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König Abdullah II. von Jordanien Die letzte Chance · nutzen, werden wir, da bin ich mir sicher,...

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König Abdullah II. von Jordanien Die letzte Chance
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König Abdullah II. von JordanienDie letzte Chance

König Abdullah II. von Jordanien

Die letzte ChanceMein Kampf für Frieden

im Nahen Osten

Aus dem Englischen von

Karola Bartsch, Gabriele Gockel

und Barbara Steckhan

Deutsche Verlags-Anstalt

Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel Our Last Best Chance. The Pursuit of Peace in Times of Peril

bei Viking/Penguin Group (USA).

Autorenhonorar aus dem Verkauf dieses Bucheskommt der Königlichen Akademie zugutezur Unterstützung des Stipendiumfonds

für bedürftige Studenten.

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete FSC®-zertifi zierte Papier EOS

liefert Salzer, St. Pölten.

1. Aufl ageCopyright © 2011 King’s Academy, Inc.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 Deutsche Verlags-Anstalt, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbHAlle Rechte vorbehalten

Lektorat: Andreas WirthensohnTypografi e und Satz: Brigitte Müller /DVA

Gesetzt aus der DanteDruck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in GermanyISBN 978-3-421-04460-0

www.dva.de

Dem jordanischen Volk gewidmet

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Teil I 1 Die Anfänge des Konfl ikts . . . . . . . . . . . . . . . 25 2 Der Junikrieg von 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3 Dunkle Wolken über Amman . . . . . . . . . . . 49 4 Ankunft in Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Teil II 5 Sandhurst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 6 Nächte in Qatrana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 7 In geheimer Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 8 »Ihr habt keine Chance« . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 9 Eine königliche Hochzeit . . . . . . . . . . . . . . . 117 10 Lehrstunden in Sachen Diplomatie . . . . . . . 128 11 Außergewöhnliche Aufgaben . . . . . . . . . . . . 145

Teil III 12 In den Fußstapfen einer Legende . . . . . . . . . 157 13 Mein Amtsantritt als König . . . . . . . . . . . . . . 181 14 Freunde und Nachbarn . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 15 Reformen in Jordanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 16 Ein Deerfi eld in der Wüste . . . . . . . . . . . . . . 242

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Teil IV 17 Jerusalem: Der Kern des Konfl ikts . . . . . . . . 255 18 Krieg statt Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 19 Krieg in der Wüste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 20 »Sie werden uns als Befreier begrüßen« . . . 303

Teil V 21 Mein Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 22 Jordaniens 9/11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 23 Die Botschaft aus Amman . . . . . . . . . . . . . . . 344

Teil VI 24 Das Ende einer Ära . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 25 Die Maske fällt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 26 Eine neue Stimme aus Amerika . . . . . . . . . . 385 27 Festung Israel oder eine 57-Staaten-Lösung? 405

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

Inhalt

Vorwort

Als ich vor zwei Jahren mit diesem Buch begann, verband ich damit die Absicht, die internen Vorgänge zwischen den Ver-einigten Staaten, Israel sowie der arabischen und muslimischen Welt zu schildern, bei denen, allen Widrigkeiten zum Trotz, ein Frieden für den Nahen Osten ausgehandelt wurde. Heute jedoch muss ich sagen, dass daraus die Geschichte eines wiederholten Scheiterns geworden ist. Und dennoch – in meiner Region, wo Optimismus kostbarer ist als Wasser, können wir es uns nicht leisten, die Hoff nung aufzugeben.

Was könnte ein Staatsoberhaupt veranlassen, ein Buch zu schreiben? Es gibt unzählige Gründe, die dagegensprechen. Das Regieren eines Landes, und sei es noch so klein, lässt einem kaum freie Zeit. Außerdem gilt es, Rücksicht auf die Nachbarn zu nehmen – von denen sich der eine oder andere durch die ehr-liche Darstellung der Fakten aus der Sicht eines anderen Landes beleidigt fühlen könnte. Andere würden ihre Taten vielleicht lieber gar nicht erwähnt fi nden. Und dann sind da noch diejeni-gen, die über Gebühr gerühmt werden möchten.

