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Kleopatra - m.ngiyaw-ebooks.org Georg... · Georg Ebers Kleopatra Historischer Roman Deutsche...

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GeorgEbers

KleopatraHistorischerRoman

DeutscheVerlags-Anstalt,Hamburg,Stuttgart,Leipzig,Berlin,Wien,1894

BibliothekvonngiyaweBooks

Illustration:PortraitvonGeorgEbersTranskriptionvonbrucewelch

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WilhelmJordan,demFreundeundDichterinherzlicherVerehrung

gewidmet.

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Vorwort

Wenn dem Verfasser vorgehalten wurde, diesentimentale Liebe unserer Zeit sei dem heidnischenAltertumfremdgewesen,sowiesernichtamletztenaufdas Liebespaar Antonius und Kleopatra und dasTestamentdesderbenrömischenReitergenerals.Erhattedarin den Wunsch ausgesprochen, wo er auch stürbe,neben der ihm bis ans Ende teuern Frau begraben zuwerden. Sein Verlangen wurde erfüllt, und dasLiebeslebendieserbeidenhervorragendenMenschen,dasderGeschichte angehört, bot schonmehr als einmalderKunstundDichtungeinenwillkommenenStoff.WasbesondersdieKleopatraangeht, so ist ihrgesamtesDasein von einer Romantik umwoben, die an dasMärchenhafte streift. Auch ihre gehässigsten Feindebewundern ihre Schönheit und die seltenen ihr eigenenGabendesGeistes.IhrCharakterdagegengehörtzudenschwierigstenRätselnderSeelenkunde.DerknechtischeSinn römischer Dichter und Schriftsteller, denen eswiderstrebte, dasLicht, das vonderFeindindesStaatesund Kaisers so glänzend ausging, freimütiganzuerkennen, löste es zu ihren Ungunsten. Wasägyptisch hieß, war dem Römer verhaßt oder dochverdächtig,unddieseramNilheimischenFrau ließsichschwervergeben,daßsiedenJuliusCäsarzuihrenFüßen

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gesehen und den Marcus Antonius sich dienstbargemacht hatte. Andere Berichterstatter, und an ihrerSpitzePlutarch, löstendasRätselgerechterundvielfachzuihrenGunsten.Für den Verfasser war es eine erfreuliche Aufgabe, derPersönlichkeitderunglücklichenKöniginnäherzutretenundausderFülledervorhandenenNachrichtenzunächstfürsichselbsteinMenschenbildzugestalten,woranerzuglauben vermochte. Jahre vergingen, bevor er dahingelangte;jetztaber,daerdasfertigeGemäldebetrachtet,meinter,eskönntemanchergeneigtsein,einenEinwandgegendieHelligkeit seinerFarbenzuerheben.Dennochwürde es demDarsteller nicht schwer fallen, jedenTonzu rechtfertigen, dessen er sich bediente. Wenn erwährend des Schaffens seine Heldin lieben lernte, sogeschah es, weil er, je deutlicher er sich diesemerkwürdige Frauengestalt vergegenwärtigte, immerlebhafterfühlteundimmersicherererkannte,wiewertsienichtnurdesMitleidsundderBewunderungsei,sondernauch,trotzallerihreigenenSchwächenundFehler,jenerhingebendenNeigung,diesieinsovielenerweckte.Kein Geringerer als Horaz war es außerdem, derKleopatra»nonhumilismulier«—einkeinerNiedrigkeitfähigesWeibnannte.DiesWortabergewinntdadurchdasschwerste Gewicht, daß es den Hymnus schmückt, dender Poet dem Octavian und seinem Siege über den

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Antonius und dieKleopatrawidmete. Eswar kühn vonihm, in solchemGesange der Feindin des Triumphatorsrühmend zu gedenken. Er wagte es dennoch, und seinWort, das einer That gleichkommt, gehört zu denschönstenRuhmestitelndervielverkanntenFrau.LeidererwiesessichwenigerwirksamalsdasUrteildesDio, der,was Plutarchmitteilte,mehrfach entstellt, sichsonstaberwohlamnächstenandieKomödieoderandievolkstümlichen Erzählungen schließt, die es zu Romnichtwagendurften,dieAegypteriningünstigemLichtezuzeigen.Billiger denkend als die meisten römischenBerichterstatter zeigt sich der Grieche Plutarch, derunserer Heldin auch zeitlich näher stand als Dio. SeinGroßvater hatte sogar noch mancherlei von seinemLandsmannePhilotas,derwährendderglänzendenTage,dieKleopatraundAntoniusinAlexandriaverschwelgten,sich als Student dort aufhielt, über beide gehört. VonallenSchriftstellern,diederKönigingedenken,isterderzuverlässigste; doch auch seine Darstellung will mitVorsicht benutzt sein. Der anschaulichen undeingehenden Schilderung, die Plutarch den letztenLebenstagen unserer Heldin widmet, sind wir auch imeinzelnen gefolgt. Sie trägt den Stempel der Wahrheit,undweitvonihrabzuweichenwäreWillkürgewesen.DieägyptischenQuellenenthalten leidernichts,was für

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dieWürdigungdesCharaktersderKleopatrainsGewichtfällt,wennwir auchBildnisse besitzen, die dieKöniginalleinodermit ihremSohneCäsariondarstellen.Erst injüngsterZeit(1892)warddasFragmenteinerkolossalenDoppelstatue zu Alexandria gefunden, die kaum etwasanderes zur Anschauung bringen kann als KleopatraHand in Hand mit Antonius. Der obere Teil derweiblichenGestalt blieb ziemlichgut erhaltenund zeigteinanmutiggebildetes,jugendlichesFrauengesicht.DemBefehle des Octavian, die Bildsäulen des Antonius zuvernichten, ist die männliche Figur wohl zum Opfergefallen. Herrn Dr. Walther in Alexandria danken wireine gute photographische Wiedergabe diesermerkwürdigen Bildsäule. Außer ihr bliebenverhältnismäßig wenigeWerke der bildenden Kunst, zudenenwirhierauchdieMünzenzählen,erhalten,dieunsmit dem Aussehen unserer Heldin vertraut machenkönnten.Muß es auch demDichter vor allem amHerzen liegen,seine Arbeit zum Kunstwerke zu gestalten, ist es ihmdabeidochgeboten,nachTreuezustreben.WiedasBildderHeldinihrerwahrenPersönlichkeit,sosolldasLeben,das hier dargestellt wird, in jedemZuge derKultur dergeschilderten Zeit entsprechen. Zu diesem Zweckestellten wir die Heldin in die Mitte eines größerenMenschenkreises, auf den sie einwirkt, und der esgestattet, ihre Persönlichkeit in den verschiedensten

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Lebensbeziehungendarzustellen.Wäre es dem Verfasser gelungen, das Bild dermerkwürdigenFrau, die so verschieden beurteiltwurde,nichtweniger»lebig«undglaubhaftzurAnschauungzubringen,alsessich ihmselbst indieVorstellungprägte,so dürfte er zufrieden der Stunden gedenken, die erdiesemBuchewidmete.

TutzingamStarnbergerSee,Oktober1893GeorgEbers.

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ErstesKapitel.

Der Baumeister Gorgias von Alexandria hatte denSonnenbrand des ägyptischen Mittags ertragen gelernt.ObgleicherdieDreißignochnichtüberschritten,warererst als Gehilfe des nunmehr verstorbenen Vaters, dannaber als sein Nachfolger der Leiter der großen Bautengewesen,dieKleopatrazuAlexandriaerrichtete.Gerade jetzt war er mit Aufträgen überhäuft, und dochhatte er sich schon vor Feierabend hieher begeben, umeinem dem Knabenalter kaum entwachsenen Jünglingegefälligzusein.Derjenige, dem er dies Opfer brachte, war freilich keinGeringerer als Cäsarion, der Sohn, den die KöniginKleopatrademJuliusCäsargeschenkt.Antoniushatteihnmit dem stolzen Namen eines »Königs der Könige«geehrt,unddochwaresihmkeineswegszubefehlenodergarzuherrschengestattet;denndieMutterhieltihnfernvon der Regierung, und ihn selbst verlangte nicht nachdemScepter.GorgiashätteseinenWunschumsoeherunberücksichtigtlassenkönnen, jedeutlicheresaufderHand lag,daßerihnüberseineUmgebunghinwegzusprechenwünsche.Es war dem Baumeister auch nicht im entferntestenbewußt, was Cäsarion ihm anzuvertrauenwünsche, undlangekonnteerihminkeinemFalledasOhrleihen;denn

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die Flotte, die die Königin mit Marcus Antonius nachGriechenland geführt hatte,mußtewohl jetzt schonmitderdesOctavianzusammengestoßenundauchzuLandeeine Schlacht geschlagen und das Schicksal der Weltentschiedenwordensein.Er, Gorgias, glaubte an den Sieg des Antonius und derKöniginundwünschteihndemhohenPaarevonHerzen.Er mußte sogar handeln, als sei der Kampf schon zuseinenGunstenentschieden;denn inseinerHand ruhtendie baulichen Vorbereitungen für den Empfang derSieger, und heute noch galt es zu bestimmen, wo dieStatue aufgestellt werden sollte, die den Antonius inkolossaler Größe Hand in Hand mit der königlichenGeliebtendarstellte.Der Epitrop Mardion, ein Eunuch, der Kleopatra alsRegentvertrat, undderSiegelbewahrerZeno, der seltenWiderspruch gegen ihn erhob, wünschten sie an einemandernPlatzewieeraufgestelltzusehen.DemWunscheder mächtigen Leiter des Staates stellte sich besondersderUmstandentgegen,daßeszuseinerAusführungnötiggewesen wäre, das Grundstück eines Privatmannes inAnspruch zu nehmen. Daraus konnten Schwierigkeitenerwachsen,unddaswiderstanddemGorgias.Aberauchals Künstler pflichtete er dem Plane desMardion nichtbei; denn auf dem Grundstücke des Didymus hätte dieStatue wohl am Meere gestanden, worauf es dem

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RegentenunddemSiegelbewahreranzukommenschien,docheswäredortkeinHintergrundfürsiezubeschaffengewesen.Jedenfalls konnte der Baumeister jetzt die Ladung desCäsarion benützen, um von demOrte des Stelldicheins,denhohenStufendes Isistempels aus, dasBruchiumzuüberschauen und nach dem rechten Platze für dieBildsäule zu suchen. Es lag ihm am Herzen, dengeeignetsten zu finden; denn der Meister, der diesKunstwerk geschaffen, war sein Freund gewesen undhatte kurz nach seiner Vollendung die Augengeschlossen.Das Heiligtum, von dem aus Gorgias diesBeobachtungswerk begann, lag an einer der schönstenStellen des Bruchium, dem Quartier Alexandrias, ausdemdieKönigspalästemitihrenausgedehntenAnnexen,die prächtigsten Tempel, außer dem in einem andernStadtviertel gelegenen Serapeum, und die größtenTheater sich erhoben, das Forum den Rat dermacedonischenBürgerzuVersammlungeneinludunddasMuseumdenGelehrteneineHeimstättebot.Man nannte den kleinen Platz, der den Isistempel imOsten begrenzte, den »Musenwinkel«, wegen dermarmornenFrauenstatuenvordemThoredesHauses,dasmit seinem großen Garten den Platz nach Norden unddem Meere hin abschloß und dem alten, angesehenen

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GelehrtenundMuseumsmitgliedeDidymusgehörte.Der Tag war heiß gewesen, und der Pronaos desIsistempelsbotdemBaumeisterwillkommenenSchatten.Dies Heiligtum ruhte auf einem hohen Unterbau, undeinevielstufigeTreppeführtezuderCellaempor.EswardemGorgiasvonhierausweithinzuschauengestattet.Die meisten Bauwerke, die sein Auge erreichte,stammten aus der Zeit des Alexander und seinerNachfolger aus dem Hause der Ptolemäer, einige aber,und nicht die schlechtesten, waren sein, des Gorgias,eigenesWerk oder das seines Vaters. Das hob ihm dasHerz, und die Brust des Künstlers füllte sich beimAnblickdiesesTeilsseinerVaterstadtmitenthusiastischerFreude.Erwar inRomgewesen,hattemancheandereStadt,dieman zu den volkreichsten und prächtigsten zählte,gesehen; doch in keiner drängte sich auf engem Raumeine gleiche Fülle von herrlichen Kunstwerkenzusammen.»UndnähmeeseinerderHimmlischenselbst auf sich,«dachteer,»fürdieBewohnerdesOlympeineWohnstättezu erbauen, die ihrer Größe und Schönheit entspräche,viel reicher und das künstlerische Bedürfnis, daswir jaals ihr Geschenk besitzen, besser und würdigerbefriedigendkönnteer sieauchnichtgestalten.AndemStrandeinessolchenMeereshätteersiesichererrichtet.«

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DabeibeschatteteerdiescharfblickendenAugenmitderHand, und er, der sonst dem einzelnen, das ihn inAnspruch nahm, die ganze Aufmerksamkeit zuwandte,gönnte sich heute den Genuß, das Gesamtbild auf sicheinwirkenzulassen,zudessenletzterVollendungaucherdas Seine gethan. Und wie er an jedem Tempel undSäulengangediebeabsichtigteundschönzurVollendunggelangteHarmoniederFormenundweiterdieglücklicheZusammenstellungder einzelnenBauten undBildsäulenmit demKennerauge erfaßte, sagte er sich tief atmend,seineKunst sei dochdie herrlichste unddasBauenvonallenköniglichenVergnügendashöchste.UnddieFürsten,diehierseitdreihundertJahrenfüreineUmgebung ihrer Paläste Sorge getragen, die der Größeihrer Macht wie der Ueberfülle ihres ReichtumsentsprechenundihrerEhrfurchtvordenGötternundihrerFreude am Schönen und an derKunst greifbareGestaltgebensollte,hattensicherlichdasGleichegedacht.KeinKönigsgeschlechtaufErdendurftesicheinerherrlicherenWohnstätte rühmen. Das sagte sich der Baumeister,währenddastiefeBlaudesMeeresunddesHimmelssichmit demLichte derSonneverband, um,wasKunst undWitz der Menschen hier mit unerschöpflichen Mittelngeschaffen,zurvollenGeltungzubringen.DasWarten,dasderVielbeschäftigtesonstschwerertrug,wardhierundzudieserStundezumVergnügen;denndie

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Strahlen, diedemDiademdesKönigsSonnenachallenSeitenhinverschwenderischentströmten,übergossendietausend weißen Marmorsäulen an den Tempeln undWandelgängen immer noch mit leuchtendem Glanzlichtund spiegelten sich in den Flächen des polirtenGranitsder Obelisken und in den nichtminder glattenWändenvon weißem, gelbem und grünem Marmor, von Syenitund braunem gesprenkeltem Porphyr an HeiligtümernundPalästen.Sie schienendie buntenMosaikbilder, diejeden Fuß breit des Bodens bedeckten, wo keineFahrstraße ihn durchschnitt und kein Baum ihnbeschattete,schmelzenzuwollenundpralltenzurückvondem flimmernden Metall oder der glatten Glasur derbunten Ziegel an den Dächern der Tempel und Häuser.HierglittensieblitzschnellandemmetallenenZierathin,dort schienen sie mit dem Glanze der vergoldetenKuppelnzukämpfen,derdenihrenüberbot,dortwiederverliehensiedemedlenGründermitPatinaüberzogenenBronzeflächendenleuchtendenGlanzdesSmaragdes.InLasurstein und Korallen schienen sie die blau und rotgefärbten Glieder der weißen Marmortempel und inTopas ihren vergoldeten Schmuck zu verwandeln. DieGemäldeaufdemmusivischenBodenderPlätzeundanden Innenwänden der Säulengänge hoben sich jetztdoppeltwirkungsvollabvondenhellenMarmormassen,die sie umgaben und die es den Malereien zu dankenhatten,wennsiedemAugestattblendenderEintönigkeit

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anziehendenWechselboten.Und wie steigerte das Licht der Nachmittagssonne dieFarbenpracht der Fahnen und Wimpel, die neben denObelisken und ägyptischen Pylonen, über denTriumphbogen, den Tempeln und Palastpforten wehten!DochauchdasköstlichePurpurblauderFahneüberdemjetzt von denKindern derKleopatra bewohnten PalasteaufderHalbinselLochiaswardvonderFarbedesMeeresüberboten,dasamnahenStrandeindunklemAzurruhte,währendweiterhin ein tiefes und helleresBlau sichmitleisbewegtenStreifenvonsattemundweißlichemGrünmischte.Gorgias pflegte die Dinge ganz zu erfassen, denen ergestattete, auf sich einzuwirken, und wenn dieGewohnheit, jedes hervorragende Werk aus Menschen-oderGötterhand inZusammenhangmit seinerKunst zubringen,ihmauchdiesmaltreugebliebenwar,sohatteerdoch, hingegeben dem Anblick des ihm so wohlbekannten Bildes, den Zweck seines Hierseins nichtvergessen.Nein,derGartendesDidymuswarnichtderrechtePlatzfürdasletzteWerkdesFreundes!AlserdiehohenPlatanen,SykomorenundMimosen,diedas alte Gelehrtenheim umgaben, noch einmal prüfendinsAugefaßte,wardesaufdemstillenPlatzeunterihmlaut; denn allerlei Volk strömte vor dem Hanse des

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Didymus zusammen, als gebe es dort etwasBesondereszusehen.Was mochten die Leute von dem zurückgezogenenMannebegehren?Aufmerksamspähteerhinüber,dochbaldwandteersichwieder um; denn von unten her klang ihm sein Namemunterentgegen.EinsonderbarerAufzughattesichdemTempelgenähert.Einer kleinen Schar von Bewaffneten voran schritt einkurz gewachsener, vierschrötiger Mann, dessen großes,von buschigem Gelock umwalltes Haupt ein doppelterLorbeerkranz schmückte, und der lebhaft in einenjüngeren hineinsprach. Vor den Stufen des Heiligtumswar er samt dem Gefolge stehen geblieben, um denBaumeister gleichfalls zu begrüßen. Dieser rief ihmeinige freundliche Worte hinunter. Da machte derBekränzte Miene, sich zu ihm hinauf zu begeben, seinBegleiter aber hielt ihn davon zurück, und nach einemkurzenHinundher bot der ältere dem jungenMannedieHand,warfdasschwereHauptzurückundzog,gespreiztwieeinPfau,mitdemGefolgeweiter.Der andere schaute ihm achselzuckend nach und riefdanndemGorgiasdieFragezu,waserdaobenvonderGöttinbegehre.»DeineAnwesenheit,«versetztederBaumeisterheiter.»So erweist Isis sichDir gefällig,« lautete dieAntwort,

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undgleichdaraufschütteltendiejungenMännereinanderherzlichdieHände.Siewarenbeidegleichwohlundgleichhochgewachsen;beider Gesicht und Antlitz zeugte für ihre reingriechischeHerkunft, jamanhätte sie fürBrüderhaltenkönnen,wennandemBaumeisternichtallesderberundschlichter erschienen wäre als an dem andern, den er»Dion«undseinenFreundnannte.AlsdieserdieStimmeerhob,umdenBekränzten,derihneben verlassen, Anaxenor, den berühmten Zitherspieler,demAntoniusdieEinkünftevonvierStädtengeschenktund gestattet hatte, sich eine Leibwache zu halten, mitlustigemSpottezuüberschütten,undGorgias ihmdabeimit tieferer Stimme bald beipflichtete, bald ihn durchverständigeEinwürfezurückhielt,zeigteessichdeutlich,wie verschieden die gleich großen Alters- undStammesgenossenwaren.Wohl bekundeten beide eine für ihre JahreungewöhnlicheSicherheit;diedesBaumeistersaberwardie, die der Mann durch Arbeit und eigenes Verdiensterwirbt, die des Dion jene, die großer Besitz und einebevorzugteLebensstellungdemUnabhängigenschenken.Wernichtwußte,daßDion imRatederStadtdurchdasSchwergewicht seiner sorgfältig ausgearbeiteten Redenmehralseinmal,woesihmdaraufangekommenwar,denAusschlag gegeben hatte, der wäre wohl geneigt

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gewesen, ihn für einen jener sorglosen Lebemänner zuhalten, an denen es unter der goldenen JugendAlexandrias nicht fehlte, während an dem Baumeistervom Blicke des Auges bis zu dem derberen Leder derSandale alles für den Ernst der Gesinnung und dieanspruchsloseTüchtigkeitdesWesenszeugte.Siewaren Freunde geworden, alsGorgias für denDionan Stelle des alten Palastes seiner Familie einen neuenerbaut hatte. In langemgeschäftlichemVerkehrekommtder eine dem andern nahe, wenn es sich nicht nur umVorschrift und Ausführung handelt. Aber derAuftraggeber war in diesem Falle nur derWünschendeund zu Beratende, der Künstler aber der warmherzigeFreund gewesen, dem es darauf ankommt, sein Bestesdaran zu setzen, um zu verwirklichen, was dem andernals das höchste Erreichbare vorschwebt. So waren sieeinanderwertundendlichschwerentbehrlichgeworden.Wie der Baumeister in dem reichen jungenWeltmannevieles entdeckt hatte, was er nicht in ihm vermutet, sowar jener freudig überrascht gewesen, in dem Künstlermit dem gediegenen Ernst einen guten Gesellen zufinden,demes—dasmachteihmdenFreunderstrechtlieb—keineswegsanSchwächenfehlte.Als der Palast zur Zufriedenheit des Dion und alsvielgepriesene Zierde der Stadt vollendet war, gewanndie Freundschaft der jungenMänner eine neue Gestalt,

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und es wäre schwer zu sagen gewesen, wem sie mehrgebotenhabe.Vorhin war Dion von dem Zitherspieler aufgehaltenworden, dem es um die Bestätigung der Nachricht zuthunwar,daßdievereinteStreitmachtdesAntoniusundderKleopatraeinengroßenSiegzuWasserundzuLandeerfochtenhabe.IndemSpeisehausezuKanopus,woergefrühstückt,seiallesvollvonderfrohenKundegewesen,undmanhabevielWein auf dasWohl der Sieger und den UntergangihrestückischenFeindesgetrunken.»Mich,« rief Dion, »hält in dieser Zeit nicht nur einSchwachkopf wie der Zitherspieler für allwissend,sondernauchmancherVerständige.Undweswegen?Weilich der Neffe des Siegelbewahrers Zeno bin, der selbstverzweifelnmöchte,weil er nichtsweiß, auchnicht dasGeringste.«»Doch er steht dem Regenten am nächsten,« bemerkteGorgias,»undwenneiner,somußerdocherfahren,wieesumdieFlottebestelltist.«»Auch Du!« seufzte der andere. »Hätte ich so viel aufGerüst undMauer hoch über demBoden zu stehenwieDu, der Architekt, — beim Hunde, es wäre mir nichtentgangen,woherderWindweht.VonSüdenblästernunschon volle vierzehn Tage und hält die von NordenkommendenSchiffezurück.NichtsweißderRegent,gar

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nichts, undderOheimnatürlich ebensowenig.Wenn sieaber dennoch etwaswissen, sind sie klug genug,meineKenntnissenichtdamitzubereichern.«»Es gehen freilich auch andere Gerüchte,« sagte derBaumeister bedenklich. »Wenn ich an der Stelle desMardionwäre...«»DankedenOlympiern,daßDuesnichtbist.«lachtederandere. »Er steckt in Sorgen wie der Fisch in denSchuppen.Unddieeine,diegrößte...DerGrünschnabelAntyllusverbranntesichdamitgesternbeiderBarinedieLippen.ArmerSchelm!Daheimbekamer es sichermitdemHofmeisterzuthun.«»Du meinst die Bemerkung über die Anwesenheit derKöniginbeiderFlotte?«»Pst!«unterbrachihnhierDionundlegtedenFingeraufdenMund;dennvieleMännerundWeibererstiegendieStufendesTempels.MehreretrugenBlumenundKucheninderHand,undaufdenZügendermeistensprachfroheHerzensbewegung.AuchihnenwareineSiegesnachrichtzuOhrengekommen,undsiewünschtennunderGöttinzu opfern, dieKleopatra, »die neue Isis«, allen anderenvorzog.IndemerstenVorraumedesHeiligtumsgingeslebendigher. Man hörte das Zusammenklingen der Ringe amSistrum und den murmelnden Gesang priesterlicherStimmen.Der stille Pronaos des kleinenHeiligtums der

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Göttin, das hier in dem griechischen Palästeviertel sowenig besucht wurde, wie der große Isistempel in derRhakotisüberfülltzuseinpflegte,warjetzteinmöglichstungünstiger Platz für ein Stelldichein von Männerngeworden, die den Leitern des Staates so nahe standen.Was Antyllus, der neunzehnjährige Sohn des Antonius,bei der Barine, einer schönen jungen Frau, deren Hausallesanzog,wasunterderMännerweltAlexandriasetwasgalt, gestern abend über dieKönigin gesagt,war um sounvorsichtiger gewesen, je mehr es der Meinung derVerständigen entsprach. Der leichtfertige Jüngling hingmitschwärmerischerVerehrungandemVater,Kleopatraaber, die Geliebte und in den Augen der Aegypter dieGemahlin desAntonius,war nicht seineMutter. Fulvia,die erste Gattin seines Vaters, hatte ihm das Lebengegeben, er fühlte sich Römer und wäre tausendmallieberamTibergewesenalshier.Dazustandesfest,unddie treuestenFreundeseinesVatersmachtendarauskeinHehl,daßdieAnwesenheitderKöniginbeimHeeredenAntonius störe und den frischen Wagemut des kühnenReitergeneralsbeeinträchtigenmüsse.DashatteAntyllusmitder ihmeigenen,vomVater ererbtenunvorsichtigenOffenheitvorallenGästenderBarineausgesprochen,undzwar in einer Form, die zu Alexandria, wo mandergleichen liebte, nur zu schnell Verbreitung findenkonnte.Zu den bescheidenenLeuten, die die Siegesbotschaft in

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den Tempel zog, drang dergleichen langsam, dochmanchermochtedenNamenskönigCäsarionkennen,dender Baumeister hier erwartete. Es schien deswegengeraten, den Sohn der Königin am Fuße der Treppe zuempfangen. Beide stiegen darum auf den Platz hinab;doch das Aufundniederschreiten wurde ihnen von denLeuten, die hier den Tempel aufsuchten, dort vor demHause des Gelehrten immer zahlreicherzusammenströmten,erschwert.Esverlangtebeide,zuwissen,obsichdasGerücht,manwolle demDidymusdenGartennehmen, umdieStatuedort aufzustellen, schon verbreitet habe, und die erstenFragen lehrten, daß es sich in der That so verhalte. Eshieß sogar, das Haus des Gelehrten solle abgerissenwerden, und zwar schon in einigen Stunden. Dagegenerhob sich heftiger Widerspruch; doch ein langaufgeschossenerMann schien es auf sich genommen zuhaben, das gewaltthätige Vorgehen der Machthaber zuverteidigen.Die Freunde kannten ihn wohl. Es war der SyrerPhilostratus. ein geschickter Stegreifredner undVolksaufwiegler, der die schlechtesten Ansprücheverteidigte und die gewandte Zunge demjenigen zurVerfügungstellte,derambestenbezahlte.»Jetzt,« sagte Dion.,»steht der Wicht wohl im Dienstemeines Oheims. Der Gedanke, das Bildwerk da drüben

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aufzustellen,kommtjavonihm,undihnvondergleichenabzubringen hält schwer. Hier wird es sich dazu umverborgene Nebenzwecke handeln. Daß sie gerade denPhilostratus kauften!ObderAnschlagnicht garmit derBarinezusammenhängt,derenGattederSachwalterdochleiderwar,bevorersieverstieß.«»Verstieß!« fiel ihmGorgias ungehalten insWort. »Wiedas klingt! Er that es freilich; doch um ihn dazu zubewegen, opferte die Beklagenswerte die Hälfte desschönen Vermögens, das ihrem Vater der Pinseleingebrachthatteundmehr.SogutwieichweißtDu,daßihr das Leben an der Seite dieses Elenden unerträglichwurde.«»Ganz recht,« versetzte Dion gelassen. »Da ganzAlexandria bei ihrem Gesange des Jalemos amAdonisfeste in Bewunderung zerschmolz, bedurfte siedeserbärmlichenGefährtennichtlänger.«»Wie kann es Dich nur freuen, auf die Frau, die Dugesternnochtadellosnanntest,anmutig,einzig,woesnurangeht,solcheSchattenzuwerfen?«»Damit das helle Licht, das von ihr ausgeht, Dir dieAugen nicht ganz und gar blende. Ich weiß, wieempfindlichsiesind.«»Soschonesie,stattsiezureizen.UebrigensgibtDeineVermutungzudenken.BarineistdieEnkelindesMannes,demsieandenGartenwollen,undderSachwalterflickt

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beidenwohlgernetwasamZeuge.Aberichverderbeihmdas Spiel. An mir ist es, den Platz für die Statue zubestimmen.«»AnDir?« unterbrach ihn der andere. »Wenn sich keinMächtigerer vor Dich hinstellt. Ich wollte den Oheimschongewinnen,aberauchvorihmstehtnochdieserundjener.DieKöniginistzwarfort;dochIras,derenBefehleauch nicht in der Lust verhallen, sagte mir noch heutemorgen, sie habe über die Ausstellung der BildsäuleeigeneGedanken.«»So bist Du es,« rief der Baumeister, »der denPhilostratushieherführt!«»Ich?«frugderandereerstaunt.»Ja, Du!« versicherte Gorgias. »Sagtest Du mir nichtselbst,daßIras.mitderDualsKnabespieltest,Dirjetztunbequem werde, weil sie jeden Deiner Schrittebelauere? Und dann ... Du bist ein fleißiger BesucherBarines,undsieziehtDichunsallensosichtlichvor,daßesIrasleichtzuOhrengekommenseinkönnte.«»WieArgoshundert,sohatdieEifersuchttausendAugenimKopfe,«unterbrachihnderFreund,»unddochwillichnichts von Barine, als in dieser langweiligen Zeit desWartens, wenn der Tag sich neigt, zwei angenehmeStunden.Gleichviel!Iras—dasistdieMeinung—hörte,diegefeierteFrauseimirgewogen.—Irasistmirselbsteinwenig gut, und darumkaufte sich die nämliche Iras

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den Philostratus. Sie ließ es sich etwas kosten, umderjenigen, die sich zwischen sie und mich stellt, oderdochumdemaltenManne,derdasGlückoderUnglückhat, der Großvater ihrer Nebenbuhlerin zu sein, etwasUebleszuzufügen?Nein,nein.Daswärezuniedrig!Und— glaube mir! — wenn Iras eine Barine zu Grunderichtenwollte, sie brauchte dafür keinen so langen undhäßlichen Umweg. Außerdem ist sie nicht gerade bös.Oder ist sie es dennoch? Ich weiß nur, daß sie, wo esetwasfürdieKöniginzuerreichengilt,auchbedenklicheMittel nicht scheut, und ferner, daß einem bei ihr dieStundenbesondersschnellverfliegen.Ja,Iras,Iras...Ichspreche den Namen gern aus. Und ich liebe sie dochnicht,undsie—sieliebtnursichselbst,und,daskönnenwenigevonsichsagen,einezweitenochmehr.Wasgiltihr dieWelt, was gelte ich ihr neben derKönigin, demAbgottihresHerzens?Seitsiefortist,kommtsiesichvorwie die verlasseneAriadne,—wie ein jungesReh, dassichvonderMutter verirrte.Aberwarte einmal, sie hatda dieHand vielleicht dochmit im Spiele; dieKöniginvertrautihrwieeinerSchwester,wiedereigenenTochter.Niemand weiß, was sie und die Charmion ihr sind.Kammerfrauen werden sie genannt, undHerzensfreundinnen sind sie der Herrin. Als KleopatraIras beimAufbruchderFlotte hier lassenmußte,— sielagdamalsimFieber—befahlsieihr,aufdieKinderzuachten. Auch auf die mit dem sprossenden Barte: den

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›König der Könige‹, Cäsarion, dem der Hofmeister fürjeden Ungehorsam eins mit dem Scepter versetzt, undden unbändigen Burschen Antyllus, der sich an denletztenAbendenzuunsererFreundindrängte.«»Antonius,dereigeneVater,führteihnzuihr.«»Ganzrecht,undAntyllusbrachteihrdenCäsarion.DasgehtderIrasgegendenStrich,wiealles,wasderKöniginVerdruß bereiten könnte. Barine ist ihr, um Kleopatraswillen,der sieeinAergernis sparenwill,unbequemundvielleicht ummeinetwegen einwenig verhaßt.Nun läßtsiedemAlten,denBarine liebt, ihremGroßvater, etwasanthun, das die verwöhnte, unvorsichtige Frau kaumruhig hinnehmen und das sie reizenwird, eineThorheitzu begehen, die etwas gegen sie zu unternehmengestattet. Ans Lebenwill Iras ihr kaum, doch sie denktvielleichtanVerbannungoderdergleichen.SiekenntdieMenschen so gut wie ich sie, das Nachbarkind, kenne,dasichmanchesliebeMalvondemBaumehebenmußte,aufdendaskatzenflinkeDingsichdamalsverklettert.«»IchbrachteDichjaselbstaufdieseVermutung,dochsounwürdigeRänketrau’ichihrdennochnichtzu,«fielihmGorgiasungläubiginsWort.»Was ich ihr zutraue?« fragte der andere lebhaft. »Ichversetze mich nur in Gedanken an den Hof und in dieSeele des Weibes, das dort mithilft, Regen undSonnenschein zu machen. Du läßt Säulen runden und

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Balken behauen, damit sie später das Dach tragen, aufdasDudieAufmerksamkeitrichtenwirst,wenndieZeitdazu kommt. Sie und alle, die bei Hofe mitzusprechenhaben,fassendasDachzuerstinsAuge,unddannsuchensie gleichviel was zusammen, um es in die Höhe zubringen und zu stützen. Es können auch Leichen dabeisein, vernichtete Existenzen und gebrochene Herzen.Worauf es ankommt, ist, daß das Dach so lange stehenbleibt,bisesderBauherr—dieKönigin—sahundfürgut erklärte. Das andere ... Aber derWagen dort ... Erbringtwohl...Duwolltest...«Hierstockteer,legtedieHandaufdenArmdesFreundesundraunteihmhastigzu:»DieIrasstecktsicherdahinter,und es ist nicht der Antyllus, sondern nur derkopfhängerischeKnabedort,fürdensiesichregt.AlssievorhinvonderStatuesprach,frugsieingleichemAtemnach ihmundob ich ihnvorgesternabendgesehen,undgeradevorgesternwaraucherbeiderBarine.AufsieistderAnschlaggemünzt,undIrasmachtganzeArbeit.DieMausfängtsichnicht,wodieFalleverschlossenist,undIraserhebtschondiekleineHand,umsiezuöffnen.«»Wenn sie keine Männerhand aushält,« versetzte derBaumeister unwillig und wandte sich dann demWagenunddemälterenMannezu,derihmebenentstiegenwarundjetztgeradewegsaufdieFreundezuschritt.

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ZweitesKapitel.

Dionwolltesichbescheidenentfernen,alsderBegleiterdes Cäsarion auf ihn und den Freund zutrat und siebegrüßte.Erwarmitbeidenvertrautundbatauchjenen,zubleiben.EslagetwasGemessenesundAbgeklärtesinderStimmeunddenruhigenBewegungendiesesgroßen,breitschulterigen Mannes mit dem starken Körper unddenmächtigentwickeltenGliedern.Zwarstandererstinder Mitte der Vierziger, doch wies nicht nur seinergrautes großes Haupt, sondern auch die ganzegelassene, Achtung gebietende Weise auf ein höheresAlter.»DerjungeKönigdort,«begannermiteinerStimmevontiefem, einnehmendemKlang, indem er auf denWagenwies, »wünschteDich,meinGorgias, hier persönlich zusprechen,dochaufmeinenRatunterläßteres,sichunterder Menge zu zeigen. Ich führe ihn im geschlossenenWagenhieher.—IstesDirgenehm,sosteigezuihmeinund höre ihn an, während ich mich hier umschaue. EsscheinenmerkwürdigeDinge vorzugehen— und da—oder täusche ich mich? Ist das Ungetüm, das daherangeschlepptwird,etwaschondieStatuederKöniginund ihres Freundes? Warst Du es selbst, Gorgias, derdiesenPlatzfürsiewählte?«»Nein,« entgegnete der Baumeister bestimmt. »Dieser

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TransportwurdesogarübermichhinundgegenmeinenWillenbefohlen.«»Das dachte ich,« erwiderte der andere. »CäsarionwünschtDichgeradewegendieserBildsäulezusprechen.KannstDu ihreAufstellung auf demGrund undBodendes Didymus verhindern,— um so besser.Was anmirliegt, thue ichgern,umDirBeistandzu leisten;doch inAbwesenheitderKöniginvermagichnurwenig.«»WassollichdannübermeinenEinflußsagen?«frugderBaumeister.»Werweißdenn indieserZeitauchnur,obderHimmelmorgenblau seinwirdodergrau?Nureinssteht beimir fest:Was anmir liegt, das soll geschehen,um diese Schädigung eines achtbaren Bürgers, diesenEingriff in das Gesetz unserer Stadt und dazu eineKränkungdesgutenGeschmackeszuverhindern.«»Sage das dem jungen Könige, doch auch das nur mitVorsicht,« bat Archibius, während der Baumeister sichwandte,umdemWagenentgegenzuschreiten.Sobald Dion und der ältere Mann allein waren, suchtesich jener über denGrunddeswachsendenAufruhrs zuunterrichten, und da er wie jeder wohlgesinnteAlexandrinerdenArchibiushochhieltundesihmbekanntwar,daßermitdemBesitzerdesgefährdetenGartensunddarum auch mit seiner Enkelin Barine bekannt sei,vertrauteerihmrückhaltlos,waserbesorgte.»Iras,« sagte er in seiner offenen Weise, »ist ja Deine

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Nichte,dochweißich,daßDusiekennst.Jetztgefälltesihr, einer, der sie übel gesinnt ist und die sie fürunvorsichtig hält, einen goldenen Apfel in denWeg zulegen, damit sie ihn auflese und ihrAnlaß gebe, sie alsDiebinzuverklagen.«Als ihn der fragende Blick des Archibius bei diesemGleichnissetraf,änderteerdenTonundfuhrernsterfort:»Zeusistgroß,dochüberihmstehtdasSchicksal.MeinOheim Zeno vermag viel, wenn aber Iras und DeineSchwester Charmion, die jetzt leider bei der Königinweilt, etwas durchzusetzenwünschen, so streicht erwiederRegentMardiondieSegel.JeliebenswerterKleopatraist, desto gewisser hält jeder den Platz in ihrer Nähehöher als alles andere, und besonders höher als solcheKleinigkeitenwieRechtundGesetz.«»DassindharteWorte,«unterbrachihnderandere,»undsie scheinenmir um so bitterer, einen je größerenKernvonWahrheitsieenthalten.UnserHofteiltdasGeschickjedesandernimMorgenlande,undwemRomfrüherdasBeispielgab,RechtundGesetzheiligzuhalten...«»Der,«fielihmDioninsWort,»magjetztdorthingehen,umzu erfahren,wie rohmanbeidemit Füßen tritt.DieMachthaber hier und dort dürfen über einander lächelnwiedieAuguren.EssindgleicheBrüder...«»DochmitdemUnterschiede,«bemerkteArchibius,»daßan der Spitze unseres Gemeinwesens die

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LiebenswürdigkeitundAnmut ineigenerPerson stehen,während inRom dasGegenteil davon: rauheHärte undblutiger Uebermut oder auch widrige Kriecherei dieZügelführen.«Hier unterbrachArchibius sich selbst undwies auf eineSchar von schreiendenLeuten, die auf sie zukam;Dionaber sagte:»Duhast recht.VerschiebenwirdiesaufeinGesprächimHausederanmutigenBarine.AberichtreffeDichdortnurselten,unddochstandestDuihremVatersonahe, und es gibt stets etwas Förderliches bei ihr zuhören. Ich bin ihr Freund.Das könnte inmeinemAlterleichtsovielheißenwie ihrGeliebter.Doch inunseremFalle würde die Gleichung nicht stimmen. VielleichtglaubstDumir; dennDuhast ja selbst dasRecht,Dichden Freund der verführerischsten aller Frauen zunennen.«Da flog ein wehmütiges Lächeln über das ernste, derbgeschnittene Antlitz des Vierzigers, und indem er dieHandwiezurAbwehrbewegte,entgegneteerleichthin:»IchwuchsmitKleopatraheran,aberdergeringeMannliebt eine Königin nur wie die Gottheit. An DeineFreundschaftmitBarineglaube ichgern, dochhalte ichsiefürgefährlich.«»Wenn Du damit meinst, sie könne der liebenswertenFrau schaden,« versetzte Dion und erhob das Haupthöher,wie um anzudeuten, daß er auch von ihm keiner

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Warnung bedürfe, »bist Du vielleicht im Rechte. Nurbitte ichDich,michnichtmißzuverstehen. Ichbinnichteitel genug, um anzunehmen, ich könne ihrem Herzenetwas anthun; doch leider gibt es viele, die der jungenFrau die Anziehungskraft nicht verzeihen, die sie aufmichübtwieaufunsalle.SovieleMännerdasHausderBarine gern besuchen, so viele Weiber muß es mitNotwendigkeitgeben,denenesFreudemachenwürde,eszu schließen. Zu ihnen gehört natürlich auch Iras. Siegrollt meiner Freundin, ja ich fürchte, was Du dortdrübensiehst,istderApfel,densiehinwarf,umsiedamitwenn nicht zu verderben, so doch aus der Stadt zuentfernen, bevor die Königin — mögen die Götter ihrSiegverleihen!—bevorKleopatraheimkehrt.DukennstIras,diejaDeineNichte.WieDeineSchwesterCharmionscheutsiesichvornichts,wennesgilt,derKönigineineSorgeodereinenVerdrußausdemWegezuräumen,undeswirdKleopatraschwerlicherfreuen,wennsiehört,daßdie beiden Knaben, deren Wohl ihr am Herzen liegt,AntylluswieCäsarion,denWegzueinerBarine—wiereinihrRufauchseinmag—fanden.«»Icherfuhresvorhin,«entgegneteArchibius,»undauchmichmacht es besorgt.Der Sohn desAntonius hat vielvon der unersättlichen Genußlust des Vaters. AberCäsarion! Er wagte sich noch nicht aus demTraumdasein,dasihnumfängt,hinausindasLeben.Wasanderekaumwahrnehmen,schlägtihmeineWunde.Für

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ihnspitztEros,fürcht’ich,tiefinsHerzdringendePfeile.Alserbeimirvorsprach,fandichihnseltsamverändert.WieeinemTrunkenenleuchtetenihmdieTräumeraugen,alservonBarineerzählte.Ichfürchte,ichfürchte—«»Daswäre!«riefDionüberrascht, jabeinaheerschreckt.»Wenn es so steht, ist Iras nicht völlig imUnrecht, undwirhabendieSacheanderszuwenden.VorallenDingenmuß verschwiegen bleiben, daß Cäsarion sich in dieAngelegenheit des alten Hausbesitzers da drübeneinmischt. Daßman demGreise zu erhalten sucht, wassein ist, versteht sich von selbst, und ich nehme es aufmich und will dem Stegreifredner— sieh nur, wie derPrahlhans im Dienste der Iras die Arme schwingt! —heimzuleuchtenversuchen.WasdieBarine angeht,wirdes gut thun, sie zu bewegen, freiwillig die Stadt zuverlassen, wo man ihr den Boden so heiß macht. Du,würdigerMann,suchesiedahinzubringen.Wennichihrmit solchemAnsinnenkäme, ich,der icherstgestern ...Nein, nein! Sie hörte ohnehin, daß Iras und ich ... Siewürde allerhand Thorheiten vermuten. Du kennst dieEifersucht. Auf Dich, den sie hochhält, hört sie gewiß,ich weiß es, und sie braucht sich ja nicht weit zuentfernen. IstdasHerzdiesesschwärmerischenKnaben,dem es doch einmal einfallen könnte, nicht nur ›derKönig der Könige‹ heißen zu wollen, ernstlich für dieBarine entbrannt, wie schweres Unheil kann darausentstehen!WirmüssensievorihminSicherheitbringen.

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Auf mein Landgut unter den Papyruspflanzungen beiSebennytusdarfsienicht.EskämedenbösenZungengarzu gelegen. Aber Du ... Deine Villa bei Kanopus istfreilich zu nahe—aberDuhast ja,wenn ich nicht irre—«»Mein Gut im Seeland ist weit genug entfernt, und esstehtihrzurVerfügung,«versetztederandere.»DasHausist immer zu meiner Aufnahme bereit; ich werde dasMeine thun, um sie zu überreden; denn Dein Rat istverständig.AusdenAugenmußsiedemKnaben!«»Ich aber,« fuhr Dion eifrig fort, »werde mich morgenvon dem Erfolge Deiner Sendung unterrichten; — jaschonheuteabend.Willigtsieein,soerzähleichderIraswie von ungefähr, daß sie nach Oberägypten gehe, umfrischeMilchzutrinken.Sieistklug,undeswirdihrliebsein,wennsiesichindieserZeit,dieüberdasGeschickKleopatras und der Welt entscheiden soll, dergleichenKleinigkeitenfernhaltenkann.«»AuchmeineGedanken sindbeidemHeere immerundimmer,« sagte Archibius. »Wie nichtig ist alles andereneben der Entscheidung, die uns in diesen Tagenbevorsteht! Aber das Leben setzt sich aus Kleinemzusammen.Dasnährtundtränktunderhältuns!KehrtdieKöniginauchalsSiegerinheimundfindetdenCäsarionauffalschenWegen...«»Manmußsieihmverschließen!«riefderandere.

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»Damit der Knabe der Barine nicht nachreist, meinstDu?« frug Archibius und schüttelte leise das Haupt.»Das, denk’ ich, haben wir nicht zu besorgen. Er wirddergleichenwohllebhaftgenugbegehren,dochzwischendem Verlangen und dem Vollbringen fließt bei ihm einbreiterStrom.DerAntyllusistandersgeartet.—Erwäreimstande,sichdasPferdsattelnoderaneinemBootedieSegelausspannenzulassen,umihrnachzueilen,—thutes not, bis über den Katarakt. Darummüssen wir auchaufsstrengsteverschweigen,wohinBarinesichfreiwilligverbannt.«»Ich sehe sie noch nicht unterwegs,« fügte Dion miteinem leisen Seufzer hinzu. »Sie hängt an dieser StadtwiemitKettenundBanden.«»Ichweiß es,« bestätigte der ältere dieBefürchtungdesjüngerenMannes; dieser aber wies auf denWagen undsagteschnellunddringlich:»Gorgias winkt. Doch bevor wir scheiden: setze allesdaran, Barine von hier zu entfernen. Sie ist ernstlichbedroht.Verschweigeihrnichtsundsageihr,allzulangewürdendieFreundesienichtinderEinsamkeitlassen.«Da drohte Archibius dem Jünglinge mit der Hand undeinem vielsagenden Blicke und trat mit ihm demverschlossenenWagenentgegen.Daswohlgeformte,dochblasseGesichtdesCäsarion,dasdemseinesVaters,desgroßenCäsar,ZugfürZuggleich

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sah, schaute ihnen aus der Oeffnung über dem Schlageentgegen, und er begrüßte beide mit einer gemessenenNeigungdesHauptesundeinemgönnerhaftenAufschlagderAugen. Sie hatten vorhin, als er den älteren Freundnach Wochen wieder sah, in knabenhafter Weise hellausgeleuchtet, dem Fremden aber wünschte er sich alsKönig zu zeigen. Er wollte ihm zu fühlen geben, wiehoch er über ihm stehe; denn er war ihm übel gesinnt.HatteerihndochvonderFraubevorzugensehen,dieerzu lieben meinte und deren Besitz ihm die geheimeWissenschaftderAegypter,anderenMacht,dieZukunftzu entschleiern, er glaubte, mit aller Bestimmtheitzugesagthatte.Durch Antyllus, den Sohn des Antonius, war er beiBarine eingeführt worden, und sie hatte ihn mit derseinem Range gebührenden Berücksichtigungempfangen.DervonreifenundhervorragendenMännernumworbenen jungen Frau von seiner Liebe zu reden,hatte ihm indes trotz ihrer heiteren Anmut knabenhafteSchüchternheit bisher verboten. Nur seine feuchtschimmernden, ausdrucksvollen Augen hatten ihr allessagen sollen, was er für sie fühlte. Es war wohl auchnicht unbemerkt geblieben; denn vor wenigen StundenwarervordemTempeldesCäsar,seinesVaters,wohinersichbeiderstrengen,seinemLebenausgelegtenOrdnungjedenTagzurnämlichenStundebegab,umzubeten,zuopfern,denSteindesAltarszusalbenoderdieBildsäule

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des Dahingegangenen zu bekränzen, von einerAegypterinaufgehaltenworden.AugenblicklichhatteerinihrdieSklavinerkannt,dieerim Atrium Barines gesehen, und dem Gefolgezurückzubleibengeboten.ZumGlückwarseinHofmeisterRhodonderPflicht,ihnzu begleiten, nicht nachgekommen. Darum hatte er eswagen dürfen, ihr zu folgen und im Schatten derMimosen des kleinen Haines neben dem Tempel dieSänfte Barines gefunden. Hochklopfenden Herzens undvoll banger Erwartung war er ihrem Winke, näher zutreten,gefolgt.DochsiehatteihmnichtsgewährtalsdieGunst,ihreinenWunschzuerfüllen.AberdasHerzwarihmdochvollzumZerspringengewesen,alssiemitdemschönen weißen Arm aus der Thür der Sänfte ihmmitgeteilthatte,esseiungerechterweiseimWerke,ihremGroßvater Didymus den Garten zu nehmen, und sieerwartevon ihm,daßer,der ja»derKönigderKönige«heiße, das Seine thun werde, um solchem Frevel zuwehren.Währendsiesprach,hatteesihnMühegekostet,denSinnihrerRedezuerfassen;denneshatteihmvordenOhrengebraust, als stehe er statt in dem stillsten derTempelhaineaneinemstürmischenTageaufdervonderBrandungumrauschtenSpitzederLochias.DieAugenzuihrauszuschlagenundihrinsAntlitzzuschauen,hatteer

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nichtgewagt.ErstalssiemitderFrage,obsieaufseinenBeistand hoffen dürfe, zu Ende gekommen, hatte ihrBlickdenseinengezwungen,ihmstandzuhalten,undwashatte er dabei aus ihren blauen, bittenden Augen nichtallesherauszulesengemeint,wieunsagbarschönwarsieihmerschienen!Wie von Sinnen hatte er ihr gegenüber gestanden. Erwußtenurnoch,daßerihrmitderHandaufdemHerzenversprochen,alleseinzusetzen,umzuverhindern,wasihrKummer zu bereiten drohe. Dann war ihm die kleineHand mit den blitzenden Ringen wiederentgegengestreckt worden, und er war fest entschlossengewesen,siezuküssen,dochwährendersichnachdemGefolgeumschaute,hattesieschondenSklavenundihmgewinkt,unddieSänftewarfortgetragenworden.Da hatte er denn dagestanden wie der Mann auf eineralten Vase der Mutter, der verdutzt dem fortfliegendenGlücke nachschaut, das er so leicht an dem ihm langnachwehendenHaarhättefesthaltenkönnen...Ergrollteder unseligen Unentschlossenheit, die ihn schon um sovielGutesbetrogen.Docheswarjanochnichtsverloren.Wenn es ihm gelang, ihren Wunsch zu erfüllen, dannmußtesieihmdankbarsein,unddann...Nundachteernach, anwener sichwendenkönnte.AnMardion, den Regenten, oder an den Siegelbewahrer?Nein!SiehattenjadieAufstellungderStatueimGarten

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des Philosophen angeordnet. An Iras, die Vertraute derMutter?Dasamletzten!DieListigehatteihndurchschautunddemRegenten,wassiewahrgenommen,verraten.Ja,wennCharmion,dieandereKammerfrauderMutter,hiergewesenwäre;dochsiebefandsichjamitaufderFlotte,dievielleichtheuteschongegendiedesFeindeskämpfte.InderErinnerungdaranschlugerdieAugennieder;denneswarihmnichtgestattetworden,denihmgebührendenPlatz im Heere einzunehmen, während die Mutter undCharmion...DocherdachtediesenpeinlichenGedankennicht aus; denn ein ernster Vorwurf hatte sich ihmaufgedrängt und ihm dasBlut in dieWangen getrieben.Er,erwollteeinMannsein,undindiesergroßenZeit,indiesen Tagen, die das Geschick der Mutter, seinerVaterstadt,AegyptensundjenesRomentscheidensollten,dasmanihn,deneinzigenSohndesCäsar,alsseinErbezubetrachtenlehrte,schlichersichzueinerschönenFrauund dachte an sie und an nichts weiter! Mit haltlosenAnschlägen auf ihrenBesitz verbrachte er dieTageundhalbenNächteundvergaßdarüber,was ihmalleinhätteamHerzenliegensollen.Iras hatte ihm noch gestern mit scharfen Wortenvorgehalten, daß es in diesen Tagen für jeden FreundKleopatras und jeden Feind ihrer Feinde Pflicht sei,wenigstensinGedankenjederzeitbeimHeerezuweilen.Daran hatte er sich wieder erinnert; statt aber der

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Mahnungdes geisteskräftigenMädchens zu achten,warer durch die Erinnerung an sie nur auf ihren OheimArchibius geführt worden, der nicht nur wegen seinesReichtums,sondernauchweiljedermannwußte,wievieler bei der Königin gelte, großen Einfluß besaß. Dazuhattederkluge,wohlwollendeMannsich ihmvonKindan besonders freundlich erwiesen, und wie eineErleuchtungwarihmderGedankeerschienen,sichanihnund zu gleicher Zeit an den Architekten Gorgias zuwenden, der in dieserAngelegenheitmitzusprechenundihm,während er den ihm eingeräumten Palastflügel aufder Lochias neu ausgebaut, besonders wohl gefallenhatte.So war denn ein dienender Mann aus dem GefolgesogleichmitdemTäfelchenausgesandtworden,dasdenGorgiaszumStelldicheinbeimIsistempellud.NachMittaghatteCäsarionsichdannheimlichineinemBoote zu dem bei Kanopus am Meeresufer gelegenenkleinenPalastdesArchibiusbegeben,undnundiesermitdemFreunde an seinemWagen stand, erklärte er ihnen,daßer sichmitdemArchitekten zudemaltenDidymusverfügenwolle,umihnseinesBeistandeszuversichern.DaswarinjederHinsichtunstatthaft,undesbedurftedesganzenSchwergewichtsderGründedesälterenMannes,umihnzumNachgebenzubewegen.DieFolgen,dieeshätte nach sich ziehen können, wenn ihn das Volk,

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währendergegendenRegentenderKöniginParteinahm,erkannt hätte, wären unabsehbar gewesen. Aber dasSichfügen und Zurückweichen fiel dem jungen »KönigderKönige«diesmalbesondersschwer.ErhättesichdemDion so gern als Mann gezeigt, und nun dies nichtanging, suchte er sich das Ansehen eines solchen zugeben, indem er versicherte, von seinem Vorhaben nurabzulassen, um den alten Gelehrten und seine EnkelinnichtinSchadenzubringen.DannbaterdenBaumeisternocheinmal,demDidymusdasSeinezuerhalten.Alserendlichmit demArchibius abfuhr, dämmerte es bereits,und vor demTempel und dem kleinenMausoleum, dassichandieCellaanschloß,wurdendieFackeln,aufdemPlatzediePechpfannenentzündet.

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DrittesKapitel.

EsstehtschlimmumdenKnaben,«sagtederArchitekt,während das Fuhrwerk über die Steinfliesen derKönigsstraße hinrasselte, und schüttelte bedenklich denKopf.»Unddadrüben,«fügteDionhinzu,»siehtesgleichfallsandersausalserfreulich.PhilostratusbringtdieLeuteumdenVerstand.AberdergekaufteUnheilstiftersollgleichwünschen, die Goldstücke der Iras weniger willigeingestrichenzuhaben.«»Und zu denken,« rief derBaumeister, »daßBarine dasWeib, die Hausfrau dieses Elenden war! Wie dasgeschehenkonnte...«»Sie war ein Kind, als man sie vermählte,« unterbrachihnDion. »Wer fragt hier die fünfzehnjährige Jungfrau,wennmanihrdenMannwählt?UndPhilostratus—aufRhoduswarermeinStudiengenosse—versprachdamalsdas Beste. Seinem Bruder Alexas, dem bevorzugtenGünstling des Antonius, wäre es ein Leichtes gewesen,ihn vorwärts zu bringen. Barines Vater war tot, dieMutter,gewöhnt,aufdenRatdesGroßvatersderTochterzu hören, und dem alten Didymus hatte der gewandteSyrer Sand in die Augen gestreut. So überlang undschmalerauchist,siehterdochheutenochsoübelnichtaus.WieeralsRhetorauftrat,gefieler.Dasstiegihmzu

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Kopf,undes steckt in ihmdasBlutdesVerschwenders.Um die schöne junge Braut in ein stattliches Haus zuführen,übernahmerdieschlechteSachedesräuberischenSteuereinnehmersPyrrhusundredeteihnfrei.«»ErhatteeinDutzendfalscherZeugengekauft.«»Eswarensogarderen sechzehn.Späterkamensovieledazu, wie ihm dort drüben weit geöffnete Mäulerzuschreien. Es ist Zeit, sie zum Schweigen zu bringen.Begib Du Dich ins Haus und beruhige den Alten, undwenn Barine bei ihm ist, auch sie. Findest Du schonBoten des Regenten, so erhebeWiderspruch gegen denunerhörten Beschluß. Du kennst ja die Stellen desGesetzes,diedemAltenzugutekommen.«»Seit dem zweiten Euergetes ist der registrirteGrundbesitz unantastbar, und der seine wurdeverzeichnet.«»Umsobesser.SagedenBeamten auchvertraulich,Duwüßtest, daß den Regenten vielleicht neu aufgetauchteBedenkenumstimmenwürden.«»Und allemvoran, bestehe ich aufmeinemRechte, denPlatz für die Statue zu bestimmen. Die Königin selbstschriebdenanderenvor,meineMeinungzuhören.«»Das wiegt am schwersten. Aus Wiedersehen nachher!VonderBarinebleibstDuheuteabendlieberfern.SiehstDu sie, so sage ihr, der wackere Archibius habe fallenlassen,erwerdesiebesuchen;wozu—daserklär’ichDir

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später.IchgehewohlnachherzuderIras,umauchsiezurVernunft zu bringen. Der Wunsch des Cäsarion bleibtbesserunerwähnt.«»Ganz gewiß, und daß Du dem da drüben nichtsschenkst!«»Im Gegenteil. Mir ist sehr freigebig zu Mute. WennPeithomirbeisteht, bekommtderNimmersattmehrvonmiraufgeladen,alsihmliebseinmöchte.«DamitreichteDiondemBaumeisterdieHandundbrachsich Bahn durch dieMenge, die das auf Schlittenkufenruhende hohe Gestell umstand, auf dem man die tiefverhüllteStatuehiehergerollthatte.Das Thor des Gelehrtenhauses stand offen; denn einBeamter des Regenten hatte es in der That vor kurzembetreten,dochhieltdiescythischeWache,diederExegetDemetrius, das Stadthaupt, ein Freund Barines, hiehergesandthatte,dievordringendenNeugierigenzurück.Der Baumeister war ihrem Führer bekannt, und baldstand er in dem Impluvium desGelehrtenhauses, einemlänglichenRaumemitoffenerDecke,indessenMitteeinkleiner Springbrunnen das runde Blumenbeet, das ihnumgab, mit zerstiebendem Wasser betaute. Der alteHaussklave hatte eben einige dreiarmige Lampen anhohenStändernentzündet.Die Beamten, die der Regent hieher geschickt hatte,waren vor kurzem gekommen, um dem Didymus

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mitzuteilen, seinGartensolle ineinenöffentlichenPlatzumgewandeltwerden.AlsderBaumeisterindasHaustrat,hattendieBeamten,ihre Schreiber und die sie begleitenden Zeugen, eineScharvonzwanzigMännern,anderenSpitzeApollonius,ein angesehener Intendant des königlichen Schatzes,stand,sichschonhineinbegeben.DerSklave,derdenGorgiasführte,teilteesihmmit.ImAtriumwurdeervoneinerJungfrau,diezurFamiliedesaltenGelehrtengehörenmochte,aufgehalten.Erirrtesichnicht,wennerinihrHelena,diejüngereEnkelindesDidymus, vermutete, von der ihm Barine gesprochen.Freilich glich sie der Schwester weder an Gestalt nochamAngesicht; dennwährend dasHaar der jungen Fraublond und wellig war, schlang sich um das Haupt desMädchens ein voller, glatter, tiefschwarzer Zopf.Besonders fremd mutete der tiefe, ernste Ton ihrerStimme ihn an, aus dem ihm starke innere Bewegungentgegenklang, als sie ihmmit der kurzenFrage, in dersicheinleiserVorwurfverbarg,entgegentrat:»NocheineForderung?«Da vergewisserte er sich erst, ob er in der That mitHelena, der Schwester seiner Freundin, redete underöffnete ihr dann schnell, wer er sei und daß er imGegenteil komme, um ihren Großvater vor schweremUnglückzubeschützen.

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Als sein erster Blick sie in dem spärlich beleuchtetenRaume getroffen, war der Eindruck, den sie in ihmhervorrief, kein günstiger. Von der reinenweißen Stirn,die ihm für ein Frauenantlitz zu hoch erschienen war,hatte ihm eine leichteFalte unwillig entgegen geschaut,undwarihrMundauchschöngeschnitten,soverzogihndoch mehrmals ein leidenschaftliches Zucken, wodurchihr tadellos gebildetes Antlitz etwas Herbes, ja Bitteresgewann. Kaum aber hatte sie gehört, was ihn hieherführte, als siedieHandaufdievolleBrust drückte, tiefausatmeteundihmdannzurief:»O, thue, was Du kannst, um das Schreckliche zuverhindern! Es weiß ja keiner, wie der alte Mann andiesemHausehängt.UnddieGroßmutter!Nimmtmanesihnen,siegehendaranzuGrunde!«DabeihattenihregroßenAugenwarmundmitrührenderBitte in die seinen geschaut, und aus der abweisendstrengen Stimme war ihm zärtliche Liebe für die Ihrenentgegengeklungen.Ermußtehierhelfen,undwiegernwollteer’sthun.Dasgaberihrauchzuhören,undsie,dereralseintüchtigerManndargestelltwordenwar,sahinihmeinenHelferinderNotundbatihnmitrührenderInnigkeit,wennsiedenGroßvaterzudenBeamtenführe,diesemzuzeigen,daßnochnichtallesverloren.DafrugderBaumeistererstaunt,obDidymusdennnoch

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nicht wisse, was ihm bevorstehe, und sie antworteteschnell:»Er ist drüben imGartenhaus amMeerebei derArbeit.DerIntendantApolloniusisteinwohlgesinnterMannundwillwarten, bis ich denGroßvater vorbereitet habe. Ichmußmichdarumbeeilen.WohleindutzendmalschickteerschondenPhilotas,seinenSchüler,derihmdieBücherheraussuchtundausrollt,umsichzuerkundigen,wasderLärm draußen bedeute; doch ich ließ ihm sagen, dieMengeströmewegenderKöniginandenHafen.EsgibtjaofteinenAuflaufmitlautemGeschrei;Großvateraberläßtsichdurchnichtsstören,wenneineArbeitihnfesselt,undderSchüler—ein jungerStudentausAmphissa—liebtihnundthutgern,wasichihnheiße.DieGroßmutterweiß auchnochnichts. Sie ist taub, unddieSklavinnendürfenihrnichtssagen.EinplötzlicherSchreck,sagtderArzt,würde ihr schaden, seit der Schwindel sie neulichbefiel.WennichdierechtenWortenurfinde,daßesdenGroßvaternichtallzuschmerzlichtrifft!«»SollichDichbegleiten?«frugGorgiasfreundlich.»Nein,«versetztesierasch.»Esbedarfbei ihmderZeit,biserFremdenvertraut.NurwennderIntendantihmdasFurchtbare eröffnet und der Schmerz ihn übermannenwill, so tröste Du ihn und zeige ihm, daß wir nochFreundehaben,diebereitsind,unsvorsolcherUnbillzuschützen.«

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Damit winkte sie ihm dankbar zu und eilte durch einSeitenpförtchenindenGarten.Der Baumeister schaute ihr nach, und er that es tiefatmendundmitleuchtendenAugen.WiegutmußtediesMädchensein,wieumsichtigsorgteesfürdieIhren!Wiethatkräftig handelte dies junge Geschöpf! Er hatte dieneue Bekannte nur in dürftiger Beleuchtung gesehen,aber schönmußte sie doch sein.DieAugen, derMund,dasHaarwarenesgewiß.Wie ihmaberdasHerzdabeischnellerschlug,undersichfrug,obdieseJungfrau,diemit allen Gaben geschmückt war, die den wahrenWertdesWeibesbedingen,nichtdochihrerSchwesterBarine.deren Wesen freilich bestechlicher wirkte, vorzuziehensei, da flog es ihm durch den Sinn, daß er dem Bartedankbar zu sein habe, der ihm Kinn und Wangenbedeckte;denner fühlte, daßer, der ernste, reifeMann,errötetseinmüsse.Erwußteauchwarum.Nochvoreinerhalben Stunde hatte er gedacht und demDion bekannt,daßerBarinefürdasbegehrenswertestederWeiberhalte,undnunwarfdasBildeineranderneinentiefenSchattenauf das ihre und erfüllte ihm das Herz mit neuen,vielleichtstärkerenGefühlen.Eswarihmnurzuoftähnlichergangen,unddieFreunde,undDionanihrerSpitze,hattenseineSchwächebemerktund ihm mit neckendem Spott manche gute Stundeverdorben. Die Reihe der großen und kleinen, blonden

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undbraunenSchönen,fürdieererglühtwar,hattefreilicheine stattliche Länge, und jede, der er die schnellerwachteNeigunggeschenkthatte,warihmalsdiejenigeerschienen, die er zu derSeinenmachenmüsse, umeinglücklicherMannzuwerden.DochbevorerzumWerbengekommen war, hatte sich schon die Frage in ihmerhoben,obernichtnacheinerandernheißerbegehre.Erhatte darum sich einzureden begonnen, daß sein Herznach keiner einzelnen verlange, sondern für das ganzeGeschlecht, so weit es jung war und schön, Liebeempfinde,unddaßerdarumkaumgut thunwerde, sichmiteinerfestzuverbinden.Zwarwußteer,daßerfähigsei, Treue zu halten; dennmit unwandelbarer Festigkeithing er, zu jedem Opfer bereit, an den Freunden; denFrauengegenüberverhieltessichindesanders.SollteesauchdemBildeHelenas,dasihmjetztalssoliebenswertvorschwebte,beschiedensein,schnellzuverblassen?DasGegenteilwärewunderbargewesen,unddochglaubteerfestundsicher,daßesErosdiesmalernstmitihmmeinte.DielachendenEroten,dieihreRosengewindeumihnundihreVorgängerinnengewunden,hattenmitdieserernstenJungfraunichtszuschaffen.DasalleskreuzteihmblitzschnelldasHirnundbewegteihmdasHerz,währendmanihnindasImpluviumführte,wodieBeamtenungeduldigaufdenBesitzerdesHauseswarteten. Mit der ihm eigenen schwunghaften Wärmelegte er ihnen dar, warum er hoffe, daß ihre Sendung

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vergebens sein werde, und der Intendant versicherte,niemandkönneesmehrfreuenalsihn,wennderRegentihnmorgenermächtige,seinenAuftragzuwiderrufen.ErwartehiergernnocheineWeile,wennesderEnkelindesaltenGelehrten gelinge, diesem schonend beizubringen,wasüberihnverhängtsei.Indes wurde die Geduld des wohlwollenden MannesnichtzulangaufdieProbegestellt;dennalsHelenadasGartenhausbetretenhatte,warderGroßvater schonvondemMißgeschickunterrichtetgewesen,das ihnunddasSeine bedrohte. Der Philosoph Euphranor, ein betagtesMitglied des Museums, war durch die Gartenpforte zuihm gedrungen und hatte ihm, trotz der abwinkendenGeberden seines Schülers Philotas, mitgeteilt, was imWerkesei.AberDidymuskanntedenandern,der,ebensoweltfremdwieerselbst,dieihmnochbleibendeZeitundKraft der Wissenschaft weihte. Er hatte darum nurungläubigdenKopfgeschüttelt,nachderSträhneseinesstark gelichteten grauen Haares gegriffen, die ihm überderWangeherabhing,und,währenderdiekahlsteStelledesSchädelsdamitbedeckte,inverweisendemTon,dochals handle es sich um eine Angelegenheit von geringerBedeutung, gerufen: »Was Du wieder gehört habenwillst!Wirwerdenjasehen!«Damit hatte er sich erhoben, und, doch zu jäh von derUngeheuerlichkeitdieserNachrichtüberrascht,umandie

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SandalenaufderMatteunddasObergewandzudenken,dasaufeinerBücherkiste imHintergrundedesZimmerslag,wollteeresschonverlassen,alsderFreund,derihnsprachlos hatte gewähren lassen, ihn zurückhielt undHelenadasGartenhausbetrat.DergreisePhilosophwandtesichansieundersuchtesie,verdrossen über den Zweifel des Freundes, demGroßvater zu beweisen, daß auch solche Dinge vonGewicht sein könnten, die unserer Neigungwidersprechen.Sie that es schonendundgedachtedabeiauchdesBaumeistersundseinerHoffnung.Da schüttelteDidymus, indem er schweigend zuBodenschaute, wieder und wieder das ergraute Haupt. Dannrichtete er sichplötzlich höher auf und schoß, ohnedesObergewandeszuachten,dasHelenaschoninderHandhielt, auf die Thüre zu und öffnete sie mit dem Rufe:»Undeswirdundmußsichdennochandersverhalten.«Euphranor unddieEnkelin folgten ihm; er aber kreuzteschnellundrüstig,wennauchingebeugterHaltung,dasGärtchen und begab sich geradeswegs und ohne derFragen undMahnungen der Begleiter zu achten, in dasImpluvium. Das hellere Licht blendete ihm diegeschwächtenAugen,undbeiseinerGewohnheit,geradevorsichhinoderaufdenBodenzublicken,mußteereineZeit langvoneinerSeitezurandernschauen,bisersichunterdenAnwesendenzurechtfand.DochderIntendant

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warihmentgegengetreten,begrüßteihnachtungsvollundversichertehöflich, erbedaure lebhaft, ihn inderArbeitgestörtzuhaben,aufdiedieganzeWeltwarte;dochseierineinerwichtigenAngelegenheitgekommen.»Ich weiß, ich weiß schon,« unterbrach ihn der alteGelehrtemiteinemüberlegenenLächeln.»WassinddasnurwiederfürDinge?«Damit schaute er sich unter den Anwesenden um. Erkannte keinen, außer dem Intendanten, der mit demRechnungswesen desMuseums zu thun hatte, und demBaumeister, für den er die Inschrift auf dem von ihmerbautenneuenOdeumverfaßthatte.AlsaberseinBlicknur Befremdung in den Zügen der anderen begegnete,beganndieZuversicht,dieerbisdahinbewahrthatte,zuwanken. Doch immer noch überzeugt, eine Forderungwiedie,vonderderPhilosophgeredet,könneunmöglichan ihn gestellt werden, fuhr er fort: »Es wird alsobehauptet,dieAbsichtliegevor,meinenGartenineinenöffentlichen Platz zu verwandeln. Und aus welchemGrunde?UmeineBildsäuledaraufhinzustellen,heißtes.Doch von dergleichen kann im Ernste die Rede nichtsein;dennmeinBesitzstehtimGrundbucheverzeichnet,unddasGesetz...«»Verzeih,«fielderIntendantihmhierindieRede,»wennich Dich unterbreche. Wir kennen die Verordnung, aufdie Du hinweist, doch würde es sich hier um einen

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Ausnahmsfall handeln. Der Regent will Dir nichtsnehmen. Er bietet Dir vielmehr imNamen der Königineine Entschädigung, deren Höhe Du selbst bestimmensollst für das Stück Erde, das durch die Statue derHöchsten in diesemLande— sie stelltKleopatra selbstHand inHandmit demAntonius dar— geehrt werdensoll.Siewurdeschonhiehergebracht.AlseinWerkdestrefflichen, zu jung verstorbenen Lysander wird sieDeinem Hause sicher nicht zur Unzier gereichen. DaskleineHausamMeeremußfreilichmorgenschonfallen;dennDuweißt,daßdiegnädigeKöniginjedenTag—alsSiegerin, wenn die Unsterblichen gerecht sind —heimkehrenkann.DieseStatue,dieihrFreudezubereitenund sie zu ehren bestimmt ist, soll sie schon bei derAnkunft begrüßen, und darum sandte mich der Regentnochheute,damitichDirseinenWunscheröffne,der,daerzugleichderderKöniginist...«»Indes,«unterbrach ihnderBaumeister, derdieEnkelindes Greises soeben noch einmal seines Beistandes mitwarmen Worten versichert hatte, »indes werden DeineFreunde dennoch versuchen, den Regenten zubestimmen, einen andern Platz für die Bildsäule zufinden.«»Das steht ihnen frei,« bemerkte der Intendant. »Wasspäter geschehen soll, fällt der Zukunft anheim. MeinAmt gebietet mir nur, den würdigen Besitzer dieses

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HausesundGartensschonheutezubestimmen,sichdemBefehlederKöniginzuunterwerfen,denderRegentunddas eigene Herz mir in die Form eines Wunsches zukleidenbefehlen.«DerGreiswarwährenddiesesGesprächszuerstderRededesBeamtenschweigendgefolgtundhatteihmgespanntinsAntlitzgeschaut.Eswaralso richtig.DasAnsinnen,sich seines Gartens und sogar des Häuschens — seiteinemhalbenJahrhundertdieWerkstätteseinesSchaffensundDenkens—zuGunsteneinerBildsäulezuentäußern,wurde wirklich an ihn gestellt. Seit ihm dies zurGewißheit geworden, hatte er wie abwesend zu Bodengeschaut. Ein großer Schmerz mußte ihm die Zungelähmen,undHelena,diediesempfand,denndasohnehinnach vorn geneigte alte Haupt schien ihm wie eineschwere Last den Hals zu beugen, war an seine Seitegetreten.Von draußen her drang das Schreien und Johlen derMenge durch die offene Decke des Impluviums; derGreis aber schien es nicht zu hören und bemerkte dieEnkelinauchnicht;kaumaberfühlteer ihreBerührung,als er sich ihr hastig entzog, das gesenkte Hauptzurückwarf und sich im Kreise der Eindringlingeumschaute.In dem eben noch matten, suchenden Auge des altenKommentatorsundVielschreibersbranntejetztdasheiße

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FeuerjugendlicherLeidenschaft,undwieeinRinger,dernach dem rechtenGriffe sucht,maß er tief atmend denIntendanten und seineBegleitermit unwilligenBlicken.Aus dem gebrechlichen, weltfremden Greise schien einkampfbereiter Streiter geworden zu sein. Dabei zucktenihm die Lippen und die Flügel der fein geschnittenenGriechennase, und als der Intendant noch einmal dieStimmeerhob,umzubemerken,erwerdegut thun,denInhalt des Gartenhauses heute noch anderwärtsunterzubringen, da es morgen früh abgetragen werdensolle, erhob Didymus den Arm und rief ihm entgegen:»Das wirdman unterlassen! Keine Rolle wird aus demGartenhauseentfernt.Man findetmichmorgen frühwieimmerbeiderArbeit,undbleibt esbei euremVorsatze,mich meines Eigentums zu berauben, so werdet ihrGewaltanwendenmüssen,umansZielzugelangen.«»Beruhige Dich, würdiger Mann,« unterbrach ihn derIntendant. »Jeder unter dem Monde hat sich einemhöheren Willen zu beugen: die Götter zwingt der desSchicksals, uns Sterbliche der der Könige. Du bist einWeiser, ich stehe nur, bedacht der Pflicht gerecht zuwerden,meinemAmte vor.Doch ich kenne das Leben,undwenn ichDir ratendarf, so läßtDugeschehen,wasnicht abzuändern ist, und zehn gegen eins möcht’ ichwetten, daß Du gut dabei fährst, daß die Königin DirMittelindieHandgibt...«

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»Die ausreichen werden,« fiel Didymus ihm bitter insWort,»einenPalastanStelledesHäuschenszuerrichten,dasmanmirfortnahm.«Dannbrausteervonneuemauf:»Doch,wasfrageichnacheuremGelde!MeinRechtwillich, mein gutes, verbrieftes Recht. Darauf besteh’ ich,undwermir denGrund antastet, dermir vonVater undGroßvateralsmeinErbezukam...«Hier stockte er; denn draußen war das Volk in einenlärmendenJubelrufausgebrochen,undalsersichmäßigteund der Greis fortzufahren begann, trotzig auf seinemguten Rechte zu bestehen, wurde er von einer hellenFrauenstimme unterbrochen, die ihm den Griechengruß»Freue Dich!« entgegenrief, — und der klang sowohllautend und heiter, daß es war, als kläre er diedumpfe Stimmung, die wie grauer Nebel auf allenAnwesendenlastete.Während dieser auf das erregteVolk lauschte und jenerauf den alten Mann blickte, dessen starrer WiderstandschwerlichmitGütebesiegtwerdenkonnte,schautendieJüngeren auf die schöneFrau, die sich zu ihnengesellt.Die Eile hatte ihr die Wangen gerötet, und aus demtürkisblauenTuche,das ihrdenblondenKopfverhüllte,winkteein liebreizendesAntlitz frohundvertraulichderSchwester,demGroßvater,demBaumeisterentgegen.DemIntendantenundmanchemseinerBegleiterwares,als habe das Glück in eigener Person dies gefährdete

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Haus betreten, undmancher Blick erhellte sich, als deraufgebrachteAltederEnkelinmitverändertemTon:»Duhier,Barine?« zurief, und sie ihm, ohne der anderen zuachten,mitwarmerHerzlichkeitdieWangenküßte.Helena,derBaumeisterundderaltePhilosophEuphranorwarenihrnähergetreten,undalsdiesersievorwurfsvollund doch liebreich frug: »Aber, Unselige, wie bist Dudurch die heulende Menge gekommen?« versetzte siemunter:»DaseinegelehrteMuseumsmitgliedfragtmichzumEmpfange,ob ichhier sei,obgleichmichdochvordem Uebersehenwerden von Kindheit an ein .freundliches oder—wasmeinstDu,Großvater?—einfeindliches Schicksal bewahrte, und der andere verlangtmitsogrimmigemVorwurfezuwissen,wieichdurchdasschreiende Volk kam, als sei es ein Unrecht, durch dasWasserzuwaten,umdenLiebstendieHandzureichen,denen es bis an dasKinn geht.Aber diesGeheul ist zuwidrig.«Damit legte sie die kleinen Hände auf die Stelle desKopftuches, unter der sich die Ohren verbargen, undspracherstwieder, alsderLärmsich legte, obgleich sieversicherte,Eilezuhabenundnurgekommenzusein,umnachzuschauen,wieeshierstehe.Dabeischienes,alsseiesihr,anderallesfrischunddochanmutigmaßvollwar,unmöglich, auch nur einen Augenblick unbenutzt zulassen, und sei es auch nur, um einen Blick des

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Wohlgefallensentgegenzunehmenoderzuerwidern.Der Baumeister und ihre Schwester mußten rascheAntworten auf hastige Fragen erteilen, und sobald sievernommen, was die fremden Männer hieher geführthätte, dankte sie dem Intendanten und versicherte, alteFreunde würden das Ihre thun, dem Großvater solchenSchmerzzuersparen.Aus diewiederholtenFragen der beidenGreise,wie siehieher gekommen, antwortete sie: »Es wird mir zwarkeiner glauben, weil ich in dieser Eile denMund nochnicht stillhielt;aber ichhandeltedochwieeinstummerFischundkamzuWasser.«DannnahmsiedenGroßvaterbeiseiteundflüsterte ihmzu,alssieamHafenaufdasBootzugeschrittensei,habeArchibius sie auf seinem Wagen bemerkt und ihnanhalten lassen,umihraufdiesenAbendseinenBesuchanzumelden. In einer wichtigen Angelegenheit wolle erkommen.Da gebe es zu sorgen, daß sie alleinmit demwürdigen Manne bleibe, dem sie gut sei, und darumkönne sie nicht bleiben. — Hierauf wandte sie sichwiederandieanderenundfrugimmermitdemKopftuchund zumAusbruchebereit,wasdasVolkdennmit demSchreienbezwecke.DerBaumeisterantwortete,daßPhilostratusbemühtsei,derMengebegreiflichzumachen,dieStatue,vondersiegehört habe, könne nur im Garten ihres Großvaters

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Aufstellung finden, und er glaube auch zu wissen, inwessenAuftragerhandle.»Gewiß nicht in dem des Regenten,« versicherte derIntendant imTone redlicherUeberzeugung;Barineaber,der, als Gorgias den Namen des Volksrednersausgesprochen hatte, ein Schatten über das sonnigeAntlitzgeflogenwar,pflichtetedemBeamtenmiteinemleichten Kopfnicken bei und flüsterte ihm dann eilig,dochdringendzu,siebürgedafür,daßderGreismitsichredenlassenwerde,gönnemanihmnureinigeZeit,sichzusammeln.Morgen,wennderMarktsichfülle,mögederBeamtedieVerhandlungenneubeginnen,fallsesbeiderVerordnungdesRegentenbleibe.SiewerdeinzwischendasIhrethun,umdenGroßvaternachgiebigerzustimmen,obgleichernicht eben zu den leicht Lenkbaren gehöre. Er, derIntendant, möge den Regenten erinnern, daß es geratensei, in dieser Zeit ein öffentliches Aergernis zuvermeidenunddasAlterundguteRechtdesDidymusimGedächtnissezubehalten.Während Apollonius sich darauf mit den Begleiternunterredete,winktesiedemBaumeisterundnahmschnellvondenIhrenAbschied.Sieversicherte,daßihrkeinerleiGefahr drohe, da sie sich zwar wiederum als Fischentferne, diesmal aber die Sprache erst recht zugebrauchenunddamitdenjenigenfürdieguteSachedes

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Didymuszugewinnenhoffe,derdasallesjetztschonausderWeltgeschaffthätte,wenndieKöniginnurhierwäre.Bis jetzt warenAuge undOhr derAnwesenden auf siegerichtet gewesen. Jeder hatte sich nichts Besseresgewünscht,alssiezusehenundzuhören.Erst nachdem sie mit dem Baumeister gegangen war,kamen die Beamten zu einem Entschlusse, und balddaraufentferntesichderIntendantmitseinenBegleitern,um noch einmalmit demRegenten in diesermißlichenAngelegenheitRücksprachezunehmen.Gorgias war der jungen Frau diesmal mit gemischtenEmpfindungen gefällig. Noch vor einer Stunde hätte esihnbeglückt,Barinebegleitenundbeschützenzudürfen,jetzt wäre er gern bei ihrer Schwester geblieben, dieseinen Abschiedsgruß so dankbar und doch sojungfräulich bescheiden erwidert hatte. Aber eineNeigung läßt sichauchvondemWankelmütigstennichtan Stelle der anderen setzen, wie ein weißerBrettspielsteinandiedesschwarzen,underfandesnochimmer reizvoll, Barine so nahe sein zu dürfen.Nur derGedanke, Helena könne meinen, er stehe zu derSchwester in vertrauter Beziehung, war ihm störenddurch den Sinn geflogen, als sie ihn aufgefordert hatte,siezubegleiten.Im Garten bat Barine, bevor sie sich zu derLandungsstelle des Bootes begäben, ihr zu helfen, die

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schmale Stiege zu erklimmen, die auf das flache DachdesThorhüterhäuschensführte.Vonihmauswaresgestattet,demTreibenaufdemPlatzezu folgen, und zwar ungesehen; denn es war rings mitdichten Lorbeersträuchern umrahmt. Vor den beidenTempeln zur Seite des Musenwinkels schlugen ausPechpfannen helle Flammen aus, und ihr Licht wurdedurch die Fackeln in der Hand der Scythen wirksamverstärkt.DennochließsichinderMittedesPlatzeskeinKopfvondemandernunterscheiden.WohlschimmertendieMarmorwändederTempel,dieStatuenamThoredesDidymusunddieHermenzurSeitederKönigsstraße,diean dem gefährdeten Hause vorbeizog, und den Nordendes Musenwinkels mit dem Meeresufer verband, vomWiderschein des Feuers bestrahlt, aus dem Dunkelhervor, doch der Qualm der Fackeln verfinsterte denHimmelundverhülltedasLichtderSterne.Deutlich sichtbar war nur Dion, der sich auf das hoheGerüstdesSchlittensgestellthatte,aufdemdieverhüllteBildsäule hieher gezogen worden war, und derSachwalter Philostratus, der das Postament eines derDelphine inne hatte, die den Brunnen zwischen demIsistempel und der Straße umgaben. Der ein DutzendSchritte breite Raum, der sie trennte, gestattete denStreitenden, einander zu verstehen, und auf sie war dieallgemeine Aufmerksamkeit gerichtet. Solcher

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Redeschlacht mit zuzuhören, gehörte zu den bestenVergnügen der Alexandriner, und sie begleiteten jedegelungene Redewendung mit Beifallsrufen, jedes ihnenmißfälligeWortmitGeschrei,ZischenundPfeifen.Barine konnte sehen und hören, was unter ihr vorging.SiehattedasLaubderLorbeersträucher,dassieverbarg,zurückgebogenund lauschtemit derHand amOhre aufdie Reden der streitendenMänner. Als der Elende, densie ihren Gatten genannt und den sie jetzt zu tiefverachtete, um ihn zu hassen, die Ihren, die sich vonGeschlecht zu Geschlecht aus dem Futterkorbe desMuseumsgemästethätten,höhnischangriff,bißsie sichindieLippe.BaldaberverzogsiedenMund,alswideresiean,wassiehöre;dennderSachwalterhattesichnungegendenDiongewandtundbeschuldigte ihn. erwolledenwohlgesinntenRegenten verhindern, denRuhm dergroßenKöniginzuerhöhenundihremedlenHerzeneineFreudezubereiten.»Meine Zunge,« rief er, »ist das Handwerkszeug, dasmich nährt. Warum rede ich sie hier müde und lahm?Kleopatra, unserer erhabenen Königin, und ihremgroßmütigen Freunde zu Ehren, denen jeder von eucheine Wohlthat verdankt. Wer sie und den göttlichenAntonius, den neuen Herakles und Dionysus, liebt, —bald werden beide als Triumphatoren mit demSiegeskranze bei uns einziehen — der lege mit dem

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Regenten und jedem Wohlgesinnten die Hand auf daselende Stück Land da drüben, das schnöder Geiz soengherzig festhält und dazu eine Gesinnung — eineGesinnung — hört ihr? ... die ich nur nicht näherbezeichne, weil das Häßliche mir widerstrebt und weilich hier nicht als Ankläger stehe. Wer es mit demSilbenstecher hält, der Bücher von sich gibt wie derDelphin da nebenmir dasWasser, dermag es thun, ichwill’s ihm nicht neiden. Aber erst sehe er sich denBundesgenossen und Lobredner des Didymus an. Dasteht ermir gegenüber. Eswäre besser um ihn bestellt,wäre er von Stein und der Delphin ihm zu Füßen einlebendes Wesen. Man hätte ihn dann in dem Dunkellassenkönnen,indasergehört.Soabermußichihnwohloder übel daraus hervorziehen, und ich will euch denDion zeigen,Mitbürger, obgleich ich euch lieberDingezusehengäbe,diedieGallewenigererregen.Das trübeLicht verbietet euch, die Farbe seines Gewandes zuunterscheiden; ich aber kenne sie, denn ich sah sie beiTage. Hyacinthpurpur ist es! Ihr wißt, was solcherUmwurfkostet.ZehnJahrelangnährteinwackererMannaus eurer Mitte Weib und Kinder damit. ›Wie schwermuß derBeutel dessen sein, der solch einen Schatz derSonne und dem Regen aussetzt!‹, denkt jeder, der ihndarin einher stolziren sieht wie einen Pfau. Und seinBeutel wiegt auch viele Talente. Nur schade, daß diemeisten von euch Tag für Tag den Kindern ein Brot

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weniger reichen und sich selbstmanchen SchluckWeinentziehen mußten, um ihn so stattlich zu spicken. SeinVaterEumeneswarSteuereinnehmer,undwaseuchundeuren Kindern der Blutsauger abpreßte, das gebrauchtjetzt der Sohn, um damit in Hyacinthpurpur auf demWagenmit vier Pferden zu prunken, der manchem voneuchdenStraßenkotinsGesichtspritzte,wenneranihmvorbeifuhr. Beim Hunde! Der Herr wiegt nicht schwer,unddochbraucht er dasViergespann, um sich vorwärtszu bringen. Und, Mitbürger, wißt ihr auch warum? Ichwill es euch sagen.Er fürchtet sich, stecken zubleiben,steckenzubleibenüberall,auchbeimReden.«Hier ließ Philostratus die Stimme sinken; denn dieWendungmit dem »Steckenbleiben« hatte einige HörerzumLachenveranlaßt.Dionaber,dessenVaterallerdingsin der hohen Stellung eines Steuerempfängers dasFamiliengut stattlich vermehrte, blieb ihm die Antwortnichtschuldig.»Ja, ja,« versetzte er höhnisch, »der syrische Schwätzerda drüben traf diesmal das Rechte. Er steht mirgegenüber, und wer bliebe nicht leicht stecken, demSumpfundSchlammsonahesind?WasdenMantelvonHyacinthpurpur angeht, so trage ich ihn, weil er mirgefällt.Seinenkrokusgelbenfindeichwenigerschön.ImSonnenscheinsiehterfreilichrechtstattlichdarinaus.Erglänzt wie die Butterblume im Grase. Ihr kennt sie ja,

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diesePflanze.Wennsieverblüht,—undichfrageeuch,ob Philostratus einer Knospe noch gleichsieht— wennsie verblüht, wird sie zu einer hohlen, windigenKugel,diederOdemeinesKindes zerbläst.Wiewär’ es,wennwir in Zukunft die runden Butterblumenhäupter›Philostratusköpfe‹ nennten? Mein Vorschlag gefällteuch? Das freut mich, Mitbürger, und ich danke euchdafür.Eszeugt füreurengutenGeschmack.Bleibenwirdenn bei dem Gleichnis. In jeden Kopf gehört eineZunge, und Philostratus sagt, die seine sei dasHandwerkszeug,dasihnernähre.«»HörtdenGeldsack,denVolksverächter!«unterbrachihnderanderewütend.»DieredlicheArbeit,durchdieerdasDaseinfristet,schändetinseinenAugendenBürger.«»Von redlich, guter Freund,« nahm Dion wieder dasWort,»isthierdochwohlkaumdieRede.Ichhabejanurvon Deiner Zunge gesprochen. Ihr versteht mich,Mitbürger. Oder sollte einer von euch diesemwürdigenMannenochnichtbegegnetsein,sowillichihmzeigen,wererist;dennichkenneihngut.EristjameinGegner,ich kann ihn aber doch manchem von euch aus vollerUeberzeugung empfehlen. Wer eine recht schlechte,schändlich faule Sache vor Gericht durchzubringen hat,dem rate ich dringend, sich an den ButterblumenmanndortaufdemBrunnenzuwenden.Erwirdesmirdanken.SchonweildieserAnwaltsiesoeifrigansieht—glaubt

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esmir—istdieSachedesDidymusvortrefflich.Bereitsvorhin gab ich euch zu hören, umwas es sich handelt.Wervoneuch,dereinenGartenbesitzt,kanninZukunftnochsagen:Eristmein,wennesgestattetseinsoll,ihninAbwesenheit der Königin einfach fortzunehmen und zuirgend einem andern Zweck zu bestimmen? Dem desDidymus aber steht dies Schicksal bevor.Wird das hierdieRegel,sohütesichjeder,einenRettichzusäenodergar einen Strauch oder Baum zu pflanzen; denn bevorjenerreiftunddieseSchattenspenden,kannerihmschonfortgenommen worden sein, wenn es demWeibe einesGroßenlüstet,dieWäschedarinzutrocknen.«Lauter Beifall folgte diesem Satze; der Sachwalter aberrief mit weithin schallender Stimme: »Hört mich,Mitbürger, und laßt euch nicht täuschen! Niemand sollhierberaubtwerden.GegenhoheEntschädigunggilt es,denPlatzzuerwerben,dessendieStadtbedarf,umsichselbst zu schmücken und die Königin zu ehren und zuerfreuen. Sollen der Regent und die Bürgerschaft sichdiese Gelegenheit entgehen lassen, langjährigerDankbarkeitundderFreudeüberdengrößtenderSiege,von dem wir bald vernehmen werden, Ausdruck zugeben,weileseinemUebelgesinnten,einem—nunmußesgesagtsein—einemVaterlandsfeindeandersgefällt?«»JetztkommtderSumpfmirzunahe,«fiel ihmhierderanderelebhaftinsWort,»unddasSteckenbleiben,wovor

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ichgewarntwurde,zurWahrheitkönnteeswerden;dennwem die Zunge nicht stockt, wenn die schamlosesteVerleumdung ihrGift vor ihmverspritzt, demneide ichnichtdieschnelleGegenwartdesGeistes.Ihrwißtjaalle,Mitbürger, seit wie vielen Geschlechtern die Sippe desDidymusdieserStadtzurEhre indemHausedadrübenlebt und rühmliche Werke schafft, ihr wißt, daß derwackereAltedadrübenzudenLehrernderKönigskindergehörte.«»Und doch,« rief der Sachwalter, »ging er nochvorgesternmitdemArius,demFreundeundHofmeisterdes Octavian, der unser und der Königin verhaßterTodfeind,Arm inArm imPaneumgarten spazieren.Vormir selbst, und ich weiß nicht, vor wie vielen,bezeichneteDidymusebendiesenAriusalsden liebstenseinerSchüler.«»Dich so zu nennen,« versetzte der andere, »würdefreilich der letzte Schulmeister sich unwillig schämen,auch wenn Du ihm an Klugheit und Wissen über denKopfgewachsenwärest.Ja,hättemanDichstattzudenRhetoren zu Heringshändlern in die Lehre gegeben,jedem Redlichen von ihnen würde es widerstreben, eseinzugestehen; denn sie verkaufen nur gute Ware fürgutes Geld, bei Dir aber ist für blankes Gold auch dasSchlechteste zu haben. Diesmal trittst Du dafür denreinen Namen eines Ehrenmannes mit Füßen. Ich aber

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will das nicht dulden, und ihr hört es, Mitbürger: ichfordere den Syrer dort jetzt auf, zu beweisen, daßDidymus das Vaterland verriet, oder sich gefallen zulassen,daßichihnvoreuchwackerenLeuteneinenbösenVerleumder und ruchlosen, käuflichen Ehrabschneiderschelte.«»EinSchimpfaussolchemMundeistleichtzuertragen,«erwiderte der Sachwalter im Tone verächtlicherUeberlegenheit, doch bedurfte es einiger Zeit, bevor ersichwiederandieZuhörerwandteundmitallerWärme,die seiner Stimme zuGebote stand, fortfuhr: »Waswillichdenn,Mitbürger?Was ist der einzigeZweckmeinerRede?UmfürdieKönigineinzutreten,steheichhier,mitreinerHand,nurweildasHerzmichdazuantreibt.Damitdem, was der Kleopatra zur Ehre und zum Ruhmegereichensoll,dieeinzigerechteStellenichtvorenthaltenbleibe, gehe ich insGerichtmit ihremFeinde, setze ichmich dem Schimpf aus,mit dem ihr dem prahlerischenUebermutedenMutanmirzukühlengestattet.Aberesreutmichnicht,obgleichichgegendasGebotderNaturhandle, indem ich es thue; denn der ruchlose Mann,gegendenichdieStimmeerhebe,eristauchmeinLehrergewesen,undbevorihn,ichwillhierverschweigen,werund was von der Bahn des Rechten und der Tugendabwandte, hat er auch mich vor vielen Zeugen zu denbestenseinerSchülergezählt.Einerderdankbarstenwarichgewiß.SeineEnkelin—esmußgesagtsein—erkor

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ichzurGattin.DurchihrenBesitz...«»Besitz!?«unterbrachihnDionerregtundlaut.»SodarfdervonderSeeausgestoßeneLeichnamsichrühmen,dasMeerzubesitzen!«Der trübe Schein der Fackeln genügte, um denUmstehenden das Erblassen des Sachwalters zu zeigen.Einen Augenblick schien der Nieverlegene die Fassungzu verlieren, doch schnell genug rief er wieder:»Mitbürger, teure Freunde! Ich wollte euch zu ZeugendesElendsmachen,daseinnochruchloseresalsschönesWeibübereinenUnerfahrenenbrachte...«Aber er kam nicht weiter; denn die Anwesenden, vondenen viele den glänzenden, freigebigen Dion undBarine, die schöne Sängerin vom letzten Adonisfeste,kannten, gaben dem Sachwalter um so schonungsloserihrenUnwillenzuerkennen,jemehresdieMengefreut,denFachmannvoneinem,derseinemBerufe fernsteht,überwundenzusehen.Aber die Redeschlacht wäre sicherlich doch nicht soschnell zu Ende gekommen, hätte sich nicht eben jetztUnruheundSchreckendesVolkesbemächtigt.DerRuf:»Zurück, auseinander!« pflanzte sich unter der Mengefort. Gleich daraus ließ sich Pferdegetrappel und derKommandoruf des Führers einer Abteilung libyscherReitervernehmen.DerAnlaßwarnichtbedeutendgenug,als daß das zumWiderstand auch gegen die bewaffnete

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Macht geneigteVolk um seinetwillen sich einer ernstenGefahrhätteaussetzenmögen.DazuhattedasungestümeWortgefecht ein heiteres Ende genommen, und in dieAngst-undWarnungsrufemischtesich lautesGelächter;denn die Wogen des Volksgedränges hatten sichunerwartet schnell aufdenBrunnenzugewälztunddenSachwalterindasvolleBeckengestürzt.Obdiesinfolgedes Mutwillens eines Gegners oder von ungefährgeschehen war, ließ sich nicht unterscheiden, dievergeblichen Bemühungen des Verunglückten, sich ausdem Wasser an dem glatten Marmor des Beckens aufseinen Rand hinaufzuarbeiten, nahmen sich aber sokomisch aus und sein Gebaren, nachdem er unter demBeistand hilfreicherHände triefend auf das Pflaster desPlatzes zurückgelangt war, weckte die Heiterkeit sounwiderstehlich, daß sich ringsum mehr lachende alsunwilligeStimmenvernehmenließen,zumaleshierrief:»Beim Anschwärzen des Didymus sind ihm die Händeschwarz geworden; so mag ihm die Wäsche denn gutthun!«Undeinanderer:»EinklugerArztwarfihnindenBrunnen. Er brauchte nach den Hieben, die ihm Dionversetzte,denkaltenUmschlag.«DemRegenten,derdieReiterscharhiehergesandthatte,umdieMengevondemHausedesDidymuszuentfernen,konnte es lieb sein, daß diese Gewaltmaßregel auf sogeringenWiderstandstieß.

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DasVolkzerstreutesichschnell,undschonbeimTheaterdes Dionysus wurde es durch etwas Neues angezogen;denn von seinen Stufen aus hatte der ZitherspielerAnaxenor vorhin verkündet, Kleopatra und AntoniushättendenschönstenderSiegeerfochten,unddaraufzumKlangseinerLauteeinenHymnusgesungen,vondemdieHerzen tief ergriffen worden waren. Er hatte ihn schonlange vorbereitet, und die erste Gelegenheit — dasGerücht, das ihmbeimFrühstück inKanopus zuOhrengekommen war — ergriffen, um seine Wirkung zuerproben.Sobald der Platz sich zu leeren begann, verließ auchBarinedenZuschauerposten.So hoch hatte ihr dasHerz lange nicht geschlagen.Vonden vielen, die sich um ihre Gunst bemühten, war ihrschonlangekeinersowertwieDion;jetztaberfühltesie,daß sie ihn liebe. Was er da unten für sie und denGroßvater gethan, das war wert jedes Dankes, dasbewies, daß er sich nicht nur wie die meisten zu ihrenGästen geselle, um sich in müßigen Abendstunden dieZeitzuvertreiben!Eswar nichtsKleines für den vornehmen jungenManngewesen, sichvorallemVolke ineinenKampfmitdemruchlosenGeselleneinzulassen,demsieeinmalangehörthatte, und wie wohl war es ihm gelungen, dengefürchteten Stegreifredner zum Schweigen zu bringen.

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Dazu hatte er gegen den eigenen, mächtigen OheimPartei für sie genommen und durch sein VorgehenvielleichtdieFeindschaftdesAlexas,desBrudersseinesGegners, der unter den Günstlingen des Antonius denerstenPlatz einnahm,auf sichgezogen.DashobBarinevor sich selbst, das, durfte sie sich sagen, hätte er, derhinter keinem makedonischen Edlen der Stadtzurückstand,fürkeineanderegethan.WieerlöstfühltesiesichdurchdieseThat.Nachdem sie die heitere Anmut des Geistes aus einemunglücklichen Eheleben und manchem finsteren Tageherausgerettet und ihr Haus zu einem der Mittelpunktedes geistigenLebens der Stadt hattewerden sehen,warsie bemüht gewesen, jedem ihrer Gäste das gleicheEntgegenkommenzuschenken.Siehatteeingesehen,daßsiesichnichtgestattendürfe,einemeinzelnendieMachtübersicheinzuräumen,diedemManne,dersichwiedergeliebtsieht,vonselbstzufällt.AuchdemDionhattesiewenigmehrgewährtalsdenanderen,jetztaberfühltesiedeutlich, daß siedasWohlgefühl, einegefeierteFrau zusein, deren bescheidenesHaus auch die hervorragendenMännerderStadtanzog,willigpreisgebenwürdefürdashöhere Glück, von ihm geliebt zu sein und ihmanzugehören. Mit ihm und von seiner Liebe gehoben,meintesieinderEinsamkeiteinhöheresGlückfindenzukönnen,alsimlebensvollenLaufihresjetzigenDaseins.

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Sie wußte nun, was sie zu thun habe, wenn er ihrerbegehrte,undderBaumeister fand in ihrzumerstenmaleinewortkargeGefährtin. Er hatte sie gern in dasHausdes Großvaters zurückbegleitet; war er doch dort ihrerSchwesterHelenanocheinmalbegegnet,währendsieesenttäuscht verlassen hatte, weil ihr mutiger Verteidigernichtdahinzurückgekehrtwar.NachderunerwartetenUnterbrechungdesRedekampfeshatteDion sichwohlig gedehnt.Die froheEmpfindung,für eine gute Sache eingetreten zu sein, und dasherzerhebende Gefühl des Erfolges waren ihm nichtsNeues, doch so wie diesmal hatten sie ihm selten dasHaupt erhoben. Aufs allerwärmste hatte er die nächsteBegegnung mit ihr herangesehnt und sichvergegenwärtigt,wieerihrdasGescheheneschildernunddenDank für seinen gutenDienst inAnspruch nehmenwerde.Wiedasvorsichgehenwerde,warihmdeutlichvordasinnere Auge getreten, doch kaum hatte das lachendeZukunftsbildsichzurückgezogen,alsauchderübermütigheitereAusdruckseinesmannhaftenGesichtesvoneinembesorglichernstenverdrängtwar.Wohl hatte ihn nächtiges, nur noch von dem Feuer derPechpfannengelichtetesDunkelumfangen,unddochwaresihmgewesen,alssteheerimvollenLichtedesMittagsin dem blühenden Garten seines Palastes und als habe

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Barine,nachdemerdenLohnfürseinrüstigesEintretenvon ihr gefordert, sich ihm tief bewegt an die Brustgeschmiegt, und als habe er ihr in leidenschaftlicherWallungdiethränenfeuchtenAugengeküßt.DasGesichtwarschnellverschwunden,dochsodeutlichgewesenwiedaslebhaftesteTraumbild.SollteBarine ihmdochmehr sein, als er glaubte?Hatteihn in den letzten Monden nicht nur Wohlgefallen anihrem biegsamen Geist und ihrer heiteren Schönheit sooft zu ihr hingezogen? War eine ernste, starkeLeidenschaft in ihm erwacht? Stand er vor der Gefahr,den Willen, der ihm gebot, die Freiheit zu wahren,unterliegen zu sehen? Mußte er sich fürchten, einesTages, von einer geheimnisvollen, unwiderstehlichenUebermacht bezwungen, dem Widerspruche dererwägendenVernunftzumTrotz,denBundvielleichtfürdasLebenmit ihr zu schließen,mit ihr, derBarine, derFrau,dieeinsteinemPhilostratusangehörthatteunddiejedemetwasgab,derEinlaßinihrHausfandunddenesdortnacheinerAugenweide,einemOhrenschmaus,einerangenehmenUnterhaltungverlangte?Wenn ihre Ehre auch rein war wie die Brust einesSchwans, — und er hatte keinen Anlaß, daran zuzweifeln — so wurde sie doch mit der Aspasia undmancher andern zusammen genannt, bei der die Gästemehr alsGesang und ein anregendesGespräch suchten.

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DieGaben,womitdieGöttersiesoreichgesegnet,hattenschon zuvielemitgenossen, als daß er, der letzteSproßeines edlen makedonischen Hauses, hätte daran denkenmögen,siealsHerrinindenPalastzuführen,dessenBauermit Hilfe des Gorgias so sorgfältig und glücklich zuEndegeführthatte.Allerdings fehltedarinnichtsalsdas freundlicheWaltenderHausfrau.Und wenn sie nun einwilligte, ohne den Segen desHymendieSeinezuwerden?Nein!Die Enkelin des Didymus, des Mannes, der schon derverehrteLehrerseinesVatersgewesen,dieFrau,anderesihn stets besonders gefreut, daß er sie hochschätzendurfte,trotzderheiterenFreiheit,mitdersiemitsovielenverkehrte,zuseinerGeliebtendurfteersienichtmachen!Erwollteesnichtthun,wennauchdieFreundefürsolcheBedenken nichts als ein überlegenes Lächeln gehabthätten.WasgaltauchnochdieHeiligkeitderEheineinerStadt,wodieKöniginzumzweitenmalinfreierLiebemitdem Gatten einer andern lebte? Er selbst hatte schonmancheskurzeBündnisgeschlossen,dochgeradedarumwiderstandesihm,eineBarineaufdiegleicheStufemitdenen zu stellen, deren Liebe er damals vielleicht nurdankseinemGoldegenossen.An Mut und besonnener Festigkeit hatte es ihm nie

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gefehlt; doch fühlte er, daß er diesmal einer Macht zuwiderstehen haben werde, mit der er sich noch nichtgemessen.DasverwünschteGesicht!Eszeigtesichihmwiederundwieder,undeslachteundwinktesowonnig,daßderTagerscheinen mußte, an dem der Drang, es zuverwirklichen, jeden Widerstand besiegte. Blieb er ihrnah, so thatergewiß,was ihnspäter reute,underhättedarumderPeithoeinOpferbringenmögen,damitsiedieÜberredungskunstdesArchibiusbeflügeleundBarinezudemEntschlusseführe,Alexandriazuverlassen.Eswürde ihmjaschwer fallen, siezumissen,dochwarschonvielgewonnen,wennsieaufsLandging.ZwischenderGegenwartundderfernenZeitdesWiedersehenslagderAufschubderGefahr undvielleicht dieMöglichkeiteinesSieges.Ererkanntesichselbstnichtwieder.HaltloswieeinschwankendesRohrkamersichvor,weiler denWunsch, bei demaltenDidymus einzutretenundihm zuzusprechen, zurückgedrängt hatte und an seinemHausevorbeigegangenwar.Aber erhätteBarinegeradejetzt doch wohl bei dem Großvater gefunden, und erwollteihrnichtbegegnen,obgleichalles,wasinihmwar,sich nach ihrem Antlitz, ihrer Stimme und einemdankenden Worte aus ihrem lieben Munde sehnte. AnStelle der Freudigkeit hatte sich seiner das Mißgefühl

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bemächtigt, das den Mann am Kreuzwege ergreift, dermit dreiZielen vorAugen voraussieht, an keinemvolleBefriedigungzufinden.Die Königsstraße, auf der er sich von der bewegtenMengemitfortdrängenließ,folgtedemMeereundführtean dem Theater des Dionysos dahin, und bei seinemAnblick erinnerte er sich, daß sein Freund, derBaumeister, die unselige Statue des königlichenLiebespaaresvordiesemstattlichenBauwerkeausgestelltzusehenwünschte.DiePrüfungderStelle,die jener insAuge gefaßt hatte, sollte ihn auf andere Gedankenbringen.Als er sich demTheater näherte, hatte der Zitherspielereben den Hymnus beendet, und die Menge begab sichauseinander. Alles war voll von der frohenSiegesbotschaft, und einer rief dem andern zu, wasAnaxenor, der Günstling des großen Antonius, der eswissen müsse, in rauschenden Versen berichtet. Daerscholl denn manches frohe Io und laute Evoë aufKleopatra, die neue Isis, und Antonius, den neuenDionysus, und bärtige und glatte, feine griechische undübervolleägyptischeLippenvereintensichzudemRufe:»NachdemSebasteum!«Daswar der königliche Palast, dem gegenüber sich dasRegierungsgebäude mit der Wohnung des Regentenerhob.ManwolltedieköstlicheBotschaftbestätigtsehen

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und durch eine Kundgebung der dankbaren FreudeAusdruckverleihen,diedieHerzenerfüllte.Auch den Dion drängte es, sich Gewißheit zuverschaffen,under,demessonstzuwiderwar,unterdemVolke an solchen geräuschvollen Gemütsergüssenteilzunehmen, schickte sich schon an, den zumSebasteum drängenden Scharen zu folgen, als ihm derRuf der Vorläufer ans Ohr drang, die einerfestverschlossenenSänfteBahnbrachen.Es war die der Iras, der vertrauten Kammerfrau derKönigin. Wenn eine, so konnte sie sichere Auskunfterteilen;dochgingeskauman, indiesemGedrängeeinGespräch mit ihr zu beginnen. Sie aber mußte andererMeinungsein;dennsiehatteihnbemerktundriefihnzusich heran. In ihre sonst so helle und reine StimmemischtensichheisereLaute.Manhörte ihrauchan,auseinerwietieferregtenBrustsiekam,alssiedenDionmiteiner Reihe von Fragen bestürmte. Ohne ihm dengewöhnlichen Gruß zu gönnen, wünschte sie hastig zuwissen, was die Menge errege, wer es sei, der ihr dieSiegesbotschaft verkündet, und wohin das Volk sichbegebe.Dionhatteesindesschwer,währenderAntworterteilte,sichnichtvonderSänfteabdrängenzulassen.Sienahmeswahr,unddasieebenandemMäandervorüberkamen,der Irrbahn, die nach Sonnenuntergang verschlossen

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wurde,ließsiesichandenEingangtragen,gabsichdenWächtern zu erkennen, ließ den Vorplatz öffnen, dieSänfte dort niedersetzen und befahl den Trägern undVorläufern, draußen auf ihren Ruf, der bald erfolgenwerde,zuwarten.Den jungenMann erfüllte die ungewöhnliche Erregungund Hast desMädchensmit gerechter Besorgnis. SeineAufforderung, auszusteigen undmit ihm auf und niederzu wandeln, wies sie mit der Versicherung zurück, dasLeben biete so viele Irrgänge, daß man sie nicht erstaufzusuchen brauche. Auch er scheineWege zu gehen,diekaumzudengeradengehörten.»Warum,«schloßsieundstrecktedabeidasHauptweitausderOeffnungderSänfte hervor, »erschwerst Du dem Regenten und demeigenen Oheim durchzusetzen, was sie verordnen, undmachst Dich wie ein bezahlter Volksaufwiegler mit derMengegemein?«»WiePhilostratus,meinstDu,demichzudemgoldenenLohneauseurerHandeinigeRippenstößeversetzte?«»Meinetwegenwieer.WahrscheinlichwarstDuesauch,derihninsWasserwerfenließ,nachdemDudenMutanihmkühltest?DusollstDeineSachegutgemachthaben.Was man mit Liebe vornimmt, gerät ja gewöhnlich.Gleichviel, wenn nur sein Bruder Alexas den Antoniusnicht gegen Dich ausbringt.Was mich betrifft, will ichnurwissen,warumundfürwendasallesgeschah?«

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»Für wen anders als für den alten braven Mann, derschon derLehrermeinesVaterswar, und für sein gutesRecht,« versetzte Dion unbefangen. »Außerdem abernoch—dennesläßtsichgarkeinungünstigererPlatzfürdie Bildsäule finden als sein Garten — für den gutenGeschmack.«Da lachte Iras scharf und kurz auf, und ihr schmales,höchst regelmäßig geschnittenes Antlitz, das man hätteschön nennen können, wenn der Rücken der zarten,geradenNasenichtzulanggestrecktunddasKinnnichtzu klein gewesen wäre, verzog sich ein wenig, als sieausrief:»Dasistwenigstensoffen.«»DaransolltestDubeimirgewohntsein,«entgegneteergelassen. »In diesem Falle ist übrigens dersachverständige Baumeister Gorgias ganz meinerAnsicht.«»Auch das kam mir zu Ohren. — Ihr beide seid diefleißigstenBesucher der—wie heißt dasWeib?—derbezauberndenBarine.«»Barine?« wiederholte Dion, als überrasche ihn dieErwähnung diesesNamens. »Du sorgst dafür, Freundin,daß unser Gespräch seinem Schauplatze, dem Irrgarten,Ehremacht. Ich rede vonWerken der bildendenKunst,undDugibstDirdasAnsehen,esaufeinallerdingssehrwohlgelungenes lebendes Werk der schaffensfrohenGötterhändezubeziehen.Eslagmirhimmelweitfern,bei

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demallenandieEnkelindesaltenGelehrtenzudenken,fürdenicheintrat.«»Wie,«fügtesiehöhnischhinzu,»jungeHerreninDeinerStellung und mit Deinen Lebensgewohnheiten immereher an die würdigen Lehrer ihres Vaters, als an jeneWeiberdenken,die,seitPandoradieBüchseöffnete,allesUnheil indieWeltbrachten.Aber,«unddabei strichsiedie schwarzenLockenvonderhohenStirn,die siehalbverdeckten, »ich verstehe mich selbst nicht, wie ich esjetzt und bei der Felsmasse, die mir die Seele belastet,über mich bringe, an diese Nichtigkeiten auch nur einWort zu verschwenden ... Und doch! Der alte Gelehrtekümmert mich so wenig wie die Unzahl seinerKommentare und Schriften, obgleich siemir nicht ganzfremdsind...ErkönnteauchmeinetwegensovielEnkelhaben,wieesböseZungenhierinAlexandriagibt,wennes jetzt,gerade jetztnichtgälte,alles fortzuräumen,waseinen Schatten auf den Weg der Königin wirft. Ichkomme soeben von der Lochias, aus dem Palaste derköniglichenKinder,undwasichdaerfuhr...Aberdas...Ichwillundkannnochnichtdaranglauben...EsschnürtmirdenHalszu.«»SindübleNachrichtenvonderFlottegekommen?«fielihr der andere aufrichtig besorgt in die Rede; sie aberblieb zwardieAntwort inWorten schuldig, dochneigtesie bejahend das Haupt und legte den Wedel von

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Straußenfedern, Verschwiegenheit fordernd, an dieLippen.Dabeischauertesiesolebhaftzusammen,daßeres trotzdesHalbdunkelswahrnahm.Manhörte ihrauchan,daßihrdasRedensauerfiel,alssiemitverschleierterStimmefortfuhr:»Esmußnochverschwiegenbleiben...RhodischeSchiffer ...Ganzungewiß ist es, denGötternsei Dank! ... Es kann, es darf auch nicht wahr sein! ...Und doch ... DasGeschwätz des Zitherspielers, das dieMenge mit Erwartung erfüllt, es ist schändlich ... DenGroßen schaden diejenigen gewöhnlich am schwersten,die ihnen das meiste verdanken. Du kannst schweigen,Dion,ichweißes.SchonalsKnabekonntestDues,wennesetwaszuverbergengaltvordenEltern.ObDunoch,wiedamals,fürmichinsWasserspringenwürdest?Wohlkaum!AbervertrauendarfmanDirsicher,undselbst indiesem Irrgarten thu’ ich’s. Es drückt mir das Herz ab.AberkeinWortvondemallen, anwenes auch sei! Ichbrauche keinen Vertrauten und könnte auch Dirgegenüber schweigen, doch es liegt mir daran, daß Dumichverstehst,geradeDu,derDuvorhinsoaufgetretenbist,wieDu’s thatest. Bevor ich auf der Lochias in dieSänfte stieg, kam auch der Knabe nach Haus, und ichsprachihn.«»DerjungeCäsarion,«unterbrachsieDionnunmehrmitwürdigemErnst,»liebtdieBarine.«»So blieb diese entsetzliche Thorheit nicht einmal

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verschwiegen?« frug sie erregt. »Eine Leidenschaft, sotief,wieichsiedemTräumerniezugetrauthätte,ergriffihn. Undwenn dieKönigin nun heimkehrt,—wenigerglücklich vielleicht, als wir wünschen— wenn sie dieHäupter derer überschaut, von denen sie noch Freude,Gutes, Großes erwartet, und wenn sie erfährt, was mitdem Knaben vorging. — denn was erführe, wasdurchschaute sie nichtmit dem sonnenhellenGeiste? ...Eristihrlieb,—teurer,alsihralleesahnt.Wiewirddasihre Unruhe, vielleicht ihr Elend vermehren! Mit wiegutemGrundewirdsiedenenzürnen,denenPflichtundLiebe hätten gebieten sollen, über den Knaben zuwachen!«»Unddarum,« fügteDionhinzu, »gilt es, denStein desAnstoßesausdemWegezuräumen.MitdemAngriffaufdenDidymusregtestDufürdiesenZweckzumerstenmaldieHände.«Er hatte richtig gesehen und erkannt, daß sie mit demVorgehen gegen den Gelehrten zunächst nurbeabsichtigte,denMachthaberndasRechtindieHandzuspielen,gegendenaltenPhilosophenunddieSeinen,zudenen Barine ja gehörte, einzuschreiten; denn dasägyptischeGesetz gestattete, dieAngehörigenderer, dieman eines Vergehens gegen den Herrscher oder dieRegierung schuldig befand, mit in die Verbannung zuschicken. Dieser Angriff auf einen Unschuldigen war

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schändlich, und doch fühlte Dion aus jedemWorte derIras heraus, lehrte ihn jeder Zug ihresAntlitzes, daß esnicht nur niedere Eifersucht, sondern etwas Edleres sei,was siezudemAngriff aufdenunschuldigenGelehrtenveranlaßte: die Liebe zu ihrer Herrin, das ihr ganzesWesen beherrschende Verlangen, sie vor Kummer undSorge inschwererZeitzubehüten.ErkannteIras, ihreneisernenWillen und dieRücksichtslosigkeit,mit der sieamKönigshofeZiel aufZiel zu verfolgen gelernt hatte.Für ihngalt es jetzt zunächst,Barinevor derGefahr zuschützen,diesiebedrohte;danebenaber triebes ihnan,Iras, die Tochter des Krates, des Nachbarn seinesväterlichenHauses,mitdereralsKnabegespieltundfürdie er nicht aufgehört hatte, Teilnahme zu empfinden,wenigstensvondergerechtenSorge zubefreien, die sieheutebedrückte.Sein Ausspruch überraschte sie. Sie sah sich von demManne, der ihrmehr galt als jeder andere, durchschaut,und ein liebendesWeib freut es, dieUeberlegenheit desGeliebtenzuempfinden.Dazugehörte sievonKindauf— und sie war nur zwei Jahre jünger als Dion —Lebenskreisen an, denen nichts höher galt als dieBethätigung geistiger Biegsamkeit und Schärfe. Ihrschwarzes Auge, das zuerst forschend und mißtrauischgeblitzt und dann in leidenschaftlicher Betrübnis düstergeglühthatte,gewannjetzteinenneuenAusdruck.WarmundbittendsuchteihrBlickdendesFreundes,alssie,auf

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seine Vermutung eingehend, begann: »Ja, Dion, dieEnkelin des Philosophen darf hier nicht bleiben. OdersiehstDu ein anderesMittel, umden unseligenKnabenvor unabsehbarem Unheil zu behüten? Du kennst michlange genug, um zu wissen, daß es mir wie Dirwiderstrebt,dasguteRechteinesandernzukränken,daßich,woesnichtseinmuß,nichtebensonderlichhartbin.IchhalteDichwert.Wahrhaftiger alsDu istkeiner,undgestern versichertest Du noch, daß Eros mit DeinenBesuchenbeidervielbesprochenenjungenFraunichtszuthun habe, daßDuDich nur zu ihrenGästen geselltest,weilderGeistbeiihrofterfreulicheAnregungfinde.Ichverlernte, an vieles zu glauben, nicht anDich undDeinWort, und wenn ich, als ich erfuhr, wie Du für denGroßvatereintratest,Dich trotzdem imGeistenachdemDankundLohnderEnkelintrachtensah,so...voneuchMännern stammt ja der verruchte Satz, daß Zeus dieSchwüre der Liebenden nicht höre, — so erhob derArgwohndochwiederdasHaupt.JetztscheinstDumeineMeinungzuteilen...«»WieDu,« fiel erhierbestätigendein,»glaube ich,daßBarine den Wünschen des Knaben, die Dir nichtungenehmerseinkönnenals ihrselbst,entzogenwerdenmuß.DaCäsarionnunAlexandriaumsogewissernichtverlassen kann und darf, jeweniger günstig die Sachendortdrübenstehen,bleibtnichtsübrig,alsdiejungeFrauvonhierzuentfernen;—dochnatürlichinallerGüte.«

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»Wenn Du willst, auf einem goldenen Wagen und mitRosenbekränzt!«riefIraseifrig.»Auch das möchte Aufsehen erregen,« versetzte erlächelnd und erhob wie zur Mäßigung mahnend dieHand. »Nun ich die Beweggründe DeinerHandlungsweisekenne,gefälltsiemirzwar immernochnicht, doch helfe ich Dir gern, was sie bezweckt, zuerreichen. Auch eure gewundenen Wege führen zumZiele,undmanstößtdarausweniger leichtmitdemFußan;—diegeradenabersagenmirmehrzu,undichfandschon,denk’ ich,denrechten.EinFreund lädtdie jungeFrau auf sein Gut weit fort von hier, vielleicht in dasSeeland.«»Du?«fuhrIrasaus,unddiedünnenAugenbrauenzogensichihrjähzusammen.»Glaubst Du, sie würde mir folgen?« frug er in leichtverweisendemTon. »Nein.Wir haben zumGlück ältereFreunde, und an ihrer Spitze einen, der zufällig DeinOheim und dazu auchWachs in der Hand der Königinist.«»Archibius?«riefIras.»Ja,wennersiedazubewegte.«»Er wird es versuchen. Auch er ist besorgt um denKnaben.Währendwir hier reden, lädt er Barine ein, essich auf seinem Gute gefallen zu lassen. Die Landlustdortwirdihrgutthun.«»Möge sie da draußen wie ein Schäfermädchen

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erblühen!«»Duthustgut,ihrdasBestezuwünschen;dennkehrtdieKönigin nicht als Siegerin heim, so verdoppelt sich dieReizbarkeit unsererAlexandriner.Als ihrHand auf denGartendesDidymus legtet, beschäftigtet ihr euch schonsoeifrigmitdemBauderTriumphbögen,daßihrdarübervergaßet...«»Wer hätte auch an dem glücklichen Ausgang diesesKriegesgezweifelt?«riefIras.»Undsiewerden,werdenja siegen! Die Flotte, sagte der Rhodier, sei zersprengt.AnderakarnanischenKüsteseiesgeschehen.Wiedassobestimmtklang!Erhörteesindesnurvoneinemzweitenunddritten,UndwassindGerüchte?Esstelltsichspäterschon heraus, wie die falsche Nachricht entstand. UndgingdieSeeschlachtauchwirklichverloren,bleibtdochimmernochdasgewaltigeLandheer.DemdesOctavianistesweitüberlegen.UndwelcherFeldherrdesFeindeswärewohldemAntoniuszuLandegewachsen?Wiewirder streiten, wo es sich um alles handelt: Ruhm, Ehre,Herrschaft, Haß und Liebe. DieseAngst auf ein bloßesGerüchthin!NachDyrrhachiumgabmandieSachedesCäsarverloren, undwiebaldmachte ihnPharsalus zumBeherrscherderWelt!IsteseinesverständigenMenschenwürdig, sich durch Schiffergerede um den guten Mutbetrügenzulassen?Unddennoch—dennoch!Schonalsicherkrankte,begannes!UnddanndieSchwalbenander

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Antonias, dem Admiralschiffe! Wir sprachen ja schondarüber. Mardion und Dein Oheim Zeno sahen es miteigenen Augen, wie fremde Schwalben kamen und die,die am Steuer der Antonias nisteten, aus dem Nestevertrieben und ihnen die Jungen mit den grausamenSchnäbeln zu Tode hackten. Ein häßliches Omen! Ichkann’snichtvergessen.Undwasmir,alsichfernvonderHerrin im Fieber darnieder lag, träumte!Doch ich hieltmichschonzulangehierauf.Abernein,Dion,nein!Ichbin für den Aufenthalt dankbar; denn ich darf nunberuhigtseinwegendesKnaben.StelltdieBildsäuleauf,wo ihr wollt. Das Volk soll sehen und hören, daß wirseinen Widerspruch achten, daß wir gerecht sind undseineFreunde.HilfmirauchdaszumBestenderKöniginwenden ... Undwenn es demArchibius gelingt, BarinefortzuschaffenundsieaufdemLandefestzuhalten,dann... Ja, hätte ich nur etwas, das Dir begehrenswerterschiene — Du solltest es haben! Aber was fragt dergefeierteDionnachderverblühendenGespielin?«»Derverblühenden?«wiederholteerimToneunwilligenVorwurfs.»Sagedervoll erblühten,diedas JungbleibenvonderköniglichenFreundinerlernte.«Da streckte sie ihm mit einer schnellen dankbarenRegung das Antlitz und ihm voran die weiße, schlankeHand,dienachderKleopatrasfürdieschönsteamHofegalt, durch dasHalbdunkel zumKusse entgegen; als er

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aber nur die Spitzen ihrer Finger leis und fern vonzärtlicherWärmemitdenLippenberührte,entzogsiesieihmschnellund riefwievonplötzlicherReueergriffen:»In solcher Zeit, mit solcher Angst im Herzen diesmüßige, hohle Getändel! Unwürdig ist es undschmählich.WennBarinedemArchibius folgt,wirddieZeit ihr schwerlich lang auf seinen Gütern. Ich meineeinen zu kennen, der ihr bald nachzieht, um ihrGesellschaft zu leisten. — Hieher, Pasis! Die Träger!Fort!ZuderWartedesNilusvordemThorederSonne!«Dion schaute der verschwindenden Sänfte kurze Zeitnach, dann fuhr er mit der Hand durch das brauneLockenhaar, ging raschen Schrittes an den Strand undsprangdort,ohnelangezuwählen,ineinesderBoote,diehierfürLustfahrtenvermietetwerden.DenSchiffern,dieihnbegleitenwollten,geboter,zurückzubleiben,spanntedas Segel mit geübter Hand selbst aus und fuhr derOeffnung des Hafens entgegen. Er brauchte eine starkeErregungundwollteselbstaufKundschaftausgehen.

