Kinder, Krisen und Katastrophen
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Prof. Dr. Harald Karutz
Diplom-Pädagoge, NotfallsanitäterNotfallpädagogisches Institut, Essen
„Programm übersicht“
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1. Einführung in das Thema
2. Die Situation von Kindern und Jugendlichen in Notfällen
3. Psychische Erste Hilfe und Psychosoziale Akuthilfe
4. Ergänzende Hinweise für Kindergärten und Schulen
1. Einführung: Krisen... Katastrophen... Notfälle.. .?
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Klassifikation von Notfällen
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„Zwischenmenschlich“• Vergewaltigung
• Entführung• Geiselnahme
• Suizid
„Technisch“• Verkehrsunfall
• Unfall• Brand
Naturereignisse• Flut
• Schneekatastrophe• Erdbeben
• Sturm, Unwetter
Medizinisch• Epilepsie • Asthma
• Meningitis • Alkoholvergiftung
Konkrete Beispiele
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Systematische Entfaltung des Themas
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Prävention Intervention Nachsorge
Art des Notfalls Art der Betroffenheit- Verkehrsunfall- Schulbusunfall- Amoklauf- Entführung- Brand- Erdbeben usw.
- Verursacher- Opfer- Augenzeuge- Zuschauer- Angehöriger usw.
InstitutionellerRahmen
- Kindergarten- Schule- Klassenfahrt- privates Umfeld
Die betroffenen Kinder- Alter- Anzahl- Geschlecht usw.
Eingrenzung des Themas
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� Thematisiert werden „Blaulicht“-Ereignisse, also Situationen,die auch zum Einsatz von
� Polizei,
� Feuerwehr,
� Rettungsdienst
� Notfallseelsorge bzw. Krisenintervention führen
Ein (unvollständiger!) Überblick für alle Beteiligten:Was ist generell zu beachten?
Quellen
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� Auswertung der nationalen und internationalen Fachliteratur
� Eigene (explorative) Studien:
� 2001: Interviews mit Einsatzkräften und Patienten
� 2004: Interviews mit 96 Kindern im Alter von 4 bis 16Jahren (Augenzeugen und Zuschauer)
� 2011: Interviews mit 23 Kindern im Alter von bis 7 bis18 Jahren nach einem Schulbusunfall
� 2014: Evaluation der PSNV in einer Großschadenslage
Empirisch begründet und (hoffentlich) auf die Praxis bezogen!
2. Die Situation von Kindern und Jugendlichen
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� Die „objektive Notfallschwere“ entspricht nicht der psychischenBelastung eines Kindes, entscheidend ist das subjektiveErleben!
� Zu beachten sind nicht nur die jeweiligen Ereignisse an sich, sondern auch Moderatorvariablen bzw. „Begleitumstände“
Grundsätzliches (1)
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Eine „Bagatellsituation“ kann stark belastend sein!
Aber ebenso: Ein „schweres“ Unglück muss nicht
zwingend stark belastend sein!
Grundsätzliches (2)
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!!!!
� Notfallsituationen sind neu und unbekannt
� Vorerfahrungen sind meist nicht vorhanden
� Das Erleben ist daher besonders intensiv
Besondere Belastungen: Kinder…
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� wissen und verstehen häufig nicht, was passiert
� suchen u. U. magisch-mythische, irrationale Erklärungen
� fühlen sich u. U. schuldig („egozentriertes Denken“)
� können das, was sie empfinden, u. U. (noch) nicht verbal-sprachlich zum Ausdruck bringen
� fürchten / ekeln sich in besonderer Weise vor
� Anblicken (Blut, Notfallspuren etc.)
� Gerüchen (Brandgeruch, Desinfektionsmittel) und
� Geräuschen
Kinder in einer Notfallsituation
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… ärgern sich über
� Untätigkeit von Erwachsenen
(Zuschauer, Pressevertreter,
Lehrer, Erzieher?)
� Unfreundlichkeit (insbesondere
einem Notfallopfer gegenüber!)
� eine Behandlung, „als wäre man
ein Baby“ (Zitat!)
Kinder in einer Notfallsituation
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… wünschen sich
� dass sie nicht alleine sind / einevertraute Person bei ihnen ist
Körperliche Belastungen:
� Frieren
� Schwitzen
� Durst
� Bewegungseinschränkungen
Mittel- und langfristige Notfallfolgen
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Eher kurzfristige
Folgen
EherLangfristige
Folgen
Emotional Kognitiv Verhalten Körperlich DSM 5 / ICD 10
• Angst• Trauer• Schuld• Scham• Wut
• Angst-störung
• Depression
• Gedanken• Erinnerungen• Phantasien• Dissoziation• Konzen-
trations-störungen
• Vermeidung• Unruhe• Erstarrung• Aggression• Regression• Essverhalten• Post-trauma-
tisches Spiel
• Müdigkeit• Zittern• Herzrasen• Schwindel• Schwitzen• Frieren• Kopfschmerz• Übelkeit• Hypervent.• Einnässen
• Akute Belastungs-reaktion
• Veränderungvon Grund-über-zeugungen
• Einschätzung der eigenenVulnerabilität
• Rückzug• Selbst-verletzungen
• Kontroll-ausübung
• Zwangs-handlungen
• Dissimulation
• Krankheiten• Abhängig-
keit
• Anpassungs-Störung
• Post-TraumatischeBelastungs-störung
Entwicklungsverzögerungen
Welche Kinder sollten besonders beachtet werden?