Ich habe mich jedoch entschlossen, diesen Einwänden nicht nachzugeben. Ich schreibe mein Buch, weil sich im Nahen Osten, in diesem rauen Umfeld, in dem ich lebe, eine reale Krise anbahnt. Noch, so glaube ich, haben wir eine letzte Chance, zu einem Frieden zu kommen. Doch das Tor dorthin schließt sich in rasantem Tempo. Die internationale Gemeinschaft hat einen nahezu einhelligen Konsens zur Lösung des Konfl ikts gefunden, der uns eine nie da gewesene Chance bietet. Wenn wir sie nicht

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nutzen, werden wir, da bin ich mir sicher, in unserer Region einen Krieg erleben, schlimmer womöglich als alle seine Vor-gänger und mit weit verheerenderen Folgen.

Die Menschen in unserer Region haben ein ausgezeichnetes Gedächtnis, und die letzten fehlgeschlagenen Versuche, die Kon-fl iktparteien an einen Tisch zu bringen, sind ihnen noch gut in Erinnerung. Viele der Beteiligten sind weiterhin im Amt und werden es vielleicht noch Jahre bleiben. Man mag darin einen zwingenden Grund sehen, sensible Themen nicht öff entlich anzusprechen, aber ich bin der Meinung, dass die Welt wissen muss, welche Risiken wir eingehen, wenn wir untätig bleiben.

Die Generation meines Vaters erzitterte etwa alle zehn Jahre unter den Druckwellen eines Krieges. Zunächst war da der Krieg nach der Gründung Israels im Jahr 1948, dann kam 1956 die Suez-krise, anschließend der verheerende Krieg von 1967, in dem Israel das Westjordanland, den Sinai und die Golanhöhen eroberte. 1973 entfachten Ägypten und Syrien einen Krieg, um die 1967 verlorenen Gebiete zurückzugewinnen. Darauf folgten der Krieg zwischen Iran und Irak, Israels Invasion im Libanon in den acht-ziger Jahren und der Golf krieg 1991. Die dazwischenliegenden Zeiträume verdienen die Bezeichnung »Frieden« nur im entfern-testen Sinn des Wortes. In meiner nunmehr elfjährigen Amtszeit als jordanischer König habe ich bereits fünf bewaff nete Kon-fl ikte erlebt: die al-Aksa-Intifada im Jahr 2000, die US-Invasion in Afghanistan 2001, den US-geführten Einmarsch im Irak 2003, die israelische Invasion im Libanon 2006 und die israelischen Angriff e auf Gaza in den Jahren 2008/09. Alle zwei, drei Jahre, so scheint es, wird unsere Unruheregion von einem neuen Konfl ikt erschüttert. Und wenn ich nach vorn blicke, dann fürchte ich, dass zwischen Israel und seinen Nachbarn, ausgelöst durch einen bislang noch unbekannten Brandherd, ein neuer Krieg ausbre-chen und auf schreckliche Weise eskalieren könnte.

Der Konfl ikt zwischen Israel und den Palästinensern reicht bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, doch die Fol-

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Vorwort

gen dieser Auseinandersetzung sind bis heute spürbar. Seit dem Zusammenbruch des Friedensprozesses im Jahr 2000 wurden etwa 1000 Israelis und mehr als 6500 Palästinenser getötet und viele tausend mehr verwundet. Der Nahe Osten steht vor der schwierigen Aufgabe, einen Konfl ikt zu lösen, der die moderne Geschichte dieser Region nahezu vollständig bestimmt hat. Doch wenn uns das gelingt, werden wir eine der wichtigsten Ursachen von Gewalt und Instabilität in unserer Region beseitigt haben.

Aus westlicher Sicht erscheint es vielen so, als gäbe es im Nahen Osten eine Reihe von isolierten Problemen: iranische Expansionsbestrebungen, einen radikalen Terrorismus, religiöse Spannungen im Irak und im Libanon sowie einen seit Langem schwelenden Konfl ikt zwischen Israel und den Palästinensern. Doch in Wirklichkeit hängen all diese Problemfelder zusammen. Was sie verbindet, sind die Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern.

