als

engagierter Kämpfer gegen Doping nicht in Abrede stellen - und das ist für den Außenstehenden das

Interessante auch am Fall Pechstein. Nehmen wir die Meldepflichten: Die erreichen mittlerweile eine

grenzwertige Dichte. Es ist für einen unbefangenen Betrachter erkennbar, dass es so nicht

weitergehen kann. Wenn die Verweildauern der Substanzen im Körper noch kürzer werden - was

sollen wir dann noch prüfen? Wie dicht wollen wir das Netz noch weben? Daraus folgt, dass uns der

mittelbare Beweis weiterhelfen muss, also der Rückschluss von der Situation im Körper auf die

Tatsache eines Dopingverstoßes. Daran muss man arbeiten. Im Fall Pechstein war man noch in einer

ganz frühen Phase und das sieht man dem Fall auch an. Kurz nach der Entscheidung traten

detaillierte Richtlinien der WADA zum Blutpass in Kraft, die anderes gezeigt haben. Wir kennen das

auch auf anderen Feldern des Rechts, zum Beispiel bei der Vaterschaftsfeststellung: Auch ein

Rechtsstaat muss eine bestimmte Anzahl von Fehlentscheidungen hinnehmen. Das ist so. Nicht alle

Urteile sind sachlich richtig. Der Rechtsstaat muss sich darum kümmern, die Zahl der

Fehlentscheidungen so gering wie möglich zu halten. Daraus folgt für den mittelbaren Beweis: Man

muss Methoden finden, die zwingende Schlussfolgerungen ermöglichen. Bei einer

Vaterschaftsfeststellung haben wir zum Beispiel eine Anforderung an die Wahrscheinlichkeit von

99,98 %. Zwei von zehntausend Fällen werden also - statistisch - falsch entschieden. Solch eine

Wahrscheinlichkeit brauchen wir auch im Dopingbereich. Es gilt zwar nicht die strafrechtliche

Unschuldsvermutung, das ist klar, wir können aber Athleten nicht in Kohorten ungerechtfertigt

wegen Dopings sperren.

Herbert Fischer-Solms: Ist der mittelbare Dopingbeweis durch den Fall Pechstein widerlegt oder hat

er noch Zukunft?

Christoph Wüterich: Das ist das einzige, was überhaupt Zukunft hat! Der direkte Dopingnachweis

geht seinem Ende zu. Es gibt unglaublich viele negative Proben - wenn es uns nicht bald gelingt, mit

wissenschaftlicher Unterstützung ordentliche mittelbare Nachweise zu finden, wird es schwierig.

Wenn wir den mittelbaren Dopingnachweis nicht verbessern, wird das ganze System in Frage gestellt.

Christoph Wüterich: "Entwicklung zur allzeitigen Verfügbarkeit des Athleten"

Herbert Fischer-Solms: Der direkte Dopingbeweis ist tot. Stimmen Sie zu, Herr Breucker?

Marius Breucker: Es kommt entscheidend darauf an, den mittelbaren Beweis zu verbessern. Das

Verfahren Pechstein - wie auch andere Fälle, die auf Indizien fußen, etwa der Fall Contador - sind

nicht bedeutsam für die Frage, ob es einen mittelbaren Beweis gibt oder nicht. Es gibt natürlich einen

mittelbaren Beweis. Den gab es schon immer und den wird es immer geben. Die Frage ist nur, wie

gut er ist, wie verlässlich. Und wir - das darf man sagen - als engagierte Anti-Dopingkämpfer, die viel

für die WADA tätig sind, glauben, dass für die Legitimation des Anti-Dopingkampfes beides wichtig

ist: Die Betrüger zu fassen und die Betrüger von den Unschuldigen zu unterscheiden. Es schadet dem

Anti-Dopingkampf mehr, wenn man einen Unschuldigen verurteilt, als wenn man acht oder neun

Schuldige laufen lässt.

Herbert Fischer-Solms: Rechtliche Fragen im Zusammenhang mit den Menschenrechten der Athleten

gehen ja weit über die Dopingfrage hinaus, Herr Wüterich.