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� Kinder mit Vorbelastungen
� familiäre, schulische, gesundheitliche Situation
� frühere traumatische Vorerfahrungen usw.
� Mädchen
� Verursacher eines Notfalls bzw. Kinder mit Schuldgefühlen
� Kinder mit dissoziativen Reaktionen
� Amnesie
� Völliger Orientierungs- und Kontrollverlust („Erstarrung“)
� Kinder, die keinerlei Reaktionen zeigen
Positive Auswirkungen von Notfällen?
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3. Psychische Erste Hilfe & Psychosoziale Akuthilfe
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Grundsätzlich gilt…
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Kinder ernst nehmen!
� Sich Kindern zuwenden, ohnesich aufzudrängen
� Kinder nicht „betüddeln“
� Fragen ehrlich beantworten
� Anregungen von Kindernaufgreifen
� Kinder selbst entscheiden lassen
Psychische Erste Hilfe
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� Kinder nicht alleine lassen
� Stofftiere helfen („PsychischerErsatz“)
� Bezugspersonen einbeziehen
� Informationen geben
� Was ist passiert?
� Warum ist es passiert?
� Was passiert jetzt?
Psychosoziale Akuthilfe (1)
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� Offenheit für spezielle Anliegen :„Kleine Wünsche, große Wirkung!“
� Nach geeigneten Ausdrucks-möglichkeiten suchen: malen, basteln, sprechen, schreiben…
� Kindgerechte Psychoeducation :z. B. Belastungsreaktionen verständlich machen
Psychosoziale Akuthilfe (2)
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� Nach inneren und äußerenRessourcen suchen
� Aktivität erm öglichen , Kinder stets handelnd einbeziehen (Selbstwirksamkeit stärken)
� Post-traumatisches Spiel begleiten
Psychosoziale Akuthilfe (3)
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� Die Eltern unterstützen!
� Beratung / ggf. Brief mit Informationen:
� Mögliche psychische Folgen und angemessene Reaktionder Eltern thematisieren
� auf geregelten Tagesablauf achten� zu körperlichen Aktivitäten anregen� darüber sprechen, wenn Kinder dies möchten� Fragen ehrlich beantworten� Zusatzbelastungen möglichst vermeiden� besonders viel Nähe zeigen
� aber auch: „Overprotection“ vermeiden!
Hilfreiche Materialien (1)
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ISBN 978-3-87645-400-9Bestellnummer: nfs2004
Bezugsquelle:Medienverband der Evangelischen Kirche im RheinlandKaiserswerther Straße 45040474 DüsseldorfTelefon 0211 43690-0Telefax 0211 [email protected]
Hilfreiche Materialien (2)
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Bezugsquelle:Bundesamt für Bevölkerungs-schutz und KatastrophenhilfePostfach 186753008 BonnTelefon 0228 99 5500www.bbk.bund.de
Kostenlos!
4. Ergänzende Hinweise für Kinderg ärten & Schulen
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Besonderheiten bei Notfällen in Kinderg ärten
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Fast immer sind sehr viele Kinder betroffen
Fast immer sind die Reaktionen unterschiedlich:Wie wird man den individuellen Bedürfnissen gerecht?
Viele beteiligte Akteure und Institutionen – daraus resultierend: Abstimmungs- und Schnittstellenprobleme
Erzieher bzw. Lehrer sind Helfer und Betroffene zugleich!
Voraussetzungen für effektives Notfallmanagement
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� Einigung im Kollegenkreis: Wie wollen wir mit Notfällen umgehen?
� Notfall- und Krisenmanagement ist immer eine Teamaufgabe!
� Keine Scheu, externe Fachkräfte einzubeziehen
� Fachkräfte im Vorfeld kennenlernen und die Zusammenarbeit thematisieren
� Gemeinsam konkrete Notfallpläne erarbeiten, verbindlichfestlegen und „leben“!
Einen Notfallplan nur „in der Schublade liegen“ zu h aben, vermittelt allenfalls Scheinsicherheit ! (Stum 2014)
Planung von Nachsorgemaßnahmen
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Jan
Lisa
YannisMäusegruppe
Hr. Meyer Eltern
„Kreise der Betroffenheit“
� Persönliche Nähe
� Räumliche Nähe
� Moderatorvariablen
Für wen? Was? Durch wen?
Jan
Lisa usw.
……
usw.
Nachsorgeangebote / Nachsorge- „Themen “
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Grundsätzlich: Immer mehrere Angebote machen!
� Bewältigungshandeln initiieren („Was können wir tun?“)
� Einzel- und Gruppengespräche
� Planung von Gedenkveranstaltungen
� (Vorübergehendes!) Einrichten einer Gedenkstätte
� Passende Rituale überlegen
� Offene und transparente Elterninformation, ggf. auch an Medien!