Aus Sicht der Muslime hat der arabisch-israelische Kon fl ikt eine besondere Eigenschaft, die ihn von allen anderen sie betref-fenden Auseinandersetzungen unterscheidet. Anders als oft be-hauptet wird, geht es dabei nicht um Religion. Es ist ein politi-scher Kampf um Rechte und Land. Im Jahr 1900 lebten auf dem Gebiet des einstigen Palästina rund 60 000 Juden und 510 000 Araber. Nach einem Jahrhundert der Masseneinwanderung sind es inzwischen mehr als sechs Millionen Juden und nur fünf Mil-lionen Araber. Viele jüdische Immigranten kamen während der Verfolgung durch das NS-Regime, die in einer der größten Tragö-dien der Geschichte gipfelte – dem Holocaust. Aber viele kamen auch später, als Israel seine Tore für Juden aus aller Welt öff nete. Der Krieg von 1948 führte zur Vertreibung Hunderttausender Palästinenser, die zumeist nicht mehr in ihre Heimat zurückkeh-ren durften. Im Krieg von 1967 kamen viele weitere – besonders im einst zu Jordanien gehörenden Westjordan land – unter israe-lische Besatzung. Heute leben Millionen von Palästinensern in von Israel okkupierten Gebieten, und das israelische Vorgehen

Vorwort

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dort gefährdet die Unversehrtheit Jerusalems als einer der drei heiligen Stätten des Islam. Die Bedeutung Jerusalems erklärt auch, weshalb die Palästinenserfrage für Araber und Muslime auf der ganzen Welt einen so hohen Stellenwert einnimmt.

Der Westen hat bisher noch nicht in vollem Umfang begriff en, dass es sich hier um ein Thema mit weltweiten Dimensionen handelt. Wenn ich nach Indonesien oder China fahre und dort auf Muslime treff e, möchten sie mit mir über Jerusalem spre-chen. Während eines Besuchs in Neu-Delhi im Jahr 2006 fragten mich Vertreter der muslimischen Gemeinde in Indien: Wann werden die Araber das Israel-Palästina-Problem lösen? Und wenn Pakistaner aufl isten, was ihnen auf den Nägeln brennt, rangiert Palästina gleich hinter Indien. Die Palästinenserfrage bewegt 1,5 Milliarden Muslime auf der ganzen Welt.

Dies erklärt (rechtfertigt aber nicht), warum radikale Grup-pen wie al-Qaida mit der Behauptung, Jerusalem »befreien« zu wollen, den Konfl ikt missbrauchen und andere dazu bewegen können, im Namen der Verteidigung des Islam und Jerusalems Terroranschläge zu verüben. Und es erklärt, warum Gruppen wie die Hisbollah und die Hamas – obwohl deren Ideologie und deren Ziele nicht mit denen von al-Qaida vergleichbar sind – zu den Waff en greifen und mit ihrem Ruf nach Wider-stand gegen Israel bei einer wachsenden Zahl von Arabern und Muslimen Gehör fi nden. Die Auff orderung zum bewaff neten Kampf fi ndet umso mehr Resonanz, als die Versuche arabischer Länder wie Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien, auf dem Verhandlungsweg zu einer Friedenslösung zu kommen, immer wieder scheitern.

Würde sich Israel hingegen auf einen Frieden mit den Palästi-nensern einlassen, welche moralische Rechtfertigung hätte dann noch eine Regierung oder eine Widerstandsgruppe, den Kampf fortzusetzen? Wäre Jerusalem eine geteilte Stadt und Ost-Jerusa-lem die Hauptstadt eines existenzfähigen, souveränen und unab-hängigen palästinensischen Staates, welche Argumente könnte

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Vorwort

etwa die Regierung des Iran dann noch für ihre antiisraelischen Tiraden und Aktionen vorbringen?

Gewaltbereite Extremisten bekämpft man am besten, indem man ihren Parolen die Grundlage entzieht. Mit der Gründung eines palästinensischen Staates in den alten Grenzen von 1967 und mit Ost-Jerusalem als seiner Hauptstadt wären das bren-nendste Problem und einer der größten Konfl iktherde in der muslimischen Welt beseitigt. Ein gerechter und dauerhafter Frieden ist eine der stärksten Waff en gegen den Extremismus. Gewiss werden damit nicht alle Fanatiker verstummen, doch etwaige Auseinandersetzungen würden unter ganz anderen Bedingungen stattfi nden. Und deshalb sollte dieser Frieden nicht nur für Araber von vorrangiger Bedeutung sein, sondern auch für die Vereinigten Staaten.

