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–kologische Quartierserneuerung: Transformation der Erdgeschosszone und Stadtr¤ume

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Ökologische Quartierserneuerung

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Betül Bretschneider

Ökologische Quartierserneuerung

Transformation der Erdgeschosszone und Stadträume

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Betül BretschneiderWien, Österreich

Diese Publikation zur Habilitation wurde durch die Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) ge-fördert.

ISBN 978-3-658-02681-3 ISBN 978-3-658-02682-0 (eBook)DOI 10.1007/978-3-658-02682-0

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio-nalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufb ar.

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Inhalt

Quartierserneuerung und Erdgeschosszone...................................................11

Leerstand und Unternutzung der Erdgeschoßzone.......................................13 Lage der Erdgeschosszone in der historischen Stadt.........................................17 Neu-Erfindung der Erdgeschosszone samt ihren offenen Räumen.............18 Angewendete Methodik für die Untersuchungen..........................................20 Analyse und Fragestellung: Bestandsaufnahme der Indikatoren für eine Erdgeschosszone-Neu.........................................................................................21 Fallstudien in Wien und in anderen vergleichbaren Städten Europas...............22 Erarbeitung von auf den Block zugeschnittenen Verkehrs- und Freiraumlösungen ..............................................................................................23 Beitrag der Arbeit zur nachhaltigen Quartierserneuerung ........................25

Stadterneuerung und Blocksanierung in Wien..............................................29

Gründerzeitliche Bebauungsstrukturen und ihre offenen Räume...............32 Blocksanierung für eine nachhaltige Stadterneuerung.................................35 Auswahl eines Blocksanierungsgebiets als Pilotgebiet .....................................40 Blocksanierungsgebiet Ilgplatz im Wiener Stuwerviertel..................................43

Quartierserneuerung in Deutschland..............................................................49

Quartierserneuerung im Berliner Samariterviertel......................................49 Leitsätze zur Stadterneuerung Berlins................................................................52 Folgen der Schwerpunktverlagerung bei Sanierungsvorhaben .........................53 Abläufe des Sanierungsprogramms im Samariterviertel ...................................58 Fünf Jahre danach: Rückblick und Bilanz der Sanierung..................................61 Städtebauliche Maßnahmen der Quartierserneuerung in Leipzig..............62 Zwischennutzungsprogramme in Leipzig.......................................................65 Spinnerei: Stadtkultur als Standortentwickler? .................................................68 Das Projekt 'Gründerzeit Erleben!'....................................................................70 Vergleichende Zusammenfassung der Stadt- und Quartierserneuerung....73

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Inhalt 6

Gewerbe in der Erdgeschosszone....................................................................75

Wirkung der Klein(st)betriebe auf die Stadtökonomie ................................76 Flächenbedarf des Einzelhandels.......................................................................80 Gründe zur Schließung oder Absiedlung von Klein(st)betrieben............... 82 Gründe für die Nicht-Vermietung der Erdgeschossräume ..........................83 Förderungen für die Betriebe in der Erdgeschosszone ................................85 Förderungen im Rahmen der Stadterneuerung .................................................87 Aktuelle Betriebsförderungen ............................................................................89 Genehmigungspflicht für die Betriebe............................................................93 Die aktive Rolle der ethnischen Wirtschaft ...................................................94 Gewerbe im Stuwerviertel ..............................................................................96 Service Center Geschäftslokale und Nachfolgerbörse Wien .............................97 Strukturen des Stuwerviertels als Betriebsstandort ...........................................98

Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung ......................101

Begrünung gründerzeitlicher Blöcke in Wien..............................................102 Mikroklimatische Einflüsse urbaner Grünflächen......................................103 Ein Instrument zur Absicherung der Grünflächen in Berlin: Biotopflächenfaktor........................................................................................106 Absicherung der Umsetzung des Biotopflächenfaktors (BFF) ........................110 Sanierungsgebiet Samariterviertel und Landschaftspläne.............................. 113 Vorgärten in den innerstädtischen Straßen .....................................................114

Die Rolle des Verkehrs in der Quartierserneuerung...................................119

Internationalisierung der Strategien für eine nachhaltige Urbanität........120 Wiener Stadterneuerung und Verkehr.........................................................121 Wiener Stadtverkehr in Zahlen.................................................................... 124 Analyse der VerkehrsteilnehmerInnen..............................................................127 Verkehrsbezogene Ziele der Wiener Stadtplanung.....................................129 Urbaner Verkehr in den gründerzeitlichen Stadtteilen Wachsender Stadtverkehr durch Tourismus.....................................................132 Wachsender Parkplatzbedarf als Herausforderung.........................................134 Praxisbeispiele zu Verkehrsmaßnahmen in Deutschland...........................135 Praxisbeispiele zu Verkehrsmaßnahmen in der Schweiz............................137 Was unterscheidet die Begegnungszone von der Wohnstraße?........................138 Internationale Ausweitung der Begegnungszonen ......................................... 143 Ein transnationales EU-Projekt: Shared Space...........................................143

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Inhalt 7

Verkehrsituation im Stuwerviertel in Wien.................................................146

Straßenstruktur eines gründerzeitlichen Viertels .............................................146 Fremdverkehr aus den angrenzenden Nachbarschaften des Stuwerviertels....148 Mini-Garagen im Erdgeschoss ......................................................................150 Erdgeschossgaragen aus der Investorensicht ..................................................152 Negative Auswirkungen von Erdgeschossgaragen........................................ 153 Rechtlicher Rahmen von Erdgeschossgaragen.................................................154 Dezentralisierung und Kohärenz der (getrennten) Zuständigkeiten.........158 Reduzierung der Pkw-Stellplätze .....................................................................160 Verursacherprinzip für Kosten der öffentlichen Stellplätze .............................160 Prioritäten für Radwege und Fußwege ............................................................161 Mini-Garagen zu Gunsten des Straßenraumes? ..............................................161 Gestaltung von Straßenräumen zur Verkehrsreduktion............................164

Ergebnisse der Untersuchungen ...................................................................167

Gründe für die Unternutzung der Erdgeschossräume................................167 Die Rolle der Immobilienwirtschaft bei Leerstand in der Erdgeschosszone....169 Eine Koordinationsstelle für Synergie-Effekt...................................................171 Lokale Präsenz und aktive Kommunikation......................................................172 Weniger Abgaben und Auflagen für GründerInnen in der Erdgeschoßzone....174 Dämpfung von Mietpreisen durch Beratung.....................................................175 Umfeld als Standortfaktor von Erdgeschossräumen.........................................176 Erdgeschossräume als Schwerpunkt der Stadterneuerung...............................176 Bebauungspläne zur Sicherung der Sanierungsziele .......................................177 Zielfokussierung für eine nachhaltige Erdgeschossentwicklung .....................179 Rechtliche Absicherung der Stadterneuerungsziele .........................................179 Entdichtung versus Verdichtung in der Stadterneuerung ................................179 Berücksichtigung der gesamt-städtebaulichen Blockstruktur ..........................181 Anzustrebende Nutzungsoffenheit der Erdgeschosszone..................................182 Parterre und Souterrain neu geplant ...............................................................183 Neue Nutzungsformen in alten Erdgeschossen.................................................187

Visionen für Erdgeschoss-Neu.......................................................................189

Begrünung des Straßenraumes im Rahmen der Blocksanierung .............191 Stuwerstraße als ‚Vorgarten’-Straße............................................................192 Straße als grüner Hof: Wohnen am Park ....................................................197 Ausblick............................................................................................................203 Literaturauswahl.............................................................................................209

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Vorwort Die mitteleuropäische Stadt ist geprägt von der historischen Bausubstanz, die in der Zeit des Wirtschaftsbooms während der Industrialisierung entstand. Die Bauten dieser ‚Gründerzeit’ sind in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts fast flächendeckend erneuert worden. Die Gründerzeitviertel zogen zunehmend mehr transnationale Immobilieninvestoren an, einerseits wegen ihrer räumlichen und architektonischen Qualitäten, andererseits wegen ihrer zentralen wohlversorgten Lage.

Großstädte wachsen auf Kosten der kleineren Städte und Orte ihrer Regionen. Die Verdichtung der Stadt im Kerngebiet und die Zersiedelung an der Pheripherie lässt immer öfter fragen, ob die Städte noch planbar sind oder bleiben.

Die öffentlichen Räume und Grünflächen, jene Schauplätze des Alltags stehen zunehmend unter Druck, weil die Automobilisierung immer mehr Fläche in Straßenräumen fordert, die von in Nutzungsvielfalt buntgemischten Erdgeschoßräumen umgeben sind oder waren.

Wien als wachsende Stadt ist von dem Phänomen leer stehender Bauten augenscheinlich nur in Sockelzone auf Augenhöhe, auf der Erdgeschossebene betroffen.

Die Städte gehen mit der Erdgeschosszone unterschiedlich um. In diesem Buch werden die städtebaulichen Programme zur Stadt- und Quartiers-erneuerung für eine Wiedergewinnung der Erdgeschossräume, des Straßenraumes und der offenen Flächen in und um die Blockstrukturen untersucht. Die wirksamsten Faktoren wie die Gründe für voranschreitenden Leerstand, die schwierige Lage der klassischen Erdgeschossbetriebe, die konternden Interessen der Immobilienwirtschaft, der Umgang mit dem Verkehr, die Förderungsstrukturen sowie die Gesetzgebung, wurden analysiert.

Die vergleichbaren städtischen Programme für Stadterneuerung, Verkehrsberuhigung und Begrünung unter anderem in Berlin, Leipzig und Basel sind Teile dieser Arbeit. Des weiteren machen Überlegungen zu einer zukunftsfähigen Umstruktierung der Erdgeschosszone die Inhalte der nach diesen Schwerpunkten aufgebauten Abschnitte aus.

Der Inhalt des Buches basiert auf einer durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) geförderten Studie zur ‚Optimierung

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Vorwort 10

des Blocksanierungsprogramms zur nachhaltigen Entwicklung der Erdgeschosszone und der (halb-)öffentlichen Räume’ (2008). Die weiteren Untersuchungen in den Folgejahren ermöglichten eine Erweiterung, Evalierung und Aktualisierung der damaligen Studie. Obwohl inzwischen einige Inhalte dieses Buches in der Aganda der Stadtpolitik zu finden sind, gibt es noch einen hohen Bedarf an einem vielschichtigen Umgang mit der komplexen Quartierserneuerung - vor allem auf der Ebene des Erdgeschosses.

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Quartierserneuerung und Erdgeschosszone Eine nachhaltige Stadtentwicklung verlangt die Neuschaffung und Sicherung der Frei- und Grünräume, ausreichende Nahversorgung, soziale Einrichtungen, emissionsarme Verkehrslösungen sowie geringen Bodenverbrauch. All diese Merkmale stehen in enger Wechselbeziehung mit der Erdgeschosszone und den öffentlichen Räumen der Stadt.

Eine Reihe europäischer Städte, unter anderem auch Wien, sind zuneh-mend von Leerstand oder Unternutzung der Erdgeschosszone betroffen. Motori-sierter und ruhender Verkehr sowie die immer weniger werdenden Nahversor-gungsbetriebe spielen dabei eine wesentliche Rolle.

In den dicht bebauten Gebieten Wiens ist die Wohnqualität auf Grund der wachsenden Immissionen, der knapp verfügbaren Frei- und Grünflächen sowie des Leerstandes und der Entfunktionalisierung der Erdgeschossräume beein-trächtigt. Die bislang multifunktionale historische Bebauung auf der Straßen-ebene verschließt sich immer mehr. Die Nutzungsvielfalt bzw. die symbiotische Beziehung der Bewohnerlnnen und der Kleinbetriebe auf der Erdgeschossebene wird schwächer. In vielen Straßen in Wien kommen die BewohnerInnen heute täglich an vernachlässigten Fassaden ehemaliger Geschäftslokale oder neuen abweisenden Garagentoren vorbei.

Die Nutzbarkeit der Erdgeschosszone und der öffentlichen Räume ist auch in Wien ein wichtiges Thema der Stadtverwaltung. Um der beschriebenen nega-tiven Entwicklung entgegen zu wirken und um neue Planungs- und Steuerungs-wege zu definieren, wächst der Bedarf an Zusammenarbeit und Kooperation in einem Ressort übergreifenden und interdisziplinären Prozess der Planungs-, Umwelt- und Baubehörden, der Organisationen für Wirtschaftsförderung aber auch der EigentümerInnen, BewohnerInnen und der Initiativen der Nahversor-gungsbetriebe.

Das Wiener 'Blocksanierungsmodell' als Stadterneuerungsprogramm defi-niert eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung und Transformation der grün-derzeitlichen Bebauung als sein Hauptziel. Daher eignet es sich zur Realisierung und Überprüfung der Maßnahmen zur Neunutzung, Neustrukturierung und zur Aktivierung von Erdgeschosszonen zusammen mit den angrenzenden Straßen-räumen und innen liegenden Hofflächen. Im vorliegenden Buch werden die Ergebnisse einer Studie dargestellt, welche die Praxis von Wiens Blocksanie-

B. Bretschneider, Ökologische Quartierserneuerung,DOI 10.1007/978-3-658-02682-0_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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Quartierserneuerung und Erdgeschosszone 12

rung in Bezug auf die Erdgeschosszone untersucht. Ziel der Studie ist es, neue Potenziale angesichts bereits erreichter Verbesserungen in der vorhandenen Bausubstanz und unter dem Aspekt der geänderten Rahmenbedingungen aufzu-zeigen. Zudem werden die Stadterneuerungsmodelle anderer, vergleichbarer mitteleuropäischer Städte untersucht und ihre Methoden dargestellt.

Die Ergebnisse zielen auf die Vermehrung öffentlicher sowie privater Frei-räume in der historischen Bebauung, auf eine Restrukturierung der Erdge-schosszone, auf das Recycling der Flächen der Straßenebene und auf die Lösung der Verkehrsprobleme auf der Ebene des Blockes beziehungsweise des Stadt-quartiers.

Abbildung: Ein typischer Wiener Arbeiterwohnhausblock in der Stuwer-

straße im zweiten Wiener Bezirk

Quelle: Betül Bretschneider1 1 Hinweis: Die Urheberrechte der Abbildungen und Fotos, die in diesem Buch ohne

Quellenangabe vorkommen, gehören der Autorin.

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Quartierserneuerung und Erdgeschosszone 13

Ein aktuelles Gebiet des Blocksanierungsprogramms der Sanierungsbehörde 'wohnfonds_wien' diente in seiner Konzeptplanungsphase als Simulationsmo-dell, um allgemeine Maßnahmen zu entwickeln und um ihre Übertragbarkeit zu testen.

Die Rahmenbedingungen wie die unterschiedlichen Interessen und Bedürf-nisse der BewohnerInnen, EigentümerInnen, Kleinstbetriebe und sonstiger Be-teiligter wurden festgehalten, um Lösungsansätze und Handlungswege auszuar-beiten. Um umfassende Daten, Informationen sowie Praxiserfahrungen, Anre-gungen und Vorschläge aller Beteiligten zu erhalten, wurden folgende Schritte vorgenommen:

Interviews sowie informelle Gespräche mit den BehördenvertreterInnen,

FachexpertInnen, LiegenschaftseigentümerInnen, BewohnerInnen und Kleinstbetrieben in Wien und anderen Städten Europas,

Fallstudien in Wien, Berlin, Leipzig und Basel, Einbeziehung themenverwandter Studien- und Forschungsberichte, Unterstützende Veranstaltungen zu Themen der Blocksanierung, Sanie-

rung, Beteiligung, Begrünung, des Grätzelmanagements sowie der Bele-bung der Stadtkerne,

Steuerung eines Beteiligungsprojektes für den Park am Max-Winter-Platz in Wien und Bewertung der Ergebnisse,

Untersuchung statistischer Daten und Zahlen.

Es wurden praktikable Maßnahmen zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Umstrukturierung der Erdgeschosszone erarbeitet und Wege zu neuen organisa-torischen, regulativen, planungsrechtlichen und planerischen Strategien aufge-zeigt.

Die Ergebnisse sind an alle planenden, kontrollierenden und ausführenden Ämter der Stadt wie Baubehörde, Stadtsanierung, Stadtplanung, Wohnbauförde-rung, Verkehrsplanung, Umweltschutz, Stadtgestaltung, Grünraumplanung und Wirtschaftsförderung adressiert. Leerstand und Unternutzung der Erdgeschoßzone Städte gewinnen in der Zeit der globalen Marktwirtschaft und des post-industriellen Strukturwandels besonders an Gewicht, weil die Erhaltung von Arbeitsplätzen und die Kapitalkonzentration in engem Zusammenhang mit ihrer Entwicklung stehen. Während manche Städte von starkem Wachstum betroffen sind, schrumpfen andere dramatisch. Sowohl Wachstum als auch Schrumpfung

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führen zu neuen Herausforderungen. Nicht nur in den großen Metropolen ent-stehen zunehmend polarisierte urbane Strukturen. In vielen postindustriellen Städten ebenso wie in postländlichen Regionen wachsen ökologische, wirt-schaftliche und soziale Herausforderungen in Folge von Deaktivierung und Leerstand.

Wien ist von diesen extremen Phänomenen noch nicht wirklich betroffen. Im Hinblick auf die - wenn auch phasenverschobene - Parallelität der Entwick-lungen in Europas Städten benötigt Wien jedoch eine umfassende Situationsana-lyse sowie sofortige Maßnahmen zur Anpassung an die neuen Anforderungen für die europäische Stadt.

Leerstand verbreitete sich in Wien vor allem im Bereich der Erdgeschoss-zone. Das scheint im ersten Augenblick nicht so dramatisch zu sein wie die gänzlich leer stehenden Häuserzeilen anderer europäischer Städte. In Anbetracht der zahlreichen 'menschenleeren' Erdgeschosse, die oft nur als Lagerflächen oder Garagenplätze dienen, kann aber gesagt werden, dass diese Entwicklung nicht so harmlos verläuft. Die Gründe dafür werden in den nächsten Kapiteln in unterschiedlichen Zusammenhängen erläutert.

Europäische Städte sind in der Phase der Deindustrialisierung einem Struk-turwandel unterworfen. Die Nachhaltigkeit der Stadterneuerung unter den neuen sozialen, wirtschaftlichen und technischen Anforderungen an die Stadt wird zunehmend wichtiger und komplexer. Die Konkurrenz der Städte als 'Wirt-schaftsstandorte für transnationale Großunternehmen' rückte die kleinteilige und lokal gebundene Stadtwirtschaft in den Hintergrund.

Jedoch öffnen die jüngsten wirtschaftsorientierten Untersuchungen neue Perspektiven. Neben der Versorgungsintensität und der Verfügbarkeit von bil-dungsstarken Arbeitskräften spielt die Lebensqualität einer Stadt als 'Standort-auswahlfaktor' eine wesentliche Rolle. Beschaffenheit und Nutzbarkeit öffentli-cher Räume sowie der mit ihnen verbundenen Erdgeschossräume bestimmen diese Lebensqualität maßgeblich.

Die Erdgeschosszone und ihre räumliche Struktur mit den angrenzenden offenen Flächen wie Höfen, Straßen, Plätzen und Grünräumen prägen das Stadtbild und die Gesichter der Straßenzüge. Ihre Verwahrlosung löst eine Ab-wertung des Umfeldes und des Stadtquartiers aus. In der gründerzeitlichen Be-bauung Wiens waren straßenseitig die Nahversorgergeschäfte und Wohnungen und im Hoftrakt die Gewerbebetriebe die klassischen Nutzer der Erdgeschoss-zone. Heute verlieren Erdgeschossräume in vielen Gebieten der Stadt zuneh-mend ihre Nutzbarkeit. Dies geschieht auf Grund der Emissionsprobleme des Stadtverkehrs, der Beschaffenheit des Straßenraumes und der Verödung der Straßenräume sowie der sich wandelnden Einkaufskultur der BewohnerInnen-gruppen.

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Es ist ein Phänomen, das seit den 1960er Jahren als Fehlentwicklung der US-amerikanischen Urbanität bekannt ist, das sowohl in den zentralen als auch peripheren Stadtzentren Verödung, Unsicherheit und Abwertung ausgelöst hat.

In Wien steigert die zunehmende Anzahl der Shopping Malls am Stadtrand sowie der innerstädtischen Einkaufszentren die Abhängigkeit vom motorisierten Verkehr und benachteiligt Menschen ohne Auto (u.a. die ältere Generation), die von der Nahversorgung und den Serviceeinrichtungen ihres Quartiers abhängig sind. Zahlreiche Stadtteile haben ihre Nahversorgungsbetriebe und damit lokale Arbeitsplätze sowie die kleinteilige Verflechtung der Stadtfunktionen verloren. Die fehlende Auslastung der vorhandenen Bauflächen im Erdgeschoss bedeutet eine erhebliche Ressourcenverschwendung. Außerdem schwächt der Leerstand den Identitätsbezug der BewohnerInnen zu ihrem Viertel. Dieses Phänomen ist in vielen europäischen Städten zu beobachten. Es zeigen sich aber trotz aller Ähnlichkeiten der Stadtstrukturen auch bedeutende Differenzen bezüglich der

der Beschaffenheit der Straßenräumen wie Höhe, Breite und Gestaltung der Blockzwischenräume, der Intensität des fließenden und ruhenden Verkehrs, der rechtlichen Regulierungen für Nutzungsmöglichkeiten, der Mietpreise und Eigentumsverhältnisse.

Der zunehmende Leerstand von Erdgeschossflächen durch den Abzug der Kleinunternehmen oder ihrer Umwandlung zu kleinen Garagen im Zuge der Dachgeschoßausbauten lösen nicht nur in den Problemzonen der Stadt eine unbemerkte Verödung aus.

Die symbiotische Beziehung zwischen den Erdgeschossnutzungen, dem Straßenraum, der Nahversorgung und den BewohnerInnenstrukturen ist sehr eng geknüpft. Folgende Punkte drücken aus, wie die Wechselbeziehung zwischen ihnen funktioniert:

Bilanz der Abwanderung und Zuwanderung:

Die Bilanz zwischen Ab- und Zuwanderung zeigt auch in Wien - wie in den großen Städten Europas - Richtung Bevölkerungswachstums. Das Stadtgebiet wächst einerseits kontinuierlich, andererseits wird es zuneh-mend verdichtet. Die Knappheit der verfügbaren öffentlichen Räume und Grünräume löst eine Abwanderung aus, weil sich die BewohnerInnen mehr Freiräume bzw. grüne Räume und eine emissionsarme Umwelt wünschen. Umfrageergebnisse belegen diesen Trend immer wieder. In Folge kommt es zu vermehrtem Bodenflächenverbrauch und erhöhtem Infrastrukturbe-darf für Erschließung und Versorgung (Versorgungsleitungen, soziale Ein-

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Quartierserneuerung und Erdgeschosszone 16

richtungen wie Schulen und Kindergärten, öffentlicher Verkehr) sowie zu stärkerer Verkehrsbelastung. Die Abwanderung an den Stadtrand und in die wachsenden Zwischenstädte belastet letztlich die Stadthaushalte, da die Infrastrukturkosten steigen. Die Belastung durch und von Verkehrsflächen wird größer. Dadurch nehmen die Emissionen des motorisierten Verkehrs zu und weitere Abwanderung wird in Gang gesetzt: ein circulus viciosus.

Klein(st)gewerbe- und Geschäftesterben:

Die Nahversorgerbetriebe (Kleinstbetriebe, Kleinstgewerbe, Handwerks- oder Dienstleistungsbetriebe für den Alltagsbedarf) leben von Lauf-kundschaft und StammkundInnen direkt aus dem Quartier. Ihre Anwesen-heit belebt den Straßenraum und reduziert den motorisierten Verkehr. Die lokale Wirtschaft wird gesichert, mehr Arbeitsplätze und Steuereinnahmen durch steigende Umsätze werden geschaffen. Der Anteil der Klein(st)unternehmen beträgt europaweit über 90%, Wien sowie andere ös-terreichische Städte sind dabei keine Ausnahme. Diese kleinteiligen Nah-versorgungsstrukturen geraten immer stärker unter Druck. Immer mehr Ge-schäfte und Betriebe im Erdgeschoss haben in den letzten Jahrzehnten zu-gesperrt.

Verkehrsbelastung:

Mehr als die Hälfte der Wiener Bevölkerung gibt an, dass sie unter Lärm leidet.2 Die längeren Fahrwege zwischen Arbeit und Wohnung verursachen mehr Verkehr. Der Verkehr ist an den gestiegenen klima-wirksamen Emis-sionen überproportional beteiligt. In den letzten Jahren laufen mehrere städtische Projekte und Programme, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken und eine gesamtstädtebauliche Verbesserung im Baublock in den strukturschwachen Problemzonen Wiens zu erreichen. Die konfliktreiche Aufgabe der Verkehrsplanung verlangt innovative Lösungen für die einan-der widersprechenden Ziele und Trends der Wirtschafts- und Umweltpoli-tik, welche im gesamtstädtischen und regionalen Maßstab, aber auch im Maßstab eines Blocks oder einer Bauinsel angewendet und an andere Stad-tumbauvorhaben adaptiert werden können.

Die genannten Problembereiche der heutigen Stadtentwicklung verstärken ei-nander zunehmend und fordern, wie in vielen Städten Europas, auch in Wien die Stadtverwaltung heraus.

2 Unveröffentlichte Studie der Umweltschutzbehörde Wien, MA 22 der Stadt Wien (2006)

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Lage der Erdgeschosszone in der historischen Stadt Die vermehrt leer bleibenden Geschäfte prägen das Stadtbild immer stärker. Die ungenutzten Erdgeschosse gründerzeitlicher Blockrandbebauung dominieren das Straßenbild und ändern die typologischen Eigenschaften des Stadtgefüges.

Der fehlende Lichteinfall in der dicht bebauten Stadt Wien, die wachsen-den Verkehrsemissionen wie Lärm und Abgase, und der explodierende Flä-chenbedarf des ruhenden Verkehrs verschlechtern die Raumqualität des Erd-geschosses deutlich. Die Nutzung von Erdgeschossflächen als Wohnung oder Büro wird zum einen wegen der genannten ungünstigen physischen Konditionen zum anderen aber auch durch die relevanten Baugesetze verhindert oder einge-schränkt. Geschäftsflächen im Erdgeschossbereich sind außerhalb bestimmter Achsen der Einkaufsstraßen, der Umgebung von Marktplätzen, der Fußgänger-zonen und der attraktiven verkehrsberuhigten Plätze der Stadt immer weniger gefragt. In diesem Zusammenhang können folgende Konsequenzen des Leer-standes erfasst werden:

Durch Geschäfts- und Gewerbesterben bleiben zunehmend mehr Stadtteile

unterversorgt. Durch den Leerstand in der EG-Zone kommt keine Interaktion zwischen

Innen und Außen, zwischen den geschlossenen und freien Räumen des Straßenraumes zustande.

Ohne funktionierende Erdgeschosszone, die halböffentliche Räume bereit-hält verschwinden die Übergänge zwischen Privatem und Öffentlichem.

Die Gesichter der Bauten sind in erster Linie die Fassaden der Erdgeschosszone, deren Öffnungen werden immer öfter zugemauert oder zugeklebt. Die abgeris-senen Werbeplakate und die verlassene Ausstattung der ehemaligen Betriebe prägen heute oftmals die Straßenbilder.

In Wien dürfen EG-Räume zu geschlossenen Garagen umgebaut werden. Die abweisenden Tore im Erdgeschossbereich, die häufig zu den Garagen neuer Dachgeschosswohnungen gehören, haben sich in den letzten Jahren vermehrt und transformieren die Fassaden auf dem Straßenniveau zunehmend zu ab-weisenden Sockelzonen. Die Löcher der Garageneinfahrten und -ausfahrten finden sich nicht nur an den neuen, sondern auch an den geschützten histori-schen Fassaden der gründerzeitlichen Bebauung.

Obwohl sich die MitarbeiterInnen der Stadtverwaltung für Stadterneue-rung, Stadtplanung und Stadtgestaltung gegen diese Entwicklung äußern, fehlen offensichtlich die rechtlichen Instrumentarien, um ihr entgegen zu wirken. Die zusätzlichen Geschossflächen der Dachgeschossbauten und damit der Bedarf

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Quartierserneuerung und Erdgeschosszone 18

der neuen NutzerInnen an Garagenplätzen, sowie die Vorschreibungen der Stadt zur Schaffung von PKW-Stellplätzen einerseits und das Streben nach besseren Mieteinnahmen und Vermarktungsmöglichkeiten andererseits, tragen wesentlich zum Umbau der Erdgeschossflächen bei. Zusätzlich ist der Glaube an die ge-winnbringende Vermarktung von Garagenplätzen im Erdgeschoss stärker als der an die von Geschäftslokalen oder sonstigen Klein(st)gewerbeflächen. Das führt dazu, dass sich die EigentümerInnen mehrheitlich für die Mini-Garagen ent-scheiden. Es gibt jedoch noch keine gründlichen Untersuchungen zu den Ent-scheidungsmotiven der EigentümerInnen und Betreibenden.

Außerdem halten viele BauträgerInnen die Wohnnutz- oder Gewerbe-flächen im Erdgeschoss der neu errichteten Wohnbauten im Allgemeinen für nicht gewinnbringend vermarktbar. In der Regel werden EG-Räume diversen Abstellflächen und Serviceräumen zugeteilt. Im Gegenzug wird das Keller-geschoss zur Tiefgarage ausgebaut. Dadurch entsteht ein Gebäude, das von seinem umgebenden Straßenraum abgeschnitten ist und extrem introvertiert wirkt. Die historischen Haustore und Hauseingänge der Blockrandbebauungen bilden Sichtkorridore zu den innen liegenden, teils grünen Höfen und erweitern so die Straßenräume räumlich und optisch. Nach dem Abzug der Hofgewerbe-betriebe in den letzten Jahrzehnten auf Grund von Hofentkernungen, Standort-verlagerungen oder Ruhestand bleiben die Haustore der gründerzeitlichen Blö-cke durchgehend geschlossen. Die Betriebe im Erdgeschoss befinden sich in einem Teufelskreis. Einerseits können sie immer schwerer weiter funktionieren, weil die Vitalität der Straßen zusammen mit der Frequenz der Laufkundschaft sinkt, andererseits sinkt die Belebtheit der Straßen weiterhin, weil Erdge-schossbetriebe schließen.

Zusammengefasst kann gesagt werden, die bislang multifunktionale, histo-rische Bebauung Wiens verschließt sich auf der Ebene des 'Nutzungsmixers' Erdgeschoss und der Privatverkehr beeinflusst die Nutzbarkeit der Straßenräu-me in vielerlei Hinsicht negativ.

Neu-Erfindung der Erdgeschosszone samt ihren offenen Räumen Grundziel der vorliegenden Arbeit ist es, innovative Wege und Methoden zu entwickeln, um die Blocksanierungsverfahren ihren eigenen Zielen näher zu bringen. Dazu gehört die besondere Berücksichtigung der Erdgeschosszone und der Freiräume des Blockes sowie der angrenzenden Straßenräume, um neue Ansätze für deren zeitgemäße Transformation und Gestaltung zu entwickeln.

Manche der ursprünglich vorgesehenen Ziele der einzelnen Block-sanierungsvorhaben, die eine nachhaltige Stadterneuerung ermöglichen sollten,

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waren nicht realisierbar, weil die EigentümerInnen, bzw. BauträgerInnen nicht überzeugt werden konnten, städtebauliche Verbesserungen durchzuführen. Im Rahmen dieser Arbeit wurden folgende Ziele verfolgt:

Anreize für die genannten EntscheidungsträgerInnen zu schaffen und neue

Lösungswege zu entwickeln, diese entweder durch Instrumentarien der öffentlichen Hand (z.B. durch

Anpassung der Förderungsmaßnahmen und rechtlichen Vorschriften) oder durch Gestaltungsvorschläge (z.B. mehr begehbare Grünflächen, Neunut-zungen der EG-Räume für Gemeinschaftsfunktionen) zu konkretisieren,

Wege zur Koordination, Kooperation und Öffentlichkeitsarbeit aufzu-zeigen, um die Erdgeschosszone wieder zu beleben,

an Hand von Beispielen, die auf das Pilotgebiet 'Ilgplatz' im Wiener Stu-werviertel zugeschnitten sind, Gestaltungsbeispiele für die Straßenräume aufzuzeigen, die direkt die Nutzbarkeit der Erdgeschossräume beeinflussen würden.

Die vorgeschlagenen Handlungswege wurden zum Teil visualisiert, um die vorherrschenden Bilder von der Erdgeschosszone zu ändern und um eine höhere Akzeptanz zu erreichen.

Die rechtlichen Vorschriften, Spruchpraktiken sowie die öffentlichen För-derungen für Kleingaragen und Kleinstbetriebe im Erdgeschossbereich, die auf Nutzbarkeit und Flächenrecycling der Erdgeschossräume kontraproduktiv wir-ken, werden bereichsbezogen analysiert und mit anderen Städten wie Berlin oder Leipzig verglichen.

Die behandelten Themenbereiche 'Gewerbe und Handel in der EG-Zone' oder 'blockbezogene Verkehrs- und Grünflächenorganisation', die sowohl eine ökologisch-qualitätsvolle Quartierentwicklung als auch die Immobilien-entwicklung betreffen, überschneiden sich.

Von Anfang an gehörten folgende allgemeine Schwerpunkte, die eine dy-namische Wechselbeziehung untereinander und zur gesamtstädtischen Öko-logie haben, zu diesem Forschungsprojekt:

Erhaltung und Vermehrung der allgemein nutzbaren Frei-/Grünflächen für

BewohnerInnen und AnrainerInnen des Blockes, neue Lösungen für Verkehrsträger und Fußgeher, um den Privatverkehr

und seinen Flächenverbrauch (u.a. Parkplätze) sowie seine Emissionen (Lärm und Schadstoffe) zu reduzieren,

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Quartierserneuerung und Erdgeschosszone 20

Verbesserung der Situation nahversorgender Klein(st)betriebe der Erdge-schosszone durch Verbesserung der Beschaffenheit des Straßenraumes und der Höfe sowie ihrer Infrastruktur,

Schaffung von Aufenthaltsqualität in den offenen Flächen des Blockes, sowohl in Straßenräumen als auch in Hofbereichen (z.B. Begehbarkeit und Begrünung der Höfe),

Verbesserung der Konditionen für FußgeherInnen und NutzerInnen der offenen / öffentlichen Räume,

Schaffung von Anreizen für FußgeherInnen (z.B. durch attraktive Wege-führungen, Verbindungen, Aufenthaltsflächen),

Entwicklung von Lösungsansätzen zur Erfüllung der Standort-anforderungen der klassischen sowie der potenziellen Erdgeschoss-nutzungen (Handel, Dienstleistung, Wohnen, Gemeinschaftsraum, etc.).

Die Sanierungsbehörden befassen sich im Rahmen einer Blocksanierung in erster Linie mit den Wohnflächen und Wohngeschossen des gründerzeitlichen Bestandes. Die Erdgeschosszone und die offenen Räume der Blöcke stehen als sekundäre Ziele weniger im Vordergrund. Deshalb strebt das Projekt ein Um-denken, eine Absicherung bzw. eine Neuerfindung der Erdgeschosszone an.

Angewendete Methodik für die Untersuchungen Im Rahmen der Untersuchungen wurden folgende Expertengespräche und Inter-views geführt:

ExpertInnengespräche mit den MitarbeiterInnen der Planungsbehörden,

Baubehörden und des Stadtgartenamts der Stadt Wien zu Verbesserungs-, Beschleunigungs- und Vereinfachungspotenzialen

Gespräche mit den MitarbeiterInnen der Gebietsbetreuungen und Wirt-schaftskammer, der Institutionen wie Jugendzentren und der Vereine für Gewerbe- und Handelsbetriebe der Erdgeschosszone

Erhebung der Interessen der BauträgerInnen und ProjektentwicklerInnen sowie der Eigentümerinteressen an Erdgeschossflächen und sanierungsre-levanten Bauobjekten und Baublöcken (insbesondere die Feststellung der Motive für 'Nicht-Vermietung' bei Langzeit-Leerstand)

Gespräche mit den NutzerInnen von Erdgeschossen (mit den wohnenden, arbeitenden und gewerbetreibenden Bevölkerungsgruppen) bezüglich ihrer Probleme, Bedürfnisse und Anregungen (2006-2013)

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Gespräche mit den (vorhandenen oder potenziellen) VermieterInnen und NutzerInnen der EG-Zone und der öffentlichen Räume bezüglich ihrer Be-dürfnisse, Anregungen und Konflikte (2006-2013)

Die GesprächspartnerInnen, die im Rahmen der Forschungsstudie interviewt wurden, kommen aus den unterschiedlichen Aufgaben- und Interessens-bereichen und Disziplinen, die von der Entwicklung der Erdgeschosszone un-mittelbar betroffen sind.

Durch Befragungen und Gespräche wurden die Interessen und Bedürfnisse der BewohnerInnen und Beschäftigten festgestellt. Die daraus resultierenden Erkenntnisse wurden als Grundlage für die weiteren Arbeitsschritte verwendet. Die Behörden wurden durch ihr Mitwirken aktiv einbezogen. Sie stellen als eigentliche 'End User', als AnwenderInnen der Ergebnisse die wichtigsten Part-nerInnen des Projektes dar. Bauträger, EigentümerInnen und InvestorInnen wurden befragt, um ihre Interessen und Beweggründe festzuhalten und diese als Grundlage für künftige Maßnahmen zu verwenden. Die Ergebnisse wiederum sind auch an sie adressiert.

Die Gespräche wurden auf Diskussionsbasis geführt, um die vielfältigen und zum Teil kontroversen Interessen, Bedürfnisse und Meinungen der unter-schiedlichen AkteurInnen wie Planungsbehörden der Stadt Wien, Wissen-schaftlerInnen, EigentümerInnen bzw. VermieterInnen und BewohnerInnen unterschiedlichen Alters und sozialer Zugehörigkeit festzustellen. Analyse und Fragestellung: Bestandsaufnahme der Indikatoren für eine Erdgeschosszone-Neu Am Anfang der Arbeit standen folgende Fragen, die sich mit den aktuellen Ent-wicklungen und Trends der Stadterneuerung und mit den laufenden Stadtpro-grammen, Initiativen und Maßnahmen zur Verbesserung der Erdgeschosszone beschäftigen:

Welche (künftigen) NutzerInnenprofile sind vorhanden? Analyse der Rah-

menbedingungen der einzelnen Nutzungen der Erdgeschossräume (Woh-nungen, Geschäftslokale, Handwerksbetriebe, Gemeinschaftsräume, Kin-derspielplätze, PKW-Parkplätze) unter Berücksichtigung der Verkehrs-situation, des Gebäudetyps und der physischen Form des Straßenraums be-ziehungsweise des Hofs.

Welche Barrieren oder Hemmnisse gibt es bei Umnutzungen? Ist der Weg für eine funktionale Transformation offen? Sind Umwidmung und Um-

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nutzung sowie Zwischennutzungen und bauliche Änderungen von Erd-geschossräumen (leicht) möglich? Wie können sie ermöglicht und / oder beschleunigt werden?

Welche Trends für das Verhalten der EigentümerInnen, der Bedürfnisse der MieterInnen und der Entwicklung des Immobilienmarktes gibt es? Welche finanziellen Aspekte spielen dabei eine Rolle?

Welche Rahmenbedingungen sind für die Entwicklung der Erdgeschoss-zone, für die Planung und Umsetzung, für die Widmung bzw. Umwidmung sowie als Voraussetzung für Förderungen relevant (Gesetze, Verord-nungen, Vorschreibungen oder Spruchpraktiken)?

Welche Verbesserungen und Änderungen des Straßenraumes und des Be-bauungsblocks sind für die Nutzbarkeit der EG-Zone notwendig?

Wie beeinflussen die neuen Dachgeschoss-Ausbauten in der Gründerzeit-bebauung die EG-Zone bezüglich Licht, Schatten, Windverhältnisse sowie der Proportionen der Höfe und Straßenräume?

Wie können die Höfe der gründerzeitlichen Blockrandbebauungen mit den Straßenräumen optisch und physisch zu Gunsten der Höfe und Straßen-räume verbunden werden?

Welche Anreize oder Argumente können für VermieterInnen geschaffen werden, um ihre Akzeptanz oder Mitwirkung zu erhöhen? Welche Instru-mente der Stadtverwaltung können diesbezüglich verwendet werden?

Wie sollen die blockeigenen Höfe als Freiflächen des Blocks nutzbar ge-macht werden?

Die Bestandsaufnahme und Analyse der Rahmenbedingungen brachte Grund-lagen für die Vorbereitung der gezielten Maßnahmen zur Umstrukturierung und Neunutzung der EG-Zone. Fallstudien in Wien und in anderen vergleichbaren Städten Europas Im Rahmen der Arbeit wurden Stadterneuerungsprojekte, Blocksanierungs-gebiete und städtebaulich wichtige Sanierungsmethoden analysiert. Die ur-sprünglichen Zielsetzungen der Blocksanierungskonzepte und die umgesetzten Maßnahmen wurden miteinander verglichen.

Gründe und Hindernisse für die Umsetzung wurden zusammen mit den umfassenden Rahmenbedingungen untersucht. Relevante Beispiele wurden in den verschiedenen Abschnitten des vorliegenden Buches in jeweils passendem Kontext behandelt.

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Bedeutende Praxisbeispiele aus dem Bereich der Blockentwicklung wurden an Hand von Literaturrecherchen, durch Besichtigungen im In- und Ausland und auch durch persönliche und telefonische Gespräche mit den verantwortlichen PlanerInnen und Behörden analysiert. Die Fallbeispiele, unter anderem das Samariterviertel in Berlin, die Zwischennutzungsprogramme in Leipzig sowie die Straßenraumorganisation in Basel, wurden nach den folgenden Kriterien ausgewählt:

Nachhaltige Blockentwicklung sowie Frei- und Grünraumschaffung, Revitalisierung und Transformation der EG-Zone und deren öffentlicher

Räume (wie Höfe und Straßenräume), Verbesserung der Verkehrssituation, Unterstützung der Nutzungsmischung.

Dieser Teil der Studie liefert einen Überblick über die eingesetzten planeri-schen, management- und verwaltungsbezogenen Instrumente im In- und Aus-land zur Überprüfung ihrer Übertragbarkeit auf die Wiener Stadterneuerung.

Erarbeitung von auf den Block zugeschnittenen Verkehrs- und Freiraumlösungen Im Rahmen der Untersuchungen wurde die Praxis eines laufenden Blocksanie-rungsverfahrens in der Konzeptentwicklungsphase begleitet, um die Kapazitäten und Grenzen des Verfahrens festzustellen und die Erkenntnisse für eine Neu-entwicklung der Erdgeschosszone einzusetzen.

Aufbauend auf den vorherigen Arbeitsschritten wie Befragungen, Inter-views, Bestandsanalysen, Untersuchung von Fallbeispielen und Datenrecher-chen wurden Planungsprinzipien zur ökologisch-nachhaltigen Blockentwicklung an Hand eines aktuellen Blocksanierungsvorhabens festgelegt.

Dafür wurde gemeinsam mit dem 'wohnfonds_wien' das aktuelle Blocksa-nierungsgebiet 'Ilgplatz' im Stuwerviertel in zweiten Bezirk Wiens ausgewählt. Ziel war es, die Grenzen eines neuen Umgangs mit der Erdgeschosszone und den öffentlichen Räumen auf der planerischen Ebene zu erforschen.

Im Blocksanierungsgebiet Ilgplatz im Stuwerviertel wurden dafür folgende Aktivitäten durchgeführt:

Beobachtungen zur Verkehrssituation (Verkehrszählungen) und zur Frei-

raumnutzung (BewohnerInnenbedürfnisse).

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Spontane informelle Gespräche mit der Viertelbevölkerung, mit Betrieben, EigentümerInnen und PolitikerInnen, um das Blocksanierungsgebiet zu verstehen und zu interpretieren.

Initiierung und Durchführung eines Beteiligungsverfahrens mit der lokalen Jugend- und Kinderbetreuungsorganisation 'Bassena' zur Neugestaltung des Parks am Max-Winter-Platz. Die Ergebnisse des Beteiligungsprojektes 'Kinderspiel: Platz' wurden den BewohnerInnen des Viertels im Rahmen einer Ausstellung in einem leer stehenden Erdgeschosslokal präsentiert,

Zusammenarbeit mit den lokalen Organisationen im Stuwerviertel, um das Beteiligungsvorhaben zu koordinieren,

Anschließend wurden die Ergebnisse des Beteiligungsprojektes und die Bedürfnisse der ParknutzerInnen dem Stadtgartenamt (MA 42) der Bezirk-Politik und der Gebietsbetreuung im zweiten Bezirk übermittelt.3 In diesem Zusammenhang konnten die Tätigkeitsfelder lokaler Betreuungs-organisationen und deren Wirksamkeit direkt beobachtet werden, um Situa-tionsanalysen durchzuführen und Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten.

Die Schlussfolgerungen aus einer Reihe von Veranstaltungen sind in die Studie eingeflossen: Feedback-Veranstaltung zur Blocksanierung mit zahlreichen Architekt-

Innen und MitarbeiterInnen der betroffenen Dienststellen organisiert vom 'wohnfonds_wien',

Abschlussveranstaltung/Workshops des Grätzelmanagements (2006), Gesprächsrunde in der Gebietsbetreuung des 2. und 20. Bezirks zum The-

ma 'Vorgärten' mit den PlanerInnen und BehördenvertreterInnen aus dem Bereich Planung (2007),

Einige Veranstaltungen und Führungen zum Thema 'Sanierung im Block-sanierungsgebiet Ilgplatz in Wien' (2007),

Teilnahme an eine ExpertInnentagung im Rahmen des IBA Stadtumbaus 2010 (Internationale Bauausstellung) in Halle an der Saale/Sachsen zum Thema 'Historisches Erbe und Belebung der Kernstädte' (2006).

An Hand von Fallstudien und Bebauungsstudien im Blocksanierungsgebiet 'Ilgplatz' im Wiener Stuwerviertel konnten zwei Gestaltungskonzepte für zwei charakteristische Straßen im Gebiet, die Stuwerstraße sowie die Erlafstraße, ausgearbeitet und durch Visualisierung dargestellt werden.

3 In der Folge übernahm eine Mitarbeiterin des Wiener Stadtgartenamts die Planung und

Gestaltung des Max-Winter-Parks.

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Die Rahmenbedingungen für die geplanten Maßnahmen wie Umnutzung, Umgestaltung, Öffnung, Rück- oder Zubau im Erdgeschoss beziehungsweise im Hofbereich des Wiener Blocks wurden in diesem konkreten Fall getestet. Ziel dabei war die Feststellung des potentiellen Änderungs- und Anpassungsbedarfs.

Es wurde versucht, jene Bereiche, die einen Handlungsbedarf zeigten, sichtbar zu machen und anschließend Lösungsansätze zu erarbeiten. Die folgen-den Ergebnisse wurden in der Konzeptphase der Forschungsstudie erzielt:

Entwicklung der Handlungsansätze zur Schaffung einer win-win-Situation

für alle Beteiligten und Betroffenen (öffentliche und private AkteurInnen) mittels eines umfassenden Konzepts für Projektkoordination und Planung,

Neue Gestaltungsideen für den blockbezogenen Verkehr (motorisierter, öffentlicher und ruhender Verkehr sowie für FußgeherInnen und Rad-fahrerInnen), um übertragbare Verbesserungsmaßnahmen zu formulieren (Mini-Garagen werden mit einbezogen),

Baulich-planerische Lösungsüberlegungen für die Erdgeschosszone, um die ökologischen Ziele der Blocksanierung wie das Flächen-Recycling und die Nutzbarkeit der EG-Räume sowie mehr Lebensqualität und mehr Grün-raum zu erreichen,

Analyse der Situation der Erdgeschossbetriebe allgemein und in direktem Zusammenhang mit dem Pilotgebiet 'Ilgplatz' im Stuwerviertel in Wien, um entsprechende Maßnahmen zu formulieren.

Die Ergebnisse aus den oben angeführten Arbeitsschritten wurden zu einem Ergebniskatalog zusammengeführt, der die vielfältigen Komponenten der Erd-geschosszone berührt. Die Schlussfolgerungen wurden anschließend dem 'wohnfonds_wien' und anderen mitwirkenden ExpertInnen präsentiert und zur Diskussion gestellt. Beitrag der Arbeit zur nachhaltigen Quartierserneuerung Die Ergebnisse richten sich auf die Gestaltung der nachhaltigen öffentlichen Stadterneuerungsmaßnahmen auf der rechtlichen, förderungstechnischen, plane-rischen sowie organisatorischen Ebene. Die Modellentwicklung für das Block-sanierungsprogramm soll neue Perspektiven öffnen in einem Bereich, in dem BauträgerInnen und EigentümerInnen sowie das Förderungssystem bisher eher konservativ und zum Teil konservierend sind.

Die Bedeutung der öffentlichen Räume nimmt zu. Die Aufgabe der Stadt-sanierung betrifft nun weit mehr als die Gebäudesanierung. Die komplexe Auf-

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gabe der nachhaltigen Stadterneuerung und des Stadtumbaus bedarf eines be-reichsübergreifenden und kooperativen Beteiligungsverfahrens aller Akteure. Die Forschungsarbeit entwirft Handlungskonzepte für eine zukunftsorientierte Stadterneuerung unter Berücksichtigung stadtplanerischer, ökologischer, wirt-schaftlicher, sozialer sowie bau- und verkehrstechnischer Parameter.

Durch die bereichsübergreifenden Untersuchungen wurden die teilweise kontroversen Maßnahmen und Instrumente der Stadterneuerung sichtbar ge-macht, um besser anwendbare Ergebnisse zu erzielen. Abbildung: Die rapide Transformation und Maßstabänderung der Bebauung

in Wien in der Gründerzeit 4 um 1900: Die kleinteilige Bebauung Wiens wurde abgerissen um der Blockrandbebauung Platz zu machen.

