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Kernenergie in der Humanmedizin Kernenergie in der ... · gängen nicht unterscheiden kann und (2)...

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36 atw 57. Jg. (2012) Heft 1 | Januar Kernenergie in der Humanmedizin Kernenergie in der Humanmedizin Bernhard Kuczera, Karlsruhe In breiten Teilen der Öffentlichkeit wird Kernenergie assoziativ in der Megawatt(MW)- Dimension von Kernkraftwerken (KKW) wahrgenommen, in denen Kernenergie freige- setzt und zur Stromproduktion genutzt wird. Während die Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung von Teilen der Öffentlichkeit in polemischer Attitüde mit der Aufforderung zum „Ausstieg aus der Atomenergie!“ abge- lehnt wird, wird die Anwendung der Kern- energie im medizinischen Bereich allgemein akzeptiert. Hier spricht man anerkennend und zuversichtlich von der Nuklearmedizin. Dabei können sich beide Bereiche, die Nukle- armedizin und die umweltfreundliche nukle- are Stromerzeugung, auf einen gemeinsamen ursprünglichen Impetus berufen, auf die Rede „Atoms for Peace“, die der amerikanische Präsident Eisenhower am 8. Dezember 1953 vor der UN-Vollversammlung hielt. Aus dem Blickwinkel eines Kerntechnikers werden die Untersuchungs- und Behand- lungsverfahren der Nuklearmedizin anhand von einigen Beispielen illustriert. Nuklearmedizin ist ein medizinischer Fachbereich, der sich mit der Anwendung von Radionukliden zu medizinischen Zwecken am Menschen befasst. Die Basis dafür liefern zwei Grundprinzipien, dass der menschliche Orga- nismus verschiedene Isotope eines Elements bei Stoffwechselvorgängen nicht unterschei- den kann und die radioaktiven Substanzen in so geringer Menge angewendet werden, dass es dadurch zu keiner Beeinflussung der Stoff- wechselvorgänge kommt. Die Anwendung die- ser Prinzipien ist wie in der klassischen Medi- zin auf zwei komplementäre Ziele ausgerich- tet, auf die Diagnostik und die Therapie. Anschrift des Verfassers: Dr. Bernhard Kuczera Badenwerkstr. 7 76137 Karlsruhe Einleitende Bemerkungen In breiten Teilen der Öffentlichkeit wird Kernenergie assoziativ in der Mega- watt(MW)-Dimension von Kernkraftwer- ken (KKW) wahrgenommen, in denen Kern- energie freigesetzt und zur Stromprodukti- on genutzt wird. Kerntechniker verbinden die Kernenergie mit der von Neutronen ( 1 n) ausgelösten Spaltung eines Uran-235-Kerns ( 235 U), die mit der bekannten Reaktions- gleichung repräsentativ beschrieben wer- den kann [1]: 235 U + 1 n 236 U 89 Kr + 144 Ba + 3 · 1 n + 207 MeV 1 ) (1) Dabei entstehen 2 Spaltprodukte, hier Krypton-89 und Barium-144, und 3 weitere Neutronen. Damit verbunden ist die direkt nutzbare Freisetzung von 207 MeV Kern- energie, wovon der thermisch verwertbare Anteil von etwa 195 MeV zur Stromerzeu- gung genutzt werden kann. Und Kerntech- niker erläutern gern, dass bei der Spal- tung von 1 Gramm 235 U (= 2,56∙10 21 Ato- me) in einem Reaktor eine Wärmemenge von 22.000 kWh th freigesetzt wird, die bei einem Anlagenwirkungsgrad von 36 % in eine elektrische Energie von rund 8.000 kWh el umgewandelt wird. Die gleiche Strommenge verbraucht ein durchschnittli- cher deutscher 3-Personen-Haushalt in et- wa 2 Jahren. Physiker betrachten die Kernenergie in einem größeren Zusammenhang. Sie ver- stehen unter Kernenergie ein Energiespek- trum, das in der Aufbauphase der Materie in den Atomkernen (Nukliden) gespeichert worden ist. Diese Aufbauprozesse, Fach- kreise sprechen von der primordialen und der stellaren Nukleosynthese, liefen im Frühstadium unseres Universums unter ho- hem gravitativem Druck und bei sehr ho- hen Temperaturen (> 10 7 K) ab. Teile die- ser gespeicherten Energie werden bei der Umwandlung eines Nuklids wieder freige- setzt. Neben der neutroneninduzierten Kernspaltung gibt es spontane Kernum- wandlungen von instabilen Nukliden durch den radioaktiven Zerfall. Bei diesen soge- nannten Radionukliden oder Radioisoto- pen unterscheidet man zwischen natürli- chen und künstlichen Radionukliden. Na- türliche Radionuklide kommen in der Erde oder der Biosphäre vor, künstliche Radio- nuklide entstehen beispielsweise durch Neutronenbestrahlung in einem Reaktor. Der radioaktive Zerfall ist verbunden mit der Emission von Alpha(α)-, Beta(β - )- und/oder Gamma( γ )-Strahlung. Die α-Strahlung repräsentiert einen Teilchen- strom von Heliumkernen ( 4 He = α-Teil- chen), beim β - -Zerfall wandelt sich ein Neutron des Nuklids unter Abgabe eines Elektrons (e - ) in ein Proton (p + ) um, und bei der γ-Strahlung handelt es sich um elektromagnetische Wellen (Photonen), die ausgesendet werden, um angeregte oder metastabile ( m ) Energiezustände im Kernverbund abzubauen. Abbildung 1 ver- anschaulicht jeweils ein Beispiel zur α-Strahlung: (Radium) 226 Ra (Radon) 222 Rn + 4He (1) β-Strahlung: (Cäsium) 137 Cs (Barium) 137 Ba + e - (2) γ-Strahlung: (Barium) 137m Ba 137 Ba + γ (3) Die verschiedenen Strahlungsarten ha- ben eine gemeinsame Eigenschaft. Durch ihre mitgeführten Energien sind sie in der Lage, beim Durchgang durch die Materie ___________ 1 ) MeV = 1 Megaelektronenvolt (= 10 6 eV) entspricht einer thermischen Energie von 4,45∙10 -20 kWh oder 1,602∙10 -13 Joule (J).
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36 atw 57. Jg. (2012) Heft 1 | Januar