Ein weiterer oft missverstandener Aspekt des Konfl ikts ist seine Auswirkung auf die christliche Gemeinschaft und die hei-ligen Stätten in Jerusalem. Vor dem Krieg von 1967 wurden das Westjordanland und Ost-Jerusalem von Jordanien verwaltet, das auch heute noch der rechtlich und politisch legitime Hüter der heiligen Stätten in der Altstadt ist, der christlichen wie der musli-mischen. Während Israel versucht, die Besatzung Ost-Jerusalems durch den Bau weiterer Siedlungen zu zementieren, verteidigt Jordanien unerschütterlich die Rechte der dort beheimateten christlichen und muslimischen Gemeinden. Heute leben nur noch etwa 8000 Christen in Jerusalem, im Gegensatz zu ungefähr 30 000 im Jahr 1945. Die israelische Politik und sozialer sowie wirtschaftlicher Druck haben die Mehrzahl der Christen in die Flucht getrieben. Viele der in Jerusalem gebürtigen Christen sind Araber, und während Israel ausländische Christen als Besucher Jerusalems willkommen heißt, erschwert es die Lebensbedingun-gen der christlichen Einwohner Jerusalems. Welch ein Paradox: Die arabische christliche Gemeinde in Jerusalem ist die älteste Christengemeinschaft der Welt; ihre Existenz geht bis auf die Zeit Jesu Christi zurück. Palästinensische Christen leiden unter

Vorwort

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der Besatzung ebenso wie die palästinensischen Muslime, und beide ersehnen gleichermaßen die Freiheit und einen eigenen Staat.

Bei den bisherigen Friedensgesprächen haben sich die Verhand-lungspartner in der Regel auf Zwischenschritte beschränkt, sich mit einzelnen, sekundären Problemen befasst und kritische Punkte wie den endgültigen Status Jerusalems vorläufi g ausge-klammert. Es ist aber so, dass wir niemals zu einem Ergebnis kommen werden, wenn wir die wichtigen Entscheidungen wei-terhin vor uns herschieben. Wir müssen die Endstatus-Fragen jetzt klären: über Jerusalem, die Flüchtlinge, den Grenzverlauf, die Sicherheit. Dies ist gegenwärtig die einzige Möglichkeit, zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu kommen. Einen anderen Weg gibt es nicht.

Ich habe Israels Auftreten und Unnachgiebigkeit gelegentlich scharf kritisiert, doch selbstverständlich gibt es auf beiden Seiten Vorkommnisse, die für das Scheitern der Verhandlungen verant-wortlich sind. Araber und Israelis müssen die jeweiligen Bedürf-nisse der anderen anerkennen. Die Zwei-Staaten-Lösung setzt voraus, dass die Israelis das Recht der Palästinenser auf Freiheit und einen eigenen Staat akzeptieren, während die Palästinenser und der Rest der muslimischen Welt Israel das Recht auf Sicher-heit zubilligen müssen. Wir haben keine andere Wahl, als zusam-menzuleben. Beide Seiten haben die moralische Pfl icht, sich für den Frieden einzusetzen. Davon abgesehen gibt es auch einen zwingenden pragmatischen Grund, dies zu tun: Die Alternative sind weitere Konfl ikte und noch mehr Gewalt.

Dafür, dass Jordanien am Prozess der Konfl iktlösung betei-ligt wird, sprechen allein schon seine geografi sche Lage, die Geschichte und das Völkerrecht. Wir beherbergen mit 1,9 Millio-nen die weltweit höchste Zahl palästinensischer Flüchtlinge aller Länder und pfl egen freundschaftliche Beziehungen zu Israels ara-bischen Nachbarn, aber auch zu den Vereinigten Staaten. Außer-

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Vorwort

dem sind wir eines von lediglich zwei arabischen Ländern, die einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen haben.