Quelle: Roland Rainer

4 Gründerzeit ist die Epoche der massiven Industrialisierung in Mitteleuropa, die einen

wirtschaftlichen Boom auslöste, gefolgt von einer rapiden Verstädterung. In der Österreichisch-Ungarischen Monarchie begann die Gründerzeit nach der Bürgerrevolution (1848), erreichte ihren ersten Höhepunkt um 1860 und dauerte bis zum Beginn des ersten Weltkriegs (1910er Jahre).

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Abbildung: Die rapide Transformation und Maßstabänderung der Bebauung in Wien in der Gründerzeit: Ältere Häuser vor Abbruch

Foto: August Stauda (1906) Abbildung: Straßenleben in der Wiener Innenstadt in der Gründerzeit

Quelle: Werner H. Neuwirth

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Stadterneuerung und Blocksanierung in Wien Nachdem die Bausubstanz Wiens durch die Reparaturarbeiten der 1950er und 1960er Jahre von den Kriegsschäden befreit worden war, konnte sich die Stadt-verwaltung den Aufgaben der Stadterneuerung widmen. In dieser Zeit fand die Verbesserung und Erhaltung der alten Bausubstanz im Vergleich zur Neubautä-tigkeit weniger Aufmerksamkeit.

Ab 1974 wurde mit dem 'Bundesgesetz betreffend die Assanierung von Wohngebieten' eine rechtliche Grundlage geschaffen, um die Probleme der gründerzeitlichen Bausubstanz zu beheben. Im Zuge der ersten Stadt-erneuerungsvorhaben sollten die BewohnerInnen der heruntergekommenen historischen Bauten abgesiedelt werden. Abriss- und Abbruchtätigkeiten wurden in den Mittelpunkt gestellt.

In den Jahren zwischen 1974 und 1975 ermöglichte eine Initiative von Ar-chitektInnen und Fernsehjournalisten unter medialer Präsenz das Projekt 'Plan-quadrat' im vierten Bezirk, ein partizipatives Sanierungsprojekt, das heute noch als Musterbeispiel für BewohnerInnen orientierte und schonende Sanierung gilt.

1984 trat das Wohnhaussanierungsgesetz in Kraft und der 'Wiener Boden-bereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds' (WBSF) wurde durch Beschluss des Wiener Gemeinderates gegründet, der später ‚Fonds für Wohnbau und Stadter-neuerung’ (wohnfonds_wien) genannt wurde.

Die Aufgaben der gemeinnützigen Organisationseinheit der Stadt Wien sind Liegenschaftsmanagement, Projektentwicklung und Qualitätssicherung im geförderten Wiener Wohnbau durch die Abwicklung der Bauträgerwettbewerbe und durch die Tätigkeit des Grundstücksbeirats sowie die Vorbereitung und Durchführung von Stadterneuerungsmaßnahmen, Beratung, Koordination und Kontrolle der geförderten Wohnhaussanierung sowie Entwicklung von Blocksa-nierungen.

Die Behörde für die Stadterneuerung (wohnfonds_wien) beschreibt ihre ei-gene Aufgabe folgendermaßen:

„Die Stadterneuerung in Wien verfolgt das Ziel, die Altsubstanz nach Möglich-

keit zu erhalten und soweit dies wirtschaftlich vertretbar ist, auch zu verbessern, und zwar unter Einbeziehung der betroffenen Bewohner. Weitere Ziele sind die Verbesserung des Wohnkomforts und des Wohnumfeldes (Infrastruktur), Teilabb-

B. Bretschneider, Ökologische Quartierserneuerung,DOI 10.1007/978-3-658-02682-0_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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rüche zur Verbesserung der Belichtungs- und Belüftungs-verhältnisse, Erhalt woh-nungsnaher Arbeitsplätze sowie die Verbesserung der Verkehrssituation (z.B. Ga-ragen, Radwege).“ 5

In diesem Kontext überprüft der 'wohnfonds_wien' die Förderungswürdigkeit der Wohnhaussanierungen und gibt Empfehlungen zur Förderung an die Wiener Landesregierung. Als rechtliche Grundlage für Förderungsverfahren regelt das Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetz (WWFSG) 1989 die Höhe und Art der Förderung. Abbildung: Wohnungen nach Ausstattungskategorie (2001)

Quelle: Statistik Austria

Der überwiegende Teil der sogenannten Substandardwohnungen befindet sich in den gründerzeitlichen Bauten (gebaut zwischen 1848 und 1918) im Privat-besitz. Deren Zahl sank dramatisch. Weil nicht alle Wohnungssanierungen ge-meldet werden, gibt es derzeit keine verbindlichen Zahlen zu den Substandard-wohnungen. Es gibt in der Stadt auch noch einzelne ‚Problemhäuser’, die von langfristigem Desinvestitionsverhalten der EigentümerInnen betroffen sind, die fast nur für ZuwanderInnen als Wohnadresse in Frage kommen, weil diese ei-

5 www.wohnfonds.wien.at (Zugriff 2013-06-14)

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nerseits am Wohnungsmarkt diskriminiert werden, andererseits aber weil sie sich nur die günstigsten Mieten leisten können. Es gibt in Wien insgesamt rund 150.000 Bauten, davon rund 35.000 Bauten, die vor 1919 errichtet worden sind. Davon sind 32.000 Gründerzeitbauten, die zwischen 1850 und 1919 entstanden sind.

Das sind ca. 22% aller Bauten in Wien. Die 280.000 Wohnungen, die sich in den gründerzeitlichen Bauten befinden, machen fast 30% aller Wohnungen in Wien (rund 930.000) aus.6

Mitte der 1970er Jahre gab es in Wien 300.000 Substandard-Wohnungen mit schlechter Ausstattung. Die gründerzeitlichen Bauten hatten bis zu dieser Zeit seit ihrer Entstehung keine Instandsetzungsarbeiten oder Modernisierungen erfahren.7 2001 gab es in Wien nur noch 7,5% Kategorie D Wohnungen und 1,5% Kategorie C Wohnungen. Die restlichen 89% der Wohnungen hatten Ka-tegorie A oder B.8

Abbildung: Wiener Wohnungsbestand: Entwicklung Wohnungsausstattung

Kat. A Kat. B Kat. C Kat. D

20011990

19850

100000200000300000400000500000600000

700000800000

2001

1990

1985

Quelle: Wohnbauforschung MA 50 der Stadt Wien

6 Potyka, Hugo (2006): Gründerzeit – Auslandserfahrungen. unveröffentlichte Studie im Auf-

trag der MA 19 der Stadt Wien 7 Seiss, Rainhard (2005): 30 Jahre Stadterneuerung. Wien: In: Perspektiven 07-08/05 8 Statistik Austria (2008)

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Gründerzeitliche Bebauungsstrukturen und ihre offenen Räume In Wien beträgt die Geschossflächenzahl (GFZ)9 innerhalb des Gürtels bis zu 4,0 und außerhalb des Gürtels zwischen 2,5 und 3,5. Berlin hingegen hat eine Geschossflächendichte zwischen 2,5 und 3,5. Der Bebauungsgrad in Wien schwankt zwischen 0,6 und 0,8.10 Bei der hohen Dichte von bis zu 85% der Grundstücksflächen weisen die gründer-zeitlichen Viertel Wiens einen wesent-lichen Bedarf an Grün-, Spiel- und Freiflächen auf.11 Es gibt keine allgemeinen, rechtlichen Beschränkungen, die die Dichte der gewachsenen Bebauungsstruk-turen betreffen.

Im Jahr 2006 gehörten in Wien 42,5% der gründerzeitlichen Bauten einzel-nen PrivateigentümerInnen, 37,1% mehreren Privatpersonen (inkl. Wohnungs-eigentum), 0,6% gemeinnützigen Bauvereinigungen, 3,5% der Stadt Wien, 9,9% juristischen Personen und 4,1% sonstigen öffentlichen Einrichtungen.12 Abbildung: Eigentumsverhältnisse der gründerzeitlichen Bauten Wiens

Wien ist stärker als viele andere europäische Städte von der gründerzeitlichen Bausubstanz geprägt. Insgesamt gibt es in Wien 49,7% reine Wohnbauten, 24,3% nutzungsgemischte Bauten, 11,4% tertiäre Nutzungen, 2,8% öffentliche Bauten, 5,7% Industrie und Gewerbe und 6,1% sonstige Nutzungen.

9 Die Geschossflächenzahl ist das Verhältnis aller Geschossflächen zur Grundstücksfläche. 10 Potyka, Hugo (2006): Gründerzeit – Auslandserfahrungen. unveröffentlichte Studie im Auf-

trag der MA 19 der Stadt Wien 11 Seiss, Rainhard (2005): 30 Jahre Stadterneuerung. Wien: In: Perspektiven 07-08/05 12 Potyka, Hugo (2006): Gründerzeit – Auslandserfahrungen. unveröffentlichte Studie im Auf-

trag der MA 19 der Stadt Wien

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Bis 1995 ist die Bevölkerung in den dicht bebauten Stadtgebieten Wiens stark zurückgegangen. Heute steigt die Zahl der Bevölkerung langsam wieder. Die gründerzeitlichen Stadtteile hatten in den letzten Jahren steigende Beliebt-heit und Imageverbesserung. Die Sanierungsoffensive der letzten Jahrzehnte spielte dabei eine wesentliche Rolle.

Das streng geometrische Rastersystem der Blockrandbebauung zeigt im Zuge des Transformationsprozesses sowohl Vorteile als auch Nachteile. Die folgenden Punkte zählen zu den positiven Eigenschaften der gründerzeitlichen Bebauung:

Hohe, große Räume schaffen eine breite Nutzungsflexibilität bzw. Nut-

zungsneutralität, Die soziale und kulturelle Mischungsdynamik ist auf Grund der vorhande-

nen Wohnungsvielfalt und der leistbaren Wohnungen höher, Eine kleinteilige Nutzungsmischung gehörte schon immer zu den wichtigs-

ten Eigenschaften eines Viertels, Ihre innerstädtische Lage ist verbunden mit hoher Qualität der Nah-

versorgung und guter Verkehrsanbindungen, Ihre gestalterischen Merkmale (Fassaden, Fenster, Türen, etc.) bedeuten

Imagewert und Statussymbol, Die Erdgeschossräume sind vergleichsweise leichter um zu nutzen als in

anderen Bebauungstypologien, Die Höfe eignen sich dazu als begehbare Grünflächen gestaltet zu werden. Es gibt Erweiterungsräume in Form hoher und großer Dachböden, die sich

zur Schaffung neuer Nutzflächen eignen, Sie bilden wegen ihrer Zahl und gebietsbezogenen Konzentration die ei-

gentliche Identität der Stadt.

Es gibt jedoch auch negative Eigenschaften der gründerzeitlichen Bebauung:

Entdichtungsmaßnahmen sind - trotz fallweise vorhandener Probleme wie unzureichender Belichtung und Belüftung - nur in sehr geringem Ausmaß umsetzbar,

Verkehrsprobleme und damit verbundene Emissionen beeinträchtigen zu-nehmend die Lebensqualität,

Die Bausubstanz zeigt baulichen sowie thermischen Erneuerungsbedarf, Es gibt gestiegene Anforderungen an die Bestandsfestigkeit sowie neue stati-sche Bemessungsgrundlagen (EU-Normen - Eurocode 8),

Grün- und Freiflächen sind nicht ausreichend vorhanden,

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Die Räume der Erdgeschosszone stehen zunehmend leer oder werden nur als Lagerflächen genutzt.

Der Immobilienmarkt drängt auf weitere Verdichtungen (z.B. mittels mehr als zweigeschossiger Dachgeschossausbauten oder großflächiger Bebauung bzw. Wiederbebauung der Höfe),

Die Interessen der EigentümerInnen erschweren die Umsetzung der städte-baulichen Verbesserungsziele.

Abbildung: Zielgebiete der Sanierungsförderung (Zugriff: 2007)

Quelle: Grundkarte: MA21A-Magistratsabteilung für Stadtteilplanung und Flä-chennutzung der Stadt Wien Bearbeitung: MA50-Abteilung Stadtfor-schung und Trendanalysen der Stadt Wien

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Das Förderungsprogramm Blocksanierung widmet sich neben der baulichen Verbesserung der Substandardwohnungen auch den städtebaulichen Ver-besserungen der gründerzeitlichen Bebauung, um ihre positiven Merkmale zu erhalten und ihre Probleme zu beseitigen. Die Stadt Wien informiert über die Blocksanierungstätigkeit wie folgt:

In den vergangenen fünf Jahren wurden 165 Blocksanierungsprojekte mit

rund 4.000 Wohnungen und einem Gesamtbauvolumen von rund 220 Mil-lionen Euro gefördert.

Zurzeit laufen die Vorarbeiten für 80 neue Blocksanierungsprojekte. Die Gesamtsanierungskosten dafür betragen rund 120 Millionen Euro, die För-derzuschüsse der Stadt rund 75 Millionen Euro.

Bei den neuen Projekten werden Themenfelder wie Ökologie, barriere-freies Wohnen und neue Wohnformen für ältere Menschen noch stärker in den Vordergrund rücken.13

Blocksanierung für eine nachhaltige Stadterneuerung

Nachhaltige Stadterneuerung bedeutet mehr als nur gebäudetechnische und thermische Verbesserungen der Bausubstanz. In den letzten Dekaden wurden im Rahmen der Stadterhaltungs- und Stadterneuerungsvorhaben Maßnahmen ent-wickelt, die weit über die Gebäudesanierung hinausgehen. Eines der wirksams-ten Steuerungsprogramme ist das Blocksanierungsprogramm, welches für einen oder mehrere Bebauungsblöcke konzipiert wird und folgende Ziele verfolgt:

Das Potenzial der privaten Investitionen in Public-Privat-Partnership-

Modellen zu steuern, um die Stadterneuerung zunehmend von der privaten Hand tragen zu lassen,

Beteiligungsverfahren für HauseigentümerInnen, MieterInnen und die Beschäftigten des Blockes zu initiieren und

ein umfassendes Bebauungskonzept für die städtebaulichen und blockbe-zogenen Maßnahmen zu entwickeln.

Der 'wohnfonds_wien', definiert die Blocksanierung

"(...) als eine im Rahmen eines Sanierungskonzeptes erfolgende, liegenschafts-übergreifende, gemeinsame Sanierung von mehreren Gebäuden oder Wohnhaus-

13 Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig in Rathauskorrespondenz (11.9.2007)

www.wien.gv.at/vtx/vtx-rk-xlink?SEITE=020070911025

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anlagen in Verbindung mit Maßnahmen zur städtebaulichen Strukturverbesserung. Die Blocksanierung sieht für die Verbesserung ganzer Baublocks mit unter-schiedlichen EigentümerInnen vor, Wohnungssanierungen mit weiteren Maß-nahmen zur generellen Verbesserung der Wohnbedingungen zu kombinieren."

Zusätzlich zur Wohnhaussanierung (Sockel- oder Totalsanierung) stehen die folgenden Zielsetzungen im Vordergrund:

Auflockerung zu dichter Bebauung durch Abbruchmaßnahmen an Hinter-

und Nebengebäuden, um Belichtungs- und Belüftungsverhältnisse zu ver-bessern,

Ausgleich der abgebrochenen Nutzflächen durch Dachgeschoss-Ausbau oder Aufstockung in den laut Bebauungsplan vorgesehenen Bereichen, (spezielle Förderungskonditionen für Blocksanierungen und in erneue-rungsdringlichen Zählgebieten),

Nachverdichtung von schlecht genutzten Liegenschaften durch Zubau, Abbruch und Neubau, dadurch auch Verbesserung der Belichtung und Be-lüftung oder Schaffung wohnungsnaher Freiflächen,

Verbesserungen im Wohnumfeld, ökologische Maßnahmen wie Grün-flächen- und Hofgestaltung, Schaffung neuer PKW-Stellplätze, Verkehrs-beruhigung, durchgehende Grünzüge, Entsiegelungen, Dachbegrünung so-wie Schallschutzmaßnahmen,

Sicherung und Verbesserung gewünschter Nutzungsmischungen (Wohnen / Arbeiten / Nahversorgung) und wohnverträgliche Neustrukturierung des Hinterhofgewerbes,

Schaffung sozialer und technischer Infrastruktureinrichtungen, Koordination von Maßnahmen im öffentlichen Raum.14

Die Wiener Stadterneuerungsstrategie basiert auf drei Instrumenten, dem Auf-gabengebiet der Gebietsbetreuung, dem Wiener Wohnbauförderungs- und Sa-nierungsgesetz (WWFSG 1989) und dem Blocksanierungsprogramm des 'wohn-fonds_wien'.

Anfänglich hatte die Blocksanierung die Aufgabe, vor allem durch den ge-zielten Einsatz von Fördermitteln eine städtebauliche, liegenschafts-übergreifende Verbesserung in den erneuerungsdringlichsten Teilen der Stadt herbeizuführen. Blocksanierungen beschränkten sich auf eine gewisse Anzahl von ausgewählten Blöcken. Im Zuge von Sanierungsvorhaben werden Maß-

14 www.wohnfonds.wien.at (Zugriff 2013-06-14)

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nahmen wie Abbrüche oder Teilabbrüchen forciert, die nicht den geltenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen entsprechen.15

Die Ziele der Baublocksanierung stellen zwar eine ökologisch wirksame Wohnumfeldverbesserung dar, aber einige der für die Blocksanierungsgebiete ins Auge gefassten Ziele bleiben zum Teil nicht realisierbar. Insbesondere die Umstrukturierung und Anpassung der Erdgeschosszone an die Anforderungen des neuen Stadtlebens zeigt Nachholbedarf.

Seit Beginn der 1990er Jahre beauftragt der 'wohnfonds_wien' Architektur-büros mit Blocksanierungsstudien, um Entwicklungskonzepte für Stadterneue-rungsgebiete zu erarbeiten. Ziele sind städtebauliche und gebäudebezogene Maßnahmen, die im Rahmen der Wohnbauförderung umsetzbar sind.

Blocksanierung ist ein Verfahren, welches über den Rahmen der Wohn-haussanierung und Wohnungsverbesserung hinaus reichen soll: Die Lösungs-vorschläge zur Verbesserung des Wohnumfeldes sollen im Dialog mit politi-schen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und administrativen Einrichtungen entwickelt werden.16

Es gibt zwei Phasen der Blocksanierung: Erstens die Erstellung eines Kon-zeptes für 'Chancen und Potentiale' an Hand der vorhandenen Daten und zwei-tens die Erstellung eines Blocksanierungskonzeptes durch Konkretisierung der Maßnahmen.

1. Konzeptvorbereitung für Chancen und Potenziale: In dieser Phase werden Daten und Fakten der Stadtverwaltung für Bestands-analysen übernommen. Herangezogen werden Angaben zum Gebäudebestand, zu Eigentumsverhältnissen, Substandardhäusern, Wohnungsausstattungen, die Flächenwidmungs- und Bebauungspläne, die Informationen der Gebietsbetreu-ung sowie die soziale und kulturelle Infrastruktur. Diese Informationen werden in Plänen, Abbildungen und Berichten verarbeitet.

Im Rahmen der Projektphase 'Chancen und Potenziale' werden folgende Aufgaben vom 'wohnfonds_wien' erfüllt:

Informationsveranstaltung für LiegenschaftseigentümerInnen und Haus-

verwaltungen von Liegenschaften im Blocksanierungsgebiet, Durchführung und Auswertung der Fragebogenaktion zur Ergänzung der

Informationen über die LiegenschaftseigentümerInnen bzw. Haus-verwaltungen und Koordinationsgespräche und Hausbegehungen.

15 Reichel, R. (2000) Blocksanierung – Stadterneuerungsstrategien in der konkreten Praxis.

Wohnbauforschung in Österreich, wbfö Nr.4/2000 16 Leistungsbeschreibung für Blocksanierungsvorhaben, wohnfonds_wien (Stand 2006)

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Die folgenden Aufgaben sollen von den Sanierungsbeauftragten erfüllt werden:

Erfassung des Blocksanierungsgebietes an Hand der übernommen amtli-chen Daten und Pläne und deren Überprüfung,

Erste Kontaktaufnahme mit den LiegenschaftseigentümerInnen, Erhebung der aktuellen Bau- und Sanierungstätigkeit im Gebiet.

Des Weiteren sollen folgende städtebauliche Daten zur Festlegung der Verbes-serungspotenziale erhoben werden:

Wohnungskategorien, Baualter, Bausubstanz, Grünflächen und öffentliche Räume, Besitzverhältnisse, Nutzungsstrukturen in der Erdgeschosszone.

Den ausgewählten Betrieben im Blocksanierungsgebiet wird in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftskammer Wien eine Betriebsberatung angeboten.

2. Analyse und Auswertung der Erhebungen zur Erstellung des Block-sanierungskonzeptes:

In der zweiten Phase des Blocksanierungsvorhabens werden die Ergebnisse der Bestandserhebungen, die Festlegung der Entwicklungspotenziale und die Bear-beitung der Blocksanierungsprojekte zu einem Entwicklungskonzept verarbeitet. Dabei werden folgende Schwerpunkte an Hand von Berichten, Plänen, Visuali-sierungen und Skizzen behandelt:

Festlegung des Sanierungspotenzials im Zusammenhang mit Förderungen

für Erhaltungsarbeiten, Sockelsanierungen, thermischen Sanierungen, To-talsanierungen sowie Einzelverbesserungen,

Kombinationsprojekte von Sanierung und Neubau, Abbruchmaßnahmen zur Verbesserung der Belichtungs- und Belüftungs-

verhältnisse, Parzellenübergreifende städtebauliche Verbesserungsmaßnahmen, Maßnahmen zur Verbesserung der offenen Räume wie Durchgänge, Fuß-

und Radwege, Verkehrsberuhigung, Garagen, Ökologische Maßnahmen, Nutzungsmischung durch Erhaltung der Betriebe.

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Dargestellt werden auch die Bebauungsverhältnisse und die notwendigen Ab-brüche als Entdichtungsmaßnahmen. Die Konzeptplanung für das Sanierungs-gebiet wird von den Blocksanierungsbeauftragten in Zusammenarbeit mit dem 'wohnfonds_wien' entwickelt und anschließend der WWFSG - MA 21-Kommission vorgelegt. Diese Kommission besteht aus VertreterInnen der Ma-gistratsabteilung für Stadtteilplanung und Flächennutzung (MA 21), der Baupo-lizei (MA 37), der Magistratsdirektion-Baudirektion Geschäftsstelle Infrastruk-tur Stadterneuerung sowie des 'wohnfonds_wien'.

In diesem Rahmen können die Beschränkungen oder Begrenzungen eines Bebauungs- bzw. Flächenwidmungsplans in Frage gestellt und die Einzelfall bezogenen Planungsentscheidungen nach architektonischen Überlegungen zum Teil neu beschlossen werden. So soll ein gründerzeitliches Stadterneuerungs-gebiet als einzigartiges Planungsgebiet mit allen Komponenten und Beteiligten für heutige und künftige Anforderungen erarbeitet und vorbereitet werden.

Gegebenenfalls wird das Blocksanierungskonzept nach Anregungen der Kommission überarbeitet. Mit dem Beschluss der Kommission hat das Block-sanierungskonzept zwei Jahre lang Gültigkeit. Die Ergebnisse der beiden Pha-sen werden im jeweiligen Bezirk präsentiert. Abbildung: Ablauf der Blocksanierung

Quelle: wohnfonds_wien (2007)

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Für den ersten Teil eines Blocksanierungsvorhabens 'Chancen und Potentiale' ist ein Zeitraum von etwa einem Jahr vorgesehen. Die zweite Stufe 'Konzept-planung und Umsetzung' ist innerhalb von zwei Jahren zu starten. Nach den Ergebnissen der ersten Stufe können die Gebietsabgrenzungen geändert werden. Es kann aber auch das Vorhaben beendet werden. Für den zweiten Teil 'Kon-zept und Umsetzung' ist in der Regel ein Zeitraum von zwei bis drei Jahren vorgesehen.

Auswahl eines Blocksanierungsgebiets als Pilotgebiet

Im Rahmen der Untersuchungen sollten - Aufbauend auf den Befragungen, Bestandsanalysen, Untersuchung der Fallbeispiele und Datenrecherchen - an Hand eines aktuellen Blocksanierungsvorhabens Planungsprinzipien und Pla-nungskonzepte durchgespielt werden. Folgende Arbeitsschritte wurden in die-sem Zusammenhang vorgenommen:

Kontaktaufnahme mit der Blocksanierungsbehörde 'wohnfonds_wien'

(ehem. WBSF), um eine gemeinsame Vorgehensweise zu definieren. Untersuchung der aktuellen Blocksanierungsgebiete in Wien, die von den

Sanierungsbehörden für die begleitende Studie vorgeschlagen wurden. Auswahl eines Blocksanierungsgebietes.

Es standen die folgenden vier aktuellen Wiener Blocksanierungsgebiete zur Auswahl: Blocksanierungsgebiet Davidgasse oder Triester Straße im 10. Bezirk, Blocksanierungsgebiet Fockygasse im 12. Bezirk und Blocksanierungsgebiet Ilgplatz im 2. Bezirk Abbildung: Blocksanierungsgebiet 'Ilgplatz' im 2. Bezirk

Quelle: Stadt Wien

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Abbildung: Planungsgebiet Ilgplatz im Stuwerviertel

Quelle: Planungsunterlagen, MA41 der Stadt Wien Die Wahl des Pilotprojektes fiel aus folgenden Gründen auf das Blocksanie-rungsviertels 'Ilgplatz' im Stuwerviertel:

Das Blocksanierungsvorhaben 'Ilgplatz' startete im Frühsommer 2006 und

befand sich zu Beginn des vorliegenden Forschungsprojektes noch in der Anfangsphase 'Chancen und Potenziale'. Somit eignete es sich für einen begleitenden Untersuchungsprozess besser als die anderen aktuellen Vorhaben 'Davidgasse' oder 'Triesterstraße', die sich bereits in einer fortgeschrittenen Phase befanden.

Die breiteren Straßen und die variierenden Bebauungsstrukturen des Vier-tels zeigten mehr Potential für eine zusammenhängende Konzept-entwicklung für das Gesamtgebiet samt seinen offenen Räumen.

Nach der Auswahlphase fand die Erhebung der Planungsgrundlagen in Form von Plandokumenten, Bebauungsplänen, Mehrzweckkarten und Luftbildern statt. Die Daten zur Bestandserhebung (Datenblätter zu Besitzverhältnissen, Baujahren, Baukategorien, Nutzflächen und Bebauungsgrad der einzelnen Häu-ser bzw. Parzellen) wurden von der Sanierungsbehörde, Gebietsbetreuung und dem blocksanierungsbeauftragten Architekturbüro übergeben.

Diese Informationen bildeten die Basis für den Beginn und Ablauf des Pro-jektes. Danach wurden die Rahmenbedingungen für mögliche Maßnahmen wie Umnutzung, Umgestaltung, Öffnung oder Neunutzung der Erdgeschossräume und offenen Flächen des Blocks im konkreten Fall getestet, um den Änderungs- und Handlungsbedarf festzustellen. Die daraus resultierenden Ergebnisse der Modellentwicklung wurden als allgemein gültige Schlussfolgerungen erfasst, um ihre Übertragbarkeit zu fördern.

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Abbildung: Planungsgebiet Ilgplatz im Stuwerviertel

Quelle: Planungsunterlagen, MA41 – Stadt Wien

Abbildung: Luftbild Blocksanierungsgebiet Ilgplatz im 2. Wiener Bezirk

Quelle: Stadt Wien

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Blocksanierungsgebiet Ilgplatz im Wiener Stuwerviertel Das Gebiet 'Ilgplatz' im Stuwerviertel stand in der anfänglichen Phase der Stu-die aus mehreren Gründen vor großen Änderungen. Im Süden des Gebietes wurde auf Höhe der Ausstellungstraße eine Station der verlängerten U-Bahnlinie errichtet, wodurch ein erhöhtes Interesse an dem Gebiet und mehr Entwicklungsdynamik zu erwarten waren. Im Osten des Gebietes war auf dem Areal der ehemaligen Wilhelm-Kaserne ein Mischnutzungsprojekt mit Büros (rund 15.000m2) und Wohnungen (rund 65.000m2) im Entstehen. Durch die künftigen BewohnerInnen und NutzerInnen des Bebauungsgebiets der ehemali-gen Kaserne wird das angrenzende Sanierungsgebiet stark beeinflusst. Das Vier-tel verfügt neben den nur zum Teil sanierungsbedürftigen gründerzeitlichen Wohnbauten auch über Neubauten wie soziale Wohnbausiedlungen aus der Nachkriegszeit, eine Fachhochschule, mehrere Schulen und ein als Passivhaus gebautes Studentenheim. Neben den Grünanlagen und grünen Alleen gibt es immer weniger sanierungsbedürftige Bausubstanz oder vernachlässigte Hofket-ten. Die verkehrsbezogenen Eigenschaften des Blocksanierungsgebietes werden im Abschnitt 'Verkehrssituation im Stuwerviertel in Wien' auf der Seite 146 behandelt.

Die folgenden Abbildungen wurden an Hand der Datenerhebungen der Stadt Wien vom Architekturbüro 'Raumkunst' erarbeitet.

Abbildung: Gebäudezustand (Wohnungskategorien)

Quelle: Raumkunst Architektur Design, wohnfonds_wien (2007)

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Abbildung: Erdgeschossnutzungen und Leerstand

Quelle: Raumkunst Architektur Design / wohnfonds_wien (2007) Abbildung: Abweichungen von Bebauungsplänen

Quelle: Raumkunst Architektur Design / wohnfonds_wien (2007)

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In der Konzeptplanungsphase werden die realen EigentümerInneninteressen nicht berücksichtigt. Die Ergebnisse, die der MA 21-Kommission vorgelegt werden, beziehen sich grundsätzlich auf Entdichtungsmaßnahmen, die unabhän-gig von ihrem realen Umsetzbarkeitspotenzial entwickelt werden. Abbildung: Konzeptplanung mit Abrissmaßnahmen im Blocksanierungs-

gebiet Ilgplatz im hello.atStuwerviertel

Quelle: Raumkunst Architektur Design, wohnfonds_wien (2007) Abbildung: Abrissmaßnahmen im Blocksanierungsgebiet Triester Straße

Rendering: p.good architekten

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Abbildung: Sanierung mit Teilabriss und Dachgeschossausbau in der Sperrgasse in Wien

Quelle: Architekturbüro SIGS Fotos: Herta Hurnaus

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Abbildung: Konzept des Sanierungsvorhabens: Abriss- und Neubaukonzept des Wohnhauses in der Streffleurgasse in Wien

Quelle: p.good architekten Abbildung: Im Rahmen des Sanierungsvorhabens Teilabriss und

Dachgeschoßausbau in der Streffleurgasse in Wien

Quelle: p.good architekten Fotos: Adsy Bernart

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Abbildung: Nach Sanierung des Wohnhauses in der Streffleurgasse in Wien

Quelle: p.good architekten Fotos: Adsy Bernart

Abbildung: Im Rahmen des Sanierungsvorhabens Teilabriss in der

Goldschlagstrasse in Wien (Vor- und nach der Sockelsanierung)

Quelle: Architekt Kronreif & Partner ZT GmbH

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Quartierserneuerung in Deutschland

In den folgenden Abschnitten werden soziale und städtebauliche Entwicklungs-beispiele in Sanierungsgebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf zweier deutscher Städte, nämlich Berlin und Leipzig, dargestellt.1 Ein soziales Ent-wicklungsprogramm des gründerzeitlichen Gebietes 'Samariterviertel' im Berli-ner Osten mit relevanten Eckdaten so wie das 'Zwischennutzungsprogramm' der Leipziger Stadterneuerung sollen Einblicke in vergleichbare Beispiele aus Deutschland liefern.

Quartierserneuerung im Berliner Samariterviertel Das Sanierungsgebiet 'Samariterviertel' im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg befindet sich mitten im dicht bebauten gründerzeitlichen Gebiet am östlichen Rand von Berlin Mitte. Das Samariterviertel hat eine Fläche von 33,8 Hektar (rund 0,34 km²), umfasst 263 Grundstücke und liegt rund 3,5 km entfernt vom Alexanderplatz. Nördlich grenzt das Gebiet an die Frankfurter Allee. Ähnlich wie in Wien entstand die flächendeckende Bebauung mit Stra-ßen- und Hoftrakten um 1900 in weniger als 10 Jahren. Wie auch im Stuwer-viertel in Wien wurden Wohnanlagen mit mehr als 5000 überwiegend kleinen Wohnungen für ArbeiterInnen und Angestellte mit niedrigem Einkommen er-richtet. Die Hinterhöfe waren auch im Samariterviertel für Gewerbebetriebe und Nutztierhaltung vorgesehen.

Mit der 9. Verordnung über die förmliche Festlegung von Sanierungsgebie-ten von 1993 hat der Senat von Berlin gem. §142 Baugesetzbuch (BauGB)2 das Samariterviertel zum Sanierungsgebiet erklärt. Die Sanierung des Viertels um-fasste mehr als 90% des Wohnungsbestandes mit rund 4.678 Wohneinheiten. Davon wurden 1.900 Wohnungen mit öffentlichen Fördergeldern saniert. Un-

1 Kauf, T. (2007): Innerstädtische oder innenstadtnahe Quartiere mit nicht modernisierter

Bausubstanz und unterdurchschnittlicher Umweltqualität In: Die soziale Stadt Das Bundesländerprogramm (2000) In: Wege zu einer intakten Nachbarschaft. Städtebauförderung in Bayern. Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Inneren

2 http://dejure.org/gesetze/BauGB/142.html (Zugriff: Dezember 2006)

B. Bretschneider, Ökologische Quartierserneuerung,DOI 10.1007/978-3-658-02682-0_3, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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mittelbar nach der Wende standen im Sanierungsgebiet 900 Wohnungen wegen Bauschäden und Abwanderung der BewohnerInnen aus dem Gebiet leer. Nach gut 14 Jahren wurde das Friedrichshainer Sanierungsgebiet 'Samariterviertel' im Januar 2008 aufgehoben.3 Bis dahin waren nur noch 445 Wohnungen auf 22 Grundstücken unsaniert, vor allem weil hier die Eigentumsverhältnisse kompli-ziert waren. Es wurden neben 255 Neubauwohnungen auch 108 Dachgeschoss-wohnungen errichtet.

Die Bevölkerungszahl stieg von 1993 bis Ende 2006 von 6223 auf 8370 - um mehr als ein Drittel. Die Zusammensetzung der Bewohnerschaft hat sich über die Jahre deutlich verändert. Die Zahl der Familien mit Kindern ist dras-tisch gestiegen, während der Anteil der RentnerInnen beziehungsweise der älte-ren BewohnerInnen stark gesunken ist. Erhöht hat sich auch der Anteil erwerbs-tätiger BewohnerInnen. Die Haushaltseinkommen sind ständig gestiegen, sie liegen inzwischen nicht mehr unterhalb des Berliner Durchschnitts.

Im Samariterviertel wurden 1300 Wohnungen, etwa ein Viertel, in den 90er Jahren mit öffentlichen Fördergeldern erneuert und sind daher für die Belegung mit einkommensschwachen BewohnerInnen vorgesehen, die dort eine reduzierte Miete zahlen.4

Bis 2010 dauerten die Verbesserungsmaßnahmen an den Spielplatzangebo-ten, Straßen- und Gehwegerneuerungen so wie der Hofbegrünungen und Entsie-gelungen. Ein weiteres Ziel war, die Straßenräume durchgehend zu bepflanzen. Neben der Modernisierung und Instandsetzung der Wohnungen wurden die Grün- und Freiflächen neu gestaltet beziehungsweise neu hergestellt. Straßen-räume wurden verkehrsberuhigt, Tempo-30-Zonen eingeführt, Straßenüberque-rungshilfen gebaut, Straßen und Baulücken begrünt.5

Viele dieser Maßnahmen wurden unter Beteiligung der NutzerInnen und zum Teil mit aktiver Hilfe der BewohnerInnen umgesetzt. Charakteristisch sind die zahlreichen kleinen Gewerbebetriebe, die sich vermehrt vor allem in den EG-Zonen der Wohnhäuser befinden und in starker Interaktion mit den Straßen-räumen stehen.

Im Jahr 2007 gab es im Samariterviertel bereits etwa 150 solcher Laden-gewerbe, die eine Größe von maximal 100m² haben, darunter viel Kleinst-gastronomie, die anfänglich ohne erschwerende Auflagen der Behörden (wie aufwändige Lüftungsanlagen oder Nasszellen) die Möglichkeit zur Etablierung ihrer neu gegründeten Unternehmen bekommen hat. Die breiteren Gehsteige vor diesen Lokalen wurden bei einer begrenzten Anzahl von Tischen ohne bürokra-

3 www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0508/hauptmm.htm (Zugriff 2013-06-17) 4 www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0508/050822.htm (Zugriff 2013-06-17) 5 ASUM Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung GmbH in Berlin (2006):

Perspektiven des Samariterviertels. Berlin

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tische Auflagen relativ frei genutzt. Auffallend im Sanierungsgebiet sind die verkehrsberuhigten und begrünten Wohnstraßen, die auch durch die aktiv ge-nutzten straßenseitigen Balkone eine wesentliche Belebung erfahren haben. Die Neugestaltung des Straßenraums veranlasst viele BewohnerInnen des Viertels, sich in den Straßenräumen aufzuhalten. In den wärmeren Jahreszeiten sitzen sie auf Sitzbänken am Gehsteig vor ihren Häusern oder an den Tischen der kleinen Gastronomiebetriebe.

Es gibt auch in Berlin kein spezifisches Instrumentarium, das nur der Ent-wicklung und Wiedernutzung der Erdgeschosszone dient.6 Die Regulierung der Stadterneuerung sichert jedoch eine umfassende Sanierung der Erdgeschosszone zusammen mit angrenzenden Straßenräumen und Höfen ab. Abbildung: Das gründerzeitliche Samariterviertel entstand um 1900, in

weniger als 10 Jahren, nach flächendeckendem Berliner Mietshaus-Modell auf 200 Liegenschaften

Quelle: Stadt Berlin 6 Interview mit Genia Krug, STATTBAU GmbH - Stadtentwicklungsgesellschaft Berlin,

Quartiersmanagement und Gebietsbetreuung (2006)

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Leitsätze zur Stadterneuerung Berlins Das Baugesetzbuch (BauGB) sieht mit den §§136-1647 - dem 'Besonderen Städtebaurecht' - Instrumente und Verfahren zur einheitlichen Durchführung der städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen vor. 1993 wurden in diesem Zusam-menhang die Leitsätze zur Stadterneuerung Berlins wie folgt beschrieben: „Der umfassende Handlungsbedarf in den Gründerzeitquartieren des Ost-

teils der Stadt erfordert eine flächenhafte und eine auf Schwerpunkte bezo-gene Strategie der Stadterneuerung.

Ziel der Erneuerung ist der Erhalt der bestehenden baulichen und städte-baulichen Struktur. Die neue, veränderte städtebauliche Funktion der Ge-biete ist behutsam aus dem Bestand zu entwickeln.

Die Erneuerung ist an den Bedürfnissen der Betroffenen zu orientieren. Die Erneuerungsmaßnahmen und -verfahren werden sozial verträglich gestaltet.

Bei der Erneuerung der Gebiete ist die vorhandene Struktur des Gewerbes zu sichern und zu entwickeln; Arbeitsplätze sind im Grundsatz zu erhalten bzw. neu zu schaffen.

Die Sanierung ist nach förmlicher Festlegung zügig, d.h. innerhalb von 15 Jahren durchzuführen. Bei der Größe der Gebiete ist dieses nur erreichbar, wenn die Erneuerung auf die notwendigen Maßnahmen und Standards be-grenzt wird.

Die rechtlichen Möglichkeiten der planungs-, bauordnungs-, wohnungsauf-sichts- und vermögensrechtlichen Instrumente für die Sicherung der Sanie-rungsziele sind auszuschöpfen.

Öffentliche Standorte werden durch vorhaltenden Grunderwerb und durch Planungsrecht (Bebauungspläne) frühzeitig gesichert.

Der Finanzierung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen und der notwendigen technischen Infrastruktur in den Sanierungsgebieten wird Pri-orität gegenüber anderen Bestandsgebieten in der Finanz- und Haushalts-planung des Landes Berlin eingeräumt.

Die erforderliche Erneuerung der Altbausubstanz kann nur durchgeführt, Eigentümerinvestitionen aktiviert und die Maßnahmen verstärkt durch privates Kapital finanziert werden.

Die Erneuerung der Gebäude und Wohnungen muss mittelfristig jedoch durch öffentliche Förderung unterstützt werden, soweit die notwendigen Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen aus den Mieterträgen nicht zu finanzieren sind.

7 http://dejure.org/gesetze/BauGB/136.html (Zugriff 2007 bzw. 2013-07-05)

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In den Sanierungsgebieten sind Betroffenenvertretungen zu bilden. Durch Sozialplanverfahren und offene Beratung sind die Belange der Bewohner und Nutzer einzubringen.

Zur Erfüllung der Aufgaben Berlins bei der Vorbereitung und Durch-führung der Sanierung werden Sanierungsbeauftragte bzw. treuhänderische Sanierungsträger nach §157 BauGB eingesetzt. Der Zwischenerwerb von Grundstücken zur Sicherung öffentlicher Standorte wird einem bezirks-übergreifend tätigen treuhänderischen Sanierungsträger übertragen.“8

Folgen der Schwerpunktverlagerung bei Sanierungsvorhaben Seit Ende der 90er Jahre erfolgte eine Schwerpunktverlagerung auf Einrichtun-gen der sozialen Infrastruktur und auf den öffentlichen Raum, deren Einflüsse im Samariterviertel erlebbar geworden sind. Viertelbezogene Sanierungsziele der Sanierungsinitiative lauteten:

Verbesserung des Bauzustandes und des Ausstattungsstandards der Woh-

nungen, Erhöhung des Anteils familienfreundlicher Wohnungen, kleinteiliger Abriss und Rückbau zur Verbesserung der städtebaulichen und

Freiflächensituation auf den Grundstücken, Wohnungsneubau auf Lückengrundstücken und Dachgeschossausbau in

begrenztem Umfang, Verbesserung des Anteils an und der Ausstattung mit öffentlichen Grün-

und Freiflächen, Neubau bzw. Erneuerung von acht Spielplätzen, Umfassende Erneuerung der Schulen und der Kitas im Gebiet, Erneuerung der bestehenden Turnhallen und Neubau einer wettkampf-

gerechten Sporthalle auf dem ehemaligen Samariterschulgarten, Aufwertung der Straßenräume durch Erneuerung von Gehweg- und Fahr-

bahndecken, flächendeckende Straßenbaumpflanzungen, Erhalt und Stabilisierung nicht störenden Gewerbes und Intensivierung der

gewerblichen Funktionen.9 Die Finanzierung der Sanierung erfolgte zu etwa gleichen Teilen durch öffentli-che Förderungen und aus privaten Mitteln. Das Entwicklungsprogramm des 8 www.samariterviertel.de/samariterviertel/sanverfahren/verfahren_3.html 9 ASUM (2006): Workshopbericht „Perspektiven des Samariterviertels“

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Samariterviertels verfolgte während der fast 15 jährigen Laufzeit soziale Ziele, wie den Anstieg der BewohnerInnenzahl, auch durch Zunahme der Haushalte mit Kindern, den Bevölkerungsaustausch bei weitgehendem Erhalt der sozialen Bevölkerungsmischung und der Schaffung von Wohnperspektiven auch für einkommensschwache Bevölkerungsteile.

Eine kinderfreundliche Entwicklung des Gebiets wurde angestrebt. Durch die Begrünung der Baulücken und Höfe, durch die Verkehrsberuhigung sowie durch die Sanierung der sozialen Infrastrukturen stieg die Zahl der Kinder wäh-rend der Sanierungszeit kontinuierlich.

Im Zuge der Sanierungsarbeiten wurden Kleinstwohnungen zusammen ge-legt, um Wohnen kindergerecht zu machen.10 Nach Angaben der Sanierungsbe-auftragten wurden den älteren BewohnerInnen Ersatzwohnungen vorgeschlagen, die möglichst in von ihnen bevorzugten Gegenden (in der Nähe ihrer Angehöri-gen) lagen.11

Dennoch hat im Sanierungsgebiet ein Gentrifizierungsprozess stattgefun-den. Die in der DDR-Zeit enteigneten Häuser gingen mit der Zeit in Privatbesitz über. Auch ein Eigentümerwechsel fand statt. Anfänglich blieben rund 33% der von Sanierungen betroffenen Haushalte in ihren ursprünglichen Wohnungen, 57% blieben im Gebiet.

Gegen Ende der Sanierungsinitiative Ende 2007 waren zwei Drittel aller Haushalte im Gebiet neu. Ein großer Teil der ursprünglichen Bevölkerung lebt heute nicht mehr im Viertel. Trotz zentraler Lage und hoher Lebensqualität konnte eine soziale Mischung unterschiedlicher Einkommensstrukturen vor allem durch die geförderten Wohnungen und durch Wohngemeinschaften erhal-ten werden.

Nach der städtischen Sanierungsinitiative der Stadt Berlin kam es zu einer Änderung der Sanierungsförderung. Als Finanzierungsmöglichkeit für die Sa-nierung stand nun das Förderprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau nur für Wohnraummodernisierung, für CO2–Minderung sowie für Darlehen für Solarstrom-Anlagen zur Verfügung.

Außerdem gab es steuerliche Begünstigungen nach §7h und §10f Einkom-mensteuergesetz (EStG) als Sonderabschreibung von bis zu 10% der Herstel-lungskosten für Modernisierung und Instandsetzung bei Maßnahmen im Sinne von §177 BauGB.12 10 ASUM Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung GmbH (2006): Workshop-

bericht ‘Perspektiven des Samariterviertels’. Berlin 11 Interview mit Genia Krug Mitarbeiterin der sanierungsbeauftragen STATTBAU GmbH und

Interview mit den MitarbeiterInnen der ASUM – Angewandte sozialforschung und urbanes Management GmbH (2006 und 2013)

12 www.juraforum.de/gesetze/estg/7h-erhoehte-absetzungen-bei-gebaeuden-in-sanierungsgebieten-und-staedtebaulichen-entwicklungsbereich (Zugriff 2013-07-07)

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Abbildung: Stadterneuerungsgebiet Samariterviertel in Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin

Quelle: STATTBAU GmbH und Stadterneuerung Berlin und Bezirksamt Fried-richshain-Kreuzberg Sanierungsverwaltungsstelle Berlin

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Abbildung: Die unterschiedlichen Aspekte der Entwicklung des Samariterviertels (verarbeitet von ASUM GmbH)

Abbildung: Spielplatz in einer Baulücke in der Schreinerstraße geplant

durch Kinderbeteiligung im Samariterviertel in Berlin (2007)

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Abbildung: Begrünte Straßengestaltung im Samariterviertel in Berlin (2007)

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Abläufe des Sanierungsprogramms im Samariterviertel Zur Erfüllung der Aufgaben bei der Vorbereitung und Durchführung der Sanie-rung werden Sanierungsbeauftragte / treuhänderische Sanierungsträger nach §157 BauGB eingesetzt. Der Zwischenerwerb von Grundstücken zur Sicherung öffentlicher Standorte wird einem bezirksübergreifend tätigen treuhänderischen Sanierungsträger übertragen.13 Der Sanierungsprozess bestand nach Angaben der Sanierungsbeauftragten des Landes Berlin, STATTBAU Stadtentwicklungs-gesellschaft mbH, für das Samariterviertel aus folgenden Abläufen, die sowohl die Aufgaben der Gemeinde und als auch der EigentümerInnen vereinen: Vorbereitung (Aufgaben der Gemeinde): Vorbereitende Untersuchungen Förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets Bestimmung der Ziele und Zwecke der Sanierung Städtebauliche Planung: Bauleitplanung oder Rahmenplanung soweit für die Sanie-

rung erforderlich Erörterung und Fortschreibung des Sozialplans Einzelne Ordnungs- und Baumaßnahmen, die vor einer förmlichen Festlegung des

Sanierungsgebietes durchgeführt werden Durchführung: Ordnungsmaßnahmen (Aufgaben der Gemeinde):

- Bodenordnung einschließlich des Erwerbs von Grundstücken - Umzug von BewohnerInnen und Betrieben - Freilegung von Grundstücken - Herstellung und Änderung von Erschließungsanlagen - Maßnahmen, die notwendig sind, damit die Baumaßnahmen durchgeführt werden können Baumaßnahmen (grundsätzlich Aufgabe der EigentümerInnen, bei Gemeinde-

bedarfs- und Folgeeinrichtungen Aufgabe der Gemeinde): - Modernisierung und Instandsetzung - Neubebauung und Ersatzbebauung - Errichtung und Änderung von Gemeindebedarfs- und Folgeeinrichtungen - Verlagerung und Änderung von Betrieben Fortlaufende Aufgaben aus der Vorbereitung

Abschluss: • Aufhebung der Satzung zur Gebietsfestlegung

13 www.samariterviertel.de/samariterviertel/sanverfahren/verfahren_3.html (Zugriff 2007)

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Abbildung: Straßenleben im Samariterviertel (2007)

Abbildung: Nachträglich an der Straßenfassade errichtete Balkone in Berlin

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Abbildung: Gestaltung einer Baulücke als Kinderspielplatz zur Zwischennutzung (2007)

Abbildung: Nutzungsvielfalt am Gehsteig im Samariterviertel bestehend aus

Puffer zum Sitzen, Fußweg und begrüntem Streifen

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Fünf Jahre danach: Rückblick und Bilanz der Sanierung Rund fünf Jahre nach der Sanierungsinitiative im Samariterviertel zeigen aktuelle Interviews mit den MitarbeiterInnen der 'STATTBAU Stadtentwick-lungsgesellschaft' und der 'ASUM - Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung GmbH', die in die Sanierung des Viertels involviert waren, fol-gende Entwicklungen in dem Gebiet auf:14

Das Problem des Wohnungsleerstands wurde inzwischen gelöst. Das Sa-mariterviertel ist heute im Gegenteil ein stark nachgefragtes Viertel zum Woh-nen, weil die Häuser saniert sind, das Gebiet zentral aber dennoch ruhig liegt und grün ist. Die störende Nachtszene auf Grund konzentrierter Gastronomie, wie in manchen angrenzenden Stadtvierteln, gibt es hier nicht.

