663Der Orthopäde 8 · 2013 |
Update Orthopädie • Komplikationen/Infektionen
Prof. Dr. A. Ekkernkamp Unfallkrankenhaus BerlinErnst-Moritz-Arndt-Universität GreifswaldFerdinand-Sauerbruch-Straße 17475 [email protected]
Die Beiträge stammen aus dem Handbuch Orthopädie/Unfallchirur-gie 2013 und entsprechen den Semi-narunterlagen des 5. Ortho Trauma Update 2013 der med update GmbH
Orthopäde 2013 · 42:663–664 DOI 10.1007/s00132-013-2114-0 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
Redaktion: S. Rehart, Frankfurt a.M.
Korrespondenzadresse
Peri-operative Sterblichkeit
Originalpublikation
Pearse RM, Moreno RP, Bauer P et al. (2012) Mortality after surgery in Europe: a 7 day cohort study. Lan-cet 380:1059–1065
In der European Surgical Outcomes Study (EuSOS) wurde die HospitalSterblichkeit nach nichtherzchirurgischen Eingriffen ermittelt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung liefern Referenzdaten für das internationale Benchmarking, sind von fachübergreifendem Interesse und sollen hier detailliert betrachtet werden.
Zwischen dem 04. und 11.04.2011 wurden Daten von 46539 Patienten in 498 Kliniken und 28 europäischen Ländern erhoben. Deutschland stand hierbei mit insg. 5284 (11 %) auswertbaren Fällen nach Großbritannien (n = 10630, 23 %) und Spanien (n = 5433, 12 %) an Stelle drei aller rekrutierenden Nationen. Über ein Viertel aller Operationen wurden als orthopädische Eingriffe klassifiziert. Unklar bleibt allerdings, ob und
in welcher Dimension die Rubrik „Orthopaedics“ Frakturstabilisierungen und die Behandlung Schwerverletzter umfasste. Die publizierten Daten erlaubten keine Stratifizierung nach orthopädischen Eingriffen in deutschen Kliniken.
1864 Patienten (4,0 %, 95 % KI 3,8–4,2 %) verstarben im Krankenhaus, davon 468/12214 (3,8 %, 95 % KI 3,5–4,2 %) nach orthopädischen Eingriffen. Die Sterblichkeit schwankte international zwischen 1,2 und 21,5 %. Die niedrigste Hospitalletalität wurde in Finnland, Norwegen und Schweden beobachtet; Deutschland lag in der rohen Sterberate auf Platz 11 (2,5 %, 95 % KI 2,1–3,0 %). Im Vergleich zum Referenzland Großbritannien war das unadjustierte Odds Ratio (OR) für das Versterben im Krankenhaus 0,70 (95 % KI 0,57–0,85), suggerierte also eine statistisch signifikant niedrigere Sterblichkeit. Nach Adjustierung für die ASARisikoeinstufung, Eingriffsdringlichkeit und schwere, das Fachgebiet, das Vorliegen einer Leberzirrhose oder von Metastasen konnte jedoch kein Unterschied zwischen Großbritannien und Deutschland mehr nachgewiesen werden (OR 0,85, 95 % KI 0,50–1,43).
Orthopädische Operationen waren im Vergleich zur ReferenzKategorie „sonstige Eingriffe“ nicht mit einer höheren oder niedrigeren Sterblichkeit assoziiert. Da dieser Vergleich jedoch etwas sperrig wirkt, wurden in dieser Aufarbeitung der publizierten Daten orthopädische Prozeduren zu allen anderen Fachdisziplinen ins Verhältnis gesetzt.
Die Sterblichkeit erwies sich in der Kategorie Orthopädie geringer als bei Eingriffen am Gastrointestinaltrakt, den Gefäßen und dem hepatobiliären
System, aber höher als bei KopfHals, plastischen, urologischen, gynäkologischen und BrustOperationen.
Zwischen 0 und 16,1 % aller Patienten wurden zu irgendeinem Behandlungszeitpunkt intensivmedizinisch überwacht; Deutschland stand mit einer Intensivbehandlungsfrequenz von 11,6 % nach Rumänien (16,1 %) und Spanien (12,5 %) an Stelle drei aller Länder.