Christoph Wüterich: Das kann man wohl sagen. Wir haben gerade die Frage angesprochen, dass die

Sportler nach dem Meldesystem gezwungen sind, für eine Stunde am Tag im Voraus verbindlich

anzugeben, wo sie sich aufhalten und dies dann auch einzuhalten. Wenn man das einmal von der

Ferne betrachtet, ist das in einer freien Gesellschaft wie der unseren schon bemerkenswert. Aber der

Sport hat auch andere Sorgen und führt zu Auswüchsen, etwa in den Bereichen der körperlichen

Unversehrtheit oder der Menschenwürde, von denen man eigentlich in unserer Gesellschaft dachte,

dort könne nicht mehr viel passieren.

Herbert Fischer-Solms: Zum Beispiel die Minderjährigen im Sport?

Christoph Wüterich: Ich denke beispielsweise an Minderjährige und Jugendliche, ich denke aber

auch an die zunehmenden Belastungen, denen alle Sportler ausgesetzt werden. Der körperliche

Raubbau, der dort betrieben wird, ist nicht ohne Weiteres damit zu rechtfertigen, dass die Sportler

besonders viel Geld verdienen. Erstens ist das nur teilweise der Fall. Und zweitens lassen sich

Körperschäden nicht beliebig mit Geldbeträgen aufrechnen. Wir sehen im Sport eine Entwicklung der

allzeitigen Verfügbarkeit der Athleten. Die Wettbewerbsprogramme werden immer dichter. Das

erinnert an das 19. Jahrhundert, in dem die Leute in den Bergwerken arbeiteten und körperlich

katastrophalen Raubbau betrieben. Dann setzte die Entwicklung des Arbeitnehmerschutzrechtes ein.

Damit wurden Arbeitszeiten vorgegeben und gesundheitliche Rahmenbedingungen gesetzt. Wenn

man den Sport unbefangen betrachtet, sieht man dort eine gegenläufige Entwicklung: Die

Wettbewerbe nehmen immer mehr Zeit des Athleten in Anspruch. Das wird zwar teilweise gut

entlohnt, aber die Entlohnung kann nicht alles rechtfertigen.

Herbert Fischer-Solms: Lassen Sie uns einige Probleme abarbeiten: Fußballprofis gelten ja als

Arbeitnehmer, Herr Breucker. Immer wieder gibt es Schlagzeilen, wenn Fußballer vom Training

ausgeschlossen werden und ihnen damit sozusagen die Arbeitsgrundlage entzogen wird. Der Trainer

Felix Magath ist hierfür ein Bespiel, aber die Fälle gehen darüber weit hinaus.

Marius Breucker: Fußballer sind im juristischen Sinne Arbeitnehmer. Das gilt grundsätzlich auch für

andere Mannschaftssportler. Für sie gilt das Arbeitsrecht und damit auch das Arbeitsschutzrecht. Es

ist handgreiflich, dass die Regelungen des Arbeitsschutzrechts in vielen Fällen auf Berufssportler

nicht passen. Nehmen Sie zum Beispiel eine Fußball-Welt- oder Europameisterschaft oder auch

Champions-League-Einsätze: Dort sind die Fußballer nicht nur während des Spiels, sondern auch bei

der An- oder Abreise, bei Taktikbesprechungen, bei der Spielvorbereitung und der anschließenden

Analyse oder auch bei einer Rekonvaleszenz nahezu rund um die Uhr im Einsatz. Es mag im Einzelnen

umstritten sein, was zur Arbeitszeit gehört. Aber unzweifelhaft werden im Berufssport - denken Sie

auch an eine Tour de France - die Arbeitszeitregeln und andere Arbeitsschutzgesetze nicht

konsequent eingehalten.

„Felix Magath 2012 Wolfsburg“ von Franconia - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA

3.0 über Wikimedia Commons.

Herbert Fischer-Solms: Wäre ein Tarifrecht im Sport eine Alternative - eine Fußball-

Weltmeisterschaft nach Maßgabe der Gewerkschaft ver.di gemäß der Arbeitszeitordnung?