Während der Sanierung zwischen 2001 und 2007 wuchs die Zahl der Be-wohnerInnen (um 38%). Obwohl die überwiegend kleinen Wohnungen des ehemaligen Arbeiterviertels (meist mit zwei Zimmern) im Zuge der Sanierung zusammengelegt worden sind, ist die Zahl größerer Wohnungen (mit drei Zim-mern) dennoch nicht ausreichend, um den Bedarf der Familien mit mehreren Kindern abzudecken. Sie ziehen deshalb vermehrt in andere Stadtgebiete.

Mehr als 25 Millionen Euro an öffentlichen Geldern wurden in die Verbes-serung öffentlicher Flächen und Einrichtungen investiert. Die Erdgeschossräu-me des Samariterviertels wurden unabhängig von ihrer Nutzung -Wohnung oder Gewerbe - mit saniert.

Anders als beim Wiener Stadtsanierungsmodell, welches durch Wohnbau-förderung vordergründig Wohnflächensanierungen beziehungsweise Gebäude-sanierungen (Sockelsanierungen) unterstützt. Hier wird nicht vorgeschrieben, dass die Erdgeschossräume im Zuge einer umfassenden Gebäudesanierung ebenfalls saniert werden müssen. Daher bleiben in Wien gewerblich genutzte Erdgeschossräume oft unsaniert oder nur zum Teil saniert. Daher sind sie in weiterer Folge häufig nicht angemessen nutzbar. Verbesserungen öffentlicher Flächen wie des Straßenraums liegen in der Entscheidungsmacht und der Zahl-kraft der Bezirkspolitik.

Im Samariterviertel wurde fast ein Drittel der Wohnungen des Sanierungs-gebietes öffentlich gefördert. Die Mietpreise dieser Wohnungen blieben damit nach oben hin begrenzt. Der Wohnraum steht einkommensschwächeren Haus-halten zur Verfügung und soll damit die soziale Mischung absichern.

Auch die geplante Sanierung von Schulen und öffentlichen Kulturein-richtungen sowie die Gestaltung der Straßen und Grünflächen wurden inzwi- 14 Interview mit K. Beyer und Dr. R. Jäker (2013): Arbeitsgruppe für Sozialplanung und

Mieterberatung GmbH und mit G. Krug; Gebietskoordination Samariterviertel, STATTBAU GmbH

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schen weitgehend durchgeführt. Anspruchsvoll geplante und gestaltete Spiel-plätze, entsiegelte und begrünte Höfe sowie erneuerte Straßen und Gehsteige prägen das neue Bild des Viertels.

Eine Reihe vor allem kleinerer Unternehmen aus dem Dienstleistungs-, Handels- und Gastronomiesektor befinden sich heute vorzugsweise in der Erd-geschosszone der sanierten Häuser. Die anfängliche Fluktuation der Betriebe im Viertel setzte mit der Zeit aus. Der bestehende Gewerbehof in der Rigaerstraße im Samariterviertel wurde von der Sanierung jedoch nicht erfasst.15

Während der Sanierungsinitiative vermittelte ASUM - Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung GmbH zwischen den EigentümerInnen und potenziellen NutzerInnen der Erdgeschossräume beziehungsweise der Gewerbe-flächen. Einige Straßenzüge wie die Schreinerstraße oder die Samariterstraße beheimaten auf Grund ihrer Lage und Nähe zu öffentlichen Verkehrsmitteln mehr und lebendigere Erdgeschossbetriebe.16

Es gab auch Umnutzungen der Erdgeschossräume. Wegen des derzeitig hohen Bedarfs an Wohnungen wurden Erdgeschossräume zum Teil zu Woh-nungen umgebaut, die sich für ältere BewohnerInnen barrierefrei gestalten las-sen. In Berlin ist derzeit die behördliche Abwicklung der Umnutzung von Ge-werbe-flächen in Wohnungen wesentlich leichter als umgekehrt, da Wohnflä-chen geschützt und vermehrt werden sollen.

15 www.stadtentwicklung.berlin.de/staedtebau/foerderprogramme/stadterneuerung/de/samariter-

viertel, Zugriff 2013-06-29 16 Interview mit K. Beyer und R. Jäker; ASUM-Arbeitsgruppe für Sozialplanung und

Mieterberatung GmbH

Städtebauliche Maßnahmen der Quartierserneuerung in Leipzig Leipzig ist wie Wien und Berlin stark von der gründerzeitlichen Bebauung ge-prägt. Seit 1990 wurden rund 80% des Altbaubestandes saniert. Trotzdem stan-den 2007, zur Zeit der Feldforschung zu Stadterneuerungsmodellen für diese Studie noch zahlreiche gründerzeitliche Bauten in den zentralen Stadtteilen zum Teil oder zu Gänze leer.

In den letzten Jahren wurden die ausgewählten Stadtteile des Leipziger Stadterneuerungsprogramms (die sogenannten Stadtteile mit besonderem Ent-wicklungsbedarf), die in gründerzeitlichen Vierteln (vor allem im Leipziger Osten und Westen sowie in der Großsiedlung Leipzig-Grünau) liegen rasch saniert und belebt.

Die Förderprogramme der EU, des Bundes und des Landes waren für die Stadt Leipzig eine zentrale Grundlage für ihre Aktivitäten in der Stadterneue-

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rung und im Stadtumbau. Die Förderprogramme wie der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), Soziale Stadt, Stadtumbau Ost, Städtebauliche Erneuerung, Städtebaulicher Denkmalschutz, URBAN II und Wohnungsbauför-derung wurden dafür eingesetzt.

Abbildung: Fördergebietskulisse der Stadt Leipzig

Quelle: Stadt Leipzig, Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (Stand 2007) Der Weg zur Stadterneuerung wurde als eine fokussierte Verbindung der unter-schiedlichen Programme für die ausgewählten Fördergebieten formuliert. In der Kopplung von EU-Programmen mit Städtebau-Fördermitteln von Bund und Land sollte ein Fördermittel-Mix entstehen, der praxistauglich ist und eine nachhaltige Stadterneuerung ermöglicht.

Das Programm städtebaulicher Erneuerung konzentrierte sich durch die Einrichtung von Sanierungsgebieten mit besonderem Erneuerungsbedarf auf die Beseitigung städtebaulicher Missstände.

Die Stadterneuerung in Leipzig setzte auf Schwerpunktgebiete, die einen sozialen und baulichen Erneuerungsbedarf zeigen, bevor sie zu Problemgebieten werden. Die Maßnahmen waren sowohl im Bereich der baulichen Modernisie-

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rung, Instandssetzung und Umnutzung als auch in den öffentlichen und offenen Räumen und zur Verbesserung von Verkehr, Freizeit und Nachhaltigkeit zu treffen. Zwischen 1997 und 2003 konnte in Leipzig kontinuierlich ein jährlicher Förderrahmen zwischen 30 und 40 Millionen Euro gehalten werden.

Der Förderrahmen umfasste die Finanzhilfen beziehungsweise Fördermittel des Bundes, des Freistaates Sachsen und der EU sowie die kommunalen Eigen-anteile. 2004 sanken die Mittel des Förderrahmens aufgrund fehlender kommu-naler Mittel für den zu erbringenden Eigenanteil auf 27,9 Mio. Euro.

Die Methode zur synergetischen Kopplung der Förderungsquellen und der Konzentration der Förderungsschienen und Finanzierungsquellen auf die Gebie-te mit besonderem Entwicklungsbedarf wurde folgenderweise dargestellt:

„Ab 2005 wurde ein Pilotprojekt zur Entlastung des städtischen Vermögens-

haushaltes gestartet. Investitionsvorhaben städtischer Fachämter werden seitdem auf Förderfähigkeit im Rahmen der Programme der Stadterneuerung und des Stad-tumbaus geprüft. Durch die Kopplung von Eigenmitteln der einzelnen Fachämter mit den Städtebaufördermitteln sind ein optimierter Fördermittelabruf und eine Steigerung des Investitionsvolumens der Ämter um ein Vielfaches möglich. Priori-täre Maßnahmen der einzelnen Ämter müssen dadurch zeitlich nicht zurück gestellt werden.

Voraussetzung für diesen Kopplungseffekt ist aber, dass diese Investitionen den Zielen der Stadterneuerung entsprechen und nicht nur der Erfüllung faktischer Pflichtaufgaben unterworfen sind. Diese Investitionsabstimmung wird als Bestand-teil des Verfahrens zur Aufstellung des Vermögenshaushaltes ab 2006 jährlich fort-gesetzt. Weiterhin wird in der Verwirklichung der Stadterneuerungsziele der Ei-genmittelersatz durch Finanzierungsbeiträge von Landeskirchen und von gemein-nützigen Vereinen praktiziert. Im Ergebnis stieg der Förderrahmen 2005 für Maß-nahmen der Stadterneuerung und des Stadtumbaus wieder auf eine Höhe von 32,1 Mio. €.“17

Als rechtliche Grundlage galt die Verwaltungsvereinbarung 'Städtebau-förderung', die zwischen dem Deutschem Bund und 16 Ländern getroffen wur-de. In diesem Rahmen wurde bei einem informellen Treffen zusammen mit EU-VertreterInnen eine 'Leipzig Charta' verabschiedet.

Die betreffende Verwaltungsschrift zur Verwaltungsvereinbarung in der Städtebauförderung, die die städtebaulichen Maßnahmen zur Stadterneuerung in Sachsen (unter anderem Leipzig) betrifft, gibt die folgende Maßnahmenordnung zur Begleitung und Koordinierung der Maßnahmen zur Entwicklung benachtei-ligter Stadtgebiete vor:

17 www.leipzig.de/de/buerger/stadtentw/stadtern/programme/erneu

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„Zur Stabilisierung und Entwicklung benachteiligter Stadtteile ist ein koordi-niertes Vorgehen aller betroffenen Ämter in der Gemeinde erforderlich. Die Ge-meinde hat die Mittel und Maßnahmen, die für die Entwicklung eines Stadtteils von Bedeutung sind und die in der Lage sind, die Gebiete zu stabilisieren, bevor sie sich zu sozialen Brennpunkten entwickeln, koordiniert einzusetzen.

Über die Stabilisierung hinaus sollen die Maßnahmen auch zu einer nachhalti-gen Entwicklung der Gebiete als attraktive Stadtteile beitragen. Die Gemeinde hat auf der Grundlage integrierter Handlungskonzepte ihr Wirken darauf zu richten, dass durch eine verbesserte Abstimmung der Entscheidungsträger und der Mittel Kumulations- und Synergieeffekte erzeugt werden, die über die Effekte der traditi-onellen Städtebauförderung und anderer sektoraler Förderungen hinausgehen. Es ist zugleich auch eine verbesserte Abstimmung mit dem privaten Sektor und ein damit verbundener effektiverer Mitteleinsatz anzustreben. Die integrierten Handlungs-konzepte sind auszurichten auf die Verbesserung

• der Wohnverhältnisse, • der Umweltentlastung, • des Angebotes an bedarfsgerechten Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten, • der sozialen Infrastruktur insbesondere für junge Menschen, • der Maßnahmen für eine sichere Stadt, • des öffentlichen Personennahverkehrs, • des Wohnumfeldes sowie • der Stadtteilkultur und Freizeit.“18

Zwischennutzungsprogramme in Leipzig Der Leipziger Weg der Sanierungs- und Wirtschaftsförderungsbehörden zur Zwischennutzung scheint gemessen an den Praxisbeispielen erfolgreich zu sein, obwohl der Leerstand in innerstädtischen Gebieten, der durch die Abwanderung im letzten Jahrzehnt ausgelöst worden war, während der Feldforschungen im Jahr 2007 noch sehr hoch war.

Die leer stehenden Geschäftslokale wurden zur Belebung von der Kommu-ne für eine bestimmte Zeit (beispielsweise für 5 Jahre) übernommen.19 Des Weiteren wurde von Seiten der Kommune in eine minimale Grundausstattung investiert, um die Räumlichkeiten wieder nutzbar zu machen. Die Behörde för-derte die Grundsanierung und vermietete die Räume (in der Regel durch Verei- 18 Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die Vorbereitung,

Durchführung und Förderung von Maßnahmen der Städtebaulichen Erneuerung im Freistaat Sachsen (VwV-StBauE) vom 29. November 2002 (SächsABl.SDr., Jg. 2003, Bl.-Nr. 1, S. 2.)

19 Gespräch mit Karsten Gerken, Amtsleiter für Stadterneuerung der Stadt Leipzig (2007 und November-2013)

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ne) zu niedrigen Mietpreisen für Kunst- und Kulturaktionen sowie an Künstle-rInnen und kleine beziehungsweise junge HandwerkerInnen weiter. Die Räume konnten auch für sehr kurze Zeit zur Verfügung gestellt werden, für Veranstal-tungen, Ausstellungen und Ähnliches.

Für die Zwischennutzung der leer stehenden Häuser beziehungsweise Räume gibt es den Verein 'HausHalten', welcher 2004 gegründet worden ist und mit dem Ziel arbeitet, gefährdeten Gebäuden durch unkonventionelle Nutzungs-ideen neue Perspektiven zu verleihen. 'HausHalten' nimmt Kontakt zu den Ei-gentümerInnen leerstehender Gebäude auf und vermittelt ihnen neue NutzerIn-nen, die durch die Sanierungsarbeit das Gebäude 'warten' und als Hauswächte-rInnen fungieren (Bausubstanzschutz).

Das Grundprinzip der Wächterhäuser ist Hauserhalt durch Nutzung: "Viel Fläche für wenig Geld" ist die Maxime, denn es gilt in Zeiten des Überangebo-tes Fläche zu verschwenden und Nutzungen zu extensivieren, was aufgrund der günstigen Nutzungskonditionen möglich wird. Die EigentümerInnen werden von Kosten entlastet. Ihre Aufgabe ist es, die Hausanschlüsse von Strom und Wasser wieder herzustellen und, teilweise mit Hilfe von Fördergeldern, das Gebäude soweit Instand zu setzen, dass eine Nutzung möglich wird. Die Nutze-rInnen werden zu ‚Wächtern’ über das Haus. Sie richten sich die Räumlichkei-ten nach ihren Vorstellungen her. Die Übernahme der laufenden Betriebskosten für das Haus, ihre handwerkliche Eigenarbeit in den eigenen Räumen und die Kontrolle des restlichen Gebäudes sind ihre Leistungen an den oder die Eigen-tümerIn. Besonders soziale, kulturelle oder gewerbliche NutzerInnen mit Aus-strahlung und Anziehung auf das Quartier kommen als 'WächterInnen' in Frage.

Ein 10-Punkte-Maßnahmenplan des Vereins 'HausHalten' zeigt, wie man in der Praxis vorgeht:20 „Identifizierung geeigneter Objekte, die an städtebaulich bedeutsamen

Standorten liegen, sich in einem schlechten baulichen Zustand befinden und entsprechend der kommunalen Stadtentwicklungsziele (Grundlagen: Stadtentwicklungsplan der Stadt Leipzig, Prioritätenliste des Gebäude-Sicherungsprogramms der Stadt Leipzig) dringend zu erhalten sind,

Kontaktaufnahme mit den Eigentümern, Vorstellung des Projektansatzes und Eröffnung neuer Nutzungsperspektiven in einer scheinbar aussichts-losen Situation,

Einschätzung des baulichen Zustandes und Erstellung eines fachlich fun-dierten Gutachtens mit erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zur generel-len Reaktivierung der Objekte,

20 www.haushalten-leipzig.de/de/waechterhaeuser_modell.asp (Zugriff 2007)

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Abschluss einer 'Gestattungsvereinbarung Haus' zwischen dem Eigentümer und HausHalten e.V. zur zeitlich befristeten Nutzung des Gebäudes. Durch Ausstiegsklauseln ist eine zwischenzeitliche Sanierung bzw. Verwertung des Objektes im herkömmlichen Sinne nicht ausgeschlossen. Rechte und Pflichten werden zwischen den Vertragspartnern objektkonkret festgelegt,

Auf Grundlage der Gestattungsvereinbarung und der damit verbundenen nachhaltigen Revitalisierung des Gebäudes kann die Stadt Leipzig Zu-schüsse zur Gebäudesicherung an den Hauseigentümer geben. Hinzu kommen Eigenleistungen des Vereins sowie der zukünftigen Nutzer,

Objektkonkrete Suche nach 'passenden' Nutzern und Abschluss von Un-ternutzverträgen mit HausHalten e.V. Eine spätere Übergabe des direkten Vertragsverhältnisses an den Eigentümer ist vorgesehen,

Durchführung erforderlicher Sicherungs- bzw. Instandsetzungsmaßnahmen durch Fachfirmen und anschließende Übergabe an die 'Hauswächter',

Unterstützung der 'Hauswächter' durch HausHalten e.V. bei der Durchfüh-rung von Instandsetzungsarbeiten und Herstellung von nutzbarer Fläche für gemeinnützige Zwecke,

Abbildung: Das Wächterhaus-Modell der Stadt Leipzig

Quelle: www.haushalten.org/de/waechterhaeuser_modell.asp (Zugriff: 2013)

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Öffentlichkeitswirksame Eröffnung der jeweiligen Wächterhäuser mit einem Fest und einer Ausstellung über den Verein, seine Ziele, weitere Ob-jekte u.ä., eingebunden in eine übergeordnete Werbestrategie, Multipli-zierung des Ansatzes,

Unterstützung der neuen Hausgemeinschaft durch HausHalten e.V. mit dem Ziel, das Gebäude vertraglich an die neu gewonnenen Wächter zu übergeben, um als Verein erneut Wächterhäuser in Obhut nehmen zu kön-nen.“21

Abbildung: Leipziger Baumwollspinnerei, 'From Cotton to Culture’

Foto: Leipziger Spinnerei Spinnerei: Stadtkultur als Standortentwickler Nach der Wende erlangte Leipzig über seine Musik- und Kunstszene zuneh-mend internationale Aufmerksamkeit, die sich in räumlichen und sonstigen Freiheiten entwickeln konnte. Das ab 1993 leer stehende Gelände der 'Baum-

21 HausHalten e.V. wurde 2007 in Kooperation mit der Stadt Leipzig, Amt für Stadterneuerung

und Wohnungsbauförderung durch das EU-Programm SMART (Interreg IIIC) unterstützt.

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wollspinnerei', einer ehemaligen kleinen Fabrikstadt entwickelte sich zu einem Zentrum für Kunst, Architektur, Dienstleistungen und Galerien. Anfänglich war es wichtig, dass die Kunst und (Sub-)Kultur Szene (besetzbaren) Freiraum fand, um sich zu entfalten. Heute ist die Spinnerei ein etabliertes Zentrum der neuen 'Leipziger Schule' für Künstlerateliers, Galerien, Werkstätten für Architektur, Design, Schmuck- und Modemacher und Theaterspielstätte. Abbildung: Leipziger Baumwollspinnerei

Foto: Leipziger Baumwollspinnerei; U. Walter (2006)

Foto: Leipziger Baumwollspinnerei

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Abbildung: Kunstgalerie in der Leipziger Baumwollspinnerei

Quelle: Leipziger Baumwollspinnerei Inzwischen wurde die Spinnerei von einer Investorengruppe gekauft. Sie verfügt über eine Verwaltungsgesellschaft. Kritiker finden den ehemaligen alternativen Kunst-Cluster heute weit entfernt von der ursprünglichen Alternativkultur. Die zahlungskräftigen Mieter wie ein Call-Center, ein Großhandel für Kunstbedarf und ein Computermarkt sollen die niedrigen Mieten der Künstlerateliers kom-pensieren.22

Das Projekt 'Gründerzeit Erleben!' Ein weiteres Projekt zur Quartiersentwicklung des Amtes für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW) der Stadt Leipzig ist die gezielte Entwick-lung des Leipziger Ostens zu einem vitalen, lebenswerten Stadtteil. Das Projekt 'Gründerzeit Erleben!' zielt auf die Entwicklung eines Viertels für historisches Handwerk und Gewerbe ab. Durch Bündelung verschiedener Aktivitäten rund um das Thema Gründerzeit soll die Vielfalt des baulich-kulturellen Erbes in Leipzig für Touristen und Bürger attraktiv und erlebbar gemacht werden. Dabei soll keine rein architektonische Betrachtung der Gründerzeit erfolgen, sondern sollen auch die städtebaulichen, gesellschaftspolitischen und sozioökonomi-

22 www.zeit.de/2010/17/S-Leipzig-Baumwollspinnerei (2010)

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schen Aspekte beleuchtet werden.23 Das Projekt betraf ein sogenanntes Prob-lemgebiet, das östlich des Zentrums liegt und als Schwerpunkt der Stadterneue-rung entwickelt werden sollte. Eine der Grundüberlegungen war, einen Standort für historisches Gewerbe und Handwerk zu schaffen.

Die Maßnahmen sehen eine räumliche Konzentration von historischem Gewerbe, Handwerk und Kunsthandwerk in diesem Gebiet vor. Dazu werden Betriebe wie Bäcker, Buchbinder, Buchdrucker, Büchsenmacher, Schumacher, Steinmetze, Steinbildhauer, Stein- und Holzbildhauer, Schneider usw. zur Teil-nahme ermutigt. Das Entwicklungsprogramm definiert Wege wie die Einrich-tung von Schauwerkstätten, Möglichkeiten zum aktiven Mitmachen, die Ergän-zung durch Gastronomie, Einzelhandel und Qualifizierungsangebot im Bereich Service, Handwerk und Tourismus.24 Ob das Gebiet durch diese Maßnahmen tatsächlich entwickelt werden konnte, war zum Zeitpunkt der Untersuchungen noch nicht zu sagen. Aus heutiger Perspektive kann gesagt werden, dass die zügigen Sanierungen in den historischen und zentralen Stadtteilen, die damals mit Leerstandproblemen kämpften, die Nachfrage und Belebung stark voran getrieben haben. Laut Leipziger Sanierungsbehörde gibt es derzeit kaum noch Probleme mit dem Leerstand. Abbildung: Einflussgrößen auf den Erfolg: ‚Gründerzeit Erleben’in Leipzig

23 www.koopstadt.de/fileadmin/user_upload/red/Leipzig/Projektsteckbriefe/SP_Tourismus- magnet_Gruenderzeit_Stand_17.12.2008.pdf (Zugriff: 2013-10-21) 24 Pilot-Vorhaben 'Gründerzeit Erleben!' in der Broschüre ‚EFRE-Bilanz und Ausblick’ (2007)

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Abbildung: Eine (historisierende) Straßenentwicklung für Handwerk und Gewerbe Hedwigstraße-Leipzig im Rahmen Stadterneuerung

Quelle: www.gründerzeit-erleben.de (Zugriff: 2007 und 2013)

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Vergleichende Zusammenfassung der Stadt- und Quartierserneuerung In beiden Städten, sowohl in Berlin als auch in Leipzig sind die Straßenräume als öffentliche Alltagsräume in den Sanierungsgebieten durch Neugestaltung der Fahrbahnen und Gehsteige revitalisiert worden. Durch diese städtebaulichen Maßnahmen strahlen positive Einflüsse auf die angrenzenden Erdgeschossräu-me aus und erhöhen ihr Nutzbarkeitspotenzial.

Das Berliner Beispiel, das Sanierungsgebiet 'Samariterviertel', zeigt einige Handlungswege, die eine Belebung des Straßenraumes und der Erdgeschoss-lokale ermöglichten. Im Zuge der Stadterneuerung im Viertel wurde den Grün-dungsbetrieben durch einige Freiheiten und ohne anfänglich strenge Auflagen eine Existenz ermöglicht. Weil es ohnehin keine 'störenden' Betriebe waren, funktionierte die Ansiedlung ohne Belastung für die AnrainerInnen. Die breiten Gehsteige, die sich zum Sitzen und zum Treffen eignen, spielten bei der Bele-bung eine positive Rolle.

Das Leipziger Modell der Zwischennutzung bietet eine übertragbare Me-thode auch für leer stehende Erdgeschosse in Wien. Es wurden auch in Wien zeitlich parallel punktuelle, meist straßenbezogene Zwischennutzungsinitiativen für leer stehende Erdgeschosse ins Leben gerufen. (Beispiel 'Lebendige Stra-ßen').25

Die abgehandelte Zwischennutzungsperiode war jedoch wesentlich kürzer als in Leipzig, oft auf ein Jahr begrenzt. Die Vermittlung zwischen den potenzi-ellen ZwischennutzerInnen und den EigentümerInnen wurde nicht als konkrete Aufgabe der Wiener Stadtsanierungsinitiative definiert.

Es gibt aktuelle Bemühungen unterschiedlicher Gruppen in Wien, die leer stehenden Lokale für sogenannte 'Kreative' vorübergehend nutzbar zu machen. Leider bleibt das Interesse der EigentümerInnen sehr gering. Die Gründe dafür sind vielschichtig, die immobilienwirtschaftlichen Verwertungsmethoden des derzeit hochspekulativen Gründerzeithäusermarktes liefern jedoch einige wich-tige Einblicke in das herrschende Desinteresse.

In Leipzig gibt es kein Leerstandsproblem mehr, da nach der Periode der Abwanderung wieder Zuwanderung (meist aus anderen Städten oder Regionen in Deutschland) in die sogenannten Stadterneuerungsgebiete stattgefunden hat: Nicht zuletzt wegen den im Vergleich mit Berlin oder München noch leistbaren Mietpreise.

Dort brachte die Quartiersanierung auch gewisse Nachteile, da die ersten neu Zugezogenen (meist jüngere Bevölkerung und Studierende) nach der Bele-

25 www.wien.gv.at/stadtentwicklung/projekte/lebendigestrassen (Zugriff: 2013-07-24)

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bung, die durch ihre Lebensweise ausgelöst wurde, ihre Viertel verlassen muss-ten, um zahlungsstärkeren BewohnerInnen Platz zu machen.

Die Gentrifizierung war bereits im Jahr 2007 in Interviews, Gesprächen und Beobachtungen vor Ort feststellbar. Kleine Gewerbebetriebe bekamen in Leipzig - nach Angaben der Sanierungsbehörde – bis zu rund 35% Förderungen für bauliche Investitionen, Ausstattung, Geschäfts- oder Büroeinrichtungen, Maschinenanlagen, Software und Computer. Außerdem halfen die Behörden auch durch Beratung zur Existenzgründung, Erweiterung und Krisenbewälti-gung. Auch bei Umzug, Marketing und Personalschulung wurde Unterstützung angeboten. Betriebsförderungen für kleine Betriebe konnten bei Existenzgrün-dungen bis zu 46% erreichen.26 Die Berliner und Leipziger Sanierungsbeispiele haben die folgenden Punkte gemeinsam:

Soziale Ziele stehen im Vordergrund; zum Beispiel die Anbindung insbe-

sondere von jungen StädterInnen, die Chancen für eine Existenzgründung bekommen sollen, an die lokalen Nahversorgungsnetze.

Bürgeraktive Maßnahmen und umfassende Handlungen, die sich weit über die Haussanierungen hinaus ausbreiten und auch das Wohn- und Arbeits-umfeld verbessern.

Städtebauliche Maßnahmen, wie die nutzerfreundliche Gestaltung der öffentlichen Flächen, gekoppelt mit der Sanierung von Schulen und Spiel-plätzen, unterstützen die Gesamtgebiete nachhaltig.

Kooperatives, bereichsübergreifendes und interdisziplinäres Vorgehen entwickelt ein Gebiet, nicht nur die Bausubstanz. Es schafft auch eine sozi-ale und ökonomische Dynamik, die sich mit der Zeit verselbständigt.

Die unterschiedliche Handhabung der Sanierungsförderungen in Wien und Ber-lin bezüglich ihrer Sanierungsschwerpunkte führt auch zu unterschiedlichen Ergebnissen in Bezug auf die städtischen Räume. Die Sanierungsmaßnahmen betreffend öffentliche Räume und Erdgeschossnutzung waren in Berlin und Leipzig wirksamer als in Wien.

26 Gespräch mit A. Wünsche, Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung, Stadt

Leipzig (2006)

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Gewerbe in der Erdgeschosszone Einige in diesem Kapitel angeführte Daten und Fakten machen deutlich, dass die Klein(st)betriebe für die Stadtwirtschaft eine wesentlich größere Rolle spie-len als angenommen, obwohl - europaweit - ein Großteil der Aufmerksamkeit der Wirtschaftspolitik nach der De-industrialisierung auf Großkonzerne gerich-tet ist.

Sowohl in Österreich als auch in Deutschland gibt es häufig eingestreute kleine, traditionelle Gewerbebetriebe, die in den Flächennutzungs- beziehungs-weise Flächenwidmungsplänen nicht dargestellt sind. Meist existieren sie in den vertikal oder horizontal gemischten Wohnhäusern oder in kleinen Gewerbebau-ten als Teil der Bebauung, immer seltener aber doch in den Hofbereichen der Gründerzeitblöcke.

In den Großstädten Europas wie in Wien sind die Betriebsflächen der klei-nen Industrie-, Gewerbe- und Handwerksbetriebe in dicht bebauten Stadtteilen immer häufiger bau-, miet-, nutzungs- oder emissionsschutzrechtlich gefährdet. Ein Großteil dieser Betriebe von Gewerbe und Handwerk befindet sich in Öster-reich in Wohn- und Mischgebieten. Sie sind in der Regel Klein(st)-Betriebe. Die durchschnittliche Mitarbeiterzahl liegt bei rund 6,7 Beschäftigten pro Ge-werbe- oder Handwerksunternehmen und bei 5,5 Beschäftigten pro KMU-Betrieb für alle Sparten. 27

Die kleinen Gewerbebetriebe, die in den dicht bebauten Stadtteilen einge-streut sind, sind nicht ausreichend in den wirtschaftlichen, städtebaulichen Plänen und Strategien berücksichtigt. In Wien sind sie im Zuge der Stadterneu-erung der 80er Jahre zum Teil zugunsten der Hofentkernungen und des Anrai-nerschutzes verlagert worden. Die Richtung der Stadterneuerungspolitik bezüg-lich der Hofbetriebe hat sich inzwischen geändert aber weder Blocksanierungs-maßnahmen, noch Wirtschaftsförderungsmaßnahmen boten ausreichende Unter-stützung und Schutz für die Betriebe der Erdgeschosszone im gründerzeitlichen Block. Zu ähnlichen Resultaten kommt die Studie ‚Gewerbe im Quartier’, die in Berlin die verstreuten Gewerbe in den städtischen Strukturen untersucht hat.28 27 KMU Forschung Austria: 5,5 unselbstständig Beschäftigte je KMU-Gesamt, Quelle: WKO,

Beschäftigungsstatistik (Ende 2006) 28 Herwarth und Holz (1997): Gewerbe im Quartier. Ein Planungsbuch zur innovativen Funkti-

onsmischung. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer

B. Bretschneider, Ökologische Quartierserneuerung,DOI 10.1007/978-3-658-02682-0_4, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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Die Betriebe standen auch im Fall Berlin nicht im Mittelpunkt der planerischen und wirtschaftlichen Ziele zur Bestandspflege und Quartiersökonomie. Sie wur-den als punktuelle Problem- bzw. Konfliktfälle diskutiert und behandelt, obwohl ihre Rolle als Nutzungsmixer, Arbeitsplatzschaffer und Nahversorger außer Diskussion stand; ein Fall, der in diesem Kontext als „politisch-administrative Benachteiligung“ bezeichnet wird.

Die Untersuchungsergebnisse dieser Studie zeigen, dass fast 90% aller Standorte und 85% aller produzierenden Betriebe in Ost-Berlin in den Berei-chen liegen, die entweder als Wohn- oder als Mischbauflächen gewidmet sind. Der überwiegende Teil waren Kleinst-, Klein- und Mittelbetriebe und ein bedeu-tender Teil Handwerksbetriebe. Die 1997 erstellte Studie berichtet, dass wahr-scheinlich 50% der erfassten Betriebe ihren Standort bereits vor der Untersu-chung aufgegeben hatten.29

Heute wird von der Politik und Wirtschaftsforschung betont und durch sta-tistische Zahlen nachgewiesen, dass die kleinen Betriebe bei Konjunktur-schwankungen eine stark stabilisierende Wirkung auf die (nicht nur lokale) Wirtschaft haben. Die klassischen Standorte der Klein(st)betriebe, die Erdge-schosse stehen heute zunehmend leer, weil die Betriebe aus verschiedenen Gründen geschlossen oder abgesiedelt wurden. Ihre ehemaligen Standorte wer-den zunehmend als vernachlässigten Lagerflächen genutzt.

Wirkung der Klein(st)betriebe auf die Stadtökonomie Der Beschäftigten- und Umsatzanteil der sogenannten 'Kleinstbetriebe' ist ein dominanter Marktfaktor für die Stadtökonomie und das stabilisierende Rückgrat der Stadtwirtschaft. Um ihre Existenz in den dichtbebauten Stadtgebieten zu erhalten und zu fördern, müssten ihre aktuellen Überlebensbedingungen bezie-hungsweise die Faktoren, die zu ihrer Verdrängung führen, näher analysiert werden.

Insbesondere die Unternehmen mit Beschäftigtenzahlen bis zu 4 Mitarbei-terInnen bieten derzeit Arbeitsplätze für rund 346.600 Arbeitskräfte mit einem Anteil von rund 86% an der Gesamtzahl der Beschäftigten in Österreich.30

2002 machten sie bereits ein Viertel aller unselbstständig Beschäftigten in Wien aus.31 Im Dienstleistungsbereich erreichten sie sogar mehr als 70%.

29 Herwarth und Holz (1997): Gewerbe im Quartier. Ein Planungsbuch zur innovativen Funkti-

onsmischung. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 30 wko.at/statistik/jahrbuch/unternehmen-GK.pdf (Stand: 2012) 31 Unselbständig Beschäftigte Wiens nach der Kammersystematik Zählungszeitpunkt (Juli

2002): Statistisches Referat. Wirtschaftskammer Wien

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Abbildung: Unternehmen und Beschäftigte nach Beschäftigtengrößen in Österreich (2012)

Quelle: wko.at/statistik/jahrbuch/unternehmen-GK.pdf

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Die Beschäftigung in der Kategorie der Kleinstbetriebe (mit bis zu 9 Mitarbeite-rInnen) stieg schon in den Jahren 1981 bis 2001 mit fast 24% deutlich über dem durchschnittlichen Wachstum der Beschäftigung insgesamt (0,4 %) an. 32

Abbildung: Vergleichende Unternehmens- und Beschäftigungszahlen in Europa und Österreich

Unternehmen nach Beschäftigtengrössenklassen Österreich (2003) Europa-19 (2000) GKL absolut % absolut % 1-9 179.100 84,3 19.040.000 93,1 10-49 27.800 13,1 1.205.000 5,9 50-249 4.600 2,1 170.000 0,8 KMU 211.500 99,5 20.415.000 99,8 mehr als 250 1.000 0,5 40.000 0,2 Insgesamt 212.500 100,0 20.455.000 100,0 Beschäftigte nach Beschäftigtengrössenklassen Österreich (2003) Europa-19 (2000) GKL absolut % absolut % 1-9 497.500 21,5 41.750.000 34,3 10-49 530.600 22,9 23.080.000 19,0 50-249 472.700 20,4 15.960.000 13,1 KMU 1.500.800 64,8 80.790.000 66,4 mehr als 250 815.500 35,2 40.960.000 33,6 Insgesamt 2.316.300 100,0 121.750.000 100,0

Quelle: KMU Forschung Austria: Regionaldatenbank; Statistik Austria, Haupt-verband der Sozialversicherungsträger, Observatory of European SMEs Die statistischen Daten zur österreichischen Unternehmensstruktur zeigten in den letzten Jahren ähnliche Merkmale wie im restlichen EU-Raum. Der Anteil der Kleinstbetriebe mit 1-9 Beschäftigten ist für die Stadtwirtschaft wichtig, weil diese in Österreich rund 84 % aller Betriebe ausmachen. Im Jahr 2010 war in Österreich über 1 Mio. Menschen in den Klein(st)betrieben beschäftigt. Der Anteil der Kleinstbetriebe wuchsen bis 2010 stärker als die Betriebe mit mehr als 20 MitarbeiterInnen. Einzel-, Klein- und Kleinstbetriebe schaffen ins- 32 Neue Förderschiene für Kleinbetriebe (2005): Wettbewerbsunterlagen. Wiener Wirtschafts-

förderungsfonds

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gesamt einen überwiegenden Anteil der Beschäftigung in Wien.33 Die folgende Tabelle zeigt die Strukturstatistik betreffend Beschäftigte (insgesamt) und un-selbständige Beschäftigte nach Beschäftigtengrößenklassen in Österreich. Abbildung: Zahlen der Beschäftigten und unselbständig Beschäftigten (pro

Unternehmen) nach Beschäftigtengrößenklassen 2010 (ÖNACE 2008: Abs. B- N 95) in Österreich

Quelle: Statistik Austria; Leistung- und Strukturstatistik 2010 (Erstellt am 2012)

Außerdem nehmen allein Ein-Personen-Unternehmen unter den Mitgliedern der Wirtschaftskammer Wien einen Anteil von rund 54% ein. Ihre Zahlen steigen auch jährlich. Die Unternehmen der sogenannten Kreativwirtschaft ersetzten zunehmend die ehemaligen Handwerkerbetriebe und lassen sich so wie früher in der Erdgeschosszone nieder.

In Wien entstanden in den letzten Jahren vor allem in 7. und 8. Bezirk, aber auch in 2. Bezirk und zunehmend im 3. Bezirk alternative Handwerksbetriebe neuer Art.

33 Als Kleinstunternehmen gelten Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und einem

Jahresumsatz oder einer Jahresbilanz von höchstens 2 Mio. Euro und als Kleinunternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanz von höchs-tens 10 Mio. Euro. Q: Empfehlung der Europäischen Kommission, Amtsblatt der EU, L 124 (vom 2003-05-20)

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Flächenbedarf des Einzelhandels Die großen Handelsbetriebe wachsen weltweit viel schneller als der gesamte Handelssektor wächst.34 Parallel dazu vermehren sich auch österreichweit die Handelsflächen rasant. Außerdem nimmt der Filialisierungsgrad des Einzelhan-dels stark zu. Insgesamt rund 16 Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche ma-chen in Österreich pro Kopf rund 2 Quadratmeter und damit den dritthöchsten Wert in Europa (nach der Schweiz und San Marino) aus.

„Im Jahr 2006 standen (in Österreich) den Konsument/innen rd. 53.550 Einzelhan-delsgeschäfte mit einer Gesamtverkaufsfläche von rund 15.970.000 m² zur Verfü-gung. Im Durchschnitt erzielte der stationäre Einzelhandel einen Brutto-Jahresumsatz von rd. € 3.080,- pro Quadratmeter Verkaufsfläche. Rund 34 % aller Geschäfte im Einzelhandel werden bereits von filialisierten Handelsunternehmen betrieben, auf die rund 54 % der gesamten Einzelhandelsverkaufsfläche fallen.“ 35

Der Einzelhandel in Österreich verfügte im Jahr 2006 mit rund 16.000.000 Quadratmetern über eine durchschnittliche Verkaufsfläche von rund 300 Quad-ratmetern pro Geschäft. Über den größten Anteil an Verkaufsflächen verfügen die Handelsbetriebe für den Bau- und Heimwerkerbedarf mit 30%. 36 Die Ge-samtverkaufsfläche ist in Österreich zwischen 2004 und 2005 um rund 300.000 Quadratmeter und dabei um rund 200 Geschäfte gestiegen. Die Zahl der Einzel-handelsflächen stieg zwischen 2002 und 2006 um rund 819.000 Quadratmeter oder rund 370 Geschäfte.37 Diese Zahlen zeigen, dass die Flächengröße pro Handelsunternehmen in den letzten Jahren wesentlich größer geworden ist. Abbildung: Strukturänderungen im Einzelhandel in Österreich zwischen

2004 und 2006

2004 2005 2006 Verkaufsfläche (m²) 15,500.000 15,800.000 15,970.000 Zahl der Geschäfte 53.300 53.500 53.550 Filialisierungsgrad 31% 32% 34% Umsatz(€)/m² 2.990 2.980 3.080

Quelle: KMU Forschung Austria (eigene Darstellung) 34 Dawson, J. (2007): Retail Trends in Europe. In: Retailing in the 21. Century. Current and

Future Trends : Krafft and Mantala (2007): 63-64. Springer Berlin Heidelberg 35 Bericht ‚Anhaltender Strukturwandel im Einzelhandel 2002-2006’: KMU Austria www.kmuforschung.ac.at 36 ebenda 37 www.kmfa.at/de/Presse/2005/Strukturuntersuchung

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Die höchste Konzentration (Filialisierungsgrad) wiesen die Drogerien und Par-fümerien auf. In dieser Einzelhandelsbranche sind rund 82 % aller Geschäfte Filialen, die einen Verkaufsflächenanteil von rund 92 % verzeichnen. An zwei-ter Stelle steht der Lebensmitteleinzelhandel. Rund 57% der Geschäfte entfielen auf Filialen, die rund 79% der Verkaufsfläche ausmachten.38

Die Einkaufszentren (inklusive Fachmarktzentren, Factory Outlet Center und Airport Shopping Center) verzeichneten schon 2004 eine Verkaufsfläche von rund 2 Millionen Quadratmetern: Das entsprach etwa 13% der gesamten Verkaufsfläche im Einzelhandel. Abbildung: Verkaufsflächendichte im Einzelhandel 2011 in Österreich in

Quadratmeter-Verkaufsfläche pro Einwohner/in

Quelle: RegioData Research GmbH (2012) Die obenliegende Tabelle stellt dar, dass Wien 2011 die niedrigste Verkaufsflä-chendichte im Einzelhandel pro Einwohner/in hat. Durch die Stadtentwick-lungsprojekte der letzten Jahre bekam die Stadt Wien deutlich mehr Einzelhan-delsflächen. Die aktuellen Zahlen dazu liegen noch nicht vor. Inzwischen gehört in Österreich mehr als jedes zehnte Unternehmen der Kreativwirtschaft an, das sind etwa 38.400 erwerbswirtschaftliche Kreativunternehmen, in denen mehr als 130.400 Beschäftigte ( 4,1 % aller Beschäftigten in Österreich) tätig sind. Zwi-schen 2008 und 2010 ist die Zahl der Unternehmen in der Kreativwirtschaft mit 6,4 % stark gestiegen.39 38 www.kmfa.at/de/Presse/2005/Strukturuntersuchung 39 www.creativwirtschaft.at/aktuelles/52143 (Zugriff: 2013-11-13)

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Gründe zur Schließung oder Absiedlung von Klein(st)betrieben Die Gründe für den Leerstand in der Erdgeschosszone sind vielschichtig. Die Kein(st)betriebe als Nahversorger, als Bausteine einer vertikal gemischten, urbanen Struktur, waren immer schon die klassischen NutzerInnen der Erdge-schosszone, sowohl von Straßentrakten als auch von Hoftrakten. Die wichtigs-ten Gründe, die für das Verschwinden der traditionellen Erdgeschossbetriebe verantwortlich sind, werden hier nach Praxiserfahrungen der zuständigen Mitar-beiterInnen der Betreuungs- und Förderungsorganisationen in Wien zusammen-gefasst: existenzgefährdende finanzielle Probleme der traditionellen Betriebe wie

des Handwerks und anderer kleiner Gewerbebetriebe, keine Möglichkeiten zu räumlichen Erweiterungen in den gründerzeitlichen

Bebauungsstrukturen, zu wenig finanzielle Ressourcen für bauliche und betriebstechnische Ver-

besserungen, weniger Laufkunden und Passanten auf der Straße.

Bei Neu-Übernahmen spielen folgende Probleme eine Rolle:

höhere Mieten bei Neu-Gründung und Übernahme oder höher werdende Mieten für Betriebsräume im Block nach umfassenden

Haussanierungen. EigentümerInnen der eigenen Betriebsräume sind von den Kosten der Sanierung nicht in derselben Weise betroffen.

Folgenden weitere Gründe zeigten sich in Befragungen beziehungsweise Ge-sprächen mit UnternehmerInnen, EigentümerInnen, MitarbeiterInnen der Wirt-schaftskammer Wien beziehungsweise des ‚Wiener Einkaufsstraßen Manage-ments’ (welches auf der lokalen Ebene zwischen den potenziellen MieterInnen und EigentümerInnen vermittelt) und dem Quartier-Management:

schlechte bauliche Substanz, Modernisierungsbedarf, Konkurrenz durch angrenzende Geschäftsstraßen oder innerstädtische

Shopping Malls, hohe Mieten im Vergleich zum vorhandenen Umsatzpotenzial, steigende Mieten nach einer Sanierung, altersbedingtes Aufhören der Gewerbetreibenden; kein/e Nachfolger/in für

Auslaufbetriebe,

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Gewerbe in der Erdgeschosszone 83

EigentümerInneninteresse zu warten, bis die erwartete Aufwertung des Standorts / der Straße oder des Viertels eintrifft und dadurch bessere Ver-wertungspreise für Erdgeschosslokale erzielbar werden,

sinkende Kaufkraft des jeweiligen Stadtgebiets, sinkende PassantInnenzahlen,40 Änderung der Einkaufsgewohnheiten beziehungsweise Lebenskultur der

BewohnerInnen; Einkaufen in Einkaufszentren als Freizeitbeschäftigung, zu wenige angesiedelte Geschäfte in der Umgebung, negative oder sinkende Imagebilder des Geschäftsumfelds, Leerstand während der Sanierung, Verlagerung von Betrieben an den Stadtrand wegen besserer Erweiterungs-

möglichkeiten, weniger Auflagen oder geringerer Mietpreise, Verlagerung an geschäftlich attraktivere Standorte, langwierige Erbschaftsstreitereien und nicht geklärte Vermögens-

verhältnisse, zu wenig Knowhow, um den Betrieb weiter führen zu können, Änderungen in den Kundenbedürfnissen und Kundenprofilen.

Gründe für die Nicht-Vermietung der Erdgeschossräume Häufig auftretende Gründe für die Nicht-Vermietung nach den Erfahrungen des Referatsleiters des ‚Wiener Einkaufsstraßen-Managements’ sind hier aufgelis-tet.41 Sie werden auch durch Marktbeobachtungen und Gespräche mit verschie-denen Beteiligten bestätigt:

die VermieterInnen verlangen höhere Mietpreise, weil sie denken, dass nur

finanzstarke Betriebe, die sicherer sind, sich die höheren Mieten leisten können. Diese seien stabiler und dauerhafter,

ein Großteil der EigentümerInnen lässt die Vermietung über Hausverwal-tungen oder Maklerfirmen abwickeln, die wiederum wenig Interesse oder Engagement für eine (rasche) Vermietung zeigen,

40 Eine Studie der Wirtschaftskammer Österreich zur Zählung der Passanten-Frequenzen in den

Wiener Einkaufstraßen zeigt, dass die Zahl der PassantInnen, zwischen 2002 und 2004 um 19% abgenommen hat. Quelle: Passantenzählung (2004) und ‚Entwicklung der Passantenzahl 1973 bis 2004 in Wiener Geschäftsstraßen’ durchgeführt von der WKW unter der Beteiligung der Stadt Wien (2004)

41 Interview mit G. Miklautsch (2007): Referatsleiter Wiener Einkaufsstraßen-Management

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Gewerbe in der Erdgeschosszone

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die VermieterInnen oder Hausverwaltungen schätzen die Marktlage und die Mietpreise falsch ein, weil sie sich nicht ausreichend informieren oder sich unrealistische Hoffnungen machen,

zum Teil bedarf der Zustand der Erdgeschossräume einer umfassenden Sanierung,

manche der VermieterInnen wollen nicht mehr vermieten, weil sie bereits mit MieterInnen schlechte Erfahrungen gemacht haben,

die Erdgeschossflächen sind aus Spekulationsgründen (mit)gekauft wor-den, daher bis zur Verwertung durch Verkauf kein Interesse an einer Ver-mietung besteht,

leere Räume ohne MieterInnen sind gegebenenfalls leichter zu vermarkten, Raumgröße oder -zuschnitt ist nicht marktkonform, weil die Flächen zu

groß oder zu klein sind. Nachfrage im Stuwerviertel verlangt häufig Ge-schäftslokalgröße von 60-70 m² oder kleiner. (Diese Zahlen stimmen mit der Angaben der Einrichtung ‚Leere Lokale’ der Wirtschaftskammer Wien überein)42

Nicht selten werden für die - oftmals nicht sanierten - Erdgeschossimmobilien Mieten über dem marktkonformen Preisniveau verlangt, weil die Mietpreisober-grenze für Gewerbeflächen in der Erdgeschosszone - anders als im Wohnbaube-reich - nicht gesetzlich reguliert wird. Dadurch sinkt das Vermietungspotenzial wesentlich. Paradoxerweise kann ein langfristiger Leerstand, der vor allem durch den überhöhten Mietpreis zustande kommt, zum Teil steuerlich geltend gemacht werden.43 Hier stehen die durch Nichtvermietung entstehenden (nega-tiven) Kosten wie Betriebs-, Finanzierungs- und Investitionskosten dem (posi-tiven) Einkommen aus den restlichen Mieteinnahmen gegenüber. Außerdem werden laut inoffiziellen Informationen gelegentlich monatliche Haus-Betriebskosten der leerstehenden Immobilienobjekte seitens der EigentümerIn-nen unbemerkt auf die restlichen MieterInnen des Haus umgelegt.