Kernenergie in der Humanmedizin

Kernenergie in der HumanmedizinBernhard Kuczera, Karlsruhe

In breiten Teilen der Öffentlichkeit wird Kernenergie assoziativ in der Megawatt(MW)-Dimension von Kernkraftwerken (KKW) wahrgenommen, in denen Kernenergie freige-setzt und zur Stromproduktion genutzt wird.

Während die Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung von Teilen der Öffentlichkeit in polemischer Attitüde mit der Aufforderung zum „Ausstieg aus der Atomenergie!“ abge-lehnt wird, wird die Anwendung der Kern-energie im medizinischen Bereich allgemein akzeptiert. Hier spricht man anerkennend und zuversichtlich von der Nuklearmedizin. Dabei können sich beide Bereiche, die Nukle-armedizin und die umweltfreundliche nukle-are Stromerzeugung, auf einen gemeinsamen ursprünglichen Impetus berufen, auf die Rede „Atoms for Peace“, die der amerikanische Präsident Eisenhower am 8. Dezember 1953 vor der UN-Vollversammlung hielt.

Aus dem Blickwinkel eines Kerntechnikers werden die Untersuchungs- und Behand-lungsverfahren der Nuklearmedizin anhand von einigen Beispielen illustriert.

Nuklearmedizin ist ein medizinischer Fachbereich, der sich mit der Anwendung von Radionukliden zu medizinischen Zwecken am Menschen befasst. Die Basis dafür liefern zwei Grundprinzipien, dass der menschliche Orga-nismus verschiedene Isotope eines Elements bei Stoffwechselvorgängen nicht unterschei-den kann und die radioaktiven Substanzen in so geringer Menge angewendet werden, dass es dadurch zu keiner Beeinflussung der Stoff-wechselvorgänge kommt. Die Anwendung die-ser Prinzipien ist wie in der klassischen Medi-zin auf zwei komplementäre Ziele ausgerich-tet, auf die Diagnostik und die Therapie.

Anschrift des Verfassers: Dr. Bernhard Kuczera

Badenwerkstr. 776137 Karlsruhe

Einleitende Bemerkungen

In breiten Teilen der Öffentlichkeit wird Kernenergie assoziativ in der Mega-watt(MW)-Dimension von Kernkraftwer-ken (KKW) wahrgenommen, in denen Kern-energie freigesetzt und zur Stromprodukti-on genutzt wird. Kerntechniker verbinden die Kernenergie mit der von Neutronen (1n) ausgelösten Spaltung eines Uran-235-Kerns (235U), die mit der bekannten Reaktions-gleichung repräsentativ beschrieben wer-den kann [1]:

235U + 1n → 236U → 89Kr + 144Ba + 3 · 1n + 207 MeV1) (1)

Dabei entstehen 2 Spaltprodukte, hier Krypton-89 und Barium-144, und 3 weitere Neutronen. Damit verbunden ist die direkt nutzbare Freisetzung von 207 MeV Kern-energie, wovon der thermisch verwertbare Anteil von etwa 195 MeV zur Stromerzeu-gung genutzt werden kann. Und Kerntech-niker erläutern gern, dass bei der Spal-tung von 1 Gramm 235U (= 2,56∙1021 Ato-me) in einem Reaktor eine Wärmemenge von 22.000 kWhth freigesetzt wird, die bei einem Anlagenwirkungsgrad von 36 % in eine elektrische Energie von rund 8.000 kWhel umgewandelt wird. Die gleiche Strommenge verbraucht ein durchschnittli-cher deutscher 3-Personen-Haushalt in et-wa 2 Jahren.