Die Lösung des Palästinakonfl ikts ist die entscheidende Voraus-setzung für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und der gesamten muslimischen Welt. In den letzten Jahren seiner Regierungszeit hatte mein Vater einen Vorschlag ausgearbeitet, der Israel einen umfassenden Frieden mit allen 22 arabischen Staaten ermöglichen würde, unter der Voraussetzung eines voll-ständigen Rückzugs der Israelis aus den besetzten arabischen Gebieten und der Gründung eines palästinensischen Staates. Lei-der entwickelte die Debatte darüber nie besondere Dynamik und kam mit dem Tod meines Vaters ganz zum Erliegen. Als ich König wurde, beschloss ich, die Diskussion wiederzube leben, und bat unsere Regierung, mit Ägypten und Saudi-Arabien über die Sache zu sprechen. Schließlich verfassten die Saudis einen Entwurf, und Kronprinz Abdullah ibn Abd al-Asis Al Saud brachte die Sache einen Schritt weiter, indem er den Plan im Jahr 2002 auf dem Gipfel der Arabischen Liga in Beirut vorstellte. Sämt liche Gip-felteilnehmer akzeptierten den saudi-arabischen Vorschlag, der künftig als Arabische Friedensinitiative bezeichnet wurde.

Die Arabische Friedensinitiative fordert Israels vollständigen Abzug aus allen seit 1967 besetzten arabischen Gebieten, eine Verhandlungslösung für die Frage der palästinensischen Flücht-linge und einen souveränen, unabhängigen Palästinenserstaat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Im Gegenzug erklärten sich alle 22 arabischen Staaten bereit, den »arabisch-israelischen Konfl ikt als beendet zu betrachten, ein Friedensabkommen mit Israel zu schließen und die Sicherheit aller Staaten der Region zu gewährleisten«. Außerdem, so fügten sie hinzu, würden sie »im Kontext dieses umfassenden Friedens ihre Beziehungen zu Israel normalisieren«. Dass die Israelis und sogar einige Mitglieder der US-Regierung unsere Initiative kurzerhand vom Tisch wischten, überraschte mich. In Gesprächen stellte sich später heraus, dass sie den Text nicht einmal gelesen hatten. Zum Thema der Flücht-

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linge beispielsweise setzt sich die Initiative für »die Verständigung auf eine gerechte Lösung des palästinensischen Flüchtlingspro-blems im Einklang mit der von der UN-Vollversammlung verab-schiedeten Resolution 194« ein. Das entscheidende Wort hier ist »Verständigung«, und als ich das gegenüber den Israelis hervor-hob, meinten sie erstaunt: »Oh!« Einige gaben dann zu, den Ent-wurf gar nicht gelesen zu haben. Die Arabische Friedensinitiative wurde in der Folge von allen 57 Mitgliedstaaten der Islamkonfe-renz (Organization of the Islamic Conference, CIC) verabschie-det. In Israel jedoch wurde sie leider niemals ernst genommen. Niemand dort erkannte die beispiellose Chance, die sie bot. Wir sind immer noch in alten Verhaltensmustern gefangen, disku-tieren Themen von nachgeordneter Bedeutung und schieben die schwierigen Entscheidungen auf die lange Bank. Israel ist off enbar der Meinung, alle Zeit der Welt zu haben. Doch seine Verzögerungstaktik, Umkehrmanöver und Hinhaltestrategien fordern einen hohen Preis.

Die Ereignisse der letzten elf Jahre haben auf beiden Seiten Vertrauen zerstört, und der Glaube an den Friedensprozess liegt in Trümmern. Ein völlig zerstörtes Vertrauen zwischen zwei Sei-ten lässt sich aber womöglich nie wieder auf bauen. Alle Freunde Israels sollten das Land ermutigen, sich uneingeschränkt und unermüdlich für den Frieden einzusetzen. Und als alter und enger Freund Israels dürfen die Vereinigten Staaten nicht zögern, beide Parteien nötigenfalls auch mit Druck an den Verhandlungs-tisch zu bringen, um ein endgültiges Abkommen zu erzielen.