Teilweise lassen die kurzfristigen Gewinninteressen von Investoren am Portfoliowert der Immobilien unter anderem die Erdgeschoßräume leer stehen. Grund dafür ist das bessere Vermarktungs- und Verwertungspotenzial von Zins-häusern mit höherem Leerstandanteil. Leer stehende Wohnungen oder Gewerbe-lokale vermindern nicht den Marktwert einer Immobilie, weil sowohl die realen als auch die fiktiven Mieteinnahmen als Basis zur Berechnung des Immobilien-wertes verwendet werden. Beim Leerstand werden die Mietpreise nicht selten beliebig hoch kalkuliert, damit der Gesamtmarktwert der Immobilie höher aus- 42 Interview mit S. Spendier Abteilung Mitgliederservice Wiener Einkaufsstraßen-

Management ServiceCenter Geschäftslokale Wirtschaftskammer Wien (2013-07-29) 43 Telefonische Anfrage an die Finanzbehörde in Wien (2013-08-07)

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fällt. Um der Tendenz der EigentümerInnen zum Leerstehenlassen entgegen zu wirken haben andere Länder gesetzliche Regelungen in Kraft gesetzt. Bei-spielsweise wurde in Deutschland das steuerliche Absetzen des Leerstands ge-setzlich beschränkt. Nur wenn Vermieter/in nachweisen kann, dass er/sie sich nachhaltig um eine/n Mieter/in bemüht, kann er die Kosten für den Unterhalt der Immobilie von der Steuer absetzen. Wenn sich eine Wohnung oder ein Haus nicht vermieten lässt, müssen VermieterInnen demnach auch bereit sein, von ihren Forderungen abzurücken; sowohl beim Mietpreis als auch bei Auswahl der MieterInnen.44 Auch in der Schweiz oder im Luxemburg gibt es ähnliche Kontroll- und Beschränkungsregeln, um die Eigentümer möglichst davon abzu-halten, ihre Immobilien leer stehen zu lassen. Es fallen teilweise steuerliche Abgaben im Falle eines langfristigen Leerstandes an.

Ein weiterer Grund für den Leerstand in der Erdgeschosszone in Wien ist der Umstand, dass die EigentümerInnen auf die Baubewilligung von Minigara-gen im Erdgeschoss warten - oft in Zusammenhang mit neu errichteten Dachge-schosswohnungen. die durch dazugehörige Garagenplätze im Haus besser ver-marktet werden können. Außerdem sind die Pkw-Stellplätze für neu geschaffene Dachgeschoßwohnungen oder -büros gesetzlich vorgeschrieben. Durch den Umbau der Erdgeschoßräume in Minigaragen entfallen die Gebühren (die Aus-gleichsabgabe) für Pkw-Stellplätze’. Dadurch findet eine zunehmende Zweck-entfremdung der Erdgeschossnutzung statt. Im Abschnitt zum Thema Verkehr werden die Details zur Stellplatznachweispflicht genauer dargestellt.

Der wichtigste Entscheidungsgrund für die Nicht-Vermietung ist aber die Tatsache, dass die Erdgeschoße im Gegensatz zu den oberen Geschoßwerken kaum modernisiert wurden und die für eine Sanierung notwendigen Investitio-nen von den EigentümerInnen als zu hoch und kaum amortisierend eingestuft werden. Förderungen für die Betriebe in der Erdgeschosszone Es gibt bereits gemeinsame Ziele für die Förderung der Betriebe der gründer-zeitlichen Blöcke, die von fast allen Beteiligten der Stadterhaltungs- und Wirt-schaftsförderungsbehörden geteilt werden. Erdgeschossbetriebe verschaffen folgende Vorteile im gründerzeitlichen Block, die zu einer nachhaltigen Stadt-entwicklung verhelfen:

Nutzungsmischung in einem kleinen Verflechtungsmaßstab, Versorgung im Nahbereich,

44 Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) in München (Az.: IX R/14/12). Handelsblatt (2013-

02-05)

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Lebendige Straßenräume zwischen den Blöcken, Attraktivierung der Straßenräume für FußgeherInnen, um den Autoverkehr

zu reduzieren, Schaffung von Arbeitsplätzen am Mikro-Standort, Verkürzung der Distanzen zwischen den städtischen Aktivitäten; zwischen

Arbeiten, Wohnen, Freizeit und Nahversorgung, Effiziente Nutzung der bebauten Flächen u.a. durch Wiedernutzung der

Erdgeschossflächen, Anbindung von Straßenräumen an die Wohnnutzung durch zum Teil halb-

öffentliche Erdgeschossflächen als Übergangsbereich zwischen Privat und Öffentlich.

Die Höhe und die Art der Förderungen, die für die klassischen Unternehmen der Erdgeschosse in Frage kommen, wurden sowohl von den verantwortlichen Mit-arbeiterInnen als auch von Förderungsinteressierten nicht als ausreichend wirk-sam eingestuft, um die Unternehmen am Standort zu erhalten oder wieder zu beleben.45

Es gab in den letzten Jahren einige Verbesserungen. Beispielsweise unter-stützt die Wirtschaftsförderung die Unternehmen, die in der Erdgeschosszone ihren Standort neugründen. Sie sind jedoch zum Teil nicht genügend bekannt. Dazu kommt das Informationsdefizit zu Förderungsmöglichkeiten. In vielen Fällen werden die Förderungen des Wirtschaftsförderungsfonds (WWFF) für die kleinen Betriebe, im Vergleich zu ihrer Höhe als zu aufwändig und zu büro-kratisch empfunden. Eine Initiative der Wirtschaftskammer Wien, die sogenann-te Nachfolgerbörse, die die Aufgabe hatte, Auslaufbetrieben Nachfolgerinnen zu schaffen, lief nicht effizient genug. Unter anderem folgende Erschwernisse oder Hindernisse wurden in diesem Zusammenhang erwähnt: hohe Kosten bei einer neuen Übernahme im Zusammenhang mit Abgaben

wie Beiträge, Gebühren und Steuern, Kosten für baulichen und technischen Erneuerungsbedarf, um gesund-

heitliche, sicherheitstechnische und umwelttechnische Verbesserungen durchzuführen,

neue Auflagen der Behörden bei Änderungen des Bestandes und der Be-triebmittel (unter anderem Emissionsschutz, Arbeitnehmerschutz)

höhere Mietkosten im Falle neuer Mietverträge bei einer Übernahme oder Neugründung.

45 Gespräche mit MitarbeiterInnen des WWFF und betroffene UnternehmerInnen (2008)

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Förderungen im Rahmen der Stadterneuerung Die baulichen Maßnahmen zur ‚Adaptierung von Erdgeschoss- sowie Souter-rainflächen für Geschäftslokale’ können im Zuge eines umfassenden Sanie-rungsvorhabens wie Sockelsanierung oder Totalsanierung öffentlich gefördert werden (350.- €/m² beziehungsweise 750.- €/m²).46

Der Anteil an Geschäftsflächen in einem Sanierungshaus darf jedoch ma-ximal 25 % der Gesamtnutzfläche betragen.47

Weil auch die Schaffung der Stellplätze im Sanierungshaus mit einem (nicht rückzahlbaren) Zuschuss von bis zu 50% der Errichtungskosten gefördert werden, bekommen die Geschäftslokale im Erdgeschoß aber oftmals eine Kon-kurrenz. 48

Des Weiteren bieten die Behörden für Stadterneuerung und Wohnhaussa-nierung, der 'wohnfonds_wien' und die Wirtschaftskammer Wien für Betriebe, die sich in aktuellen Blocksanierungsgebieten befinden und ihr Interesse an Sanierungsmaßnahmen ankündigen, eine Förderung zur Betriebsberatung. Vo-raussetzung ist, dass sie an ihrem Standort bleiben, ihren Betrieb ausbauen oder erweitern und gegebenenfalls den Hofbereich begrünen wollen. Diese Maßnah-men müssen einen Bezug zum konkreten Sanierungsgebiet und dessen Pla-nungszielen der Blocksanierung haben. Dazu gehören auch die Verbesserungs-maßnahmen hinsichtlich der betrieblichen Emissionen wie Lärm und Luftver-schmutzung.

Die Blocksanierung zielt darauf ab, dass die Betriebe zu Gunsten der Nut-zungsmischung, zur Verbesserung der Nahversorgung und zur Erhaltung der bestehenden Arbeitsplätze am Standort weiterhin bleiben und das mit verbesser-ten Bedingungen für die AnrainerInnen und auch für die Betriebe selbst.

Die Realisierung der vorgenommenen Maßnahmen darf eine Zweijahres-frist nicht überschreiten.

Allerdings ist die Summe der Förderungen für Betriebsberatungen im Rahmen der Blocksanierungsverfahren seit Mitte der Neunziger Jahre rapide gesunken. Seit dem Jahr 2000 wurde sie von Seiten der Betriebe praktisch nicht mehr verlangt.49

Im Falle einer Sockel-, Block- oder thermischen Sanierung, wo ein Interes-se an Ausbauen, Erweitern und an die Verbesserung der AnrainerInnen-

46 Leitfaden Geförderte Wohnhaussanierung; www.wohnfonds.wien.at (Zugriff: 2013-07-26) 47 Förderung nach den Bestimmungen des I. Hauptstückes WWFSG 1989 in Verbindung mit

Neubauverordnung LGBl. Nr. 46/2001 idF LGBl. Nr. 55/2004 48 ebenda 49 Gespräch mit Stefan Mälzer, Betriebsberater für Blocksanierung, Wirtschaftskammer Wien,

Abteilung für Stadtplanung und Verkehrspolitik, Planungsreferat (2007)

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Gewerbe in der Erdgeschosszone

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Akzeptanz durch Emissionsreduktion oder (Dach-) Begrünung vorliegt, treten die Blockbetriebe mit dem Betriebsberater der Wirtschaftskammer Wien in Kontakt. Im Rahmen der Blocksanierung werden sie von den Blocksanierungs-beauftragten informiert sofern sie dazu bereit sind.

Die Fragebogenaktionen, bei denen die Fragebögen an die Eigen-tümerInnen der Häuser in den Blocksanierungsgebieten geschickt wurden, brachten weniger Informationen und Resonanzen.

Im Allgemeinen war das Interesse am Förderungsangebot sehr gering. Es wurden nicht viele Betriebe von den Blocksanierungsprojekten erfasst.

Im Moment überlegen die Betriebsberatungszuständigen der Wirtschafts-kammer Wien gemeinsam mit den Sanierungsbehörden Handlungswege, wie das Interesse erhöht werden kann, um die Betriebe am Standort zu halten. Die Betriebe aus gründerzeitlichen Gebiete ziehen weiterhin an den Stadtrand oder sperren zu.

Die Praxiserfahrungen bei Betriebsberatungen im Zuge der Blocksanierung brachten folgende Erkenntnisse:

Die finanziellen Rahmen der Erdgeschossbetriebe haben meistens nicht

viel Spielraum für Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen. Die Mieten der Betriebsflächen werden nach der Sanierung höher. Daher

haben nur die EigentümerInnen von ihren eigenen Betriebsflächen mehr Chancen zu bleiben und weiterhin zu existieren. Die mietenden Betriebe bekommen häufig Schwierigkeiten.

Obwohl die Erweiterungsmöglichkeiten der Betriebsflächen im gründerzeitli-chen Bestand gering sind, gibt es Beispiele zur horizontalen Erweiterung durch Hofüberplattung, wie in der Goldschlagstraße 38 in Wien.

Eine vertikale Erweiterung im jeweiligen Haus wäre eine der wenigen Er-weiterungsmöglichkeiten. Die 80% Regelung für den Anteil der Wohnnutzung innerhalb des Widmungsgebietes ‚Wohnzone’50 bringt jedoch Schwierigkeiten, wenn die Betriebe des Erdgeschosses sich beispielsweise in den Räumen des ersten Obergeschosses erweitern wollen. Zum Beispiel bedarf die Büronutzung

50 Artikel IV (4) In Wohnzonen, die in Wohngebieten und gemischten Baugebieten der Bezir-

ke 1 bis 9 und 20 im Bebauungsplan ausgewiesen sind oder gemäß Abs. 3 als festgesetzt gel-ten, ist mit Ausnahme der Geschäftsviertel, Betriebsbaugebiete und der Grundflächen für öf-fentliche Zwecke sowie der Bauplätze an Straßenzügen von Bundesstraßen und Hauptstraßen gemäß der Verordnung des Gemeinderates betreffend die Feststellung der Haupt- und Neben-straßen bis zu einer anderslautenden Festlegung des Bebauungsplanes nur die Errichtung von Wohngebäuden zulässig, in denen nicht weniger als 80 vH der Summe der Nutzflächen der Hauptgeschosse, jedoch unter Ausschluss des Erdgeschosses, Wohnzwecken vorbehalten sind (§ 5 Abs. 4 lit. w) Quelle: Bauordnung Wien (2007)

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eines Betriebes im ersten Stock einer Ausnahmegenehmigung, die mit Kosten und Zeitaufwand verbunden ist und nicht immer ermöglicht wird.

Die Aussagen der Beratungszuständigen überschneiden sich mit Problem-zuweisungen und Anregungen der Betroffenen. Sie werden gemeinsam im Ab-schnitt ‚Ergebnisse der Untersuchungen’ behandelt.

Abbildung: Vor und nach der Sanierung eines Hauses mit Tischlereibetrieb

in der Goldschlagstraße, 15. Gemeindebezirk in Wien

Quelle: Architekturbüro Kronreif&Partner

Aktuelle Betriebsförderungen

Ein vielseitig positiv gesehenes Beispiel ist die Sanierung eines Betriebes im Rahmen der Blocksanierung in der Goldschlagstraße 38 im 15. Wiener Gemein-debezirk. Das bestehende Wohn- und Betriebsgebäude wurde mittels einer Kombination mit Teilabbrüchen, Begrünung, Aufstockung und Dachgeschoss-ausbau saniert.

Das Projekt war ein Einzelfall, das nach Angaben der Planungsbeauftragten des Blocksanierungsverfahrens und der Betriebsberatungsstelle der Wirtschafts-

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Gewerbe in der Erdgeschosszone

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kammer Wien mit Sonderkonditionen verbunden war, die es heute für andere Betriebe der Blocksanierungsprojekte nicht mehr gibt.

Der Tischlerbetrieb im Haus bekam ein Drittel der Kosten zur Sanierung, Modernisierung und Erweiterung durch die damaligen Förderungsmöglichkeiten (inklusive EU-Förderungen) finanziert. Weil das Objekt im Ziel-2 Gebiet lag, gab es die Möglichkeit, EU-Förderungen gebündelt mit den österreichischen Förderungsschienen zu nutzen.

Es gibt verschiedene Förderschienen des Wirtschaftsförderungsfonds, die für kleine Betriebe in Stadtquartieren in Frage kommen können. Die Nahversor-gungsaktion der Stadt Wien soll die Nahversorgungsfunktion des Klein-gewerbes unterstützen. Die förderbaren Vorhaben und deren Kosten sind in folgender Weise angegeben: 51

Aktivierungsfähige Investitionen (z.B. bauliche Investitionen, Maschinen und maschinelle Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung)

Interne Kosten (Personalkosten) Externe Kosten (Beratung, Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen

sowie Marketingkosten) bei Ausnutzung von gewerblichen Nebenrechten Damit ein Investitionsprojekt gefördert wird, muss das Vorhaben mindestens eines der folgenden Qualitätskriterien erfüllen:

Schaffung einer Vertriebs-, Einkaufs- oder Produktentwicklungs-

kooperation, Maßnahmen zur Qualitätssicherung (z.B. Maßnahmen zur Verbesserung

der hygienischen und sanitären Bedingungen im Betrieb), Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen (mindestens eine Vollzeit-

arbeitskraft), Einführung neuer Produkte oder Serviceleistungen im Betrieb, Beitrag zum vorsorgenden Umweltschutz und zum nachhaltigen Wirt-

schaften (z.B. Installation eines energiesparenden Aggregats), Installation eines Internet-Breitbandanschlusses, Erstellung einer Website, Aufbau und Inbetriebnahme eines Webshops.

Die Höhe der Förderungen für die Schwerpunktbranchen liegen zwischen 10% und 40% des Investitionsvolumens, gestaffelt nach Bezirken. Die maximale Förderung beträgt derzeit 30.000 Euro pro Unternehmen.52 Es gibt einen Reak-tivierungsbonus von 5.000 Euro bei Übernahme eines seit mindestens einem 51 www.wirtschaftsagentur.at/foerderungen/nahversorgung (Zugriff: 2013-08-07) 52 Richtlinie der Förderaktion Nahversorgung 2013; Wirtschaftsagentur Wien

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Jahr leer stehenden Betriebslokals. Diese Förderungen sollen die Nahversor-gungsfunktion des Kleingewerbes und des Einzelhandels in Wien durch zu-kunftssichernde Investitionen mit Zuschüssen unterstützen.

Als Nahversorgungsbetriebe werden nach den Regeln der europäischen Kommission solche aus folgenden Branchen anerkannt: 53 Bäcker Bandagisten Bekleidungs- u. Textileinzelhandel (inkl. Second-Hand-Shops, Garne-/

Handarbeitseinzelhandel, Nähzubehör u. Wolle) Bodenleger Bucheinzelhandel Copy-Shops Dachdecker Drogisten Einrichtungsfachhandel Eiseneinzelhandel (inkl. Handel mit Glas-, Porzellan-, Keramik-, Haus-

und Küchengeräten) Elektrotechniker und Elektrowareneinzelhandel Fleischer Fliesenleger Floristen Fotoeinzelhandel Gewerbliche Fotografen Friseure Fußpfleger Kosmetiker und Masseure Gastronomie (Mitglieder der Fachgruppe Gastronomie) Glaser Goldschmiede Heimwerker- und Bastlerbedarf Kaffeehäuser Kleidermacher (inkl. Änderungsschneiderei) Konditoren (Zuckerbäcker)

53 Diese Förderung unterliegt der Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 der Kommission vom

15.12.2006 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf „De-minimis“-Beihilfen, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L379 vom 28.12.2006 in der je-weils geltenden Fassung bzw. einer etwaig an die Stelle dieser Verordnung tretenden Rechts-grundlage. www.wirtschaftsagentur.at/fileadmin/user_upload/pdfs/Förderungen/2013/Nahversorgung_2013/Richtlinie_NVA_2013.pdf, Zugriff 2013-08-07

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Gewerbe in der Erdgeschosszone

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Kürschner Lebensmitteleinzelhandel Lederwareneinzelhandel Maler Marktfahrer Marktviktualienhändler Optiker Papier-, Büroartikel- und Schreibwareneinzelhandel Parfümerieeinzelhandel Sanitär- und Heizungsinstallateure Schlosser (inkl. Schlüsseldienst) Schuhmacher Schuheinzelhandel und -service Spengler Spielwaren- und Sportartikeleinzelhandel Tabaktrafikanten Tapezierer Textilreiniger und Wäscher (inkl. Übernahmestelle) Tischler Uhrmacher Zimmermeister Zoofachhandel

Die Besiedelung und Reaktivierung eines leer stehenden Lokals ist eine der vielen Kriterien für eine Nahversorgungsförderung. Ein Mitarbeiter des Wiener Wirtschaftsförderungsfonds informierte, dass über Höhe und Art der Betriebs-förderung im jeweiligen Einzelfall entschieden wird. Man wird von den jeweili-gen Referenten auf die Informationen der WWFF-Homepage verwiesen. 'Ge-schäftsstraßenförderung' im Rahmen des 'Citymarketing-Projektes' der 'Wiener Einkaufsstraßen' oder 'Gründungsbonus Jungunternehmergründung' waren eini-ge der sonstigen Förderungsschienen.

Das aktuelle Schwerpunktgebiet des 'Grätzelmanagement'-Programms im zweiten Bezirk in Wien ist das Stuwerviertel. Das Kooperationsprogramm 'Grätzelmanagement' für den 2. und 20. Bezirk im Rahmen von 'Ziel 2' sollte die lokalen Strukturen des Viertels stärken. 54

54 Mithilfe von EU-Mitteln und öffentlichen nationalen Mitteln soll ein unterentwickeltes Stadt-

gebiet im Rahmen von 'Ziel 2' an die ausstattungsmäßige, wirtschaftliche und soziale Situati-on der Gesamtstadt herangeführt werden. Die eingesetzten EU-Mittel sind additiv zu verwen-den und nicht als Ersatz für nationale Finanzierung gedacht. Quelle: www.ziel2.wien.at

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Die Aufgabenbereiche des Grätzelmanagements sind sehr vielfältig:

Belebung und Stärkung der lokalen Wirtschaftsstrukturen Anhebung des (Aus-)Bildungsgrades mit Schwerpunkt MigrantInnen Verbesserung der Wohnsituation und des Wohnumfelds Ausbau der sozialen, kulturellen und ökologischen Infrastruktur Vernetzung von lokalen Institutionen und Initiativen Hilfe zur Selbsthilfe Imageaufwertung eines Stadtteils Beratung über die Zuschussaktion ZAK 2/20 Nutzung leerstehender Lokale Erhaltung des Volkert- und Hannovermarktes Verbesserung der Nahversorgungsstrukturen im Grätzel Vernetzung von Arbeitgebern und Arbeitssuchenden

Genehmigungspflicht für die Betriebe Die Auflagen für die Genehmigungspflicht von Betrieben im Erdgeschoss un-terscheiden sich nach Art der Betriebe. Betriebe unterliegen Bestimmungen der Gewerbeordnung. Wenn sie neu gegründet, umgebaut oder übernommen wer-den, kommen neue Regeln zur Anwendung. In diesen Fällen muss eine Be-triebsanlagengenehmigung beantragt werden.

Dies wäre jedoch nicht notwendig, wenn von einer Betriebsanlage keine nachteiligen Auswirkungen ausgehen. Größe und Kapazität der Betriebe spielen vor der Gewerbeordnung kaum eine Rolle.

Eine gewerbliche Betriebsanlage ist nach Definition der Behörde jede ört-lich gebundene Einrichtung, die der regelmäßigen Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit dient. 55

Beispiele für Betriebsanlagen sind:

Werkstätten Verkaufslokale Gasthäuser Hotels Garagen Abstellplätze

55 www.help.gv.at/Content.Node/64/Seite.640100.html#Betriebsanlagen

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Gewerbe in der Erdgeschosszone

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Die Standortwahl und die Standortplanung von Betriebsanlagen sind abhängig von Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen sowie von der Art des Betriebes. Für Handels- und Dienstleistungsunternehmen sind bei der Wahl des Standortes auch folgende Überlegungen wichtig:

Erreichbarkeit für KundInnen (Verkehrslage, Parkplätze) Kaufkraft und Kaufgewohnheiten (Einzugsgebiet) Wettbewerbslage (Anzahl der Konkurrenzbetriebe in näherer Umgebung)

Die Regeln für Betriebsgenehmigungen gelten für alle GründerInnen unabhän-gig von Größe und Kapazität der Betriebe. Gerade die Betriebskapazität sollte bei der Festlegung der Genehmigungen aber eine große Rolle spielen.

Insbesondere die Verhältnismäßigkeit der baulichen und haustechnischen Auflagen und Vor-schriften sind für die Existenz der Kleinstbetriebe lebens-wichtig. Sie sollten nicht mit anderen Betriebskategorien verglichen werden. Mit reduzierten Auf-lagen könnten Kleinstbetriebe in innerstädtischen Quartie-ren, sofern sie die AnrainerInnen nicht stören oder negativ beeinträchtigen, eine bessere Existenzmöglichkeit bekommen. Die aktive Rolle der ethnischen Wirtschaft Eine aktuelle Studie zum Thema 'Ethnische Ökonomien - Bestand und Chancen für Wien' berichtet, dass nach Erhebungen der Wirtschaftskammer Wien ein Drittel der EinzelunternehmerInnen Migrationshintergrund haben. Auch bei den restlichen Unternehmensformen haben sie einen Anteil von rund einem Drittel an der gesamten Wiener Unternehmensstruktur.56 Sie weisen charakteristische Branchenprofile auf, die sich auf drei Sparten konzentrieren: Etwas mehr als ein Drittel (36%) sind im Bereich Handwerk und Gewerbe, etwa 31% im Handel und etwa 30% im Bereich Information und Consulting tätig.

Die für die Erdgeschosszone besonders relevanten Handelsunternehmen mit Migrationshintergrund werden zu 45% von türkisch-stämmigen Personen betrieben. Dagegen stellen die UnternehmerInnen mit polnischer Herkunft 88% der Gewerbe und Handwerksbetriebe der so genannten ethnischen Ökonomien. Bulgarische Migrantinnen sind mit 40% in der Informations- und Consulting-branche vertreten.

Die soziale Vernetzung und Unterstützung spielt bei der Auswahl und Gründung von Betrieben eine wesentliche Rolle. Die geringe Beratung, Bildung 56 Kessler et al. (2007): Ethnische Ökonomien. Bestand und Chancen für Wien. Wien: L&R

Soziale Forschung

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Gewerbe in der Erdgeschosszone 95

als Zugangsbarriere und fehlende Informationen über österreichische Förde-rungs- oder Beratungsorganisationen sind einige der Defizite.

Die Umfragen im Brunnen- und Stuwerviertel in Wien, die im Rahmen der vorliegenden Studie gemacht wurden, brachten ähnliche Ergebnisse.57

Öfters werden Geschäftslokale oder Imbissläden von MigrantInnen von den zuständigen Behörden oder lokalen Beratungsorganisationen als abwertend angesehen. Verbesserungsmöglichkeiten dafür liegen einerseits in der Hebung der Kaufkraft der Umgebung aber auch in der finanziellen Stabilität der Betriebe sowie in der Steigerung der Informations- und Wissensstärke von Unternehmen. Bei letzterer können kurzfristige Maßnahmen rasch positive Entwicklungen erreichen.

Die Belebungs- und Verbesserungsversuche der Stadtpolitik finden über-wiegend in den Stadtquartieren mit hohem Anteil an Zugewanderten statt.

Ausgerechnet in diesen (Ziel)Gebieten ist die angestrebte Belebung schon vorhanden, weil die Zugewanderten meist jüngere Familien sind, die sich mehr im öffentlichen Raum aufhalten, ihre eigene Infrastruktur und Nahversorgung intensiv benutzen und dadurch auch eine starke Laufkundschaftsfrequenz bil-den. Das Brunnenviertel ist das beste Beispiel für ein belebtes Grätzel in Wien

Überraschend daran ist, dass dieses ursprünglich Arbeiter- heute Migrati-onsviertel mit seinem bekannten Brunnenmarkt, mit den zahlreichen kleinen Hofgewerbe- und Handwerksbetrieben und einer belebenden Jungbewohner-schicht einen zunehmend gefragten Immobilienstandort bildet.

Die Belebtheit des Viertels durch die kleinen Unternehmungen der Zuge-wanderten die Attraktivität des Umfelds erhöhte, trotz aller Armut. 58

Im Rahmen der Viertelaufwertungsprogramme versuchten die Gebietsbe-treuungen in den letzten Jahren die leer stehenden staubigen Schaufenster - wenn auch nur vorübergehend – für die PassantInnen von den BesitzerInnen gestalten zu lassen.

Es gab auch vereinzelt Zwischennutzungen in den leer stehenden Erdge-schosslokalen oder in Häusern. Aber die Zwischennutzung ruft bei Vermiete-rInnen nicht selten die Erinnerung an besetze Häuser hervor, die in Wien mehr oder weniger der Vergangenheit angehören.

Das Blocksanierungsgebiet der Gebietsbetreuungen 'Ilgplatz' im Stuwer-viertel zeigt aus diesem Grund ein erhöhtes Entwicklungspotenzial bei Betriebs-inhaberInnen mit Migrationshintergrund an, weil hier wie auch in anderen Blocksanierungsgebieten noch ein hoher Anteil an MigrantInnen wohnt.

57 Bretschneider, Betül (2007): Gentrification. Vom Ausländer-Getto zum Szeneviertel? In:

Architektur und Bauforum. 07-2007 58 Bretschneider, B. (2004): Wem gehört die Stadt? In: Stimme No: 51-2004

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Gewerbe im Stuwerviertel Die folgende Tabelle des Wiener Einkaufsstraßen-Managements zeigt die Zahl der EinwohnerInnen im Vergleich zur Zahl der Handelsbetriebe.

Abbildung: EinwohnerInnen / Handelsbetriebe nach Bezirken

EINWOHNERINNEN & HANDEL Ranking relativ Bezirk Einwohner Handel Einwohner/Handel Wien 1.,Innere Stadt 17056 1567 11

Wien 7.,Neubau 28292 550 51

Wien 6.,Mariahilf 27867 397 70

Wien 4.,Wieden 28354 394 72

Wien 8.,Josefstadt 22572 305 74

Wien 9.,Alsergrund 37816 499 76

Wien 3.,Landstraße 81281 785 104

Wien 15.,Rudolfsheim-Fünfhaus 64895 502 129

Wien 18.,Währing 44992 337 134

Wien 5.,Margareten 49111 331 148

Wien 16.,Ottakring 86129 548 157

Wien 17.,Hernals 47610 291 164

Wien 19.,Döbling 64030 376 170

Wien 13.,Hietzing 49574 287 173

Wien 2., Leopoldstadt 90914 521 174

Wien 12.,Meidling 78268 445 176

Wien 10.,Favoriten 150636 809 186

Wien 20.,Brigittenau 76268 385 198

Wien 21.,Floridsdorf 128228 631 203

Wien 23.,Liesing 84718 411 206

Wien 14.,Penzing 78169 370 211

Wien 11.,Simmering 76899 338 228

Wien 22.,Donaustadt 136444 525 260 Summe/Durchschnitt 1.550.123,00 11.604,00 146,76

Quelle: Wiener Einkaufsstraßen Management (Stand: 2006)

Page 95: –kologische Quartierserneuerung: Transformation der Erdgeschosszone und Stadtr¤ume

Gewerbe in der Erdgeschosszone 97

Service Center Geschäftslokale und Nachfolgerbörse Wien

Nach den Erfahrungsberichten der VertreterInnen der zuständigen Orga-nisationen wie 'Service Center Geschäftslokale', Wirtschaftskammer, WIFI und Wirtschaftsförderungsfonds (WWFF) spielen die Mietpreise eine sehr große Rolle bei der Erhaltung oder Gründung von Erdgeschossbetrieben.

Nach eigenen Angaben des 'Service Center Geschäftslokale und Nachfol-gerbörse Wien' suchten 2007 3.500 InteressentInnen vorwiegend Geschäftsloka-le in der Erdgeschosszone. Die Branchenverteilung der InteressentInnen, die sich an das Service Center gewendet haben, war wie folgt:

35 % Handel 20 % Gastronomie 11 % Dienstleistung 10 % Gewerbe 8 % Büros 6 % Sonstiges 5 % Atelier 5 % Lager

Obwohl ein Großteil der Souterrain- und Erdgeschossräume als Lager verwen-det wird, bleibt die Nachfrage mit 5% sehr gering. Oft werden die bestehenden Lager nur bedingt genutzt aber nicht aufgegeben, weil der Vertragsabschluss bereits länger zurück liegt und die Mieten damit nicht hoch ausfallen. Diese Räume bilden isolierte Bereiche in den Häusern, die mehrheitlich unsichtbar bleiben.

Die Mietpreise sind in Wien standortbezogen sehr unterschiedlich. Sie variieren sogar innerhalb einer Straße.59 Die derzeitigen Mietpreis-beobachtungen zeigen, dass für Erdgeschosslokale oft 10 Euro pro Quadrat-meter berechnet werden, fast unabhängig von ihrer Ausstattung und dem Standort. Befristete Vermietungen sind dabei üblich.

2007, in der Zeit der Untersuchungen für die Studie, lagen die Mietpreise für Erdgeschosslokale nicht selten unter 5 Euro pro Quadratmeter Netto-Miete. Im Stuwerviertel waren die Mietpreise häufig höher, obwohl eine Reihe von Lokalen seit Jahren leer stand.

Im Allgemeinen sind die Mietpreise im Viertel (ähnlich wie in der gesam-ten gründerzeitlichen Stadt) stark gestiegen. Derzeit gibt es im Stuwerviertel kaum noch leer stehende Erdgeschossräume. Die Gründe für diese Entwicklung 59 Gespräch mit S. Fleischhacker, Wiener Einkaufsstraßen-Management (2007)

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Gewerbe in der Erdgeschosszone

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zusammenhängend mit der urbanen Transformation beziehungsweise mit dem Gentrifizierungsprozess des Viertels werden in den folgenden Abschnitten be-handelt. Strukturen des Stuwerviertels als Betriebsstandort

Die folgenden Abbildungen wurden vom 'Wiener Einkaufstraßen-Management' ausgearbeitet. Sie stellen die Haushalts- und Altersstrukturen im Pilotgebiet der Stadterneuerung 'Ilgplatz' im Stuwerviertel dar. Wie in der folgenden Abbildung gezeigt, dominieren Single-Haushalte die Haushaltsstrukturen im Stuwerviertel.

Nach Untersuchungen des 'Service Center Geschäftslokale' sind ca. 45% der Haushalte Einpersonenhaushalte, der Rest besteht zur einen Hälfte aus 2-Personen-Haushalten und zur anderen aus Familien. Single- bis 2-Personen-Haushalte, Familien ohne Kinder, ältere BewohnerInnen, Jugendliche und Migrantenfamilien machen die BewohnerInnengruppe aus, die verstärkt auf die Nahversorgung angewiesen sind. Einer der Hauptgründe dafür ist die geringere (Auto-) Mobilität und der Umstand, dass sie in kleineren Men-gen einkaufen. Abbildung: Familienstand im Stuwerviertel im zweiten Wiener Bezirk

Quelle: Wiener Einkaufsstraßen Management – Service Center Geschäftslokale

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Gewerbe in der Erdgeschosszone 99

Abbildung: Kaufkraft (Flächensignatur) und Bildungsstruktur im Stuwerviertel im zweiten Wiener Bezirk

Quelle: Wiener Einkaufsstraßen Management – Service Center Geschäftslokale Abbildung: Altersstruktur (20–39 Jährige) und Flächensignatur im

Stuwerviertel im zweiten Wiener Bezirk

Quelle: Wiener Einkaufsstraßen Management – Service Center Geschäftslokale

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Gewerbe in der Erdgeschosszone

100

Das Stuwerviertel hat einen Marktplatz, den Vorgartenmarkt. Er wirkt im Ver-gleich zu manchen anderen Märkten in Wien wenig belebt. Die baulichen und gestalterischen Eigenschaften des Marktes wurden von den BewohnerInnen häufig kritisiert. Der Vorgartenmarkt bildet neben der Lasallestraße einen der Schwerpunkte der Stadterneuerungsziele.

Vor kurzem wurde der Markt saniert und neu gestaltet. Die Gebietsbetreu-ung unterstützt derzeit mit alternativen Ideen die Integration von KünstlerInnen in die Marktstruktur. Dagegen bleibt die Tendenz zum langsamen Verschwin-den von vorhandenen Gemüse- und Obstläden - meist geführt von Familien mit Migrationshintergrund - unbemerkt.

Gespräche mit den Gewerbetreibenden im Stuwerviertel, die die Initiative 'Kaufleute Stuwerviertel' gegründet haben, übermittelten folgende Wünsche und Ziele:60 Erhöhung der Angebotsvielfalt, Erleichterungen bei der Gründung von Handels- und Gewerbeunterneh-

men, Verbesserung der Information über vorhandene Einrichtungen, Erhaltung des Dorfcharakters, ungestörte/nicht störende Tätigkeiten, mehr gute Gastronomie, offensive Betriebsansiedlungen und Förderung von Betriebsansiedlungen, persönliche Beratung und Kommunikation, Platz für Kommunikation, positive Konkurrenz, Vernetzung der Akteure in allen Bereichen, inklusive Wirtschaft, Entwicklung einer Organisation, Werbung für das Stuwerviertel in der Nachbarschaft, keine leer stehenden Lokale und leistbare Lokalmieten.

Diese Wünsche, die im Rahmen des Projektes MOST61 des Wirtschaftsförde-rungsfonds zur 'Attraktivierung des Stuwerviertels für Wirtschaftstreibende und in weiterer Folge für die Wohnbevölkerung' entwickelt wurden, sind nach An-gaben von Gewerbetreibenden nicht ausreichend weiterverfolgt worden.62 Eine Gruppe der Kaufleute traf sich regelmäßig im Viertel, um ihre Situation zu bera-ten.

60 www.einkaufsstraßen.at/stuwerviertel (2007) 61 Das Projekt 'Moderationsverfahren Stuwerviertel’ (MOST) finanziert durch WWFF und EU-

Strukturfonds (2004) 62 Gespräche mit den VertreterInnen von ‚Kaufleute Stuwerviertel’ (2007)

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Begrünung in der Stadterneuerung und Quartiersentwicklung

Die Grünflächen der dicht bebauten Stadt gewinnen heute nicht nur wegen des Klimawandels mehr an Bedeutung. Die Bauindustrie hat sich bereits angepasst und bietet vorgefertigte Bauelemente für vertikale Gärten. Auf der stadtplaneri-schen Ebene wird jedoch das Thema Begrünung von bestehenden Stadtstruktu-ren ausschließlich mit der Gestaltung von öffentlichen Plätzen und Parks assozi-iert. Die Höfe und vor allem die Straßenzüge des Wiener Stadtgefüges innner-halb der gründerzeitlichen Blockbebauung bleiben als potenzieller Grünraum außer Acht, obwohl ihre Beschaffenheit die Lebensqualität und die Gesundheit der BewohnerInnen stark prägen könnten. Diese Flächen böten eine Reihe von Möglichkeiten zur Gewinnung und Nutzung offener Flächen als Grünraum. Nicht selten verfügen auch Einbahnstraßen (trotz beidseitiger Parkstreifen) über Platz für Grünflächen. Hierfür gibt es einige positive Beispiele, wenn diese auch nicht häufig anzutreffen sind.63

In den gründerzeitlichen Gebieten Wiens herrscht Grünflächenmangel, weil die Bebauungsdichte wesentlich höher ist als in anderen vergleichbaren Städten. Die Stadtpolitik des 20. Jahrhunderts war geprägt von der Forderung nach ei-nem ‚autogerechten Straßenraum’. Nicht selten bleiben WienerInnen an den Wochentagen wo sie arbeiten, in der Stadt. Sonst bewohnen sie ihre Häuser im grünen Umland.

Die Verkehrsspitzen, die aus Stadtflucht resultieren, könnten durch Begrü-nung und Verkehrsberuhigung in der Stadt reduziert werden. Bei der Gestaltung von öffentlichen Plätzen oder Straßenräumen lassen überschneidende Zustän-digkeiten verschiedener Ämter, unterschiedliche Normen, Vorschriften, Regeln und auch Denkgewohnheiten wenig Spielraum zur Umsetzung neuer Ideen und Experimente.

Der Straßenraum wird ausschließlich in Zonen von Verkehrsflächen für FußgeherInnen und Fahrzeuge behandelt. In den letzten Jahren verbreiteten sich auch die Schanigärten rasch in Wien, die Erweiterungsflächen der Gastronomie auf den Gehsteigen, die oft mit Pflanzenbehältern abgegrenzt werden. Die Be- 63 Bretschneider, Betül (2013): Architektur kann kontern. Gegen Klimawandel und seinen

Einfluss auf die Stadt. In: BAUEN-Architektur & Bau Forum 01-2013. 1-2

B. Bretschneider, Ökologische Quartierserneuerung,DOI 10.1007/978-3-658-02682-0_5, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 102

pflanzung der Gehsteige für Privatzwecke gibt es jedoch nur im Einzelfall. In den gründerzeitlichen Straßen (bei rund 16 oder 19 Metern Breite) könnten unter passenden Voraussetzungen Grünflächen, sogar Vorgärten angelegt wer-den. Die Erstellung von Grünflächen in den Straßenräumen wird von der Be-hörde zum Teil als ‚private Nutzung des öffentlichen Raumes’ abgehandelt. Die Anmietung für Privatzwecke kann unter Umständen auch in Wien ähnlich wie in der kommerziellen Nutzungen abgewickelt werden. Es bedarf dennoch einer Sonderbehandlung der zuständigen Behörden.64

Eine Begrünung im Bereich des Gehsteigs wäre nur mit Einschränkungen möglich, weil darunter verlaufende Kabelleitungen berücksichtigt werden müs-sen. Begrünung gründerzeitlicher Blöcke in Wien Begehbare und benutzbare Grünflächen in den Straßenräumen scheinen unter diesen Rahmenbedingungen nicht (leicht) umsetzbar. Die Liegenschaftseigen-tümerInnen sind mehrheitlich nicht nur gegen die parzellenübergreifende Zu-sammenlegung der Höfe sowie gegen die Entsiegelungen in den Höfen. Sie sind auch gegen Hofbegrünungen oder Gründächer, weil sie die Grünflächen sowohl bei der Herstellung als auch bei der Wartung mit Mehrkosten beziehungsweise mit mehr Aufwand verbunden sehen.

Im Allgemeinen werden in Wien die inneren Höfe von Wohnblöcken der gründerzeitlichen Stadt nicht als ‚nutzbare und begehbare Grünflächen“ gese-hen. Die PlanerInnen, NutzerInnen, EigentümerInnen und letztendlich auch die BewohnerInnen sehen sie als ‚Lichthöfe’, obwohl die blockinneren Höfe nicht selten über große Flächen verfügen, die durch Mauern und Zäune zwischen den Parzellen zerstückelt werden. Im Rahmen der Sanierungsinitiativen oder durch das Engagement der Gebietsbetreuungen gelang in Wien durch harte Überzeu-gungsarbeit gelegentlich eine Zusammenlegung und gärtnerische Gestaltung von Hofflächen.65 Im Zuge der Block- oder Sockelsanierungen wurde in den letzten Jahren eine Reihe von Hofflächen entsiegelt und begrünt. Auch oben auf den Flachdächern wurden Gemeinschafts- oder Privatterrassen hergestellt. Die Verwandlungen durch die Neugestaltung und Begrünung eines Hofes bleiben oft hinter den gründerzeitlichen Fassaden unsichtbar und dadurch unbekannt.

64 www.wien.gv.at/amtshelfer/verkehr/strassen/gehsteig/private-nutzung.html (Zugriff: 2013-11-

22) 65 Bretschneider, Betül (2009): Grün liegt in der Luft. Grün in der Stadt FORUM-Architektur &

Bau Forum 372/10- 2009. 1-2

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 103

Durch die jüngsten Initiativen zur Vermittlung der gelungenen Beispiele stieg die Akzeptanz und das Interesse an der Umgestaltung von Innenhöfen.

In Wien gibt es keine verbindlichen Planungsinstrumentarien zur Siche-rung der Hofbegrünung nach Haussanierungen. Die Stadterneuerungsprogram-me erstreben die Begrünung und Umgestaltung der blockinneren Höfe an, aber die HauseigentümerInnen können dazu nicht gezwungen werden. Insbesondere in den Häusern mit mehreren EigentümerInnen ist eine Durchsetzung der Be-grünung unter Umständen schwieriger, weil alle (Mit-)eigentümer die Änderun-gen bewilligen müssen.

Es gibt zur Hofbegrünung finanzielle Hilfestellung der Stadt Wien. Die Wiener Stadtgärten fördert zwar Innenhofbegrünungen und -entsiegelungen aber nicht eine Begrünung von Vorgärten.66

Abbildung: Dachbegrünung in der Martinstraße im 18. Wiener Bezirk

Quelle: Architekturbüro Kronreif&Partner

Mikroklimatische Einflüsse urbaner Grünflächen Die Zunahme der Jahresmitteltemperatur und der heißen Tage bzw. der „Tro-pennächte“ sowie der Rückgang von Eis- und Frosttagen sind die Konsequenzen der globalen Erwärmung, die in den Ballungsräumen durch den Urban Heat Island-Effekt (UHI) deutlich verstärkt wird, welcher aus der Stadtgröße, Bebau-

66 www.wien.gv.at/umwelt/parks/stadtgaerten.html (Zugriff: 2013-11-22)

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 104

ungsdichte und dem Versiegelungsgrad resultiert.67 Nach aufeinander folgenden heißen Tagen und Nächten entstehen in dicht bebauten Stadtteilen so genannte Hitzeinseln. Nach Messungen der Meteorologen weisen rund um städtisches Grün oder am Wasser gelegene Gebiete deutlich niedrigere Temperaturen auf. Der Temperaturunterschied zwischen locker bebautem Stadtrand und dicht bebautem Stadtzentrum erreicht an Hitzetagen bis zu 6-7 Grad Celsius. Hitzein-seln entstehen, weil die kühlenden Grünflächen in der dichten Bebauung rar sind und ihre kühlende Wirkung durch natürliche Feuchtigkeit und Verdunstung daher kaum messbar vorhanden ist. Die Oberflächen der dicht bebauten Stadt speichern bei mehreren Tagen andauernder Hitze immer mehr Wärme, die bei ausbleibender nächtlichen Kühlung immer weiter steigt.68 Im Juli 2011 zeigten die Messungen der Klimaabteilung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik auf der Hohen Warte in Wien (ZAMG), dass die Hauptverkehrs-achsen auch in Wien vom UHI-Effekt deutlich mehr betroffen sind.69 Abbildung: Die Temperaturunterschiede zwischen den dicht bebauten

Bereichen der Stadt (besonders an den Hauptstraßen) und der lockeren Bebauung am Stadtrand und rund um die Grünflächen

Quelle: ZAMG, Abteilung Klimaforschung, BOKU 67 www.umwelt.nrw.de/umwelt/pdf/klimawandel/handbuch_stadtklima/kapitel5_S229-256.pdf

(Zugriff: 2013-11-22) 68 Bretschneider, Betül (2013): Architektur kann kontern. Gegen Klimawandel und seinen

Einfluss auf die Stadt. In: BAUEN-Architektur & Bau Forum. 01-2013. Wien:. 1-2 69 ZAMG (2011): Temperaturunterschiede in der Stadt - Stadtklima der Zukunft in Wien.

www.zamg.ac.at (Zugriff 2013-09-10)

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 105

Begrünungsmaßnahmen in den Straßenräumen können zu einer erheblichen Reduktion des Verbrauchs von fossilen Energieträgern führen, der die globale Erwärmung vorantreibt. Neben ihrem reduzierenden Einfluss auf den Kühlener-giebedarf, senken sie auch die Zahl der motorisierten Verkehrsteilnehmer, da die begrünten öffentlichen Flächen, Fassaden und Höfe die Stadtbewohner dazu animieren, zu Fuß zu gehen.

Die Grünflächen, die sowohl vertikal als auch horizontal zwischen und an den Baukörpern angelegt sind, können die extremen Temperaturen der Hitzein-seln maßgeblich mindern. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigten wieder-holt, dass Grün-Fassaden und -Dächer sowie begrünte Straßen und Höfe zur Kühlung der Außenräume wesentlich beitragen.70 Die folgenden Pro-Argumente zur umfassenden und breiten Implementierung von Grünflächen sollten stärker vermittelt werden:

Verbesserung des Mikroklimas durch Beschattung, Wasserrückhalt und

Verdunstung sowie durch Bindung und Filterung von Staub und Luftschad-stoffen,

Erhaltung der Artenvielfalt und Erweiterung der Lebensräume von Pflan-zen und Tieren,

Luftschalldämmung und Minderung der Schallreflexion, Reduktion des Elektrosmogs, Wertsteigerung der Immobilie und des Wohngebiets, Schaffung von Freizeitflächen im Wohnungs- und Arbeitsumfeld, daher

eine Reduktion der Fahrtwege Verbesserung des Arbeits- und Wohnumfeldes, Verbesserung der Lufttemperaturen in den Hitzetagen im Sommer, deren

Anzahl auch in Wien von Jahr zu Jahr steigt. Die Dachbegrünungen tragen zusätzlich auch noch bei folgenden umwelt-schonenden aber auch Kosten einsparenden Punkten Wichtiges bei:

Rückhaltung von Regenwasser und Reduzierung des Regenabflusses (ab-

hängig von der Aufbauhöhe kann der Regenabfluss um 40% bis 90% mi-nimiert werden),71

70 Huttner, Bruse, Dostal, Katzschner (2009): Strategies for mitigating thermal heat stress in

central European Cities. The project Klimes. J. Gutenberg-Universität, Mainz. Germany Universität, Kassel In: The seventh International Conference on Urban Climate, Yokohama, Japan

71 http://flachdachinitiative.ch (Zugriff: 2012)

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 106

Reduzierung des Wartungsaufwands wegen längerer Lebensdauer der Ab-dichtungsschicht zum Schutz vor Witterungseinflüssen und Temperaturdif-ferenzen,

Energieeinsparung durch Wärmedämmungsfunktion und Hitze- und Kälte-schild an der Oberfläche.

Dachbegrünung und Photovoltaikanlagen können sich gegenseitig gut ergänzen. Dachbegrünungen halten die Temperaturen auf dem Dach niedrig und erhöhen dadurch die Effizienz der Photovoltaikmodule. Außerdem kann Überschusswas-ser zusätzlich als Brauchwasser zum Beispiel für Gartenbewässerung oder Toi-lettenspülung benutzt werden. Abbildung: Minderung der Extrem-Temperaturen durch Dachbegrünung

Quelle: O. Friedrich, AXIS Ingenieurleistungen Ein Instrument zur Absicherung der Grünflächen in Berlin: Biotopflächenfaktor (BFF) Die Stadt Berlin setzte ein Planungsinstrument ein, dessen Ziel unter anderem die Absicherung der Begrünung in den bestehenden Bebauungsstrukturen ist. Der Biotopflächenfaktor (BFF) ist ein Teil der Berliner Rechtsverordnung zum Schutz der Grünflächen und des Naturhaushaltes. Er soll den extremen bauli-chen Verdichtungen der 1970er Jahre im Zuge der Aufstockungen, Dachge-

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 107

schossausbauten und Blockranderschließungen entgegen wirken und die Le-bensqualität in den dicht bebauten Stadtgebieten absichern. Ähnlich den städte-baulichen Richtwerten in den Bauleitplänen zu Bruttogeschossfläche (BGF), Grundflächenzahl (GRZ) und Geschossflächenzahl (GFZ), die das Maß der baulichen Nutzung regeln, benennt der Biotopflächenfaktor (BFF) den Flächen-anteil eines Grundstückes, der als Pflanzenstandort dient beziehungsweise sons-tige Funktionen für den Naturhaushalt übernimmt. Nach Angaben der Berliner Planungsbehörden soll der BFF zur Standardisierung und Konkretisierung der folgenden Umweltqualitätsziele beitragen:

Sicherung und Verbesserung des Kleinklimas und der Lufthygiene, Sicherung und Entwicklung von Bodenfunktion und Wasserhaushalt, Schaffung und Aufwertung von Lebensraum für Tiere und Pflanzen, Verbesserung des Wohnumfeldes.