Marius Breucker: Der Sport ist international und hat spezifische Anforderungen. Man kann ihn nicht

genau so regeln, wie "normale" Tätigkeiten von Arbeitnehmern im klassischen Industrie- oder

Dienstleistungssektor. Die Forderung lautet daher nicht, den Sport in das Korsett des bestehenden

Rechts zu zwingen. Vielmehr müsste man ein Recht des professionellen Sports schaffen, das den

spezifischen Anforderungen Rechnung trägt. Ein passgenaues Recht könnte den Sport beflügeln. Hier

kann und muss auf Dauer der Gesetzgeber aktiv werden. Das Arbeitsrecht eröffnet etwa die

Möglichkeit, dass sich die Protagonisten selbst organisieren. Im Fußball gibt es schon

Gewerkschaften, zum Beispiel die Vereinigung der Vertragsspieler (VDV). Was bislang noch fehlt,

jedenfalls in Deutschland, sind Arbeitgebervereinigungen. Es wäre durchaus denkbar, dass sich

Arbeitgeber und Arbeitnehmer organisieren und sich als Tarifparteien an einen Tisch setzen, um

passgenaue Lösungen zu entwickeln. Damit könnten die Arbeitnehmer besser geschützt werden und

die Arbeitgeber hätten Rechtssicherheit. Das Recht könnte als Katalysator wirken, um den

professionellen Sport sachgerecht zu organisieren, ohne ihn mit Vorschriften zu überfrachten oder

mit ungeeigneten Regelungen zu gängeln.

Herbert Fischer-Solms: Ist der Ausschluss eines Fußballers vom Training rechtmäßig?

Marius Breucker: Der Verein als Arbeitgeber hat ein Weisungsrecht. Er kann innerhalb der Grenzen

des Arbeitsvertrages entscheiden, wo und wie er den Sportler einsetzen will. Das Weisungsrecht

zeigt sich im Sport etwa darin, dass der Trainer entscheidet, wer aufgestellt wird und wer nicht. Es

gibt keinen Anspruch auf einen Stammplatz, es sei denn, man lässt sich dies vertraglich zusichern,

was ja vorkommen soll. Das Weisungsrecht gestattet es also, einen Fußballer auf die Bank zu setzen

oder auch - je nach Inhalt des Arbeitsvertrages - in das Training der zweiten Mannschaft zu versetzen.

Umgekehrt hat jeder Arbeitnehmer, auch der Fußballer, Eishockey- oder Basketballspieler, einen

Beschäftigungsanspruch: Er hat einen Anspruch darauf, zu trainieren und in dem vom Trainer

bestimmten Umfang am Wettspielbetrieb teilzunehmen. Ein vollständiger Ausschluss vom Training

widerspricht diesem Beschäftigungsanspruch und ist rechtswidrig - immer vorbehaltlich der

jeweiligen Vereinbarungen im Arbeitsvertrag.

Herbert Fischer-Solms: Ein anderes Stichwort, Herr Wüterich, ist die "Kronzeugenregelung". Es

handelt sich um ein junges Instrument, das in Deutschland etwa im Falle von Doping im Radsport zur

Anwendung kam. Ist es ein geeignetes Instrument?

Christoph Wüterich: Das zentrale Problem in der Dopingbekämpfung war - und ist bis zum heutigen

Tage - die fehlende Kenntnis über interne Strukturen und die fehlenden Ermittlungsansätze. Aus dem

Innenbereich drang nichts nach außen. Der Gesetzgeber schuf zwar in den 90iger Jahren die

Tatbestände des Arzneimittelgesetzes. Die Staatsanwaltschaften hatten aber kaum

Anknüpfungstatsachen, auf deren Basis sie hätten ermitteln können. Aus der meist festgefügten

sozialen Gruppe um den Sportler herum waren kaum Informationen zu erhalten. Das Dopingproblem

wurde drängender und erschütterte den Sport in seinen Grundfesten. In dieser Situation haben wir

uns intensiv Gedanken darüber gemacht, wie man in dieses abgeschlossene Netzwerk eindringen

könnte. Aufgrund von Parallelen zu vergleichbaren Strukturen in anderen Bereichen haben wir dann

eine Kronzeugenregelung im Sport vorgeschlagen. Dabei war uns bewusst, dass mit einer

Kronzeugenregelung immer auch ein gewisses Gerechtigkeitsproblem verbunden ist: Ein Täter, der

auspackt, wird nicht mehr "tat- und schuldangemessen" bestraft. Aus dem organisierten Sport wurde

zunächst einmal widersprochen. Das war, so denke ich, eine Art Reflex der Verbände. Innovationen,

zumal wenn sie von außen kommen, widersprechen die Sportverbände häufig, weil sie um ihre

Autonomie fürchten. Unseres Erachtens wurde dabei aber verkannt, dass ohne Kronzeugenregelung

Potentiale brach liegen, die dem Sport helfen können.