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ViertesKapitel.

Das Haus, das Barine an den Gärten des Paneumbewohnte,wardasEigentumihrerMutter,dieesvondenEltern ererbt. Der Maler Leonax, der Vater der jungenFrau, der Sohn des alten Philosophen Didymus, warschonlangenichtmehr.Nachdem Barine die unglückliche Ehe mit demSachwalter Philostratus gelöst, war sie wieder zu derMutter gezogen, die den Hausstand leitete. Auch siestammte aus einem Gelehrtenhause und war mit einemBruder herangewachsen, der sich als Philosoph einengeachtetenNamenerworbenunddieStudiendes jungenOctavian geleitet hatte. Es war dies lange vor demBeginnederGegnerschaftgeschehen,diedenErbendesCäsar und Marcus Antonius entzweite. Aber auchnachdemdieser seineGattinOctavia, dieSchwester desOctavian, preisgegeben, umzuKleopatra, derGeliebtenseines Herzens, zurückzukehren, und nachdem eszwischen den Rivalen um die Herrschaft derWelt zumoffenenBruchgekommenwar, hatteAntonius sich demArius freundlich erwiesen und ihm die nahenBeziehungenzuOctavianmitnichtennachgetragen.DerfreigebigeRömerhattedemfrüherenMentordesFeindessogar ein stattlichesHaus zumGeschenke gemacht, umihm zu zeigen, daß es ihm angenehm sei, ihn in

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AlexandriaundinseinerNähezuwissen.DieWitweBerenike, dieMutterBarines, hingwarmandem einzigen Bruder, der sich oft zu den Gästen ihrerTochter gesellte. Siewar eine ruhige, bescheideneFrau,die jeneZeit ihre glücklichste nannte, in der sie sich instiller Zurückgezogenheit der Erziehung ihrer,heranwachsenden Kinder, des feurigen Hippias, derBarine, und der stillenHelena, gewidmet hatte, die nunschon seit etlichen Jahren bei den alten Großelternwohnte und mit treuer Hingabe ihrer Pflege oblag. Siewar leichter zu leiten gewesen als ihre beiden älterenGeschwister; denn der hochfliegende Geist des KnabenhatteihnoftdermütterlichenFührungentzogen,unddemschönen, lebhaften Mädchen war von früh an einbesonderer Zauber eigen gewesen, der es zu übersehenverbot.Erst in Alexandria, dann in Athen und Rhodos hatteHippiassichzumRhetorausgebildet,undvordreiJahrenwar er von demOheimAriusmit guten EmpfehlungennachRomgesandtworden,umdortdasLebenkennenzulernenundzuversuchen,obesihmbeiseinerglänzendenRednergabe glücken werde, dort trotz seiner Herkunftvorwärtszukommen.Zwei Unglücksjahre au der Seite eines ruchlosen,ungeliebten Mannes hatten den kindlichen UebermutBarines zu der ihr jetzt eigenen sonnigen Heiterkeit

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abgeklärt.DieMutterwarsichbewußt,ihrBestesgewolltzu haben, als sie die Sechzehnjährige mit demPhilostratus verbunden, in dem ihr Großvater Didymusdamals einen vielversprechenden jungen Mann erkanntzu habenmeinte, zu dessenFortkommen außer der ihmeigenen rednerischenBegabung seinBruderAlexas, derGünstlingdesAntonius, beizutragenverhieß, der diesenin den Krieg begleitet hatte. Sie war der Meinunggewesen,daslebhafte,schöneGeschöpfsoambestenvordenGefahrendersittenlosenGroßstadtzuschützen;dochderunwürdigeGattehattevielKummerundSorgeüberMutter und Tochter gebracht, und kaum weniger seineinflußreicherBruder,dernichtmüdegewordenwar,diejungeSchwägerinmitunlauterenAnträgenzuverfolgen.— Jetzt schaute Frau Berenike oft mit stummemErstaunen auf dasKind, das trotz so großer Schmerzenund Demütigungen jenen harmlosen Frohmut bewahrthatte,derihrdasAnsehenverlieh,alshabeihrdasDaseinnurdornenloseRosengeboten.IhrVaterLeonaxwarunterdenalexandrinischenMalernseinerZeitderbedeutendstegewesen,undvonihmhattesiedieelastischeKünstlerseelegeerbt,dieauchnachdemschwersten Drucke so kräftig wieder aufschnellte. IhmdanktesieauchdieselteneBegabungfürdenGesang,diesorgfältig ausgebildet worden war und ihr schon unterdenJungfrauenchörenbeiderFeierderhohenGöttinnender Stadt die erste Stelle gesichert hatte. Das Lob ihrer

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Kunst war in allerMunde, und seit sie amAdonisfestebei dem Wachsbilde des von dem Eber gemordetenGötterlieblingsden Ialemos imKönigspalastegesungen,wurdeihrNamelebhaftgefeiert.SiegehörtzuhabengaltfüreinenVorzug,derumsogrößererschien,alssiesichnurimeigenenHauseoderbeireligiösenFeierlichkeiten»zuEhrenderGottheit«vernehmenließ.Auch die Königin hatte sie gehört, und nach jenemAdonisfestewarAntonius durch ihrenOheimArius beiihr eingeführt worden. Mit der ganzen Wärme seinesfeurigoffenenWesenshatteerihrseineBewunderungzuerkennengegebenundsichspäterauchvonseinemSohneAntyllusbegleitenlassen.Erwärewohlöftergekommenund hätte auch an ihr die ihm eigene Macht überFrauenherzenerprobt,wennernicht amTagenachdemzweiten und letzten Besuche sich gezwungen gesehenhätte,dieStadtzuverlassen.Die Mutter hatte dem Bruder einen Vorwurf darausgemacht,derBarinedenGeliebtenderKöniginzugeführtzuhaben,undihreBesorgniswardurchdenwiederholtenBesuchdesSohnesdesAntonius, undmehrnochdurchdendesCäsarion,denAntyllusinihrHausgeführthatte,neubelebtworden.DieseKnabengehörtennichtzudenGästen,diesiegernsah und deren Gesprächen zu folgen auch ihr Freudebereitete.Eswarjaschmeichelhaft,daßsieihrschlichtes

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HausmitihrerGegenwartbeehrten,dochsiewußte,daßCäsarionhinterdemRückenseinesHofmeisterskamundsahdemBlickeseinerAugenan,wasihnzuderTochterhinzog.DazuhatteFrauBerenikebeiderErziehungderbeidenAngstkinder,denen siedasLebengeschenkt,diefrohe Zuversicht verloren, die ihr in jüngeren Jahreneigen gewesen. Von allem Neuen, was das Leben ihrbrachte, sah sie zuerst die üblen Folgen. Stand einbrennendes Licht vor ihr, fiel ihr der Schatten desLeuchters und dann erst die Flamme in die Augen. IhrganzesinneresLebenwareineKettevonBefürchtungengeworden,aberdiegutherzigeFrauliebteihreKinderzusehr, um es ihnen zu zeigen. Es erleichterte ihr nur dasHerz,wenneinTeilihrerschlimmenErwartungeneintraf,zuversichern,daßsiedasallesvorhergewußthabe.In ihren immer noch hübschen, wohlwollenden undgleichmäßigruhigenZügenwarnichtsvondemallenzulesen. Sie sprach nur wenig; doch was sie sagte, warverständig und bewies, wie aufmerksam sie zu hörenwußte. Die Gäste Barines sahen darum ihre Gegenwartgern.AuchderBedeutendsteempfingetwasvonihr,weilerfühlte,daßdiestilleFrauihnverstehe.BevorBarineandiesemAbendeheimgekehrtwar,hattesich etwas ereignet, das die Mutter den Unfall doppeltbedauern ließ, der ihren Bruder Arius vorgesternbetroffen.AufdemHeimwegevonderSchwesterwarer

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im Dunkeln von einem in wilder Eile auf derKönigsstraße dahinjagenden Wagen niedergerissen undschwer verletzt nachHause getragenworden.Da lag erjetzt regungslos und im Fieber, und es machte seinLeiden nicht leichter, seine beiden Söhne, denUebermütigen, der dem Vater dies zugefügt hatte, mitihrerRachebedrohenzuhören;dennerhatteGrund,denAntyllus für den Uebelthäter zu halten, und aus einerReibung der Jünglinge mit dem Sohne des Antoniuskonnte für ihn und die Seinen nur neues Unglückerwachsen, zumal der junge Römer von dermenschenfreundlichenGroßmut desVaterswenig ererbtzu haben schien. Wenn die Söhne das Verfahren desUnvorsichtigenmit den härtestenWorten brandmarkten,der,ohnedesUeberfahrenenzuachten,davongejagtwar,konnte Arius es ihnen freilich nicht verargen. DieSchwester hatte er vor der jeder Rücksicht spottendenZügellosigkeitdesjungenMannesgewarnt,dessenVatervonihmselbstinihrHausgeführtwordenwar.UndmitwiegutemGrunderdiemahnendeStimmeerhoben,hattesich jetzt schon erwiesen. Beim Untergange der Sonnedes heutigen Tages waren nämlich, wie gewöhnlich,einige Gäste und nach ihnen der neunzehnjährigeAntyllus erschienen und vom Thorhüter abgewiesenworden.Daraus hatte er ungeberdig verlangt, Barine zusehen, hatte den alten, besonnenen Pförtner, der ihnzurückhalten wollte, beiseite gestoßen und war trotz

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seines Einspruches in die Werkstätte des verstorbenenHausherrn gedrungen, in dem die Frauen ihre Gäste zuempfangen pflegten. Erst als er sie leer fand, war erumgekehrt;zuvoraberhatteerdenBlumenstrauß,denermitgebracht, an eine Erosstatue von gebranntem Thonbefestigt,diedortausgestelltwar.DerThorhüterunddieZofe Barines behaupteten, er sei trunken gewesen. Dashabe sichgezeigt, als ermitdenGenossen,diedraußenaufihngewartet,davongetaumeltsei.Dies unziemliche und beleidigende Betragen desJünglingserfüllteFrauBerenikemitlebhafterEntrüstung.Es durfte auch nicht ungerügt bleiben, undwährend siedie Tochter erwartete, stellte sie sich vor, welcheschlimmenFolgenesnachsichziehenkönnte,wennmandem Antyllus das Haus verböte und ihn bei demHofmeisterverklagte,undwieUnerträglichesersichvonder andern Seite herausnehmen könnte, wenn man diesunterließ.Siewar voll von trübenAhnungen, undweil siemit sogutemGrundedasSchlimmsteerwartete,hofftesieganzleise, die Tochter könnte vielleicht dennoch etwasErfreulichesmit nachHause bringen; denn sie hatte dieErfahrunggemacht,daßsichgernzumGutenwende,wassie vor seinem Eintritt mit dem tiefsten Bangen erfüllthatte.Endlich erschien Barine, und so glückselig heiter hatte

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dieMuttersieinderThatschonlangenichtmehrindieArmegeschlossen.DasgeängstigteHerzgingderWitweauf.EsmußtederTochteraberauchetwasbesondersErfreulichesbegegnetsein;dennwiefrohschautesiedrein.Obgleichsiesicherschon gehört hatte, was hier vorgefallen war; kam siedoch ohne Umwurf mit neu geordnetem Haar und waralsobereits imSchlafgemachgewesen,wosievon ihrergesprächigen cyprischen Sklavin, die nichtsErwähnenswertes für sich behalten konnte, umgekleidetworden war. Das flinke Mädchen hatte seineGeschicklichkeitheutebewährt.»Für neunzehnjährig muß jeder Fremde sie halten,«dachte die Mutter. »Wie das weiße Gewand und derPeplosmitdemblauenRandeihrstehen,wieweichsichdas azurfarbene Bombyxband durch das volle, welligeHaar zieht! Und wer möchte glauben, daß keinBrenneisendiegoldenenLöckchenkräuselte,die ihrdieStirn so anmutig umspielen, daß an demWeiß undRotauf diesen Wangen und dem Alabasterschimmer dieserArmekeinPinselstrichteilhat?SolcheSchönheitwirdjaleicht zum Danaergeschenke; eine herrliche Göttergabeist sie aber dennoch! Doch warum legte sie wohl dasArmbandan,dasihrAntoniusnachdemletztenBesuchesandte? Fürmich allein schwerlich. DenDion kann siekaum noch zu so später Stunde erwarten.Während ich

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mich ihres Anblickes freue, zieht vielleicht schon einneuesUnheilheran.«So dachte sie,während dieTochter ihrmunter erzählte,wassiebeidemGroßvaterundvorseinemHauseerlebt.SiehattesichdabeiwohligindiePolstereinerRuhebankgeschmiegt,undalssiedesungehörigenBenehmensdesAntyllusgedachte,nanntesieesmiteinerSorglosigkeit,dieFrauBerenikeerschreckte,nureineärgerlicheUnart,dienichtwiedervorfallendürfte.»Aberwersollesihmwehren?«frugjenebesorgt.»Werandersalswirselbst,«lautetedieAntwort.»Erwirdnichtwiederempfangen.«»Undwennersichtrotzdemhiereindrängt.«DaleuchtetendiegroßenblauenAugenBarineshellauf,undesklangentschiedengenug,alssieausrief:»Ersollesversuchen!«»UeberwelcheMachthättenwirwohlzugebieten?«frugBerenike, »die den Sohn des Antonius zurückhaltenkönnte?Ichkennesienicht.«»Aberich,«versichertedieTochter.»Höremich,Mutter.Ichwillkurzsein;dennwirerwartenBesuch.«»Sospät?«riefjenebesorgt.»Archibius wünscht uns in einer wichtigen Sache zusprechen.«Da glätteten sich die Falten an der Stirn der alternden

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Frau, doch zogen sie sich wieder zusammen, als siefragend ausrief: »Eine wichtige Sache zu soungewöhnlicher Stunde! Schon von früh an ahnt mirnichts Gutes. Beim Gang zu meinem Bruder flog einRabe vor mir auf und flatterte nach links hin in denGarten.«»Mir aber,« berichtete Barine, nachdem sie Günstigesüber das Befinden des Oheims gehört, »begegnetensieben, — ja, es waren nicht mehr und nicht weniger;denn die Sieben ist die beste der Zahlen — siebenschneeweiße Tauben, die allesamt mit raschemFlügelschlage zur Rechten hin flogen. Ihnen voran zogdie schönste. Sie trug ein Körbchen im Schnabel, unddarinlagdieMacht,diedenSohndesAntoniusvonunsfernhaltenwird.Siehmichnurnichtsoerstauntan,DuliebesGefäßallerAengste.«»Aber,Kind,Dusagtestdoch,Archibiuskommesospät,um etwas Wichtiges zu bringen,« unterbrach sie dieMutter.»Ermußbaldhiersein.«»LaßdarumdieRätsel;dennichratenichtschnell.«»Das thustDu dennoch,« versicherteBarine. »Aberwirhaben in der That keine Zeit zu verlieren. Die schöneTaubewaralsoeinguter,richtigerGedanke,undwassieindemKörbchen trug,das sollstDugleichhören.Sieh,Mutter, wie viele es uns auch verdenken werden, und

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wennesdereineoderanderevielleichtauchbeklagt;esdarf hier nicht so fortgehen! Mit jedem Tage, den ichälterwerde,fühl’ichessicherer,undesvergehenimmernoch einige Jahre, bevor dies Bedenken ganz hinfälligwird.Ichbinzujung,umjedermann,denmirdieseroderjener zuführt, als Gast willkommen zu heißen. UnserEmpfangssaal war zwar die Werkstätte meines eigenenVaters, und die Wirtin dieses Hauses bist Du, meinewürdige, tadellose, leibliche Mutter; aber Du viel zubescheidene Seele, an der alles besser ist als an mir,stelltestDichsoweithinterdieTochter,daßsieDichnurbemerken, wenn Du nicht da bist. Dadurch ist’s denngekommen, daß wer uns beide aussucht, nur sagt: ›Ichgeh’ zur Barine,‹ und es werden mir zu viele, die soreden. Ich kann nicht mehr wählen, — und dieserGedanke...«»Kind, Kind!« unterbrach sie die Mutter erfreut.»WelcherGottistDirheutebeimAusgangbegegnet!«»Du weißt es ja schon,« versetzte sie munter. »SiebenTaubenwaren es, und als ich der vordersten, schönstendas Körbchen aus dem Schnabel nahm, da erzählte siemireineGeschichte.WillstDusiehören?«»Gewiß, gewiß! Doch schnell, sonst werden wirunterbrochen.«DalehntesichBarinetieferindasPolsterzurück,senktedie langenWimpern und begann: »Es war einmal eine

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Frau, die hatte einen Garten im vornehmsten Teile derStadt,—wennDuwillst,hierinderNähedesPaneums.Im Herbst, als die Früchte an den Obstbäumen reiften,ließ sie die Thür, die hineinführte, offen, obgleich alleNachbarinnendasGegenteil thaten.UmnununberufeneLiebhaber von ihren guten Feigen und Datteln fern zuhalten, heftete sie eine Tafel an die Thür mit derAufschrift: ›Man trete ungestraft ein und freue sich amAnblick des Gartens; wer aber eine Blume bricht, denRasen zertritt oder sich an einer Frucht vergreift, denzerreißendieHunde.‹DieFraubesaßabernur einenSchoßhund,der ihrnichteinmaljederzeitgehorchte.DochderAnschlagthatseineSchuldigkeit; denn zuerst kamen nur die Nachbarn ausdem vornehmen Viertel. Sie lasen die Drohung undhätten wohl auch ohne sie das Eigentum der Frau, dieihnendieThürsofreundlichaufthat,geachtet.SogingeseineWeile fort, bis erst ein Bettler kam, und dann einphönizischer Matrose und ein diebischer Aegypter ausderRhakotis,dieallesamtnichtzulesenverstanden.DerAnschlag sagte ihnen darum nichts, und weil sieaußerdemdasMeinundDeinwenigerfeinunterschieden,zertrat dieser denRasen, und jener riß eineBlumeoderFruchtvondenZweigen.Eskam immermehrvondemGesindel,undwieesweiterging,kannstDuDirdenken.NiemandstraftesiefürdenFrevel;denndasKläffendesSchoßhunds erschreckte sie nicht, und das gab auch

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denen,dielesenkonnten,Mut,sichnichtandieWarnungzukehren.SokamderhübscheGartenderFrausehrbaldumdenReiz,derihmeigengewesenwar,unddazuauchumdieFrüchte.AlsderRegenendlichdieSchriftvonderTafel wusch und übermütige Buben sie bekritzelten,schadete es nichts weiter; denn wer in den Gartenschaute, dem bot er ohnehin nichts mehr, was ihnangezogen hätte, und man trat gar nicht mehr ein. DaverschloßdieBesitzerindasThorwiedieNachbarinnen,und imnächsten Jahreerfreute siedasGründesRasensund dasBunt derBlumen von neuem. Sie genoß selbstihre Früchte, und der Schoßhund störte sie nicht mehrdurchseinKläffen.«»Das heißt,« sagte die Mutter, »wenn alle Leutewohlgesittet und geartetwärenwieGorgias, Lysias unddieanderen,könntenwirgernfortfahren,ihnendasHausoffen zu halten. Da es aber roheGesellen gibt wie denAntyllus...«»Recht verstanden!« fiel ihr die Tochter ins Wort. »Essteht uns ja frei, einzelnen, die unsere Schrift lesenlernten, zu uns zu laden. Morgen schon wird denBesuchernerklärt,wirkönntensienichtmehrwiefrüherempfangen.«»Und,«ergänztedieMutter,»dasBetragendesAntyllusbietet dazu einen vortrefflichen Vorwand. JederBilligdenkendemußesverstehen...«

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»Ganz gewiß,« fügte Barine hinzu, »und wenn Du,klügstederFrauen,dasDeinedazuthust...«»So wird es uns im eigenen Heim erst recht gefallen.Glaub’esmir,Kind,—wennDunurnicht...«»Kein Wenn! Diesmal nicht!« rief die junge Frau underhobbittenddieHände.»IchdenkesogernandasneueLeben, und kommt es, wie ich hoffe und wünsche, —dann...MeinstDunichtauch,Mutter,daßdieGöttermireineEntschädigungschulden?«»Wofür?« frug die tiefe Stimme des Archibius, derunangemeldet eintrat und jetzt erst von den Frauenbemerktward.DaerhobsichBarineschnell,strecktedemaltenFreundebeide Hände entgegen und rief: »Da sie Dich zu unsführen,beginnensieschonmitderZahlung.«

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FünftesKapitel.

Ein Künstler, und besonders ein großer Maler, hat esleicht, das Aussehen seines Hauses anziehend zugestalten.Erwill sichwohldarinbefinden,undnurdasSchöne behagt ihm. Was die Harmonie stören würde,verletzt ihm das Auge, und um den edelsten Schmuckseines Heims herzustellen, braucht er keinen FremdenüberdieSchwellezu lassen.Ungerufengesellt sich ihmdieMusealsvollkommensterderGehilfen.Auch dem Leonax, dem Vater der Barine, hatte siegeholfen, das Innere seines Hauses zu einem höchstreizvollen Aufenthalte zu gestalten. In seiner Werkstatthatte er auf die Wandflächen Begebenheiten aus demLeben des großen Alexander, des Gründers seinerVaterstadt, auf den Fries einen Kranz von tanzendenLiebesgötterngemalt.HierpflegtejetztBarinedieGästezuempfangen,undderRufdieserGemäldewaresnichtamletztengewesen,derdenAntoniusveranlaßthatte,diejungeFrauzubesuchenund den Sohn, in dem er wenigstens ein flüchtigesWohlgefallen an der Kunst zu erwecken wünschte, mitsich zu nehmen. Auch Barines Schönheit und ihrenGesang wußte er hoch zu schätzen; doch die heißeLeidenschaft, die ihn in reifen Jahren ergriffen, galt derKleopatraallein.Ihn,dendasleichtzugewinnendeHerz

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unddiebegehrlichenSinnevoneinerEintagsliebeindieandere getrieben, hatte die Königin mit Ketten vonunzerreißbarübernatürlicherKraftansichgefesselt,undnebenihrerschienihmeineBarinenurwieeinmitLebenund einer das Ohr anmutenden Stimme begabtesKunstwerk.ImmerhinschuldeteerihreinigefreundlicheStunden, und wem er etwas Angenehmes dankte, denmußte er beschenken. Er ließ es sich gern gefallen, fürden großmütigstenVerschwender aufErden gehalten zuwerden, und der glatte Armreifen mit der Gemme, inwelche der die Leier schlagendeApoll geschnittenwar,den die Musen lauschend umgeben, sah bescheidengenug aus, war aber in der That ein Stück vonunschätzbarem Werte; denn der Künstler, der ihnherstellte, hatte für den größten SteinschneiderAlexandrias in der Zeit des Philadelphus gegolten, undjedederkleinenFigurenindemkaumdreiFingerbreitenOnyx war ein sorgsam ausgeführtes Meisterwerk vonzauberhaftem Reize. Weil er ihn passend für die Fraufand, deren Gesang ihn erfreut hatte, war er von ihmgewählt worden. Nach demWerte zu fragen, hatte ihmauch diesmal fern gelegen. Er war auch nur für denKennerwahrnehmbar;undweilderReifennichtprunkteunddemschönenOberarmewohlstand, trugBarine ihngern.HättederKriegdenAntoniusnichtfortgeführt,wärederzweite Besuch kaum sein letzter gewesen. Außer dem

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Gesange,derihnentzückthatte,wardasGesprächlebhaftund bedeutend gewesen, und neben den Bildern desLeonaxwar er dort schönenKunstwerkenbegegnet, dieder Maler von manchen hervorragenden Genosseneingetauschthatte.AuchanplastischenSchöpfungenfehlteesnicht indemgroßenRaume,demdasPlätscherndesWassers,daseinkräftiger Mann aus dem Bockfellschlauche über derSchulter in eine Muschel goß, etwas besondersHeimlichesverlieh.Der Meister, der diesen gebückten Nubier geschaffen,warderselbe,demdievielumstritteneStatuedeshohenLiebespaares die Herstellung verdankte. Auch der ErosvonThon, dermit geneigtemKnie nach einemnur ihmsichtbarenOpferzielte,warseinWerk.Antoniushattebeiseinem zweiten Besuche den Kranz, mit dem ergekommen, scherzend vor dem »gewaltigsten derMenschenbesieger« niedergelegt, während sein SohnAntyllusihmvorhinmitroherHandseinenBlumenstraußin die Oeffnung des gebogenen rechten Armes, der dieSehne anzog, geschoben. Dabei war dem Thon eineVerletzung zugefügt worden ... Jetzt lagen die Blumenunbeachtet auf dem kleinenOpferaltar imHintergrundedesweiten,nurnochvoneinerLampeerhelltenRaumes;denndieFrauenhattenihnmitdemGasteverlassen.SieverweiltenindemkleinenLieblingsgemachederBarine,

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woeinigeBilderdesverstorbenenVaterssieumgaben.DerStraußdesAntyllusunddieVerletzungderthönernenErosstatue hatten in demGespräche der drei eine großeRolle gespielt und dem Archibius seine Aufgabeerleichtert.Mit der Klage über das unziemliche Betragen und dieUnvorsichtigkeit des jungenRömerswar der späteGastvon Frau Berenike empfangen worden, und daran hatteBarinedieErklärunggeknüpft,demZeusXenios,derdasGastrecht schützt, nun genug geopfert zu haben. InZukunft denke sie das Leben den bescheidenenHausgöttern und dem Apollon zu weihen, dem sie dieGabedesGesangesalskleines,aberköstlichesGeschenkdanke.UeberraschthatteArchibiussicherklärenlassen,wassiemeine, und selbst erst zu reden begonnen, nachdem siesichvölligausgesprochenundihmgeschilderthatte,wiesiesichdaskünftigeDaheimohnedievonGästenerfüllteWerkstättedesVaters,alleinmitderMuttervorstelle.DiebeflügelteEinbildungskraftderjungenFrauversetztesie mitten in das neue, stillere Leben. So frisch undanschaulich sie aber auch zu schildern wußte, was siedavonerwarte,mußteesdemergrauendenZuhörerdochnichtganzglaubhafterscheinen;dennbisweilenflogihmein feinesLächeln über das derb geschnittene unddochvon Schwermut leis überhauchte Antlitz. Es war das

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einesMannes,deraufhörte,aufderRingbahndesLebensmitzukämpfenundnachhartemStreitejetztvorzog,unterden Zuschauern mit anzusehen, wie andere denKampfpreisgewannenoderunterlagen.DieWunden,dieer davongetragen, mochten immer noch wehthun; dochwas er Trübes erfahren, hinderte ihn nicht, einaufmerksamer Beobachter zu sein. Dem Blicke seinesklaren Auges war es anzusehen, daß er, was seineTeilnahme erweckte, innerlich mit erlebte. Wer so zuhören verstand und dazu— dafür zeugte die Stirn mitdemkräftigenVorsprungüberderNase—dasDenkensogeübt hatte, dermußte ein guter Ratgeber sein, und alssolcher wurde er denn auch von manchem und allenvoranvonderKönigininAnspruchgenommen.Auch heute trat die ihm eigene gelassene BesonnenheitzuTage;dennobgleichergekommenwar,umBarinezubestimmen, esmit einemLandaufenthalte zuversuchen,hieltersichzurück,bissiedieeigenenAngelegenheitengleichsam erschöpft und ihn nach dem wichtigenBeweggrundeseinesBesuchesgefragthatte.InderHauptsachewar seineForderung,nocheheer siegestellt, angenommenworden.Erkonntedarummit derFrage beginnen, ob Mutter und Tochter nicht meinten,daß sichderUebergang indieneueLebensweisebesserbewerkstelligen lasse,wenn sie sich auf einigeZeit ausder Stadt entfernten. Es werde auffallen, wenn sie den

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Gästenmorgen das Haus verschlössen und, da es nichtangehe, den wahren Grund zu bekennen, manchenverletzen. Entschlössen sie sich dagegen, der Stadt aufeinige Wochen den Rücken zu kehren, werde zwarmancher ihren Entschluß beklagen; was aber allegemeinsam treffe, das enthalte für den einzelnen keineKränkung.DieMutterstimmteihmlebhaftbei,Barineaberhieltsichanfangs bedenklich zurück. Da bat Archibius sie, sichoffenauszusprechen,understnachdemsiegefragt,wohinsie denn sollten, schlug er ihr vor, es sich auf seinemLandgutegefallenzulassen.SeinprüfendesgrauesAugehatteerkannt,daßsieetwasso kräftig an die Stadt fessele, daß es bei einem echtenWeibe wie Barine mit dem Herzen zusammenhängenmußte.Erhattesicherlichrechtgesehen;dennbeiseinerVoraussagung, an dem Besuche der liebsten Freundedann undwannwerde es auch da draußen nicht fehlen,hob sie das Haupt; immer heller wurde der Glanz derblauen Augen, und als Archibius schwieg, wandte siesichandieMuttermitdemheiterenRufe:»Wirgehen!«Wieder zeigte die rege Einbildungskraft derKünstlerstochter,was sie vonderZukunft erwartete, alsgreifbar deutliches Gemälde. Sie allein wußte freilich,wensiemeinte,wennsievondemBesuchesprach,densie draußen in Irenia, demGute desArchibius, erwarte.

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»Friedensstätte«bedeutetedieserName,undergefielihr.Archibiushörteihrlächelndzu;alssieaberbegann,auchihm eine Rolle beim Ausfahren mit den kleinensardinischen Pferden und auf der Vogeljagd zuzuteilen,unterbrach er sie mit der Versicherung, ob er sich baldgönnen dürfe, was ihn glücklich machen würde: dasAtemholen mit so werten Gästen aus dem Lande, seiabhängig von demGeschick einer andern. Er habe, denGötternseiDank,erleichtertenHerzenshierherkommenkönnen, weil er kurz vor dem Ausbruche von einemherrlichenSiegederKönigingehört.DieFrauenmöchtenihm gestatten, noch eine Weile zu bleiben, denn ererwartehierdieBestätigungderNachricht.Und man sah ihm an, daß er ihr mit Spannungentgegensahunddaß ihmdasHerzmitnichten freiwarvonSorgen.Frau Berenike teilte sie, und ihr gutes Gesicht, das bisdahin die Freude über den verständigen Entschluß derTochterwidergespiegelt,gewanndenAusdruckschwererBesorgniszurück,alsArchibiusbegann:»UndderZweckmeines Hierseins? Du machtest es mir leicht, ihn zuerreichen. Hielt ich es für redlich, könnt’ ich jetzt ganzverschweigen,daß ichDichaussuchte,umDichausderStadt zu entfernen. Von dem Sohne des Antonius undseinem knabenhaften Uebermute seh’ ich keine Gefahr.Esgiltnur,Kind,DichfürdenCäsarionunerreichbarzu

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machen.«»KönntestDumichfürihnaufdenMondversetzen,mirwär’esdas liebste,«versicherteBarine lebhaft.»Das istesja,wasmichbestimmte,unserLebenzuändern,daßesnicht angeht, dem Knaben, der noch in die Schulegehörte,deraber seinenRangalsSchlüsselbenutzt,dasHauszuverschließen.Unddenken,daßmanihn›König‹zunennenhat,diesenmüdenTräumermitdenumHilfeflehendenAugen!«»DochwelchenmächtigenTriebgibtes,«fügteArchibiusfragendhinzu,»der inderBrustdesSohneseinesJuliusCäsarundeinerKleopatranichtschlummernkönne?UnddieLeidenschaft—ichweiß,daßDu,meinKind,keineSchuld daran trägst, — sie ist jetzt in ihm lebendiggeworden.Wasauchimmerdarauserwächst,esmußderMutter dasHerzmit Sorge belasten.Darum gilt es, dieAbreise zu beschleunigen und geheim zu halten, wohinDu Dich begibst. Noch versuchte er nichts, was einerThat gleichsah; jetzt aber darfman— denn er ist ebendasKindseinerEltern—Unerhörtesvonihmerwarten.«»Du erschreckst mich,« rief hier Barine. »Aus dergirrenden Taube, die mir ins Haus drang, machst DueinenGefahrbringendenGreisen.«»AlssolchenmagstDuihnansehen,«warntederandere.»DubistmiralsGastwillkommen,Barine,dochludichDich,diemirliebistvonKindan,dieTochterdesbesten

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Freundes, nicht bloß um Dir einen Dienst zu erweisennach Irenia, sondernmehrnoch,umSchmerzoderauchnurVerdrußvonderjenigenfernzuhalten,derich—werwüßteesnicht!—derichallesverdanke.«Den Frauen klang aus dieser Rede die Erklärungentgegen,daß,wennsiedemArchibiusauchliebseien,ersieundmitihnenvielleichtdieganzeübrigeWeltfürdieRuheunddasGlückderKöniginpreisgebenwürde.Barinehattenichtsanderesvonihmerwartet.Siewußte,daß er, derSohn einesPhilosophen, vonKleopatra zumgroßen Grundbesitzer und reichen Manne gemachtwordensei;siefühlteaberauch,daßseinetreueHingabean die Königin, über die er wie ein zärtlicher Vaterwachte, anderen Ursachen die Entstehung verdanke.Kleopatraschätzteauchihn.Wäreerehrgeiziggewesen,er hätte längst als Epitrop am Steuer des Staatsschiffesstehen können, doch hatte er sich — die ganze Stadtwußte es—mehr als einmal geweigert, ein festesAmtanzunehmen,weilerglaubte,alsschlichter,unbemerkterBeraterderGebieterinbesserzunützen.DieMutterhatteBarineerzählt,daßdieBeziehungen,dieden Archibius mit der Kleopatra verbanden, bis in dieKinderzeitzurückreichten.NähereswarihrindesnichtzuOhrengekommen.WohlgingenmancherleiGerüchte,diesichmitderZeitreichausgeschmücktundmitAnekdotendurchwoben,alsglaubhafteNachrichtengeberdeten,von

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MundzuMund,undBarineglaubtenatürlichbesondersgerndenen, diewissenwollten, in der frühesten Jugendhabe die Prinzessin eine Kinderliebe mit demPhilosophensohne verbunden. Jetzt legte das VerhaltendesFreundesesnahe,andergleichenzuglauben.AlsArchibiusschwieg,versichertediejungeFrau,ihnzuverstehen,unddadieAlabasterampelanderDeckeundeine dreiarmige Lampe helles Licht auf das Bildniswarfen,das ihrVatervonderneunzehnjährigenKönigingemaltundfürdaseigeneHauswiederholthatte,wiessiedaraus hin und stellte, von dem Laufe der eigenenGedankenveranlaßt,unvermitteltdieFrage:»WarsiezujenerZeitnichtwunderbarschön?«»Wie dasWerk Deines Vaters sie darstellt,« lautete dieAntwort. »Leonax malte das Bildnis der Octavia dortdrüben im nämlichen Jahre, und vielleicht hielt derKünstlerdieRömerinfürschöner.«DabeiwieseraufeinBildnisderSchwesterdesOctavian,die der Vater der Barine als junge Gemahlin desMarcellus,ihreserstenGatten,gemalt.»Das nicht,« fiel ihm Frau Berenike berichtigend insWort. »Ich weiß noch recht wohl, wie Leonax damalszurückkam. Welche Frau wäre nicht eifersüchtiggewordenbeiseinerBegeisterungfürdierömischeHera.IchhattedamalsdasBildnisnochnichtgesehen,undalsich ihn frug, ob er Octavia auch für schöner als die

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Königin halte, für die ihn Eros, wie für die meistenschönen Frauen, die er malen durfte, entflammte,sprudelte er — Du kanntest ihn ja — in seinerstürmischen Weise hervor: ›Die Octavia steht in derReihevoran,beidermanvonschön redetoderwenigerschön;—dieandere—Kleopatra—stehtfürsichallein,undmitkeineristsievergleichbar.‹«DaneigteArchibiuszustimmenddasschwereHauptundsagtedannentschieden:»DochalsKind,wiesiemirzumerstenmale begegnete, wäre sie auch beim Tanz derjungenLiebesgötterdieschönstegewesen,«»Undwiealtwarsiedamals?«frugBarinegespannt.»Acht Jahre.« lautete die Antwort. »Wie weit liegt dasalleshinteruns,undichvergaßdochkeineStunde.«DaunterbrachihnBarinemitderdringendenBitte,ihnenvon jenenTagenzuerzählen;—Archibiusaber schautekurzeZeitsinnendzuBoden,dannhoberdasHauptundversetzte: »Vielleicht ist es gut,wennDumehr von derFrau erfährst, für die ich ein Opfer von Dir verlange.AriusisteuerBruderundOheim.ErstehtdemOctaviannahe; denn er war sein geistiger Leiter. Er verehrtOctavia,dieSchwesterdesRömerswieeineGöttin, ichweißes.MitdemOctavianringtMarcAntonjetztumdieHerrschaft der Welt; Octavia erlag schon im KampfegegendieFrau,vonderihrzuhörenbegehrt.Esstehtmirnicht an, hier zu richten; doch berichtigen darf ich und

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warnen. Die Matronen in Rom spenden der OctaviaWeihrauch,undwennderNameKleopatraausgesprochenwird, verhüllen sie entrüstet das Haupt. Hier inAlexandria thutmanchees ihnennach.WersichaufdieSeite des leuchtend Reinen stellt, darf hoffen von derHelligkeit, die von ihm ausgeht, etwas mitzugewinnen.Sie nennen Octavia die rechte Gemahlin und KleopatradieEinbrecherin,dieihrdasHerzdesEheherrnraubte.«»Ich nicht,« rief Barine eifrig. »Wie oft bekam es derOheim zu hören. Antonius und Kleopatra waren füreinanderentflammt inderheißestenLiebe.Tieferhattendie Pfeile des Eros zwei Herzen nimmer getroffen. Dagalt es,denStaatvorBürgerkriegundBlutvergießenzubehüten. Antonius willigte ein, mit dem Rivalen einBündnis zu schließen, und gleichsam zum Unterpfandefür den Ernst der Versöhnung reichte er der Schwesterdes Nebenbuhlers, der Octavia, die kaum den erstenGemahl, denMarcellus begraben, zum ehelichenBundedie Hand. Die Hand, sag’ ich, nur die Hand; denn dasHerz gehörte ja der Königin von Aegypten. Und wennAntonius der Gemahlin, die die Staatskunst an ihnfesselte,dieTreuebrach,sohieltersiedamitderandern,die ein früheres, besseres Recht daran hatte. WennKleopatra von dem Manne nicht ließ, mit dem sieSchwüre für die Ewigkeit wechselte, so war sie imRechte,jatausendmalwarsie’s.InmeinenAugenistundbleibtwieoftesmirauchdieMutterverwies—istund

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bleibt vor den Himmlischen Kleopatra die wahreGemahlin des Antonius, die andere, und ob auch amHochzeitstagekeinGebrauch,keinWort,keinFederzug,keineGeberdeversäumtward,derEindringling ineinenLiebesbund,dessendieGöttersichfreuen,wiesehresdieMenschen und — verzeihe es mir, Mutter — dietugendhaftenMatronenauchärgert.«Frau Berenike hatte der lebhaften Tochter errötendzugehört; hier aber unterbrach sie sie mit ängstlicherDringlichkeit:»Ichweißja,daßdasdieLehrenderneuenZeit sind,daßAntonius indenAugenderAegypterundwohlauchnachihrerSittederrechteGemahlderKöniginist,undganzgewiß,daßicheuchbeidegegenmichhabe.Aber Kleopatra ist im Grunde doch eine Griechin, unddarum ... Ewige Götter ... Ich kann sie ja herzlichbeklagen;dochdieEheistnuneinmalgeheiligt,undaufdie Octavia lasse ich nichts kommen. Wie die eigenenhegtunderziehtsiedieKinderdestreulosenGatten,dieseine erste Frau ihm schenkte, die Fulvia, und die sienichts angehen. Mehr als menschlich ist, wie sie demGemahle, obgleich er ihr zumFeindewurde, die SteineausdemWegeliest.BrünstigeralsichkannkeineFrauinAlexandriafürdenSiegderKleopatraundihresFreundesüberdenOctavianusbeten.SeinkalterSinn,wiehochihnderBruderauchstellt,istmirohnehinzuwider.Aberseh’ich der Octavia dort in das wunderschöne, keusche,wahrhaft vornehme, edleAntlitz, das ein Spiegel echter

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weiblicherReinheit...«»So magst Du Dich daran freuen,« fuhr Archibiusergänzend fort und legte der eifrigen Frau die Rechtebesänftigend auf den Arm, »nur wäre es rätlich. DugäbestdiesemBildindieserZeiteinenandernPlatzundließest es damit bewenden, Deine Meinung über dieOctaviademBruderundeinemsozuverlässigenFreundewie mir anzuvertrauen. Wenn wir siegen, magdergleichenhingehen—wennnicht...derBoteläßtlangaufsichwarten...«Dabat ihnBarinevonneuem,dieZeitzubenutzen.Siehabe nur einmal, und zwar nach dem Gesange beimAdonisfeste,dasGlückgehabt,vonderKöniginbemerktzuwerden.DaseiKleopatraaufsiezugetreten,umihrzudanken.MitwenigengütigenWortennur,dochmiteinerStimme,dieihrmitteninsHerzgedrungenseiundsiezuihr hingezogen habewiemit unsichtbaren Fäden; dabeiaber sei auch ihr Blick dem der Fürstin begegnet, undzuersthabeerdenWunschinihrerweckt,ihrdieLippenund sei es auch nur auf den Saum des Gewandes zudrücken; dann aber sei es ihr gewesen, als habe ihr ausder lieblichsten der Blumen eine feindliche Schlangeentgegengezüngelt...Da unterbrach sie Archibius mit der Bemerkung, ererinneresichwohl,daßnachdemGesangeAntoniussiezugleich mit der Königin angeredet habe, und keine

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SchwächedesWeibesseiderKleopatrafern.»Eifersucht?« frug Barine erstaunt. »Ich war nichtdünkelhaft genug, um mir das zuzugeben. Im stillenfürchteteichfreilich,Alexas,derBruderdesPhilostratus,habe sie gegen mich aufgebracht. Er ist mir so übelgesinntwiederandere,dermeinGemahlwar,weilich...Aberwasmitdenbeidenzusammenhängt, istsoniedrigund schmählich, daß ich ihm nicht gestatten will, mirdiese trauliche Stunde zu trüben.— Doch ohne Grundwar die Besorgnis, Alexas möge mich bei der Königinangeschwärzt haben, doch nicht. Er ist ja klugwie seinBruderunddurchdenAntonius, indessenGunstersichhineinstahl, mit Kleopatra in steter Verbindung. Er zogmitindenKrieg.«»Icherfuhreszu spätundbindemAntoniusgegenübervollkommenmachtlos,«versichertederandere.»Aberlagesnichtnahe,«frugBarine,»daßichbesorgte,die Königin sei durch ihn gegen mich aufgebrachtworden? Etwas Feindseliges meinte ich jedenfalls inihremBlickezufinden,unddarumstießesmichvonihrab, wie sehr es mich auch anfangs zu ihr hingezogenhatte.«»Und,« versicherte der Freund, »wäre das andere nichtzwischeneuchgetreten,Dukönntestnichtmehrvon ihrlassen!—Alsichsiezumerstenmalesah,warichselbstnocheinKnabeundsie—ichsagteeswohlschon—ein

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achtjährigesKind.«DawinkteBarinedemArchibiusdankbarzu,brachtederMutter die Spindel, goß Wasser zu dem Wein in denMischkrug, undwährend sie sich anfänglich tief in dasPolster zurückgelehnt hatte, stützte sie bald lauschenddenArmaufdasKnieundweitvorgebeugtdasKinnmitder Hand. Die Mutter zog erst langsam, dann immerschnellerdenFlachsvonderSpindel.»Ihr kennt mein Landhaus in Kanopus,« begann derErzähler.»EswarursprünglicheinkleinerSommerpalastderköniglichenFamilie.Seitwirihnbezogen,verändertesichwenig darin.Auch derGarten ist noch ebensowiedamals. Er war voll von schattigen alten Bäumen.Olympus, der Leibarzt, hatte dies Anwesen ausgesucht,damit der Vater auf seinem Boden das Erziehungswerkvollende, das ihm anvertraut wordenwar. Ihr werdet jahören. Es ging damals unruhig her inAlexandria; dennRom hatte den König noch nicht anerkannt, und eswaltete schon damals über uns wie das Schicksal,obgleich es das Testament, worin ihm der elendeAlexanderAegyptenwieeinenAckerodereinenSklavenalsEigentumvermachte,nichtanerkannthatte.Der König von Aegypten, der sich selbst den ›neuenDionysus‹ nannte, war ein schwacher Mann, dem dieGeburt nicht einmal das volle Recht auf die Herrschaftgab. Ihrwißt, daßdasVolk ihnden ›Flötenbläser‹ hieß.

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ErkannteauchwirklichkeinegrößereFreude,alsMusikzuhörenundsichselbstaufmehralseinemInstrument,und zwar nichts weniger als schlecht, hören zu lassen.Dazu machte er als Trinker auch dem andern NamenEhre. Wer am Feste des Dionysus, für dessenmenschgewordenes anderes Ich er sich ansah, nüchternblieb,demgingesansLeben.DieGemahlindesFlotenbläsers,dieKöniginTryphaena,undihreältesteTochter—sietrugDeinenNamen,FrauBerenike — verdarben ihm das Leben. Mit ihnenverglichen war der König ein aller Achtung würdigertugendhafterHerr.WaswarausdenHeldenundweisen,hochgesinnten Fürsten des Ptolemäerhauses geworden?JedeLeidenschaft, jedes Laster hatte eineHeimstätte inihrenPalästengefunden!Der Flötenbläser, der Vater Kleopatras, war lange nichtder schlechteste. Seinen Liebhabereien frönte er eifrig;die Leidenschaft zu zügeln, hatte ihn niemand gelehrt.Woes seinenZweckendiente,mußte auchderTod ihmhelfen;aberdasgehörtezurArtderletztenKönigeseinesGeschlechts. Das eine hatte er sicher vor den meistenvoraus, daß er noch die Fähigkeit besaß, Abscheu vordem Gipfel des Lasters zu empfinden, an Tugend undSeelengrößeunddieMöglichkeitzuglauben,sieinjungeSeelenzupflanzen.ErhattealsKnabedenEinflußeineswackernLehrerserfahren.DaswarihmimGedächtnisse

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geblieben, und es führte ihn zu dem Entschlusse,wenigstens die Lieblinge unter seinen Kindern, zweiMädchen,demEinflussederMutterzuentziehen,soweitesanging.Wie ich später erfuhr, hatte er gewünscht, dieMädchenmeinenElternganzanzuvertrauen.DemstandaberetwasUebermächtiges im Wege. Mochten auch Griechen dieKönigstöchter in der Wissenschaft unterrichten — ihrereligiöse Erziehung gaben die Aegypter nicht aus derHand.DerArztOlympus— ihr kennt ja denwürdigenWeißbart—hatte darauf bestanden, die zarteKleopatramüsse die rauhsten Wintermonate im oberen Aegyptenverbringen, wo der Himmel sich niemals bewölkt, denSommeraberinderNähedesMeeresineinemschattigenGarten. Der stand bei dem kleinen Palast abseits vonKanopus zur Verfügung, und er wurde diesem Zweckegewidmet.AlswirihnmitdenElternbezogen,standervollkommenleer, doch sollten uns die Königskinder bald zugeführtwerden.FürdenWinterschlugOlympusdieInselPhilaean der nubischen Grenze vor; denn es gab dort denberühmtenTempelderIsismiteinerPriesterschaft,dieesgernaufsichnahm,überdiePrinzessinnenzuwachen.Die Königin wollte von dem allen nichts wissen; dennAlexandria zu verlassen und den Winter auf einemeinsamenEilandunterdemWendekreisezuverleben,war

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ihr einunfaßlicherGedanke.So ließ sie denndenVaterwalten, und eswar ihrwohl genehm, der Sorge umdieKinderledigzusein;dennauchnachderVertreibungdesköniglichen Gemahles aus Alexandria setzte sie keinenFußzueinemderMädchen.FreilichließihrderTodnurnochkurzeZeitfürdergleichen.Ihre älteste Tochter Berenike, die ihre Nachfolgerinwurde,thatesihrnachundkümmertesichwenigumdieSchwestern.Ichhörtespäter,essei ihr liebgewesen,sieineinerHandzuwissen,dieanderesinihnenwecktealsdieBegiernachderHerrschaft.Ihre Brüder wurden auf der Lochias von unseremLandsmanneTheodotus unter denAugen desVormundsPothinuserzogen.Das Leben unserer Familie gewann natürlich durch dieAufnahme der Königskinder ein völlig verändertesAussehen. Zuerst zogen wir aus unserem Hause amMuseumsplatz indenkleinenPalastzuKanopus,undesgefiel uns in dem großen, schattigenGarten. Als sei esgestern gewesen, erinnere ichmich desMorgens— ichwareinKnabevonfünfzehnJahren—andemderVateruns mitteilte, zwei Töchter des Königs würden baldunsere Hausgenossen werden. Wir waren damals nochdreizuHause,dieCharmion,diemitderKöniginindenKrieg zog, weil die jüngere Kammerfrau Iras, unsereNichte, krankwar beimAusbruch, ich und der Straton,

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dernunschonlangnichtmehrist.Man schärfte uns ein, uns gesittet und zurückhaltendgegendieKönigstöchterzuverhalten.Wirnahmenauchwahr, daß ihre Aufnahme in der That Rücksichtenerforderte;dennderPalast,denwirleerundverwahrlostgefunden hatten,wurde neu ausgestattet vomKeller biszumDache.Am Tage vor dem Einzuge der Mädchen kamen auchPferde,WagenundSänften, und auf derSeeBoote undein prächtiges Staatsschiffmit vollerBemannung.Dazuerschien eine Schaar von männlichen und weiblichenSklaven,undunterihnenauchzweifeisteEunuchen.IchsehenochdenverdrossenenBlickdesVaters,wieerdasallesmitdemAugemaß,alsesankam.ErfuhrauchsogleichindieStadt,undbeiderHeimkehrschautendiehellenAugendesherrlichenMannes soheiterdreinwieje.EinHofbeamterwarmitihmgekommen,undvondemunnützen Ballast an Sachen und Menschen blieb nurzurück,wasderVaterfürwünschenswerterklärte.AmfolgendenMorgen—eswaramEndedesFebruar—undimRasenundandenSträuchernblühtendieBlumen,an den Bäumen mit wechselndem Laub glänzten dieBlätterinfrischemSaftgrün,solltensiekommen.Ichsaßauf einem starken Sykomorenaste dem Hausthoregegenüber und schaute nach ihnen aus. Sie ließen eineguteWeileaufsichwarten,undwieichdabeidenGarten

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überblickte, dachte ich, es müsse ihnen hier schongefallen;denneinengleichengabesankeinemPalastinderStadt.EndlichkamendieSänften,ohneVorläuferundGefolge,wie es der Vater sich erbeten, und als die Mädchenausstiegen—beideaufeinmal—wußteichnicht,wohinden Blick zuerst wenden; denn was da aus der erstenSänftenichthervortrat,sondernflattertewieeineLibelle,daswarkeinMädchenwiedieanderen,—daserschienmirwie einWunsch, eineHoffnung.Und als das zarte,wunderschöne Geschöpf das Köpfchen wandte undhierhin und dorthin und endlich dem Vater und derMutter, die die Schwestern draußen empfingen,mit dengroßen, feuchten Augen fragend und wie um Hilfebittend insAntlitz schaute, da dachte ich, somüßte diePsyche ausgesehen haben, als sie sich dem Throne desZeusumGnadeflehendnahte.Abereslohntesichauchnachderandernzuschauen.Obdas die Kleopatra war? Sie hätte schon die ältere seinkönnen;dennsiewarumnichtskleineralsdieSchwester,dochwiesoganzanders!VondenWellendesHaaresbiszujederBewegungdesKörpersundderHändehattemiranderersten—eswardochKleopatragewesen—allesgeschienen, alsobes fließe.Ander zweitenwarnichts,dasnichtfestgewesenwäre;jaesschiendazusein,umzu widerstreben. Mit beiden Füßen zugleich sprang sie

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ausderSänfte,hieltsichanderThürefestundwarfdenKopf mit dem mächtigen dunklen Lockengewirr keckzurück. Das Antlitz war weiß und rot, und auch ihrleuchteten die blauen Augen hell genug; aber stattfragend blickten sie fordernd den Eltern entgegen, undwie sie sich umschaute, hob sich ihr an dem rotenKindermundedieLippe,alserscheineihrverächtlichundihrerunwert,wassiegewahrte.DasverdroßmichandemsiebenjährigenKinde,aberichsagtemirauch,daßeswohlschönbeiunssei,jedoch—dankderSorgedesVaters—rechtschlichtundeinfach,wenn sie esmit demMarmorundGoldundPurpurdesKönigspalastesverglich,ausdemsiejaherkam.AuchsiehatteeinschöngeschnittenesGesichtundwäreaufgefallen unter vielen. Und als ich sie bald darausherrisch befehlen und trotzig auf jedem Verlangenbestehen sah, dachte ich nur in meiner knabenhaftenWeisheit, Arsinoë hätte die ältere sein sollen, denn siewäre besser geeignet als die Schwester, ein Scepter zuführen. Das vertraute ich auch den Geschwistern; aberbaldsahenwiralle,wemdieechteMajestäteignete;dennArsinoë konnte, wenn ihr nicht der Wille geschah,weinen und schluchzen und sich wie eine Rasendegeberden,odergingesnichtanders,bettelnundquälen,während Kleopatra, wenn sie etwas begehrte, es aufanderem Wege erreichte. Sie kannte schon damals die

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Waffen, die ihr zum Siege verhalfen, und während siesich ihrer bediente, blieb sie dennoch das Kind einesKönigs.Wohl konnte keine Handwerkerstochter weiter entferntsein von majestätischem Pathos als diese Verkörperungder lieblichsten kindlichen Anmut; wonach aber ihrwarmesGemüt am heißesten verlangte undwas ihr ambestimmtesten abgeschlagenwordenwar, das wußte siedurch den Wohllaut der Stimme, durch den mächtigenZauber der Augen und im äußersten Falle durch einestummeThränezuerreichen.WennsolcheZähresichmitden erhobenenHändenundwenigen süßenWortenwie:›Eswürdemichglücklichmachen‹oder›SiehstDunicht,wie es mir weh thut?‹, verband, dann war keinWiderstand möglich, und auch später verhalf ihr diestummeThräneundderunsagbareWohllautderStimmeindenentscheidendenFragendesLebenszumSiege.Wir junges Volk wurden bald Spielgenossen und guteFreunde;denndieElternließendieKönigskindererstmitdem Lernen beginnen, nachdem sie heimisch bei unsgeworden. Der Arsinoë war es lieb, obwohl auch sieschonzulesenundzuschreibenverstand;Kleopatraaberverlangte mehr als einmal etwas von der Weisheit desVaterszuhören,vonderihrerzähltwordenwar.Der König und ihre früheren Lehrer hatten dieErwartungen der Eltern auf den hellen Geist dieses

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außerordentlichen Kindes hoch gespannt, und der ArztOlympus mir einmal in die Locken gegriffen und mirgeraten, mich zusammenzunehmen, damit dasFürstenkind den Philosophensohn nicht überflügle. Ichhatte immerzudenbestengehörtundmich ihmmitderVersicherung, damit habe es keine Not, lachendentwunden.Dochicherfuhrbald,daßseineWarnungnichtgrundlosgewesen. Ihr denkt, dem alten Narren spiele das Herzeinen Streich, und im Zaubergarten derKindheitserinnerung sei ihm das begabte Mädchen zueiner jungenGöttingeworden.Daswarsiegewißnicht;denn dieHimmlischen sollen frei sein von den FehlernundSchwächendersterblichenMenschen...«»UndwasbrachteKleopatraumdenRuhm,denGötternzu gleichen?« fiel Barine dem Erzähler neugierig insWort.Da antworteteArchibiusmit einem feinen Lächeln, dasnichtfreiwarvonVorwurf:»HätteichvonihrenTugendengeredet,eswäreDirkaumeingefallen,mich um größereAusführlichkeit zu bitten.Aberwarumsollteichzuverschleiernsuchen,wassieineinem ganzen Leben aller Welt offen genug zu sehengab? Lüge undHeuchelei waren ihr so fremdwie demWüstensohne der Fischfang. Was von Kindheit an bisheute als Grundzüge ihres Wesens und Lebens dies

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seltene Geschöpf beherrschte, sind zwei nie ruhendeWünsche: dasVerlangen, es jedem auch imSchwerstenzuvorzuthun, unddas andere, zu liebenund sichgeliebtzu sehen. Aus ihnen erwuchs, was sie hoch über dieanderen Weiber hinaushebt. Ehrgeiz und Liebe werdensieauchaufderstolzenHöheerhalten,zudersiesiewiezweimächtigeFlügelaufschwangen,solangesiesichinihrer feurigen Seele einträchtig regen. Bisher gestatteteihnendieseineselteneGunstdesGeschickes,—undso—mögendieOlympieresfügen—sosollesbleiben!«HierstockteArchibius,trocknetedieperlendeStirn,frugnachdemBotenundbefahl, ihn,sobaldererscheine,zumelden.DannfuhrersogelassenwieimAnfangefort:»DieKönigskinderwarenunsereHausgenossen,undmitder Zeitwurden sie uns zuGeschwistern. In den erstenWintern gestattete ihnen der König nur während derrauhesten Wintermonate in Philae zu bleiben; denn erwollte sienichtmissen.Er sah sie freilich seltengenug;dennoftvergingenlangeWochen,indenenerihnenfernblieb; manchmal dagegen entstieg er Tag für Tag inschlichten Kleidern einer einfachen Sänfte mitten inunseremGarten,dennerhieltdieseBesuchegeheimvorallerWelt,außervordemArzteOlympus.Dasahichdennoft,wiedergroße,starkeMannmitdemroten,gedunsenenGesichtemitdenKinderntändeltewieeinHandwerker,dervonderArbeitzurückkommt.Doch

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erbliebgewöhnlichnurkurzeZeit.Siewiedergesehenzuhaben, schien ihm zu genügen. Erwollte sich vielleichtauch nur vergewissern, wie es ihnen bei uns behage.Wenigstensmußte jedes der Ulmengruppe fern bleiben,woermitihnenverkehrte.Aber in den dichten Kronen dieser Bäume verstecktesich’s gut, und so weiß ich denn nicht nur vonHörensagen,daßersieausfrug.Der Kleopatra sagte es von Anfang an bei uns zu; dieArsinoëbrauchte längerdazu,dochderKönig legtenurGewichtaufdieMeinungderälteren,seinesLieblings,andie er Auge und Ohr heftete wie ein Verliebter. OftschüttelteerauchdenschwerenKopfbeiihremAnblickundlachte,wennsieihmeineihrertreffendenAntwortenerteilte, so laut, daßman seine tiefe, dröhnendeStimmebiszumHausehinhörte.AbereinmalsahichihmauchThräneaufThräneüberdiehochgerötetenWangenrinnen,unddochwarderBesuch,beidemdasvorkam,nochkürzeralssonst.VonunseremHauseaushatteihndieverschlosseneHarmamara,inderer gekommen war, geradeswegs auf das Schiff geführt,das ihn nach Cypern und Rom bringen sollte. DieAlexandriner,undanihrerSpitzedieKönigin,hattenihngezwungen,dieStadtunddasLandzuverlassen.Er war der Krone sicherlich unwert, doch die kleinenTöchterhatteerliebwieeinrechterVater.Furchtbarund

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gräßlichwaresdagegen,wieervordenzartenKindernihreMutterundältereSchwesterverfluchteundihnenineinemAtem befahl, sie zu hassen und zu verwünschenundihnnichtzuvergessenundliebzubehalten.Ichwar damals sechzehn,Kleopatra zehn Jahre alt, undmir,der ichdieElternhöherhieltalsdasLeben,floßeseiskaltdurchdieAdernunddannwiederwieBalsamaufdasHerz, als ichdiekleineArsinoë,nachdemderVatergegangen,derSchwesterzuraunenhörte:›Wirwollensiehassen! Die Götter sollen sie verderben!‹ und alsKleopatradarausmitfeuchtenAugenversetzte:›Laßunslieberbesserwerdenalssie,ganzgut,Arsinoë,damitdieHimmlischenunsliebenunddenVaterzurückführen.‹«›Weil er Dich dann zur Königin macht,‹ versetzte dieandere höhnisch und doch noch zitternd vor zornigerErregung.DaschauteKleopatraihrbefremdetinsAntlitz.Mansahes den gespannten Zügen an, daß sie die BedeutungdiesesWortes erwog, und ich sehe sie vormir, wie sieplötzlich die kleine Gestalt höher aufrichtete undselbstbewußtsagte:›Ja,ichwillKöniginwerden!‹DannändertesiedenTon,undmitdensüßestenLauten,dieihrerweichenStimmezuGebotestanden,batsiedieSchwester:›Nichtwahr,sohäßlicheDingesagstDunichtwieder?‹Daswar in der Zeit, wo die LehrenmeinesVaters sich

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ihrer Seele zu bemächtigen begannen. Was Olympusvorausgesagt,erfülltesichschondamals.Ichgingzwarindie Rhetorenschule; dochwenn derVater denMädchenAufgaben stellte, wurde auch mir gestattet, über dasnämliche Thema das Meine zu sagen, und manchmalmußte ich bekennen, daß es der Kleopatra bessergelungenseialsmir.BaldgabesauchSchwereszubewältigen;dennderGeistdieses merkwürdigen Kindes verlangte nach kräftigerSpeise, und man führte sie in die Philosophie ein. DerVaterselbstgehörtezurSchuledesEpikur,undsogelangesihmüberalleErwartung,KleopatrafürdieLehrendesMeisters zu erwärmen. Sie hatte auch die der anderengroßenPhilosophenkennengelernt,dochimmerkamsieaufdenEpikurzurückundveranlaßteunsandere,mitihralsechteJüngerdesedlenSamierszuleben.IhrseidwohldurchdenVaterundBrudermitdenLehrender Stoa vertrauter; doch hörtet ihr gewiß auch, daßEpikurdenspäterenTeilseinesLebensmitdenFreundenund Schülern in seinem Garten zu Athen bei stillenBetrachtungen und förderlichen Gesprächen verbrachte.So—wünschteKleopatra—solltenauchwirlebenundunsdie›Epikurjünger‹nennen.Außer der Arsinoë, die lebhafteren Zeitvertreib vorzog,zu denen sie auch meinen schon damals riesenstarkenBruderStratonmit fortzog,wardas auchunsnachdem

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Sinne.MichwähltensiezumMeister;ichsahihraberan,daß sie es gern gewesenwäre, und so trat sie anmeineStelle.AmnächstenNachmittage,derunszurVerfügungstand,gingenwir imGarten lustwandelnd auf und nieder, unddie Unterhaltung über das höchste Gut wurde dabei solebhaft geführt, sie leitete das Gespräch mit solchemGeschickundentschiedinfraglichenFällensoglücklich,daßwirdemgeschlagenenErz,dasunsinsHausrief,nurungern folgten und uns am Abende schon auf dennächstenNachmittagfreuten.Am folgenden Morgen sah der Vater, daß sich einigeLandleute vor dem entlegenen Garten versammelten;doch er behielt nicht Zeit, sich nach ihrem Begehr zuerkundigen; denn Timagenes, der denGeschichtsunterrichterteilte—ihrwißt,wieerspäteralskriegsgefangenerSklavenachRomkam—eilteauf ihnzuundhielt ihmeineTafelentgegen.EswardaraufdieInschriftzulesen,dieEpikurandasThorseinesGartensgeschrieben:›Fremdling,hierwirdesDirwohlsein,hieristdashöchsteGut,dieLust.‹KleopatrahattediesenAnschlagvorSonnenausgangmitgroßen Buchstaben auf die Platte eines kleinen Tischesgeschrieben,undeinSklavesieaufihrenBefehlheimlichandiePfortebefestigt.Dieser Streich hätte unserem schönen Zusammenleben

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leichtverhängnisvollwerdenkönnen;erwarabernurinsWerk gesetzt worden, um das nachahmende Spiel demVorbildeähnlichzumachen.Der Vater hinderte uns auch nicht, uns weiter daran zuergötzen; doch untersagte er streng, uns außerhalb desGartens ›Epikuräer‹ zu nennen; denn dieser edle NamehattelängsteineihmfremdeBedeutungunterdenLeutengewonnen.Epikursagt,diewahreWollustseinurinderRuhederSeeleundinderSchmerzlosigkeitzufinden.«»Doch alleWelt,« unterbrach ihnBarine, »hältLeugnerderGottheit,wie den Isidorus, dessenLebenszweck ist,jedenGenußauszukosten,dener sichmit seinemGeldeverschaffen kann, für diewahrenEpikuräer.DieMutterhätte mich nicht lange einem Erzieher anvertraut, indessenUmgebung›dieLust‹fürdashöchsteGutgilt.«»Du, Tochter eines Philosophen.« erwiderte der andereundschütteltedabei langsamdengroßenKopf,»solltestverstehen, was die Lust im Sinne des Epikur bedeutet,und Du thust es wohl auch. Wer diesen Dingen fernersteht, kann freilich nicht wissen, daß der Meisterverbietet, nach der einzelnen Lust zu trachten.Habt ihreineVorstellung von seiner Lehre?Keine rechte?Danngestattet mir einige Worte zu ihrem Verständnis. Esgeschieht nur zu oft, daß man den Epikur mit demAristipp verwechselt, der Sinnenlust über die geistigeLust stellt, wie er auchmeint, der körperliche Schmerz

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sei schwerer zu ertragen als der der Seele. Epikurdagegen hält die geistige für die höhere Lust; denn diesinnliche,diezukostenerübrigensjedemfreistellt,wirdnurinderGegenwartgenossen,diegeistigeabererstrecktsichauchaufVergangenheitundZukunft.DerZweckdesDaseinsistfürdenEpikuräer,wiegesagt,SeelenruheundSchmerzlosigkeit zu erreichen, die höchsten der Güter.AuchdieTugend soll er nur üben,weil sieLust bringt;denn wer könnte tugendhaft bleiben, ohne weise, edelundgerechtzusein,undwerdasist,demstörtnichtsdieRuhederSeele,underwirdwahrhaftglücklichgeradeimSinne des Meisters sein. — Ich erkannte längst dieGefahr,diesichindieserLehreverbirgt,dievonsittlicherTüchtigkeit nichts weiß; damals aber erschien sie auchmiralsdasHöchste.Undwiedasallesderjungen,vonderLeidenschaftnochunberührtenSeeledesdenkendenKindeszusagte!IhremwunderbarkräftigenGeistekonnteschwergenuggethanwerden,undsieempfandeswirklichalshöchsteLust,ihnzubereichern.UnddieSchmerzlosigkeit,diederMeisterals erste Bedingung für denBestand jeder Lust erkannthatte und das höchste Gut nannte. — für sie, die esschwer trug, wenn eine harte Hand sie anfaßte, wennauch nur ein kleiner Fehlschlag oder eine leichteEnttäuschung nicht hatte von ihr fern gehalten werdenkönnen, war Schmerzlosigkeit allerdings die ersteBedingungfüreinglückseligesLeben.

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Und dies Kind, das unser Vater einmal mit einerdenkenden Blume verglich, trug sein herbes Geschick:die Entfernung des Vaters, den Tod der Mutter, dieRuchlosigkeit der SchwesterBerenike,wie eineHeldin,ohnezuklagen.Auchzumir, andemsieeinenzweitenBrudergewann,unddemsievertraute,sprachsienur inverschleierten Andeutungen von diesen schmerzlichenDingen.Ichweiß,daßsievollundganzverstand,wasdavorging, undwie tief sie es fühlte. Der Schmerz stelltesich zwischen sie und ›das höchste Gut‹, aber sieüberwandihn.UndwennsiebeiderArbeitsaß,mitwiezäherKraftrangdanndaszarteGeschöpf,bisesauchdasSchwerste bewältigt und Charmion und auch michüberflügelthatte!Damals begriff ich, warumman unter denGöttern eineJungfrauderWissenschaftenwaltenläßt,undwarummansiemitdenWaffendesKriegesbewehrt.—Ihrhörtetja,wie viele Sprachen Kleopatra redet. Ein Wort desTimageneswarihrwieeinSaatkornindieSeelegefallen.— ›Mit jederSprache, dieDu erlernst,‹ hatte er gesagt,›gewinnst Du Dir ein Volk.‹ Es gehörten aber vieleVölkerzumReicheihresVaters,undwarsieKönigin,sosollten alle sie lieben. Freilich begann sie mit der derHerrschenden,nichtmitderderBeherrschten.Esgeschahzunächst, um denLucretius zu verstehen, der dieLehredesEpikur inVersenwiedergibt.DerVaterwurdeunserLehrer, und schon im zweiten Jahre las sie diese

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Dichtungwie ein griechisches Buch. Des Aegvptischenwarsieauchnurhalbkundiggewesen.Jetzterlerntesieesschnell.WährendunseresAufenthaltsaufderIsisinselPhilae fand sie einen Troglodyten, der sie mit seinerSprachebekanntmachenmußte.Hier inAlexandriagabes Juden genug, die sie in der ihren unterrichteten, unddanebenerlerntesieauchdasdieserverwandteArabisch.Als sie viele Jahre später den Antonius zu Tarsusausgesuchthatte,meintendieKrieger,eswerdeihneneinägyptisches Zauberkunststück gezeigt; denn jedenBefehlshaber sprachsie inderSpracheseinesVolkesanundstandihmRedewieeinemLandesgenossen.Soging es bei allem,was sie alsLernende angriff.Aufjedem Gebiete des Wissens überflügelte sie uns. DasZurückbleiben wäre ihrem brennenden Ehrgeizeunerträglichgewesen.Der Römer Lucretius ward ihr zum Lieblingsdichter,obgleich sie seinem Volke so wenig hold war wie ich;aber die selbstbewußte Kraft des Feindes sagte ihr zu,und einmal hörte ich sie rufen: ›Ja, wenn die AegypterRömerwären,danngäbeichunserenGartenherfürdenThronderBerenike!‹Der Lucretius führte sie immer wieder auf den Epikurund erweckte einen schweren Widerstreit in ihrem nieruhendenGeiste. Ihrwißtwohl, daß er lehrt, dasLebenansichseikeinsohohesGut,daßmannichtzulebenfür

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ein Mißgeschick halten müßte. Erst dadurch werde esverdorben, daß derTod unswie das schwersteUnglückerscheine.NurdieSeelegelange zurRuhe,die aufhöre,andenTodalsaneinUnglückzudenken.Werdawisse,daß mit dem Leben auch das Empfinden und Denkenvorbei sei,derwerde sichvordemEndenicht fürchten;dennwievielLiebesundKostbaresderVerstorbeneauchhieniedenzurückzulassenhabe,mitdemLebengeheihmauchdasVerlangendanachauf immerverloren.UmdieLeichesichzusorgen,erklärterfürdiegrößteThorheit,und gerade dasGegenteil von demallen behauptete derGlaube der Aegypter, in dem Anubis Kleopatra zubefestigensuchte.Esgelang ihmauchbiszueinemgewissenGrade;dennseinePersönlichkeitwirktemächtigaufsieein,unddazuwar ihr ein starkes Gefallen an mystischen,übersinnlichen Dingen angeboren, wie meinem BruderStraton die Kraft des Armes undDir, Barine, die GabedesGesanges.Ihr kennt den Anubis von Ansehen. WelcherAlexandriner hätte auch denmerkwürdigenMann nichtgesehen, undwem er einmal in dieAugen schaute, dervergißt ihn nicht leicht. Er gebietet in der That übergeheimnisvolle Kräfte, und er benutzte sie schon demheranwachsendenKönigskindegegenüber.SeinWerk istes,wennsieandemGötterglaubenihresVolkesfesthält,

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wenn sie, die ja Hellenin ist in jedem Blutstropfen, ihrAegypten liebt und bereit ist, für seine SelbständigkeitundGrößejedesOpferzubringen.Sieläßtsichdie›neueIsis‹ nennen; Isis aber steht denmagischenKünstenderAegypter vor, und Anubis war es, der Kleopatra in diegeheimeWissenschafteinführteundsiesogarbewog,aufderSternwarteundimLaboratorium...DochdasallesnahminunseremEpikuräergartenerstdenAnfang, undmeinVater durfte ihm nicht wehren; dennder ihre hatte aus Rom sagen lassen, es freue ihn, daßKleopatraGefallenanihremVolkeundseinemgeheimenWissenfinde.UndderFlötenbläserhatteamTiberdasägyptischeGoldandierechtenMännergebrachtodersiealsGläubigeransein Interessegebunden.NachdemPompejus,CäsarundCrassus den Dreimännerbund geschlossen, willigten siezu Lucca in die Wiedereinsetzung des Ptolemäers.MillionenüberMillionenwarenihmdafürnichtzuteuererschienen. Pompejus hätte ihn am liebsten selbst nachAegypten zurückgeführt; — doch die Eifersucht deranderenließesnichtzu.Gabinius,derStatthalterSyriens,erhieltdenAuftrag.Aberdiejenigen,diedenägyptischenThron inne hatten, waren nicht gewillt, ihn ohneGegenwehr preiszugeben. Ihr wißt ja, daß die KöniginBerenike, die ältere Schwester Kleopatras, sichinzwischen zweimal vermählt hatte. Den elenden ersten

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ließ sie erdrosseln,— in demzweitenGemahlewar ihrvondenAlexandrinerneinmannhafterGefährtegewähltworden.ErsetztesichwackerzurWehrundließaufdemSchlachtfeldedasLeben.Der Senat erfuhr bald genug, Gabinius habe denPtolemäerinseinLandzurückgeführt;zuunskamendieNachrichten nur langsam. Mit so leidenschaftlicherSpannungwieheutelauschtenwiraufjedesGerücht.Kleopatra stand damals im vierzehnten Jahre und warherrlich erblüht. Das Bild dort zeigt die erschlosseneBlume. Die Knospe war aber doch wohl von nochköstlicherem Reize. Ihre Augen! Wie klar siedreinschauten und ernst! Wenn sie aber heiter bewegtwar, konnten siewieSterne leuchten, unddanngewannauch ihr kleiner roter Mund einen unbeschreiblichschelmischen Zauber, und in jeder Wange bildete sicheines jenerGrübchen,diezwaranTiefeeinbüßten,aberdochheutenochjedenentzücken.DieNasewarzarteralsjetzt,unddieleichteBiegungnochkaumsichtbar,diedasBildniszeigtunddieaufdenMünzenzustarkhervortritt.Das Haar ist erst später dunkel geworden. MeineSchwester Charmion kannte kein schöneres Vergnügen,als seine wellige Fülle zu ordnen. Es sei wie Seide,versichertesieoft,undsiehatterecht.Ichweißes;dennwennKleopatrabeimFestederIsisdemGötterbildemitdemSistrumfolgte,mußtesieesaufgelösttragen.Beider

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Heimkehr schüttelte sie dannmanchmal dasHaupt zumScherze.Dann floß dasHaarwie einWasserfall auf sieniederundverbargdasAntlitzunddieGestalt.DiewarwiejetztnurvonmittlererGröße,dochvomherrlichstenEbenmaß,nurnochzarterundgeschmeidigeralsheute.Sie hatte es verstanden, alleHerzen zu gewinnen, dochwenn sie auch unsern Vater höher zu schätzen, mirfreundlicherzuvertrauen,zudemAnubismitfrömmererScheu aufzublicken und mit dem scharfsinnigenTimagenes lieberzustreitenschienalsmitdenanderen,sah es doch aus, als halte sie alle gleich wert, die sieumgaben, während Arsinoëmich stehen ließ, wenn derStratondawarunddenschönenMenodor,einenSchülerdes Vaters, so oft er zu uns kam, mit den Feueraugenverzehrte.Als es hieß, der König werde von den Römernzurückgeführt,kamdieKöniginBerenikezuuns,umdieMädchen in die Stadt zu holen. Als aber Kleopatra siebat,sieunterderObhutunsererElternbleibenzulassenundsienichtimLernenzustören,flogderBerenikeeinhöhnischesLächelnüberdasAntlitz,undindemsiesichan ihren Gatten Archelaus wandte, warf sie kurz hin:›Von den Büchern droht dieser da, mein’ ich, diegeringsteGefahr.‹Den Brüdern der Prinzessinnen hatte Pothinus, derVormund, früher bisweilen gestattet, die Schwestern bei

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uns zu besuchen. Jetzt wurden sie nicht mehr auf derLochias entlassen; doch weder Kleopatra noch Arsinoëfrugen viel nach ihnen.Die kleinenKnaben hatten sichstets scheu vor ihrenLiebkosungen zurückgezogen, undsiewaren ihnenmitderägyptischenKinderlockeanderSchläfe und den ägyptischen Kleidern, die Pothinus sietragenließ,fremderschienen.Als es hieß, die Römer rückten von Gaza her heran,bemächtigte sich beiderMädchen eine leidenschaftlicheErregung. Der Arsinoë leuchtete sie aus jedem Blicke;Kleopatrawußtesiezuverbergen,dochihrejungenZügewechseltenoftdieFarbe,unddasAntlitz,dasnichtweißundrotwarwiedasderSchwester,sondernvoneinem—wiesollichnursagen...«»Ich weiß, was Du meinst,« unterbrach ihn Barine.»Nichts schien mir, als ich sie sah, reizvoller als jenerbleiche Hauch, durch den das Wangenrot nur leisehindurchscheintwiedasLichtdurchdieAlabasterampelda drüben, wie das Rot der Pfirsiche durch den Flaum.Bei Genesenden sah ich ihn manchmal. Nur ihrenLieblingenhauchtAphroditeihnüberAntlitzundKörper,wie der Gott der Zeit die edle Patina über die Bronze.NichtsSchöneres,alswennsolcheFrauenerröten!«»Dusiehstscharf,«versetzteArchibiuslächelnd.»EswarinderThat,alsfärbenichtEosselbst,sondernihrzarterAbglanzamwestlichenHorizontdenHimmel,wenn ihr

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FreudeoderSchamdasBlut indieWangen trieb.WennaberderZornsieübermannte,undschonbevorderKönigheimkehrte, begegnete ihr das manchmal, konnte sieaussehen wie entseelt, wie ein Marmorbild, ja mit denerblaßtenLippenwieeineLeiche.DerVater sagte, dasBlut des Physkon und der anderenentartetenAhnen,dieverlernthatten,dieLeidenschaftzuzügeln,fordereauchbeiihrseinRecht.Dochweiter!DerBotewirdmichohnehinzufrühunterbrechen.GabiniusführtedenKönigalsozurück.Dochseitermitdem römischen Heere und der Hilfsschaar desEthnarchen von Judäa heranrückte, war nichtmehr vonihm oder von dem Antipater, der die Streitmacht desHyrkanus befehligte, sondern immer nur von demrömischenReitergeneralAntoniusdieRede.ErhattedieTruppenglücklichdurchdieWüstezwischenSyrienunddemägyptischenDeltageführtundkeinenMannaufdemgefahrvollenWegeverloren,derdortbeimSirbonischenSee und den Barathra schon manche Heerschaar insVerderbenführte.NichtihremStammgenossenAntipater,sondern ihmhatte die jüdischeBesatzungvonPelusiumdie Stadt ohne Schwertstreich übergeben. In zweiSchlachtenhatteergesiegtundmitderzweiten,beider,wie ihr wißt, der Gemahl der Berenike nach tapferemWiderstandfiel,dasGeschickdesLandesentschieden.Seit sein Name zum erstenmal genannt worden war,

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konnten beideMädchen nicht genug von ihmhören.Eshieß, daß er unter den vornehmen Römern dervornehmste, unter den tapferen der verwegenste, unterden ausgelassenen und schwelgerischen der tollste undunterdenschönenderschönstesei.Die Zofe aus Mantua, mit der Kleopatra sich in derrömischenSpracheübte,hatte ihnoftgesehenundnochmehr von ihm gehört, und sein Lebenswandel gab denRömern und Römerinnen zu reden! SeinHaus sollte ingeraderLinievonHerkulesabstammen,undseineGestaltund sein herrlicher schwarzer Bart an den Ahnherrnerinnern, Ihr kennt ihn ja und wißt, was sich alles vonihmberichtenläßt,daseinMädchenohrnichtgleichgiltigmitanhört,underwardamalsbeinahefünfLustrajüngeralsheute.Wie horchte Arsinoë auf, wenn sein Name genanntwurde,wieschnellwechseltedieFarbeaufdenWangender Kleopatra, wenn Timagenes sich herausnahm, ihneinen sittenlosen Wüstling zu schelten. Marc AntonöffnetefreilichihremVaterdenWegindieHeimat.Der Flötenbläser hatte seine Mädchen nicht vergessen.Er, der demKampfe fern gebliebenwar, drängte gleichnachderEntscheidungderSchlachtindieStadt.DerWegführteanunseremGartenvorüber.EswardemKönigenurZeitgeblieben,denTöchterneineViertelstunde vor seiner Ankunft durch einen Läufer

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melden zu lassen, daß er sie zu begrüßen wünsche. Inaller Eile wurden sie festlich geschmückt, und beidegewährten einen Anblick, der dem Herzen des Vaterswohlthunmußte.Kleopatra war der Arsinoë noch immer nicht vollnachgewachsen,dochglichsietrotzihrervierzehnJahreganz und gar einer erblühenden Jungfrau, währendAntlitz und Gestalt der andern verrieten, daß sie denJahrennachnocheinKindsei.ImHerzenwarsieesnichtmehr.SogutdieEileeszuließ,warenfürdenHeimkehrendenSträußegewundenworden.JedesderMädchentrugeinenin der Hand, als der Reisezug nahte. Meine ElternbegleitetensieandasGartenthor.Ichkonntemitansehen,was da vorging, doch nur, was die Männer sagten,deutlichverstehen.Der König entstieg dem Reisewagen, der mit achtmedischen Schimmeln bespannt war. Der vornehmeKämmerer, der ihn begleitete, mußte ihn dabeiunterstützen.DasroteTrinkergesichtstrahlteihmhell,alserdieMädchenbegrüßte.Mansah ihman,wie froh ihrAnblick und besonders der Kleopatras ihn überraschte.Wohl hatte er auch Arsinoë geküßt und in die Armegeschlossen, aber dann nur noch Augen und Ohren fürKleopatragehabt.Doch auch die Jüngere hatte sich schön entfaltet. Ohne

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die Schwester wäre sie sicherlich jedem wert derBeachtung erschienen, aberKleopatrawar ebenwie dieeinzige Sonne, neben der jedes andere Himmelslichtverblaßt. Doch nein! Sonnenhaft durfte man sie nichtnennen.DarinlagjaeinTeilihresZaubers,daßjedersichgezwungen fühlte, den Blick auf ihr ruhen zu lassen,schonumzuerkunden,worindennderReizbestände,dervonihrausging.UndauchAntoniuswurdevonderAnziehungskraftihresWesens gefesselt, sobald er nur die ersten Worte vonihren Lippen vernommen. Er war auf den Wagen desKönigszugesprengt.AlserdieTöchteranderSeitedesVaters bemerkte, begrüßte er sie mit flüchtigerHöflichkeit;wieaberKleopatraihmaufdieFrage,oberauf ihren Dank hoffen dürfe, ihr den Vater so schnellzurück geführt zu haben, antwortete, als Tochtermachees ihr Freude, ihm erkenntlich zu sein, als Aegypterinfalleesihrschwerer,faßteersieschärferinsAuge.Diese Erwiderung wurde mir erst später bekannt; dochsahich,wiederRömer,alsihrletztesWortkaumverhalltwar, sich vom Rosse schwang und dem vornehmenKämmererAmmonius,derdemKönigeausdemWagengeholfen, die Zügel zuwarf, als sei er sein Roßknecht.DemWeiberfreundewaraufderJagdnachdenSchönsteneinseltenesWildbegegnet,undwährenderdasGesprächmitKleopatrafortsetzte,mischtesichihrVaterbisweilen

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hinein,undseintiefesGelächterließsichdabeioftgenugvernehmen.Die ernste Schülerin des Epikur war nicht wieder zuerkennen.TreffendeWorteundüberraschendeGedankenhattenwiroftgenugvonihrvernommen;dieScherzedesTimageneshattesieabernurseltenmitanderenerwidert.Jetzt fand sie — man sah es den Redenden an— aufmanches Wort des Antonius eine witzige Antwort. Eswar,alshabesiedenerstengefunden,demgegenübersieesfürderMühewerthalte,jedeGabedesschnellenundtiefen Geistes außerhalb des Lehrsaales ins Feld zuführen.Und doch verlor sie nicht einenAugenblick dieweiblicheWürde, leuchteten ihr die Augen nicht helleralsbeieinemlebhaftenGesprächemitmiroderunseremVater.AndersArsinoë.AlsAntoniussichvomRossegeschwungen,warsiederSchwester näher getreten, doch als der Römer trotzdemfortfuhr,siezuübersehen,rötetesichihrdasAntlitz.SiebißsichindieroteLippe;einegroßeUnruhebemächtigtesichihresgesamtenWesens,undich,dersiekannte,sahihrenAugenunddenzitterndenNasenflügelnan,daßsiedenThränennurmühsamwehrte.SovielnäherKleopatraauchmeinemHerzenstand, that jenemirdochleid,undich hätte den stolzen Römer, der in der That wie derKriegsgott selbst aussah, am Arme schütteln und ihm

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zuflüstern mögen, das arme Kind, das doch auch eineTochterdesKönigssei,nichtzuübersehen.Doch es war der Arsinoë noch Schwereres beschieden;denn als der König, der bis dahin die beidenBlumensträußeinderHandgehaltenhatte,zumAufbruchmahnte,nahmAntoniusihmdeneinenab,undichhörteihn mit der tiefen lauten Stimme sagen: ›Wer solcheBlume seine Tochter nennt, bedarf nicht so vieleranderer.‹Dann überreichte er derKleopatra den Strauß,sprachdabeimitderHandaufdemHerzendenWunschaus, sie inAlexandriawiederzusehen,undschwangsichauf das Roß, das der vor Ingrimm bleiche KämmererimmernochamZaumehielt.Der Flötenbläser war entzückt von der ältesten TochterundteiltedemVatermit,daßerdieMädchenübermorgenin die Stadt führen lassen werde. Morgen habe er dortDinge zu thun, von denen er sie fern halten möchte.UnserVatersolledenSommerpalastsamtdemGartenalsZeichen seiner Dankbarkeit für sich und seineNachkommen behalten. Er werde Sorge tragen, daß dieAenderungdesBesitzersindieGrundbüchereingetragenwerde.Diesveranlaßteer inderThatnochamnämlichenTage.EswäresogarseinallererstesGeschäftgewesen,hätteerihm nicht ein anderes vorausgehen lassen: dieHinrichtungseinerTochterBerenike.

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DerselbeKönig,derallen,diemitzugesehenhatten,wieerseineKinderbegrüßte,wieeinwarmherzigerMenschundzärtlicherVatervorgekommenwar,hättedamalshalbAlexandria umbringen lassen, wäre Antonius nichtdazwischen getreten. Er verbot das Blutvergießen undehrte den gefallenen Gemahl der Berenike durch einprächtigesBegräbnis.Als ihn das Roß davontrug, wandte er sich nochmehrmals nach Kleopatra um, Arsinoë konnte er nichtmehr grüßen; denn sie war in den Garten zurückgeeilt.IhremgeschwollenenAntlitzesahmanan,daßsieheißeThränenvergossen.SeitjenemTagehaßtesieKleopatramitbitteremGroll.Der König ließ beide zur bestimmten Zeit in die Stadtholen. Es geschah mit fürstlichem Gepränge. DieAlexandriner jubeltendenKönigstöchternzu,alssieaufgoldenenThronsitzen,vonStraußenfedernüberweht,vonWürdenträgern und Heerführern, den Leibwachen unddemSenatderStadtumgeben,dieKönigsstraßehinuntergetragen wurden. In stolzer Majestät, als sei sie schonKönigin,nahmKleopatradieGrüßedesVolkesdankendentgegen. Wer sie gesehen hätte, wie sie mitüberströmenden Augen von jedem von uns Abschiednahm und ihn ihres Dankes und treuen Gedenkensversicherte,wiesiemir,denderBundderEphebenschonzumHaupteerwählt,soschwesterlichinnig...«

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Hier ward Archibius von einem Sklaven unterbrochen,derdieAnkunftseinesBotenmeldete,undererhobsichschnell,umihninderWerkstätte,wohinmanihngeführt,ohneZeugenzusprechen.

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SechstesKapitel.

Die Leute, die Archibius ausgesandt hatte, umKundschaft einzuziehen, waren zu keinem sicherenErgebnissegelangt.EinköniglicherLäuferhatteabervorkurzemeinBrieftäfelchenfürihnabgegeben,woraufIrasihn einlud, sie morgen zu besuchen. Es seienbeunruhigende, doch glücklicherweise noch unsichereNachrichteneingetroffen.DerRegentbieteallesauf,umsich Gewißheit zu verschaffen, doch er kenne dasMißtrauen der Seeleute und allerWelt amHafen gegendieRegierungundwaszu ihrgehöre.EinunabhängigerMann wie er bringe oft mehr in Erfahrung als derHafenstrategmitallseinenSchiffenundLeuten.Das Täfelchen wurde von einem zweiten begleitet, dasdemTrägerimNamendesRegentengestattete,jederzeitdie Hafenkette lüften zu lassen, in das offene Meer zufahrenundungehindertzurückzukehren.Der Bote, der Vorsteher der Schiffersklaven desArchibius,war ein erfahrenerMann.—Ernahmes aufsich,den»Epikur«,einenvorzüglichenSchnellsegler,denKleopatrademFreundegeschenkthatte,inzweiStundenfür eine Fahrt in die offene See bereit zu stellen. DerWagensolledenHerrnabholen,damitkeineZeitverlorengehe.AlsArchibiuszudenFrauenzurückgekehrtwarundsie

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frug, ob es ihre Gastfreundschaft nicht mißbrauchenheiße, wenn er den Aufbruch jetzt — kurz vorMitternacht— noch beträchtlich verzögere, zeigten siesichaufrichtigerfreutundbaten ihnumdieFortsetzungderErzählung.»Ich muß mich beeilen,« begann er, nachdem er demImbiß schnell zugesprochen, den Frau Berenike schonwährend er mit dem Boten sprach, bereit gestellt hatte.»Vondem,wasdienächstenJahrebrachten,istnichtvielwertderErwähnung.IchhatteaußerdemvollaufmitdemStudiumimMuseumzuthun.Was Kleopatra und Arsinoë anging, so standen sie wieKöniginnen an der Spitze des Hofstaates. Der Tag, andem sie unser Haus verließen, war der letzte ihrerKindheitgewesen.Hatte die Wiedereinsetzung des Königs, ihres Vaters,hatte die Begegnung mit dem Antonius die großeVeränderungbewirkt,diedamalsmitKleopatravorging,werwagtewohleszuentscheiden?Kurz vor dem Abschiede von uns hatte meine Mutterbeklagt, daß sie die Kleopatra einem Vater wie demFlötenbläser und nicht einer würdigen Mutterzurückzugeben habe; denn die allerbeste müsse sichwegensolcherTochterglücklichschätzen.SpäterwarihrSein und Wesen indes weit eher geeignet, Männer zuentzücken, als gerade eine Mutter. Mit dem Trachten

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nach dem Frieden der Seele schien es vorbei. NurmanchmalwurdenihrdierauschendenFeste,dasSingenundMusizirenzuviel,woranesimPalastdesVirtuosenaufdemThroneniefehlte.DannerschiensieinunseremGarten und blieb dort oft mehrere Tage. Arsinoëbegleitetesieniemals;dennbaldließsiesichvoneinemgoldlockigen Offizier der großen germanischen Reiterfesseln, die Gabinius unter der Besatzung Alexandriaszurückgelassen hatte, bald von einem makedonischenEdlenunterdenköniglichenJünglingen,diedamalsnochdenWachdienstimPalasteversahen.Kleopatra lebte getrennt von ihr, und Arsinoë trug diefeindlicheGesinnunggegensieoffenzurSchau,seitdemsieihrgeboten,demAergerniseinEndezumachen,dasihreLiebeshändelerregten.VondergleichenhieltKleopatrasichfern.WennsiesichauchbisweilenmitdenmagischenKünstenderAegypterbeschäftigte,hatteihrklarerGeistsiedochin der Philosophie der Hellenen so heimisch gemacht,daßeseinVergnügenwar,sieimMuseum—undsiethates nicht selten — mit den Führern der verschiedenenSchulensichunterhaltenoderineinenStreiteinlassenzuhören. Ihr Selbstbewußtsein war mächtig gewachsen.Versicherte sie auch, sooft siebeiunsweilte, sie sehnesich nach der Zeit des friedvollen Epikuräergartenszurück,sobeschäftigtesiesichdocheifriggenugmitden

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Händeln der Welt und der Staatskunst. Was in Romvorging,wasdieParteienwolltenunderstrebten,warihrso vertrautwie die Personen der leitendenMänner, ihreEigenschaften,AussichtenundZiele.Der Laufbahn des Marc Anton folgte sie mit derTeilnahmedesHerzens.Erwaresgewesen,demsieihreerstejungeNeigunggeschenkt.SiehattedasGrößtevonihm erwartet; aber sein späteres Verhalten schien diesehochgespannten Hoffnungen Lügen zu strafen. EinSchimmer von Verachtung färbte damals, was sie auchüber ihn äußerte; aber auch daran war das Herz mitbeteiligt.Den Pompejus, dem ihr Vater die Rückkehr verdankte,hielt sie für glücklicher als groß und weise. Von JuliusCäsarsprachsiedagegen,langebevorsieihmpersönlichbegegnete, mit glühender Begeisterung, obgleich siewußte, daß er Aegypten gern zur römischen Provinzgemachthätte.Dasgrößte,wassievondemthatkräftigenJulier erwartete, war, daß er mit der Republik, die siehaßte, aufräumen und sich zum Tyrannen über diehochmütigenBeherrscherderWeltausschwingenwerde.NurhättesiegerndenAntoniusanseinerStellegesehen.Wie oft bediente sie sich damals der magischen Kunst,um sich über seine Zukunft zu vergewissern.DerVaternahm teil andiesenDingen, zumal erdurch sieunddieMacht der großen Isis Heilung von seinen vielen und

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schwerenLeidenerwartete.Kleopatras Brüder waren immer noch unreife Knabenund durchaus abhängig von ihrem Vormund Pothinus,dem der König die Leitung des Staates überließ, undihrem Erzieher Theodotus, einem klugen, dochgewissenlosen Rhetor. Diese beiden und Achillas, derFührer der Truppen, hätten gern dem Dionysus, demältesten männlichen Erben des Königs, zur Herrschaftverholfen,umihnauchspäterzuleiten;derFlötenbläserabermachte ihneneinenStrichdurchdieRechnung. Ihrwißt,daßerinseinemletztenWillendieKleopatra,seinliebstesKind,zurNachfolgerinernannte,dochsollte ihrBruderDionysusalsihrGemahldenThronmitihrteilen.DasbereitetevielAergernisinRom,obgleichesjaeinemaltenGebrauche des Ptolemäerhauses und derAegypterentspricht.Der Flötenbläser starb. Kleopatra wurde Königin undzugleichdieGemahlineineszehnjährigenGatten,fürdensienichteinmaldasnatürlicheGeschenkschwesterlicherZärtlichkeit bereit hielt.Doch sie heiratete zugleichmitdemeigenwilligenKinde,demseineBeratereingeschärfthatten, ihm allein gebühre die Herrschaft, die früherenRegentendesLandes.Sobeganndenn für sie eine bittereZeit. IhrLebenwareinfortgesetzterKampfgegendieverruchtenRänke,vondenen die schlimmsten ihrer Schwester den Ursprung

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verdankten. Arsinoë hatte sich mit einem eigenenHofstaat umgeben, dem der Eunuch Ganymedesvorstand,einerfahrenerFeldhauptmannundzugleicheinkluger,ihrganzergebenerBerater.ErwußtesieauchdemPothinus und den anderen Lenkern des Staates nahe zubringen, und so einigte endlich alles, was in denKönigspalästen zu gebieten hatte, das eine Bestreben,KleopatravomThronezudrängen.Pothinus,Theodotusund Achillas haßten sie, weil sie auch ihre Fehlerdurchschaute und sie die Ueberlegenheit ihres Geistesempfinden ließ. Es wäre auch ihren vereintenAnstrengungenfrühergelungen,sichihrerzuentledigen,wenndieAlexandrinerundanihrerSpitzedieEpheben,aufdieichnochimmereinigenEinflußübte,nichtsofestzu ihr gestanden hätten. Was sich ›Jüngling‹ nannte,glühtefürsie,undauchunterdenmakedonischenEdlenin der Leibwachewären diemeisten für sie in den Todgegangen,obgleichsiesiegezwungenhatte,hoffnungsloszuihraufzuschauenwiezueinerunnahbarenGöttin.Als ihr Vater dieAugen schloß, war sie siebzehn Jahrealt; dochwie einMannwußte sie sichderDränger undFeindezuerwehren.MeineSchwesterCharmion,diesiebestimmthatte,inihrenDienstzutreten,standihrdabeitreu zur Seite. Das Mädchen war damals schön undliebenswert, und es fehlte ihr nicht anBewerbern; dochderZauberderKöniginhieltsiefestwiemitKettenundBanden.FreiwilligentsagtesiederLiebezueinemedlen

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Manne—Duweißtja,eswarDeinspätererGatte,FrauBerenike— um die königliche Freundin nicht in einerZeit zu verlassen, in der sie ihrer bedurfte. MeineSchwester verschloß seitdem der Liebe das Herz. Esgehört der Kleopatra, Für sie allein lebt sie, denkt sie,sorgt sie bis heute. Dir, Barine, ist sie gut, weil ihrLeonax,DeinVater,sowertwar.Iras,diesooftnebenihrgenanntwird, ist dieTochtermeiner ältestenSchwester,die schon verheiratet war, als der König demVater diePrinzessinnen vertraute. Sie ist zwölf Jahre jünger alsKleopatra, doch auch ihr geht dieHerrin über alles. IhrVater,derreicheKrates,botallesauf,umsieabzuhalten,indenDienstderKöniginzutreten,abervergebens.EineeinzigeUnterredungmitderwunderbarenFrauhatte sieaufimmeransiegefesselt.Doch ichmußkurzsein! Ihrhörtetwohl,wieKleopatradenSohndesPompejusbeiseinemBesucheAlexandriassowarmfürsicheinnahm.SeitderBegegnungmitdemAntonius hatte sie sich keinem Manne so huldreicherwiesen, und es war nicht aus Neigung, sondern zumbesten der Selbständigkeit des Vaterlandes geschehen,das sie liebte. Der Vater des Gnejus war damals dermächtigste Mann, und die Staatskunst gebot ihr, ihndurch den Sohn zu gewinnen. Der junge Römer nahmdennauch,›vollvonihr‹,wiedieAegyptersagen,vonihrAbschied.Das freutesie;dochdieserBesuchkam ihrenFeindenmächtigzugute.EsgabkeineVerleumdung,die

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nichtgegensieausgestreutwordenwäre.DieFührerderLeibwachen, denen sie nur als stolze Königin begegnetwar, hatten siemit demSohne des Pompejus verkehrensehen wie mit einem ihr gleichstehenden Freunde; imTheater und bei manchem andern Anlaß wurden dieAlexandrinerZeugen,wie sie seinWohlgefallenmitdergleichen Münze bezahlte. Aber der Haß gegen Romschlug damals hohe Wogen. Die Regenten streuten imBunde mit der Arsinoë aus, Kleopatra wolle Aegyptendem Pompejus ausliefern, wenn der Senat ihr diealleinigeHerrschaftüberdieneueProvinzzusichereundihr freie Hand lasse, sich des königlichen Bruders undGemahlszuentledigen.Sie mußte fliehen und begab sich zunächst an diesyrische Grenze, um Freunde unter den asiatischenFürsten für ihre Sache zu gewinnen. Mir und meinemBruder Straton — Du, Berenike, kanntest ja denherrlichen Jüngling, der zu Olympia den Kranz beimRingkampfe gewann—war der Auftrag geworden, ihrden Schatz nachzuführen. Wohl setzten wir uns einergroßen Gefahr aus, doch wir thaten es freudig undverließen Alexandria mit einigen Kamelen, einemOchsenwagenundmehrerenvertrautenSklaven.BisnachGaza sollte es gehen,wo sie schon einHeer zuwerbenbegann.Wir hatten uns beide als nabatäischeKaufleuteverkleidet,unddieSprachenkamenmirjetztzugute,dieich, um nicht hinter der Kleopatra zurückzubleiben,

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erlernt.Es war eine bewegte Zeit. Die Namen Pompejus undCäsar waren in aller Munde. Nach der Niederlage beiDyrrhachiumschiendieSachedesJuliersverloren,aberdiePharsalischeSchlachtgabihmwiederdasHeftindieHand,wennsichderOstennichtfürdenPompejuserhob.BeideschienenLieblingedesGlückes.WemesfesterdieTreuehaltenwerde,warjetztdieFrage.MeineSchwesterCharmionbegleitetedieKönigin;dochdurcheine ihrergebeneFrauderArsinoëhattenwirausdem Palast erfahren, das Geschick des Pompejus seientschieden. Er kam als Flüchtling nach derNiederlagevonPharsalusundersuchtedenKönigvonAegypten—dasheißtdiefürihnregierendenMänner—umgastlicheAufnahme. Vor einer größeren Verlegenheit hattenPothinus und seineGenossen selten gestanden.Truppenund Schiffe des siegreichenCäsar standen in derNähe;viele Vertreter des Gabinius dienten im ägyptischenHeere. Empfing man den geschlagenen Pompejusfreundlich, so machte man sich den Sieger Cäsar zumFeinde.IchsollteZeugederschrecklichenLösungdiesesDilemmas werden. Das verruchte Wort des Theodotus:›Tote Hunde beißen nicht mehr‹, hatte den Ausschlaggegeben.Mein Bruder und ich waren mit unserem kostbarenFrachtgutebiszumBergeCasiusgelangtundhattendie

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Zelte aufgeschlagen, um dort einen Boten zu erwarten,als eine große Schar von bewaffnetenKriegern von derStadt her herankam. Erst fürchteten wir, wir würdenverfolgt; doch ein Späher berichtete, der König selbstbefinde sich unter den Soldaten, und zu gleicher Zeitnäherte sich von der Küste her ein großes römischesAdmiralschiff.EskonntenurdasdesPompejussein.Sohatte man doch die Meinung geändert, und der Königkam, um den Gast selbst zu empfangen. Die Truppenlagerten sich auf dem flachenUfer, das derTempel descasischenAmonüberragte.DieSeptembersonneschienhellundspiegeltesichindenWaffen.Von der hohenWand des trockenen Flußbettes,indemwirdasZeltaufgeschlagenhatten, sahenwireinblutrotesEtwassichaufundniederbewegen.EswarderPurpurmanteldesKönigs.DieWellenplätscherten leise,vom Herbstwind bewegt, blau wie Cyanen über dengelbenDünensandhin;derKönigaberbliebstehen.Mitder Hand über dem Auge schaute er nach demAdmiralschiffehin.Achillas,derHeerführer,undmitihmder Tribun Septimius, der zu den römischenBesatzungstruppen in Alexandria gehörte und von demichwußte, daß er unter demPompejusgedient und ihmmancherlei zu danken habe, waren indes in ein Bootgestiegen und fuhren auf das Schiff zu, dem das flacheMeerdieLandunguntersagte.

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Nun begann die Verhandlung, und das Gastgebot desAchillas muß recht warm und Vertrauen erweckendgeklungen haben; denn eine hohe Frau — es warCornelia,dieGemahlindesImperators—winkteihmzu,umihmzudanken.«HierstocktederErzähler,holtetiefAtemundpreßtedieHandandieStirn,alserfortfuhr:»Was nun kommt ... Daß es mir bestimmt war, dasSchrecklichealsZuschauermitzuerleben!Wieoftistesfalsch dargestelltworden, und es ging doch so grausameinfachdabeiher!Das Glück macht seine Lieblinge vertrauensvoll. AuchPompejuswar es.DerFünfziger—es fehlten ihmbloßzwei Jahre zu sechzig—war schnell genug imKahne.Nur einFreigelassenerhalf ihmeinwenig.EinMatrose—eswar einSchwarzer— stieß denNachen von demgroßen Schiffskörper ab, so heftig, als sei die Stange,womiteresthat,einSpeerunddasFahrzeugseinFeind.Er strauchelte, weil die Ruderschläge seiner GenossendenKahnschonvorwärtstrieben,unddabeifielihmdiebrauneKappevomWollhaar.Es istmir, als sähe ich eswiedervormir.Bevorichrechtausgedacht,dasseikeinfreundlichesOmen,hieltschondasBoot.DasWasser war flach. Ich sah, wie Achillas aufs Landwies.MiteinemSprungewareszuerreichen.PompejusschautezudemKönigehinüber.DerFreigelassene legte

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ihmdieHandunterdenArm,umihmbeimAufstehenzuhelfen. Septimus erhob sich. Er wollte ihn wohlunterstützen. Aber nein! Was ist das? Neben demsilbergrauenHaaredesImperatorsblitztesblendendaufimSonnenlicht,alsseieinFunkevomHimmelgefallen.Will Pompejus ihm wehren, oder warum hebt er dieHand?SiehatdieTogaaufgehoben,underbedecktmitihr lautlos das Antlitz. Der Tribun schwingt den Armnoch einmal hoch auf. Und dann—welcherWirrwarr!Hier — da — dort — jäh auffahrende Hände, neuesFlimmerninderhellenLuft.Achillas,derFeldherr,stößtsosicherzumitdemDolche,alsseierimMordengeübt.Der schwere Körper des Imperators bricht zusammen.DerFreigelassenestütztihn.Und nun erhebt sich hier eine wütende, dort eineklagende Stimme, und, alle laut übertönend, derschmerzliche Jammerruf einer Frau. Er kommt vomSchiffeher,vondenLippenCornelias,derGemahlindesGemordeten. Dann Beifallsrufe aus dem Lager desKönigs, Trompetensignale: die Aegypter ziehen ab. DazeigtsichwiederdermohnroteMantel.IhmentgegentrittSeptimiusmit einem blutendenHaupte in derHand. Erhebteshoch.DerköniglicheKnabeschautdemOpferindiegebrochenenAugen,diesomancheFeldschlacht,dieRom, die zweiWeltteile gelenkt.DieserAnblick ist fürdasKindaufdemThronedochwohlzugewaltig;denneswendet sich ab. Das Schiff entfernt sich vomUfer; die

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Aegypter ordnen sich und brechen auf.Achillas säubertdie blutigen Hände imWasser des Meeres. Neben ihmwäschtderFreigelassenediekopfloseLeichedesHerrn.DerFeldherrzucktdieAchseln,alsder treueMann ihmichweißnichtwaszuruft.«HierstockteArchibiusundholtetiefAtem.Dannfuhrergelassenerfort:»AchillasführtedasHeernichtnachAlexandriazurück,sonderngenOsten,nachPelusium,wieichspätererfuhr.Der Bruder und ich standen auf dem felsigenSchluchtrand.Esdauerte lange, bis einerdas ersteWortfand. Eine Staubwolke entzog den König und dieLeibwache den Blicken, das Segel des Admiralschiffesverschwand. Es wurde dunkel, und Straton zeigte nachWesten, nachAlexandria hin. Da ging die Sonne unter.Rot, rot!Eswar,alsergießesicheinBlutstromüberdieStadt.Die Nacht brach herein. Ein elendes Feuer brannte amUfer. Woher kam das Holz in die Wüste? Wie war esentzündetworden?DichtanderStelledesMordeshatteein zerbrochener Nachen gelegen. Er war von demFreigelassenen und seinem Gefährten zerschlagenworden.Mit dürremGestrüpp, den zerrissenenKleiderndesGemordetenundtrockenemSeetangspeistensiedasFeuer. Jetzt schlugen Flammen auf. Ein Körper wardbehutsam auf den elendesten der Scheiterhaufen gelegt.

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Es war der des großen Pompejus. Ein Veteran desImperatorshalfdemtreuenDiener.«Hier ließ sich Archibius wieder in das Polsterzurücksinkenundfügteerklärendhinzu:»Cordus, Servius Cordus hieß der Mann. Es ist ihmspäter wohl ergangen. Die Königin sorgte dafür. Dieanderen? Sie alle ereilte bald genug das Schicksal.DenTheodotusverurteilteBrutus später zu einemqualvollenTode.WährendseinerlautenWehklagenriefeinVeterandes Pompejus ihm zu: ›Tote Hunde beißen nicht mehr,dochsieheulenbeimSterben.‹EswardesCäsarwürdig,daßersichvollerAbscheuvondemHauptedesGegnersabwandte,alsTheodotusesihmüberbrachte.AuchPothinuswartetevergeblichaufLohnfürdieSchandthat.JuliusCäsarwarbaldnachderHeimkehrdesKönigs inAlexandriavorAnkergegangen.ErstinAegyptenerfuhrer,wiemandortdenPompejusempfangen.Ihrwißt,daßerneunMonatehier verweilte.Wieoft hörte ich sagen,Kleopatra habe es verstanden, ihn so lange hier zufesseln.Wahr,undauchnichtwahr.EinhalbesJahrlangwar er zu bleiben gezwungen. Die folgenden dreiMonate,siefreilichschenkteerderGeliebten.Ja, das Herz des vierundfünfzigjährigen Mannes hattesichnocheinmaleinergroßenLeidenschaftgeöffnet.Wiealle Wunden, so sind auch die vom Pfeile des Eros

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schwerer heilbar, wenn die Jugend hinter demGetroffenenliegt.EswarenauchnichtnurdieAugenundSinne,diediesanAltersoverschiedenePaarzueinanderhinzogen,sondernweitmehrdieinnereEigentümlichkeitbeider. Zwei geflügelte Geister waren hier einanderbegegnet. Der Genius des einen hatte den des andernerkannt. Die höchste Mannheit war der vollendetenWeiblichkeit begegnet. Sie mußten einander anziehen.Ich sah es voraus; denn längst hatte Kleopatra atemlosgespanntdenFlugdiesesAdlersverfolgt,derdieanderenund auch den, dem sie schon als Kind sehnsüchtignachgeschaut hatte, so hoch überflog, und siewar starkgenug,sichihmzurSeitezuhalten.Wirwaren glücklich zuKleopatra gestoßen und hörten,wie Cäsar im Palaste der Ptolemäer sich trotz derFeindseligkeitunsererBürgerschaftniedergelassenundesin die Hand genommen habe, Ordnung in Aegypten zuschaffen.Wir wußten, in welchem Sinne Pothinus. Achillas,Arsinoë auf ihn einzuwirken suchen würden. WasKleopatra angeht, so beunruhigte sie mit Recht dieBesorgnis, ihreFeindekönntenAegyptenbedingungslosan Rom ausliefern, wenn Cäsar ihnen die Zügel derRegierunginderHandließundsievonihrausschloß.SiehatteGrund,dieszubefürchten,aberauchdenMut, fürdieeigeneSachedieeigenePersoneinzusetzen.

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Esgaltnun,sieindieStadt,indenPalast,inVerbindungmit demDiktator zu bringen.Mein Bruder Straton undichleistetenihrBeistand.DieKindererzählensichjadasAbenteuervondemstarkenManne,derdieKleopatraineinemSackdurchdiePalastpfortetrug.EinSackwaresfreilich nicht, der sie den Blicken entzog, sondern einsyrischer Teppich. Der starke Mann ist mein BruderStraton gewesen. Ich schritt voran und sorgte für freieBahn.Julius Cäsar und sie sahen und fanden einander. DasSchicksal zog nur den Schluß, der sich aus dengegebenen Vordersätzen ergab. Glückseliger, höhergehoben an Geist und Herz sah ich Kleopatra niemals,unddochwarsieringsvonschwerenGefahrenumdroht,bedurfteesdesganzenFeldherrngeniesdesCäsar,umdiewilde Gegnerschaft zu besiegen, die er hier fand. Sie,nicht der Zauber Kleopatras hielt ihn zunächst, ichwiederholees,hierfest.Washätteihngehindert,—wieer es später ja auch that — die Geliebte sichnachzuziehen nach Rom, wenn es ihm schon damalsmöglich gewesenwäre? Doch dies warmit nichten derFall.DieAlexandrinersorgtendafür.Er hatte das Testament des Flötenbläsers anerkannt, jadem ägyptischen Königshause mehr bewilligt, als esjenemmöglichgewesenwäre.Kleopatraund ihrBruderundGemahl Dionysus sollten die Herrschaft teilen, der

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Arsinoë und dem jüngsten Bruder verlieh er dazu nochCypern, das ihrem Oheim Ptolemäus von der Republikselbst geraubt worden war. Rom sollte natürlich derVormundderGeschwisterbleiben.Diese Verordnung enthielt Unerträgliches für Pothinusund die früheren Lenker des Staates. Kleopatra alsKönigin, und Rom, das hieß Cäsar, der Diktator, ihrFreund,derVormund,darinlagihreEntkleidungvonderMacht,ihreVernichtung,undsiewehrtensichkräftig.Die Aegypter und auch die Alexandriner standen aufihrerSeite,derjungeKönigtrugnichtsschwereralsdasJoch der ihm überlegenen ungeliebten Schwester. Cäsarwarmit einer Streitmacht gekommen, die der ihren beiweitem nicht gleichkam, und vielleichtwar esmöglich,den Gewaltigen hier zu Falle zu bringen. Und siekämpften mit dem Aufgebot aller Kräfte, mit soleidenschaftlicherHingabe,daßdemDiktatordieGefahrzu unterliegen nie näher gewesen war. Aber Kleopatralähmte wahrlich nicht seine Kraft und besonneneUmsicht.Nein!Niewarergrößer,niebewährtesichdieMacht seinesGenius so herrlich!—Und gegenwelcheUebermacht,welchenHaßhatteerzukämpfen!IchwarZeuge, wie der junge König, als er hörte, es sei derKleopatra gelungen, in den Palast zu dringen und denCäsarzusehen,sichwiebesessenvorWutaufdieStraßestürzte,sichdasDiademvomHaupteriß,esaufsPflaster

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schleuderte und den Vorübergehenden zurief, er seiverraten, bis die Soldaten des Cäsar ihn in den PalastzurückdrängtenunddenAuflaufzersprengten.Arsinoë hatte mehr empfangen, als sie erwarten durfte;siewar aberwiederumdie am tiefstenGekränkte.NachCäsars Einzug in den Palast hatte sie ihn als Königinempfangen und alles von ihm gehofft. Da war dieverhaßte Schwester gekommen, und wie schon so oftwurdesieumKleopatraswillenvergessen.Das war zu viel, und mit dem Eunuchen Ganymedes,ihrem Vertrauten, ich sagte es schon, einem tüchtigenKrieger, entwich sie aus dem Palaste und trat zu denFeindendesDiktatorsüber.DagabesharteKämpfezuWasserundzuLande,indenStraßen der Stadt, um das vom Feinde abgegrabenetrinkbareWasser,gegendieFeuersbrunst, die einenTeildes Bruchiums und auch die Bibliothek des Museumszerstörte. Aber halb verdurstend, mit genauer Not demErtrinken entkommen, auf allen Seiten von grimmemHasse bedroht, stand er fest und blieb Sieger auch inoffener Feldschlacht, nachdem der jungeKönig sich andieSpitzederAegyptergestelltundeinHeergesammelthatte.Ihrwißt,daßderKnabeaufderFluchtertrank.InKampfundTodesgefahr,unterBlutundWaffengeklirrverrann dem Cäsar und der Kleopatra ein halbes Jahr,

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bevoresihnenvergönntwar,dieFruchtdergemeinsamenArbeit zu pflücken. Nun erhob der Diktator sie zurKöniginvonAegyptenundgabihrdenjüngstenBruder,ein Knäblein, nicht halb so alt wie sie selbst, zumMitregenten. Der Arsinoë schenkte er das verwirkteLeben,dochschickteersienachItalien.DemSiegefolgtederFriede.JetztallerdingshättenernstePflichten den Staatsmann nach Rom zurückführenmüssen;docherbliebnochdreivolleMonde.Wer das Leben des ehrgeizigen Juliers kennt undweiß,was diese Versäumnis ihn hätte kosten können, derschlägt sichmit derHand an die Stirn und fragt: Ist eswahr undmöglich, daß er diese kostbare Zeit benutzte,ummitderGeliebteneineNilfahrtzuunternehmenbiszuder Insel der Isis, die der Herrin so lieb ist, an deräußersten Südgrenze des Landes? Doch so ist esgeschehen,undichselbstgehörteindemzweitenSchiffezu ihren Begleitern und sah sie nicht nur beisammen,sondern teilte mehr als einmal ihr Mahl und ihreUnterhaltung.DaswareinGebenundNehmen,einEindringenundsichErheben,eineReihevonDisharmonien,diemangernmitanhörte, weil die Erfahrung lehrte, daß sie in derschönstenHarmonie ausklingenwürden.Dagabes eineFeiertagszeitfüralleSinne.«»Diese ganze Nilreise,« unterbrach ihn Barine, »ich

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denke sie mir wie die Märchenfahrt, als das seidenePurpursegel die Kleopatra dem Antonius auf demKydnosstromeentgegenführte.«»Nein, nein,« fiel ihr der anderemit einer abwehrendenGeberde ins Wort. »Das Erdenleben mit schnellverrauschendenGenüssensättigen,daslerntesieerstfürden Antonius. Cäsar verlangte mehr. Ihr Geist bot ihmdashöchsteGenügen.«Hierstockteer,bevorerfortfuhr:»Freilichfandsichauchdasnichtvonselbstzusammen,womit sie dem Antonius zu Gefallen jahrelang Tag fürTag mit neuem und immer neuem Reize alle Sinnesättigte.«»Und das,« rief die junge Frau, »das nahm dasselbeWesen auf sich, das in der Ruhe der Seele das höchsteGuterkannthatte!«»Dasselbe,«versetzteArchibiusnachdenklich.»Dochesmußte so kommen. Die Lust war das Lebensziel desheranwachsenden Mädchens gewesen. Bevor dieLeidenschaftinihrerwachte,wardieRuhederSeeledashöchsteGut,dassiekannte.AlsdieZeitkam,inderdiesesichalsunerreichbarfürsieerwies,bliebdochdasfestinihr eingewurzelte Verlangen nach Glückseligkeit in ihrmächtig.MeinVaterhätteihr,derkünftigenKönigin,dasGutealsdasGrundgesetzihresSeinsindieSeeleprägensollen. Er unterließ es, weil es ihm in seiner

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Zurückgezogenheit gelungen war, die Glückseligkeit zufinden,diederMeisterdenJüngernverheißt.VonAthennachKyrene, vonEpikur zuAristipp ist nur ein kleinerSchritt, und sie that ihn, als sievergaß, daßderMeisterweit entfernt ist, im Genuß der einzelnen Lust dashöchsteGutzuerkennen.DieGlückseligkeitdesEpikursollte der des Zeus nicht nachstehen, wenn er nurGerstenbrot undWasser hätte, umHunger undDurst zustillen.Dennoch hielt sie sich noch immer für seine Jüngerin,und als Antonius später im Partherkriege war und sielange allein blieb, begann sie wieder nachSchmerzlosigkeit und Seelenruhe zu ringen; doch derStaat, die Kinder, die Ehe des Antonius, der längst derIhregewordenwar,mitderOctavia,dieNotdeseigenenHerzens,Anubis,dieMagieunddieägyptischenLehrenvon dem Leben nach dem Tode, und allem voran derbrennendeEhrgeiz, dernie schlummerndeTrieb,geliebtzuwerden,wo sie selbst liebte, und die erste unter denerstenzusein...«Hier ward er von dem Boten unterbrochen, der ihmmeldete,dasSchiffstehebereit.

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SiebentesKapitel.