Für ausgewählte, gleichartig strukturierte Stadtgebiete kann der Biotopflächen-faktor in einem Landschaftsplan verbindlich festgelegt werden, welcher vom jeweiligen Bezirk ausgearbeitet wird.

„Der BFF beschreibt das Verhältnis von sich positiv auf den Naturhaushalt aus-wirkenden Flächen eines bebauten Grundstücks zur gesamten Grundstücksfläche.

Er ist ein quantitativer Wert, bei dem qualitative Aspekte über die jeweilige Flä-chenwertigkeit Berücksichtigung finden. Die Wertigkeit einer Grundstücksteilflä-che wird entsprechend dem Flächentyp als Anrechnungsfaktor pro qm festgelegt.“

Die Wertigkeit der einzelnen Flächentypen leitet sich ab aus ihrem Zielerfül-lungsgrad für die einzelnen Naturhaushaltsbestandteile: Boden, Klima und Lufthy-giene, Wasserhaushalt und Lebensraum für Tiere und Pflanzen.“72

Der Zielerfüllungsgrad wurde anhand der folgenden umweltbezogenen (Boden-) Flächenleistungen festgelegt:

Evapotranspirationsleistung, Staubbindungsfähigkeit, Versickerungsfähigkeit und Speicherkapazität des Niederschlagswassers, Gewährleistung des Erhaltes beziehungsweise der Entwicklung der Boden-

funktion sowie Verfügbarkeit einer Fläche als Lebensraum für Tiere und Pflanzen.

Der BFF erfasst die städtischen Nutzungsformen Wohnen, Gewerbe und Infrastruktur und formuliert ökologische Mindeststandards für bauliche Ände-

72 Handbuch für Berliner Landschaftspläne: VIII. Biotopflächenfaktor (BFF) (Stand:2007)

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 108

rungen und Neubebauung. Dabei werden sämtliche Begrünungspotentiale wie Höfe, Dächer, Mauern und Brandwände einbezogen. Für die unterschiedlichen Bebauungs- und Nutzungsstrukturen wie Wohnungen, gewerbliche Nutzungen, typisch-innerstädtische Nutzungen und Schulen, gelten unterschiedliche BFF-Werte. Der BFF benennt das Verhältnis naturhaushaltwirksamer Flächen zur gesamten Grundstücksfläche.73 Berechnungsbeispiele:

BFF= Naturhaushalt-wirksame Flächen Grundstücksfläche

Planungsvariante 1:

Grundstücksfläche 479 m² Überbaute Fläche 279 m² Nicht überbaute Fläche 200 m² Überbauungsgrad 0,59

• Zum Erreichen des BFF sind Maßnahmen in einem Umfang von BFF 0,24 • erforderlich. • Durch Reduzierung der Asphaltfläche und Belagsänderung sowie eine er-hebliche Erweiterung der Vegetationsflächen kann auf der Grundfläche der BFF von 0,3 realisiert werden. Berechnung: BFF Variante 1

115 m²Vegetationsfläche x 1,0 = 115,0 m²

85 m² Kleinsteinpflaster x 0,3 = 25,5 m² Summe: 140,5 m²

140,5 = 0,3 (BFF) 479 Es werden den einzelnen Teilflächen eines Grundstückes je nach ihrer ‚ökologi-schen Wertigkeit’ zugeordnet. Die folgende Liste zeigt die Materialien und Faktoren als Berechnungsvorlage.

73 www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/landschaftsplanung/bff/de/bff_berechnung.shtml

(Zugrif: 2013-11-25)

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 109

Versiegelte oder teilver-siegelte Flächen 0,0 oder 0,3

Belag luft- und wasserundurchlässig, ohne Pflanzenbewuchs (z.B. Beton, Asphalt, Platten mit gebundenem Unter-bau) (z.B. Klinker, Mosaikpflaster, Platten mit Sand-Schotterunterbau)

Halboffene Flächen 0,5

Belag luft- und wasserdurchlässig, Versickerung , Pflanzenbewuchs (z.B. Rasenschotter, Holzpflaster, Rasengittersteine)

Vegetationsflächen ohne Bodenanschluss 0,5

Vegetationsflächen auf Kellerdecken, Tiefgaragen mit weniger als 80 cm Bodenauftrag

Vegetationsflächen ohne Bodenanschluss 0,7

Vegetationsflächen ohne Anschluss an anstehenden Boden mit mehr als 80 cm Bodenauftrag

Vegetationsflächen mit Bodenanschluss 1,0

Vegetationsanschluss an anstehenden Boden, verfüg-bar für Entwicklung von Flora und Fauna

Regenwasserversicke-rung je m² Dachfläche 0,2

Regenwasserversickerung zur Grundwasseranreiche-rung, Versickerung über vegetationsbestandene Flächen

Vertikalbegrünung, bis max.10 m Höhe 0,5

Begrünung fensterloser Außenwände und Mauern, es wird die reale Höhe bis max. 10 m einbezogen

Dachbegrünung 0,7

Extensive oder intensive Begrünung von Dachflä-chen

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 110

Absicherung der Umsetzung des Biotopflächenfaktors (BFF) Mit dem Landschafts- und Artenschutzprogramm von 1994 verfügt die Gesamt-stadt über ein behördenverbindliches Programm, das wichtige Beiträge zur vor-sorgenden Umweltplanung auf allen Ebenen räumlicher Planung enthält. Dieses Dokument beinhaltet Vorgaben, Ziele und Anforderungen, die bei allen weitrei-chenden räumlichen Planungen und Abwägungsverfahren einzubeziehen sind.74 Im Berliner Landschaftsprogramm sind Erfordernisse und Maßnahmen für Na-tur und Landschaft - für künftige Entwicklungen im landschaftlichen und städ-tebaulichen Bereich - formuliert.

„Im Zusammenspiel mit dem Flächennutzungsplan (FNP) Berlins stellt das Land-schaftsprogramm einschließlich Artenschutzprogramm eine vor allem auf qualitati-ve Ziele und Anforderungen bezogene Ergänzung der vorbereitenden Bauleitpla-nung dar und bildet die Grundlage der künftigen Stadtentwicklung.“ 75

Die Rechtsgrundlagen dafür sind das Bundesnaturschutzgesetz und das Berliner Naturschutzgesetz. 76,77 § 8 des Naturschutzgesetzes regelt die Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege (beziehungsweise des Biotopflächenfaktors) die in den Landschaftsplänen festzulegen sind.78 Mit der Festsetzung des Biotopflächenfaktors in den Landschaftsplänen wird die Umsetzung des BFF bei jeder baulichen Änderung und bei Neubauten im Gebiet verbindlich. In Berlin sind die Bezirke für die Erstellung der Landschaftspläne und für die Festlegung des Biotopflächenfaktors zuständig.79 Wenn keine ferti-

74 www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/landschaftsplanung/lapro/index.shtml 75 Gespräch mit Gudrun Meißner, Referat Naturschutz und Landschaftsplanung

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin, 2006 und 2007 76 Bundesnaturschutzgesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (BNatschG) in der Fassung

vom 25. März 2002 (BGBl. I, S. 1193), zuletzt geändert durch Artikel 40 des Gesetzes vom 21. Juni 2005 (BGBl. I, S. 1818) bzw. Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin der Senats-verwaltung für Justiz A 3227 A (Nov. 2006)

77 Berliner Naturschutzgesetz über Naturschutz und Landschaftspflege in Berlin (NatSchGBln) in der Fassung vom 9. November 2006 (GVBl. S. 1073)

78 Landschaftspläne: (1) Über die Darstellungen des Landschaftsprogramms hinaus sind auf seiner Grundlage die näheren örtlichen Erfordernisse und Maßnahmen zur Verwirklichung der konkretisierten Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege in Landschaftsplänen mit Text, Karte und Begründung darzustellen, sobald und soweit dies aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege erforderlich ist. Ein Erfordernis zur Aufstellung von Landschafts-plänen besteht besonders für örtliche Bereiche, in denen die konkretisierten Ziele und Grunds-ätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht nachhaltig und rechtlich gesichert sind.

79 www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/landschaftsplanung/handbuch/de/traegerbeteiligung/ index.shtml (Zugriff: 2008)

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 111

gen Landschaftspläne vorhanden sind, kann die BFF-Methode im Rahmen von Baugenehmigungen auch freiwillig angewendet werden. Es war an Hand des ehemaligen Baugenehmigungsverfahrens möglich, Auflagen zu erteilen, um die Grünräume in den dicht bebauten Gebieten der Stadt abzusichern. 80

Nach den Änderungen in der Bauordnung für Berlin ist die Kontrolle der Umsetzung der rechtlichen Instrumentarien wie des Biotopflächenfaktors schwieriger geworden, weil das ‚genehmigungsfreie, verfahrensfreie oder ver-einfachte Baubewilligungsverfahren’ nach der Novellierung der Bauordnung Berlins die Kontrollfunktion durch die Behörde eingeschränkt hat.81

Die folgenden Abbildungen zeigen Beispiele für Landschaftspläne im Be-stand und in der Festsetzung. Abbildung: Übersicht der Berliner BFF-Landschaftspläne

Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin (2012)

80 Gespräch mit G. Meißner; Referat Naturschutz und Landschaftsplanung, Senatsverwaltung

für Stadtentwicklung Berlin (2006 und 2007) 81 Gespräch mit S. Kopetzky; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin (2011)

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 112

Abbildung: Biotopflächenfaktor (BFF)- Berlin; Landschaftsplan-Übersicht

Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 113

Sanierungsgebiet Samariterviertel und Landschaftspläne In einem ehemaligen Sanierungsgebiet der Stadt Berlin, dem Samariterviertel, wurde die Endkontrolle über die Umsetzung der Grünflächen sowie Entsiege-lungen im Rahmen der Sanierungsförderung von der sanierungsbeauftragten Organisation des Landes Berlin (STATTBAU Berlin) durchgeführt. Daher war es möglich, gebietsweise breite Begrünungsmaßnahmen durchzusetzen. Diese werden zum Teil auch durch die aktive Mitwirkung der BewohnerInnen weiter betreut. Die Regeln des Biotopflächenfaktors gelten nur dann, wenn die gebiets-bezogenen Landschaftspläne von den einzelnen Bezirken fertig gestellt sind. Die mangelnde Zahl an MitarbeiterInnen für die Erstellung von Landschafts-plänen verlangsamt die Umsetzung. Es wurde überlegt, das Naturschutzgesetz zu ändern, um den Umsetzungsgrad des BFF zu verbessern.82 Wichtig sei dabei nicht nur die Absicherung der Umsetzung von BFF-Regeln, sondern auch die Erhaltung der Begrünung über die Jahre. Die erfolgreiche Durchsetzung der Ziele einer nachhaltigen, umweltschonenden städtischen Lebensweise ist ein langjähriger Prozess und dieser verlangt unbedingt die Bereitstellung der nöti-gen Ressourcen und das Zusammenwirken aller Beteiligten des Planungsge-schehens.

Im Rahmen der Genehmigungsfreistellung (Bauen ohne Genehmigung) laut Bauordnung für Berlin (gem. § 63) wurde auch in Berlin die Verantwortung für die Gesetzeskonformität eines Bauvorhabens bis zur Endkontrolle an die ArchitektInnen und BauherrInnen übertragen.83

Ob die Auflagen der Landschaftspläne (gemäß § 8) bei der Fertigstellung eingehalten sind, bleibt dadurch in vielen Fällen ungewiss.84 Nach den aktuellen

82 Mitarbeiter der Behörde für Landschaftsplanung, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

Berlin 83 § 63 Genehmigungsfreistellung und § 64 Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren. Quelle:

Bauordnung für Berlin (BauO Bln) vom 29. September 2005, zuletzt geändert durch § 9 des Gesetzes vom 29. Juni 2011

84 § 8, Landschaftspläne (Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege von Berlin (Berliner Naturschutzgesetz – NatSchGBln): (1) Die Erfordernisse und Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind in Landschaftsplänen mit Text, Karte und Begründung auf der Grundlage des Landschaftsprogramms näher darzustellen, sobald und soweit dies aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege erforderlich ist. Landschaftspläne sind insbeson-dere für Bereiche aufzustellen, die 1. nachhaltigen Landschaftsveränderungen ausgesetzt sind, 2. der Erholung dienen oder dafür vorgesehen sind, 3. Landschaftsschäden aufweisen oder befürchten lassen, 4. an oberirdische Gewässer angrenzen (Ufergebiete), 5. aus Gründen der Wasserversorgung unbeschadet wasserrechtlicher Vorschriften zu schützen oder zu pflegen sind,

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 114

Erfahrungen der Behörde für Landschaftsplanung werden die Begrünungen und Grünflächen, insbesondere in den problematischen Randgebieten, zunehmend vernachlässigt, weil in diesen Gebieten eine Aufwertung der baulichen Umge-bung weniger Rolle spielt, im Gegensatz zu anderen zentralen und aufgewerte-ten Stadtgebieten wie Berlin Mitte oder Friedrichshain-Kreuzberg (z.B. Samari-ter Viertel oder Prenzlauer Berg). Hier stehen zahlreiche begrünte Höfe und Baulücken, sowohl als halb-öffentliche Flächen als auch als öffentliche Flächen zur Verfügung und tragen zum Image dieser Viertel Wesentliches bei. Im All-gemeinen haben die Sanierungsgebiete der inneren Stadt von den Förderungen stärker profitiert.85 Vorgärten in den innerstädtischen Straßen In den innenstädtischen Gebieten Wiens gibt es selten aber doch Straßenzüge, deren Erdgeschoßräume an Vorgärten grenzen. Die Sockelzone mit Vorgärten eignet sich im Zusammenhang mit dem Verkehr sowohl für Wohnungen als auch für Büros besser, weil die Vorgärten als Pufferzone die Emissionen ein-dämmen. Als Beispiel dient die heutige Transformation der Ausstellungsstraße

6. von wesentlichen Belangen der Grünordnung berührt sind. (2) Der Landschaftsplan enthält Darstellungen 1. des vorhandenen Zustands von Natur und Landschaft und seine Bewertung nach den Zielen und Grundsätzen des Naturschutzes und der Landschaftspflege, 2. des angestrebten Zustands von Natur und Landschaft und der erforderlichen Maßnahmen. (3) Der Landschaftsplan setzt, soweit es erforderlich ist, die Zweckbestimmung von Flächen sowie Schutz-, Pflege- und Entwicklungs- einschließlich Wiederherstellungsmaßnahmen und die zur Erreichung der Zwecke notwendigen Gebote und Verbote fest, insbesondere 1. die Anlage oder Anpflanzung von Flurgehölzen, Hecken, Büschen, Schutzpflanzungen, Alleen, Baumgruppen und Einzelbäumen, 2. die Herrichtung und Begrünung von Abgrabungsflächen, Deponien oder anderen geschädigten Grundstücken, 3. die Beseitigung von Anlagen, die das Landschaftsbild beeinträchtigen und auf Dauer nicht mehr genutzt werden, 4. Maßnahmen zur Erhaltung und Pflege von Baumbeständen und Grünflächen, 5. die Ausgestaltung und Erschließung von Uferbereichen einschließlich der Anpflanzung von Röhricht, 6. die Begrünung und Erschließung der innerstädtischen Kanal- und Flussuferbereiche, 7. die Anlage von Grün- und Erholungsanlagen, Sport- und Spielflächen, Wander-, Rad- und Reit-wegen sowie Parkplätzen, 8. die Anlage von Kleingärten und die Maßnahmen zu ihrer Sanierung, 9. Maßnahmen zum Schutz und zur Pflege der Lebensgemeinschaften und Biotope der Tiere und Pflanzen wild lebender Arten, insbesondere der besonders geschützten Arten. Quelle: Bauordnung Berlin (BauO Bln) (2007) 85 Gespräch mit S. Kopetzky; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin (2011)

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 115

im Pilotgebiet Stuwerviertel, wo zunehmend neue NutzerInnen in die Erdge-schossbereiche einziehen. Die schmal gehaltene Fahrbahn und die neue Gestal-tung der Verkehrsflächen tragen hier Wesentliches bei. Ein etwas anderes Bild zeigt die Vorgartenstraße im selben Viertel, trotz ihrer Vorgärten. In dieser Straße wurde Verkehrsituation und Straßengestaltung noch nicht verbessert. Trotzdem eignen sich ihre Erdgeschosse mit Vorgärten für verschiedene Nut-zungsmöglichkeiten (Wohnen, Arbeiten, Geschäft) besser als die Erdgeschosse ohne Vorgärten.

Die Stadt Basel liefert einige zwar nicht spektakuläre aber wirksame Bei-spiele für Grünflächen (Vorgärten) zwischen Verkehrsflächen, dem öffentlichen Gehsteig und dem privaten Erdgeschoss. Unabhängig von ihrer Gestaltungsart entstehen Pufferflächen zwischen parkenden Autos und den Fenstern von Erd-geschoßen und Kellergeschoßen, die außerdem auch durchaus gut nutzbar ange-legt wurden. Es gibt in den dicht bebauten Stadtteilen unterschiedlichste Bei-spiele für Vorgärten, die in den meisten Fällen den NutzerInnen der Erdge-schosse zur Verfügung stehen. Auch Kellergeschosse sowie versenkte Erdge-schosse bekommen durch die Gestaltung der angrenzenden Straßen- und Hofbe-reiche räumliche Qualitäten für Büronutzungen. Die oft schmalen Vorgärten sind nicht selten mit alten Sitzgarnituren oder mit Blumentöpfen ohne großen Aufwand eingerichtet. Zum Teil auch nur provisorisch. Einige architektonische Belichtungs- und Begrünungskonzepte durch Ausschnitte im Gehsteig- oder im Hofbereich verbessern die räumliche Qualität des Straßenraumes. Zusätzlich verleihen jeweils einheitlich und rhythmisch eingesetzte Kletterpflanzen an den vorderen Fassaden der Häuserreihen ganzen Straßenzügen unterschiedliche Identitäten.

Die Fassadenbegrünungen sowohl hofseitig als auch straßenseitig zählen zu den Begrünungsprogrammen von Städten wie Berlin oder Basel. In Berlin ermöglichen die klein geschnittenen Hofflächen nicht immer ausreichende Hof-begrünungen. In diesem Fall gelten vertikale Begrünungen als nachzuweisende Grünflächen, um den Anforderungen der Landschaftspläne gerecht zu werden. Abbildung: Straßenseitige Fassadenbegrünung in Berlin

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Abbildung: Vorgärten und Wege zur Begrünung der Erdgeschoßzone und des Straßenraumes in Basel (2007)

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Begrünung in Stadterneuerung und Quartiersentwicklung 117

Abbildung: Straßenseitige Fassadenbegrünung in Berlin (2006)

Abbildung: Vertikale Hofbegrünungen in Berlin

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartierserneuerung In diesem Abschnitt wird die Verkehrssituation in Wien mittels Daten, Fakten und Prognosen analysiert und behandelt, weil der urbane Verkehr in der grün-derzeitlichen Stadtstruktur, insbesondere für die Erdgeschossräume, die in der Regel zum Straßenraum hin orientiert sind, eine ganz besondere Rolle spielt.

Die Verkehrsdaten zeigen deutlich, dass dringender Handlungsbedarf be-steht, weil die gewachsene Stadt durch den zunehmenden Individualverkehr und dessen Flächenbedarf sowie seine Emissionen immer mehr an Lebensqualität verliert. Die Straßenräume in der Stadt wurden parallel zur Automobilisierung der Gesellschaft immer stärker dem Verkehr zugeordnet. Die beidseitig durch-gehend zugeparkten Straßenräume bieten immer weniger Übersicht und Durch-lass für Überquerungen, angesichts einer zunehmenden Zahl von Geländewagen insbesondere für Kinder.

Die Zahl der Pkws steigt insgesamt, obwohl die Alltagswege in den inne-ren Bezirken Wiens nach der Einführung von kostenpflichtigen und geregelten Parkens (Parkraumbewirtschaftung) weniger mit Pkws erledigt werden. Unmit-telbar nach der Einführung der Parkraumbewirtschaftung waren viele Straßen-züge fast autofrei. Die vereinfachte Parkplatzsuche beförderte jedoch bald wie-der mehr parkende Pkws auf die Straße. Vor allem weil das Parken auf der Stra-ße preisgünstiger und einfacher ist, wurden bis dahin angemietete Garagenpark-plätze aufgegeben.

In stark befahrenen Straßen der Stadt beeinträchtigt der Verkehrslärm die BewohnerInnen. Die Immobilienpreise spiegeln wieder, dass eine verkehrsarme Lage als Standortfaktor im Vordergrund steht.

Abgase und Feinstaub gefährden die StädterInnen gesundheitlich. Eine Langzeitstudie für Nordrheinwestfalen zeigt einen deutlichen Zusammenhang zwischen den Belastungen durch Feinstaub/Stickstoffdioxid, der Wohnortnähe zu einer vielbefahrenen Straße und der allgemeinen Sterblichkeit sowie der Todesursache durch Herz-Kreislauferkrankungen.86

In dieser längst bekannten negativen Entwicklung durch die Emissionen des Stadtverkehrs sind die Erdgeschosse am stärksten betroffen. Nicht nur die

86 ‚Feinstaubstudie Frauen NRW’ beziehungsweise ‚Staubkohorte Frauen NRW’ 2008/2012:

www.lanuv.nrw.de/veroeffentlichungen/fachberichte/fabe31/fabe31.pdf (Zugriff: 2013-12-05)

B. Bretschneider, Ökologische Quartierserneuerung,DOI 10.1007/978-3-658-02682-0_6, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 120

Emissionen, sondern auch die Gestaltungsmerkmale der Straßenräume wie lü-ckenlos asphaltierte Flächen, eng aneinander gereihte Fahrzeuge und durch Hundeexkremente beschmutzte Gehsteige bieten kein attraktives Umfeld für die Erdgeschossräume. Internationalisierung der Strategien für eine nachhaltige Urbanität Schon in den 80er Jahren wurden kritische Stimmen gegen Zersiedelung und Automobilisierung in den US-amerikanischen Städten laut. Eine kalifornische NGO, eine Gruppe von ExpertInnen aus dem Bereich Stadtplanung und Archi-tektur fasste ihre Empfehlungen an die Stadtentwicklung zusammen. 1993 wur-de die Bewegung ‚Congress for the New Urbanism (CNU)’ ins Leben gerufen.87 Die Grundrezepte der New Urbanism-Bewegung in den USA fanden in den letzten Dekaden weltweiten Anklang. Sie beschäftigen sich in erster Linie mit der Implementierung der Nutzungsmischung, Fuß- und Radverkehr, Straßenbe-lebung sowie mit der Verkehrsberuhigung.88 Das 'Green Paper on the Urban Environment' der 'Commission of European Communities' 1990 oder die 'Agen-da 21' der UN Conference on Environment and Development (the Earth Sum-mit) 1992 waren Ergebnisse von bedeutenden internationalen Initiativen. Auch im EU-Raum wurde die Ziele der nachhaltigen Stadtentwicklung in einer Reihe internationaler Vereinbarungen, wie der 1996 auf der UN-Konferenz in Istanbul beschlossenen Habitat Agenda, verankert und von vielen Gemeinden übernom-men.89 1990 veröffentlichte 'The Commission of the European Communities' 'The Green Paper on the Urban Environment' als ihre erste Manifestation (CEC 1990). Die Grundforderung der Manifestation war die nach einer starken Ver-bindung zwischen Politik und Stadtplanung und nach der Gründung eines nach-haltigen Netzwerkes für eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Ziele sind:

der kleinteilige Maßstab (Human-Scaled Design), Planung mit integrierter öffentlicher Verkehrserschließung, Rückgewinnung des öffentlichen Raumes und kurze Gehdistanzen zwi-

schen den Aktivitäten (Easy Walking Distance),

87 www.newurbanism.org 88 Schwanke, Dean (Hrsg.) (2003): Mixed Use Development Handbook: USA: ULI - Urban

Land Institut 89 Bretschneider, Betül (2007): Remix City Nutzungsmischung. Ein Diskurs zu neuer Urbanität:

Frankfurt: Peter Lang Verlag. 23

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 121

geeignete Architektur und Planung sowohl für die Bauten als auch für die Freiräume,

Diversität der Wohnungstypen und Arbeitsplätze, um eine soziale Vielfalt zu erreichen,

leistbare Wohnungen, gleichmäßige Verteilung der Arbeit, des Wohnens und der Sicherheit.90

Das weltweit stattfindende Umdenken, um nachhaltige und lebendige Städte (wieder-)zu schaffen beschäftigt sich heute fokusiert mit neuen Nutzungsmög-lichkeiten der Straßenräume. Eine Reihe Städte wie London und New York City, Zürich und Berlin haben in den letzten Jahren mit Verkehrsberuhigung resultierende Straßenumgestaltungen umgesetzt um die FußgeherInnen zu mobi-lisieren. Die Straßenräume, die sich für Flanieren und Sitzen eignen, werden vermehrt zum Zweck zur ‚city branding’ Publik gemacht. Wiener Stadterneuerung und Verkehr Der ‚Masterplan Verkehr Wien 2003’ liefert an Hand der Bestandsaufnahmen und Prognosen einige Grunddaten zur Lage des Stadtverkehrs. 2008 fand eine Evaluierung und Fortschreibung zur Umsetzbarkeit der Ziele statt.91 Der Wiener Masterplan Verkehr hat folgende Zielsetzung:

„Ziel aller Maßnahmen ist es, dass die WienerInnen ihre Wege zunehmend mit

öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen und der Anteil des Autoverkehrs zurückgeht. Dadurch sollen die Emissionen von Schadstoffen, Feinstaub und CO2 reduziert, die Lebensqualität der WienerInnen verbessert und die Ziele des Klimaschutzes erreicht werden.“92

Die Planungspolitik der Nachkriegsmoderne behandelte die Straßenräume überwiegend als Flächen für den motorisierten Verkehr, nachrangig als Durch-zugsräume und Verkehrsflächen für PassantInnen. Die Straßenräume und andere öffentliche Räume der Stadt wurden nicht als Aufenthaltsräume, sondern nur als Transiträume errichtet und reguliert. Die schmalgeschnittenen Gehsteige (um dem ruhenden Verkehr größtmöglichen Platz anzubieten) schränken die Nut-zungsmöglichkeiten sowohl der Erdgeschosse als auch der angrenzenden öffent-lichen Räume ein. 90 Bretschneider, Betül (2007): Remix City Nutzungsmischung. Ein Diskurs zu neuer Urbanität:

Frankfurt: Peter Lang Verlag. 23 91 www.wien.gv.at/stadtentwicklung/strategien/mpv/evaluierung (Zugriff: 2013-12-05) 92 Gielge, J. und Plautz, W. (2011) Kleinräumige Analyse der KFZ-Statistik: Beiträge zur

Stadtentwicklung: MA 18-Stadtentwicklung Stadtplanung der Stadt Wien

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 122

Abbildung: Ein Straßenprofil im 15. Wiener Bezirk

Abbildung: Ein Straßenbild im 7. Wiener Bezirk

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 123

Die Stadtverwaltung bezeichnet die Straßenräume zwischen den Blöcken als ‚Verkehrsflächen’, reguliert und organisiert unter anderem nach den Vorschrif-ten der Straßenverkehrsordnung (StVO), gestaltet und plant nach den Richtli-nien und Vorschriften für das Straßenwesen (RVS). Die Normen, Regeln und Gesetze lassen wenig oder kaum Spielraum für eine nicht in erster Linie dem motorisierten Verkehr zugeordnete, sondern zum zu Fuß Gehen einladende Straßenraumgestaltung übrig. Die Infrastrukturleitungen unter den Gehsteigflä-chen und Fahrbahnen erschweren eine Umnutzungsperspektive zusätzlich. Abbildung: Querschnitt einer Hauptverkehrsstraße in Wien

Quelle: MA 28 der Stadt Wien Abbildung: Neugestaltung der Ottakringerstraße, 16. Bezirk-Wien

Quelle: Stadt Wien (2013)

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 124

Wiener Stadtverkehr in Zahlen Rund 14,4 % des Wiener Stadtgebiets sind den Verkehrsflächen.93 Im Jahr 2012 betrug die Summe der Verkehrsflächen in Wien rund 5.965 Hektar gegenüber den Bauflächen mit rund 14.680 Hektar (35,4%).94 Die Straßenräume, die als Verkehrsflächen bezeichnet werden, sind Großteils dem ruhenden und fließen-den Verkehr gewidmet. Abbildung: Wiener Stadtfläche nach Nutzungsarten

Q: Stadt Wien/MA 41 Der Pkw-Bestand nimmt in Wien sowie im restlichen Österreich schneller als das Bevölkerungswachstum und kontinuierlich zu.

In Wien ist der Pkw-Bestand zwischen 1991 und 2001 um rund 85.000 (+

15%) auf rund 640.000 Pkws. Im Jahr 2012 waren rund 680.000 Pkws in Wien angemeldet.95

Bis zum Jahr 2020 wurde in Wien ein Pkw-Bestand von ca. 800.000 prog-nostiziert.96

93 Gesamtfläche des Wiener Stadtgebietes: 41.487 ha, Bauflächen: 14.680 ha, Grünflächen:

18.912 ha, Wasserflächen: 1.930 ha, Verkehrsflächen: 5.965 ha Quelle: Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien (2012)

94 MA 41: www.wien.gv.at/statistik/daten/pdf/nutzungsarten.pdf 95 Kraftfahrzeugbestand in Wien 2001-2011

www.wien.gv.at/statistik/verkehr-wohnen/tabellen/kfz-zr.html (Zugriff: 2013-12-02)

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In den 10 Jahren zwischen 1991 und 2001 ist ein zusätzlicher Flächen-bedarf von über 1.000.000 m² für ruhenden Verkehr zustande gekommen. Bis 2020 ist noch ein vielfacher Flächenbedarf zu erwarten, wenn nicht wirksame Maßnahmen ergriffen werden.

Durch die Einführung und stufenweise Ausweitung der Parkraumbewirt-schaftung in Wien ist die Zahl der Pkws anfänglich gesunken, dann aber wieder gestiegen. Das Parken im Straßenraum ist in den parkraumbewirt-schafteten Gebeiten der Stadt leichter geworden, weil die PendlerInnen o-der andere BesucherInnen fern bleiben. Dafür gaben manche Pkw-BesitzerInnen ihre Garagenplätze auf, weil Straßenparkplätze weniger kos-ten oder leichter zugänglich sind.

Zwischen 1991 und 2001 hat die Zahl der gemeldeten Pkws in den park-raumbewirtschafteten (inneren) Bezirken trotz gesunkener EinwohnerIn-nenzahlen zugenommen. 2011 gab die Stadtforschung der Stadt Wien be-kannt, dass die Zahl der privaten Pkws (Motorisierungsgrad genannt) in den Randgebieten Wiens (13., 14., 19., 21. und 23. Bezirk) anstieg. Hier wurden allerdings nur die privat-angemeldeten Pkws berücksichtigt, ohne die Firmen-Pkws (solche, die für juristische Personen oder Firmen ange-meldet sind).97

Die Zahl der Pkws steigt auch in Wien insgesamt kontinuierlich. Die statis-tischen Daten zeigen derzeit in fast allen Wiener Bezirken sowohl bei den Bevölkerungszahlen (außer im 1. Bezirk-Innenstadt und 13. Bezirk) als auch bei den Pkw-Zahlen Zuwächse.

Nach der Einführung der Parkraumbewirtschaftung sank die Prozentzahl der Pkw-Nutzung von BewohnerInnen in den inneren Bezirken. Degegen stiegen vermutlich die Zahlen des Berufs- und Lieferverkehrs. Es fehlen jedoch die Zählungsergebnisse, die diese Behauptung belegen könnten.

In den nutzungsgemischten, dicht bebauten Bezirken der inneren Stadt nutzen die StädterInnen die öffentlichen Verkehrsmittel intensiver als in den Randbezirken, die monofunktionale Wohngebiete und Industrie- und Gewerbeareale beherbergen.

In Wien leben rund 1,75 Mio. Menschen und besitzen rund 76% aller Haushalte ein Auto. Während in ländlichen Gebieten Österreichs 83% über einen Wagen verfügen, sind es in städtischen Regionen nur ca. 75%.98

2012 gab es in Wien je 1000 EinwohnerInnen 390,4 Pkws. Das ergibt ca. 0,4 Pkw pro Person.99

96 Shell und Statistik Austria (2003) In: ‚Masterplan Verkehr 2003’. MA 18 der Stadt Wien. 25 97 Gielge, J. und Plautz, W. (2011) Kleinräumige Analyse der KFZ-Statistik: Beiträge zur Stadt-

entwicklung: MA 18-Stadtentwicklung Stadtplanung der Stadt Wien 98 Mobilität der Haushalte 2004-2005 Quelle: www.statistik.gv.at

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 126

Die folgende Tabelle zeigt einen Vergleich der Pkw-Zahlen nach Wiener Bezir-ken 1995, 2003 und 2012:

Abbildung: Pkw-Zahlen für Wien nach Gemeindebezirken (Jahre 1995,

2003 und 2012 im Vergleich)

Quelle für Daten: Statistik Austria, ST.AT-Direktion Raumwirtschaft (Be-standsstatistik der Kraftfahrzeuge) und MA 37 der Stadt Wien (eigene Graphik)

99 www.wien.gv.at/statistik/pdf/bezirksportraets1-7.pdf (Zugriff: 2013-12-05)

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 127

Analyse der VerkehrsteilnehmerInnen Die folgenden Daten sind eigene Angaben der Stadt Wien zum Stadtverkehr: Etwa 75% aller WienerInnen unternehmen mindestens einen Weg pro Tag.

Für alle Wege pro Tag sind sie etwas mehr als eine Stunde unterwegs. Die Verkehrsarten des Umweltverbundes (zu Fuß, Fahrrad und Öffentlicher Verkehr) haben im dicht bebauten, gut durchmischten Stadtgebiet wesent-lich höhere Anteile als in den Bezirken am Stadtrand.

Von den EinpendlerInnen nach Wien nutzen 65% den motorisierten Indivi-dualverkehr und nur 35% die Verkehrsmittel des Umweltverbundes. Bei der Nutzung dieser Verkehrsarten erreichen Frauen 71%, Männer nur 56%. Das Verkehrsverhalten der Frauen ist dadurch erheblich umweltfreundli-cher als das der Männer.

Der Arbeitspendelverkehr der erwerbstätigen WienerInnen umfasste im Jahr 2001 etwa 22% aller Wege. Männer legen einen Arbeitsweg deutlich häufiger mit dem Pkw zurück als Frauen. Umgekehrt nutzen Frauen bei ih-ren Arbeitswegen häufiger öffentliche Verkehrsmittel. Steigender Wohl-stand und wirtschaftlicher Strukturwandel haben gemeinsam mit der zu-nehmenden Motorisierung verursacht, ein deutliches Wachstum der Ar-beitswege über die Stadtgrenze hinaus.

Ca. 26% der Wege der Wiener sind dem Einkaufen und privaten Erledi-gungen zuzurechnen, wobei Frauen um ein Drittel mehr Wege im Versor-gungsverkehr zurücklegen als Männer und in besonderem Maße die Ver-kehrsarten des Umweltverbundes benutzen.

Für geschäftliche/dienstliche Erledigungen und für Begleitwege (Abholen und Bringen) werden jeweils 6% der Wege aufgewendet. Hier werden auch die unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen von Frauen und Männern deutlich. Die Frauen haben einen doppelt so hohen Anteil bei den Ver-kehrsarten des Umweltverbundes wie die Männer.100

2011 passierten in Wien 4.514 Verkehrsunfälle mit Personenschaden; getö-tet wurden 22 Personen.101

Bei neuen Zulassungen machen Privat-Pkws nunmehr rund 45% aus. Wei-tere sind als Firmen-Pkws gemeldet (für juristischen Personen). Der Anteil der Privat-Autos wurde in Wien von Jahr zu Jahr kleiner, während der An-teil der Firmenautos stieg.102

100 Auszug „Masterplan Verkehr Wien 2003“ MA 18- Stadtentwicklung Wien 101 Unfallstatistik für Wien (2011) 102 Verkehrsclub Österreich (VCÖ). In: Wirtschaftsblatt (vom 2013-10-23)

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Es gibt in der Stadtregion Wien (2001) 877.000 EinpendlerInnen (davon 23% im Stadt-Umland) und 815.000 AuspendlerInnen (davon 32% im Stadt-Umland)103. Die Erwerbstätigen der Wiener Bezirke sind zu mehr als 80% innerhalb der Wiener Stadtgrenzen tätig.

Abbildung: Pkw-Dichte 2010 pro EinwohnerInnen

Quelle: EUROSTAT, Berechnung MA 23 Die Ausweitung von angemieteten Schanigärten auf den Gehsteigen brachte in den letzten Jahren auch in Wien eine neue Nutzungsart von Straßenräumen: Einerseits eine Belebung für die Straßenräume, andererseits aber eine Reduktion der Gehsteigflächen für PassantInnen und FlaniererInnen, wobei die Gehsteigs-flächen oft nicht breit angelegt sind, weil die Schaffung von möglichst vielen Parkplätzen für Pkws Priorität hat.

103 EinpendlerInnen: Erwerbstätige mit Arbeitsplatz in einer anderen Gemeinde beziehungsweise

einem anderen Bezirk als dem Wohnort. AuspendlerInnen: BewohnerInnen einer Gemeinde, die aus der Wohngemeinde zu einem Arbeitsplatz in einer anderen Gemeinde bzw. einem an-deren Bezirk pendeln. Quelle: MA 18 der Stadt Wien; Beiträge zur Stadtentwicklung (De-zember 2007)

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 129

Verkehrsbezogene Ziele der Wiener Stadtplanung Der Masterplan Verkehr 2003 der Wiener Stadtentwicklung und Stadtplanung (MA 18) gab konkrete Ziele für die öffentlichen Räume vor allem für die Stra-ßenräume der Stadt an.

„Die angestrebte Erhöhung des Anteils des Öffentlichen Verkehrs, des Fußgänger- und Radverkehrs bedeutet, dass die Um- und Ausbaumaßnahmen in den nächsten Jahren vorrangig in diese Richtung geplant und investiert werden müssen. Bei der Ergänzung und Erweiterung des höherrangigen Straßennetzes steht die Entlastung bestehender Siedlungsgebiete im Vordergrund. Das derzeit rund 700 km umfassende bestehende Hauptstraßennetz der Stadt Wien ist nach den Kriterien des Kfz-Verkehrs ausgewiesen. Eine neue Netzgliederung soll den verkehrspolitischen Zielen besser entsprechen und klare Regeln für den Umgang mit Nutzungskonflikten im Straßenraum enthalten. Neben der Neubewertung des Straßennetzes soll durch die ausgedehnte Schaffung von dauernden und temporären autoverkehrsfreien Zonen und großzügig dimensio-nierten Gehsteigen erlebbare Qualität im öffentlichen Straßenraum geschaffen wer-den. Möglichkeiten für Treffpunkte, Sitzgelegenheiten zum Ausrasten, aber auch kommerzialisierte Bereiche wie Schanigärten, führen zu einer positiven Belebung des Straßenbildes (wenn die erforderlichen Durchgangsbreiten frei-gehalten wer-den). Speziell für Kinder sind nicht nur optimale Spielplätze, sondern ist auch ein dichtes Angebot an sicheren und attraktiven Spielmöglichkeiten im öffentlichen Raum wichtig.

Da der knappe Raum im öffentlichen Straßennetz oft zu Konflikten zwischen den verschiedenen Verkehrsarten und -teilnehmerInnen führt, sind bei Aus- und Umgestaltungsmaßnahmen Prioritäten zu setzen.

Höchste Priorität besitzen die Mindeststandards für FußgängerInnen. Danach sind die Ansprüche des Öffentlichen Verkehrs zu berücksichtigen. An nächster Stelle stehen Komfortverbesserungen für FußgängerInnen über die Mindest-standards hinaus auch in jenen Straßen, die nicht zum Hauptnetz des Fußgänger-verkehrs zählen.

Nach den Erfordernissen der FußgängerInnen und des öffentlichen Verkehrs sind die Mindeststandards für den Radverkehr im Hauptradverkehrsnetz anzu-wenden, wie z.B. Radverkehrsanlagen in den Hauptstraßen, Mitbenützung von Bus-fahrstreifen, sichere Führung bei Straßenbahn- und Bushaltestellen, keine Umweg-führungen über das Nebenstreckennetz.

An nächster Stelle folgt schließlich der Kfz-Fließverkehr, er hat Priorität vor dem ruhenden Verkehr im MIV-Hauptstraßennetz. Eine Änderung der Prioritäten ist immer dann möglich, wenn wichtige Gründe vorliegen (z.B. besondere Er-fordernisse für den Wirtschaftsverkehr).“ 104

104 Masterplan Verkehr 2003 der Wiener Stadtentwicklung und Stadtplanung (MA 18)

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Der Umsetzungsgrad der im Masterplan Verkehr 2003 definierten Zielen vari-iert nach den Präferenzen der jeweiligen Bezirkspolitik. Es gibt wesentliche Unterschiede zwischen den Wiener Bezirken, in Hinsicht auf den Ausbau von Radwegen oder das Ausmaß der Verkehrsberuhigung. Urbaner Verkehr in den gründerzeitlichen Stadtteilen Die umweltschonenden Verkehrsarten wie Fahrrad, Fuß- und öffentlicher Ver-kehr haben im Allgemeinen in dicht bebauten und nutzungsgemischten inneren Bezirken einen höheren Anteil. Dagegen haben die Randbezirke der Stadt, die im Vergleich weniger Dichte und ein weniger intensives öffentliches Verkehr-netz aufweisen, einen höheren Anteil an Pkw-Verkehr.

Abbildung: Ein Umfrageergebnis zur Verkehrsmittelwahl der WienerInnen nach Gebietstypen (in Prozentzahlen angegeben) beziehungsweise nach Bezirken zwischen 1993 und 2001

Quelle: Evalierung ‚des Masterplans Verkehr 2003’ der Stadt Wien (2008)

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 131

Die Wege zu einem umweltfreundlichen, weniger Pkw-abhängigen Stadt-Verkehr sind vielschichtig:

kürzere Wege zwischen den Stadtfunktionen (Arbeiten, Wohnen, Versor-

gen usw.), bessere Erschließung durch öffentliche Verkehrsmittel, bessere Verkehrskonditionen für RadfahrerInnen, kostenpflichtige Pkw-Parkplätze auf den Straßen, attraktive Wege für FußgeherInnen, Freizeitangebote und Umweltqualitäten in der Stadt Bewusstseinsbildung der StädterInnen für Verkehrsemissionen und dessen

Folgen.

Die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zeigen ein unterschiedliches Mobi-litätsverhalten. Der (Auto-)Mobilisierungsgrad spiegelt Wohnortauswahl und Fortbewegungsgewohnheiten der verschiedenen Gruppen wieder. Haushalte von jüngeren oder älteren BewohnerInnen und solche mit Migrationshintergrund, die häufiger in den zentralen gründerzeitlichen Gebieten wohnen, verfügen in der Regel über ein geringeres Einkommen und besitzen statistisch gesehen weniger Pkws pro Kopf.

Die Anschaffung eines eigenen Pkws sprengt in der Regel ihren finanziel-len Rahmen. Außerdem sind sie weniger auf den Pkw angewiesen, weil sie in den innerstädtischen Gebieten wohnen, die durch ein dichteres öffentliche Ver-kehrsnetz versorgt sind.

Diese sozialen Gruppen, deren Bevölkerungsanteil zusammengezählt überwiegt, existieren in einer synergetischen Beziehung mit der städtischen Infrastruktur und Nahversorgung – ihre Einkaufs- und Freizeitgewohnheiten ermöglichen ihnen ein Alltagsleben ohne Pkw-Abhängigkeit.

„2012 wurden 39 Prozent aller Wege in Wien mit den öffentlichen Verkehrsmit-

teln zurückgelegt. Das entspricht einem Plus von zwei Prozentpunkten innerhalb eines Jahres. Seit 2010 ist der Anteil der öffentlichen Verkehrsmittel sogar von 26 auf 39 Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum haben immer mehr Wiener ihr Auto stehen gelassen. 2010 wurden noch 31 Prozent der Wege in Wien per Auto zurück-gelegt, 2012 waren es nur noch 27 Prozent.“

„(...) Gleichzeitig ist der Anteil der Radfahrer deutlich gestiegen. 2010 wurden nur 4,6 Prozent aller Wege in Wien per Fahrrad zurückgelegt, 2012 waren es bereits 6,3 Prozent.“105

105 Verkehr: Wiener lassen ihr Auto öfter stehen. In: www.DiePresse.com (2013-01-22)

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 132

Abbildung: Ein Umfrageergebnis zur Verkehrsmittelwahl nach Alltagswegen der WienerInnen (in Prozentzahlen angegeben); 1995, 2003 und 2005

Quelle: J. Gielge, K. Czany: Sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung II In: Beiträge zur Stadtentwicklung der der Stadt Wien-MA18

Wachsender Stadtverkehr durch Tourismus Insbesondere nach der Öffnung der Ost- und Nordgrenzen in den 90er Jahren hat der Verkehr in Wien unter anderem auch wegen des Stadttourismus stark zugenommen. 2003 kamen von 3,3 Millionen TouristInnen rund 29 % mit dem eigenen Fahrzeug.106 Das ergibt rund 1.000.000 zusätzliche Pkws pro Jahr in der Stadt, die räumliche und zeitliche Spitzenwerte und zusätzliche Belastungen verursachen. Eine Besonderheit des Wiener Stadttourismus ist es, dass Wien für die umliegenden Regionen der Nachbarländer nicht nur ein Kulturzentrum, sondern auch ein Einzugsgebiet für den Einkaufsbummel geworden ist. Außer-dem brachte die Konkurrenz zwischen Wien und den Umlandgemeinden um Shoppingzentren, (wie Shopping City Süd als eines der größten Einkaufszentren in Europa) - neben der fortschreitenden Filialisierung der Handelsbetriebe - einen großen Druck, um neue Lösungen für den ruhenden Verkehr um die Ein-

106 www.wien.gv.at/stadtentwicklung/verkehrsmasterplan 2003 (Zugriff: 2007)

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 133

kaufsstraßen und innerstädtischen Shopping Malls zu finden, deren Standorte und Zahlen von Jahr zu Jahr wachsen. Auf der anderen Seite änderte das bekannte Phänomen ‚des Geschäfte-sterbens’ zunehmend die Gesichter der meisten traditionellen Geschäftsstraßen bezie-hungsweise Nebengeschäftsstraßen.

In den letzten Jahren wurde versucht, die Situation der großen Wiener Ein-kaufsstraßen für den Einkaufstourismus zu verbessern. Dazu gehörte der Bau von Volksgaragen unter anderem in der Nähe der Einkaufsstraßen. Hier stellte sich die Frage: Können die dicht bebauten Stadtgebiete den Verkehr des Ein-kaufstourismus aufnehmen? Oder sollte das Einkaufen in den innerstädtischen Stadtgebieten anders als in shopping malls und shopping strips aussehen?

Weltweit werden Programme entwickelt, um die Straßenräume attraktiver zu machen und den Verkehr zu beruhigen, um die städtischen Einkaufszonen lebendig zu halten. Dazu gehören kleine Geschäftseinheiten, die sich dem ver-kehrsberuhigten Straßenraum öffnen, sowie Räume zum Verweilen, zum Tref-fen und zum Flanieren.

Die jüngste Diskussion um die Verkehrsberuhigung der größten Einkaufs-straße Wiens, der Mariahilferstraße (die größte Einkaufsstraße Wiens) zeigt ein wachsendes Konfliktpotenzial zwischen den unterschiedlichen NutzerInnen. Die Mariahilferstraße steht vor allem wegen des starken Parkplatzbedarfs und zu-nehmender Verkehrsbelastung unter Druck, welcher vor allem durch Fahrzeuge der EinkaufstouristInnen aus den benachbarten Regionen des In- und Auslands ausgelöst wird. Die breiten Gehsteige reichten nicht mehr für die flanierenden Masse aus.

Die Mariahilferstraße, die zwischen den dichtbebauten und dichtbewohnten Wiener Gemeindebezirken (6. und 7. Bezirk) liegt und sich in einer Testphase befindet, wurde vor kurzem nur zum Teil den Autoverkehr gesperrt bezie-hungsweise wurden alle VerkehrsteilnehmerInnen (FußgeherInnen, Radfahre-rInnen und Kraftfahrzeuge) in einer ‚Begegnungszone’ streckenweise gleichbe-rechtigt. Eine Verkehrsberuhigung unter der Bezeichnung ‚Begegnungszone’ in einer höchst kommerziellen Zone wird möglicherweise eine Umsetzung von weiteren Begegnungszonen in den anderen Gebieten der Stadt, vor allem in den Wohngebieten, erschweren.