Ähnlich verhält es sich mit der Manipulations- und Korruptionsbekämpfung: Es ist handgreiflich, dass

der Sport an diesem Thema leidet. Er greift es aber immer noch zu wenig aktiv auf. Auch hier wäre

eine Kronzeugenregelung denkbar. Diese war in der Vergangenheit, etwa im Radsport, sehr

erfolgreich. Durch die Aussagen der Kronzeugen haben wir viel über das System, seine Strukturen

und Hintermänner erfahren. Daraus ergaben sich Ermittlungsansätze, Ansatzpunkte für Zielkontrolle

und andere Möglichkeiten zur Effektivierung der Dopingbekämpfung.

Herbert Fischer-Solms: Als juristischer Laie und als Beobachter von außen hat man das Gefühl, dass

die Kronzeugenregelung gleichsam nach einem kurzen "Boom" im Radsport stehen geblieben ist.

Oder täuscht dieser Eindruck?

Marius Breucker: "Profisport braucht das Recht als effektiven Konfliktlösungsmechanismus"

Marius Breucker: Zur Kronzeugenregelung sind verschiedene Aspekte bedeutsam, die oft vermischt

werden: Manche Zuschauer haben erwartet, wenn ein Kronzeuge auspackt, werden am nächsten Tag

zehn oder zwölf Radsportler wenn nicht verhaftet, dann doch zumindest mit einem

sportgerichtlichen Verfahren überzogen und gesperrt. Dieser "Knalleffekt" hat sich nicht eingestellt,

worüber manche enttäuscht waren. Deswegen ist die Kronzeugenregelung aber sicher kein

Misserfolg. Denn die getätigten Aussagen haben signifikante Erkenntnisse über Hintergründe und

Strukturen gebracht, die zum Anlass für weitere Ermittlungen genommen wurden. Einige Radsportler

sind denn auch aufgrund von Kronzeugenaussagen später gesperrt worden. Da dies aber mit einiger

zeitlicher Verzögerung erfolgte und oftmals die Kronzeugenaussagen nicht das alleinige Beweismittel

zur Verurteilung waren, schlug sich dies in der öffentlichen Berichterstattung nicht immer nieder.

Dies ist auch den sportrechtlichen Schiedsverfahren immanent, die ja in der Regel nicht öffentlich

stattfinden.

Weiterhin darf man nicht das Regelungsinstrument mit den Inhalten der Kronzeugenaussagen

verwechseln: Die Erkenntnisse aus einer Aussage hängen naturgemäß von der Bereitschaft des

Kronzeugen ab, Ross und Reiter zu nennen. Wenn eine Aussage zwar über Strukturen und

Hintergründe Aufschluss gibt, nicht aber konkrete Namen nennt, können daran in der Regel keine

unmittelbaren Konsequenzen in Form von sportgerichtlichen Verfahren geknüpft werden. Das liegt

dann aber nicht an der Regelung, sondern an den Kronzeugen.

Ein dritter Aspekt: Allein die Existenz einer Kronzeugenregelung führt zu Verunsicherung in den

abgeschotteten Dopingkreisen. Auch wenn es ungeschriebene Gesetze des Schweigens geben mag,

so kann man sich doch nicht mehr ganz sicher sein, ob nicht einer auspackt, um die eigene Haut zu

retten. Diese Verunsicherung hat einen erheblichen präventiven Effekt. Dieser Effekt ist nur schwer

messbar, da die verhinderten Dopingfälle naturgemäß in keiner Statistik auftauchen.

Herbert Fischer-Solms: Deutschland diskutiert seit längerem über neue strafrechtliche Regelungen.

Brauchen wir eine Novellierung des Arzneimittelgesetzes oder ein eigenständiges Anti-Dopinggesetz,

Herr Breucker?