Physiker betrachten die Kernenergie in einem größeren Zusammenhang. Sie ver-stehen unter Kernenergie ein Energiespek-trum, das in der Aufbauphase der Materie in den Atomkernen (Nukliden) gespeichert

worden ist. Diese Aufbauprozesse, Fach-kreise sprechen von der primordialen und der stellaren Nukleosynthese, liefen im Frühstadium unseres Universums unter ho-hem gravitativem Druck und bei sehr ho-hen Temperaturen (> 107 K) ab. Teile die-ser gespeicherten Energie werden bei der Umwandlung eines Nuklids wieder freige-setzt. Neben der neutroneninduzierten Kernspaltung gibt es spontane Kernum-wandlungen von instabilen Nukliden durch den radioaktiven Zerfall. Bei diesen soge-nannten Radionukliden oder Radioisoto-pen unterscheidet man zwischen natürli-chen und künstlichen Radionukliden. Na-türliche Radionuklide kommen in der Erde oder der Biosphäre vor, künstliche Radio-nuklide entstehen beispielsweise durch Neutronenbestrahlung in einem Reaktor.

Der radioaktive Zerfall ist verbunden mit der Emission von Alpha(α)-, Beta(β-)- und/oder Gamma(γ)-Strahlung. Die α-Strahlung repräsentiert einen Teilchen-strom von Heliumkernen (4He = α-Teil-chen), beim β--Zerfall wandelt sich ein Neutron des Nuklids unter Abgabe eines Elektrons (e-) in ein Proton (p+) um, und bei der γ-Strahlung handelt es sich um elektromagnetische Wellen (Photonen), die ausgesendet werden, um angeregte oder metastabile (m) Energiezustände im Kernverbund abzubauen. Abbildung 1 ver-anschaulicht jeweils ein Beispiel zur

α-Strahlung: (Radium) 226Ra → (Radon) 222Rn + 4He (1)

β-Strahlung: (Cäsium) 137Cs → (Barium) 137Ba + e- (2)

γ-Strahlung: (Barium) 137mBa → 137Ba + γ (3)

Die verschiedenen Strahlungsarten ha-ben eine gemeinsame Eigenschaft. Durch ihre mitgeführten Energien sind sie in der Lage, beim Durchgang durch die Materie

___________1) MeV = 1 Megaelektronenvolt (= 106 eV)

entspricht einer thermischen Energie von 4,45∙10-20 kWh oder 1,602∙10-13 Joule (J).

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Kernenergie in der Humanmedizin

neutrale Atome zu ionisieren2). Daher wer-den sie auch als ionisierende Strahlung charakterisiert.

Die Zahl der pro Sekunde (s) spontan zerfallenden Atomkerne eines Radioiso-tops ist ein Maß für dessen Aktivität, die in Becquerel (Bq) angegeben wird (1 Bq = 1/s). Diese Aktivität ist stark von der Zeit (t) abhängig. Bezeichnet man die Zahl der Atome eines Radioisotops zur Zeit t = 0 mit N0, dann verringert sich N(t) nach dem bekannten Zerfallsgesetz:

N(t) = N0 ∙ e-λ∙t (4)

mit der Zerfallskonstanten λ = (ln 2)/T½Dabei ist die Halbwertszeit T½ eine cha-

rakteristische Größe der Radionuklide. T½ gibt die Zeitspanne an, in der die Hälfte ei-ner bestimmten Anzahl von Radionukliden zerfällt. Die Halbwertszeiten der Radionu-klide sind sehr unterschiedlich. Bei dem oben zitierten 226Ra beträgt T½ = 1.600 Jahre, während das metastabile 137mBa mit T½ = 2,55 min zerfällt. Für das Abklingen der Aktivität gilt folgende „Faustformel“: Nach 10 Halbwertszeiten ist das Radionuk-lid zu 99,9 % zerfallen.

Die mit dem radioaktiven Zerfall ver-bundenen Freisetzungen von Kernenergie liegen im Bereich von 0,1 bis 5 MeV. Aus der Sicht von Nuklearingenieuren sind das geringe Beträge, sie sind etwa 20 Größen-ordnungen kleiner als geläufige Angaben in kWhth. Die zerfallsbegleitende Emission von ionisierender Strahlung überträgt die Kernenergie in einem Maßstab, der ihre Anwendung in der Humanmedizin ermög-licht. Ihr Nutzungspotenzial ist ausgerich-tet auf die Heilung von Patienten im Sinne der Ethik des Hippokrates und der Er-kenntnis von Paracelsus (→ „Die Dosis macht das Gift.“)

Während die Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung von Teilen der Öffent-lichkeit in polemischer Attitüde mit der Aufforderung zum „Ausstieg aus der Atom-

energie!“ abgelehnt wird, wird die Anwen-dung der Kernenergie im medizinischen Be-reich allgemein akzeptiert. Hier spricht man anerkennend und zuversichtlich von der Nuklearmedizin. Im Folgenden wird versucht, aus dem Blickwinkel eines Kern-technikers die Untersuchungs- und Behand-lungsverfahren der Nuklearmedizin anhand von einigen Beispielen zu illustrieren.