Der amerikanische Präsident Barack Obama erklärte seine Bereitschaft, zuzuhören und der arabischen und muslimischen Welt die Hand zu reichen, und öff nete damit ein Fenster der Hoff nung. Araber und Palästinenser sind jedoch enttäuscht, dass kaum konkrete Fortschritte folgten. Präsident Obama wurde kri-tisiert, als er Israels Premierminister Benjamin Netanjahu dazu drängte, den Siedlungsbau zu stoppen. Dass sich Israel so hart-näckig widersetzte, hat Amerikas Ansehen in unserer Region

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geschadet. Trotzdem wäre es ein schrecklicher Fehler, wenn Obama jetzt den Rückzug anträte. Wenn sich Amerika nicht auf seine moralische und politische Stärke besinnt und für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt, wird sich eine Chance wie die jetzige vielleicht nicht noch einmal bieten. Der Spalt in der Tür wird immer kleiner, und wenn wir nicht bald handeln, werden uns künftige Generationen vorwerfen, unsere letzte Chance auf Frieden vertan zu haben.

Frieden allein wäre schon Lohn genug. Doch ich sehe auch Vorteile, die dieses kostbare Gut noch weit übertreff en. Kaum jemand wird bestreiten, dass die fortdauernde Besatzung und die daraus resultierende Ungerechtigkeit von Terroristengrup-pen ausgenutzt werden. Mit einer Lösung dieses Konfl ikts aber würden diese Organisationen ihre Anziehungskraft verlieren. Man mag einwenden, dass der Hass, den die Extremisten beider Seiten im Heiligen Land gesät und genährt haben, nicht mehr überwunden werden kann. Die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass selbst die erbittertsten Feinde Frieden schließen können. Vor nicht allzu langer Zeit hätte niemand geglaubt, dass die Spannun-gen wegen der Berliner Mauer oder zwischen den Gruppierun-gen in Nordirland je gelöst werden könnten – und doch gehören sie inzwischen fast gänzlich der Vergangenheit an. Warum sollte uns das im Nahen Osten nicht auch gelingen?

Der Frieden ist nicht das einzige Ziel, das wir erreichen müs-sen. Zu unseren größten Herausforderungen gehören politische Reformen und die Entwicklung der Wirtschaft. Wir müssen ler-nen, Produkte herzustellen, die auf dem Weltmarkt gefragt sind, und den Lebensstandard für alle verbessern. Eine gute Ausbil-dung und sichere Arbeitsplätze sind der wirksamste Schutz vor dem Sirenengesang der Extremisten. Wir können es uns nicht leisten, dass so viele unserer jungen Männer ohne Beschäftigung sind. Und wir müssen dafür sorgen, dass die Frauen in unserer Wirtschaft eine größere Rolle spielen. Die Tendenz, Frauen aus angeblich religiösen oder kulturellen Gründen vom Arbeitsleben

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auszuschließen, entspringt einer tief sitzenden Unsicherheit. Es ist nicht hinnehmbar, eine Hälfte der Gesellschaft ihrer Rechte zu berauben und die Hälfte der Arbeitskräfte eines Landes ans Haus zu fesseln.

Man stelle sich eine Region vor, in der die Führungsqualitä-ten der Israelis, der Kenntnisreichtum der Jordanier, der Unter-nehmergeist der Libanesen und die Bildung der Palästinenser wirksam gebündelt werden. Eine derartige Partnerschaft hätte das Potenzial, zu einer regionalen Wirtschaftsmacht zu werden – zum Benelux des Nahen Ostens. Das ist keineswegs unerreich-bar. Doch im Augenblick entgleitet uns die Situation vor Ort zusehends und lässt ein solches Ziel immer ferner erscheinen. Wenn dieser Trend nicht umgekehrt wird, werden wir kein Land mehr haben, das wir gegen Frieden eintauschen können – und die Palästinenser keinen Grund, ihr Schicksal in die Hände mode-rater Politiker zu legen anstatt, in die Hände von Extremisten. Dann sind wir zu Krieg und Dauerkonfl ikten verdammt.