Ein Zusammenhang zwischen intensivmedizinischer Behandlung und Sterblichkeit ließ sich nicht ermitteln.
Kommentar Die beobachtete Hospitalsterblichkeit in Deutschland ist im europäischen Vergleich nach Adjustierung für verschiedene Risikofaktoren vergleichsweise niedrig. Dennoch verstarb gemäß der Daten der EuSOSStudie jeder 40. Patient im Rahmen des Aufenthaltes in einer der teilnehmenden deutschen Kliniken. Europaweit verstarb zudem jeder 26. Patient nach einem orthopädischen Eingriff; die publizierten Ergebnisse erlauben allerdings keine Aussagen über den Ein
fluss von Frakturen und anderen Verletzungen auf diese sehr hoch anmutende Ereignisrate.
Orthopädische Eingriffe sind mit einem geringeren Sterberisiko als beispielsweise Operationen an Magen und Darm oder den Gallenwegen assoziiert. In der Praxis müssen jedoch leicht erfassbare Risiken (d.h. demografisches Profil, CoMorbidität) und der potenzielle Nutzen eines operativen Eingriffs am Bewegungsapparat unverändert kritisch abgewogen werden. Ohne Patienten zu verunsichern, sollten die Resultate der EuSOSStudie auch zu einer umfassenderen Risikoaufklärung bei planbaren Eingriffen führen.
Offensichtlich besteht unverändert Spielraum für eine Optimierung der Struktur und Prozessqualität, um die Hospitalsterblichkeit auch in Deutschland zu minimieren.
D VeranstaltungshinweisKöln, 14.–15.03.2014Ortho Trauma Update 20146. Orthopädie-Unfallchirurgie- Update-Seminar – Unter der Schirm-herrschaft der DGOU/DGSP
Abb. 8 Die EuSOS-Studie untersucht die peri-operative Sterblichkeit auch bei orthopädischen Eingriffen [aus: Der Orthopäde (2011) 40:323-327]
664 | Der Orthopäde 8 · 2013
Update Orthopädie • Komplikationen/Infektionen
Intraoperative Diagnostik
Originalpublikationen
1. Tsaras G, Maduka-Ezeh A, In-wards CY et al. (2012) J Bone Joint Surg Am 94:1700–1711
2. Raum E, Perleth, M (2002) Berlin: Deutsches Institut für Medizini-sche Dokumentation und Infor-mation
3. Stengel D, Bauwens K, Sehouli J, et al. (2003) J Med Screen 1047–1051
Moderne diagnostische Strategien wie intraoperative KryoSchnellschnittverfahren, Sonikation entnommener HardwareKomponenten und 16SrDNA bzw. MultiplexPCR zur Differenzierung zwischen aseptischen und septischen Endoprothesenlockerungen wurden in mehreren Publikationen des Berichtsjahres 2012 betrachtet. Insbesondere bei antimikrobieller Vorbehandlung können die Ergebnisse mikrobiologischer StandardDiagnoseverfahren schwer interpretierbar sein bzw. falschnegativ ausfallen.
In der systematischen Übersichtsarbeit und MetaAnalyse von Tsaras et al. [1] wurde die diagnostische Genauigkeit intraoperativer Gefrierschnitte (abhängig vom Nachweis polymorphkerniger Leukozyten [PMN] pro Hauptgesichtsfeld [high power field, HPF] bei 400facher Vergrößerung) zum Nachweis bzw. Ausschluss von Knie und HüftgelenkEndoprothesenInfektionen im Rahmen einer Revision bei Lockerung untersucht.
Die Methodik des Reviews ist hochwertig. Die Autoren suchten in den Datenbanken Ovid MEDLINE, Ovid EMBASE, Cochrane Library, ISI Web of Science und SCOPUS nach Studien, welche einen direkten Vergleich zwischen den Ergebnissen der intraoperativen Schnellschnitt
diagnostik (Indextest) und dem Ergebnis mikrobiologischer Kulturen aus Gewebeproben (Referenztext) miteinander verglichen. Es wurde keine Einschränkung hinsichtlich der Sprache der Veröffentlichung vorgenommen ‒ ein wichtiges Element, um den sog. „TowerofBabelBias“ zu vermeiden. Die methodische Qualität wurde mit Hilfe des QUADASInstruments (Quality Assessment of Diagnostic Accuracy Studies, s. http://www.bris.ac.uk/quadas) für die Durchführung und Berichterstattung von Studie zur Testgenauigkeit bewertet.