Archibius hatte sich so tief in die Vergangenheitversenkt,daßereinigerAugenblickebedurfte,umsichindie Gegenwart zurück zu versetzen. Als es geschehenwar,verabredeteerschnellmitdenFrauen,wannsiezumAufbruchefertigseinsollten.FrauBerenikewardesschwer,denüberfahrenenBruderjetztschoninderStadtzurückzulassen;BarinehättedenDion vor der Abreise so gern wiedergesehen. Beidenerschienesauchschwer,Alexandriazuverlassen,bevorentscheidende Nachrichten vom Heere und der Flotteeingetroffen seien. Sie erbaten sich darum einige TageAufschub;Archibiusaberschnitt ihnendasWortabundforderte mit einer Entschiedenheit, die denliebenswürdigen Freund in einen strengen Gebieterverwandelte, sie hätten sich bis zum Sonnenuntergangdes folgenden Tages zur Abfahrt bereit zu halten. SeinNilboot werde sie am Agathodämonhafen immareotischenSeeerwartenundseinReisewagensiemitso viel Gepäck und Sklavinnen, wie sie mitnehmenwollten,dahinführen.DanngaberderStimmeeinemildereFärbung,erinnertedieFrauenkurzandieschwerenMißhelligkeiten,deneneinlängeresVerweilensieaussetzenwerde,entschuldigteseineHärtemit derEile, in der er sich befinde, drückte

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derMutterundTochterdieHandundentferntesich,ohneBanneszuachten,dieihnzurückriefunddochnichtsimSinne haben konnte, als ihn um längeren Aufschub zubitten.DerWagenführteihnschnellandengroßenHafen.Der zunehmendeMond spiegelte sich als silberneSäuleschwankend und zitternd in dem stark bewegtenGewässer und erhellte die laue Herbstnacht. DraußenmochtedieSeehochgehen.MansahesanderBewegungderSchiffe,dieindemWinkelvorAnkerlagen,dendasUfer vor dem Prachtbau des Poseidontempels mit demChomabildete.DaswareineLandzunge,diesichwieeinFingerindieSeehinausstreckteundanderenSpitzeeinkleiner Palast stand, den Kleopatra, von einemhingeworfenenWorte desAntonius dazu angeregt, hatteerbauenlassen,umihndamitzuüberraschen.Ein anderer von weißem Marmor schimmerte von derInselAntirrhodusausimMondscheinederAbfahrtsstelleentgegen, und in weiterer Ferne erhellte ihr geradegegenüber ein hochloderndes Feuer die Nacht. SeineFlammen flackerten auf der Höhe des berühmtenLeuchtturms auf der Insel Pharus am Eingange desHafensvomWindebewegthinundherundsättigtendenHorizont und den äußersten Saum des im nächtigenDunkel ruhenden Hafenwassers mit bewegtenLichtmassen,diebaldschwächer,baldstärkerdiefinstere

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Ferneerhellten.AmHafenwareslebendig, trotzderspätenStunde,undobgleich derWind denMännern denMantel oft genugüberdasHauptwehteunddieFrauendieGewänderfestzuhaltenhatten.DerVerkehrruhtezwarindieserspätenStunde; doch es waren viele zum Hafen gegangen, umeineNachricht zuerhaschen,odergarvor allenanderendas erste heimkehrende Schiff der siegreichen Flotte zubegrüßen; denn daß Antonius den Octavian in einergroßenSchlachtgeschlagenhabe,galtfürgewiß.Sicherheitswächter beobachteten denHafen, und soebenzogeinVexillsyrischerReitervonderKaserneimSüdenderLochiasausdemPoseidontempelentgegen.Hier, nicht in dem Hafen des Eunostus, der von demandern durch den breiten brückenartigen Damm desHeptastadiums getrennt war, der das Festland mit derInsel Pharus verband, gingen die Königsschiffe vorAnker. In seiner Nähe standen die Königspaläste undArsenale,undhierhermußtedarum jedeneueNachrichtzuerstgelangen.DerandereHafenwardemHandelgewidmet;dochhatteman neu ankommenden Schiffen in ihn einzufahrenverboten, um die Einschleppung falscher Gerüchte zuverhüten.Freilichdurfteman jetzt auchbeimgroßenHafenkaumerwarten,eineneueNachrichtzufinden;denneineKette,

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dievonderSpitzedesPharusbiszueinerihmgegenüberliegendenKlippe amAlveus steganus reichte, verschloßseine schmale Oeffnung. Doch sie konnte, wenn einStaatsschiff mit wichtiger Botschaft eintraf, gelüstetwerden, und das erwarteten die Nachtschwärmer amUfer.Wohl kamen manche von Gastmählern, Garküchen,Schenken oder den nächtlichen Zusammenkünftenmagischer Sekten, doch schien ihnen der Druck einerbangenErwartungdiefroheRegsamkeitzuhemmen,undwohin Archibius schaute, gewahrte er gespannte, bangerregteZüge.DerWindzwangauchvieledasHaupt zusenken, und wohin man blickte, flatterten Fahnen undStaubwolken,dieUnruhesteigernd,inderLuft.AlsdasSchiffabstießunddieFlötedieRudersklavenzurArbeit rief, fühlte sich seinBesitzer sobeklommen,daßer nicht einmal zu hoffen wagte, einer guten Kundeentgegenzufahren.DurchseineErzählungwarenlängstentschwundeneTagegleichsamaus demGrabe erwecktworden, undmancheScene aus der Vergangenheit zog ihm, während er vondenHerrenpolsternaufdemHinterdeckausgenHimmelschaute,andemdunkles,schnelldahinsegelndesGewölkdieSternebaldverschleierte,balddenBlickenpreisgab,vordeminnerenAugevorüber.»Wasman doch allesmitWorten verbergen kann, ohne

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sicheinerLügeschuldigzumachen,«dachteer,währender sich vergegenwärtigte, was er den Frauen zu hörengegeben.Ja,erwarschon frühderVertrauteKleopatrasgewesen;aber wie hatte er sie geliebt, wie war er ihr schon alsKnabe mit Leib und Seele unterthänig gewesen! Siemußte es nicht nur ahnen; er hatte es ihr gezeigt undbekannt.Undsie...WieeinihrzukommendesRechtwares von ihr hingenommen worden. Seinen einzigenVersuch, sie im Ueberschwang der Zärtlichkeit in dieArme zu schließen, mit unwilligem Stolz hatte sie ihnzurückgewiesen; aber ihr seine Liebe zu zeigen, ist einVergehen,dasdieHöchstedemNiedrigstenvergibt;undschonnachwenigenStundenwarKleopatraihmmitderaltenwarmenVertraulichkeitentgegengekommen.Jetzt traten ihm die Qualen wieder in den Sinn, die ererduldet, als er mit ansehen mußte, wie sie sich derLeidenschaft gefangen gab, die sie zu dem Antoniushinzog. Der Römer war ja damals nur wie ein schnellkommendes und schwindendesMeteor durch ihr Lebengestrichen; doch mancherlei hatte verraten, daß sie ihnnichtvergaß,undwährendArchibius ihreLiebezudemgroßen Cäsar schmerzlos hatte keimen und auswachsensehen, war die peinigende Eifersuchtsempfindung inseinem nicht mehr ganz jungen Herzen von neuemerwacht, als sie zu Tarsus am Kydnosstrome den

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LiebesbundmitdemAntoniusgeschlossen,dersienochanihnfesselte.Jetzt war ihm das Haar ergraut, und wenn nichts dieFreundschafthattetrübenkönnen,dieerfürdieKöniginempfand,wennerauchjederzeitbereitgewesenwar,ihrzudienen,dies thörichteGefühlhatte sichnichtbannenlassen und bemächtigte sich wieder und wieder seinesganzenWesens.Er verkannte dieVorzüge desAntoniusmit nichten, aber wie hoch sah er die Schwächen sieüberbieten! Alles in allem war es ihm, wenn er diesesPaaresgedachte,wiedemKunstfreunde,derdasedelsteKleinod aus seiner Sammlung einem Reichen überläßt,derseinenwahrenWertnichtzuschätzenweißundesamunrechtenPlatzeausstellt.Dennochwünschte er demRömer denglänzendsten derSiege;dennseineNiederlagewäreauchdiederKleopatragewesen, und was aus einer solchen erwachsen mußte,würdesieesertragen?DasSchiffnäherte sichdemflackerndenLichtkreiseamFußedesPharus, und ebenholteArchibius dasZeichenhervor,dasdasLüftenderKettebewirkensollte,alsihmseinNamedurchdieStillederNachtentgegenscholl.EswarDion,derihnvoneinemderBooteaus,dieinderNähe der Hafenöffnung von den eindringenden Wogender bewegten See auf und nieder geschleudert wurden,anrief. Er hatte den Schnellsegler des Archibius an der

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BüstedesEpikurerkannt,dievondemLichtederLaterneamSchnabelbestrahltwurde.KleopatrahattedasSchiffmitihrschmückenlassen,dasnachihrerAngabefürdenFreundgebautwordenwar.Dionwünschtesichjetztmitihmzuverbinden,undbaldstandernebenihmaufdemDecke.Er war auf der Insel Pharus gelandet und in eineMatrosenschenke getreten, um dort Umfrage zu halten.NiemandhatteindesetwasSichereszuberichtengewußt;denn der Wind kam immer noch vom Lande undgestattete größeren Fahrzeugen nur, sich mit Hilfe derRuderderägyptischenKüstezunähern.Erstvorkurzemwar dieBrise vonSüden nachSüdosten umgesprungen,und ein erfahrener rhodischer Steuermann wollte »niewiedereinenBecherWeinzumMundeführen,«wennesnicht morgen oder übermorgen von Norden her wehe.DannkönntenSchiffeundNachrichtendutzendweiseaufeinmalnachAlexandriakommen;—dasheißt,fügtederGraubartmiteinemherausforderndenBlickaufdenfeingekleideten Stadtherrn hinzu, wenn man sie an demPharus vorbei oder durch das Poseidonbecken in denEunostuslasse.BeiSonnenunterganghabeerschonSegelam Horizonte zu sehen gemeint, doch der schnellstePhokäer werde zum Igel, wenn der Wind ihm auf denBauchblaseundihmsogardieRuderfüßehemme.Auch andere wollten Segel gesehen haben, und Dion

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wäre gern in die offene See gefahren, um sieaufzusuchen, aber er war ganz allein auf einemgebrechlichenMietsboote gewesen, und auch dies hättemannichtausdemHafengelassen.Die Vermutung, es werde dem Archibius jede Straßeoffenstehen,hatteihnnichtbetrogen,undbaldwurdedieSchutzkette für denEpikur beiseite gezogen.Mit vollenSegeln durchschnitt er, von der scharfen Südostbrisegetrieben,diehochgehendeFlut.Baldwurde einmattes, schwankendes Licht imNordensichtbar. Es konnte nur ein Schiff sein, und obwohl derSteuermann in der Schenke zu Pharus, der selbstausgesehen hatte, als habe er nicht immer friedlicheHandelsschiffe geführt, von Fahrzeugen geredet, diedenjenigen,diesieeinfingen,nichtsschenkten,fürchtetensich doch die Männer auf dem wohl ausgerüsteten,stattlichen Epikur nicht vor Piraten, zumal der Morgennahewarunder,ebenanzweischwerenKriegsschiffen,diederRegentausgesandthatte,vorbeigeschossenwar.DerscharfeWindschwelltejedesSegel;dasRudernwärevergeblicheMühegewesen,unddasLichtvorihmschienihmentgegenzukommen.Schon begann ein blasser Schimmer den fernstenOstenzu erhellen, als der Epikur dem Fahrzeuge mit demLichte nahe kam; dies aber schien dem Alexandrinerausweichen zu wollen und wendete sich plötzlich nach

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Nordosten.ArchibiushieltnunRatmitDion,obes sich lohne,denFlüchtlingzuverfolgen.EswareinkleinesFahrzeug,dassich, als sich die dunklen Wolkenmassen mit goldenenRändernverbrämten,näher insAugefassenließundeincilicisches Seeräuberschiff der kleinsten Art zu seinschien.Wie es auch um seine Besatzung bestellt war, dieerprobte undvollständigeBemannungdes viel größerenEpikur,aufdemesankeinemVerteidigungsmittelfehlte,hatte sich nicht vor ihm zu fürchten, zumal derSchiffsführeraufderFlottedesSextusPompejusgedienthatte und auf das Deck manches Seeräuberschiffesgestürmtwar.Archibius fand es thöricht, den Kampf ohne Not vomZaunezubrechen;DionaberwarinderStimmung,einerGefahr,wiesieauchheiße,zutrotzen.GingesaufLebenundTod—umsobesser!Er hatte den Freund in die Befürchtungen der Iraseingeweiht.Es mußte schlimm stehen um die Flotte, und hätte derkleineCiliciervorihnennichtszuverheimlichengehabt,sowäreerdemEpikurnichtausdemWegegegangen.Eslohntesich,zuerfahren,wasihnzumUmkehrendichtvordemHafenveranlaßthatte.Auch der kampflustige Schiffsführer war für die

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Verfolgung, und Archibius gab nach; denn dieUngewißheitwurdeihmimmerwenigererträglich.Auchdem Dion war die Seele belastet. Es wollte ihm nichtgelingen, das Bild der Barine zu bannen, und seitArchibius ihm erzählt hatte, daß er sie entschlossengefunden habe, ihr Haus in Zukunft den Gästen zuverschließen,undwiewilligsieseinerEinladungaufdasLandgefolgtsei,erhobsichwiederundwiederinihmdieFrage, was ihn denn noch hindert, die zurückgezogeneTochtereineshervorragendenKünstlers,dieerliebte,zuderSeinenzumachen.Archibius hatte geäußert, eswerdeBarine lieb sein, dienächstenFreundeundnatürlichauchihninderländlichenStillezubegrüßen.Daran zweifelte Dion mit nichten, doch ebenso wenig,daß diese Begrüßung ihn an sie fesseln und ihn derFreiheit,vielleichtaufimmer,beraubenwürde.Abergabes denn noch für den Alexandriner das hohe Gut derFreiheit, wenn die Römer über seine Stadt gebotenwieüberKarthago oderKorinth?WarKleopatra geschlagenund Aegypten eine römische Provinz, dann bot dieTeilnahmeandenGeschäftendesRates,derheutenoch»MakedonischeMänner« angeredetwurde, und die ihmliebwar,nichtsmehralsDemütigungen,dannkonnteervonihrkeineBefriedigungmehrerwarten.Wenn die Lanze eines Seeräubers dem unfreien Leben

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unter römischem Joche und diesem unwürdigen SehnenundSchwankeneinEndemachte—umsobesser!AndiesemHerbstmorgen,unterdiesemgrauenHimmel,vondemeinleichterNebel,allesbefeuchtend,herabsank,mit diesen Befürchtungen und Zweifeln im Herzen,gewahrte Dion an den gegenwärtigen und künftigenDingennichtsalsdieSchatten.DerEpikurhattedenFlüchtlingerreichtund sich seinerbemächtigt. Der schwacheWiderstand, den er geleistet,war ausgegebenworden, nachdemder Schiffsführer desArchibiushinübergerufenhatte,daßderEpikurnichtzuder königlichen Flotte gehöre und nur komme, umNachrichtenzuerhalten.DazogendieCilicierdieRuderein,ArchibiusundDionbestiegen das Schiff und nahmen den Befehlshaber inVerhör.Es war ein alter wettergebräunter Seemann, der dasSchweigen erst brach, nachdem er sich überzeugt hatte,wasdieVerfolgerbegehrten.Anfänglichversicherteer,erseianderpeloponnesischenKüste Zeuge eines großen Sieges der ägyptischen überdieFlottedesOctaviangewesen;dannaberverwickeltenihn die Fragen der Freunde in Widersprüche, und jetztgabervor,garnichtszuwissenundnurvoneinemSiegegeredet zu haben, um den alexandrinischen Herrengefälligzusein.

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NundurchsuchteDionmiteinigenLeutendesEpikurdasSchiff, und in dem kleinen Kajütenraume fanden sieeinen gefesselten und geknebeltenMann, den einer derSeeräuberbewachte.Es war ein Matrose vom Pontus, der nur die SpracheseinerHeimatredete.AusihmwarnichtsVerständlichesherauszubringen.WichtigeAndeutungenenthieltdagegeneine Briefrolle, die man in der Kajüte neben Kleidern,SchmucksachenundanderengeraubtenGegenständenineinerTruhegefunden.DieserBriefwar—DionwolltedeneigenenAugennichttrauen — an seinen Freund, den Baumeister Gorgias,gerichtet. Der Pirat hatte, weil er des Schreibensunkundig war. ihn nicht eröffnet; Dion aber rißungesäumt dasWachs des Siegels von der Schnur. DergriechischeRhetorAristokrates,derdemAntoniusindenKrieggefolgtwar,hatteihmausTaenarumimSüdendesPeloponnes geschrieben und ersuchte darin denArchitekten im Namen des Feldherrn, ungesäumt denkleinenPalastanderSpitzedesChomainstandzusetzenund ihn nach dem Hafen hin mit einer hohen Mauerabzuschließen.Eine Thür sei nicht nötig. Der Verkehr mit demHausekönne zu Wasser bewerkstelligt werden. Er solle allesdransetzen,umdieseArbeitschnellzuvollenden.ErstauntschautendieFreundesichan,währendsiediese

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Bestellungdurchflogen.WaskonntedenAntoniuszusolchemseltsamenBefehleveranlassen?WoherkamerindieHanddesPiraten?HiermußteKlarheitgeschafftwerden.Wenn Archibius, dessen mildes, vertrauenerweckendesWesen schnell für ihn gewann, in leidenschaftlicherErregung aufbrauste, verfehlte dieser unerwarteteUmschlag um so seltener die Wirkung, ein jebedrohlicheresAnsehendannseinehohe,schwereGestaltundseinederbenZügegewannen.AuchderSchiffsführersahmitbefangenerScheuzuihmhin, als der Alexandriner alles zurückzunehmen drohte,was er von Schonung und Gnade verheißen, wenn derPiratauchnurdasKleinsteverschweige,wasmitdiesemBriefe inZusammenhangstehe.DerSeeräubergewahrteauchbald,daßesvergebensseinwerde,falscheAussagenzumachen; denn der pontische Gefangene sprach zwarnichtgriechisch,erverstandaberdieseSprache,undjedeAussagedesandernbestätigteerentwedermit lebhaftenGeberden oder bezeichnete sie in der nämlichenWeisealsunwahr.Da kam denn zu Tage, daß die Barke des PiratenzusammenmitdemvielgrößerenSchiffeeinesGenosseninderNähevonKretaaufBeutegelauerthabe.Vondeneinander gegenüber stehenden Flotten hatten sie nochnichts gesehen oder gehört, als ihnen ein zierlicher

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Schnellsegler, »der schönsteund flinkste, der jedieSeebefahren« — es war wohl »die Schwalbe«, dasBotenschiff des Antonius gewesen — in den Wurfgekommensei.Ihneinzufangenwarleichtgewesen.DieSeeräuberschiffehattendieBeutegeteilt,derLöwenanteilanGutundMenschenaberwardemgrößerenSchiffezugutegekommen.Einem vornehmen Herrn — wohl dem Boten desAntonius — der eine schwere Wunde davongetragenhatte und seitdem gestorben und ins Meer geworfenwordenwar,hattederPirateineTaschemitBriefenundeinigemGeldabgenommen.Jenewarenbenütztworden,um das Herdfeuer zu entzünden, und nur der an denBaumeisterübriggeblieben.DiegefangenenMatrosenhattenausgesagt,dieFlottedesOctavianhabediederKleopatrageschlagen,dieKöniginsei aus der Schlacht geflohen, doch das Landheer nochunberührtundwerdevielleichtdenSiegfürdenAntoniusentscheiden.DerPiratversicherte,nichtzuwissen,woesstehe — vielleicht bei Taenarum, woher das erbeuteteSchiffkam.EsseiJammerundSchade,dochhabeseineeigeneBemannunges inBrandgesteckt,undvorseinenAugenseiesgesunken.Dieser Bericht schien wahr zu sein, doch dieakarnanische Küste, wo die Schlacht geliefert wordensein sollte, lag so weit von der südlichen Spitze des

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Peloponnesentfernt,woherderBriefdesAntoniuskam,daß er schon auf der Flucht geschrieben worden seinmußte.Eines schien sicher. Die Flotte war am zweiten oderdritten September geschlagen und völlig auseinandergetriebenworden.Womochte dieKönigin jetzt weilen?Wohinwaren diegroßen,prächtigenSchiffe,diesieindenKampfbegleitethatten,geraten?Auch der Gegenwind hätte sie so lange nichtzurückhalten können; denn sie waren ja reichlich mitRuderernbemannt.Hatte Octavian sich ihrer bemächtigt? Waren sieverbranntodergesunken?AberwiewäreAntoniusdannnachTaenarumgekommen?UeberdieseHerzundSinnerregendenFragenwußtederPirat keine Antwort zu erteilen. Warum hätte erverschweigen sollen, was ihm darüber zu Ohrengekommen?Archibius ließ endlich nur das auf dem Schiffe desAntoniusgeraubteGutsamtdembefreitenMatrosenaufden Epikur bringen; der Seeräuber aber mußte ihmschwören,dasWasserzwischenKretaundAlexandrianiemehr zu beunruhigen. Dann ließ er ihn unbehelligt dasWeitesuchen.Dies Abenteuer hatte lange Stunden in Anspruch

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genommen, und die Rückfahrt gegen den Wind ginglangsam; denn der Epikur war während der Verfolgungvon der kräftigen Brise weit in die offene Seehineingetrieben worden. Als ihn auf der Rückfahrt nurnoch wenige Meilen von der Hafenöffnung am Pharustrennten, hatte es sich indessen ergeben, daß derrhodischeSteuermann inderpharischenSchenke richtiggeweissagt; denn mit ungewöhnlicher Schnelligkeitwechselte das Wetter, und der Wind kam jetzt vonNorden.DieSeewimmeltevonSchiffen,dieteilszuderköniglichen Flotte gehörten, teils neugierigenAlexandrinern, die ausgesegelt waren, um Umschau zuhalten.Archibius und Dion hatten die Nacht, denMorgen undVormittag schlaflos verbracht. Die trübe, von einemdünnenSprühregendurchnäßteLuftwarkühlgeworden.NachdemsiesichdurcheinMahlgestärkt,wandeltensieaufdemVerdeckdesEpikuraufundnieder.SiesprachennurwenigundzogendieMänteldichteransich. Beide hatten dem feurigen Weine kräftigzugesprochen, an dem es auf dem Epikur nicht fehlte,aber er wollte sie nicht erwärmen. Das hätte auch dasFeuerimKaminemitdenhellbrennendenScheiteninderreichausgestattetenKajüteschwerlichbewirkt.Die Gedanken des Archibius weilten bei der geliebtenKönigin, und die lebhafte Einbildungskraft führte ihm

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alles vor die Seele, was ihr widerfahren sein konnte.NichtsMögliches, auch nicht das Schrecklichste wurdedabeivergessen,undwennersiemitdemSchiffesinkenund ihm, an den sie sich schon so lange in jederschwierigenLagewandte,dieschönenArmeumRettungflehendentgegenstreckensah,wennersiealsGefangenevordemihrfeindseligen,kaltherzigenOctavianerblickte,waresihm,alserstarreihmdasBlut.EndlichließerdenFilzmantel fahren und drückte, laut aufstöhnend, dieFaust an die Schläfe. Er hatte vor dem inneren Augeerblickt, wie sie mit goldenen Ketten an den zartenGelenken beim Triumphzuge des Siegers vor seinemViergespanne dahingeschritten war, und dabei dasJubelgeschreidesrömischenPöbelsvernommen.DaswäredasFurchtbarstevonallemgewesen!DasauszudenkenüberstiegdieKraftdestreuenMannes,und Dion wandte sich betroffen um, als er ihnaufschluchzen hörte und die Thränen sah, die ihm dasAntlitzbenetzten.Ihmselbstwar schwergenugumsHerz,docherwußte,wiewarmderältereFreundanderKöniginhing,undsolegteer ihmdenArmumdieSchulterundbat ihn, jeneRuhe der Seele und des Geistes zu bewahren, die erschon so oft an ihm bewundert. In den schwierigstenLagen habe er ihn über allen stehen sehen wie denFeuerschüreraufderSpitzedesPharusdortüberderwild

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bewegten See. Wenn er gelassen wie sonst dasGeschehene mit ihm überschaue, werde er zugebenmüssen, daßAntonius frei seinmüsse und in der Lage,überseineZukunftzuverfügen,daerdenPalastaufdemChoma herzurichten befehle. Was die Mauer solle,verstehe er nicht, aber vielleicht führe er einenhochgestellten Gefangenen mit sich, den er an demVerkehremitderStadtzuverhindernwünsche.Eskönnejasein,daßallesweitbesserstehe,alssiefürchteten,unddaßsienocheinmalüberdieseschwerenSorgenlächelnwürden.—AuchihmseidasHerzschwer,dennergönnederKönigindasBesteumihrerselbstwillenundweilmitihr und ihrem glücklichen Widerstande gegen dieBegehrlichkeitRomsdieFreiheitAlexandrias stehe undfalle.»Ihr,« schloß er, »gehörte bis jetzt meine Liebe undSorge, wie die Deine der Beherrscherin dieses Landes.DieWeltwirdmirverdunkelt,dasLebenmirnichtmehrlebenswert scheinen,wenndereherneFußRomsunsereSelbständigkeitundFreiheitzertritt.«Warm und treu gemeint hatte dies geklungen, undArchibius war ihm gern gefolgt. Der ruhig denkendeGeistbestätigteihm,daßnochnichtsgeschehensei,wasandasSchlimmstezuglaubenzwang,undwieesaufdenTrostbedürftigen oft tröstlich wirkt, einen andern zutrösten, so erleichterte es auch ihm das Herz, dem

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jüngerenFreundevorzustellen,daßselbst,wennOctavianSiegerbleibeundAegyptendieSelbständigkeitnehme,erkaum wagen werde, der Bürgerschaft Alexandrias diefreie Verfügung über die eigenen Angelegenheiten zuschmälern. Dann stellte er dem Dion vor, wie er, derjunge, entschlossene, unabhängige Mann, sich doppeltnützlich machen könne, wenn es über die gefährdeteFreiheitderStadtzuwachengelte,undwieSchönesdasLebenihmnochvorbehalte.Aus seiner Stimme war dem jüngern Freunde sorgendeLiebe entgegen geklungen. So hatte seit dem Tode desVatersniemandzuihmgeredet.Bald sollte der Epikur die Hafenöffnung erreichen, undnachderLandunggaltes, sichwiedervonArchibiuszutrennen.Es war für beide die entscheidende Stunde gekommen,dieernsteMänneroftfesterverbindetalseineReihevonfrüherenJahren.SiehatteneinanderdieHerzengeöffnet.—Nurdaseine,dasbeimAnblickdererstenHäuserderStadtdemDiondieSeelemitneuerUnruheerfüllte,hatteerinsichverschlossengehalten.Andere um Rat zu fragen war schon längst nicht mehrseine Sache. Von denen, die den seinen zu hörenverlangten,warenvieledankendvon ihmgegangen,umdas Gegenteil von dem zu thun, was er ihnen geraten,obgleich es ihnen zumBesten gediehenwäre.Mehr als

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einmalhatteeresauchselbstebensogehalten;jetztaberdrängteesihnmächtig,denArchibiuszumVertrautenzumachen.ErkannteBarineundwollteseinBestes.Esthatvielleicht auch gut, einem wohlmeinenden Zweiten zurMitprüfungvorzulegen,wasseinHerzsokräftigforderteunddererwägendeGeistihmauszuführenverbot.Mit einem schnellen Entschlusse wandte er sich darumnocheinmalandenFreundundsagte:»Du hastDichmirwie einVater erwiesen.Denke nun,ichseiwirklichDeinSohnundichwürdealssolcherDirbekennen,einWeibseimeinemHerzenteuergeworden,undDichfragen,obesDichfreuenwürde,siealsTochterzubegrüßen.«Da unterbrach ihn Archibius mit dem Rufe: »EinLichtblickinalldiesemDunkel!Hole,sobaldesangeht,nach,wasDuschonzulangeversäumtest!EsziemtdemBürger,einWeibzunehmen.ZumvollenMannewirdderGriecheerstinderEhealsHausherrundVater.Wennichalleinblieb,hattedasseinebesonderenGründe,undwieoftbeneideteichdenSchuster,denichmitdemKindeaufdemArmeamFeierabendvorderWerkstättestehensah,oderdenSteuermann,demsichbeiderHeimkehrgroßeund kleine Hände entgegenstreckten. Wenn ich meinHaus betrete, freuen sich nur meine Hunde. Aber Du,dem der schöne Palast leer steht, Du, von dem seinstolzes Geschlecht erwarten darf, daß er für seine

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Fortdauersorgt...«»Das eben ist es,« unterbrach ihn Dion, »was mich ineinenZwiespalt führt,dermeinerWeisesonst fremdist.DukennstmichundmeineStellungimLeben.—Auchder,dieichmeine,stehstDunahevonKindan.«»Iras?« frug der andere zaudernd. Seine SchwesterCharmion hatte ihm von der Neigung der jüngerenGenossinimDienstederKönigingesprochen.AberDionverneintedieslebhaftundfügtehinzu:»Barine, die Tochter Deines verstorbenen FreundesLeonax, ist’s,vonder ich rede. Ich liebesie;dochmeinStolzistempfindlich,undichweiß,erüberträgtsichmitauf meine künftige Gemahlin. Den scheelen Blick, denandereaufsiewerfenkönnten,würdeichverachten;dennich kenne ihrenWert. Du erinnerst Dich gewiß meinerMutter. Siewar anders als sie.DasHaus, ihrKind, dieSklaven,derWebstuhlwarenihralles.AuchvonandernFrauen verlangte sie streng die keuscheZurückgezogenheit, die ihr eigen,— und doch war siemildenHerzensundliebtemich,deneinzigenSohn,überalles. Sie wäre der Barine mit offenen Armenentgegengekommen, wenn sie gewahrt hätte, daß ichihrer zumeinemGlücke bedürfte. Aber wäre es der anden lebhaften Verkehr mit hervorragenden Männerngewöhnten jungen Frau gelungen, sich ihrenAnforderungen zu fügen?Wenn ich denken müßte, die

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Gewohnheit,umringtundumworbenzu sein,nähmesiemit in die Ehe, wenn ich mir vorstelle, dieUnvorsichtigkeit des an Freiheit gewöhnten Weibeskönnte die Zungen in Bewegung setzen und einenSchattenaufdieblankeReinheitmeinesNamenswerfen,wenn ich gar« — und dabei erhob er die zur FaustgeballteRechte.Archibius aber fiel ihm besänftigend ins Wort: »DieseBesorgnisistnichtig,wennBarineDirwarmundfreudigdas ganze Herz schenkt. Es ist ein sonniges,liebenswertes, echtes Frauenherz, und darum einergroßen Liebe auch fähig. Macht sie Dir die zumGeschenke,—und ichglaube, sie thutes—danngehehinundopfereunddanke;denndieHimmlischenwolltenDeinGlück,alssieDeineWahlaufsielenktenundnichtauf die Iras, das Kind meiner leiblichen Schwester.WärestDuabermeinSohn,dannriefeichjetztaus:EineteurereTochterkönntestDumirnichtbringen,wennDu—ichwiederholees—wennDuihrerLiebegewißbist.«Da schaute Dion kurze Zeit vor sich hin und rief dannentschieden:»Ichbines.«

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AchtesKapitel.

Der Epikur ging vor dem Tempel des Poseidon vorAnker. DerMannschaft war Verschwiegenheit auferlegtworden. Sie hatte ohnehin nichts erfahren, als daß anBorddesPirateneinBriefdesAntoniusgefundenwordensei,dereineMauerauszurichtenbefehle.DaskonntealsgutesZeichenaufgefaßtwerden;dennmandenktnuranBauen,wennmanruhigenZeitenentgegenschaut.Der leichteRegenhatteaufgehört,derWindaberwehtekräftiger von Norden her, und die Luft war kühlgeworden.DennochbedeckteeinedichteaufundniederwogendeMenschenmengedenQuaivomsüdlichenEndedesHeptastadiumsanbiszurLochias.Amstärkstenwardas Gedränge zwischen der Landspitze des Choma unddem Sebasteum; denn von hier aus ließ die See sichgewahren, und in die mit dem Palaste verbundeneWohnung des Regenten mußten die ersten Nachrichtengelangen.Hundert einanderwidersprechendeGerüchte hatten sichschon am Morgen erhoben, und als der Epikur in derdritten Nachmittagsstunde landete, war er von dichtenMenschenscharen umdrängt worden, die hören wollten,was er draußen erspäht. Andere Schiffe teilten diesSchicksal,dochkeinesbrachtezuverlässigeKunde.ZweiSchnellseglervonderKriegsflottewolltenaufeine

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samische Triere gestoßen sein, die von einem großenSiege des Antonius zu Lande und der Kleopatra zuWasser erzählt habe, und da der Mensch am liebstenglaubt,waserwünscht,zogenScharenvonlautjubelndenMännern und Weibern am Ufer hin und her, und ihreZuversicht stärkte auch manchem Bedenklichen dieHoffnung. Besonnene, die das lange Ausbleiben desersten Schiffes von der Flotte mit Recht beunruhigte,hattendenüblenNachrichtendasOhrgeöffnetundsahenbang in die Zukunft. Aber sie scheuten sich, ihrerBesorgnisAusdruck zu geben; denn derVorsteher einerGoldstickerei, der es gewagt hatte, das Volk vorvorzeitigemJubelzuwarnen,warübelzerschlagennachHause gehinkt, und zwei andere Schwarzseher, diemanin die See geworfen, hatteman eben triefend ans Landgezogen.Man konnte demVolke auch die gute Zuversicht kaumverdenken; denn am Serapeum, am Theater desDionysus, an den hohen Pylonen des Sebasteums, amHauptthore des Museums, vor dem Eingange desBruchium-Palastes und vor den burgartigen Schlössernauf der Lochias wurden Triumphbogen errichtet, mitschnell hergestellten Siegesgöttern und Trophäen vonGipsundgegipstenTüchern,glückwünschendenunddenGöttern dankenden Inschriften, Laubwerk undBlumengewinden geschmückt. Die Bekränzung derägyptischen Pylonen und Obelisken, der Haupttempel

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undder beliebtestenBildsäulen in derStadt hatte schonin der Nacht begonnen. Jetzt wurde die letzte Hand andieseArbeitgelegt.Wie sein Freund Dion hatte der Architekt Gorgias seitdemgestrigenAbend keinAuge geschlossen; denn ihmhatte es obgelegen, für den gesamten Schmuck desBruchium zu sorgen, wo sich ein Prachtbau an denandernreihte.Auch im Sebasteum, dem königlichen Palaste, den IraswährendderAbwesenheitderKöniginbewohnte,undindem seiner Südfront gegenüberliegenden Prätorium mitder Amtswohnung des Regenten hatte der Schlaf dieLagergeflohen.Als Archibius zu der Kammerfrau der Königin geführtwurde, erschreckte ihn ihr Aussehen. Sie war nochvorgesternseinGastinKanopusgewesen,undwiehattesie sich in der kurzen Zeit verändert! Ihr ohnehinlängliches Antlitz schien sich gestreckt zu haben, dieZüge schienen schärfer geworden zu sein, und dieSiebenunddzwanzigjährige,diebisdahindenvollenReizder Jugend bewahrt hatte, schien plötzlich um einJahrzehntgealtert.EslagetwasfieberhaftGespanntesinihrem Wesen, als sie dem Oheim die Hand zurBegrüßungentgegenstreckteundihmeinhastiges:»AuchDubringstnichtsGutes?«zurief.»Auch nichts eigentlich Schlimmes,« versetzte er ruhig.

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»Aber Dein Aussehen, Kind, die Schatten unter denklugen Augen gefallen mir nicht. Ihr habt Nachrichtenerhalten,dieBesorgniserregen?«»Mehralsdas,«entgegnetesieleise.»Nun?«»Lies!«stießsiehervor,undumMundundNasezucktees,währendsieArchibiuseinTäfelchenreichte.MiteinerihmsonstfremdenHastnahmeresihrausderHand,undwährenderdieSchriftüberflog,wichihmdasBlutausWangenundLippen.Sie stammte von der eigenen Hand Kleopatras undenthieltdiefolgendenSätze:»Die Seeschlacht ging verloren. Durch meine Schuld.Das Landheer könnte uns noch retten, aber nicht unterseiner Führung. Er ist bei mir, unverwundet, doch wieverblutet,einandereralserselbst,mutlos,thatenlos,wiegebrochen. Ich sehedenAnfangdesEndes.Sobalddieszu Dir gelangt, sorge, daß uns jeden Abend vonSonnenuntergang an einige unscheinbare Sänftenerwarten.DasVolkistimGlaubenzuerhalten,wirhättengesiegt, bis es sich entschieden, wie sich Canidius unddie Truppen auf dem Lande bewährten. Wenn Du dieKinder in meinem Namen küssest, so sei zärtlich. Werweiß, wie bald sie verwaist sind. Jetzt schon haben sieeine unglückliche Mutter, einer mutlosen gedenken zumüssen, bleibt ihnen erspart. Außer denen, die ich mit

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Vollmachtenzurückließ,unddemArchibiusziehekeinenins Vertrauen, auch nicht den Cäsarion oder Antyllus.Trage Sorge, daß jeder, dessen Beistand mirschätzenswert scheint, erreichbar sei, wenn ich komme.Mitdemalten›freueDich‹zuschließengehtnichtan,—das›frischerMut‹1,dasmanjaauchaufdieLeichensteinesetzt, scheint mir besser am Platze. Du, die mich imGlücke nicht beneidete, wirst es nicht von Dir weisen,mirdasUnglücktragenzuhelfen.Epikur,derdieGötternur aus seliger Höhe thatenlos auf das Schicksal derMenschenniederschauenläßt,hatrecht.Wäreesanders,wiekönntedieLiebeundTreue,dieanderunterlegenenUnglücklichen festhält, mit Herzweh und Thränenbelohntwerden?Trotzdem!Fahretfort,siezulieben.«Bleichundwortlos ließArchibiusdasSchreibensinken.Esdauertelange,bevorerheiserhervorstieß:»Ichsahesvoraus, doch nun es da ist ...« Hier stockte ihm dieStimme und ein heftiges, thränenloses SchluchzenerschütterteihmdengewaltigenLeib.AufeineRuhebankniedersinkend,verbargerdasAntlitzindasPolster.IrassahzudemgroßenManneherabundschüttelteleisedasHaupt.Auch sie liebte die Königin, auch ihr hatte dieseNachricht dieAugenmitThränen gefüllt, aberwährendsienochweinte,warihreineScharvonAnschlägen,wie

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diesemUnheilzubegegnensei,durchdasrastloseGehirngejagt. Wenige Minuten nach dem Eintreffen derUnglücksposthatte sie schonmitdenStellvertreternderKöniginRatsgepflogenundMaßregelngetroffen,umdasVolkimGlaubenandenSiegderFlottezuerhalten.Was war sie, das zarte, nicht einmal mutige Mädchen,gegen diesen eisenhartenMann, der— siewußte es—imDienstederKönigindenschwerstenGefahrengetrotzthatte, — und da lag er und drückte immer noch wiegebrochendasAntlitzindieKissen.SchnelltedieFrauenseele rascher indieHöhe,wennsiedie Wucht des schwersten Leides niedergedrückt hatte,oder war die ihre von besonderer Art, und barg ihrschwacherLeibdasHerzeinesHelden?Sie hatte Grund, es zu glauben, wenn sie sichvergegenwärtigte,wiederRegentundderSiegelbewahrerdie Schreckensbotschaft aufgenommen hatten.Verzweifelten gleich waren sie in dem großenSitzungssaaleaufundniedergerannt; aberMardion,derHalbmann, zählte nicht mit, und Zeno war eincharakterlosergreiserDichter,derderKöniginnursovielgaltunddiehoheStellung,dieerbekleidete,nurerreichthatte,weil seine rege Einbildungskraft neue und immerneue Schaustellungen, Vergnügungen, Festspiele zuersinnen und mit zauberhaftem Glanze durchzuführenverstand.

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Doch Archibius, der mutige, besonnene Ratgeber undHelfer?Da flogen ihm wieder die Schultern auf, als habe einHieb ihn getroffen, und plötzlich kam ihr in den Sinn,was sie ja lange wußte, doch sich nie rechtvergegenwärtigt hatte: der ergraute Mann dort liebteKleopatra,liebtesie,wiesiedenDion,undsiefrugsich,obsiestarkgenuggewesenwäre,dieRuhezubewahren,wenn sie gehört hätte, daß diesem ein grausamesGeschickLeben,FreiheitundEhrezuraubendrohte.SiehatteDionvonStundezuStundevergeblicherwartet,underwardochgesternZeugeihrerUnruhegewesen.Hatte sie ihn gekränkt? Hielt die schöne Enkelin desDidymusihnfest?WieeingroßesUnrechterschienes ihr,daßsiebeidemunsäglich schweren Mißgeschick der Herrin seiner undimmerfortseinergedachte!SowieseinBildihrHerz,sobeherrschte das der Kleopatra Geist und Seele ihresOheims, und sie sagte sich, daß nicht allein bei FrauendieLiebesichnichtumdieLebensjahre,dasbrauneoderergrauendeHaarkümmere.Doch da richtete Archibius sich wieder auf, verließ dieRuhebank, fuhr sich mit der Hand über die Stirn, undseine Stimme hatte den tiefen, gelassenen Tonzurückgewonnen, als ermit einemwehmütigenLächelnanhob:»WeneinPfeil traf,derverläßtdieSchlacht,bis

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man ihn verband.Mitmir ist derWundarzt jetzt fertig.ImmerhinhätteichDirdieskläglicheSchauspielersparensollen,Kind.AberdasteheichwiederzumFortkämpfenbereit. Was der Brief Kleopatras über den Antoniusberichtet, macht übrigens eine Nachricht verständlicher,diewirvorhinempfingen.«»Wir?«fielihmIrasinsWort.»WerwarDeinBegleiter?«»Dion,«lautetedieAntwort;dochalserbeginnenwollte,die Erlebnisse dieserNacht zu schildern, unterbrach sieihnmit der Frage, ob Barine gestern eingewilligt habe,dieStadtzuverlassen.Er bestätigte dies mit einem kurzen »Ja«, sie aber gabsich dasAnsehen, als habe sie es nicht anders erwartet,undersuchteihn,weiterzuerzählen.Nunteilteerihrmit,wassieaufdemPiratenschifferlebtund gefunden. Dion, schloß er, sei auf demWege, dieBestellung des Antonius seinem Freunde Gorgias zuüberbringen.»Das,« bemerkte sie in gereiztem Tone, »hätte jederSklave mit dem gleichen Erfolge besorgt. Hier, dächteich,dürfteermitbesseremRechtezuverlässigeNachrichterwarten.DochsosindnuneinmaldieMänner!«Hier stockte sie; als sie jedoch ein fragender Blick desOheims traf, fuhr sie lebhaft fort: »Nichts, meine ich,bindet sie fester aneinander als das gemeinsameVergnügen. Doch es soll ja jetzt damit vorbei sein. Sie

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werden nun andere Zerstreuungen suchen, ob bei derHeliodoraoderderThaïs,mirkannesgleichsein.WäredasWeibnurehergegangen!AlssiedenjungenCäsarionsicheinfing...«»Halt, Kind,« fiel ihr hier der Oheim abwehrend insWort.»Ichweiß,wievielsiedarumgäbe,wennAntyllusihrdenKnabennichtzugeführthätte.««Jetzt,— da die Raserei des armenBethörten sie bangmacht.«»Nein, von seinem ersten Besuch an. Unreife KnabenpassennichtzudenerlesenenMännern,diesieempfing.«»WerdieThürstetsaufhält,demdringenauchDiebeinsHaus.«»SienahmnurbewährteBekannteaufunddieFreunde,die ihr von ihnen zugeführt wurden. Anderen blieb ihrHausfestgenugverschlossen.EshattedarumkeineNotmitdenDieben.AberwerinAlexandriadürfteeswagen,einemSohnederKönigindasGastrechtzuweigern?«»Zwischen einem ruhigen Empfang und dem AnfacheneinerLeidenschaft bis zurTollheit dehnt sich einweiterRaum aus. Wo ein Scheiterhaufen brennt, hat ihnwenigstenseinFunkeentzündet.IhrMännernehmtnichtwahr,wiesolcheFrauenestreiben.EinBlick,einDruckderHand,eineBerührungnurmitdemGewande,unddieFlamme schlägt aus, wo so trockener Zündstoff bereitliegt.«

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»Beklagen wir die Heftigkeit des Brandes,« sagteArchibiusernst.»DubistderBarineübelgesinnt.«»IchfühlesowenigfürsiewiedieRuhebankhierfürdieHerme dort auf der Straße!« rief Irasmit abweisendemHochmut.»Esgibtnichts,waseinanderfremderwärealswir.IchunddieFraumitderoffenenThürehabennichtsmiteinandergemeinalsdasGeschlecht.«»Und,«fielihrArchibiusverweisendinsWort,»mancheschöneGabe, die ihrwieDir dieGötter verliehen.Wasdie offene Thür angeht, so ward sie schon gesterngeschlossen. Die Diebe, von denen Du sprachst, hattenihr die Freude an der Gastlichkeit verdorben. AntylluswarihrmitfrechemUngestüminsHausgedrungen.Dasließ für die Zukunft noch Unerhörteres befürchten. InwenigenStunden ist sieaufdemWegenach Irenia.Dasfreut mich für den Cäsarion und mehr noch für seineMutter, der wir unrecht thaten, da wir ihrer um einerandernwillensolangevergaßen.«»Daß wir es thun mußten!« rief Iras erregt. »Heute indieser Stunde, in der der Königin jeder Tropfen diesesBlutes, jeder Gedanke dieses armen Kopfes gehörensollte! Und doch war es nicht zu umgehen. Mit einemHerzen, worin hundertWunden bluten, kehrt Kleopatrazu uns zurück, und zu denken, daß es, sobald sie denheimischen Boden betritt, von einem neuen Pfeilegetroffenwerdensoll,dasistgräßlich.Duweißt,wiesie

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an dem Knaben hängt, der das Ebenbild des großenMannesist,mitdemsiedochwohldieseligstenWonnenderLiebegenoß.Undwennsienunhört,daßer,derSohndesCäsar, das jungeHerz an die verstoßene Frau einesStegreifredners hängte, an ein Weib, dessen Haus dieMänneranlocktwiediereifenDattelndieVögel,—wieSalz—ichweißes—fälltesihrindiefrischenWunden.O, und es wird bei dem einen Kummer nicht bleiben!Antonius,ihrGemahl,fandauchdenWegzuderBarine.Mehr als einmal suchte er sie auf. Du kannst es nichtwissen wie ich; aber Charmion wird es Dir bestätigen,wie empfindlich ihr Herz ist, seit die Blüte ihresjugendlichenZaubers—ihrfreilichnehmtesnichtwahr!— ein Blatt nach dem andern verliert. Die Eifersuchtwirdsiequälen,und—ichkennesie—vielleichterwiesniemandderSireneeinengrößerenDienstalsich,daichsienötigte,dieseStadtzuverlassen.«Die Augen der klugen Nichte des Archibius hatten beidieser Versicherung so feindselig gefunkelt, daßArchibius mit gerechter Besorgnis der Tochter desverstorbenenFreundesgedachte.WasBarinenochnichtalsernsteGefahrdrohte,inderHandseinerNichtelages,esdazuzumachen.Dion hatte ihn umVerschwiegenheit gebeten;wäre ihmaber auch gestattet gewesen, zu reden, er hätte es jetztdoch unterlassen. Wie er Iras kannte, war von ihr

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anzunehmen, daß sie,wenn sie jetzt erfuhr, eine anderehabe sich zwischen sie und den Jugendfreund gedrängt,kein Mittel scheuen werde, um ihnen das Spiel zuverderben.Die edlemakedonische Jungfraukam ihm indenSinn,diedieKöniginihrvorzuziehenbegonnenunddie sie durch feindselige Ränke in den Tod getriebenhatte. Klüger und, wenn sie einmal liebte, treuer undhingebender, schmiegsamer und in guten Stundenfesselndermochtenwenigesein,dochschonalsKindwarsielieberdenkrummenalsdengeradenWeggewandelt.Eswargewesen,alshabeihreKlugheitesverachtet,dasGewünschtemitdeneinfachzurHandliegendenMittelnzu erreichen. Wie gern hatte seine Mutter und zweiteSchwester Charmion für die Sklaven gesorgt und sie,wenn sie krank gewesen waren, gepflegt; ja Charmionhatte in ihrer nubischen Zofe Anukis eine Freundingewonnen, die für sie in denTodgegangenwäre.Auchder Kleopatra war es als Kind eine Herzensfreudegewesen,dererkranktengreisenSchaffnerinseinerElternBlumenzubringenundanihremBettezusitzen,umihrdurch ihr anmutiges Geplauder die Zeit zu verkürzen.Unaufgefordert war sie zu ihr gegangen, während Irasnicht selten hatte gestraft werden müssen, weil sie inihrem auch an Sklaven reichen Elternhause diesenUnglücklichen das ohnehin schwere Leben durchunbillige Härte verbitterte. Das hatte den Oheim mitBesorgnis erfüllt, und auch später war es ihr Verhalten

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gegenNiedere gewesen, das es ihm unmöglichmachte,sie zu den Guten ihres Geschlechtes zu zählen. Um sofroherhatteihndietreue,selbstloseLiebeüberrascht,mitdersiesichdemDienstederKöniginwidmete.KleopatrahatteseinerSchwesterCharmiondenWunscherfüllt,ihrdieNichtezurGehilfinzugeben,undIras,diegegendieeigene treueMutternie eine liebreicheTochtergewesenwar, hatte sich der Herrin mit innigster Zärtlichkeitergeben. Das rechnete Archibius ihr hoch an, aber erwußte, was dessen wartete, den ihr Haß sich zum Zielerwählte,unddieBefürchtung,Barinewerdedurchsieinschwere Gefahren gestürzt werden, gesellte sich zu dergrößerenSorgeumKleopatra.Alser inder trübenUeberzeugung,machtlosgegendenüblenWillenderNichtezusein,aufbrechenwollte,hieltihn ihre Vorstellung zurück, daß jede neue Nachrichtzuerst in das Sebasteum und zu ihr gelange. Es könneauch leicht etwas kommen,was zu entscheiden seinembesonnenenGeistebessergelingenwerdealsdemihren,der ihr ohnehin vorkomme wie ein durch SteinwürfegetrübtesflachesGewässer.DieWohnungseinerSchwesterCharmion,dieeinGangmitderihrenverband,standleer.Dort,batsieihn,mögeereinwenigrasten.DieUnruheundAngstihresHerzensdrohesieumzubringen.IhninderNähezuwissen,werdediegrößteallerWohlthatenfürsiesein.

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Als Archibius zauderte, weil es seine Pflicht sei, demCäsarion, auf den er einigen Einfluß habe, ansHerz zulegen,vonseinen thörichtenWünschenschonausLiebezu der Mutter zu lassen, versicherte Iras, er werde ihnnichtfinden.MitdemAntyllusundeinigenFreundenseieraufderJagd.SiehabediesVorhabengebilligt;dennesentferne ihn von der Stadt und dem verhängnisvollenHausederBarine.»DadieKönigin ihnnochnichtvondemSchrecklichenunterrichtet wissen will,« schloß sie, »hätte uns seineAnwesenheit nur Verlegenheiten bereitet. Bleibe also,undwennesdunkelt, fährstDumitaufdieLochias. Ichdenke, daß es der Unglücklichen lieb sein wird, beimBetreten des Landes Dein vertrautes Gesicht zu sehen,das sie an bessere Tage erinnert. Erweise mir dieWohlthatundbleibe!«Damit streckte sie ihm beide Hände entgegen, und erwilligteein.DasMahlwartete, und er teilte esmit derNichte; dochdie auserlesenen Speisenwurden von ihr gar nicht, vonihmnurwenigberührt.OhnedenNachtischabzuwarten,erhobersich,umsichindieGemächerseinerSchwesterzu begeben. Aber Iras nötigte ihn, auf dem Diwan imNebenzimmer auszuruhen, und er that ihr den Willen.DochwieweichauchdiePolsterwarenundwiesehrihnnach Schlaf verlangte, er konnte ihn nicht finden; denn

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die Unruhe der Seele hielt ihn wach, und durch denVorhang, der das Zimmer, worin Iras sich aushielt, vondemseinentrennte,hörteerbalddenleichtenSchrittdesruhelos auf und ab wandelnden Mädchens, bald dasKommen und Gehen von Boten, die nach neuenNachrichtenfrugen.Das ganze vergangene Leben zog ihm an dem innerenAugevorüber.Kleopatrawar seineSonnegewesen,undjetzt stand das schwarze Gewölk am Himmel, das ihrLicht verfinstern sollte, vielleicht auf immer. Er, derJüngerdesEpikur, der erst in späteren Jahren sich auchanderenLehrenangeschlossenhatte, faßtedieGötter imSinnedesMeisters.Wiejenem,sowarensieauchihminseligerRuhe sorglos sich selbstgenügende,unsterblicheWesen, zu denen man nur um ihrer vollkommenenHerrlichkeit willen aufzuschauen habe, die sich aberweder um die Leitung der Welt kümmerten, die vonewigenGesetzenbestimmtwurde,nochumdasSchicksalder einzelnen Menschen. Wäre er vom Gegenteilüberzeugtgewesen,wiegernhätteerhingegeben,waserbesaß, um die Himmlischen durch Opfer günstig fürdiejenigezustimmen,dererdasLebenundwasinundanihmwar,weihte.Wie es Iras umhertrieb, so ließ es ihm keine Ruhe aufdem Lager, und als sie seinen Schritt vernahm, rief sieihn an und frug, warum er nicht nachholte, was er an

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Schlafversäumthabe.Mankönntenichtwissen,welcheAnforderungen die nächsten Nächte an sie stellenwürden.Da versetzte er gelassen: »Sie werden mich wachfinden.«Dann traterandasFenster,dasüberdemPylonenpaarevorderHauptfrontdesSebasteumsgelegenwarundaufdasBruchiumunddasMeerhinausschaute.ImHafenwimmeltees jetztvonbekränzten,mitbuntenFlaggenundWimpelngeschmücktenFahrzeugeninjederGröße.DasGerüchtvondemglücklichenEndedererstenSeeschlachtwurde geglaubt, und viele verlangte es, diesiegreicheFlottezubegrüßenund ihrerFührerinbeiderEinfahrtindenHafenzuzujauchzen.Auf dem Lande zwischen den freistehenden hohenPylonen und dem großen Thore, das Einlaß in dasSebasteum gewährte, hatten sich gleichfalls vieleMenschen, Sänften und Fuhrwerke versammelt. SiegehörtendenvornehmenKreisenderStadtan;denndenmeisten folgten reich gekleidete Sklaven. Viele warenköstlichbekränzt,undmancherWagenundTragstuhlmitgoldenem und silbernem Zierat, Edelsteinen undglänzendem Glasfluß geschmückt. Ein lebhaftesHinundherkamvordemPalastnichtzurRuhe,undIras,diejetztnebendemOheimestand,wiesdaraufniederundsagte: »DerWind desGerüchts! Gestern kam nur einer

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oder der andere, heute drängen sich alle, die zu derGesellschaft der ›unnachahmlichen Lebenskünstler‹gehörten,selbsthierher,umeineNachrichtzuerhaschen.DerSiegwardverkündetaufdemMarkte,imTheater,inden Gymnasien und Lagern. Was Kränze oder Waffenträgt,hörtevoneinergewonnenenSchlacht.GesternwarunterTausendenkaumeiner,derandemSiegegezweifelthätte;—heuteaber,wiekommtdas?—ist selbstunterdenen,dieals ›Unnachahmliche‹alleFreuden,Genüsse,SchaustellungenunsereshohenPaaresteilten,derGlaubeerschüttert; denn waren sie fest überzeugt von dem›glänzenden Siege‹, der doch laut genug verkündigtwurde,siekämennichtselbst,umzufragen,zuspähen,zu horchen. Sieh nur hinunter! Das ist die Sänfte desDiogenes—dasdiedesLysander.DerWagendortgehörtdemAlexander.DieSklavenindenrotenBombyxröckendienen dem Hermias. Sie gehören sämtlich zu derGesellschaft der Unnachahmlichen und hatten teil anunserenFesten.DerselbeApollonius,derjetztschoneinehalbe Stunde die Dienerschaft im Palast auszuforschensucht,ließvorgesterndemAres,derNikeunddergroßenIsis, als der Göttin der Königin, je fünfzig Ochsenschlachten,undalsichihnimTempeltraf,riefermirzu,diese That sei sein größter Verschwenderstreich; dennauch ohne das RindviehwärenKleopatra undAntoniusdesSiegesgewiß.JetztaberführteauchbeiihmderWinddesGerüchtesdieschöneZuversichtmitsichfort.—Sie

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dürfenmichnichtsehen.DieThorhütersagen,ichseiaufdemLande.ZuGrundewürdeichgehenbeidemZwang,jedem ein siegesfrohes Gesicht zu zeigen. Da trittApollonius heraus.Wie das feisteGesicht ihm leuchtet!ErglaubtandenSieg,undvomUntergangderSonneanwirdvondiesendortsichkeinermehrhierzeigen;dennda erteilt er schondenSklavenBefehle.Er lädt sie allezumGastmahl und wird seine köstlichstenWeine nichtsparen.Vortrefflich!Vonihnenwenigstenskannniemandunsstören!DionistseinVetter,undauchergehörtzudenGästen. Was diese Festfreunde uns wohl zu erfahrengeben werden, wenn es sich mit der schrecklichenWahrheitabzufindengilt?«»Siewerden, denk’ ich,« versetzteArchibius, »derWeltein merkwürdiges Schauspiel bieten: Im GlückgewonneneFreunde,diefesthaltenimUnglück.«»Dumeinst?«frugIrasunddieAugenleuchtetenihrhellauf. »Wenn das sich bewährte, wie wollt’ ich sie, vondenen die meisten doch ohne ihren Reichtum ärmerwären als Bettler, schätzen und preisen! Aber sieh dorthin! Der in dem weißen Mantel neben dem linkenObelisken,—istesnichtDion?DadrängtihndieMengemitfort...Ichglaube,erwares.«Sie hatte indes falsch gesehen; denn der Mann, dessenErscheinensiewahrgenommenzuhabenmeinte,weilihrHerz es so dringend ersehnte, befand sich nicht in der

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Nähe des Sebasteums, und noch ferner von ihr weiltenseineGedanken.Zuersthatteersichaufgemacht,umdemBaumeisterdenfür ihn bestimmten Brief zu übergeben. Bei denTriumphbogen, die am Strande des Bruchiumsentstanden, mußte er ihn finden. Doch schon bei demersten erfuhr er, er sei gegangen, um die Statue derKleopatraunddesAntoniusvomHausedesDidymus,wosie stehen geblieben war, abzuholen und sie vor demTheaterdesDionysusaufzustellen.DerRegentMardionhabe es so befohlen, und Gorgias schon für dieHerstellungdesUnterbauesgesorgt.DiegroßenQuadern,derenerdazubedurfte,wärenvondem Nemesistempel, dessen Bau er leitete, genommenworden.SovielStaatssklavenernurwolle,stündenihmzur Verfügung, berichtete der oberste Werkführer desGorgias und fügte stolz hinzu, der Baumeister werde,bevor die Sonne untergehe, den Alexandrinern dasWunder gezeigt haben, wie man an einem Tage eineDoppelstatuevoneinemOrtezumandernbewegeundsofest aufstelle, wie die tausendjährigen Kolosse vonTheben.Vor dem Garten des Didymus fand Dion die Bildsäulezum Aufbruche bereit; der Baumeister aber hatte dieSklaven, die schon die Rollen vor den Schlitten gelegthatten, auf dem er fortbewegt werden sollte, eine gute

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Weilewartenlassen.Er war jetzt zum drittenmal im Hause des altenPhilosophen. Zuerst hatte er ihn und die Seinenbenachrichtigen müssen, daß ihrem Besitz nichts mehrdrohe,dannwarergekommen,umihnenmitzuteilen,zuwelcher Stunde er dieBildsäule fortschaffenwerde, dieimmernochvieleNeugierigeheranzog,undendlichhatteersichwiedereingestellt,umzumelden,daßdieStatuesogleich fortgeschafftwerdensollte.Dasalleshätte seinBauführerodereinSklavesehrwohlausrichtenkönnen,doch Helena, die Enkelin des Didymus, die SchwesterBarines, zog ihn wieder und wieder in das Haus desGreises. Um ihretwegen wäre er gern noch öftergekommen; denn bei jeder Begegnung hatte er neueVorzüge an der schönen, stillen, umsichtigen, die altenGroßelternsozärtlichbedienendenJungfrauentdeckt.Erglaubte,daßersieliebt,undsieschienihngernkommenzusehen.Aberdasberechtigteihnnochnicht,umsiezuwerben,obgleichfürseinleeresgroßesHauseineHerrinsonötiggewesenwäre.SeinHerzhatteschonfürzuvielegeglüht! Er wollte erst sehen, ob es diesmal festerstandhaltenwürde.EineGattin,diebesserfür ihnpaßte,konnteernichtfinden.GelangihmdasTreuehaltenauchnur etliche Tage, dann wollte er sich gleichsam dafürbelohnenundalsFreiervordenDidymustreten.Sein häufiges Kommen entschuldigte er vor sich selbst

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mitderNotwendigkeit,diekünftigeGemahlinkennenzulernen,undHelenaerleichterteihmdieseAufgabe;denndasihrsonsteigenezurückhaltendeWesenschwandmehrundmehrvon ihr; jadasgroßeZutrauen,daser ihrvonvornherein eingeflößt hatte, war infolge seinesthatkräftigenBeistandsgewachsen.Alservorhinwiederkam, hatte sie ihm sogar die Hand aus freiem Antriebentgegengestreckt und sich nach dem Fortgange derArbeiterkundigt.ErwarmitGeschäftenüberhäuft,dochdieUnterhaltungmit ihr bereitete ihm solches Vergnügen, daß er ihrlänger, alsereszu jederandernZeitunterdengleichenUmständenfürrechtgehaltenhätte,Redestandundesfüreine unliebsame Störung ansah, als Barine, für die ergestern noch so warm empfunden hatte, das Tablinumbetrat.DiejungeFrauließesdazukeineswegsbeieinerkurzenBegrüßung,sondernentzogihmHelenaganzundgar.Sostürmisch, wie er sie noch nie gesehen, umarmte undherzte sie die Schwester und teilte ihr in fliegendenWortenmit, daß sie gekommen sei, umvondenLiebenimgroßelterlichenHauseAbschiedzunehmen.Frau Berenike war mit ihr erschienen, hatte sich aberzuerstzudemaltenPaarebegeben.WährendBarinederHelenasowieauchihmeingehendermitteilte, wie das alles so rasch gekommen, verglich

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Gorgias schweigend die Schwestern. Er fand esbegreiflich, daß er einmal gemeint hatte, Barine zulieben; aber zu seiner Hausfrau hätte sie doch nichtgetaugt.DasLebenanihrerSeitewärezueinerKettevoneifersüchtigen Regungen und Besorgnissen für ihngeworden und sie, deren anregende Bemerkungen undwißbegierige Fragen die ganze Aufmerksamkeiterforderten, hätte ihn, wenn er ermüdet von schwererArbeitheimkehrte,dieRuhenichtfindenlassen,nachderersichdannsehnte.AlshabeerdenAbstandzweierneuaufgestelltenGäulenzuprüfen,wanderteseinAugevonihr zu der Schwester, und die junge Frau, die seinsonderbares Verhalten wahrnahm, lachte plötzlichfröhlich auf und frug, ob es zuwissen gestattet sei, beiwelchem Bau er im Geiste weile, während eine guteFreundinberichte,daßesnunmitdenhübschenStundeninihremHausevorbeisei.Da fuhr er auf, und aus der Entschuldigung, die erhervorstammelte, ging so sicher hervor, wieunaufmerksam er ihr zugehört habe, daß Barine Grundgehabt hätte, es als Kränkung zu empfinden. Doch einBlick auf die Schwester und ein neuer auf ihn ließ sieschnell das Rechte erraten. Es erfreute sie; denn sieschätztedenGorgias,und imstillenhattesiebefürchtet,ihn,wennerumsiewerbenwerde,miteinerAblehnungbetrübenzumüssen.FürdieSchwesterschienerihrwiegeschaffen. Ihr Eintritt hatte die beiden doch wohl

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gestört, und so rief sie der Helena zu: »Ich suche dieMutterunddieGroßelternauf.UnterhalteDuinzwischenden Freund hier.Wir kennen uns gut. Er gehört zu denwenigen, auf die Verlaß ist. Meine redliche Meinung,Baumeister!UndDu,Helena,laßDir’sgesagtsein!«Damit begrüßte sie beide, und Gorgias war wieder mitdemgeliebtenMädchenallein.Ihmwieihrfielesschwer,dasGesprächneuzubeginnen,undalsestrotzmanchenAnlaufeskeinenrechtenFortgangfindenwollte,erschienihmderRufdesVogtes,derihmdurchdieoffeneDecke,zurArbeitmahnend, ansOhr drang,wie eineErlösung.Indem er so lebhaft, als sei er darum gebeten worden,versprach, bald wieder zu kommen, verabschiedete ersichundöffnetedieindasNebenzimmerführendeThür.Aber schon auf der Schwelle prallte er zurück, undHelena, die ihm gefolgt war, that das Gleiche; denn dastand sein FreundDion, und das schöneHaupt Barineslehnte an seiner Brust, und seine Hand ruhte wie zumSegenaufihremblondenScheitel.Und—nein,Gorgiasirrtenicht—derschlankeKörperderschönenFrau,vonderenfrischerDaseinslustersichselbstundanderesoofthatte mit fortreißen sehen, zitterte wie von tiefer,schmerzlicherBewegungerschüttert.Als Dion den Freund wahrnahm, sie aber das HaupterhobundihmdasAntlitzzuwandte,wareswirklichvonThränen benetzt, doch ihr Quell konnte kein Leid sein;

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denn die blauen Augen leuchteten in glückseligemGlanze.Dennoch fandGorgias etwas in ihrenZügen,das ermitkeinem Worte zu benennen vermochte und das derAbglanz der heißen Dankbarkeit war, die ihr die SeeleergriffenhatteundsiebiszumRandeerfüllte.Dionwar,währenderdenBaumeistersuchte,derBarinebegegnet,wiesiesichzudenGroßelternbegab,undwasergesterngefürchtethatte,trafein.DerersteBlickihresAuges,vondemdasseinegetroffenworden war, hatte ihm das entscheidendeWort auf dieLippengezwungen.Inkurzen,ernstenWortengestanderihrdanntiefbewegt,daßersieliebeundsiealsdenStolzunddieZierseinesHauseszuderSeinenzumachenbegehre.DawarenihrimUebermaßderGlückseligkeitdieAugenübergeflossen, und als stehe sie unter demBanne einesgroßen Wunders, das für sie geschehen, hatte sie keinWort der Entgegnung gefunden; er aber war ihr nahegetreten, hatte ihre Rechtemit beiden Händen ergriffenund ihr aufrichtig gestanden, wie er mit dem Bilde derstrengen Mutter vor Augen geschwankt und gezaudert,bisdieLiebeübermächtiginihmgeworden.Jetztfrageersie voll des wärmsten Zutrauens, ob sie einwillige, zurEhre und zum Schmuck seines alten Hauses als seineHerrin darin zu walten. Er wisse, daß ihr Herz ihm

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gehöre, eins aber müsse er noch aus ihrem Mundevernehmen...DahattesieihnmitdemRufeunterbrochen:»DasEine:nur für Dich und Dich allein darf und will DeinWeibleben in Freud und Leid. Die ganze Welt kann für sieuntergehen,nunDusiezuDirerhebstundsieDeinist.«Ihm aber war es nach dieser Versicherung, die wie einEidschwur geklungen hatte, gewesen, als sei ihm eineLast von dem hochschlagenden Herzen gefallen, undindem er sie mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit in dieArmeschloß,hatteerwiederholt:»InFreud’undLeid!«SowurdensievonGorgiasundHelenagefunden,undderBaumeistererfuhrzumerstenmaleundnichtohneeinigesErstaunen,daßeskeinenUnterschiedgibtzwischendemeigenenGlückunddemeinesgeliebtenMenschen.SeineFreundinHelenaschiendasGleichezuempfinden,alssiesah,wasdieserTagderSchwesterschenkte,undindem von Unruhe und mancher Befürchtung und Sorgeheimgesuchten Hause des alten Philosophen wurde esbaldlautvonfrohen,glückwünschendenStimmen.Der Baumeister fühlte sich nicht mehr am Platze indiesem von einer großen gemeinsamen Freudeergriffenen vertrauten Kreise, und nachdem Dion ihmeinekurzeErklärunggegebenhatte,hörtemanbaldvondraußenherdielauteStimmedesGorgiasdenArbeiterngebieten.

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NeuntesKapitel.

Gorgias ging ungesäumt an die Arbeit. Als dieDoppelstatuenurnochderAufstellungvordemTheaterdes Dionysus wartete, suchte Dion ihn auf. Es drängteihn, bevor er die Stadt mit der Verlobten verließ, nocheinmalmitdemFreundezureden.Seitsievoneinandergegangenwaren, hatte dieser das Unmögliche geleistet;dennderBaudervonAntoniusbestelltenMaueraufdemChoma war begonnen, die Herstellung des kleinenPalastesanseinerSpitzeunddazunochmanchesandere,was die Ausschmückung der Triumphbogen undEhrenpforten betraf, angeordnet worden. Sein tüchtigerund flinker Werkführer hatte Mühe, ihm zu folgen,während er ihm Befehl auf Befehl in die Schreibtafeldiktirte.Die Unterredung mit dem Freunde dauerte indes nichtlange;dennDionhattedenFrauenversprochen,sieaufsLandzubegleiten.Essollte trotzdesVerlöbnissesheutenochgeschehen;dennCäsarionwar imLaufedesTageszweimal bei Barine vorgefahren. Sie hatte ihn nichtempfangen, doch dies Verhalten des unseligen jungenMannesveranlaßtesie,selbstaufdieBeschleunigungderAbreisezudringen.UmAufsehenzuvermeiden,wolltensiesichdesgroßenReisewagensunddesNilbootesdesArchibiusbedienen,

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obgleichDionübernichtminderbequemeverfügte.In »Friedensstätt« sollte die Hochzeit gefeiert werden.Das eigene Schiff des jungen Ratsherrn, das ihn spätermitderNeuvermähltennachAlexandriazurückzuführenbestimmtwar,trugdenNamenderPeitho,derGöttinderUeberredungskunst, weil Dion sich gern an seinerednerischeThätigkeitimRateerinnernließ.Vonnunansollte es Barine heißen und manche Verschönerungerfahren.Dion vertraute dem Freunde auch an, was er über dasSchicksal derKönigin und der Flotte erfahren, undwiedringend Gorgias auch in Anspruch genommen war,standerdemFreundedochRede,alserüberdaskünftigeSchicksalderStadtundihrebedrohteSelbständigkeitundFreiheit zu sprechen begann; denn diese Dinge lagenauchihmvorallenanderenamHerzen.»ImGlücke,« riefDion, »that ich,wasmir gefällt; jetztscheintmirjedemrechtenMannediePflichtzugebieten,daseigeneHauszueinerPflanzstätte fürdieGesinnungzumachen, die er vondenVätern ererbte unddie nichterlöschen darf, so lange es eine makedonischeBürgerschaft in Alexandria gibt. Wir müssen es unsgefallen lassen, wenn die Uebermacht Roms Aegyptenzur Provinz der Republik macht; — unserer Stadt undihrem Rate den Löwenpart ihrer Freiheit zu retten, dasvermögen wir indes. — Wie sich die Dinge auch

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gestalten, sindundbleibenwirdochdieQuelle, ausderjenemRomderbesteTeildesWissenszufließt,das ihmdenGeistbereichert.«»UnddieKunst,«fielihmGorgiasinsWort,»dieihmdasrauhe Leben verschönert. Steht es ihm auch frei, unsschonungsloszuvernichten,wirdesihm,denkeich,dochergehenwiedemMädchen,dasschondenFußhebt,umeineschöne,selteneBlumezuzertreten,unddasihndochzurückzieht, weil es frevelhaft wäre, ein so köstlichesGötterwerkzuzerstören.«»Und was verdankt Dein Mädchen der Blume,« riefDion, »was Rom unserer Stadt! Begegnen wir seinenAnsprüchenmitwürdigerStandhaftigkeit, so habenwir,denk’ich,nichtallzuSchlimmeszubefürchten.«»Hoffenwires!AberDu,Freund,haltedieAugenoffenauch vor anderen als den römischen Feinden. Nun esThatsache wurde, daß Du ihrer nicht begehrst — siehDichvorvorderIras.Siehatetwasansich,dasmichanden Schakal erinnert. Die Eifersucht! — DesSchlimmstenhalt’ichsiefähig...«»Doch,« unterbrach ihn Dion, »was Iras mir anzuthunversucht, wird Charmion mildern, und, zähl’ ich auchnicht stark auf den Oheim, steht Archibius doch überjenenbeidenundistunsundunseremBundegewogen.«DaatmeteGorgiaserleichtertaufundrief:»DannfrischhineinindasGlück!«

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»UndDu,«fügteDionwarmhinzu,»beginneauchDufürdas Deine zu sorgen. Verbiete dem Herzen dasschweifende Nomadenleben! Die Zelte, die der Windumbläst, können, denk’ ich, dem Architekten nicht aufdieDauergenügen.WieDumirdenPalast,sobaueDirselbsteinfestes,denStürmentrotzendesHaus.IchgönneesDirundsagteesjaschon:DieZeitverlangtes.«»Ich werde des Rates gedenken.« entgegnete Gorgias.»Doch da treffen mich wieder sechs nach AuskunftbegierigeAugen.EsgibtsovielErnsteszuthun,undnunverkümmert man sich die Zeit mit dem Bau vonTriumphbogen für Geschlagene, von Trophäen für eineNiederlage! Aber Dein Oheim befahl noch vorhin, dasWerk aufs prächtigste fertig zu stellen. Die Wege desSchicksalsundderGroßensinddunkel;dieeurensollderlichteste Sonnenglanz bescheinen! Eine schöne Fahrt!Wir hören natürlich, wann ihr die Hochzeit feiert, undgehtesan,sing’ichmitbeidenHymenäen.Glücklicher,der Du bist! Nun werd’ ich auch von dorther gerufen!Kastor und Pollux und die anderen den Reisendenfreundlichen Götter, Aphrodite und alle Eroten solleneure Fahrt ins Seeland und in das Reich des Eros undHymenbeschirmen!«Damit zog der warmherzige Mann den Freund zumerstenmal an die Brust, und Dion ließ es sich gerngefallenundschüttelte ihmendlichmitdemRufe:»Auf

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Wiedersehenalso in IreniaamHochzeitstage,Du lieber,treuerGesell!«dieharteRechte.Dann bestieg er den wartenden Wagen, und Gorgiasschauteihmgedankenvollnach.NochwarderMantelvonHyazinthpurpur,denDionauchheute trug, ihm nicht aus den Augen geschwunden, alssich dicht hinter ihm ein lautes Krachen, Poltern undDröhnen erhob. Ein flüchtig errichtetes Gerüst, das dieFlaschenzüge für die Ausrichtung der Bildsäule tragensollte,warzusammengestürzt.DerSchadenkonnteleichtwiederhergestelltwerden,docherwecktedieserUnfallindemBaumeister eine peinlicheEmpfindung.Erwar einKindseinerZeit,demdiePflichtdesbesonnenenMannesgebot,aufVorzeichenzuachten.DieErfahrunglehrteihnauch, daß, wenn ihm bei seiner Thätigkeit dergleichenbegegnete, ihm etwas Unerfreuliches im Kreise seinerFreunde zu folgen pflegte. Was dem teuren Paarebevorstand, verbarg der Schleier der Zukunft; er aberbeschloß, die Augen für den Dion offen zu halten unddenArchibiuszuersuchen,dasGleichezuthun.DochimDrangederArbeitkamdasMißgefühlbaldzumSchweigen.DerSchadenwar schnellwieder hergestellt,undspätererteilteGorgiasbaldmitdieser,baldmitjenerTafel oder Rolle in der Hand die verschiedenartigstenBefehle.AllmälichverfinstertesichdasLichtdestrübenTages.

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Bevor die Nacht hereinbrach, die Sturm und Regen zubringendrohte, ritteraufseinemMaultierenocheinmaldas Bruchium hinunter, um die Fortschritte an deneinzelnenBautenzuüberschauenundneueAnordnungenzutreffen;denndieArbeitsollteinderNachtfortgesetztwerden.VonderSeeherwehteesjetztsoheftigausNorden,daßesMühe kostete, die Fackeln und Lampen in Brand zuerhalten.DerWindpeitschte ihmeinzelneRegentropfenins Antlitz, und ein Blick gen Mitternacht zeigte ihmschwarze Wolkenmassen jenseits des Hafens und desPharus. Das verhieß eine schlimme Nacht, und wiederüberkam ihn die peinliche Empfindung, als stehe einUnheilbevor.DennochwarerschnellundbesonnenamWerkeundgriffauchselbstmitzu,woesdaraufankam.DieNachtfolgtedemAbend.KeinSternwaramHimmelsichtbar,unddievomNordwinddurchwehteLuftwurdesokühl,daßGorgiasdemLeibsklavenendlichgestattete,ihmdenMantelumzulegen.WährenderdieKapuzeüberdenKopf zog, schaute er einem Zuge von Sänften undMenschennach,deraufdieLochiaszuschritt.Vielleicht kamen die Kinder der Königin von einemAusfluge nach Hause. Aber es waren doch wohl eherPrivatleute,diesichzueinemSiegesfestebegaben;dennalleWeltglaubte jetzt aneinegroßeSchlachtundeinenglücklichen Ausgang des Krieges. Das Heil- und

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Hochrufen der Leute, die sich trotz des üblen WettersimmernochamHafenaufundniederbewegten,bewieses.EbenwardieletztederdenZugbegleitendenFackelnanGorgias vorübergetragen worden, und er hatte sichgesagt, daß sich eine der königlichen Familieangehörende Sänftenreihe nicht unter so dürftigerBeleuchtungdurchdiefinstereNachtfortbewegenwürde,als ein einzelner Mann mit einer Laterne in der Hand,derenflackerndesLichtihmindasfaltigeGesichtschien,vonderandernSeiteraschenSchrittesdaherkam.Eswarder alte Phryx, der Haussklave des Didymus, den derBaumeister kennen gelernt hatte, während die InschriftfürdasvonihmerbauteOdeumvondemaltenGelehrtenhergestellt worden war. Der greise Diener hatte ihmdamals mehrfach Aenderungen des ersten Entwurfesseines Herrn überbracht und den Gorgias gestern daranerinnert.EbenhattendieArbeiter,vondenendieDoppelstatuebeihellem Fackelschein und taktmäßigem Gesang auf dasPostament erhoben worden war, die Taue, Winden undHebel aus der Hand gelegt, als der Baumeister denSklavenerkannte.WaswolltederalteMannsospätinderfinsterenNacht?DaseingestürzteGerüstkamihmwiederindenSinn.SuchtederSklaveHilfefüreinMitglieddesHauses?War

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Helenaihrerbedürftig?Da hielt er denAlten an, und dieser beantwortete seineFragemit einem schwerenSeufzer, demdasSprichwortfolgte: »Das Unglück kommt immer wie die Ochsenpaarweis.«DannfuhrerBerichterstattendfort:»GesterngabesgroßeAngst.AlsesdannheutsofrohhergingbeiunswegenderBarine,dacht’ ichgleich:›AufLustfolgtLeid‹, und das zweite Unheil bleibt uns doch nichterspart.Soist’sdennauchgekommen!«Da gebot Gorgias besorgt, ihm zu vertrauen, wasgeschehen sei,undderAlte trat ihmnäherund flüsterteihmzu,derSchülerundGehilfedesDidymus,derjungePhilotasvonAmphissa,einStudentunddazueinartigerjunger Mann aus gutem Hause, habe sich zu einemSchmause begeben, zu dem Antyllus, der Sohn desAntonius, einige junge Leute geladen, die mit ihm denUnterrichtteilten.Esseischonmehrmalsvorgekommen,under,Phryx,habeihngewarnt;dennwenndieKleinenmitdenGroßenverkehrten,gingesfürdieKleinenseltenab ohne Püffe und Stöße. Der junge Mensch, der sichsonst nicht schlimmer geführt habe als die anderenEpheben,seivonsolchenFestenimmermitrotemKopfe,aufunsicherenFüßennachHausegekommen;heuteaberhabeernichteinmalseinKämmerchenimoberenStockegefunden.WieaufderFlucht,undvonHäschernverfolgt,seierindasHausgedrungen,undwährenderdieTreppe

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hinaneilen wollte — es sei eigentlich nur einefeststehendeLeiter—habeereinenFehltrittgethanundseihinuntergefallen.Wasihn,denPhryx,angehe,glaubeer nicht, daß er dabeiSchaden erlitten; dennkeinGliedthueihmweh,auchnicht,wennmaneszieheunddehne,undDionysusbehütefreundlichdieTrunkenen;esmüsseabereinDämonin ihngefahrensein;dennerheuleundstöhne fortwährend und bleibe auf Zureden und Fragendie Antwort schuldig. Nun wisse er zwar von demDionysusfeste her, daß der junge Mensch zu denengehöre, die im Rausche weinen und jammern; diesmalabermüssedochetwasBesonderesmitihmvorgegangensein; denn erstens sei sein hübsches Gesicht schwarzgefärbt und sehe gräßlich aus, seitdem die Thränen denRußvonmanchenStellenabgewaschenhätten,dannaberrede er lauter wirres Zeug durcheinander. Es sei einJammer!Bei dem Versuche, ihn mit dem Gartensklaven in seinZimmer zu tragen, habe er wie ein Besessener mitHändenundFüßenumsichgeschlagen.NunglaubeauchDidymus,Dämonenhättensichseinerbemächtigt,wieesbeisolchennichtseltengeschehe,diebeimFallvoneinerTreppe mit dem Kopfe auf den Boden schlügen unddamit bei denDämonen in der Erde anklopften und sieweckten. Ei freilich! Dämonen könnten es schon sein,doch keine anderen als die desWeines.DerStudent seieben»vollundtoll«,wiedieLeutesagten.Aberderalte

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Herr halte große Stücke auf den Schüler, und habe ihmbefohlen denOlympus zu holen, der schon, so lange erdenkenkönne,derArztdesHauses.»Der alte Leibarzt der Königin?« frug Gorgiasmißbilligend,undalsderSklavediesbestätigte, riefderBaumeister bestimmt: »Den ehrwürdigen Greis beisolchemNordwindumdergleicheninsFreiezuzwingen,dünkt mich nicht billig. Das Alter ist eben gegen dasAlter nicht sonderlich barmherzig. Ich kann, nun dasDing dort steht, auf eine halbe Stunde den Postenverlassen und will Dich begleiten. Um diese Dämonenauszutreiben,ist,denk’ich,keinLeibarztnötig.«»Recht,Herr,recht,«riefderSklave,»aberderOlympusistunserFreund.ErbesuchtnurnochwenigeKranke;zuunsaberkommterbeijedemWetter.ErhatauchSänften,Wagen und prächtige Maultiere. Die Königin schenktihm, was das Beste ist und das Bequemste. Er ist klugundhilftvielleichtschnell.Wasmanhabenkann,dassollmanbenutzen.«»Nur wo es not thut,« versetzte der Baumeister. »DastehenmeinebeidenReittiere,folgeDuaufdemzweiten.Werde ich mit den Dämonen nicht fertig, bleibt DirimmernochZeit,zudemLeibarztezutraben.«Dieser Vorschlag gefiel dem Alten, und um wenigesspäterbetratGorgiasdasTablinumdesaltenPhilosophen.HelenahießihnwieeinenaltenFreundwillkommen.Wo

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ererscheine,dachtesie,seiesschonhalbvorbeimitderGefahr.AuchDidymuswarfrohüberseinKommenundführte ihn in das kleineGemach,wo der vonDämonenbesesseneJünglingaufeinemDiwanlag.Er stöhnte und wimmerte noch immer. Helle ThränenrannenihmüberdieWangen,undsobaldsich ihmeinesderMitgliederdesHausesnahte,stießereswehklagendvonsich.Als Gorgias ihm die Hände festhielt und ihm strengbefahl, zu bekennen, was er sich vorzuwerfen habe,schluchzte er, er sei der undankbarste Bösewicht aufErden. Seine guten Eltern, sich selbst und die FreunderichteseineSchlechtigkeitzuGrunde.Dann klagte er sich an, daß durch seine Schuld dieEnkelin des Didymus ins Verderben gerate. Er wäresichernichtwiederzudemAntyllusgegangen,hätteihnseine Großmut von neulich nicht an ihn gefesselt; abernunmüsseeresbüßen, jabüßen ...Darauf lallteer,wiegebrochen,dasWort»büßen«immerfortvorsichhin,undfürserstewarweiternichtsvonihmzuerfragen.Für den letzten dunklen Satz besaßDidymus indes denSchlüssel.VoretlichenWochenwarPhilotasmitanderenSchülern des Rhetors, dessen Vorträgen imMuseum erfolgte, vonAntyllus zum Frühstück eingeladenworden.Als der Student die schönen silbernen und goldenenBecherlautbewunderthatte,ausdenengetrunkenworden

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war, hatte der übermütige junge Wirt gerufen: »SiegehörenDir; nimm siemitDir!«BeimAufbruche hattederMundschenkdenPhilotas,derweitentferntgewesenwar, diese Schenkung für ernst zu halten, aufgefordert,seinEigentuminEmpfangzunehmen.AntyllushabeihmdiePokaleverehrt;dochrateerdemjungenManne,sichdenWert inGeldauszahlenzulassen;dennesbefändensicheinigealte,kunstvollverfertigteStückedarunter,dieAntonius, der Vater des verschwenderischen jungenMannes,vielleichtungernmissenwürde.DaraufwarendemerstauntenStudentenmehrereRollengoldenerSolidiausgezahltworden,—undsiehattenihmnicht eben zumNutzen gereicht; denn durch siewar esihm möglich geworden, sich zu den reichen undvornehmenStudiengenossenzuhaltenundmanche ihrerAusschweifungenmitzumachen. Dennoch hatte er nichtaufgehört, dem Didymus gegenüber seine Pflicht zuerfüllen.MachteerauchbisweilendieNachtzumTage,sogaberdochkeinenernstenAnlaßzumTadel.Manverziehihmauch gern kleine Jugendvergehen; denn er war einwohlgestalteter, heiterer jungerMann, der es verstandenhatte,sichjedemMitgliededesHauses,auchdenFrauen,angenehmzumachen.Was war nur heute über den Beklagenswertengekommen? Den Didymus erfüllte er mit dem größten

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Mitleid, und wenn er sich auch dem Gorgias für seinErscheinen verpflichtet fühlte, so gab er ihm doch zuverstehen,daßihndasAusbleibendesArztesverdrieße.Aber der Baumeister war in einem langenJunggesellenleben in dem den Gaben des DionysosholdenAlexandriamitKrankheitenwiediedesPhilotasund ihrer Behandlung vertraut geworden, und nachdemman ihmmehrereKrügeWassergebrachtund ihnkurzeZeitmitdemLeidendenalleingelassenhatte, freutederPhilosoph sich im stillen, den greisen Leibarzt nicht indie stürmische Nacht hinaus gerufen zu haben; dennGorgias führte ihm den Schüler zwarmit nassemHaar,sonstaberimZustandeschnellfortschreitenderGenesungentgegen.Das hübsche Gesicht des Jünglings war vom Rußebefreit, doch er schaute beschämt zu Boden, und dannund wann griff er nach der schmerzenden Stirn. Esbedurfte der vollen Ueberredungskunst des altenPhilosophen, um ihn zum Reden zu bringen, auch batPhilotas das Mädchen, bevor er begann, ihn mit denMännernalleinzulassen.Erwarwillens,strengbeiderWahrheitzubleiben,dochfürchteteernochimmer,derunsinnigeStreich,zudemersich hatte fortreißen lassen, könnte verhängnisvoll fürseinkünftigesLebenwerden.Besonders von dem Baumeister, dem er die schnelle

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Entnüchterung verdankte, und dessen freundlich ernstesWesen ihm Zutrauen einflößte, hoffte er auf guten Rat;demGreiseaberwarerzusogroßemDankeverpflichtet,daß er ihm Aufrichtigkeit schuldete; — einen derHauptbeweggründe seiner thörichten Handlungsweisewagteeraberdochnichtzubekennen.DasUnternehmen, zu demermit herangezogenwordenwar, hatte sich gegen Barine gerichtet. Schon langeglaubte er siemit der ganzenGlut des zwanzigjährigenHerzens zu lieben. Kurz bevor er sich zu demverhängnisvollenGastmahlebegab,hatteerindesgehört,daßdiejungeFrausichdemDionversprochen.Dashatteihn tief verletzt; denn inmancher stillen Stundewar esihmmöglicherschienen,siefürsichzugewinnenundsieals Gattin in das Vaterhaus zu Amphissa zu führen. Erwar ja nur um weniges jünger als sie, und hätten dieEltern sie nur erst gesehen, sie wären gewiß nicht imstande gewesen, seineWahl zumißbilligen. Und die inAmphissa!Wie eineGöttin hätten sie Barine anstaunenmüssen!Doch nun war der vornehme Herr gekommen, um dieschönsteseinerHoffnungenzuzertreten.VonLiebewarzwischenihmundBarinefreilichniedieRedegewesen,dochwiefreundlichhattesieihnimmerangeschaut,wiewillig sichkleineDienste von ihmgefallen lassen!Nunwarsieihmdennochverloren.

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Anfänglich hatte er dies nur betrübend gefunden;nachdemeraberdemWeinezugesprochenundAntyllus,der Sohn des Antonius, im Kreise der Zecher, denenCäsarion als Symposiarch2 vorstand, Barine beschuldigthatte, dieHerzenmitmagischenMitteln zu verzaubern,warerzuderUeberzeugunggelangt,aucherseivonihrfreventlichangelocktundverratenworden.ZumSpielzeuge,sagteersich,habeerihrgedient,wennsie ihm nicht dennoch gut gewesen war und den DionihmnurwegenseinesreichenBesitzesvorgezogenhatte.In jedem Falle fühlte er sich berechtigt, der Barine zuzürnen,undmitderZahlderBecher,dieerleerte,wuchsdereifersüchtigeGroll.Alserdannaufgefordertwurde,sichandemStreichezubeteiligen,der ihmjetztdasGewissenbelastete,willigteermitglühendemHaupteein,umsiefürdasUnrechtzubestrafen,das sie in seinererhitztenPhantasieauch ihmangethanhatte.DasallesverschwiegerdenälterenMännernunderzähltenur kurz von dem prächtigen Gastmahle, das Cäsarion,bleichundteilnahmloswieimmer,geleitethabe,unddasbesonders von Antyllus mit tollem Uebermut belebtwordensei.»Der, König der Könige« und der Sohn des Antoniushätten sichunterdemVorwand, auf Jagdzugehen,vonden Hofmeistern befreit. Der Oberjägermeister habe

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ihnen dies Vergnügen gegönnt. Sie hätten ihm nurversprochen,sichinderFrühedesnächstenMorgensfürdenAufbruchindieWüstebereitzuhalten.AlsnachdemSchmausedieMischkrügeaufgestelltunddieBecherschnellergefülltwordenseien,habeAntyllusmancherlei mit Cäsarion geflüstert und dann dasGesprächaufBarine,dieSchönstederSchönen,geleitet,die die Himmlischen für den Größten und Höchstenbestimmten.DasseiderKönigderKönige,Cäsarion,undernehmeauchdieGöttergunstfürsichinAnspruch.Abermanwisse,daßAphroditesichselbstfürgrößerhaltealsden höchsten der Könige, und Barine wage es darum,ihremhohenSymposiarchen in einerWeisedieThür zuverschließen, die nicht nur ihm, sondern der ganzenJugendAlexandrias unerträglich erscheinenmüsse.WassichEphebezuseinrühme,demmögedieFaustsichvorEmpörungballen,wennervernehme,daßdieübermütigeSchönedieJugendvonsichfernhalte,weilsienurältereMännerfürwerthalteihrerBeachtung.Dasdürfenichtsohingehen! Die Epheben von Alexandria müßten ihrvielmehrdieMachtder Jugendzu fühlengeben.Umsodringender sei dies geboten, als Cäsarion dadurch demZieleseinerWünscheentgegengeführtwerde.Barine fahre heut abend aufs Land.Der beleidigte Erosselbst ebne ihnen dadurch die Wege. Er gebiete ihnen,denWagenderübermütigenSchönenanzuhalten,undsie

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demjenigen zuzuführen, der sich imNamen der Jugendverpflichte, ihr zu zeigen, daß die Leidenschaft derEpheben, die sie schmählich von sich fern halte, heißerglühe, als die der alternden Herren, denen sich Barinegnädigerweise.Hier unterbrach Gorgias den Erzähler mit einem lautenRufe des Unwillens, dem alten Didymus aber schienendie hervortretenden Augen aus den Höhlen quillen zuwollen, als er dem Schüler mit rauher Stimme einungeduldiges»Weiter!«zurief.Und Philotas, von dem der letzte Rest des Rauschesgewichen war, schilderte nun mit wachsenderLebhaftigkeit,wiemitdemstillenCäsarion,alshabeeinZauber auf ihn gewirkt, eine wunderbare Veränderungvorgegangen sei; denn kaum hätten die Zechgenossendem Antyllus zugejubelt und sich bereit erklärt, diebeleidigteJugendanderBarinezurächen,alsder»Königder Könige« plötzlich von dem Polster, auf dem er bisdahin müde und teilnahmlos gelegen, aufgeschnellt sei,um ihnen mit feurig blitzenden Augen zuzurufen, wersich sein Freund nenne,müsse ihm bei demUeberfallehelfen.Hierwurdeervoneinemneuenungeduldigen»Weiter!«des Meisters zu größerer Eile gedrängt, und schnellerfuhr er zu berichten fort, wie sie sich das Antlitzgeschwärzt und mit den Schwertern und Lanzen des

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Antyllusbewaffnethätten.BeiSonnenuntergangseiensieineinemverdecktenBootedurchdenAgathodämonkanalandenmareotischenSeegefahren.Esmüßte alleswohlvorbereitet gewesen sein; denn genau zur rechten Zeitwärensiegelandet.DasieauchaufderWasserfahrtmitdemallerfeurigstenWeine sich den Mut gestärkt hätten, sei er schon mitMüheansUfergetaumeltunddortvondenanderenmitfortgerissenworden.Weiterwisseernichtsmehr,alsdaßersichmitaufeinegroßeHarmamaxa3gestürzthabeunddabeizuBodengefallensei.Alsersichwiedererhoben,seischonallesvorübergewesen.Wie im Traume habe er Scythen und andereSicherheitswächter den Antyllus ergreifen und denCäsarionmiteinemandernaufdemBodenringensehen.Irre er nicht, so sei es Dion, der Verlobte der Barine,gewesen.Diese Mitteilungen waren von manchem Rufe derUngeduldundEmpörungunterbrochenworden,jetztaberstießDidymuswieaußersichdieFragehervor:»UnddasKind—undBarine?«Als aber Philotas auf diese Frage keine andereAntwortfandwieeinestummeNeigungdesHauptes,übermanntedieEmpörungdenaltenPhilosophen,undindemerdemSchülerdieHände indieBrustfaltendesChiton schlug,schüttelteerihnundriefihmzornigentgegen:

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»Duweißtnicht,Bube?Stattsie,dieDirwertseinsollte,alsKinddiesesHauseszuschützen,gesellstDuDichdenruchlosen Verächtern der Sitte und des Rechtes zu, alsSpießgeselldieserschändlichenWegelagererimPurpur?«Hier hielt der Baumeister den empörten Greis mitbesänftigendenWorten und der Erklärung zurück, allesmüsse jetzt in den Schatten treten vor der Forderung,nachBarineundDionzuschauen.Erwissenicht,woihmderKopfstehebeiderUeberfüllederArbeit,dochwolleer schnell mit dem Bauführer reden und den Freundaufzufindenversuchen.»Und ich,« rief der Alte, »muß sogleich zu demunglückseligen Kinde. — Den Mantel, Phryx, dieSandalen!«Statt der Mahnung des Gorgias, seiner Jahre und desstürmischenWetterszugedenken,fuhrerauf:»Ichgehe,hab’ichgesagt.UndwennderSturmmichzuBoden reißen und der Blitz des Zeusmich treffenwill,nur zu!Auf einUnglückmehr oderweniger kommt esnicht an in einem Leben, das eine Kette war vonschweren Schlägen des Schicksals.Drei Söhne hab’ ichals blühende Männer begraben, und zwei davon nahmmir der Krieg. Barine, dieWonne meines Herzens, ichThor kettete sie selbst an den Bösewicht, der ihr dassonnigeLebenverdarb,undnunichsieglücklichwähnte,vorSorge undMißdeutunggesichert, an derSeite eines

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trefflichenMannes,nunverwunden,mordenihrvielleichtverruchteBuben,dieihreGeburtderRacheentzieht,denVerlobten. Ihren guten Namen treten sie in den Staub,undmeinweißesHaar!DenGartenhut, Phryx, und denStab!«SchonlangehattederSturmdasdemMeerebenachbarteHausumtobt, unddasSegel, dasüber dieoffeneDeckedes Impluvium gespanntwordenwar, zerrtemit lautemGeräusch an den metallenen Ringen. Jetzt wehte einZugwind so heftig von Raum zu Raum, daß an derdreiarmigenLampezweiFlammenerloschen.Die Hausthür war geöffnet worden, und triefend vonRegen, mit der Kapuze über dem braunen Kopfe,überschritt der nubische Pförtner der Frau Berenike dieSchwelle.Er bot einen kläglichen Anblick und fand anfänglichkeine Entgegnung auf die Begrüßung und Fragen derMänner, zu denen sich Helena, an deren Arm dieGroßmutter hing, gesellt hatte; denn der Atem stockteihmnachdemraschenGangedemSturmentgegen.Erhattenichtvielzuberichten.BarineließdenIhrennursagen, was ihnen auch das Gerücht zutragen möge, sieund dieMutter seien unverletzt.Dion habe eineWundeanderSchulterdavongetragen,dochseisienichtschwer.Sie und die Mutter teilten sich in die Pflege. DieGroßelterndürftenunbesorgtsein;dergegensiegeplante

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Angriffseivölligmißlungen.DietaubeFrauDorishattemitderHandamOhrediesemBerichtevergeblichgelauscht,undDidymuserzähltenunder Enkelin, so viel er für gut hielt, von demVorgefallenen, damit sie, deren Lippenbewegungen dieGroßmutterverstand,esauchihrmitteile.Daß sein Liebling unbeschädigt aus einer so schwerenGefahr hervorgegangen war, that dem Didymus wohl,unddochbliebervonschwererBesorgnisbelastet.AuchderBaumeisterbefürchtetedasSchlimmste.Durch die Versicherung, ungesäumt hieherzurückzukehrenundeingehendeNachrichtenzubringen,wenn er sich selbst über dasErgehen des Freundes undseiner Braut überzeugt haben würde, bestimmte er denGreis, von dem nächtlichen Gange durch den Sturmabzusehen.Der Student Philotas bat feuchtenAuges, ihn als Botenoder wozu auch immer zu benützen, doch Didymusbefahlihm,zurRuhezugehen.EswerdesichschoneineGelegenheit für ihn finden, gut zu machen, was er soleichtfertigverschuldet.Eswar in dem stillenGelehrtenheim um dieNachtruhegeschehen, und als Gorgias sich entfernt und DidymusdenWunschHelenas,sichvondemaltenPförtnerzuderSchwesterführenzulassen,abgeschlagenhatte,bliebderGreismitderGattinimTablinumallein.

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Eswarihrnurmitgeteiltworden,daßDiebeihreEnkelinBarine angefallen und ihren Verlobten leicht verwundethätten,dochsagteihrdasHerzunddasVerhaltendesmitihr ergrauten Gefährten, daß man ihr manchesverheimliche. Sie hätte gern klar gesehen, doch demDidymus wurde es schwer, ihr eine längere MitteilungmitlauterStimmezumachen,undsiebrachtedarumdieSehnsuchtnachdervollenWahrheitzumSchweigen.Umdie Mitteilung des Baumeisters abzuwarten, legten siesichnochnichtzurRuhe.DidymushattesichaufeinemLehnstuhleniedergelassen,undFrauDoris saß inseinerNäheanderSpindel,ohnedieFädenvonderKunkelzuziehen.WennsiedenGattenseufzenunddasHaupt indieHändeverbergen sah, tratsie ihm nur, so sauer es ihr auch fiel, auf den Stockgestützt näher und strich ihm mit der Hand über denhalbkahlen Scheitel. Dabei fand sieWorte, die ihm gutthun mußten, und als der sorgenvolle und bekümmerteAusdruck doch nicht aus seinem faltenreichen Gesichteweichen wollte, redete sie ihmmit der stockenden unddochwarmenStimmezu,indemsieihnerinnerte,wieoftsieschongedachthätten,verzweifelnzumüssen,undwieesdanndochwiedergutgewordensei.»Sieh,Alter,« fuhr sie fort, »ichweiß ja, daß eswiederrecht schwarzeWolken sind, die über uns hängen, undkannsiemirnichteinmalrechtvorstellen,weilihrsiemir

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nur von weitem zeigt. Aber daß sie unsmit Schwerembedrohen,dasfühl’ich.Unddoch,doch.Waskönnensieuns anhaben, wenn wir nur fest zusammenhalten, wirbeidenAlten und dieKinder derKinder, dieHades unsraubte. Man wird doch nur alt beisammen, um zuerkennen, daß das Dasein ein Haupt hat mit vielenGesichtern. Das garstige von heute kann es so weniglange behalten wie Du diese tief gefurchte Stirn. Ummeinetwillen brauchst Du Dir keinen Zwang anzuthun,Alter.Laßsienurso.IchbrauchenichtsalsdieAugenzuschließen,umzusehen,wiefaltenlosschönsieeinstwarinderJugendundwiefreundlichsiedreinschauenwird,wenndiebesserenTageerstsagen:›Hiersindwir!‹«Da küßte er ihr mit einem wehmütigen Lächeln denergrautenScheitelundriefihrindaswenigertaubelinkeOhr:»WiejungDudochimmernochbist,Alte!«

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ZehntesKapitel.

VonNordenherheultederSturmüberdie InselPharusunddieUntiefenderDiabathraindengroßenHafenvonAlexandriaherein.DassonstsostilleWasserschlugWellen,unddasFanalaufdemLeuchtturmedesSostratussandtediezerrisseneFülleseinerFlammenmitfeindlichemUngestümaufdieStadt zu. Die Feuer in den Pechpfannen und dieFackellichteramUferschienenbalderlöschenzuwollen,bald durchbrachen sie mit doppelt hellem AufflammendensieumhüllendenQualm.Der königliche Hafen, ein stattliches Becken, das dersüdlichereTeilderLochiasundeinStückdesnördlichenGestades des Bruchium als Halbkreis umgaben, war injeder Nacht hell beleuchtet, heute aber schien in dieLichter an seinem westlichen Teile, wo die geheimenAnkerplätze der königlichen Flotte lagen, ein seltsamesLebengekommen.WaresderSturm,dersiebewegte?Abernein!WiehätteerdieeineFackelandieStellederandern setzen und Lichter oder Laternen der RichtungseinesungestümenWehensentgegeninBewegungsetzenkönnen?Dochnurwenigenahmendieswahr; dennwieviele auch frohe Erwartung oder bange Sorge dazuantrieb, wer mochte sich in solcher Sturmnacht hinaus

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undandenQuaiwagen?IndenköniglichenHafenhätteohnehinniemandEinlaßgefunden;dennerwarvonallenSeitenverschlossen.AuchdieMole,diedemLandbogen,der ihnumgab,genWestenzurSehnediente,besaßnureine einzige Oeffnung, und sie war — das wußtejedermann — mit einer Kette in ähnlicher WeiseverschlossenwiedergroßeHafeneingangzwischendemPharusundAlveusSteganus.Zwei Stunden vor Mitternacht gelangten trotz deswilderen Brausens des Sturmes die sonderbar bewegtenLichter zu größerer Ruhe. Aber denjenigen, für die siebrannten, hatte das Herz wohl selten so unruhiggeschlagen. Es waren die der Königin am nächstenstehenden Würdenträger und Hofbeamten: einigezwanzigMänner, und unter ihnen Iras als einzige Frau.Der Regent Mardion und sie hatten sie hieher berufen,weil der Brief der Kleopatra die mit VollmachtenBetrauten zu ihrem stillenEmpfange zuließ.Nach einereingehenden Beratung hatten sie die Befehlshaber derkleinen zurückgebliebenen römischen Besatzung nichtmitgeladen.Eswar ja fraglich, obdieErwarteten schonindieserNachtheimkehrten,unddierömischenKrieger,diedemMarcusAntoniusetwasgalten,warenmitihmimKriege.Die Halle in der Mitte der geheimen Rhede desköniglichen Hafens, in der sie sich versammelten, war

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mit fürstlicher Pracht ausgestattet; denn sie wurde vonderKönigingernbenützt.EsfehlteindemweitenRaumean keiner Bequemlichkeit, und die meisten Wartendenbedienten sich derwohlgepolstertenRuhesitze,währendandere, von innerer Unruhe getrieben, auf und niederschritten.Da dieser Raum monatelang unbenutzt geblieben war,hatten sich Fledermäuse in ihm eingenistet, und nun erbeleuchtet wurde, flatterten sie, von dem Glanze derLampen und Kerzen geblendet, über den Häuptern derVersammelten dahin. Iras hatte den Befehlshaber derMellakes oder Jünglinge, eines Leibwachencorps, dassichausdenSöhnenvornehmermakedonischerFamilienzusammensetzte, gebeten, die lästigen Tiere zuvertreiben, und es zog nun den der Königin treuergebenenKriegervondeneigenenSorgenab,mitdemSchwertenachihnenzuschlagen.AnderesahendiesemnichtigenKampfelieberzu,alsdaßsiesichderBangigkeithingegebenhätten,diesieerfüllte.Der Regent schaute stumm zu Boden, Iras hörte bleichundzerstreutdenDarlegungendesSiegelbewahrersZenozu,undArchibiuswarinsFreiegetretenundschaute,desSturmes nicht achtend, über das hochbewegteHafenwassernachdenerwartetenSchiffenaus.In einem hölzernen Schuppen, dessen Decke vonbuntbemaltenSäulengetragenwurde,durchdiederWind

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pfiff,wardieDienerschaft,vondenFourierenanbiszuden Sänftenträgern, gruppenweise beim Scheine vonLaternen, in denen das Licht hin und her flackerte,versammelt. Die Griechen hatten sich auf Holzsesseln,dieAegypter auf denMatten amBoden niedergelassen.Den weitesten Kreis bildeten die Fouriere, die für dasGepäck der Königin zu sorgen hatten, mit den höhergestelltenSklavenvomHofstaate,zudenenauchmehrereZofengehörten.Es war ihnen gesagt worden, man erwarte die KöniginschonindieserNacht,weilesmöglichsei,daßderstarkeNordwind ihr Schiff unerwartet schnell aus dergewonnenenSchlacht heimführe.Aber siewaren besserunterrichtet; denn es gibt Thürspalten und Vorhänge inden Palästen, und es wohnt dort ein Echo von eigenerArt, das innerhalb ihrer Mauern selbst das GeflüstervernehmlichvonOhrzuOhrträgt.Der freigelassene Leibsklave des FeldhauptmannsSeleukus führte das großeWort. SeinGebieterwar vonder Grenzfestung Pelusium aus, die er befehligte, vorwenigen Stunden in Alexandria eingetroffen. Eingeheimnisvoller Befehl des Lucilius, des treuestenFreundes des Antonius, der ihm durch einenSchnellseglervonTaenarumausüberbrachtwordenwar,hatteihnhieherberufen.DerFreigelasseneBeryllus,einmundfertigerSicilier,der

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als Schauspieler bessere Tage gesehen hatte, bevor erdurch Seeräuber der Freiheit beraubt worden war, hattemancheNeuigkeit erlauscht undman lieh ihm gern dasOhr;dennzuPelusiumwarenvonNordenherkommendeSchiffe gelandet, die die üblen Nachrichten, die in dasSebasteumgedrungenwaren,bestätigtenundergänzten.Hätte man ihm glauben wollen, wäre er so gutunterrichtet gewesen, als hätte er der Seeschlacht selbstbeigewohnt; denn erwollte demGespräch seinesHerrnmit vielen Schiffsführern und Boten aus Griechenlandbeigewohnt haben. Auch gab er sich das Ansehen destreuen,strengverschwiegenenDieners,dernurbestätigenund zurückweisen dürfe,was dieAlexandriner schon inErfahrung gebracht. Indes bestand seinWissen nur auseinem krausen Gewirr von falschen und richtigenThatsachen. Während die ägyptische Flotte bei Actiumgeschlagen worden war und Antonius sich mit derKleopatra auf der Flucht zuerst nach Taenarum an derSpitze des Peloponnes begeben hatte, wollte er wissen,Landheer und Flotte wären an der peloponnesischenKüste zusammengestoßen und Octavian verfolge denAntonius, der sich nach Athen gewandt habe, indesKleopatrasichaufdemWegenachAlexandriabefinde.Diese »sicheren Nachrichten« hatte er aus einzelnenWorten zusammengeflochten, die er bei Tisch undwährend der Feldhauptmann Boten empfing und

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abfertigte, ihm von den Lippen gefangen. Anderemgegenüber war es besser mit seiner Zuverlässigkeitbestellt.WährendderHafenvonAlexandriaschonseitmehrerenTagen gesperrt worden war, hatte in den von Pelusiumeinlaufen dürfen, was wollte, und alle Führer der neuangekommenen Schiffe und Karawanen warenverpflichtetgewesen,sichbeidemHerrndesBeryll,demKommandantenderwichtigenGrenzfestung,zumelden.Erst gestern nacht war er von Pelusium aufgebrochen.DerscharfeWindhattedieTrierevorsichhergejagt.—denMöwenseiesschwergeworden, ihrzufolgen.UndeswurdedenZuhörernleicht,dieszuglauben;dennderSturm heulte draußen lauter und lauter und pfiff durchden offenenRaum, in demdieDienerschaftweilte.Diemeisten Lampen und Fackeln verlöschte er, denPechpfannen entströmte nur noch schwarzer, mit gelbundrotenFlammendurchschossenerQualm,undbloßdiefest verschlossenen Laternen fuhren fort, flackerndeHelligkeit zu verbreiten. So herrschte nur ein trübes,immerfort wechselndes Licht in demweitenmit RaucherfülltenRaume.EinerderFourierehattefürWeingesorgt,umdasWartenzu verkürzen; doch er durfte nur heimlich getrunkenwerden, und es gab darum auch keinen Becher. DieKrügewandertendeshalbvonMundzuMund,undjeder

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Schluck war willkommen; denn der Sturm blies scharfherein,unddazureiztederRauchdieKehlen.Der Freigelassene Beryllus wurde auch oft von demHusten, besonders der Frauen, unterbrochen, als er vonden grauenvollen Vorzeichen erzählte, die man inPelusium seinem Herrn hinterbracht. Jedes seiwohlverbürgt und übertreffe das andere anvoraussagenderBedeutung.Da unterbrach ihn eine Zofe der Iras, um von denSchwalben an der »Antonias«, dem Admiralschiffe derKleopatra, zu erzählen. Von einem schlimmeren OmenwerdeerauchausPelusiumnichtzuberichtenwissen.Aber Beryll schaute sie mit einem mitleidigen Lächelnan,dasdieErwartungderanderensohochspannte,daßder oberste Fourier den Sänften- und Lastträgern, inderen Kreise es laut zu werden begann, ein barsches!»Stillgeschwiegen!«zurief.Darauf ließ sich denn auch bald in dem offenen Saalenichts mehr hören als das langgezogene Pfeifen desWindes, dann und wann ein Kommandoruf, der denWachenvordemköniglichenHafengalt,unddieStimmedes Freigelassenen. Er dämpfte sie, um den Reiz desGeheimnisvollen,dasermitteilenwollte,zusteigern.Mit einer schwülstigen Lobpreisung der Kleopatra unddesMarcAntonbegannerundfordertedieAnwesendenaus,sichzuerinnern,daßderImperatoreinNachkomme

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des Herakles sei. Den Alexandrinern werde außerdembesonderswohlbekanntsein,daßihreKönigin»dieneueIsis«undAntonius»derneueDionysus«zuseinundzuheißen beanspruchten. Uebrigens müsse auch jeder, derihmbegegnetsei,bekennen,daßeranGestaltundAntlitzweitehereinemGottegleichealseinemMenschen.AlsDionysushabederImperatorsichbesondersauchdenAthenern vorgestellt. Dort sei am Proscenium desTheaters ein großes Reliefbild der Gigantenschlacht zusehen, das berühmteWerk eines alten Bildhauers— erkenneesgut—undausdiesemanFigurenreichenReliefhabederSturmnureineGestaltgerissen,undwelcheseies gewesen? Die des Dionysus, des Gottes, als dessensterblichesAbbildAntoniuseinmalvordenAthenern ineiner Weinlaube gezecht. Der Sturm von heute seihöchstenswie derAtem einesKindes imVergleichmitdemOrkane,demesglückenkonnte,dieDionysusgestaltvondemhartenMarmor,mitdemsieverbundengewesenwar, zu reißen. Aber die Natur nehme eben die ganzeKraft zusammen, wenn es gelte, welterschütterndeEreignisse den kurzsichtigen Menschen voraus zuverkünden.Die letztenWorte spreche er seinemHerrn nach, der inAthen studirt habe. Siewären ihmaus der erschüttertenSeele gedrungen, als er von dem andern Vorzeichenhörte, wovon ein Schiff aus Ostia die Kunde gebracht.

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DieblühendeStadtPisaura...Hier aber ward er unterbrochen; denn mehrere hattenschon vor Wochen gehört, daß dieser Ort im Meereversunken sei, doch dabei nur die unglücklichenBewohnerbedauert.Beryllgestatteteihnengelassen,sichvondemVerdachtezu reinigen, man sei in Alexandria später von solchemmerkwürdigen Ereignis unterrichtet gewesen als zuPelusium,undnahm ihreFrage,wasesmitdemKriegezuthunhabe,anfänglichnurmitstummemAchselzuckenentgegen;alsaberauchderOberstederFourieredieszuwissenbegehrte,fuhrerfort:»DiesVorzeichengriffunsbesonderstiefindieSeele;dennwirwußten,wasPisauraist oder besser,wie es entstand.DieunglücklicheStadt,die der finstere Hades verschlang, sie gehörte rechteigentlichdemAntonius;dennindenTagendesGlückeshatteersiegegründet.«Mit einemherausforderndenBlickemaßerdie anderen,undes fehlte in ihremKreiseauchnichtanZeichendesEntsetzens,jaeinederZofenkreischtelautauf;dennderSturmhatteebeneineFackelaufdemeisernenRingeanderWandgerissenundsiehartnebendieLauschendenzuBodengeschleudert.Die Spannung schien denGipfel erreicht zu haben, unddoch sahmandemBeryllus an,daßerden letztenPfeilnochnichtdemKöcherentnommen.

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Die Zofe, durch deren Aufschrei auch die anderenerschreckt worden waren, hatte sich wieder erholt. Sieschien es am lebhaftesten nach etwas Neuem,Schrecklichem zu verlangen, und mit einem dringlichbittenden Blicke forderte sie den Freigelassenen auf,nichtzurückzuhalten,wasernochwisse.Da wies er ihr auf die trotz des sausenden Zugwindesperlende Stirn und sagte: »Brauche nur das Tuch! DirfeuchtetdasbloßeZuhörendieHaut.DieBildsäulenvonStein sind von härterem Stoff, aber auch ihnen wohnteineSeeleinne.HärterenoderweicherenGemütskönnensiesein,siebringenUeblesüberunsoderheilenschwereLeiden,jenachdemsieunsgesinntsind.Jedererfährtes,der die Hände bittend zu ihnen erhebt. Auch zu Albasteht eine solche Statue. Sie stellt denMarcAnton dar,dem zu Ehren die Stadt sie errichtete. Und sie, sie sahvoraus, was demjenigen bevorstand, dessen steinernerDoppelgängersieist.Ja,öffnetnurdieOhren!VierTagemag es her sein, da wurde ein Schiffsführer bei demHerrn gemeldet, und in meinem Beisein berichtete derMann,— erdfahl wurde er euch bei der Erzählung—was er selbst mit angesehen hatte. Der Statue desAntoniusinjenemAlbawarhellerSchweißvomAntlitzgeflossen. Da hatte die Bürgerschaft großes Entsetzenergriffen; Mann und Weib kam und kam, um derBildsäuleStirnundWangenabzuwischen,aber siehattenicht aufhören wollen, von hellem Schweiß zu triefen,

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und sowar esmehrereTageundNächtegegangen.Dassteinerne Abbild hatte eben voraus gefühlt, was demlebenden Marc Anton bevorstand. Entsetzlich sei esanzusehengewesen,sagtederMann.«HierstocktederErzähler,undmitihmfuhrderKreisderZuhörerzusammen;dennvondraußenherdurchschrillteder Klang einer geschlagenen Erzscheibe die Luft, undim nächsten Augenblick stand alles auf den Füßen undeilteaufseinenPosten.AuchinderprunkendenHallehattendieWartendensicherhoben.Hierwarnur leisegeflüstertodergeschwiegenworden. Hatte es schon vorher bange und ernsteGesichter gegeben, so war jetzt die Farbe von denmeistengewichen.DerscheueBlickdeseinenwichdemdesandernaus.ArchibiushattedenrotenSchimmeramFeuerdesPharuszuerst gewahrt, der dasNahen des königlichen Schiffesden Harrenden meldete. So früh hatte man es nichterwartet.AberdafuhresschonandemPharusvorüberinden großen Hafen ein. Es war wohl das AdmiralschiffAntonias, dasselbe, an dem die alten Schwalben diejungenzuTodegebissenhatten.So hoch die Wogen in dem geschützten Hafen auchgingen, brachten sie doch seinengewaltigenKörper nurleiseinsSchwanken.EinerfahrenerPilotmußteesandenUntiefen und Klippen im östlichen Teile der Rhede

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vorbeisteuern;dennstattwiesonstdieInselAntirrhoduszu umfahren, hielt es sich zwischen diesem Eiland undder Lochias und näherte sich in gerader Richtung demEingang in den kleinen königlichen Hafen. Zu seinenbeidenSeitenhattemandiePechpfannenmitneuemHarzundWerggespeist,um ihmdenWegzuerleuchten.Dieam Ufer versammelten Wartenden konnten jetzt seineUmrissedeutlicherkennen.EswardieAntoniasundwaresdochnicht.DerSiegelbewahrerZeno, der neben Iras stand, die denMantel fester um die fröstelnden Glieder schlang, wiesdaraus hin und raunte ihr zu: »Wie ein Weib, das inreichem Brautschmuck das Elternhaus verließ und alsverarmteWitwedahinzurückkehrt.«Da richtete sich Iras höher auf und versetzte mitabweisender Herbheit: »Wie die Sonne, die Nebelverschleiern, die aber binnen kurzem wieder hellerstrahlenwirddennje.«»Mir aus der Seele gesprochen,« versicherte der alteHofmann eifrig, »was die Königin angeht. Natürlichmeinte ich nicht die Majestät, sondern das Schiff. Duwarst ja krank,wie es in reichemBlumenschmuckemitpurpurnen Segeln ausfuhr. Und jetzt! Selbst dasflackerndeStreiflichtzeigtdieSchädenundFetzen.DaßunsereKleopatra-SonnediealteLeuchtkraftbaldwiedergewinnt, brauchst Du mir wohl am letzten zusagen;

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augenblicklich ist es aber hier am Wasser und in derSturmluftdennochrechtfrostigundkalt,undwennichandasersteWiedersehendenke...«»Wär’ es vorüber!« murmelte Iras und wickelte sichfester in den Mantel. Dabei schauderte sie zusammen;denn das Rasseln der schwerenKette, dieman von derHafenöffnung zog, durchklirrte unheimlich die nächtigeStille.DenWartenden legte es sichwie einAlp auf dieBrust; denn das hölzerne Ungetüm, das jetzt in denkleinenHafeneinzog,bewegtesich langsamund lautloswie ein Gespensterschiff vorwärts. Es war, als sei dasLeben aus dem riesigen, von Menschen wimmelndenFahrzeuge erstorben, als gehe ein Schiff vor Anker,dessen Bemannung einer Seuche zum Opfer fiel. Nureinzelne Kommandorufe und die Signalpfiffe derRuderflötisten ließen sich hie und da vom Bord hervernehmen. Wenige Laternen brannten mit unruhigemLicht aufdemunabsehbar langenDecke.DieglänzendeBeleuchtung,inderessonstbeiNachtstrahlte,hättedieBlickederAlexandrineraufsichgezogen.Jetzt war es der Landungsbrücke ganz nahe. DieWartenden folgten jedem Zoll seiner majestätischenFortbewegung mit atemloser Spannung; als aber schondas ersteTau denSklaven amUfer zugeworfenwordenwar, drängten sich einige Männer in griechischemGewandehastigunterdieWartenden.

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SiekamenmiteinerunaufschiebbarwichtigenBotschaftzudemRegentenMardion,dervordemSiegelbewahrerund Iras standundmitgefurchterStirndüsterzuBodenschaute.ErhattedieWortezuüberdenken,mitdenenerdie Königin anreden wollte, und in wenigenAugenblicken konnte das Schiff die Landung vollendethaben und Kleopatra die Brücke betreten. Gerade jetztihn zu stören, war ein Unterfangen, das niemand leichtwagen mochte, der den empfindlichen und in seinenLaunen unberechenbaren Eunuchen kannte. Aber derhochgewachseneMakedonier, der kurze Zeit die Blickedermeisten von dem Schiffe abzog,wagte es dennoch.Es war der Nachtstrateg, das vornehme Haupt desSicherheitswesensderStadt.»NuraufeinWort,Herr,«raunteerdemRegentenzu,»soungelegendieZeitauchseinmag.«»Sie ist es im höchstenGrade,« entgegnete der EunuchmitabweisenderStrenge.»Sagenwirsoungelegen,wieesDeinerEntscheidunginaller Eile bedarf. Der König Cäsarion und AntyllusüberfieleneineFraumitetlichenGenossen.GeschwärzteGesichter!Kampf! Cäsarion und der Begleiter der Frau— vornehm, vom Rat — leicht verwundet. Vietorenschreitenzu rechterZeit ein.Die jungenHerrenwerdenfestgenommen. Erst weigern sie sich, den Namen zunennen...«

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»Cäsarionleicht,wirklichungefährlichverwundet?«frugderEunuchmitdringlicherEile.»Sicher und gewiß. Olympus wurde sogleich zu ihmgerufen.EinLoch imKopfe.DerUeberfallenestieß ihnbeimKampfaufdasPflaster.«»Dion, der Sohn des Eumenes, der Mann,« unterbrachihn Iras, deren seines Ohr der Mitteilung desNachtstrategen gefolgt war. »Das Weib: Barine, dieTochterdesMalersLeonax.«»So seid ihr schon unterrichtet?« frug der Nachtstrategüberrascht.»Es scheint so,« entgegnete der Eunuch und schautedabei demMädchenmit einem vielsagendenBlicke insAntlitz.Dann fuhr er, indem er sichmehr an sie als andenMakedonierwandte,fort:»Wirlassen,denk’ich,diejungen Uebelthäter frei und möglichst heimlich auf dieLochiasbringen.«»IndenPalast?«frugderBeamte.»Natürlich,« erwiderte Iras bestimmt. »Jeden in seineGemächer.Dasollensiebisaufweiteresbleiben.«»Alles andere nach dem Empfange,« fügte der Eunuchhinzu, und der Nachtstrateg entfernte sich mit einerselbstbewußten,kurzenVerbeugung.»EinneuesUnglück,«seufztederEunuch.»Knabenstreiche,« entgegnete sie schnell. »Aber auch

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nochschwereresMißgeschick, ließesichdasdenken, istweniger als nichts, so lange es uns nicht in dieVorstellungtritt.DiesunangenehmeEreignismußdarumderKönigin einstweilen verschwiegen bleiben.Bis jetztist es eineWiderwärtigkeit und nichts weiter;— dabeikann und soll es auch bleiben; denn es liegt in unsererHand,denGiftbaum,vondemesausgeht,anderWurzelzutreffen.«»Du siehst aus, als könnte das niemand besser als Dubesorgen,« unterbrach sie der Regent mit einemSeitenblickaufdasSchiff,»undsoseiDirhiemitdieserAuftraggegeben.Derletzte,denichinAbwesenheitderKönigininihremNamenerteile.«»Anmirsollesnichtfehlen,«entgegnetesiefest.Als sie dann nach der Landungsstelle hinschaute,gewahrte sie den Archibius, der allein und in sichversunkenzuBodenschaute.Esdrängtesie,denOheimvondemGeschehenenzuunterrichten;dochschonnachdem ersten Schritt hemmte sie den Fuß, und von denschmalenLippenklangihreinfestes»Nein«.DerFreundwarihrzumSteinimWegegeworden.Mußtees sein, würde sie Mittel finden, auch ihn beiseite zustoßen, trotz seiner Schwester Charmion und der altenBande, die ihn mit Kleopatra verknüpften. Er warschwachgeworden,Charmionesimmergewesen.EswäreihrZeitgenuggeblieben,schonjetztzuerwägen,

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was sie zunächst insWerk zu setzenhabe, hätte ihr dasHerznichtsowehgethan.Als das große Admiralschiff schon fest lag, vergingennochlangeMinuten,bevorerstzweiPastophorenderIsis,die den dem Tempelschatze der Göttin entnommenenBecher des Nektanebus hüteten und in einer bemaltenLade trugen, und nach ihnen der erste Kämmerer derKleopatra die Landungsbrücke betraten. Ermeldetemitgedämpfter Stimme das Nahen der Königin und befahlden Wartenden, zur Seite zu treten. Von derLandungsstelleausbisandasindasBruchiumführendeThorundandasanderenördliche,dassichdenPalästenauf der Lochias entgegen öffnete, war je eine doppelteReihe von Fackelträgern aufgestellt worden; denn manwußte nicht, wo Kleopatra abzusteigen wünsche. DerKämmerererklärte indes,siewerdeaufderLochias,wodie Kinder wohnten, die Nacht verbringen, und befahl,dieflackerndenundqualmendenFackelnbisaufwenigezuverlöschen.Mardion,derSiegelbewahrer,ArchibiusundIrasstandenden anderenWartenden voran an derBrücke, als es aufdem Schiffe lauter wurde und hinter einigenLaternenträgern die Königin erschien, der eine langeSchar von Hofbeamten, Pagen, Zofen und Sklavinnenfolgte.Sie schritt, mit der kleinen Hand auf dem Arm der

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Charmion,hocherhobenenHauptesdemLandeentgegen.EindichterSchleierverhüllte ihrHauptundAntlitz, eindunkler,faltigerUeberwurfdiezarte,mittelgroßeGestalt.Wieelastisch ihrSchrittnoch immerwar,wie stolzunddochanmutsvoll ihreHaltung,als siedemMardionundZenozuwinkte!DerIras,dievorihrniedergesunkenwar,reichtesiezumZeichen,sichzuerheben,dieHand,undwährendsieihrdie Stirn küßte, flüsterte sie ihr die Frage zu: »DieKinder?«»Allesgut,«lautetedieleiseAntwortdesMädchens.Dann begrüßte dieHeimkehrende auch die anderenmiteiner huldreichen Geste, doch gönnte sie keinem einWort,bisderEunuchihrentgegentrat,umdieAnredeansie zu richten. Da wies sie ihnmit einem kurzen »Aufspäter!« zur Seite, und als Zeno die Sänftenthür für sieoffenhielt,sagtesiekurzundmitverschleierterStimme:»IchwillzuFußgehen.NachdemHinundherschwankendesSchiffesbeidiesemWetterwiderstehtmirdieSänfte.Es gibt heute noch mancherlei zu erwägen. UnterwegskammireinGedanke.DerHafenadmiralundseineerstenRäte, die Obersten des Kriegshauses, die Vorsteher derWasser- und Landbauten; besonders den Aristarch undGorgias— ich will sie sehen. Es hat Eile. In zwei—nein, in anderthalbStunden—sollen sie hier sein.Wassie von Plänen und Karten der Ostgrenze besitzen,

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wünscheichzuprüfen.AufdieFlußadernundKanäleimDeltalegeichbesonderenWert.«DannwandtesiesichdemArchibiuszu,derandieSänftegetretenwar, legte ihm dieHand auf denArm, und obihmauchderSchleierverbot,denGlanzihrerAugenzusehen,meinteerdochzuempfinden,daßer ihmtief insHerz leuchte, wie sie ihm mit jener Stimme, derenwunderbarwohllautenderSchmelz ihm schon so oft dieSeele bestrickt hatte, zurief: »Nehmen wir es als eingünstigesVorzeichen,daßDueswiederbist,dermichinschwererZeitindiesenPalastführt.«DadrangesihmwarmausderübervollenBrust:»Wannesauchsei,immerundimmer,gehörtDirdieserArmunddies Leben;« — sie aber versetzte im Tone festerUeberzeugung:»Ichweißes.«Dann schritt sie. indem sie die Hand auf seinemArmeruhen ließ,vorwärts;alseraberzufragenanhob,obsiewirklich Grund habe, von schweren Tagen zu reden,schnitt sie ihm dasWort ab mit der Bitte: »Jetzt nicht.Laßuns schweigen.Es steht schlimmerals schlimm.—soübel,wieesnurangeht.Abernein.Nurwenigenistesvergönnt, sich im Unglück auf den Arm der Treue zustützen.«Dabei fühlte er einen leisen Druck ihrer kleinen Hand,und es war ihm, als ob das alternde Herz sich ihmverjünge.