Die gezielten Maßnahmen der Straßenplanung Wiens richteten sich in den letzten Dekaden maßgeblich auf die Platzschaffung für den ruhenden Verkehr. Derzeit zeigt sich ein Umdenken in der Planungspolitik. Die Stadt Wien reagiert in den letzten Jahren verstärkt im Rahmen der Zielsetzungen der ‚strategischen Stadtentwicklungsplanung’ mit neuen Verkehrsmaßnahmen. Neben den Verlän-gerungen der bestehenden U-Bahnlinien, des Ausbaus der Fahrradnetzes und der Erweiterung der Parkraumbewirtschaftung, standen auch so genannte

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Volksgaragen eine Zeit lang im Mittelpunkt. Die folgenden Fragen werden zunehmend öfter gestellt: Wie lange wird es noch möglich sein, in den inner-städtischen Gebieten eine wachsende Zahl von Pkws unterzubringen? Wie lange kann die vorhandene auto-gerechte Entwicklung volkswirtschaftlich und um-welttechnisch noch vertretbar sein? Was kostet die Infrastruktur (wie Straßen, die Parkplätze, Parkgaragen, Verkehrsverwaltung, Sicherheitstechnik usw.) für verbreitete Pkw-Nutzung? Weltweit stellen sich immer mehr Städte zunehmend der Herausforderung, auf diese Fragen alternative Antworten zu finden.

Für Rad- und Fußverkehr könnte in jeder Stadt noch viel gemacht werden. Dafür wären mehrere (kleine) Maßnahmen zu untersuchen und umzusetzen. Sie kosten in der Regel wenig, können aber sehr wirksam sein. Wie schon vorher erwähnt, verursacht die Dezentralisierung des Stadtbudgets einen unterschiedli-chen Umgang mit diesen Verkehrsbereichen, insbesondere mit dem Radverkehr. Die Bezirkspolitik bestimmt, wo die Schwerpunkte liegen sollen.

So zeigt die Praxis bezirksweise unterschiedliche Qualität und Zielstrebig-keit bei der Umsetzung der Maßnahmen, die die Wiener Stadtplanung als Rah-men vorgibt.

Wachsender Parkplatzbedarf als Herausforderung

Die meisten Wiener Bürgerinitiativen der letzten Jahre sind wegen der unter den wenigen grünen/offenen Plätzen der Stadt geplanten Parkgaragen beziehungs-weise der so genannten ‚Volksgaragen’ entstanden.107 Luegerplatz, Bacherplatz, Rudolf von Alt-Platz sind einige der Tiefgaragenprojekte in Wien, die später nicht umgesetzt wurden. Die ursprünglichen Ziele der Volksgaragen wurden von der Stadt Wien im Jahr 1999 wie folgt beschrieben:

„Die ausgewählten Standorte müssen durch einen besonders hohen Stellplatz-

mangel für die Wohnbevölkerung, überlagert durch besondere Bedürfnisse für den Besuchs- und Kundenverkehr gekennzeichnet sein. Das Programm soll daher so-wohl der Aufwertung von Wohngebieten als auch der Attraktivierung von traditio-nellen Geschäftsstraßen dienen. Darüber hinaus soll es auch einen Lösungsansatz für punktuelle Schwierigkeiten bei besonderen touristischen Anziehungspunkten liefern. Park & Ride-Anlagen sind mit diesem Programm nicht erfasst.“108

107 wien.orf.at/stories/146955/ 108 Als Grundlage des Volksgaragenbaus in Wien war das ‚Wienweite Sonderprogramm zur

Garagenförderung’ aus dem Jahr 1999 anzusehen. Die jeweilige Förderung erfolgte in Form eines zinsenfreien Darlehens mit einer Laufzeit von maximal 40 Jahren und einem tilgungs-freien Zeitraum von fünf Jahren ab Inbetriebnahme der Garage, wobei die Förderhöhe je Stellplatz mit rd. 21.800.- EUR limitiert ist. Die Mittel dafür stammen aus der zweckgebunde-nen Parkometerabgabe. Im Juni 2005 waren zwölf Volksgaragen-Projekte fertig gestellt, sie-

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Im Jahr 2002 wurde eine zweite Fassung ausgearbeitet, in der die Kriterien zur Standortauswahl für die Volksgaragen genauer formuliert wurden. Danach sollte der öffentliche Straßenraum einen (mehr als 100 %) Stellplatzmangel aufwei-sen.

In diesem Zusammenhang wurde auf die Attraktivierung von traditionellen Geschäftsstraßen nicht mehr hingewiesen.109

Praxisbeispiele zu Verkehrsmaßnahmen in Deutschland In Deutschland ermöglichten die entsprechenden Änderungen in den Bau-ordnungen eine differenzierte Betrachtung des Stellplatzbedarfs und damit auto-freie Wohnprojekte, wie in dem folgenden Ausschnitt aus der Bauordnung des Landes Nordrhein-Westfalen:

„Die Gemeinde kann für abgegrenzte Teile des Gemeindegebietes oder bestimmte Fälle durch Satzung bestimmen, dass • notwendige Stellplätze oder Garagen sowie Abstellplätze für Fahrräder bei be-

stehenden baulichen Anlagen herzustellen sind, soweit die Sicherheit oder Ordnung des öffentlichen Verkehrs oder die Beseitigung städtebaulicher Miss-stände dies erfordert,

• die Herstellung von Stellplätzen oder Garagen untersagt oder eingeschränkt wird, soweit Gründe des Verkehrs, insbesondere die Erreichbarkeit mit öffent-lichen Verkehrsmitteln, städtebauliche Gründe oder der Schutz von Kindern dies rechtfertigen."110

Ein weiterer Teil der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen § 51 (9) zu Stellplätzen, Garagen, Abstellplätzen für Fahrräder, ermöglicht es gegebenen-falls, neue Dachgeschosswohnungen ohne Stellplatzpflicht zu bauen:

„Werden in einem Gebäude, das vor dem 1. Januar 1993 fertiggestellt war, Woh-nungen durch Ausbau des Dachgeschosses geschaffen, so brauchen notwendige Stellplätze und Garagen entsprechend Absatz 2 nicht hergestellt zu werden, soweit dies auf dem Grundstück nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten möglich ist.“111

ben verfügten über eine Darlehenszusage oder waren in Bau und neun weitere Projekte befan-den sich im Planungsstadium. Quelle: www.kontrollamt.wien.at/berichte/2005/lang/1-01-KA-I-K-17-4.pdf

109 www.kontrollamt.wien.at/berichte/2005/lang/1-01-KA-I-K-17-4.pdf 110 Bauordnung Nordrhein-Westfalen (BauO NW) vom 1.3.2000 in § 51 (4) (Zugriff:2013-12-26) 111 ebenda

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Eine Sammlung rechtlicher Regelungen zur autofreien Stadtplanung in deut-schen Städten wie die öffentlich-rechtliche sowie privat-rechtliche Sicherung durch Bebauungspläne, Vertragsgestaltung und Verzichtserklärung wurde auf der Homepage von „Wohnen plus Mobilität“ (ein Informationsnetzwerk in Nordrhein Westfalen) veröffentlicht. 112

In Münster wurde für die Gartensiedlung Weißenburg extra eine Schieds-stelle eingerichtet, mit Vertretern aus der Bewohnerschaft und dem Wohnungs-unternehmen, um die Ausnahmeregelungen (beruflich) und Härtefälle (gesund-heitlich) für einen dauerhaften oder zeitlich begrenzten Autobesitz zu überprü-fen. Erst wenn hier keine Lösungen gefunden werden, erfolgt eine gerichtliche Durchsetzung.113

Am Beispiel München-Riem in Bayern waren Gründe und planerische Vorgaben für ein autofreies Wohnprojekt beziehungsweise für eine autoredu-zierte Stadt unter anderem:114

Schaffung einer herausragenden Wohnqualität, Stärkung der Aufenthaltsfunktion des Straßenraumes, Verhinderung von messebedingtem Fremdverkehr, Reduzierung der durch die öffentliche Erschließung und durch Parkie-

rungsanlagen versiegelten Flächen, Transparenz und Trennung der Finanzierung von Wohnungs- und Stell-

platzbau, Minderung des motorisierten Individualverkehrs und der damit verbunde-

nen negativen Auswirkung (Lärm, Abgase), Erhöhung der Verkehrssicherheit (insbesondere für Fußgänger und Radfah-

rer) und Verkehrssicherheit für Kinder.

Die Sicherung der Autofreiheit durch soziale Kontrolle wurde als entscheidend für das dauerhafte Gelingen autofreier Wohnformen angesehen.

Durch ein nachbarschaftliches Miteinander regeln die Bewohner nötige Abweichungen von den Vereinbarungen untereinander.

Ab dem Anfang der 90er Jahren entstanden eine Reihe autofreier Projekte, die bis 2000 umgesetzt worden sind. Die so genannten ‚autofreien Siedlungen’ wie Amsterdam-GWL-terrein, Wien-Floridsdorf, Freiburg-Vauban, Hamburg-Barmbek, Saarlandstraße, Nürnberg-Langwasser und Münster-Gartensiedlung Weißenburg entstanden als Mustersiedlungen in unterschiedlichen Städten und Regionen Europas. 112 www.mobilitaetsmanagement.nrw.de (Zugriff: 2013-12-26) 113 www.wohnen-plus-mobilitaet.new.de (Zugriff: 2006) 114 www.wohnen-ohne-auto.de (Zugriff: 2013-12-26)

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Praxisbeispiele zu Verkehrsmaßnahmen in der Schweiz Die Schweizer Praxis zur Verkehrsplanung weist eine Reihe verkehrs-beruhigender Maßnahmen auf. Sie sind zwar auf unterschiedlichen Ebenen umgesetzt, wirken aber komplementär zu Gunsten der BewohnerInnen, die - ohne Pkw - die öffentlichen Räume der Stadt nutzen.

Eine Neubestimmung der Prioritäten für die einzelnen Verkehrsteilnehme-rInnen wurde als Basisstrategie festgelegt. FußgeherInnen und Radfahrende, Motorräder und Taxis werden neben dem Straßenbahn-Netz bevorzugt behan-delt. Der Pendlerverkehr wird so stark wie möglich reduziert.115 Die innenstädti-schen Gebiete bleiben somit leicht und sicherer mit dem Fahrrad befahrbar. Die sogenannten Begegnungszonen in der Schweiz funktionieren auch dadurch ohne Reibungen, dass die Flächenkonkurrenz zwischen den VerkehrsteilnehmerInnen abgeschwächt wird.

Basel, die Stadt mit einem drei Länder übergreifenden Einzugsgebiet hat einige beispielhafte Strategien zum Stadtverkehr entwickelt. Diese sind stufen-weise realisierbar, meist kleine Eingriffe in die Gestaltung, Piktographie und Vernetzung. Hier eine Übersicht über einige der verkehrsberuhigenden Maß-nahmen der Stadt Basel zu Gunsten der FußgeherInnen und RadfahrerInnen:

Kombitickets für Parkhaus und Tram sind in den Parkhäusern und an den

Bahnhöfen im Stadtzentrum zu kaufen. So wird mit einem Ticket das Par-ken in der Parkgarage und das Fahren mit der Straßenbahn möglich.

Tempo-30-Zonen in Wohnquartieren (Wohnzonen) sind bereits in fast allen Wohnquartieren umgesetzt.

Fußgängerzonen, die in weiten Teilen der Innenstadt Basels bestehen, sind nachmittags vorwiegend dem Fußverkehr und teilweise auch dem Fahrrad-verkehr vorbehalten. Sie sind unter bestimmten Voraussetzungen für den Radverkehr offen.

Fuß- und Wanderwege ermöglichen dem Fußverkehr in der Stadt und auf dem Land ein attraktives, sicheres Vorwärtskommen. Es existieren speziell signalisierte touristische und historische Rundgänge.116

Begegnungszonen (ähnlich wie sogenannte ‚Wohnstraßen’ und ‚Spielstra-ßen’) wurden häufig auf Nebenstraßen bzw. den kurzen Straßen zwischen

115 Beispielsweise werden dort die GrenzgängerInnen (zwischen Deutschland und der Schweiz)

sogar mit kostenlosen Sammeltaxis von der nah liegenden Straßenbahnstation bis zur Grenze (gelegentlich bis zum Haustor in Deutschland) transportiert, um den Individualverkehr nicht ins Land zu lassen, nicht nur weil die volkswirtschaftlichen Kosten des Pendlerverkehrs höher liegen als diese Art von Service-Leistung des Sammeltransportes.

116 www.bs.ch/verkehr.htm (Zugriff: 2007)

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Wohnblöcken eingerichtet. Für die Errichtung von Begegnungszonen muss eine Mehrheit der AnrainerInnen und LiegenschaftseigentümerInnen damit einverstanden sein. Die Standorte der Begegnungszonen werden zusammen mit lokalen Bürgerinitiativen festgelegt. In der Begegnungszone wird den FußgeherInnen die Verkehrsfläche für Spiel und Sport, zum Einkaufen und Flanieren oder als Begegnungsstätte zur Verfügung gestellt.117

Was unterscheidet die Begegnungszone von der Wohnstrasse? Die Begegnungszone ist ein Schweizer Model zur Verkehrsberuhigung. Die FußgeherInnen haben Vorrang vor anderen VerkehrsteilnehmerInen. Das Pla-nungsamt der Stadt Basel definiert Begegnungszonen folgender Weise: „Begeg-nungszonen ermöglichen eine vielseitige Nutzung des Straßenraums und erhö-hen damit die Attraktivität und Wohnqualität des Stadtgebiets. Das Projekt der Begegnungszonen wird zeitlich unbeschränkt bearbeitet. Neue Anträge werden laufend entgegen genommen, geprüft und bearbeitet.“118 In einer Begegnungszone herrschen folgende Regeln:

Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 20 km/h, Hier haben FußgeherInnen gegenüber dem Fahrzeugverkehr Vortritt, FußgeherInnen können jederzeit und überall die Fahrbahn queren, dürfen

jedoch die Fahrzeuge nicht unnötig behindern, Das Parkieren ist nur an den durch Signale oder Markierungen gekenn-

zeichneten Stellen erlaubt. Nach eigenen Angaben der Verkehrsplanungsbehörden in Basel ist eine Straße dann als Begegnungszone geeignet:

wenn sie über wenig Verkehr verfügt, keinen nennenswerten Durchgangsverkehr und keinen Öffentlichen Ver-

kehr enthält und in der Tempo 30 Zone liegt, das Wohnumfeld eher dicht bebaut ist und eine Anwohnerschaft hat, die

sich gerne draußen, vor der Haustüre aufhält.119

117 ‚Praxisbeispiel: Zonen mit Tempobeschränkung’, Mobilservice Plattform für zukunfts-

orientierte Mobilität (2004/2006) 118 www.planungsamt.bs.ch/projekte/laufende-projekte/projekt-727.htm (Zugriff: 2013-12-09) 119 Verkehr in Basel Nord: Stadtentwicklung Basel Nord, Baudepartment des Kantons Basel-

Stadt (2007)

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Der Unterschied zu den österreichischen Wohnstraßen ist, dass in der Begeg-nungszone Fahrzeuge nicht verboten sind, sondern im Schritttempo fahren dür-fen.120

Diese Art der Regulierung ermöglichte eine breitere Durchsetzbarkeit, weil dadurch alle NutzerInnen der Straße eine adäquate Bewegungsmöglichkeit be-kommen. Eine Wohnstraße in Österreich gemäß § 76b der StVO sieht Folgen-des vor:

„In Wohnstraßen ist der Fahrzeugverkehr verboten, jedoch mit folgenden Ausnah-men:

- Fahrradverkehr (darf in Wohnstraßen auch gegen die Einbahn fahren), - Fahrzeuge des Straßendienstes und der Müllabfuhr, - Befahren zum Zwecke des Zu- und Abfahrens.

In Wohnstraßen ist das Betreten der Fahrbahn und das Spielen gestattet. Der erlaub-te Fahrzeugverkehr darf aber nicht mutwillig behindert werden.

Lenkerinnen und Lenker von Fahrzeugen dürfen in Wohnstraßen Fuß-gängerinnen und Fußgänger beziehungsweise Radfahrerinnen und Radfahrer nicht behindern oder gefährden. Sie dürfen nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren. In Wohnstraßen darf nur an den dafür gekennzeichneten (abmarkierten) Stellen ge-parkt werden.“121

Allerdings sind die Wohnstraßen in der Regel nicht für das Spielen geeignet. Die Gestaltungsmerkmale der Wohnstraßen signalisieren in vielen Fällen eine eindeutige Zugehörigkeit zum motorisierten Verkehr.

Wenn die Oberflächen und die Materialsprache sich nicht von den restli-chen Straßenräumen unterscheiden, so haben die FußgeherInnen zwar wesentli-che Bewegungsfreiheiten, sie verfügen aber noch nicht über die öffentlichen Räume, um sich dort aufzuhalten. Die Entwicklungsmöglichkeiten der Erdge-schosszone bleiben angesichts der dicht parkenden Pkw-Reihen auch in solchen Wohnstraßen gering.

Die Gesamtlänge der Wohnstraßen in Wien betrug im Jahr 1983 nur 630 Meter. Bis zum Jahr 2006 stieg die Gesamtlänge der Wiener Wohnstraßen auf 30.000m. Die größte Gesamtlänge an Wohnstraßen haben der 11. und 12. Wie-ner Gemeindebezirk.122 120 In einer Wiener ‚Wohnstraße’ darf nur in Schrittgeschwindigkeit gefahren werden. Kinder

dürfen auf der Fahrbahn spielen. Um das Geschwindigkeitsniveau zu verringern, werden bau-liche Maßnahmen, wie Fahrgassenversätze, und Fahrbahnanhebungen geschaffen. Außerdem wird die Straße durch Begrünung gestaltet und dadurch aufgewertet. www.wien.gv.at/verkehr/verkehrssicherheit/wohnstrassen.html (Zugriff: 2013-12-10)

121 www.wien.gv.at/verkehr/sicherheit/wstr.htm#gesetz1 (Zugriff 2007) 122 www.wien.gv.at/verkehr/sicherheit

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Abbildung: Begegnungszone als Spielstraße mit markiertem Eingang

Quelle: Stadt Basel (oben)

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Abbildung: FußgeherInnen freundliche Straßengestaltung: Parkende Autos in der Straßenmitte bilden keine Barriere für Gehsteigbereich

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Abbildung: Begegnungszone um Bahnhof Horgen: Neugestaltung für gleichberechtigte Nutzung der Straße

Quelle: Fußverkehr Schweiz - Begegnungszonen Abbildung: Eine Spielstraße: Die Erlafstraße im Wiener Stuwerviertel:

Spielen gestattet?

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Internationale Ausweitung der Begegnungszonen Die Erfahrungen ab 2002 in der Schweiz zeigen, dass Begegnungszonen in vielen innerstädtischen Stadtgebieten gut umsetzbar sind. Ein Stadtspaziergang in innerstädtischen Wohngebieten in Basel führt über zahlreiche Begegnungs-zonen. Nach den positiven Ergebnissen haben auch andere Länder wie Belgien und Frankreich Begegnungszonen in ihr Straßenverkehrsrecht übernommen. (zones de rencontre)

In Österreich wurde am 31. Januar 2013 vom Nationalrat eine Novelle der Straßenverkehrsordnung beschlossen, welche die Schaffung von Begegnungs-zonen ermöglicht.

Die oben behandelten Maßnahmen aus der Schweiz zur Verbesserung des Fußverkehrs zeigen uns, dass nur allgemein gehaltene Zielsetzungen einer Stadtverwaltung nicht ausreichen, sondern (mehrere) neue Wege untersucht und in die Praxis umgesetzt werden müssen.

Die dafür notwendigen Forschungen und Entwicklungen für kleinteilige - viertel- bzw. blockbezogene - Maßnahmen können konkrete und maßgeschnei-derte Lösungsansätze ermöglichen. Es sollten auch Maßnahmen untersucht werden, die ohne viel Kosten Verbesserungen erzielen können. Außerdem müs-sen die Beteiligten der Planungsprozesse an der rechtlichen Absicherung für die Umsetzung dieser Maßnahmen aktiv mitwirken.

Ein transnationales EU-Projekt: Shared Space Ein EU-Forschungsprojekt zum Verkehr ist hier unbedingt zu erwähnen, weil es sich auch mit der Gleichberechtigung der NutzerInnen des öffentlichen Raumes beschäftigt: Shared Space, der so genannte gemeinsam genutzte Raum, zeigt neue Wege in der Raumplanungspolitik, die bis heute weitgehend von verkehrs-freundlichen Prioritäten beeinflusst war und ist.123

Shared space setzt auf Integration aller VerkehrsteilnehmerInnen und ande-rer NutzerInnen und Nutzungen.

Die knappen öffentlichen Räume der Städte sollen nicht nur dem Verkehrs-fluss dienen, sondern auch dem Verweilen. Verbleib und Verkehr, zwei wider-sprüchliche Ansprüche an Straßenräume, die hauptsächlichen öffentlichen Räume der Stadt bilden.

Die Lebensqualität der Menschen soll erhöht werden, ohne den motorisier-ten Verkehr zu vertreiben. Das Projekt lief bis 2008 an Hand von sieben Expe-

123 www.shared-space.org

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rimenten die von Expertenteams betreut wurden. Die Ergebnisse des Projektes sollten neue Wege öffnen. Im Rahmen dieses Projektes wird versucht den inner-städtischen Verkehr mit neuen Methoden menschenfreundlich zu regeln. Der Mensch-zu-Fuß soll wieder als gleichberechtigt Teilhabender in den öffentli-chen Räumen der Stadt existieren können.124

Dieses Konzept, das vom Verkehrswissenschaftler Hans Monderman ent-wickelt wurde, wurde bereits in einigen Ländern Europas (u.a. in Belgien, den Niederlanden und England) umgesetzt und erforscht.

Die Prinzipien der Weggestaltung beruhen nach einer anfänglichen Ent-scheidung über die Nutzungspriorität (Menschen- oder Verkehrsraum) auf partzipativem Entwerfen mit der Bevölkerung in Zusammenarbeit aller Diszip-linen und Behörden. Abbildung: Shared space ‚Exhibition Road’ in London; ‚Der öffentliche

Raum ist nicht mehr die Domäne der Verkehrsplanung.’

124 www.shared-space.org

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Abbildung: Anrainerstraßen in der Londoner Innenstadt als Spielstraßen

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Verkehrsituation im Stuwerviertel in Wien Das Stuwerviertel im 2. Wiener Bezirk liegt in der Nähe einer der stärksten Verkehrsadern Wiens, der Lasallestraße. 30.000 bis 60.000 Pkws durchfahren diese an Werktagen und produzieren eine Lärmemission von 70-75 dB unter-tags.125 Das Gebiet liegt zwischen mehreren Entwicklungsgebieten der Stadt. Unter anderem die neue Wohnbebauung am ehemaligem Nordbahnhofgelände, das Entwicklungsgebiet Prater-Krieau inklusive Messegeländer und der neu geöffnete Campus der Wirtschaftsuniversität, der neue Bahnhof Praterstern und die Bauten der 80er beziehungsweise 90er Jahren an der Lassallestraße. Das Donauufer liegt auch unweit des Stuwerviertels. Die Verlängerung der U2 er-schloss das Viertel, welches ohnehin durch die U-Bahnlinie U1 von Norden gut erschlossen ist, auch von der südlichen Seite. Der neue Nordbahnhof als Ver-kehrsknotenpunkt zwischen städtischem U-Bahn- und regionalem Schnellbahn-Netz ist ein wichtiger Knotenpunkt. Straßenparken im Gebiet ist für ‚Nicht-AnrainerInnen’ bis 22.00h nur kurzfristig und gegen Bezahlung möglich.

Im Süden liegt zwischen dem Wurstelprater und dem Stuwerviertel die Ausstellungsstraße, die mit Vorgärten im gesamten Straßenzug eine lockere Bebauungsstruktur aufweist. Die Vorgartenstraße liegt im Nordosten des Vier-tels zwischen dem Neuentwicklungsgebiet Wilhelm Kaserne und dem Stuwer-viertel. Dieser Straßenzug ist von grünen Vorgärten geprägt, dient aber auch dem Durchzugsverkehr. Der angrenzende Wurstelprater ist ein Vergnügungs-park, aufgesucht sowohl von inländischen als auch von ausländischen Besuche-rInnen.

Straßenstruktur eines gründerzeitlichen Viertels Obwohl in Wien die gründerzeitlichen Straßen meistens nur 15,17 Meter breit sind, verfügt das Stuwerviertel fast durchgehend über Allee-Straßen, die 18,96 Meter breit sind. 126,127, 128 Ein einfacher Vergleich der Proportionen der Straßen und Höfe der historischen Bebauung in Wien mit anderen vergleichbaren Stadt-strukturen wie Berlin oder Leipzig zeigt Wiens wesentlich dichtere Bebauung deutlich auf. 125 Straßenlärmimmissionskataster (SLIM) der Stadt Wien (2007) 126 Gespräch mit der MA 21, Stadtteilplanung und Flächenwidmung Wien:„Gründerzeitstraßen

haben geregelte und normierte Breiten“ (2007) 127 Mit Ausnahme der Schöngasse und der nördlichen Teile der Wohlmutstraße und der

Jungstraße, die den Baublock des Bundesgymnasiums und Kindestagesheimes umgeben. 128 In der Zeit der Errichtung der Gründerzeitbauten wurde das Klafter als Maßeinheit verwendet:

Ein Klafter betrug 1,8965 Meter.

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Abbildung: Das Stuwerviertel als Insel zwischen Donau, Prater, Praterstern und Lasallestraße

Quelle: Stadt Wien Abbildung: Luftbild des Stuwerviertels

Quelle: www.wien.gv.at/stadtplan

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‚Fremdverkehr’ aus den angrenzenden Nachbarschaften des Stuwerviertels Neben den umfassenden Verkehrslösungen für das gesamte Stadtgebiet, muss es auch Planungslösungen für Mikro-Verkehr-Strukturen geben, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse einzelner Grätzel zugeschnitten sind. Jedes Vier-tel soll als in sich abgeschlossener Baustein der Stadt funktionieren und ver-kehrstechnisch sich selbst versorgen. Das Viertel, als Teil eines Patchworks, soll möglichst minimale zusätzliche Belastungen aus angrenzenden Gebieten, wie Fremdparken, Suchverkehr oder Einkaufsverkehr aufnehmen.

Das Pilotgebiet dieser Studie, das Stuwerviertel, ist von nächtlichen Park-platzsuchenden betroffen, weil der Vergnügungsprater in unmittelbarer Nähe liegt. Das Gebiet ist – neuerdings reduzierter Weise - auch vom Suchverkehr wegen der illegalen Prostitution und nur zum Teil von Pkw-fahrenden Einkäufe-rInnen (nur samstagvormittags) belastet.129

Trotzdem gibt es um den grünen Max-Winter-Platz und in einigen Gassen wie der Stuwerstraße regelmäßig freie Parkplätze.130 Der Suchverkehr war nach der Einführung der Parkraumbewirtschaftung und der damit verbundenen Kurz-parkzone nur mehr nach 22.00 Uhr bemerkbar, weil danach das Parken kosten-los ist. Der Leerstand von Parkplätzen nimmt in den Sommermonaten stark zu, weil die im die Viertel liegende Fachhochschule geschlossen ist.131

Die Betonbarrieren des Stuwerviertels, die Straßensperren, die gegen das Im-Kreis-Fahren des Prostitutionsverkehrs der Freier aufgestellt sind, sehen zwar nicht gut aus, sie bilden jedoch ein Sackgassensystem ähnlich wie in den verkehrsberuhigten Siedlungsmodellen. Grundsätzlich fahren nur die Anraine-rInnen in das Sackgassennetz des Stuwerviertels um ihre Wohn- oder Arbeitsor-te zu erreichen, weil sie den Weg genau kennen. Durch das Gebiet Stuwerviertel durchzufahren, ist nicht einfach und zeitaufwendig. So meiden die Autofahre-rInnen das Gebiet, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Dadurch entfällt automatisch ein Großteil des Suchverkehrs. Das Stuwerviertel verfügt über ruhige und breite Allee-Straßen, die fast durchgehend asphaltiert sind. Weil der Verkehr nur in eine Richtung fließt, bleiben genügend Freiflächen für eine Neu-gestaltung der Straßenräume. Obwohl die Straßen zum Teil als Spiel-/Wohnstraßen bezeichnet sind, gibt es unter heutigen Bedingungen keine spielenden Kinder oder verweilenden Menschen auf der Straße, weil die Gestal-tungsmerkmale eindeutig dem motorisierten Verkehr zugeordnet werden.

129 Quelle: Gespräch mit Bezirksvorsteher des zweiten Bezirks G. Kubik (2006) 130 Quelle: Eigene Zählungen zu unterschiedlichen Jahres- und Tageszeiten im Stuwerviertel

(2006-2007) 131 Quelle: Gespräche mit AnrainerInnen bzw. eigene Zählungen des Leerstandes von

Straßenparkplätzen (2006-2007)

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Abbildung: Parkplatzbelegung im Stuwerviertel: Zahlreiche frei verfügbare Straßenparkplätze bis 22.00h

Abbildung: Straßenbarrieren im Stuwerviertel verhindern den

Durchzugsverkehr und halten den Suchverkehr fern

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Die angrenzenden Wohnungsbauprojekte wie die ‚Wilhelm-Kaserne’, ein über 28.000 Quadratmeter großes Areal entlang der Vorgartenstraße, haben im Vier-tel keinen zusätzlichen Verkehr verursacht. Außerdem wurde im Zuge der Neu-bautätigkeit eine große Zahl von Garagen-Parkplätzen neu errichtet. Diese öf-fentlich geförderten Garagenplätze werden in der Regel nicht ausgelastet, solang ausreichende Parkmöglichkeiten auf den Straßen vorhanden sind.

So wie schon erwähnt, ist nach der Einführung der Parkraumbewirtschaf-tung das Garagenparken seltener geworden. Nach der anfänglichen Befreiung der Straßen von Pkws nahm das Straßenparken wieder zu, weil die Pkw-BesitzerInnen nicht mehr gezwungen sind, für einen Garagenparkplatz mehr zu zahlen. Sie finden in ihrer Wohnumgebung wesentlich schneller einen Straßen-parkplatz als vorher.

Die Praxisbeispiele in vergleichbaren europäischen Städten zeigen eine ähnliche Verhaltensweise der AutobesitzerInnen. Statistisch gesehen fallen die Zahlen des Suchverkehrs im Allgemeinen sehr hoch aus. Beispielweise fuhren in Graz vor ein paar Jahren noch täglich rund 52.000 Menschen mit rund 40.000 Autos zu ihren Arbeitsplätzen. Allein bei der Parkplatzsuche in der Stadt wer-den geschätzter Weise täglich 150.000 km zurückgelegt.132

Eine allgemeine Verbesserung wäre es, wenn das Parken auf der Straße an-nähernd so teuer wäre, wie ein Parkplatz in der Garage. Dieses Modell wird in manchen Städten Europas besonders wirksam hinsichtlich des Parkverhaltens der StadttouristInnen und PendlerInnen praktiziert.

Mini-Garagen im Erdgeschoss In Wien vermehrt sich in den gründerzeitlichen Häusern die Zahl der Mini-garagen, die meistens im Zuge eines Dachgeschossausbaus ins Erdgeschoss eingebaut werden. Leer stehende Geschäftslokale werden zu Mini-Garagen umgebaut, in denen nicht selten nur zwei oder drei Fahrzeuge untergebracht werden. Nach den Erfahrungen der Baubehörde gehen sich jedoch in der Reali-tät weniger Parkplätze aus als geplant, weil die Pkws zunehmend größer werden und nicht mehr den bisherigen Normgrößen und Platzanforderungen entspre-chen. In Österreich nahmen in den letzten Jahren die Größen und Höhen der Pkws stark zu.

Die Errichtung von Erdgeschossgaragen in gründerzeitlicher Bebauung hängt sehr stark mit dem Verwertungspotenzial der Dachgeschosswohnungen am Immobilienmarkt zusammen. Die sogenannten ‚Luxus Wohnungen’ über

132 BürgerInnenservice Graz: www.graz.at/cms/beitrag/10024994/439779 (Zugriff: 2007)

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den Dächern Wiens werden zu weit über dem Marktdurchschnitt liegenden Miet- und Verkaufspreisen angeboten. Es wird argumentiert, dass ‚die teuren Dachgeschosswohnungen’ ohne Garagenplätze, die sich unmittelbar im Haus befinden, nicht vermarktbar wären. Auf der anderen Seite schätzt ein Bauträger, der mehrere Dachgeschossausbauten im Zuge von Haussanierungen vermarktet hat, den derzeitigen Anteil der Nachfrage an Dachgeschosswohnungen mit kombinierten Garagenplätzen auf 25%. Der Immobilienmarkt reagiert auch in diesem Bereich mit kurzfristigen Interessen. Der Marktwert der Dachgeschos-simmobilien durch die damit kombinierten Garagen im Erdgeschoss steigt. Die neuen BewohnerInnen des Dachgeschosses bekommen mitten in der Stadt, Vorteile eines Gartenhauses im Grünen. Aber was passiert auf dem Straßenni-veau, wenn die Fassaden ganzer Straßenzüge nach und nach aneinander gereihte Garagentore bekommen?

Paradoxerweise gehört das Umfeld von Wohnungen oder Büros zu einem der wichtigsten Standortauswahlkriterien in der Immobilienentwicklung. Eine gute Lage hängt eng zusammen mit folgenden Kriterien: dem Erscheinungsbild der Umgebung, der Versorgungsqualität, guter Erschließung durch öffentliche Verkehrsmittel und der Qualität der angrenzenden Freiräume.

Abbildung: Garagentore in der Stuwerstraße mit zugemauerten Fenstern bei

Haussanierung

Die Mini-Garagen schaffen einerseits kurzfristig bessere Verwertungs-möglichkeiten der Immobilien, andererseits aber verlieren diese durch den in ihrer voranschreitenden Vermehrung ausgelösten Verödungseffekt an Wert. Sie beeinflussen das gesamte Erscheinungsbild der Umgebung. In den gewachsenen

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 152

Stadtgebieten tragen jedoch die Beschaffenheit der Straßenräume und der Erd-geschossfassaden zur Qualität des Umfeldes Grundlegendes bei.

Zudem bietet eine bewilligte Garage im Erdgeschoss ein starkes Argument für andere in den Nachbarhäusern. Manche BezirkspolitikerInnen sahen die Ausweitung des Straßenparkens in den Erdgeschoßen als eine positive Entwick-lung und forden sie ihre Errichtung. Um diese Entwicklung entgegen zu wirken wird derzeit eine Novellierung der Bauordnung erwartet.133

Die vorhandenen Förderungen tragen bei der Errichtung von Dachge-schosswohnungen Erhebliches dazu bei, weil der Garagenbau in den Erdge-schoßen im Rahmen der Gebäudesanierungsförderung mitgefördert wird. In der gültigen Wiener Verordnung "Förderung zur Sanierung von Wohnungen“ kön-nen bei der Errichtung von Stellplätzen im Rahmen der Sockel- beziehungswei-se Totalsanierung einmalige nichtrückzahlbare Zuschüsse bis zu 50% der Er-richtungskosten (höchstens 6.000 Euro/Stellplatz) gewährt werden. 134 Erdgeschossgaragen aus Investorensicht In finanzieller Hinsicht haben die Mini-Garagen in den historischen, dicht be-bauten Stadtteilen gegenüber anderen Erdgeschossnutzungen einige wesentliche Vermarktungsvorteile: Sie sind leichter zu vermieten als andere Nutzungen wie Büros, Geschäfte

oder Wohnungen, Sie bekommen zum Teil öffentliche Förderungen zur ihrer Schaffung,

133 Quelle: Gespräche mit der Baupolizei, MA 37 (Dezember 2013) 134 Förderung von Maßnahmen zur städtebaulichen Strukturverbesserung:

§ 14. (1) Für Maßnahmen städtebaulicher Strukturverbesserung, einschließlich von Infrastruk-turmaßnahmen im Zusammenhang mit Blocksanierungen (§ 36 Z 3 WWFSG 1989), können unabhängig von § 3 einmalige nichtrückzahlbare Beiträge bis zu 100 vH der nachgewiesenen Kosten gewährt werden. (2) Zu den nachgewiesenen und notwendigen Kosten, welche auf Grund des Sanierungskon-zeptes für den Abbruch von Baulichkeiten und baulichen Anlagen aufgewendet wurden, kön-nen einmalige nichtrückzahlbare Zuschüsse oder nichtrückzahlbare Beiträge bis zu 100 vH gewährt werden. (3) Für die Schaffung von Stellplätzen im Rahmen der Sockel- bzw. Totalsanierung (§ 34 Abs. 1 Z 5 und 6 WWFSG 1989) sowie im Rahmen des Dachgeschossausbaus und Zubaus in Verbindung mit einer umfassenden thermisch-energetischen Sanierung können unabhängig von § 3 einmalige nichtrückzahlbare Zuschüsse bis zu 50 vH der nachgewiesenen Errich-tungskosten, höchstens jedoch 6 000 Euro je Stellplatz, gewährt werden. Quelle: Verordnung der Wiener Landesregierung über die Gewährung von Förderungen im Rahmen des II. Hauptstückes des Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsge-setzes (Sanierungsverordnung 2008)

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 153

Sie erhöhen den Verwertungswert der Dachgeschossimmobilien, die ver-mietet oder verkauft werden,

Ihre bauliche Ausstattung ist in der Regel weniger kostenaufwendig als andere Nutzungen wie Wohnen oder Büros,

Durch eine Bereitstellung der Pflichtstellplätze für Pkws im Haus müssen keine Ausgleichsabgaben (in der Regel ca. 8.700 Euro je Stellplatz) bezahlt werden, die bei Nicht-Erfüllung fällig wären.135 Wie schon erwähnt, wird derzeit eine Novellierung der Wiener Bauordnung überlegt.

Negative Auswirkungen von Erdgeschossgaragen Obwohl die (kurzfristigen) Vermarktungsinteressen in Immobilienbranche für die Schaffung von Erdgeschossgaragen sprechen, sieht die Situation für Haus-bewohnerInnen, PassantInnen und für die gesamte Nachbarschaft anders aus.

Wie schon mehrmals betont, bleiben die Erdgeschossgaragen meistens nicht Einzelfälle. Sie vermehren sich in gesamten Straßenzügen sowie in an-grenzenden Verkehrsachsen immer weiter. Sie ändern die Gesichter der Häuser auf der Straßenebene, die das eigentliche Erscheinungsbild und die Interakti-onsebene der Stadtstruktur ausmachen.

Die Beschaffenheit der Erdgeschosszone, ihr Offenheitsgrad und ihre Kommunikationsbereitschaft bestimmen im Wesentlichen das Lebensgefühl und die Lebensqualität einer Nachbarschaft.

Ihre Belebtheit beeinflusst das Sicherheitsgefühl der BewohnerInnen im Viertel. Ihre Gestaltungsqualität motiviert die Zu-Fußgehenden, längere Stre-cken zurück zulegen. Damit wird das Ausmaß des Pkw-Verkehrs reduziert, weil sich die Gehdistanzen relativieren, wenn die Gehwege positiv empfunden wer-den. Ihre besonderen Eigenschaften, die zum Verweilen einladen, stiften stärke-re Identitätsgefühle und eine Verbundenheit mit der Nachbarschaft sowie eine Bereitschaft zur aktiven Teilhabe am Stadtgeschehen. Die Beteiligung wird heute mehr denn je als Voraussetzung für eine nachhaltige und demokratische Stadtentwicklung gesehen. Die Garagen verursachen die folgenden negativen Entwicklungen im Erdge-schoss: Verödung durch Vermehrung von Garagentoren an den Fassaden in gesam-

ten Straßenzügen

135 § 42 + § 36a des Wiener Garagengesetzes

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 154

Verminderung des Sicherheitsgefühls auf der Straße durch blinde Öffnun-gen und zugemauerte Fenster; weniger Sichtkontakt zwischen den Erdge-schossnutzerInnen und PassantInnen

Verlorene Flächen durch ungeeigneten Zuschnitt der bestehenden Raum-strukturen für Pkw-Abstellplätze, insbesondere auch wegen der zunehmen-den Autogrößen136

Verlust der Attraktivität der Umgebung Verlust der traditionsbezogenen Identität der Häuser und in der Folge der

Viertel Unterbrechung des Fußverkehrs durch Ein- und Ausfahrten Sicherheitsprobleme wegen der ausfahrenden Autos für die PassantInnen:

Unfallgefahr Störung des Straßenverkehrs bei den Stapelparkanlagen mit straßenseitigen

Einfahrten wegen der Verweilzeit der einparkenden Autos137 Eroberung der Erdgeschossflächen durch den Verkehr, der schon nach der

Massen-Industrialisierung die Straßenräume zunehmend stärker in An-spruch nahm und der sich jetzt auch noch in den Sockelgeschossen von Häusern sowie unter den offenen Flächen wie Höfen und Grünflächen un-serer Städte verbreitet

voranschreitender Verdrängungsprozess für schwach gewordene Nutzun-gen, die für eine funktionierende Nahversorgung lebenswichtig sind und die zur Reduktion der Verkehrswege dienen (wie Kleinhandel und Hand-werk) aus den Erdgeschossräumen und aus der dicht bebauten Stadt

Auswirkung der Möglichkeit des Garageneinbaus in die gründerzeitlichen Häuser, auf die Mietpreiserhöhung, weil die VermieterInnen nicht nur auf die herkömmlichen Gewerbetreibenden als potenzielle MieterInnen ange-wiesen sind.

Rechtlicher Rahmen von Erdgeschossgaragen Das baupolizeiliche Bewilligungsverfahren kann je nach Nutzungsart (Wid-mung) beziehungsweise Bebauungsbestimmungen sowie Lage und Art der Stellplätze (Pflichtstellplätze oder freiwillig geschaffene Stellplätze) unter-schiedlich (lang) laufen.

Wenn im Zuge des Garageneinbaues nur Pflichtstellplätze für Pkws (ge-mäss § 48 - Stellplatzregulativ des Wiener Garagengesetzes) geschaffen werden (also keine ‚freiwilligen’ Stellplätze), können sogenannte ‚subjektiv-öffentliche 136 Quelle: Praxiserfahrung der Wiener Baupolizei, MA 37 137 Merkblatt ‚Anforderungen an die Planung’, Wohnfonds Wien (2006)

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 155

Nachbarrechte’ von EigentümerInnen benachbarter Liegenschaften hinsichtlich einer Beeinträchtigung durch Emmissionen durch die Stellplätze nicht geltend gemacht werden (§ 134a Abs. 1 Ziff.e, Bauordnung Wien).138 Wenn aber laut Bauordnung ‚freiwillige Stellplätze’ errichtet werden, können NachbarInnen im Baubewilligungsverfahren sehr wohl dahingehende Einwendungen durch An-träge geltend machen. Diese Regelung gilt auch für andere Nutzungsänderun-gen.

Demzufolge stellt sich das Bewilligungsverfahren für Garageneinbau für gesetzlich vorgeschriebene Pflichtstellplätze im Erdgeschoßbereich oft als ein-facher heraus. Auch aus diesem Grund entscheiden sich EigentümerInnen und BauträgerInnen leichter für einen Garageneinbau und nicht für andere Nutzun-gen.

Das Verfahren gemäß § 70a der Bauordnung für Wien (ein vereinfachtes Baubewilligungsverfahren, wenn eine Erklärung eines Ziviltechnikers/ einer Ziviltechnikerin beigelegt wird) kann nur dann durchgeführt werden, wenn alle Bebauungsvorschriften eingehalten werden und die Bauführung nicht in be-stimmten Widmungsgebieten stattfindet und wenn nicht nach § 69 BO für Wien zu entscheiden ist. Wenn nach diesem Verfahren eingereicht wird, kann grund-

138 § 48. (1) Bei Neu- und Zubauten sowie Änderungen der Raumwidmung oder Raumeinteilung

entsteht eine Stellplatzverpflichtung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen; diese ist entweder als Naturalleistung (Pflichtstellplätze) grundsätzlich auf dem Bauplatz oder Baulos oder durch Entrichtung der Ausgleichsabgabe an die Stadt Wien zu erfüllen. (2) Für räumlich begrenzte Teile des Stadtgebietes kann der Bebauungsplan besondere Anordnungen über das zulässige Ausmaß der Herstellung von Stellplätzen festlegen und dabei den Umfang der Stellplatzverpflichtung gemäß § 50 bis zu 90% verringern sowie Anordnungen über die Art, in der die Stellplatzverpflichtung zu erfüllen ist, und die Zulässigkeit und das Ausmaß von Garagengebäuden sowie von Stellplätzen im Freien treffen (Stellplatzregulativ). (3) Bei Festsetzung oder Abänderung eines Stellplatzregulativs hat der Gemeinderat auf folgende Gegebenheiten und Ziele Bedacht zu nehmen: 1. Erreichbarkeit des betreffenden Gebietes mit öffentlichen Verkehrsmitteln; 2. Ausstattung des Gebietes mit Stellplätzen unter Berücksichtigung verkehrs- und umweltpolitischer Zielsetzungen; 3. Berücksichtigung vorhandener Abstellmöglichkeiten für Kraftfahrzeuge; 4. Herbeiführung, Erreichung beziehungsweise Erhaltung einer mit den Zielen und Festsetzungen des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes entsprechenden Verwendung von öffentlichen Verkehrsflächen des Gebietes, insbesondere für soziale, stadtökologische und gesundheitliche Zwecke; 5. Herbeiführung, Erreichung beziehungsweise Erhaltung der Verwendung öffentlicher Verkehrsflächen für stadtverträgliche Verkehrsarten, insbesondere für den Fußgänger- und Fahrradverkehr und den öffentlichen Nahverkehr; 6. Erhaltung beziehungsweise Verbesserung der Qualität und Verkehrssicherheit stadtverträglicher Verkehrsarten; 7. angemessene Berücksichtigung der naturräumlichen Gegebenheiten. Quelle: Wiener Garagengesetz (2008)

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 156

sätzlich bereits ein Monat nach Vorlage der vollständigen Unterlagen mit der Bauführung begonnen werden.

Das Baubewilligungsverfahren gem. § 70 der Bauordnung für Wien (ein Baubewilligungsverfahren, das üblicherweise angewendet wird) bedeutet hinge-gen deutlich mehr Zeitaufwand. Wenn im Zusammenhang mit einer Bauführung bzw. der Errichtung von Pkw-Stellplätzen Abweichungen von Bebauungsbestimmungen erforderlich sind, ist eine Bewilligung nach § 69 (Unwesentliche Abweichungen von Bebauungsvor-schriften der Bauordnung für Wien) erforderlich. Auch diese Bewilligung kostet Zeit, weil auch die Einschaltung des Bauausschusses des jeweiligen Bezirks erforderlich ist139. Nach den Erfahrungswerten der Baubehörden wird vom Bau-ausschuss des Bezirkes in der überwiegenden Anzahl der Fälle aber positiv entschieden. Im Zuge des Bewilligungsprozesses werden folgende Stellung-nahmen der Behörden angefordert: Wenn mehr als im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß Stellplätze ge-

schaffen werden, wird für die Bewilligung eines Garageneinbaues eine ent-sprechende Stellungnahme der Magistratsabteilung 22 (Wiener Umwelt-schutzabteilung) zur Überprüfung der Umweltverträglichkeit (Zulässigkeit der Emissionen) der Garage für AnrainerInnen verlangt.

Wegen Änderungen des äußeren Erscheinungsbildes des Gebäudes durch das Garagentor und unter Umständen durch Zumauern von bestehenden Fenstern äußert sich die Wiener Magistratsabteilung 19 für Architektur und Stadtgestaltung.

Zu Fragen der Verkehrstechnik bzw. zur Garagenein- und Ausfahrts-situation wird in der Regel eine Stellungnahme der Magistratsabteilung 46 (Verkehrstechnik und Verkehrsorganisation) eingeholt.140 In den letzten Jahren wurde die überwiegende Zahl der Vorhaben zum Garageneinbau (laut Praxiserfahrung der Baubehörden) positiv entschieden.

Die Errichtung von ‚freiwilligen Stellplätzen’ macht den Bewilligungsprozess komplexer und zeitaufwändiger. Dies bietet ein griffiges Argument für die Er-richtung der nur gesetzlich vorgeschriebenen Stellplätze. Was geschieht bei Nutzungs- und Widmungsänderungen? 139 www.wien.gv.at/bezirke/dezentralisierung/organe/index.html 140 Quelle: Gespräch mit Wedenig, H.: Magistratsdirektion der Stadt Wien, Stadtbaudirektion,

Gruppe Baubehördliche Angelegenheiten & Umwelttechnik

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 157

Bei Änderungen der Raumwidmungen bzw. Raumeinteilungen entsteht unter bestimmten Voraussetzungen eine Verpflichtung für die Errichtung neuer Pkw-Stellplätze. Die Zahl der neuen Pflichtstellplätze wird bei Umnutzung der vor-handenen Erdgeschossflächen nach dem Wiener Garagengesetz vorgeschrieben, wenn im Zuge des baulichen Vorhabens mehr Wohneinheiten oder betriebliche Aufenthaltsräume als im Bestand vorhanden, errichtet werden sollen.

Obwohl es für kleinere Geschäftslokale (60 bis 70 m²) in bestimmten Ge-genden mehr Nachfrage gibt, teilen die EigentümerInnen die größeren Erdge-schosslokale nicht, obwohl sie jahrelang leer stehen. Das Stellplatzregulativ (§ 36a Wiener Garagengesetz) spielt zum Teil hier eine Rolle. Es handelt sich bekanntlich u.a. um die folgenden Regeln: Für jede Wohnung ist ein Stellplatz zu schaffen. Bei Gebäuden für Beherbergungsbetriebe ist für je 5 Zimmereinheiten oder

Appartements ein Stellplatz oder für je 30 Zimmereinheiten oder Apparte-ments ein Busstellplatz zu schaffen.

Bei Heimen, bei welchen Wohneinheiten bestehen oder vorgesehen sind, ist für je 10 Wohneinheiten ein Stellplatz zu schaffen.

Bei Industrie- und Betriebsgebäuden, Bürohäusern, Schulen, Instituten, Amtsgebäuden, Krankenanstalten und dergleichen ist für je 80 m2 Aufent-haltsraum ein Stellplatz zu schaffen.