Von insg. 227 potenziell geeigneten Zitaten flossen 26 Studien mit 3269 Patienten und einer InfektionsPrävalenz von 24,3 % in die Analyse ein. Alle Studien erfüllten 10 von 14 Items des QUADASInstruments. Eine genaue Durchsicht der Originalarbeiten ergab jedoch, dass lediglich 17 Studien (1568 Patienten, InfektionsPrävalenz 20,7 %) auch tatsächlich intraoperative Gefrierschnitte untersuchten ‒ in neun Arbeiten war zumindest nicht eindeutig angegeben, ob Gefrierschnitte oder die endgültigen Paraffinblöcke untersucht worden waren.
Als Indikator der diagnostischen Genauigkeit wurden diagnostische Odds Ratios (DOR) sowie positive und negative LikelihoodRatios (LR) verwendet. Das DOR beschreibt das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit eines positiven Testergebnisses bei kranken Personen zur Wahrscheinlichkeit eines positiven Testergebnisses bei gesunden Personen ‒ je größer das DOR, desto besser die diskriminatorische Fähigkeit eines Tests [2].
Ähnlich sind auch LR zu interpretieren ‒ sie sind ein Maß für die Nützlichkeit eines Tests,
die klinische VortestWahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Erkrankung in die eine oder andere Richtung zu verschieben [3].
Als Daumenregel gilt:F Ein Test mit einer positiven
LR ≈ 10 ist geeignet, eine Erkrankung im Falle eines positiven Testergebnisses zu beweisen. Bei einer klinischen VortestWahrscheinlichkeit von 50 % würde ein positives Testergebnis die NachtestWahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Erkrankung auf 91 % erhöhen.
F Ein Test mit einer negativen LR ≈ 0,1 ist geeignet, eine Erkrankung im Falle eines negativen Testergebnisses auszuschließen. Bei einer klinischen VortestWahrscheinlichkeit von 50 % würde ein negatives Testergebnis die NachtestWahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Erkrankung auf 9 % senken.
Ein empfehlenswerter, interaktiver Rechner sowie ein Nomogramm zur Herleitung der Vor und Nachtestwahrscheinlichkeiten für den klinischen Alltag finden sich unter araw.mede.uic.edu/cgibin/testcalc.pl.
Nicht berichtet wurden „klassische“ Indikatoren wie Sen si ti vi tät und Spezifität. Diese wurden daher nachberechnet. Auch wurde eine gemeinsame Receiver Operating Characteristics (ROC) Kurve nur im elektronischen Appendix zur Verfügung gestellt. Aufgrund starker Heterogenität der Ergebnisse wurden die Daten im RandomEffectsModell gepoolt (MetaDisc 1.4, Unidad de Bioestadística Clínica, Hospital Ramón y Cajal, Madrid). Die Ergebnisse nach Ausschluss von Studien ohne eindeutige intraoperative
Gefrierschnittdiagnostik unterschieden sich nicht wesentlich von den berichteten Originalergebnissen.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass ein positiver intraoperativer Befund mit hoher Sicherheit auf eine Infektion schließen lässt ‒ der fehlende Nachweis von Leukozyten im Gewebe schließt jedoch eine Infektion nicht aus. Durch Verschiebung des Grenzwertes von 5 PMN / HPF auf 10 PMN / HPF ließ sich keine relevante Änderung der Genauigkeit erzielen.
Kommentar Die Idee einer intraoperativen Schnelldiagnostik zur Differenzierung zwischen einer aseptischen Lockerung und einer Infektion auf der Basis des Nachweises von polymorphkernigen Leukozyten im Gefrierschnitt ist bestechend. Im positiven Fall, also bei Nachweis von 5 oder 10 PMN pro Hauptgesichtsfeld kann die Diagnose praktisch gesichert werden. Im negativen Fall ist eine Infektion jedoch nicht ausgeschlossen. Auch müssen die klinischen Konsequenzen der Bestätigung des Infektionsverdachtes in weiteren Studien evaluiert werden.