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Er durfte nicht reden, denn ihr Wunsch war Befehl;währenderaberschweigendnebenihrhinschritt,erstamUferhin,danndurchdasHafenthorundendlichüberdieMarmorplatten,dieaufdasPortaldesPalasteszuführten,waresihm,alsschaueerstattaufdasverschleierteHauptder unglücklichen Königin auf den von hellbraunemweichen Haar umflossenen Kopf eines glückseligenKindes.Vor das innereAuge stellte sich ihmdie kleineHerrin des Epikuräergartens. Er sah den Blick ihrergroßenblauenAugen, der nicht aufhörte zu fragen, undderdochdasGeheimnisderWeltzuumfassenschien.Ermeintewieder den silberhellenKlang ihrer Stimme unddenbestrickendenZauber ihres reinenKinderlachens zuvernehmen, und es fiel ihm schwer, nicht zu vergessen,wozusiegeworden.EntrücktderGegenwartunddennochindemBewußtsein,daß ihm in schwerer Zeit eine große Schicksalsgunstwiderfahre, schritt erneben ihrhinund führte siedurchdasHauptportal indengroßen InnenhofdesPalastes. InseinemHintergrundeöffnetesichdiehohePforte,die indieWohn-undFesträumederKöniginführte,undvordersichderRegent,IrasundihreBegleiterschonaufgestellthatten. Links lag eine kleinere Thür, die Einlaß zu derWohnungderKindergewährte.Archibius stand im Begriff, Kleopatra über denerleuchtetenHofzugeleiten,sieaberwiesaufdiePforte

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desPrinzenflügels,underverstandsie.An der Schwelle ließ sie die Hand von seinem Armesinken, und als er sich verneigte, wie um sich zuentfernen, sagte sie gütig: »Da steht schon Charmion.Euchbeidenkommtes zu,michdahin zubegleiten,wodieJugend träumtundSeelenruheundSchmerzlosigkeiteine Heimstätte haben. Doch aus Rücksicht vor derKöniginbegrüßtet ihrGeschwistereuchnochnichtnachsolangerTrennung.Thutes!Dannfolgtmir.«DamiteiltesiejugendlichraschenSchrittesindasAtriumund die Treppe hinan, die zu den Schlafgemächern derPrinzenundPrinzessinnenführte.Archibius und Charmion folgten ihrem Geheiß: derBruderschloßdieSchwesterwarmindieArme,undsiebekannte schnell und mit überströmenden Augen, esscheine ihr allesverloren.Antoniushabe in einerWeisegehandelt, für die keinWort des Tadels oder derKlagegenüge.Wahrscheinlich werde er der Kleopatra folgen;— die Flotte, vielleicht auch das Landheer seienvernichtet.InderHanddesOctavianruheihrSchicksal.Darauf ging sie ihm voran der Treppe entgegen. Dortstand Iras an der Seite eines hochgewachsenen Syrers,der dem Philostratus, dem früheren Gatten der Barine,auffallend gleich sah. Es war sein Bruder Alexas, dervertrauteGünstlingdesMarcAnton.Bei ihmwäre jetztseine Stelle gewesen, undArchibius frug die Schwester

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miteinemschnellenBlicke,wiedieserMannandieSeitederKöniginkomme.»SeineKunst,dieSternezudeuten,«lautetedieAntwort.»DieschmeichelndeZunge.EinParasitderschlimmstenArt ist er, doch er trägt ihr vielerlei zu, er zerstreut sie,undsieduldetihnumsich.«Sobald Iras gesehen hatte, wohin Kleopatra den Schrittwendete,warsieihrnachgeeilt,umsiezudenKindernzubegleiten.DerSyrerAlexashattesieaufgehalten,umsieseiner Freude, sie wiederzusehen, zu versichern. Schonvor dem Ausbruche des Krieges war er eifrig um siebemüht gewesen, und er gab ihr deutlich zu erkennen,daßwährendderlangenTrennungszeitseineGefühlemitnichten erkaltet.Wie bei demBruderwar seinKopf zukleinfürdengroßenLeib,dochaufdemwohlgebildetenGesichte glänzte ein helles Augenpaar mit begehrlicherunddurchdringenderSchärfe.Auch Iras schien sich des Wiedersehens mit demGünstlinge zu freuen; bevor aber noch die GeschwisterdieTreppeerreichten, ließsie ihnstehen,umCharmion,ihreGefährtinundTante,mittöchterlicherZärtlichkeitindieArmezuschließen.Im Vorsaal der prinzlichen Gemächer fanden sie dieKönigin. Euphronion, der Hofmeister der Kinder, hattesie dort erwartet und erstattete schnell und mitschmeichlerischem Entzücken Bericht über sie und die

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wundervollen Gaben, die immer deutlicher bei jedemeinzelnen,baldalsmütterliches,baldauchalsväterlichesErbteilzurErscheinungkämen.Kleopatra hatte den Fluß seiner begeisterten Rede mitmancher Frage unterbrochen und war dabei bemühtgewesen, den Schleier zu lösen, der ihr das Hauptverhüllte,—dochesmißlangdenkleinen,solcherArbeitungewohntenHänden. Iras hatte es von der Treppe ausgewahrt,war die letzten Stufen hinangeeilt und befreitesie mit den leichten, geschickten Fingern schnell undsichervondemlangenSpitzengewebe.DieKönigin dankte ihrmit einem gnädigenNicken,—als aber der Oberste der Eunuchen die in dieSchlafzimmerderKinder führendeThüröffnete, rief sienurdenGeschwisterneinfreundliches»Kommt!«zu.DerHofmeister,derdieSchlafräumeseinerPflegebefohlenenohnehin den Eunuchen und Wärterinnen überlassenmußte,zogsichzurück.IrasaberempfandesalsschwereKränkung, von diesem Besuche ausgeschlossen zuwerden. Ihre Wangen wechselten die Farbe, und dieschmalenLippen schlossen sich fester.Dann blickte siesoscharfaufdenFruchtkorbvonMosaikzuihrenFüßen,als gelte es, die Kirschen, mit denen er gefüllt war, zuzählen. Plötzlich strich sie dieLöckchen von der hohenStirn, eilte schnellfüßigdieTreppehinunter,undalsderneuangekommene Alexas eben das Atrium verlassen

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wollte,riefsieihnan.Ungesäumt schritt derSyrer ihr entgegenundpries sichglücklich, daß seine Sonne ihm in dieser Nacht zumzweitenmalaufgehe;sieaberfielihminsWort:»Laßdasthörichte Liebeln. Dienlicher wäre es jedenfalls für unsbeide, in vollem, bitterem Ernst als Bundesgenossenzusammenzuhalten.Ichbindazubereit.«»Und ich!« riefderSyrer entzücktundpreßtedieHandaufdieStelledesHerzens.Indes hatte Kleopatra den Raum betreten, in dem dieKinderschliefen.TiefeStilleherrschteindemhohen,mitfarbigen Teppichen behangenen Saale, durch dessenweiten Raum drei Ampeln von rosenfarbigem GlasflußsanftesLichtergossen.EinvonSäulengetragenerBogenvonbuntemlibyschenMarmorteilteihninzweiTeile.Indem ersten, dem hohen, fest mit Vorhängenverschlossenen Fenster benachbarten, standen zweiBetten von Elfenbein, die auf dem Rücken goldenerKindergestalten ruhten und über deren Hauptende sichmit Perlen undTürkisen besetzteKronenvonGold undSilbererhoben.UmdenRandzogensich,vonderHandeinesgroßenKünstlersindenElefantenzahngeschnitten,fröhliche Kindergenien hin, die zu dem GesangemuntererVögelinblühendemStrauchwerkdietanzendenFüßchenhoben.Ein schwerer Vorhang trennte die Lager, doch die

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Eunuchen hatten ihn beim Nahen der Königin in dieHöhegezogen.Nunwaresgestattet,siemiteinemBlickezu umfassen, und es bot sich hier einBild von seltenerAnmut; denn auf den schönenRuhestätten schlummertedas zehnjährige Zwillingspaar, das Kleopatra demAntonius geschenkt: Antonius Helios und KleopatraSelene. Das Mädchen weiß und rot, blond und vonholdseligem Liebreiz, der Knabe nicht minder schön,doch mit ebenholzschwarzem Haar wie der Vater. DaslockigeHauptbeiderwarzurSeitegeneigtundruhteaufderindasseideneKissengedrücktenHand.Auf einem dritten Bett hinter dem Bogen schliefAlexander, der jüngste Prinz, ein holdseligersechsjährigerKnabe,derLieblingderKönigin.Nachdem sie sich eine gute Weile in den Anblick derZwillinge versenkt und jedem einen leisenKuß auf dieimSchlafeglühendenWangengehauchthatte,wandtesiesichdemJüngstenzuund sankan seinemLagernieder,alszwingesieeineErscheinung,mitderderHimmelsiebeglückte, das Knie zu neigen. Die Augen flossen ihrüber, während sie das Kind behutsam an sich zog, ihmMund,AugenundWangenküßteundesdannleiseindieKissen zurücksinken ließ. Doch der Knabe fand denunterbrochenen Schlaf nicht gleich wieder, sondernschlang die runden Aermchen um den Hals derMutterund murmelte dazu unverständliche Worte. Glückselig

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ließ sie es geschehen, bis ihn der Schlummer wiederübermannte und ihm die Händchen auf das Bettzurücksanken.Danndrückte sie dieStirn kurzeZeit auf dasElfenbeindes Lagers. Sie betete für dies Kind und seineGeschwister. Als sie sich wieder erhob, waren ihr dieWangenfeuchtvonThränen,undsiepreßtedieHandaufdie Brust. Dann winkte sie der Charmion und ihremBruder,wiessieerstaufdenkleinenAlexander,dannaufdieZwillingeundsagte,alssiedieAugenbeider feuchterglänzensah:»DiesGlück.—ihrbeideentbehrtesummeinetwillen, ichweißes.Für jedesvondiesendawäremir ein großesReich nicht zu teuer, für sie alle ...Wasgibt es auf Erden. das ich nicht für sie preisgebenmöchte? Aber was hab’ ich denn noch, das ich meinnennendürfte?«Bei dieser Frage hatten sich ihre lächelnden Zügeverfinstert. Das Bild der verlorenen Schlacht stand ihrwiedervordeminnerenAuge.Verspielt,verlorenwardieeigene Macht, verwirkt die Selbständigkeit desVaterlandes,dassieliebte.RomstrecktedieHandschondarnach aus, um es als neue Provinz an die anderen zuschließen.Dochdasdurftenichtsein! IhrZwillingspaar,das dort unterKronen ruhte, es sollte sie einmal tragendürfen. Und der Knabe da auf den Kissen? Wie vieleReichehatteAntoniusverschenkt;aberwasbliebihrjetzt

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nochzuvergeben?Wiederum beugte sie sich zu dem Kinde nieder. EinschönerTraummußtezuihmherabgeschwebtsein;denneslächelteimSchlafe.DaergoßsichihreinheißerStromvonMutterliebeindasbewegteHerz,undalssieauchdieGefährtenderJugendbewegtundzärtlichzudemkleinenSchläfer niederschauen sah, gedachte sie der eigenenKindheit und des stillen Glückes, das sie in ihremEpikuräergartengenossen.JenseitsseinerGrenzenhatteMachtundHerrlichkeitfürsie begonnen; doch je höher beide gestiegen waren, indesto weitere Ferne, desto unwiederbringlicher war dasGefühl der Glückseligkeit, das sie einmal dankbargenossen und wonach sie nie aufgehört hatte sich zusehnen, von ihr gewichen. Und wie sie jetzt demschlummerndenKinde,vondemjederSchmerzundjedeUnruhe weltenfern zu liegen schien, wieder in dasfriedvoll lächelnde Antlitz schaute und es ihr war, alsströme ihm,was ihrHerz anLiebe umschloß, in vollenWogen entgegen, da erhob sich in ihr die Frage, ob esvielleichtgeradediesemKnaben,fürdensiekeineKronebesaß, bestimmt sei, der einzige Glückselige von ihnenallen,glückseligimSinnedesMeisters,zuwerden.UndtiefergriffenvondiesemGedankenwandtesiesichdenGeschwistern zu und rief, umdie Schläfer nicht zuwecken, mit gedämpfter Stimme: »Was auch über uns

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verhängt ist, dies Kind befehle ich eurer besonderenLiebeundSorge.WenndasSchicksalihmdenGlanzderKrone und das Hochgefühl der Macht versagt, lehrt esdann jener anderenGlückseligkeit genießen, die—wielangeist’sher!—euerVaterseinerMuttererschloß.«Da küßte Archibius ihr das Gewand und Charmion dieHände; sie aber atmete tief auf und sagte: »DieMutternahmderKöniginschonzuvielZeit.Ichhatteverboten,denCäsarionvonmeinerAnkunftzuunterrichten.Eswargutso.VordemWiedersehenseidasWichtigsteerledigt.In einer Stunde muß alles, was in mir ist, dem Staategehören...Zuvoraber ...AußerMutterundKöniginbinich noch etwas anderes. Auch das Weib verlangt seinRecht.Aufmorgen,wennichZeitfürDichfinde!Erstinmein gemach, Charmion. Doch Du bist der Ruhebedürftiger als ich. Geh mit dem Bruder! Schicke mirIras.Eswirdsiefreuen,wiedereinmalfürdieHerrindieHändezuregen.«

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ElftesKapitel.

DieKöniginwardemBadeentstiegen.Irashatteihrdasimmer noch volle wellige, nunmehr dunkelbraune Haarneu geordnet und sie prächtig genug gekleidet, um dieBeamten, die sie trotz der nächtlichen Stunde balderwartete,zuempfangen.Wiewunderbarhattesiesicherhalten!DieZeitschienesnicht gewagt zu haben, die Hand an dies vollendeteMusterbildweiblicherAnmutzulegen.AberdasscharfeAuge der Griechin erkannte doch hier und da einSchwindendesZaubersderJugend.SieliebtedieHerrin,unddochwaresihr,alslacheesinihrerSeele,sooftsieanihrdengleichenRückgangwahrnahm,dersichbeiihr,der weit jüngeren, kaum siebenundzwanzigjährigen,schon leise zu zeigen begann. Sie hätte Kleopatra gernallesgegeben,worübersieverfügte,docheswar ihr,alssollte sie die Natur für einen Akt der Gerechtigkeitpreisen,wennsiewahrnahm,daßsieauchdiesemihremköniglichen Günstling gegenüber das für alle giltigeGesetznichtvölligaushob.»LaßdasSchmeicheln,«batKleopatradieVertrautemiteinem wehmütigen Lächeln. »Sie sagen, dieWerke derPharaonen hier am Nil spotteten der Zeit. Von denKöniginnen Aegyptens läßt sich die unerbittliche diesweniger willig gefallen. Das sind graue Haare, und sie

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stammen von diesem Haupte, wie eifrig Du es auchleugnest.—Wem aber gehören die Falten dort an denAugenwinkelnundhieraufderStirnandersalsmir?Undder Zahn, den die Lippe doch nicht so freundlichverdeckt, wie Du vorgibst? Am Abend vor derunglückseligen Schlacht erlitt er den Schaden. Meinlieber, treuer,geschickterOlympus,derArztderAerzte,ist der einzige, der dergleichen unsichtbarmacht. DochdenGreismit indenKriegzunehmen,gingjanichtan,undGlaucusistvonvielgeringeremGeschick.WiefehltemirderAlteinjenenverhängnisvollenStunden!IchkammirvorwieeinUnhold,under...DasAugedesAntoniusist nur zu scharf für dergleichen.Was ist die Liebe derMänner?EingeschwärzterZahnkannihrverhängnisvollwerden. Ein ihremAugewiderstrebender Anblick gießtWasser indasheißesteFeuer.WelcheStunden, Iras,gabes da fürmich zu durchleben!Wie eineBeleidigung istmir mancher seiner Blicke erschienen, und dazu diemarterndeUngewißheitimHerzen!Etwas war zwischen uns getreten, kein Zweifel! Ichfühlteesihman.Bald,nachdemerAlexandriaverlassenhatte,begannes.Wie ein Wurm fraß es mir an der Seele, und nun ichwieder hier bin, muß ich klar sehen. Er folgt mir inwenigenTagen—ichweißes. InParätonium.wohinersich begab, steht Pinarius Scarpus mit unberührten

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Legionen.InTaenarumhatteerbeschlossen,sichvonderWelt zurückzuziehen, die er, dem sie so viel Großesschenkte,haßt,weilerihrGrundgab,dasHauptüberihnzuschütteln...DochderalteGeisterwachtschonwieder,und thut das ihm sonst so treueGlück es ihm nach, soknüpft sich bald an das neue afrikanische Heer einegewaltige Macht. Die asiatischen Fürsten ... Aber dieLenkerin des Staates hat jetzt zu schweigen. Mit demWillen,demWeibeseinRechtzugönnen,tratichindiesGemach,unddasWeib soll eshaben!Baldwirderhiersein. Er kann nicht ohnemich leben. Es ist nicht alleinderBecherdesNektanebus,derihnmirnachzieht!«»Als der Größte der Großen, als Julius Cäsar inAlexandria um Deine Liebe warb und Antonius amKydnos,« bemerkte Iras, »wußtest Du noch nichts vondemPokale.Erstvorzwei JahrengestatteteAnubisDir,dasWunderwerk dem Tempelschatze zu entlehnen, undin wenigen Tagen bist Du ja verpflichtet, ihnzurückzuerstatten. Daß von dem Becher einegeheimnisvolle Wirkung ausgeht, ist sicher, doch demZauberDeinesWesenswohnteinemächtigereinne.«»Wäre das doch auch für heute noch giltig!« rief dieKönigin. »Jedenfalls ließAntonius sich durch dieKraftdesBecherszumancherleibestimmen.Ichbinauchnichteitelgenug,umzuglauben,daßesdieLiebe,daßesderZaubermeiner Persönlichkeit alleinwar, der ihnmir in

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jenerunglückseligenStundenachzog.DieseSchlacht,dieunbegreifliche, schmachvolle Schlacht! Du warst krankundkonntestunsereFlottebeiderAusfahrtnichtsehen;doch auch die Erfahrenen sagten, schönere und größereSchiffe habe es schwerlich jemals gegeben. Ichwar imRechte, als ich darauf bestand, ihr die Entscheidung zuüberlassen.Meineigendurfteichsienennen.Hättenwirgesiegt, welch ein Hochgefühl, sich zu sagen: DieWaffen, die Du ihm botest, trugen dem Geliebten dieHerrschaftüberdieWeltein!DazuhattenmichdieSterneversichert, auf der See werde das Glück uns erblühen.Dem Anubis hier, dem Alexas auf dem Schiffe desAntoniushattensiedasGleicheverkündet.AuchaufdieMachtdesBechershoffteich,diedenAntoniusgenötigthatte, mancherlei zu thun, was ihm widerstrebte. Sosetzte ichesdenndurch,derFlottedieEntscheidungzuüberlassen;docheswarfalsch,falsch,falsch!Wiesehresfalschwar,dassolltesichnurzubalderweisen!Hättemanmirnur,alsesnochZeitwar,mitgeteilt,wasich später erfuhr! Nach der Niederlage wurde manberedter. Das eine Wort eines Veteranen unter denBefehlshaberndesFußvolkeshättewohlgenügt,mirdieAugen zu öffnen. Er hatte den Marc Anton gefragt,warum er seine Hoffnung auf elendes Holz setze, undausgerufen:›LaßPhönizierundAegypteraufdemWasserkämpfen, uns laß dasLand, auf demwir gewohnt sind,mitdemFußefestaufdemBodenzukämpfen,zusiegen

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oder zu sterben!‹ Das allein, ich weiß es, hätte mir zuguter Stunde den Sinn geändert. Doch es wurde mirverschwiegen.Die Schlacht begann. Die Unseren hatten die Geduldverloren. Der linke Flügel der Flotte rückte vor.Anfänglich sah ich dem Kampfe gespannt undklopfendenHerzenszu.WiestolzdiegroßenSchiffesichvorwärts bewegten. Es ging alles vortrefflich. AntoniushatteeineAnredegehaltenunddenKämpfernversichert,unsere Fahrzeugewürden auch ohne Streiter durch ihrebloße Höhe und Größe dem Feinde verhängnisvollwerden.NennemirdenRedner,derwieerdieHörermitsichfortreißt!Auchichwarnochfurchtlos.Werängstigtsich auch, wenn er den Sieg so sicher erwartet? Als ersich vorher auf sein Admiralschiffs begeben und mirweniger herzlich als sonst Lebewohl gesagt hatte, warmirvielbangergewesen.Deutlichmeinteicherkanntzuhaben, seine Liebe erkalte. Was war auch aus mirgeworden, seit wir Alexandria verließen und Olympusnichtmehrfürmichsorgte!Sokonnteesnichtfortgehen.IchwollteihmdasKriegführenalleinüberlassenundihmaus denAugen.Hatte er in denBecher desNektanebusgeschaut,thaterja,wasichverlangte,dochmitwelchemUnwillengeschahesnichtselten.Dieunverdeckten,dortdurch nichts zu vertilgenden Falten und die Jahre, diegrausamenJahre!«

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»Welche Gedanken!« rief Iras. »Laß mich schwören,Herrin,daßDu,wieDudavormirstehst...«»Dank diesem Putztisch und den neuen Werken desOlympusindiesenBüchsen!Damals,sag’ichDir,konnt’ichvormirselbererschrecken.DerVerdrußverschönertunsauchnicht,undwashattenmirdieRömerzuhörengegebenüberdasWeib,dassichindenKrieg,dieArbeitderMänner,mische! Ich gab es ihnenwieder; doch ichwollt’esnichtlängerertragen.VonderSchlachtaufdemLande mich fern zu halten, war ich von vornhereinentschlossen,aberauchschonbeimBeginndesTreffenstrieb esmich, so gut es auch zu stehen schien, fort vonAntoniusundhieherzudenKindernzurück.Die fragennicht nach der Farbe des Haares und den Falten derMutter,under—wennervergeblichnachmirausschauteundrief,würdeererstrechtfühlen,waseranmirbesaß,würde ermichvermissen,würdedieSehnsuchtundmitihrdiealteLiebemitneuerGlutinihmerwachen.Sobaldder Sieg für die Flotte entschiedenwar,wollte ich fort,dasSchiffnachSüdenwendenlassenundohneAbschied,nurmitdemRufe:›AufWiederseheninAlexandria!‹fortnachAegypten.IchriefdenAlexas,derbeimirgebliebenwar,undbefahlihm,mireinZeichenzugeben,sobaldsichderKampfzuunseremVorteilentschiede.IchbliebaufdemDecke.Dasah ich feindliche Schiffe einen weiten Bogen

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umschreiben.DerNanarchsagtemir,esseiAgrippa,derunszuumzingelnversuchte.DaserweckteeinmißlichesGefühl.Ichbegannzubereuen,michindasMännerwerkzumischen.Antonius schaute von dem Admiralschiffe zu mirhinüber.Ichwinkte,umihnaufdieGefahrhinzuweisen;dochstattwieeinsteifrigundliebreichwiederzugrüßen,wandteermirdenRücken,undumwenigesspätererhobsich um mich her das wildeste Getümmel. Ein Schiffverwickelte sich in das andere, Bretter und Stangenzerbrachen mit lautem Gekrach. Das Geschrei, dasSchelten und Jammern der Streiter und VerwundetenmischtesichindasDröhnenderSteine,diedieKatapulteentsandte,undindenschmetterndenTonderSignale,diewie Hilferufe klangen. Hart neben mir sanken zweiKrieger zu Boden, von Pfeilschüssen getroffen. Es warentsetzlich. Doch mein Mut hielt stand, auch als einGeschwader—eswardasdesAruntius—aufdieFlotteeindrang.Noch eine andere Reihe von Schiffen sah ichgerade auf uns zukommen und ein römisches Fahrzeugunter dem Ansturm eines der meinen— ich hatte ihmselbst den Namen Selene gegeben — sich zur Seiteneigenundsinken.Dasfreutemichunderschienmirwieder ersteVorbotedesSieges.Dabefahl ichdemAlexasnoch einmal, sobald anderEntscheidungnichtmehr zuzweifeln,dasSchiffwendenzulassen.Währendichnochsprach, erschien der große Jason, der Aufwärter, Du

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kanntestihnja,miteinerErfrischung.IchgriffnachdemBecher, doch noch hatte ich ihn nicht zum Mundegeführt, als er mit zerschmettertem Schädel neben mirplattaufdasDeckfielunddervergosseneFruchtsaftsichmitseinemBlutevermischte.Dawares,alserstarremirdas Blut, und totenblaß undmit zitternder Stimme frugAlexas:›BefiehlstDu,dieSchlachtzuverlassen?‹Was inmirwar, triebmichan, es zugebieten,doch ichrafftemichzusammenund frugerstdenNauarchen,dervormiraufderBrückestand:›SindwirimVorteil?‹Einbestimmtes›Ja‹wardieAntwort.Dameinteich,dieZeitseigekommen,undriefihmzu,dannmögeerdasSchiffwenden und gen Süden steuern. Aber derMann schienmichnichtzuverstehen.DerLärmderSchlachtwarauchlauter und lauter geworden. Ich sandte darum trotz derCharmion, diemich anflehte, nicht eigenmächtig in denKampfeinzugreifen,denAlexaszudemBefehlshaberaufdie Brücke, und während er mit dem graubärtigenSeemanne redete, der ihm, ich weiß nicht was, heftigentgegenpolterte,blickte ichaufdienächstenSchiffe—ich unterschied nicht mehr, ob es feindliche, obfreundliche seien — und wie sich die Reihen derrastlosen Ruder dicht vor meinen Augen in zahlloserMenge auf und nieder bewegten, dawar esmir, als seijedesFahrzeugeinegewaltigeSpinnegewordenunddielangen hölzernen Ruderstangen ihre Arme und Füße.Jedes dieser Untiere schien mir bedacht, mich in ein

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gräßlichesNetz zu verstricken, und als derNauarch aufmich zukam, um mich zu beschwören, auszuharren,herrschte ich ihn an, er habe meinem Befehle zugehorchen.Da verneigte sich der Unselige und that, wie ihn seineKönigin geheißen. Der Riese wurde gedreht und brachsichBahndurchdasGewirr.Ichatmetefreier.Was mich als Spinnenarme bedroht, ward wieder zumRuder.AlexasführtemichuntereinSchutzdach,wokeinGeschoß mich erreichen konnte. Mein Verlangen warderfüllt.DenAugendesAntoniusward ichentrückt,undwirfuhrenAlexandriaunddenKindernentgegen.Alsichendlich Umschau hielt, bemerkte ich, daß auch meineanderenSchiffemirfolgten.Dashatteichnichtbefohlen,undicherschrakdarübernichtwenig.Alsichmichnachdem Alexas umschaute, war er verschwunden. DerCenturio, dem ich befahl, dem Nauarchen zu gebieten,Signale zu geben, die die anderen Fahrzeuge zurRückkehr in die Schlacht aufforderten, meldete, ebenhättensiedieLeichedesSchiffführersfortgetragen,dochdem Befehle müsse nachgekommen werden. Wie ererteilt wurde, kann ich nicht sagen; doch blieb er ohneWirkung, und das angstvolle Wehen meines Tucheskonnteniemandmehrbemerken.Wir hatten das Admiralschiff des Antonius, der immer

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noch auf der Kommandobrücke stand, hinter unsgelassen. Als wir dicht an ihm vorbeigesteuert waren,hatteichihmzugewinkt.Dawarerhinuntergeeilt,um,andie Brüstung gelehnt, mir etwas herüber zu rufen. IchsehenochdiezumRohregeschlossenenHändeanseinenbärtigen Lippen. Aber ich verstand nicht, was er sagte,und wies nur nach Süden, hierher, dem Ziele meinerFahrt, und im Geiste wünschte ich ihm Sieg und daßdieseTrennungunsererLiebezumHeilegedeihenmöge;eraberschütteltedasHaupt,preßtedieHandandieStirnwie in Verzweiflung und schwenkte die Arme, wie ummir ein Zeichen zu geben; doch die Antonias ließ seinFahrzeugimmerweiterhintersichundsteuertegeradeausnachSüden.Im Wohlgefühl, einer doppelten Gefahr zu entrinnen,atmete ich leichter. Hätte Antonius mich lange so vorAugen gehabt,wie ich damals gewesenwar, eswäre ...ElendeVerirrung eines elendenWeibes sage ich jetzt ...Doch damals konnte ich noch nicht ahnen, welch einfurchtbaresVerhängnis ich in jenerStundeüberuns,dieKinder,vielleichtüberdieWeltheraufbeschworenhatte,und so blieb ich im Banne dieser kleinlichenBefürchtungen und Gedanken, bis Verwundete an mirvorbeigetragen wurden. Der Anblick that mir weh, undDuweißtja,wieempfindlichichbinundwieschlechtichSchmerzenertragenundmitansehenkann.

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Charmion führte mich in die Kajüte. Dort erst trat mirvoll ins Bewußtsein, was ich gethan. Den verhaßtenFeind vernichten zu helfen, hatte ich gehofft, und nunwar ich es vielleicht, der ihm die Brücke baute zumSiege, zur Herrschaft, zu unserer Vernichtung. VonsolchenGedankenwievonErinnyenverfolgt,eilteichindemweitenKajütensaaleaufundnieder.DawurdeesplötzlichlautaufdemDeck.EinkrachenderStoß schien das mächtige Schiff zu erschüttern. Manverfolgt uns! Ein Römerschiff entert das meine! SodachteichundfaßtenachdemDolche,denmirAntoniusgeschenkt.Aber da kam Charmion mit einer Kunde, die kaumerträglicherschienalsdiefalscheBesorgnis.Ichhatteihrzornig geboten, mich zu verlassen, weil sie mirunehrerbietig ans Herz gelegt hatte, den Befehl zurUmkehr zurückzunehmen. Jetztmeldete sie totenbleich.AntoniushabedasAdmiralschiffs verlassen, seimir aufeinemkleinenFünfruderergefolgtundsoebenzuunsanBordgestiegen,DastocktemirdasBlut.Er kommt, dachte ich, um mich zur Rückkehr in dieSchlacht zu zwingen, und tief atmend drängtemich dastrotzigeSelbstgefühl,ihmzuzeigen,daßichdieKöniginsei und nur dem eigenenWillen gehorche,während dasHerz mich antrieb, ihm zu Füßen zu sinken und ihn

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anzuflehen, ohne meiner zu achten, jeden Befehl zuerteilen,derzumSiegezuführenverheiße.Abererkamnicht.DaschickteichCharmionwiederhinaus.Erhatteesnichtertragen,getrenntvonmirweiterzukämpfen.NunsaßervordemKajütenhausemitdemHauptindenHändenundstarrtewieeinVerwirrteraufdiePlankendesDeckes.Er... Marcus Antonius! Der tapferste der Reiter, dasEntsetzen der Feinde,—wie ein Schäferbube, dem dieWölfedieSchaferaubten,ließerdieArmesinken,MarcAnton, der Held, der tausend Gefahren trotzte, dasSchwert hatte er von sich geworfen! Warum, warum?WeileinWeibnichtigeitlenBefürchtungennachgegeben,weilesderSehnsuchtdesMutterherzensgefolgtwarundsich davongemacht hatte? Von allen menschlichenSchwächen war ihm, den der Frevelmut in manchesunerhörteWagnis getrieben, keine fremder gewesen alsFeigheit ...Und nun? ...Aber nein, tausendmal nein! ...EherkommenFeuerundWasseralsMarcAntonmitderFeigheitzusammen!UnterderzwingendenGewalteinesDämon hatte er gestanden, eine geheimnisvolle Machthatteihngezwungen...«»DiegewaltigstederMächte,dieLiebe,«unterbrach sieIras mit enthusiastischer Wärme. »Eine Liebe, wie siegrößer und überwältigender noch keines Mannes Geistunterjochte.«

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»Ja, die Liebe,« wiederholte Kleopatra dumpf. DannumzuckteleiserSpottihrdieLippen,undbittererZweifelklang aus ihrer Stimme, als sie fortfuhr: »Wär’ es nurallein jene Liebe gewesen, die aus zweiMenschen einsmacht, die das Herz des einen in das des andernverpflanzt,diemeinegeängstigteSeelevielleichtinseineHeldenbrust übertrug! ... Aber nein ... Vor der SchlachthatteesheftigeStürmegegeben.Dawaresnicht immermöglich gewesen, sich ihm so zu zeigen, wie manwünscht,daßderGeliebteunssehe.Undselbstjetzt,woDeine geschickteHand das ihre anmir that ...Da stehtder Spiegel ... Das Bild auf seiner Fläche— wie artigerhalteneUeberbleibselwillesmirscheinen...«»Aber, Herrin,« rief Iras und erhob flehend die Hände,»sollichnocheinmalschwören,daßwederdieergrautenHaare, die längst wieder braun sind, noch die wenigenFalten,dieOlympusbaldwiedervölligunsichtbarmacht,noch was Dich sonst vielleicht an dem Spiegelbildängstigt, Deiner Schönheit auch nur den geringstenAbbruch thut.Ungetrübt und des Sieges gewiß darf derZauberDeinesgöttergleichenWesens...«»Laß, laß!« fiel ihrKleopatra insWort. »Ichweiß,wasich weiß. Es entzieht sich kein Sterblicher den großen,ewigenGesetzen. So sicher wie dieGeburt der Anfangdes Lebens, schreitet, was da ist und blüht, derVernichtungunddemWelkenentgegen.«

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»DochdieGötter,«versicherteIras,»gebenihrenWerkenverschiedenenBestand.DukennstdieWasserlilie,dienureinen Tag blüht. Aber wie kräftig grünt noch heute dietausendjährige Sykomore in dem Garten des Paneums.NochwelkteanDeinerBlütekeinBlatt,undistesdenndenkbar, daß dieLiebe dessen auch nur um die leisesteSpurerkaltete,deralles,wasdemMannedasTeuersteist,hintersichwarf,weiles ihmunerträglicherschien,auchnurTageoderWochenderGeliebtenzuentbehren?«»Hätte er es doch über sich gebracht!« rief Kleopatraschmerzlich.»AberweißtDusogewiß,daßesdieLiebewar, die ihn mir nachzog? Ich bin anderer Meinung.EchteLiebelähmtnicht,sieverdoppelt,wasgroßistamManne.Icherfuhres,alssiedenCäsarmiterdrückenderUebermacht in diesemPalaste umschlossenhielten, ihmdie Schiffe verbrannten, dasWasser abgruben.Auch anihm an Antonius, durfte ich dies herrliche Schauspielzwanzig-,wassageich,hundertmalbewundern,solangeer mich noch mit der ganzen Kraft seiner Feuerseeleliebte. Doch was bei Actium geschah!? Dieseschmähliche Flucht des girrenden Taubers der Taubenach, auf die noch ferne Geschlechter mit den Fingernweisenwerden...DiesunseligeVergessenderPflicht,derEhre,desRuhmes,derGegenwartundZukunft,wernichttiefer sieht, der schreibt es freilich dem bethörendenWahnsinnderLiebezu, ichaber, Iras—unddas ist es,was auf diesem Scheitel ein Haar nach dem andern

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bleicht,wasdieRestederaltenSchönheitDeinerHerrinnur zu bald vernichtenwird in schlaflosenNächten,—ich weiß es besser! Nicht die Liebe ist es, die denAntoniusmirnachzog,nicht sie tritt seinglänzendes, inheldenhaftem Uebermut strotzendes Bild in den Staub,nicht siezwangdenHalbgott,denelendenSpureneinesfliehendenWeibeszufolgen.«Hier senkte sie dieStimme, erfaßtemit einemkräftigenGriffe das Handgelenk desMädchens, zog es näher zusich heran und raunte ihm ins Ohr: »Der Becher desNektanebus ist mit dabei im Spiele. Erschrick nur! DieKräfte,dievondiesemblankenWunderwerkausströmen,sind in der That so furchtbar wie unnatürlich. DiemagischeZaubergewalt,dievondemPokaleausging,sooft ich ihn hineinschauen ließ, sie verwandelte denheldenhaftenEnkeldesHerakles,denUebermenschen,indie wimmernde Memme, in das zusammengesunkene,gebrocheneNichts, alsdas ich ihnwieder fandaufdemVerdecke.Duschweigst?DieschnelleZungefindetkeinWortderErwiderung.WiesolltestDuesauchvergessenhaben, daß Du mir die Wette gewinnen halfst, die denAntoniusverpflichtete, indenBecherzuschauen,bevorich ihnfür ihnfüllte.Wiedankbarwar ichdemAnubis,alserendlichnachgabundmirdasWunderwerkausdemTempelschatzeanvertraute,alsdieersteProbegelangundAntonius aufmeinGeheißdenherrlichenKranz, den ertrug, demalten, säuerlichenAristotelikerDiomedes, der

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ihm in der Seele zuwider ist, auf die kahle Stirn setzte,vorkaumeinemJahrewares,undDuweißt,wieseltenich anfangs die Kraft des furchtbaren Gerätes benutzte.DerGeliebtefolgtejaohnehindemWinkemeinerAugen.Aberspäter...VorderSchlacht...EswareinegräßlicheZeit ... Ich fühlte,wiegernermich,die allesverderbenkonnte, heimgesandt hätte. Dazu empfand ich, — ichsagteesjaschon—daßetwaszwischenunsstände.Aberso nahe er auch oft daran war, mich den drängendenRömernzuopfern—ichbrauchteihnnurindenBecherschauenzulassenundihmmein:›Duschickstmichnichtfort. Wir gehören zusammen.Wohin eins von uns sichbegibt,dahinfolgtihmdasandere!‹zuzurufen,underbatmich, ihn nicht zu verlassen.Noch amMorgen vor derSchlacht reichte ich ihm den Pokal und legte ihm ansHerz,was auch komme, nie und nie vonmir zu lassen.Undergehorchteauchdiesmal,obgleichdiejenige,andieder Zauber ihn band, ein fliehendes Weib war. Das istentsetzlich! Und doch? Hab’ ich das Recht, derZauberkraft desBechers zu fluchen?Kaum!DennohnedasblinkendeGerätdesMagiers—tausendmalriefesinderschlaflosenNachteineinnereStimmemirzu—hätteerstattmeinereineanderemitaufdasSchiffgenommen.Undichglaubedieseanderezukennen.DasWeibmeineich, dessen Gesang auch mir vor dem Ausbruche beimAdonisfeste das Herz bestrickte. Denn ich nahm schondamalsdenBlickwahr,mitdemerdenihrensuchte.Jetzt

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weiß ich, daß mich nicht nur mein alter betrügerischerFeind, die Eifersucht, vor ihr warnte. Alexas, derTreueste seiner Getreuen, bestätigte außerdem, was ichnur immer befürchtenmochte, o, und er ließmich auchnoch anderes erfahren, das dieSterne ihn lehrten!Dazukennt er die Sirene; denn sie war das Weib seinesleiblichenBruders.Um die Ehre zuwahren, verstieß erdiegefallsüchtigeCirce.«»Barine,« klang es fest und sicher von den Lippen derIras.»SoweißtDu?«frugKleopatragespannt.DahobdasMädchennocheinmaldieHändebittendzuderKöniginemporundrief:»NurzuvielistmirvondiesemWeibebekannt,undwieempörtesmirdasHerz!OHerrin,Herrin,daßauch ichdazubeitragensoll,DirdieseStundezutrüben!Aberesmußjagesagtsein.DaßAntoniusdieSängerinbesuchteundauchdenSohnzuihrführte,einmalundzweimal,—dieganzeStadtruftessichzu.Aberdasistesnicht.EineBarine im Wettkampf mit Dir! Es wäre zum Lachen.Aber welche Schranken gäbe es wohl für dieBegehrlichkeit dieserWeiber?KeinRang, keinAlter istihnenheilig.Eswar still inAbwesenheitdesHofesundHeeres.AnMännern,dieihrdesFangeswerterschienenwären,gebraches.DawarfsiedasNetznachdenKnabenaus, und der sich am festesten darin, verstrickte, ist der

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KönigCäsarion.«»Cäsarion!« rief Kleopatra und über die farblosenWangen flog ihr ein rötlicher Schimmer. »Und seinHofmeisterRhodon?UndmeinstrengerBefehl?«»Antyllusführteihnheimlichzuihr,«unterbrachsiedasMädchen.»DochichhieltdieAugenoffen.MitsinnloserLeidenschaft hatte sich der Knabe an die Sängeringehängt. Es blieb nichts übrig, als sie aus der Stadt zuentfernen.Archibiushalfmir.«»Sobleibtesunserspart,sieinsWeitezusenden.»Esmußdennochgeschehen;dennbeiderFahrtaufdasLandüberfielsieCäsarionmiteinigenGenossen.«»UnddieseTollheitgelang?«»Nein, Herrin; doch ich wollte, sie wäre geglückt. Einverliebter Narr, der sich an sie gehängt, setzte sich zurWehre.ErerhobdieHandgegendenSohndesCäsarundverwundete ihn. Beruhige Dich, Herrin, ich bitte, ichbeschwöre Dich ... Die Verletzung ist leicht. Weitbesorgter macht mich die rasende Leidenschaft desKnaben.«DaschloßdieKönigindieroten,schwellendenLippensofest, daß der Mund die gewinnende Anmut verlor, diegeradeihmeigen,undsagtestrengundentschieden:»Esist an der Mutter, den Sohn vor der Verführerin zubeschützen!Alexashatrecht!IhrSternstehtdemmeinenimWege. EinWeib wie dies, das tiefe Schatten in die

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BahnderKöniginwirft!Manwirdesihmwehren!Sieistes,diesichzwischenunsstellte,siehatdenAntonius...Abernein!Wozusichverblenden?DieZeitundwassiedemweiblichenWesen an Reiz raubt, ist mächtiger alszwanzig solcher kleinen Verführerinnen. Und dazu dieUmstände, die es verboten, die Schäden zu decken, dieein Auge wie das des Verwöhntesten unter denVerwöhnten verletzten. Das alles kam der Sängerin zugute. Ich fühl’ es! Ihr standen hier bei der Jagd aufMänner sämtliche Mittel zu Gebote, die uns Frauenunterstützen, das Unliebsame zu verdecken undhervorzuheben,was demLiebenden teuer,—mir nicht,der Du fehltest, und die bewährte Kunst des Olympus.DasGötterbild, aufdemSchiffe, imSturmhatte es sichdem Anbeter mehr als einmal unbekränzt, ohneHauptschmuckundWeihrauchzuzeigen.«»Aber,Herrin!«riefIras.»UndwennsiealleKünstederAphrodite und Isis zusammen genommen benutzte, siekönntesichnichtmitDir,derUnvergleichlichen,messen.Wieweniggehörtdazu,einemhalbenKindedenSinnzuverwirren!«»ArmerKnabe!«seufztedieKöniginundschüttelteleisedasHaupt.»Wäreernichtverwundetund thäteesnichtso weh, wo man liebt, zu entsagen, es könnte michübrigens freuen,daßerauchzuwachenverstehtundzuhandeln. Vielleicht— o, wenn das wäre, Iras!— tritt,

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nun das Thor gesprengt ist, in diesem Ebenbilde desäußeren Cäsar auch der Geist und die Thatkraft desGroßen noch einmal zu Tage. Wie die Aegypter denHorus den ›Rächer seines Vaters‹ nennen, erwächst ervielleicht zumVerteidiger und Rächer derMutter. DemGleißnerOctavian,demNeffen,derihm,demleiblichenSohne,dasErbe raubte,wirderesentwinden,wennderGeist des Cäsar in ihm erwacht. Du schwörst, daß dieWundenurleichtist?«»DieAerztehabenesversichert,«»Wohldenn,sowollenwirhoffen!IndasLebenmagertreten.Wir geben ihm dieBahn frei, sich zu bewähren.Keine thörichte Leidenschaft soll den Genesendenhindern,demVaterauswärtsaufderBahndesRuhmeszufolgen.DasWeibaber,dasihnumgarnt,dieUeberkühne.derenWünsche sich bis zu denen erheben, die mir dieteuersten sind, laß sie kommen! Sehen wir zu, wie siesichnebenmirausnimmt!«»Die Zeit ist schwer,« klagte Iras, die überrascht diegroßenAugenderKöniginsiegesgewißaufleuchtensah.»Gönne Deinem Fuße, was sein Recht ist. Laß ihn siezertreten! Es drängen sichDirUngeheuer genug in denWeg,gegendieDumitderSohlenichtankommst.Wasinsolchen Kampftagen sich schnell beseitigen läßt, fortdamitindenHades!«»Mord?«frugKleopatra,unddieedleStirnzogsich ihr

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zusammen.»Wenn es seinmuß, ja,« versetzte Iras scharf. »Geht esan,VerbannungaufeineInsel,aufdieOase.Thutesnot,indieBergwerkemitderSirene!«»Thutesnot?«wiederholtedieKönigin.»Dassoll,denk’ich,heißen:wennsichherausstellt,daßsiedieschwerstederStrafenverdiente.«»Die lud sie schon durch jede Stunde auf sich, die siemeiner Königin trübte. In den Bergwerken vergeht dieLust,GattenundKnabenNetzezustellen.«»UndmansiechtdortuntergräßlichenQualendahin,bisderToddenJammerbeendet,« fügteKleopatra imToneernstenVorwurfshinzu.»Nein,Mädchen,dieserSiegistmirzuleicht.BisdahinwarjeneimVorteil,jetztkommtdieReiheanmich.AberauchdenFeindschickeichnichtin den Tod, ohne ihn zu hören, amwenigsten in dieserZeit, die mich lehrt, was es heißt, das Urteil einesMächtigeren erwarten. Dies Weib, das mich gleichsamselbst in den Kampf rief, — es soll ihm der Willegeschehen.Ichbinbegierig,dieSängerinwiederzusehenunddieMittelkennenzulernen,womitesihrglückte,soviele, vom Knaben auswärts bis zum anspruchsvollenManne,anihrenTriumphwagenzuspannen.«»Herrin,«riefIrasentsetzt,»Duwolltest?«»Ichwill,« fielKleopatra ihrgebieterisch insWort,»ichwill die Tochter des Leonax, die Enkelin desDidymus,

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die mir beide wert waren, sprechen, bevor ich über ihrSchicksalentscheide.IchwillindasHerzunddenGeistderGegnerinschauenundwägenund richten,bevor ichverdamme.AufnehmenwillichdenStreit,zudemsiedasliebendeWeibunddieMutteraufrief!Aber—unddasistmeinRecht ... ichwill sie zwingen, sichmir zu zeigen,wieAntoniusmich indiesen letztenWochensooft sah,ungesteigert und unverfälscht durch dieKunst, über diewirbeidegebieten.«Dabei trat sie, ohne desMädchensweiter zu achten, andas Fenster und fuhr nach einem raschen Blick an denHimmel gelassen fort: »Die erste Stunde nachMitternacht geht zu Ende. Gleich soll die Beratungbeginnen.EshandeltsichumeinenVersuch,dervielzuretten vermöchte. Zwei Stunden dauert die Sitzung,vielleicht auch nur eine.Die Sängerin kannwarten.Wowohntsie?«»Im Hause ihres Vaters, des Malers Leonax. an denGärten des Paneums,« erwiderte Iras mit heisererStimme.»Doch,Herrin,galtDirmeineMeinungjeauchnurdasGeringste...«»Ichwünsche jetzt nichtRat zu halten, sondern forderedie Ausführung meiner Befehle!« rief die Königinbestimmt.»SobalddieErwartetendasind...«Hierwurde sie von einemKämmerer unterbrochen, derdas Erscheinen der Berufenen meldete, und Kleopatra

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ließ ihnen sagen, sie sei auf demWege, sich ihnen zuzeigen.DannwandtesiesichwiederanIrasundgebotihrin raschem Redeflusse, sich ungesäumt in Begleitungeines zuverlässigen Mannes von einem geschlossenenWagenzuBarine führenzu lassen.OhnedengeringstenAufenthalt—Iraswerdesieverstehen—habesiesiezuihr zu führen, auch, wenn es nötig sei, sie aus demSchlafezuwecken.»AlshabesiederSturmgezwungen,aufsDeckdesSchiffeszutreten,«schloßsie,»willichsiesehen!«DanngriffsienacheinemTäfelchenaufdemPutztischeundritztemitfliegenderHandindasWachs:»Kleopatra,die Königin, wünscht Barine, die Tochter des Leonax,ungesäumt zu sprechen. Es ist ihr kein Augenblick desAufenthalts gestattet. Jeder Anordnung der Iras, derAbgesandten Kleopatras, und ihres Begleiters, hat sieGehorsamzuleisten.«DamitschloßsiedasDiptychon,reichteesdemMädchenundfrug:»WennimmstDumitDir?«Sieaberantwortete,ohnesichzubesinnen:»Alexas.«»Gut.« entgegnete Kleopatra. »Gönnt ihr keinenAugenblick zu Vorbereitungen, wie sie auch heißen.Vergeßtabernicht,—ichbefehl’es—daßsieeinWeibist.«

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Damit wandte sie sich dem Kämmerer zu, um ihm zufolgen; doch Iras eilte ihr nach, um dem Diadem aufihrem Haupte die rechte Stellung zu geben und einigeFaltenihresGewandesneuzuordnen.Kleopatraließesgeschehenundsagtedabeigütig:»EsliegtDirnochetwasaufdemHerzen,ichseh’es.«»O, Herrin!« rief das Mädchen. »Nach diesenErschütterungenderSeele, diesen aufreibendenMondenmachst Du die Nacht zum Tage und nimmst neueAnstrengungenundErregungenaufDich.WennderArzt,wennOlympus...«»Es muß sein,« fiel Kleopatra ihr gütig insWort. »DieletztenbeidenWochenwareneineeinzige,lange,finstereNacht. Nur auf Stunden verließ ich das Lager.Wem esobliegt,seinLiebstesausdemStromezuziehen,derfragtnicht, wie das kalte Bad ihm bekommt. Wenn wiruntergehen,istesgleich,obgesundoderkrank;wennesdagegengelingt, eine neueStreitmacht zu sammelnundAegyptenzuretten,darfesGesundheitkostenundLeben.DieMinuten,dieichdemWeibezugönnengedenke,siegehenmitindenKauf.Wasauchkommt,esfindetmichbereit, ihm zu begegnen.Vor einen großenWendepunktdesLebenswurdeichgestellt.InsolcherZeiträumtmanmit den Verpflichtungen und Forderungen auf, diemannochhat,dengroßenundkleinen.«Wenige Minuten später bestieg Kleopatra den

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ThronsesselundbegrüßtedieMänner,dieihrRufausderNachtruhe gestört hatte, um ihnen einen hochfliegendkühnen Gedanken zur Prüfung vorzulegen, auf den dasVerlangen nach neuem Widerstande gegen densiegreichen Feind ihren kräftigen und rastlosen GeistmittenimtiefstenUnglückgeführt.Als sie vor vielen Jahren der Knabe, mit dem sie nachdem väterlichen Willen den Thron teilte, und seinVormundPothinusgezwungenhatten,ausAlexandriazuentfliehen, war sie an der Ostgrenze des Delta, auf derLandenge,dieAegyptenmitAsienverbindet,denRestendesKanalsbegegnet,denthatkräftigePharaoneninalterZeit hergestellt hatten, um das mittelländische mit demrotenMeerezuverbinden.Schon damals war ihr dies verfallene Werk wert derBerücksichtigung erschienen. Wißbegierig hatte sie dieAeaniten, die dort wohnten, nach den Resten dieserWasserstraßeausgefragtundeinigeauchindermüßigenZeitdesWartensselbstausgesucht.Darnach war es möglich erschienen, beim AufgebotgroßerKräftedenKanalvonneuemfahrbarzumachen,dessen sich die Pharaonen bedient hatten, um in dengleichen Schiffen in beide Meere zu gelangen und dervon dem erstenDarius, demOrganisator des persischenWeltreichs, vor noch keinem halben Jahrtausend seinerFlottezurVerfügunggestelltwordenwar.

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Ueber das alles hatte sie sich mit dem ihr eigenen,nimmer müden Verlangen nach Belehrung AufschlußverschafftundsichinruhigenTagenmehralseinmalmitdem Plane beschäftigt, das griechische mit demarabischenMeereneuzuverbinden.Klar, anschaulich, gründlich, in vielen Stücken besserunterrichtetalsselbstdieWasserbaumeister,legtesiedenum sie versammelten Fachmännern dar, was siebeabsichtigte. Erwies es sich als ausführbar, sollten diegeretteten Schiffe der Flotte, nebst anderen, die auf derRhede vonAlexandria lagen, über die Landenge fort indasroteMeergeschafftundsofürAegyptengerettetunddem Feinde entzogen werden. Auf diese Streitmachtgestützt, ließ sich mancherlei unternehmen, war esmöglich,denWiderstandbeträchtlich zuverlängernunddie Zeit zu benützen, um neue Hilfsmittel undBundesgenossenzusammeln.Gingeswiederan,zumAngriffzuschreiten,sostandihreine gewaltige Flotte zurVerfügung, für die zuKlysmanun auch kleinere Schiffe auf Grund der Erfahrungenerbautwerdensollten,diemanbeiActiumgemacht.Staunendhörtendie umdieRuhederNacht betrogenenMännerdemwohllautendenFlussederRededieserFrauzu, die im tiefstenMißgeschick einenRettungsplan vonso abenteuerlicherGröße ersonnen hatte und ihn besserzubegründenverstand,alseseinemvonihnengelungen

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wäre.ScharfgespanntfolgtensieihrvonSatzzuSatz.—IhreRedeabererhobsichzuimmerhöheremSchwungeund gewann an Kraft und Tiefe, je deutlicher sie dieunverfälscht enthusiastische Bewunderung wahrnahm,dieihrdieZuhörerzollten.Völlig unmöglich und unausführbar erschien auch nichtdem ältesten und besonnensten der überraschendeVorschlag. Einige, und unter ihnen Gorgias, der demVater bei der Wiederherstellung des Serapeums an derOstgrenzedesDeltageholfenunddabeidieGegendvonHeroonpolis kennen gelernt hatte, fürchteten dieSchwierigkeiten, die eine Erderhebung in derMitte derLandenge demUnternehmen in denWeg stellenwürde.Doch was zur Zeit des Sesostris gelungen war, warumsollteesjetztunausführbarerscheinen?Noch größere Besorgnis erregte dieKürze der Zeit, diezur Verfügung stand, und die Nachricht, daß bei derHerstellung des Kanals, den der Pharao Necho schon.beinahe vollendet hatte, 120,000 Arbeiter zu Grundegegangenseien.DieWasserstraßewardamalsnichtfertiggestellt worden, weil ein Orakel behauptet hatte, siewerde nur den Fremden, den Phöniziern, zu gutekommen.Das alles wurde erwogen, konnte indes die Meinungnicht erschüttern, daß der Plan der Königin unterbesondersgünstigenUmständenausführbar sei,wennes

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auch,umihnzuverwirklichen,berghoheSchwierigkeitenzu überwältigen galt. Was auf den Aeckern sonst dieHänderegteundnichtfürdasHeerherangezogenwerdenmußte,solltezurArbeitaufgebotenwerden.Keine Stunde des Aufschubs war gestattet.Wo es keinWassergab,umdieSchiffezutragen,mußtederVersuchgemacht werden, sie zu Land fortzuziehen. AnHilfsmitteln fehlte es nicht. Die Mechaniker, dieObeliskenundKolossevomKataraktnachAlexandriazubefördernverstanden,konntenhierwiederdenGeistunddasalteKönnenbewähren.Lebhaftere, ja leidenschaftlichere Teilnahme hatte derzündende Geist der Kleopatra noch nie in einer um sievereinigten Ratsversammlung erweckt als bei diesernächtlichen Sitzung, und als sie endlich geschlossenwurde,umbrausteKleopatrader lauteZurufbegeisterterMänner.DieHeimkehrderKöniginundwasmandenRätenvonder verlorenen Schlacht mitgeteilt hatte, sollten sie alsGeheimnisbewahren.Zu den Leitern des Unternehmens war auch Gorgiasgesellt worden, und der Geist, die Stimme, dieherzgewinnendeAnmutKleopatrashatten ihn insolchesEntzückenversetzt,daßerschonwahrzunehmenglaubte,neue Liebe beginne seiner Neigung für Helenaverhängnisvollzuwerden.

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Eswarjathöricht,seineWünschesohochzuerheben;ersagtesichaberdennoch,einembegehrenswerterenWeibealsderKleopatraniebegegnet zu sein.DerEnkelindesPhilosophengedachteertrotzdemmitallerWärmeundesthat ihm leid, daß er kaum Zeit finden würde, umAbschiedvonihrzunehmen.DerSiegelbewahrerZeno,derOheimdesDion,hatteihnbeim Eintritt in den Sitzungssaal in sonderbargeheimnisvollerWeisenachdemNeffenbefragt,unddieAntwort erhalten, die Wunde, die Cäsarion ihm miteinem kurzen römischen Schwerte in die Schulterbeigebracht hatte, sei zwar nicht leicht, doch, wie dieAerzteversicherten,heilbar.Das schien dem Oheim zu genügen, und bevor derBaumeister ihm noch recht ans Herz legen konnte, dieschützende Hand über den Neffen zu breiten,entschuldigteersichundwandteihmmiteinemGrußeandenVerwundetendenRücken.Der Hofmann hatte sich noch nicht überzeugt, wie dieMajestätdiesepeinlicheAngelegenheitaufnähme,underwardazuinderThatmitGeschäftenüberhäuft.DasneueUnternehmen erheischte die Ausstellung einer großenZahl von Vollmachten, die sämtlich durch seine Handgingen.Jedem der Fachmänner, die mit der Ausführung ihresPlanes betraut worden waren, gab die Königin ein

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gütiges,ermunterndesWortmitaufdenWeg.AuchdemGorgias gestattete sie, ihr dasGewand zu küssen, dabeigerietihmdasbeweglicheHerzblutinneueWallung.Amliebsten hätte er sich diesem wunderbaren Weibe zuFüßen geworfen und ihmmit seinenDiensten auch dasLeben zur Verfügung gestellt. Und Kleopatra bemerktedieschwärmerischeGlutseinesBlickes.UnterdenVerehrernderBarinewaraucher ihrgenanntworden.EsmußtedochetwasBesonderesumdieseFrausein! Aber ob es ihr gelungen wäre, eine Schar vonernstenMännernfüreinegroße,halbunmöglicheThatsozu entflammen, sie zu so begeisterter Bewunderungfortzureißen,wie es ihr, derBesiegten,Bedrohten, ebengeglücktwar?Gewißnicht!SiefühltesichinderStimmung,derBarinealsRichterinundüberlegeneRivalinentgegenzutreten.Mitten im tiefsten Elend verlebte sie eine glückseligeStunde. Mit frohem Stolz hatte sie wieder empfunden,daß ihr Geist, frisch und ungebeugt, im stande sei, dieBesten zu überflügeln, und wahrlich! noch bedurfte siekeinesZauberbechers,umHerzenzugewinnen.

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ZwölftesKapitel.

Seit einer Stunde befand sich Barine im Palaste. DasprächtigausgestatteteGemach,indassiegeführtwordenwar, lag über dem Sitzungssaale, in demKleopatra Rathielt, und bisweilen ließ sich durch die stille Nacht dieStimme der Königin oder der laute Zuruf derVersammlungvernehmen.Barine horchte darauf hin, ohne auch nur zu versuchen,denSinnderWorte, die zu ihr drangen, zu erfassen.Esverlangte sie nur nach einerAbleitung für die tiefe undbittere Erregung, die sie erfüllte. Ja, tief, bitter, bis zurWildheit heftigwar sie, und dabei empfandBarine,wiesehr dieser stürmische Groll der Besonderheit ihresWesenswidersprach.Freilich hatte auch die Ruchlosigkeit des Philostratuswährend der Ehe mit ihm die Grundtiefen ihrer stillen,freundlichen Seele nicht selten erregt, und wenn dannsein Bruder Alexas gekommen war, um sie mitschändlichenAnträgenandenRandderVerzweiflungzudrängen, hatte sich auch die Bitterkeit zu demstürmischenAufruhrderSeelegesellt,unddesdurftesiesichjetztfreuen;dennohnejenenmächtigenGrollinderZeit des Kampfes wäre sie vielleicht müde und insehnsüchtigemVerlangennachRuheunterlegen.Endlich,endlichwaresihrunddenFreundenmitgroßen

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Opfern gelungen, sie aus dieser Not zu erlösen. DemPhilostratus war die Einwilligung, sie freizugeben,abgekauft worden. Auch vor den Nachstellungen desAlexashattesielängstRuhegewonnen;dennerwarvonseinemGönnerAntoniuserstalsGesandterausgeschicktunddanngenötigtworden,ihnindenKriegzubegleiten.Wie hatte sie die friedvollen Tage, die dann kamen, immütterlichenHausegenossen!WieschnellwardieheitereRuhe, die sie schon verloren gegeben, ihr in die Seelezurückgekehrt,undheutehattesiedasSchicksalmitderhöchstenGlückseligkeit gesegnet, die ihr das Leben bisdahin geboten. Freilich war es ihr nur kurze Stundenvergönntgewesen,sichihrervollzuerfreuen;denndurchden Ueberfall des zügellosen Knaben und dieVerwundung ihres Verlobten hatte es eine schwereTrübungerfahren.UndwiederwardieMutter imRechtegeblieben,alssieeinzweitesUnglück,dasdemerstennurzubald folgenwürde,mitallerBestimmtheitvorausgesehenhatte.Mitten in der Nacht war Barine aus dem Frieden desHauses, von dem Lager des verwundeten Geliebtengerissen worden. Auf Befehl der Königin war esgeschehen, und in bitterer Erregung sagte sie sich, daßdieMänner imRechtewären,diederTyrannei fluchten,weil sie den freien Menschen in eine willenlose Sacheverwandelten.

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Es konnte nichts Gutes sein, das ihr bevorstand, dafürbürgten die Boten, durch die Kleopatra sie zu dieserunerhörten Stunde zu sich beschieden hatte. Dieschrecklichsten ihrerFeindewarenesgewesen: Iras,dieihresVerlobtenselbstbegehrte—Dionhatteesihrnachdem Ueberfalle bekannt — und jener Alexas, dessenWerbungsieineinerWeisezurückgewiesenhatte,dieeinMannniemalsvergibt.Wie Iras ihr gesinnt sei, hatte sie bereits erfahren. DasschlankeMädchenmitdemschmalenKopfe,derlänglichzartenNase,demkleinenKinn,denspitzenFingern,kamihr vor wie ein langer, scharfer Dorn. Dieser seltsameVergleichwar ihrschon,währendsie ihrdenBefehlderKönigin, straff und hochmütig ausgerichtet, mit derschreiend hohen Stimme vorgelesen hatte, in den Sinngekommen. Alles an diesem harten, kühlen, ihrfeindseligen Geschöpfe schien ihr spitz wie ein Stachelundbereit,siezuverderben.SchnellundeinfachwaresmitihrerVersetzungausdemHausederMutterindenKönigspalastgegangen.NachdemUeberfalle,vondemsieweniggesehenhatte,weil sie, von Furcht und Entsetzen überwältigt, dieAugen geschlossen, war sie mit dem verwundetenGeliebtennachHausegefahren.DorthattederArztihnverbundenundFrauBerenikedaseigene Schlafgemach schnell und umsichtig in ein

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Krankenzimmerfürihnverwandelt.Barine war nicht mehr von seiner Seite gewichen,nachdemsiesichumgekleidethatte.EswarmitSorgfaltgeschehen;dennsiekannteseinGefallenanäußererZier.Als sie von den Großeltern vor Sonnenuntergang nachHause gekommen, war sie allein mit ihm gewesen. Dahatte er ihr den Arm geküßt und gesagt, daß es keinenschöneren gebe, so weit man griechisch rede. DieGemme,die ihnschmücke,seiseinerwert.Darumhattesie das Reisegepäck geöffnet, um ihm die Spange zuentnehmen,dieihrAntoniusverehrt.SiezierteihrwiederdenOberarm,alssiedasKrankenzimmerbetrat.Weil er ihr gesagt, daß er sie am liebsten in demeinfachen weißen Gewande sehe, worin sie ihm vorwenigen Tagen, als er allein mit dem Gorgias bei ihrgewesenwar,bislangenachMitternachtdieihmliebstenLieder, als seien sie alle für ihn bestimmt, vorgesungenhatte, war ihre Wahl auf jenes Kleid gefallen. Und siefreute sich, es angelegt zu haben; denn wie glückseligund dankbar hatte der Verwundete die Augen auf ihrruhen lassen, als sie sich ihm gegenüber niedergelassenhatte.Das Reden war ihm von dem Arzte verboten und ihmverordnetworden,wennesanginge,zuschlafen.DarumhatteBarineihmauchnurstilldieHandgehaltenundihmbloß so oft er die Augen öffnete, ein warmesWort der

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LiebeundErmutigungzugeflüstert.Sowarsiestundenlangbei ihmgebliebenundhattedenPosten an seinerSeite nur verlassen, um ihmArznei zureichen oder ihmmitHilfe derMutter neueUmschlägeaufdieWundezulegen.Wenn sich sein männliches Antlitz schmerzlich verzog,hatte es auch ihrwehe gethan; im ganzen aberwar einstillesund freundlichesWohlgefühlüber siegekommen.Sie hatte sich sicher und geborgen im Besitze desgeliebtenMannesgefühlt,obgleichsiesichderGefahrenvoll bewußt war, die ihn und vielleicht auch siebedrohten. Aber die Sicherheit des Herzens erfüllte sievoll und ganz und drängte jede Besorgnis tief in denSchatten. Vor ihm waren ihr viele wert und angenehm,einzelne auch begehrenswert erschienen; die heißeGluteiner großen, wahren Liebe aber hatte Dion zumerstenmale in ihrer lebhaften, doch wenigleidenschaftlichenSeele erweckt.AlsherrlichesWunderempfandsie,wasindenletztenTageninihrvorgegangenwar. Wie hatte sie sich gesehnt und gebangt, bis ihrheißesterHerzenswunscherfülltwordenwar! Jetzt hatteDionihrseineLiebeentgegengebracht,undnichtskonntesieihrrauben.GorgiasunddieSöhneihresOheimsAriushattensieaufkurzeZeit ausderRuhegestört.Nachdemsiemit guterKunde fortgegangen waren, hatte Frau Berenike die

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Tochtergebeten,sichniederzulegenundsieanihreStelletreten zu lassen.AberBarinewar nicht von demLagerdes Geliebten gewichen und hatte sich eben das Haarlösen,esneu flechtenunddievollenblondenZöpfeumdas Haupt stecken lassen, als, zwei Stunden nachMitternacht, mit rücksichtsloser Heftigkeit an dieFensterladen geklopft worden war. Frau Berenike hattegerade den Umschlag von der Wunde genommen; —darum war Barine selbst in das Atrium geeilt, um denThorhüterzuwecken.DochderAltehattenochkeineRuhegefundenundwarihr zuvorgekommen; sie aber hatte mit einem leisenAufschrei in dem ersten, der den erleuchteten Vorsaalbetrat, den Alexas erkannt. Ihm war Iras mit dichtverhülltem Haupte gefolgt; denn der Sturm brausteimmer noch durch die Straßen. Als letzter hatte einLaternenträgerdieSchwelleüberschritten.Der Syrerwar der erschrockenen jungen Fraumit einerförmlichenVerbeugungentgegengetreten;Irasaberhatte,ohnesiezubegrüßenoderihreinvorbereitendesWortzugönnen,denBefehlderKöniginwiederholt,undihrdannbeimLichtderLaternevorgelesen,wasKleopatraindasWachsdesTäfelchensgeritzt.AlsBarinedarauf,bleichundihrerselbstkaummächtig,diespätenBotenersuchthatte,einzutretenundihrZeitzugewähren,sichfürdienächtlicheFahrtvorzubereitenund

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der Mutter Lebewohl zu sagen, hatte Iras sie keinerAntwort gewürdigt, sondern nur, als habe sie in diesemHause zu gebieten, demThorhüter befohlen, ungesäumtdenMantelderHerrinzuholen.Während der Alte sichmit zitternden Knieen entfernte,hatte Iras zu wissen verlangt, ob der verwundete Dionsich hier befinde, und Barine, der diese Frage dieBesinnungwiedergab,mitabweisendemStolzeerwidert,die Zuschrift der Königin befehle ihr nicht, sich imeigenenHauseeinemVerhörzuunterwerfen.Da hatte die andere die Achseln gezuckt und inwegwerfendemTonedemAlexaszugerufen»In der That, ich fragte zu viel. Wer so viele Männerjeden Alters zu sich heranzog, wie kann der mit demAufenthaltjedeseinzelnenvertrautsein?«»Das Herz hat ein getreues Gedächtnis,« versetzte derSyrer inberichtigendemTone; Irasaber riefverächtlich:»DasHerz?«Dann blieb es still, bis an Stelle des Thorhüters FrauBerenikeselbstmitdemMantelherbeigeeiltkam.BleichundmitblutlosenLippenlegtesieihnderTochterumdieSchultern und flüsterte ihr dabei mit überströmendenAugen und der Rede kaum mächtig zärtliche undberuhigende Worte zu; doch unterbrach Iras sie bald,indemsieBarineersuchte,ihrindenWagenzufolgen.MutterundTochterumarmtenundküßteneinander;dann

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führtedergeschlosseneWagendieverfolgteAngeklagtedurchdenSturmunddasDunkelaufdieLochias.BisindasGemach,woBarineaufdieKöniginzuwartenhatte,warkeinWortzwischen ihrunddenAbgesandtenderKönigingewechseltworden;hieraberversuchteIras,sie wieder zum Reden zu bringen; doch schon auf dieerste Frage erwiderteBarine, sie habe nichtsmit ihr zuteilen.Das Gemach war tageshell, doch mit unruhigflackerndemLicht erleuchtet; denndieLuft fandEinlaßdurch die undichten, die Fensteröffnungen schließendenLaden an zweiSeiten desEckzimmers, das ein scharferund kalter Zugwind durchwehte. Barine schlang denMantelfesterumsichzusammen,undderSturm,derdenvom Meer bespülten Palast umheulte, paßte zu derheftigenErregungihrerSeele.Obsieinsichhineinoderum sich her schaute, — da war nichts, was siebeschwichtigthättealsdieSicherheit,geliebtzusein,dievorhinauchdieFurchtvon ihr ferngehaltenhatte. JetztwaresdieEmpörung,diederAngstwehrte,sichihrerzubemächtigen.Unddochmußte jeder ruhigeGedanke ihrsagen,daßsievonallenSeitenbedrohtsei.SchondieArtund Weise, mit der Iras und Alexas mit einanderflüsterten, ohne ihrer zu achten, deutete auf schwereGefahr; denn somißachtend erweisen sichHöflingenurgegendie,vondenensiewissen,daßsiedieUngunst,ja

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derGrolldesHerrschersbedroht.Barine hatte in der Ehe mit einem jeden Zartgefühlsbaren, so übel gesinnten wie zungenfertigen MannemanchesschwerErträglichehinzunehmengelernt;alssieaberdenAlexasnach einerBemerkungder Iras, die ihrgelten mußte, auflachen hörte, mußte sie sich Gewaltanthun, um der Feindin nicht insGesicht zu rufen, wietief sie die feigeGrausamkeit ihres Betragens verachte.Aber es gelang ihr, sich Schweigen aufzuerlegen.IrgendwieindesmußtesichderschmerzlicheZwang,densie sich anthat, dennochLustmachen, undwährend dieNotihrergepeinigtenSeeleaufshöchstestieg,rannenihrschwereThränentropfenüberdieWangen.Auch sie waren von der Gegnerin bemerkt und zurZielscheibe ihresWitzesgemachtworden;dochdiesmalhattederSpottdieWirkungaufdenSyrerverfehlt;dennstatt zu lachen, war er ernster geworden und hatte demMädchenetwaszugeraunt,dasBarinewieTadeloderwieeineWarnungerschien.DieAntwortderIraswarnureinverächtlichesAchselzuckengewesen.Barine hatte längst bemerkt, daß die Mutter ihr in derAngstundVerwirrungdeneigenenMantelstattdesihrenumgehängt hatte, und auch dieser Umstand schien derFeindin nicht zu gering, um eine Kränkung daran zuknüpfen.Aber der kindische Uebermut, der sich des sonst

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keineswegs würdelosenMädchens bemächtigt zu habenschien,war nur dieMaske,womit sie die eigenebittereSeelenpein verdeckte. Der Heiterkeit, in die sie derMantelderFeindinzuversetzenschien,lageineernstereErwägungzuGrunde.Dasgraue,schlechtpassendeDingentstellte Barine, und sie wünschte der Königin dassichereGefühl,dieNebenbuhlerinauchanäußeremReizweit zu überbieten. Niemand, auch nicht Kleopatra,konnte bei solchem kühlen Zugwind einer schützendenHülle entbehren, und ihr stand nichts besser als derpurpurne Umwurf mit den in den zarten WollstoffgesticktenschwarzenundgoldenenDrachenundGreifen.Iras hatte gesorgt, daß er für sie bereit lag. Wie eineBettlerin mußte Barine neben ihr erscheinen, wennAlexas auch behauptete, das blaue Kopftuch stände ihrreizend.Er war ein niedrig gesinnter Lüstling, der, von reichenGaben desGeistes und großemWissen unterstützt, keinMittel gescheut hatte, um sich die Gunst des Antonius,des freigebigsten der Gönner, zu erschleichen. — DieAbweisung, die der an bessere Erfolge gewöhnteMannvon seiten der Barine erfahren hatte, war schwer zuverwindengewesen;dochergabesnochnichtauf,siezugewinnen. Niemals war sie ihm begehrenswertererschienen als in ihrer rührenden Ohnmacht. SelbstgemeinerenNaturenwiderstrebtes,Wehrlosemarternzusehen, und als Iras einen neuen Giftpfeil gegen sie

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versandthatte,gestatteteersich,aufdieGefahrhin,dieBundesgenossinzuverstimmen,dieleiseBemerkung:»Sonst reicht man den Verurteilten, bevor es zu Endegeht, ihr Lieblingsgericht. Ich habe keinen Grund, ihrGuteszuwünschen;dasaberwürdeichihrgönnen;Dichdagegen scheint es zu ergötzen, ihr Wermut auf dieletztenBissenzugießen.«»Gewiß!«versetzte siekeck,unddieAugenblitzten ihrhellaus.»DieSchadenfreudeistdiereinstederFreuden;wenigstensfürmichdiesemWeibegegenüber.«Da streckte ihr der Syrer mit einem seltsamen LächelndieHandhinundsagte:»Bleibemirwohlgesinnt,Iras!«»Denn,« fiel sie ihm höhnisch insWort, »es kann übleFolgennachsichziehen,michzurFeindinzuhaben.Dasglaubeichselbst.FürdieeigenePersonbinichübrigensnichtsonderlichempfindlich.Weresaberwagt,«—undhier erhob sie die Stimme—»der einenwehe zu thun,derich...Hör’nurdenJubel!WiesiewiederdieHerzenmit sich fortreißt! Und hätte das Schicksal sie zurBettlerin gemacht, die erste der Frauen bliebe siedennoch. Sie ist wie die Sonne. DieWolke, die in ihrelichteBahntritt,wirdverzehrtundverschwindet.«BeidemletztenSatzehattesiederjungenFraudasvolleAntlitzzugewandt,unddiescharfeStimmederIrasdrangBarine wieder wie ein Dorn ins Gehör, als jene ihr

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endlichgebot,sichfürdasVerhörbereitzuhalten.Gleich daraus fiel die Thür, vom Zugwind erfaßt,krachend in das Schloß zurück. Sie hatte sich dem»Einführer«4 geöffnet, der nach einem raschenUmblickausrief:»In diesem Stelldichein für alle vier Winde wird nichtempfangen. DieMajestät wünscht imMuschelsaalemitdemspätenGastezureden.«Dabei winkte er Barine mit einer höflichen VerneigungundführtesieunddieanderendurchmehrereGängeundRäumeineinwohldurchwärmtesVorgemach.Hier waren auch die Fensteröffnungen gut vor demSturmegeschützt.EinigeLeibwächterunddienstthuendePagenausdemCorpsder»königlichenKnaben«standenzuihremEmpfangebereit.»Daistesgutsein,«wandtesichAlexasderIraszu.»Solluns vielleicht der Winter von vorhin mit doppelterDankbarkeit für die Wonnen des milden Frühlings indiesemgesegnetenRaumeerfüllen?«»Mag sein,« entgegnete sie verdrossen und fuhr dannleise fort: »Hier auf der Lochias halten übrigens dieJahreszeiten die übliche Folge nicht ein. Sie wechseln,wie es dem höchsten Willen gefällt. Statt unserer vierhabendieAegypter,wieDirbekanntseinwird,nurderendrei;—indenPalästenamNilsindsiedafürunzählbar.WoraufdieserschnelleEintrittdesSommerswohldeutet?

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DerWinterhättemirfürdiesmalbessergefallen.«Die Königin hatte — Iras wußte nicht warum —ihreAnordnungenfürdenEmpfangBarinesumgestoßen.Dasverdroß sie, und ihre Züge gewannen ein bedrohlichdüsteresAnsehen,alsdiejungeFrausichvonMantelundKopftuch befreit hatte und in dem an Schnitt und Stoffedlen, doch einfachen weißen Gewande, der Königinharrend, dastand.Die vollen blondenZöpfe, die ihr daswohlgeformteHauptschlichtumgaben,verliehenihreinbeinahekindlichjugendlichesAussehen,undeswarIrasbei diesem unerwarteten Anblick, als werde sie, undKleopatramitihr,überlistet.IndemhalbdunklenAtriumdesHausesamPaneumhattesienurbemerkt,daßBarineetwasWeißestrug.WennesnurdasNachtgewandgewesenwäre,umsobesser!Doch,wiesiedagingundstand,hättesiesichbeiderFeierderIsiszeigenkönnen.MitderfeinsterUeberlegungwäreesnicht möglich gewesen, etwas Passenderes undKleidsameres zu finden!Und ging denn dies eitleWeibmitkostbaremGoldschmuckzurRuhe?OderwiekamihrsonstdieSpangeandenOberarm?Jeder der Reize Kleopatras war für Iras, die sie allekannte,wie ein eigener köstlicherBesitz.Auchnur denkleinsten von einer andern überboten zu sehen, verdroßsie,unddaßsieandemWeibedortFormen traf,diesienicht weniger schön finden mußte, brachte sie auf, ja

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schnittihrinsHerz.Seitsiewußte,daßsieumderBarinewillennichtsmehrvon demManne hoffen dürfe, auf dessen Liebe sie einAnrechtzuhabenmeintevonKindan,haßtesiediejungeFrau.Undzudemvielen,dasdazukam,ihrefeindseligeGesinnungzusteigern,gehörteauchdieMißempfindung,indenletztenStundensichunwürdiggegensieverhaltenzuhaben.WäreihrnurfrüherzuGesichtgekommen,wasdie Feindin unter dem Mantel verbarg, sie hätte schonMittelundWegegefunden,ihrerErscheinungeinanderesAnsehen zu geben. Wie sie war, mußte sie indes jetztbleiben; denn da trat Charmion schon ein. Aber dieserStundefolgtennochandere,undwenndienächstennichtüberdasSchicksalderVerhaßtenentschieden,solltenesdochspäterethun.Charmion,dieSchwesterihresOheimsArchibius,dieihrbisvorhineine liebeGenossinundmütterlicheFreundingewesen, war ihr dazu nicht nötig. Aber was hatte sienur? Es wollte Iras scheinen, als mischte sich in ihrefreundlichenZügeetwasAbweisendes,dassiebisdahinnie an ihr wahrgenommen hatte. Trug auch daran dieSängerinschuld?Undwaswardas?DiesVerhaltenderälterenGenossinentschieddieFrage,obsiederHeimgekehrtennochwiefrüherdieLiebederdankbarenNichteentgegenbringensolle.Nein!Siewürdees nicht mehr über sich gewinnen. Charmion sollte

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fühlen, daß sie, Iras, solche Bevorzugung ihrer Feindinals Kränkung empfand. Hinter ihremRücken gegen siezuwirken,lagnichtinihrerArt.SiehattedenMut,demGegner ihre Abneigung zu zeigen, und sie fürchteteCharmion nicht genug, um es ihr gegenüber anders zuhalten. Sie wußte, daß der Maler Leonax, der VaterBarines,demHerzenderGenossinnahegestanden,aberdamit ließ es sich nicht rechtfertigen, daß sie dasWeibbegünstigte, das ihr, ihrer Nichte, den Mann abwendigmachte, den sie— jene wußte darum— von Kind anliebte.WasCharmion anging, so hatte sie eben langemit demBruder geredet und im Palaste erfahren, daß Barinemitten in der Nacht zu der Königin beschiedenwordenwäre, und so hatte sie in der festenUeberzeugung, daßUeblesmitderjungenFrauimWerkesei,derheuteschonso viel Erschütterndes an Glück und Unglück begegnetwar, das Wartezimmer betreten. Ihr gutes, nicht mehrjunges Gesicht aber, das das graue, schlichte Haar soanspruchslos und gefällig umrahmte, war Barinevorgekommen wie winkendes Land dem verschlagenenSchiffer.Was ihr so stürmisch und bitter die Seele getrübt hatte,kamzurRuhe,undwieeingeängstigtesKindderMutterwar sie derSchwester desFreundes entgegengeeilt, undCharmionhatteihrangesehen,wasihrdieSeelebewegte.

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Es ging nicht an, sie im Palast und unter dengegenwärtigen Umständen zu küssen; aber sie zog, umderIraszuzeigen,daßsiebereitsei,dieschützendeHandüberdieVerfolgtezubreiten,dieTochterdesFreundesansich. Barine aber schaute mit flehenden, Rettungheischenden Blicken zu ihr auf und flüsterte ihr mitüberströmenden Augen zu: »Hilf mir, Charmion! MitBlicken und Worten hat sie mich gequält, beleidigt,erniedrigt, — so grausam, so hämisch! Hilf mir, ichertrag’esnichtlänger!«DahatteCharmiondasfreundlicheHauptgeschütteltundihr leise geboten, sich zu fassen. Sie habe der Iras denGeliebtengenommen;dasmögesiebedenken.Wasessieauch koste, sie dürfe keineThränemehr vergießen.DieKöniginseignädig.Sie,Charmion,werde ihrbeistehen.Alleskommedaraufan,sichderKleopatrasozuzeigen,wiesiesei,nichtwiedieVerleumdungsieihrdargestellthabe. Sie möge ihr antworten, als stelle sie selbst oderArchibiusdieFrage.Dabei strich sie ihrmitmütterlicherFreundlichkeitüberStirn undAugen, und der jungen Frauwar es, als habedie Güte selbst den Sturm in ihrer Seele zur Ruhegebracht. Wie aus einem schweren Traum erwacht,schaute sie sich um, und jetzt erst nahm sie wahr, ineinem wie reich geschmückten Raume sie sich befand,wiebeifälligdieKnabenvommakedonischenPagencorps

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auf sie schauten, wie heimelig das Feuer im Kaminebrannte. Das Heulen des Sturmes steigerte jetzt dasWohlgefühl, unter einem festen Dache zu weilen, undIras,diedem»Einführer«anderThüretwaszuflüsterte,erschienihrnichtmehrwieeinstechenderDornodereintückischer Dämon, sondern wie ein keineswegsunschönes weibliches Wesen, das sie abstieß, dem sieaber selbst das Uebelste angethan hatte, das einemFrauenherzen nur immer zugefügt werden kann. DabeidachtesieauchwiederandenwundenGeliebtendaheimund daß, was auch käme, sein Herz nicht jener dort,sondern ihralleingehörte.Endlichkam ihr indenSinn,wie Archibius das Kind Kleopatra geschildert, und andieseErinnerungschloßsichdieUeberzeugung,daßdieallmächtige Frau ihr weder grausam noch ungerechtbegegnenwürde, und daß esmit in ihrer eigenenHandläge, sie sich zu gewinnen. Auch Charmion war ja dieVertraute derKönigin, undwenn dasVerhalten der IrasunddesAlexasgeeignetgewesenwar, sie zuängstigen,sodurftedasihresiemitZuversichterfüllen.Dasalles flog ihrblitzschnelldurchdenSinn.EswurdeihraberauchnurkurzeZeitzumDenkengelassen;dennschon während sie das Haupt an die Brust derBeschützerin geschmiegt hatte, war der Einführer mitdem Rufe: »In wenigen Minuten wird die erhabeneMajestät die Vorgeladenen erwarten!« in das Zimmergetreten.

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Bald darauf erschien ein Kämmerer und winkte miteinemWedel vonStraußenfedern, und unterVortritt derHofbeamten ging es durch einige hell erleuchtete,prächtigausgestatteteRäume.Barine schritt wieder aufrecht und freier atmend dahin,undalsdiehohenundbreitenFlügeldesEbenholzthoressich öffneten, von dessen tiefem Schwarz sich dasElfenbein der eingelegten Tritonen, Meerweiber,Muscheln, Fische und Seeungeheuer scharf abhob, botsichihreinglänzender,überraschenderAnblick;dennderSaal, den Kleopatra zu ihrem Empfange gewählt hatte,warüberundübermitdenverschiedenartigstenGebildendesMeeres, von derMuschel bis zur Koralle und demSeesterne,bedeckt.EinhohesundbreitesGebäuvonTropfsteingebildenundnatürlichen Felsblöcken im Hintergrunde des SaalesumschloßeinetiefeGrotte.DasriesengroßeHaupteinesUngeheuers schaute aus ihr hervor, und sein weitgeöffneterRachenbildetedieFeuerstättedesKamins.Esbranntendarin,hellauflodernd,wohlriechendearabischeHölzer,undausdenRubinglasaugendesDrachenstrahlteeinrötlicherGlanzhellindenSaalhineinundvermischtesich mit dem Lichte der weißen und rosenfarbigenLampen in Gestalt der Lotosblume, die zwischengoldenen und silbernen Ranken und Schilfgruppen anWand und Decke befestigt waren. Sie erfüllten den

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weiten Raum mit jenem milden Lichte, dessen rosigerSchimmer die matte Hautfarbe Kleopatras besondersvorteilhafthervorhob.Einige Truchseß und Mundschenken, derOberjägermeister, Audienzerteiler, Kämmerer, zumPalastdienst gehörende Frauen, Eunuchen und andereHofbeamteharrtenhierderKönigin,undPagenausdemmakedonischen Kadettencorps der königlichen Knabenumstanden schlaftrunken und gesenkten Hauptes denkleinen Thronsessel von Gold, Korallen und Bernstein,demKamingegenüber,derderHerrscherinwartete.Barine hatte diesen prächtigen Saal und andere nochglänzendere im Sebasteum schon gesehen, und dieserPrunk erregte oder beunruhigte sie darum mit nichten.NurdievielenHöflingehättesie fortgewünscht.KonnteesdenndieAbsichtKleopatras sein, sie vordenAugenalldieserMänner,FrauenundKnabenzuverhören?Sie fürchtete sich nicht mehr, das Herz schlug ihr aberdennoch schnell genug. So hatte es ihr alsheranwachsendem Mädchen gepocht, wenn man sieaufgeforderthatte,vorFremdenzusingen.Endlich hörte sie Thüren gehen, und eine unsichtbareHandöffnetedenschwerenVorhangzuihrerRechten.Den Regenten, den Siegelbewahrer und die ganzeglänzendgeschmückteHeerschar,inderenBegleitungdieKöniginsichstetsbeifeierlichemAnlaßzeigte,hattesie

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diesenPrunksaalbetretenzusehenerwartet.Warumhätteman ihn sonst zum Schauplatz des nächtlichen Verhörsgewählt?Aberwaswardas?Während sie noch der Schaustellung beim Adonisfestegedachte, begann sich der Vorhang schon wieder zuschließen. Die Höflinge, die den Thronsitz umstanden,richteten sich auf, die Pagen hatten der Müdigkeitvergessen, und alle zusammen brachen in diegriechischen Bewillkommnungszurufe und in das:»Leben,Heil,Gesundheit!«aus,womitdieAegypterdenHerrscherbegrüßten.Die mittelgroße Frau, die sie jetzt vor dem Vorhanggewahrte, und die ihr, während sie allein und losgelöstvon jeder Umgebung den großen Raum durchschritt,kleinervorkamalswährenddesbuntenGedrängesbeimAdonisfeste,esmußtedieKöniginsein.Ja,siewares!DastandauchschonIrasanihrerSeite,datratCharmionmit dem »Einführer« ihr entgegen.Die Frauenmachtensich mit ihr zu schaffen. Jetzt nahm Iras ihr denverbrämten Purpurmantel mit den schwarzen undgoldenenDrachenvonderSchulter.WelcheinköstlichesMeisterwerkderWebereimußtedassein!Alles,wogegen sie sichwohlverteidigen sollte, drängtesich in blitzschneller Folge dem Geiste Barines auf;

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daneben aber machte sich doch auch für einenAugenblick der thörichte Weiberwunsch in ihr geltend,denprächtigenMantelzusehenundzubefühlen.AberschonlegteIrasihneinerderFrauenaufdenArm,und nun schaute Kleopatra sich um und schritt mitjugendlichelastischemSchrittaufdenThronsesselzu.Da bemächtigte sich Barines wieder das Angstgefühl,dessensiesichvorhinausfrüherenJahrenerinnerthatte;doch zugleich damit kam ihr die Geschichte vomEpikuräergarten und die Versicherung des Archibius inden Sinn, auch sie wäre von der Königin mit warmerBegeisterung geschieden, hätte sich nichts Störendeszwischensiegedrängt.UnddiesStörende,waresdennwirklichvorhanden?Nein! Die eifersüchtige Einbildungskraft der Kleopatra,sie allein hatte es geschaffen! Wollte sie ihr jetzt nurgestatten, sich auszusprechen, so sollte sie hören, daßAntonius so wenig nach ihr, wie sie nach demKnabenCäsarionfragte.Washindertesie,hierzubekennen,daßihr Herz einem andern gehörte? Auch seinen Namenbrauchte sie nicht zu verschweigen. Iras hatte es selbstverschuldet,wennsieihnschonungslosvorihraussprach.Jetzt wandte Kleopatra sich an den »Einführer« undzeigteaufdenThronundseineUmgebung.Ja, siewar schön!Undwiewach und heiter blickte ihrgroßes, glänzendes Auge, trotz der verhängnisvollen

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Tage, die hinter ihr lagen und der durchwachtenSturmnacht.DieAufnahme,dieihrkühnerRettungsgedankegefundenhatte, hob Kleopatra noch immer das Herz, und mitmilderen Gefühlen und Absichten ging sie Barineentgegen.StattdesvonIrasfürdenEmpfangbestimmtenRaumeshattesieeinenfreundlicherengewählt.Für jedeStimmungbrauchtesieeinepassendeUmgebung.Sobaldsie den Höflingskreis bemerkte, der den Thron umgab,befahl sie, ihn zu entlassen. Der »Einführer« hatte ihn,umderüblichenFormzugenügen,ausfreiemAntriebindenAudienzsaalbefohlen;dochseineAnwesenheithättedieser Begegnung eine Form gegeben, die der Königinjetztwiderstand.Siewollteprüfen,nichtrichten.IneinersogutenStundewaresihrBedürfnis,sichgnädigzu erweisen. Vielleicht hatte sie sich um diesesWeibeswillen vergeblich beunruhigt. Dies wollte ihr sogarwahrscheinlich erscheinen; denn wer sie so liebte wieAntonius, konnte kaum nach der Gunst einer anderntrachten.DashatteeinkurzesGesprächmitdemoberstenOpferschauer, einem würdigen Greise, neu bestätigt;denn nachdem er vernommen, wie Antonius ihr beiActium nachgeeilt war, hatte er Antlitz und Hände wieverzückt erhoben und ihr zugerufen: »UnglücklicheKönigin!GlückseligstederFrauen!Soheißgeliebtward

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nochkeine,undwennsievondemedlenTrojaerzählen,daß es um eines Weibes willen schwere Leiden willigerduldet,sowerdenferneGeschlechterderFraurühmendgedenken, deren unüberwindlicher Zauber den Größtenseiner Zeit, den Helden der Helden zwang, Sieg undRuhmunddieHoffnungaufdieHerrschaftderWeltwienichtigenTandvonsichzuwerfen.«DieNachwelt,vorderenVerdikt ihrgegraut—deralte,weise Künder der Zukunft hatte recht — als die amheißesten geliebte, die begehrenswerteste aller Frauenmußtesiesiepreisen.Und Marcus Antonius? Hätte auch die magische Kraftdes Nektanebus-Bechers ihn gezwungen, ihr zu folgenund die Schlacht zu verlassen, so blieb sein Testamentdoch bestehen, von dem Zeno, der Siegelbewahrer, ihramSchlussederSitzungeineAbschriftgezeigthatte,dieihm aus Rom zugekommen war. »Wo er auch sterbenwerde,«hießesdarin,»wünscheernebenderKleopatrabestattet zuwerden.«OctavianhatteesdenvestalischenJungfrauen entrissen, denen es zur Aufbewahrungübergeben worden war, um die Herzen der Römer undihrer Matronen mit Empörung gegen seinen Feind zuerfüllen. Es war ihm gelungen, sie aber hatte diesSchriftstück erinnert, daß ihr Herz diesem Manne dieErstlinge seiner jungenBlüten geschenkt, daßdieLiebezuihmderSonnenscheinihresLebensgewesen.

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So war sie denn erhobenen Hauptes über die Schwelledes Raumes getreten, in dem sie demWeibe begegnenwollte,dassichvermessenhatte,UnkrautinihrenGartenzusäen.NurkurzeZeitwünschtesiedieserUnterredungzuwidmen,dochsieschauteihrmitdemWohlgefühldesStarkenentgegen,derdesSiegesgewißist.AlssiesichdemThronenäherte,verließdasGefolgedenSaal.NurCharmionundIras,derSiegelbewahrerZenoundder»Einführer«warengeblieben.Kleopatra warf einen kurzen Blick auf den Sessel, undeineunterwürfigeHandbewegungdesHofmannesludsieein, sich seiner zu bedienen; doch sie blieb stehen undfaßteBarineinsAuge.War es der farbige Glanz auf den Rubinglasaugen desDrachenimKamin,dernundenrosigenSchimmerüberdie Wangen Kleopatras hauchte? Sicherlich hob er dieSchönheitihresAngesichts,dasjetztnurzuoft,wenndieSchminke nicht nachhalf, fahl war und der Farbeentbehrte;BanneaberbegriffdieglühendeBegeisterungdesArchibiusfürdieseselteneFrau,alsKleopatrasiemiteinemleisenLächelnnäherzutretenersuchte.EtwasHerzgewinnenderesließsichnichtdenken,alsdieungemachte, von stolzer Herablassung himmelweitentfernteFreundlichkeitdiesermächtigenFürstin.JewenigerBarinesolchenEmpfangerwartethatte,desto

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tieferwardsieergriffen, jadieAugenwurdenihrfeuchtvondankbarerRührung,undsiegewannendadurcheinenso köstlichen Glanz, und daneben stand die froheUeberraschung ihr so gut, daß die Königin meinte, dieMonde,dieseitihrererstenBegegnungmitderSängerinvergangen,hättenihreSchönheitgesteigert.Undwie jungdieAngeklagtewar! ImFlugeüberschlugKleopatradieJahre,dieBarinealsGattindesPhilostratusunddannalsanziehendesHaupteinesgastlichenHausesverlebthabensollte,undesfielihrschwer,dasAussehendieses jugendlichfrischenGeschöpfesmitdemErgebnisder Rechnung zu vereinbaren. Ueberraschend war auchdas vornehme Etwas, das man der Erscheinung derMalerstochternichtabsprechenkonnte.InihrerKleidungsogar machte es sich geltend, und Iras hatte sie dochmitten in derNacht aus derRuhegestört und ihr sicherkeineZeitgelassen,fürihrAeußereszusorgen.Etwas Unfeines, Herausforderndes erwartete sie an derFrauzufinden,vondereshieß,siehabesovieleMänneran sich gelockt, doch davon hätte selbst das bittersteUebelwollen keine Spur an ihr entdeckt. Im Gegenteil.DieBefangenheit, deren sie nochnicht vollständigHerrgeworden war, verlieh ihr ein jungfräulich zagesAnsehen. Alles in allem war Barine ein reizendesGeschöpf, das die Männer gewiß durch Munterkeit,Anmut und schönen Gesang anzog, nicht durch

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GefallsuchtundKeckheit.DaßihrhervorragendegeistigeBedeutung eigen sei, glaubte Kleopatra nicht. Nur einshatteBarinedarumvorihrvoraus:dieJugend.VonihremZauberhattedieZeit jenernochnichtsgeraubt, ihraberschonmanches: wie viel, das wußte sie allein und ihreVertrauten;dochindieserStundevermißtesieesnicht.Miteinertiefen,bescheidenenVerneigungtratBarinederKöniginnäher;sieaberbeganndasGespräch, indemsiedie späte Stunde liebenswürdig entschuldigte, in der siesie zu sehen gewünscht. »Doch,« fuhr sie fort, »Dugehörst jazuunserenPhilomelen,die inderNacht,wassie bewegt, am willigsten und schönsten uns anderenerschließen.«Da schaute Barine einen Augenblick schweigend zuBoden, und als sie den Blick wieder hob, versetzte sieimmer noch leise und befangen: »Ich singewohl, hoheKönigin, doch mit dem Vogel habe ich nichts mehrgemein.DieFlügel,diemichalsKindforttrugen,wohinich begehrte, sie verloren die Schwungkraft. Nicht, alsversagten sie völlig den Dienst; um sich zu regenbedürfensieaberjetztguterStunden.«»Das hätte ich von Deiner Jugend, Deinem schönstenBesitze, noch nicht erwartet,« entgegnete die Königin.»Doches ist gut so.Auch ich—wie lange ist’s her—wareinKind,undmeineEinbildungskraftüberflogselbstdenAdler.Straflosdurfte sie eswagen. Jetzt ...Wer im

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Leben steht, thutwohl, die Schwingen ruhen zu lassen.DerSterbliche, der sichdesdennochunterfängt, kommtleicht der Sonne zu nahe, undwie dem Ikarus schmilztihmdasWachsvondenSchwingen.LaßDirdassagen!Für das Kind ist die Einbildungskraft nährendes Brot.SpäterbrauchemansienurnochalsSalz,alsWürze,alsanfeuernden Wein. Wohl weist sie uns auf viele WegeundzeigtunsihrEnde,dochvonhundertWanderungen,zudenensie ihnaufruft,bequemtder reifeMenschsichkaumzueiner.KeinlästigerParasitwirdbeharrlicherundschärfer abgewiesen als sie. Wer mag es derMißhandelten verdenken, stellt sie sich uns mit denJahrenwenigerwilligzuDiensten.DerWeisehältihrdasOhr immeroffen,dochdie thätigeHand leiht er ihrnurselten.Sie aus demLebenverbannen, das hieße freilichden Pflanzen das Blühen, der Rose den Duft, demHimmeldieSterneentziehen.«»Aehnliches sagte ich mir oft in weniger klarer undschöner Form, wenn das Dasein sich mir trübte,«entgegnete Barine leicht errötend; denn sie fühlte, daßdiese Darlegung doch wohl bestimmt sei, sie vor zuhochfliegendenWünschenzuwarnen.»Aber,hoheFrau,auch darin stellten Dich, die große Königin, die Götterüber uns andere. Uns würde das Leben oft kläglichverarmen ohne die Phantasie, die unsmit eingebildetenGüternbeschenkt.DuhastdieMacht,DirtausendDingezu gewähren, die uns Kleinen nur die Einbildungskraft

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alserreichbarschildert.«»Dudenkst,«entgegnetedieKönigin,»esgehemitdemGlücke wie mit dem Reichtum, und am glückseligstensei,werdiemeistenGlücksgüterbesitze.DasGegenteil,glaub’ich,ließesichleichtgenugbeweisen.DerSatz:jemehrjemandhat,destowenigerbrauchterzuwünschen,ist ebenso falsch, obgleich sich ja hienieden nur einebestimmte Anzahl von begehrenswerten Dingen findet.Wer von zehnSolidi, die zu verteilen sind, schon einenbesitzt, sollte eigentlich nur noch nach neun VerlangentragenundwäredadurchumeinenWunschärmeralsderandere, dem keiner gehört. Doch es verhält sich wohlanders.DaßmichdieGottheitmitetlichenvergänglichenGabenmehrbelasteteoderbeschenktealsDichundvieleandere, ist allerdings nicht zu leugnen. Du scheinst DireinenhohenBegriffvonihnenzumachen.Eineoderdieandere istwohl auchdarunter, dieDuDirnurmitHilfederEinbildungskraftzueignenkönntest.Darfmanfragen,welcheDirambegehrenswertestenerschiene?«»Diese Wahl,« erwiderte Barine befangen, »bitte ichDich, mir zu erlassen. Aus Deinem Schatze bedarf ichnichts,undwasdieanderenGüterangeht ...Mirfehlt jaso vieles; wie aber das Edelste und Höchste aus demBesitz des wunderbar begabten Lieblings der Götter zudemGeringen undKleinen passenwürde, das ichmeineigennenne,dasstehtdahin,undichweißnicht...«

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»EinberechtigterZweifel!«fielihrdieKönigininsWort.»DerLahme,dersicheinRoßwünschte,bekames,undbeimerstenRittebracherdenHals.DaseinzigeGut,—esistdashöchste—dassicherzurGlückseligkeitführt,esläßtsichnichtverschenkenundvondemeinenaufdenandernübertragen.Wereserwarb,demkannesschondernächsteAugenblickrauben.«Der letzte Satzwar derKönigin leise und nachdenklichvondenLippengeklungen;BarineabererinnertesichderErzählung des Archibius und sagte bescheiden: »Dudenkst an das höchste Gut des Epikur: die vollendeteRuhederSeele.«Da leuchteten dieAugenKleopatras heller auf, undmitlebhafter Teilnahme frug sie: »Du, Enkelin einesDenkers,kennstdieLehredesMeisters?«»Nur oberflächlich, große Königin. Mein Geist ist vongeringererArtalsderDeine.Esfälltihmschwer,sicheinphilosophisches Lehrgebäude bis in die Keller und dieentlegenenKammernundGängezueigenzumachen.«»DochDuhastesversucht?«»Andere gaben sich vielmehr Mühe, mich in die Stoaeinzuführen. Das meiste vergaß ich, nur eins ist mirgeblieben.Ichweißauchwarum.Esgefielmir.«»UnddiesEine?«»EsistdasGebot,vernünftig,dasheißtsozuleben,wiedieeigeneNaturesunsvorschreibt.DerBefehl,alleszu

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meiden,wasimWiderspruchstehtzudereinfältigen,unsselbst ureigenen Weise, sagte mir zu, und wo ichVerkünsteltes,GemachtessahundGeziertes,daschreckteesmichzurück,undausderLehredesGroßvaterszogichmir das Gesetz, ich könnte für mich selbst und alleVerständigennichtsBesseresthun,als,soweitdasLebenesgestattet,sozubleiben,wieichalsKindgewesenwar,bevorichnochdasersteWortvonPhilosophiegehörtundden Zwang gefühlt hatte, den die Gesellschaft und ihreFormenunsauferlegen.«»Also auch dahin vermag die Stoa zuführen!« rief dieKönigin heiter, und indem sie sich an dieGenossin dereigenen Studien wandte, fügte sie hinzu: »Hörtest Du,Charmion? Wenn es uns nur gelungen wäre, dieVernünftigkeit und ungetrübte, zweckmäßige OrdnungdesWeltlebenszuerkennen,andiedieStoa,die sovielVerkehrtes, Krankes, zum Widerspruch Reizendesfordert, das meiste andere knüpft. Wie kann ich, umvernünftigzuleben,esderNaturnachthun,wennmirinihrem Werden, Sein und Walten so viel begegnet, wasmeinermenschlichenVernunft,dieeinTeildergöttlichenist,soentschiedenwiderspricht?«Hierstocktesie,undplötzlichveränderteihrAntlitzdenAusdruck.SiewarderjungenFrauganznahegetreten,undwährendsie ihr gegenüber stand, hatte sich ihr Blick an die

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Gemmegeheftet,dieihrdenOberarmschmückte.WaresihrAnblick,derKleopatrasoheftigbewegte,daßihre Stimme den bestrickendenWohllaut verlor, als sierauhundunwillig fortfuhr:»Dasalso istderUrquell alldieses Unheils! Schon als Kind war mir diese zumVernünftigen umgestempelte Willkür, die unter derMaske sittlicher Strenge einhergeht, zuwider. Da habenwir’sja!HörtihrdasGeheuldesSturmes?Wiedraußen,so gibt es auch in der Menschennatur Unwetter undZerstörungbringendeVulkane,und ist einesSterblichenureigenesWesenvollvonsolchenverwüstendenKräftenwiedieGegenddesVesuviusoderAetna;wohinesdannführt, ihr nachzuleben, das steht uns hier leibhaft vorAugen. Ja wohl! Dem Stoiker ist es untersagt, dieHarmonie und schöne Ordnung der Dinge im Leben,auchdie,diederStaatalsbesondererGottvorschreibt,zustören.AberunsererNaturzufolgen,wohinsieunsführt,diesWagnisistsogefährlich,daßwemdieMachteignet,ihm beizeiten ein Ziel zu setzen, verpflichtet ist, es zuthun.—UndmireignetdieseMacht,und ichwerdesiebrauchen!«Dann frug sie mit eiserner Strenge: »Wie es zu denAnforderungenDeinerNatur,Weib, zu gehören scheint,anzulocken und zu entflammen, was Mann heißt, undtrüge es auch noch nicht das Gewand der Epheben, soscheintessichauchmitdemGefallenaneitlemSchmuck

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zu verhalten.Oder«—und dabei streckte sie dieHandgegen die Schulter der jungen Frau aus — »oder wiekäme Dir sonst in der Zeit der nächtlichen Ruhe dieseSpangeandenArm?«Barinewar der großenVeränderung in derHaltung undSprache derKöniginmitwachsenderBesorgnis gefolgt.Sie sah sich jetzt wiederholen, was ihr nach demAdonisfeste begegnet war, und diesmal wußte sie, wasdie Eifersucht Kleopatras erregte. Sie, Barine, trug dasGeschenkdesAntoniusamArme.TieferblaßtsuchtesienacheinerpassendenAntwort,dochbevorsieeinesolchefand, trat Iras der eifernden Königin an die Seite undsagte: »Dies Armband ist das Gegenstück dessen, dasDeinhoherGemahlDirverehrte.AuchdasderSängerinwird ein Geschenk des Marcus Antonius sein. Sie wiealle Welt schätzt den edlen Imperator als den größtenMannseinerZeit.Wermöchteihrdarumverdenken,daßsie es hochhält und es auch in der Schlafenszeit nichtablegt?«Da war es der Angeklagten abermals, als treffe sie derSticheinesDornes,dochsoheftigauchdieBitterkeit,diesievorhinempfunden,wiederinihraufwallte,zwangsiesich doch, die schicklicheRuhe zu bewahren, und rangnach einemWorte der Entgegnung; doch sie fand nichtdasrechteundschwieg.DieWahrheithattesiegeredet;dennvonfrühanwarsie,

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ohnenachdemUrteilederMenschenzufragen,wiediestoische Lehre es vorschrieb, der ihr eigenen Naturgefolgt,undsiehatteeswagendürfen,weildieseNaturlauterwar,wahrhaftig,demSchönenzugewandtunddazufreivonjenenunzähmbaren,vulkanischenTrieben,derendieKönigingedacht.DieheitereGelassenheitihrerSeelehatte Genüge gefunden an der Pflege ihrer Kunst unddem geselligen Umgang mit Männern, die ihr an demregenLebenihresGeistesteilzuhabengönnten.Erstheutehattesieerfahren,daßdieerstegroßeLeidenschaftihresHerzensErwiderunggefunden.JetztwarsiefestmitdemGeliebten verbunden und wußte sich, rein und frei vonSchuld, besser berechtigt, Achtung auch von strengernSittenrichternzufordernalsdieFrau,diesieverdammte,unddasbösartigeWeibdort,dasnichtabgelassenhatte,demDionseineLiebeentgegenzutragen.Das schmerzliche Gefühl, mißverstanden und mitUnrechtverurteiltzuwerden,verbandsichmitderFurchtvor demSchrecklichen, das die allmächtige Frau, derenklaren Geist niedrige Eifersucht und der Groll desverletzten Mutterherzens trübten, über sie verhängenkonnte,umihrdieSprachezulähmen.Dazuverwirrtesiedie feindseligeErregung,diederAnblickder Iras in ihrerweckte. Zwei- und dreimal faßte sie sich zusammen,umeineErklärung,eineVerteidigungzuversuchen,dochdieZungeversagteihrdenDienst.

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Als Charmion ihr endlich näher trat, um ihrzuzusprechen, war es zu spät; denn die aufgebrachteKönigin hatte ihr den Rücken gewandt und der Iraszugerufen: »Man halte sie auf der Lochias zurück. IhreSchuld ist erwiesen; — doch der Verletzten, derAnklägerinkommtesnichtzu,dieStrafezuverhängen.DasseidemRichterüberlassen,vordenwirsiestellen.«DahatteBarinedieSprachewiedergefunden.WiedurfteKleopatra behaupten. sie sei eines Vergehens überführt,ohneihreVerteidigungzuhören?Sosicher,wiesiesichunschuldigfühlte,mußteesihrzubeweisengelingen,daßsie es sei, und in dieser Ueberzeugung rief sie derKönigin mit rührend dringlicher Bitte nach: »O mögeDeinehoheMajestätnichtvonmirgehen,ohnemichzuhören!Sowahr ich anDeineGerechtigkeit glaube, darfichvonDirfordern,mirnocheinmaldasOhrzuleihen.Gibmichnichtdieserdapreis,diemichhaßt,weilmichderMannzusicherhob,densie...«Hier wurde sie von der Königin unterbrochen. DiefürstlicheWürdeverbotihr,deneifersüchtigenAnklagendeseinenWeibesgegendasanderezuzuhören;mitdemfeinen Gefühle, womit eine Frau die Gesinnung derandern durchschaut, hörte sie aber aus dem klagendenRufeBarinesheraus,daßsieaufrichtigglaube,zustrengbeurteiltzusein.SiemochtewohlauchGrundhaben,andenHaßder Iras zuglauben, undKleopatrawußte,wie

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schonungslos die jüngere Vertraute ihr Mißliebigeverfolgte. Ihren Rat, die Sängerin aus dem Wege zuräumen, hatte sie zurückweisen müssen, und sieschauderte noch immer davor zurück; denn was in ihrwar,warntesie,dieSeelegerade jetztmiteinemneuen,ihre Ruhe trübenden Frevel zu belasten. Dazu hatte ihranfänglich vieles an diesem eigenartigen, anmutigenGeschöpfe gefallen, doch der verletzende Gedanke,Antonius habe ihr und der Malertochter das nämlicheGeschenk geboten,wirkte noch somächtig in ihr nach,daß sie das äußerste Maß der Gnade undSelbstbeherrschung anzuwenden meinte, als sie, ohnesich an eine bestimmte Person zu wenden, in den Saalzurückrief: »DiesemVerhörwird ein anderes folgen. Istdie Zeit dazu gekommen, muß die Angeklagte demRichter zur Verfügung stehen, und sie bleibt darum aufderLochiasundinGewahrsam.EsistmeinWille,daßihrkeine Unbill widerfahre. Du bist ihr wohlgesinnt,Charmion.Einstweilen vertraue ich sieDir an.Nur«—und dabei erhob sie die Stimme — »meine Ungnade,wenn ihrdieMöglichkeitgebotenwird,denPalastauchnuraufeinenAugenblickzuverlassenundaußermitDir,mitwemesauchsei,zuverkehren.«Damit verließ sie den Saal und begab sich in ihreGemächer.SiehattedieNachtzumTagegemacht,nichtnurumschnellzuerledigen,wasihrkeinenAufschubzudulden schien, sondernmehr noch,weil ihr seitActium

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vor den ruhelosen Stunden auf dem einsamen Lagergraute. Sie wollten kein Ende nehmen, und wenn siefrüher sich gern der unerhört glänzenden Pracht undUeppigkeit erinnerthatte,womit sie ihrLiebeslebenmitdemAntoniusumgeben,warfsiesich indiesenStundenvor,dasGutihresVolkesmaßlosvergeudetzuhaben.DieGegenwartwollteihrunerträglicherscheinen,undausderZukunft drang ein Heer von schwarzen Sorgen auf sieein.Die nächsten Tage waren überfüllt mit Geschäften. DieHälftederNächtebrachtesieaufderSternwartezu.NachBarinehattesienichtwiedergefragt.AmfünftenAbendließsiesichvonAlexasaufdiekleineSternwarte,dieaufder Lochias bereits für ihren Vater hergerichtet wordenwar,führen,undderGünstlingdesAntoniuswußteihrzubeweisen, daß ein ihren Planeten schon langebedrohenderSternderdesWeibessei,dassiesosorglosvergessenzuhabenschienwieseinefrühereWarnungvordernämlichenFeindin.DieKöniginließdiesnichtgelten,eraberfuhreifrigfort:»In derNacht nach derHeimkehr bewährteDeineGütesich wieder in ihrer unerschöpflichen, für uns wenigerEdle unbegreiflichen Fülle. Tief bewegt folgten wir beijenem merkwürdigen Verhöre dem ergreifendenSchauspiel,wiedasgrößestederHerzensichdereigenenMaße bediente, um, was klein und verächtlich, zu

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messen.BevoresaberzueinemzweitenVerhörekommt,gebietenmirdiederZukunftkundigenWandererdaoben,Dich noch einmal zu warnen; denn jede Miene jenesWeibes war wohlberechnet, jedes Wort verfolgte einenZweck, jeder Laut ihrer Stimme sollte etwas bewirken.Was sie auch äußerte und äußern mag, es kann nichtsbeabsichtigen, als meine erhabene Gebieterin zutäuschen. Noch kam es ja zu keiner bestimmten Frageund Antwort. Doch Du wirst sie verhören lassen, unddann ... Was sie wohl aus der Geschichte vom MarcAnton, der Barine und den beiden Armspangenmacht?EskanneinMeisterstückwerden!«»Dukennst ihrenwahrenVerlauf?« frugKleopatra, undihre Finger schlossen sich fester um den Stift in ihrerHand.»Wär’ es der Fall.« versetzte Alexas mit einemvielsagendenLächeln,»dürftederverschwiegeneHehlerdenDiebnichtverraten.«»Auch nicht, wenn der Bestohlene— die Königin DirdenunredlichenBesitzherauszugebenbefiehlt?«»LeidermüßteichauchdanndenGehorsamverweigern;denn sieh, hohe Gebieterin! nur zwei lichteHimmelskörpergibtes,umdiemeindunklesLebensichdreht. Soll ich den Mond verraten, wenn mir sicherbewußtist,dadurchnichtszubewirken,alsderSonnediewarmeLeuchtkraftzutrüben?«

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»Dasheißt,DeineMitteilungwürdemir,derSonne,zurKränkunggereichen?«»Wenn Deine große Seele nicht zu hoch steht, um vonjenen Schatten erreicht zu werden, die Frauen vongeringerer Art mit unbegreiflich selbstquälerischer Lustzusichheranziehen.«»MeinstDuDeineRededurchdieSchleieranziehendzumachen, dieDu ihr vorhängst?Durchsichtig sind sie ja,und hindern das Auge nur wenig. Meine Seele, meinstDu, sollte frei sein von Eifersucht und anderenSchwächenmeinesGeschlechtes.DarinirrstDu!IchbineinWeibundwillesseinundbleiben.WiederChremesdes Terenz sagt, er sei ein Mensch und nichtsMenschliches ihmfremd, sostehe ichnichtan,michzuallem,wasweiblichist,zubekennen.Anubiserzähltemirvon einer Königin aus der alten Zeit, von der dieInschriften nicht sagen durften ›sie‹, sondern ›er kam‹,oder ›er, die Herrscherin, siegte‹. Närrin! Was michangeht, so steht mir meine Weiblichkeit nicht wenigerhoch als die Krone. Ich war Weib, bevor ich Königinwurde. Auch vor meiner leeren Sänfte werfen sie sichnieder; wenn ich aber in jüngeren Jahren mit demAntonius in tollem Uebermut verkleidet die Straßendurchzog und einen Festplatz aufsuchte, und dieJünglinge sich die Augen nach mir aussahen, und eshinterunshertönte: ›EinschönesPaar!‹,danndurfte ich

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stolzen Mutes nach Haus gehen. Aber es gab nochGrößeresfürdasWeibzuerfahren!WenndasHerzinderKöniginnenbrust Thron und Scepter vergaß und in denblühenden Stunden, die Eros weihte, von dem eigenenIchnichtsübrigbliebalsdasWeib,danngabesWonnenzukosten,wiederMannsienichtkennt,dernurbeglücktseinwill,indeswir...DochwaskönntihrMänner,dieihrnur fordert undbegehrt, vonderWonnedesGewährensundderHingabewissen? ...EinWeibbin ich,undüberkeine Regung des weiblichen Wesens bin ich erhaben,nochmöchteich’ssein,undwasichjetztfrage,nichtalsKöniginthu’ich’s,sondernalsWeib.«»IstdasderFall,«unterbrachsieAlexasmitderHandaufdemHerzen,»dannlegstDumirvollendsStillschweigenauf;dennwollteichdemWeibeKleopatrabekennen,wasmirdieSeelebewegt,somachteichmicheinesdoppeltenVerbrechens schuldig. Ich bräche die Verschwiegenheitund verriete den Freund, der die hohe Gemahlin auchmeinemSchutzevertraute.«»JetztwirdmirdasDunkelzu tief.«versetzteKleopatraund hob das Haupt mit abweisendem Stolze. »Oder,gefieleesmir,denSchleierzuheben,somüßteichDichaufdieSchrankenverweisen...«»Die die Königin umgeben,« fügte der Syrer mit einerunterwürfigen Verbeugung ergänzend hinzu. »Da siehstDu’s! Es gehört eben zu den unmöglichen Dingen, das

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Weib von der Fürstin zu sondern.Wasmich betrifft, sowill ich jenes nicht aufbringen gegen den überkühnenVerehrerunddieserdenschuldigenGehorsambewahren.DarumbitteichDich,vondemArmbandunddemvielenPeinlichen, das sich damit verbindet, auf etwas anderesüberzugehen. Vielleicht bekennt die schöne Barine Dirdas alles noch selbst und fügt gar hinzu, wie sie denliebenswürdigen Sohn des größten derMänner und derbewunderungswürdigstenunterdenMüttern,den jungenKönigCäsarion,sicheinfing.«Da flammten die Augen der Königin heller auf undunwillig rief sie: »Wie vonDämonen besessen fand ichdenKnabenvorhin.DenVerbandwollteersichvonderWunde reißen, wenn man ihm das Weib, das er liebe,nichtgönnte.AneinenZaubertrankzudenken,lägenahegenug, und sein Hofmeister schiebt natürlich alles aufmagische Künste. Charmion versichert dagegen, seineBesuchehättendieVerführerinverdrossenunddazuauchgeängstigt.DurcheinstrengesVerhöralleinwirdsichdaLicht schaffen lassen. Wir wollen die Heimkehr desImperators erwarten. Glaubst Du, daß er die Sängerinaufs neue aufsuchenwird, wenn er wieder hier ist? Dubist sein nächster Vertrauter.Willst Du sein Bestes undliegtDiretwasanmeinerGunst,soläßtDudasZaudernundbeantwortestdieFrage.«Da gab sich der Syrer das Ansehen, als sei er nach

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schweremRingenmitsicheiniggeworden,undversetztebestimmt:»SicherundgewißbesuchterBarine,wennDuihn nicht davon zurückhältst. Am einfachsten ließe dasallessichfreilichschlichten,wennman...«»Nun?«»WennmanihmgleichbeiderLandungeröffnete,sieseinicht mehr zu finden. Diesen Auftrag ließe ich mirbesondersgernvonmeinerköniglichenSonneerteilen.«»UndglaubstDu,eswürdeDeinemMondedasLichteinwenigtrüben,wennersievergebenshiersuchte?«»Sosicher,wiedasGegenteilderFallwäre,wennersichder unvergleichlichenHerrlichkeit seiner Sonne stets sodankbarbewußtbliebe,wiesieesverdient.Heliosduldet,solangeramHimmelprangt,keinanderesGestirn.SeinGlanz verlöscht alle übrigen.Meine Sonne wünscht es,unddasSternleinBarineverschwindet.«»Genug!Ichweißnun,woraufDuesabsiehst.DocheinMenschenlebenistnichtsKleines,undauchdiesWeibistdas Kind einer Mutter. Da gilt es überlegen, ernsterwägen,obesnichtohnedasAeußersteangeht.EsmußmitallemEiferundmitgutemWillengeschehen...Aberich...Jetzt,dadasGeschickdiesesLandes,meineigenesund das der Kinder auf dem Spiele steht, wo keineViertelstunde mir selbst gehört und das Schreiben undRathalten kein Ende nimmt, darf ich mir nicht mitdergleichendieZeitverkümmern.DerüberlegendeGeist

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...«»Unbeeinträchtigt,« rief der Syrer eifrig, »muß es ihmvergönnt sein, die mächtigen Schwingen zu regen. DieLösung der kleineren Aufgaben überlasse getrostzuverlässigenFreunden.«HierwurdensievondemEinführerunterbrochen,derdasErscheinen des Regenten Mardion meldete. Er kommemitAngelegenheiten,diekeinenAufschubduldeten,trotzderspätenStunde.Alexas begleitete die Königin in das Tablinum. Dortfanden sie den Eunuchen. Ein Sklave trug ihm eineTaschevollerBriefrollennach,diezweiBotenausSyriensoeben gebracht hatten. Es fanden sich etliche darunter,die ungesäumt beantwortet werden mußten. Auch derSiegelbewahrer wartete und mit ihm der Exeget. Siewaren so spät erschienen, um wegen der MaßregelnRücksprache zu nehmen, die man gegenüber deraufgeregtenBürgerschaftzuergreifenhabe.WasvonderFlottegerettetwordenwar, hatte gesternmit bekränztenSchiffen,alshättemaneinengroßenSiegerfochten,denEinzug in den Hafen gehalten. Es war denHeimkehrenden laut genug zugejubeltworden, doch dieNachricht von der Niederlage bei Actium hatte sichdennochwindesschnellverbreitet.JetztrottetedieMengesich zusammen; vor dem Sebasteum war es zubedrohlichen Kundgebungen gekommen, auf dem

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Serapeumsplatze hatten die Truppen eingreifen müssen,undeswarBlutgeflossen.Da lagen die Briefrollen. — Der Siegelbewahrerbemerkte, es wären auch wegen des Kanals neueVollmachten nötig, und derExeget bat dringendumeinentscheidendesWort.»Viel, viel,« murmelte Kleopatra vor sich hin. Dannrichtete sie sichhöher auf und rief: »Wohl denn, andieArbeit!«DochAlexasließsienichtsogleichdazukommen;dennerhattesich ihrdemütiggenähert,undwährendsiesichvordemgroßenSchreibtischeniederließ,raunteerihrzu:»Und bei alledem soll meine hohe Gebieterin Zeit undGeistandieRuhestörerinverschwenden?DeinegöttlicheMajestät gerade mit dieser Nichtigkeit zu stören, istVerbrechen; esmuß aber begangenwerden; denn bleibtdiese Angelegenheit noch länger unbeachtet liegen, sokannausdemsickerndenBächleineinBergstromwerden...«Hier wandte Kleopatra, deren Blick eben auf einenverhängnisvollenBriefdesKönigsHerodesgefallenwar,demGünstlingedesGattendashalbeAntlitzzuundriefmitglühendenWangeneinkurzes»Sogleich«.DanndurchflogsiedasSchreiben,schobesheftigerregtvon sich und entledigte sich des Wartenden mit demungeduldigen Rufe: »Besorge Du denn das Verhör und

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das andere. Keine Ungerechtigkeit, doch auch keineunzeitige Milde. Ich werfe selbst noch einen Blick aufdiesewidrigeSache,bevorderImperatorzurückkehrt.«»Und die Vollmacht?« frug der Syrer mit einer neuentiefenVerbeugung.»Duhast sie.BrauchstDuSchriftliches, sowendeDichanZeno.AufeineruhigereStunde!«Der Syrer zog sich zurück; Kleopatra aber wandte sichdemEunuchenzuundriefglühendvorErregung,indemsieaufdenBriefdesKönigsderJudenwies:»SahstDujeeinen schändlicheren Undank! Die Ratten denken, dasSchiff sinke,undesseiZeit,eszuverlassen.Gelingtesuns, es überWasser zu halten, kehren sie scharenweisewieder, und es muß, muß, muß geschehen, um diesesteuren Landes und seiner Selbständigkeitwillen ... Unddie Kinder, die Kinder! — Alle Kräfte werden jetztangespannt, jedesMittel bedacht und benützt. Auf jedeschwanke Hoffnung hämmern wir, bis sie zum festenStahlederGewißheitwird.DieNächteverwandelnwirinTage. Der Kanal erhält uns die Flotte, in Afrika findetMarcAntondenPinariusScarpusmitunberührten,treuenLegionen.DieGladiatorenhängenunsan.Wirgewinnensie leicht, und eswimmelt hier oben noch von anderenGedanken. Aber erst zu den Alexandrinern. KeineGewalt!«AndiesenRufschloßsieBefehlaufBefehlundverhieß,

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thueesnot,sichselbstdemVolkezuzeigen.VollerBewunderungempfingderExegetihreklarenundklugen Verordnungen. Nachdem er sich mit denBegleiternentfernthatte,wandtedieKöniginsichwiederdemRegentenzuundsagte:»Wir thatendochwohl, siezuerst mit der Siegesbotschaft zu beglücken. DieunerwarteteSchreckenskundehättesie,ichweißnichtzuwelcher That des Wahnsinns fortgerissen. —Enttäuschung ist ein gemeinerer Schmerz, gegen denweniger starke Mittel helfen. Zudem ließ sich hiermanches ordnen, bevor sie wußten, daß ich schon hiersei.Was brachten wir bereits alles zu stande,Mardion!Aber ich gönnte mir auch noch nicht einmal recht denGenuß der Kinder. Die ältesten Freunde, sogar denArchibius, mußte ich auf später vertrösten. Wenn erwieder kommt, wird er vorgelassen. Ich gab schon dieWeisung. Er kennt Rom. Ich muß ihn wegen dereinzuleitendenVerhandlungenhören.«Dabei schauerte sie zusammen, preßte die Hand an dieStirn und rief: »Octavian der Sieger, Kleopatra dieBesiegte. Ich, die ich dem Cäsar alles war, GnadeerbettelndvonseinemErben!Ich,ichalsBittstellerinvordemBruderderOctavia!Abernein,nein...NochgibteshundertMöglichkeiten,dasGräßlichezuverhüten.Dochwer das Feld zwingen will, Frucht zu tragen, der mußrüstiggraben,denSchöpfeimerziehen,pflügenundsäen.