Marius Breucker: Der Sport leider unter einem Erkenntnis- und Ermittlungsdefizit: Man sieht in den

Ländern, in denen staatliche Anti-Dopinggesetze existieren, dass dort mithilfe der polizeilichen

Ermittlungsmethoden Erfolge erzielt werden. Wenn man diese Erfolge in Deutschland auch erzielen

will, brauchen wir eine Regelung, die auch das Doping des Sportlers unter Strafe stellt. Derzeit ist

man darauf angewiesen, dass man aus dem Umfeld des Sportlers Anhaltspunkte für eine

Verabreichung oder für einen Handel mit Dopingmitteln erhält. Solche konkreten Anhaltspunkte hat

man in den seltensten Fällen. Allein die positive Dopingprobe eines Sportlers ist derzeit kein

Anhaltspunkt dafür, dass eine Straftat im Sinne des Arzneimittelgesetzes vorliegt. Sie liefert damit

den Staatsanwaltschaften keinen Anfangsverdacht, der Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigen würde.

Herbert Fischer-Solms: Brauchen wir ein Anti-Dopinggesetz? Herr Wüterich, Sie waren

Hockeypräsident zu Zeiten als die Deutschen sehr erfolgreich waren, unter anderem Weltmeister

wurden. Brauchen wir das?

Christoph Wüterich: Ganz sicher, aus genau den Gründen, die der Kollege Marius Breucker

ausgeführt hat. Im professionellen Sport verschaffen sich die Athleten durch Doping in unlauterer

Weise klare ökonomische Vorteile. Das wird vom derzeitigen Strafrecht nicht erfasst und daran muss

man arbeiten. Auch hier ist natürlich mit dem Widerstand der Verbände zu rechnen, die um die

Autonomie des Sports fürchten und daher keine staatlichen Eingriffe wünschen. Zugleich merken die

Verbände aber, dass sie mit der Sportgerichtsbarkeit und den dortigen Ermittlungsmöglichkeiten an

ihre Grenzen stoßen. Es müssen daher neue Wege beschritten werden.

Marius Breucker: Ein staatliches Ani-Dopinggesetz würde die Verbände spürbar entlasten. Die

nationalen und internationalen Spitzenverbände sind derzeit in einem Dilemma: Sie müssen

einerseits ihre Athleten fördern und begleiten. Der Erfolg der Athleten ist Voraussetzung für eine

entsprechende finanzielle Förderung. Zugleich sollen die Verbände in dem Moment, in dem auch nur

der Verdacht eines Dopingverstoßes besteht, gleichsam die Robe des Staatsanwaltes anziehen und

gegen den eigenen Sportler ermitteln. Der strahlende Sieger, der Vorzeigeathlet, der vielleicht dem

Verband gerade noch Fördergelder beschert hat, soll nunmehr überprüft und gegebenenfalls

angeklagt und verurteilt werden. So verlangen es die geltenden Regeln. Damit sind die Verbände -

auch wenn viele sehr professionell organisiert sind - strukturell überfordert. Um dieses Dilemma

aufzulösen, sollte man die Ermittlungen bei einem Dopingverdacht und das anschließende Verfahren

einer unabhängigen Institution überlassen, z. B. der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA). Die

Verbände könnten dann wieder ihre eigentliche Funktion wahrnehmen, nämlich ihre Sportart und

ihre Sportler zu fördern und zu begleiten, was natürlich Aufklärung und Maßnahmen im Anti-

Dopingkampf nicht ausschließt. Wir brauchen also sportrechtlich eine Arbeitsteilung zwischen

Verbänden und NADA sowie dem Deutschen Sportschiedsgericht als unabhängiger Instanz.

Abgerundet würde dieses System durch passgenaue Straftatbestände mit entsprechenden

Ermittlungsmöglichkeiten für kompetente Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Wenn man die

jeweiligen Aufgaben deutlich konturiert, würde dies die Autonomie des Sports nicht schwächen,

sondern stärken.

Herbert Fischer-Solms: Das waren die Stuttgarter Sportrechtler Christoph Wüterich und Marius

Breucker im Sportgespräch im Deutschlandfunk.

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