Bei Geschäftshäusern und anderen, dem Verkehr mit Kunden, Gästen und anderen, vorwiegend nicht betriebsangehörigen Personen dienenden Räum-lichkeiten ist für je 80 m2 Aufenthaltsraum ein Stellplatz zu schaffen. Bei Heimen, bei welchen keine Wohneinheiten bestehen oder vorgesehen sind, wie bei Heimen für Lehrlinge und jugendliche Arbeiter, Schüler und Stu-denten, ist für je 300 m2 Aufenthaltsraum ein Stellplatz zu schaffen.

Die Summe der Pkw-Stellplätze vor und nach den geplanten räumlichen und widmungsbezogenen Änderungen wird von den Baubehörden gegenüber ge-stellt. Wenn laut Gesetz, wegen der umgewidmeten oder neugeschaffenen Räu-me, mehr Pflichtstellplätze vorgeschrieben werden, gibt es drei Möglichkeiten, diese Anforderung der Behörde zu erfüllen. Die vorgeschriebenen Pflichtstell-plätze auf der Liegenschaft oder außerhalb der Liegenschaft, in einem Umkreis von 500 m, zu errichten, die Pflichtstellplätze für die Dauer von mindestens zwanzig Jahren ab Einlangen der Fertigstellungsanzeige der widmungsgemäßen Verwendung zur Verfügung zu stellen, trifft das nicht zu, ist eine Gebühr (Aus-gleichsabgabe) zu zahlen. Im Zuge der Gebäudesanierungen werden die neu zu schaffenden Pflichtstell-plätze häufig durch Zusammenlegungen von kleinen Wohnungen ausgeglichen.

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 158

Wenn sich die Anzahl der Stellplätze vor und nach den baulichen Maßnahmen oder Änderungen nicht ausgleicht, müssen entweder Ausgleichsabgaben bezahlt werden oder die Pflichtstellplätze werden in einem Umkreis von zirka 500 Me-tern errichtet bzw. die Einstellmöglichkeit wird 20 Jahre lang vertraglich sicher-gestellt. Noch ein Grund, warum die Dachgeschossbauten in den gründerzeitli-chen Häusern zusammen mit Garagen im Erdgeschoss errichtet werden. 141,142 Dezentralisierung und Kohärenz der (getrennten) Zuständigkeiten Die Dezentralisierung des Budgets für öffentliche Ausgaben und die Bestim-mung der Umsetzungsmaßnahmen durch die Bezirkspolitiker begrenzen die Möglichkeiten der bezirksübergreifenden Verbesserungen in den öffentlichen bzw. offenen Räumen der Stadt für die NutzerInnen (wie RadfahrerInnen, Fuß-gängerInnen, Verweilende usw.), die im Straßenraum ungleich behandelt wer-den.

Die VertreterInnen der Planungsbehörden betonen, dass die politischen Prioritäten für die Realisierung der vorgesehenen Maßnahmen bezirksweise unterschiedlich ausfallen. Aus diesem Grund wurde beispielsweise die Finanzie-rung der Hauptfahrradwege Wiens aus dem Finanzressort der Bezirke ausge-gliedert.

Die Nebenradwege sind aber noch immer der bezirks-politischen Entschei-dungsmacht unterworfen. Diese und auch andere Entscheidungen werden von BezirksvertreterInnen getroffen, die nicht über die jeweiligen Expertenkenntnis-se der Planungsbehörden und PlanerInnen verfügen.

Es stellt sich hier die Frage, ob die Dezentralisierung nicht eine Trennung zwischen den PlanerInnen der Stadt und den Umsetzungsorganen geschaffen hat. Außerdem verhindern die exakt getrennten Verhältnisse zwischen privaten und öffentlichen Bereichen umfassende Maßnahmen für die zusammenhängen-den offenen Räume der gründerzeitlichen Stadt.

Der öffentliche Raum des gründerzeitlichen Blocks fängt direkt an der Straßenfront an. Die Trennlinie zwischen Gehsteig und Haus trennt auch die finanziellen und organisatorischen Zuständigkeiten. Die Häuser und ihre offe-nen Räume/Höfe gehören in den meisten Fällen den privaten Personen oder 141 Höhe der Ausgleichsabgabe: § 42. Die Ausgleichsabgabe ergibt sich aus dem Produkt des

Einheitssatzes und jener Zahl, um die nach den Feststellungen des Bewilligungsbescheides (§ 40 Abs. 1) die Zahl der vorgesehenen Stellplätze hinter der gesetzlich geforderten Anzahl zu-rückbleibt. Der Einheitssatz wird nach den durchschnittlichen Kosten des Grunderwerbes und der Errichtung eines Stellplatzes durch Verordnung der Wiener Landesregierung festgesetzt; er beträgt je Stellplatz höchstens 18 000 Euro: Wiener Garagengesetz 2008/2009/2010

142 § 51 Wiener Garagengesetz (2008)

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 159

Unternehmen. Zu den Zuständigkeiten und Aufgaben der Bezirke mit vollem Entscheidungsrecht zählt die Straßen- und Verkehrsorganisation im Bezirk.143 Zudem gibt es auch Mitwirkungsrechte, die eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen Magistratsabteilungen und Bezirken erfordern.

Die Grünanlagen und Parks werden in der Regel von der Magistratsabtei-lung 42 (Wiener Stadtgartenamt) betreut, geplant und organisiert. Die Bezirks-vorsteherInnen haben jedoch Mitwirkungsrechte bei Maßnahmen zur Überwa-chung des Erhaltungszustandes von Parkanlagen und sonstigen Grünanlagen und Erholungsflächen.

Gehsteige und öffentliche Räume werden von unterschiedlichen Magist-ratsabteilungen geplant, genormt und verwaltet. Ihre Finanzierung gehört wiede-rum zum Bezirksbudget.

Abbildung: Aufbauorganisation in den Bezirken

Quelle : Stadt Wien/Dezentralisierung

143 „Mit den Dezentralisierungsnovellen vom 1. Jänner 1988 beziehungsweise 1. Jänner 1998

kam es zu umfassenden Änderungen der Wiener Stadtverfassung. Seither haben die Bezirke beziehungsweise die Bezirksorgane zahlreiche Aufgaben, die in verschiedenen Formen der Mitwirkung vollzogen werden.“ Quelle: www.wien.gv.at/bezirke/dezentralisierung

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Reduzierung der Pkw-Stellplätze Die Wiener Bauordnung ermöglicht eine Reduzierung der gesetzlich erforderli-chen Anzahl der Pflichtstellplätze bis auf 90% in räumlich begrenzten Teilen des Stadtgebiets.144 Eine entsprechende Praxis ist in den gewachsenen Stadtge-bieten des gründerzeitlichen Wiens im Zuge der Umbautätigkeit nicht bekannt, obwohl die Reduzierung des Autoverkehrs und des ruhenden Verkehrs eines der wichtigsten Ziele der allgemeinen Verkehrsplanung Wiens bleibt.

Stellplatzreduzierungen und die Schaffung autofreier oder autoreduzierter Zonen in bestehenden Wohngebieten müssten über die öffentlich-rechtlichen Instrumentarien (Raumordnung, Flächenwidmungspläne bzw. Bebauungspläne, Bauordnung bzw. Garagengesetz und Förderungsgesetz) auch im Bestand mög-lich gemacht werden. Die Bauordnung reguliert grundsätzlich die Neubautätig-keit. Die Stadterneuerung und -transformation bleibt mehr oder weniger außer-halb des Wirkungsbereichs der Bauordnung und der Baugesetze. Die autofreie Stadt im 21.Bezirk und die autoreduzierte Stadt ‚Bike City’ in der Vorgartenstraße in Wien sind die Vorläufermodelle für autofreie Neubausied-lungen im EU-Raum. Es gibt jedoch noch keine ähnliche Praxis zur Verkehrsre-duktion in den bestehenden Stadtvierteln.

Ein methodisches Umdenken und eine Praxis nach dem ‚Verursacher-prinzip’ zur Feststellung von Ausgleichsabgaben für Pflichtstellplätze bei Um-widmungen und Raumteilungen ist notwendig. Diese Handlungsansätze könnten die BewohnerInnen zu einer Reduktion des Pkw-Besitzes motivieren. Ein detail-lierter Handlungsvorschlag sprengt jedoch den Rahmen dieser Arbeit.

Wie bereits erwähnt verursachten in den letzten Jahren die neu geschaffe-nen Wohnungen in den Dachgeschosszonen grundsätzlich den vermehrten Ein-bau von Erdgeschossgaragen. Die Bauunternehmen und EigentümerInnen nutz-ten zum Teil den Verweis auf die Bauordnung zur Schaffung von Pflichtstell-plätzen als Druckmittel auf die Bezirkspolitik, um die Mini-Garagen durchzu-bringen.

Verursacherprinzip für Kosten der öffentlichen Stellplätze In der Regel haben die BewohnerInnen von kleinen Wohnungen durch-schnittlich eine geringere Anzahl von Pkws als diejenigen, die in den großen Wohnungen wohnen. Die statistischen Zahlen fehlen hier, um genau zu berich-

144 Stellplatzregulativ: § 36, Wiener Garagengesetz

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 161

ten, in welcher Relation die Wohnflächen / Haushaltsgrößen zum Pkw-Besitz stehen. Auf jeden Fall ist die oben genannte Art der Vergleichsrechnung des Wr. Garagengesetzes zur Pflichtstellplatzschaffung (derzeit ein Stellplatz pro eine neue Wohnung) an Hand der statistischen Daten neu zu überprüfen und zu überdenken, wenn hier eine Treffsicherheit bezüglich der VerursacherInnen angestrebt werden soll.

Prioritäten für Radwege und Fußwege Fahrradwege und Fußwege haben ähnliche Nutzeranforderungen: Beide Fort-bewegungsarten sind in den dicht bebauten Stadtgebieten effizient, umwelt-freundlich, energiesparend, gesundheitsfreundlich, kostengünstig und flächen-sparend.

Außerdem funktionieren die beiden Verkehrssysteme besser, wenn sie über zusammenhängende, direkte Wegführungen durch durchlässige Bebauungs-strukturen der Stadtquartiere verfügen. Das Sicherheitsgefühl und die Attraktivi-tät der Wege sind Basiskriterien für ihre intensive Nutzung.

Sichere und leicht überquerbare Straßen sind sehr wichtige Eigenschaften für die Qualität und Durchgängigkeit der Rad- und Fußwege. Ausreichende und überschaubare Bodenmarkierungen und Piktogramme steigern das Selbstver-ständnisgefühl, die Sicherheit und die Akzeptanz. Gerade in den Verkehrsberei-chen der Fuß- und Radfahrerinnen gibt es einen großen Nachholbedarf für Ver-besserungen.

Mini-Garagen zu Gunsten des Straßenraumes? Der negativen Entwicklung der Erdgeschosszonen des gründerzeitlichen Wiens (die von in zahlreiche leerstehende Erdgeschoßräume eingebauten Garagen und deren Ein- bzw. Ausfahrten ausgelöst wurde) kann nur wirksam entgegen ge-wirkt werden, wenn die Bauordnung Wiens die Erdgeschossgaragen untersagt. Mit der Novelle des Wiener Garagengesetzes 2010 gibt es eine leichte Verbes-serung, weil die Schaffung von mindestens drei Pkw-Stellplätzen die Vorausset-zung für die Errichtung einer solchen Erdgeschossgarage ist.145

145 Wiener Garagengesetzt WGarG 2008: 7. § 5 erster Satz lautet: Die Errichtung von Anlagen

zum Einstellen von Kraftfahrzeugen ist nur zulässig, wenn (...) dreimal so viele Stellplätze geschaffen werden, als auf den öffentlichen Verkehrsflächen durch die Herstellung der Ein- und Ausfahrten untergehen. www.wien.gv.at/recht/landesrecht-wien/rechtsvorschriften/pdf/b1000000.pdf (Zugriff: 2013)

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 162

Abbildung: Der Flächenbedarf einer Wien-typischen Einbahnstraße mit beidseitig schmalen Gehsteigen, Parkstreifen und Restflächen (Schneespuren zeigen den realen Bedarf für Verkehr)

Abbildung: Eine Erdgeschossfassade mit Garageneinfahrt und davor frei

bleibendem Parkstreifen

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 163

Auch die Abstellplätze für Fahrräder sind Gegenstand der letzten Novellierung geworden: Das Wiener Garagengesetz (02/10) sieht vor, dass ein Teil der KFZ-Pflichtstellplätze durch Abstellplätze für Fahrräder und für einspurige Kraft-fahrzeuge ersetzt werden können.146

Eine weitere Novellierung der Wiener Bauordnung zur Reduktion des An-teils von nachzuweisenden Pkw-Stellplätzen ist geplant, aber es steht noch nicht fest, wann ihre Begutachtung abgeschlossen sein wird.147

Zudem können die Bebauungspläne Ein- und Ausfahrten untersagen. Die Planungsbehörde für Stadtteilplanung und Flächennutzung praktizierte diese Maßnahme bereits in manchen Stadtteilen, in Zusammenarbeit mit den jeweili-gen Bezirksvertretern. Dies sollte verbreitet durch- und umgesetzt werden. Ga-ragen Ein- und Ausfahrten sollten nur in Ausnahmefällen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen, nur punktuell, können kleine Sammelgaragen in den Häusern oder unter einer inten-siv begrünten Hofüberplattung (nur bei engen und schlecht belichteten Höfen) Verbesserungen bringen. Nach Praxisberichten mancher Betreiber werden die Klein- und mittelgroßen Garagen besser angenommen als die großen Sammel-garagen, weil sie übersichtlich sind und dadurch vertraulicher wirken. Die Er-höhung des Versiegelungsgrads stellt dabei ein wesentliches Problem. Abbildung: Hofüberbauung und die darunter liegende Garage in der

Huglgasse im 15. Bezirk in Wien

Quelle: Ulreich Bauträger GembH

146 „Für 10% der gemäß Abs. 1 bis 9 zu schaffenden Stellplätze können Abstellplätze für

Fahrräder oder Abstellplätze für einspurige Kraftfahrzeuge geschaffen werden, wobei für einen Stellplatz sechs Abstellplätze für Fahrräder bzw. drei Abstellplätze für einspurige Kraftfahrzeuge zu schaffen sind.“ (...) Quelle: Wiener Garagengesetzt WGarG 2008

147 Gespräch mit der Leitung der Baupolizei der Stadt Wien (vom 2013-11-28)

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 164

Gestaltung von Straßenräumen zur Verkehrsreduktion Der Fußverkehr und eine nachhaltige Stadterhaltung hängen eng zusammen. Um den Fußverkehr als Fortbewegungsmöglichkeit zu verstärken, gibt es neben den Maßnahmen wie Erhöhung der Sicherheit, Übersichtlichkeit und Reduzie-rung der Distanzen auch andere Faktoren wie die Wahrnehmung der Orientie-rung und die Gestaltung der Wege. Abbildung: Einfluss der Stadtstruktur auf die Ansprechbarkeit

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Parkplatz

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Quelle: O. Peperna, Diplomarbeit, TU Wien 1982

Die positiven Eigenschaften der Straßenzüge erhöhen die Zahlen der Passant-Innen. Davon profitieren auch die Betriebe der Erdgeschossflächen, die häufig auf die Laufkundschaft angewiesen sind.

Leicht überquerbare Straßen Schutz vor Lärm, Staub und Witterung Aufenthaltsqualität der Wege Attraktivität der Erdgeschosszone; Straßenebene, Passagen, Durchgänge

mit Sitzplätzen, Treffpunkte, Schauobjekte, Grünflächen, Bäume usw. Beschaffenheit der Oberflächen mit Signalwirkungen für nicht motorisierte

VerkehrsteilnehmerInnen sind die Faktoren, die die Aufenthaltsqualität der Erdgeschosszone unterstützen.

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 165

Die Attraktivität des Umfelds von Fußwegen vergrößert die Akzeptanz um über 70%, wenn Fußwege durch auto-gerechtes städtisches Umfeld den Fußwegen durch Fußgängerzonen und Parks gegenüber gestellt werden.148 Die Maßnahmen wie Fahrbahnteiler, -anhebungen oder schmale Fahr-

bahnen (nur so breit, wie für eine Fahrspur notwendig ist) sind verstärkt zu implementieren.

Die Befreiung der Gehsteige von Müllsammelplätzen, Fahrradabstell-plätzen und sonstigen Servicezonen ist wichtig. Sie können auf den Flä-chen des ruhenden Verkehrs außerhalb von Fußwegen untergebracht wer-den.

Die lokalen Initiativen sind verstärkt an die Planungsprozesse einzubinden. In den letzten Jahren sind die Initiativen von ‚Lokale Agenda 21’149 - für lokale, maßgeschneiderte und kleinmaßstäbige Verkehrslösungen - auch in Wien aktive Planungspartnerinnen geworden.

Einige einfache Lösungen für bewohnerfreundliche Verkehrsmaßnahmen liefert die Stadt Basel, wie in den folgenden Fotos aus den innerstädtischen Straßen in Wohngebieten zu sehen ist.

Abbildung: Fahrrad-Parken auf der Parkzone

148 Knoflacher, Hermann (1995): Fußgeher- und Fahrradverkehr. Wien/Köln/Weimar: Böhlau

Verlag. 50 149 Auf der Weltkonferenz UNCED in Rio 1992 beschlossenes Aktionsprogramm für das 21.

Jahrhundert, in dem nachhaltige Entwicklung ein zentrales Ziel ist.

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Die Rolle des Verkehrs in der Quartiersentwicklung 166

Abbildung: Breitere Gehsteige und beruhigter Verkehr ermöglicht eine bessere Nutzbarkeit der Untergeschoße

Abbildung: Ein breiter Gehsteig hält den ruhenden Verkehr entfernt

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Ergebnisse der Untersuchungen Eine neue Entwicklung der Erdgeschosse hängt mit vielen unterschiedlichen Faktoren zusammen, die die Transformation einer Stadt beeinflussen. In den vorherigen Abschnitten wurden die Stadterneuerungsprogramme im Zusammenhang mit der Begrünung und dem Stadtverkehr sowie der Struktur der Kleinstbetriebe behandelt. In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse der Untersuchungen, Interviews, Literaturrecherchen und Feldforschungen schwerpunktbezogen angeführt. Gründe für die Unternutzung der Erdgeschossräume Die Betriebe der Blocksanierungsgebiete sind traditionelle NutzerInnen von gründerzeitlichen Erdgeschossen. Sie sind überwiegend Klein(st)unternehmen oder Einzelunternehmen.

Viele von ihnen sind Auslaufbetriebe ohne NachfolgerInnen. Im Folgenden werden einige Hürden für ihre weitere Existenz aufgelistet:

Die Betriebe der Erdgeschossräume haben häufig finanzielle Probleme,

insbesondere bei einer Neuübernahme oder Neugründung wegen neuer Mietverträge, Abgaben und Gebühren. Dazu kommen die Kosten zur An-schaffung von Betriebsmitteln, zur Ausstattung und vor allem zur bauli-chen und sonstigen Modernisierung von Betriebsräumen in der Erdge-schosszone.

Auch nach einer Haussanierung geraten sie zum Teil wegen steigender Mietpreise in finanzielle Schwierigkeiten, wenn sie nur als MieterInnen über die Betriebsflächen im Erdgeschoss verfügen.

Maßnahmen zum Schallschutz und zur Umweltverträglichkeit oder zur baulichen und sonstigen Modernisierung und Verbesserung sind für

B. Bretschneider, Ökologische Quartierserneuerung,DOI 10.1007/978-3-658-02682-0_7, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 168

Klein(st)betriebe der Erdgeschosszone meistens nicht leistbar. Dazu gehö-ren Maßnahmen zum Emissionsschutz oder zum Schutz von AnrainerIn-nen. Auch Dachbegrünungen oder Hofgestaltungen sowie die Wartungs-pflicht von errichteten Grünflächen übersteigen häufig die finanziellen Grenzen der Erdgeschossbetriebe.

Von vielen Beteiligten der Stadterneuerungs- und Wirtschaftsförderungs-prozesse ist auf einen gestiegenen Bedarf an höherer und breiterer finanzi-eller Unterstützung hingewiesen worden. Widmungen in den Flächen-widmungs- und Bebauungsplänen errichten zum Teil Barrieren für den Er-weiterungsbedarf der Betriebe. Die Möglichkeiten der horizontalen Erwei-terungen sind auch wegen der Liegenschaftsgrößen und der bestehenden Grundrisse begrenzt. Andererseits vermindern die kleinteiligen Räume der Erdgeschosse in historischer Bebauung die Konkurrenz von Großunter-nehmen bei der Suche nach Betriebsräumen, weil die Erdgeschosslokale für sie nicht in Frage kommen. Gerade Straßenbetrieb leben von der Lauf-kundschaft und von einer leichten Zugänglichkeit.

Eine vertikale Erweiterung in die höheren Etagen wird unter anderem durch die Widmung ‚Wohnzone’ gebremst. (z.B. für einen Betrieb, der im Erdgeschossbereich ansässig ist und im oberen Stock einen Büroteil haben will)

Eine Festlegung der Verpflichtungen der EigentümerInnen zur Verbesse-rung der Lage in den Erdgeschoßen wird allseits kaum thematisiert. Es ist ihnen überlassen, ob sie sich für Erdgeschoss- und Kellerräume bautechni-sche und bauphysikalische sowie gestalterische Verbesserungen vorneh-men. Obwohl die Gründerzeithäuser einen hohen Marktwert und eine hohe Nachfrage haben, weil sie in den oberen Geschossen modernisiert und zum Teil fast rundum neu gebaut worden sind, blieben die Sockelbereiche auf dem Straßenniveau oft außer Acht.

Oft werden leerstehende Räume in der Erdgeschosszone am Markt als ‚Lagerräume’ angeboten. So müssen die EigentümerInnen kaum bauliche Verbesserungsmaßnahmen finanzieren, weil sie glauben, dass sich diese sonst nur sehr langfristig amortisieren würden. Obwohl die hier typischen Baumängel wie Feuchtigkeit und Schimmelbildung für das ganze Haus ein statisches und gesundheitliches Problem darstellen können, lassen die VermieterInnen selten entgegenwirkende Maßnahmen in die Wege leiten. Nutzungsarten wie Wohnen und Arbeiten kommen daher dann für die So-ckelzone nicht in Frage, weil sie einen höheren baulichen Standard erfor-dern. Auch die Errichtung von Nassräumen, die Erneuerung der elektri-schen Leitungen und der Einbau einer adäquaten Heizung werden als In-vestitionsleistungen angesehen, die die MieterInnen zu erbringen haben.

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 169

Das baut eine Barriere auf, insbesondere weil die Mietpreise trotzdem hoch sind und Mietverträge nur für einige Jahre befristet angeboten werden. Eine Anmietung solcher Räume ist mit hohen Kosten und Risiken verbunden.

In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass eine rechtliche Regulierung der Vermietung (wie im Falle der Wohnungsvermietung) auch die Lage der Erdgeschossräume wesentlich verbessern würde.

Die Rolle der Immobilienwirtschaft bei Leerstand in der Erdgeschosszone Die beratende Funktion der Hausverwaltungen und MaklerInnen sowie der Immobilienabteilungen der Großunternehmen ist hier in Frage zu stellen, weil sie bei der Festlegung der Mietpreise und bei der Vermietung unrealistisch agie-ren. Die MaklerInnen, die oft mit Hausverwaltungen und EigentümerInnen eng zusammenhängen, vermeiden langfristige Lösungen, weil dadurch das Mitver-hältnis wegen ‚schwieriger’ Konditionen nicht lang aufrecht bleibt und das ‚Objekt’ immer wieder zum Markt zurückkehrt.

Ebenfalls zeigen Hausverwaltungen, die eine Vermittlungsrolle spielen sollten, oft wenig Interesse an einer Vermietung, weil sie bei einem Leerstand von den eventuellen Problemen mit MieterInnen oder HausbewohnerInnen entlastet bleiben.

Die immer stärker verschwimmenden Rollen von Eigentümer/In, Hausver-waltung, Maklerunternehmen und Immobilienfirma, die sich zunehmend unter dem Dach einer Firma befinden, verschärft die Lage, weil die Interessen sich nicht mehr eindeutig zuordnen lassen.

Der Leerstand in Haus wird in Bezug auf Vermarktung beziehungsweise als Verkaufsstrategie als Vorteil gesehen, weil die Gründerzeithäuser auch in Wien immer mehr als kurzfristige Investition angesehen wird. Als Portfolio-Verkaufswert kann bei leerstehenden Räumen einen höheren Preis berechnet werden als bei vermieteten, weil die Mietpreise kontinuierlich steigen und weil als Verkaufspreisbasis eine fiktive Mieteinnahme berechnet werden kann, die oft (beliebig) höher liegt als die reale Miete. Die Preise der Gründerzeithäuser (Zinshäuser), die in den letzten Jahren immer öfter verkauft worden sind, sind in den letzten Jahren extrem gestiegen. Dieser Boom ist mit einer Änderung der Eigentümerstruktur verbunden.150

150 „Von 1995 bis 2004 ist der Median der Althauspreise laut Kaufpreisstatistik der Stadt Wien

um 75% gestiegen. Danach lagen die jährlichen nominellen Preissteigerungen bei etwa 5-8%.“ Quelle: ‚Eigentümerstruktur im Wiener privaten Althausbestand. Analyse der Veränderungen und deren Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt in Wien’: Arbeitsgemeinschaft IFIP und SRZ: Verfasst im Auftrag der AK-Wien (Dez. 2007)

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 170

Die Erhöhung der Mietpreise, durch Dachgeschossausbauten (mit einge-bauten Garagen im Erdgeschoß) zusätzlich geschaffene Luxuswohnungen und die Umwandlung von Mietwohnungen, die in Einzeleigentum verkauft werden, sind wesentliche Ursachen dieser schnellen Spekulationsbewegung mit Folgen.

„Von 1987 bis 2005 hat etwa jede dritte Kauftransaktion ein Altmiethaus betrof-

fen, das in dieser Zeit mehrmals verkauft wurde. Die durchschnittliche Behaltedau-er dieser Häuser lag unter zwei Jahren, während die anderen Häuser in der Kauf-preissammlung mindestens 10 bis 15 Jahre gehalten wurden, ohne dass ein Wieder-verkauf stattfand.

(...) Dabei zeigt sich, dass vor allem kleinere Häuser mit niedrigem Kaufpreis und weniger zentraler Lage sehr kurz (weniger als 91 Tage) gehalten werden (wo-mit wahrscheinlich eher einkommensschwache Mietergruppen betroffen sind.)“151

Anstatt der klassischen PrivateigentümerInnen von Zinshäusern, gibt es heute vermehrt transnationale Immobilienfirmen oder Investorengemeinschaften, die Zinshäuser kaufen und nur an kurzzeitigem Gewinn orientiert sind.

Sanierungsförderungen dürfen in der Regel nur für Wohnungen in den Sa-nierungshäusern vergeben werden, weil sie aus dem Topf der Wohnbauförde-rung kommen. Die ‚Nicht-Wohnflächen’ in den Erdgeschossräumen können deswegen ‚nur begrenzt’ saniert werden (Brauchbarmachung). Noch ein Grund für die verbreitet ‚nicht-sanierten’ Erdgeschossräume.

Die Stellplatzpflicht nach der Bauordnung bei Widmungsänderungen oder Raumteilungen bedeutet eine zusätzliche finanzielle Belastung. Auch wegen des Parkplatzproblems wurden in den letzten Dekaden Erdgeschossbetriebe an den Stadtrand verlagert oder ihre Standorte aufgegeben. Die Einführung der Park-raumbewirtschaftung hat die Lage der Erdgeschossbetriebe zum Teil erleichtert, weil Parken direkt vor der Tür möglich geworden ist und weil die Zahl der par-kenden Autos wesentlich weniger geworden ist, aber auch erschwert, weil es Restriktionen bei der Parkerlaubnis gibt, wenn mehrere) Firmenautos vorhanden sind. Es gibt jedoch Ausnahmeregeln unter bestimmten Voraussetzungen. Bereichsübergreifende Mitwirkung bei Vermittlung

Wissenstransfer und aktive Beratung in der Informations- und Öffentlichkeits-arbeit der zuständigen Behörden werden in den Anlauf- und Vermittlungsstellen von den einzelnen MitarbeiterInnen unterschiedlich gehandhabt. Eine umfas- 151 Quelle: ‚Eigentümerstruktur im Wiener privaten Althausbestand. Analyse der Veränderungen

und deren Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt in Wien’: Arbeitsgemeinschaft IFIP und SRZ: Verfasst im Auftrag der AK-Wien (Dez. 2007)

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 171

sende Koordination der Maßnahmen bzw. Förderungsschienen zur Betriebsbera-tung und Wirtschaftsförderung - zwischen den Servicestellen/Ämtern und Kon-trollorganen - würde zu einem verbesserten Informationsfluss führen. Somit könnten interessierten Gewerbetreibenden/HandwerkerInnen/KünstlerInnen neue Perspektiven und Möglichkeiten vermittelt werden. Das könnte gleichzei-tig den Gewerbetreibenden und GründerInnen bei der Überwindung von Zu-gangsschwierigkeiten helfen. Statt einer restriktiven wäre eine beratende Kon-trolltätigkeit zielführend. Die Art der Kommunikation und das Engagement oder die Motivation in der Öffentlichkeitsarbeit der Beratungsstellen können die Förderungsinteressierten motivieren oder abschrecken. Hier wird von den Be-troffenen statt einer restriktiven Haltung eine lösungsorientierte und wegwei-sende Beratung erwartet.

Eine stärkere Bündelung von Kompetenzen für die Entwicklung der Erdge-schosszone kann bei der Durchsetzung vorgesehener Maßnahmen in Schwer-punktgebieten der Stadterneuerung und Stadtentwicklung eine synergetisch effektive Wirkung haben.

In diesem Zusammenhang wird eine Kopplung unterschiedlicher Kompe-tenzen der betreffenden Organisationen zur Beratung und Förderung bei Sanie-rung, Wirtschaft, Handwerk, Kunst und Sozialem besonderes wichtig. Bereichs-übergreifendes Wissen und Zusammenwirken sind für eine Vereinfachung der Abwicklungsprozesse und die Zusammenführung von Möglichkeiten sehr wich-tig.

Eine Gesamtübersicht und die Zusammenführung der Informationen für zusammenhängende Bereiche fehlt, weil sich die MitarbeiterInnen unterschied-licher Bereiche für die Informationen der anderen Bereiche als nicht zuständig betrachten, obwohl ihre Tätigkeit in komplementärer Weise effizienter funktio-nieren kann. Die Vermittlung des bereichsübergreifenden Basiswissens könnte bei Beratungs- und Anlaufstellen verstärkt werden.

Eine Koordinationsstelle für Synergie-Effekte Zielführend wäre eine Anlaufstelle beziehungsweise Stabsstelle für Betriebsbe-ratung, -gründung, -förderung und -genehmigung an ein und demselben Stand-ort um die relevanten Basisinformationen und bürokratischen Abwicklungswege zu vermitteln.

Die zuständigen Stellen sind im Moment verteilt an unterschiedlichen Standorten. Die Wirtschafts-, Bau- und Sanierungsbehörden sowie Behörden zur Betriebsgenehmigung beeinflussen die Existenzchancen der Kleinstbetriebe.

Eine Stabsstelle für die Koordination aller Zuständigen vereinfacht und be-schleunigt die Erfüllung der Zielaufgaben. Eine umfassende Vermittlung der

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 172

Informationen zu Genehmigungen, Bewilligungen und anderen behördlichen Wegen erhöht die Existenzchancen der Erdgeschossbetriebe. Außerdem wurde von den unterschiedlichen Organisationen und Behörden ein koordiniertes Vor-gehen aller betroffenen Ämter/Dienststellen (wie der Ämter für Stadterneueung, Stadtentwicklung und Verkehrsplanung, der Baubehörde und der kommunalen Organisationen wie der Gebietsbetreuung, des Grätzelmanagements oder der sozialen Einrichtungen im Gebiet) für gemeinsame Sanierungsmaßnahmen in den Stadterneuerungsgebieten und dazu eine Schnittstelle - eine erweiterte MA 21-Kommission - vorgeschlagen.152 Lokale Präsenz und aktive Kommunikation

In einem Stadterneuerungsprozess ist eine engagierte Vermittlung zwischen den AkteurInnen, lokale Präsenz und aktive Kommunikation mit einer umfassenden Organisations- und Kommunikationskapazität sehr wichtig. Aktive, direkte Kontaktaufnahme mit den bestehenden Betrieben des Gebiets kann die Prozesse effizienter machen und beschleunigen.

Die lokalen Organisationen wie Grätzelmanagements und Gebietsbetreu-ungen sind im Grunde kommunal-basierte Einrichtungen. Ihre Kapazitäten und Kompetenzen sollten erweitert oder neuorientiert werden, um einen direkten Zugang zu den BewohnerInnen und Unternehmen im Gebiet zu ermöglichen. In den Städten Europas übernehmen zumeist die autonomen Bürgerinitiativen und -aktionen eine gewichtige Rolle, weil die Beteiligung und Selbstorganisation der BürgerInnen für eine demokratische und integrative Planung wichtig wird. So wird die Akzeptanz und das Identifikationsgefühl seitens der BewohnerInnen für den zu entwickelnden Stadtteil verbessert. Die Maßnahmen werden dadurch von ihnen mitgetragen.

Wirksame und gekoppelte Förderungen für Erdgeschossbetriebe Die Erhöhung der Wirksamkeit der Förderungsschienen ist eine der wichtigsten Handlungsansätze zur Unterstützung der Erdgeschossbetriebe. Die bestehenden Wirtschaftsförderungen, die für Erhaltung und Neugründung von Klein(st)-betrieben (in Erdgeschosslokalen) in Frage kommen, werden von den Betroffe-nen und den Behörden als „schwierig“ und „unzureichend wirksam“ eingestuft. „Der Aufwand ist zu hoch, dafür sind die Förderungen für die nötigen Investiti- 152 Abschlusskonferenz ‚Grätzelmanagement Wien’ (2006) und Feedback Veranstaltung des

wohnfonds_wien zur Blocksanierung (2006)

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 173

onen zu gering.“ Gerade die Kleinstbetriebe mit geringerem Investitionsrahmen, die eine finanzielle Unterstützung – zur Weiterexistenz oder zur Neugründung - dringend brauchen würden, bleiben den Förderungsangeboten fern.153

Die Zielgruppen suchen selten ihre Chancen bei den Förderungsstellen. Oder sie haben von diesen Möglichkeiten noch nicht gehört und sie daher nicht in Betracht gezogen.

Die Ziel-Gebiete der EU-Förderungen werden in die neuen EU-Regionen mit höherem Bedarf verlagert. Damit entfallen die EU-Förderungen für die Blocksanierungsgebiete, die fallweise in geförderten Gebieten der Stadt lagen.

Schaffung von günstigen Finanzierungen für Erdgeschossbetriebe Finanzierungsmöglichkeiten, die auch für Erdgeschossbetriebe geeignet sind, sind lebenswichtig. Oft ist es für diese nicht leicht, Finanzierungsmöglichkeiten zu finden.

Die bessere Integration der ethnischen/lokalen Wirtschaft als Nahversorger ist einer der Themenbereiche, die auch in Österreich zunehmend wichtig werden. Die Betriebe, die zur ethnischen Wirtschaft gehören, sollten besser an die bestehenden Beratungs- und Förderungsnetze angeschlossen sein. Diese Betriebe zeigen zum Teil einen hohen Beratungs- bzw. Modernisierungs- und Gestaltungsbedarf.

Um die Betriebe der ethnischen Wirtschaft an den lokalen Markt-bedürfnissen zu orientieren und um Wege zum nötigen Know-how zu zeigen, sind folgende Maßnahmen nötig:

die gestalterische Verbesserung für die Geschäfte und die Umgebung, leistbare Finanzierungs- bzw. Förderungsmöglichkeiten, Orientierung über die nötigen Befähigungen, Bewilligungen und amtlichen

Genehmigungen sowie rechtliche Beratung, bautechnische und betriebswirtschaftliche Beratung, die an die Be-

triebsgrößen angepasst ist. Die bestehenden Serviceeinrichtungen sind bei den UnternehmerInnen mit Mig-rationshintergrund häufig nicht bekannt, sie werden nicht als Hilfestellung gese-hen.

153 Kessler, I. et al. (2007): Bericht ‚Ethnische Ökonomien.Bestand und Chancen für Wien’.

Wien: L&R Soziale Forschung und Gespräche mit den MitarbeiterInnen des Wirtschaftsförderungsfonds und des WiFi in Wien

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 174

Die Gespräche im Rahmen dieser Studie in den Schwerpunktgebieten Wiens wie Brunnen- und Stuwerviertel in Wien, die mehrheitlich ethnische Wirtschaftsbetriebe in der Erdgeschosszone beherbergen, zeigten, dass viele Betriebe die aktuellen Angebote nicht kennen. In den letzten Jahren startete die Stadt eine Reihe von Initiativen zur Aktivierung der ethnischen Unternehmen. Dennoch bleibt das Thema stark politisch gefärbt.

Die Betriebe der ethnischen Wirtschaft werden von manchen Bezirkspoliti-kerInnen als verbesserungsbedürftige Straßenlokale gesehen, deren Kundschaft nicht der gepflegten Mittelschicht angehört. Es geht zum Teil soweit, dass die Straßenzüge, in denen die ethnischen Geschäftslokale konzentriert sind, als problematischer angesehen werden als reihenweiser, konzentrierter Leerstand.

Nicht nur die Betriebe der ethnischen Wirtschaft, die im Bereich der Nah-versorgung zunehmend eine wichtige Rolle spielen, bleiben über die Möglich-keiten der öffentlichen Unterstützungen oder sonstige Sachkenntnisse uninfor-miert, die oben angeführten Anforderungen vor allem an die Wirtschaftsförde-rungsorganisationen betreffen eigentlich alle Klein(st)betriebe der lokalen Wirt-schaft. Mehr Kapazitäten für den direkten Kontakt mit Betroffenen und Interessierten und mehr lokale Präsenz der betreuenden Organisationen werden in den Zielgebieten der Wiener Stadterneuerung zunehmend wichtig. Wie schon erwähnt, erreicht eine Präsenz an Ort und Stelle mehr Betriebe und Gründungsinteressierte. Schulungen oder Veranstaltungen, die zeigen, welche Möglichkeiten es gibt, sind auf der lokalen Ebene - in der Nachbarschaft – effektiver.

Weniger Abgaben und Auflagen für GründerInnen in der Erdgeschoßzone Die Unternehmen, die ein Erdgeschosslokal angemietet haben, müssen oft mas-sive bauliche Verbesserungen vornehmen. Bis zur ihrer Etablierung könnten sie von einigen Auflagen und Abgaben befreiet werden soweit es kein Sicherheits-risiko und keine Störungsfaktoren gibt. Die Betriebsgenehmigung behandelt die Unternehmen unabhängig von ihrer Größe gleich und stellt manchmal zu stren-ge Anforderungen. Nach Angaben der InterviewpartnerInnen lief die ‚Nachfol-gerbörse Wien’, eine Initiative der Wirtschaftskammer Wien um NachfolgerIn-nen für Auslaufbetriebe zu finden auch deshalb nicht effizient genug, weil bei einer Betriebsübernahme hohe Kosten anfallen, unter anderem wegen:

• Abgaben (Beiträge, Gebühren, Steuern), • Kosten für bauliche und technische Erneuerungen, für gesundheits-, si-

cherheits- und umwelttechnische Verbesserungen,

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 175

• Auflagen der Behörden, die bei Änderungen des Baubestandes und der Betriebsmittel zu Stande kommen (Emissionsschutz, Arbeitnehmer-schutz, usw.)

• Kosten der Stellplatzpflicht, die gegebenenfalls bei räumlichen und nutzungsspezifischen Änderungen anfällt.

Hier kann Einiges für die NachfolgerInnen verbessert werden. Ein Zurückstellen von neuen Auflagen (in einer Startzeit von beispielsweise ein bis zwei Jahren), um die neuen Betriebe zu stabilisieren oder eine Reduzierung von Abgaben und Gebühren und eine Reduktion der baulichen Vorschriften könnten dazugehören.

Es gibt derzeit Beratungsangebote zur Gründung und Erhaltung von Unternehmen. Die Klein(st)betriebe, die einen wichtigen Anteil an der Gesamtwirtschaft der Stadt und des Landes besitzen, werden von der öffentlichen Hand zunehmend mehr unterstützt, weil ihre stabilisierende Rolle EU-weit anerkannt wurde.

Die Erdgeschosslokale in sanierten, verkehrsberuhigten und neugestalteten Straßenzügen bekommen in der Regel eine weit überdurchschnittliche Nachfrage. Von den positiven Beispielen der Erdgeschossnutzung und Gestal-tung geht eine Signalwirkung aus. Sie öffnen neue Perspektiven zur Nutzung dieser Räume, die das Stadtleben sehr positiv beeinflussen können.

Dämpfung von Mietpreisen durch Beratung Eine Dämpfung der Mietpreise, die wegen der oft nicht marktkonformen Mietpreisvorstellungen der VermieterInnen von Erdgeschosslokalen hoch sind, ist unumgänglich. Direkte Informationen für die einzelnen VermieterInnen über realistische Mietpreise könnten die Mieten für die Betriebe leistbarer machen. Die einzelnen Gespräche mit den VermieterInnen im Stuwerviertel haben in Bezug auf die Mietpreise und neue Nutzungsperspektiven für die Erdgeschosse einige positive Resonanzen gezeigt. Die kontaktierten VermieterInnen der Erdgeschosslokale waren über die Marktpreise für Erdgeschosslokale nicht gut informiert. Bei der Höhe der Mieten spielen Desinteresse oder manche falschen Schätzungen der Hausverwaltungen und Maklerbetriebe sowie die Pressemeldungen über die Preisentwicklungen am Immobilienmarkt eine gewichtige Rolle. Eine Informationsoffensive für die VermieterInnen kann hier sehr nützlich sein. Die Beratung von VermieterInnen/EigentümerInnen kann zu einem realistischen Blick auf die Mietpreise und zu einer besseren Motivation zur Vermietung verhelfen, weil die Situation im Erdgeschoss auf die gesamte Immobilie ausstrahlt und das Umfeld prägt.

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 176

Umfeld als Standortfaktor von Erdgeschossräumen Die Qualität des Wohnumfelds, der angrenzenden Freiräume sowie der vorhan-denen Nahversorgung wird für die BewohnerInnen immer wichtiger. Mit der Zufriedenheit mit dem verfügbaren Freiraum im Wohnungsumfeld könnten vor allem die Familien mit Kindern (aus mittleren Einkommensgruppen) mehr in den dicht bebauten Stadtgebieten gehalten werden, die ihre Wohnorte zuneh-mend, nur in den arbeitsfreien Tagen oder überhaupt, an die Peripherie und ins Umland Wiens bewegen.

Wenn in der Nutzungsqualität der Erdgeschossebene und des Straßen-raums (in Bezug auf Verkehrsberuhigung, Aufenthaltsqualität, Kinderfreund-lichkeit und Grünraumangebot) Verbesserungen geschaffen werden, entwickeln sich mit der Zeit auch die angrenzenden Erdgeschossräume, ebenso wie die oberen Wohngeschosse. Wenn die Rahmenbedingungen des Umfelds von Erd-geschossräumen (Straßenraum und Hof) rundum verbessert werden, können die LiegenschaftsbesitzerInnen aktiviert werden, um private Verbesserungs- und Sanierungsmaßnahmen zu treffen. Im Hinblick auf verbesserte Chancen bei der Vermietung/Verwertung treffen sie überdurchschnittlich mehr Sanierungsmaß-nahmen in ihren Eigentumshäusern. (Zum Beispiel ging es im Berliner Stadter-neuerungsprogramm vorwiegend um eine Verbesserung in den öffentlichen Räumen bzw. Straßenräumen um die Investitionsbereitschaft der EigentümerIn-nen für die Modernisierung ihrer Häuser zu erhöhen.)

Ein verkehrsberuhigter oder verkehrsfreier und begrünter Straßenraum mit entsprechenden räumlichen Eigenschaften ermöglicht viel leichter unterschied-liche Nutzungen im Erdgeschoss. Einige Möglichkeiten wurden im Rahmen dieser Studie erörtert. Die Erdgeschosse sind direkt von der Umgebung bzw. von der Beschaffenheit der angrenzenden Straßenräume und der Innenhöfe der Blöcke geprägt. Erdgeschossräume als Schwerpunkt der Stadterneuerung Die Entwicklungsmaßnahmen im Rahmen der Blocksanierung sollten die Erd-geschosszone samt ihren offenen Hofflächen und Straßenräumen mehr als bis-her erfassen. Die Grundziele der Blocksanierung sind Entdichtung und Wohn-raummodernisierung der gründerzeitlichen Bebauung in einem ausgewählten Stadterneuerungsgebiet. Nach der Erreichung von erfolgreichen Zahlen und Fakten bei der Sanierung von Wohnungen in Wien, könnte sich nun der Schwerpunkt auf die Erdgeschosszone verschieben.

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 177

Sanierung einzelner Erdgeschosslokale als Impulsgeber

Im Rahmen der Blocksanierung können die VermieterInnen/EigentümerInnen über die Wertentwicklung ihrer Immobilie durch die Erdgeschosszone und den Hofbereich verstärkt angesprochen werden. Dennoch fehlt den Einzel- oder MiteigentümerInnen immer wieder die finanzi-elle Kraft oder Motivation um den Erdgeschossbereich ihres Hauses zu erneuern oder brauchbar zu machen. In der Regel gibt es keine Förderung für bauliche Maßnahmen für einzelne Nutzungseinheiten im Erdgeschoss, wenn nicht das gesamte Haus umfassend saniert wird.

Wie schon oben angeführt, bleiben auch bei einer umfassenden Sanierung die Räume der Sockelzone nicht im Mittelpunkt der Sanierung. Ein weiterer Handlungsansatz wäre eine Entkopplung der Sockel- und Totalsanierungen von den Förderungen zur Brauchbarmachung und baulichen Adaptierung von Erd-geschossen. Einzelmaßnahmen im Erdgeschoss zu unterstützen könnte eine Verbesserung für die Situation der gesamten Erdgeschosszone bringen.

Eine andere Möglichkeit ist die Sanierung von leerstehenden Erdgeschos-sen an problematischen oder strategisch wichtigen Standorten bzw. in den Blocksanierungsgebieten durch die öffentliche Hand, um Impulse zu geben. An Hand eines Vertrages zwischen der Stadt und dem/der Eigentümer/in kann ver-einbart werden, dass die Vermietungsrechte für die sanierten Erdgeschossräume nach ’Brauchbarmachung’ für eine bestimmte Zeit bei den Sanierungsbehörden liegen. Sie könnten dann diese Räume für geringe Mieten an kleine, belebende oder versorgende Betriebe wie Handwerk, Kunst oder an soziale Einrichtungen vermieten beziehungsweise diesen zur Verfügung stellen, um die Straßenzüge zu beleben und auch den Mietpreisspiegel des Viertels zu steuern (z. B. wie das Zwischennutzungsmodell der Stadt Leipzig). Bebauungspläne zur Sicherung der Sanierungsziele Die Sanierungspraxis zeigt, dass Verbesserungen bei Sanierungen hinsichtlich der allgemeinen Bebauungsstruktur (zusammenhängende Maßnahmen wie Entdichtung, Verbesserung der Lichtverhältnisse, Schaffung von Gemein-schaftsräumen, Schaffung von Grünflächen oder Spielflächen) nur sehr zeit- oder kostenaufwändig durchsetzbar sind. Die Flächenwidmungspläne (bezie-hungsweise Bebauungspläne) regulieren in den gründerzeitlichen Stadtstruktu-ren die Nutzungswidmungen, Bauhöhen, langfristig zu erhaltende oder abzurei-ßende Bauteile sowie Grünflächen. Sie geben Beschränkungen bei Umbau- Zubau- und Neubaumaßnahmen im Bestand vor.

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 178

Kurz- oder mittelfristig gesehen haben jedoch diese Planungsbestimmun-gen keine greifbare Wirkungskraft. (Zum Beispiel bleiben die Hofflächen, die versiegelt sind, weiterhin unverändert, obwohl die Flächenwidmungspläne eine gärtnerische Gestaltung vorsehen).154

Das Blocksanierungsprogramm setzt sich in den letzten Jahrzehnten, neben der intensiven Wohnraumsanierung gegen die bestehende hohe Dichte der Be-bauungsstrukturen und für die Begrünung bzw. für Grünflächen ein. Der für die Steuerung der Blocksanierung zuständige Bereich, der ‚wohnfonds_wien’ (Fonds für Wohnbau und Stadterneuerung der Stadt Wien), handelte nach den Prinzipien der so genannten ‚sanften Sanierung’. Die Finanzierung einer umfas-senden Sanierung durch die Wohnbauförderung ist mit Auflagen verbunden.

Die Auflagen für die vorgesehenen Baumaßnahmen bei Sanierungsvorha-ben betreffend Baudichte und Freiräume, die aus der Blocksanierungsplanung hervorgehen, sind nach dem Beschluss der MA 21-Komission eine verbindliche Voraussetzung für einen Förderungszuspruch. Dabei geht es vordergründig um die Verbesserung und Standardhebung von klassischen Wohngeschossen, sowie um deren natürliche Belichtung und Versorgung.155

Erdgeschosse bleiben zwar nicht ganz außerhalb des Blickwinkels der Konzeptplanung in den Blocksanierungsprojekten, sie liegen aber nicht unbe-dingt im Mittelpunkt der (Block-)Sanierungsüberlegungen.

Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass die Stadterneuerungsaufgaben ohne Lösungen für die gesicherte Nutzungsmischung in Gebäuden und für die Stra-ßenebene nicht ganz vollendet werden können.

In den letzten Jahren liefen in Wien einige kulturelle Programme gegen den Leerstand und die Verödung mancher Straßenzüge. Die Vergleiche zeigen aber, dass nur an Hand von baulich-architektonischen, sozialen und verkehrsorganisa-torischen Verbesserungen längerfristig und erfolgreich belebt und transformiert werden kann.