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An die Arbeit denn, an die Arbeit! ... Wenn Antoniusheimkehrt, muß er alles vorbereitet finden. Gegenüberdem ersten Erfolg gewinnt er die verlorene Thatkraftzurück.DenBrief dort überflog ich schon,während ichmit dem Stadthaupte sprach ... Jetzt diktir’ ich dieAntwort.«Und so saß sie und las und schrieb und ließ schreiben,hörtezu,gabAntwortunderteilteBefehle,bisderOstensicherhellte,derMorgensternerblaßteundderRegentsietief erschöpft bat, ihrer Kräfte und seiner Jahre zugedenkenundihmaufeinigeStundenRuhezugönnen.Da ließ auch sie sich in das tief verdunkelteSchlafgemachführen,unddiesmalschloßihreingütiger,traumloserSchlummerdieübermüdetenAugenundhieltsie geschlossen, bis das laute Geschrei der Menge, dieerfahren, daß dieKönigin heimgekehrt sei und sich aufdieLochiasgedrängthatte,sieweckte.

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DreizehntesKapitel.

WährenddieserRuhestundenhatten Iras undCharmionsich abwechselnd in ihrer Nähe gehalten. Als sie sicherhob, leistete ihr die jüngere Vertraute die nötigenDienste. Bis zum Abend durfte sie sich der Herrinwidmen;denndieGefährtin,dieihrjetztimWegestand,sollte erst am Abend zurückkehren. Bevor Charmiongegangen, hatte sie indes Sorge getragen, daß ihreGemächer, in denen Barine, seit die Königin sie dahingewiesen, als willkommener Gast weilte, gut bewachtwurden. Der Befehlshaber der makedonischenJünglingsgarde,dersichvorvielenJahrenvergeblichumihre Gunst bemüht hatte und endlich der treueste undergebensteihrerFreundegewordenwar,hatteesaufsichgenommen,siesorgfältigzuüberwachen.Dennoch wußte Iras den Schlaf der Gebieterin und dieAbwesenheitderälterenGenossinzubenützen.DaßihreWohnung und darum auch Barine unzugänglich für siesei, hatte sie erfahren. Bevor sich etwas gegen dieGefangene unternehmen ließ, mußte sie auch erst mitdem Alexas die nötigen Verabredungen treffen. DerFehlschlag ihrer Erwartung, die Nebenbuhlerin in denStaubtretenzusehen,hatteihreneifersüchtigenGrollinHaßverwandelt, undwar sie auch ihreNichte, übertrugsiedocheinTeildavonaufCharmion,diesichschützend

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zwischensieundihrOpferstellte.SiehattedenSyrerzusichbeschieden,dochaucherwarspätzurRuhegekommenundließlangeaufsichwarten.Der Empfang, den das ungeduldige Mädchen ihmbereitete,war darumauch anfänglich nichtsweniger alswarm,dochgewannerbaldeinefreundlichereGestalt.Zunächst rühmte Alexas sich, die Königin bewogen zuhaben, ihmBarineaufGnadeundUngnade indieHandzu geben.Wenn er sie umMittag verhöre und schuldigfinde,hindereihnnichts,siegegenAbenddenGiftbecherleeren oder erdrosseln zu lassen. Das Ding sei abergefährlich,weilderAnhangderSängeringroßundnichtohne Macht sei. Im Grunde wünsche Kleopatra dochwohl nichts sehnlicher, als sich von der gefährlichenNebenbuhlerin zu befreien; er kenne aber die Großen.GeheerthatkräftigvorundmacheeinschnellesEnde.,sowerde die Königin, um der guten Nachrede willen, ihnmit der eigenen That belasten. Antonius seiunberechenbar,undanseinerGunsthängeseinWohlundWehe. Am gefährlichsten könne die Hinrichtung derSängerin vom letzten Adonisfeste auf das Volk vonAlexandriawirken.Es sei ohnehin tief aufgebracht, undsein Bruder, der es kenne, sage, es zerfließe hier vorJammerunddort stehees imBegriff, inunsinnigerWuteinenblutigenAufstandzuerheben.VondieserBrut seialles zu befürchten; doch Philostratus verstehe, es zu

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mancherlei zu bereden, und seines Beistandes habe ersichvorhinversichert.In der That war dem Alexas das Versöhnungswerkgelungen. Während der Stegreifredner mit Barinevermählt gewesen war. hatte sie den Schwager desHauses verwiesen und ihr Gatte sich mit dem Bruderentzweit, der seines Weibes begehrte. Nachdem dieseraber inderGunstdesAntoniushochgestiegenundvonseiner offenenHandmitGold überschüttetwordenwar,hatte Philostratus sich ihm wieder genähert, um seinenAnteil an dem neuen Reichtum zu fordern. Und dieQuelle, aus der Alexas schöpfte, floß mit sounerschöpflicher Fülle, daß das Geben dem Günstlingenicht schwer fiel. Beide waren so gewissenlos wieverschwenderisch, und es bewährte sich an ihnen dieErfahrung, daß gemeinen Naturen immer ein Steg zurVerfügungsteht,derdenZwiespaltüberbrückt.IstervonGold, wird er am schnellsten betreten. So geschah esauch hier, und in den letzten Tagen hatte er einebesondere Festigkeit gewonnen; denn jeder war desBeistandesdesandernbedürftig.Alexas begehrte der Barine, während Philostratus nichtmehrnachihrfragte.DafürhaßteerdenDionmiteinemso heißen Durste nach Rache, daß er für dessenBefriedigung selbst die Hoffnung auf neuen Gewinnpreisgegeben hätte. Die Demütigung, die ihm der

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hochmütigemakedonische Edle zugefügt hatte, und derHohn,womiterdurchseineSchuldüberschüttetwordenwar, gingen ihm nach wie lästernde Verfolger, und erfühlte, daß er sich ihrer nur zugleich mit dem UrheberseinerSchmachentledigenkönne.OhnedenBruderhätteer sich begnügt, ihnmit der verleumderischenZunge inSchadenzubringen,—unterseinemmächtigenBeistandkonnte er ihm Schwereres anthun, vielleicht sogar anFreiheit und Leben. Sie hatten darum vorhin eineVerabredung getroffen, nach der Philostratus sichverpflichtete, dasVolkmit allemzuversöhnen,wasderBarine auch zugefügtwerdenmochte, und nach der derandere es auf sich nahm, dem Bruder zu helfen, sichblutiganDionzurächen.MitdemTodeBarineskonntedemAlexasnichtgedientsein.IhrAnblickhatteihnaufsneueentflammt.Erwolltesieendlichbesitzen. ImKerker,vielleichtaufderFoltersollte sie gezwungen werden, seine rettende Hand zuergreifen. Das alles duldete indes keinen Aufschub. EsmußtevorderRückkehrdesAntoniuserledigtsein,unddiese stand in der nächsten Zeit zu erwarten. Derverschwenderische Gönner hatte ihn so reich gemacht,daß er es ertragen konnte, wenn er um dieserAngelegenheit willen mit ihm zerfiel. Auch ohne ihnhätte er jetzt mit Barine einen fürstlich üppigenHausstand in einer Stadt seiner syrischen Heimat zuführenvermocht.

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Bei der Versicherung des Günstlings, er werde Barineschon morgen der schützenden Hand der Charmionentziehen, kam Iras ihm freundlicher entgegen. GegenseineVersicherung,dasneueVerhörkönnezwarnichtzueinemTodesurteilführen,wohlaberzumTransportindieBergwerke oder dergleichen, konnte sie keinen ernstenEinwanderheben.Vorsichtig unterrichteteAlexas sich dann,wie Iras überden Todfeind seines Bruders dachte. Sie war ihm übelgesinnt,dochalserandeutete,daßaucherderstrafendenGerechtigkeit zu übergeben wäre, zeigte sie sich sobedenklich, daß er davon abbrach und die Redewiederauf die zu Verurteilende führte. Da stellte sie sich ihmwiedermitdemihreigenenfeurigenEiferzurVerfügungund es wurde beschlossen, morgen, während Charmionam Vormittage den Dienst bei der Königin hatte, dieVerhaftungvornehmenzulassen.Iraswußte gutenRat zu erteilen.Eines derGefängnissewar ihr vertraut. Sie hatte seine Thore manchemUnglücklichengeöffnet,vondemsieglaubte,daßsiemitseinem Verschwinden der Königin einen Dienst leistenwerde. Wie eine ihr zukommende Pflicht war es ihrerschienen, Hand in Hand mit dem Siegelbewahrer derGebieterin zuvorzukommen, wo es ihrer Güte schwergefallen wäre, ein strenges Urteil zu sprechen, undKleopatrahattesichdergleichengefallenlassen,ohnees

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zu begünstigen oder zu loben.Was dort vorging, drangnicht,dankderVerschwiegenheitdesWächters,überdiefestenMauernundThorehinaus.Esmochtenichtschönsein in jenem Kerker. Wenn Barine dort das Lebenverwünschte, erging es ihr indes immer noch besser alsihr, der Iras, die in den letzten Nächten, wenn sie desMannes gedacht, der ihre Liebe verschmäht und sie füreine andere preisgegeben hatte, der Verzweiflung nahegewesenwar.Als der Syrer ihr schon die Hand zum Abschiedentgegenstreckte,frugsieunvermittelt:»UndDion?«»Er wird nicht frei ausgehen können,« lautete dieAntwort; »denn Barine ist seine Geliebte, ja der Narrstand im Begriffe, sie als Hausfrau in seinen schönenPalastzuführen.«»Istdaswahr,unzweifelhaftwahr?«frugIras, indemsiezwardieFassungbewahrte,dochdemBlutnichtwehrenkonnte,ihrausWangenundLippenzuweichen.»Er bekannte es gestern dem Siegelbewahrer, seinemOheim, in einemSchreiben,worin er ihn beschwor, fürdieErwählte,vonderernichtlassenwerde,dasSeinezuthun. Aber Zeno mag von dieser Nichte nichts wissen.WillstDudenBriefsehen?«»Dann freilich,« begann das Mädchen von neuem, undihrehoheStimmenahmdabei einen schrillenKlangan,»kann man ihn nicht frei ausgehen lassen. Für die

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Geliebtesetzterallesein,unddasistviel,—weitmehr,als Du ahnst, der Du hier halb fremd bist. DiemakedonischenGeschlechterhaltenzusammen.ErgehörtzumRate ...DieEphebengenossenschaftenstehenhinterihmwieeinMann...UnddasVolk...DeinemBruder,derin meinem Auftrage handelte, verdarb er neulich dasSpiel in einerWeise ...AusdemBrunnentrogzogen sieihnschließlichheraus, triefendvonWasserundSchande...«»EbendarumwirdmanihmdenMundschließenmüssen...«Da nickte Iras ihm beipflichtend zu, doch nach einerkurzen Pause fuhr sie auf: »Ich helfe euch, ihn zumSchweigen zu bringen, doch nicht auf immer. Du hörstes!DasWort desTheodotusvonden totenHunden, dienichtbeißen,hatbeiunsdenen,die ihm folgten,keinenSegen gebracht. Es gibt andere Mittel, sich diesesManneszuentledigen.«»Ein Vogel sang mir zu, Du hättest ihn nicht ungerngesehen.«»EinVogel?DanndochwohlnureineEule,diebeiTagenichtsieht.SeinschlimmsterFeind,DeinBruder,möchtewohllieberalsichfürseinWohlergehenopfern.«»Dann beginne ich Teilnahme für diesen Dion zufühlen.«»Ich sahDich schon neulichmich anmitleidigem Sinn

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überbieten.DerTodistnichtdieschwerstederStrafen.«»DarumdergnädigeAufschub?«»Vielleicht. Es gibt aber hier noch anderes zu erwägen.Zunächst die Zeit, in der alles schwankt, selbst dieKönigsmacht,dienochvorkurzemeineMauerwar,dieso vieles verdeckte und vor jedemAngriffe beschützte.DanndiePersondesDion. Ich zählte ja schonauf,wasallesfürihneintritt...DemvielköpfigenUngeheuerVolkkann die Königin seit Actium nicht mehr zurufen: ›Dumußt‹,sondern›ichbitte‹.Dasandere...«»Die erstenErwägungengenügen; darf ich aberwissen,was meine weise Freundin über den Beklagenswertenverhängte,demsiedieGnadeentzog?«»Zunächst Gefangenschaft hier auf der Lochias. Erbefleckte die Hand mit dem Blute des Cäsarion, des›Königs der Könige‹. Das ist Hochverrat auch in denAugendesVolkes.SucheDirheutenochdenHaftbefehlzuverschaffen.«»Wennesangeht,dieKöniginmitdergleichenzustören.«»Nicht zumeinen Gunsten, — um sie vor Schaden zuwahren,brauchenwirihn.AusdemWegemitallem,dasihr in diesenTagender letztenEntscheidungdenklarenGeisttrübt!ErstfortmitderBarine,dieihrdieHeimkehrverdarb,undihrnachderMann,derimstandewäre,umdieses Weibes willen einen Aufruhr in Alexandria zuentzünden. Ihr gehört die große Sorge um Staat und

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Thron;—die kleinen aus demPutzzimmerunddie dasHerzangehen,dienehmeichaufmich.«Hier wurde sie von einer der dienenden FrauenKleopatrasunterbrochen.DieKöniginwarerwacht,undIraseilteaufdenPosten.AlssieandenGemächernderCharmionvorbeikamundzwei schmucke Krieger von der makedonischenJünglingsgarde vor ihnen wachthabend auf und niederschreitensah,verfinstertesichihrdasAntlitz.Nurvorihrließ die Gefährtin Barine bewachen. Sie hatte sich vonder älteren Frau, deren Nichte sie war, harten TadelwegendesWeibes,vondemsovielausging,dasihrwehthat,gefallenlassenmüssenunddabeibereut,ihreinmalanvertraut zu haben, was sie für den Dion empfinde.Mochte daraus entstehen, was da wollte, der Giftbaum,dem alle diese Qualen, diese Sorgen und Aergernisseentwuchsen,ausgerottet,—ausderReihederLebendengestrichenmußteerwerden.BevorsiedasVorzimmerderKöniginbetrat,hattesiederFeindin im stillen das Todesurteil gesprochen. IhremfindigenKopfe lages jetztob,denSyrerzubestimmen,seineVollstreckungaufsichzunehmen.WardieserSteindes Anstoßes beseitigt, dann wurde es auch wiedermöglich,inguterEintrachtmitCharmionzuleben,dannwar Dion wieder frei, und dann ... Wie er sie auchgekränkthatte,vordemHassedesPhilostratusundseines

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Bruderswolltesieihnbeschützen.Erleichterten Herzens trat sie vor die Königin. DieVernichtung des Lebens eines Verurteilten hatte in derNähederstrafendenMajestätlängstaufgehört,ihrtiefindie Seele zu greifen. Während sie der vom SchlaferquicktenHerrindieerstenDiensteleistete,erhelltesichihr das Antlitz mehr und mehr; denn die Königinbekannte ihr unaufgefordert, es freue sie, heute von ihrbedient und nicht immer mit derselben widrigenAngelegenheit, die übrigens bald im reinen sein solle,gestörtzuwerden.InderThatwarCharmion indemBewußtsein,daßkeinanderer bei Hofe dies hätte wagen dürfen, mancherAbweisung zum Trotz nicht müde geworden, dieVerteidigung Barines zu versuchen, bis Kleopatra ihrgestern jäh aufbrausend befohlen hatte, derUnheilstifterinnichtwiedervorihrzugedenken.AlsCharmionsiebalddaraufersuchte,amnächstenTagedenDienstderIrasüberlassenzudürfen,warderKönigindie heftige Zurückweisung der Freundin schon leidgeworden, und sie hatte Charmion, der sie den Urlaubwillig erteilte, gebeten, ihr zorniges Ungestüm denSorgenzugutezuhalten,diesiebedrückten.»UndwennDumir das gute, treueGesichtwieder zeigst,« hatte siegeschlossen,»wirstDueingesehenhaben,daßeinerechteFreundin von einer Unglücklichen, die sie liebt, fern

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halten sollte, was ihr das ohnehin getrübte Lebenslichtnoch tiefer verdunkelt. Der bloße Name dieses Weibesklingt mir wie ein Spottlied in die mühsam erkämpfteRuhe.Ichwillihnnichtwiederhören.«Dashattesoliebundherzgewinnendgeklungen,daßdieKränkung der Charmion wie Eis in der Tonnegeschmolzen war. Aber sie ging doch in angstvollerErregung von ihr; denn Kleopatra hatte, bevor sie dasZimmerverließ,beiläufigbemerkt,siehabedieSachederSängerinindieHanddesAlexasgelegt.Eswarihrjetztdoppeltlieb,einenfreienTagvorsichzuhaben:dennsiewußte, wie dieser gewissenlose Günstling der jungenFrau gesinnt war und mußte mit dem Archibiusbesprechen,wiemansievordemSchlimmstenbehüte.Als sie sich spät zur Ruhe begab, half ihr die brauneZofe,diesieausdemelterlichenHauseindenHofdienstbegleitethatte.SiestammtevomKatarakt,wosiegekauftworden war, als die Familie des Alypius das KindKleopatra nach der Isisinsel Philae begleitet hatte.Anukis,sohießdieNubierin,wardannderzurJungfrauherangereiftenCharmionalserste,ihralleinzugehörendeZofe geschenkt worden, und sie hatte sich so klug,geschickt, bildungsfähig und anhänglich erwiesen, daßdieHerrin sie für ihre persönlicheDienstleistungmit indenPalastnahm.Wie Charmion an der Königin, so hing Anukis mit

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warmer, uneigennütziger Liebe an der etwas jüngerenGebieterin,diesielängstfreigegebenundsiesogütigzusich herangezogen hatte, daß der Interessenkreis derNubierinnichtweithinterihremeigenenzurückstand.Ihrschlichter, doch scharfer Verstand und ihr natürlicherWitz hatten ihr auch einen gewissen Namen im Palasterworben, und wie Kleopatra sich manchmal herabließ,sie zu einer treffendenAntwort zu reizen, hatte es auchAntonius gethan und, da die leichte Krümmung desRückens, die sie in der Jugend gehabt, zum Buckelherangewachsen war, ihr den Namen Aisopion, das istderkleineweiblicheAesop,gegeben.SoriefsienundiegesamteUmgebungderKönigin,undauchwennandereniedriger Gestellte es thaten, ließ sie es sich gefallen,obgleich ihr schlagfertiger Geist der Zunge gestattethätte, jedes ihr mißfällige Wort scharf genugzurückzuweisen. Aber sie kannte die Lebensgeschichteund die Fabeln des Aesop, der auch einmal ein Sklavegewesenwar,undfandesehrenvoll,mit ihmverglichenzuwerden.Als Charmion Kleopatra verlassen hatte und sich zurRuhebegebenwollte,fandsieBarineschonimfestestenSchlafe; Anukis aber erwartete sie, und die Herrinvertrauteihr,mitwieschwerenSorgenumBarinesiedieKöniginverlassenhabe.Siewußte,daßdieNubierinderjungen Frau gut war, die sie als Kind auf den Armengehalten und deren Vater Leonax oft mit ihr gescherzt

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hatte. Teilnahmsvoll hatte sie ihren Lebensgangbeobachtet, und seit Barine als Gast bei ihrer Herrinweilte, war sie nicht müde geworden, für ihreZerstreuungundBeruhigungzuthun,wassievermochte.Jeden Morgen hatte sie die Mutter Barines aufgesucht,umsichnachdemBefindendesDionzuerkundigen,undstetsgünstigeNachrichtengebracht.SiekannteauchdenSachwalterPhilostratusundseinenBruder,unddasiedenAntonius,dersogütigmitihrscherzte,gernhatte,waresihr beklagenswert erschienen, einen so gewissenlosenMenschenwiedenAlexasanderSpitzeseinerVertrautenzu sehen. Sie wußte auch um die Nachstellungen, mitdenenderSyrerBarineverfolgthatte,undalsCharmionihr mitteilte, die Königin habe das Schicksal ihresSchützlings in die Hand diesesMannes gelegt, gewannihr braunesAntlitz ein erdfahlesAnsehen, doch that siesich Zwang an, um das Entsetzen zu verbergen, womitdieseNachrichtsieerfüllte.Ihre Herrin wußte ja, was dieWahl dieses Richters fürBarine bedeutete. Ihr die Nachtruhe durch dasZurschautragendereigenenSeelenangstzu trüben,wäreihrunrechterschienen.Eswargut,daßCharmionmorgenfrüh den Archibius, den sie für den weisesten allerMänner hielt, um Beistand bitten wollte; aber damitberuhigte sie sichmitnichten.SiekanntedieFabelvondemLöwenundderMaus,diemanlangevorderZeitdes

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Dichters, dem sie den Spitznamen verdankte, in ihrerHeimat erzählt hatte, undwar schonmehr als einmal inderLagegewesen,weitGrößerenundMächtigereneinenwichtigen Dienst zu leisten. Um Charmion dasEinschlafen zu erleichtern und sie auf andereGedankenzubringen,erzählte sie ihrvonDion,densieheutevielbesser gefunden hatte, wie zärtlich er Barine zu liebenscheineundwierührendgeduldigundwertdesVaterssieheutewiederdieTochterdesLeonaxgefunden.AlsdieHerrinentschlummertwar,begabsiesichdannindenSaal,wosie, trotzderspätenStunde,einenTeilderDienerschaftzufindenerwartendurfte,—sicher,dortalswillkommensterderGästebegrüßtzuwerden.AlskurzeZeit nach ihr der Leibsklave desAlexas erschien, fülltesie ihm den Becher, ließ sich neben ihm nieder undsuchte mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln seinVertrauen zu gewinnen. Und es gelang der alterndenNubierin so gut, daß Marsyas, ein hübscher jungerLigurier,nachdemsiesichvondenanderenverabschiedethatte,versicherte,dieAisopionverstehemitihrenSpäßenundGeschichtenTotelebendigzumachen,undmitdembraunen Unhold ganz ernsthaft zu plaudern, sei sovergnüglich,wiemitderblondenLiebstenzuschäkern.Als Charmion sich am nächsten Morgen auf den Weggemacht hatte, wußte die Nubierin denMarsyaswiederzufindenunderfuhrvonihm,daßundzuwelcherStunde

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Iras den Alexas zu sich berufen. Sein Herr habe jetztüberhaupt viel mit der schmächtigen Makedonierin zuflüstern.Bei der Rückkehr der Anukis zeigte Barine sichbekümmert,weiljenediesmalkeineNachrichtenvonderMutterunddemDionbrachte,dieNubierinaberbatsie,sich zu gedulden, und trug Bücher und eine Spindelherbei,damitsiesichdieZeitinderEinsamkeitvertreibe.SiehabeindieKüchezugehen,weilsiegesterngehört,dieKoche hätten Pilze gekauft, die giftig sein könnten;sie aber kenne die Schwämme und wolle sie inAugenscheinnehmen.Damit ging sie in das Schlafgemach der Charmion,öffnete den Gang, der die Zimmerreihen der beidenVertrauten der Königin verband und schlich sich in dieWohnung der Iras. AlsAlexas bei ihr erschien, war siehinter einemderTeppiche versteckt, die dieWändedesEmpfangszimmersbedeckten.NachdemderSyrersichentfernthatteundIrasabgerufenworden war, kehrte sie zu Barine zurück und sagte, eshätteallerdingsGiftpilzegegebenundnochdazuvondenallerschlimmsten.Siewärenauchschongekochtwordenund sie müßte jetzt ausgehen, um das Gegengift zubesorgen.DaessichvielleichtummehralseinkostbaresMenschenleben handle, werde Barine sie nichtzurückhaltenwollen.

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»Geh nur,« versetzte diese freundlich. »Aber bist Dunoch die alte, gefällige Aisopion, so scheust Du nichteinenkleinenUmweg.«»Und sprichst in dem Hause am Paneumgarten vor,«unterbrach siedie andere.»Daswar schonbeschlosseneSache.SehnsuchtistaucheinGiftfürdasliebendeHerzunddasGegengifteineguteNachricht.«DamitverließsiedenLieblinglachendenMundes;sobaldsieaberinsFreiegetretenwar,zogsiediebrauneStirninernste Falten und blieb eine Zeit lang sinnend stehen.DannbegabsiesichaufdasBruchium,umeinenEselfürdenRittnachKanopuszumieten,wosiedenArchibiusaufzusuchenwünschte.EsbotindesSchwierigkeiten,biszum nächsten Stande vorzudringen; denn eine großeVolksmasse hatte sich auf dem Quai zwischen derLochias und dem Musenwinkel zusammengerottet, undandere Haufen von geringen Leuten, Matrosen undSklavenströmtenihmimmernochzu.DochsiegelangtedennochbiszudemEselstande,undwährendderTreiberihrhalf,dasTier,dassiegewählt,zubesteigen, frugsieihn,wasesdagäbe,unddieAntwortlautete:»SiereißendemDidymus,demaltenMuseumspilze,dasHausein.«»Wieistdasmöglich!«riefdieNubierinerschreckt.»Deralte,wackereMann.«»Wacker?« wiederholte der Treiber höhnisch. »Ein

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Verräter ister,deranalldemUnglückmitSchuld trägt.Philostratus, der Sachwalter, der Bruder des großenAlexas, ein Freund des Marcus Antonius, hat esversichert. Er wollte es auch beweisen, und so muß eswohlwahr sein.Das gibt einGeschrei, undwie fliegendieSteine!Achja!SeineEnkelinundmitihrihrLiebster,sielauertendemKönigeCäsarionauf.DasLebenwolltensieihmnehmen,dochdieWachekamdazu,undnunliegterwund auf demLager.Wenn die hohe Isis nicht hilft,soll es aus und vorbei seinmit dem jungen königlichenBlute.«DannwandteersichandenEsel,versetzteihmmitdemlangenStabezweiderbeSchlägerechtsundlinksaufdieSchenkel und rief ihm zu: »Was, Grauer? Es thut dochgut,wennmanhört,daßesauchauf fürstlichenRückenPlatzgibtfürPrügel.«IndessenkämpftedieNubierinmitsichselbst,obsiedenEsel nicht wenden und zuerst bei dem Didymus zumRechten sehen solle; doch der Barine drohte dieschwerereGefahr,und ihrLebenwarmehrwert alsdasdesaltenPaares.Dasentschied,undohneAufenthaltrittsieweiter.DerEselundseinTreiberthaten,wassievermochten;siekamenaberdennochzuspät;dennindemkleinenPalastezuKanopushörtedieDienerin schonvondemPförtner,Archibius habe einen alten Freund, den

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Geschichtsschreiber Timagenes, der jetzt in Rom lebeundalsGesandtergekommenzuseinscheine,indieStadtbegleitet.Auch Charmion war schon hier gewesen, hatte aber sowenig wie sie den Hausherrn gefunden und war ihmnachgefahren. Ueble Nachrichten, die durch denZeitverlust, den sie in Aussicht stellten, verhängnisvollwerden konnten! — Wäre der Esel nur schnellergewesen!ArchibiushattefreilichdenStallvollerRosse,aberwerwarsie,daßsieeshättewagendürfen,sichihrerzubedienen?Dochsiehattesichetwaserworben,dassievielen frei und höher Geborenen gleichstellte: den Rufder Zuverlässigkeit und Klugheit, und darauf bauend,vertraute sie dem alten, treuen Hausmeister, soweit esanging,umwasessichhandle,undbalddaraufführteersieselbstmitzweischnellenMaultierenindieStadtundindieGärtendesPaneums.ErwähltedennächstenWegdorthindurchdasThorderSonneunddieKanopischeStraße.Sonstwimmeltesiezudieser Zeit von Menschen, jetzt aber war sie nichtsonderlich belebt. Was müßig ging, hatte sich in dasBruchium und an den Hafen gedrängt, um dieheimgekehrtenSchiffedergeschlagenenFlottezusehen,etwas Neues zu hören, sich an den Kundgebungen undProzessionen, die bevorstanden, anzuschließen und —wardasGlückgut—derKöniginzubegegnenunddurch

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einenZurufdievolleSeelezuentlasten.AlsderWagennachlinkseingebogenwarundsichdemPaneumnäherte,wardihmzumerstenmaldasVordringenerschwert. Ein vielköpfiger Menschenhaufe hatte sichunter dem Hügel versammelt, auf dessen Spitze dasHeiligtum des Pan den weiten Garten ringsum prächtigüberragte.DielangeGestaltdesSachwaltersPhilostratusfiel der Nubierin beim Vorüberfahren ins Auge. WardieserUnheilstifterdennüberall?Diesmalschienerindesauf Widerstand zu stoßen; denn lautes Geschreiunterbrach seine Rede. Als das Fuhrwerk hart an ihmvorbeikam,wieseraufdieReihederHäuser,zuwelcherdasderWitwedesMalersLeonaxgehörte,dochheftigerWiderspruchfolgtedieserBewegung.Anukiserkannteauch,wasdieMengezurückhielt;dennals derWagen sich seinem Ziele näherte, kam ihm einZug von bewaffneten Jünglingen entgegen. Mit den inderPalästragestählten, schöngewachsenenLeibernundden von schwarzen, braunen und blonden LockenumwalltenHäupternboten sie einenherrlichenAnblick.Es waren Mitglieder des Ephebenverbandes, an dessenSpitze Archibius einst gestanden hatte und zu dessenHaupt Dion später erwählt worden war. Die Jünglingehatten gehört, was ihm begegnet war und daß ihmGefangenschaftundvielleichtnochSchlimmeresdrohte.InandererZeitwäreeskaummöglichgewesen,sichdem

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Vorgehen der Regierung zu widersetzen und über dengefährdetenFreundzuwachen, indiesenUnglückstagenabermußtendieMachthabermitihnenrechnen.WennsieauchtreuanderKöniginhingenundbeschlossenhatten,trotz ihres Mißgeschicks für sie einzutreten, sobald sieihrer bedürfte, wollten sie doch nicht dulden, daßDionfüreinVergehenbestraftwürde,dasihminihrenAugenzur Ehre gereichte. Um so eifriger waren sie ihn zubeschützen entschlossen, mit je ärgerlicherem ZaudernderRatderStadtindieserAngelegenheit,diedocheinenderSeinenbetraf,vorging.ErhattesichnochnichtüberdieFragegeeinigt,obfürdenMann,derden»KönigderKönige«, den Sohn der Herrscherin verwundet, volleFreisprechung oder nur ein mildes Urteil gefordertwerden sollte. Dazu hatte der stille, dem Hofmeistergehorsame Cäsarion es keineswegs verstanden, dieEphebenfürsichzugewinnen.DerWeichlingzeigtesichnie in der Palästra, die doch selbst der große MarcusAntonius nicht zu besuchen verschmähte. Er hatte denJünglingen dort mehr als einmal Proben seinerRiesenkraftgegeben,undauchseinSohnAntyllusnahmoftanihrenUebungenteil.DionhattedemCäsarionnichtvielmehralseinenjenerFaustschlägezukostengegeben,denensichaufderRingbahnjederaussetzenmußte.Philotas vonAmphissa, der Schüler desDidymus, hattesie zuerst von dem Ueberfalle unterrichtet und mitfeurigem Eifer das Seine gethan, um wieder gut zu

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machen,waseranderEnkelindesMeistersverschuldet.Sein Aufruf hatte den lebhaftesten Anklang gefunden.DieEphebenfühltensichauchstarkgenug,denFreund,vorwemesauchsei,zubeschützen,undhinterihnen,daswußten sie, stand für den äußersten Fall der Rat, derExeget, das Stadthaupt, ein wackerer makedonischerMann, der einst eineZierde ihresBundes gewesen, unddiezahlreicheKlienteldesDionundseinesHauses.KeinSchwächlingbefandsichinihrerMitte.Siehattenauchschon Gelegenheit gefunden, sich zu bewähren; dennwarensieauchzuspätgekommen,umdasEigentumdesDidymus vor Schaden zu bewahren, so hatten sie demWütendesvondemSachwalterPhilostratusaufgereiztenVolkes doch Einhalt geboten und die Mengezurückgeschlagen,alsderSyrersiegegendieHeimstätteder Barine führte, um sie dem gleichen Schicksal zuweihen.Vor dem Hause der Frau Berenike stand schon einanderesFuhrwerk, undzwar einesderdenBeamtenderKönigin zurVerfügung stehendenGespanne, alsAnukisdemWagen entstieg. Hatten sich Kreaturen des Alexashiereingestellt,oderwarerselbstschonausdemWege,den Dion zu verhören oder gar sich seiner Person zubemächtigen?DieNubierinkanntedenRosselenkerwiealleBedienstetendesPalastesunderfuhrvonihm,daßerdenBaumeisterGorgiasfahre.

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Anukis war dem Genannten nie begegnet, obgleich sieihnbeimAusbauderWohnungdesCäsarionoftgesehenund mancherlei über ihn gehört hatte,— auch daß derschönePalastdesDionseinWerksei.ErwareinFreunddes Verwundeten, und sie brauchte sich also kaum vorihmzuscheuen.AlssieindasAtriumtrat,vernahmsie,FrauBerenikeseimit dem Archibius und seinem römischen Freundeausgefahren.DerArzthabedemVerwundetenverboten,vieleBesucherzuempfangen.AußerdemBaumeisterseiaber noch ein Freigelassener des Dion vorgelassenworden.Doch die Zeit drängte; Leute gleichen Standes und vonähnlicherGesinnungversteheneinander,deraltePförtnerunddieNubierinwarenbeidedenGebieterntreuergebenund dazu Landsleute, und so bedurfte es nur wenigerWorte,umdenThorhüterzuveranlassen,siesogleichandasLagerdesVerwundetenzuführen.Vor demKrankenzimmerwartete der Freigelassene, eingroßer, stark gebräunter, schlicht gekleideter Graukopf,den sie für einen Steuermann hielt. Er hatte noch nichtEinlaßzudemLeidendengefunden,dochschienihndasnichtzuverdrießen;dennerlehntegelassenanderWandnebenderThürdesKrankenzimmersundblickteaufdenbreitkrämpigenSchifferhut,denerlangsamdrehte.KaumwardemDionihrNamegenanntworden,alsdurch

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die halb geöffnete Thür ein lebhaftes »Hereinmit ihr!«tönte.DieNubierin ließessichgesagtsein;dochesmußte ihraufdembraunenGesichtegeschriebenstehen,daßetwasErnstes und Dringliches sie herbeiführte; denn derVerwundete fügte an die erste Begrüßung die bangeBemerkung,siebrächtewohlnichtsGutes.Ein lebhaftes Nicken des Kopfes und ein fragenderSeitenblick auf denBaumeisterwaren dieAntwort, undDion erklärte nun demGorgias kurz,wer siewäre, undihr, daß der Freund alles, auch das Geheimste, mitanhörendürfte.DaatmetesieaufundsprudeltedannmitperlenderStirnund imTonedringenderWarnunghervor,daßerschwerbedroht sei. Sie ließ sich auch nicht irremachen, als erauf die Epheben wies, die zu seinem Schutze bereitwären,unddenRat,derdieSachedesGenossenzuderseinen machte, sondern beschwor ihn, sich, gleichvielwohin, in Sicherheit zu bringen; denn es strecktenMächte die Hand nach ihm aus, gegen die keinWiderstand helfe. Aber auch diese Versicherung erwiessich als vergebens; denn er war überzeugt, daß derEinfluß seines Oheims, des Siegelbewahrers, ihn vorjeder ernstenGefahr schützte.Da entschloß sie sich, zubekennen, was sie erlauscht, doch that sie es, ohne derBarine zu gedenken, und was auch ihr drohte. Endlich

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beschwor sie ihnmit der ganzen Innigkeit eines redlichbesorgtenHerzens,aufihreWarnungzuhören.Während sie noch sprach, hatten die Freundebedeutungsvolle Blicke gewechselt; kaum aber war dasletzte Wort aus dem Munde der Dienerin verhallt, alsdurchdieThür,dieoffengebliebenwar,dieRiesengestaltdesFreigelassenentrat.»Pyrrhus,Duhier!« rief ihmderVerwundete freundlichentgegen.»Ja, Herr, ich,« versetzte der andere und drehte denSchifferhutschneller.»DasLauschenistjustnichtmeineSache, und ungerufen tret’ ich sonst auch nicht vor denHerrn;wasaberdortdurchdieThürdrang,dasmußt’ichjahören,undwasdie alteUnglückskrähedortkrächzte,zogmichherein.«»Ich wollte,« versetzte Dion. »Du hättest erfreulichereDinge zu hören bekommen; die braune Unglückskräheaber singt sonst freundliche Lieder, und sie kommenallesamt aus einem treuenHerzen.Wenn übrigensmeinschweigsamer Pyrrhus denMund so weit aufthut, dannkommt sicher etwasWichtiges zumVorschein, und vordieserdadarfesheraus.«DaräuspertesichderSchiffer,knicktedengrobenFilzhutmit den schwieligen Händen zusammen und sagte sobewegt und befangen, daß das schwere Kinn auf undnieder zuckte und die Stimme ihm bisweilen stockte:

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»WennaufdieBrauneVerlaßist,mußtDufortvonhier,Herr,undineingutesVersteck.Ichkamohnehinher,umesDirzubieten.UnterwegshörteichDeinenNamen.Siesagten, Du hättest den Sohn der Königin wundgeschlagen,undesgeheDirandenHals.Dadachteich:›Das nicht, das gewiß nicht, so lange der Pyrrhus nochlebt, der den jungen Herrn Dion lehrte, das Ruder zuführenunddasersteSegelzustellen,—derPyrrhusundseineLeute.‹Wozuwiederholen,wasunsbeidenbekanntgenug ist? Vonmeiner ersten Barke und dem Land aufunserer Insel an bis zu der Freiheit, die ihr unszurückgabt,dankenwirallesDeinemVaterundDir,undes ruhteSegenaufeuremGeschenkundunsererArbeit,undwasmein,dasistDein.—EsbedarfkeinerweiterenWorte. Unsere Klippe jenseit des Alveus steganus imNordendesgroßenHafens,—dieSchlangeninsel—diekennstDujaauch.Sieistschnellerreichtfürden,derdasWasser kennt, und für die anderen unzugänglich wieMond und Sterne. Sie fürchten sich schon vor dembloßenNamen,obgleichwir längst aufräumtenmitdemGeziefer.MeineJungen,derDionysus,derDionichusundDionikus — etwas vom Dion hat jeder in den Namenbekommen—wartenaufdemFischmarkt,undwennesdunkelt...«Hier unterbrach ihn der Verwundete, indem er ihm dieHandentgegenstreckte,ihmfürseineTreueundGütemitwarmen Worten dankte, dann aber die wohlgemeinte

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Ladung dennoch zurückwies. Er bekannte, daß er keinsichereresVersteckkennealsdievonMöwenumflatterteKlippe, auf derPyrrhusmit denSeinenhauste und sichdurch Fischfang und Lotsendienste reichlich ernährte.DieSorgeumseinekünftigeGattinhalteihnaberab,dieStadtzuverlassen.Doch der Freigelassene ließ ihm keine Ruhe. Er stellteihm vor, wie schnell sich von seiner Insel aus in denHafengelangen lasse,daß täglichvon ihr ausFischezuMarkte gebracht würden und es ihm darum anNachrichtennichtfehlenwerde.DieSöhnewärenwieerundsprächenkeinunnützesWort,jadasRedenseiihnenzuwider;dieWeiberkämenseltenfortvonder Insel.SolangesiedieliebenGästebeherberge,dürftensiesiemitkeinem Schritte verlassen. Thäte es not, so könnte derHerr schnell genugwieder inAlexandria sein, um nachdemRechtenzusehen.DemBaumeistergefieldieserVorschlag,undermischtesich darum in das Gespräch, um die Bitte desFreigelassenen zu unterstützen. Aber Dion hielt um derGeliebtenwillendenWiderstandaufrecht,bisAnukis,dieesschonlangefortunddemArchibiusnachdrängte,esanderZeitfand,mitdereigenenMeinunghervorzutreten.»FolgedemMannedort,Herr!«riefsie.»Ichweiß,wasich weiß. Von Deiner treuen Standhaftigkeit will ichunserer Barine erzählen; aber wie kann sie sich Dir

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dankbarerweisen,wennDueintoterMannbist?«DiesWortunddieMitteilungen,dieihmfolgten,wirktenentscheidend, und sobald Dion eingewilligt hatte, demFreigelassenen zu folgen, schickte dieNubierin sich an,den Botengang fortzusetzen; doch erst hielt derVerwundete sie noch zurück, um ihr mancherlei fürBarine auszutragen, dann derBaumeister, der in ihr dierechte Gehilfin für mancherlei, das ihm im Sinne lag,gefundenzuhabenmeinte.InderFrühewarerausHeroonpoliszurückgekehrt,woerwegenderneuherzustellendenWasserstraßemitanderenBerufsgenossen Umschau gehalten. Das Ergebnis dererstenUntersuchungwarbiszurEntmutigungungünstigausgefallen,underhattesichimAuftragederanderenzuder Königin begeben, um sie zu veranlassen, von demviel verheißenden, doch in der kurzen Zeit, die zurVerfügungstand,unausführbarenUnternehmenzulassen.Er hatte die Nacht zum Tage gemacht und war auch,sobald Kleopatra sich vom Lager erhoben hatte,empfangen worden. Auf dem Wagen, der ihm zurVerfügung gestellt wordenwar,weil er imArsenal undauf verschiedenenBauplätzen zu thunhatte,war er vonder Lochias abgefahren, um die, für den Antonius aufdem Choma errichtete Mauer und den Isistempel amMusenwinkel zu besichtigen, dem Kleopatra ein neuesBauwerk anzufügen wünschte. Doch kaum hatte er die

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Halbinsel verlassen, als er auf dem Bruchium von derMenge aufgehalten worden war, die das Haus desDidymusmitBalkenundMastenberannteundsichdabeiderEpheben,diesieangriffen,erwehrte.Da hatte er sich durch die wütenden Volkshaufengedrängt, um dem alten Ehepaare und seiner EnkelinBeistand zu leisten. Der Sklave Phryx war beschäftigtgewesen, die Boote zu rüsten, die im Hafen des vomMeer bespülten Grundstückes lagen; Gorgias aber hattees schwergehabt, dengreisenPhilosophen zubewegen,denSeinenund ihmandasUferzu folgen;dennerwarbereit gewesen, den wütenden Zerstörernentgegenzutretenundihnen—mochteesauchdasLebenkosten—insGesichtzurufen,daßsieelendeVerführteseien und sich mit einer schmählichen Schandthatbefleckten. Erst die Bemerkung des Baumeisters, daßsein Vorhaben, der tierischen Roheit ein Lebenpreiszugeben,aufdasdiehilflosenFrauenunddieganzeWelt, der seine Schriften Wegweiser in das Reich derWahrheit seien,Anspruchbesäßen, einesDidymusnichtwürdig sei, hatte ihn zum Nachgeben bestimmt. Dochbeinahe wäre der Greis und die Seinen dennoch derwütendenMenge in dieHände gefallen; dennDidymuswolltenichtaufbrechen,bevorernichtdiesundjenesundein zwanzigstes und dreißigstes kostbares Buch inSicherheit gebracht hätte. Dazu begriff seine alte taubeGefährtin, die sich sonst gern beschied, wenn das

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schwache Gehör ihr mancherlei zu verstehen versagte,nicht, was da vorging. Jedem, der ihr nahe kam, gebotsie, es ihr zu erklären und hielt dadurch ihre EnkelinHelenaauf,dieaufdieRettungderbestenKostbarkeitendesHausesbedachtwar.SoverzögertesichdieAbfahrt,und sie hatten es nur dem wackern Einschreiten desjungenPhilotas,desGehilfendesDidymus,undeinigenEpheben, die sich ihm anschlossen, zu danken, daß siedennochunbeschädigtentkamen.Die Scythenwache, die endlich dem unsinnigen Wütendes verführten Volkes ein Ende machte, war zu spätgekommen, umdieZerstörung desHauses zu verhüten,dochrettetesiedenPhilotasunddieanderenEphebenvordenFäustenundSteinenderMenge.ErstalsdieBootetieferindenHafengelangtwaren,hattesichdieFragenacheinerUnterkunftfürdenPhilosophenund die Seinen erhoben. Das Haus der Berenike wargleichfalls bedroht, und die Gesetze des MuseumsverbotendieAufnahmevonFrauen.FünfdienendeLeutewaren dem Herrn gefolgt, und in den Häusern dergelehrtenFreundedesDidymusfehlteesanRaumfürsoviele Gäste ... Als der Greis und Helena dieUnterkunftstätten, an die sich noch denken ließ,aufzuzählenbegonnenhatten,warihnenGorgiasmitderBitteinsWortgefallen,essichinseinemHausegenügenzulassen.

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Er hatte es vom Vater ererbt. Es war sehr groß undgeräumig,standbeinaheleerundließsichbalderreichen,daesnördlichvomForumamMeerelag.DieFlüchtlingekonnten frei darin walten, weil Arbeiten für ihn inAussicht standen, die ihm nur bei Nacht unter demeigenen Dache zu weilen erlaubten. Die kleinenBedenkenseinerSchützlingehatteerbaldzerstreut,undeine Viertelstunde, nachdem sie den Musenwinkelverlassen,durfteerihnendasThorseinesHausesöffnen,und er that es mit wahrer Freude. Die alte SchaffnerinundderimDiensteseinesVatersergrauteHausverwaltermachten erstaunte Gesichter, doch rührten sie eifrig dieHände,nachdemGorgiasdieGästeihrerSorgeanvertrauthatte.DerDrangderGeschäfteverbotihm,diePflichtendesWirtesselbstzuerfüllen.Didymus und die Seinen hatten Grund, ihn dankbar zusegnen, und als der alte Philosoph in der großenBücherei, die ihm der Baumeister zum Aufenthaltangewiesen hatte, viele gute Schriften und daruntermehrereseinereigenenfand,gewanneresübersich,dasAufundniedereilen aufzugeben und sich niederzulassen.Dabei kam ihm in den Sinn, daß er auf den Rat einesFreundes sein Vermögen einem zuverlässigenBankvorsteher zur Aufbewahrung übergeben hatte, unddas Leben erschien ihm zwar immer noch dunkelgrau,dochnichtmehrsoschwarzwievorher.

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In aller Kürze hatte Gorgias die Nubierin von alledemunterrichtet und Dion ihr dann mitgeteilt, daß sie denArchibius mit dem römischen Freunde bei dem BruderderFrauBerenike.demPhilosophenArius,findenwerde.Wie er selbst, liege auch er infolge eines übermütigenStreiches des Antyllus wund darnieder. Die MutterBarineswerde sie gleichfalls bei demArius treffen. SiemögesievondemSchicksaldesDidymusundderSeineninKenntnissetzenundihnenmitteilen,daßer,Dion,eineStundenachSonnenuntergangihremHauseundderStadtdenRückenzukehrengedenke.»Doch,wohinDuDichbegibst,«unterbrachihnGorgias,»soll keiner, auch nicht Frau Berenike und Arius,erfahren. Du, Weib, siehst aus, als könntest Duschweigen.«»Obgleich sie,« fiel ihm Dion ins Wort, »den NamenAisopionderBehendigkeitihrerZungeverdankt.«»DieseZunge aber,« versicherte dieNubierin, »ist dochnur wie die Silberfischlein mit den roten Punkten imGartenderKönigskinder.Flinkgenugschießensiedahin;sobald sie aber eine Gefahr wittern, stehen sie still imWasserwieangenagelt.Und—beiderhohenIsis!—anGefahr leiden wir in dieser grausamen Zeit keinenMangel.Wünschest Du Frau Berenike und die anderenvordemAufbruchewiederzusehen?«»DieMutter,ja;—dieSöhnedesArius—essindbrave

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Bursche—bleibenheutediesemHausebesserfern.«»Ganzgewiß!«riefderBaumeister.»AuchihrVaterwirdgut thun, ein gutes Versteck zu suchen. Er steht demOctavian immer noch nahe. Es kann freilich auch sein,daß die Königin ihn zu benützen wünscht. In diesemFallevermager,sichderBarine,diedochdasKindseinerSchwesterist,nützlichzuerweisen.AuchTimagenes,derals Vermittler aus Rom kommt, gewinnt vielleichtEinfluß.«»Auf den gleichen Gedanken,« sagte die Nubierin, »istauchmeinarmerKopfschongekommen. Ichgehe jetzt,umdenHerrendieGefahrzuzeigen,diederjungenFraudroht, undwenn esmir gelingt ... Aberwas vermöchtewohl ein dienendes Weib mit meinem Aussehen? Unddennoch ...MeinHausstehtnäheramUferdesStromesals das der meisten anderen, und werfe ich ein Blatthinein,trägteresvielleichtindiegöttlicheMeerflut.«»DieweiseAisopion!« riefDion; diewackereDienerinaberzucktediehohenSchulternundsagte:»Manbrauchtnicht frei geboren zu sein, um Freude am Rechten zufinden,undwennweiseseinheißt,denKopfzumDenkengebrauchenundesmitdemWillenzuthun,wasgutundgerechtistzufördern,dannmagstDumichimmerhinsonennen. Nach Sonnenuntergang kommt es also zumAusbruch?«Damitwolltesiesichentfernen,derBaumeisteraber,der

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jeder ihrer Mienen gefolgt war, hatte einen Entschlußgefaßtundbatsie,ihmzufolgen.ImNebenzimmerverlangteereinen treuenBerichtüberBarineundwas siebedrohte.NachdemerdannwiemiteinerGleichgestelltenRatmitihrgehalten,reichteerihrdieHandzumAbschiedundsagte:»Wirdesangehen,sieunerkannt in den Isistempel zu führen, so kann diesDunkel sich lichten. Von der ersten Stunde nachSonnenunterganganfindetmanmichimHeiligtumederGöttin. Ich habe dort Vermessungen zu machen. WennDusagst,Duwüßtest,dieHimmlischenwürdensichderUnschuldigen, die sie bis an den Rand des Abgrundesführten, erbarmen, so behältst Du in diesem Fallevielleichtrecht.Eswillmirscheinen,alsfügtensichhierdie Dinge in einer Weise zusammen, die denGeschichtenerzähler um den Glauben des Zuhörersbrächten.«NachdemAisopiongegangenwar,kehrteGorgiaszudemFreundezurückundersuchtedenFreigelassenen,sichmitseiner Barke an einer Uferstelle, die er genau angab,bereitzuhalten.DieFreundewarenwiederallein.Gorgias hatte alle Hände voll zu thun; er konnte aberdoch nicht umhin, dem Dion sein Erstaunen über dieRuheauszusprechen,dieerbewahre.»Alsging’eszumAusternessen nach Kanopus,« schloß er und schüttelte

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wievoretwasUnbegreiflichemdenKopf.»WaswillstDu?«frugderandere.»EuchKünstlernzeigtdiebeflügelteEinbildungskraftdieZukunft,wieeseurerbeweglichenStimmungentspricht.Hofftihr,somachtihraus einem freundlichenGarten die ElysäischenGefilde,befürchtet ihr etwas, so seht ihr,wenndasDachbrennt,dieWeltinFlammenaufgehen.Wir,vonderenWiegedieMuse fernblieb, die wir nur den erwägenden Verstandbenützen, um neben dem eigenen Besten für das desHauses unddesStaates zu sorgen, fassen dieUmständeinsAuge,wiesiesind,undbehandelnsiewiedieZahlenimRechenexempel.Ichweiß,daßBarinebedrohtist.—Das könntemich um den Verstand bringen; aber hinterihrseheichmitzumSchutzeausgebreitetenFlügelndenArchibius und dieCharmion stehen, sehe ich die Scheuvor meinem übrigen Anhang mit Einschluß desMuseums,vordemRate, dem ich angehöre, vormeinerKlientelunddenZeitverhältnissen,diedasMißfallenderBürgerschaft wachzurufen verbieten. — Das Resultatnun, das sich aus der richtigen Zusammenstellung alldieserbekanntenGrößenergibt...«»Wirdso langerichtigsein,«unterbrachihnderFreund,»als sich nicht der unberechenbarste aller Faktoren, dieLeidenschaft, in sie hineinmischt, — die Leidenschafteiner Frau, und die Königin gehört zu dem auf demGebiet der Leidenschaft ganz gewiß stärkeren

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Geschlechte.«»Zugegeben! Doch sobald Marcus Antonius heimkehrt,wirdsichergeben,daßihreEifersuchtfehlging.«»Hoffen wir es. Die irregeleitete, betrogene,gemißbrauchteKleopatraistesauchnur,dieichfürchte;dennsieselbsthatnichtihresgleichenangöttlicherGüte.Unbeschreiblich ist der Liebreiz, womit sie die Herzengewinnt.UnddiestählerneKraft ihresGeistes! IchsageDir,Dion...«»Freund, Freund!« fiel ihm dieser lächelnd ins Wort.»Wie hoch versteigen sich Deine Wünsche! Seit dreiJahren führe ich Rechnung über die Feuersbrünste inDeinem Herzen. Wir waren, denk’ ich, bis zursiebzehntengelangt;dieseletzteaberzähltdoppelt.«»Thorheit!« rief der Baumeister in abweisendem Tone.»Soll man nicht mehr anerkennen dürfen, was herrlich,wundervoll,einzig?Dasistsie!Vorhin—wielangeist’sher— trat siemir in einem Schönheitsglanze entgegen...«»Daß es diesmal gilt, beideAugen zu hüten.Und dochsprachstDuerstebensowarmvonDeinemjungenGaste,von der liebreichen Umsicht, der anmutigen Ruhe, dieHelenamitteninderdrohendenGefahr...«Da fiel ihm der Baumeister unwillig insWort: »Als obich eine Silbe davon zurücknehmen wollte! Helena hatnicht ihresgleichen unter den alexandrinischen

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Jungfrauen,— die andere, sie,Kleopatra aber ... sie isteben in ihrer göttlichenMajestät über dasMenschlicheerhaben. Den höhnischen Zug am Munde könntest DuDir und mir diesmal sparen! Hätte sie Dir mit denfeuchten, tiefen, rührend traurigen Augen wie mir insAntlitzgeschautundvonihremUnglückgesprochen,DugingestHand inHandmitmir für siedurchWasserundFeuer.Zuden leichtzu rührendenMenschengehöre ichebennicht,undseitmirderVaterstarb,sahichThränennurbeianderenLeuten:alssieabervondemMausoleumsprach,dasichfürsieerbauensollte,weildasSchicksalsie, werweißwie bald, zwingen könnte, in denArmendesTodesZufluchtzusuchen,dawaresumdieFassunggeschehen. Und wie sie mich dann zu den Freundenzählte, auf die Verlaß sei, und mir die Handentgegenstreckte,—eineHand,esgibtkeinegleiche,da—lachenurhellheraus,wennDudenMutdazufindest.—dafaßteesmich,ichweißselbstnichtwie,undeszogmich zu ihr nieder, und während ich sie — die Handmeine ich—küßte, kann sie feucht geworden sein vonmeinen Thränen. Ich schäme mich nicht dieserBewegung, und die Lippen hier scheinen mir wiegeweiht, seit sie diese bleiche, kleine Götterhandberührten, die eine eigene Sprache redet und mir vorAugensteht,wohinichschaue.«Dabei strich Gorgias sich das volle Haar aus der Stirn,schüttelte,wieunzufriedenmitsichselbst,dasHauptund

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fuhr inverändertemToneilfertigfort:»AberdieZeit istschlechtgewähltfürsolcheErgüsse.IchsprachvondemMausoleum, dessen Erbauung die Königin wünscht.MorgenwillsiedenerstenflüchtigenEntwurfsehen.DasDingstehtmirauchschonvorAugen.AndenTempelderIsis, ihrer Göttin, wünscht sie es zu schließen ... Ichschlug das große Heiligtum in der Rhakotis beimSerapeumvor.Daswiessiezurück...SiewollteesdichtbeidemPalasteaufderLochiashaben.DenTempelamMusenwinkel hatte sie ins Auge gefaßt; aber das Hausdes Didymus stand einem größeren Anbau im Wege.Dachtemandiesfort,sogingesan,dieStraßedurchdenGarten des Alten, vielleicht sogar dem Meeresuferentlang zu legen. — Wir hätten Raum für einenRiesenbau gewonnen, und es wäre immer noch einstattlicher Garten übrig geblieben. Aber wir hatten jaerfahren,wieDidymusandemaltenBesitzhängt.AuchderKöniginwiderstrebtes,demGreiseGewaltanzuthun... Sie ist gerecht, und es leiten sie vielleicht auch mirunbekannteGründe ... Ichversprachdarum,nacheinemandern Platze Umschau zu halten, obwohl ich sah, wiesehr es sie verlangte, dieGrabstättemit demHeiligtumihrerGöttinverbundenzusehen...Undda...Ichsagteesschon der klugen braunen Hexe — da ließen dieHimmlischen, ließ dieGottheit, das Schicksal, oderwieman sonst die dieWelt und unser Dasein nach ewigenGesetzen und dem eigenen geheimnisvollen,

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allmächtigen Willen lenkende Kraft nennt, einBubenstück geschehen, aus dem mir Rettung für euchund für die Königin in dieser schweren Zeit etwas ihrWohlgefälligeszuerwachsenscheint.«»Mensch, Mensch!« unterbrach ihn hier Dion. »WohinwirdDichnochdieseneueLeidenschaftführen?Draußenstampfen die wartenden Rosse, die Pflicht ruft denpflichttreuestenderMenschen,undwieeinSeherergehtersichindunklenSprüchen!«»Deren Sinn und Inhalt Dir,« versetzte Gorgias, »trotzDeines gelassenen Rechnens mit den gegebenenUmständensehrbaldnichtwenigerwunderbarerscheinenwird alsmir, demDeinerMeinungnach,dasunbändigeKünstlerblut einen Streich spielt. Jetzt nur dies zurErklärung: Das Haus des Didymus wird sogleich vonmeinen Bauleuten besetzt, ich aber untersuche dieunterenRäumedesIsistempels.DieVollmacht,dortnachBelieben zu schalten, habe ich bei mir. Kleopatra legtemirselbstdieBaurissevor,auchdengeheimenmitdemLaufederunterirdischenRäume.Eswird auch fürDicheiniges Licht aufmeine dunklen Sprüchewerfen, wennichDichnachherdurcheinenderverborgenenGängedenFeinden entführe. Man verschwieg Dir mit Recht, aneinem wie dünnen Faden, trotz der Macht DeinesRechenexempels, das Schwert über Deinem Hauptehängt. Nun ich die Möglichkeit sehe, es zu beseitigen,

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darf ich ihn Dir zeigen. Morgen wärest Du grausamenFeinden unrettbar in die Hände gefallen und von demeigenen schwachen Oheim schmählich preisgegebenworden,wenn der unversöhnlichste von allen sich nichtdie ruchlose Freude gegönnt hätte, Hand an das HauseinesGreises—Duweißtja—zulegen,wennnichtdieKönigin durch eine erschütternde Botschaft auf denGedankengekommenwäre,sicheineigenesMausoleumzu bauen. DerGang,« und dabei senkte er die Stimme,»vondemichsprach,mündethartnebendemGrundundBodendesDidymusanderSee,unddurchihnführeichDich,und,gehtesanundwirdesnotwendig,auchBarinezumMeere.AufdemgewöhnlichenWegeließesichdasalles nur mit der größten Gefahr bewerkstelligen.Benützenwir denGang, so gelangenwir ungesehen aneinerdunklenStelleandenStrand,unddieFluchtbleibt,wenn uns kein besonderes Mißgeschick verfolgt,unbemerkt. Die Sänfte und Dein wankender Gangwürden, wo wir auch sonst am großen Hafen das Bootbesteigenwollten,allesverraten.«»Und wir Verständigen weigern uns, an Wunder zuglauben!«riefDionundstrecktedemFreundediebleicheHand entgegen. »Wie soll ich Dir danken, Du lieber,kluger, treuester Freund Deiner Freunde mit dem denFreundinnen treulosen Herzen. Schließe dies böseWortmit in die früheren ein, um die ich Dich jetzt umVergebungbitte.WasDufürmichundBarinethunwillst,

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gibtDir dasRecht,mir zeitlebens allesUeble anzuthunundzuhörenzugeben,wasDunurmagst.DieSorgeumsie hätte mich heute abend, wäre es ernst mit demFluchtversuchegeworden,ganzgewißandiesHausunddieStadtgekettet;dennohnesie istmirdasLeben jetztwertlos.Wennichmirabervorstelle,daßsiemiraufdieKlippedesPyrrhusnachfolgenkönnte...«»Wiege Dich nicht in dieser Hoffnung.« bat derBaumeister. »Es stellen sich ihr vielleicht ernsteHindernisse entgegen. — Nachher habe ich übrigensnoch einmal mit der Nubierin zu reden. Ohne denanderen zunahe zu treten— ihrRat ist, glaub’ ich, derbeste.Sieweiß,wieesbeidenGroßenzugehtundgehörtselbst zu den Kleinen. Außerdem steht ihr durchCharmionderWegzuderKöniginoffen,undesentgehtihr nichts, was sich am Hofe ereignet. Sie zeigte mirauch,daßwirdieAuslieferungderBarineandenAlexasfür ein Glück anzusehen haben. Wie leicht hätte dieEifersuchtsie,derenWunschschonzurThatwird,wennsie den Uebereifer ihrer lebenden Werkzeuge nichtzügelt, zu einem verhängnisvollen Frevel hinreißenkönnen!WendasSchicksalmitsohartenSchlägentrifft,der eilt sich selten, sie andern zu ersparen.Wollten dieSorgen,diesieberghochbelasten,sichdochzwischendieKöniginunddeneifersüchtigenGrollstellen,derfürihregroßeSeeleohnehinzukleinist!«

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»Wasistgroß,wasistklein,fürdasHerzeinesliebendenWeibes?« frug Dion »In jedem Falle thust Du, was Duvermagst, um Barine aus dem Machtgebiet deraufgebrachtenFürstinzuentfernen—ichweißes.«Da drückte Gorgias dem Freunde fest die Hand, küßteihm, einer schnellen Eingebung folgend, die Stirn undeiltederThürezu.Auf der Schwelle hielt ihn ein leises Stöhnen desVerwundetenzurück.WürdeersichbiszumAbendstarkgenugfühlen,demlangen,zumMeereführendenGangezufolgen?Dionversicherte,erhoffeeszuversichtlich,dochseintiefgerötetesAntlitzverrietauch,daßsichdasgeschwundeneFieberwiedereingestellthabe.DaließGorgiasdenBlicknachdenklichsinken.VielederHeilung bedürftige Kranke wurden in den Tempel derGöttingetragen;dasErscheinendesDiondaselbstkonntedarumnichtsAuffälligeshaben.Fremdezubeauftragen,den Leidenden durch den Gang zu schaffen, schiendagegen gefährlich. Er selbst war kräftig genug, dochauchfürdenStärkstenwäreesunmöglichgewesen,denschweren Körper des hochgewachsenen Mannes ingebückter Haltung bis zum Meere zu tragen; denn derStollenwarniedrigundvonbeträchtlicherLänge.Thatesnot, wollte er es aber dennoch versuchen. Mit demtröstenden Rufe: »Reicht Deine Kraft nicht aus, findet

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sichandererRath,«nahmerAbschied, schriebderZofeBarines und dem Leibsklaven des Verwundeten dasNötigevor,gebotdemThorhüter,jedenBesucher,wieerauch heiße,mitAusnahmedesArztes, abzuweisen, undtratinsFreie.VordemHauseschritteinekleineScharvonEphebenaufund nieder. Andere hatten sich auf einem freien, vonStrauchwerk eingehegten Rundteil des PaneumgartensnebendemHauseniedergelassenundsprachendemedlenWeinezu,denderKellermeisterdesDion,aufBefehldesHerrn,hierhergeführthatteundausschenkte.Es war ein munteres Treiben; denn Klienten desLeidenden,die,nachdemsie sichderVersicherung ihrerTeilnahme entledigt, von dem Pförtner abgewiesenwordenwaren,undgeputzteMädchenhattensichzudenEpheben gesellt. Es fehlte dabei nicht an Scherz undGelächter, und wenn eine hübsche junge Mutter oderSklavinmitdenKindernvorüberkam,derenbevorzugterTummelplatzdieseGärtenwaren,flogmanchesmuntereWorthinüberundherüber.Gorgias winkte den Jünglingen, erfreut über die frischeDaseinslust, mit der die wackeren Gesellen die PflichtzumFesteverwandelten,heiterzu,undmancherEphebehob denBecher, umdemberühmtenKünstler, der nochnichtvorgarlangerZeiteinerderIhrengewesenwar,miteinemfröhlichen»Io«und»Evoë«zuzutrinken.

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Den anderen voran that es ein schlank gewachsenerJüngling,derStudentPhilotasvonAmphissa,derGehilfedes Didymus, dem der Baumeister vor wenigen Tagenbeigestandenhatte,sichvondenDämonendesWeineszubefreien. Während Gorgias ihm schon aus demzweirädrigenWagenzuwinkte,kamihmindenSinn,daßderhübscheJungedort,dersichsoschwergegenBarineund Dion vergangen, der rechte Mann sei, den Freunddurch den niedrigenGang zumMeere tragen zu helfen.Esmußte demPhilotas,wenn er derjenigewar, für denGorgias ihn hielt, wie ein Geschenk erscheinen, seinVergehen an dem Geschädigten gut zu machen, und erhatte sich nicht getäuscht; denn nachdem der Jünglingeinen feierlichen Eid geleistet, gegen wen es auch sei,reinenMundzuhalten, fordertederBaumeister ihnauf,ihm bei der Rettung des Dion zur Seite zu stehen.UeberfließendvonfreudigerDankbarkeit,zeigtePhilotassich dazu bereit und versprach, zu rechter Zeit imIsistempelanderbezeichnetenStellezuwarten.

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VierzehntesKapitel.

Während Gorgias im Isistempel die unterirdischenRäumeuntersuchte,kehrteCharmionfrüher,alssieselbsterwartet hatte, auf die Lochias zurück. Sie hatte denBruder,densienichtmehrinKanopusgefunden,beiFrauBerenikegetroffen,und ihndort,nachdemsiedenDionauf seinem Schmerzenslager begrüßt, zum VertrautenihrerBesorgnisgemacht.Ihmalleinteiltesiemit,daßdieKönigin das Schicksal Barines in die Hand des Alexasgelegthabe;denndieseNachrichthättedieMutterdersoschwer gefährdeten jungen Frau leicht zu verzweifeltenSchrittenfortreißenkönnen,hieltdochselbstdieschwerzuerschütterndeGelassenheitdesArchibiusnichtvorihrstand. Am liebsten hätte er sich sogleich Einlaß zu derKönigin,mußte es sein, zu erzwingen gesucht, aber deraus Rom angekommene Geschichtschreiber Timageneserwartete ihn, und er war nicht als Privatmann in dieVaterstadt zurückgekehrt, sondern im Auftrage desOctavian, um als Vermittler dem Streite, der ja durchActiumzuseinenGunstenentschiedenwar,einEndezumachen. DieWahl diesesMittelsmannes war glücklich;dennerhattederjungenKleopatraUnterrichterteiltundwar derselbe schlagfertige Mann, der sie oft zumWiderspruche gereizt. Seine Teilnahme an einerVolkserhebung gegen die römischen Machthaber hatte

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ihn in die Sklaverei an den Tiber geführt. Dort war erbaldlosgekauftwordenundzusolchemAnsehengelangt,daß Octavian den in Alexandria wohlbekannten Mannmit jener wichtigen Botschaft betraut hatte. Bei demArius,der immernochandenVerletzungenlitt,die ihmdurch die Räder des Antyllus zugefügt worden waren,wollteArchibiusihntreffen,undFrauBerenikebegleitetedenTimageneszuihremBruder.Dahin durfte Charmion ihm nicht folgen; denn einBesuchbeimfrüherenMentordesOctavianwäreihrübelgedeutet worden, und es widerstrebte ihrem eigenenFeingefühl, gerade jetzt mit dem Freunde des FeindesundBesiegersderHerrinzuverkehren.Sie ließ darum den Bruder alleinmit Frau Berenike zudem Verwundeten fahren, doch hatte Archibius ihr vordem Ausbruche versprochen, im schlimmsten Falle dasAeußerste zu wagen, um der Königin, die ihr von derjungen Frau zu reden verbot, die Augen zu öffnen unddemAlexasdieWegezukreuzen.VondemGartendesPaneumaus,hatte sie sichdann indie Kanopische Straße und in das Judenviertel tragenlassen, wo sie mancherlei Wichtiges für Kleopatraeinkaufenmußte.DieMittagszeitwarlängstvorüber,alsdieSänftesiewiederindenLochiaspalastführte.Schon unterwegs hatte sie die eigene Machtlosigkeitschwer empfunden. Ohne selbst das Geringste

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ausgerichtet zu haben, mußte sie abwarten, wie diesanderen gelinge, und kaum hatte sie die Schwelle desPalastesüberschritten,alszudenSorgen,dieihrdieSeeleohnehinschwergenugbelasteten,neuekamen.Siewußte indenGesichternderHöflinge zu lesen, undschon das des Thorhüters hatte sie gelehrt, daß sich inihrerAbwesenheitVerhängnisvollesereignet.Von den Unfreien und niederen Bediensteten Neues zuerfragen, widerstand ihr, und sie unterließ es auch,obgleich das Innere des Palastes vonWachen. BeamtenjederArt,Aufwärtern undSklavenwimmelte.Mancher,derihreransichtigwurde,schautemitjenerScheuaufsiehin, die diejenigen leicht einflößen, denen etwasTrauriges bevorsteht. Andere, denen sie näher stand,drängten sich zu ihr heran, um sich selbst das traurigeVergnügen zu gönnen, der erste Verkünder schlimmerNeuigkeiten zu sein. Schnell und mit einstzurückweisendenWinkenundWortenschrittsieindesanihnen vorüber, bis ihr vor der Thür des großenWartesaales, der von ägyptischen und griechischenBittstellern überfüllt war, der Siegelbewahrer Zenobegegnete.Ihnhieltsieanundverlangtezuwissen,wassichereignethabe.»Seitwann?«frugderalteHöfling.»JedeMinutebrachteNeues, und tief betrübend war alles. Welche Zeit,Charmion,welcheVerderbnis!«

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»Als ich ausging,« erwiderte sie, »war noch kein Botegekommen. Jetzt ist es, als stockedemaltenUngeheuervon einem Palaste, das doch an manches Schrecknisgewöhntist,derAtem.DieHauptsachewenigstens,bevorichderHerrinbegegne!«»DieHauptsache?PestoderHungersnot,—wassollmandasschlimmerenennen?«»Schnell,Zeno,ichwerdeerwartet.«»Auch ich bin in Eile, und wahrlich, es gibt nichts zuberichten, wobei die Zunge gern verweilte. Zuerst kamCanidiusan.IneigenerPerson,geradeswegsvonActium.KühngenugistderMann.«»AuchdasLandheergeschlagen?«»Geschlagen,zerstreut,übergelaufen;denmeistenvoranKönigHerodesmitseinenLegionen.«Da schlug Charmion die Hände vor das Antlitz undstöhntelautauf;Zenoaberfuhrfort:»Du warst ja mit auf der Flucht. AlsMarcus Antoniussich von euch trennte, segelte er mit den Schiffen, diedann zu ihm gestoßenwaren, auf Paraetonium zu.Dortstand noch unberührt eine schöne Streitmacht, auf dieauch die Majestät und Mardion die beste Hoffnungsetzten. An sie konnte sich leicht Zuzug auf Zuzugschließen,undwirhattenwiedereinstattlichesHeerzurVerfügung.«»Pinarius Scarpus steht an ihrer Spitze, ein umsichtiger

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Krieger,undauchichwarderMeinung...«»JeBesseresDuihmzutrautest,umsogrößerderIrrtum!Der verruchte Schurke — was dankt er dem Antoniusnicht alles!— hatte schonKunde vonActium erhalten,ehe noch die Schiffe kamen, und sich bereits demOctavian angetragen, als der Imperator sich zeigte. DieVeteranen, die sich dem Verrat widersetzten, hatte derElende niedermachen lassen. Auch die wackereBesatzungderStadtwarnichtfürdieUnthatzugewinnengewesen.IhrdanktesMarcAnton,daßernochlebtundnichteinschnödesEndefanddurchdieeigenenTruppen.Heuteabend—einReiterbrachtedieNachricht—trifftder doppelt Geschlagene hier ein. WunderlicherweisesteigternichtaufderLochiasab,sondernindemkleinenPalastaufdemChoma.«»Arme,armeKönigin!«riefCharmion,»wietrugsiedasalles?«»Dem geschlagenen Canidius und dem Boten desAntonius gegenüberwie eineHeldin.Aber dann ...DasToben dauerte freilich nicht lange; doch das stumme,verzweifelte Schweigen ... Bevor sie noch völlig sichselbstwiedergefunden,schicktesieunsallefort,undichsah sie nicht wieder. Doch was von Gedanken undGefühlen hier drinnen lebt,«— und damit wies er sichauf Brust und Stirn — »das verließ seitdem seineHeimstätte und weilt bei ihr.Wie ein Entseelter wanke

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ichvoneinerStellezurandern.OCharmion,wasistüberuns gekommen!Wo sind dieZeiten, an denenKummerundSorgebestattetlagenbeidenanderenToten,dieTageund Nächte, an denen mein Geist sich mit dem derMajestätvermählte,umdiesearmeErdeindieblühendenGefildederGlückseligen,denAlltagzumFeste,dasFestin olympische Lust zu verwandeln? Welche unerhörtenHerrlichkeiten hatte ich nicht für die Siegesfeier, denTriumph, ja sogar für den Einzug in Rom geplant undgedichtet! Ganze Kästen füllen die Entwürfe,Programme, Zeichnungen und Verse. Was das Baulotführt, den Pinsel und Meißel, was dichtet und Musikmacht, hätte mir beigestanden, und — Du darfst esglauben:eswäreetwasEinzigesgeworden,wovonferneGeschlechtergesprochen,dassiegepriesenundbesungenhätten.Undnun—undjetzt?«»Jetzt verdoppeln wir die Kräfte, um zu retten, wasrettbar.«»Rettbar?« wiederholte der Höfling dumpf. »DieMajestätklammertsichfreilichauchnochandiesschöneWort.Als ichsiegesternnachtschaffensah,waresmirfortwährend,alssäheichsieWassermitdembodenlosenKrugederDanaidenschöpfen.Heutefreilich,als ichsieverließ, waren ihr die Arme gesunken— und so— sostehtsiemirjetztvordennassenAugen,so...Unddazuwill mir auch mein Neffe Dion nicht aus dem Sinne.

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Sorgen,nichtsalsSorgenauchvonseinerSeite!Undichhatteesdochsogutmitihmvor.MeinTestamentschreibtihm alles zu, wasmein ist; jetzt aber will er in vollemErnstmit derSängerin, derTochter desMalersLeonax,denEhebundschließen.DuübernahmstihrenSchutz;—Deine leibliche Nichte, die Iras, steht Dir aber dochsicherlich näher, und darum billigstDu es gewiß,wennich das Testament, besteht Dion auf seinem Willen,zerreiße.KeinenSolidusmeinesVermögensbekommter,wenn er demWeibe nicht entsagt, das derMajestät einDornistimAuge.Espaßtnuneinmalnichtinunseraltes,ehrbares Haus. Iras dagegen ist die Spielgefährtin desDion, und ich bestimmte sie ihm schon lange. Eineklügere, der Königin genehmere Gefährtin läßt sich fürihn nicht denken. Er war ihr gut, bis die Sängerin ihneinfing. Bringe sie wieder zusammen, und wie dieeigenenKindersollensiemirsein.WiderstrebtderNarrdemOheim,dernichtswillwieseinBestes,sozieheichdieHandvon ihmab.WasseineFeindeauchgegen ihnspinnen,ichkreuzedieArmeundlass’esgeschehen.Ander Stelle seines Vaters, meines verstorbenen Bruders,stehe ich und verlange Gehorsam. Die Königin ist miralles, und ihre Gnade gilt mir mehr als zwanzigwiderspenstigeNeffen.«»DieGunst derMajestät bleibtDir erhalten, auchwennDufürdenBruderssohneintrittst.«

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»Und Iras? Sieht sie sich von ihm betrogen— und siethutesjetztschon,—soruhtundrastetsienicht...«»Bis sie ihn ins Elend stürzte?« fiel ihmCharmion, alssähesiedasnahendeUnheilvorAugen,mehrbetrübtalsvorwurfsvollinsWort.»AberIrasstehtderKöniginnichtnäher als ich, undwennDu und ichHand inHand dasUnsere thun,umdenwackern jungenMann,derDeinesBlutesist,zuschützen...«»Dannfreilich...Dustehstsicherlich,schonderlängerenDienstzeitwegen,derMajestätnäheralsIras,...indessen...Dergleichenwillüberlegtsein,undichsagtejaschon:..MeinGeistverließdiealteWohnstätte,umderMajestätalsihrSchattenzufolgen.Nurwassieangeht,kümmertihn noch. Das andere, mag es gehen, wie es will! DieFlotte so gut wie vernichtet. Canidius geschlagen,Herodes übergegangen, Verrat über Verrat, — dieafrikanischenLegionenverloren.WieheißtderGott,derdas denBerg hinabsausendeRad auf denGipfel zurückrollt? Und dennoch! Laß uns Opfer bringen, Freundin,undbessereTageerwarten!«DamitentferntesichderSiegelbewahrer;Charmionaberschritt gesenkten Hauptes vorwärts, um sich bei Barineund ihrer treuen Anukis zu sammeln und auszuweinen,bevorsiederPflichtnachkam,dieteureHerrinzutröstenund aufzurichten. Und sie hätte doch selbst einesfreundlichen Zuspruchs so sehr bedurft!Wohin sie den

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Blick wandte, Mißgeschick, Gefahr, Verrat undschmählicheRänke.Eswarihr,alshabesiegenuggelebt,undalsseiihreZeitvorüber.IhrmildesWesen,ihrGeist,dersichzuvertiefen,zubereichernund,wasergewann,miteinemandernauszutauschenliebte,hattederKöniginbisdahinvielzubietenvermocht.SiewarderKleopatranichtnureineVertraute,sondernihrnotwendiggewesen,ummitihrdurchzusprechen,wasihrdenrastlosenGeistan Fragen bewegte, die jenseits der Anforderungen desTages lagen.JetztwarenesBegebnisse,harte,grausameThatsachen, die dieKönigin voll und ganz inAnspruchnahmen,denensieWiderstandleisten,diesiezumGutenwenden mußte. Ihr Dasein war Kampf geworden, undCharmionfühltesichnichtswenigeralsstreitbar.—Derharte, biegsame, scharf geschliffene Geist der Iras kamjetzt zur Geltung, und das ergrauende Mädchen sagtesich,daßesihrbevorstehe,hinterderjüngerenGenossinzurückzutreten. Ihr Amt niederzulegen, hätte ihr Ruhegebracht,dochwiessiediesenGedankennochvonsich.Gerade weil diese Zeit so voll war von Elend, undvielleichtdemSturzeundEndeentgegenführte,mußtesieausharren, zunächst der Königin zu Liebe, dann aberauch,umüberBarinezuwachen.Jetzt zog es sie zu Kleopatra zurück. Ihre bloße Nähe,wußtesie,würdeihremwundenHerzenwohlthun.VorderoffenenPfortedesGartens,der sie sich raschen

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Schrittes näherte, klang ihr das silberhelleLachen einesKindes entgegen. Der sechsjährige Alexander eilte mitweit geöffneten Armen auf sie zu, umschlang sie mitihnen, schmiegte den Lockenkopf in ihren Schoß undschautemitdengroßenhellenAugenzuihrindieHöhe.DagingdasHerz ihr auf,undwie siedasKindzu sichemporhobundesküßte,und ihrdabei indenSinnkam,welchem traurigen Schicksal es erlesen, brach diegewaltsam behauptete Fassung in Stücke; die Augenflossenihrüber,undlautaufschluchzenddrücktesiedenKnabenfesterandieBrust.Das Königskind aber, das nur an heitere Gesichter undfreundlichesKosen gewöhntwar, rang sich erschrockenvon ihr los, um zu den Geschwistern zurück zu eilen.DocheshatteeinfreundlicheskleinesHerz,undweileswußte, daß niemand weint und schluchzt, dem nichtetwas weh thut, fühlte Alexander Mitleid mit derCharmion,derergutwar,undeiltezuihrzurück.WaserihrzuzeigenimSinnetrug,hatteauchderMuttergefallen, und der Weinenden die Augen getrocknet.DarumfaßteerCharmionbeiderHand,zogsiesichnachundsagte,erwolleihrdasAllerschönsteundNiedlichstezeigen; sie aber ließ sich willig über die mit seinemrötlichem Sand bestreuten Wege des kleinen Gartensführen,denAntoniusfürihnundseineGeschwisterinderihm eigenen verschwenderischen und prachtliebenden

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Weise hatte herstellen und mit schönen und seltenenDingenüberfüllenlassen.Dagab es einenTeichmitGold- undSilberfischen, aufdemselteneLotosblumenmitrosenrotenBlütenausdemGründerglattenBlätteraussproßten,undeinanderer,aufdemwiefürKindergebildeteZwergenteninallenFarbenumherzogen.EinStückdesMeeres,dasihnbespülte,warmit goldenem Gitterwerk eingehegt, und auf seinemSpiegel wiegten sich in dichtemGedränge schneeweißeSchwäne und schwarze mit weinroten Schnäbeln.Heimische und indische Blumen in allen Farbenschmückten die Beete. Laubgänge von Golddraht, diebuntblühendeSchlinggewächseumrankten,beschattetendieschmalenWege.Hinter einem dichtbelaubten indischen Baume lud hiereine Grotte von Tropfstein zur Rast, und ihm zur Seiteerhob sich ein Häuschen, in dem die Kinder sichaushaltenkonnten. In seinem Innern fehlte es annichts,wasdasLebenerfordert,selbstnichtdasGeschirrinderKücheundimTablinumdieBildnissederFamilie,dieeinKünstleraufkleineElfenbeinplattenzierlichgemalt.Dasalles war der Größe der Kinder entsprechend, vomkostbarstenStoffeundvonsorgfältigsterArbeit.Hinter dem Hause erhob sich ein kleiner Stall, in demvierwinzigePferdchenmitgetigertemFell,dasSeltensteund Niedlichste, das sich denken ließ— ein Geschenk

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desKönigsvonMedien—denBodenstampften.Aneiner andernStellegabes einGehegemitGazellen,Straußen, jungen Giraffen und anderen grasfressendenTieren.BunteVögelundAffenbelebtendieKronenderBäume, und mit dem Wasserstrahle der Springbrunnenstiegen und senkten sich bunteBälle.Kindergenien undGötterbilder aus Marmor und Bronze lugten aus demGrünhervor,unddieseganzeZauberweltdrängtesichaufeinem kleinen Raume zusammen und wirkte mit ihremFarbenglanzundFormenreichtum,demDuft,GesangundGezwitscher verwirrend auf die übertrumpfteEinbildungskraftnichtnurderKinder.DerkleineAlexanderzogCharmionzielbewußtvorwärts,ohnealldieserHerrlichkeitenauchnurmiteinemBlickezuachten.ErstamUferdesLotosteichesblieberstehen,legtedenFinger andenkleinenMundund sagte: »JetztwillichDir’szeigen.Schauhierher!«Damit hob er sich behutsam auf dieZehen undwies indieHöhlungdesStammes.EinFinkenpaarhattedasNestin ihr erbaut, und fünf Junge mit breiten gelbenSchnäbeln streckten die häßlichen Köpfchen hungrig indieHöhe.»Das ist doch niedlich!« rief der Prinz. »UndDumußtsehen, wie das ist, wenn die Alten kommen und siefüttern.«DasliebeGesichtdesschönenKnabenstrahltedabeivor

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Entzücken, und Charmion küßte ihn zärtlich. Währendsieesaberthat,kamenihrdiezuTodegehacktenjungenSchwalben amAdmiralschiff seinerMutter indenSinn,undesliefihrkaltdurchdieAdern.Da ließen sich von einer vernachlässigten Stelle hinterdemfeingearbeitetenKinderhäuschenherhelleStimmenvernehmen, die den Alexander riefen, und nun besannsichderKnabeundriefverdrossen:»Da zeigte ichDir nun dasNestchen, und darüber hab’ich’svergessen.DieAgatheschliefein,undderSmerdisgingfort,undsowarenwirallein.Daschicktensiemichzu demThorhüterHorus, um etwas von seinem grobenSpeltbrot zu holen. Mir schlägt er nichts ab, und esschmecktunssogut.WirsindBauernundhabendasBeilund dieHacke tüchtig gebraucht undwollen nun essen.HastDuunserHausschongesehen?Wirbautenesselbst!Die Selene, derHelios, die Iotape, diemeine Braut ist,und ich ... Ja ich!Mithelfen ließen siemich, und ganz,ganz allein brachten wir’s fertig! Es fehlt nichts daran.DenStall fürdieKuhmachenwirmorgen!Dieanderensollenesnichtsehen,aberDirdarfich’szeigen.«Damit zog er sie sich wiederum nach, und Charmionfolgteihmwillig.DieZwillingeunddiekleineIotape,diedersechsjährigeAlexanderseineBrautgenannthatte,einhübsches, zartes, blondes Kind in seinem Alter, dieTochterdesMederkönigs,dienachdemPartherkriegemit

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demKnabenverlobtwordenwarundsichjetztalsGeiselam Hofe der Kleopatra aufhielt, empfingen sie mitfröhlichemZuruf.AußerderMederinhatteCharmionsiesämtlichgeborenwerdensehen,undsieliebtensiealle.Mit frohem Stolz zeigten ihr die jungen fürstlichenBauleuteihrWerk,undeswarinderThatwohlgelungen.Schon seit Wochen hatten sie daran gearbeitet unddarüber den übrigen Garten mit all seinen köstlichenSeltenheiten vergessen. Besonders stolz wiesen sie aufdie zwei Bretter, die Helios selbst mit Hilfe desAlexandernachdemletztenSturmeaufderSeegefischthatte, als sie einmal allein gelassenwordenwaren, undauf das Schloß an der Pforte, das ihnen heimlich voneinemaltenThoreloszulösengelungen.DenVorhangvorder Thür hatte Selene selbst gewoben. Jetzt wollten sieaucheinenHerdbauen.Charmion lobte ihre Geschicklichkeit, während sie infrohem Durcheinander schilderten, wie sie die größtenSchwierigkeiten überwunden. Die Lust an dem eigenenWerkestrahltejedemausdenhellenAugen;dabeierfülltesie solcher Eifer, daß sie das Nahen des Mannesüberhörten,dersiemitdemRufeüberraschte:»Genugnun,Hoheiten,mitdemmüßigenSpiel!EswirdohnehinzuvielZeitdaraufverwendet!«DannwandteersichimTonederEntschuldigungandieKönigin, die er hieher begleitete, und fuhr fort: »Dies

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Spielkönntebedenklicherscheinen,doch läßt sichauchmanches dafür vorbringen. Jedenfalls schien es denjungen Hoheiten so viel Freude zu bereiten, daß ich esauf kurze Zeit durchgehen ließ. Wenn Eure Majestätindessenbefehlen...«»Laß ihnendasVergnügen,«unterbrach ihndieKöniginfreundlich;undsobalddieKinderdieMutter erblickten,stürzten sie auf sie zu, drängten sich zärtlich und ohneScheu an sie, dankten ihr und versicherten lebhaft, daßihnen imganzenGartennichtsauchnurhalbso liebseiwie ihr Haus dort. Sie hätten auch vor, einen Stalldanebenzubauen.»Dasmöchte zuvielwerden,«bemerktederHofmeisterEuphronion, ein ergrauender Mann mit klugen undwohlwollenden Zügen, bedenklich. »Behalten wir imSinne,wievielnochzulernenübrigbleibt,damitwiramGeburtstage Ihrer Majestät das vorgesteckte ZielerreichenunddieProbebestehen.«AberdieKindervereintensichnunzuderBitte,auchdenStallbauenzudürfen,undsiewurdegewährt.Als der Hofmeister sie endlich fortführte, hielt dieköniglicheMuttersiezurückundfragte:»Undwenn ich euch nun statt diesesGartens ein StückLand ohne jeden Schmuck, wie der Bauer es pflügt,anwiese, worin ihr nach dem Unterrichte graben undbauendürftet,sovielihrnurwollt?«

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Da scholl ihr lauter Jubel aus dem Mund der Kinderentgegen; nur die kleine medische Braut Iotape frugbedenklich: »Aber meine Puppe würde ich dochmitnehmendürfen?Nurdieältestevonallen,dieAtossa.EsfehltihreinArm,dochsieistmirdieliebste.«»Uns nimm, was Du magst!« rief Helios und zog denkleinenAlexanderzusichheran,umzuzeigen,daßsie,die Männer, zusammenhielten, »nur gib uns den Platzundlaßunsbauen!«»Sehen wir zu, ob es angeht,« entgegnete Kleopatra.»UndDu,Euphronion,vielleichtwärestDuderRechte...DochdavonineinerruhigerenStunde.«Der Hofmeister ging, und die Kinder, die ihm folgten,schauten sich noch lange grüßend und rufend nach derMutterum.AlssiehinterdemLaubwerkedesGartensverschwanden,rief Charmion: »Wie rief sich auch der Himmelverfinstert,so langeDirdiesebleiben,kannesDirnichtanSonnenscheinfehlen.«»Wenn,«versetztedieKöniginundschautenachdenklichzuBoden,»sichnichtindenGedankenansieeinandererverflöchte, der die Nacht noch schwärzer macht. Duweißt,wasdieserschrecklicheTagunsbrachte?«»Alles!«versetztedieGefragtemiteinemschmerzlichenSeufzer.»Dann kennst Du den Abgrund, an dessen Rande wir

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wandeln,undsie,sievonderunseligenMuttermitindengähnenden Schlund reißen zu sehen,— das, Charmion.—das!«Dabeischluchztesieauf,warfdieArmeumdenHalsderFreundin und Gespielin, und ließ das Haupt an ihremHerzenruhenwieeindesTrostesbedürftigesKind.Da weinte sie sich minutenlang aus. Als sie dasthränenfeuchteAntlitzwiedererhob,sagtesieleise:»Das that gut! O Charmion. ich bedarf der Liebe wiekeine.AnDeinemwarmenHerzenistesschonstillerhierdrinnengeworden.«»Brauche es, schmiege Dich daran, so oft Du seinerbedarfst, bis ans Ende,« rief Charmion in tieferBewegung.»BisansEnde,«wiederholteKleopatraundtrocknetedieAugen.»ErstmitdemheutigenTage,mein’ ich,begannes.Vorhinwar ich eineStunde lang allein.Vergehen zusollen, hatt’ ich vorher gemeint, und Du weißt ja, wieungestümdieLeidenschaftmichfortreißt.Aberwaswarauchübermichgekommen!DasLandheervernichtet,derAbfall des Herodes und Pinarius, das großmütigvertrauensvolle Herz des Antonius zerfleischt durchschnödenVerrat, seine Seele verdüstert, dieHerstellungdes Kanals, die letzte Hoffnung—Gorgias brachte dieKunde— so gut wie gescheitert ... Da kam der kleineAlexander,ummichzuseinemVogelnestchenzuführen.

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Alles andere im Garten schien ihm nichtig dagegen ...DaserweckteneueGedanken,undnundasHäuschen,dasdieKindermiteigenerKraftsicherbauten!Dasalles,—mit geheimnisvoller Gewalt zwang es mich, zurück zusehenaufdieBahnmeinesLebens,bishinzudenfernenTagenimHausDeinesVaters...Ich...DieKinder...Aufwie verschiedenen Grundlagen baut unser Leben sichauf!Wohin ich, als die Jugend hintermir lag, gelangte,sie ließ ichdamitbeginnen.Mitten indenVerwirrungendes Staates, angesichts der Vertreibung des Vaters unddesTodesderMutter,amRandeeinesAbgrundesbegannmeineKindheit.DiederZwillinge—zehnJahresindsiealt — bald kommt die ihre zum Abschluß, und jetztwerden sie die nämlichen Leiden durchzudulden haben,nachdemsieGenüssegekostet,vondenenmanmirauchnicht einen geboten. Aber waren uns nicht besserebeschieden? Was ihnen tagtäglich zu teil ward, wirträumtennurdavoninunseremeinfachenGarten.WieoftließichDichteilhabenandenglänzendenGesichten,diesichdamalsmeinerSeelezeigten.Dufolgtestmirgernindie prächtige Märchenwelt meiner Träume. Und ich ...Was die Einbildungskraftmir in jenen Jahren der RuheundSammlung zeigte, es begleitetemich in das spätereLeben.Auf demThrone, reichundmächtig, sah ich siewieder und wieder. Die Mittel, sie zu verwirklichen,waren zur Hand, und als ich ihm begegnete, desseneigenes Leben derVerwirklichung eines Traumes glich,

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da rief ichdieKindheitsgesichteaufundmachtesiezurWahrheit. Die Wunder, mit denen ich das Dasein desGeliebten schmückte, Kindheitsträume waren es, denenichgreifbareGestaltgab.DieserGartenisteinAbbilddesDaseins, zudem ichaufgestiegenzu seinmeinteund inWahrheit herabsank. Was die Sinne ergötzt, trugen wiraufdiesStückErdezusammen,keineinzigerkommtaufdiesem engen Raume zur Ruhe, wo sich an derUeberfülle des Zusammengehäuften stößt, wer es wagt,sichfreizubewegen.Unddochhatteichuntereuchundan derHand euresweisenVatersmichmit sowenigembegnügen gelernt und mit dem Ringen nach Ruhebegonnen.Sie—die schmerzloseRuhe, unser höchstesGut— wohin kam es? Durch mich ging es auch euchbeiden verloren ... Die Kinder aber ... Auf einemSammelplatze jeder Unruhe ließ ich sie beginnen, undnun sehe ich, wie ihr eigener gesunder Sinn sichherauszuringentrachtetausdemblendendenFarbenbunt,dem betäubenden Duft, dem verwirrenden Gesang undGezwitscher. Zu dem schlichten Acker, auf dem dasLebendes ringendenMenschenbegann, sehnen sie sichzurück. Der Knabe wirft den Tand von sich, um dieseinemWeseneigeneschaffendeKraftzubewähren.DasMädchenthutesihmnachundhältnurfestanderPuppe,in der es das lebendeKind sieht, um demmütterlichenTriebe, dem Wahrzeichen seiner Natur, gerecht zuwerden.Was aber ihre Seele so kräftig begehrt, das ist

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dasRechte,undesseiihnengewährt.AlsichzehnJahrezählte wie die Zwillinge, hatte mein Sein und Strebenschon eine feste Richtung gewonnen. Sie folgen nochblind den Zielen, die ihnen vorgestecktwerden. Zurückdarum mit ihnen an die Stelle, von der die Mutterausging, — auf der sie alles empfing, was gut in ihrblieb!IndenEpikuräergartensollensie,gleichviel,obesder alte ist zu Kanopus oder ein anderer. Was bunteTräume der Mutter gezeigt, und was sie oft mitfreventlicherVerschwendung zu verwirklichen trachtete,es umgab sie von Geburt an und ward ihnen zeitigverleidet. Sie werden, treten sie ins Leben heraus, wasnur die Sinne reizt und berauscht, verachten. Festhaltenwerden sie an dem Trachten nach schmerzloser innererRuhe,wenneinweiserWegweiser sie leitetundsievondenGefahrenfernhält,diedieLehredesEpikurgeradefür die Jugend umschließt. Ich fand diesen Führer, undauch Du wirst ihm vertrauen; denn Dein BruderArchibiusist’s,denichmeine.«»Er?«frugCharmionüberrascht.»Ja, er, der im Epikuräergarten erwuchs und im Lebenund inderPhilosophiedenHalt fand,der ihmmitten inallenKämpfendesDaseinsdieRuhederSeelebewahrte,— er, der die Mutter liebt, und dem auch die Kinderteuer,—er,demdieKnabenundMädchenanhängenmitherzlichemVertrauen.Unter seinen Schutzwünsche ich

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die Kinder zu stellen, und wenn er einwilligt, derunglücklichsten der Frauen dies Verlangen zu erfüllen,dann seh’ ichdemEndegelassen entgegen.Esnaht!—Ich fühle, ich weiß es. Gorgias arbeitet schon an demEntwurffürmeinGrabmal.«»O Königin!« rief Charmion schmerzlich. »Was auchkommt,gegenDeinerhabenesLebenkannes sichnichtrichten! Ein großmütiges Herz wie in der Brust desMarcusAntoniusschlägtnichtinderdesOctavian,docher istnichtgrausam,undgeradeweilkühleBerechnungmäßigt, wozu der Ehrgeiz ihn antreibt, wird er Dichschonen. Er weiß, wie diese Stadt, dies Land Dichvergöttern,—undgelingtesihmwirklich,andenerstenErfolg neue Siege zu knüpfen, gestatten es dieHimmlischen, daß Dein Thron und — mögen sie esverhüten! — auch Deine geheiligte Person in seineGewaltfällt...«»Dann,« rief Kleopatra, und ihr klares Auge leuchtetehell auf, »dann soll er erfahren,wer größer ist von unsbeiden, — gerade dann werde ich mir das Recht zuwahrenwissen, auf ihnherabzuschauen,magdasblindeSchicksalihm,dermeinemunddemSohnedesCäsardasErbe stahl, auch die gesamte Macht des Erdenrundsunterthänigmachen.«MitzornigfunkelndenAugenhattesiediesgerufen;dannaber senkte sie die zur Faust geballte kleine Hand und

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fuhrinverändertemTonefort:»Es könnenMonde vergehen, bevor er stark genug ist,denAngriffzuwagen,undesbilligtendieHimmlischenselbstdenBaudesGrabmals.DaseinzigeHindernis,dasimWegestand,dasHausdesaltenPhilosophenDidymus,eswardzerstört.VorhinbrachteeinBotedesGorgiasdieMeldung. Es soll das zweite Grabmal in dieser Stadtwerden,dasderBeachtungwertist.DasanderebirgtdieLeiche des großen Alexander, dem sie Entstehung undNamen dankt. Er, der die halbeWelt seinerMacht unddem Genius des griechischen Volkes unterwarf, er warjüngeralsich,daerstarb.Wohernehmeich,durchderenelendeSchwächeActiumverlorenging,dasRecht,längerunter der Sonne zu wandeln? In wenigen StundenvielleichthabenwirdenMarcAntonzuerwarten.«»Und in dieser Stimmung,« unterbrach sie Charmion,»trittstDudemNiedergedrücktenentgegen!«»Erwillnichtempfangensein,«versetzteKleopatraherb.»Auch mir untersagte er, ihn zu begrüßen, und ichverstehediesVerbot.Aberwasmußteüberihnkommen,daß er, der Frohgemute, der Freund derMenschen, sichnach Einsamkeit sehnt und sich scheut, auch demLiebsten und Nächsten zu begegnen. Auf der Choma,wohin er sich zurückzuziehen wünscht, sieht Iras jetztnach,oballesimStandist.SiesorgtauchfürBlumen,dieer liebt. Schwer ist es, grausam schwer, ihm nicht wie

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sonstdasWillkommenzubieten.O,Charmion,wiedaswar, wenn er mit offenen Armen und weit geöffnetemHerzenwie ein Jüngling diemächtigeGestalt ansLandschwang und mir aus dem schönen Heroenantlitz einStrom von heißer, heiterer Liebe entgegenwogte. Undwenn er dann—Duvergißt es auch nicht!—die tiefeStimmezudemerstenGrußeerhob,dannwaresmir,alsmüßten die Fische im Wasser mit einstimmen und diePalmen am Ufer in glückseliger Mitfreude die Wedelschwingen.—Und hier! Die Träume der Kindheit, dieichfür ihnverwirklichte,sienahmenunsauf,undunservon Liebe und Rosen umwobenes Leben, es wurde einMärchen! Seit dem ersten Tage, an dem er unsentgegenritt zu Kanopus, und mir den erstenBlumenstrauß und einen umLiebewerbenden sonnigenBlick bot, steht sein Bild mir vor der Seele wie dieVerkörperungderallesbesiegendenManneskraftundderlichten,durchnichtszutrübenden,dieWeltbeglückendenFreude.Undjetzt,jetzt!?—WeißtDunoch,wiewirihnalsdumpfenTräumer,bevorernachParaetoniumabfuhr,verließen?—Abernein,nein,tausendmalnein,sodarfernicht bleiben!Nicht gesenktenHauptes, aufrechtwie indenTagendesGlückes,sollerHandinHandmitder,dieer liebt, die Schwelle des Hades betreten. Und er liebtmich noch immer! Wäre er mir sonst wohl hierhergefolgt, obgleich ihn mir kein Zauberbecher mehrnachzieht? Und ich? Dies Herz, das in der Brust des

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KindesihmdieerstenjungenTriebeschenkte,gehörtihmnoch immer und bleibt auch sein eigen ... Ob ichmichnicht dennoch in den Hafen begebe und ihn erwarte?SchaumirinsAntlitz,Charmion,undantwortemirohneScheuwiederSpiegel:gelangesdemOlympuswirklich,dieFaltenzutilgen?«»Siewaren schon vorher kaumbemerklich,« lautete dieAntwort,»undauchdasschärfsteAugekönntesienichtmehrentdecken.AuchdieHaarsalbebrachteichmit,undwasOlympusDirfürdas...«»Still,still.«unterbrachsieKleopatraleise.»EsregtsichvielLebendiges in diesemGarten, unddenVögeln sagtmanjanach,siehörtenamschärfsten.«DabeivertiefteihreinschalkhaftesLächelndieGrübchenin den Wangen, und die Freude an ihrerherzbestrickendenAnmut zwangCharmion denRuf aufdie Lippen: »Wenn Marcus Antonius Dich in diesemAugenblickesähe!«»Schmeichlerin!« entgegnete die Königin mit einemdankbaren Lächeln; die andere aber fühlte, daß derAugenblick jetztgekommensei,nocheinmal fürBarinedasIhrezuthun,undsiebeganndarumeifrig:»Nein,ichschmeichlegewißnicht!KeineinAlexandria,wie sie auch heiße, dürfte eswagen, sich auch nur vonfernemitDeinemLiebreiz zumessen. Laß darum dochvon derVerfolgung des unglückseligenWeibes, dasDu

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meinerObhut anvertrautest. Sich selbst beleidigen heißtes,wennmaneineKleopatraist...«Hier aber wurde sie mit einem unwilligen: »Schonwieder!«unterbrochen.DasAntlitzKleopatras,daswährenddieserUnterredungalleRegungenderFrauenseelevondertiefenTodestrauerbis zur heiteren Schalkhaftigkeit widergespiegelt hatte,gewann den Ausdruck abweisender Härte, und mit derkurzenBemerkung:»Duvergißtwiederum,was ichmirmit gutem Grunde verbat; — ich muß an die Arbeit,«wandtesiederJugendgenossindenRücken.

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FünfzehntesKapitel.

CharmionschrittihrerWohnungentgegen.Wieschonoftwaresihrjetztebenwiederergangen.WennsiedieTiefedes Gemütes, die männliche Geisteskraft, den rastlosenFleiß, die wache Sorge Kleopatras für ihr Land, diestandhafte Liebe, die mütterliche Hingebung dieserseltenen Frau aufswärmste bewundert hatte, war sie inbeklagenswerterWeiseentnüchtertworden.Siehattedannsehenmüssen,wiedieKönigin,umeinenMärchentraum der Kindheit zu verwirklichen und denGeliebten damit zu überraschen, ungeheure Summenvergeudete, die den Wohlstand der Unterthanenschädigten,wiesieGroßesundWichtigeshinterdieeitleund peinliche Pflege der eigenen Person zurückstellte,wiekleinlicheEifersuchtsiederGerechtigkeitundGütevergessen ließ, die ihr sonst eigen, wie sie, diefreundlichste undweiblichste derGebieterinnen, sich inzornigemAufwallenbiszurGewaltthätigkeitgegeneinenUntergebenen vergaß, dessen Handlungsweise sie mittiefgehender Empörung erfüllte. Der ihr ureigeneEhrgeiz, der ihr die würdigsten und rühmlichsten ihrerThaten eingab,warmehr als einmal zur Triebfeder vonHandlungengeworden,diesiespäterbereute.WieesihrschonalsKindunerträglicherschienenwar, sichbeiderLösungschwierigerAufgabenübertroffenzusehen,hatte

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siedasBedürfnisbewahrt,wosiesichzeigte,dieerstezusein undnicht ihresgleichen zu haben.Darumwar auchvielleichtderunseligeUmstand,daßAntoniusderBarinedas Gegenstück eines Armbandes verehrt hatte, das sieselbst als ein Geschenk des Geliebten trug, derHauptgrundihresbitterenGrollesgegendieunglücklicheFrau.Charmion hatte Kleopatra manches Unrecht, ja mancheihr zugefügte Kränkung willig und großmütig vergebensehen, doch sich selbst von dem Gemahl einer Barine,worin es auch sei, gleichgestellt zu sehen, konnte ihrleicht unerträglich erschienen sein, — und was demCäsarion infolge der thörichten Leidenschaft, die diejungeFrauinihmerweckthatte,zugestoßenwar,gabihrdasRecht,dieNebenbuhlerinzustrafen.Schwer besorgt um das Schicksal des Schützlings, tiefinnerlich erregt und dazu erschöpft an Leib und SeelenähertesichCharmionihrerWohnung.Dort erwartete sie, Erquickung durch die wohlthuende,gleichmäßigheitereWeiseBarineszufinden,dortharrtenihrer die treu sorgenden Hände ihrer braunen DienerinundVertrauten.DieSonneneigtesichdemUntergangentgegen,alssieinden Vorsaal gelangte. Die wachthabenden Leibwächterteilten ihr mit, es habe sich nichts Bemerkenswertesereignet,undaufatmendbetratsiedasWohngemach.

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WährenddieAethiopierinihrabersonstmitfreundlichenWorten entgegenkam, um ihr den Schleier undUmwurfabzunehmenundihrdieSchuhevondenFüßenzulösen,wurde sie heute von niemand empfangen. Erst in demzweitenGemache, das sie demGaste angewiesen hatte,fandsieBarinemitverweintenAugen.Während Charmions Abwesenheit war dieser ein BriefdesAlexasüberbrachtworden,worin er ihrmitteilte, erwerdesiemorgeninallerFrüheimAuftragederKönigineinem Verhör unterziehen. Ihre Sache stehe schlecht,dochwenn sie ihmseinePflichtnichtdurch jeneHärte,die ihm schon frühermanchen Schmerz zugefügt habe,erschwere, werde er sein Aeußerstes thun, um sie vorGefangenschaft, der Zwangsarbeit in den Bergwerkenoder noch Schlimmerem zu behüten. Das unvorsichtigeSpiel, das siemit demKönigeCäsarion getrieben, habeleiderdasVolkgegensieaufgebracht.Wiesehr,daszeigedieWut,mitderesdasHaus ihresGroßvatersDidymuszerstörte. DenDion, der sich freventlich an dem hohenSohne der geliebten Königin vergriffen habe, werdenichtsvorderEmpörungderMengezurettenvermögen.Er, Alexas, wisse, daß sie in jenemDion einen Freundund Beschützer verliere; doch sei er geneigt, an seineStelle zu treten, wenn ihr Verhalten es ihm nicht zurUnmöglichkeit mache, Gnade mit Gerechtigkeit zuverbinden.

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DiesruchloseSchreiben,dasBarineMildeumdenPreisihrer Gunst verhieß, ohne Alexas in seiner Eigenschaftals Richter bloßzustellen, erklärte Charmion dieErschütterung,indersiedieTochterdesFreundesfand.Wohlerleichterteessieeinwenig,demAbscheuunddemGroll gegenAlexas, so lebhaft wie ihremildeNatur eszuließ,Ausdruckzugeben,dochfuhrenAngst,KummerundEntrüstungfort,inihrerschwerbedrücktenSeeleumdieHerrschaftzuringen.Es war zu erwarten gewesen, daß die geistig regsameFrau versuchen würde, sich mit lebhaften Fragen zuerkundigen, was Charmion bei der Königin und demArchibius ausgerichtet hätte und was sich Neues fürKleopatra, den Staat und die Stadt begeben; doch mitwärmererTeilnahmefrugsienurnachdemErgehendesGeliebten,vondemsievielzuhörenverlangte,worüberihr die Freundin keine Auskunft zu erteilen vermochte.Bei ihremkurzenBesuche amLager desDion hatte sienicht erfahren, wie er das eigene und dasMißgeschickBarinestrüge,wieerindieZukunftschaute,undwaservonihrerwartete.Das Nichtwissen und Schweigen Charmions geradediesen Fragen gegenüber steigerte die Besorgnis der soschwerBedrohten,dienichtnursichselbst,sondernauchdie ihrem Herzen am nächsten stehenden Lieben soernstlich gefährdet sah. Sie drang darum in die

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Gastfreundin, sie von der Ungewißheit zu erlösen, dieschwerer zu ertragen sei als die furchtbarsteGewißheit;aber jene konnte oder wollte ihr weder über dieAbsichten Kleopatras noch über das Schicksal und dasVerbleiben der Großeltern und der Helena nähereAuskunft erteilen. Das steigerte ihre Angst; denn wenndieMitteilungdesAlexaswahrwar,somußtendieIhrenobdachlos sein. Als Charmion endlich sogar bekannte,den Dion nur flüchtig gesehen zu haben, da brach derGequältendieKraftdesstillenDuldens.Sie, die Hoffnungsreiche, die, wenn das Abendglühenerlosch,sichschonaufdasMorgenrotdesnächstenTagesfreute, sah jetzt in der Hand Kleopatras die Rohrfeder,mit der sie ihr Todesurteil und das des Geliebtenunterschrieb.VordeminnernAugeerblicktesiedieIhrenundwiedaseinstürzendeHaussieerschlugoderblutendvon den Steinwürfen der rasenden Menge. Den Alexashörte sie dem Henker befehlen, sie der Folter zuunterwerfen, und die Nubierin, wähnte sie, kehrt nichtheim,weil sie denDion nicht gefunden. Die Trabantender Königin hatten ihn wohl, mit Ketten belastet, insGefängnis geschleppt, wenn Philostratus nicht schonvorherdasVolkverführthatte, ihndurchdieStraßenzuschleifen.Mit fieberhaftemUngestüm, dasCharmion um somehrerschreckte,jefremderesihranderTochterdesFreundes

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war,gabBarineihralleWahnbilderzusehen,womitdievon Todesangst, Sehnsucht, Liebe, Abscheu genährteEinbildungskraft sieerschreckte; jeneaberbotallesauf,was ihr an Beredsamkeit eigen, schalt sie undüberschüttetesiedannwiedermitLiebkosungen,umsiezuberuhigenundsiederVerzweiflungzuentreißen.Abernichts wollte fruchten. Endlich gelang es ihr, dieUnglücklichezuüberreden,mitihransFensterzutreten,von dem aus sich ein herrliches Schauspiel darbot. ImWesten, hinter dem Heptastadium in demMastenwaldedes Hafens des Eunostus, ging die Sonne unter, undCharmion,dieandenKindernderKöniginerlernt,einemerschütterten jungen Herzen die Ruhe wiederzugeben,wies den Schützling, um seine Gedanken auf etwasNeues zu lenken, auf das glühende Purpurrot amabendlichen Horizonte und erzählte, wie ihr Vater, derMaler,sieaufdieprächtigeLeuchtkraftgewiesen,diedieFarben in dieser Tageszeit gewännen, auch wenn derWestennichtwieheuteerglühte.Barine aber, die sich sonst an diesem Schauspiel kaumsatt sehen konnte, dankte es ihr nicht; denn dieserSonnenuntergang erinnerte sie an einen andern, den siejüngstanderSeitedesDionbewunderte,undvonneuemerschütterteihreinheftigesSchluchzendieBrust.Ratlos legte ihrCharmiondenArmumdieSchulter,Dawurde die Thür schnell geöffnet, und die Nubierin

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Anukistratein.Ihre Herrin wußte, daß es nichts Ungehöriges seinkönnte, was sie von ihrem Posten zur Seite Barines solange fern gehalten hatte. Sicher war ihr sogar etwasWichtiges begegnet, das starke Anforderungen an ihreKraftgestellthatte.IhrAussehenbewieses.DieglänzendbrauneHauthatteeinenaschgrauenAnstrichgewonnen,ihre hohe, von wirrem krausem Haar umgebene Stirntriefte,unddievollenLippenwarenerblaßt.Obgleich sie sich großen Anstrengungen unterzogenhaben mußte, schien sie indes keineswegs der Ruhebedürftig;dennnachdemsiedieFrauenbegrüßtundsichwegenihreslangenAusbleibensentschuldigtundBarinemitgeteilt hatte, diesmal sei ihr Dion wie einHalbgenesener erschienen, bat sie dieHerrinmit einemraschenSeitenblick,ihrindasNebenzimmerzufolgen.Aber demMißtrauen der geängstigten jungen Frau wardieAugensprachederNubierinnichtentgangen,undvonneuerBesorgnisergriffen,verlangtesiealleszuhören.DagebotCharmionderDienerin,zureden;Anukisaberversicherte,bevorsiebegann,dieNachrichten,diesiemitsichführe,gehörtenzudenallerbesten,—nurstelltensiegroßeAnforderungenandieStandhaftigkeitunddenMutderBarine,diesiefreilichanderswiederzufindengehofft.Es sei keine Zeit zu verlieren. Eine Stunde nachSonnenuntergang werde sie an dem Orte des

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Stelldicheinserwartet.Hier unterbrach Charmion die Dienerin mit dem Rufe:»Unmöglich!« und erinnerte sie an die Wachen, dieAlexas im Bunde mit der im Palaste heimischen Irasschongestern indemVorsaaleundanallenAusgängen,jasogarunterdenFensternaufgestellthatte.DochdieNubierinerklärte,dasseiallesschonerwogen;umZeit zu gewinnen,müsse sie indesBarine ersuchen,sich Haut und Haar, während sie rede, färben undkräuselnzulassen.Die Ueberraschung, die sich in dem verweinten Antlitzder jungen Frau malte, veranlaßte sie dann zu demAusrufe:»NurvertrauensvolldieHändegerührt.Gleichwerdetihralles erfahren. Es gibt so viel zu berichten. Unterwegshatte ich mir zurechtgelegt, wie ich das alles feinhintereinandererzählenwollte,abersogehtesjetztdochnicht, Nein, nein! Wer die Schafherde aus dembrennenden Stalle schaffen will, der zieht zuerst denLeithammel ins Freie;— dieHauptsachemein’ ich,—undmitihr,dieeigentlichandasEndegehörte,mußichdenn auch beginnen. Die Erklärung, wie das alles mirzukam...«Da unterbrach sie wie ein froher Aufschrei der RufBarines:»Ichsollfliehen,undDionweißdarum,underfolgtmir

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nach!IchseheDir’san.«InderThatverrietjederZugindemhäßlichenAntlitzderbraunenDienerin, daß es etwasErfreuliches sei, das siebewegte.KeckeUnternehmungslust strahlte ihr aus denschwarzen Augen, und ein liebenswürdiges Lächelnverschönte ihr den großen Mund mit den übervollenLippen,alssieversetzte:»Solch ein verliebtes Herz versteht sich auf dasWahrsagen besser als der erste Prophet des großenSerapis. Ja, junge Herrin, der, den Du meinst, soll ausdieser schlimmen Stadt, in der euch beiden so Ueblesdroht,verschwinden.Ihmglücktesgewißund,stehendieHimmlischenunsbeiundsindwirklugundmutig,auchDir.—Werweißwiebaldfindetihreuchwieder!WoherdieHilfekommt,davonspäter. Jetztgilt eszuerst,Dichzuverwandeln,undzwar—laßDich’snichtreuen!—indasAllerhäßlichste:indiebrauneAnukis.InihrerGestaltsollstDuausdiesemPalastentweichen.NunweißtDu’s,undwährendichausmeinerKleiderladedasNötigehole,bitte ich Dich, Herrin, zu bedenken, woher wir dasSchwarznehmenfürdieFärbungderElfenbeinhauthierunddesgoldenenHaares.«DamitverließsiedasZimmer,BarineaberwarfsichderFreundin an die Brust und rief halb weinend, halblachend:»Undwennichimmerbraunundkrummbleibensollte wie die treue Aisopion, und er entzöge mir nur

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nicht seineLiebe,undwennesdurchFeuerundWasserginge,—ichwollte...O,Charmion,waswechseltwohlso schnell wie Lust und Leid in solch einem Herzen?Jedem, allen, selbst Deiner Königin, die doch all dieseAengste über mich brachte, möcht’ ich etwas Guteserweisen!«In eine Glückselige hatte die neu ergrünende Hoffnungdie Verzweifelnde verwandelt, und Charmion nahm esmitdankbarerFreudewahrundwünschte imstillen,dieKöniginhätteihrenAusrufvernommen.Während sie die von Kleopatra verworfenenHaarfärbemittel, an denen es in ihren Droguenkästennicht fehlte, einer Musterung unterzog, sah sie imHintergrunde des noch Unerklärten, das verwirrend aufsie einstürmte, neue schwere Gefahren, Barine dagegenschaute über sie hinweg auf die winkendeWiedervereinigungmit demGeliebten undwar voll desheiterstenEifers,bisdieDienerinzurückkam.NunbegannungesäumtdasWerkderEntstellung.WährendAnukis die Hände rührte, kamen ihr auch dieLippennichtzurRuhe.InzeitlicherFolgebegannsiezuberichten, was ihr an diesem ereignisvollen Tagebegegnet.Barine lauschte ihrmitwachsender Spannung, und ihreFreudigkeitwuchs,alssiedenWegüberschaute,dendieSorge und Klugheit der Freunde für sie geebnet.