Einblicke in die Nuklearmedizin

Die Nuklearmedizin ist ein medizinischer Fachbereich, der sich mit der Anwendung von Radionukliden zu medizinischen Zwe-cken am Menschen befasst. Die Basis dafür liefern 2 Grundprinzipien, dass (1) der menschliche Organismus verschiedene Iso-tope eines Elements bei Stoffwechselvor-gängen nicht unterscheiden kann und (2) die radioaktiven Substanzen in so geringer Menge angewendet werden, dass es da-durch zu keiner Beeinflussung der Stoff-wechselvorgänge kommt [4, 5]. Die An-wendung dieser Prinzipien ist wie in der klassischen Medizin auf 2 komplementäre Ziele ausgerichtet, auf die Diagnostik und die Therapie.

Nuklearmedizinische Diagnostik

Zunächst eine allgemeine Bemerkung: In der medizinischen Diagnostik werden zur Erkennung einer Krankheit unterschiedli-che Methoden angewandt. Bei den bildge-benden Verfahren ist die konventionelle Röntgendiagnostik ein Standardverfahren. Dabei wird der Körper oder ein Körperteil zur Durchleuchtung zwischen der Strah-lenquelle und dem Bildschirm (Fotoplatte) positioniert. Als Strahlenquelle dient eine Röntgenröhre, in der Elektronen von einer Glühkathode emittiert und dann mit hoher elektrischen Spannung stark beschleunigt werden. Beim Auftreffen auf die Anode werden die Elektronen abgebremst und er-zeugen dabei elektromagnetische Strah-len, die Röntgenstrahlen (s. Abbildung 2 links). Diese werden beim Durchgang durch den Körper unterschiedlich absor-biert, von dichterem Gewebe (Knochen) stärker als von den umgebenden Weich-strukturen. Dementsprechend erscheinen Knochen auf dem Röntgenbild als relativ helle Regionen (s. Abbildung 2 rechts) bzw. können kleine lokale Helligkeitsunter-schiede auf krankhafte Gewebeänderun-gen hinweisen. Röntgenstrahlen entstehen also nicht bei der Umwandlung von Radio-nukliden, daher wird die Röntgendiagnos-tik nicht als Teilbereich der Nuklearmedi-zin betrachtet.

Das „Röntgenbild der nuklearmedizini-schen Diagnostik“ ist das Szintigramm. Zu seiner Erstellung wird der Körper eines Pa-tienten nicht mit elektromagnetischen Strahlen durchleuchtet, sondern dem Pati-enten werden kurzlebige Radionuklide (z.B. γ-Strahler) in geeigneter pharmazeu-tischer Form verabreicht, und anschlie-ßend wird mit einer Gammakamera von

Abb. 1: Bei der spontanen Umwandlung von Radionukliden treten unterschiedliche Strahlungsarten auf. (Quelle: [2])

___________2) In Fachkreisen versteht man unter Ionisation

die Aufnahme oder Abgabe von Elektronen durch Atome oder Moleküle, die dadurch in (elektrisch geladene) Ionen umgewandelt werden [3]. Abb. 2: Schematischer Aufbau einer Röntgenröhre und ein Röntgenbild

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Kernenergie in der Humanmedizin

außen die räumliche Verteilung der Radio-isotope im Körper im zeitlichen Verlauf er-mittelt und mithilfe eines Computerpro-gramms bildlich dargestellt.

Ein in dieser Hinsicht häufig angewand-tes Radionuklid ist der γ-Strahler Techneti-um-99 in seinem metastabilen Zustand (99mTc). Dazu ein paar kernphysikalische Anmerkungen. 99mTc entsteht aus dem Mut-ter-Nuklid Molybdän (99Mo), das in größe-rem Umfang in Forschungsreaktoren durch neutroneninduzierte Kernspaltung von 235U erzeugt wird. In Europa werden wesentli-che Anteile der Radioisotope für die Medi-zin in dem Hochflussreaktor (HFR) in Pet-ten (Niederlande) produziert. Abbildung 3 zeigt eine Außenansicht der Anlage.

Die 99mTc-Produktion verläuft über mehrere Stationen, z.B. über Zirkon (Zr) und Niob (Nb) nach den Reaktionsglei-chungen [6]:

235U + 1n → 236U → 99Zr + 134Te +3 · 1n (4a)99Zr → T½ = 2,2 s → 99Nb + e- → T½ = 15 s → 99Mo + e- (4b)

Nach der Abtrennung aus den Uran-Stä-ben wird das Mutternuklid als 99Mo-Oxid in einem 99Mo/99mTc-Nuklidgenerator zu-geführt, der in den meisten nuklearmedizi-nischen Zentren betrieben wird. In diesem Generator reichert sich über den β--Zerfall das Tochter-Nuklid 99mTc an, wo es dann im Tagesrhythmus als Eluat vor Ort verfüg-bar ist.