Im Rahmen der Blocksanierungsprojekte werden zwar immer wieder Be-standsaufnahmen für die Erdgeschossnutzungen sowie punktuelle Lösungsvor-schläge für die Freiraumgestaltung des jeweiligen Gebiets gemacht aber für die

154 In Wien sind die Flächenwidmungs- und Bebauungspläne in einem Plandokument vereinbart. 155 § 38: Bei der Förderung von Sanierungsmaßnahmen ist ein möglichst hoher Anteil von

Verbesserungsarbeiten mit dem Ziel einer Verbesserung der Bausubstanz und der Beseitigung von Substandard anzustreben. Sanierungsmaßnahmen mit einem geringen Anteil von Verbesserungsarbeiten und ausschließlich Erhaltungsarbeiten im Sinne des Mietrechtsgesetzes an oder in Wohnhäusern dürfen nur gefördert werden, wenn Wohnungen der Ausstattungskategorie C und D überwiegen und insoweit der Hauptmietzins gem. § 15a Abs. 3 Z 2 des Mietrechtsgesetzes durch die auf Grund dieser Erhaltungsarbeiten erhöhten Hauptmietzinse überschritten wird Quelle: Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetz 1989

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 179

öffentlichen Räume sind die jeweiligen Bezirke zuständig. Es gibt für die Sanie-rungsbehörde kein Instrument, um Einfluss auf die Umsetzung der Blocksanie-rungsmaßnahmen in den öffentlichen Bereichen sowie in den Straßenräumen auszuüben.

Zielfokussierung für eine nachhaltige Erdgeschossentwicklung Hier ist es noch wichtig, einen Handlungsbedarf aufzuzeigen, dass nämlich die Stadterneuerungsziele unbedingt von allen planenden und ausführenden Akteu-rInnen getragen werden müssen. Dazu gehören die Bereiche der Stadtverwal-tung wie Stadtplanung, Stadtgestaltung, Verkehrsplanung und -organisation, Baubehörde, Umwelt- und Grünraumplanung aber auch als Umsetzungsorgane (betreffend öffentliche Räume beziehungsweise Straßenräume) die Bezirkspoli-tik.

Ein Zusammenwirken der unterschiedlichen Ressorts wird zunehmend wichtiger, weil die Ressourcen knapper und die Aufgaben komplexer werden. Die Rolle der Dezentralisierung bei der Umsetzung ist verstärkt zu hinterfragen, um eine nachhaltige Transformation der städtischen Gebiete zu garantieren. Rechtliche Absicherung der Stadterneuerungsziele Die Bauordnung richtet sich grundsätzlich auf die Neubautätigkeit. Hier wer-den Regeln vorgeschrieben. Hingegen wird die Stadterneuerung beziehungswei-se Sanierung in der Bauordnung nur als Pflicht zur Bestandserhaltung (§ 129) behandelt. Eine behutsame Umgestaltung und Anpassung des gründerzeitlichen Baubestands, der seit rund 100 Jahren der Stadt ihren eigentlichen Charakter gibt, wird in den baulichen Vorschriften nicht umfassend erfasst.

Wenn die Sanierungsbehörden im Zuge der Blocksanierung oder anderer Sanierungsvorhaben mehr vorschreiben als die Bauordnung verlangt, haben sie bei der Durchsetzung Schwierigkeiten, weil es für die HauseigentümerInnen für das Vorgeschriebene keine zwingenden Verbindlichkeiten gibt.

Entdichtung versus Verdichtung in der Stadterneuerung Die zunehmende Nachfrage am Immobilienmarkt nach gründerzeitlichen Wohnungen senkte in den letzten Jahren die Förderungsinteressen der EigentümerInnen. Die mit der Sanierungsförderung verbundenen Auflagen

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können (Teil-) Abrisse bedeuten, die die Summe der vermietbaren Flächen reduziert. In diesem Fall sanieren einige EigentümerInnen ohne öffentliche Förderungen, weil sie Entdichtungs- bzw. Abbruchmaßnahmen für eine gute Verwertung nicht für notwendig halten. Außerdem werden die Altbauwohnun-gen in der heutigen erhitzten Marktlage, auch ohne verbesserte Licht- und Luft-verhältnisse rasch vermietet, weil sie häufig nur unter der Woche als Wohnun-gen genutzt werden.

In der Freizeit fahren die BewohnerInnen ins Grüne (Stadtflucht am Wo-chenende). Oder die EigentümerInnen vermieten die Wohnungen unsaniert, weil sie als ‚leistbare Wohnungen’ immer mehr gefragt sind, deren Zahl durch um-fassende Haussanierungen und durch Abrisse von Tag zu Tag weniger wird. Das bedeutet, weniger oder keine Investitionskosten für relativ hohe Mietein-nahmen. Auch in diesem Fall sind die EigentümerInnen an einer umfassenden Haussanierung bzw. an Sanierungsförderungen nicht interessiert.

In beiden Fällen wollen etliche VermieterInnen keine Beschränkung durch Mietzinsbindung, weil sie mit einer Sanierungsförderung in Verbindung steht. 156 Daher ist eine gesetzliche Sicherung der oben genannten städtebaulichen Maßnahmen für die gesamte urbane Transformation heute wichtiger denn je, um die festgelegten Ziele der nachhaltigen Stadtplanung und Stadterneuerung zu erreichen.

Eine Konzentration der Maßnahmen auf die jeweiligen Stadterneuerungs-gebiete ist die einzig effiziente Methode. Sie muss von allen zuständigen Äm-tern und der Politik gemeinsam getragen werden.

Diese Art des Vorgehens ermöglicht ein höheres Umsetzungspotenzial der Maßnahmen. Es schafft die Widersprüchlichkeiten der Zielsetzungen aus dem Weg, die zum Teil bei Stadtplanungsprozessen zwischen unterschiedlichen Bereichen auftreten.

Die ohnehin dichte gründerzeitliche Stadtstruktur Wiens, wuchs in den letzten Jahren durch die ausgeprägten Dachgeschossausbauten nach oben und wurde dadurch dichter als vorher.

Es gibt erfolgreiche Entdichtungsbeispiele in Wien, die von der Sanie-rungsbehörde in Zusammenarbeit mit den beauftragten ArchitektInnen initiiert und gesteuert worden sind. Aber leider sind diese noch Einzelbeispiele, die nur mit viel Engagement der MitarbeiterInnen der Stadt und der beauftragten Pla-nungsteams erreicht worden sind. Aber die Erhöhung der Bebauungsdichte in den dichtbebauten Stadtgebieten Wiens (vertikales Wachstum) geschieht flä-chendeckender als die mühsam erreichte Entdichtung im Zuge der Sanierungs-vorhaben.

156 § 62 Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetz, WWFSG 1989

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Die Verdichtung der zentral gelegenen gründerzeitlichen Stadt ist in den letzten Jahren ein Ziel der Stadtentwicklung geworden. Die Wege zum Abriss der historischen Häuser (insbesondere der kleineren und niedrigeren), um auf einer Parzelle dichter und höher bauen zu können, sind in den letzten Jahren rechtlich geglättet worden. Derzeit gibt es ein neuer Entwurf der Bauordnung, der eine Verschärfung der Rahmenbedingungen für ‚technische Abbruchreife’ vorsieht.157

Außerdem wird jede verfügbare Baulücke möglichst dicht bebaut. Die Im-mobilienbranche macht Druck, um die Bautätigkeit auf der Ebene des Dachge-schoßes rechtlich zu erleichtern, weil die Vermarktung von neu errichteten Dachwohnungen den Mittelpunkt ihrer Investitionsinteressen ausmachen.

Berücksichtigung der gesamt-städtebaulichen Blockstruktur Entkernungen und Teilabbrüche dienen zur Verbesserung und Aufwertung auch für Nachbarliegenschaften. Die Sanierungsförderung kann als Steuerungsele-ment für einen Ausgleich zwischen den Liegenschaften eingesetzt werden. Stra-tegisch wichtige Entkernungen bestimmter Blöcke sollten von allen Nachbarlie-genschaften finanziell oder durch Flächenaustausch ausgeglichen werden.

Die Maßnahmen für städtebauliche Verbesserungen (wie Teilabrisse von

Hintertrakten beziehungsweise die Reduktion ihrer Geschosszahl) bringen unmittelbare Vorteile (wie bessere Sicht-, Luft- und Lichtverhältnisse) für die eigene Liegenschaft aber auch für die Nachbarliegenschaften, daher ei-ne Aufwertung der davon profitierenden Immobilien,

aber auch einen Verlust an vermietbaren Flächen im Zuge der Entdich-tungsmaßnahmen.

Diese Positiva und Negativa sollten bilanziert und innerhalb der behandelten Blockstruktur ausgeglichen werden. Die Förderungsprinzipien könnten hier angepasst werden. Die EigentümerInnen der Liegenschaften, die zum Abbruch bereit sind, könnten mehr finanzielle Unterstützung bekommen, die angrenzen-den Liegenschaften dafür weniger, weil die Entwicklung dieser Immobilien durch die verbesserten Rahmenbedingungen eine neue Dynamik bekommt. Die heutige Praxis zeigt jedoch, dass die Abrisse zur Entdichtung kaum realisiert werden können. Im Gegenteil durch mehrgeschossige Dachausbauten und in den Baulücken fand eine massive Verdichtung statt. Ein Blick von oben zeigt 157 Zeitungsartikel in Kurier: kurier.at/immo/service/wiener-bauordnung-bald-mehr-balkone-und-

weniger-stellplaetze-in-wien/44.637.597 (2014-01-06)

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 182

deutlich die Folgen und das Ausmaß dieser Bautätigkeit im und um den Bestand der zentral gelegenen Stadtteile.

Aus diesem Grund sind die strategischen Ankäufe der Stadt wichtig. Der Kauf von strategisch wichtigen Liegenschaften oder nur von Hoftrakten in ei-nem Block kann diese Art von Ausgleich und vor allem seine Durchsetzbarkeit leichter ermöglichen und zur Schau stellen.

Die entdichteten Blockstrukturen können in den meisten Fällen für die Erdgeschosszone (zusammen mit den Hofflächen) einen guten Beitrag für eine nachhaltige Transformation der Stadt leisten, weil dadurch Wohnen an grünen Höfen als nutzbaren Freiräumen möglich werden kann. Auch bekämen mehr Wohnungen und Balkone Sonnenstrahlen, nicht zuletzt in der Ebene der Erdge-schosse. Das wäre nicht nur für die Erhöhung der Wohnqualität sondern auch für eine Reduktion des Heizenergiebedarfs zielführend.

Anzustrebende Nutzungsoffenheit der Erdgeschosszone Die Räume in der Erdgeschosszone werden wegen geringer Nachfrage seit Jahr-zehnten nicht saniert und sind wegen Feuchtigkeit und Verkehrsemissionen nicht bis nicht gut nutzbar, daher in sanierungsbedürftigstem Zustand.

Eine Widmungsfreiheit (Nutzungsneutralität) für die Erdgeschosszone in der gründerzeitlichen Bebauung schafft Nutzungsflexibilität.158 Eine offene Nutzbarkeit von leerstehenden Erdgeschossräumen ohne wesentliche Nutzungs-beschränkung erhöht das Nachfragepotenzial.

Außerdem könnte die gesetzlich vorgeschriebene Stellplatzpflicht bei Um-widmungen/ Umnutzungen in der Erdgeschosszone entfallen, die immer wieder finanzielle Hindernisse bei Nutzungsänderungen beziehungsweise bei Änderun-gen der Raumorganisation verursachten. Eine Kontrolle der Eignung der Raum-bedingungen kann durch gesetzliche Rahmenbedingungen und Bebauungsbe-stimmungen geschaffen werden. Die Nutzungen wie Abstell- und Lagerflächen könnten (fallbezogen) auch beschränkt, reduziert oder ausgeschlossen werden. Auch hybride Nutzungen im Erdgeschoss würden zunehmend für neue Arbeits-formen in Frage kommen. Zum Beispiel, eine Verbindung zwischen Erdge-schoss und darüber liegendem Geschoss kann für ein Wohn-Atelier-Modell in

158 Einer Widmungsänderung (z.B. Widmungsänderung von Wohnung zu Geschäftslokal) bzw.

einer baulichen Änderung (außer innerhalb des Wohnungseigentumsobjektes) in einem Wohnungseigentumshaus müssen alle restlichen WohnungseigentümerInnen zustimmen. Quelle: § 16 Wohnungseigentumsgesetz (2008) Weiters verfügen alle MiteigentümerInnen ein Zustimmungs- bzw. Ablehnungsrecht bei wesentlichen Änderungen oder Nutzungen eines Objektes. (§ 828 ABGB)

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 183

Frage kommen: Oben Wohnen und unten das Atelier. Dabei ist die Auswahl der Lage sowie die Bau- bzw. Architekturqualität besonders wichtig.

Die Sanierungsförderungen richten sich in der Regel nach (vermietbaren) Nutzflächen.159 So haben die LiegenschaftseigtümerInnen oder Förderungswer-berInnen der gründerzeitlichen Häuser kein Interesse an Gemeinschaftseinrich-tungen (wie Sozialräumen oder Kinderspielräumen) oder an Abstellflächen für Fahrräder und Kinderwägen im Erdgeschossbereich.

Wenn diese Einrichtungen wie auch im Neubau bei Haussanierungen (bau-rechtlich) vorgeschrieben wären, müssten sie errichtet werden. Es gibt auch Überlegungen, diese Flächen, die im Erdgeschossbereich Platz finden könnten, mit geringen Mieten vermietbar zu machen. Die Förderung von Gemeinschafts-flächen würde jedoch ihre Umsetzung erleichtern.

Die Müllcontainer verursachen insbesondere in den kleinen Höfen Proble-me. Geruchsentwicklung und Lärmprobleme sind den EigentümerInnen auch bewusst. Auch die Müllräume könnten gegebenenfalls straßenseitig mit einem direkten Zugang im Erdgeschosse untergebracht werden. Das würde die Müllab-fuhr vereinfachen und beschleunigen.

Beispielsweise verlegte man in der Stadt Basel die Müllsammelstellen in die Straßenflächen, ohne die Gehsteige in Anspruch zu nehmen. Parterre und Souterrain neu geplant Eine EU-Verordnung mit Vorschriften zur Erdbebensicherheit (Eurocode 8)160 rückt die Erdgeschosse zusammen mit den Souterrains und Kellergeschossen in den Mittelpunkt, sobald im Haus eine wesentliche Umbauarbeit (unter anderem Dachgeschossausbau) vorgenommen wird.161

In diesem Zusammenhang müssen nachträglich durchgeführte Änderungen an Mauerwerken rückgängig gemacht oder entsprechende Ersatzmaßnahmen zur Erdbebensicherheit getroffen werden.162

159 Verordnung der Wiener Landesregierung über die Gewährung von Förderungen im Rahmen

des II. Hauptstückes des Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetzes (Sanierungsverordnung 1997)

160 Eurocod 8: Eurocode 8: Design of structures for earthquake resistance, European Standard, EN 1998-1 (2004) https://law.resource.org/pub/eur/ibr/en.1998.1.2004.pdf (Zugriff: 2014-01-20)

161 Diskussionsveranstaltung der Interssengemeinschaft Architektur in Österreich zum Thema Dachgeschossausbau in Wien (2007)

162 Merkblatt der MA 37 Gruppe S der Stadt Wien, Statische Vorbemessung (2008)

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 184

Gerade die Erdgeschosse sind besonders davon betroffen, weil die meisten Änderungen (wie Zusammenlegungen der Räume, Öffnungen in Mauerwerk oder Raumteilungen) in diesem Bereich statt gefunden haben, da die wechseln-den NutzerInnen in den letzten 100 Jahren unterschiedliche Raumbedürfnisse hatten.

In diesem Sinne könnten die baulichen Verbesserungen in der Erdge-schoss- und Kellergeschossebene auch für Dachgeschossausbauvorhaben die nötigen Voraussetzungen erbringen. Es gibt einen starken Erneuerungsbedarf der Erdgeschosse und Kellergeschosse. Im Zuge der Sanierung könnten sie durch bauliche Instandsetzungsarbeiten (z. B durch eine neue Fundamentplatte) sowohl trocken gelegt als auch statisch stabilisiert werden. Danach könnten die Räume auf der Straßenebene und die unterhalb der Straßenebene unterschiedlich genutzt werden.

Es gibt dafür bereits gebaute Beispiele in Wien. Es wurden Wohnungen mit Gärten auf dem Souterrainniveau (unter dem Erdniveau) errichtet. Durch eine Teilabsenkung der Hofflächen sind moderne (Licht durchflutete) Wohnun-gen mit einem direkt zugänglichen Garten im Hof - möglich geworden.

Das schlechte Image von Erdgeschoss- und Souterrainwohnungen könnte durch positive Beispiele insbesondere bei den PlanerInnen korrigiert werden. Eine Voraussetzung für die erfolgreiche Transformation der Straßenebene eines Altbauhauses sind geeignete architektonische Lösungen und die Beschaffenheit der Hofflächen, die grün und verhältnismäßig groß und gut belichtet sein müs-sen. Der Teilabriss (Entzonung) von Hintertrakten im Rahmen eines Blocksa-nierungsprojektes könnte durch eine Verbesserung der Hofflächen und den Gewinn neuer Nutzflächen besser argumentiert werden.

Die geschlossene Hofstruktur kann durch Durchgänge und Teilöffnungen im Erdgeschossbereich geöffnet bzw. gelockert werden. Die Sichtverbindung zwischen einem grünen Hof und dem Straßenraum könnte die Attraktivität in beide Richtungen erhöhen. Die teils unter dem Straßenniveau liegenden Stock-werke könnten mit den oberirdischen Stockwerken verbunden werden um eine hybride Nutzung in einer Nutzungseinheit zu ermöglichen.

Der Bedarf nach einem Mix aus Wohnen und Arbeiten - beispielsweise auf zwei Ebenen wird weiterhin steigen. Diese nachhaltige Art zu leben und zu arbeiten kann ermöglicht werden, wenn die Räume unten für Büros, Ateliers, Werkstätten etc. und oben für den Wohnbedarf verwendet werden können. Eini-ge BauträgerInnen berichten, dass die Nachfrage nach einem Mix aus Woh-nen/Arbeiten eher gering ausfällt. Aber die in diesem Zusammenhang erwähn-ten Standorte waren eher in den Randlagen der Stadt und nicht in gründerzeitli-chen beziehungsweise innerstädtischen Gebieten.

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 185

Die Mischung von Wohn- und Arbeitsräumen in einer Einheit ermöglicht Flächen- und Kostenersparnisse durch Raum- und Nutzungsüberlappungen. Auch die Fahrzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz entfallen in diesem Fall. In Folge dessen können erhebliche Zeit-, Kosten- und Energieersparnisse erzielt werden. Abbildung: Eine Souterrain-Wohnung und ein leicht versenkter Hof in Wien

Quelle: Ulreich Bauträger GmbH

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 186

Abbildung: Abgesenkte Gärten und begrünte Höfe für Souterrain- bzw. Erdgeschosswohnungen in Wien

Quelle: Ulreich Bauträger GmbH

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 187

Neue Nutzungsformen in alten Erdgeschossen Soziale Einrichtungen könnten in geeigneten Lagen mit entsprechenden Stra-ßenprofilen oder Hof-Orientierungen verstärkt in den Erdgeschossräumen un-tergebracht werden. Die angesprochenen EigentümerInnen reagierten positiv auf diese Möglichkeit. Die baulichen Gegebenheiten bedürfen baulicher Adap-tierungen wie unter anderem für behindertengerechte Nutzungsmöglichkeiten.

Einrichtungen wie kleine Wohngemeinschaften für Senioren und Behinder-te oder Beratungsstellen könnten durch die Vereine den Förderungsstellen vor-geschlagen werden. So würden diese neuen Standorte - falls eine Förderung gewährt wird - baulich adaptiert. In der Regel müssen diese Maßnahmen sehr schnell durchgeführt werden. Wenn die angebotenen Erdgeschossräume den baulichen und räumlichen Standards von Anfang an nicht entsprechen, kommen sie eher nicht in Frage. Nicht sanierte Objekte für diese Zwecke können in der Regel schwer vermittelt werden.

Die EigentümerInnen wollen jedoch keine Investitionen in Verbesserungen oder entsprechende Adaptierungen der Erdgeschossräume vornehmen, bevor sie einen konkreten Mieter/in haben. So entsteht eine Patt-Situation. Hier würde das Zusammenbringen von potenziellen MieterInnen und VermieterInnen durch eine Vermittlungsarbeit helfen.

Erdgeschosse könnten in vielen Fällen (ohne Lift oder Rampe) direkt von der Straße zugänglich sein. Das kann die BewohnerInnen von Lift und Rampen unabhängig machen. Außerdem könnten die begrünten Höfe oder die neu er-richteten Vorgärten dem Freiraumbedarf der BewohnerInnen der Erdgeschoss-wohnungen dienen.

Es gäbe hohes Potenzial für Lösungen für einen barrierefreien Zugang. Es gibt seit den Gesprächen mit den VermieterInnen im Rahmen der Studie einige neue Beratungsbüros im Erdgeschoss, die Sozialarbeit anbieten, leicht zugäng-lich und und barrierefrei erreichbar sind. Überhaupt entwickeln sich zunehmend qualitätsreiche Arbeitsräume im Erdgeschoß, die Änderungen an den Fassaden wie Vergrößerung der Öffnungen gemacht haben.

Weitere Verbesserungskonzepte für das Erdgeschossumfeld, um ihre Nutz-barkeit und räumliche Qualität der Erdgeschossräume zu erhöhen, werden im nächsten Abschnitt besprochen.

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Visionen für Erdgeschoss-Neu

In diesem Abschnitt werden an Hand von typologischen Beispielen zur nachhal-tigen und bewohnerfreundlichen Straßenraumentwicklung unter anderem für zwei Straßenzüge im Untersuchungsgebiet Stuwerviertel im zweiten Wiener Bezirk, die Stuwerstraße und die Erlafstraße dargestellt.

Das Untersuchungsgebiet besteht aus dicht bebauten Arbeiterwohnhaus-blöcken mit kleinen und engen (Licht-) Höfen sowie breiten Allee-Straßen zwi-schen den Blöcken. Abbildung: Überblicksplan des Blocksanierungsgebiets Ilgplatz-

Stuwerviertel im zweiten Bezirk in Wien mit unregelmäßigen Blockstrukturen und breiten Straßen

Bildquelle: Stadt Wien

B. Bretschneider, Ökologische Quartierserneuerung,DOI 10.1007/978-3-658-02682-0_8, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 190

Abbildung: Luftbild der Stuwerstraße

Quelle: Stadt Wien Abbildung: Blick in die Stuwerstraße

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 191

Begrünung des Straßenraumes im Rahmen der Blocksanierung Es ist allgemein bekannt, dass die LiegenschaftseigentümerInnen die Hofflächen möglichst flächendeckend versiegeln und ohne Gestaltungs- und Wartungsauf-wand stilllegen. Vorschläge für Durchgänge, Wegführungen oder zu Nutzungs-möglichkeiten von Hofflächen werden kaum akzeptiert.

Auf der anderen Seite gibt es die Probleme mit den leerstehenden und un-tergenutzten Erdgeschossräumen. Wie schon oft betont;

Leerstand der Erdgeschossräume verursacht Image- und Identitätsprobleme

sowie Flächenverluste und Knappheit der offenen/grünen Räume verursacht eine Abwanderung der

StädterInnen, eine Stadtflucht in der Freizeit.

Die Nutzungsrechte der Gehsteige als öffentlicher Flächen könnten auf einen angemessenen Zeitraum limitiert (wie bei den Schanigärten), an Private überge-ben werden. Eine streifenförmige Grünfläche (Vorgarten) an der Gebäudekante im öffentlichen Straßenraum könnte für die/den Liegenschaftseigentümer/in unter bestimmten Voraussetzungen leichter ermöglicht werden; zum Beispiel im Abtausch gegen ein Verfügungs- bzw. Planungsrecht über innenliegende Hof-flächen für die öffentliche Hand.

Die Beschaffenheit der Bebauungsstruktur bestimmt hier die Machbarkeit der Idee: Die Höhe der Gebäudezeile und die Breite der Straße spielen dabei eine wesentliche Rolle. Die breiten Straßen der gründerzeitlichen Bebauung (mit rund 18,96 Metern wie im Stuwerviertel) eignen sich für eine Implementie-rung von Vorgärten und Grünstreifen im Straßenraum.

Das Ziel dabei wäre eine Vermehrung der nutzbaren Grünflächen in dicht bebauten Stadtgebieten und die Beseitigung der versiegelten Flächen.

Diese Grünstreifen zwischen der Gebäudekante und dem öffentlichen Geh-steig könnten, wenn auch nur schmal und vorübergehend hergestellt, die folgen-de Vorteile mit sich bringen:

Die Vorgärten schaffen einen Grünbereich und zugleich eine Pufferzone

zwischen Erdgeschoss und Verkehrsfläche, die privat zu betreuenden Vorgärten können zu einer Aufwertung von Erd-

geschossen und zu einer Erhöhung von deren Nutzbarkeit (als Arbeits- und Wohnfläche, als betreute Wohngemeinschaft oder Gastronomiebetrieb) beitragen,

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 192

wenn die Flächen im Hof durch die Verfügungsrechte nutzbar und gestalt-bar gemacht werden, können die üblichen Schwierigkeiten bei der Zusam-menlegung der Hofflächen wesentlich reduziert werden,

so können die ‚unberührbaren Hofflächen’ je nach städtebaulicher Beschaf-fenheit der Hofstruktur und bei Bedarf als nutzbare beziehungsweise be-gehbare Grünflächen gestaltet werden,

bislang fehlende Aufenthaltsräume und gegebenenfalls Kleinkinderspiel-flächen können somit für die BewohnerInnen innerhalb der Blockstruktur geschaffen werden,

ein in der Erdgeschossebene durch Passagen und Durchgänge geöffneter Block, dessen Durchsetzung im Regelfall so gut wie unmöglich ist, kann fallweise den Fußverkehr durch kurze und attraktive Wegführungen, siche-re und ruhige Übergänge unterstützen. (Obwohl die Wege, die über die Hö-fe verlaufen, in den Wiener Bebauungsplänen vorgesehen werden, können sie bei den PrivateigentümerInnen meist nicht durchgesetzt werden.)

Stuwerstraße als ‚Vorgarten’-Straße Die folgenden Abbildungen zeigen schematische Überlegungen für eine neue Gestaltung der Stuwerstraße im Blocksanierungsgebiet. Ein begrünter Streifen an der Gebäudekante zur Straße - als eine Art Vorgarten als Pufferzone zwi-schen den Erdgeschoßwohnungen oder Geschäftslokalen und den parkenden Autos, verbessert an der nördlichen Häuserzeile die Lebensqualität.

Die zunehmend verbreiteten Schanigärten der Gastronomie auf den Geh-steigen bzw. in den Straßenräumen könnte hier ein Modell zur ‚privaten Nut-zung im öffentlichen Raum’ bilden. Veränderungen an der Fassade der Erdge-schoßzone wie die Vergrößerung der Öffnungen oder eine Gestaltung zur Ver-hinderung der Einsicht kann den üblichen Probleme der Erdgeschosse entge-genwirken.

Die Knappheit des Tageslichtes oder eine schlechte Aussicht und Ver-kehrslärm können durch Gestaltung und Begrünung - vor der Fassade - auf der Ebene der Straße beseitigt werden. In den letzten Jahren vermehren sich auch in Wien gute Beispiele.

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 193

Abbildung: Begehbare Vorgärten und Grünstreifen als Pufferzone zwischen parkenden oder fahrenden Autos und Erdgeschossen

Abbildung: Begrünungspotenzial der Stuwerstraße: Vorgärten

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 194

Abbildung: Die begrünte Stuwerstraße in Wien mit Schräg- und Parallelparkplätzen

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 195

Abbildung: Blick in die begrünte Stuwerstraße

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 196

Abbildung: Blick in die Stuwerstraße mit Begrünungsmaßnahmen

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 197

Straße als grüner Hof: Wohnen am Park Weil viele leerstehende Pkw-Stellplätze in den Straßen des Stuwerviertels und in den Garagen der Umgebung vorhanden sind, könnte die Zahl der Straßen-parkplätze reduziert werden. In diesem Zusammenhang könnte die Erlafstraße im Stuwerviertel in eine multifunktionale Hoffläche, zu einen grünen Straßen-hof umgestaltet werden.

Der angrenzende halböffentliche Hof des Gemeindebaus in der Erlafstraße, welcher von den BewohnerInnen kaum genutzt aber vor der Öffentlichkeit stark geschützt und abgeschirmt wird, könnte als Erweiterung des Straßenhofs behan-delt werden. Ein öffentlicher Raum als begehbare Fläche wird in der Regel von den BewohnerInnen stärker angenommen als halböffentliche Flächen einer eingezäunten Anlage. Beispiele dafür gibt es auch in Wien.

Die Erlafstraße bildet eine Achse zwischen dem Max-Winter-Park und der Volksschule Wolfgang-Schmälzl-Gasse (im Westen) und dem Sigmund Freud-Gymnasium in der Wohlmutstraße (im Osten), daher wird sie von Kindern und Jugendlichen häufig frequentiert.

Die Hausanlage der Gemeinde zeigt Erneuerungsbedarf. Die Wohnungen in den schmalen U-förmigen Baukörpern an der Erlafstraße könnten - mit Bal-konen und Wintergärten aufgewertet werden, die eine Pufferrolle zwischen dem öffentlichen (geöffneten) Platz zur Straße und den privaten Wohnräumen spie-len würde. So kann ein hierarchischer Übergang zwischen Öffentlichem und Privatem ermöglicht werden. Abbildung: Die Erlafstraße zwischen zwei Schulen und einem grünen Platz

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 198

Abbildung: Die Erlafstraße im Stuwerviertel ist eine wichtige Achse für FußgeherInnen, insbesondere für Kinder

Quelle: Stadt Wien

Abbildung: Die Erlafstraße im Stuwerviertel ist eine breite Allee-Straße: Die Einbahnstraße verfügt bis 22.00h über zahlreiche freie Parkplätzen

Quelle: Stadt Wien

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 199

Abbildung: Blick in die Erlafstraße mit dem angrenzenden Gemeindebau (auf der linken Seite)

Abbildung: Blick in die Erlafstraße vom Park Winter Platz

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 200

Abbildung: Halböffentlicher Gemeindebauhof, der an die Erlafstraße grenzt

Abbildung: Schematische Darstellung der Begrünung und der

Zusammenlegung von Erlafstraße und Gemeindebauhof

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 201

Abbildung: Schematische Darstellungen zur Zusammenlegung und Begrünung von Erlafstraße und Gemeindebauhof

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 202

Abbildung: Begrünung der Erlafstraße und des Gemeindehofs

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Ausblick

Das Nutzungspotenzial der gründerzeitlichen Erdgeschosse ist sehr eng mit den städtebaulichen Gegebenheiten sowie mit der Beschaffenheit der Straßenräume und Höfe verflochten. Die Nachhaltigkeit der Maßnahmen wird zunehmend wichtig, um die Qualität des Stadtlebens langfristig abzusichern.

Die Blocksanierung als Stadterneuerungsinstrument ist ein komplexes Be-teiligungsverfahren unter Einbeziehung aller politischen und administrativen Stellen einerseits, der BewohnerInnen und sonstigen NutzerInnen des Block-sanierungsgebiets andererseits. Die BewohnerInnen spielen hier eine besondere Rolle, weil sie anderes als im Neubaubereich bereits im Gebiet ansässig sind.

Heute sind enge Vernetzungen für gemeinsame Ziele sowie strategisches und transparentes Handeln seitens der Stadtverwaltungsbehörden (unter ande-rem Stadtplanung, Stadtentwicklung, Stadterneuerung, Umweltschutz, Ver-kehrsplanung, Wirtschaftsförderung und Sanierungsförderung) von besonderer Bedeutung.

Die in manchen Fällen widersprüchlichen rechtlichen und förderungstech-nischen Vorschriften verhindern oder verlangsamen die Umsetzung und Durch-setzung der nachhaltigen Ziele.

Das Wiener Blocksanierungsmodell ist international anerkannt und als so-ziales Stadterneuerungsprogramm bereits preisgekrönt. Die Stadterneuerung stellt auch die Stadt Wien von Jahr zu Jahr vor neue Herausforderungen, die bewegliche Ziele erfordern.

Hier werden einige Verbesserungs- und Optimierungsvorschläge nochmals kurz zusammengefasst, die unmittelbar die Situation der Erdgeschosszone und des Straßenniveaus betreffen.

Die Förderungen für städtebauliche Maßnahmen (wie Entdichten, Grün-

raumschaffung, Gestaltung und Schaffung von nutzbaren öffentlichen Frei-räumen sowie Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung) und für die Erdge-schosszone sollten mehr als bisher Schwerpunkte der Sanierungsförde-rungspolitik sein, weil gerade deren Umsetzungen das Leben in einem Viertel stark beeinflussen.

Ihr Umsetzungsgrad zeigt Handlungsbedarf. Die Überzeugungsarbeit bei den LiegenschaftseigentümerInnen stößt an ihre Grenzen. Hier ist eine Er-

B. Bretschneider, Ökologische Quartierserneuerung,DOI 10.1007/978-3-658-02682-0_9, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 204

weiterung der bestehenden Maßnahmen bzw. die Einsetzung von neuen In-strumenten gefragt. Für die Absicherung der städtebaulichen Sanierungs-ziele sind verbindliche Instrumente auf unterschiedlichen Ebenen der Stadtorganisation notwendig.

Die Verbesserung des Wohnumfelds löst mehr Dynamik in der Investiti-onsbereitschaft der EigentümerInnen bei der Sanierung ihrer Häuser aus.

Wegen der unmittelbaren Relevanz der angrenzenden Straßenräume für die Erdgeschosszone ist auch eine koordinierte Vor(an)gehensweise aller amt-lichen und politischen Entscheidungstragenden hinsichtlich Finanzen und Planen (Bezirk und Dienststellen der Stadt) unumgänglich.

Um die ursprünglichen Ziele der Blocksanierung zu erreichen und auch zu er-weitern sind folgende neue Instrumente einzusetzen:

Die Bauordnung Wien sollte auch die Sanierungstätigkeit (so wie die Neu-

bautätigkeit) zu Gunsten der allgemeinen Interessen regulieren und für die Anforderungen der Sanierungsbehörden eine rechtliche Basis schaffen: Über die in der Bauordnung (bzw. nach § 3, § 4 und § 6 MRG) vorgesehe-ne Erhaltungspflicht hinaus, müssten die Bauwerber/innen bei einem Um-bau- oder Zubau- bzw. Sanierungsvorhaben bestimmte Voraussetzungen erfüllen: Schaffung von Gemeinschaftsräumen, Verbesserung von Licht- und Besonnungsverhältnissen, Nachweis des Grünflächenanteils (vertikal wie horizontal), Errichtung von Kleinkinderspielplätzen sowie barrierefrei-er Müllsammel- und Abstellflächen - ohne das Wechselspiel zwischen Erdgeschoss- und Straßenraum zu stören.

Die Kontrolle des Erfüllungsgrades dieser ‚neuen’ Maßnahmen am Bestand wäre komplexer als bei Neubauvorhaben. Die Endkontrolle zur Fertigstel-lung bekommt hier ein besonderes Gewicht, damit die vorgeschriebenen Maßnahmen auch wirklich realisiert werden.

Allerdings erzeugen Neubauten in der gründerzeitlichen Bebauung bezüg-lich der Erdgeschossnutzungen mehr Probleme, weil sie in der Regel mehr Dichte als der umgebenden Bestand aufweisen und sich mehr als Altbauten mit den blinden Fassaden ihrer – meist im Erdgeschoß platzierten - Parkga-ragen und Abstellräume zur Straße wenden. Hier sollten auch Baugesetze geändert werden, um die Qualität der Straßenräume anzuheben.

Außerdem sollten die Flächenwidmungs- und Bebauungspläne für die gründerzeitlichen Gebiete Richtwerte für die maximale Baudichte festle-gen, die den eventuellen Nachverdichtungen der ohnehin sehr dicht bebau-ten Gebiete verbindlich entgegen wirken würden.

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 205

Die aktuellen Flächenwidmungspläne sehen in den Hofflächen (wieder) die niedrigen Bauklassen (z.B. BK I) vor, die eine zusätzliche Verdichtung bedeuten können. Diese Art von Hofbebauungen sollten nur im Falle eines (Teil-)Abbruches eines Hoftraktes möglich gemacht werden (durch festge-legte maximale Dichte der Liegenschaft und des gesamten Blocks).

Die Flexibilität und gleichzeitige Qualität der historischen Bebauung in den Bebauungsplänen abzusichern, bedarf einer umfassenden Planungstechnik: die Flexibilität für Abweichungen von den Bebauungsplänen, deren Aus-maß durch die Kommission für Flächenwidmungs- und Bebauungspläne festgelegt wird, wäre zu erweitern und zu vertiefen

Dafür sind Untersuchungen mit nötigen Simulationen und Variationen zu Belichtungs-, Besonnungs- und Sichtverhältnissen anzustellen. Ebenso sollten Grundlagen wie Bewohnerstrukturen, Einkommensverhältnisse der BewohnerInnen oder das bauliche (grundrissbezogene) Veränderbarkeits-potenzial eine größere Rolle spielen. Nur so können Schwerpunkte für die (städte-)baulichen Maßnahmen festgelegt werden, um greifende Hand-lungswege zu entwickeln.

Im Moment grenzen die (Block-)Sanierungsgebiete an die strategischen Zielgebiete der Wiener Stadtplanung, die wegen Imagesteigerung durch Infrastrukturverbesserung in diesen Gebieten ohnehin eine Entwicklungs-dynamik bekommen. Die sanierungsdringlichen Gebiete, die schwächer an Infrastruktur- und Versorgungsnetze angeschlossen sind, könnten mehr Gewicht bei Blocksanierungsmaßnahmen bekommen.

Eine Bündelung der Maßnahmen in Blocksanierungsgebieten (wie Schaf-fung und Gestaltung von Grünanlagen sowie von Fußgeher-freundlichen Straßenräumen) könnten die Erdgeschosszone nachhaltig beleben. Diesbe-züglich sollten die BewohnerInnen einbezogen werden. Experimentelle Lö-sungen könnten getestet und positive Beispiele verbreitet werden.

Die Tätigkeitsfelder der verschiedenen Ressorts der Stadt für Sanierung, Grünflächen, Verkehr und Straßenraumnutzung sowie architektonische und städtebauliche Planung und auch der Organisationen für Wirtschaftsförde-rungen berühren die Stadterneuerung. Eine verstärkt konzentrierte und ko-ordinierte Fokussierung der Sanierungs-, Wirtschafts-, Grünraum- und Kul-turförderungen könnten mehr Erfolge (insbesondere für die Erdgeschoss-zone) erzielen.

Eine Evaluierung der abgeschlossenen Blocksanierungsvorhaben, mit ent-sprechenden Zahlen und Fakten, gekoppelt mit einer Öffentlichkeitsarbeit könnte die verdiente größere Akzeptanz und Anerkennung bringen. Dadurch kann eine treffsicherere Neuorientierung und Optimierung des Programms ermöglicht werden. Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit ge-

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 206

hören heute international zu den meist propagierten Eigenschaften einer modernen Verwaltung und Planung.

Das lokale Engagement und die Präsenz der Blocksanierungsverantwortli-chen sowie ihre Kooperation mit den lokalen Organisationen und den Be-wohnerInnen, auch an Hand von informellen bzw. ungezwungenen Bezie-hungen, stehen für die sozialen Aspekte der Sanierungsprogramme.

Eine Förderung für Nichtwohnnnutzungen und Gemeinschaftsflächen (all-gemeine Flächen des Hauses, die nicht vermietbar sind) könnte für ihre Er-richtung am Bestand eine große Motivation sein.

Dafür sollte die Förderung der Pkw-Plätze abgeschafft werden, die die Erdgeschosszone eindeutig negativ beeinflussen und Sicherheitsprobleme verursachen. Eine grundlegende Änderung des Gargagengesetzes gab es noch nicht.

Die straßenseitigen Balkone auch im gründerzeitlichen Bestand können ggf. eine Belebung der Erdgeschosszone bewirken. Die Gestaltungsmerk-male wie Material, Konstruktion und Größe sind hier besonders wichtig um negative Folgen (wie Beschattung, Sichtbarriere, Lärm) zu vermeiden.

Die Widmungsfreistellung der Erdgeschosszone für Nutzungen wie Woh-nen, Büro, Kulturelles oder Kleinstgewerbe (auch Gastronomie) würde ei-nige Erleichterungen für die Nutzbarkeit der Erdgeschossräume bringen, nicht nur wegen der abzuschaffenden Stellplatz-Nachweispflicht, die für die Kein(st)-Nutzungen bei Umwidmungen eine erhebliche finanzielle Last bilden kann.

Nach Angaben der Befragten sind die Förderungen und Unterstützungen für Kleinstbetriebe nicht ausreichend und aktivierend. Hier wird von zahl-reichen Interviewpartnern ein starker Verbesserungsbedarf gesehen.

Die Förderungen für Hof- und Dachbegrünungen werden auch als nicht ausreichend gesehen, sie könnten wirksamer gemacht werden. Vorgärten sind kein Gegenstand einer Begrünungsförderung.

Das Blocksanierungsvorhaben im Pilotgebiet der Studie, Ilgplatz im Stuwervier-tel ist abgeschlossen: Wie die vorgesehenen Maßnahmen der gegen Ende 2007 beschlossenen Konzeptplanung - insbesondere für die Straßenräume - umgesetzt werden können, ist fraglich. Aber die bisherigen Erfahrungen und Kontakte im Gebiet zeigen ähnliche Verhältnisse wie die derjenigen Blocksanierungsverfah-ren, die in den letzten Jahren abgeschlossen wurden.

Der überhitzte Immobilienmarkt und das Ausmaß der Dachgeschossaus-bautätigkeit werden das Viertel ändern. Die anfänglich leer stehenden Erdge-schoße sind in den letzten Jahren weniger geworden. Diejenige, die über einen guten Baustandard verfügten, wurden inzwischen vermietet.

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse 207

Der Leerstand im Erdgeschoß bleibt im Viertel ein Zeichen der Baufällig-keit. Der benachbarte neue Campus der Wirtschaftsuniversität beschleunigt die Transformation des Gebietes, trotz des bisherigen negativen Images in den Me-dien. Allerdings, die Art der Berichtserstattung ändert sich inzwischen ebenso. In den Medien wird das Viertel zunehmend als hoch dynamisches Entwick-lungsgebiet der Stadt dargestellt. Diese Entwicklung lässt vermuten, dass die BewohnerInnenstruktur des Viertels mit überwiegend niedrigen Einkommens-gruppen sich mit der Zeit ändern wird.

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Literaturauswahl In diesem Buch wurden Quellen und Literaturangaben direkt auf der jeweiligen Seite angeführt. Die Mehrheit der Quellen wie statistische Daten oder Ergebnisse von relevanten Studien wurden direkt aus dem Internet bezogen. Weitere Quellen bilden die Ergebnisse der eigenen Feldforschungen, Zählungen oder Interviews.

Die folgende Liste beinhaltet ausgewählte Referenzbücher und -zeitschriften, die für die Studie relevant sind: ALISCH, Monika (Hrsg.) (1998): Stadtteilmanagement. Voraussetzungen und Chancen für die soziale Stadt. Opladen: Leske + Budrich ASUM Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung GmbH in Berlin (2006): Perspektiven des Samariterviertels. Berlin Arbeitsgemeinschaft IFIP-Fachbereich Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik der Technischen Universität Wien und SRZ-Stadt+ Regionalforschung GmbH (2007): Eigentümerstrukturen im Wiener Privaten Althaus-bestand. Analyse der Veränderungen und deren Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt in Wien. Verfasst im Auftrag der Arbeiterkammer Wien Barlas, M. Adnan (2006): Urban Streets & Urban Rituals. Ankara: Middle East Technical University, Faculty of Architecture. 89-99 Bretschneider, Betül (2007): Remix City Nutzungsmischung. Ein Diskurs zu neuer Urbanität: Frankfurt, Berlin, Bern, Bruxelles, New York. Oxford, Wien: Peter Lang Verlag. 23 Bretschneider, Betül (2007): Gentrification. Vom Ausländer-Getto zum Szeneviertel? In: Architektur und Bauforum. 07-2007 Bretschneider, Betül (2004): Wem gehört die Stadt? In: Stimme- Zeitschrift der Initiative Minderheiten: 51-2004

B. Bretschneider, Ökologische Quartierserneuerung,DOI 10.1007/978-3-658-02682-0, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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Literaturauswahl 210

Bretschneider, Betül (2009): Grün liegt in der Luft. Grün in der Stadt. In: FORUM-Architektur & Bau Forum 372/10- 2009. Wien Bretschneider, Betül (2013): Architektur kann kontern. Gegen Klimawandel und seinen Einfluss auf die Stadt. In: BAUEN-Architektur & Bau Forum 01-2013. Dangschat, S. Jens. (2001): Gentrification - Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnstandorte. In: Derive: 4-2001 Feldkeller, Andreas (Hrsg.) (2001): Städtebau: Vielfalt und Integration. Neue Konzepte für den Umgang mit Stadtbrachen. Stuttgart & München: Deutsche Verlagsanstalt Friedrichs, Jürgen (2000): Ethnische Segregation im Kontext allgemeiner Segregationsprozesse in der Stadt. In: Harth, A., Scheller, G., Tessin (Hrsg.): Stadt und soziale Ungleichheit. Opladen Häußermann, H., Holm, A., Zunzer, D. (2002): Eigentümerstruktur und Investitionsbedingungen. In: Stadterneuerung in der Berliner Republik- Stadt, Raum und Gesellschaft Volume 16: 97-111 Hegemann, Werner (1992 Nachdruck): 1939. Das steinerne Berlin. Braunschweig/Wiesbaden: Friedr. Vieweg & Sohn Verlags-gesellschaft mbH (1988) Häußermann, H., Holm, A., Zunzer, D. (2002): Stadterneuerung unter veränderten Bedingungen. In: Stadterneuerung in der Berliner Republik. Stadt, Raum und Gesellschaft. Volume 16: 29-40 Handbuch für Berliner Landschaftspläne (2007): VIII. Biotopflächenfaktor (BFF) Imrie, R., Lees, L., Raco, M. (2009): Regenerating London. Governance, Sustainability and Community in a Global City. London ans New York: Routledge Kauf, T. (2007): Innerstädtische oder innenstadtnahe Quartiere mit nicht modernisierter Bausubstanz und unterdurchschnittlicher Umweltqualität. In: Die soziale Stadt

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Literaturauswahl 211

Kessler, Irene et al. (2007): Bericht ‚Ethnische Ökonomien. Bestand und Chancen für Wien’. Wien: L&R Soziale Forschung und Gespräche mit den MitarbeiterInnen des Wirtschaftsförderungsfonds und des WiFi in Wien (2007) Lange, Bastian (2011): Klein aber fein. Wachstumslogiken der Kreativwirtschaft in Berlin. In: Arch+ Zeitschrift für Architektur und Städtebau. 2011-201/202. 78-79 Knoflacher, Hermann (1995): Fußgeher- und Fahrradverkehr. Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag. 50 BBR Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.) (2000): Stadtentwicklung und Städtebau in Deutschland. Bonn Kos, W., Rapp, C. und Wien Museum (Hrsg.) (2005 überarb.): Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war. Wien: Czernin Verlag Kundert, L. und Stalder, T.: Wie Leben im Haus Einkehr hält. In: werk, bauen+wohnen. 6-2013 Lachmund, Jens (2013) Greening Berlin. The Co-Production of Science, Politics and Urban Nature. Cambridge: MIT Press Landry, Charles (2008): The Creative City. A Toolkit for Urban Inovations. London: Comedia-Eartscan Maderthaner, W., Musner, L. (2000): Die Anarchie der Vorstadt. Das andere Wien um 1900. Frankfurt/New York. 39-50 Raith, Erich (2000): Stadtmorphologie. Annäherungen, Umsetzungen, Aussichten. Wien: SpringerWienNewYork Masterplan Verkehr 2003 der Wiener Stadtentwicklung und Stadtplanung Noizet, Hélène (2008): Fabrique urbaine: a new concept in urban history and morphology. In: Urban Morphology. Journal oft the International Seminar on Urban Form Volume 13: 1-2009 Schnur, Olaf (Hrg.) (2008): Quartiersforschung. Zwischen Theorie und Praxis. Wiesbaden: VS Research

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Literaturauswahl 212

Schwanke, Dean (Hrsg.) (2003): Mixed Use Development Handbook: USA: ULI-Urban Land Institut Siebel, Walter (2004): Die europäische Stadt. Frankfurt: Suhrkamp Verlag Vidler, Anthony (2011): The Scenes of Street: Transformations in Ideal and Reality, 1750-1871. In: The Scenes of the Street and Other Essays. New York: The Monacelli Press. 16-129 Rohls, W. Horst (1987): Berlin um 1900. Anfänge der Arbeiterfreizeit. In: Mittelungen aus der Kulturwissenschaftlichen Forschung Nr. 21. Berlin: Wissenschaftsbereich der Sektion Ästhetik und Kunstwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. 31-37 United Nations Conference on Human Settlements (1996): The Habitat Agenda and Istanbul Decleration: Second United Nations Confrence on Human Settlements. United Nations Department of Public Information. New York Vollenweider, Ingemar (2013): Sockel als Relief und Schwelle. Entwurfspotenziale des Sockels aus Konstruktion und Nutzung. In: Werk, bauen+wohnen 6-2013. 9-12 Weihsmann, Helmut (1985): Das rote Wien. Wien: Promedie Druck und Verlagsges. m.b.H. Zukin, Sharon (2010): Naked City. The death and life of authentic urban places. New York: Oxford University Press


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