Nachsorge muss immer gemeinsam mit den Kindernund v. a. auch den Eltern geplant und umgesetzt wer den
Wie geht es mittel- und langfristig weiter?
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� Vermittlung an weitere Hilfe (Beratungsstelle, Psychotherapie)
� Beständiges „Post-traumatisches Spiel“� Dissoziative Symptome� Insgesamt starke Reaktionen (Angst, Erregung, Vermeidung etc.)� Lang anhaltende Reaktionen
� Organisation des Alltags
� Reaktionen klingen ab� Nachsorgeangebote werden kaum noch in Anspruch genommen� Gedenkstätten werden nur noch selten aufgesucht� Kinder wünschen dies
� Aber:
� Reaktivierende Ereignisse beachten!
„Fehler“
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� Nichts tun! (Motto: „Keine schlafenden Hunde wecken!“)
� Psychische Notfallfolgen unterschätzen
� Bagatellisieren („Na, so schlimm war es auch wieder nicht!“)
� Dramatisieren
� In Kindergärten und Schulen: Gegeneinander arbeiten!
Weiterführende Literatur (1)
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www.skverlag.de
Weiterführende Literatur (2)
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Ardino V (2011) Post-Traumatic Syndromes in Childhood and Adolescence: A Handbook of Research and Practice. Oxford: Blackwell.
Blaumeiser G (2003) Unfallprävention und Erste Hilfe im Lebensraum Schule. Aachen: Shaker.
Drewes S, Seifried K (Hg.) Krisen im Schulalltag. Prävention, Management und Nachsorge. Stuttgart: Kohlhammer.
Eckardt J (2005) Kinder und Trauma. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Eikenbusch G (2005) Was passiert, wenn das Unvorstellbare passiert. Mit Katastrophen, existenziellen Krisen und Unglücken in Schulen umgehen. In: Pädagogik Heft 4, S. 6-10.
Englbrecht A, Storath R (2005) Erziehen: Handlungsrezepte für den Schulalltag in der Sekundarstufe. In Krisen Helfen. Berlin: Cornelsen Scriptor.
Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, katholisches Schulkommissariat in Bayern (Hg.) (2006) „Wenn der Notfall eintritt“. Handbuch für den Umgang mit Tod und anderen Krisen in der Schule. Fürth: Dialog.
Gugel G (2008) Handbuch Gewaltprävention. Für die Grundschule und die Arbeit mit Kindern. Grundlagen - Lernfelder - Handlungsmöglichkeiten. Tübingen: Institut für Friedenspädagogik.
Weiterführende Literatur (3)
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Gyger-Stauber K (2005) Rituale als Hilfe und Unterstützung in der Verarbeitung. In: Fässler-Weibel, P. (Hg.) Trauma und Tod in der Schule. Freiburg: Paulusverlag, S. 173-186.
Hessisches Kultusministerium, Hessisches Ministerium des Innern und Sport (Hg.) (2007) Handeln in Krisensituationen. Ein Leitfaden für Schulen. Wiesbaden: Druckkollektiv.
Hoffmann J, Wondrak I (Hg.) (2007) Amok und zielgerichtete Gewalt an Schulen. Früherkennung, Risikomanagement, Kriseneinsatz, Nachbetreuung. Frankfurt: Verlag für Polizeiwissenschaft, S. 35-56.
Kaiser A (2007) Menschenbildung in Katastrophenzeiten. Grundlagen der Schulpädagogik Band 58. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
Krüger A (2007) Erste Hilfe für traumatisierte Kinder. Düsseldorf: Patmos.
Lackner R (2004) Wie Pippa wieder lachen lernte. Fachliche Hilfen für traumatisierte Kinder. Wien: Springer.
Landolt M A (2012) Psychotraumatologie des Kindesalters. 2. Aufl. Göttingen: Hogrefe.
Landolt M A, Hensel T (2012) (Hg.) Traumatherapie bei Kindern und Jugendlichen. Göttingen: Hogrefe.
Lohaus A (2002) Gesundheit und Krankheit aus der Sicht von Kindern. Göttingen: Hogrefe.
Weiterführende Literatur (4)
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Müller-Lange J, Rieske U, Unruh J (Hg.) Handbuch Notfallseelsorge. 3., vollst. überarb. Aufl., Edewecht: Stumpf & Kossendey.
Robertz F J, Wickenhäuser R (2007) Der Riss in der Tafel. Amoklauf und schwere Gewalt in der Schule. Heidelberg: Springer Medizin.
Wolf V (2000) Die Bedeutung von Information als wichtiges Element des psychoeducativen Ansatzes in der notfallpsychologischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Psychologie in Österreich 20, S. 284-286.
Zehnder D, Hornung R, Landolt M (2006) Notfallpsychologische Interventionen im Kindesalter. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 55, S. 675-692.
Weitere Fachliteratur jederzeit auf Anfrage gern!
Danke für das Zuh ören!
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Notfallpädagogisches Institut Müller-Breslau-Str. 30a45130 Essen (Deutschland)Telefon 0201 – 439 38 83Telefax 0201 – 439 36 59