So wie im Privatleben gibt es auch in der Politik die Neigung, am Status quo festzuhalten. Doch in unserem Fall ist die schein-bare Stabilität eine Illusion. Ärger und Wut wachsen spürbar an, und ich fürchte, dass sie bald alle Träume von Frieden und Versöhnung in den Hintergrund drängen. Mir scheint, die meis-ten Europäer und Amerikaner haben nicht erkannt, wie prekär die Situation bei uns geworden ist. Das war für mich der Anlass, dieses Buch zu schreiben. In den elf Jahren, in denen ich als Nachfolger meines Vaters im Amt bin, habe ich viel gesehen und viel gelernt. Und vielleicht, so meine Hoff nung, kann ich etwas bewirken, wenn ich off en und ehrlich von meinen Erfahrungen berichte.

Die Menschen in meiner Region leben Geschichte – im Guten wie im Schlechten. Was vielen aus der Ferne schwer verständ-lich und unfassbar erscheinen mag, ist für uns ein Bestandteil des täglichen Lebens. Daher glaube ich, dass ich mein Anliegen

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am überzeugendsten vermitteln kann, wenn ich meine eigene Geschichte erzähle – was ich erlebt und was ich getan habe – und zeige, wie das Politische und das Private ineinandergreifen.

Ich hatte nie die Absicht, die Position einzunehmen, die mir schließlich anvertraut wurde; vielmehr dachte ich, mein Leben lang in der Armee zu bleiben. So handelt ein Teil dieses Berichts von meinen Erfahrungen beim Militär, davon, was ich dort über Jordanien und über Führung im allgemeineren Sinne gelernt habe. Ich habe versucht, mich in einfachen Worten auszudrü-cken, in der klaren Sprache und Metaphorik von Militärs und nicht im Vokabular und den verschraubten Sätzen, die bei Poli-tikern so beliebt sind.

Ich hoff e, mit diesem Buch einige Vorurteile über meine Hei-matregion ausräumen zu können. Wenn Menschen im Westen die Worte »Araber«, »Muslim« oder »Naher Osten« hören, den-ken sie nur allzu oft an Terrorismus, Selbstmordattentate und Fanatiker mit wildem Blick, die sich in Höhlen verstecken. Ich hingegen wünsche mir, dass sie stattdessen die jungen, innovati-ven Elektronikunternehmen mit Millionenumsatz in Jordanien, Literaturnobelpreisträger in Ägypten und die historische Archi-tektur in Damaskus mit unserer Region in Verbindung bringen.

Eine der gefährlichsten Thesen der letzten Jahre lautet, dass der Westen und die arabische Welt zwei separate Blöcke seien, die auf eine unausweichliche Kollision zusteuerten. Diese The-orie beruht jedoch auf Unkenntnis, ist hetzerisch und falsch. Muslime, Juden und Christen haben mehr als tausend Jahre fried-lich zusammengelebt und sich gegenseitig kulturell befruchtet. Gewiss gab es Konfl ikte, wie die Kreuzzüge oder die europäische Kolonisation des Nahen Ostens nach dem Ersten Weltkrieg. Aber sie waren politischer Natur, geprägt durch die Bestrebungen und die Konstellationen der jeweiligen Epoche, und nicht Ausdruck von unüberwindbaren kulturellen Gegensätzen.

Nach meiner Militärausbildung in Sandhurst diente ich ein Jahr beim 13./18. Husarenregiment, einer stolzen Einheit, die

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fast sechzig Jahre vor der Schlacht von Waterloo gebildet wurde. Im 19. Jahrhundert kämpfte sie tapfer im Krimkrieg. In diesem Konfl ikt, der nicht zuletzt durch Alfred Tennysons Gedicht »The Charge of the Light Brigade« Berühmtheit erlangte, kämpften Engländer und Franzosen an der Seite der Osmanen, um die Rus-sen am Eindringen in die Türkei zu hindern. Mehr als die Hälfte der dreißig Millionen Einwohner des Osmanischen Reichs waren Christen, und viele dienten im osmanischen Heer. Und musli-mische Soldaten schlugen sich tapfer auf beiden Seiten, etwa in der französischen und der russischen Armee.