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Charmion wurde dagegen um so stiller und ernster, jedeutlicher sie die Gefahr erkannte, der ihr Schützlingentgegen ging. Dennoch mußte sie sich sagen, daß esgegendieSicherheit,vielleichtdasLebenBarinesfrevelnhieße, sie von diesem wohlüberlegten Fluchtversuchezurückzuhalten.Daßerunternommenwerdenmußte,standfest;nunaberderAugenblickimmernäherkam,derdasgeliebteKindin die naheGefahr führen sollte,— nun sie sich sagenmußte, daß sie ein Werk unterstützte, das demausgesprochenen Befehle der Königin widersprach undetwas durchzuführen bezweckte, dessen Gelingen denUnwillen, ja vielleicht denZorn derKleopatrawach zurufendrohte,daerfaßtesieeinepeinlicheBewegung.Fürsichselbstfürchtetesienichts.KeinenAugenblickdachtesie an die üblen Folgen, die die Flucht Barines für sienachsichziehenkonnte.WasihrdieSeelebedrückte,warnur das Bewußtsein, zum erstenmale dem Willenderjenigen entgegen zu handeln, deren Wünsche zurErfüllungzubringen,derenBestrebungenzuförderndieteure Pflicht ihres Lebenswar.Wohl kam es ihr in denSinn, daß sie, indem sie Barines Flucht beförderte,KleopatravorspätererReuebewahrte;wohlstand in ihrfest,daßesihrobliege,diesschöne,jungeLeben,dessenBlütenSturmundReifheimgesuchthatten,unddemjetztdie reinste Glückseligkeit winkte, erretten zu helfen;dieseansichlöblicheThatbrachtesieabertrotzalledem

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in scharfen Widerspruch mit den vornehmstenBestrebungen und Zielen ihres Daseins. Und wie vielhöherstandihrdie,diesie—siescheutesich,dasWortauszudenken—diesiezuverraten imBegriffstand,alsdie andere, einwie viel höheresAnrecht auf ihreLiebeundTreuehatteKleopatrasicherworben!Hätte sie etwas anderes empfinden können als Dank,wenn dasRettungswerk glückte?Und doch hob sie nurwiderstrebend die Hand, als es galt, die schöne,ebenmäßigeGestalt Barines der verwachsenenNubierinähnlichzumachen,alssiedieFingerindieSalbetauchte,diedochfürKleopatrabestimmtwar.Auchwegenseinervollen Schönheit, that es ihr weh, einen Teil desschweren, blonden Zopfes der jungen Frau abschneidenzumüssen.Das alles ließ sich freilich nicht vermeiden, wenn dieFlucht gelingen sollte, und je weiter Anukis mit ihrerErzählung kam, desto weniger Einwände gegen denRettungsversuchfandihreHerrin.Schon das von der Nubierin erlauschte Gesprächzwischen Iras und dem Alexas ließ es notwendigerscheinen,BarineundihrenVerlobtendemMachtgebietsolcher Feinde zu entziehen. Der treue Mann, den dieDienerin bei Dion gefunden hatte, dessen Namen sienicht nannte, und von dessen Heim sie nur versicherte,einensichererenSchlupfwinkelfändeauchderMaulwurf

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nicht, der sich in die Erde vergrabe, schien in der Thatvon der Schickung selbst mit dem Baumeister Gorgiasam Lager des Dion zusammengeführt worden zu sein.AuchdiefreieVerfügungüberdieunterirdischenRäumedesIsistempels,diedemBaumeisterzugefallenwar,glicheinemWunder.AufeinemTäfelchen,dasdieklugeAisopionderHerringeflissentlich erst jetzt, nachdem sie sie von derHauptsacheunterrichtethatte,überreichte,standzulesen:»ArchibiusseinerSchwesterCharmioneinenGrußzuvor.Kenn’ ichDich recht, so fälltesDir soschwerwiemir,Dich an diesem Abenteuer zu beteiligen, doch es mußgeschehen im Andenken an ihren Vater, und um dasGlück und Leben seines Kindes vor Vernichtung zubewahren. An Dir soll es darum sein, Barine in denTempel der Isis am Musenwinkel zu führen. Sie wirddaselbst denGeliebten finden und, geht es an, ihmdortangetrautwerden. Für das hochzeitlicheOpfer trage ichSorge. Sobald die Vermählung vorüber, ist es Dirheimzukehren gestattet. Da das Heiligtum so schnellerreichtist,brauchstDudenDienstnuraufkurzeZeitzuverlassen.VertrauederBarinenochnicht,waswirfürsieplanen.DieEnttäuschungwärezugroß,wennessichalsunausführbarerwiese.«DieserBriefunddieHandlung,dieerinAussichtstellte,verwandelten den guten, von schweren Bedenken

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getrübtenWillen derCharmion in den frohen, ja in denbegeistertenWunsch, Beistand zu leisten. Die HochzeitBarines mit dem Manne, dem ihr Herz gehörte, standbevor,undsiewardieTochterdesLeonax,derdemihreneinmal teuer gewesen.Wie vomWinde zerstreut warenFurcht und Zweifel, und als das Verkleidungswerk derAisopion vollendet war und Barine ihr alshochschulterigeNubierinmitbraunem,faltigemGesichtegegenüberstand,mußtesiesichsagen,daßeseinleichtessei,indieserGestaltausdemPalastezuentkommen.JetzteröffnetesieBarineauch,siegedenke,sieselbstzubegleiten, und obgleich die junge Frau sich enthaltenmußte, die Freundin mit dem gefärbten Antlitze zuküssen, gab sie ihr und der treuen Freigelassenen doch,überströmendvondankbarerRührung,deutlichgenugzuerkennen,wasihrdieSeelebewegte.DieNubierinblieballeinzurück.NachdemsiedieSpurenihrer Thätigkeit, wie die Gewohnheit es ihr vorschrieb,mit aller Sorgfalt beseitigt, erhob sie betend die ArmeundflehtezudenGötternihrerHeimat,dieschöneFrauzu beschützen, der sie die eigene Mißgestalt, die nundoch zu etwas gut war, geliehen, und die so schwerenGefahren,aberaucheinemGlückentgegenging,aufdaszuhoffenihrdasSchicksaluntersagte.Charmion hatte ihr befohlen, falls Iras nicht zeitig vomChomaheimkehrteunddieKöniginnachihrverlange,sie

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miteinemAusgangezuentschuldigenundanihreStellezu treten.WährenddesFeldzugs hatteKleopatra schon,als sie, Charmion, von einem Unwohlsein befallengewesen war, der Aisopion die Sorge um ihre PersonüberlassenundihreGeschicklichkeitgerühmt.Wie gewöhnlich, wenn die Vertraute der Königin aufBesorgungen ausging, folgte ihr ein braunes weiblichesWesen.ManhattebereitsindenGängendesweitläufigenPalastbauesdieLaternenundLampenundaufdenHöfendieFackelnundPechpfannenentzündet,abersohellsieauch an manchen Stellen brannten, und an wie vielenLeibwächtern, Offizieren, Eunuchen, Beamten,Schreibern,Trabanten,Köchen,AufwärternundSklaven,Thorhütern undBoten sie auch vorüberschritten, gönnteihnendochkeinermehralseinenflüchtigenBlick.SogelangtensiebisaufdenletztenHof,unddortkameinAugenblick, andemesbeidenFrauenschien,als stockeihnen der Herzschlag; denn es trat ihnen derjenigeentgegen, von dem sie das Schlimmste zu besorgenhatten:derSyrerAlexas.Und er gingnicht andenFlüchtlingenvorüber, sondernhieltCharmion auf und teilte ihr höflich, ja unterwürfigmit, er wünsche der lästigen Angelegenheit ihresSchützlings, die ihm sehr gegen seinen Willenaufgebürdetwordensei,ledigzuwerdenundhabeBarinedeshalbmorgeninallerFrühezuverhörenbeschlossen.

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Der Leibdiener des Syrers folgte dem Herrn, undwährend diesermitCharmion sprach,wandte jener sichan die vermeinte Nubierin, gab ihr einen leichten StoßgegendieSchulterund raunte ihrzu:»Heuteabendwiegestern. Du bist uns den Schluß der Geschichte vomPrinzenSetnaunochschuldig,«DerFliehendenwaresdabei,alsseisiestummgewordenund als könne sie die Macht der Rede niewiedergewinnen. Dennoch brachte sie es über sich, mitdemKopfe zu nicken, und gleich darauf verneigte sichder Günstling vor Charmion. Der Sklave mußte ihmfolgen,sieaberschrittderBeschützerindurchdiePfortezwischendenletztenPylonentürmennachinsFreie.DortwehtedieSeeluftihrwieeinGrußausdemReicheder Freiheit und des Glückes erfrischend und belebendentgegen, und sie, die Furchtsame, gewann jetzt,mittenin derGefahr, so vielGeistesgegenwart zurück, daß siederFreundinmitteilenkonnte,wasihrderLeibsklavedesAlexas zugeraunt hatte, damit die Aisopion ihn heuteabenddaranerinnerteundihnindemGlaubenbestärkte,nicht sie, sondern die Nubierin hätte die Vertraute derKöniginbegleitet.DerWegbiszumIsistempelwarkurz.DieSternelehrten,daßsiezurechterZeitamZieleseinkönnten;dochestratihnenunerwarteteinzweiterAufenthaltindenWeg;dennvon den Stufen, die zur Cella des Heiligtums führten,

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wallte ihnen eine Prozession entgegen, die kein Endenehmenwollte.DemZugevoranwurdedasBildderIsisvon acht Pastophoren getragen. Ihnen folgte dieKorbträgerin der Göttin mit einigen anderenPriesterinnen, sowie der Vorleser mit dem geöffnetenBuche.Hinter ihm erschien dieVierzahl der Propheten.IhrHaupt,derOberpriester,schrittuntereinemBaldachinwürdevoll daher. Die übrige Priesterschaft der GöttinhieltSchriften,heiligeGeräte,StandartenundKränze inden Händen. Die Priesterinnen, von denen einige mitgelöstem Haare und schön bekränzt das Sistrum oderKlapperblech der Isis schüttelten, mischten sich in denZug der Geistlichen und verschmolzen die hohenStimmenmitdentiefendersingendenMänner.Neokorenoder Tempeldiener und eine stattliche Anzahl vonAnbeternundAnbeterinnenderIsisbeschlossendenZug.bekränzt und mit Blumen in der Hand. Fackel- undLaternenträger beleuchteten denWeg, und derDuft desWeihrauchs,derdemKohlenpfänncheninderHandeinesbronzenenArmesentstieg,denPastophorenhinundherschwenkten, umschwebte die Prozession und wallte ihrnach.Die wartenden Frauen sahen sie der Lochiasentgegenschreiten, und dieGespräche der Umstehendenlehrten sie, daß sie »der neuen Isis«, der Königin, denGruß der Göttin zu überbringen und ihr mitzuteilenbezwecke, wie treu sie auch in Not und Gefahr ihrer

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gedenke.Kleopatra konnte nicht umhin, diese freundlicheHuldigung entgegenzunehmen, und es lag ihr ob, sichdabei mit den Kronen der beiden Aegypten auf demHaupte und in vollem priesterlichen Ornate zu zeigen,dennurdiebeidenVertrautenihrmitallenEinzelheiten,wie der Gebrauch es vorschrieb, anzulegen verstanden.Niederen Zofen wie der Nubierin hatte sie dies nieüberlassen. Kleopatra würde die Abwesende alsodennochvermissen.Das erfüllte Charmion mit neuer Unruhe, und als dieStufen endlich frei wurden, frug sie sich bang, wie dasendenwürde.Und dazu schien es, als sollte der Flüchtling und seineBegleiterin sich vergeblich einer so schweren Gefahrausgesetzthaben;denneinigeTempeldienerdrängtendieAnwesenden,diedasHeiligtumzubesuchenwünschten,zurück und riefen in die Menge hinein, es sei bis zurHeimkehr der Prozession verschlossen.— Besorgt undfragendschauteBarinederBeschützerininsAntlitz;dochbevordieseihrerMeinungnochAusdruckgebenkonnte,war ihnen auf denStufen desTempels die hoheGestalteinesMannesentgegengetreten.—EswarArchibius,derihnen mit ernster Gelassenheit gebot, ihm zu folgen.Schweigend führte er sie um das Heiligtum herum zueinerSeitenpforte,dievorkurzemeinerSänfteundihren

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BegleiternEinlaßgewährthatte.AufeinerStufenreihe imInnerndes langhingestrecktenBauwerkesgelangtensieindiemattbeleuchteteCella.WieimOsiristempelzuAbydosderensieben,soleitetenhier drei Säulengänge in ebenso viele Kammern, dasSanctuarium des Heiligtums. Der Mittelraum war derIsis,deranseinerlinkenSeiteihremGemahleOsirisundder ihmzurRechtendemHorus,demSohnedergroßenGöttin, gewidmet. Vor ihm erhoben sich, vomDämmerlicht halb verborgen, die im Auftrage desArchibiusmitOpferspendenüberhäuftenAltäre.Neben demdesHorus stand die Sänfte, die den Frauenvoran in den Tempel getragen worden war, und ihrentstieg,vonFreundenunterstützt,einschlanker,jüngererMann.JetzterschütterteeindumpferSchalldenSäulensaal.Daseherne Hauptthor des Heiligtums war zugeschlagenworden. Das schrille Geklirr, das ihm folgte, kam vondenmetallenenRiegelnher,dieeinalterNeokore indieLagergestoßenhatte.Barine schrak zusammen, doch frug sieweder nach derUrsachedieserGeräusche,nochnahmsiewahr,wassichhier sonst in reicher Fülle den Sinnen darbot; denn derMann, der jetzt amArmeines andern an denAltar trat,warDion,warderumihretwillengefährdeteGeliebte.Anihm hing ihr Blick, ihm strebte ihr ganzes Wesen

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entgegen, und ihrer selbst nicht mehr mächtig, rief sieihmseinenNomenentgegen.Besorgt schaute Charmion sich im Kreise derAnwesendenum,dochtiefausatmendließsiebalddavonab; denn der hochgewachseneMann, der den Dion amArm hielt, war der wackere Baumeister Gorgias, seinbester Freund, und der noch größere und stärkere ihrBruder Archibius. Die Gestalt, die sich dort von derVermummung befreite, war Frau Berenike, die MutterBarines. Lauter zuverlässigeVertraute!Nur den jungen,hübschenEphebennebenihremBruderkanntesienicht.Barine,diesieimmernochamArmehielt,warbestrebt,sich von ihr zu befreien, um der Mutter und demGeliebtenentgegenzueilen;Archibiusaberhattesichihrgenähert und ermahnte sie leise, sich zu gedulden undsich jeder Begrüßung oder Frage zu enthalten,»vorausgesetzt,« schloß er, »daß es Deinem Willenentspricht,andemAltarehiermitDion,demSohnedesEumenes,vermähltzuwerden.«CharmionfühltebeidieserVerheißungdenArmBarinesin dem ihren zittern, doch die junge Frau folgte derWeisungdesFreundes.Siewußtenicht,wie ihrgeschahundobsieindemZuvielderGlückseligkeit,diesichübersie ergoß, laut aufjubeln sollte vor Wonne oder still inThränenzerfließenvorDankbarkeitundRührung.Ringsum hatte alles geschwiegen. Jetzt nahmArchibius

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demVerlobteneineRolle ausderHand, stellte sichdenAnwesendenalsKyriosoderVormundderBrautvorundfrugBarine,obsie ihnalssolchenanerkenne.Danngaber dem Dion die Schrift, die den Ehekontrakt enthielt,schnell zurück, da er ihren Inhalt kannte und billigte.Hieraus teilte er den Anwesenden mit, daß sie ihn beidieser schnell zu schließenden Vermählung auch alsParanymphos oder Brautführer und Frau Berenike alsBrautführerin anzusehen hätten, und sie entzündetensodann eineFackel andemFeuer auf einemderAltäre.Archibius legte alsKyrios nach ägyptischer, dieMutterder Verlobten als Brautführerin nach griechischer Sittedie Hände der Verlobten ineinander, und dabei reichteDion der Geliebten einen schlichten eisernen Ring. Eswar derselbe, den sein Vater bei der Vermählung derVerlobtengereicht,underflüsterteihrzu:»MeineMutterhielt ihn hoch; jetzt ist es an Dir, das alte Kleinod zuehren.«Nachdem Archibius erklärt hatte, der Isis und demSerapis, dem Zeus, der Hera und Artemis seien dienötigenOpferdargebrachtwordenunddieEheschließungzwischen demDion, dem Sohne des Eumenes, und derBarine,derTochterdesLeonax,seivollzogen,schüttelteerbeidendieHände.DieZeit schien zudrängen; denn er gestattete nur nochFrau Berenike und seiner Schwester, Barine kurz zu

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umarmen und dem Gorgias, ihr und Dion die Hand zureichen. Dann winkte er, und die Mutter derNeuvermählten folgte ihm, in Thränen zerfließend,Charmion verwirrt undwie berauscht. Erst als ein alterNeokore sie mit den beiden anderen durch dieNebenpforte ins Freie geführt hatte, trat ihr voll insBewußtsein, welchem Ereignis sie eben als Zeuginbeigewohnthatte.Barinewares,alskönntejederAugenblicksieauseinembeseligenden Traum erwecken, und doch sagte sie sichauchgern, daß siewachte; dennderMann,derdort amArmedesFreundesvorihrhinschritt,warDion.FreilichnahmsieauchimmattenLichtederspärlichbeleuchtetenTempelhallewahr, daßer litt.DasGehen schien ihmsoschwerzufallen,daßessieerfreute,alserderBittedesGorgiasnachgabunddieSänftewiederumbestieg.AberwowarendieTräger?Bald sollte sie es erfahren;dennwährend sienochnachihnenausschaute,hattenderBaumeisterundderEphebe,indemsielängstdenjungenPhilotas,denGehilfenihresGroßvaters,erkannt,dieStangenergriffen.»Folgeuns,«riefGorgiasihrmitgedämpfterStimmezu,und sie gehorchte und hielt sich hart hinter der Sänfte,während diese erst eine breite und dann eine schmalereTreppehinunterundendlichdurcheinenGanggetragenwurde.HierhielteineThürdieFlüchtlingeauf;—doch

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der Baumeister öffnete sie und half dem Freunde derSänfte entsteigen. Bevor es weiter ging, stellte er denTragstuhlineinemitGerätangefüllteKammer,dieerbeider Untersuchung der unterirdischen Tempelräumeentdeckthatte.Bis dahin war kein Wort zwischen den Flüchtlingengewechselt worden. Jetzt rief Gorgias Barine zu: »DerGangistniedrig.—Esgilt,sichzubücken.BedeckedasHaupt und erschrick nicht, wenn Dir Fledermäusebegegnen; ihre Ruhe wurde lange nicht gestört. WirhättenDichausdemTempelandieSeeführenlassenunddort erwarten können, aber das wäre leicht aufgefallenund gefährlich geworden. Mut, junge Gattin des Dion!Der Gang ist nicht kurz, das Fortkommen darinbeschwerlich,—abergegendenWegzudenBergwerkenisterglattundbequemwiedieKönigsstraße.DenkstDuandasZiel,soerscheinenDirdieFledermäusewohlwiedieSchwalben,diedasNahendesFrühlingsverkünden.«Dankbarnicktesie ihmzu;demDionaber,der jetztamArme des Freundes mühsam vorwärts schritt, küßte siedieHand.DasLichtderFackel,diedertreueWerkführerdes Gorgias dem Zuge vorantrug, war ihr auf diegebräuntenArmegefallen,undalsesvorwärtsging,hieltsie sich wieder hinter den anderen. Sie dachte, daß esdem Geliebten peinlich sein könne, sie so mißgestaltetwieder zu sehen, und ersparte es ihm, so gerne sie ihm

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auch näher geblieben wäre. Sobald der Gang niedrigerwurde,nahmendieFreundedenLeidendenaufdieArme,undsiehatteneineschwierigeAufgabezulösen;dennesgalt, tief gebückt mit der Last des großen MannesvorwärtszuschreitenundsichdabeiderFledermäusezuerwehren, die die Fackel des Bauführers scharenweiseaufscheuchte.Das Haupt Barines war zwar verhüllt, zu anderer Zeithätten sie aber die häßlichen Tiere, die ihr Kopf undArme oft genug streiften, dennoch mit Entsetzen undEkel erfüllt. Jetzt achtete sie ihrerkaum;denn ihrBlickhing an dem in liegender Stellung auf den Armen derTrägerruhendenManne,demsieangehörtemitLeibundSeeleunddessengeduldigesLeidenihrinsHerzschnitt.SeinHauptschmiegtesichandieBrustdesGorgias,derdicht vor ihr herschritt. Sie konnte es nicht sehen, weilder Baumeister sich darüber hinbeugte; aber sie blicktedem Gatten auf die Füße, und wenn siezusammenzuckten, glaubte sie zu fühlen, daß erSchmerzen erlitt. Dann hätte sie sich gern zu ihmhingedrängt, um ihmdieStirn in demheißen, niedrigenGange zu trocknen und ihm ein gutes ermunterndesLiebeswortzuzuflüstern.Daswar ihrauchbisweilenvergönnt,wenndieFreundedie schwereLast niederließen. Freilich gönnten sie sichimmernurkurzeRast;abersiewardochlanggenug,um

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ihrzuzeigen,wiedieKräftedemLeidendensanken.Alssie endlich das Ziel erreicht hatten,mußte Philotas denerschöpften Mann mit aller Kraft stützen, währendGorgias die verschlossene Pforte behutsam öffnete. Sieführte auf eine vom Meere bespülte Stufenreihe hartneben dem Garten des Didymus, die sie als Kind oftgenug mit dem Bruder benützt hatte, um einen kleinenNachenaufdemWasserschwimmenzulassen.DerBaumeisterhielt dieThürnurhalbgeöffnet, underwurdeerwartet;dennsehrbaldhörtesieihnflüstern,undplötzlich that die Pforte sich vollends auf. Ein großerMannumfaßtedenDionundtrugihninsFreie.WährendBarineihmabernochmitstockendemAtemnachschaute,trat ihrschoneinanderer,nichtmindergroßerentgegen,batsiehastig,essichgefallenzulassen,hobsiewieeinKind auf die Arme, und während sie die kühlereNachtluftatmeteunddasWasser,dasderTrägermit ihrdurchwatete,zuihraufspritzteundihrdieFüßebenetzte,suchteihrBlickdenNeuvermählten;—docherfandihnnicht,denndieNachtwarsehrfinster,unddieLichteramUfererreichtennichtdiesevondemGemäuerdesQuaishochüberragteStelle.Da erschrak sie; aberwenigeAugenblicke später hobensich auf dem durch die Hafenlichter schwach erhelltenDunkeldieUmrisseeinergrößerenFischerbarkehervor,undgleichdarauf ließderstarkeMann,derBarine trug,

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sieindasSchiffniederundeinetiefeStimmeraunteihrzu:»Allesgut.Gleichbring’ichstärkendenWein.«DasahsiedenNeuvermählten,fürdenmananderSpitzederBarkeeinLagerbereitethatte,regungslosliegen,undsie beugte sich über ihn und bemerkte, daß ihm dieBesinnunggeschwunden,undwährendsie ihmdieStirnmit demWeine rieb und ihm dasHaupt in ihren Schoßbettete und ihm zusprach und später auch beim Scheineiner kleinen Laterne den Verband an der Schultersorgsamerneute,nahmsienichtwahr,daßdieBarkedasWasserdurchschnitt.ErstalsdieSchifferdasdreieckigeSegelwendeten,bemerktesiees.WohindieFahrtsieführte,warihrnochnichtanvertrautworden,dochsiefragteauchnichtdanach.Ueberallwares gut, wo sie mit ihm vereint sein durfte. An eine jeeinsamereStelleersie führte,destomehrdurftesie ihmsein.WiewardasHerzihrsovollvonDankundLiebe!UndalssiesichüberihnneigteundihmdieStirnküßteund ihre heißeFieberglut fühlte, dachte sie: »Ich pflegeDich mir wieder gesund,« und wandte dann Auge undSeele aufwärts, um ihrem Lieblingsgotte, dem sie dieGabedesGesangsverdankteundderallemvorstand,wasrein und schön, um demPhöbusApollo zu danken undihn anzuflehen,morgen in der Frühe einenGenesendenmit seinem hellen Lichte zu bescheinen. Während sienoch betete, stieß dasBoot an dasLand.Wieder trugen

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kräftigeArmesieunddenGeliebtenansUfer,undalsihrFuß festenGrundunter sich fühlte,brach ihrRetter,derFreigelassene Pyrrhus, das Schweigen und sagte: »Seimirwillkommen,GemahlindesDion,alsGastaufunsrerInsel. Vorlieb gilt es freilich zu nehmen. Wenn es Diraber bei uns so gut zusagt, wie es uns erfreut, Dir undDeinemHerrn zu dienen, der auch der unsere ist, dannläßtdieStundedesAbschiedslangaufsichwarten.«Damitschritter ihr indasHausvoranundzeigte ihralskünftige Wohnung zwei große, weißgetünchte Zimmer,die keinen andern Schmuck besaßen als die peinlichsteSauberkeit.Auf der Schwelle stand das schon ergrauendeWeib desPyrrhus, eine junge Frau und ein kaum der Kindheitentwachsenes Mädchen; die ältere aber hieß Barinebescheiden willkommen und bat sie gleichfalls, es sichals ihr Gast gefallen zu lassen. In der reinen Luft derSchlangeninsel gehe es schnell mit der Heilung. Sieselbstund—damitwiessieaufdieanderen—dasWeibihres ältesten Sohnes und ihre eigene Tochter DionewärenihresRufesfürjedenDienstgewärtig.

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SechzehntesKapitel.

Geschwister zeigen sich selten gesprächig, wenn sieallein sind. Als Charmion sichmit dem Bruder auf dieLochias begab, fiel es ihr ohnehin schwer, Worte zufinden,sotiefhattensiedieEreignissederletztenStundeergriffen.AuchdemArchibiusgelangesnicht,denGeistaufetwasandereszurichten,unddochbeschäftigtenihnfürvielweitereKreisebedeutsameunddarumwichtigereDinge.Schweigsamschrittensienebeneinanderher.—AufdieFrage der Schwester, wo die Neuvermählten sichverbergen sollten, hatte er erwidert, dies müßte, trotzihrer bewährten Verschwiegenheit, auch für sie einGeheimnisbleiben.Dieandere,wieesmöglichgewordensei,dasInneredesIsistempelssoungestörtzubenutzen,hatteergleichfallsnurmitVorsichtbeantwortendürfen.In Wirklichkeit war es die freie Verfügung über dieunterirdischenGängediesesHeiligtumsgewesen,diedenBaumeister auf den Gedanken geführt hatte, den DiondurchsieaufdasBootdesPyrrhuszubringen.Dazuwarnurnötig,daßderIsistempel,derTagundNachtoffenzustehen pflegte, den Freunden der Flüchtlinge auf kurzeZeitüberlassenblieb,unddashattesichbewerkstelligenlassen.DerGeschichtschreiberTimagenes,deralsGesandteraus

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Rom gekommen war und die Gastfreundschaft seinesfrüheren Schülers Archibius in Anspruch genommenhatte, war mit der Vollmacht ausgestattet, Kleopatra,seiner früherenSchülerin, dieAnerkennung alsKöniginfür sich und ihre Kinder und volle Begnadigung inAussicht zu stellen, falls sie denMarcusAntonius demOctavianausliefernoderihnausderWeltschaffenwürde.Der Alexandriner Timagenes fand diese Forderung sogerecht wie nützlich, weil sie seine Vaterstadt vondemjenigen zu erlösen verhieß, dessen willkürlicherUebermut ihre Freiheit bedrohte und dessenverschwenderische Großmut und maßlose PrachtliebeihrenReichtumschädigten.FürdenrömischenStaat,alsdessen Vertreter der Historiker erschien, bedeutete dasbloße Dasein dieses Mannes Unruhe ohne Ende undBürgerkrieg.BeiderWiedereinführnngdesFlötenbläsersdurch denGabinius undMarcAntonwar Timagenes indieSklavereigeraten.WennesihmzuRom,woderSohndesSulladenHistorikerfreigekaufthatte,auchgeglücktwar,großenEinflußzugewinnen,blieberdemAntoniusdochabgeneigt,undeswarihmdarumeinewillkommeneAufgabe, in der Vaterstadt gegen ihn zu wirken. BeiArchibius,dessentreueAnhänglichkeitandieKöniginerkannte,hoffteerVerständniszufinden.AberauchArius,derOheimderBarine,derfrühereLeiterderStudiendesOctavian, sollte ihm beistehen. Den mächtigstenVorschub konnte seiner Sendung indes der Einfluß des

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greisen Alexanderpriesters, des Oberhauptes dergesamtenägyptischenHierarchie,leisten.Ihmhatte er bewiesen, daßAntonius in jedemFalle einverlorenerMannwäre undAegypten imBegriff stände,dem Octavian wie eine reife Frucht in den Schoß zufallen.InseinerHandwerdeesbaldliegen,demLandesovielanFreiheitundSelbständigkeitzulassen,wieesihmanstehe.Auch über das Schicksal derKönigin habe derCäsar allein zubestimmen,undwemesdaran liege, sieden Thron bewahren zu sehen, der werde zunächst dengutenWillendesOctavianzugewinnenhaben.DasalleshattederweiseAnubissichselbstgesagt;demTimagenesdankteerdagegendenHinweisaufdenAriusals denjenigen Alexandriner, dem Octavian ammeistenvertraue.SowarderhohePrälatdennauchimgeheimenmitdemOheimBarinesinVerbindunggetreten.DochdieEhrfurchtgebietendeWürdeunddieGebrechlichkeitdeshohen Greisenalters verboten dem Anubis, den derRömerfreundschaft verdächtigen Arius persönlichauszusuchen.Er hatte darum seinen vertrauten Sekretär,dennochjungenHoroskopenSerapion,abgesandt,umanseinerStellemitdemFreundedesOctaviananzuknüpfen,dessen schwere Verletzung ihm verbot, das Haus zuverlassenundsichzuihmzubegeben.Während der Verhandlungen des Timagenes mit demSekretär und dem Arius war Archibius gekommen, um

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denOheimderBarinezuveranlassen,dasSeine fürdieRettungderNichtezuthun,unddaesallen,dieeswohlmit der Königinmeinten, lieb seinmußte, sie in dieserZeit derUnruhe von einer That zurückzuhalten, die, dasiedenRatsherrnDionmitbetraf,einengroßenTeilderBürgerschaftgegensieaufbringenmußte,zeigteauchderVertreter des Alexanderpriesters, sobald man ihn insVertrauengezogen,sicheifrigbereit,fürdieErrettungderGefährdeten das Seine zu thun. Die Person der Barinewie desDion kam für ihn nicht in Frage,—wohl aberwäre er bereit gewesen, ein noch größeres Opfer zubringen,umdeneinflußreichenArchibiusundihmvoranden Arius, der bei Octavian, dem neu aufgehendenLichte,vielvermochte,zugewinnen.Eben hatten die Rat haltenden Männer zu erwägenbegonnen, was für die Rettung der Barine geschehenkönnte, als die Nubierin erschienen war und demArchibius anvertraut hatte, was am Krankenbette desDion mit dem Freigelassenen und dem Gorgiasverabredetwordenwar.DieFluchtderVerfolgtenkonntefreilich nur gelingen, wenn es ihnen ermöglicht wurde,das rettendeBootunbemerktzuerreichen,unddies ließsich am besten bewerkstelligen, wenn man denunterirdischenGangbenützte,denderBaumeisterwiedereröffnethatte.Archibius, dem der Vertreter des Oberpriesters seine

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Mitwirkung in Aussicht gestellt hatte, zog nun dieversammeltenMänner ins Vertrauen, und Arius machteden Vorschlag, seine Nichte Barine mit dem Dion imTempel der Isis zu vermählen und sie dann durch dengeheimen Gang an das Boot zu geleiten. — DieserAnschlag wurde gebilligt, und der Horoskop Serapionversprach, das Heiligtum nach dem Aufbruche derProzession, die nachSonnenuntergang stattfinden sollte,auf kurze Zeit für die Flüchtlinge und ihreVermählungfrei zu halten. Für diesen Dienst ließ sich von demFreunde des Octavian, der seine Zusage mit dankbarerWärme begrüßte, vielleicht schon sehr bald ein andererverlangen.DiePriesterschaft, sagtederHoroskop,nehmesichallerungerecht Verfolgten an, und diesen wende sie ihreTeilnahme um sowilliger zu, jewohler es ihr thue, dieKönigin vor einer schwer zu billigenden That zubewahren.WasdieFlüchtlingeangehe,stünden,sovielersehe, nur zwei Möglichkeiten für sie offen: Kleopatrahalte fest anMarcAntonundgehe—dieHimmlischenmöchten es verhüten— zuGrunde, oder sie opfere ihnundbehalteThronundLeben.InbeidenFällenwürdeninnicht zu langer Zeit die Geretteten ungefährdetzurückkehren können; denn das Herz der Königin seignädigund,wokeineSchuldbestehe,nielangezuzürnengeneigt.

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Das einzelne war dann zwischen dem Archibius, derNubierinundFrauBerenike,diesichbeiderFamiliedesAriusbefand,verabredetunddemBaumeistermitgeteiltworden.So wenig wie der Schwester hatte Archibius den Rathaltenden Männern und der Mutter Barines anvertraut,wohindieFluchtderNeuvermähltensichwendete.Auchüber die Sendung des Timagenes und die politischenFragen, die ihn so ernstlich beschäftigten, teilte erCharmion nur so vielmit,wie es für dieErklärung desAbenteuers, das sie so liebevoll gefördert, notwendigerschien;sieaberbegehrtenichtmehrzuerfahren;dennso lange sie unterwegs waren, ließ sie die Furcht, daßKleopatra sie entbehrt habe und die Flucht der Barineentdecktsei,nichtzurRuhekommen.WohlerwähntesiedesWunschesderKönigin,demArchibiusdieErziehungihrerKinder anzuvertrauen, doch erst in ihrerWohnungwurdeesihrmöglich,ihnnäherdavonzuunterrichten.IhreAbwesenheitwarunbemerktgeblieben.DerRegentMardion hatte die Prozession im Namen der Königinempfangen; denn Kleopatra war in die Stadt gefahren,niemandwußtewohin.Erleichterten Herzens betrat Charmion mit dem Bruderihre Gemächer. Anukis öffnete ihnen die Thür. Sie warungestört geblieben, und dem Archibius bereitete esFreude, der klugen und treuen Freigelassenen mit

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eigenemMundeBerichtzuerstatten.Reicheraberalsmitdieser geringen Mühewaltung hätte er die bescheideneDienerin, die seinerRedewie einerOffenbarung folgte,nichtbelohnenkönnen.WennsiedenDank,mitdemerschloß, zurückwies und versicherte, an ihr sei es,erkenntlichzusein,sowardasihreredlicheMeinung.Ihrfeiner Geist unterschied genau, wie der Vornehme mitihmGleichgestelltenoderGeringerenredet,under,hinterdemfürsiealles,wasMannhieß,weitzurückstand,hatteihr denGang der Begebenheiten geschildert, als sei sieseinesgleichen. Die Königin selbst hätte mit solcherBerichterstattungzufriedenseinmüssen.Als sie hinausging, um sich unter den anderenBediensteten zu zeigen, sagte sie sich, daß sie doch einvor vielenbevorzugtesGeschöpf sei, und als ein jungerKoch sie mit dem in den Schultern steckenden Kopfeneckte, entgegnete sie lachend: »Die Achseln sind mirhochstehengeblieben,weilichsiesooftüberdieNarrenzuckte, die mich verlachen und doch nicht halb soglücklichunddankbarsindwieich.«Charmion hatte sich schwer ermüdet auf einenLehnsesselgeworfen,undArchibius ihrgegenüberPlatzgenommen. Sie befanden sich wohl zusammen, auchwenn sie schwiegen, heute aber war ihnen beiden dasHerz so voll, daß es ihnen erging, wie den schwerErmatteten, die vor Uebermüdung den Schlaf nicht

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finden.Washattensieeinandernichtalleszusagen,unddoch dauerte es eine gute Weile, bevor Charmion dasSchweigen brach und auf den Wunsch der Königinzurückkam. Sie erzählte dem Bruder, wie Kleopatragegenüber dem von den Kindern selbst erbauten Hausedazu gekommen,wiewarm und freundlich sie gewesenseiundsiedennochumwenigesspäter,aufgebrachtvonder bloßen Erwähnung Barines, höchst ungnädigentlassenhabe.»WasDubeabsichtigst,weißichnicht,«schloßsie.»aberso sehr ich sie auch liebe, muß ich mich vielleichtdennochfürdasSchwersteentscheiden;denn,sieh!Wennsieerfährt,daßicheswar,diedieTochterdesLeonaxihrunddemschändlichenAlexasentzog,welcheBegegnunghabe ichdannvon ihr zuerwarten, zumalauch Irasmirnicht mehr so nahe steht wie früher und mir ihrerseitsschon zeigte, daß sie vergaß,was sie vonmir an Liebeund Sorge empfing.—Daswird sich steigern, und dasSchlimmste ist, daß, wenn die Königin sie mirvorzuziehenbeginnt,ichesihr—willichgerechtsein—nicht zum Vorwurf machen darf; denn sie istscharfsinniger als ich und beweglicheren Geistes. DieStaatskunst,mirwarsievonjezuwider;—Irasdagegengibt dasBeste hin für dieErlaubnis,mitzusprechen,woessichumdieRegierungdesLandesundbesondersumdas nie rastende ernste Spiel mit Rom und seinenleitendenMännernhandelt.«

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»DiesSpielgingverloren,«unterbrachsiederBrudermitso tiefem Ernst, daß Charmion auffuhr und leise undängstlichwiederholte:»Verloren?«»Aufimmer,«versicherteArchibius,»wennnicht...«»DankdenOlympiern,—dochnochein›Wenn‹.«»WennKleopatrasichnichtzueinerThatentschließt,diesie zwingt, sich selbst untreu zu werden und ihr edlesBildnisfüralleZukunftzuschänden.«»Wodurch?«»WannDuesaucherfährst,wirdesimmernochzufrühsein,«»Undwennsieesthäte,Archibius?Dubistder,demsieammeistenvertraut.InDeineHutwillsiegeben,wassiemehrliebtalssichselbst.«»Mehr liebt?Du denkst, versteh’ ichDich recht, an dieKinder.«»DieKinder!Jaundhundertmal ja,—sie liebt sieüberalles!Für sie—glaub’ esmir— indenTod für sie zugehen,wäresiebereit.«»Laßesunshoffen.«»Und Du,—wenn sie das Entsetzliche beginge ... Ichkann janurahnen,umwases sichhandelt ...Stiege sieaberherabvonderHöhe,aufdersiesichbisdahinimmernochhielt,—wärestDuauchdannnochbereit...«»Für mich,« unterbrach er sie gelassen, »kommt nicht

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mehrinFrage,wassiethutoderläßt.Sieistunglücklichund wird noch tiefer, viel tiefer ins Elend geraten. Dasweiß ich, und gerade das zwingt mich, ihr mit demAufgebot allerKräfte zu dienen. Ich gehöre ihrwie derdemSerapis geweihteKlausner demGotte. Jeder seinerGedanken soll ihm geweiht sein. Ihm, der ihn schuf,widmeterLeibundSeelebisindenTod,denerüberihnverhängt.DieBande, diemich andieseFrau fesseln—Du kennst ihren Ursprung, — sind nicht wenigerunzerreißbar.Wassiewünschtundwasmich,wennicheserfülle,nichtzwingt,michselbstzuverachten,dasistimvorausgewährt.«»Dergleichen,«riefCharmion,»verlangtsienimmervomFreunde ihrer Kindheit.« Dann trat sie ihm näher undfuhr, indem sie ihm beideHände entgegenstreckte, frohbewegtfort:»SomußtestDuempfindenundreden,unddarin liegt auch die Antwort auf die Frage, diemir dieSeeleseitgesternbewegt.BarinesFlucht,dieGunstundUngunst derHerrin, Iras,mein armerKopf, der vor derPolitik zurückschreckt, während Kleopatra gerade indieserZeitscharfsichtigerVertrauterbedürfte...«»Mit nichten,« unterbrach sie der Bruder. »An denMännern allein ist es, ihr in diesen Dingen Rat zuerteilen. Verwünscht sei das Weibergeflüster amPutztisch! Schon manchen wohl erwogenen Rat derKlügstenbliesesfortindenWind,undverhängnisvoller

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könntedieStaatskunsteinerIrasnimmerwerdenalsebenjetzt, hätte das Verhängnis nicht schon das letzte Wortgesprochen.«»Fort also auch mit diesem Bedenken,« rief Charmionlebhaft, »und so wär’ ich dennmitmir im reinen!Wieimmer,sozeigstDumirauchdiesmaldenrechtenWeg.Schönhatt’ichesmirfreilichgedacht,aufdemLandgute,das wir Irenia — Friedensstätte— nannten, oder zuKanopus indemliebenkleinenPalastdieJahre,diemirnoch vergönnt sind, still zu verleben und dortzurückzukehren zu allem, was uns die Kindheitverschönte.DiePhilosophen,dieBlumenimGarten,dieDichter, — auch die neuen römischen, von denenTimagenes so erfreuliche Proben sandte, sollten dieEinsamkeitwürzen.DasKind, dieTochter desMannes,dessenLiebeichentsagte,undspätervielleichtauchihreKnaben undMädchen sollten mir die eigenen ersetzen.WiesiedemLeonaxteuergewesenwären,hätteauchichsiegeliebt.—So istmirdieZukunft inmancher stillenStundeerschienen.DochdieCharmion,die,alsdasHerzihr nochwärmer schlug und ihr das Leben offen stand,seineerstenheißenTriebefürdiefürstlicheGespielinaufden Opferaltar legte, sie sollte Kleopatra im Unglückverlassen aus eigensüchtigen Bedenken?Nein, nein!—WieDu,sogehöreauchich—komme,wasdawolle—derKöniginan.«

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SicherseinesBeifalls,schautesiedemBruderinsAntlitz,er aber schwenkte die erhobene Hand und entgegneteernst: »Nein, Charmion! Was ich, der Mann, auf michnehme, für Dich, das Weib, kann es verhängnisvollwerden...DieGegenwartistnichtsüßgenug,umsiemitWermut aus der Zukunft zu verbittern. Und doch! ...EinenBlickinihrfinsteresReichmußtDuthun,ummichzu verstehen. Du bist verschwiegen, und was Du jetzterfährst, ein Geheimnis bleibt es zwischen uns beiden.Nureins,«undhierdämpfteerdenlautenTondertiefenStimme,»nureinskannsieretten:derMorddesAntoniusoder ein schändlicher Verrat, der ihn in die Hand desOctavianusliefert.Dasistes,wasTimagenesbrachte.«»Das?«frugsiedumpfundsenktedasergrauendeHaupt.»Das,« wiederholte er fest. »Und unterliegt sie derVersuchung, wird sie untreu der Liebe, die ihr ganzesLeben durchströmte wie der Nil das Land ihrer Väter,dann, Charmion, bleibe, bleibe unter jeder Bedingung,dann halte treuer an ihr fest als je; denn dann, dann,Schwester, wird sie unglücklicher sein, zehn-,hundertfach unglücklicher, als wenn Octavian ihr allesnimmt,vielleichtauchdasLeben.«»Und so lasse ich nicht von ihr, undwas auch komme,ich halte stand bei ihr bis ans Ende,« rief die anderelebhaft. Archibius aber achtete nicht der dem ruhigenWesenderSchwestersonstfremden,begeistertenWärme

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undfuhrgelassenfort:»AuchDichgewannsie,undDichvon ihr loszulösen, scheintDir unmöglich.Vielen ist eswie uns ergangen, und es gereicht keinem zur Schande.DasUnglückisteinEisen,dasgemeineNaturenwieeinSchwert trennt und als Hammer edle nur fester aneinander schmiedet.Dir erscheint es darum gerade jetztdoppelt schwer, sie zu verlassen; aber Du bedarfst derLiebe.DasRechtzulebenundDichvordemkläglichstenRückgang zu schützen, kommt Dir so gut zu wie derseltenenFrau auf demThrone.So langeDu ihrerLiebegewißbist, halte aus bei ihr, bleibe ihr ergeben in jederLageundbis ansEnde.Aber dieGründe, dieDichvonihr fortziehen wollten zu den Büchern, Blumen undKindern, siewiegen schwer,und fehltDirderTau ihrerGnadeundLiebe,soseh’ichDichkläglichverkommen.DerFrost,dervonderKleopatraausgeht,derenHerzfürDich erkaltete, die Nadelstiche, womit Iras Dich, dieWehrlose, anfällt, sie richtenDich zuGrunde.Das darfnicht sein, Schwester, das wollen wir verhüten ...Unterbrichmichnochnicht!ErnsterwogenwardderRat,denichDirzubefolgenempfehle.NimmstDuwahr,daßdie Königin Dich immer noch liebt wie in früherenTagen,sohalteausbeiihr;solltestDuaberdasGegenteilerfahren, dann sage ihr morgen schon Lebewohl. MeinIreniagehörtDir...«»Abersieliebtmich,undthätesie’snichtmehr...«

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»DerPrüfstein liegt zurHand.Wir überlassen ihr selbstdieEntscheidung.Dubekennst,daßDueswarst,diederBarinehalf,sichihrerstrafendenGewaltzuentziehen.«»Archibius!«»Thätest Du es nicht, eine Kette von Lügen wäre dieFolge.Siehzu,obdasKleine in ihr,dassieantrieb,dasSchicksal der Tochter des Leonax in die Hand einesUnwürdigenzulegen,mächtigeristalsdasGroße!Prüfe,ob sie der entsagenden Treue wert ist, die Du ihr einLebenlangweihtest.BleibtsieDir,wassieDirwar,trotzdiesesBekenntnisses...«Hier wurde er von der Nubierin unterbrochen, dieanfragte. ob dieHerrin trotz der späten Stunde der Irasvorzusprechengestatte.»Laß sie ein,« erwiderte Archibius, nachdem er einenkurzenBlickmitderSchwestergetauscht,derenWangenseitderForderung,dieeransiegestellt,bleichgebliebenwaren. Er bemerkte es, und während die Dienerin sichentfernte,ergrifferdieHandderSchwesterundsagtemitvertrauensvollerWärme:»IchgabDirmeineMeinungzuhören;inunseremAlterabersollmansichselberberaten,undDufindestwohlauchdiesmaldasRechte.«»Ich hab’ es gefunden,« versetzte sie leise und mitniedergeschlagenen Augen. »Dieser Besuch führteschnell zur Entscheidung. Mich vor Iras schämen zumüssen,dahinsollesnichtkommen!«

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Noch war dies Wort nicht verklungen, als die jüngereVertrautederKönigindasZimmerbetrat.Siewarerregt,und indem sie sich in dem ihr wohlbekannten Raumeprüfend umschaute, frug sie nach einer kurzenBegrüßung: »Niemand weiß, wohin die Königin fuhr.MardionfertigteschonanihrerStelledieProzessionab.ZogsieDichinsVertrauen?«CharmionverneintedieseFrageunderkundigtesich,obAntoniusangekommenseiundwiesieihngefunden.»Jammervoll,« lautete die Antwort. »Um die Königinabzuhalten, ihn doch vielleicht zu besuchen, beeilte ichmich, wie es nur anging. Sie hätte eine Abweisungerfahren.Esistentsetzlich.«»Die Enttäuschung von Paraetonium kommt zu denübrigenLasten,«bemerkteArchibius.»Eine Feder im Vergleich zu dem andern,« fügte Irasunwillig hinzu. »Welch ein Schauspiel! EinezusammengeschrumpfteSeele, die nie übergroßwar, imLeib eines gewaltigen Riesen. Das Mißgeschick brichtdemEnkel desHerakles dieKniee.DenherrlichenMutder Königin zieht der Schwächling noch mit in denStaub.«»ThunwirdasUnsere,umeszuverhindern,«entgegneteArchibius fest, »Dich und Charmion stellen dieHimmlischen ihr zurSeite, um sie zu stützen,wenndieKraftihrerlahmt.DieZeitistda,euchzubewähren.«

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»IchkennemeinePflicht,«versetzteIrasmitabweisenderHerbheit.»Beweise es!« forderte Archibius ernst. »Du meinstGrundzuhaben,derCharmionzuzürnen.«»Wer meine Feinde so zärtlich ans Herz zieht, derentbehrt wohl gern meiner Freundschaft. Wo ist euerSchützling?«»DassollstDuspätererfahren,«erwiderteCharmionundtrat ihr näher. »Wenn es Dir aber bekannt ist, wirst Dumeinen, mit noch besserem Recht an meiner Liebezweifeln zu dürfen; doch nur um ein teuresWesen vorUnglück zu behüten, gewiß nicht, umDich zu kränken,trat ich zwischen Dich und Barine. Und nun laß Dirsagen:WennDumich verletzt hättest bis insMark desLebens, und alles, was demGriechenherzen teuer, riefemich auf, mich dafür zu rächen,— ich legte mir jetzt,gerade jetzt denZwangauf, diesemTriebe zu entsagen,weil es eine Liebe in dieser Brust gibt, die stärker undmächtiger ist als der grimmigsteHaß.Und dieseLiebe,wirteilensiemiteinander.Grollemir,suchemir,dieDirbisherzurSeite standwiedereigenenTochter,wehezuthunundzuschaden,dochhüteDichdabei,mirdieKraftundFreiheit zu rauben,deren ichbedarf,umderHerrinzu sein und zu bieten,was ich vermag. Eben beriet ichmit dem Bruder, ob es nicht geraten für mich sei,Kleopatrazuverlassen.«

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»Jetzt?« fiel ihr Iras auffahrend ins Wort. »Nein, nein.Das nicht! Es darf nicht sein! Sie kann Dich nichtentbehren,jetztganzgewißnicht.«»Leichter vielleicht als Dich,« versicherte Charmion,»doch für mancherlei wärenmeine Dienste in der Thatschwerzuersetzen.«»Durch nichts unter der Sonne,« rief Iras eifrig. »WennsieauchDichindiesenTagenverlöre...«»Eskommennoch finsterere,«unterbrachsieArchibius,wiegewiß seinerSache.»VielleichtmorgenschonwirstDu’s erfahren. Ob Charmion demWunsche nach RuhenachgebenoderausharrensollbeiderKönigin,hängtmitabvonDeinemVerhalten.Duwillst,daßsiebleibt,undsollst ihr darum das Ausharren nicht allzu sehrerschweren. Wir drei, mein Kind, sind vielleicht dieeinzigen an diesemHofe, denen dasGlück derKöniginmehr als das eigene gilt, und darum solltenwir keinemZwischenfall, wie er auch heiße, gestatten, unsereEintrachtzutrüben.«Da warf Iras das Haupt zurück und rief in heftigerWallung:»Warichesetwa,diesichgegeneuchverging?Ichwüßtenichtwodurch.AberCharmionundDu,—wielangewareseuchbekannt,daßdiesHerzsichaucheinerandernLiebeerschlossen;doch ihr—gerade ihrstellteteuch zwischen mich und denjenigen, nach dem meinHerz verlangte von Kind auf, und ihr, ihr schluget die

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Brücke, die denDionmit der Barine verband. Ich hieltdieVerhaßte inderHand,umsie ihmzuentreißen,unddanktedenHimmlischendafür,—aberihrbeide—esistnicht schwer zu erraten, was ihr mir noch zuverschweigen begehrt — ihr helft ihr oder standet ihrwohl gar schon bei,mir zu entrinnen. Ihr stahltmir dieRache, ihrstelltetdieSängerinwiederaufdenWeg,woder sie findenmuß, aufden icheinbesseresundälteresRecht habe, und der sich vielleicht doch noch besinnt,wer von uns als Hausfrau besser für ihn taugt, wennAlexasundseinwürdigerBrudernichtdafürsorgen,daßich und sie uns begnügen müssen, eines toten Manneszärtlich zu gedenken. Darum, daß ihr’s wißt, mein’ icheuch nichts mehr zu schulden, glaub’ ich, daß sichCharmion bezahlt machte für alles Gute, das sie mirjemalserwies.«DamiteiltesiederThürezu;aufderSchwelleaberbliebsie stehenund rief in dasZimmer zurück: »So steht es;aberdarumbinichdochbereit,HandinHandmitDir,jawie mit einer Freundin nach wie vor der Königin zudienen;dennauchDu—ichsagteesjaschon—bistzuihrem Wohlsein notwendig. Im übrigen geh’ ich ohneeuchdieeigenenWege.«

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SiebenzehntesKapitel.

KleopatrahattedengreisenAnubisaufgesucht,derjetztinderHauptstadtalsPriesterdesAlexanderdergesamtenHierarchie des Landes vorstand. Es fiel demachtzigjährigen Oberpriester schwer, den Lehnstuhl zuverlassen,dochhatteersichaufdieWartetragenlassen,umdastraurigeErgebnisderBeobachtungnachzuprüfen,diedieKöniginselbstangestellthatte.DochdieStellungderGestirnewareinesoungünstigegewesen,daßesihmum so weniger gelingen wollte, an den milderndenEinwirkungen fernerstehender Planeten festzuhalten, aufdieersieanfänglichgewiesen,jetieferKleopatraauchindiesenDingenbewandertwar.InseinemEmpfangssaalehattederOberpriestertrotzdemversichert, die Rettung ihrer eigenen Person und derSelbständigkeit Aegyptens ruhe in ihrer Hand; nur legesie ihr—daraufwiesendiePlaneten—ein furchtbaresOpfer auf,wovon seineWürde, seine achtzig Jahre undseineLiebezu ihr ihmindeszuredenverböten.Siewardunkle Reden dieser Art aus seinem Munde zuvernehmen gewöhnt, und deutete sie in ihrerWeise. Eshatte siemancherlei in so später Stunde zu demGreisegedrängt.InschwierigenLagenwarerihroftmitgutemRatezurSeitegestanden;diesmalaberführtesienichtamletztendermagischeBecherdesNektanebuszuihm,der

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ihmdurchdiePastophoren,dieihnbegleitethatten,heutezurückgegeben worden war; denn dies Gefäß hatte seitActiumnichtaufgehört,eineQuellesteterBeunruhigungfürsiezusein.Jetzt war von Kleopatra dem Lehrer ihrer Kindheit diebestimmte Frage vorgelegt worden, ob der Pokal, eineSchalemit spiegelblankemGrunde,denAntonius inderThat veranlaßt haben könnte, die noch unentschiedeneSchlacht zu verlassen und ihr zu folgen. Sie hatte sichseinervordemZusammenstoßederFlottenbedient,unddieser Umstand den Anubis veranlaßt, ihre Frage zubejahen.Vor langer Zeit war ihr das wunderbare Gerät imTempelschatzegezeigtund ihrmitgeteiltworden,daßesjedem, der einen andern veranlasse, sich auf seinemblanken Grunde zu spiegeln, gegeben sei, ihn seinemWillengehorsamzumachen.IhrVerlangennachseinemBesitze war indes unbefriedigt geblieben, und sie hattenicht wieder nach ihm begehrt, bis die rückhaltloseHingebung und heiße Liebe des Antonius ihr in derletztenZeitlauergewordenzuseinschien.Vondaanwarsie nicht müde geworden, in den greisen Freund zudringen, ihr das wundervolle Gerät zu überlassen. —Anfänglich hatte er sich mit großer Entschiedenheitgeweigert und vorausgesagt, daß der Gebrauch desmagischen Bechers ihr zum Unheil ausschlagen werde;

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als aber ihremWunscheein strengerBefehlgefolgtundihrderPokalanvertrautwordenwar,hatteAnubisselbstgeglaubt, daß nur dies eine Gefäß die Zaubermachtbesitze, die man ihm zuschrieb. Er fand in dem Pokalauch den sichersten Beweis für die das menschlicheVermögen weit überbietenden magischen Künste derhohen Göttin, unter deren Beistand der KönigNektanebus, den die Sage zum Vater des großenAlexander machte, dieses Gerät auf der Isisinsel Philaegeschmiedethabensollte.Anubishattebeabsichtigt,KleopatraseineWeigerunginsGedächtniszurückzurufenund ihrvorAugenzu führen,wiegroßeGefahresdemSterblichenbringe,überKräftezugebieten,diejenseitsseinesMachtkreiseslägen.Sieanden Phaëton zu erinnern, der auf dem Wagen seinesVaters Phoebus Apollon einenWeltbrand entzündet, alser die Sonnenrosse selbst zu lenken gewagt, war seineAbsicht gewesen; doch es sollte nicht dazu kommen;denn kaum hatte er ihre Frage bejaht, als sie mitleidenschaftlicherHeftigkeitbefahl,dasUnheilbringendeGefäßvorihrenAugenzuvernichten.Und der Priester gab sich das Ansehen, als komme ihrVerlangeneinemEntschlusseentgegen,denerausfreiemAntriebegefaßt.WirklichwarauchinihmschonvorihremErscheinendieBesorgnis lebendig geworden, der Pokal könne in

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verhängnisvoller Weise mißbraucht werden, wennOctavian Stadt und Land in Besitz nehmen und daswunderthätige Gefäß ihm mit ihnen in die Hand fallenwürde. Für Aegypter hatte Nektanebus den Bechergeschmiedet.IhndemfremdenMachthaberzuentziehen,hieß im Sinne des letzten Königs handeln, in dessenAderndasBlutderPharaonengeflossenwarundderfürseine Nation, ihre Selbständigkeit und Freiheit mitbegeisterterHingabe gerungen.DasWunderwerk diesesMannes lieber zu zerstören als es dem römischenEroberer zu überlassen, erschien dem Oberpriester,nachdemesdieKönigingeboten,alsheiligePflicht,undalssolchestellteeresauchdar,alserdasSchmelzfeueranschürenunddenBechervordenAugenderKleopatrasichineineunförmigeMasseverwandelnließ.Während das Metall auseinanderfloß, zeigte er derKöniginmitlebhaftenWorten,wieleichtsiedesGefäßesentratenkönne,das seinemagischeKraftderhohen Isisverdankte.Der Zauber anmutiger Weiblichkeit sei auch einGeschenk der Göttin. Er genüge, um das Herz desAntoniusbiegsamundgefügigzumachenwiedasFeuerdasGold.VielleichtaberhabederImperatorzugleichmitderAchtungdieLiebe derKönigin, das kostbarste allerGüter,verscherzt.Er,Anubis,würdediesalseinegroßeGunst der Gottheit betrachten; »denn,« so schloß er,

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»MarcAntonallein istdieKlippe, ander jederVersuchscheitern wird, meiner göttlichen Herrin ungeschmälertzuerhalten,wasihrundihrenKindernalsErbederVäterzukommt, und diesem teuren Lande die Selbständigkeitund Wohlfahrt zu sichern. Dieser Becher war einkostbarer Schatz. Der Thron und das Glück Aegyptenssind größerer Opfer wert. Für dasWeib gibt es freilichkeinschwereres,alsdasseinerLiebe,ichweißes.«Was der Greis mit diesen Andeutungen meinte, sollteKleopatra schon am nächstenMorgen erfahren, an demsieTimagenes,demAbgesandtendesOctavian,dieersteUnterredungbewilligte.Der scharfsinnige, lebhafte Mann, der zu denbedeutendsten ihrer Lehrer gehört, undmit dem sie alsSchülerin manchen Meinungsstreit ausgefochten hatte,war gut aufgenommen worden und hatte sich seinerAufgabe mit glänzendem Geschick entledigt. DieKönigin war seinen Darlegungen aufmerksam gefolgt,hatte ihmgezeigt, daß ihr eigenerGeist anBiegsamkeitnichtseingebüßt,wohlaberanKraftgewonnenhabe,undals sie ihn beschenkt und mit gnädigen Wortenverabschiedete, wußte sie, daß es in ihrer Hand liege,demgeliebtenVaterlandedieSelbständigkeitundfürsichund ihre Kinder den Thron zu erhalten, wenn sie denAntonius demSieger überantwortete oder ihn,wie auchimmer, »als handelnde Person« — dies waren des

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Timagenes eigene Worte — für immer aus demSchauspiele entferne, dessen Schluß glänzend oderverhängnisvollfürsichzugestalteninihrerHandliege.Als siewieder alleinwar, schlug dasHerz ihr so heftigund hatte sich solcher Aufruhr ihrer Seele bemächtigt,daßsiesichunfähigfühlte,deranberaumtenSitzungdesRates der Krone beizuwohnen. Sie verschob sie aufmorgenundbeschloß,insMeerhinauszufahren,umsichzusammeln.Antoniushatteesabgelehnt,ihrenBesuchzuempfangen.Das thatweh.MitderVernichtungdesBechers,zudemsie durch einen jener Ausbrüche der Leidenschaftgetrieben worden war, deren sie in dieser Zeit desUnglücks öfter als sonst unterlag, hatte derGedanke anden Pokal und seine verhängnisvolle Wirkungkeineswegs ein Ende genommen. Im Gegentheil! Siemußtealleinsein,sichsammelnunddiegetrübteSeelezuklärenversuchen.Der Becher hatte zum Schatze der Isis gehört, undwahrendsiesichseinererinnerte,kamenihrdieStundenindenSinn, indenensie früheroftgenugSammlung inder Stille des Tempels der Göttin gefunden. Unerkanntwollte sie dasHeiligtum besuchen, und tief verschleiertbegabsiesich,nurvonIrasunddemerstenderEinführer5begleitet,indennahenTempelamMusenwinkel.Abersie fanddortnicht,wassiesuchte.DieMengeder

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BetendenundOpfernden,dieihnerfüllte,unddieFurcht,erkanntzuwerden,störtenihrdieRuhe.AlssieschonimBegriffstand,sichzuentfernen,tratihrder Baumeister Gorgias, dem ein Gehilfe mitMeßinstrumenten folgte, entgegen. Sogleich rief sie ihnzu sich heran, und er eröffnete ihr, in wie wunderbarerWeise die Schickung selbst ihr bauliches Vorhaben zufördernscheine.DasVolkhabe,wiesiewisse,dasHausdes alten PhilosophenDidymus zerstört, und der Greis,den er als einenObdachlosen in seinHeimgeladen, seijetzt bereit, ihr das Erbe seiner Väter abzutreten, wenndie Majestät ihn und die Seinen ihres Schutzesversichere.Aus ihrer Frage, was denn das angeseheneMuseumsmitglied von ihr, der Freundin gelehrtenFleißes, befürchte, ersah er, daß sie von der Flucht derBarinenochnichtunterrichtetsei,undwiesdarumaufdieUngnade derMajestät, die die Enkelin des Philosophenauf sich gezogen. Da versicherte sie, daß, was dieSängerin auch verschuldet habe, es ihren AngehörigennichtzurLastfallensollte.Dann ließ sie sich zeigen, wie sich der Baumeister denAnschluß des Museums an das Heiligtum denke, undversenktesichindenerstenEntwurf,demGorgiaseinenTeil derNacht und denMorgen gewidmet. Er sagte ihrzu, undmit lebhafterDringlichkeit befahl sie, sobald es

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angehe, mit dem Bau zu beginnen und auch die NachtzumTage zumachen.Was sonst inMonden hergestelltwerde,seiinWochenzuvollenden.Iras und der »Einführer« hatten ihrer in schlichtenBürgerkleidernimPronaosgewartet.MitdemBaumeisterbegleiteten sie sie zu der schmucklosen Sänfte, die aneinerderNebenpfortenwartete;dochsiestiegnichtein,sondernbefahldemGorgias,siezuerst indenGartenzuführen.Bei seiner Besichtigung ergab es sich, daß derBaumeisterrechtgesehenhatteunderdoppeltsogroßalsderamPalasteaufderLochiasbleibenwerde,auchwenndasMausoleum einenTeil davon einnahmundman dieStraße, die ihn vom Isistempel trennte, an das Meerverlegte.Aus der genauen Prüfung, der Kleopatra ihn unterwarf,ersah Gorgias, daß sie etwas Bestimmtes mit ihm imSinnetrug.IhreFrage,obesangehe,ihnmitderLochiaszu verbinden, deutete an, woran sie dachte, und derArchitekt konnte sie bejahen. Es galt nur, einigeBauwerke, die der Krone gehörten, und ein kleinesHeiligtumderBerenikeimSüdendesköniglichenHafensniederzureißen. Der Arm des Agathodämonkanals, derhiermündete,warlängstüberbrückt.WunderbarschnellhattesichdasneueBild,dassichausdieser Veränderung ergab, der Königin vor das innere

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Augegestellt,undsiebeschriebesdemBaumeisterkurzundanschaulich.DerGartensolltebleiben,dochnachderLochiashinbiszuderBrückevergrößertwerden.Vonihraus war ein bedeckter Säulengang in den Palast zuführen.NachderVersicherungdesGorgias,daßsichdasalles sehr wohl herstellen lasse, schaute sie kurze Zeitsinnend zu Boden. Dann befahl sie, auch mit dieserArbeitsofortzubeginnen,undersuchtedenBaumeister,wederMittelnochArbeiterzusparen.Gorgias sah eine Zeit fieberhafter Thätigkeit vor sich,doch sie erschreckte ihn nicht. Mit solchem Bauherrnwollteersichunterfangen,dieganzeStadtzubedachen.DazuerfreuteihndieserAuftrag,weilerbewies,daßdieFrau,derenGrabmalsoschnellausdemBodenwachsensollte,auchnochdarandachte,dieAnnehmlichkeitendesLebens zu steigern; denn zwarwünschte sie denGarteneinfach zu lassen,wie erwar, die Säulengänge und dasübrige aber wollte sie aus edlem Material in schönerFormhergestelltsehen.Als sie ihm Lebewohl sagte, küßte Gorgias ihr mitfeurigerHingabedasGewand.Welch ein Weib! Sie hatte zwar den Schleier nichtgelüftet und trug einfache, dunkle Kleider, doch jedeihrerBewegungenwarvonedelsterSchönheit.DerArmunddieHand,womitsiebaldhierhin,balddorthinwies,schienen ihm wieder wie beseelt, und ihm, dem die

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vollendete Form so viel galt, fiel es schwer, von ihrerwundervollenBildungdenBlickzulösen.UnddasganzeWeib! Das waren Linien, das war echte, vornehmeEigenart und warm pulsirendes Leben! Er hatte heutemorgen,daihnHelena,jetztseineHausgenossin,begrüßthatte, sie im Geiste mit der Kleopatra zu vergleichenversucht, aber schnell davon abgelassen. Wem HebeNektar reicht, der fragt nicht nach dem edelstenByblusweine. Ein schwer zu beschreibendes, dankbaresundheiteresWohlgefühlüberkamihn,wennHelena,dieZurückhaltende, Gelassene, ihn so warmherzig undzutraulichbegrüßte;aberdasBildKleopatrasstelltesichfortwährend zwischen ihn und sie, und es fiel ihmschwer, sich selbst zu verstehen. Er hatte viele hintereinander geliebt, und jetzt schlug ihm gar das Herz fürzweiFrauenaufeinmal,unddieKöniginwarderhellereunter den beiden Sternen, deren Licht ihn entzückte. InseinerredlichenSeelehätteeresdarumfüreinenVerratangesehen,jetztumHelenazuwerben.Kleopatra fühlte, einen wie feurigen Bewunderer sie indem tüchtigen Künstler gewonnen, und es erfreute sie.Ihm gegenüber hatte sie sich keines Bechers bedient!Schon morgen begann er wohl mit dem Bau ihresGrabmals. Die Gruft mußte Raum für mehrere Särgebieten. Antonius hatte mehr als einmal den Wunschausgesprochen,woerauchsterbe,neben ihrbestattetzuwerden,undauchdaswargeschehen,bevorsieüberden

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Pokalverfügt.Siemußte ihmin jedemFallediegleicheGunst gewähren, wo und durch wen er auch den Todfand,unddemgetrübtenLichteseinesDaseinsstanddasErlöschen sicher nur zu bald bevor. Wenn sie seinerschonte,würdeOctavian ihndennochausderReihederLebenden streichen, und sie ...Wieder bemächtigte sichihrer die furchtbare, fieberhafteUnruhe, die sie zu demBefehle veranlaßt, den Becher zu vernichten und sie indenTempelgeführthatte.SokonntesiedenPalastnichtwieder betreten, nicht Rat halten, Besucher empfangenund die Kinder begrüßen. Es war heute der Geburtstagder Zwillinge. Charmion hatte sie daraus aufmerksamgemachtundesübernommen, fürGeschenkezu sorgen.WiehättesieZeitundSinnfürdergleichengefunden?SpätinderNachtwarsievomOberpriesterheimgekehrt,doch hatte sie sich genau berichten lassen, wie sie denMarcus Antonius gefunden. Die Schilderung der Irasentsprach dem Zustande, in dem sie ihn während undnachderSchlachtgesehenhatte.Ja,seindüsteresBrütenschiensichseitdemverschlimmertzuhaben.AmMorgenhatte Charmion ihr beim Ankleiden geholfen. Sie warauch im Begriff gewesen, das schwere Bekenntnis zumachen,undeinzugestehen,daßsiederBarinegeholfen,sichderstrafendenköniglichenHandzuentziehen;dochbevor sie damit beginnen konnte, war Timagenesgemeldet worden; denn Kleopatra hatte sich spät vomLagererhoben.

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WasdieKönigindurchdenGangindenTempelerwartet,war ihr versagt geblieben, doch die Beratung mit demGorgias hatte sie auf etwas Neues geführt; dieGemütsklänge aber, welche die Beschäftigung mit derletzten Ruhestätte in ihr erweckt, übertönten jetzt allesandere,wie dasBrausen derBrandung dasGezwitscherderSeeschwalbenamfelsigenUfer.Ja sie bedurfte der Sammlung! In aller Stillemußte sievieleserwägenundbedenken.AusderLochiaskonntesienichtdazukommen.DafielihrdaskleineHeiligtumderBerenikeinsAuge,dassieeinzureißenbefohlen,umdenKinderneinenfürihreSchaffenslustgeeignetenGarteninihrer Nähe zu schaffen. Es war leer. Dort brauchte siekeine Störung zu fürchten. Einen einzigen, stillen,traulichenRaummitderBildsäulederBerenikeenthieltsein Inneres. Der Einführer befahl demWächter, jedenandernBesucherfernzuhalten,undbaldumfingsiedaskleine überwölbte Rundteil von weißem Marmor. AufeinerderbronzenenBänkegegenüberderStatueließsiesichnieder.Hierwaresstill,indiesemkühlenSchweigenkonnteesihremdesDenkensgewohntenGeistegelingen,daszufinden,wonacherlechzte.Klarheit,KlarheitübersichselbstundihreLageimAngesichtderEntscheidung,vordersiestand.Anfänglich irrte er hierhin und dorthin, wie die Taube,bevor sie die Richtung des Fluges erwählt, aber schon

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nach der Frage, warum sie sich so eilig ein Grabmalerbauen lasse,wennes ihrgestattet sei, zu leben, führteihn auf die rechte Bahn.—Unter den Scythen aus derWache,denMauretaniernundBlemmyernimHeeregabeswildeGesellengenug,dieeinWortausihremMundeundeineHandvollGoldaufdengeschlagenenAntoniusgehetzthätte,wiedas»Packan!«desJägersdieDogge.Ein Wink, und unter den armseligen Zauberern undMagiern in der Rhakotis, dem ägyptischen Viertel derStadt,hättensichzwanzigwerbenlassen, ihndurchGiftoderlistigeFallenmeuchlerischzumorden,einBefehlandie Makedonier in der Garde der Mellakes oderJünglinge, und er war noch heute gefangen und, befahlsie es, morgen auf dem Wege nach Asien, wohin sichOctavianwieder,wieTimagenesversicherte,gewandt.Undwashindertesie,zudemGoldezugreifen,denWinkzugeben,denBefehlzuerteilen?Wohl dachte sie des nunmehr zerschmolzenenZauberbechers, der ihn gezwungen hatte, Ruhm, Ehreund Macht hinter sich zu werfen wie eitlen Tand, umihremGebote,sichnichtvonihrzutrennen.Gehorsamzuleisten;aberdieseErwägungbelasteteihrzwardieSeele,doch hatte sie keine entscheidende Kraft. Es warüberhaupt nichts einzelnes, was ihr die Hand und denMund schloß, es war jeder Nerv ihres Wesens, jederPulsschlag ihres Blutes, jeder Blick des in die

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Vergangenheit bis an die Grenze der KindheitzurückschauendenGeistes,deresverbot.AbersiegabauchanderenGedankenGehör.SiewiesensieaufdieKinder,dasHochgefühlderMacht,dieLiebefürdasLandihrerVäterundwasihmohnesiedrohte,dieWonne, das Licht zu schauen und das Dunkel, dasSchweigen,diedahinstreckendeStarrheitdesTodes, aufdie Vernichtung des so sorgsam gepflegten und somühevoll ausgebildeten Körpers und Geistes, auf diegräßlicheQual,diesichvielleichtmitdemUebergangausdemLeben in denTod, demSterben verband.Undwasstand ihr in jenem Dasein bevor, das die Dauer derEwigkeithatte?EinmalwaresdochausmitdemAtmenunterderSonne,undwennsiedieFristhinausschobundnicht Epikur, der mit dem Tode alles vorbei sein ließ,sonderndiealtenLehrenderAegypterdasRechtetrafen,waswarteteihrerdannimJenseits,wennsiewenigeneueLebensjahre mit dem Morde oder dem Verrate desGeliebten,desGattenerkaufte?Aber die Strafen der Verdammten waren vielleicht nurSchreckmittel,vonderdieOrdnungdesStaateshütendenPriesterschaft erdacht, um diewildenTriebe derMengeim Zaum zu halten und die zügellosen Uebertreter desGesetzes zu schrecken. Und, raunte der keckeGriechengeistihrzu,anderStättederVerdammten,nichtimAalu-Garten,denelysäischenGefildenderAegypter,

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würdesieVaterundMutterunddiegesamteSchar ihrerverbrecherischen Ahnen wiederfinden bis zum erstenEuergetes,demschonderschändlichePhilopatorgefolgtwar. Mochte der Gedanke an das Jenseits also alsunsichererVordersatz,derkeinenzutreffendenSchlußzuziehengestattete,ausdemSpielebleiben.Wiewürden—so mußte die Frage gestellt werden — die durch denMord, den Verrat eines geliebten Menschen erkauftenLebensjahresichfürsiegestalten?IndenNächtenwürdedasBilddesGemordetenihrsicherdenSchlafvondemLagerscheuchen,unddieErinnyen,die Dirae, wie der Römer Antonius sie nannte, die denMörder mit der Schlangengeißel verfolgen, sie warenkeine eitlen Ausgeburten der dichterischen Phantasie,sondern versinnbildlichten treffend die Unruhe des vonGewissensqualen hin und her getriebenen Verbrechers.Das höchste Gut, die schmerzlose Glückseligkeit derEpikuräer, für denjenigen, den solche Schuld belastete,warsieaufewigverloren.UndbeiTageundamAbend?Ja,dastandesihrfrei.GenußaufGenußzuhäufen,aberfürwensolltedasFestgefeiertwerden;seineLust,—mitwemkonntesiesieteilen?OhnedenMarcAntongabesschonlängstkeinGastmahl,keineSchaustellung,diesieerfreute. Fürwen schmückte sie sich oder half sie demschwindendenAnmutszauber nach, als für ihn?—Und

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dieser Zauber, der schon langsam, langsam, doch stetigdahinschwand, wie schnell würde die nagendeSeelenangst ihnvölligvernichten,undwennderSpiegelihr Runzeln zeigte, die die Kunst keines Olympus zutilgen vermochte, wenn sie ... Nein, sie war nicht zumAltwerden geschaffen! Die wenigen erkauftenLebensjahre, indiesichsogroßesElendmischensollte,besaßen sie wirklich einen Wert, groß genug, um dasRecht dafür preiszugeben, bei den Mitlebenden undFolgegeschlechtern die bezaubernde Kleopatra, dieunwiderstehlichste der Frauen zu heißen? Und dieKinder?Oja,eswäreherrlichgewesen,sieheranwachsenundaufdem Throne zu sehen, aber auch in diese anherzerwärmenden Einzelheiten reiche Vorstellungmischtensichbaldschwere,entscheidendeBedenken.Wieköstlich,denCäsarionanderStelledesOctavianalsBeherrscher derWelt zu begrüßen! Aber wie sollte derTräumer, den die ersten Triebe des Herzens zu derunsinnigsten Preisgabe derWürde und demBruche desGesetzes fortgerissen hatten und der nunwieder in denalten Halbschlaf zurückgefallen zu sein schien, dahingelangen?Die anderen Kinder erweckten freundliche Hoffnungen,und wie schön erschien es dem Mutterherzen, denAntoniusHeliosalsKönigvonAegypten,dieKleopatra

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Selenemit dem erstenKinde an der Brust, den kleinenAlexander als herrlichen, an Tugenden und VorzügenreichenStaatsmann undHeldenmit lebendenAugen zusehen.—Dochwasmußten gerade sie, dieKinder desAntonius,derenErziehungsichArchibiushoffentlichzuleitenentschloß,fürdieMutterempfinden,dieihnendenVatergemordet?Dabei schauerte sie zusammen, und sie gedachte derStunden, in denen ihr Kindesherz blutige Thränenvergossenhatte,wennesderverruchtenMuttergedacht,derderVatergeflucht.UnddieKöniginTryphaena,derendieGeschichtewieeinesUngeheuersgedachte,hattedenGemahl nicht ermordet, sondern ihn nur vom Thronegestoßen.DieVerwünschungenderArsinoëgegendieMutter undSchwesterkamenihrwiederindenSinn,undzudenken,daß sich die roten Lippen der Zwillinge und ihresHerzblattes Alexander auch einmal öffnen könnten, umihr zu fluchen, sich vorzustellen, daß sich die liebenHände der Kinder erhöben, um auf sie, die verruchteMörderin ihres Vaters, mit Groll und Verachtung zuweisen ...Nein,neinundabermalsnein!..UmdenPreisdieserQualen,dieserDemütigungundSchandewolltesienicht wenige Jahre eines ohnehin entwerteten Lebenserkaufen!Erkaufenvonwem?

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Von demselben Octavian, der ihrem Sohne das Erbeseines Vaters Cäsar geraubt, dessen Einsetzung in dasTestamenteinemZweifelan ihrerTreuegleichkam.Vondemkaltherzigen,kühlberechnendenGlückspilz,dessenWesen ihr, seit sie ihm inRomzumerstenmalbegegnetwar,widerstrebt,abgestoßen,angefröstelthatte.Vonihm,durch dessen Ueberredung und zwingende Gewalt ihrGemahl — denn das war Antonius in ihren eigenenAugen und in denen aller Aegypter — dahin gebrachtwordenwar,seineSchwesterOctaviazuheiratenundsie,Kleopatra, damit zur bloßenGeliebten zu stempeln, dieehelicheGeburtihrerKinderinFragezustellen,vondemfalschenFreundedesvertrauensvollenAntonius,dervorActium ihn und sie aufs tiefste herabgesetzt undbeleidigt.Dem Ansinnen eines solchen Mannes, die verruchtestealler Thaten zu begehen, Gehorsam zu leisten, dagegenbäumte ihr königlicher Stolz sich hoch auf, und dieserStolz hatte ihr von Kind an das Haupt gehoben undgehörtezuihrerNaturwiedasAtmenundderSchlagdesHerzens. Und doch! Um der Kinder willen hätte sievielleichtauchdieseSchmachaufsichgenommen,wäresie nicht zugleich das Grab des Besten und Schönstengewesen,wassievonderjungenSeelederZwillingeunddesAlexanderbegehrte.Schon während ihr der Fluch der Kinder vor die Seele

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getretenwar,hatte sie sichvondemSitzeerhoben.Wasbrauchte sie noch länger zu denken und zuwägen?DieKlarheit, nach der sie gesucht, sie hatte sie gefunden.Mochte Gorgias sich mit dem Bau der Gruft beeilen!Forderte das Schicksal ihr Leben, sie wollte ihm nichtwiderstreben,wennesihrnurgestattete,esumdenPreiseinesMordes oder schnödenVerrates zu bewahren.DasdesGeliebten,eswarschonverwirkt.SeiteanSeitemitihmhatte sie einer blühenden, rauschenden, blendendenGlückseligkeit ohnegleichengenossen, vonder dieWeltmitneidischemStaunenheutenochsprach.SeiteanSeitemit ihm wollte sie, wenn alles vorbei war, im Graberuhen und die Welt zwingen, sich des LiebespaaresAntonius und Kleopatra mit achtungsvollemMitleid zuerinnern. Die Kinder sollten, wenn sie ihrer gedachten,das Herz erheben können, und auch nicht der SchatteneinerbitterenEmpfindung,einerabmahnendenErwägungsie hindern, den Sarg der Eltern mit Blumen zuschmücken,anseinenFüßenzuweinen,ihremGeniuszuliberirenundihmzuopfern.Dannwarf sie einen Blick auf die Statue der Berenike,dieeinstgleichfallsdieDoppelkroneAegyptensaufdemHaupte getragen. Auch sie war zu früh einesgewaltsamen Todes gestorben, auch sie hatte zu liebenverstanden.DasGelübde,ihrschönesHaarderAphroditezuopfern,wennderGatteungeschädigtausdemKriegegegenSyrienheimkehrte,wardemRuhmeihresNamens

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zugutegekommen.»DasHaarderBerenike«warimmernochalsSternbildamnächtlichenHimmelzuschauen.Obgleich diese Frau viel und schwer gefehlt, hatte eineThat treuer Liebe sie zu einer gefeierten, angebetetenFürstin gemacht. Sie, Kleopatra, wollte eine größerevollbringen. Das Opfer, das sie sich aufzuerlegengedachte, sollte schwerer wiegen als eine HandvollschönerHaare,undHerrschaftundLebenumschließen.Gehobenen Hauptes und mit stolzem Selbstgefühlschaute sie zu dem edlenMarmorantlitz derKyrenäerinempor.Bevor sie in das Heiligtum getreten war, hatte sie dieEmpfindung gehabt, jetzt zu wissen, wie es denVerbrechern zu Mute gewesen sei, die sie zum Todeverurteilt. Nun sie sich selbst das Leben abgesprochenhatte, fühlte sie sich wie befreit von einer drückendenLast, und doch that das Herz ihr weh, und besonders,wennsiederKindergedachte,ergriffsievonallenArtendesMitleidsdasschmerzlichste,dasmitsichselbst.

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AchtzehntesKapitel.

Als Kleopatra ins Freie trat, erstaunte Iras über ihrverändertesAussehen.DiescharfeSpannung,dievorhinihremschönenAntlitzetwasHerbesverliehen,wardemAusdruck einer leisen Trauer gewichen, die ihm wohlstand;docheserheitertesichschnell,alsdieVertrautesieaufdenZugwies,der ebendenerstenHofdesPalastesbetrat.InAlexandriaundganzAegyptenwurdederGeburtstag,sohochesnuranging,gefeiert.DenZwillingenzuEhrenwaren darum die Kinder der Stadt ausgesandt worden,um ihnen Glück zu wünschen und zugleich ihrekönigliche Mutter der Ergebenheit und Liebe derBürgerschaftzuversichern.DerRückwegindenPalastnahmnurwenigeMinuteninAnspruch,undalsKleopatra,währendsiesichschnelleinFestgewand anthun ließ, auf die Kinderscharherunterschaute, war es ihr, als gebe ihr das Schicksaldurch diesen freundlichen Anblick ein Zeichen, daß esihrenschwerenEntschlußmitBeifallbegrüße.BaldstandsieHandinHandmitdenZwillingenaufdemAltane,vordemsichderZugaufgestellthatte,HundertevonKnabenundMädchen imAlterderPrinzenundderPrinzessinwaren gekommen. Jene trugenSträuße, diesekleine Körbchen mit Veilchen und Rosen in der Hand.

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AlleHäupterwaren bekränzt, vieleMädchenmit einemBlumengewindeumschlungen.EinChorvonJünglingenund Jungfrauen sang einen festlichen, die Götter umGlück für die hoheMutter und die Kinder anflehendenHymnus, die Führerin des Mädchenchores hielt einekurzeAnsprache imNamen der Stadt, undwährend sieredete, hatten sich die Kinder in Reihen geordnet. Diekleinsten standenvor den etwas größeren unddiese vorden größten. Einem lebendigen Garten, in dem frischeGesichterdieschönenBlumen,glichdasGanze.Kleopatra dankte für den anmutigen Gruß derBürgerschaft, die ihr durch ihr Liebstes sagen ließ, daßsieihreLiebeerwidere,unddieAugenwurdenihrfeucht,als sie mit ihrem Dreiblatt zu den Glückwünschendengetreten war und ein kleines, besonders anmutigesMädchen,dassieküßte,ihrdieArmesozärtlichumdenHals schlang, als sei sie seine eigeneMutter.EinenwiefreundlichenAnblickgewährteesauch,alsdieMädchenden Inhalt ihrer Körbchen vor sie hin auf den Bodenstreuten und die Knaben die Sträuße ihr und denZwillingen und dem kleinen Alexander mit manchemhellenRufundwarmenWunschüberreichten.Charmion hatte die Geschenke nicht vergessen, und alsKämmerer und dienende Frauen die Kinder in eineFesthalle führten, um ihnen dort Erfrischungen zureichen, ging ein so heiteres Licht von den Augen der

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Königinaus,daßihreJugendgenossinmitdemschwerenGeständnishervorzutretenwagte.Und wie so häufig gerade das, wovor uns am tiefstenbangt,wenn es zumEreigniswird, uns ein freundlichesodergleichgiltigesAntlitzzeigt,sogeschahesauchhier.Es gibt nichts Großes und Kleines im Leben. Das einekannzumandernwerden,jenachdenDingen,mitdenenwir es in Verhältnis setzen. Der größte der Menschenwird zum Zwerge neben den felsigen Riesen desGebirges,derkleinsteisteinGigantimVergleichzudenwimmelnden Ameisen im Walde. Der Bettler hält füreinenköstlichenSchatz,worüberderReicheverächtlichhinwegsieht.WasKleopatranochvorgesternunerträglicherschienenwar,wassieinUnruheversetzt,wasihreinenTeil des Nachtschlafes geraubt und sie veranlaßt hatte,ernstliche Maßregeln dagegen in Bewegung zu setzen,erschienihrjetztnichtigundkaumwertderBeachtung.DergestrigeundheutigeTaghattenDingegebrachtundsie vor Fragen gestellt, die das Verschwinden einerBarineinsReichdesUnbedeutendendrängten.Dem Bekenntnis Charmions war die Versicherungvorangegangen, sie sehne sich nachRuhe, und doch seisie bereit, bei der königlichen Freundin auszuharren injederLage,bissieihrerselbstnichtmehrbegehreundsieausihrerNäheverweise.DieserAugenblickaber,fürchtesie,seigekommen.

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DaunterbrachsieKleopatramitderVersicherung,daßsievon etwas Unmöglichem rede, und als Charmion danngestand,Barine sei entkommen,undsie sei esgewesen,diederunschuldigenund schwerbedrohtenEnkelindesDidymus zur Flucht verholfen habe, war die KöniginaufgefahrenundhattedieStirnkrausgezogen,dochnuraufeinenkurzenAugenblick.Dann hatte sie der Freundin lächelnd mit dem Fingergedroht, sie zu sich herangezogen und ernst, aber gütigversichert,vonallenUntugendenliegedieUndankbarkeitihr am fernsten. Die Kindheitsgenossin habe so vielschwerwiegende Beweise der Treue und Liebe, derOpferwilligkeit und mühevollen Leistungen bei ihr zugute, daß sie von einer That des eigenmächtigenUngehorsamslangenichtausgewogenwürden.Esbleibenoch ein stattlicher Rest übrig, auf den hin sie nur zusündigenfortfahrenmöge,ohnezubefürchten,KleopatrawerdesichvonihrerCharmiontrennen.Dawußte diesewieder, daß nichts auf Erden feindseligund scharf genug sein könne, um das Band zuzerschneiden,dassiemitdieserFrauverknüpfte.AlsihreLippen dann von dem Danke überflossen, der ihr dasHerz bis an den Rand erfüllte, bekannte Kleopatra, esscheine ihr,alssei ihrmitderFluchtBarineseinDienstgeleistet worden. Die Vorsicht, mit der Charmionverschwiegenhabe,wodiejungeFrausichverberge,sei

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ihrnichtentgangen,undesverlangesieauchnicht,eszuerfahren. Ihr genüge, daß die gefährliche Schöne demCäsarion unerreichbar geworden.—Was den Antoniusangehe, so trenne ihn jetzt eineMauer von der übrigenWeltundalsoauchvonderFrau,dieseinemHerzendochkaum näher gestanden habe, trotz der Anklagen desAlexas.DabemühtesichCharmionmitallemEifer,derKöniginzu zeigen, was den Syrer veranlasse, Barine mit soscharfemGrollzuverfolgen.EsliegeauchaufderHandundbedürfekaumeinesBeweises,daßderganzeVerkehrdes Marc Anton mit der Enkelin des Didymus weitentfernt gewesen sei, zu einem zärtlichen Verhältnis zuführen.AbernurmithalbemOhrehörteKleopatraihrzu.Aus dem Geliebten, dem jeder Schlag ihres Herzensgegoltenhatte,schienihreineteureErinnerunggewordenzusein.Sievergaßnicht,wassiemitihmunddurchihnan Glückseligkeit genossen und was sie ihm durch denZauberbecherzugefügthatte,dochmitderMauervorderLandzungeChoma,dieihnvonihrundderübrigenWelttrennte,und ihremBefehl,dasGrabmal für siebeidezubauen,wäre,meintesie,dieZeitderLiebezumAbschlußgelangt.WassichnochNeuesandiesesHauptstückihresHerzenslebens schließen konnte, war nur das Ende.Selbst derEifersucht, die ihrLiebesglück als flüchtiger,schnellwechselnderSchattengetrübthatte,meintesieaufimmerabgesagtzuhaben.

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WährendCharmionversicherte,keiner,außerdemDion,dürfesichrühmen,vonderBarineerhörtwordenzusein,undmancherleiausihremfrüherenLebenerzählte,weilteKleopatrainGedankenbeidemGeliebten.WiedasBildeinesteurenVerstorbenenstandihrdieallesüberragendeHeldengestaltdesAntoniusvordeminnerenAuge.Dabeitrat ihr nur ins Gedächtnis, was er ihr vor Actiumgewesenwar. Sie verlangte und hoffte nichtsmehr vonihm,andemsieesvielleichtverschuldethatte,daßereingebrochenerMannwar.AberdieseSchuldzusühnenwarsie ja entschlossen.Mit Leben und Thron wollte sie esthun.DasbrachtedieRechnungzumAbschluß.Wasdieihr bleibende Lebensfrist etwa noch zu dem Ergebnissefügteoderdavonabzog,kammitindenKauf.Das Erscheinen des Alexas unterbrach sie. Mitglühendem Eifer beklagte sich der Syrer, das ihmbewilligte Recht, über eine Schuldige das Urteil zusprechen,sei ihmdurchschmählicheRänkegeschmälertworden. Er ertrage das besonders schwer, weil ihm dieMöglichkeitabgeschnittenwerde,fürdieVerfolgungderEntwichenen zu sorgen. Antonius habe ihn mit demAuftrage beehrt, den Herodes für seine Sachezurückzugewinnen. Noch heute nacht werde erAlexandria verlassen. Da von dem menschenscheuenImperatorindieserAngelegenheitnichtszuerwartensei,hoffeervonderKönigin,daßsieeinensolchenEingriffin ihre verletzteWürde ahnden und gegen die Sängerin

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wie gegen ihren letzten Geliebten, den Dion, der denSohn des Cäsar mit tempelschänderischer Handmißhandelthabe,strengeMaßregelnergreifenwerde.DochKleopatrawies ihnmit fürstlicherHoheit in seineSchrankenzurück,gebotihm,dieserAngelegenheitnichtmehr vor ihr zu gedenken, undwünschte ihm dannmiteinem wehmütigen Lächeln guten Erfolg bei demHerodes, an dessen Rückkehr zu der verlorenen SachedesAntoniussiefreilich,sohochsieauchdasGeschickdesVermittlersstelle,nichtglaube.Alsersichentfernthatte,riefsiederCharmionzu:»Warich denn blind? Dieser Mann, er ist ein Verräter! Wirwerden es erfahren.WohinDion sein jungesWeib auchführte, laßsiesichgutverbergen,nichtvormir,sondernvordiesemSyrer.Esistleichter,sichvordemLöwenzuschützen als vor dem Skorpion. Du, Freundin, sorgedafür,daßArchibiusmichheutenochaufsucht.Ichmußmit ihm reden, und, nicht wahr, von einer TrennungzwischenunsbeidenistnichtmehrdieRede?Einandererkommt bald genug, der diesen Lippen auf immerverbietet.DeintreuesAntlitzzuküssen.«DamitschloßsiedieJugendgenossinnocheinmal indieArme, und als Iras hinzutrat, um für den Lucilius, denzuverlässigstenFreunddesAntonius,umGehörzubitten,sagte Kleopatra, die den neidischen Blickwahrgenommen hatte, womit sie dieser Umarmung

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zusah:»Sahichfalsch,wennichzubemerkenmeinte,Dufühltest Dich zurückgesetzt hinter Charmion. die dochmeine ältere Freundin? Das wäre nicht recht; denn ichliebe und brauche euch beide. Du bist ihre Nichte undschuldest ihrvielGutesvonKindan.VergißdarumdasGeschehene,wie iches that,wennesDichauchumdieHerzerquickung bringt, Dich an einer Verhaßten zurächen, und haltet die alte freundliche Genossenschaftaufrecht. Mit dem einzigen dank’ ich es Dir, was dieTochter des reichen Krates sich nicht kaufen kann unddas sie doch wohl nicht gering schätzt: die Liebe ihrerköniglichenFreundin.«Damit schloß sie auch Iras in die Arme, und als dieseging,umdenLuciliuszurufen,dachtesie:»SovielLiebewie diese Frau hat keine gewonnen, darum besitzt sievielleicht einen so reichen Schatz davon und kann sounsäglichglücklichmachendurchLiebe.Oderwurdesiesovielgeliebt,weilsieganzvollvonLiebezurWeltkamundsiegleichsamausstrahltwiedieSonnedasLicht?Soverhält es sich gewiß. Gerade ich habe Grund, das zuglauben; denn wen liebte ich wohl außer ihr? Keinen,nicht einmal mich selbst, und wie ich auch sinne, ichwüßteniemand,vondemichglaubendürfte,daßermichliebe...AberwarumverschmähtemichDion,denichsoinnig ...?Närrin!WarumzogMarcAntondieKleopatraderOctaviavor,dienichtwenigerschönwar,derenHerzihm gehörte,— in deren Hand die Herrschaft über die

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halbeWeltlag?«Damit ging sie und führte bald darauf den RömerLuciliusderKöniginzu.EinewackereThathattediesenMannmit demAntonius verbunden. Nach der Schlachtbei Philippi, als das Heer der Republikaner schon floh,warBrutusnahedarangewesen,vonfeindlichenReiternaufgehoben zu werden; Lucilius aber hatte, auf dieGefahr hin, niedergemacht zu werden, sich für ihnausgegebenunddadurch,wennauchnuraufkurzeZeit,ihn gerettet. Das war dem Antonius ungewöhnlich undedelerschienen,undinseinergroßmütigenWeisehatteerihmnichtnurvergeben,sondernihnseinerFreundschaftgewürdigt.LuciliusdankteesihmundhieltmitderselbenTreuewie andemBrutus auchan ihm fest.BeiActiumhatteerdieGunstdesAntoniusaufsSpielgesetzt,umihnabzuhalten,derKleopatranachdieSchlachtzuverlassen,undihndannaufderFluchtbegleitet.Jetztleisteteerihmin seiner Zurückgezogenheit auf dem ChomaGesellschaft.Gebeugtundniedergeschlagen tratdernochvorkurzemjugendfrische ergrauende Mann der Königin entgegen.SeinwohlgebildetesAntlitzhatte inden letztenWocheneine starke Veränderung erfahren. Die Wangen wareneingefallen, die Züge schärfer geworden. Die gutenAugen hatten einen wehmütigen Ausdruck gewonnen,undalserderKleopatraüberdasErgehendesFreundes

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Auskunft erteilte, gewannen sie einen feuchtenSchimmer.Vor der unglücklichen Schlacht war er einer ihrerbegeistertstenBewunderergewesen;seiteraberhattemitansehenmüssen,wiederFreundundWohlthäterRuhm,Glück und Ehre preisgab, um der Kleopatra zu folgen,grollte er ihr. Diesen Gang hätte er sich sicher erspart,wäre er nicht überzeugt gewesen, daß sie, die denGeliebtenzuGrunderichtete,dieeinzigesei,dieihnausder mutlosen Erschlaffung zu neuer Thatkraft undDaseinslusterweckenkönne.Aus Freundschaft, von keinem entsandt, kam erungerufen, um der Frau, die er früher so aufrichtigbewundert hatte, ans Herz zu legen, den in sich selbstzusammengesunkenen Unglücklichen aufzurichten undihnanseineMannespflichtzuerinnern.VielNeueshatteer ihr nicht zu berichten; denn auf der Seefahrtwar sieselbst lange genug Zeuge des traurigen Zustandes ihresGatten gewesen. Jetzt begann sich Antonius in ihm zugefallen,— und das war es, was den treuenMann amschwerstenbeunruhigte.Der Imperator hatte den kleinen Palast, den er auf demChoma bewohnte, sein Timonium genannt, weil er sichmitdemberühmtenMenschenhasser ausAthenverglichund auch er von manchem früheren Freunde verratenwordenwar,nachdemdasGlückihnverlassen.Schonbei

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Taenarum war ihm eingefallen, sich auf das Chomazurückzuziehen und es durch eine Mauer, die es vomFestlande abschnitt, so unzugänglich zumachen,wie esdas Grab des Timon bei Halae in der Nähe von Athengewesenseinsollte.Gorgiashattesiehergestellt,undwerden Weltflüchtigen besuchen wollte, mußte zu SchiffekommenundumZulaßbitten,derübrigensnurwenigengewährtward.Kleopatra hörte demLucilius teilnahmsvoll zu und frugdann, ob es denn nichts gebe, wodurch man denTrübsinnigenerfreuenoderaufmunternkönne.»Nein, Herrin,« versetzte jener. »Am liebstenvergegenwärtigt er sich, was er einmal besaß, aber nur,um zu beweisen, wie wenig es die Mühe lohne, sichseinerzuerinnern.›WelcheGenüssehättemirdasLebennicht geboten?‹ fragt er und fügt dann hinzu: ›Aber siekehrtenwiederundwieder,undhattemansichzehnmalanihnenerfreut,warensieeintöniggewordenundhattendie Anziehungskraft verloren.Was sie später nach sichzogen, war Ueberdruß bis zum Ekel.‹ Nur dasNotwendige, wie Wasser und Brot, läßt er gelten, abernach beidem verlangt ihn nicht, weil er noch wenigerGeschmackdaranfindealsandemanderen,womitmansich den nächsten Morgen verdirbt. Gestern in einerbesondersdüsterenStundekameraufdasGoldzureden.Es sei vielleicht noch am ehesten wert, seiner zu

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begehren. Sein bloßer Anblick erwecke freundlicheHoffnungen, weil so viele Genüsse darin verborgenlägen. Aber dann lachte er auf und rief, diese Genüsseseien es ja eben, die die häßliche Uebersättigungerzeugten.AuchdasGoldseinichtwert,dieHanddafürzurühren.»SolcheGedanken spinnt er gern aus und findetBilder,umdeutlichzumachen,waserdamitmeine.›ImSchnee auf der höchstenHöhe‹, sagte er, ›erstarrendie Füße. Im Schlamme haben sie’s warm; aber derdunkleSchmutzisthäßlichundbleibtanihnenhängen.‹Dabemerkteich,zwischendemMorastunddemSchneederBergegebeesdie sonnigenThäler, indenenes sichwohl sein lasse; er aber fuhr auf undwies es weit vonsich,sichjemitderkläglichenMittelstraßedesHorazzubegnügen. Dann fuhr er auf: ›Ja, ich bin unterlegen.Octavian mit seinem Agrippa, sie sind die Sieger, aberwenneinSteinmichzermalmtoderdieplumpeTatzedesElefantenmichzerquetscht,binichdochhöhergeartetalsbeide.‹«»DaswarwiederderalteMarcAnton!«riefKleopatra;indem treuenManneaber regte sichvonneuemderGrollgegen die Frau, die den Uebermut genährt, der seinengewaltigenFreundzuFallegebracht,under fuhrdarumfort: »Aber oft sieht er sich auch in anderem Lichte.›Mein Leben,‹ rief er neulich aus, ›keinDichter könnte

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sich ein unwürdigeres erdenken. Ein Satyrspiel mit derTragödieamEnde.‹«Lucilius hätte noch viel Kränkenderes hinzufügenkönnen;dochdemwehenBlickder feuchtenAugendessoschwerheimgesuchtenWeibesgegenüberbrachteeresnichtüberdieLippen.Indasmeiste,wasdergebrocheneMannsprach,wußteerKleopatra irgendwie zu verflechten. Zuweilen that er esmitmaßlosingrimmigenVorwürfen,dochöfternochmitnochmaßloseremEntzückenundwildenAusbrüchenderheißesten Sehnsucht, und gerade sie waren es, die denLucilius in der Hoffnung bestärkten, der Einfluß derKönigin werde sich wirksam auf den Freund erweisen.Darum hinterbrachte er ihr einige besonders warmeWorte,dieAntoniusihremAndenkengewidmet,undmitdankbarerFreudehörtesieihmzu.Als Lucilius schloß, bemerkte sie indes, derMenschenfeind habe gewiß auch in anderem Sinne vonihrundwohlauchvonderOctaviageredet.AuchaufdasSchlimmsteseisiegefaßt;gehöresiedochsicherzudenKlippen,andenenseineGrößegescheitert.DahatteLuciliussichdesWorteserinnert,dasAntoniusden drei Frauen gewidmet, deren Gemahl er gewesen,und zaudernd erwidert: »Die Fulvia, das Weib seinerJugend—ichkanntedieheißblütigverwegeneFrau,diefrühere Gattin des Clodius, — er nannte sie den

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Sturmwind,derihmdieSegelgeschwellt.«»Gut, gut,« rief Kleopatra. »Das that sie. Er dankt ihrviel;aberauchichbinderVerstorbenenverpflichtet.Sielehrte ihn, dieMacht desWeibes erkennen und sich ihrfügen.«»Nicht immer zu seinemBesten,« versetzte Lucilius. indem der letzte Satz die geschwundene Mißempfindungneuerweckte,undohnedes leisenErrötensderKöniginzuachten,fuhrerfort:»VonderOctaviasagteer,sieseijener geradeWeg gewesen, der zur Zufriedenheit führtunddiejenigen,diees sichauf ihmgenügen lassen,denGötternundMenschengenehmmacht.«»Warumließersich’sdannnichtaufihmgenügen?«fuhrdieKöniginauf.»In derSchule derFulvia,« versetzte derRömer, »warddie Genügsamkeit wohl am letzten gelehrt, die seinerNatur—Dukennstsie—sofremdist.Waserüberdiestillen Thäler und die gute Mitte denkt, hörtest Du jaeben.«»Ich aber, was bin ich ihm gewesen?« verlangte dieKöniginzuwissen.Da schaute Lucilius kurze Zeit sinnend zu Boden; —dannentgegneteerzögernd:»Du verlangst es zu hören, und derBefehl derKöniginfordertGehorsam!Dich,Herrin,nannteereinköstlichesSiegesmahl, bei dem die bekränzten Gäste vor der

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Schlachtschwelgen.«»Die verloren geht,« fügte die Königin mit gedämpfterStimme rasch hinzu. »DerVergleich ist gut. Jetzt, nachderNiederlage,wäreeswidersinnig,einneuesFestmahlzu rüsten. Die Tragödie nähert sich dem Ende; da dasSatyrspiel—sosagteerjawohl—ihmschonvoranging,würdeseineAusführungindernächstenZeitnurzueinerlästigen Wiederholung führen. Eins freilich scheint mirerwünscht: ein versöhnlicher Schlußakt. Glaubst Du, esliege in meiner Hand, den Gatten dem Lebenzurückzugeben, so zähle auf mich. Das Siegesmahl,wovon er sprach, nahm lange Jahre in Anspruch. DerNachtisch wird kurz sein; doch bin ich bereit, ihnaufzutragen.Als ich ihn zu besuchenwünschte,wies ermichab.InwelcherWeisestellstDuDirdieAnnäherungvor?«»Das glaube ich,« entgegnete Lucilius, »Deinemweiblichen Feingefühl überlassen zu sollen. Doch ichkommeauchmiteinerBitte,und ihreErfüllungschließtvielleichtdieAntwortinsich.Eros,dertreueLeibsklavedes Marc Anton, stellt das demütige Gesuch an DeineMajestät, ihm einige Augenblicke zu schenken. DukennstdenwackernBurschen.ErläßtdasLebenfürDichwie für den Herrn, und er ... Von Dir selbst hörte ichfrüher einmal das Wort des Königs Antiochus, daßniemand vor seinem Leibsklaven groß sei ... So sieht

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auch Eros die Schwächen und Vorzüge des Herrn ausgrößererNähe alswir andern, und er ist klug.Antoniusgab ihn längst frei, und wenn es DeinerMajestät nichtwiderstrebtdengeringenMannzuempfangen...«»Laß ihn kommen.« entgegnete Kleopatra. »DasVerlangen,dasDuanmichstellst,istberechtigt.WasichandemFreundegutzumachenhabe,istmirleiderselbstnur zu wohl bewußt. Schon bevor Du kamst, war ichbedacht, Vorbereitungen für die Erfüllung eines seinerwärmstenWünschezutreffen.«Damit entließ sie den Römer. Mit geteiltenEmpfindungen sah sie ihn gehen; denn die Sehnsuchtnach dem Langentbehrten war neu in ihr erwacht, unddoch klangen die kränkenden Worte, die er ihremAndenkengewidmet,noch in ihrnach.Kaumaberhattesich die Thür hinter dem Lucilius geschlossen, als derEinführer eine Deputation derMitglieder desMuseumsmeldete.Die gelehrten Herren kamen, um sich über das ihremGenossenDidymus zugefügteUnrecht zu beklagen undihrer treuen Gesinnung auch in dieser schweren ZeitAusdruck zu geben. Kleopatra versicherte sie dagegenihrer Huld und erklärte, daß sie dem alten Philosophenschon angeboten habe, ihm volle Genugthuung zugewähren.SieseijagewissermaßeneinederIhren.Jedervon ihnenwisse,daßsie ihreBestrebungenvon jungan

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ehre und teile. Zum Beweise dafür verehre sie derBibliothekdesMuseumsdie ausPergamus stammendenzweimalhunderttausend Bände, eines der schönstenGeschenke,womitMarcAntonsie jeerfreutunddiesieihrer Bücherei bis dahin nur als geliehenes Gutüberlassenhabe.DadurchhoffesiedendemDidymuszuihrerBetrübnis zugefügten Schaden gut zumachen unddenVerlust wenigstens teilweise auszugleichen, der derberühmtenBibliothekdesMuseumsdurchdenBrandimBruchiumerwachsen.MitlebhaftenVersicherungendesDankesunddertreuenErgebenheit entfernten sich die Gelehrten. Die meistenwaren ihr persönlich bekannt, und mit denhervorragendstenhattesiedenGeistzurFreudeundzumNutzenbeiderTeilegemessen.Die Sonne war bereits untergegangen, als ein schongestern angekündigter Auszug der Priester, des Serapis,des höchsten Gottes der Stadt, sich auf der Lochiaszeigte. Von Fackeln- und Laternenträgern begleitet,wallte er lang, ernst, in feierlicher Großartigkeit dahin.DemWesendesSerapisgemäß,erinnertedabeivielesandenTod.Die Bedeutung jeder Bildsäule, jeder Standarte, jedenSchreines, jeder Besonderheit der Musik und desGesanges war der Königin vertraut. Selbst diewechselnden Farben des Lichtes hatten eine auf den

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KreislaufdesWerdensundVergehensimWeltallundimMenschenleben bezügliche Bedeutung, und dergroßartigeSchlußderHuldigung,derdieAufnahmederköniglichen Seele in das Wesen der Gottheit, dieApotheose der Herrscherseele, darstellte, war wohlgeeignet,dasHerzzuergreifen;dennunerwartetumfloßeinMeer vonLicht den gesamtenZug, undwährend inseinem Glanze die gewaltigen Massen des PalastesaufleuchtetenunddieSeemitdenSchiffenundMasten,die sie bedeckten, und das Ufer mit seinen Tempeln,Pylonen, Obelisken und Prachtbauten erstrahlten,vereintensichsämtlicheChöre,umtöntvondenKlängenderPosaunen.CymbelnundLautenzueinemgewaltigenHymnus, dessenWellendengestirntenHimmelunddasoffeneMeerjenseitsdesPharuserreichten.An den Tod und die Auferstehung, die Niederlage undeinenihrfolgendenSiegunterdemBeistandedesgroßenSerapissolltemanchesinnbildlicheVorführungerinnern,undalsdieFackelnsichentferntenundzugleichmitdempriesterlichen Gesang im Dunkel der Nachtverschwanden,hobKleopatradasHaupt,undeswarihr,alshabedasGelübde,dassiesichwährenddesdumpfenGreisengesanges und des Verlöschens der Fackelngeleistet,dieBilligungdesGotteserhalten,denihreVäternachAlexandriagebrachtunddortaufdenThrongesetzthatten, damit er das Wesen der griechischen undägyptischenGötterinsichvereine.

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Ihr Grabmal, es sollte erbaut werden, und wenn dasVerhängnissicherfüllte,denGeliebtenundsieselbstmitihm ausnehmen. Aus den bitterenWorten des Antoniuswie aus dem Blicke und dem Tone der Stimme desLuciliushattesiegelesen,daßerwiederMann,andemihrHerzauchjetztnochmitunlösbarenBandenhing,siefür Actium und den Fall seiner Größe verantwortlichmachten. Die Welt, sie wußte es, würde es ihnennachthun,dochsiesollteerfahren,daßwennesdieLiebegewesen,diedenerstenMannseinerZeitumRuhmundHerrschaft betrogen, diese Liebe des allerhöchstenPreiseswertgewesenwar.Wasman ihr eben sinnbildlich vorgeführt hatte: daß esdemerlöschendenLichtebeschiedensei, sich inneuem,strahlenden Glanze zu erheben, sie wollte es sichgegenwärtig erhalten, wenn auch das beste Gelingenkaum weiter führen konnte, als die noch glimmendenFunkenanzublasenundihrVerlöschenhinauszuschieben.Für ihre Person gab es keinen großen Sieg mehr zuerstreiten,derdesKampfeswertgewesenwäre.DennochsolltendieWaffennicht ruhenbis ansEnde, sollte auchAntoniusnichtalsneuerTimonmurrendundwieein inder Schlinge gefangenes Wild unterliegen. Das FeuerseinerHeldennatur, das die blinde Liebe zu ihr und dieMacht dermagischenKunst,womit sie ihm denWillengebunden, mit erstickender Asche bedeckt hatte, sie

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wollteeswiederzuneuemBrande—wennesauchnureinletztesAufflackernwar—zwingen.Während sie demErstehungshymnus derSerapispriesterlauschte, hatte sie sich die Frage gestellt, ob es nichtangehen werde, dem zu neuer Thatkraft erwachtenAntoniusdenSohndesJuliusCäsarzumMitkämpferzugeben.Anders als sie gehofft, hatte sie den Knaben freilichwiedergefunden.WarereinmalzueinemkühnenStreichefortgerissenworden,schienerschonanihmdieThatkrafterschöpft zu haben; denn dem kläglichsten Liebesgramergeben, brütete er vor sich hin. Doch er war ja nochleidend.AlsGenesenermußte er zu regerTeilnahmeanden Ereignissen erwachen, die so tief in sein Daseineinzuschneidendrohtenund,wieesdergeringsteSklavethat,dieNiederlagevonActiumbeklagen.Bis jetztwarer den Berichten über die Schlacht, die man ihmaufgedrängt hatte,mit einerGleichgiltigkeit gefolgt, dienur, wenn man sie auf seine Verwundung schob,erklärlichundverzeihlicherschien.SeinHofmeisterRhodonhattevorhinumUrlaubgebetenund dazu bemerkt, daß es dem Cäsarion in seinerAbwesenheit nicht an Gesellschaft fehlen werde, da erdenAntyllusundeinigeandereAltersgenossenerwarte.Aus den Fenstern des Empfangssaales des »Königs derKönige«strahltehellerLichtglanz.EswarnochZeit,ihn

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auszusuchenund ihmbegreiflichzumachen,umwasessich auch für ihn handle. O, wenn es ihr gelänge, denGeist des Vaters in ihm zu erwecken!Wäre doch jenerstrafbare Ueberfall ein Vorbote künftiger Mannesthatengewesen!Noch hatte keine Begegnung mit ihm diese Erwartungbegründet, doch für das Mutterherz wird selbst dieEnttäuschung leicht zu der Stufe, die einer neuenHoffnung entgegenführt. Als Charmion eintrat, um denLeibsklaven des Antonius zu melden, befahl sie, ihnwartenzu lassen,undersuchtedieFreundin,siezudemSohnezubegleiten.Als beide sich den Gemächern näherten, die Cäsarionbewohnte, tönte ihnen die laute Stimme des Antyllusdurch die breite offene Thür, deren Vorhang nur halbverschlossen war, entgegen. Das erste Wort, das dieKönigin unterschied, war ihr eigener Name, und sowinktesiederBegleiterinundbliebmitihrstehen.BarinewarwiederderGegenstanddesGesprächs.Der Sohn des Antonius erzählte, was ihm von Alexasberichtet worden war. Kleopatra, hatte der Syrerversichert, habe beabsichtigt, die junge Frau in dieBergwerkeoder indieVerbannungzuschickenunddenDion schwer zu bestrafen; nun aber wären beideentwischt. Die Epheben hätten sich wie Verräterbenommen,indemsiefürihrenFeindeingetretenwären.

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Aber das komme davon, daß man sie noch nicht mitihremGewandebekleidet.DazuhoffeerdenVaterauchzu bewegen, wenn er erst wieder von derbeklagenswertenMenschenscheulasse.Dannmüssemanihn auch überreden, sich selbst um die Verfolgung derFlüchtlingezubekümmern.»Unddaswirdnichtschwerhalten.« rief er übermütig, »denn der Alte weiß, wasschön ist, und hat selbst ein Auge auf die Sängeringeworfen. Fangen sie sie ein. so stehe ichDir übrigensfür nichts, Du ›König der Könige‹; — denn trotz desgrauen Bartes sticht er uns noch allesamt aus bei denWeibern, und für die Barine — wir erfuhren es ja —fängtderMannerstan,etwaszugelten,wenndasHaarsich ihm lichtet. Ich gab dem Trabanten Derketäus denAuftrag,allseineLeuteaufdieSuchezuschicken,underistschlauwieeinFuchs.unddieHäscherhaben ihmzugehorchen.«»Müßte ich hier nur nicht liegen wie ein toter Esel,«seufzteCäsarion,»ichwolltesieschonfinden.BeiNachtwiebeiTagekommtsiemirnichtausdemSinne.Wasichan Geld hatte, gab ich schon hin für ihre Verfolgung.Gestern ließ ich auch denVerwalter Seleukus kommen.WozubinichderSohnmeinerMutter?DerkleineDickeaber ist der Sauberste nicht. Noch will er freilich nichtdaran,undesmußdochGeldgenugdasein.ImDeltaander syrischen Grenze steckte die Königin Millionen indenSand.MansolldorteinviereckigesLochgrabenoder

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etwasdergleichen,umdieFlottedarinzuverstecken.Ichverstand den unsinnigen Anschlag nur halb. Hundertevon Spürhunden hätten sich für das Geld anwerbenlassen.SowirftmandieTalentehinaus,unddemSohneverschließtman dieKasse.Aber ich finde schon einen,der sie mir öffnet! Haben muß ich sie, und gilt es dieKrone.WieeinHohnklingtesohnehinimmer,wennsiemichden›KönigderKönige‹nennen.Ichtaugenichtfürdie Herrschaft! Bevor ich den Thron wirklich besteige,wirdman ihnmirohnehinnehmen.Wirunterlagen,undglückt es uns, einen Frieden zu schließen, der uns dasLeben läßt und einiges andere, müssen wir uns ebenbescheiden. Ich für mein Teil bin zufrieden mit einemLandgut am Wasser, Geld genug und zu dem allemBarine.WasgiltmirdiesAegypten?AlsSohndesCäsarhätt’ichüberRomzugebieten,—dochdieHimmlischenwußten,wassiethaten.alssiedemVatereingaben,michzu enterben. Um die Welt zu regieren, muß man einwenigerstarkesSchlafbedürfnishaben.Eigentlich—ihrwißtesja—fühl’ichmichimmermüde,auchwennichsonstgesundbin.InFriedensollmanmichlassen!DeinVater,Antyllus, streckt ja auch dieWaffen und läßt dieDingegehen,wiesiewollen.«»Daß er es thut!« rief der Sohn des Antonius mitunwilligemEifer. »Aberwartet nur!Der schlummerndeLöwe wird wieder erwachen, und wenn er die ZähnebrauchtunddiePranken...«

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»Dann läuft meine Mutter davon und Dein Vater ihrnach,« versetzte Cäsarion mit einem tief wehmütigen,nichtswenigeralshöhnischenLächeln,»’sistebenallesverloren. Aber Rom läßt die besiegten Könige undKöniginnen am Leben. Im Triumphzug wird man denSohndesCäsardenQuintennichtzeigen.Dazuseh’ ichdem Vater zu ähnlich. Es gäbe einen Aufstand, sagtRhodon,wenn ichmich auf demForumzeigte.Komm’ichnocheinmaldahin—beimTriumphzugdesOctaviangeschiehtesgewißnicht;dennfürdieseArtderSchandebinichnichtgemacht.Siewürdemicherwürgen,undeh’icheinemanderndieFreudegönnte,denSohndesCäsarhinter sich her zu ziehen, um den eigenen Ruhm zusteigern, machte ich dem ohnehin nicht sonderlichreizvollen Leben nach guter Römerart zehn-, nein,hundertmaleinEnde.WasistdennsüßeralsfesterSchlaf,undwer störtmich undwecktmich, wenn der Tod dieFackelvormirsenkte?Aber jetztwenigstensbleibtmir,denk’ ich, das Aeußerste erspart. Was man mir sonstzufügen könnte, wird meine Kraft kaum übersteigen.Wenn einer, so lernte ich, mich zu bescheiden. ZurGenügsamkeit ward der ›König der Könige‹ undMitregent der Großkönigin beharrlich erzogen. Wasmüßte ich sein, undwas bin ich?Doch ich klage nichtund will auch niemand verklagen. Wir brauchen denOctavian nicht zu rufen, und ist er da,mag er nehmen,was erwill,wenn er nur dieMutter amLeben läßt, die

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ZwillingeunddenkleinenAlexander,denenichallesamtgut bin, und mir das Gut, wovon ich sprach. — volleFischteiche sind die Hauptbedingung — als meinEigentum zuweist.DemPrivatmanneCäsarion, der sichmitAngeln und denBüchern, die er gern liest, dieZeitvertreibt,wirdmanwillig gestatten, sich einWeib nachseinem Geschmacke zu wählen. Von je geringererHerkunft sie ist, desto sicherer gewinn’ ich die ZusagedesrömischenVormunds.«»WeißtDu,Cäsarion,«unterbrachihnhierderunbändigeSohn des Antonius und streckte, tief in das Polsterzurückgelehnt,dieFüßeweitervonsich,»wennDunichtder›KönigderKönige‹wärst,hätteichLust,Dicheinennichtswürdig niedrig denkenden Burschen zu nennen.Wer das Glück hat, der Sohn des Julius Cäsar zu sein,sollte es doch nicht so schmählich vergessen.DieGalleliefmirüberbeiDeinemGewinsel.BeimHunde!EinermeinerdümmstenStreichewares,DichmitderSängerinzusammenzubringen!Fürden›KönigderKönige‹gäb’esjetzt,dächt’ich,anandereszudenken!DazugiltstDuderBarine so viel wie der letzte Wels, den Du fingst. Siezeigte es deutlich genug. Uebrigens, laß es Dir nocheinmalgesagtsein:GlücktesdemDerketäus,dieSchönezufangen,dieDichumdenVerstandbringt,sofolgtsieDirdarumnochlangenichtaufDeinelendesGut,umDirdieFische,dieDuangelst,zukochen;dennhabenwirsiewieder,undmeinVaterstrecktnurdieHandnachihraus,

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so war all Deine Mühe vergebens. Er sah die blondeHerzensbrecherin ja nur zweimal, und es fehlte ihm anZeit, ihr näher zu kommen, doch sie gefiel ihm, underinnereichihnansie,werweiß,wasgeschieht?«Hier winkte Kleopatra der Vertrauten und kehrtegesenkten Hauptes in ihre Gemächer zurück. Dort erstbrach sie das Schweigen und sagte: »Das Horchen,Charmion,istgewißderKöniginnichtwürdig,bekämenaber alle Lauscher so Schmerzliches zu hören, brauchtemannichtmehraufdieThürspaltenundSchlüssellöcherzuachten.Bevor ichdenErosempfange,muß ichmichsammeln. Und eins noch! Ist das Versteck der Barineauchsicher?«»Ichkenneesnicht,dochArchibiussagtes.«»Gut. Man sucht sie eifrig genug, wie Du hörtest, undmansoll sienicht finden.Daßsieesnichtwar.diedemKnaben nachstellte, freut mich. Wozu kann uns daseifersüchtige Herz nicht verleiten?Wäre sie zur Stelle,ich sänne darauf, ihr, ich weiß nicht was, zu gewährenwegendesAntoniusunddesfalschenVerdachtes.Undzudenken, Alexas hätte sie — und ohne DeineDazwischenkunft wär’ es geschehen! — in dieBergwerke geschickt! Es ist eine furchtbare Mahnung,auf der Hut zu sein. Vor wem? Immer zuerst vor dereigenenSchwäche.DieserTagistderderErkenntnis.Einedles Ziel; doch auf demWegewerden die Füße blutig

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gerissen und das Herz, — ja, Charmion, das arme,schwache,enttäuschteHerz!«DabeiseufztesietiefaufundstütztedasHauptmitdemaufdemTischenebenihrruhendenArm.Dieglänzende,schön gemaserte Platte von Thyaholz hatte den Preiseines großen Landgutes, die Edelsteine an den Ringenund Spangen, die ihr von Hand und Armentgegenblitzten, den eines Fürstentums gekostet. Daskam ihr in den Sinn, und von zornigem Widerwillenergriffen, hätte sie all den kostbaren Tand am liebstenweitvonsichindasMeeroderindiezerstörendeFlammegeschlendert.AlsBettlerin,sagtesiesich,würdesiesichgernmitdemGerstenbrot des Epikur begnügen, hätte sie dafür demSohne auch nur die Gesinnung des leichtfertigenSausewinds Antyllus einzuflößen vermocht. Für soohnmächtig, so gering hatten ihre schlimmstenBefürchtungen den Cäsarion nicht gehalten. Es duldetesie nicht mehr auf dem Polster, und während siegesenkten Hauptes rückwärts in die Vergangenheitschaute,riefderAnklägerindereigenenBrustihrzu,daßsie jetzt ernte, was sie gesät. Zurückgedrängt,niedergehaltenhattesiedieerwachendeWillenskraftdesKnaben,umihnimGehorsamzuhalten.JedeBetätigungseinesKönnens oder Strebens inweiterenKreisen hattesie zu verhindern gewußt. Mit manchem inneren

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Vorwande war es freilich geschehen. Warum sollte derSohndasstilleGlücknichtzukostenbekommen,dessensie imEpikuräergarten zuKanopus genossen?Undwardie Forderung, daß, wer einst zu befehlen habe, erstgehorchen lernen müsse, nicht aus alten Erfahrungenbegründet?Aber dieser Tag gehörte der Abrechnung und Klärung,und zum erstenmale fand sie den Mut, sich selbst zubekennen,daß ihrder eigenebrennendeEhrgeizbeiderErziehung des Cäsarion die Bahn vorgezeichnet. Mitkühler Berechnung hatte sie seine Gaben nichtniedergehalten.Nurangenehmwaresihrgewesen,ihnsowunschlos heranwachsen zu sehen. Ruhe gegönnt hattesiedemTräumer,ohneihnzuerwecken.Wieoftwarihrdie Gewißheit erfreulich erschienen, daß dieser Sohn,dem Antonius bei dem Triumph über die Parther denTitelihresMitregentenverliehenhatte,sichniegegendiemütterliche Vormundschaft auflehnen werde. Das Wohldes Staates war doch in ihrer bewährten Hand bessergeborgenalsindereinesunerfahrenenKnaben.UnddasHochgefühlderMacht!IhrhobesdasHerz.Solangesielebte, wollte sie Königin bleiben. Die Herrschaft aufeinen andern,wie er auch heiße, zu übertragen,war ihrunmöglich erschienen. Jetzt wußte sie, wie wenig derSohnnachsohohenDingentrachtete.DasHerzzogsichihr zusammen.DerSatz:Du erntest,wasDugesät, ließihr keine Ruhe, und wohin sie auch in das vergangene

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Leben schaute, überall erkannte sie die Frucht desSamens,den sie selbst indenBodengesenkt.UnterderLast derUnheilsähren senkte sich das Feld.Eswar reiffürdenSchnitter.Dochbevor erdieSensehob,galt es,dasRechtdesBesitzerswahren.Gorgias solltedenBauderGruftbeschleunigen;denn lange ließdasEndenichtaufsichwarten.Wiesiedies,wennderSieger ihrkeineandere Wahl ließ, würdig zu gestalten habe, war ihrsoeben von dem Sohne, dessen sie sich schämte,vorgeschrieben worden. Die tiefste Schmach mit derGeduld zu tragen, die die Mutter ihm anerzogen,wenigstensdasverbotihmdasedleväterlicheBlut.Es war spät geworden, als sie den Leibsklaven desAntonius vorließ. Doch für sie sollte die Thätigkeit derNacht erst beginnen. War er gegangen, galt es nochstundenlang mit den Befehlshabern des Heeres, derFlotte, derBefestigungswerke arbeiten.DasWerben umBundesgenossen mußte in herzbewegenden Briefenfortgesetztwerden.Eros, der Leibsklave des Antonius, erschien. Die gutenAugen füllten sich ihm bei diesem Wiedersehen mitThränen. Der Fülle seines runden, hübschen GesichtshatteauchderKummerkeinenEintraggethan.dochderAusdruck des schalkhaften, oft übermütigen Frohmuteswar einemwehmütigenZuge amMundegewichen, undseinblondesHaarhattezuergrauenbegonnen.