99Mo → 99mTc + e- T½ = 66 h (4c)

Anschließend geht das angeregte Ra-dionuklid mit einer Halbwertszeit von 6 Stunden durch Emission einer weichen γ-Strahlung (Eγ = 141 keV) in den Grund-zustand 99Tc über. 99Tc wandelt sich dann mit einer langen Halbwertszeit über einen β--Zerfall in das stabile Nuklid Ruthenium (99Ru) um:

99mTc → 99Tc + γ T½ = 6 h (4d)

99Tc → 99Ru + e- T½ = 2∙105 a (4e)

Vor der Verabreichung an den Patien-ten, der „In-vivo“-Applikation, wird das Radioisotop 99mTc als Tracer an eine geeig-nete Pharmakon-Trägersubstanz, die ent-sprechend der medizinischen Indikation ausgewählt wird, gebunden und so zu ei-nem Radiopharmakon aufbereitet. Ist die Diagnose beispielsweise auf Metastasen ei-nes Karzinoms im Skelettbereich ausge-richtet, wählt man eine Trägersubstanz, die am Knochenstoffwechsel beteiligt ist. Nach intravenöser Injektion verteilt sich das Radiopharmakon im Körper und wird an den Knochenoberflächen in unter-schiedlichem Ausmaß adsorbiert. Größere lokale Anreicherungsunterschiede können den Fachärzten Hinweise liefern auf Stoff-wechselveränderungen, die z.B. durch Ske-lettmetastasen eines Karzinoms verursacht werden. Diese Veränderungen kann man heute von außen erkennen. Eine geeignete Diagnostik dazu basiert auf folgender Über-legung: Lokale Anreicherungsunterschiede des Radiopharmakons bewirken zugleich lokale Unterschiede in der γ-Aktivität. Die γ-Strahlen des Tracers haben eine hinrei-chende Energie um das Körpergewebe zu durchdringen, sodass sie außerhalb des

Körpers mithilfe einer Gammakamera identifiziert werden können. Das darauf aufbauende bildgebende Verfahren wird Szintigrafie genannt.

Eine Gammakamera nutzt den Szintil-lationseffekt, um eine Verteilung der γ-Strahlenquellen im Körper sichtbar zu machen. Kerntechniker kennen das Phäno-men der Szintillation (lat. scintillare = funkeln) aus dem Praktikum, wenn ein Material, der Szintillator, bei der Wechsel-wirkung mit ionisierender Strahlung Licht-blitze aussendet. Der Szintillator einer Gammakamera ist ein mit Thallium (Tl) dotierter Natriumiodid(NaI)-Kristall. Der Aufbau eines Messkopfes einer Gammaka-mera ist in Abbildung 4 skizziert.

Der Kollimator im Eingangsbereich be-steht aus einem Bleiblock, der mit vielen dünnen, parallelen Bohrungen perforiert ist. Das Verteilungsmuster der Bohrungen folgt einem engen geometrischen Gitter-netz. Den Kollimator passieren vorwiegend γ-Strahlen, die parallel zu den Bohrungs-achsen einfallen. Diese γ-Quanten erzeu-gen anschließend in dem NaI(Tl)-Kristall Lichtblitze, die in dem nachgeschalteten Fotomultiplier so verstärkt werden, dass die konsekutiv angeschlossene Elektronik den Ausgangspunkt der Strahlen ermitteln und in einem planaren Szintigramm für das menschliche Auge sichtbar machen kann.

In dem o.a. Beispiel zur Metastasen-Di-agnostik wird häufig die Skelettszintigrafie angewendet. Eine moderne Diagnosestati-on mit der Liege für den Patienten und ei-ner Doppelkopf-Gammakamera, mit der gleichzeitig eine Ganzkörperansicht von vorn und von hinten aufgenommen wird, zeigt Abbildung 5.

Zur Skelettszintigrafie wird dem Pati-enten ambulant das Radiopharmakon int-ravenös injiziert. Die damit applizierte

Abb. 3: Der Hochflussreaktor (HFR) der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU (Joint Research Center (JRC) of the EU) in Petten/Niederlande

Abb. 4: Schematischer Aufbau eines Gammakamera-Messkopfes

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Kernenergie in der Humanmedizin