Das gefährliche Schlagwort vom »Kampf der Kulturen« hat Eingang in die Politik gefunden; es stärkt die Extremisten auf allen Seiten und jene, die Mann gegen Mann und Heer gegen Heer auf bringen möchten. Verübt ein Algerier, ein Afghane oder ein Jordanier einen terroristischen Anschlag, so wird der Täter im Westen unweigerlich als »muslimischer Terrorist« bezeichnet. Für die gleiche Tat eines Iren oder eines Sri-Lankers wird nur selten ein »christlicher« oder ein »hinduistischer Terrorist« ver-antwortlich gemacht. Vielmehr beschreibt man sie entsprechend ihren politischen Motiven oder ihrer Gruppierung als Aktivisten der IRA oder als tamilische Separatisten.

Wer einen allzu engen Blick auf die Geschichte hat, wird zu dem Ergebnis kommen, so wie es heute ist, sei es immer gewe-sen. Aber der wirtschaftliche und technologische Fortschritt des Westens ist relativ neuen Datums, er entspringt der erstaun-lichen Blüte des Erfi ndungsreichtums in Europa und Amerika im 19. und 20. Jahrhundert. Blicken wir weiter zurück, bietet sich uns hingegen ein ganz anderes Bild. Im Mittelalter, als die US-Hauptstadt Washington noch ein Sumpf war, fanden sich die führenden Bildungs- und Wissenschaftszentren der Welt in den prächtigen Städten Jerusalem, Bagdad und Damaskus. Im Lauf der Zeit aber schlug das Pendel zur Seite des Westens aus, und im 20. Jahrhundert ist die arabische Welt weit zurück-gefallen.

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Ich stamme aus der Dynastie der Haschemiten, die ihren Ursprung auf den Propheten Mohammed zurückführt und in unserer Region über viele Generationen hinweg Führungsper-sönlichkeiten und Herrscher stellte. Mein Vorfahr Kusai war im 5. Jahrhundert der erste Herrscher von Mekka. Mein Erbe sind Toleranz und Akzeptanz der verschiedenen Kulturen und Glau-bensrichtungen. Im Heiligen Koran heißt es:

O ihr Menschen, Wir haben euch ja von einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaff en, und Wir haben euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einan-der kennenlernt. (Die Gemächer, 49:13)

Ich habe es nie so empfunden, dass meine Beziehungen zur westlichen Kultur meine Identität als Araber oder Muslim beein-trächtigt hätten. Als jemand, der im Osten geboren ist, aber im Westen zur Schule ging, verspüre ich eine große Affi nität zu bei-den Kulturen. Ich hoff e, mit diesem Buch eine Brücke zwischen ihnen schlagen zu können. Allzu oft wird unser Dialog von den Extremisten beider Seiten bestimmt; wir lassen zu, dass sie die Debatte beherrschen. Und allzu oft fi nden die Stimmen gemäßig-ter Araber inmitten derer, die am lautesten schreien, kein Gehör. Ich werde nicht schreien, aber ich wünsche mir, dass meine Bot-schaft Gehör fi ndet. Ich möchte der Welt sagen, dass es trotz der großen Probleme in unserer Region Grund zur Hoff nung gibt.

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T E I L E I N S

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Abdullah II. König von Jordanien

Die letzte ChanceMein Kampf für Frieden im Nahen Osten

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 448 Seiten, 13,5 x 21,5 cmISBN: 978-3-421-04460-0

DVA Sachbuch

Erscheinungstermin: März 2011

Ein König in schwieriger Mission Sein Königreich liegt in einer Region, die er selbst als »ruppige Nachbarschaft« beschreibt.Seine Abstammung führt er auf den Propheten Mohammed zurück und seine Ausbildung hater in den besten Schulen Englands und Amerikas genossen. Als Vermittler zwischen Israelisund Palästinensern versucht er einen Balanceakt, dessen Scheitern auch sein Land mit in denAbgrund ziehen könnte. Abdullah II., seit elf Jahren König von Jordanien, steht vor schwierigenAufgaben. Erstmals äußert sich das amtierende Staatsoberhaupt nun ausführlich über seinLeben, seine Familie, die Geschichte seines Landes und über seine politischen Vorstellungen– und er tut dies bemerkenswert offen und persönlich. Abdullah II. warnt eindringlich vor derEskalation der Gewalt, sollte es nicht bald zu einer ernst gemeinten Annäherung der völligzerstrittenen Parteien im Nahostkonflikt kommen.


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