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DieMitteilung des Lucilius, Kleopatra willige ein, sichdemHerrn wieder zu nähern, war ihmwie der AnfangeinerneuenSonnenachlangerDunkelheiterschienen.InseinenAugenmußte sich alles, nicht nur seinHerr, derMacht der Königin beugen. Er hatte mit angehört, wieAntonius zu Tarsus über die ägyptische Schlangegewettert, die er für die fraglicheGesinnunggegen ihn,einenaltenFreund,undgegendieSachedesCäsarzahlenlassenwerde,zahlen,daßdieSchatzhäuseramNilmagerwerdensolltenwieeinausgetrunkenerWeinschlauch.—undschonwenigeStundenspäterwarerihrmitLeibundSeeleverfallengewesen.SowaresfortgegangenbiszumTagevonActium.Jetztgabesnichtsmehrzuverlieren;aber was konnte Kleopatra dem Herrn nicht allesgewähren und geben? Er dachte dabei nur nebenher andie köstlichen Jahre, in denen sich sein Antlitz sorundlich gefüllt und jeder Tag Augen und Ohren,Gaumen und Nase, und daneben auch die Neugier mitGenüssenundSchaustellungengesättigthatte,wiesiedieWelt niewieder sehenwürde.Wollten sie sich—wennauchnurinbescheidenerForm—wiederholen,—umsobesser! Worauf es ihm hauptsächlich, ja beinahe alleinankam, das war, den Herrn aus dieser elendenEinsamkeit, diesem garstigen Weltverächterwesen zubefreien,dasihmsoschlechtstand.AnzweiStundenhatteKleopatraihnwartenlassen,docher hätte gern noch dreimal so lange im Vorzimmer

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Fliegen gefangen, wenn sie sich seinemRate zu folgenentschloß. Er war wert der Beachtung, und Eros hieltnichtmit ihmzurück.WieAntonius dasErscheinenderKleopatra selbst aufnehmen würde, konnte man nichtwissen. Er schlug darum vor, sie möge Charmionschicken,undzwarnichtallein,sondernmitihrerklugen,krummen Zofe, der der Imperator selbst den Namen›Aisopion‹ gegeben. Der Charmion sei er gut, und diebrauneDienerinkönneernichtansehen,ohnemitihrzuscherzen. Wenn der Herr aber nur einmal wieder auchanderen als ihm, demEros, ein heiteresGesicht gezeigtund gekostet habe,wie vielwohler das Lachen thut alsdas mürrische Vorsichhinbrüten und Grollen, dann seiviel gewonnen, und das andere werde Charmion schonmachen, wenn sie ihm nur freundliche Worte von ihrüberbringe.BisdahinhatteKleopatraihnnichtunterbrochen;alssieaberderVermutungWortelieh,dieschnelleZungeeinerSklavin werde an der ernsten Schwermut eines vomfurchtbarsten Mißgeschick geschlagenen Mannes nurwenigändern,schwenkteErosdiebreite,kurzeHandundsagte: »Möge die göttliche Majestät einem geringenMannedieoffeneRedeverzeihen,aberunsereinemgebendieVornehmenmancherleisorgloszusehen,wassievoreinander verbergen. Nur dem Allerhöchsten undGeringsten, der Gottheit und dem Sklaven, zeigen sichdieGroßenunverstelltwiesiesind.DieOhrensollman

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mirstutzen,wennesdemImperatorsogar tiefgehtmitdemMenschenhaßundderSchwermut.EineVerkleidungist das alles, inder er sich ebengefällt.Duweißtdoch,wie gern er sich in besseren Tagen als Dionysos zeigteund die Rolle des Gottes mit so hinreißend heiteremUebermut spielte. Jetzt verbirgt er das wahre, froheGesichtunterderMaskedesmenschenscheuenTiefsinns,weilesihmschlechtzupassenscheintfürdieseZeitdestraurigenElends.ManchmalgibtereinemfreilichDingezu hören, die die Haut schaudern machen, und in sichselbstversunken,brüteterauchoftvorsichhin.Aberdasdauert nie lange, wenn wir allein sind. Komm’ ich miteinerrechtlustigenGeschichte,underbringtmichnichtvon vornherein zum Schweigen, so kannst Du daraufrechnen, daß er siemit einer noch tolleren übertrumpft.Neulich erinnerte ich ihn an den Fischfang, bei demDeine Majestät einen gesalzenen Hering von demTaucher an seinenAngelhaken hatte stecken lassen. DahättestDuihnlachenundausrufenhörensollen,wasfürköstlicheZeitendasdamalsgewesen!DieedleCharmionsollihnnurdaranerinnernunddieAisopionesmitetwasHeiterem würzen. Auch die Nase — sie ist nur klein,dochaufsiehältjederammeisten—geb’ichher,wennsie ihn nicht dazu bringen, das gräßliche KrähennestmittenimMeerzuverlassen.AuchderZwillingeunddeskleinenAlexandersollensiegedenken;dennwennermirvon ihnen zu reden erlaubt, glättet sich ihm am

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schnellsten die Stirn. Von seinem großenVorhaben, einmächtiges Reich des Ostens mit Alexandria alsHauptstadtzugründen,sprichternochoftgenugmitdemLucilius und den anderen Freunden. Das Kriegerblutkommt auch nicht zur Ruhe. Neulich mußte ich denkrummen persischen Säbel, den er hier ja gern führt,sogarschärfen.Mankönntenichtwissen,sagteer,wozuer noch gut sei. Dabei schwang er ihn mit demgewaltigen Arme. Beim Hunde! Die Kraft von dreiJünglingenstecktnochindemergrauendenRiesen.Isternur erst wieder bei Dir, unter Kriegern und Rossen, sowirdallesnochgut.«»Laßesunshoffen.«versetztesiefreundlichundverhießihm,seinemRatezufolgen.Als Iras. die der Charmion im Dienste gefolgt war, sienach mehrstündiger Arbeit zur Ruhe geleitete, fand siedieKönigin still und traurig.Gedankenvoll ließ sie sichdieHandreichungenderVertrautengefallen.NachdemsiedasLagerschonbestiegenhatte,brachsiedasSchweigenundsagte:»DaswareinschwererTag,Mädchen,underbrachte doch nichts als die Bestätigung einer alten,vielleichtderältestenLehre.Jedererntetnur,wasersäte.DerKeim,derdemKornentsprießt,dasDu indieErdesenktest, zertreten läßt er sich wohl, doch keineMachtderWeltzwingtdenSamen,sichanderszuentfaltenundandere Frucht zu bringen, als die Natur es ihm

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vorschrieb. Mein Saatkorn war schlecht. Jetzt in derErntezeitzeigtsich’s.EineHandvollguterWeizenkörnerbringenwiraberdochaufdenSpeicher.Fürsiegiltes,solangesnochZeitist,zusorgen.Morgen frühwill ichmitdemGorgias reden.Wennwirzu bauen hatten, zeigtest Du guten Geschmack undbrachtest uns auch wohl auf neue Gedanken. LegtGorgiasunsdiePlänefürdasGrabmalvor,sounterziehstDu sie mit mir der Prüfung. Du hast ein Recht darauf;denn irre ich nicht, werden wenige das vollendeteBauwerkhäufigerbesuchenalsmeineIras.«Da fuhr dasMädchen auf, und indem es die Hand wiezumSchwureindieHöheschwang,riefes:»AufmeinenBesuchwartetDeinGrabmalvergebens;—DeinEndeistauchdasmeine.«»DavormögendieGötterDeineJugendbewahren,« fielihrdieKöniginimToneernsterAbwehrinsWort;»nochlebenwirundwollenkämpfen.«

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NeunzehntesKapitel.

Die Nacht brachte Kleopatra wenig Schlaf. EineRückerinnerung hatte sich an die andere, Erwägung anErwägunggeknüpft.Wassiegesternbeschlossen,wardasRechte. Heute schon sollte die Ausführung beginnen.Was nun auch kommen mochte, sie war für jeden Fallgerüstet.BevorsieandieArbeitging,gestattetesiedemVermittleraus Rom, sie noch einmal zu begrüßen. Was demTimagenes an Beredsamkeit und Verführungskunst, anWitz undScharfsinn innewohnte, bot er auf.Er verhießauch wiederum der Kleopatra Leben und Freiheit undihrenKinderndenThron;daeraberaufderAuslieferungoder dem Tode desMarcus Antonius als VorbedingungfürjedeweitereVerhandlungbestand,bliebsiefest,undenttäuscht und ohne jede Zusage begab sich derUnterhändleraufdenHeimweg.Nachdemergegangenwar,sahsiemitIrasdiePlänefürdasGrabmaldurch,dieGorgiasgebrachthatte,dochdietiefeErregungihrerSeeletrübteihrdieAufmerksamkeit,undsieersuchteihn,späterwiederzuerscheinen.Alssiealleinwar,suchtesiedieBriefehervor,dieihrCäsarundAntonius geschrieben.Wie fein, wie klug und liebevollwarenjene,wieglühend,wieüberschwenglichunddochwahr empfundendiedesüberstarkenReitergeneralsund

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feurigen,dieMassemit sich fortreißendenRedners,denihrezarteFrauenhandsichnachgezogenhatte,wohinsiebegehrte.DasHerzschlugihrschnell,wennsiedesWiedersehensmit ihm gedachte, das ihr wohl bald bevorstand; dennCharmion hatte sich mit der Nubierin zu ihm begeben,um ihn einzuladen, sich wieder mit ihr zu vereinen.Schon vor mehreren Stunden waren sie gegangen, undmit wachsender Ungeduld erwartete sie ihre Rückkehr.FürdenletztengemeinsamenKampfhattesieihnzusichberufen. Daß er kommen würde, bezweifelte sie nicht.Wollte es ihmdanndochgelingen, sichnoch einmal zuermannen!Was so engwie sie beide zusammengehörte,dassollteauchinfesterVereinigungimletztenKampfe,warderSiegversagt,unterliegenundsterben.JetztwurdeArchibiusgemeldet.EsgereichteihrzurBeruhigung,ihmindastreueAntlitzzu schauen, das so viele der bestenErinnerungen in ihrwachrief.Rückhaltslos erschloß sie ihmdieSeele, und als er sichwieverjüngtaufrichtete,währendsie ihmeröffnete,daßsie sichnieundnimmerdurchdenVerratdesGeliebtenundGattenbefleckenwerdeundentschlossensei,würdigihres Namens zu sterben, da lehrte sie der Blick seinesAuges,daßsiedasRechtebeschlossen.Bevor sie ihm noch die Bitte vorgetragen, sich der

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LeitungundErziehungderKinderanzunehmen,schlugerihranseigenemAntriebevor,ihnenseinebesteKraftzuwidmen.DerGedanke,denGartendesDidymusmitderLochiaszuverbindenundihndenKleinenzuüberlassen,fand seinen Beifall. Daß sie beschlossen habe, sich einGrabmalzubauen,wußteerschonvonderSchwester.Eslasse sich ja hoffen, sagte er, daß es ihr erst in spätenJahrendieThoreöffnenwerde.Da schüttelte sie wehmütig das Haupt und rief:»Verstände ich doch in jedemGesichte zu lesenwie indemDeinen!Wenneiner,sowünschtmeinArchibiusmireinlangesLeben;docheristsoweisewietreuunddenktdarum,dasErdendaseinseimitnichteninjedemFalleeinGlücksgut.Dazu sagt er sich:DieserKöniginundFrau,meiner Freundin, stehen Dinge bevor, die es vielleichträtlich erscheinen lassen, von dem großen VorrechteGebrauch zu machen, das die Himmlischen denSterblichen bewilligen, wann es ihnen genehm ist,abzutreten von der Schaubühne des Lebens. Mag siedarum das Grabmal erbauen! — Las ich recht in demalten,vertrautenBuche?«»Imganzen, ja,« versetzte er ernst. »Nur steht auch aufseinen Seiten geschrieben, daß es einer großen Fürstinund treuen Mutter nur dann erlaubt ist, die letzteWanderunganzutreten,vondereskeineWiederkehrgibt...«

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»Wenn,«fielsieihminsWort,»wenneinschmachvollesEnde, wie ein widriger Heuschreckenschwarm die Luftverdunkelnd, das Feld zernagend und vernichtend, aufihren freundlichen Anfang, die glänzende Mitte, denunglückseligenAbschlußzufallendroht,ichweißesundwilldanachhandeln.«»Und,«fügteArchibiushinzu,»auchdiesenSchlußwirstDu, treu Deiner Art, wahrhaft königlich gestalten.Unterwegs, in der Nähe des Choma, traf ich dieSchwester. Du sandtest sie zu Deinem Gatten. Diedargebotene Hand, er wird sie ergreifen. Nun es alleseinzusetzengilt oder zuunterliegen,wirdderEnkeldesHerakles die alte Heldenkraft neu bewähren. Vielleichtzwingtersogar,angefeuertvondemZurufundBeispielderGeliebten,das feindlicheSchicksal, ihmneueGunstzuerweisen.«»Das geht seinen Lauf,« unterbrach Kleopatra ihn fest.»DochAntoniussollmirhelfen, ihmHindernisse indenWeg zu türmen, und welche Felsmassen vermag seingewaltigerArmzu schleudern,wenn es ihmgefällt, dieRiesenkraftzugebrauchen.«»UndebnetDeinhoherGeistihmdiePfade,dann,Herrin...«»Auch dann ist derAusgang der Tragödie der Tod undder jederScenederFehlschlag.DerGedanke,dieFlotteüberdieLandengeindasarabischeMeerzubringen,war

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ernichtkühnundvielverheißend?AuchdieFachmännerbegrüßten ihn mit Beifall, und doch erwies er sich alsunausführbar. Das Schicksal selbst grub ihm das Grab.Und dazu die schrecklichen Vorzeichen vor und nachActium, unddieSterne, dieSterne!Allesweist auf dennahenUntergang,alles!JedeStundebringtdieNachrichtvom Abfall eines Fürsten oder Befehlshabers.Wie voneinerWarteüberschaueichjetzt,wasderSaatentwuchs,die ich säte. Taube Aehren oder Giftkorn, wohin ichblicke.Unddoch!Du,dermeinLebenkenntvonAnfangan,—mußichdasHauptverhüllen,wennsichdieFrageerhebt,wasKleopatraanGeistundGaben,anFleißundanWillenzumGutenbewährte?«»Nein,Herrin,tausendmalnein.«»Und dennoch entarteten und verdarben die Früchte anjedemBaume,denichpflanzte.Cäsarionwelktschoninder Blüte dahin, — durch wessen Schuld, ich weiß esleider nur zu gut. Die anderen Kinder zu erziehen,nimmst Du jetzt auf Dich. An Dir ist es darum, zubedenken,wasmichdahinführte,woichjetztstehe,undwiemanihrSchiffvorIrrfahrtundScheiternbewahre.«»Laß sie mich zu Menschen erziehen,« versetzteArchibius ernst, »und sie vor demVerlangen bewahren,mit den Göttern in die Schranken zu treten. Aus derschlichtenKleopatra imEpikuräergarten, die denGutenundWeiseneineWonne,wurdestDudie ›neue Isis‹, zu

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derdieMengeberauschtundgeblendetHerz,AugenundHände erhob. Die Zwillinge Helios und Selene, SonneundMond,wirwollensievondemHimmelaufdieErdeversetzen;Menschen,Griechen sollen siewerden.Nichtin den Garten des Epikur, in einen andern will ich sieverpflanzen, wo eine strengere Luft weht. An seinerPfortesollnichtzulesenstehen:›HieristdashöchsteGutdie Lust,‹ sondern: ›Dies ist eine Ringschule für denCharakter.‹WerdiesenGartenverläßt,sollihmnichtdasTrachtennachGlückundWohlseindanken,sonderneineunerschütterlich feste sittliche Gesinnung. Wie Du, sosind auch Deine Kinder im Morgenlande geboren, dasdas Ungeheure liebt, das Uebermenschliche, dieUebertreibung. Vertraust Du sie mir an, so sollen sielernen, sich selbst zubeschränken.AmSteuer stehedersittlicheErnst,derdieheitereDaseinslustunseresVolkesnicht ausschließt, die Segel stelle das Maßhalten, deredelsteVorzugdesgriechischenWesens.«»Ichverstehe,«unterbrach ihnKleopatraundsenktedasHaupt.»Mitdem,wasdenKindernzumHeilegedeihensoll, führst Du derMutter vorAugen,was ihr gebrach.Eben weil es ihr fehlte, meinst Du, scheiterte ihrFahrzeug,undvielleichthastDurecht.Schonlängst,ichweißes,brachstDumitdenLehrendesEpikurwiemitdenen der Stoa und suchst,mit einem ernstenZiele vorAugen,eigeneWege.MichrissendieStürmedesLebensmeilenweit fortvonderStilledesGartens,wowirnach

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der reinsten Lust strebten. Jetzt lernte ich die Gefahrenkennen,diedemjenigendrohen,derinderGlückseligkeitdas höchste Gut sieht. Sie steht zu hoch für denSterblichen; denn im bunten Treiben des Lebens bleibtsieihmunerreichbar,unddennochistsieeinzuniedrigesZielfürseinRingen;dennesgibtdafürwürdigereZiele.Aber ein Wort des Epikur ließen wir uns beide gesagtsein, und es kamuns zu gute bis heute: ›DieWeisheit‹,heißt es, ›kann keinen köstlicheren Beitrag für dieGlückseligkeit des gesamten Lebens erwerben als denBesitzderFreundschaft.‹«Damit reichte sie ihm die Hand, und während er siebewegt an die Lippen zog, fuhr sie fort: »Dem letztenVerzweiflungskampfe,Duweißtes,geh’ichentgegen,—fügen es die Götter, Schulter an Schulter mit demAntonius. Deinem Erziehungswerke aufmerksam zufolgen,bleibtmirdarumversagt,aberfördernwillichesdennoch.WenndieKinderDichnachderMutterfragen,wirstDuDirZwang anthunmüssen, um ihnen nicht zusagen:›StattnachderschmerzlosenSeelenruhe,deredlenLustdesEpikur,dieihreinstalsdasHöchsteerschien,zustreben, jagte sie unersättlich nach schnell verrauschtenGenüssen; maßlos vergeudete die Morgenländerin dieschönenGaben ihresGeistes und dasGut ihresVolkes,unterthan den raschen Trieben ihrer leidenschaftlichenSeele.‹ Aber Du sollst ihnen auch antworten dürfen:›Eurer Mutter Herz war voll von heißer Liebe, sie

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verachtetedasGeringe,sierangnachdemHöchsten,undalssiefiel,zogsiedemVerratundderSchandedenTodvor.‹«Hier stockte sie, denn sie meinte nahende Schritte zuvernehmenundriefdannbesorgt:»Ichwarteundwarte.VielleichtkannAntoniussichdochnichtdenArmenderlähmendenVerzweiflung entwinden.Den letztenKampfohne ihn und doch unter seinen düster grollenden, einstsosonnigenAugendurchzufechten,das,Archibius,wäreder größte Schmerzmeines Lebens. Dem Freunde, Dir,der inderBrustdesKindesdieLiebezudiesemMannekeimensah,Dirdarfichbekennen...Dochwasistdas?...EinAufruhr...HatdasVolksicherhoben?Gesternnochversicherten die Vertreter der Priesterschaft, die Herrenvom Museum, die Führer des Heeres mich ihrerunwandelbarenErgebenheit undLiebe.Dion gehörte zuden makedonischen Männern des Rates ... Doch icherklärte ja schon derWahrheit gemäß, ich hätte nie anseineVerfolgunggedachtwegendesCäsarion. Ichweißnichteinmal,woersichmitderNeuvermähltenbefindet,und will es nicht wissen. Oder sollte die neueSteuererhebung,dasGebot,andieSchätzederTempelzurühren,siezumAeußerstentreiben?WaswillstDu!WirbrauchenGold, um demFeinde die Stirn zu bieten, umdemThrone,demLandundVolkdieSelbständigkeitzubewahren.OderhättemanetwavonRomaus?...Eswirdernst—undderLärm,erkommtnäher.«

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»Laßmich sehen,was sie begehren,« fiel ihrArchibiusbesorgt ins Wort und eilte auf die Thür zu, aber derAnführer öffnete sie eben und rief in das Gemach:»Marcus Antonius nähert sich der Lochias, und halbAlexandriafolgtihm!«»DerhoheImperatorkommtzurück,«klanges,bevorderHöfling noch ausgeredet hatte, dem Obersten derTrabanteneilfertigvondenbärtigenLippen,undwährender noch sprach, drängte Iras sich an ihm vorüber undkreischtewie außer sichderGebieterin zu: »Erkommt!Er istda! Ichwußte ja,daßerkomme.Wiesieschreienund jubeln! Heraus mit euch, ihr Männer! Ist es Dirgenehm, Herrin, so treten wir ihm von dem Altan derBerenikeausentgegen.Hättenwirnur...«»DieZwillinge,derkleineAlexander,«fielihrKleopatratotenbleich und mit stockender Stimme ins Wort. »DieFestgewänderihnenanthun!«»SchnellfortzudenKindern,Zoë!«ergänzteIrasdiesenBefehlundklatschtedazuindieHände.Dannwandtesiesich der Königin zu mit der Bitte: »Ruhe, Herrin, ichbeschwöreDich,Ruhe!EsbleibtunsgenügendeZeit.Daist schon die Geierkrone der Isis und hier das andere.Sein Sklave Eros kam eben atemlos herein. DerImperator, sagt er, erscheine als neuer Dionysus. EswürdedenHerrngewißfreuen,—aufgetragenhabeeresihmnicht—wennDu ihnalsneue Isisbegrüßtest.Hilf

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mir, Hathor ... Du, Nephoris, trägst dem Einführer auf,Sorge zu tragen, daß die Wedelträger und der übrigeHofstaat, Frauen und Männer, am Platz sind. Hier diePerlen-undDiamantenkettenfürHalsundBrust.Vorsichtmit dem Gewande! Zart wie ein Spinngewebe ist derdurchsichtigeBombyx,undwennihrihnzerreißt...Nein,DudarfstDichnichtweigern!Wissenwirdochalle,wiees ihn freut, seine Göttin in göttlicher Pracht undSchönheitzusehen!«Ohneweiterzuwiderstreben,mitneuerglühtenWangenundhochklopfendenHerzensließKleopatrasichdasmitglänzenden Perlen und funkelnden Edelsteinen übersäteFestgewand anthun. Angemessener ihrem Gefühle undlieberwäreesihrgewesen,demWiederkehrendenindemschlichtendunklenGewandentgegenzutreten,dassieseitder Heimkehr nur bei feierlichen Anlässen mit einemreicheren vertauscht hatte;Antonius aber kam als neuerDionysus, und Eros wußte, womit dem Herrn einGefallengeschah.AchthurtigeFrauenhände,zudenensichdiegeschicktenFinger der Iras oft gesellten, tummelten sich, und baldkonntedasMädchenihrdenSpiegelvorhaltenundihreinaus tiefstem Herzensgrunde kommendes: »Wie dieschaumgeborene Aphrodite und die goldene Hathor!«zurufen.Dann öffnete Iras, die, während sie den Schmuck der

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geliebten Herrin leitete, Liebeskummer, Haß und Neidvergessenundmitten inder stürmischenThätigkeitZeitzu einem kurzen, heißen Gebet um einen glücklichenAusgang dieser Begegnung gefunden hatte, die breitenFlügelderThürsoweit,alsgeltees,denAndächtigenimTempel das aus dem Allerheiligsten hervortretendeGötterbildzuzeigen.Ein lange forthallender Ruf derUeberraschung und desEntzückens tönte ihr entgegen; denn draußen warteteihrerschondasschnellzusammengerufeneGefolge,vomergrauten Epistolographen bis zum jüngsten Pagen.FestlichgeschmückteFrauen imPalastdienstehobendielanghinwallende Schleppe des Mantels auf, andere inpriesterlicher Kleidung prüften die Beweglichkeit derRinge an den Stäben des Sistrums, die Männer undKnaben traten reihenweise nach dem Rang eines jedenzusammen,undderobersteWedelträgergabdasZeichenzum Aufbruch. Nach einer kurzen Wanderung durcheinige Säle und Gänge gelangte der Zug in den erstenPalasthofunderstiegdortaufwenigenStufendenbreitenAltan amEingangsthore, vondemaus sichdasgesamteBruchium und die Königsstraße übersehen ließ, auf derderErwartetedaherkam.AusderFernehattedasGeschreiderMengebedrohlichgeklungen,jetztaberließsichausdemohrenbetäubendenLärm jederRufdesWillkomms, jeder froheGruß, jeder

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Ausdruck des Jubels, der Ueberraschung, des Beifalls,der Bewunderung, der Huldigung, den die Sprache derHellenenundAegypterkennt,herausvernehmen.NurdieMitteundderSchlußdesZugeswarsichtbar.DieSpitze wurde beim Musenwinkel, wo er sich zwischendem Isistempel und dem Grundstücke des Didymusfortbewegte, von den alten Bäumen des Gartens denBlicken entzogen. Das Ende reichte immer noch bis andasChoma,vondemerausgegangenwar.Ganz Alexandria schien sich ihm angeschlossen zuhaben.GroßundKlein,HochundNiedrig,AltundJung,Krüppel und Lahme mischten sich unter das Gedrängeund wurden mit Wagen und Pferden, Lasttieren undKarren wie von einem wild zu Thale jagendenBergstrome mit fortgerissen. Hier kreischte es laut aufaus einer umgestürzten Sänfte, deren Trägerzusammengebrochen waren, dort schrie ein zu BodengerissenesKind,daheulteeinunterdieFüßederMengegeratenesHündchenkläglichauf.SogroßundstarkwardasJubelgeschrei,daßesdieFlötenundTambourine,dieCymbelnundLautenderMusikbandenlautübertönte,diedem herannahenden Menschen im Göttergewandefolgten.Jetzt ließ die Spitze des Zuges denMusenwinkel hintersichundwurdevondemAltanaussichtbar.KeineFrage,wemergalt,dennderHeimkehrendewallte

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ihm, alles hoch überragend, voran. Von dem goldenenThronsitze aus, den zwölf schwarze Sklaven auf denSchultern trugen, begrüßte er, mit dem langenThyrsusstabe winkend, die jubelnde Menge. Vor dembacchischenAufzuge, der ihn begleitete, undhinter denMusikchören her, die ihm folgten, schritten zweiElefanten dahin, zwischen denen als leichte Last einunkenntliches, mit einem purpurroten Tuche bedecktesEtwasschwebte.JetzthattederZugdiehohePforte,dasPylonenpaar, durchschritten, das den Palast von derKönigsstraße trennte, und nun hielt er gegenüber demAltane.WährendTrabanten,SkythenundLeibwächtervonjederHautfarbezuFußundzuRoßdiedrängendeVolksmasse,wofreundlicheMahnungennichtausreichten,mitGewaltzurückhielten, sah Kleopatra den Freund dem ThroneentsteigenunddemindischenSklaven,derdieElefantenführte, einZeichengeben.DasTuch flogzurSeite,unddenerstauntenBlickenzeigtesicheinBlumenstrauß,wieernochkeinemAugeeinesAlexandrinersbegegnetwar.Aus ganzen über und über blühenden Rosensträuchernbestander.DierotenBlumenbildetendasKreisrundderMitte, die weißen umgaben dies als breiter, hellererKranz.DasganzeRiesenwerkruhtewieeinEiimBecherineinemBehältervonPalmenwedeln,dieesinanmutigerBiegunggleichsamumrahmten.MehralstausendBlütenvereinten sich zu diesem Strauß ohnegleichen, und dies

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seltsameRiesengeschenkentsprachdemGeber.Zu Fuß schritt er auf den Altan zu, und seine Gestaltüberragtediebraunen,hellfarbigenundschwarzenFreienund Sklaven, die ihm folgten, wie auf denDenkmälernder Pharaonen das Bild des Herrschers das derUnterthanenundFeinde.Auchaufdengrößtenschauteerherab,undsogewaltigwie dieHöhe seinesLeibeswar dieBreite der kraftvollentwickelten Schultern. Ein langes, safranfarbiges,golddurchwirktes Purpurgewand, das ihm bis auf dieFußknöchel niederwallte, steigerte den Eindruck seinerGröße. Kraftvolle Arme mit hoch aufgewölbtenAthletenmuskeln streckten sich aus dem ärmellosenKleidedergeliebtenKöniginentgegen.Der mächtigen Gestalt dieses Mannes entsprach daswohlgebildeteHauptmitdemstarkendunklenHaarunddem prächtigen Vollbart. Mit dem bläulichen SchwarzdesRabengefiedershatteeseinstdasHauptdesJünglingsgeziert; jetzt war es der Farbe gelungen, das reichlicheGrau, das sich mit ihm vermischte, den Blicken zuentziehen.EinvollerKranzvonWeinlaubumwalltedemHeimkehrenden die Stirn, und blätterreicheRebstockranken, an denen einzelne dunkle Traubentrugen, fielen ihmaufdiebreitenSchulternundaufdenRücken nieder, den nicht das Fell eines Leoparden,sondern das eines indischen Königstigers von seltener

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Größe—erhatteihninderArenaselbsterlegt—wieeinMantel bedeckte. Der Kopf und die Pranken desTierfelles waren von Gold, die Augen zwei weithinfunkelnde,prächtigeSaphirsteine.DasSchloßderKette,anderdasFetthing,wiediehandgroßeAgraffeandemgoldenenGürtel,derdemImperatorüberdenHüftendenLeib umfing,warmitRubinenundSmaragdenbedeckt.VondenbreitenSpangenanseinemOberarme,vondemGeschmeide auf der hochgewölbtenBrust, ja sogar vonden roten Saffianstiefeln blitzte und glänzte funkelndesEdelgestein.Blendend,wie einst seinGlück, erschien die Pracht derKleidung dieses gefallenen mächtigen Helden, der sichgestern noch scheu und bedrückt den Augen derMitmenschen entzog. Groß, edel und schön geschnittenwarauchseinAntlitz;dochobgleichdiefahlenWangenim erborgten Rot der Jugend prangten, hatte ein halbesJahrhundert der wildesten Jagd nach Genüssen und diequalvolle Erregung der letzten Wochen nur zu wohlerkennbareSpurendaraufzurückgelassen;dennunterdengroßenAugenhingendieThränensäckeschlaffhernieder.Wellige Falten durchfurchten ihm die Stirn undbestrahlten von den Augenwinkeln aus in schrägenLiniendieSchläfen.Und doch kam es keinem, der diesem geputztenFünfziger näher trat, in den Sinn, einen alten,

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aufgeputztenNarreninihmzusehen;waresdochseinerNatur ureigen, sich mit Pracht und Glanz zu umgeben,unddazulagetwassoGewaltigesinseinerErscheinung,daßSpottundHohnsichscheuvorihmzurückzogen.Wieoffen,gutundliebenswürdigwardasGesichtdiesesMannes,wieaufrichtigdieRührungdesHerzens,dieausseinen immer noch jugendlich hellen Augen der langentbehrtenGeliebtenentgegenschaute.Aus jedemseinerZügeblicktederhohenFrau,aufdieerzutrat,einesolcheFülle der wärmsten Zärtlichkeit entgegen, und an demMunde dieses alles überragenden Mannes wechselte soschnellderAusdruckdemutsvoller,weherSeelennotmitdemdesDankesundderWonne,daßseinAnblickauchFeindendasHerzbewegte.WieeraberdieHandaufdiebreiteBrustpreßteund inso tiefgebeugterStellungderKöniginnahte,alsseierwillens,ihrdieFüßezuküssen,als er inderThatdieRiesengestalt vor ihr indieKnieesinken ließ und die gewaltigen Arme mit brünstigerHingabe wie ein um Hilfe flehendes Kind ihrentgegenöffnete,daüberkamdieFrau,dieihneinLebenlang mit der ganzen Glut einer leidenschaftlichenFrauenseelegeliebt,dieEmpfindung,alsseiindasNichtsversunken,wassichzwischensiegestelltundwassieaneinander verschuldet; er aber gewahrte das sonnigeLächeln,dassichüberihrteures,immernochsoschönesAntlitz breitete, und dann, dann klang ihm auch seineigener Name entgegen, und er kam von den Lippen,

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denenerdiewonnigsteLustverdankte,dieihmdieLiebegeboten. Und als er dann, wie berauscht von dem Tonihrer Stimme, die ihm wohllautender dünkte als derGesangderMusen,halbheiterlächelndüberdenScherz,vondemerauchimschwerstenErnstenichthattelassenkönnen,halbaufstiefsteergriffenvondemUebermaßderneu erwachenden Glückseligkeit nach so schwererKümmernis,aufdenRiesenstraußwies,dendreiSklavenden Elefanten abgenommen hatten und der Königinentgegentrugen, da erfaßte auch Kleopatra eine großeinnereBewegung.DieseBlumengabeahmteinmächtigerVergrößerungdenkleinen Strauß nach, den der gefeierte jungeReitergeneral vor der Thür des Epikuräergartens ihremVaterausderHandgenommenhatte,umihnihralserstesGeschenk zu überreichen. Auch er hatte rote Rosenenthalten, die weiße rings umgaben. Statt vonPalmenwedelnwar er freilich nur von Farnkrautblätternumrahmtgewesen.ZudenschönenGabengehörteer,dieseinfreundlichesGemütsowohlzuwählenverstand.EinSinnbild der unerhörten Großmut, die ihm, demUebermenschen,eigen,wardieserStrauß.Ihrsoundmitsolcher Huldigung zu nahen, hatte ihn keinwunderthätigerBechermitmagischerGewalt,dazuhatteihn allein das volle Herz, die immergrüne,unverwelklicheLiebegezwungen.

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Wieverjüngt,wie durch einenZauber zurückversetzt indieglücklichenTagederknospendenJugend,vergaßsieder königlichen Würde und der Hunderte vonAugenpaaren,diewiegebanntanihmhingen,undeinemunwiderstehlichen Herzensdrange gehorsam, sank siedemKnieendenandiebreite,tiefatmendeBrust.Eraberlachte mit einem silberhellen Lachen, wie es sonst dieJugend nur kennt, glückselig auf, umfaßte sie mit denRiesenarmen, schwang ihre zarte Gestalt samt dempurpurnen,weithinwallendenFürstenmantelvomBodenauf, küßte ihr Lippen undAugen, hielt sie lange in derschwebenden Stellung der Siegesgöttin, wie um denAnwesenden sein Glück vor Augen zu führen, in dieHöhe und ließ sie endlich behutsam wie ein wohl zuhütendesKleinodnieder.Dann wandte er sich den Kindern zu, die neben derMutter seiner harrten, und hob erst den kleinenAlexander,danndieZwillingeauf,umsiezuküssen,undwährend er die beiden Zehnjährigen, von denen dieFreude des Wiedersehens das Gewicht des Körpersabgelöstzuhabenschien,aufdenmächtigenArmenhielt,braustederJubelruffort,dersichschonerhobenhatte,alsdieKöniginihmandieBrustgesunkenwar.DiealtenMauerndesLochiaspalasteshattennochkeinengleichenvernommen.UnderpflanztesichfortvonHauptzu Haupt, von Hunderten zu Hunderten, und ob die

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Entferntenauchnichtwußten,waserbedeute, stimmtensiedochmitein.AufderganzenweitenStreckezwischender Lochias bis zum Choma erhob er sich als eineinziges, herzerschütterndes, untrennbares Ganze undhallte über den Hafen, die ankernden Schiffe undragendenMaste fortbishinzuderKlippe imMeer, aufderBarinedenNeuvermähltenpflegte.

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ZwanzigstesKapitel.

Eine Felsenplatte im Norden des Hafens, nicht vielgrößeralsderGartendesDidymusamMusenwinkel,einödes Stück Erde, auf dem keinBaum und kein Strauchwuchs, war das Eigentum des Freigelassenen Pyrrhus.Die Schlangeninsel hieß es, obwohl die Bewohner eslängstvondiesengefährlichenGästenbefreithatten,diedagegen noch auf den benachbarten Klippen in großerMengehausten.DerdemLebenfeindlicheBodendieserInselbrachtekeinärmlichesSaatkornzumKeimen,unddiejenigen, die sie zur Heimstätte erwählten, warengenötigt,dasTrinkwasservomFestlandezuholen.Diese von Möwen, Meerschwalben und Seeadlernumflatterte Wüstenei war nun schon seit Wochen dieAufenthaltsstättedesflüchtigenjungenPaares.Die beiden Zimmer, die sie bei der Ankunftaufgenommen hatten, waren ihre Wohnung undSchlafstätte geblieben. Bei Tage brannte im Freien dieSonne auf das gelbe kalkige Gestein. Schatten warnirgendszu findenals amHauseundandemFußeineshoch aufsteigenden Felsenpfeilers im Süden der Insel,demLuginslandderFischer.Von Werken der Menschenhand gab es nichts als einkleinesHeiligtumdesPoseidon,einenAltarderIsis,dasgroße, von alexandrinischen Maurern fest und

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zweckmäßigerbauteHausdesPyrrhusundeinkleineresfür die verheirateten Söhne des Freigelassenen und ihreFamilien. Ein langer Holzrahmen mit trocknendenNetzen erhob sich am Strande. In seiner Nähe und imNordenamoffenenMeerelagendieAnkerplätzemitdemgrößeren Seeschiffe und den verschiedenen Barken undKähnenderFischer.AufeinerWerftbauteDionikos,derjüngste, unverehelichte Sohn des Pyrrhus, neueFahrzeugeundbessertedieSchädenderalten.Seine beiden starken, schweigsamen Brüder mit Weibund Kind, der Vater Pyrrhus, seine Hausfrau und ihrejüngste, sechzehnjährige Tochter Dione, einige Hunde,Katzen und Hühner machten die Bevölkerung derSchlangeninselaus.Das war die Umgebung des neuvermählten, in derGroßstadt erwachsenen Paares.Anfänglich hatte es sichanmancherleigewöhnenmüssen;docheswarmitgutemWillen geschehen, und beide hatten einander längstbekannt, dasLeben sei ihnennievorher sogleichmäßigfriedvollerschienen.In der erstenWoche hatte es noch mit derWunde unddem Fieber des Dion zu kämpfen gegeben, doch dieWeissagung des Pyrrhus, die reine, erfrischende SeeluftwerdedemLeidendenzugutekommen,hattesicherfüllt,und der jungen Gattin waren bei seiner Pflege dieeinförmigenTageschnellgenugverflogen.

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DasWeibdesPyrrhus,»dieMutter«,wieallesienannten,hattesichdazualsgeschickteHeilkünstlerinbewährt,dieSchwiegertöchter und die junge Dione waren treue undflinke Gehilfinnen gewesen. In der Zeit der Sorge undPflegehatteBarineFreundschaftmit ihnengeschlossen:Wenn die mundfaulen Männer sich jedes überflüssigeWort ersparten, waren sie um so williger zu plaudernbereit,undesgewährteVergnügen,derhübschen,aufderInselerwachsenenwißbegierigenDioneRedezustehen.Lange schon hatteDionLager undHaus verlassen, undimmer noch sah er aus wie ein glückseliger, mit sichselbstundseinemAufenthaltsortezufriedenerMann.Während der ersten Tage hatten ihm FieberphantasienwiederundwiederseineverstorbeneMuttergezeigt,wiesie besorgt und als wünsche sie ihn vor derNeuvermählten zu warnen, auf sie hinwies. DieserWahnbilder erinnerte sich auch der Genesende, und sieallein legten ihm zuweilen die Frage vor, obBarine dieEinsamkeitaufdieserödenKlippeertragen,obsienichthier dieHeiterkeit der Seele, die ihn immer von neuementzückte,einbüßenwerde.WareseinWunder,wennsiesichindieserVereinsamunginSehnsuchtverzehrenundauchkörperlichunter sogroßenEntbehrungenzu leidenhabenwürde?Die Wahrnehmung, daß die Liebe ihr jetzt noch allesersetzte, was sie hinter sich ließ, that ihm wohl, doch

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verbotersichselbst,derErwartungRaumzugeben,dieskönnelangesobleiben.Daraufzuhoffen,durftenureinüberspanntes Selbstbewußtsein sich gestatten. Aber ermußtedieeigeneAnziehungskraftoderdieLiebeBarinesdoch unterschätzt haben; denn mit jeder neuen Wochegewann die heitere Zufriedenheit ihres Wesens anStetigkeit und Anmut. Und ihm selbst erging es kaumanders; denn frischer, unbefangener, sorgloser hatte ersichlangenichtgefühlt.NurdieUnmöglichkeit,indieserschweren Zeit an dem politischen Leben der Stadtteilzunehmen,wollteihmbedauernswerterscheinen,undbisweilen beunruhigte ihn die Sorge um das Schicksalund die Verwaltung seines Besitzes, obgleich eingenügender Teil seines Vermögens, das er einemzuverlässigenWechsleranvertrauthatte,wennmanauchseine Güter einzog, ihm erhalten bleiben mußte. Anallem, was ihn anging, auch an solchen Stimmungen,nahmsieteil,undgeradedieseveranlaßtenihn,sieüberdie Angelegenheiten der Stadt und des Staates, nachdenensiefrüherweniggefragthatte,überseinEigentuminAlexandriaundinderProvinzzuunterrichten,undwiegernundverständnisvoll hörte sie ihmzu.wenn sie beiTagevondemnördlichenAnkerplatzeausmitihmindieoffene See hinausfuhr oder an langen WinterabendenNetze strickte, eine Kunst, die sie der Lehre Dionesverdankte.IhreLautewar ihr aus der Stadt zugeführtworden, und

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welchenGenußbereiteteihrGesangdemGemahlundihrselbst,wiedankbarfolgtenihmdieGastfreundegroßundklein!AucheinigeBuchrollenwarengekommen,undesmachteDion Freude über ihren Inhalt mit Barine zu reden. Erselbstlasnurwenig;dennbeiTagesahmanihnseltenimHause. Schon in der vierten Woche konnte er denMännern beim Fischen und dem Dionikos beimSchiffsbau,mitdeninderPalästragestähltenArmenzurHandsein.Bei dem nahen, ununterbrochenen und durch nichtsgestörten Verkehre der Neuvermählten stieß jedes beidem andern auf neue unerwartete Schätze, die ihm imLebenderStadtvielleichtaufimmerverborgengebliebenwären.Hierwar eins dem andern alles, und bei diesemdurch nichts beeinträchtigten In- undMiteinanderleben,kam bald dasWohlgefühl jenes untrennbaren Einsseinsüber sie, das sonst erst nach Jahren als schönste Fruchteines aufLiebebegründetenEhebundesdenVermähltenzuteilwird.WohlgabesStunden,indenenBarinedieMutterunddieanderen Lieben, die ihr so nahe waren, o wie gernwiedergesehenhätte,dochdieBriefe,dievonZeitzuZeitanlangten, ließen es nicht zu schmerzlicher Sehnsuchtkommen.Die Vorsicht gebot, den Verkehr mit der Stadt zu

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beschränken.DochsooftPyrrhuszuMarktefuhr,kamenauchSchreibenaufdasEiland,dieAnukis,dienubischeDienerinderCharmion,demaltenFreigelassenen,derihrnach und nach zum guten Freunde wurde, bei derFischversteigerungamHafenübergab.SokamdenndieZeit,inderDionsichohneSelbstbetrugsagendurfte,daßBarinesich indieserEinödezufriedenfühle und daß seineLiebe und derVerkehrmit ihm ihrdasanregendeundwechselvolleLebeninderHauptstadtersetze.MochtederBriefvonihrerMutter,derSchwesteroder Charmion, von dem Großvater, Archibius oderGorgiaskommen,keinerverwandeltedenWunsch,ihrenöden Versteck zu verlassen, in brennendes Heimweh,wohl aber brachte jeder neuen Gesprächsstoff unddaruntermancherlei,was,indemesdieTeilnahmebeidererweckte,sienurfesterverband.ImzweitenMonatnachderFluchtkameinSchreibendesArchibius, worin er berichtete, sie dürften jetzt bald andie Rückkehr denken; denn der Syrer Alexas habe sichals tückischer Verräter erwiesen. Die Aufgabe, die ihmgestellt worden war, den Herodes für die Sache desAntonius zu gewinnen, hatte er ungelöst gelassen undwarvondemGönnerverräterischabgefallenundbeidemKönigederJudenverblieben.AlserdenOctavianselbstmit unerhörter Frechheit aufgesucht hatte, um dieGeheimnisse seiner ägyptischen Wohlthäter an ihn zu

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verkaufen, war er festgenommen und in seiner HeimatLaodicaeahingerichtetworden.Jetzt, fuhr der Freund fort, wären der Kleopatra wieihremGatten die Augen über den schwersten AnklägerderBarinegeöffnet.NatürlichseiinfolgederSchandthatdes Bruders auch das Ansehen des Philostratusvernichtet. Dennoch gelte es, sich noch ein wenig zugedulden;dennCäsarionseidenEphebenbeigeselltundAntyllus mit der Toga virilis bekleidet worden. Siekönnten jetztmancherlei auf eigeneHandunternehmen,und daß Cäsarion nicht ablassen werde, der Barinenachzustellen,dasgeheausmancherseinerAeußerungenhervor.Für die eigene Person fürchtete Dion nichts von demköniglichenKnaben,umderGattinwillendurfteeraberdieWarnungdesFreundesnichtungehörtlassen.Daswarhart; denn zwar fühlte er sich noch glücklich auf derInsel, doch sehnte er sich, die Geliebte in das eigeneHeimzuführen,undalles,wasinihmwar,drängteihnindieserverhängnisvollenZeitzudenSitzungendesRates.Mehr als gernhätte er darumdieRückkehr indieStadtgewagt, aberBarinebat sodringend,das sichereGlück,dassiehiergenössen,nicht leichtfertig füreingrößeres,hinter dem vielleicht das schwerste Unheil laure,preiszugeben, daß er nachgab. Ein neuer Brief derCharmion bewies auch bald, wie notwendig es immer

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nochsei,Vorsichtzuüben.Daß in Alexandria alles, was festliche Lust heißt,entfesseltseiundmitausschweifenderWildheitdenHofunddieBürgerschaftmitsichfortreiße,warsogarvonderInselausbemerkbargewesen.WennderWindvonSüdenher wehte, trug er die vereinzelten Töne einerrauschenden Musik oder unverständliche Laute deswildestenVolksjubelsbiszuihnenherüber.DieFischerstochterDioneriefsieauchmanchmalandasUfer, um die mit märchenhafter Pracht geschmückten,mit Blumen umwundenen und von Lautenschlag undLiederklang umtönten Gondeln, auf denen der HofLustfahrten unternahm, zu bewundern. Segel vongestickterPurpurseidetriebendieNachenüberdieglatteFlut. Einmal erkannten die Spähenden sogar in derBedienung eines mit reichem vergoldeten Bildwerkgeschmückten Fahrzeuges junge Sklavinnen, die mitwallendem Haar und durchsichtigen meergrünenGewändernalsNereidendieleichtenSandelholzrudermitgoldenenSchaufelnregierten.MehrmalswehtederWinddenWohlgeruch,derdieGondelnumwallte,biszuihnenhin, und in stillen Nächten glitten die Festschiffe, vondemzauberhaftenLichtevielfarbigerLampenumflossen,überdenSpiegelderFlut. IndenFahrgästen ließensichGötter,GöttinnenundHeroenerkennen,die,zuschönenGruppen gesellt, stehend und lagernd Scenen aus der

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Mythe und Geschichte zur Anschauung brachten. Aufdem Deck des Prachtschiffes der Königin sah man diebekränzten Gäste auf purpurnen Lagerstätten unterBlumenguirlanden schmausen und goldene Becherleeren.In anderen Nächten war das Ufer des Bruchiumstageshell beleuchtet. Die gewaltige Kuppel desSerapeums in derRhakotis überragte dann,mitLampenbedeckt, wie das zur Erde gesunkene gestirnteHimmelsgewölbe einer kleineren Welt, die flachenDächer der Stadt. JederTempel undPalast hatte sich ineinenRiesenkandelaber verwandelt, und die Reihen derLampenamQuaizogensichwiebunteLichtrankenvomblendend hell erleuchtetenMarmortempel des PoseidonbiszumPalastaufderLochiashin,denhelleLichtmassenumwogten.Wenn Pyrrhus oder einer seiner Söhne vom Markteheimkehrte, erzählten sie von den Festen undSchaustellungen, Gelagen, Wettrennen und Lustfahrtenohne Ende, die der Hof veranstaltete und die gesamteBürgerschaftinAtemerhielten.EswareineguteZeitfürdieFischer;dennwassiefingen,nahmendieKöchederKönigininBeschlagundbezahltenesreichlich.Der Januar war erschienen, als jener neue Brief derCharmionankam.Dion und Barine hatten am Geburtstag der Kleopatra

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vergeblich auf ungewöhnliche Hergänge gewartet, andemdesAntoniusaber,derwenigeTagespäterfiel,hattees Musik und Geschrei genug und am Abend einebesondersprächtigeBeleuchtunggegeben.Zwei Tage daraufwar dem Pyrrhus dies Schreiben vonseinerbraunenFreundinAnukisanvertrautworden.IhreFrage,oberesnunendlichfürthunlichhalte,seinenSchutzbefohlenen den einen oder anderen Besuchzuzuführen, hatte er verneint; denn seitdemOctavian inAsien weilte, wimmelte der Hafen von spähendenSicherheitswächtern, und eine Unvorsichtigkeit konnteallesverderben.DerBriefderCharmionwar indesnochbessergeeignetalsdieWarnungdesFischers,daswachsendeVerlangendesDionnachderHeimkehrzuzügeln.Der Anfang enthielt zwar gute Nachrichten über dieAngehörigen der Barine; dann aber teilte er dem Dionmit, sein Oheim, der Siegelbewahrer, schwimme inWonne.WaseranErfindungsgabebesitze,werdestärkerdenn je in Anspruch genommen. Jeder Tag bringe einFest,jedeNachtüppigeGelage.EineSchaustellung,eineAusfahrt,einJagdvergnügenreihesichandasandere.Inden Theatern, im Odeum, im Hippodrom habe es auchvor Actium keine glänzenderen Vorstellungen.Wettrennen, Naumachien, Gladiatorenkämpfe undTierhetzen gegeben. Dion selbst habe früher den

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Vergnügungen des dem Hofe befreundeten Kreises, derGesellschaft der »unnachahmlichen Lebenskünstler«beigewohnt. Sie sei wieder ins Leben gerufen worden,Antoniusaberhabesiedieder»Todesgenossen«genannt.Dasseibezeichnend.Jeder wisse, es gehe dem Ende entgegen, und ahmejenem Pharao nach, dem das Orakel noch sechsLebensjahreverheißenhatte,undderesLügenstrafteundzwölf daraus machte, indem er auch die Nächtedurchschwärmte.DasWiedersehen derKöniginmit demGemahl,wovonsiefrüherberichtet,seiherrlichgewesen.»Damals,« schrieb sie, »hofften wir, eine würdige Zeitwerde beginnen, und Marc Anton, hingerissen underhoben durch die neu erwachte Liebe, die alteHeldenkraft wieder finden; doch wir hatten uns geirrt.Kleopatrafreilichruhteundrastetenicht;erabergabmitdem ungeheuren Rosenstrauße das Zeichen, was dieerhitzte Phantasie eines Genußmenschen nur immererdenkenmag,aufdieSpitzezutreiben.DieLeistungender unnachahmlichen Lebenskünstler, von denTodesgenossenwurdensieweitüberboten.Antonius steht an ihrer Spitze, und ihm, dessenRiesenleib auch den unerhörtesten Zumutungenwidersteht, gelingt es, sich zu betäuben und des nahenZusammensturzes zu vergessen. Tritt er uns nach einer

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wilddurchschwärmtenNachtentgegen, strahlen ihmdieAugen so hell, tönt seine tiefe Stimme so metallischfrischwie beimBeginn desGastmahls.DieKönigin istseineGöttin,undwerkönnteunbewegtbleiben,wennderRiese sich dem Winke der zarten Gebieterin gehorsambeugt undUnerhörtes ersinnt und ihr darbringt, um einLächelnvon ihrenLippenzuernten.Hinter ihm liegt jalängstdasbeweglicheungestümeWerbenderJugend;beiseinenHuldigungen,diedieEphebenvonheutevielleichtveraltetnennenwürden, istesmiraber immer,alsneigesicheinBergvoreinemSterne.DerFremde,dersie inseinerGesellschaft sieht,hält siefürglücklich.Im märchenhaften Glanze des festlichen Schmuckes,wennsieanbetet, ihrhuldigtundBlumenstreut,wassieumgibt,möchteman sogar glauben, die alten, sonnigenTagewärenwiedergekehrt;wennwiraberalleinsind,wieseltenseh’ichsielächeln!DannsorgtsiefürdasGrabmal,dasunterderLeitungdesGorgias rasch aufwächst, dann erwägt siemit ihm, wieman es am besten zu einem unzugänglichenRückzugsortegestaltet.Alles, bis hin zu dem Bildwerk auf denSteinsarkophagen,bestimmtsieselbst.Dazu werden Gemächer und Kammern in denKellerräumenundüberderErdefürdieAufnahmeihrer

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Schätzeangelegt.UnterihnenläßtsieGängefürdasPechund Stroh herstellen, das, kommt es zum Aeußersten,angezündet werden soll. Das Gold und Silber, dieEdelsteine und Gemmen, das Ebenholz und Elfenbein,die köstlichen Gewürze, kurz, was ihr an Kleinodiengehört,willsiedanndemFeuerpreisgeben.AlleindiePerlen sindvieleKönigreichewert.Wermages ihr verdenken, wenn sie sie lieber der Vernichtungweiht,alssiedemFeindeüberläßt.DerGarten,Barine,indemDuheranwuchst,istjetztfürdie Zwillinge und den Alexander der Schauplatz ihresfröhlichen und thätigen Lebens. Da tummeln sie sich,bauen und graben unter Leitungmeines Bruders. Es isteinliebenswertes,schönbegabtesDreiblatt.Zuihmziehtsiesichzurück,wennsieaufderJagdnachGenüssen,diefürsiekeinemehrsind,nachRuhelechzt.WieAntonius vorgestern als neuerDionysusmit Epheubekränzt auf dem mit gezähmten Löwen bespanntengoldenenWagenaufderKönigsstraßedahinzog,umsie,dieneueIsis,zurFahrtaufeinerLotusblumevonSilberund weißem Glasfluß, die vier fleckenlose Schimmelzogen, von der Lochias abzuholen, dawies sie auf denglänzendenAufzug und sagte: ›Zwischen der Stille desPhilosophengartens,woichbegannundmichimmernocham wohlsten fühle, und dem Grabe, wo nichts dieverlorene Ruhe mehr stört, zieht sich mit diesem

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betäubenden Lärm, diesem nichtigen Gepränge dieKönigsstraßehin.Esistdiemeine.‹O, Kind, einst war es anders! Sie liebte den MarcusAntonius mit leidenschaftlicher Glut. Er war der ersteMann auf Erden, und doch beugte er sich vor derUebermacht ihres Willens. Die Sehnsucht deserwachendenHerzens,derbrennendeEhrgeiz,derschondie Seele des Kindes entflammte, sie hatten beideBefriedigunggefunden,unddieWeltschautezu,wiedassterblicheWeibKleopatradasarmeLebenhieniedenfürden Geliebten und sich selbst mit der Lust derHimmlischen sättigte. Dankbar gab er sich dieser Lusthin, und der Großmütigste aller Großmütigen legte ihr,der ›Großkönigin des Ostens‹, sich selbst, die MachtRomsundderKönigezweierWeltteilezuFüßen.Wie imRauscheverflogenbeiden jeneJahre.SeineEhemitOctavia brachte das ersteErwachen.Eswar schwerundschmerzlich.DochnichtwegeneinesWeibeshatteerKleopatra verlassen, sondern um der bedrohten Machtund Herrschaft willen. Aber die ungeliebte Octaviazwang ihn, mit achtungsvoller Bewunderung zu ihraufzuschauen;ja,siewurdeihmteuer.Ein harter Kampf um ihn und sein Herz entspann sichzwischen den beiden. Mit sehr verschiedenen Waffenwurdeergeführt,undKleopatrasiegte.DerRausch,derTraum begann von neuem. Da kam Actium, die

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Entnüchterung, das Erwachen, der Fall, die Weltflucht.Jetzt galt es, ihn nicht wieder in Trunkenheitzurücksinken zu lassen, den Mut und die Kraft desHelden aus demSchlafe zuwecken, ihn ausLiebe zumMitstreiterfürdiegemeinsameSachezumachen.Eraberhatte sichgewöhnt,dieSpenderindesRauschesin ihrzusehen.Daseinzige,wasernochbegehrte,war,imBundemitihrdenBecherdesGenusseszuleeren,bisalles vorbei sei. Das sieht sie, das schmerzt sie. Nichtsläßt sie unversucht, um ihn zu neuer Thatkraft zuerwecken; doch wie selten rafft er sich zu ernsterThätigkeitauf.WährendsieaberdieNilmündungenunddieGrenzendesLandes befestigt, Schiff auf Schiff für die neue Flotteerbaut, rüstet und verhandelt, kann sie ihm doch nichtwiderstehen,wennersiezuneuenGenüssenaufruft.So viel auch von den Vorzügen verloren ging, die ihngroßund liebenswertmachten,sievermagvonderaltenLiebe nicht zu lassen, und hält bei ihm stand, weil—weil ... Ichweißnichtwarum.Ein liebendesFrauenherzhandeltebennichtnachGründenundGesetzen.Eristjaauch der Vater ihrer Kinder, und im Spiele mit ihnenfindeterdenalten,herzgewinnendenFrohmutwieder.SeitArchibiussichihrerannimmt,istihnenEuphronion,ihrHofmeister,entbehrlich.DerklugeMannkenntRom,den Octavian und seine Umgebung. Ihn wählten sie

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darumzumGesandten.ErsolltedenSiegerbewegen,dieHerrschaftüberAegyptenaufdieKnaben:denAntoniusHelios und Alexander, zu übertragen; doch der Cäsarwürdigte den Vermittler in der Angelegenheit desAntoniuskeinerAntwort,jaerließihnnichteinmalvor.Der Kleopatra verhieß Octavian eine freundlicheBehandlung und die Erfüllung des die KnabenbetreffendenWunsches,wennsie—undnunwiederholtesich die alte Forderung — den Freund aus dem Wegräumenoderanihnausliefernwollte.DiesAnsinnen,dasschnödenVerrat insichschließtwarunerfüllbar für ihre edle Seele. Seit sie dasGrabmal zubauen beschloß, gehört seine Gewähr zu denunmöglichen Dingen. Dennoch setzte Octavian allesdaran, sie zu der schnöden That zu verführen. Der Toddes einen Mannes hätte freilich viel Blutvergießenerspart.DerCäsarweiß seineLeute zuwählen.HierhersandteeralsUnterhändlereinengewandtenjungenMannmitreichenVorzügendesKörpersundGeistes.Wasgäbeeswohl,daserunversuchtgelassenhätte,umdieKönigingegendenGatteneinzunehmenundsiezudemVerratzuüberreden. Er ging so weit, Kleopatra zu versichern,schoninfrüherenJahrenhabesiedemNeffendesCäsardasHerzgeraubt,underliebesienochimmer.Sienahmdiese Versicherungen für was sie waren und bliebstandhaft.

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Antonius ließ den Ränkschmied anfänglich gewähren.Alserabervernahm,welcherMittelersichbedienteundwieernamentlichdieAuslieferungeinesderMörderdesCäsar,dieerselbstlängstbereute,ausbeutete,umihnalsundankbarenVerräter zu brandmarken, dawäre er nichter selbst gewesen, wenn er es gelassen hingenommenhätte. Er war auch ganz der alte Antonius, als er denglatten Gesellen, der aber immerhin als Gesandter desmächtigenSiegersgekommenwar,kurzwegauspeitschenließ,ihnnachRomzurücksandteunddemOctavianeinenBrief schrieb, in dem er sich über die Frechheit undAnmaßungdiesesMenschenbeklagteundhinzufügte—wieschwermirdasHerzauchist,mußichdochlächeln,wenn ich daran denke — das Mißgeschick habe ihnaußerordentlich reizbar gemacht; wenn aber seineHandlungsweise demCäsar vielleicht dennochmißfalle,mögeeresmitseinemFreigelassenenHipparchus,denerin seiner Gewalt habe, machen, wie er es mit demThyrsusgehalten.Ihrseht,daßihnderfrischeUebermutnochimmernichtverließ.DasLeidfließtwiedervonihmabwiederRegenvondemgrobenSoldatenmantel,denerimPartherkriegetrug, und es vermag an ihm darum die läuternde Kraftnichtzubewähren.Wennmanbedenkt,daßdieserMannnochvorwenigenJahren sich selbst gleichsam verdoppelte, so oft die

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Gefahramhöchstenstieg,istseinVerhaltenjetztvorderletzten Entscheidung nur denen begreiflich, die ihnkennenwiewir.Wennerkämpft,sothuteresnichtmehr,umsichzuretten,odergarumzusiegen,sondernuminEhren zu enden. Wenn er noch genießt, was es zugenießen gibt, glaubt er damit die Schwere derNiederlage für sich selbst zuverringernunddemSiegerdieGrößedesErfolgeszuschmälern.VordenAugenderWelt wenigstens ist nur halb überwunden, wer noch zujubiliren vermag wie Antonius. Bei alledem kam dieHoheit seiner Gesinnung dennoch zu Schaden. DieAuslieferung jenes Mörders des Cäsar — er heißtTurullius—beweistes.Unddas,Barine—sageesauchDeinemGatten—dasist es,wasmichmitBesorgnis erfüllt undmich zwingt,euchzubitten,nochnichtandieHeimkehrzudenken.Antonius ist jetzt der gute Kumpan seines Sohnesgeworden.Waserselbstgenießt,denAntyllus läßteresteilen. Natürlich erfuhr er von der Leidenschaft desCäsarionundistgeneigt,demarmenBurschenzuhelfen.NichtsseibessergeeignetalsDeineanmutigeHeiterkeit,behauptete er mehrfach, um den Träumer aus demSchlafe zu wecken. Da Dich die Erde schwerlichverschlungen habe, werde man Dich finden; denn auchihnselbstgelüstees,Dichnocheinmalsingenzuhören.DaßerDichsuchenläßt,weißich.

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Wie gebieterisch dies euch auferlegt, Vorsicht zu üben,bedarf keiner Erklärung. Zu eurer Beruhigung mögedagegen die Nachricht dienen, daß Kleopatra darandenkt,denCäsarionmitseinemHofmeisterRhodonüberdieInselPhilaehinausnachAethiopienzuschicken.ArchibiushörtenämlichdurchdenTimagenes,OctaviansehedenSohndesCäsar,dessenAntlitzdemdesVatersso wunderbar gleicht, für gefährlich an, und in dieserMeinungistdasTodesurteildesKnabenenthalten.AuchAntyllus geht auf Reisen. Er soll nach Asien, um denOctavian gnädiger zu stimmen und ihm neueAnerbietungen zumachen. Erwar ja, wie ihrwißt,mitseinerTochterJuliaversprochen.Die Königin hörte längst auf, den Sieg für möglich zuhalten, und doch arbeitet sie, trotz aller Anforderungender »Todesgenossen« und ihres Treibens, mitunermüdlichem Eifer an der Verteidigung des Landes.Von jenerGesellschaft ist sieübrigenswohldas einzigeMitglied,dasesernstnimmtmitdemnahenEnde.NundasGrabmalhöherwächst,beschäftigtsiesichvielmit dem Sterben. Sie, die schon Epikur lehrte, nachSchmerzlosigkeit zu streben, und die so empfindlich istauch gegen das kleinste körperliche Leid, sucht nacheinemWege,der,ohnewehezuthun,indieewigeRuheführt, nach der sie sich sehnt. Iras und jüngere SchülerdesOlympussindihrdabeibehilflich.DerAlteliefertdie

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verschiedenstenGifte.AnallerleiTieren,janeulichsogaran einigen zum Tode verurteilten Verbrechern machtensieVersuche.Esscheintnachalledem,alsführederBißder Uräusschlange, deren Gestalt an der ägyptischenKronedieschnelleMachtdesHerrschersüberLebenundTod versinnbildlicht, am schnellsten und am wenigstenqualvollzumStillstandedesHerzens.Wie ist das alles so schrecklich! Wie thut es weh, dasgeliebteste derWesen, dieMutter der holdestenKinder,sichdenAbschiedsograusamerschweren,sichdenTodmitten unter rauschendenVergnügungen gleichsam zumWandergenossen erwählen zu sehen. Jedem seinerSchrecken schaut sie täglich insAntlitz undwendet derBrücke, die ihr gestatten würde, dem Unhold vielleichtnoch auf lange Zeit zu entrinnen, dennoch mit stolzerVerachtung den Rücken. Das ist groß, ist ihrer würdig,undniemalswarichihrmitzärtlichererLiebeergeben.Auch ihr sollt ihrer freundlich gedenken. Sie ist dessenwert. Ein edles Herz, das sich gezwungen sieht, denFeindzubeklagen,verzeihtihmleicht;undwarsiedennjeeureFeindin?Lange, lange, schreib’ ich andiesemBriefe, umDirdieAbgeschiedenheit von der Welt und mir das Herz zuerleichtern. Geduldet euch noch einWeilchen. Die Zeitist nicht fern, in der das Schicksal selbst euch aus derVerbannung befreit. Wie oft drängt es die Deinen, den

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ArchibiusundGorgias,denichjetztvielinderNähederKönigin sehe, euch aufzusuchen; doch sie glauben euchnochdamitzugefährden.«WasdieserBriefBedrohlichesenthielt,wurdevoneinemandern des Archibius bestätigt, und bald darauf hörtensie,CäsarionseglewirklichmitdemHofmeisterRhodonden Nil hinaus nach Aethiopien und Antyllus sei nachAsienzuOctaviangesandtworden.Dieserhabeihnzwarempfangen, doch ihn heimgesandt, ohne sich zuwas esauchseizuverpflichten.Diese Nachricht brachte ihnen kein Brief, sondernGorgias selbst, dessen Besuch sie an einem spätenMärzabendüberraschte.Mit wärmerer Freude wurde wohl selten ein Gastempfangen.Bei seinemEintritt indas schlichteZimmerstrickte Barine eben ein Netz und erzählte derFischerstochter Dione von den Irrfahrten des Odysseus.AuchDionlauschteihrmitheitererAufmerksamkeitundfielihrdannundwannverbesserndodererläuterndindieRede, während er an einem Poseidonkopfe für denSchnabeleinesneuerbautenBootesschnitzte.AlsGorgiasunerwartetdieSchwelleübertrat,schiensichdastrübeLichtderKikiöllampe,diedasGemachspärlicherhellte, in Sonnenschein zu verwandeln. Wie froherglänzten die Augen, wie hell ertönten die Rufe desWillkommens und der Ueberraschung. — Das gab ein

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Fragen, Antworten und Berichten! Die Abendmahlzeitder Familie, die nur der Heimkehr des Vaters gewartet,der den Gast mitgebracht hatte, mußte Gorgias teilen.Und die frischenAustern undLangusten undwas sonstaufgetragenwurde,mundetendemStädterbesseralsdieüppigstenFestschmäusederTodesgenossen,zudenenerjetztdurchdieKöniginöfterherangezogenwurde.Was Pyrrhus sprach und von den Söhnen erfragte, wardazu so verständig und betraf Dinge, die dem Gorgias,weilsieihmfremdwaren,sofesselnderschienen,daßer,als der gute Wein des Dion aufgetragen wurde,versicherte, wenn Pyrrhus ihn aufnehmen wolle, werdeauch er sich nachVerfolgern umsehen und sich hierherverbannenlassen.Als die drei dann wieder allein vor dem schlichtenthönernenMischkruge saßen, war es dem vereinsamtenjungen Paare, als habe der beste Teil des städtischenLebens, das sie hinter sich ließen, den Weg zu ihmgefunden, und was hatten sie einander nicht alles zuberichten! Dion und Barine von ihrem Einsiedlerleben.GorgiasvonderKöniginunddemGrabmal,daszugleicheineSchatzkammerwar.Dauerhaft, als sei es bestimmt,JahrtausendezuüberdauernundeinemkräftigenAngriffzutrotzen,warendieschrägenMauerngefügt.DenKerndes unteren Stockwerks bildete eine hohe Halle vongewaltigen Dimensionen. In ihrer Mitte sollten die

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großen Marmorsarkophage aufgestellt werden. An denReliefdarstellungen, die die Seiten und Deckel zuschmückenbestimmtwaren,wurdeemsiggearbeitet.WieeinWohnraumsolltedieserSaal,dessen leichtgewölbteDecke von drei starken Säulenpaaren getragen wurde,ausgestattet werden. Auch die Ruhebänke, Kandelaberund Opfertische waren schon in Arbeit gegeben.CharmionhattedieFlüchtlingewohlunterrichtet.IndenKellerräumen, zur Seite der Halle und im oberenStockwerk, dessen Bau erst nach der Vollendung derDecke begonnen werden konnte, sollten in der ThatKammern und unter und neben ihnen Gänge für denLuftzug und die Aufnahme von Brennmaterial angelegtwerden.Gorgias beklagte, daß er den Freunden die Halle nichtzeigen könne, die vielleicht dasBeste undReichste sei,wasergeschaffen.DasedelsteMaterial:braunerPorphyr,schwarzgrünerSerpentinunddunkleMarmorartenwärenzur Verwendung gekommen, und die Mosaiken undehernen Thüren, die der Vollendung entgegengingen,MeisterwerkederalexandrinischenKunst.Das alles vernichtet zu sehen, sei ein furchtbarerGedanke, unerträglicher aber noch der an seineBestimmung,dieLeichederKöniginbaldaufzunehmen.Und wieder riß das Entzücken über diese größte undherrlichste der Frauen Gorgias zu enthusiastischen

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Ergüssen hin, bis Dion auch diesmal das Amt desEntnüchterers übte und Barine von der Mutter, denGroßelternundderSchwesterzuhörenbegehrte.Da gab es nur Gutes zu berichten. — Zwar hatte derBaumeister Tag für Tag einen Kampf mit dem greisenPhilosophen zu bestehen, der es die Gastfreundschaftmißbrauchenhieß,solangemitseinemganzenVolkebeidemjungenFreundezuwohnen,dochwarGorgiasbisherSiegergeblieben,auchgegenFrauBerenike,dieihnunddieSeineninihrHausziehenwollte.Kleopatra, erzählte der Architekt weiter, habe demDidymusHausundGartenabgekauftunddendreifachenWertdafürgezahlt.ErseijetzteinreicherMannundhabeihn beauftragt, ihm ein neues Haus zu bauen. DasGrundstückamMeereundinderNähederBibliothekseigefunden, doch werde das stattliche Bauwerk erst imSommerbeziehbar.EswäreindertrockenenägyptischenLufteherunterDachzubringengewesen,dochhätteesdievielen,meist sehrverständigenWünschederHelenazuberücksichtigengegolten.DaschautensichBarineundDionbedeutungsvollan,derBaumeister aber nahm eswahr und rief: »Eure stummeSprache ist verständlich genug, und daß ich’s gestehe,fünf Monate schon scheint Helena mir diebegehrenswertestederJungfrauen.Ichseheauch,daßichihretwasgelte.Sobald ich indes ihr,derKöniginmeine

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ich,gegenübersteheundihreStimmevernehme,istes,alsverwischeeinSturmwindjedenGedankenanHelena,undesliegtnichtinmeinerArt,wenesauchsei,zubetrügen.Wiekann ichumeine Jungfrauwerben,dir ich sohochhaltewiesie,undderenSchwesterDubist,Barine,wenndasBildeinerandernmirdieSeelebeherrscht?!«DaerinnerteDionihnanseineigenesWort,manliebedieKönigin nur wie eine Göttin, und führte, ohne seineAntwortabzuwarten,dasGesprächaufandereDinge.Drei Stunden nach Mitternacht waren vergangen, alsPyrrhus zum Aufbruche mahnte. — Während dasschnellste Boot des Fischers den Baumeister endlich indie Stadt zurückführte, frug er sich, ob wohl dieMädchen, die vor der Ehe in störungsloserZurückgezogenheit lebten, wie Helena, bessere undmitjedemLosgleichzufriedeneHausfrauenwürdenwiedievielumworbene Barine, die Dion mitten aus demlebendigsten Treiben der Großstadt in die ödesteEinsamkeitgeführt.Diesem köstlichen Abend folgte ein Tag der Erregungund schwerenBesorgnis; denn das junge Paar hatte vorBeamtendesSteuereinnehmersverstecktwerdenmüssen,die dem Pyrrhus einen Teil seines im letzten JahreErsparten und die große neue Barke abnahmen, die ihnaufdiehoheSeeführte.DieRüstungenerfordertengroßeSummen,fürdieFlotte

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wurdeanFahrzeugen inAnspruchgenommen,was sichtauglich erwies, und wie dem Fischer, so erging es dergesamtenBürgerschaftinStadtundLand.Selbst die Tempelschätzewurden eingezogen, und dochkonnte jeder sich sagen, daß die großen Summen, diedurch diese schonungslosen Erpressungen in denStaatsschatz flossen, der Vergnügungsjagd des HofesebensogutdientenwiederRüstungdesHeeresundderFlotte.Dennoch erhob sich kein Aufstand. So groß war dieLiebe zu der Königin, so hoch hielt man dieSelbständigkeitAegyptens, so bitterwar derHaß gegendieRömer.Wie ernst es Kleopatra unter all den ausschweifendenVergnügungen, von denen sie sich nicht allzu oftausschließen konnte,mit denRüstungen nahm, daswarauchfürdieVerbanntenvonihrerKlippeauserkennbar;denn auf allen Werften herrschte Tag und Nacht einefieberhafte Thätigkeit, und der Hafen füllte sich mitSchiffen.DasGehenundKommenvonKriegsfahrzeugenhörte nicht auf. Von der Schlangeninsel aus gab esfortwährend, und oft auch beim Lichte der Sterne,Hebungen der Ruderer und ganzer Geschwader auf deroffenenSeezuzuschauen.Jetzt zeigte sich auch bisweilen ein prächtigesStaatsschiff mit dem Antonius an Bord, der die rasch

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entstandeneFlotte besichtigte, um eine jener zündendenAnsprachenandieneuausgehobenenSeeleutezurichten,in denen er immer noch ein schwer zu übertreffenderMeister. Zu der Bemannung der jüngst fertig gestelltenKriegsschiffe gehörten nunmehr auch zwei Söhne desPyrrhus, ImAprilwaren sie zumDienste herangezogenworden,undobgleichDiondemVatereinegroßeSummefür ihrenLoskaufzurVerfügunggestellthatte, ließmansienichtfrei.Da gab es in dem zufriedenenMenschenkreise auf dereinsamenKlippeKummerundThränengenug,undwennDionysosundDionichoseinenfreienTaghattenunddieIhren besuchten, ergingen sie sich in Klagen über diegrausameHast,inderdiejungeMannschafteingeübtundbiszurErschöpfungangestrengtwurde.Sieerzähltenvonden Bürgers- und Bauerssöhnen, die man ihrem Dorfe,denElternunddemGeschäftgewaltsamentrissenhabe,umsiealsSeeleuteauszubilden.DieEmpörungseigroßin ihrenReihen, undman leihedenAufwieglernnur zugerndasOhr,dieerzählten,wievielbesseresdieLeuteaufdenSchiffendesOctavianhatten.PyrrhusbeschwordieSöhne, sichvorderTeilnahmeanmeuterischen Versuchen zu hüten; die Frauen dagegenhätten allesgebilligt,wasdie JünglingevondemhartenDienste zu befreien verhieß, und ihre heitere FrischeverwandeltesichinsorgenvolleBetrübnis.

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Auch Barine war nicht mehr wie früher. Sie hatte diefrohe und rüstige Beweglichkeit verloren, die Augenschwammen ihroft inThränen,undwenn siegeneigtenHauptes dahinschritt,war es, als ob eine schwereSorgesiebedrücke.WaresdieGlutdesAprilmitseinenWüstenwinden,diesolche Veränderung hervorrief? Hatte sich endlich dieSehnsuchtnachderabwechslungsreichenundanregendenLebensweise von früher ihrer bemächtigt? Begann dieEinsamkeit ihr unerträglich zu werden? Genügte dieLiebe des Gatten nicht mehr, um ihr so vielepreisgegebeneGüterzuersetzen?—Nein!Daskonnteesnicht sein; dennmit hingebendererZärtlichkeit hatte siedemGeliebten nie in dasAntlitz geschaut,wenn sie anschattigen Stellen in voller Ruhe mit ihm allein war.Unglücklichoder krankwar sie, die in solchenStundeneiner Verkörperung des Glücks und Wohlseins glich,gewißnicht.DiondagegentrugfrühundspätdasHauptsohochundblickte so stolz und selbstbewußt drein, als zeige dasLebenihmseinfreundlichstesGesicht,unddochhatteervernommen,daßseineGütermitBeschlagbelegtwordenseienunddaßeresnurdemArchibiusunddemEinflußdesOheimsverdanke,daßseinVermögennochnichtwiedas vieler anderen, dem königlichen Schatz einverleibtwordenwar.AberwelchesMißgeschickhätteerindieser

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Zeitnichtleichtverwunden?EingroßesGlück, das allergrößte, dasdieHimmlischendem Menschen bescheren, knospte für ihn und seinjunges Weib heran, und die Frauen auf dem EilandenahmenimMaiteilandersiebeseligendenHoffnung.PyrrhusbrachteeinenOpferaltarundeinmarmornesBildder Jlythyia, der Geburtsgöttin, die die Römer Lucinanannten, mit aus der Stadt, das seine Freundin Anukisihm im Namen der Charmion für die junge Frauübergebenhatte.SiewardabeiwiederaufdieSchlangenzuredengekommen,vondenenesaufderNachbarinselso viele geben sollte, und ihre Frage, ob es schwer sei,sich einzelner lebendig zu bemächtigen, hatte derFreigelasseneverneint.Das Götterbild und der Altar fanden Aufstellung nebendenanderenHeiligtümern,undwieoftsalbteBarineundjedederanderenFrauendenStein!Dion gelobte der Göttin, die den hoffenden Frauenbeistand,einschönesHeiligtumaufderKlippeundinderStadt, wenn sie seines geliebten jungen Weibes gnädigwalte.Als imJunidieSonneumMittagamheißestenbrannte,führte der Fischer eines Abends Helena, die jüngereEnkelindesDidymusundChloris,dieAmmedesDion,dieschonseinerMuttereinetreueGehilfingewesenundspäter die Sklavinnen seinesHauses beaufsichtigt hatte,

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aufdieKlippe.WiefrohunddankbarstreckteBarinederSchwesterdieArme entgegen. Ihre Mutter hatte sich nur durch dieVersicherung, daß ihr Verschwinden die Späheraufmerksammachenwürde,zurückhaltenlassen.UnddieHäscher waren in der That wachsam; denn MarcusAntoniusließimmernochnachderSängerinfahnden,derSachwalter Philostratus hatte das Ausschreiben, das aufdieErgreifungdesDion zweiTalenteBelohnung setzte,nicht zurückgenommen, und die Häscher hielten denPalast des Entflohenen wie das Haus der BerenikefortwährendaufmerksamimAuge.DerstillenHelenaschienesschwererzuwerden,sichinder Einsamkeit zurechtzufinden als der lebhafterenSchwester.Wiedeutlich sie auchdieLiebe zu erkennengab, die sie für Barine empfand, versank sie doch oftnachdenklich in sich selbst, und allabendlich ging sie,wenn die Schatten längerwurden, an das südlicheUferderKlippeundsahnachderStadthin,wodieGroßeltern,sogutsieauchimHausedesGorgiasaufgehobenwaren,ihrerdochwohlentbehrten.AchtTagewaren seit ihrerAnkunft vergangen, unddasLeben in der Einsamkeit schien ihrem Wesen nochstärkeralsamerstenundzweitenzuwiderstreben;auchmußtedieSehnsuchtnachdenGroßelternwachsen;dennsiewarheute sogar imBrandederMittagssonneanden

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Strandgegangen,umeinenBlickaufdieStadtzuwerfen.WieliebsiediealtenLeutedochhatte!Aber Dions Vermutung, die feuchten Augen, womitHelena heute in der Dämmerzeit zu ihnen eingetretenwar, hätten einem jüngeren Bewohner der Großstadtgegolten,schiendoch,trotzdesunwilligenWiderspruchsseiner Gattin, das Rechte getroffen zu haben; denn umwenigesspäterließensichvordemHausehelleStimmenvernehmen, und als ein tiefes, herzliches Lachen lautwurde,sprangDionaufundriefderGattinzu:»Solachtnur Gorgias, wenn ihm etwas ganz Besonderesbegegnet.«Damit eilte er hinaus und hielt Umschau, doch es gabtrotzdeshellenMondenscheinsnichtsmehrzusehenalsdenVaterPyrrhus,derzudemAnkerplatzezurückging.Aber dasOhr desDionwar scharf, undvonder andernSeite des Hauses her meinte er gedämpfte Stimmen zuhören.Ungesäumtfolgteerihnen,undalserdieEckedesBauwerksumgangenhatte,blieberüberraschtstehenundrief, als dicht vor ihm ein leiser Aufschrei erscholl:»Guten Abend, Gorgias. Auf später! Ich will nichtstören.«WenigerascheSchritteführtenihnzuBarinezurück,undwährend er ihr ins Ohr raunte: »Draußen imMondenschein sah ichHelena an derBrust desGorgiasdieSehnsuchtnachdenGroßelternstillen,«klatschtesie

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in die Hände und sagte lächelnd: »So geht in dieserEinöde die gute Lebensart verloren. Ein liebendes PaarbeidererstenBegegnungstören!DochGorgiashatesmitunsbeidenmitteninAlexandriaebensogehalten,unddasistihmnunheimgezahltworden.«Mit der Verlobten amArme betrat der Baumeister balddarauf das Gemach. Von Stunde zu Stunde hatte erHelena schwerer entbehrt und es am achten Tageunmöglichgefunden,desLebensLastohnesieweiterzutragen. Jetzt versicherte er, mit gutem Gewissen alsWerber vor die Mutter und die Großeltern getreten zusein; denn schon am dritten Tage nach der Abreise derHelena habe sich das Verhältnis zwischen ihm und derKönigin geändert. In Gegenwart der Kleopatra sei ihmnämlichdasBildderEnkelindesDidymusnochlebhaftervor die Seele getreten als früher angesichts der Helenadas der trotz alledem unvergleichlichen Majestät. EineSehnsucht wie diejenige, die ihn in den letzten Tagengequält, habe er dazu bis dahin nur aus der Dichtunggekannt.

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EinundzwanzigstesKapitel.

Diesmal war es dem Baumeister nur vergönnt, wenigeStundenaufderSchlangeninselzuverleben;denninderStadt begann es sehr ernst auszusehen, und auch beiNachtwurdederBaudesGrabmalsgefördert.DasInneredeserstenStockwerksgingderVollendungentgegen,undderRohbaudeszweiten schrittvorwärts.AberauchdasErdgeschoß erforderte noch Arbeit in Fülle. Wie dies,solltedasGanzeeinvollendetesKunstwerkwerden.DieMosaicisten, die den Fußboden der großen Halleherstellten, hatten sich selbst übertroffen. Auf dieBildhauerarbeiten für die Wände konnte nicht mehrgewartetwerden.WohineigentlichReliefsinBronzegußgehörten, sollten einstweilen Platten von polirtemschwarzemMarmor kommen; denn die größte Eile thatnot.OctavianhattesichbereitsPelusiumgenähert,undwennSeleukus, der Befehlshaber der Besatzung, die starkeFestung auch lange hielt, konnte doch schon in dernächsten Woche ein Teil des feindlichen Heeres vorAlexandriaerscheinen.UebrigensstandeineAchtunggebietendeStreitmachtzuseinem Empfange bereit. Die Flotte schien der desFeindesgewachsen,dieReiterei,dieAntoniusgesternanderKöniginvorübergeführthatte,mußteauchdasAuge

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desKennerserfreuen,undder Imperatorhofftevielvonden Kriegern, die in früheren Tagen unter ihm gedient,die seine Großmut und offene Hand imGlücke kennengelernt und die ereignisreichen Tage schwerlichvergessen hatten, in denen er Gefahr und Entbehrungwilligundheitermitihnengeteilt.Helenablieb aufderKlippe zurück,und ihreSehnsuchtnach dem alten Paare hatte sich beträchtlich gemildert.Wach und hilfsbereit rührte sie die Hände, und ihrheiterer Blick bewies, daß das einsame Inselleben ihrseineReizezuerschließenbeginne.Ueber den jungen Gatten war dagegen große Unruhegekommen. Er verbarg sie vor den Frauen; der altePyrrhus aber hatte oftMühe, ihn von einer Fahrt in dieStadt zurückzuhalten, die so nahe vor der letztenEntscheidung die Frucht langer Ausdauer undEntbehrunginFragestellenkonnte.OftschonhatteDionmit der Geliebten ein Schiff besteigen wollen, um einegroße Stadt in Syrien oder Griechenland auszusuchen,doch immerneue, schwerwiegendeBedenkenhatten ihndavon zurückgehalten. Besonders bedrohlich erschien,daß jedes Fahrzeug aufs gründlichste untersucht wurde,bevor es den Hafen verließ,— und es war unmöglich,ihmdenRückenzuwenden,ohnedieschmaleStraßeimOstendesPharusoderdenDurchgang imHeptastadiumzupassiren,diebeideleichtzubewachenwaren.Ausder

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reifen Gelassenheit, die den jungen Ratsherrn sonstauszeichnete, war fieberhafte Unruhe geworden, undauch das Herz des treuen alten Warners hatte dasGleichgewicht verloren; denn der Zusammenstoß derFlotte,aufderseineSöhnedienten,mitderdesOctavianwarbaldzuerwarten.Tief erregt kam er eines Tages aus der Stadt zurück.Pelusiumsolltegefallensein.Als er die Klippe bestieg, fand er dort alles still.Niemand,auchnichtDione,empfingihn.Waswarhiervorgegangen?Hatte man die Verborgenen entdeckt und sie und dieSeinen in die Stadt, ins Gefängnis, vielleicht in dieSteinbrüchegeschleppt?Totenbleich, doch gefaßt und aufrecht schritt er demHause entgegen. Er verdankte dem Dion und seinemVater das höchste Lebensgut, die Freiheit, und dieGrundlagezuallem,wasersonstnochbesaß.AberhattenseineBefürchtungenwirklich dasRechte getroffen,warer ein beraubter Mann, so durfte er doch, selbst alsvereinsamterBettler,fortfahren,derFreiheitzugenießen.Wennerfürdenjenigen,durchdenerseinBestesbesaß,dasübrigepreisgebenmußte, lagesihmob,esgeduldigzutragen.Eswarnochhell.Auch als er demHause ganz nahe gekommenwar, traf

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kein Laut sein Ohr, außer dem Freudengeheul seinesgroßenWolfspackersArgus,deranihmaufsprang.JetztlegteerdieHandaufdasSchloßderThüre;—dochvoninnenherwardsieaufgestoßen.Dion hatte ihn kommen sehen, und hingerissen von derneuen Glückseligkeit, mit der dieser Tag ihn gesegnet,fielerdemtreuenMannestürmischandieBrustundrief:»Ein Knabe, ein herrlicher Knabe! — Wir nennen ihnPyrrhus.«Da rannen dem Freigelassenen helle Thränen in dengrauen Bart, und als seine alternde Gefährtin ihm mitdemFinger auf demMunde entgegenkam, raunte er ihrmit zitternder Stimme zu: »Als ich sie brachte, dafürchtetestDu,dieStädterzögenunsmit insVerderben;— aber Du empfingst sie trotzdem, wie sich’s gebührt,und—Pyrrhus soll er heißen—undnun!—Was thatichgeringerMann,daßmirsoGroßes,soSchöneszuteilwird?«»Undich,ich!«schluchztedieFischersfrauauf.»UnddasKind,dasherzigeWürmchen!«Diesem Tage der sonnenhellen Glückseligkeit folgtenandere der stillen Herzensfreude, der reinsten Lust undzugleich der schwersten Besorgnis. Sie brachten auchmanche Stunde, in der Helena Gelegenheit fand, ihreUmsicht zu bewähren, und die alte Chloris und dieFischersfrau standen ihr dabei mit ihrer Erfahrung zur

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Seite.Eine lieblichere jungeMutter als Barine, ein schöneresKindalsdenkleinenPyrrhusmeintenallebishinzudemGraubart,dessenNamenertrug,nichtgesehenzuhaben;denDionaberhieltesnichtmehraufderKlippe.Tausend Dinge, die ihm bis dahin unbedeutendvorgekommen waren und die er hatte gehen lassen,erschienen ihm jetzt wichtig und seines persönlichenEingreifens bedürftig. Er war Vater, und aus jederVersäumniskonnteseinemSohneSchadenerwachsen.Braun gebrannt, wie er jetzt war, und mit dem langgewachsenenHaare undBarte, bedurfte es nur geringerNachhilfe, um ihn auch für Freunde unkenntlich zumachen.IndenKleidern,dieerschonlangetrug,mußteihn, dessen feineHände zudem auf derWerft schwieliggewordenwaren,wohljederfüreinenwirklichenFischerhalten.Es war vielleicht thöricht, doch der Drang, sich derMutterBarines,denGroßeltern,demGorgiasalsVaterzuzeigen,erschienihmfürsichwert,einergeringenGefahrzutrotzen,undsofuhrer,ohneBarine,dieschonwiederim Zimmer umherging, von seiner Absicht zuunterrichten, nach Untergang der Sonne des letztenJulitagesindieStadt.Daß Octavian östlich von Alexandria beim Hippodromlagere,warihmbekannt.IndenweißenErhebungen,die

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dort entstanden waren, hatte man auch von derSchlangeninsel aus Zelte erkannt.AmNachmittagewarPyrrhus mit der Nachricht heimgekehrt, Antonius habedieReitereidesOctavianmitderseinengeschlagen.UnddiesmaldurftemanderSiegesbotschaft trauen;dennderPalast auf der Lochias war festlich beleuchtet, und alsDionlandete,gingeslebhaftheraufdemQuai.Einerriefdem andern zu, es stehe alles zum besten. MarcusAntonius sei wieder der Alte geworden. Wie ein Heldhabeersichgeschlagen.Viele,dieihmgesternnochgeflucht,mischtenheuteihreStimmen in die Evoërufe, die für den neuen Dionysuserklangen,derseineGottheitwiederbewähre.ImHausedesGorgiasfandderspäteGastdieGroßelternallein.SiewarenschonlängstvondemneuenGlückederEnkelin unterrichtet. Jetzt freuten sie sichmitDion undwollten sogleich ihren Gastfreund und künftigen Sohnrufenlassen,dersichaneinerVersammlungderEphebender Stadt beteiligte, obgleich er ja längst nichtmehr zuihnen gehörte. Aber Dion wünschte ihn unter denJünglingen zu begrüßen, die denBaumeister eingeladenhatten,umihnenbeiderEntscheidungderFrage,wiesiesichwährenddiesesKampfeszuverhaltenhätten,ratendzurSeitezustehen.DocherbrachnichtgleichvondemaltenPaareauf;dennererwartetenochzweiBesuche:dieMutterBarinesund

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dienubischeDienerinderCharmion,dieseitderGeburtdes kleinen Pyrrhus jeden Abend bei dem Philosophenvorsprachen. Jene, um sich zu erkundigen, ob der TagnichtsNeuesüberMutterundKindgebrachthabe,diese,um Briefe abzuholen, die sie, die Vermittlerin, amnächsten Morgen auf dem Fischmarkt ihrem FreundePyrrhusoderseinemSohneübergab.Zuerst erschien Anukis. Durch einen kurzenGlückwunsch erleichterte sie das teilnehmendeHerz; sogern sie aber auch aus dem Munde des Dion selbstNäheres über die ihr teure junge Mutter gehört hätte,unterdrücktesiedochauchdiesmaldeneigenenWunsch,umimSinnederHerrinzuhandeln.Soschnellesanging,begab sie sich darum zuCharmion zurück undmeldeteihrdieAnkunftdesunerwartetenGastes.FrauBerenikegenoßdieneuegroßmütterlicheWürdemitdankbarer Freude, doch kam sie diesmal gebeugt voneiner schweren Besorgnis, die nicht nur ihrer getrübtenEinbildungskraftdenUrsprungverdankte.IhrBruderAriusverbargsichmitseinenSöhnenimHauseines Freundes; denn sie schienen ernstlich bedroht.Bisher hatte Antonius dem Philosophen großmütig dienahen Beziehungen nicht verübelt, in denen er zuOctavianstand;nunaberOctavianvorderStadt lagerte,wurde das Haus desMannes, der dem Feinde währendseinerStudienzeitderMentor,derBeraterundspäterein

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hochgeschätzter Freund gewesen war, auf Befehl desMardionvonScythenbewacht.IhmunddenSeinenwaruntersagtworden,dieStadtzubetreten,unddieFluchtzudem Freunde hatte in der Nacht und unter schwererGefahrbewerkstelligtwerdenmüssen.Die ängstliche Frau befürchtete das Schlimmste für denBruder, wenn Marc Anton die Oberhand behielt, unddochwünschte siederKöniginvonganzemHerzendenSieg. Sie, die stets das Ungünstigste erwartete, sah imGeiste das Kriegsglück sich wenden, — und es fehltedafürnichtanGrund;dennderkühneReitergeneral,derso viele Siege erfochten und den dasMißgeschick vonActium nur schwer niedergebeugt hatte, sollte die alteSpannkraft zurückgewonnenhaben.Heldenmütigwie infrüherenTagen,jamitverwegenemUngestümwarerander Spitze seiner Reiter dem Feinde entgegengesprengt.Von seinem mächtigen Rappen aus sollte er das großeSchwertmitsofurchtbarenStreichengeschwungenhabenwie vor fünfundzwanzig Jahren, als er den ArchelausunweitdernämlichenStelleaufsHauptgeschlagen.Daßer in der goldenen Rüstung mit dem Helm auf dembärtigen Haupte seinem Ahnherrn Herakles geglichenhabe,wurdeauchvonCharmionbestätigt,dievoneinemGespannederKöniginschnellhiehergeführtwordenwar.Kleopatrakonnteihrerbaldbedürfen,unddochhattesiesich von der Lochias losgemacht, um von dem Vaterselbstmancherlei,wasihramHerzenlag,überdiejunge

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MutterunddenKnabenzuerfragen,derihrschonalsdererste Enkel desMannes teuer war, dessenWerbung siezwar zurückgewiesen hatte, dem sie aber das köstlicheBewußtsein verdankte, in der Blütenzeit des Lebensgeliebtzuhabenundgeliebtwordenzusein.Dionfandsieverändert.DieschwerenMonde,diesieindem Briefe an Barine geschildert, hatten ihr dasergrauende Haar vollends gebleicht, dieWangen warenihreingefallen,undeine tiefeFaltezwischenMundundNase verlieh ihrem freundlichen Antlitz einenschmerzlichen Ausdruck. Dabei schien sie vor kurzemgeweint zu haben, und in der That lagenherzerschütterndeVorgängedichthinterihr.WährendesaufderLochiashochhergegangenwar,hattesiesichvondortweggestohlen...DerSiegdesAntoniuswurdegefeiert.ErselbstleitetedasGelage.WiederwareranHauptundBrustmit einerFüllevon frischemLaubundprächtigenBlumen bekränzt. Neben ihm ruhte Kleopatra inlichtblauen,mitLotosblumengeschmücktenGewändern,diewiediekleineKroneaufihremHauptevonSaphirenund Perlen strotzten. Charmion versicherte, sie seltenschöner gesehen zu haben.Doch—das verschwieg sie— die blutlos fahlen Wangen der Kleopatra hattenkünstlichgerötetwerdenmüssen.Eswarrührendmitanzusehengewesen,wieAntoniussie

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nachderRückkehrausderSchlacht,nochinderRüstung,sofreudigansHerzgeschlossenhatte,alshabeersiesichzurückerkämpft und zugleich mit der geschwundenenHeldenkraftauchsieundihreLiebewiedergefunden.UndauchihrhattedasGlücksonnenhellausdenAugengestrahlt. Den Reiter, der wegen seiner besonderenTapferkeit ihr vorgeführt worden war, hatte sie in derBewegung ihres Herzens mit einem Helme und PanzervonlauteremGoldebeschenkt.Doch bevor noch das Festmahl begann, war siegezwungen worden, sich selbst zu bekennen, daß derAnfang des Endes dennoch beginne; denn wenigeStunden nachdem sie diesen Reiter so großmütigbeschenkt,war er zumFeinde übergelaufen.Dann hatteAntonius den Octavian zum Zweikampfe herausfordernlassen und die kühle Antwort erhalten, es stünden ihmvieleWegeindenTodoffen.Das war die Sprache des kaltherzigen, der UebermachtsicherenFeindes.WietraurighattesieauchdieHoffnungbetrogen, die alten Streiter, die unter dem Antoniusgedient, würden auf seinen ersten Ruf den neuenKriegsherrn verlassen und ihm scharenweiseentgegeneilen;dennalleVersucheihresGatten,diedahinzielten, waren trotz der hinreißenden Macht seinerBeredsamkeit gescheitert, während jede Stunde dieNachricht vom verräterischen Abfall einzelner Krieger

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und ganzer Manipeln seines Heeres brachte. So gewißschienderFeindseinerSache,daßerdenVersuchendesMarcAnton,dieSoldatendurchVersprechungenfürsichzugewinnen,nichteinmalwehrte.NachalledemsahKleopatrajetztmitvollerSicherheitindemSiegedesGeliebtennurnochdasletzteAufflackerndesverlöschendenFeuers;abersolangeesbrannte,sollteer sie seinemLichte folgensehen.Sohatte siedenndieFesthalle mit dem Sieger von heute betreten. Sie warZeugeeinesseltsamenGastmahlsgeworden.MitThränenhatteesbegonnenundKleopatraandasWorterinnert,sieselbst gleiche einem Siegesfeste vor der gewonnenenSchlacht.Die Mundschenken waren kaum mit den goldenenKrügen den Gästen näher getreten, als Antonius sichihnen mit dem Rufe zugewandt hatte: »Wackereingegossen,ihrLeute,morgendientihrvielleichtschoneinemandernHerrn!«Dann war er, ganz entgegen seiner Art, nachdenklichgeworden und hatte vor sich hin gemurmelt: »Ich liegedann wohl draußen als ein Leichnam, ein elendesNichts!«LautesSchluchzenderSchenkenundDienerwardiesenWorten gefolgt; er aber hatte ihnen gelassen zugeredetundverheißen,sienichtmitineinenKampfzunehmen,von dem er weit mehr für sich einen ruhmvollen Tod

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erwartealsRettungundSieg.Da waren auch der Königin die Augen übergeflossen.Hatte dieser zügellose Genußmensch, der ruchloseVerschwender und Unruhestifter mit den begehrlichen,unersättlichen Sinnen auch bittere Feindschaft erweckt,sowarmeLiebevonsovielenwardochwenigenzuteilgeworden. Und ein Blick auf seine Heroengestalt, einGedanke an die Zeit, in der auch die Feinde ihmnachsagten, daß er nie größer sei als angesichts derschwerstenGefahr,niefähiger,dieHoffnungaufbessereZeit auch in anderen froh zu erwecken, alsmittenunterden schwersten Entbehrungen, ein Hinhören auf dietiefenLautedermetallenenStimmedesRedners,die sooft aus demHerzen kam und darum dieHerzenmit sounwiderstehlicher Macht gewann, eine Reihe vonErinnerungen an die heitere Offenheit seines GemütesundseinegrenzenloseGroßmuterklärtenzurGenügedieKlagen,diebeijenemMahleerschollen,dieThränen,diedabei flossen, und die allesamt echt waren. Auch derschönen königlichen Frau hatten sie gegolten, die demGemahle,ohnederAnwesendenzuachten,dieedleStirnmitderPerlenkroneandiegewaltigeSchulterschmiegte.AberdieTrauerhattenichtlangegedauert,undalsMarcAnton mit dem Rufe: »Fort jetzt mit dem Harm! WirbrauchendieLarvanicht6.Auchohnesiewissenwir,daßes bald aus seinwirdmit derLust!Ein frohes Festlied,

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Xuthus!UndDu.Metrodor,denTänzernvoran!DerersteBecher der Schönsten, der Besten, der Klügsten, derLiebenswertesten,deramheißestenGeliebten!«Damit hatte er den Pokal hoch aufgeschwungen, derFlötenspielerXuthus demChore gewinkt, der sein Liedbegleitete, und der Tänzer Metrodor sich alsSchmetterling einer Schar von lieblichen Mädchenvorangeschwungen, die mit dem Gewölk der weitenGewändervondurchsichtigemfarbigemBombyx,diesiebauschig umflossen, das anmutigste Spiel trieben und,bald wie von Nebeln umwallt, bald wie von Flügelnfortgetragen, dem entzückten Auge die köstlichsteAbwechslungboten.Die Todesgenossen waren wieder Freudengefährtengeworden,undalsCharmion,diedieGebieterinnichtausden Augen verloren und das schmerzliche Zucken, dasihr das Antlitz bewegte, wahrgenommen, sich aus demKreis der Gäste fortgeschlichen hatte, war die treueNubierin ihr entgegengekommen, um die Ankunft desDionzumelden.Dawarsie—dochdasverschwiegsiedenFreunden—inihreWohnunggeeilt,umsichzumAusgangezurüsten,unddaIrasebendieThürgeöffnethatte,umsichinihreGemächerzubegeben,warsieihrnachgefolgt,umwegendesNachtdienstesbeiderKöniginmitihrzureden.Aberdie Nichte hatte ihr Kommen nicht bemerkt; denn von

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krampfhaftemSchluchzenerschüttert,hatte sieebendasAntlitz indasPolstereinerRuhebankgedrücktunddortdem wilden Schmerze, der ihr die Seele erschütterte,gestattet, mit der vollen Heftigkeit ihrerleidenschaftlichen Natur sich auszutoben. Da hatteCharmion sie angerufen und, selbst weinend, ihr dieArmegeöffnet,undseitihrerHeimkehrvonActiumwardieTochterihrerSchwesterihrzumerstenmalwiederandie Brust gesunken, und sie hatten sich langeumschlungengehalten,bisdemRufederCharmion:»Mitihr, für sie bis in den Tod!« die Antwort der Irasnachgeklungenwar:»BisindasGrab!«DaswareinWortgewesen,dasder JugendgespielinderFrau, die da unten blutenden Herzens an demrauschendenGelageübermütigerZecherteilnahm,schoninmancherstillenNachtstundedieSeelebewegtunddieFragenachsichgezogenhatte:»IstDeinGeschicknichtandasihregekettet?WaskannDirdasLebennochohnesiebieten?«JetztwardiesWortihrvernehmbarausdemMundeeinerandern entgegengetönt, undwie einEchodesRufesderIras hatte die Versicherung Charmions sich angehört:»Bis in den TodwieDu, wenn sie uns vorangeht.WasdemSterbenauchfolgt,desHerzensundderHändederCharmionsollsienirgendsentbehren.«»Und der Liebe und derDienste der Iras gewiß nicht,«

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hattedieGegenversicherunggelautet.So waren sie geschieden, und die Erregung diesesbedeutungsvollen Augenblicks malte sich noch in denZügendesalterndenMädchens,daseinstderköniglichenJugendgefährtin seine Liebe geopfert und ihr nun auchdasLebenverschrieb.Als sie imHause des Gorgias Abschied nahm von denFreunden,drücktesiedemDionmitwarmerInnigkeitdieHand und teilte ihm, während er sie an den Wagenbegleitete, mit, Archibius habe vor dem erstenZusammenstoßederTruppendieköniglichenKindervonhier fort auf seinGut Irenia geführt.Dawären sie jetztbeiihm.»Eine schwerere Stunde,« schloß sie, »als da ich dieKöniginzerrissenenHerzensAbschiedvonihnennehmensah, war ich selten zu durchleben verdammt.Was stehtden teuren Wesen bevor, die des reichsten Glückes sowürdigwären?DieZwillingeunddenkleinenAlexanderanerkanntundgesichertvorTodundUnbillundDeinenKnaben auf demArmederBarine zu sehen, das ist dasletzte,wasichmirnochwünsche.«Auf der Lochias hatte Charmion noch lange zuwarten,bevordieKöniginsichzurRuhebegab.Siefürchtetesichvor der Stimmung, in der sie das Gastmahl verlassenwürde; denn schon seit Monden kam Kleopatraniedergeschlagen, bis zu Thränen bewegt oder in heller

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EntrüstungvondenGelagenderTodesgenossen zurück.Wiemußtedies,dasletzte,dassotraurigbegonnenhatteundeinemsoübermütigenFortgangentgegeneilte,aufsiewirken?EndlichinderzweitenStundenachMitternachterschienKleopatra.Charmionmeinte,sieseivoneinerTäuschungbefangen;denn die Augen der Königin, die, als sie sie verlassenhatte,vonThränenübergeflossenwaren, leuchteten jetztin glückselig heiteremGlanze, und als die Freundin ihrdie Krone vom Haupte löste, rief sie: »WarumverschwandestDusofrühvondemFeste?Vielleichtwaresdasletzte;abereinesschönernerinnereichmichnicht!WieindenFrühlingstagenunsererLiebeistesgewesen.Einem steinernen Bildnis hätte Marc Anton das HerzbewegtmitjenemGemischvonmännlicherKühnheitunddemütiger Hingabe, dem kein Weib widersteht. Wiedamals schrumpften die Stunden zu Augenblickenzusammen.Wirwarenwiederjung,wiedereins.Hieraufder Lochias in der heutigen Nacht weilten wir beieinander und doch in fernen Zeiten und an anderenStätten.WasdieSängersangen,dieMusikerspielten,dieTänzerdemBlickeboten,fürunswaresverloren.Ineinesonnige Zauberwelt schwangen wir uns Hand in Handzurück, und das Märchenspiel im Reiche derGlückseligen, das sich da vor uns in blendender Pracht

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undwonnigerLustabspielte,eswarderTraum,den ichalsKindamliebstenträumte,undzugleichderwonnigsteTeildesLebensderKöniginvonAegypten.Vor derThür desEpikuräergartens begann es.Aus demKydnosstrome nahm es den Fortgang. Ich sah michwieder auf dem goldenen Schiffe von Blumenkettenumstrickt,aufdempurpurnenLagermitRosenringsummichherundunterden imEdelsteinschmuckblitzendenFüßen.Ein sanfterWindhauchblähtedas seideneSegel,die Gefährtinnen ließen rings um mich her die hellenStimmen zum Saitenspiele erschallen, den süßenWohlgeruch, der uns umwehte, trug der Zephyr an dasUferundhauchteihmdieBotschaftzu,daßihmdiehoheSeligkeit jetzt nahe, von der er gewähnt, ihr Genuß seiden Himmlischen allein vorbehalten. Und wie mir seinHerz entgegenschlug und seine berauschten Sinnezitterndnachmirverlangten,so—erbekanntees—sogeschah es auch seinem Geiste, sobald er dem meinenbegegnete.GlückseligfühltenwirunsbeidevonBandenumschlungen,dienichts,auchnichtdasMißgeschick,zulösenvermochte.Er, derBeherrscherdesErdrunds,warüberwunden, und es bereitete ihmWonne, denWinkenderSiegerinzufolgen,weilerempfand,daßsie,vorderer sich beugte, seine gehorsameSklavin.Und das alles,keinZauberbecherhatteesbewirkt!Wiebefreitvondembeängstigenden Wahnbilde, das — hatte es auch dasFeuer zerschmolzen — mir die Seele bis vor wenigen

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Stundenamschwerstenbedrückte,atmeteichwiederauf.KeinemagischeKunst,nurdieGabendesLeibesundderSeele,diediebesiegteSiegerin,diedasWeibKleopatraderGunstderHimmlischenverdankte,hattenseinehoheMannheitgezwungen,sichihrzuergeben.Vom Kydnos führte er mich hieher und in die seligenTage, die es uns auf dem Bodenmeines Alexandria zuverschwelgen vergönnt war. Tausend sonnenhelleStunden, singende und klingendeWogen, die längstmitdemStromederZeitvondannenrauschten,weckteerzuneuemLeben,und ich, ich thatdasGleiche,undunsereErinnerungen schmolzen ineinander. Was wir anunvergeßlichen Stunden durchlebt, wenn wir in tollemUebermut uns unerkannt unter das fröhliche Volkmischten, was uns in olympischer Lust das Herz hochaufschwang, wenn uns der Jubel von Tausendenumjauchzte, was uns im einsamen Gemache Geist undSinnemitdenWonnenderSeligengesättigt,wasunsvondenKindernauszufloßanbeglückendem,reinemNektarder Seele, das alles zeigten und schenktenwir einanderwieder, und keinswußte,wer derGebende sei oder derEmpfänger. Wie ausgelöscht erschien das Dunkle, dasSchmerzliche, — und der Kindertraum, das von derEinbildungskraft gewobene Märchen, als WirklichkeitstandesmirvorderSeele,alsdienämlicheWirklichkeit,—ichwiederholees—dieichmeinvergangenesLebennenne.

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Und,Charmion,wennmorgen derTod kommt, braucheich dann zu sagen, daß er zu früh kam, daß er michabrief, bevor er demDaseingewährte,mir die höchstenseinerGabenzuschenken?Nein,neinundabermalsnein!Wer in der letzten Stunde sich sagen darf, der schönsteseiner Kinderträume sei überboten worden durch einenlangen Abschnitt des eigenen Lebens, der preise sichglücklich, sei es auch inder tiefstenNotundamRandedesGrabes!Das Verlangen, die erste und höchste unter den Frauenihrer Zeit zu werden, das schon das Herz der jungenSchülerin bewegt hatte, es wurde erfüllt. Die heißeSehnsucht nach Liebe, diemir schon damals das ganzeWesen durchglühte, das liebendeWeib, die Mutter, dieKönigin sah sie befriedigt, und damit auch dieFreundschaft mir gewähre, was sie nur immer vermag,dafür ließ die Gunst des Schicksals meinen Archibius,DeinenBrudersorgen,meineCharmionundIras.Somagnunkommen,waswill.DieserAbendlehrtmich,daß das Leben mir hielt, was es versprach. Aber auchanderen soll gestattet sein, der glänzendsten derKöniginnen,deramheißestengeliebtenallerFrauengernzu gedenken. Ich sorge dafür; denn das Grabmal, dasGorgiasmirerbaut,wieeineunzerstörbareMauerstelltessichzwischendieKleopatra,dieheutenochmitstolzemSelbstgefühl diese Krone trägt, und die drohende

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DemütigungundSchande.Jetzt will ich schlafen gehen. Bringt das ErwachenNiederlage, Jammer und Tod, ich habe keinen Grund,meinGeschickzubeklagen.Nureinswollteesmirnichtgönnen: die schmerzlose Ruhe, die das Kind und diewerdende Jungfrau als höchstes Gut erkannten; dochauchsiesollderKleopatrawerden.DasReichdesTodes,das, wie die Aegypter sagen, das Schweigen liebt, esöffnet mir die Thore. Die stillste Ruhe, auf seinerSchwelle beginnt sie, undwo sie aufhört,werweiß es?Der Blick des Geistes reicht nicht weit genug, um dieGrenze zu erspähen, bei der sie amEnde der Ewigkeit,diejaendlosist,vonetwasanderemverdrängtwird.«DamithattedieKöniginderFreundingewinkt,sieindasSchlafgemachzubegleiten.VonihmausführteeineThürindasderKinder,undeinunwiderstehlicherTrieb zwang sie, sie zuöffnenund indenleeren,dunklenRaumzuschauen.Da fühlte sie, wie es ihr kalt durch die Adern rieselte.EinerderZofen,dieihrfolgten,nahmsiedieLeuchteausder Hand und trat auf die Lagerstätte des kleinenAlexanderzu.Siewarleerundverlassenwiedieanderen.Das erhobeneHaupt sank ihr auf die Brust; diemutigeFassung, die dem Rückblick auf das vergangene Lebengefolgtwar, hielt nichtmehr stand, undwie das üppigeSchwelgen des Himmels in den lichtesten Farben, wie

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das Abendglühen plötzlich der Nacht weicht, so begabsich in der Seele Kleopatras nach dem hohenAufschwung der letzten Stunden eine jähe Wandlung,und von tiefer, schmerzlicher Niedergeschlagenheitergriffen, warf sie sich vor dem Bette der Zwillingenieder. Dort blieb sie lange leise weinend liegen, bisCharmionsie,alsderTagzudämmernbegann,ermahnte,zur Ruhe zu gehen. Da erhob Kleopatra sich langsam,trocknete die Augen und sagte: »Vorhin schienmir dasLeben, das hinter mir liegt, wie ein prächtiger Garten.AberwievieleSchlangenstrecktenmirebendieplattenKöpfemitdenblitzendenAugenundgespaltenenZungenentgegen!WerrißdieBlumenzurSeite,unterdenensieverborgen gelegen? Ich meine, Charmion, es war diegeheimnisvolleMacht, die ja hier bei denKindern sichnoch der kleinstenwie der stärksten Regung gegenübersogewaltig bethätigt,—eswar—wannhörte ichdiesunheimlicheWortzumletztenmalnennen?—eswardasGewissen.Hier, an dieserHeimstätte derUnschuld undReinheitfälltscharfinsAuge,waseinemFleckengleichsieht.—Hier ...OCharmion ...WärendieKinderdochhier!—Dürfteichdoch...Abernein,nein!Esistgut,istsehr gut, daß sie fort sind! Stark muß ich bleiben, undihre holde Anmut bräche mir die Kraft. Aber es wirdhellerundheller.KleidetmichanfürdenTag.Eherfänd’ichwohlSchlafineinemzusammenstürzendenHause,alsmitsolchemAufruhrimHerzen.«

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Währendman ihr darauf die dunklenGewänder, die siebezeichnet hatte, anthat, erscholl im königlichen Hafenunter ihr laut und vielfach der Ruf der Tuba und derSignale, die die Flotte und das Landheer, von dem eingroßer Teil schon in der Nacht auf die dem MeerebenachbartenHügelgeführtwordenwar,zurAufstellungriefen.Das klang kriegerisch und kühn. Die wohlbewehrtenSchiffedauntenboteneinenstattlichenAnblick.Wieofthatte Kleopatra Unerwartetes eintreten, scheinbarUnmögliches möglich werden sehen. Der Sieg desOctavianbeiActium,warernichtauchwieeinWundergewesen? Wenn das Schicksal nun wie ein launischerHerrscher Ungunst mit Gunst vertauschte? WennAntonius sich heute alsHeld bewährtewie gestern undalsFeldherrwiesooftinfrüherenTagen?Siehatteesabgelehnt, ihnvordemBeginnderSchlachtwiederzusehen, um ihn nicht von der großen Aufgabeabzuleiten, deren Lösung ihm bevorstand. Als sie ihnjetzt aber auf dem feurigen Berberhengst in glänzenderRüstung,demKriegsgotteselbstähnlich,andenTruppenvorbeireiten und siemit jenen großen, heiterenWinkenbegrüßen sah, deren warme Freundlichkeit aus demHerzenkam, unddie dieKrieger schon so oft zu hellerBegeisterung entflammt hatten, mußte sie sich Gewaltanthun, um ihn nicht zu sich zu berufen und ihm zu

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sagen,daßihreGedankenihmfolgten.Aber sie unterließ es, und als seinPurpurmantel ihr ausdenAugenschwand,senktesiewiederdasHaupt.—WieganzandershatteinfrüherenTagenderZurufderKriegergeklungen,wennersichihnenzeigte!DieselaueAntwortauf seinen frohgemuten, warmherzigen Gruß war keinVorzeichendesSieges.

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ZweiundzwanzigstesKapitel.

AuchDionwurdeZeugedesAusmarschesderTruppen.Gorgias, den er unter den Epheben gefunden hatte,begleiteteihn,undwiedieKönigin,sosahenauchsieinder zurückhaltenden Weise, mit der das Heer denFeldherrn begrüßte, ein übles Vorzeichen für denAusgangderSchlacht.Den Jünglingen hatte der Baumeister den Dion als denGenius eines Verstorbenen vorgestellt, der, sobald manihnnachdemWoherundWohinfragte,gezwungensei,inGestalt einer Fliege dasWeite zu suchen. Er hatte dieswagendürfen;dennerkanntedieEpheben,und in ihrerMittegabeskeinenVerräter.Wie ein geliebter, vom Tode erstandener Bruder warDion, das frühere Haupt des Vereins, willkommengeheißenworden;ihmaberhatteesGenußbereitet,nachso langer Zeit bei einer Beratung als Redner denAusschlag zu geben. Freilich war er nur auf geringenWiderspruchgestoßen;dennderBeschluß,sichvondemKampfe gegen die Römer fern zu halten, war denEphebenvonderKöniginselbstdurchdenAntyllusnahegelegt worden, der indes die Versammlung schonverlassenhatte,alsDionsichzuihrgesellte.Waresdochder Kleopatra wie ein Frevel erschienen, das Blut deredelstenSöhnederStadt füreineSache inAnspruchzu

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nehmen, die sie selbst für verloren hielt. Sie kannte dieMütterundVätervonvielenundfürchtete,daßOctaviansie, die nicht zum Heere gehörten, furchtbar bestrafenwürde,wenn sie,mit denWaffen in derHand, in seineGewaltfielen.SchongingendieSternedemUntergangentgegen,alsdieEpheben dem Freunde das Geleit gaben. Unterwegsstimmten sie inwechselndenChören dieHymenäen an,die sie am Tage seiner Hochzeit zu singen verhindertgewesenwaren.Lautenschlag begleitete dieLieder, unddiesenächtlicheMusik indenStraßenderStadtgabderMythe den Ursprung, der Gott Dionysus, dem MarcAnton sich besonders verwandt gefühlt und in dessenGestaltersichdemVolkesooftgezeigthatte,seidamalsunterGesangundMusikvonihmgewichen.VordemIsistempelverließendieJünglingedenDion.NurGorgiasbliebbeiihmzurück.Er führte ihn zu dem dem Heiligtum benachbartenGrabmale der Königin, an dem bei Fackellicht emsiggearbeitet wurde. Ein leichtes Gerüst umgab es nochimmer; das hohe untere Stockwerkmit der eigentlichenGruft war aber vollendet, und Dion bewunderte dieKunst,mitderdasAeußerediesesBauwerksseineinnereBestimmungzumAusdruckbrachte.GroßeQuadernvondunkelgrauem Granit bildeten das Gemäuer. Ernst,beinaheabweisend,erhobsichdiebreite,leichtgeböschte

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Vorderseite mit dem gewaltig hohen Thore, das eineHohlkehlemitdergeflügeltenSonnenscheibekrönte.Anihrer Seite standen in überwölbten Nischen die ausdunklerBronzegegossenenBildsäulendesAntoniusundder Kleopatra, und über dem Karnies erhoben sich dieehernenGestaltenderLiebeunddesTodes,desRuhmesunddesSchweigensundadeltendieägyptischenFormenmitedlenWerkenderhellenischenKunst.Das massive, mit Figuren in erhabener Arbeitgeschmückte Thor von gegossenem Erz hätte einemSturmbockewiderstanden.Aus denWangen der zu ihmhinausführenden Stufen lagen Sphinxe vondunkelgrünem Diorit. Alles an diesem dem TodegewidmetenBauwerke erschien groß, ernst, durch seineUnzerstörbarkeitandieEwigkeitmahnend.Das obere Stockwerk war noch in keinem seiner Teilevollendet. Maurer und Steinmetzen arbeiteten an derBekleidung der starken Wände mit dunklem Serpentinund schwarzemMarmor.Die großeWinde stand bereit,die einMeisterwerk der alexandrinischen Plastik in dieHöheziehensollte.EswarfürdenGiebelbestimmtundstelltediesiegreicheVenusmitHelm,SchildundLanzedar, wie sie als Führerin einer Schar von geflügeltenLiebesgöttern, kleinen Bogenschützen, an deren SpitzeEros selbst Pfeile versandte, den schon aus vielenWunden blutenden dreiköpfigen Cerberus, den Tod,

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siegreichbekämpfte.FürdieBesichtigungdes innerenBauwerks fehlte es anZeit;dennPyrrhuserwarteteseinenSchutzbefohlenenbeiSonnenaufgang am Hafen, und im Osten begann sichschonderHimmelzulichten.Als die Freunde sich dem Landungsplatze näherten,funkelte die alles überragende eherne Kuppel desSerapeums mit blendendem Glanze. Die Wimpel undMaste der zum Ausbruch bereiten Flotte im Hafenschienen sich in einem Meer von goldenem Lichte zubaden.Inderschillernden,leichtgekräuseltenFlächederSeespiegeltensichzitternddieehernenundvergoldetenFiguren andenSchiffsschnäbeln, undwie einNetzwerkmit dunklen Maschenstreifen verbanden auf derWasserflächedielangenSchattenderRuderreihenSchiffaufSchiff.Hier nahmen die Freunde Abschied, und Dion folgteallein dem Quai, um zu dem Freigelassenen zu stoßen,der es schwer haben mußte, aus diesem Gewirr vonFahrzeugenmitseinerBarkedenAusgangzufinden.DieBesichtigungdesMausoleumshattedenjungenVaterzulangeaufgehalten,undsounkenntlichersichauchwußte,warfer sichdennochvor, sichunbesonneneinerGefahrauszusetzen, deren Folgen — das fühlte er heute zumerstenmale,—ihnnichtalleinzuschädigendrohten.Die gesamte Kriegsflotte erwartete das Zeichen zum

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Aufbruch.WasanFahrzeugennichtzuihrgehörte,hattesich vor dem Tempel des Poseidon zusammendrängenmüssen, und es war jedem einzelnen streng untersagtworden,denAnkerplatzzuverlassen.DieBarkedesPyrrhuslagmittenunterihnen,undandieRückkehraufdieSchlangeninselwar fürserstenichtzudenken.Wiepeinlich!BarinewußtejanichtsvonseinerFahrt indie Stadt, und daß er sie allein lassen mußte, währenddicht vor ihren Augen eine Seeschlacht geschlagenwurde, beunruhigte ihn selbst so sehr, wie es sieängstigenmußte.In der That wartete die junge Mutter von früh an mitsteigenderBesorgnisaufdenGatten.AlsdieSonnehöherstieg und sich rings um die Insel her der Schlag derRuder, die zweihundert Schiffe vorwärts bewegten, derschrillePfiffderFlöten,diesieimTakthielten,dertiefeKommandoruf der Befehlshaber und die die LuftdurchschmetterndenTrompetensignaleausderNäheundFerne vernehmen ließen, ergriff sie solche Unruhe, daßsiedaraufbestand,sichandasUferzubegeben,währendes ihr bis jetzt nur gestattet gewesen war, unter demZeltdache,dasanderSchattenseitedesHausesfürdiesenZweckausgespanntwordenwar,Luftzuschöpfen.VergebensdrangendieFraueninsie,dieAngstnichtHerrüber sichwerden zu lassenund sich zugedulden.Doch

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sie hätte auch einemgewaltsamenWiderstande getrotzt,um nach dem Geliebten auszuschauen, der mit ihremKindefürsiejetztdieganzeWeltwar.Als sie am Arme Helenas das Ufer erreichte, ließ keinBoot sich sehen. Nur Kriegsfahrzeuge bedeckten dieMeeresflächevor ihr, schwimmendeFestungen,die sichwie tausendbeinige Drachen vorwärts bewegten. AlsFüße dienten ihnen die zahllosen in drei oder in fünfReihengeordnetenRuder.JedesdergrößerenSchiffewarvon kleineren umgeben, und von den meisten zucktenblendendeBlitzeaus;dennsiestarrtenvonBewaffneten,und an den Schnäbeln der starken EnterfahrzeugespiegeltensichdieSonnenstrahlenindengroßen,blankenMetallstacheln,mit denen es galt, sich in denhölzernenLeibdesGegnerszubohren.DiegoldenenBildsäulenandenSchnäbelndergroßenSchiffegleißtenundfunkeltenim hellen Lichte des Tagesgestirns, und auch von denflachenHügelnamLandeausflammteesauf.Dortstanddas Fußvolk des Marc Anton, und von den Helmen,Panzern und Lanzenspitzen der Fußgänger und denRüstungenderReiterpralltendieSonnenstrahlenabunddurchzucktenmitblendendemGlanzedasheißeLichtdeserstenägyptischenAugusttages.UnterdiesAufleuchtenundFlammenundBlitzenindervon Glut und Helligkeit gesättigten Vormittagslustmischte sich vom Lande und der Flotte her immer

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häufiger und lauter kriegerischer Lärm. — Eben aberhatte die erschöpfte Frau sich auf einen Sesselniedergelassen, den die FischerstochterDione für sie inden Schatten des höchsten Felsenzahnes amnordwestlichen Ufer der flachen Insel gestellt, als vonallen Schiffen der ägyptischen Flotte her plötzlich einweithin schmetterndes Tubasignal auf sie einscholl unddie ganze Schar der Fahrzeuge durch die HafenöffnungamPharusindieoffeneSeeeinlief.Dort begaben sich die schmalen Glieder der hölzernenRiesenlegionauseinanderundruderteninwenigerbreitenReihenvorwärts.EsgeschahruhigundindernämlichentadellosenOrdnungwievor einigenTagen, als sieunterdenAugendesMarcusAntoniuseineähnlicheBewegungausgeführthatte.Die Kampflust schien sie unaufhaltsam vorwärts zutreiben.Regungslos erwartete sie die feindlicheFlotte.Aber dieägyptischen Angreifer hatten sich kaum einigeSchiffslängen in majestätischer Ruhe dem römischenGegner entgegenbewegt, als ein neues Signal die Lusterschütterte.WieeinJammergeschreihabeesgeklungen,meintendieFrauen,derenGehördieSchallwellentrafen,in späteren Tagen; hatte es doch das Zeichen zu einemVerrat sondergleichen gegeben. Die Sklaven, dieVerbrecher und elendesten der Söldner auf den

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Ruderbänken im Raume des Schiffes, sie erwarteten eswohl schon lange gespanntenOhres, und als es endlicherscholl,hobendieMänneraufdenoberstenBänkendielangenRuderundhieltensie inderSchwebe,dieindenunteren Reihen stellten dieArbeit ein, und jedes Schiffstand still und wies mit den hölzernen, weit von sichgestrecktenRuderfingern,wievonAbscheuergriffen,aufdas andere. Einem ehrlichen Schiffsführer hätte dieSchnelligkeitund tadelloseOrdnung,mitderdasHebenderRemenbewerkstelligtundFahrzeugnebenFahrzeugzumStillstandgebrachtwurde,zurEhregereicht,dochesleitete eine der nichtswürdigsten Schandthaten ein, vondenen die Geschichte berichtet, und die Frauen, diemancher Naumachie zugeschaut hatten und seineBedeutung erfaßten, riefen wie aus einem Munde:»Verrat!SieübergebensichdemFeinde!«Die Flotte des Marcus Antonius, die Kleopatra für ihngeschaffen,bisaufdieletzteBarkewarsiezudemErbendes Cäsar, dem Sieger von Actium, übergegangen, undderjenige, dem sie Treue geschworen, der sie eingeübtund gestern noch zu wackerem Standhalten angefeuerthatte, sah von einem Dünenhügel am Ufer zu, wie diestarkeWaffe,aufdieerdiebesteHoffnunggesetzt,nichtzerbrach, sondern sich selbst dem Feinde in die Handgab.DieAuslieferungderFlotteandenFeindbesiegelte—er

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wußtees—seinVerderben,unddieFrauenamUferderSchlangeninsel, die den Großen, die dies Unglückzunächst betraf, so fern standen, ahnten das Gleiche.BeidengriffesansHerz,jadasAugewardihnenfeuchtvorEmpörungundTrauer.SiewarenAlexandrinerinnenundwolltennichtrömischwerden.DerKleopatra, derTochter des ihnen stammverwandtenmakedonischenHausesderPtolemäer,ihralleingebührtedie Herrschaft über die Vaterstadt, die der großeMakedonier gegründet. ZumUnbedeutenden verringertesich in ihrer Vorstellung das Leid, das sie durch sieerfahren hatten, vor dem ungeheuren Schicksalsschlage,mitdemdieseStundedieKönigintraf.Als ein einziges großes, demselben Befehlshaberfolgendes Geschwader kehrte die römische undägyptische Flotte in den Hafen und an die Rhede derStadtzurück,dieihrjetztalskostbareBeutegehörte.BarinehattegenuggesehenundginggesenktenHauptesin das Haus zurück. Das Herz war ihr schwer, und dieAngstumdenGeliebtenwuchsvonStundezuStunde.Es war, als scheue sich das Tagesgestirn, eine soverruchte That mit freundlichem Lichte zu bescheinen;denn die blendende und stechende Sonne des erstenAugusttages verschleierte das strahlende Antlitz mitweißlichgrauemDunst,unddasentweihteMeerzogdieStirne kraus, vertauschte das reine Blaumit gelblichem

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Grau und schwärzlichem Grün, und weißer SchaumumgischtetedasHauptderempörtenWogen.Alseszudämmernbegann,steigertesichdieUnruhederverlassenenFraubis zurUnerträglichkeit.Nicht nur derbesonnene Zuspruch Helenas, auch der Anblick desKindes verfehlte diesmal dieWirkung, und schon hatteBarinedendaheimgebliebenenSohndesPyrrhuszusichberufen,umihnzubewegen,sieaufseinemBoot indieStadt zu führen, als Dione einen Kahn wahrnahm, dersichvonderSeeseiteherderSchlangeninselnäherte.UmwenigesspätersprangDionansLandundküßtedemjungenWeibedenVorwurf,womit sie ihnempfing,vondenLippen.Er hatte schon von demVerrate der Flotte vernommen,während er mit dem Freigelassenen im Hafen desEunostus ein gemietetes Boot bestieg, weil das desPyrrhus mit den anderen Nachen am Tempel desPoseidonfestgehaltenwurde.InweitemBogenhattedererfahreneLotsedieBarkedemWindeentgegendurchdieoffeneSeesteuernmüssenundwar von dem Gedränge eines Teiles der Kriegsflottelangeaufgehaltenworden.NunGefahrundTrennunghinter ihnen lagen,beglücktesiewohldasBewußtsein,sichwiederzuhaben,dochzurechterFreudekonntensienichtgelangen.DasSchicksalderKönigin undderVaterstadt lag ihnen zu schwer auf

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derSeele.BeimEinbruchderNachtschlugendieHundeheftigan,und am Strande wurde es laut. Mit dem sicherenVorgefühl, ihm und den Seinen stehe ein Unheil bevor,folgteDiondenrufendenStimmen.KeinSternerleuchtetedieFinsternis.NurdaswanderndeLichteinerLaterneamStrandeundeinlinderesbeidemder Schlangeninsel am nächsten benachbarten Eilandeleuchtete inderverdunkeltenNähe,währenddieLichterderStadtsohellwiejeimSüdenerglänzten.Pyrrhus war eben mit dem jüngsten Sohne beschäftigt,ein Boot in die See zu ziehen. Es galt ein anderes ausdemSandezubefreien,dassichineinerUntiefebeiderNachbarinselfestgefahrenhatte.Dionsprangmit indenNachen,undbalderkannteer inderrufendenStimmediedesBaumeistersGorgias.Der fröhlicheRufdes jungenVatersklangdemFreundeentgegen,dochdieAntwortbliebaus.BalddaraufsetztePyrrhusdenspätenGastansLand.Erwar—derFischerwies ihndarauf hin—einer großenGefahrentronnen;dennwäreeraufderandernInsel,dievon Giftschlangen wimmelte, gelandet, hätte er dortleicht dem Biß eines dieser Tiere zum Opfer fallenkönnen.Wohl ergriff Gorgias die Hand des Dion, seine heitereAufforderung, ihmsogleich indasHauszu folgen,wies

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er indes mit der Bitte zurück, ihn anzuhören, bevor ersichzudenFrauenbegebe.Dion erschrak. Er kannte den Freund. Wenn ihm sofinstere Betrübnis aus der tiefen Stimme klang und erdazu das Haupt so kummervoll senkte, war ihm sicheretwasSchrecklichesbegegnet.Erhatterechtgesehen;schondieersteKundegriffauchihmtiefindieSeele.Daß die Römer als Herren in Alexandria walteten,überraschteihnnicht,docheinekleineScharderSieger,denen übrigens befohlen worden war, sich wie inFreundesland zu betragen, war in das große Haus desBaumeisters gedrungen, umdas ihnendort angewieseneQuartier zu beziehen.Die taubeGroßmutter derHelenaund Barine, die, was der Bürgerschaft bevorstand, nurhalb verstanden hatte, war, entsetzt durch denstürmischen Eintritt der Krieger, von einem neuenSchlaganfallebetroffenworden,undvorderAbfahrtdesGorgiasaufdieInselhattesiedieAugengeschlossen.Aber dieser Trauerfall, der den Schwestern auf demEiland ins Herz schneiden mußte, war es nicht alleingewesen, was den Baumeister so spät und in einemfremden Nachen auf die Schlangeninsel geführt hatte.Seine von den gräßlichen Erlebnissen dieses Tagesüberreizte Seele hatte das Bedürfnis empfunden, nachBeruhigung im Kreise derer zu suchen, bei denen er

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Verständniszufindengewißwar.Doch nicht allein das Furchtbare, dasmitzuerleben ihmbeschieden gewesen, hatte ihn zu der unvorsichtigenSeefahrtgenötigt,sondernmehrnochdasVerlangen,denFlüchtlingen die beglückendeBotschaft zu bringen, daßsieungefährdetindieVaterstadtzurückkehrendürften.Tieferregt,javerwirrtundüberwältigtvondemErlebtenundGeschauten begann der sonst so klare und bei allerinnerenLebendigkeitbesonneneErzähler.DocheinmahnendesWortdesDionveranlaßteihn,sichzusammelnunddieEreignisseinderFolge,wiesieihmselbstbegegnetwaren,zuschildern.