99mTc-Aktivität beträgt bei Erwachsenen je nach Erkrankungsgrad zwischen 500 und 700 MBq [5]. Dem folgt eine Wartezeit, in der etwa die Hälfte des verabreichten Ra-diopharmakons an den Knochen adsor-biert und die andere Hälfte über die Nie-ren ausgeschieden wird. Nach etwa 2 bis 3 Stunden beginnt die Szintigrafie am lie-genden Patienten. Die Aufnahme dauert etwa 30 Minuten. In dieser Zeit fährt die Kamera den Patienten langsam vom Kopf bis zu den Füßen ab. In den daraus resul-tierenden Skelettszintigrammen weisen die dunklen Regionen, in denen sich die Tracermoleküle verstärkt angelagert ha-ben, auf krankhafte Stoffwechselverände-

rungen hin. Abbildung 6 illustriert das Er-gebnis einer solchen nuklearen Diagnostik [7]. Die beiden Szinti-gramme auf der linken Seite der Abbildung wur-den von der oben plat-zierten Gammakamera aufgenommen und zei-gen die Vorderansicht des Patienten, die bei-den rechten zeigen die Ansicht von hinten. Die jeweils gleichen Ansich-ten unterscheiden sich im Schwärzegrad, den der Facharzt dem Com-

puter vorgibt. Das erleichtert ihm anschlie-ßend die Diagnose zu Knochenmetastasen eines Prostata-Karzinoms, auf der er dann eine adäquate Therapie aufbauen kann.

Eine Weiterentwicklung dieses 2-dimen-sionalen Bildgebungsverfahrens stellt SPECT (Single Photon Emission Computed Tomography) dar, bei dem die Gammaka-meras zusätzlich um den Patienten rotie-ren. Hier ermittelt der Computer die räum-liche Aktivitätsverteilung im Körper des Patienten, die anschließend in 3 Schnitt-ebenen betrachtet werden kann.

Ein weiteres modernes Bildgebungsver-fahren in der nuklearen Diagnostik ist die Positron-Emissions-Tomografie (PET). PET baut auf einem Phänomen der Elementar-teilchen-Physik auf. Wenn ein Elektron (e-) und sein Antiteilchen, das Positron (e+) zu-sammenstoßen, vernichten (annihilieren) sie ihre Ladung, und ihre Massen lösen sich nach Einstein (E = m ∙ c2) in 2 γ-Quanten auf mit einer Energie von jeweils 0,51 MeV, wobei der Winkel zwischen beiden Strah-len 180º beträgt.

e- + e+ → 2 γ + 1,02 MeV (5a)

Abbildung 7 veranschaulicht diesen Prozess und zeigt, dass die entgegengesetzten Rich-tungspfeile auf einer geraden Linie liegen.

Dieser Effekt wird in der nuklearen Dia-gnostik genutzt. Ein dafür geeigneter Posi-tronstrahler ist z.B. das Fluorisotop 18F mit einer Halbwertszeit von T½ = 110 min. 18F wird mithilfe eines Zyklotrons erzeugt. In dem Zyklotron werden Protonen in ei-ner spiralförmigen Bahn auf hohe Energi-en (ca. 20 MeV) beschleunigt. Der Proto-nenstrahl wird anschließend auf ein Target mit hoher Anreicherung des Sauerstoffiso-tops 18O 3) gelenkt. Abbildung 8 zeigt ein modernes Kompakt-Zyklotron mit dem an-geschlossenen Strahlführungsrohr, das den Protonenstrahl auf das Target lenkt. Dort erfolgt die 18F-Produktion nach der Reaktionsgleichung:

Abb. 5: Eine Doppelkopf-Gammakamera mit Patientenliege und dem MTA-Arbeitsplatz für eine Ganzkörperszintigrafie (mit freundlicher Genehmigung der St. Vincentius-Kliniken Karlsruhe)

Abb. 6: Ein Skelettszintigramm zur Diagnose von Knochenmetastasen eines Prostata-Karzinoms (mit freundlicher Genehmigung der St. Vincentius-Kliniken Karlsruhe)

Abb. 7: Entstehung der γ-Vernichtungsstrahlung (Annihilationsstrahlung) (Quelle: W. Koelzer)

___________3) 18O ist in der Form H2

18O in normalem Was-ser (H2

16O) mit 2 % vorhanden. Zur p+-Be-strahlung in dem Zyklotron wird das Wasser auf über 95 % mit H2

18O angereichert.

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p+ + 18O → 18F + 1n (5b)

Anschließend wandelt sich das [18F]Fluo-rid unter Emission eines Positrons zurück in 18O:

18F → T½ = 110 min → 18O + e+ (5c)

Zur medizinischen Anwendung wird 18F mit einem Pharmakonmolekül verbunden. Im Fall einer Frühdiagnose von malignen (bösartigen) Tumoren wählen die Medizi-ner ein geeignetes Glucosemolekül [5]. Das Radiopharmakon [18F]FDG wird an-schließend mit einer Aktivität von etwa 370 MBq dem Patienten intravenös inji-ziert. In der anschließenden Ruhephase

(ca. 1h) auf einer beweglichen Liege lagert sich der Tumormarker gezielt an lokalen Gewebeveränderungen des Körpers an. Da-mit verbunden ist eine lokalisierbare Posit-ronemission. Ein freigesetztes Positron ver-liert auf einer kurzen Wegstrecke (ca. 1 bis 2 mm) seine ursprüngliche kinetische Ener-gie und erzeugt mit einem Elektron die oben beschriebene Annihilationsstrahlung. Zur diagnostischen Auswertung der γ-Strahlung wird der liegende Patient so po-sitioniert, dass der Körperteil mit den ver-muteten Quellen der Annihilationsstrah-lung in den Sichtbereich der γ-Detektoren des PET-Geräts kommt (s.a. Abbildung 9).

In diesem Gerät sind die γ-Detektoren ringförmig um den Patienten angeordnet.

Die Quelle der Zerstrahlung im Körper wird mit einer Koinzidenzdetektion der beiden γ-Quanten lokalisiert, die in Abbil-dung 10 schematisch dargestellt ist [8]. Haben 2 Detektorelemente eines Detektor-ringes 2 0,51 MeV Photonen zeitgleich de-tektiert, dann ist die Zerstrahlung auf der Verbindungsgeraden zwischen den beiden Detektoren erfolgt. Eine Verbindungslinie einer weiteren Zerstrahlung in diesem Ringabschnitt, die von 2 anderen Detekto-ren angezeigt wird, kreuzt die erste Linie und markiert damit den Bereich krankhaft erhöhter 18F-Anreicherung im Körper.

Abb. 8: Ein modernes Kompakt-Zyklotron mit dem Strahlführungsrohr zur Herstellung von 18F (mit freundlicher Genehmigung der ZAG Zyklotron AG)

Abb. 9: Das moderne PET-CT-Gerät Siemens Biograph Molecular CT (mCT) (mit freundlicher Genehmigung der Siemens AG)

Abb. 10: Schematische Darstellung eines PET- Detektorringes zur Koinzidenzdetektion eines Annihilationsvorganges (Quelle: [8])

In einem modernen PET-System haben die γ-Detektorringe jeweils 384 Detektorele-mente gleichmäßig auf ihrem Umfang ver-teilt. Um 3-dimensionale Erkenntnisse über die Aktivitätsverteilung im Körper und da-mit über den Erkrankungsgrad des Patienten zu erhalten, sind in einem entsprechenden PET-Scanner 24 solcher Ringe axial aneinan-der gereiht, die ihre Koinzidenzergebnisse in digitaler Form an die angeschlossene CT-Technik zur visuellen Aufbereitung weiter-leiten [5]. Die daraus resultierende massive Ringzylinderkonfiguration des PET-Geräts ist in Abbildung 9 deutlich zu erkennen.

Nuklearmedizinische TherapieWährend die bildgebenden Verfahren der nuklearen Diagnostik sich stark auf die elek-tromagnetische γ-Strahlung abstützen, wer-den in der nuklearen Therapie vor allem β- –Strahler, also Teilchenstrahler eingesetzt. Dabei haben die emittierten Elektronen im menschlichen Gewebe eine geringe Reich-weite von 0,5 bis 2 mm. Am richtigen Ort platziert, zerstören sie die krankhaften Kör-perzellen ohne die Umgebung in größere Mitleidenschaft zu ziehen. Dies lässt sich am Beispiel der Therapie eines Schilddrü-senkarzinoms mit dem Radioiod 131I plau-sibel erläutern.

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Kernenergie in der Humanmedizin

Kerntechniker kennen das Radioisotop 131I als ein Spaltprodukt, das bei der Kern-spaltung in großen Leistungsreaktoren entsteht. Das für therapeutische Zwecke eingesetzte 131I wird durch Neutronenbe-strahlung von natürlichem Tellur (130Te) in dafür geeigneten Forschungsreaktoren ge-zielt produziert:

130Te + 1n → 131Te + γ → (T½ = 25 min) → 131I + e- (6a)

Das Radioiod zerfällt dann mit T½ = 8 d in das stabile Gas Xenon (131Xe):

131I → 131Xe + e- + γ (6b)

Der therapeutische Effekt von 131I beruht zu etwa 95 % auf der Emission der Beta-strahlung mit einer mittleren Energie von 0,2 MeV. Die Gammastrahlung kann zu be-gleitenden diagnostischen Zwecken ge-nutzt werden. Für die therapeutische Ap-plikation wird 131I üblicherweise als Natri-umiodid in eine medikamentöse Kapsel-form gebracht.

Einige Erinnerungen zur Schilddrüse: Die Schilddrüse produziert wichtige Hor-mone für den menschlichen Stoffwechsel. Ein wesentlicher Baustein bei der Hormon-bildung ist das natürliche Iod 127I, das der Mensch in Spuren mit der täglichen Nah-rung aufnimmt. Das Iod wird im Magen-Darm-Trakt der Nahrung entzogen und ge-langt über den Blutkreislauf zur Schilddrü-se, wo es aufgenommen und gespeichert wird. Da die Schilddrüse nicht die Isotope eines Elements unterscheiden kann, nimmt sie alle angebotenen Iodisotope auf.