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DreiundzwanzigstesKapitel.

Nachdem der Baumeister den Dion an den Hafenbegleitet, hatte es ihn auf das Forum gezogen, um sichmitMännern zu unterreden und zu hören, wasman fürdaskünftigeSchicksalderStadtfürchteunderwarte.DorthinkamenauchdieNachrichtenzuerst,underfanddaselbsteinengroßenTeildermakedonischenBürger,diees,wieihn,nacheinerAusspracheindiesenStundenderEntscheidungverlangte.Es ging dort lebhaft her; denn die verschiedenstenBotschaftenvomHeereunddenSchiffenjagteneinander.Erstlautetensiegünstig;dannwurdederVerratderFlotteund bald darauf der Uebergang der Reiterei und desFußvolkesgemeldet.Ein angesehener Bürger hatte den Marc Anton, voneinigen Freunden begleitet, den Quai entlang sprengensehen. Der kleine Palast auf dem Choma war das ZieldieserFluchtgewesen.Ernste Männer, deren Meinung nur geringemWiderspruche begegnete, hielten den Imperator fürverpflichtet,sichdortwieBrutusundsovieleandereedleRömer,dadasSchicksalsichgegenihnerklärthatteundihm nichts mehr bevorstand als ein von Schandebeflecktes Leben, mit eigener Hand den Tod zu geben.

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Bald wurde auch berichtet, er habe zu vollbringenversucht,wasdieBestenvonihmerwartet.Da hatte es den Gorgias nicht länger auf dem Forumgeduldet.Nach demChomawar er geeilt,wenn es ihmauchschwergemachtwurde,zuderMauervorzudringen,in die man schon eine Bresche gerissen. Dicht vonMenschen erfüllt, hatte er das Uferstück, von dem dieLandzungeausging,gefunden.AufallenSeitenwurdesievonBooten umschwärmt, durch die er erfuhr, AntoniusbefindesichnichtmehrindemPalaste.Eben trug man einen verdeckten Leichnam aus demkleinenSchlosseaufdieKönigsstraße,undunterdenen,dieihmfolgten,befandsicheinSklavedesAntonius,denGorgias kannte. Die Augen des Mannes waren vonThränen gerötet. Willig folgte er dem Winke desBaumeisters und erzählte ihm schluchzend, derbeklagenswerte Feldherr sei, nachdem ihn seine ganzeStreitmachtverraten,hierherzurückgeflohen.Alserdannim Palaste vernommen, Kleopatra sei ihm in den Todvorangegangen, habe er seinem Leibdiener Erosbefohlen,auchseinemLebeneinEndezumachen.Daseider wackere Mann zurückgetreten und habe mitabgewandtem Antlitz sich selbst mit dem Stahledurchbohrt. Vor den Füßen des Herrn sei er sterbendzusammengesunken; Antonius aber habe dem Eroszugerufen, sein Beispiel lehre ihn, was ihm selbst zu

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vollbringen obliege, und dabei habe er sich das kurzeSchwertmiteigenerHandindenLeibgestoßen.DochdiegewaltigeLebenskraftdesriesenhaftenMannesseidurchdie eineWunde, so tief und schwer sie auch gewesen,nichtvernichtetworden.MitrührendenBittenhabeerdieUmstehenden angefleht, seinem Leben ein Ende zumachen, doch keiner hätte es über sich gebracht, dieseThat zu vollbringen. Dazwischen wäre dem ImperatorfortwährendderNamederKleopatraundderWunsch,ihrzufolgen,vondenLippengeklungen.EndlichseiDiomedes,derGeheimschreiberderKönigin,erschienen, um ihn auf ihren Befehl in dasGrabmonument bringen zu lassen, wohin sie sichzurückgezogenhatte.Wie neu belebt habe Antonius seine Zustimmunggegeben,undwährenderschonfortgetragenwordensei,hätte er noch den Auftrag erteilt, für die würdigeBestattungdesEroszusorgen.AuchnochsterbendwäreesdiesemgroßmütigstenderHerrenunmöglichgewesen,unbelohntzulassen,wasmanihmGuteserwiesen.Damit hatte der Sklave von neuem laut aufgeweint,GorgiasaberwarungesäumtzudemGrabmalegeeilt.DernächsteWegdahin,dieKönigstraße,hattesichindesso dicht mit Menschen gefüllt, die von römischenSoldaten zwischen dem Theater des Dionysos und demMusenwinkelzurückgehaltenwordenwaren,daßer sich

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gezwungen gesehen hätte, durch Nebengassen zu demBauzugelangen.SchonderQuaiwärenichtwiederzuerkennengewesen,und auch in den anderen Straßen habe dieBevölkerungein fremdartiges Ansehen gezeigt; denn statt friedlicheBürgerderStadtwäreneinemüberallrömischeSoldatenin voller Rüstung begegnet. Statt der griechischen,ägyptischenundsyrischenhätteesweißeundbräunlicheGesichtervonfremdartigemSchnittezusehengegeben.In ein Feldlager schien die Stadt sich verwandelt zuhaben. Hier sei ihm eine Cohorte blondlockigerGermanen, dort eine andere mit rotem Haupthaarebegegnet,derenHeimaternichtkenne,unddannwiedereinVexillnumidischeroderpannonischerReiter.BeimHeiligtumderDioskurenseieraufgehaltenworden.Eine hispanischeManipel hatte dort eben den Sohn desAntonius, den Antyllus, ergriffen und nach einemschnellen Kriegsgerichte getötet. Sein HofmeisterTheodotus war es gewesen, der ihn an die Kriegerverraten,dochwurdederNichtswürdigemitgebundenenHänden dem Leichnam des unglücklichen Jünglingsnachgeführt, weil man ihn ertappt hatte, wie er einenkostbarenEdelstein,denerihmvomHalsegenommen,indenGürtelversteckte.VordemAufbruchenachderInselwar dem Erzähler zu Ohren gekommen, man habe denElendenzumTodamKreuzeverurteilt.

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EndlichwaresdemGorgiasgelungen,zudemGrabmalevorzudringen.AufallenSeitenhatteeresvonrömischenVietoren und Scythen der Stadt abgesperrt gefunden,dochihm,demBaumeister,wardasVordringengestattetworden.Die furchtbarsten Scenen des Trauerspiels, das hiersoebenzumAbschlußgelangtwar,miteigenenAugenzuschauen, hatten die vielen Hindernisse, durch die eraufgehalten worden war, ihm erspart; doch durch denGeheimschreiber der Königin, der den verwundetenAntonius begleitet hatte, einen wohlgesinntenMakedonier, der dem Gorgias während des Bauesfreundschaftlichnahegekommen,warensieihmmitallerAusführlichkeitgeschildertworden.Kleopatrahattesich,sobaldsichdasKriegsglückfürdenOctavianentschieden,indasGrabmalgeflüchtet.NurderCharmion und Iras war es gestattet worden, sie zubegleiten,undsiehattenihrgeholfen,dieschwereeherneThürdes festenBauwerkeszuverschließen.Das falscheGerücht von ihrem Tode, das den Antonius veranlaßthatte, auch seinem Leben ein Ende zu machen, warvielleicht daraus entstanden, daß die Königin sichthatsächlichimGrabebefand.AlseraufdenArmen treuerDiener todeswundbeidemMausoleum angelangt war, hatten die Frauen sichvergeblich bemüht, die schwere eherne Thür wieder zu

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öffnen.AbermitheißerSehnsuchtverlangteesKleopatranach dem sterbenden Freunde. Sie mußte ihn in ihrerNähehaben,umihmdieletztenDienstezuerweisen,ihnnocheinmalihrerLiebezuversichern,umihmdieAugenzuzudrückenund,waresgeboten,mitihmzusterben.SohattesiedennmitdenFrauenUmschaugehalten,undda IrasderWindegedachte, die auf demGerüste stand,um die schwere Erzplatte mit dem Reliefbilde der denTod besiegenden Liebe in das erste Stockwerk zuschaffen, eilte die Königin mit den Freundinnen dieTreppe hinan, die Träger befestigten unten denVerwundeten an die Seile, und Kleopatra stellte sichselbst an die Winde, um ihn mit Hilfe der treuenGefährtinnenzusichhinaufzuziehen.Diomedes hatte versichert, sich keines kläglicherenAnblicks zu erinnern, als den des riesigen Mannes,währenderzwischenHimmelundErdeschwebteundmitdem Tode ringend und unter grausamen Qualen dieHände sehnsuchtsvoll nach der Geliebten ausstreckte.Kaum der Stimme mächtig vor Schmerz und dochzärtlich rief er ihr ihrenNamenentgegen, sie aberbliebihmdieAntwortschuldig;dennsiebotanderWindemitdergleichenleidenschaftlichenAnstrengungwieIrasundCharmion die ganze schwacheKraft auf, um ihn in dieHöhezuziehen.DasübereineRollelaufendeSeilschnittihrdabeiindiezartenHände,furchtbarverzerrtesichihr

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das schöneGesicht, doch sie ließ nicht nach, bis es ihrund den Gehilfinnen in der That gelungen war, dieschwere Last des Sterbenden höher und höher undendlichbisandieBretterdesGerüsteszubefördern.Diewahnsinnige Anstrengung, mit der es den drei Frauengelungenwar,eineThatzuvollbringen,dieauchfürihredurch die Macht des ernstesten Willens und heißestenVerlangens verdoppelteKraft zu schwerwar, hätte aberdennoch nicht zumZiele geführt,wäreDiomedes ihnennichtimletztenAugenblickezuHilfegekommen.ErwareinstarkerMann,undunterseinemBeistandegelanges,denSterbendenzuergreifen,ihnaufdasGerüstzuziehenund die schon vollendete Treppe hinunter auf dieGrabstätteimunterenStockwerkezutragen.Als sie denVerwundeten dort auf einer derRuhebänke,mit denen die große Halle bereits ausgestattet war,niedergelegt hatten, war der Geheimschreiber wiedergegangen; von der Treppe aus hatte er aber denunbemerkten Zuschauer gespielt, um zur Hand zu sein,fallsdieKöniginnocheinmalseinesBeistandesbedurfte.Glühend von der furchtbaren Anstrengung, die kaumhinter ihr lag, mit wirrem, aufgelöstem Haar, röchelndund stöhnend, hatte Kleopatra sich wie außer sich dasKleid aufgerissen, die Brust zerschlagen und mit denNägelnzerrissen.DaseigeneschöneAntlitzhattesiedannaufdieWunde

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des Geliebten gepreßt, um das strömende Blut zuhemmen, unddabeiwaren ihr all die süßenKosenamenvon den Lippen geklungen, mit denen sie denVerscheidendeninderFrühlingszeitihrerLiebegerufen.Sein furchtbares Leiden ließ sie das eigene schwereGeschickvergessen.ThränendesMitleidsfielenwieeinerfrischender Gewitterregen auf die noch unverwelkteBlume ihrer Liebe und brachten sie, die schon dieseNacht neu aufgerichtet hatte, zur letzten prächtigenEntfaltung.Maßlos,grenzenlos,wieeinstdieLeidenschaftfürdiesenMann,warjetztderJammer,mitdemsieseinqualvollesScheiden erfüllte. Was Marcus Antonius ihr in derGlanzzeitdesLebensgewesen,wassieeinandergewährt,und was das eine vom andern empfangen, war ihrwährend des Festmahles, das erst vor wenigen Stundenden Abschluß gefunden, wieder frisch und hell vor dieSeele getreten. Jetzt zog ihr das alles in knappzusammenfassenden Bildern noch einmal vor deminneren Auge vorüber, doch nur, um ihr die Tiefe desElendes dieser Stunde um so deutlicher zu zeigen.EndlichdrängtederSchmerzauchdiehellsteErinnerungin das Dunkel, sah sie nichts mehr als die Marter desGeliebten an ihrer Seite, zeigte ihr der stets lebendigeGeistnurnochdenAbgrundihrzuFüßenunddasGrab,dasnichtnurfürdenAntoniusoffenstand,sondernauch

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fürsieselbst.Unfähig, an vergangenes Glück zu denken oder aufkünftiges zu hoffen, ergab sie sich fassungslos derVerzweiflung, und keinWeib aus demVolke hätte sichungestümer dem brennenden Weh, das ihr das Herzzerreißt, hingeben und ihm wilder und rückhaltloserAusdruck geben können als diese große Königin, dieseFrau, die schon als Kind so empfindlich gegen denkleinsten Schmerz gewesen war, und die das spätereLebenwahrlichnichtgelehrthatte,Leidzuertragenundsichzugedulden.NachdemCharmiondemSterbendenaufseinenWunschWeingereichthatte,fanderKraft,stattnurzuwimmernundzuklagen,zusammenhängendzureden.Liebreich forderte er Kleopatra auf, an ihre Rettung zudenken,wennesangehe,ohnedieEhrezuschädigen,undwies sie auf den Proculejus als denjenigen unter denFreundendesOctavian,der ihresVertrauensammeistenwürdig.Dannbat er sie, ihnnicht zubeklagen, sondernihn glücklich zu preisen; denn er habe die allerreichsteGunstdesSchicksalsgenossen.IhrerLiebedankeerdasSchönste;dochauchderersteundmächtigsteMannaufErdenseiergewesen.JetztsterbeerimArmederLiebe,ehrenvollalsRömer,derdemRömerunterliege.IndiesemBewußtseinwarernacheinemkurzenKampfeverschieden.

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Kleopatra hatte seine letzten Atemzüge belauscht, ihmdieAugengeschlossenundsichdannthränenlosüberdenGeliebten geworfen. Endlich war sie in Ohnmachtgesunken und mit dem Haupte auf seiner hohen,erkaltendenBrustruhengeblieben.Der Geheimschreiber hatte dem allem zugeschaut undsich dann mit nassen Augen in das erste Stockwerkzurückbegeben.Dort war er dem Gorgias entgegengetreten, der dasGerüsterklommen,undhatte ihmmitgeteilt,waservonderTreppeausgehörtundgesehen.Kaumaberwarermitder Erzählung zu Ende gekommen, als ein Wagen aufdemMusenwinkel hielt und ein vornehmer Römer ihmentstieg.Es war der nämliche Proculejus. den der sterbendeAntonius der Geliebten als würdig ihres Vertrauensempfohlenhatte.»In der That.« fuhr Gorgias fort, »schien er an Gestaltund Antlitz zu den edelsten seines stolzen Volkes zugehören.Er kam imAuftrage desOctavian.DemCäsarwarmergebenunddazueinwohlgesinnterMann soll erja sein. Auch als Dichter und als Schwager desMäcenhörtenwirihnnennen.Derreiche,vornehmeHerristeingroßmütiger Gönner der Poeten, und auch Kunst undWissenschaftschätzter.TimagenesrühmteseineBildungund hohe Gesinnung. Vielleicht war der

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Geschichtsschreiber imRechte;woes sichaberumdenStaat handelt und sein Bestes, scheint es in derUmgebungdesOctavianübel umdas anderebestellt zusein,waswirhierfürwürdigeinesfreienManneshalten.Der Herr, dem er seine Dienste weiht, betraute ihnmiteinerschwierigenAufgabe,undalleseinzusetzen,umsiegut zu lösen,hältProculejusgewiß für seinePflicht;—unddennoch...Seheichrecht,sokommtfürihnderTag,andemerdenheutigenverwünschtunddemGehorsamflucht, mit dem er, der freie Mann, dem Cäsar half ...Aberhörenurweiter!Stolz, aufrecht, in stattlichemWaffenschmuck pochte eran die Thüre des Grabmals. Kleopatra hatte dieBesinnung zurückgewonnen und frug— sie mußte ihnkennen,gewißvonRomher—waserbegehre.Er komme, entgegnete er höflich, im Auftrage desOctavian, um mit ihr zu verhandeln, und die Königinzeigte sich bereit, ihn anzuhören, nurweigerte sie sich,ihnindasGrabmalzulassen.SobesprachensiesichdenndurchdieThür.MitwürdigerRuhe verlangte sie, die Söhne, die sie dem Antoniusgeschenkt — nicht den Cäsarion — als Könige vonAegyptenbestätigtzusehen.Eifrig versprach Proculejus sogleich, ihreWünsche vordenCäsarzubringen,undmachteihrauchHoffnungaufihreErfüllung.

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WährendsieaufdieKinderundihreAnsprüchezuredenkam,—ihrereigenenZukunfterwähntesiegarnicht—verlangte jener,NäheresüberdasEndedesMarcAntonzu hören, und erzählte ihr dann, wie es mit derVernichtungderStreitmachtdesVerstorbenengegangen,undauchanderesvongeringerBedeutung.DerMannsahnichtauswieeinSchwätzer,undderVerdachtbeschlichmich schon damals, daß er die Königin geflissentlichhinzuhalten suche. Das war auch die Absicht; denn erhattenuraufdenCorneliusGallus,denBefehlshaberderFlotte,gewartet,vondemDujahörtest.Aucherzähltzuden Vornehmsten in Rom, und dennochmachte er sichzumSpießgesellendesProculejus!Der entfernte sich, sobald er die unglückliche Fraumitdemanderenbekanntgemachthatte.IchbliebaufdemPostenundhörtenundemGallus zu,wie er Kleopatra des Beileids seines Gebietersversicherte.MitschwülstigerUebertreibungberichteteer,wiebitterOctavianindemMarcusAntoniusdenFreund,den Schwager, den Mitherrscher und Teilhaber an sovielen wichtigen Unternehmungen beklage. Bei derNachricht von seinem Tode habe er heiße Thränenvergossen. Niemals wären aufrichtigere einem ManneüberdieWangengeronnen.AuchGallusschienmirdasGesprächgeflissentlichindieLängezuziehen.

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Da,während ich nochmit aller Spannung lauschte, umauchdiekurzenGegenredenderKleopatrazuverstehen,eilte mein Bauführer, der, als die Arbeiter von denRömern vertrieben worden waren, sich zwischen zweiGranitquadernverborgengehaltenhatte,aufmichzuundteiltemirmit,ProculejushabeebenanderhinterenSeitedesGrabmalsdasGerüstaufeinerLeitererklettert.ZweiDienerwärenihmgefolgt,undsiehättensichhinunterindieHallegeschlichen.Da schnellte ich rasch in die Höhe; denn ich hatte amBoden gelegen, um mit vorgestrecktem Kopfe zulauschen.Jetzt galt es, koste es, was es wolle, die Königin zuwarnen;denneinVerratwarhiersicherimWerke.Dochichkamzuspät.O Dion! Wäre ich nur wenige Augenblicke früherbenachrichtigt worden, vielleicht hätte sich etwas nochFurchtbareres ereignet; — ihr, der Königin, aber wäreerspartgeblieben,was ihr jetztdroht.—Dennwasdarfsie von demSieger erwarten, der sich bis zur schnödenUeberlistung einer edlen, wehrlosen, der UebermachtunterlegenenFrauerniedrigt,umsichlebend,nurlebendihrerzubemächtigen?DerTod,vonschweremKummerundgräßlicherSchandehätteerdieUnseligebefreit!Undsie,siehattedenDolchschongegensicherhoben!VordiesenAugenschwangsie

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den schönen Arm mit dem blitzenden Stahle, der imGlanzederKerzenausdenvielarmigenLeuchternnebenden Sarkophagen hell aufblitzte ... Doch ich willversuchen, ruhig zu bleiben! Hinter einander, wie einsdemandernfolgte,sollstDueshören.EsverwirrensichmirohnehindieGedanken,nunmirdasSchrecklicheinsGedächtniszurückkehrt.Um es so zu schildern, wie ich es sah, müßte ich einDichtersein,einMalermitWorten;dennwassichdavormirbegab, auf einemSchauplatze truges sichzu ...Duweißt ja, eswar einGrabmal.DieWände von dunklemStein, dunkel auch Säulen und Decke, alles vonglänzendemDunkel...GlattpolirterSteinandenmeistenStellen, und darum blank wie ein Spiegel. Bei denSarkophagenund imUmkreisderKandelaberbis indieNähederThür,wodasBubenstückvorsichging,hellesLicht, — das eines Festsaals. Jeder Blutflecken an derHand,jedeSchramme,jedeWundedeutlichsichtbar,diederverzweifelndenFraudieeigenenNägelindenBusengerissen, der schneeweiß ausden zerrissenen schwarzenGewändern hervorstrahlte. Weiterhin rechts und linksschwankesDämmerlicht,undimHintergrundeundinderNähe der Seitenwände tiefe Finsternis wie in einemechten und rechten Grabe. Aber an dem glatten Rundeder Porphyrsäulen, an dem blanken schwarzenMarmorund Serpentin, hier, dort, überall das schwankeSpiegelbild des Kerzenlichtes. Der Zugwind hielt es in

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steterBewegung,undso triebes seinSpiel inderHallewie die ruhelosen Seelen der Verdammten. Wohin dasAuge schaute, war Finsternis sein Endziel. ImHintergrundederHalleerschiensieschwarz,schwarzwiedie Vorhalle des Hades, doch auch sie durchbrach einglänzender, bewegter Streifen: Sonnenstrahlen, die vonder Treppe her in das Grabmal fielen und in denenStäubchen sichwiegten.WiedaswarundaufdasAugewirkte! Die Heimat der finstern Hekate! Und dieKönigin, und was mit ihr vorging! Ein von Lichtumflossenes Gemälde, das sich strahlend von demDunkel im weiten Kreise der schweren majestätischenFormen rings umher abhob. Die Heerscharen derDämonen, die der Magier beschwört, wenn sie einemKönigegehorchen, diesGrabmal in diesemLichtewäreeinpassenderPalastfürihnundseinfinsteresWalten.—Doch wohin gerate ich? ›Der Künstler!‹ hör’ ich Dichwieder rufen, der Künstler! Statt zuzuspringen undeinzuschreiten, läßt er das Licht und wie es in derköniglichen Grabstätte sich ausnimmt, auf sich wirken.— Ja wohl: zu spät, zu spät, viel zu spät war ichgekommen! Schon auf der Treppe, die in den unterenGräberraumführt,nahmicheswahr;dochestrifftmichkeineSchuldanderVersäumnis,gewißnicht!VondenMännernhatteichanfänglichnichtszuerspähenvermocht,—auchkeinenSchatten;wohlabergewahrteich im hellsten Lichte die auf dem Ruhebette

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hingestreckte Leiche des Antonius, und imDämmerscheine weiter nach rechts hin Iras undCharmion.die sichvergeblich anstrengten, eineFallthürzuheben.Eswardie,diedenGangabschloß,derzudemBrennstoffindemKellerraumeführte.SiehattenihnaufeinZeichenderKöniginanzündensollen.Schon lagen die ersten Stufen der Treppe, auf der ichhinuntereilte, hintermir,— da,— da bricht ProculejusmitzweiMännernvonderandernSeiteherplötzlichausdertiefenFinsternishervor.Meinerselbstkaummächtig,eile ich die Stufen vollends hinunter, und während mirnoch der schrille Ruf der Iras ins Ohr gellt: ›ArmeKleopatra,sienehmenDichgefangen!‹seheich,wiedieVerratenesichvonderThürabwendet,durchdiesie,zumTode entschlossen, dem Gallus ich weiß nicht was zuhören gibt, wie sie den Proculejus dicht hinter sichwahrnimmt,wiesie indenGürtelgreiftundblitzschnell—Duhörtest es ja schon—denArmmit demkleinenDolcheindieHöhewirft,umsichdiespitzeKlingeindieBrustzustoßen.WelcheinBild!VontageshellemLichteumflossen, glich sie dem triumphirenden Siege, demedlen Stolze, der große Thaten vollbringt, und dann,dann,nurumwenigesspäter...Aberwassollteihrauchangethanwerden!Wie ein Räuber, ein Meuchelmörder stürzte Proculejussichaufsie,hielt ihrdenArmfestundentwandihmdie

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Waffe. Seine hohe Gestalt entzog sie dabei meinenBlicken. Als sie aber, während sie sich der Gewalt desSchändlichenzuentwindensuchte,dasAntlitzwiederderHallezuwandte,waswaraus ihrgeworden! IhreAugen—Dukennstsieja,—ihreGrößehattesichverdoppelt,und Verachtung, Feindschaft, Haß, flammten demVerräter aus ihnen entgegen. Das wärmende Licht,zerstörendes Feuer war daraus geworden. So denke ichmir die Rache, den Fluch, der das Verderben auf dasHauptdesFeindesherabfleht.UndProculejus,dergroßeHerr, der Poet, dessen edlen Sinn dieDichter amTiberpreisen, von hinten her hielt er das wehrloseWeib, diewürdige Tochter eines glänzenden Königsgeschlechtes,nochimmerumklammert,alsbedürfeesdesAufgebotesseiner ganzen Manneskraft, um dies zarte MusterbildanmutigerWeiblichkeitzubändigen.Freilichzwangdasstolze Blut die überlistete Löwin, sich dieserEntwürdigung zu erwehren, und Proculejus — einebeneidenswerte Ehre! — ließ sie die überlegene Kraftseiner Arme fühlen. Ich bin kein Prophet, aber ichwiederhole es,Dion: dieses schmählichenKampfes undder Blicke, die ihn dabei trafen, bis zur letzten Stundewirderihrernichtvergessen!Hättensiemirgegolten,dasLebenmüßt’ichverfluchen.AuchdemRömer trieben sie dasBlut ausdenWangen.Leichenfahlvollbrachteerweiter,waserfürseinePflichthielt.DieeigenenvornehmenHändeerniedrigteerdurch

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die Zollwächterarbeit, die Gewänder eines Weibes, derKönigin, nach verbotenenWaren: Gift oderWaffen, zudurchsuchen. Dabei half ihm ein Freigelassener desCäsar, jener Epaphroditus, der dem Octavian so nahestehensoll.AuchIrasundCharmionuntersuchtederWicht,undbeialledemhörtenbeideRömernichtauf,mitsüßenWortenvonderGnadedesCäsarundseinemWunschezureden,der Kleopatra alles zu gewähren, was einer Königingebühre.Endlich führteman sie aufdieLochiaszurück; ichaberwar wie von Sinnen; denn das Bild der unglücklichenFrau verfolgte mich wie mein Schatten. Es war nichtmehrdas des bezauberndenWeibes; einerVerkörperungderVerzweiflung, des thränenlosen Jammers, derRacheheischenden Empörung glich es. Ich will es nichtschildern; aber die Augen, die drohend flammendenAugen und das verwirrte Haar, an dem das Blut desAntonius gerann ... furchtbar, entsetzlich! Das Herzerstarrte mir, als hätt’ ich der Medusa mit demSchlangenhaar im Schilde der Athene ins Antlitzgeschaut.Unmöglichwaresmirgewesen,sierechtzeitigzuwarnenodergardemVerräterindenArmzufallen—ichsagtees ja schon— und doch, doch schaute ihr leuchtendesBildmichvorwurfsvollanwegenderfeigenVersäumnis.

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Noch immer verfolgt mich ihr Blick und raubt mirSammlungundFrieden.ErstwennichderHelenaindasreine, stille Auge schaue, weicht wohl das furchtbare,vomLicht umflosseneGesicht aus demGrabe vonmir,gelingtesmirvielleicht,dieRuhewiederzufinden.«Da legte der Freund ihm die Hand auf den Arm undsprach ihm besänftigend zu und erinnerte ihn an dasGute,dasdieserverruchteTag—erhabeesselbstgesagt—dochauchmitsichbringe.Mit dieser Mahnung traf Dion das Rechte; denn dieHaltung und der Ton der Stimme des Gorgias nahmeneine neue Gestalt an, und lebhaft versicherte er, demEntsetzlichen sei mehr als Erfreuliches gefolgt für dieStadt,fürdenFreundundBarine.Dann fuhr er aufatmend fort zu berichten: »Wie einTrunkener begab ich mich auf den Heimweg. DerVersuch, mich der Königin oder ihren Vertrauten zunähern,war leider gescheitert.Von der klugenNubierinder Charmion hörte ich aber, es sei der Kleopatra imNamen desCäsar gestattetworden, denPalast selbst zubestimmen,indemsiezuwohnenwünsche,undsiehabedenaufderLochiasgewählt.Bei dem Gang nach Hause kam ich nicht weit; dennschonvordemgroßenGymnasiumhieltdieMengemichauf.OctavianwarindieStadteingezogen,unddasVolk,hörteich,habeihmzugejauchztundsichvorihmaufdie

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Kniee geworfen. Unsere steifnackigen Alexandriner imStaub vor dem Sieger! Das empörtemich tief.— dochmeinGrollsolltesichmildern.Die vomGymnasiumkennenmich ja alle.Manmachtemir Platz, und bevor ich mich noch zum Eintrittentschlossen, lag das Hauptthor schon hinter mir. Derlange Phryxus hatte meinen Arm durch den seinengezogen. Der reiche Ueberall und Nirgends sieht underfährtjaalles,unddiebestenPlätzegehörenihmschonimvoraus.Diesmalwaresihmwiedergelungen;dennalser mich losließ, standen wir gegenüber einer neuerrichtetenRednerbühne.Sie erwarteten denOctavian, der noch imHypostyl desEuergetesvondemEpitropen,denHerrenvomRat,demGymnasiarchen und ich weiß nicht von wemHuldigungenunddergleichenentgegennahm.Phryxus erzählte, schon beim Einzuge habe er seinemfrüheren Hofmeister die Hand gereicht, sich von ihmbegleiten und sich sogar seine Söhne vorführen lassen.Wie kein anderer sei der Philosoph von ihmausgezeichnetworden,unddaskommtjetztDirunddenDeinenzugute;denneristjaderBruderFrauBerenikes.und darum der leibliche Oheim Deiner Gattin. Was erwünscht, ist im voraus gewährt. Duwirst gleich hören,wie geflissentlich der Cäsar ihn hervorzieht undauszuzeichnen trachtet. Ich gönne es demManne; denn

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damals traterwackerein fürBarine;sie rühmen ihnalstüchtigenGelehrten,undanMutfehltesihmauchnicht.Trotz Actium und der einzigen schändlichen That, diemanmeinesWissensdemMarcAntonvorwerfenkönnte—dieAuslieferungdesTurulliusmein’ich—hieltAriushieraus.SoguterdenMörderdesJuliusCäsarpreisgab,hätteder ImperatordenFreundseinesNeffenalsGeiselfestnehmenkönnen.Seit Octavian vor der Stadt liegt, war euer Oheimernstlichbedroht,undmitihmwarenesauchseineSöhne— Du mußt die schönen, kraftvollen jungen Epheben,wiesieseinsollen,jakennen.ImGymnasiumhattenwirnichtlangezuwarten,bisderCäsardieBühnebetrat,undnun—wennsichdieFaustDirballt,thutsienur,wasichvonihrerwarte—nunfielalles ringsum auf die Kniee. Unser wüstes,aufrührerischesGesindel erhobwie flehendeBettler dieHände,undernste,würdigeMänner thatenes ihmnach.WermichsahunddenLangen,derwirdauchunsbeidezu den knieenden Speichelleckern zählen; denn wärenwir stehen geblieben, hätten sie uns sicher zu Bodengerissen.SoheultenwirdennmitdenWölfenundthatenesdenanderennach.«»UndOctavian?«frugDiongespannt.»Eine königliche Erscheinung von jugendlichemAnsehen.DasbartloseGesichtvomfeinstenSchnitte,das

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Profil schön, wie für den Münzschneider geschaffen.Scharfe und doch ansprechende Linien. Vornehm injedemZoll;aberderSpiegeleinerkalten,keineshöherenAufschwunges, keines wärmeren Gefühls, keinerweicheren Regung fähigen Seele. Alles in allem einschöner,stolzer,klugrechnenderMann,denzumFreundezu haben dem Herzen schwerlich zu gute kommt, vordessenFeindschaftaberdieHimmlischenjedenbewahrenmögen,denwirlieben.Wieder führteerdenAriusanderHand.DieSöhnedesPhilosophen folgten den beiden. Als er auf der BühnestandundaufdieTausendeniederblickte,dievorihmaufden Knieen lagen, zeigte keine Muskel seines edlenGesichtes — ja, das ist es — auch nur die leisesteRegung. Wie ein Landwirt, der die Herde überschaut,blickte er auf uns hin, und nach langem Schweigenerklärte er kurz und in vortrefflichem Griechisch, ersprechedasalexandrinischeVolkvonjederSchuldgegenihnfrei,erstens—erzähltedasher,alsrufeereinzelneVeteranen auf, um sie zubelohnen—ausHochachtungvor dem herrlichen Gründer unserer Stadt, demWelteroberer Alexander; zweitens, weil die Größe undSchönheitAlexandriasihnmitBewunderungerfülle,unddrittens — dabei wandte er sich dem Arius zu — umdiesem, seinem trefflichen und geliebten Freunde, sichgefälligzuerweisen.

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DabrachdenneingroßerJubellos.Jedem, vom Kleinsten bis zum Größesten war eineschwereLastvonderSeelegenommen,undalsdasVolkdas Gymnasium kaum verlassen hatte, lachte es wiederübermütig genug, und es fehlte nicht an boshaften undharmlosen Witzen. Dicht neben mir rief der dickeZimmermeisterMemnon, der ja auch für Deinen Palastdas Holzwerk lieferte, — früher habe ein Delphin denAriusvordenPiratengerettet,jetztretteAriusdasSeetierAlexandria vor anderen Räubern. So ging es fort. Denbesten Anlaß, den Witz an ihm zu üben, bot freilichPhilostratus,derersteMannderBarine.DerAufwieglerhatte guten Grund, das Schlimmste zu befürchten, undnunlieferinschwarzenTrauerkleidernhinterdemAriusher,denernochvorwenigMondenmitdemgrimmigstenHasse verfolgt hatte, und rief ihm fortwährend dennämlichenschalenVerszu:›IstereinweislicherMann,sohelfederWeisedemWeisen.‹

ObihmdieelendeBetteleihalf,werdenwirjahören.Das Nachhausekommen war nicht leicht. Die Straßenwimmelten auch von römischen Soldaten. Es ergingihnengutgenug;denninderFreudeihresHerzensführtemancherwohlhabendeBürger,derdasSeinegerettetsah,einzelneKriegeroderwohlgareineganzeManipelindieSchenke oder zum Garkoch, und in dieser Nacht wirdsich der Weinvorrat der Alexandriner beträchtlich

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vermindern.Mit demBefehle, das Eigentum der Bürger zu schonen— ich sagte es ja schon—warenviele indenHäuserneinquartiertworden,unddabeibetrafdieGroßmutterdertraurigeUnfall,mitdemichbegann.Bevorichaufbrach,hattemanihrschondieAugengeschlossen.Alle Thore der Stadt stehen Dir jetzt offen, und dieNichte des Arius samt ihrem Gatten wird man mitKränzen empfangen. Der Barine gönn’ ich’s; denn wieDeineherrlicheGattin,dieesjaauchmirangethanhatte,was der gefeierten Städterin nur immer teuer seinmag,hintersichwarfundaufdemeinsamstenallerEilandeinderLiebe eine neueWelt fand, das ist jedenLobes undLohnes würdig. Für Deine Person fürchte ichmich vorneuemGlückundneuenEhren;dennkommensiezudemandern,dasDirdieSchickungmitsolcherGemahlinundDeinem Pyrrhussohne schenkte, wären die Götter nichtmehr sie selbst, wenn sie Dich nicht mit ihrem Neideverfolgten.IchhabegeringerenGrund,siezufürchten.«»Undankbarer!«unterbrachihnderFreund.»Auchunterden Sterblichen findet sich wohl mancher, der Dir dieHelenamißgönnte.Wasmichangeht, sobeschlichmichallerdingsbereitsmanchmalein leisesBangen;dochwirzahlten ja den Himmlischen schon einen nicht zuärmlichenTribut.ImWohnraumebrenntnochdieLampe.BereitedieFrauenaufdasEndederGroßmuttervorund

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entledige Dich des Erfreulichen, das Du uns bringst.Ueber das Schreckliche, dem Du beiwohntest, sprichlieber erst morgen. Wir wollen ihnen den Schlaf nichtverderben. Gib acht! Helenas stille Trauer und ihreFreude über unsere Erlösung entlasten Dir schon heutedieSeele.«Undsogeschahes.WohldurchlebteGorgiasimTraumenoch einmal das furchtbare Schauspiel von gestern, alsaberdieSonnedeszweitenAugustmithellemLichtglanzüber Alexandria aufging und schon am frühen MorgenBoot auf Boot bei der Schlangeninsel landete und erstFrauBerenikemit ihrenNeffen,denbeidenSöhnendesgefeierten Philosophen Arius, dann aber auch Klienten,Beamte und Freunde des Dion und bevorzugte frühereGästederBarineansLandstiegen,umdasjungePaarzubegrüßen und es aus dem Verstecke, das es so langebehütet, in die Stadt und in ihreMitte zurückzuführen,nahmenneuefreundlicheEindrückedembeängstigendenGemäldeeinengutenTeilseinerSchrecken.Mit großer Schnelligkeit hatte sich durch den »langenPhryxus« verbreitet, wohin Dion und Barineverschwunden und daß sie längst ein glückliches Paarwären.DieHeldeneinessoseltenenAbenteuerszusehenundsiezuerst zu begrüßen, erschien vielen wert einer kleinenSeefahrt. Wer Barine und ihren Gemahl kannte, war

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außerdemauchbegierig,wiediesebeidenandasLebender Großstadt gewöhnten Menschen eine sovollkommene Vereinsamung während langer Monateertragen hätten. Mancher fürchtete oder vermutete, sieabgezehrt und verhärmt, verwildert oder gar inSchwermut versunken wieder zu finden, und es gabdarumunterdenen,derenBootderFreigelassenePyrrhusals Lotse durch die Untiefen geführt, die seine Inselschützendumgaben,vielerstaunteGesichter.DieEinholungdesseltenenPaareshätteguteGelegenheitzu einer heiteren festlichenVeranstaltung geboten.Manwar froh über die gnädige Behandlung der Stadt, soaufrichtig auch die meisten das Schicksal der Königinbeklagten und Ernstere sich über die Zukunft derFreiheiten Alexandrias unter römischer Herrschaftbeunruhigten. Leben und Besitz waren ja gerettet, unddas Feiern von Festen war Groß und Klein zurLebensgewohnheit geworden. Aber die Nachricht vomTodederGemahlindesDidymusundvonderErkrankungdesGreises,dersichindenVerlustder treuenGefährtinnichtzufindenvermochte,gabdemDiondasRecht,jedeheitere Bewillkommnung im eigenen Hausezurückzuweisen.DerKummerBarineswar auchder seine, undDidymusstarbschonindennächstenTagenderFraunach,mitderer länger als ein halbes Jahrhundert inLiebe verbunden

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gewesen;dieLeutesagten:»gebrochenenHerzens«.So hielt denn Dion mit der jungen Gemahlin ohnelärmende Festlichkeiten den Einzug in seinen schönenPalast.Stattder jubelndenHymenäenklang ihmaufderSchwelledieStimmedeseigenenKindesentgegen.Die Trauerkleider, in denen Barine ihn in denFrauengemächern begrüßte, erinnerten ihn an den NeidderGötter,vordemderFreundsichfürihngefürchtet.Eswar ihmaberoft,alsschauedieBildsäuleseinerMutterim Tablinum mit besonderer Befriedigung drein, wennseine jungeHausfrau es betrat.AuchBarine fühlte, daßihr Glück als Gattin und Mutter in dem herrlicheneigenen Heim überwältigend groß gewesen wäre, wenneineweiseSchickungihrnichtgeradejetztdenSchmerzumgeliebteMenschenauferlegthätte.DionwidmetesichsogleichwiederdenAngelegenheitenderStadtunddeseigenenBesitzes.ErunddieGeliebte,die eine schwereZeit der Entbehrung ihm erst recht zueigen gegeben, waren in den Hafen eingelaufen undsahen gelassen den Stürmen des Lebens entgegen. DerAnker der Liebe, der ihr Schiff an den sicheren Grundfesselte, hatte in der Einsamkeit der Schlangeninsel dieProbebestanden.

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VierundzwanzigstesKapitel.

Die Fischerfamilie hatte die liebenGäste bekümmertenHerzens scheiden sehen und die Frauen ihnen mancheThränenachgeweint,obwohldieSöhnedesPyrrhusvonderFlotteentlassenwordenwarenunddaheimdemVaterwiederBeistandleistetenwieinfrüherenTagen.Dion hatte außerdem den treuen Freigelassenen zumwohlhabendenMannegemachtundseinerTochterDioneeinHeiratsgutausgesetzt.SiewurdeauchbalddasWeibdesSchiffsführers,derdenEpikur,denSchnellseglerdesArchibius,befehligte.Siehatteihnkennengelernt,alsdiebraune Dienerin der Charmion mehrmals von diesemSchiffe auf die Schlangeninsel geführt worden war.Anukis hatte mit diesen Besuchen nicht nur bezweckt,den Freund zu begrüßen, sondern vielmehr auch ihn zubestimmen,einederGiftschlangenaufdenNachbarinselnzufangenundsiefürdieKöniginbereitzuhalten.Seit Kleopatra zu der Ueberzeugung gelangt war, keinGifthabeeinenwenigerschmerzlichenTodzurFolgealsdasvomZahnederAspis,hattesiedenEntschlußgefaßt,esdemBißeinesdieserTierezuüberlassen,sievonderLastdesDaseinszubefreien.DieklugeAethiopierinwaraufdenEinfallgekommen,ihrenFreundPyrrhusmitderHerbeischaffungderNatterzubetrauen;dochhatteesderganzen Ueberredungskunst der Aisopion und der

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rührenden Weise bedurft, mit der sie die entsetzlicheLagederKöniginundihrschweresUnglückzuschildernverstand,umdenWiderstanddesgeradsinnigenManneszu besiegen. Endlich hatte sie ihn dennoch zu derUeberzeugung gebracht, eine Königin sei mit anderemMaß zu messen als ein Weib aus dem Volke, und ihnbestimmt, mit ihr, der Anukis, zu verabreden, wie undwann die Schlange in den wohlbewachten Palasteinzuführen sei. War die entscheidende Stundegekommen,sollteeinZeichenesihmmelden.Vondaanhatte er sich jeden Tag mit der Natter auf demFischmarktebereitzuhalten.WahrscheinlichwürdeseinDienst innichtzu fernerZeitbeanspruchtwerden;denndasZauderndesOctavianwar schwer zuGunsten einermildenEntscheidungüberdasGeschickderKleopatrazudeuten.Zwar ließman sie aufderLochias inköniglicherWeisefortleben und hatte ihr sogarmit demVersprechen, denZwillingen und dem kleinen Alexander Leben undFreiheit zu lassen, gestattet, die Kinder zurück zuberufen; aber Cäsarion, den sein verräterischerHofmeister Rhodon mit allerlei Vorspiegelungen, zudenenauchdieRückkehrBarinesgehörte,vonderReisegenSüdennachAlexandriazurückgelockthatte,war imHeiligtume seines Vaters, in dem er Schutz gesucht,festgenommenworden.DiesunddaßOctaviandendemCäsar so ähnlichen Jüngling zum Tode verurteilt habe,

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blieb der unglücklichen Mutter nicht verborgen. Manhinterbrachte ihr auch dasWort,mit demderPhilosophArius den Wunsch des Cäsar, sich des Sohnes seinesgroßenOheimszuentledigen,gebilligthatte.Eswiesaufden homerischen Vers von der Vielherrschaft, die nichtgutsei.Ueberhaupt kam der Kleopatra alles zu Ohren, was sieüber die Vorgänge in der Stadt zu erfahren wünschte;dennman ließ ihrmanche Freiheit,— nurwar sie Tagund Nacht aufs schärfste bewacht, und wie die Dienerund Beamten wurde jeder, den sie zu empfangeneinwilligte,bevorermitihrinBerührungkam,sorgfältiguntersucht,umjedesMittel,sichdenTodzugeben,vonihrfernzuhalten.DaßsiemitdemLebenabgeschlossenhabe,warfreilichnicht zu bezweifeln. Ihr Versuch, sich aller Speisen zuenthaltenundHungerszusterben,hattebemerktwerdenmüssen. Ernste Drohungen, die sich gegen die Kinderrichteten,indenenmandieMachterkannt,durchdiesichambestenaufsieeinwirkenließ,bestimmtensieendlich,sich wieder ausreichend zu nähren. Von alle dem warauch Octavian unterrichtet, und sein Verhalten bewies,wievielihmdaranlag,sievoneinemSelbstmordzurückzuhalten.MehrereasiatischeFürstenwetteifertenindemWunsche,das Andenken des Marc Anton durch eine prächtige

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Bestattung zu ehren; Octavian aber hatte der Kleopatragestattet,siemitallemGlanzzubesorgen.InderZeitderschwersten Seelennot gewährte es ihr Trost undBefriedigung,allesselbstanzuordnenundsogarteilweisemit eigener Hand herzurichten, was dazu gehörte. DasBegräbnishattesichdennauchsoglänzendgestaltet,wieesderNaturdesVerstorbenenentsprach.Iras und Charmion begriffen oft nicht, wie sie, die seitdemTodedesGeliebtennichtnurandenWunden,diesiesich selbst in der Verzweiflung beigebracht hatte, litt,sondern auch seit dem gescheiterten Vorhaben, sichverhungern zu lassen, von einem schleichenden Fieberheimgesucht wurde, den schweren Anstrengungen undGemütserregungen hatte widerstehen können, die ihrdurch die Bestattung des Antonius auferlegt wordenwaren.DieRückkehrdesArchibiusmitdenKindernhatteindesihrengesunkenenLebensmutsichtlichgehoben.SiegingoftindenGartendesDidymus,derjetztmitdemPalastaufderLochiasverbundenwar,umihrenArbeitenzuzuschauenundmitihnenzuteilen,wasihnendasjungeHerzbewegte.AberausderheiterstenderMütter,diesichsofreundlichin das Kinderherz zu versetzen gewußt hatte, war einebekümmerte, lehrhaft ernste Warnerin geworden. Soschön und wohldurchdacht auch oft war, was sie ihnen

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ansHerz legte,eigneteessichdochwenigfürdasAlterder Schüler des Archibius; denn es bezog sichgewöhnlichaufdenTodundaufphilosophischeFragen,diedenKleinenunverständlichwaren.Daß sie den rechten Ton nicht mehr treffe, fühlte sieselbst;—sooftsieaberversuchte,ihnzuändernundmitdenZwillingenoderdemkleinenAlexanderwiesonstzuscherzen,ertrugsiedieerzwungeneHeiterkeitnurkurzeZeit, ein schmerzlicher, oft mit Thränen verbundenerUmschlag erfolgte, und sie mußte die Lieblingeverlassen.DasLeben,dasihrderFeindließ,erschienihrselbstwieein aufgedrungenes Geschenk, wie eine drückendeSchuld, die man dem lästigen Gläubiger je eher destolieberzurückzahlt.Ruhiger und scheinbar zufrieden erschien sie nur,wennesihrvergönntwar,mitdenJugendgenossenüberlängstvergangeneZeitenodermitihnenundIrasüberdenTodzu reden, und wie es zu bewerkstelligen sei, demunholdenDaseineinEndezubereiten.Iras und Charmion gingen nach solchen GesprächenblutendenHerzensvonihr.SiehattenlängstdenVorsatzgefaßt, das Schicksal der Herrin, wie es sich auchgestalte, zu teilen.DasgemeinsameLeidwardasBand,das sie jetzt wieder freundlich vereinte. Iras hatte fürvergiftete Nadeln gesorgt, die den Tieren, an denen sie

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versucht worden waren, einen schnellen Tod gegebenhatten. Kleopatra wußte von ihnen, für sich selbst hieltsie aber fest an dem schmerzlosen Tode durch den Bißder Schlange, und die Freundinnen hatten die geliebtenAugen der unglücklichen Frau lange nicht so hellaufleuchten sehenwie bei der Nachricht der Charmion,dieMöglichkeit habe sich gefunden, die Uräusschlangeherbeizuschaffen,sobaldmanihrerbedurft.Abernochseies ja nicht geboten, nach dem letztenMittel zu greifen.Octavian wünsche für milde gehalten zu werden undlasse sich vielleicht doch noch bestimmen, die ZukunftderKöniginundderKinderwürdigzugestalten.Ein ungläubiges Lächeln Kleopatras war die Antwort,und doch hatte auch in ihrer Seele der leiseHoffnungskeim zu grünen begonnen, der sie vorVerzweiflungbewahrte.Dolabella, ein vornehmer junger Römer aus dem edlenHausederCornelier, gehörte zudemGefolgedesCäsarundhattesichbeiihreinführenlassen.SeinVaterwarinfrüherenJahreneinFreundderKleopatragewesen;ja,siehatte sich ihn verpflichtet, da sie ihm nach derErmordungdesJuliusCäsardieStreitmacht,überdiesieverfügte, gesandt, um sie gegen den Cassius zuverwenden. Ihre Legionen waren zwar durch denAbgesandten des Dolabella selbst einer andernBestimmungzugeführtworden;Kleopatrahattesichaber

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dem Vater des Jünglings darum dennoch um nichtsweniger gefällig erwiesen. Dieser war schon vor demTodedesCäsarzuRommit ihrzusammengetroffenundhatte dem Sohne den zauberhaften Liebreiz derAegypterin mit Begeisterung geschildert. Fand derJüngling sie nun auch nur noch als trauernde Witwe,krank an Leib und Seele, wieder, war er doch von derimmer noch schönen Frau, ihrem hellen Geiste, derAnmutihresWesens,ihremUnglückundLeidensostarkgefesselt und tief gerührt worden, daß er ihr mancheStundewidmete und es als einGlück empfunden hätte,ihr größere Dienste zu leisten, als es die Verhältnissegestatteten. Oft begleitete er sie auch zu den Kindern,deren Herz ihm sein offenes und heiteres Wesengewonnenhatte, und sokames, daß er auf derLochiasbaldzudenwillkommenstenGästengehörte.RückhaltlosvertrauteerdervielälterenwarmherzigenFrau,wasihmdieSeelebewegte,sieaberbrachtedurchihnmancherlei,was den Octavian und seine Umgebung anging, inErfahrung.Ohne sich alsWerkzeug benützen zu lassen,wurde er bei der Person desCäsar zumFürsprecher fürdieunglückliche,ihmsowerteFrau.Ihr selbst gegenüber setzte er alles daran, um sie mitVertrauen gegen denOctavian zu erfüllen, der ihn gernhatte,vielmitihmverkehrte,undandessenEdelmutderJünglingglaubte.

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VoneinerUnterredungderKöniginmitdemCäsarhoffteer das Beste; denn er hielt es für unmöglich, daß derglückliche Sieger ungerührt und ohne denWunsch, ihrtrauriges Schicksal zu erleichtern, von dieser Frauscheidenkönnte,die seinemVater in früheren Jahren sobezaubernd erschienen war und der er selbst, wenn sieauch beinahe seine Mutter hätte sein können, anfesselnderundanmutigerLiebenswürdigkeitkeineanderezurSeitezustellenwußte.Kleopatra scheute sich dagegen vor demZusammentreffen mit dem Manne, der so viel Ueblesüber sie und den Geliebten gebracht und ihr Dingezugefügthatte,diesienurzuwohlberechtigten,anseinerMildeundOffenheitzuzweifeln.Andererseitskonntesieder Behauptung desDolabella nicht unrecht geben, daßOctaviandieWünsche,diesiebesondersfürdieZukunftder Kinder hegte, ihr persönlich weit weniger leichtabschlagen könnte als den Vermittlern. Proculejus hatteerfahren, Antonius habe der Kleopatra gerade ihn alsdenjenigen bezeichnet, der ihres Vertrauens ammeistenwertsei,undempfandnunschwer,waseralsWerkzeugund gehorsamer Freund des Octavian derbeklagenswertenFrauangethanhatte.DieErinnerungandiese seiner unwerte Handlung, deren die Geschichtegedenken würde, hatte dem feinsinnigen Manne, demDichterundFördererderaufblühendenrömischenPoesiemancheNachtstundeverdorben,undsobemühteaucher

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sich jetzt eifrig, der Königin gefällig zu sein und ihrschweresGeschickzuerleichtern.Erwie der FreigelasseneEpaphroditus, die imAuftragedesCäsarihrLebenrücksichtsvollüberwachten,schienenviel von solcher Unterredung zu hoffen und bemühtensich,siezubestimmen,denCäsarumeineBegegnungzuersuchen.Archibiussagte,einesolchewürdeimschlimmstenFalledieLagederDingenichtüblergestalten.DieErfahrunglehre,bemerkte erCharmiongegenüber,daßkeinMannvoneinigemGefühlsichdemZauberihresWesensvölligentziehen könne, und ihm wenigstens sei sie niegewinnendererschienenalsjetzt.WerhätteihrungerührtindasstillduldendeschöneAntlitzzuschauenvermocht,wem wäre der schmerzliche Klang, der ihr die weicheStimmedurchzitterte,nichtindieSeelegedrungen?Dazupaßten die schwarzen Trauergewänder so gut zu demLeidenshauche,derihrganzesWesenumwob.WenndasFieber ihrdieWangen rötete,meinteArchibius sie trotzder verwüstenden Gewalt, die Schmerz Kummer undAngst auf manchen ihrer Reize geübt, nie schönergesehen zu haben. Er kannte sie undwußte, daß es ihrernst sei mit dem Wunsche, dem Geliebtennachzusterben,jadaßerihrganzesWesenbeherrsche.—SiehingnurnochamDasein,um,sobaldesangingezusterben.Was sie nach demBeschlusse, dasGrabmal zu

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bauen,imHeiligtumderBerenikealsdasRechteerkannthatte,warzurRichtschnurihresLebensgeworden.JederGedanke,jedesGesprächführtesieindieVergangenheitzurück. Eine Zukunft schien es für sie nicht mehr zugeben.GelangesdemArchibiuseinmal, ihrenGeistaufkünftige Tage zu lenken, so beschäftigte sie nur dasSchicksal der Kinder. Für sich selbst hoffte sie nichts,fühlte sie sich von jeder Pflicht entbunden, außer dereinen, sich und ihren Namen vor Schande undErniedrigungzuschützen.DaßOctavian,alserdenCäsariondemTodezuweihenbeschloß,denanderenKindern,mitderVersicherung,eswerde ihnen kein Leid widerfahren, zu ihrzurückzukehrengestattet,bewies,daßerzwischenihnenunddemSohneseinesOheimseinenUnterschiedmachtundvonjenennichtsfürdieeigeneSicherheitbesorgt.Zuihren Gunsten durfte sie in der That von einerUnterredungmitdemOctavianWichtiges erwarten,undsobeauftragtesieendlichdenProculejus, ihnumGehörzubitten.NochamnämlichenTageerfolgtedieAntwort.An ihm,ließderCäsarsagen,seies,sieauszusuchen.DieseZusammenkunftmußteihrSchicksalentscheiden.SiewarsichdesbewußtundbatCharmion,andieNatterzudenken.Man hatte ihren Frauen verboten, die Lochias zu

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verlassen,Epaphroditusabergestatteteihnen,Besuchezuempfangen.DielebhaftmuntereWeisederNubierinhatteihrauchdierömischenWächtergewonnen.Ungehindertließmansieaus-undeingehen.BeiderHeimkehrwurdesie freilichwie jeder andere,derdieLochiasbetrat,mitpeinlicherSorgfaltdurchsucht.DieEntscheidungstandvorderThüre.Charmionwußte,was ihr, wie sie auch ausfallen mochte, zu thun oblag,doch es gabnoch einenWunsch, nachdessenErfüllungsiesichsehnte.Esverlangtesie,BarinezubegrüßenundihrenKnabenzusehen.UmIraszuschonen,hattesieesbisjetztunterlassen,dieGemahlindesDion zu sich zubescheiden.DerAnblickder Mutter und des Kindes hätten ihr die nochunvernarbten Wunden aufgerissen, und sie wollte derNichte,dielängstwiedertreuundfestzuihrhielt,diesenSchmerzersparen.Der Cäsar beeilte sich nicht mit der Erfüllung seinesVersprechens;dochetwaeineWochenachdemProculejusdie Zusage gebracht, konnte er amMorgen denBesuchdes Cäsar für den Nachmittag verheißen. Eine tiefeErregung bemächtigte sich der Königin bei dieserNachricht. Sie verlangte, vor der Unterredung dasGrabmalzubesuchen.Irasübernahmes,siezubegleiten,unddaKleopatrastundenlangdortzuverweilenpflegte,erschien Charmion diese Zeit günstig, um Barine und

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ihrenKnabenzubegrüßen.Die Gattin des Dion war längst von diesem Wunschedurch Freunde unterrichtet, und Anukis, die sie auf dieLochias führen sollte, hatte nicht lange aufMutter undKindzuwarten.Der frühereGarten desDidymus— jetzt das Eigentumder königlichen Kinder—wurde der Schauplatz dieserBegegnung. Im Schatten der ihr wohlbekannten Bäumesank die junge Mutter an die Brust der bewährtenFreundin, und das alternde Mädchen konnte sich nichtsattandemKnabensehenundfandinihmdasEbenbildseinesGroßvatersLeonax.Wie viel hatten die beiden Frauen, deren Leben dasSchicksalsoverschiedengestaltete,einanderzuberichtenundzuvertrauen!Dieälterefühltesichzurückversetztinvergangene Tage, für die jüngere schien es nur eineblühende Gegenwart und hoffnungsgrüne Zukunft zugeben. Auch von ihrer Schwester konnte sie Günstigesberichten.SiewarschonlängstdieglücklicheGattindesBaumeistersGorgias,derindestrotzderLiebe,mitdererdie junge Hausfrau umfing, die Stunden zu denköstlichstenzählte,die ihnbeimBaudesGrabmals,derfortgesetztwurde,mitKleopatrazusammenführten.Im Fluge verrann den beiden Frauen die Zeit, und esüberraschtesieschmerzlich,alseinerderwachthabendenEunuchen meldete, die Königin sei aus dem Grabmale

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zurückgekehrt.Noch einmal herzteCharmiondenEnkel desGeliebten,segnete ihnunddie jungeMutter, trugihrGrüßeandenGemahlaufundbatsiedann,ihrer,wennsienichtmehrsei,freundlichzugedenkenund,treibedasHerzsiedazuan, ihr, der kein Kind und Freund solchen Diensterweisenwürde, denGrabstein zu salben, ihnmit einerBindeoderBlumezuschmücken.Tief erschüttert von der Sicherheit, mit der CharmiondemnahenTodeentgegensah,hörteBarineihrsprachloszu; plötzlich aber schrak sie zusammen; denn eine ihrwohlbekannte scharfe Stimme hatte den Namen derFreundingerufen,undals sie sichumwandte, stand Irasvor ihr. Bleich und abgezehrt glich sie in dem langhinwallendenschwarzenTrauerkleideeinerVerkörperungdesSeelenwehsundderSorge.DerglücklichenGattinundMutterschnittihrAnblickinsHerz.Eswarihr,alsseiviel,wasjeneranGlückgebühre,auf sie übergegangen und alles, was sie je an KummerundLeiderfahren,aufIras.Amliebstenhättesiesichihrdemütig genähert und ihr etwas recht Liebes,Freundliches gesagt; als sie aber das hagere, verhärmteWeib auf ihrKind schauen sah und jenenmißgünstigenZug an ihremMundewahrnahm, der sie einst veranlaßthatte, sie mit einem stechenden Dorne zu vergleichen,erfaßteihrMutterherzeinegroßeAngstvordem»bösen

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Blick«dieserFrau,derihremKleinodverderblichwerdenkonnte, und von einem übermächtigen inneren Triebegenötigt, bedeckte sie das Antlitz des Knaben mit demeigenenSchleier.Iras gewahrte es, und nachdemBarine ihreFrage: »DasKind des Dion?« mit einem um Schonung bittendenBlicke bejaht hatte, richtete das Mädchen die schlankeGestalthöheraufundsagtemitstolzerKälte:»Wasgehtmich dies Kind an? Uns liegen größere Dinge amHerzen.«DannwandtesiesichanCharmion,umihrimToneinerdienstlichenMeldungmitzuteilen, dieKöniginwünscheauch sie bei der bevorstehenden Unterredung an ihrerSeitezuhaben.Octavian hatte den Besuch um Sonnenuntergangangesagt, und es fehlten an dieser Zeit noch mehrereStunden. Jetzt fühlte die leidende Königin sich nochermattet vondemBesuchedesGrabes, bei dem sie denGeniusdesAntoniusangeflehthatte,wennerMachtüberdas Herz des Siegers habe, ihn zu bestimmen, diemarternde Ungewißheit von ihr zu nehmen und denKinderneinfreundlichesLoszuverheißen.DemDolabella,dersieausdemMausoleumindenPalastbegleitete,hatte siebekannt,daßsienureinsvondieserUnterredung erwarte, und ihn dann zu einer Zusageveranlaßt, die ihr den Mut stärkte und ihr wie das

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kostbarste Geschenk erschien, das ihr in dieser Zeitgebotenwerdenkonnte.Sie hatte der Befürchtung Ausdruck gegeben, daßOctaviansieauchdiesmal imUngewissenlassenwerde.Da war der Jüngling aufgefahren, um den Cäsar zuverteidigen, und hatte mit dem Ausrufe geschlossen:»Hielte erDich auch jetzt nochhin, dannwäre er nichtnurkühlundbesonnen...«»Dann,« hatte Kleopatra ihn unterbrochen, »sei Dugrößer,seiDuwenigerhartundbefreiedieFreundindesVaters von diesen Qualen. Wenn er mir nicht eröffnet,wasmeinerwartet,undDuerfährstes,dann—Dusagstnicht nein,Dukannst esmir nicht verweigern!—dannläßtDu,jaDu,esmichwissen.«Da hatte der Jüngling schnell und bestimmt erwidert:»Waskonnte ichbisher fürDich thun?Doch ausdieserMartererlös’ichDich,wennesangeht.«Damithatteer,um nicht mit ansehen zu brauchen, wie die dazuangestellten Eunuchen der edlen Frau am Thore desPalastesdieKleideruntersuchten,ihrschnelldenRückengewandt.Seine Zusage hielt den sinkenden Mut der ermatteten,sorgenvollenKönigin aufrecht,während sie sich aufdiePolster einer Ruhebank ausstreckte, um sich von demangreifendenGangezuerholen;kaumaberhatte siedieAugen geschlossen, als das Pflaster vomHufschlag des

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Viergespannswiderhallte,dasdenCäsaraufdieLochiasführte.SofrühhatteKleopatradenBesuchnichterwartet.VorhinwarsiemitdenVertrautenzuRategegangen,wiesieihnzuempfangenhabe.Erstwarsiegewilltgewesen,es auf dem Thron im festlichen Ornat als Königin zuthun;dannhattesiesichabergesagt,daßsiezuschwachundkranksei,umdenschwerenköniglichenSchmuckzutragen. Gegen das leidendeWeib würde derMann undglückliche Sieger sich ohnehin eher nachgiebig undgnädigerweisenalsgegendieFürstin.Es gab viel, womit ihr Verhalten in früherer Zeit sichentschuldigen ließ, und sie hatte die Verteidigungsorgsamdurchdacht,mitdersieseinenkühlen,dochnichtungerechtenSinn zu gewinnen hoffte.Manches,was zuihrenGunstensprach,war indenBriefendesCäsarundAntoniusenthalten,diesienachdemTodedesGemahlsin so vielen Nachtstunden wieder und wiederdurchgelesen hatte, und eben waren sie ihr gebrachtworden.Ihn ganz allein zu empfangen, hatte Archibius wie derRömerProculejuswiderraten.Diesersprachesnichtaus,doch erwußte, daßOctavian sich eher zu etwas EdlemundMildem bestimmen ließ, wenn es nicht an Zeugenfehlte, die es in die Welt bringen konnten. DemgeschicktestenSchauspielerseinerZeitgegenüberwaresgeraten,fürZuschauerzusorgen.

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DieKöniginhattedarumIras,Charmionundaußerihneneinige der ihr am nächsten stehenden Beamten bei sichbehalten, unter ihnen auch denVerwalter Seleukus, der,wenn die Rede auf die Uebergabe der Schätze kam,Auskunfterteilenkonnte.Siewarauchwillensgewesen,sich,nachdemsiesichvondem Besuche des Grabes ein wenig erholt, frischankleiden zu lassen. Daran hinderte sie das verfrühteErscheinendesCäsar.Jetztwäresie,auchwenndieZeites gestattet hätte, nicht einmal im stande gewesen, sichauchnurdasHaarneuordnenzulassen,soschwachunddabeisofieberhafterregtfühltesiesich.DasBlutjagteihrdurchdieAdernundglühteihrindenWangen.Alseshieß,derCäsarnahe,behieltsienurZeit,sichhöherindenPolsternaufzurichten,dasHaarausdemGesichte zu streichen und Iras zu gestatten, ihr miteinigenraschenGriffendieFaltendesTrauergewandeszuordnen.HättesiedenVersuchgewagt,ihmentgegenzuschreiten,dieKnieewärenihrgebrochen.AlsderCäsarendlicheintrat,fandsieauchnurdieKraft,ihn mit einem stummenWinke der Hand zu begrüßen;Octavian aber, der ihr schon von der Schwelle aus dengewöhnlichen Gruß zugerufen hatte, brach schnell daspeinliche Schweigen und sagte mit einer höflichenVerneigung:»Duriefst,ichkam.DerSchönheitistjeder

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unterthan,—auchderSieger.«Da neigte sie wie beschämt das Haupt zur Seite undversetzte erkenntlich und doch im Tone bescheidenerAbwehr: »Ich bat Dich nur um die Gunst, michanzuhören,ichriefnicht.MeinenDank,daßDudieBittegewährtest.WenneineGefahr fürdenManndarin liegt,sichvorderAnmutdesWeibeszubeugen,—Dirdrohtsiehiergewißnicht.Qualenwiedenen,diemirauferlegtwurden,hältdieSchönheitnichtstand,kaumdasLeben.Doch Du verhindertest mich, es von mir zu werfen.DenkstDu nun billig, sowirstDu der Frau, derDu zusterben untersagtest, einDasein bewilligen, dessen LastzutragenihreKraftnichtübersteigt.«Da verneigte sich der Cäsar zum andernmale undentgegnete verbindlich: »Ichgedenke esDeinerwert zugestalten.«»Dann,«fuhrKleopatraauf,»nimmzuerstdiepeinigendeUngewißheit von mir! Zu denMännern, die nicht überdas Heute und Morgen hinaussehen, gehörst Du amletzten.«»Du denkst an den,« bemerkte Octavian herb, »dervielleicht noch unter uns weilte, wenn ermit weiseremBedacht...«DaflammtendieAugenKleopatras,diebisherdemdemkühlen Blicke des Siegers bescheiden und bittendbegegnet waren, unwillig auf und ein majestätisches:

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»DasVergangenebleiberuhen!«schnittihmdasWortab.Doch es gelang ihr schnell, die Empörung, die ihr dasleidenschaftliche Blut erregte, zu bemeistern, und invöllig verändertem Tone, der nicht frei war vonschmeichlerischerWeichheit,fuhrsiefort:»DersorgendeGeistdesMannes,dessenWinkenderErdballgehorcht,faßtdiekünftigenwiediegegenwärtigenDingeinsAuge.Sollte er nicht auch über das Schicksal der Kinderentschieden haben, bevor er einwilligte, die Mutter zusehen?Dereinzige,derDir imWegestehenkonnte,derSohnDeinesgroßenOheims...«»SiemußtenihmdasUrteilsprechen,«unterbrachsiederHerrscherimToneaufrichtigenBedauerns.»WieichdenAntonius beweinte, so beklage ich auch denunglücklichenKnaben.«»ThustDudas,«entgegneteKleopatraeifrig,»soehrtdasdieGüteDeinesHerzens.AlsProculejusmirdenDolchentwand, tadelte er mich, weil ich den mildesten allerFeldherren in denRuf derHärte undUnversöhnlichkeitbringe.«»ZweiEigenschaften,«versichertederCäsar,»diemeinerNaturvölligfremdsind.«»UnddieDu—wärensieDireigen—nichtanwendenkönntest und dürftest,« rief Kleopatra eifrig, »wennandersesDirernstistmitdemschönenVorsatze,demDusooftWorteliehst,alsNeffeundErbedesgroßenJuliers

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in seinenFußstapfen zuwandeln.Cäsarion— sieh dortseine Büste!— in jedem Zuge war er sein Vater. DeinerhabenesVorbild.Mir, derUnglücklichen, die jetzt ihrUrteilausdemMundedesNeffenerwartet,gewährtendieGötter als kostbarstes allerGeschenkedieLiebeDeinesgöttlichen Oheims. Und welche Liebe!Was ich seinemgroßen Herzen war, der Welt blieb es verborgen; dochDir,seinemErben,eszuzeigen,gebietetmirderWunsch,mich vorVerkennung zu schützen.AusDeinemMundeerwarte ich das Urteil. Du bist der Richter. DieseSchreiben,meinegewichtigstenVerteidigungsmittelsindsie. Ihnen trag’ ich auf,Dir zu zeigen,wie ichwar undbin, nicht wie Neid und Verleumdung mich schildern.DasElfenbeinkästchen,meineIras!EsenthältdieteurenZeugen der Liebe des Cäsar, die Briefe, die er mirschrieb.«Mit zitternden Händen hob sie den Deckel, und alsversetzten diese Andenken sie in vergangene Zeitenzurück, fuhr sie mit gesenkter Stimme fort: »Unter allmeinen Schätzen ist mir dieser schlichte kleine SchreineinhalbesLeben langdas teuersteKleinodgewesen.Erschenkte ihn mir. Mitten während des heißen KampfeshieraufdemBruchiumwares.«WährendsiedanndieersteRolleentfaltete,wiessiedenOctavian auf sie und den übrigen Inhalt des Kästchensund rief: »Stumme Blätter, und doch wie beredt! Jedes

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ein Gemälde sondergleichen: der starke Denker, derMann der That. der den rastlos erwägenden Geist zurRuhe setzt und demHerzen überzufließen gestattet vonderLiebedes Jünglings.Wär’ ich eitel,Octavian, jedendieserBriefekönnt’icheinSiegeszeichennennen,einenolympischen Kranz. Die Frau, der Julius Cäsar seineUnterwerfungbekannte,einst standes ihrzu,dasHaupthöher zu tragen als die Unglückliche hier, die für sichselbstaußerderErlaubniszusterben...«»LaßdieseBriefe,«unterbrachsieOctaviangütig.»Wermagbezweifeln,daßsieDireinteurerSchatzsind...«»Der teuerste sind sie und dazu der Sachwalter derAngeklagten,«versichertesielebhaft.»Ausihnen—Duhörtestesjaschon—fußtdieRechtfertigung,zuderichbereit bin. Von ihnen aus nahm ich mir vor, sie zubeginnen. Wie furchtbar, was uns heilig war undbestimmt,nurdaseigeneHerzzuerheben,einemZweckedienstbar zu machen,— ihm aufzutragen, was uns einLebenlangwidrigerschien!DochichbedarfdesAnwaltsund,Octavian,derelenden,krankenBettleringebendieseBriefe dieWürde und Gestalt der Königin zurück. NurzweiMächtekenntdieWelt,vordenenJuliusCäsarsichbeugte:dieWünschederjammerndenFrauhieraufdemLager und der alles bezwingende Tod. Eine häßlicheBrüderschaft!—Dochichscheuesienicht;dennderTodraubte ihmdasLeben, und ausmeinerHand ...Nurum

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einenkurzenAugenblickbitt’ich...Wiegernersparteichmir das eigene Lob und Dir, ihm zu folgen! Doch, dastehtesjaschon:›DurchDich—DuUnwiderstehliche,‹schreibt er, ›erfuhr ich zum erstenmal, als die Jugendschon hinter mir lag, wie schön das Leben doch seinkann.‹«Damit überreichte Kleopatra dem Cäsar das Schreiben.Während sie aber noch mit fliegenden Händen nocheinemandernBriefe suchte,gaber ihr schondenerstenzurück und sagte: »Nur zu gut versteh’ ich, daß es Dirwiderstrebt,solchevertraulichenErgüssedenVerteidigerspielenzu lassen. IhrenInhaltkannichmirdenken,undersollaufmichwirken,alshätt’ichsiesämtlichgelesen.So gesprächig sie auch seinmögen, sind sie dazu dochunnötige Zeugen. Bedarf es denn der schriftlichenBestätigung für einen Anmutszauber, der sich immernochwirksamerweist?«DaflogüberdasAntlitzKleopatraswieeineBestätigungdes schmeichlerischen Wortes aus dem Munde desstolzen jungen Weltbeherrschers ein liebenswürdigesLächeln.Octavianbemerktees.EsbesaßinderThatbestrickendenLiebreiz,underfühlte,wiedasmatteRotseinerWangenzunahm.Dies unglückliche Weib, diese leidende Bittstellerinkonnte auch jetzt noch einenMann in ihr Netz ziehen,

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nurdurfteernichtüberdiekühleBehutsamkeitverfügen,die ihm die Seele panzerte. War es der wunderbareWohllaut der Stimme, war es der wechselnde Glanz inden feucht schimmerndenAugen, war es die vornehmeBiegsamkeitderedlenGestalt,vereintmitdenvollendetschönen Formen der Hände und Füße, war es dieSchwäche der unterworfenen Leidenden, die sicheigenartigmitköniglicherMajestätvermischte,oderauchder Gedanke, daß die Liebe diesesWeibes die Größtenund Höchsten mit unzerreißbaren Banden an sichgefesselt,wasdieserhinsiechendenFrau,diedieGrenzeder Jugend schon längst überschritten, eine somächtigeAnziehungskraftverlieh?Jedenfallsgaltesauchfür ihn, sogewißerseinerselbstauchseinmochte,sichvorihrzuhüten.DieLeidenschaftzu zügeln verstand er besser als der so viel größereOheim.Abereslagihmvorallemdaran,umKleopatraamLebenzu erhalten, sie im Glauben an seine Bewunderung zubestärken.Der»GroßkönigindesOstens«,die sichebennoch gerühmt hatte, unwiderstehlich wie der Tod auchdieGewaltigstenzubesiegen,ihrundderWeltwollteerseine Uebermacht als Mensch und als Herrscherbeweisen. Doch er mußte auch milde sein, um nichtunvorsichtigselbstzugefährden,wozuerihrerbedurfte.NachRom sollte sie ihm folgen. Siemit ihrenKindern

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verhieß seinen Triumph zu dem glänzendsten undmerkwürdigstenzumachen,denjeeinSiegerdemSenatundVolkegezeigt.In leichtem Ton, aus dem aber dennoch die Bewegungseiner Seele leise herausklang, entgegnete er darum:»Mein herrlicher Oheim war ja als Freund schönerFrauen bekannt. Von mancher ließ er sich das ernsteLeben mit Blumen bekränzen und bezeugte es ihrmündlich, — vielleicht wohl auch wie Dir in diesenBriefen—mitdemSchreibrohr.SeinGeniuswargrößer,jedenfallsvielseitigerundbeweglicheralsdermeine.Esgelangihmauch,verschiedenesindernämlichenZeitmitgleicher Hingabe zu betreiben. Was mich angeht, michnimmt der Staat, die Verwaltung, der Krieg völlig inAnspruch. Dankbar fühl’ ich mich schon, wenn ichunserenDichterngestattenkann,mirdieRuheaufkurzeZeit zu verschönern. Sich, wie der Oheim es in diesenRäumen that, der anmutigsten der Frauen gefangen zugeben,fehltesdemUeberbürdetenanMuße.Könnteich,wieichwollte,Duwärstdieerste,vonderichdieGabendes Eros ... Doch es darf nicht sein!Wir Römer lernenauch den glühendsten Wunsch bezähmen, wenn es diePflichtgebietet,dieSitte.KeineStadtgibtesaufErden,inderauchnurhalbsovieleGötterVerehrungfändenwiehier,undwasfürwelchegibtesdarunter!UmihrWesenauch nur obenhin zu begreifen, bedarf es einesbesonderenAufgebotesdesGeistes...Aberdieeinfachen

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Götter des häuslichen Herdes! Sie sind zu schlicht füreuchAlexandriner,denenmanPhilosophie schonmit indieMuttermilchmischt ...WasWunder,wenn ichmichvergebens nach ihnen umsah. Freilich würden sie —unsere Hausgötter, mein’ ich — auch geringeBefriedigung hier finden,wo vor den heißenWünschendes Eros die strengen Forderungen des Hymenschweigen. Die Ehe, sie gehört hier kaum zu dengeheiligten Dingen. — Diese Meinung, scheint es,verdrießtDich.«»Weil sie falsch ist,« stieß Kleopatra hervor, indem siemühsam einen neuen Ausbruch des Unwillenszurückhielt. »Doch, sehe ich recht, so bezweckt DeinVorwurfdochnur,aufdasBandzuweisen,dasmichmitdem Manne vereinte, den man den Gemahl DeinerSchwester hieß. Ihr Römer nennt die Ehe eines euererGroßen mit einer Fremden verächtlich ... Ich aber willmich...Gernhielt’icheszurück,dochDuzwingstmich,zureden,undichthu’es,obgleichDeineigenerFreund,obgleichProculejusmirzuwinkt,Vorsichtzuüben...Ich,ich, Kleopatra, war die rechte Gattin des MarcusAntoniusnachderSittediesesLandes,alsDuihnmitderWitwe desMarcellus, der kaum dieAugen geschlossenhatte, vermähltest. Nicht Deine Schwester Octavia, ichwardieVerlassene,ich,derseinHerzgehörtebisanseinEnde,ich,dieeineReihevongroßenKönigenihreAhnennennt und an Geburt doch wohl kaum hinter der

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vornehmsten Tochter eueres edelsten Geschlechteszurücksteht, nicht die ungeliebte, ihm angetrauteGemahlin...«Hier senkte sie die Stimme. Sie hatte demleidenschaftlichen Triebe, der ihr gebot, sich in dieserAngelegenheitzuäußern,GenügegethanundfuhrnuninmilderläuterndemTonefort:»Ichweißja,daßDudieseVerbindung nur vorschlugst, um den Frieden und dieWohlfahrtdesStaates...«»Um beide zu wahren und um das Blut vonZehntausenden zu sparen, geschah es,« fügte Octavianmit stolzer Bestimmtheit hinzu. »Dein heller Geisterkannte es richtig. Und wenn Du, trotz des schwerenGewichtesdieserGründe ...AberwelcheStimmewürdebei euch Frauen nicht von der des Herzens zumSchweigen gebracht? DemManne, dem Römer, gelingtes,demSirenengesangedasOhrzuverschließen.Ständ’es anders — nie und nimmer hätt’ ich der Schwestereinen Gemahl erwählt, bei dem ich ihr Wohlsein soschlecht behütet wußte, — würde ich — ich sagte esschon — dem eigenen Verlangen nach derliebenswertestenderFrauennichtzugebietenvermögen... Doch ich darf mich des wohl kaum rühmen. Dembescheidenen Octavian öffnet sich, fürchte ich, einFrauenherz wie das Deine weniger schnell als einemJuliusCäsaroderdemglänzendenMarcAnton.Aberes

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ist, mir zu bekennen gestattet, daß ich es vielleichtvermieden hätte, diesem unseligen Kriege gegen denFreund unter eigener Führung ein Ende zumachen undpersönlich in Aegypten zu erscheinen, obgleich jedertüchtigeLegatimstandegewesenwäre,dasgleicheZielzu erreichen, wenn mich nicht das Verlangen hiehergetrieben hätte, die Frau wiederzusehen, dereneigenartige Schönheit schon dem Knaben die Augengeblendet. Jetzt fühlt sich der reife Mann von demWunsche beherrscht, jene wunderbaren Gaben desGeisteskennenzulernen,jeneunvergleichlicheKlugheit...«»DieKlugheit!«fielihmdieKönigininsWortundzucktewehmütig die Achseln. »Was man gemeinhin so nennt,wurde Dir in zehnfach reicherem Maße zu teil. MeinSchicksal beweist es. Die Biegsamkeit des Geistes, diemir die Himmlischen etwa gewährten, in dieserSchmerzenszeit würde sie die Probe nur übel bestehen.LiegtesDiraberwirklichdaran,kennenzulernen,wieesmitdemGeistederKleopatraeinstbestelltwar,sonimmdiese furchtbareUngewißheit vonmir und gewähremireine Lage des Lebens, die der gelähmten Seele wiedergestattet,sichfreizubewegen.«»EsliegtalleinanDir,«unterbrachOctaviansie lebhaft,»die kommendeZeit fürDichunddieDeinennicht nursorgenfrei,sondernschönzugestalten.«

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»An mir?« frug Kleopatra erstaunt. »In Deiner Hand,ganzalleininihr,liegtunserWohlundWehe.Ichbinjabescheiden und verlange nichts, als zu wissen, was Dufür unsere Zukunft bestimmst, was Du unter dem Loseverstehst,dasDuschönnennst.«»Nichts Geringeres,« versetzte der Cäsar gelassen, »alswas Dir vorzüglich am Herzen zu liegen scheint: einLeben mit jener freien Bewegung der Seele, die Duerstrebst.«DabeganndieBrustdertieferregtenFrausichschnellerzu regen, undnichtmehr völligHerr derUngeduld, diesie ergriff, rief sie: »Mit der Versicherung Deiner Huldauf den Lippen versagst Du mir das Eingehen auf dieFrage, die mich vor allen anderen bewegt, auf die Du,wennüberhauptaufeine,gefaßtseinmußtest,daDuhiereintratst...«»Vorwürfe?« fragte Octavian mit gut gespieltemErstaunen. »Aber wäre es nicht eher an mir, mich zubeklagen? Gerade weil ich es ernst nehme mit derfreundlichen Gesinnung, die Du aus meinen Wortenrichtig herauslasest, mußten mich einige DeinerMaßregeln betrüben. Deine Schätze sollte das Feuerzerstören. Unbillig wäre es, Freundschaftsbeweise vondemBesiegtenzuerwarten;dochkannstDuleugnen,daßes auch dem bittersten Haß kaum gelänge, etwasFeindseligereszuersinnen?«

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»LaßdasVergangeneruhen!Wersuchte imKriegedemGegner nicht dieBeute zu schmälern?«bat dieKönigininbeschwichtigendemTone.Als aber Octavian mit der Antwort zauderte, fuhr sielebhafter fort: »Der Steinbock in den Ostbergen, sagensie, stürzte sich inderTodesnot aufden Jägerund risseihnmitindenAbgrund.DernämlicheTriebistauchdenMenscheneigen,undrühmlich,denk’ich,isterfürbeide.—VergißdasVergangene,wie icheszu thunversuche,wiederholeichmiterhobenenHänden.Sage,daßDudenKnaben, die ich dem Antonius schenkte, den ThronAegyptens unter der Vormundschaft nicht der Mutter,sondernRomszubesteigengestattest,undbewilligemirselbst,woesauchsei,inFreiheitzuleben,undich,wasichanGüternundSchätzenbesitze,bisaufdasletzte,ichüberlass’esDirwillig.«DabeiballteihrdieUngedulddiekleineHandunterdenFaltendesGewandeszurFaust;OctavianabersenktedenBlick und sagte leichthin: »Ueber den Besitz desBesiegten verfügt imKriege der Sieger, doch das Herzhält mich ab, allgemeingiltige Gesetze gegen Dich, diedas Gewöhnliche so hoch überragt, in Anwendung zubringen. Dein Reichtum soll groß sein, obgleich derunsinnigeKrieg,denAntoniusunterDeinemBeistandeindieLängezog,ungeheureSummenverschlang.IndiesemLandescheintdasverschleuderteGoldwiedasGras,das

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manmähte,wiederzuwachsen.«»Du sprichst,« entgegnete Kleopatra, immer tiefergereizt,mitstolzemSelbstgefühl,»vondenSchätzen,diemeineVäter,diegroßenKönigeeinesreichenLandes,fürihr edles Haus und den Schmuck ihrer Frauen dreiJahrhunderte lang sammelten und erwarben. DerGroßmutunddemvornehmenSinneinesAntoniusstanddasSparennichtan,dochderHabsuchtselbstwird,wasübrig bleibt, nicht unbedeutend erscheinen. Bis auf dasletzteStückwardesverzeichnet.«Damit nahm sie demVerwalterSeleukus eineRolle ausderHandundreichtesiedemOctavian,dersiemiteinerleichten Verbeugung schweigend in Empfang nahm.Kaum aber hatte er sie zu lesen begonnen, als derVerwalter, ein kleiner, wohlbeleibter Mann, mitblinzelnden Augen, die in den übervollenWangen halbverschwanden,denkurzenZeigefingerhob,frechaufdieKöniginwiesundihrinsGesichtbehauptete,sieversucheeiniges zu unterschlagenundhabe ihmdarumverboten,esaufdasVerzeichniszusetzen.Da wich der tieferregten, leidenschaftlichen, vonfieberhafter Ungeduld gemarterten Frau das Blut ausWangenundLippen,undihrerselbstnichtmehrmächtig,erhobsiesichundschlugdenAngeber,densieausArmutundNiedrigkeitzuseinerhohenStellungerhoben,wiederundwiedermitderzartenHandinsGesicht,bisOctavian

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ihrmiteinemüberlegenenLächelnzurief,wierechtauchdemMannegeschehe,esgenugseinzulassen.Nun warf sich die aus dem Gleichgewicht gerisseneUnglückliche auf das Lager zurück, und mitüberströmendenAugenklagtesiesichröchelndselbstan,dem Unerträglichen und solchem Uebermaß derGemeinheit gegenüber zum Abscheu vor sich selbstgewordenzusein.Dannpreßte sie dieFaust an dieSchläfe und rief: »VordenAugendesFeindesfälltdieWürdederKönigin,diemir ein Leben lang treu blieb, von mir ab wie eingeborgter Mantel. Doch was bin ich denn noch? Waswerde ichmorgen sein,was später?Aberwer unter derSonne,demwarmesBlutdurchdieAdernrinnt,kanndieRuhebewahren,wennmanihm,demVerschmachtenden,saftige Trauben hinhält, um sie ihm,wie dem Tantalus,bevorerdieLippendamitnetzte,grausamzuentziehen?Mit derVersicherungDeinerGnade tratestDu hier ein;doch die schmeichelhaften, Gutes verheißenden Worte,die Du mir Unseligen gönntest, sind wohl nur dieMohntropfen gewesen, mit denen man tobendeFieberkranke beruhigt. War die Gnade, die Du michsehen und für die Zukunft ahnen ließest, nur bestimmt,eineUnglücklichezutäuschen...«Doch sie kam nicht weiter; denn Octavian fiel ihr miterhobener Stimme würdevoll insWort: »Wer da meint,

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der Erbe des Cäsar sei fähig, eine edle Frau, eineKönigin, die Freundin seines großen Vorbildes,schmählichzuhintergehen,derbeleidigtundkränktihn;doch der gerechte Zorn, der Dich hinriß, mag Dir zurEntschuldigung dienen. Ja,« fügte er in völligverändertemTonehinzu,»ichhättesogarGrund,diesemZorne dankbar zu sein und zu wünschen, noch einmaldem Ausbruch einer Leidenschaft, die selbst in derungezügeltenWildheitschönbleibt,zuschauenzudürfen;— weiß die königliche Löwin doch kaum selbst, wieschönsieist,wennderSturmderEmpörungsiemitsichfortreißt. Und welchen Anblick muß sie nun erstgewähren, wenn die Liebe es ist, die ihre heiße Seelezwingt,aufzuloheninlichtenFlammen.«»DieheißeSeele!«wiederholtesielebhaft,undplötzlicherwachteinihrdasgefallsüchtigeVerlangen,auchdiesenMann,der sich so siegesgewiß seinerFestigkeit rühmte,sich zu Füßen zu zwingen. Mochte er stärker sein alsandere, unbezwinglich war er gewiß nicht! Und imBewußtsein ihrer noch ungebrochenen Macht über dieHerzen der Männer folgte sie dem übermächtigenweiblichenTriebe,dieHerzenzubeherrschen.Auchdasdes Feindes sollte ihr unterthanwerden, und bevor diesVerlangen noch feste Formen gewonnen, glühte ihmschon aus ihren Augen ein verheißungsvollerLiebesblick, winkte ihm aus ihrem Antlitz einbezauberndesLächelnentgegen

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DabeganndaswohlgehüteteHerzdesjungenHerrschersschneller zu schlagen und die Zügel zu zerreißen. DieWangen erglühten ihm, entfärbten sich und röteten sichwieder. Wie sie ihn angeschaut hatte! Liebte sie denNeffen, wie sie einst den Oheim geliebt, der durch sieerfahren,welcheWonnedasLebenzuspendenvermag?Ja,esmußteköstlichsein,diesenfeinenMundzuküssen,sichvondiesenherrlichgebildetenArmenumfangenzulassen, von dem silberhellen Wohllaute dieser StimmedeneigenenNamensichzärtlichentgegentönenzuhören.Schöner fließende Linien hatte auch das vollendetsteMarmorbild der wachend ruhenden Ariadne, das er inAthengesehen,demAugenichtgeboten,alsdasdavorihmindenKissenausgerichteteWeib.Werdurftewagen,ihr gegenüber von geschwundenen Reizen zu reden? Onein! Der Zauber, der den Julius Cäsar ihr dienstbargemacht, er war lebendig, war so wirksam gebliebendenn je. Er fühlte selbst seine Macht, Er, derDreiunddreißigjährige, war jung, und nach so schwerenAnstrengungen stand es auch ihm zu, sich mit demNektar des edelsten Genusses zu berauschen, Leib undSeele auf einmal mit Freuden zu sättigen, die nichtihresgleichenbesaßen.SotraterdennmiteinemraschenSchritte,entschlossen,ihreHändezuergreifenundsieandieLippenzuziehen,ihremLagernäher.SeinheißverlangenderBlickgabdemihrenAntwort; sie aber nahm, erstaunt über dieMacht,

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dieihr,deranLeibundSeelesoschwerGequälten,inderThatnochimmerselbstüberdenstärkstenundkältestenderMännerinnewohnte,mitallerSicherheitwahr,wasinihmvorging,undeinsiegesfrohesLächeln,indasbittererHohn sich mischte, umspielte ihr den schönen Mund.Solltesieihmablisten,wassievonihmbegehrte,indemsiezumerstenmalemitderLiebeeinfalschesSpieltrieb?Sollte sie sich demjenigen preisgeben, der siezurückstieß, um für die Kinder durch ihn zu erlangen,wasihnengebührte?Solltesie,demFeindedesGeliebtenzuGefallen,demheiligenSchmerzeabsagen,dersieihmnachzog, und derNachwelt und denKindern dasRechtgeben, sie statt der Treusten der Getreuen ein ehrlosesWeibzunennen,dasfürjedenMächtigsteninseinerZeitkäuflich?An all diese Fragen knüpfte sich wie von selbst dieVerneinung.Der Schritt, denOctavianmit einemLiebeheischendenBlicke ihr entgegengethan hatte, er gab ihrdasRecht,sichalsBesiegerindesSiegerszufühlen,unddie stolze Freude des Triumphes spiegelte sich in ihrenbeweglichen Zügen zu deutlich wider, als daß derscharfsichtige und mißtrauische Unterliegende es nichthätte bemerken sollen. Kaum aber hatte erwahrgenommen,wasihnbedrohte,undsichihresWortesvonderUeberwältigungseinesgroßenOheimsdurchsieunddenToderinnert,alses ihmauchschongelang,dierasch entflammten Sinne zu bemeistern. Errötend über

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die eigene Schwäche wandte er den Blick von derKöniginab,und.alserdemProculejusunddenanderenZeugenbegegnete,erkannteer,vorwelchemAbgrundergestanden. Der Gefahr, durch einen Augenblick derSchwäche die Frucht ernster Entsagung und schwererBemühungen einzubüßen, war er schon halb verfallengewesen.Sein ausdrucksvolles Auge, das eben noch verlangendnach einer schönen Frau geschaut hatte, maß jetzt miteinem strengen Herrscherblicke seine Umgebung, undscheinbar beflissen, ein Zuviel der schmeichelhaftenAnerkennung,dasmißdeutetwerdenkonnte,zumäßigen,sagteerinbeinahelehrhafternstemTone:»Und dochmöchten wir die edle Löwin noch lieber injener majestätischen Ruhe sehen, die alles, was Königheißt, am besten kleidet. Einemkühl erwägendenSinnewie demmeinen fällt es schwer, sich in ein leicht undheißerglühendesHerzzuversetzen.«Mehr erstaunt als enttäuscht war Kleopatra dieserschnellenWandlunggefolgt.Erwar ihrhalbunterlegen,hatte esbeizeitenerkannt,undeinMannvon seinerArtbegab sich nicht leicht zum zweitenmal in eineGefahr,derermitgenauerNotentronnen.Undeswargutso!Ersollte erfahren, daß er den Blick, der ihm das Herzentflammt hatte, falsch gedeutet, und sie entgegnetedarumablehnendundmitmajestätischerWürde:

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»Ein Elendwiemeines tötet jedeGlut.Und die Liebe?DasHerzdesWeibesbleibtihrimmergeöffnet,nurnicht,wennesdieLustundKraftzuwünschenverlor.Dubistjungundglücklich,undDeineSeeleverlangtdarumauchheutenochnachLiebe,—ichweißes;—wennauchinkeinemFallnachdermeinen.Mirdagegen istnurnocheinWerber willkommen: der mit der gesenkten Fackel,denDuvonmirfernhältst.Bei ihmalleinistzufinden,wonach diese Seele von Kind an strebte: SchmerzloseRuhe!Dulächelst.MeinvergangenesLebengibtDirdasRecht,eszuthun.Ichwillesnichtschmälern.Jedeslebtsein Leben für sich. Wenige verstehen die WendungendeseigenenundwenigernochdieeinesfremdenDaseins.DieWeltwarjaZeuge,wiedieRuheausmeinemWegefloh oder ich aus dem ihren, und dennoch seh’ ich dieMöglichkeitoffen,siewiederzufinden.Vordemeinzigen,dasmir ihrenGenußverbietenwürde:ErniedrigungundSchande,davorbinichgesichert.«HierstocktesieundfuhrmitdenweichstenLauten,überdie sie gebot, wie zur Erklärung fort: »DeineGroßmut,meine ich, schütztdieFraudavor,dieDuebennoch—ich übersah es nicht—wert hieltest einesmehr als alsgnädigen Blickes. Zu den unvergeßlichen Erinnerungenwill ich ihn schreiben. Jetzt aber, erhabener Herr, laßmich wissen:Wie lautet Dein Beschluß über mich unddieKinder?WasdürfenwirvonDeinerGnadehoffen?«

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»DaßdenOctavianderWunsch,DirunddenDeineneinwürdigesLoszubereiten,umsowärmerbeseelenwird,mitjefesteremZutrauenDuvonihmerwartest,erwerdeseineGroßmutvollundganzaneuchbewähren.«»UndwennichdiesVerlangenerfülleundalles,wasgroßundedelist,vonDirerwarte,—esfälltmirnichtschwer— welche Beweise Deiner Gunst stehen uns dannbevor?«DaversetztederCäsarschnell:»MaleesDirausmitderganzenGlutjenergewaltigenEinbildungskraft,dieselbstmeine Blicke so lebhaft zu Deinen Gunsten deutet unddie die Wunder ersann, durch die Du den größten undglänzendsten Mann Roms zum Glücklichsten derSterblichenmachtest.Daß er derUnglücklichstewurde,fällt, denk’ ich, nicht Dir, sondern ihm allein zur Last.Aber—beimZeus!—dievierteStundenachMittag!«Ein Blick aus dem Fenster hatte ihn zu diesem Rufeveranlaßt. Dann fuhr er im Ton des aufrichtigstenBedauernsmitderHandaufdemHerzenfort:»Wiegerngenöss’ ich noch länger dieses fesselnden Gesprächs,doch mich rufen wichtige, leider unaufschiebbareGeschäfte...«»UnddieAntwort?«riefKleopatraundschaute ihmtiefatmenderwartungsvollentgegen.»Soll ich sie wiederholen?« frug er mit ungeduldigerEile. »Sei es darum!GegenvollesZutrauen vonDeiner

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Seite Gnade, Vergebung, Entgegenkommen, jedeRücksicht, dieDubilligerweiseverlangst.DeinHerz istsoreichanwarmemGefühl!Gönnemirdavonnureinenkleinen Teil, und als Gegengabe fordere greifbareGeschenke. Sie sind Dir im voraus bewilligt.« Dabeibegrüßte er sie wie ein Freund, der ungern von demandern scheidet, und verließ raschen Schrittes dasGemach.»Fort,fort!«riefIras,alsdieThürsichhinterihmschloß.»EinAal,derderHandentschlüpft,dieihnfesthält.«»Das Eis im Norden,« fügte Kleopatra dumpf hinzu,während Charmion ihr half, eine bequemere Lage zufinden,»Soglatt,wieeskaltist.Esbleibtnichtsweiterzuhoffen.«»Doch,Herrin,doch!«versicherteIraseifrig.»Dolabellaerwartet ihn im Philadelphushofe. Durch ihn — erversprach es — erfahren wir, was Octavian mit Dirvorhat.«InderThatfandderCäsardenJünglingamerstenThoredes Palastes, wie er sein schönes kyrenäischesViergespannmusterte.»Treffliche Tiere!« rief er dem Cornelier zu. »EinGeschenk dieser Stadt. Fährst Du mit mir? Einemerkwürdige,höchstmerkwürdigeFrau!«»Nichtwahr?«frugDolabellaeifrig.»Zweifellos,« versetzte der Cäsar. »Doch obgleich sie

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beinaheDeineMutter seinkönnte, für JünglingeDeinesAlters und von Deinem Schlag außerordentlichgefährlich. Welch ein Schmelz in der Stimme, welcheBeweglichkeit, welch ein Feuer! Und dabei dochvornehm in jederBewegung.Aber ichwilldenFunken,der Dir vielleicht schon ins Herz fiel, nicht anfachen,sondern ersticken. Und das Schauspiel, dieKomödienscene,diesiemirmittenimschwerstenErnstezusehengab!«Dabei lachte er kurz und leise auf. Dolabella aber rieferwartungsvoll: »Du lachst nur selten; doch diesGespräch, scheint es, stimmteDich heiter.—Es führtealsozueinemerfreulichenAusgang?«»Laßesunshoffen!Icherwiesmichihrsognädig,wieesnuranging.«»Dasistschön!Darfmanauchwissen,inwelcherWeiseDeine Güte und Weisheit ihre Zukunft gestaltet? Oderbesser: Was versprachst Du der beklagenswertenBesiegten?«»MeineGnade,wennsiemirvertraut.«»Proculejus und ich fahren fort, sie darin zu bestärken.Undwennesgelingt?«»Sowird ihr,wie gesagt,Gnade zu teil, eine Fülle vonGnade!«»Doch ihr künftiges Schicksal? Wie gestaltest Du ihreZukunftunddiederKinder?«

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»So, wie sie es durch den Grad ihres Zutrauensverdienen.«Hierstockteer;dennerwareinemBlickedesDolabellabegegnet, in dessen bekümmerten Ernst sich ein leiserVorwurfmischte.Es lag ihm daran, die begeisterte Bewunderung diesesvielleicht zu großen Dingen berufenen edlen Jünglingssich zu bewahren, und so fuhr er vertraulich fort: »VorDir, junger Freund, darf ich offener sein. Die kühnstenHoffnungenerfüll’ichgerndemimmernochfesselnden,ichwiederholees,höchstmerkwürdigenWeibe;erstaberbraucheichsiefürdenTriumph.DieRömerhättenrecht,mich zu schelten, wenn ich ihnen den Anblick dieserKönigin, dieses Weibes sondergleichen, dieser inmancher Hinsicht ersten Frau ihrer Zeit entzöge. Wirbrechen bald nach Syrien auf, und zwar zu Lande. DieKönigin schicke ich samt ihren Kindern in drei TagennachRom.WennsiedortimTriumphzugealsgroßes,derBewunderung wahrhaft würdiges Schaustück dieWirkungübten, die ichdavonerwarte, soll sie erfahren,wieichdenenlohne,diesichmirgefälligerweisen.«SchweigendhatteDolabellaihmzugehört.AlsderCäsardenWagenbestieg,ersuchteihnjener,ihnzurückbleibenzulassen.OctavianfuhralleingenOstendemLagerentgegen,womaninderNähedesHippodromdenBodenvermaß,auf

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demdieVorstadtNikopolis,dasistSiegesstadt,angelegtwerdensollte,umdieFolgegeschlechterandenSiegdesersten Kaisers über den Antonius und die Kleopatra zuerinnern. Sie erwuchs, ohne je eine hervorragendeBedeutungzuerlangen.Der edle Cornelier schaute dem dahinbrausendenViergespannedesHerrschersunwillignach.Dannrichteteer die vornehme Gestalt höher auf und ging festenSchrittesindenPalast.EskonnteihmdasLebenkosten,und doch wollte er thun, was er für seine Pflicht hieltgegen die edle Frau, die ihn ihrer Freundschaftgewürdigt.DiesselteneWeibwarzugut,umdemPöbelzurAugenweidezudienen.UmwenigesspäterwußteKleopatra,welcheSchmachihrbevorstand.

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FünfundzwanzigstesKapitel.

Am nächsten Morgen hatte die Königin mit Charmionund diese mit der Nubierin Anukis mancherlei zuflüstern. Gestern war der Gärtner des Archibiusgekommen und hatte der Schwester seines Herrnbesonders schöne Feigen angeboten, die in dem altenEpikuräergartenreiften.AuchvondiesenFrüchtenwurdegesprochen, und Anukis begab sich nach Kanopus undvondortausimWagendesVerwaltersmiteinemKorbevollderköstlichstenFeigenaufdenFischmarkt.Dahattesie mancherlei mit dem Pyrrhus zu reden, und derFreigelassenebegabsichmitdenFrüchtenaufseinBoot.Bald nach derHeimkehr derNubierin kamdieKöniginausdemGrabmalezurück.IhreZügetrugendenStempeleiner ihnen sonst fremden Entschlossenheit, ja die festzusammengedrückten Lippen verliehen ihnen denAusdruck entschiedener Strenge. Sie wußte, was ihr zuthun oblag, und sah dem nahenden Ende als einerunabweisbaren Notwendigkeit entgegen. Der Toderschien ihrwie eineReise, die sie antretenmußte, umdergrausamstenSchmachzuentgehen.DasLebennachdemTodedesAntoniuswarohnehinkeinrechtesLebenmehr,eswarnureinhäßlichesZaudernundAbwartenzuGunstenderKindergewesen.DerBesuchimGrabehattedemvorangegangenenGatten

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ihrNahengleichsamansagensollen.Siewarlangeinderstillen Halle geblieben. Dort hatte sie den Sarg desGeliebtenmitBlumenbekränztund ihngeküßt, zudemVerstorbenen wie zu einem Lebenden geredet und ihmzugerufen,daßderTaggekommensei,andemsich,waser als wärmsten Herzenswunsch in seinem Testamentebezeichnet:imgleichenGrabmalnebenihrzuruhen,nunerfüllensolle.UnterdemtausendfachenJammer,dersiebetroffen, sei ihr nichts so schwer erträglich erschienen,alsseinerNäheundLiebezuentbehren.Dannwar sie in denGarten gegangen, hatte dieKindergeherzt und geküßt und sie gebeten, liebevoll ihrer zugedenken.DemArchibiuswarnichtverborgengeblieben,was sie im Sinne trug, doch hatte Charmion ihmmitgeteilt, womit die Zukunft sie bedrohte, — und erbilligte ihren Entschluß.Mit dem Aufgebot der ganzenihminnewohnendenWillenskraftwußteerdenSchmerz,der ihm das treueHerz zerriß, zu verbergen. Siemußtesterben.DerGedanke,siedenTriumphzugdesOctavianzieren zu sehen, erschien auch ihm unerträglich. IhrenDank und ihre Bitten, den Kindern auch ferner einliebevoller Leiter zu sein, nahm er mit einer äußerenGelassenheithin,dieihmspäterunfaßbarerschien.AlssievondemWiedersehenmitdemGeliebtensprach,dem sie entgegengehe, frug er, ob sie der Lehre desEpikur, die mit dem Tode das Sein des Verstorbenen

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auslöscht,völligabgesagthabe.Das bejahte sie lebhaft und sagte: »Auch dieSchmerzlosigkeit hörte auf, mir als höchstes Lebensgutzu erscheinen, seit ich weiß, daß Liebe nicht nur Lustbringt,seiticherfuhr,daßderSchmerzuntrennbaristvonderLiebe.Vonihrlasseichnicht,undebensowenigvondemGeliebten.Werdaserfuhr,wasübermichverhängtward, der lernte andere Götter kennen als die inthatenloserRuheseligrastendendesMeisters.Lieberzuewiger Qual in einer andern Welt vereint mit demGeliebten, als ein schmerz- und freudloses Nichts ineinem öden, unfaßbaren Nirgends. — Du am letztenlehrstdieKindernachSchmerzlosigkeittrachten...«»DennwieDu,«riefArchibius.»erfuhrauchich,einwiehohesLebensgutdieLiebe,unddaßLiebeauchSchmerzist.«DabeineigteersichüberihreHand,umsiezuküssen,sieaber hielt sein Haupt an den Schläfen fest und drückteihmdieLippenschnellundflüchtigaufdiebreiteStirn.Da war es um seine Fassung geschehen, undaufschluchzendeilteerzudenKindernzurück.Wehmütig lächelnd schaute sie ihm nach und trat amArmederCharmionindenPalast.Dort begab sie sich in dasBad und ließ sich sodann inkostbaren Trauergewändern auf das Polster nieder, um,wie gewöhnlich zu dieser Stunde, das Frühstück

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einzunehmen.IrasundCharmionteiltenes.Während der Nachtisch aufgetragen wurde, brachte dieNubierin einen Korb mit köstlichen Feigen. Ein Bauer,erklärtesiedemEpaphroditus,derdemMahlezuschaute,habe sie als etwas Besonderes gebracht. Von denWächternseienschoneinigeweggenaschtworden.Die Speisenden genossen einige der Früchte, undProculejus, der gekommen war, um die Königin zubegrüßen, ließ sich gleichfalls bewegen, eine derschönstenzukosten.Nach Beendigung des Mahles wünschte Kleopatra zuruhen.DierömischenHerrenunddieAufwärterentferntensich.Endlich waren die Frauen allein und blickten einanderschweigendan.Charmion entfernte mit zagender Hand die oberstenFrüchte,dieKöniginabersagtedumpfvorsichhin:»Die Gemahlin des Antonius hinter dem Wagen desSiegersimTriumphdurchdieStraßenRomsgeschleppt,eine Augenweide dem Volke und den neidischenMatronen.« Dann fuhr sie auf und rief: »Welch einGedanke! War er zu groß für den Octavianus oder zuklein? Er, der sich so laut rühmt, die Menschen zukennen,erwartetdiesUnmöglichevonderFrau,dieihmdochihrInneressofreierschloß,wieerdasseinevorihr

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verbarg. Wir wollen ihm zeigen, wie schlecht es mitseiner Menschenkenntnis bestellt ist und ihnBescheidenheitlehren.«DabeiflogihreinverächtlichesLächelnumdieschönenLippen, und mit schnellen Griffen warf sie die FeigenhändevollaufdenTisch,bissieplötzlichwahrnahm,wiees sichunterdenFrüchten regte.Daatmete sie tief auf,von ihrenLippenklangder leiseRuf: »Dawäre es ja!«und mit einem raschen Entschlusse streckte sie derNatter,dieihrentgegenzüngelte,denArmhin.WährendsiedanndenBlickfestaufdieBewegungendesTieres heftete, das sich zu scheuen schien, seinfurchtbaresAmtzuerfüllen,riefsiedenFrauenzu:»Dank,Dankfüralles!Seidruhig.Duweißtja,Iras,daßesnichtweh thut.Es soll sein, alsobmanentschliefe.«Dannschauertesieleiszusammenundsagte:»EinernstesDing istesdochumdasSterben.Gleichviel,—esmußgeschehen.—WarumzögertdieSchlange?Da,da...Ichhalte stand. Ehrgeiz und Liebe waren die bewegendenKräfte in meinem Leben ... Sie sollen rühmend meinergedenken...IchfolgeDir,MarcusAntonius!«Da beugte sich Charmion über den linken Arm derHerrin, der frei herabhing, und bedeckte ihn lautausweinendmitKüssen,undKleopatraließesgeschehenund sagte,während sie denBewegungen derNattermitneuerAufmerksamkeitfolgte:

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»Die Ruhe aus unserem Epikuräergarten, heute beginntsie, meineMädchen. Ob sie schmerzlos sein wird, werweiß es; doch— auch darin wurde ich einig mit demArchibius—zuderhöchstenLustdesLebens,derLiebe,gehört der Schmerz. Ihr beide, denk’ ich, habt esgleichfalls erfahren. Auch dies Land, auch meinAegypten,istmirteuergewesen.Lieberewigblind,alsesunter römischem Joche sehen. Die Zwillinge und meinkleinesHerzblatt...WennsiederMutterundihresEndesgedenken,nichtwahr?dannwerdendieKinder...«HierfuhrsiemiteinemleisenAufschreizusammen.DieSchlange war ihr wie ein kalter Blitz am Arme in dieHöhegeschossen,undumwenigesspätersankKleopatraentseeltindasPolsterzurück.BleichunddochgefaßtwiesIrasaufsiehinundsagte:»Wie ein schlummerndes Kind. Bezaubernd auch nochim Tode. Selbst das Schicksal muß ihr zuWillen sein,muß der großen Königin, dem siegreichenWeibe, demeinHerzwiderstand, den letztenWunsch noch erfüllen.DenhochfliegendenAnschlag desOctavian, ihn schlägtseinWalten in Stücke.Der Triumphatorwird sich ohneDichdenRömernzeigen,DuTeure!«Damit beugte sie sich heftig aufschluchzend über dieEntschlafene,schloßihrdieAugen,küßteihrMundundStirn,undCharmionthatesihrweinendnach.Da ließen sich Männerschritte im Nebenzimmer hören,

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undIras,diesiezuerstvernahm,riefdringlich:»DerAugenblicknaht.Gut,daßerdaist.ScheintesDirnicht auch, als habe sich die Sonne am Himmelverfinstert?«Charmion nickte ihr beistimmend zu und fragte leise:»DasGift?«»Hier!« versetzte Iras gelassen und reichte ihr eineunscheinbare Nadel. »Ein leichter Stich, und es sollMethan sein ... Sieh her! Aber nein! Einmal thatest Dumir den größten Schmerz an. Du weißt — meinKindheitsgespiele, der Dion ... Es ist vergeben. Aberjetzt. Du erweistmir dieWohlthat!—Du ersparstmir,michselbstmitderNadelzustechen.—WillstTu? Ichvergelte esDir!WennDu eswünschst, soll dieseHandDirdenGegendienstleisten.«DaschloßCharmiondieNichteansHerz,küßtesie,stachihr leicht indenArm, reichte ihrdanndieandereNadelundsagte:»Jetzt istdieReiheanDir.—UnserHerzwarvollvonder großen Liebe zu einer, die wie keine zu liebenverstand, und unsere Liebe, sie wurde erwidert. Wasbedeutetdagegendieandere,derwirentsagten?WemdieSonneglänzt,derbrauchtkeinLichtzuentzünden.›Liebeist Schmerz!‹ sagte sie beim Scheiden; doch dieserSchmerz—vorallemwohlderdesEntsagensausLiebe—erträgteineLust imSchoße,eineköstlicheLust,die

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esleichtmacht,zusterben.Miristes,alsgelteesnur,derKöniginzufolgen,umsie...O,dasthatweh!«DieNadelderIrashattesiegetroffen.DasGiftwirkteschnell. IraswardvoneinemSchwindelergriffenundhieltsichnurnochmühsamaufrecht.EbenwarCharmionindieKnieegesunken,alsesdraußenlautandieverschlosseneThürpochte, unddieStimmendesEpaphroditus und Proculejus mit gebieterischerHeftigkeitzuöffnenbefahlen.Als keine Antwort erfolgte, wurde das Schloß an derThürmithastigemUngestümgesprengt.DafandmanCharmionbleichundentstelltzuFüßenderHerrin, Irasaber rückte ihr, schwankendundschonhalbbetäubtvondemGifte,dasDiademzurecht.Eshattesichverschoben.VondergeliebtenHerrinfernzuhalten,wasdie Schönheit ihres Anblicks zu beeinträchtigen drohte,warihreletzteSorgegewesen.Empört, außer sich vor Zorn eilten die Römer auf dieFrauen zu. Epaphroditus hatte Iras noch mit demSchmuckderKleopatrabeschäftigtgesehen.Jetztsuchteer ihre Gefährtin aufzurichten und rief ihr vorwurfsvollzu:»DassindmirschöneDinge,Charmion!«—sieabernahm die letzte Kraft zusammen und versetzte mitbrechender Stimme: »Ja, ganz wunderschöne, wie siesichfürdieEnkelinsovielerHerrschergebühren.«7

DamitschloßsiedieAugen;Proculejusaber,derDichter,

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derderFrau,gegendieersichschwervergangen, langeund tief bewegt in das stolze, schöne Antlitz geschauthatte,sagte:»WiekeinanderesWeibaufErdenwurdesievondenGrößtengefeiert,vondenAllerhöchstengeliebt.IhrRuhmhalltewidervonVolkzuVolkdurchdieganzeWelt.FortwirderklingenvonGeschlechtzuGeschlecht;so laut er aber auch ihre zauberhafte Anmut preist, diedenTod überdauerndeGlut ihrerLiebe, ihrenGeist, ihrWissen,denHeldenmut,mitdemsie,dasWeib,denTodder Schande vorzog,— das Lob dieser beiden sollte erauch nicht zu verkünden vergessen. Ihre Treue verdientes.—UnbewußtsetztensiedurchihrwunderbaresEndederGebieterindasschönsteDenkmal;dennwiewahrhaftgutundliebenswertmußdieFraugewesensein,dienachdem tiefsten Sturze es denjenigen, die ihr am nächstengestanden hatten, süßer erscheinen ließ, zu sterben, alsohnesiezuleben.«DieNachrichtvomTodedergeliebten,gefeiertenFürstinverwandelte Alexandria in ein Trauerhaus. EinLeichenbegängnis von unerhörter Pracht undFeierlichkeit, bei dem viel aufrichtige Thränen flossen,ehrteihrAndenken.Einer der glänzendsten Anschläge war dem OctaviandurchihrenTodvereiteltworden,undingrimmighatteerden Brief gelesen, in dem Kleopatra ihm mit eigenerHandmitteilte,daßsiezusterbengedenke.Dennochwar

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er es dem Rufe seiner Großmut schuldig gewesen, ihreine ihres Ranges würdige Bestattung zu gewähren.Verstorbenen,dieihmgefährlichzuseinaufgehörthatten,warerbereit,GnadeimUebermaßzuerweisen.Auch durch die Behandlung, die er ihren Kindernangedeihenließ,veranlaßteerdieWelt,dieMildeseinerGesinnung zu bewundern. Octavia, seine Schwester,nahm sie in das eigene Haus auf und überließ demArchibiusihreLeitung.Als der Befehl ergangenwar, die Statuen des Antoniusund der Kleopatra umzustürzen, auch da gab Octavianden Zeitgenossen eine Probe seiner zum Vergebengeneigten Gesinnung; denn er verordnete, daß dieBildsäulenderKönigin,diesichzahlreichinAlexandriaund in ganz Aegypten erhoben, stehen bleiben underhalten werden sollten. Er war freilich dazu durch diehohe Summe von zweitausend Talenten veranlaßtworden, die ein Alexandriner, um diese That derGroßmutzuerwirken,inseineKassehattefließenlassen.Archibius hieß der seltene Freund, der sich zum armenManne gemacht hatte, um dem Andenken der teuernVerstorbenendiesenDienstzuerweisen.Unangetastet schmückten die Bildsäulen derunglücklichen Fürstin auch später die Stellen, an denensiesicherhoben.DieSarkophagederKleopatraunddesMarcusAntonius,

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neben denen Iras undCharmion ruhten,waren stetsmitBlumenundTotengabenüberhäuft.DasGrabmaldervielgeliebten Königin zog wie ein Wallfahrtsort besondersdieFrauenAlexandrias an; aber es kamen auch aus derFerneundnochinspätererZeittreueLeidtragende,dieesbesuchten, und unter ihnen die Kinder des berühmtenLiebespaares, das hier der Tod vereinte: KleopatraSelene, nunmehr die Gattin des gelehrten numidischenKönigssohnesJuba,AntoniusHeliosundderzumManneherangereifte Alexander. Archibius. ihr Lehrer undFreund, begleitete sie. Er hatte Sorge getragen, daß dasAndenkenderMuttervonihnenhochgehaltenwurde,undsie zuMenschen erzogen, die er erhobenenHauptes andenSarkophagderFreundin,diesieihmanvertrauthatte,führendurfte.

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Endnoten1.»FreueDich«und»frischerMut«istaufvielenLeichensteinenzulesen.2VorsteherundLeiterdesGastmahles.3EingeschlossenerasiatischerReisewagenaufvierRädern.4Hofmarschall5s.Anm.4.6 BeidenGastmählernderAegypterwurdeeinekleineFigur inGestalt einerMumieherumgereicht,diedieGästeerinnernsollte,daßsiebaldwiedieseseinund keine Zeit mehr haben würden, sich des Lebens und seiner Genüsse zufreuen. Die Römer ahmten dies nach, indem sie die Larva, eine Statuette,gewöhnlichinGestalteinesGerippes,beimSchmauseunterdenZechgenossendieRundemachenließen.DerSchönheitssinnderGriechenmachteausdiesemhäßlichenSchreckbildeeinengeflügeltenGenius.7 Der Ruf des Römers und die Antwort der sterbenden treuen CharmionwörtlichnachdemBerichtedesPlutarch.


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