Dazu ein Beispiel in stark vereinfachter Wiedergabe. Zur Beseitigung von Schild-drüsenkarzinomgeweben schlägt der Fach-arzt eine stationäre4) Radioiodtherapie vor, bei der dem Patienten eine 131I-Aktivi-tät von 10 MBq in Kapselform oral verab-reicht werden soll. Diesen Vorschlag ver-binden Arzt und Patient mit folgendem Er-wartungshorizont: Über die Blutbahn ge-langt das Radiotherapeutikum zu den überaktiven Schilddrüsenzellen, wo es be-vorzugt eingelagert wird. Hier bewirkt die Betastrahlung eine Dämpfung des krank-haft erhöhten Stoffwechsels, die bis zu ei-ner dauerhaften Ausschaltung des Tumors führen kann [7]. Fortschritte beim Hei-lungsprozess können nach einigen Wochen

stationär mit einer 131I-Ganzkörperszinti-graphie überprüft werden.

Strahlenexposition der Patienten

Im Hinblick auf die belastende Wirkung der ionisierenden Strahlung auf den menschlichen Körper, also auf die Strah-lenexposition des Patienten, spielt die Ener-giedosis der Strahlen eine entscheidende Rolle. Die Energiedosis ist definiert als die pro Masseneinheit eines bestrahlten Stoffes absorbierte Energie, ihre Maßeinheit ist 1 Gray (Gy) = 1 J/kg. Da die verschiede-nen Strahlenarten biologisch unterschied-lich wirken, wird zur Ermittlung der Strah-lenexposition die Energiedosis mit einem Strahlungswichtungsfaktor multipliziert, der für β-- und γ-Strahlen = 1 ist und für α-Strahlen 20 beträgt. Das Produkt wird als Äquivalentdosis bezeichnet, ihre Maß-einheit ist 1 Sievert (Sv) = 1 J/kg. Zur Be-rücksichtigung der unterschiedlichen Strahlenempfindlichkeiten der verschiede-nen Organe und Gewebe werden die Äqui-valentdosen mit individuellen Gewebe-wichtungsfaktoren multipliziert, die z.B. für die Schilddrüse 0,05 und die Kno-chenoberfläche 0,01 betragen. Die Summe aus den so ermittelten Teildosen ergibt die effektive Äquivalenzdosis, die üblicherwei-se in Millisievert (mSv) angegeben wird.

Bevor einige Einzelaspekte zur Strah-lenexposition eines Patienten in der Nukle-armedizin angesprochen werden, sei eine allgemeine Bemerkung zur durchschnittli-chen Strahlenbelastung der Bevölkerung erlaubt. Radioaktive Strahlung ist für den

Menschen eine permanente Begleiterschei-nung. Bei den Strahlenquellen unterschei-den Fachleute zwischen natürlichen und zivilisatorischen Quellen. Zu den natürli-chen Quellen zählen u.a. die kosmische Strahlung aus dem Weltraum, das radioak-tive Edelgas Radon (222Rn) in der Umge-bungsatmosphäre und das Radioisotop Ka-lium-40 (40K), das in Spuren über die Nah-rung in den Körper gelangt. Abbildung 11 zeigt, dass die daraus resultierende, mitt-lere natürliche Strahlenexposition der Be-völkerung in Deutschland etwa 2,1 mSv/a beträgt [9]. Etwa gleich groß ist die Expo-sition aus zivilisatorischen Strahlenquel-len, nämlich 1,9 mSv/a, die im Zusammen-hang mit der medizinischen Versorgung der Bevölkerung zu sehen ist. Das ergibt insgesamt eine durchschnittliche Strahlen-belastung der Bevölkerung in Deutschland von 4 mSv pro Jahr. Soweit der allgemeine Einschub.

Die individuell ermittelte, effektive Äquivalentdosis dient dazu, nach Strahlen-expositionen ein nominelles stochastisches Strahlenrisiko im menschlichen Organis-mus abzuschätzen. Nach Angaben der ICRP5) beträgt das Risiko für einen Patien-ten, an einer strahleninduzierten Erkran-kung zu sterben, ca. 5 % bei einer effekti-ven Dosis von 1 Sv [5]. Vor diesem Hinter-grund sind in Tabelle 1 beispielsweise für einen Standardpatienten (70 kg) einige Dosiswerte zu den o.a. nuklearmedizini-schen Untersuchungen zusammengestellt.

___________4) Aus Strahlenschutzgründen wird die Be-

handlung mit Radioiod (T½ = 8 d) nur auf speziellen Therapiestationen mit entspre-chenden Abklingeinrichtungen durchge-führt. Diese Anlagen dienen dazu, die radio-aktiven Ausscheidungen des Patienten auf-zufangen und vor der Abgabe in die allge-meine Kanalisation so lange zu speichern, bis die Aktivität einen bestimmten Grenz-wert unterschritten hat. Abb. 11: Mittlere Strahlenexposition der Bevölkerung in Deutschland (Quelle: [9])

___________5) International Commission on Radiological

Protection

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42 atw 57. Jg. (2012) Heft 1 | Januar

Kernenergie in der Humanmedizin

Ein Beispiel zur ICRP-Risikoabschät-zung: Wie in Tabelle 1 wiedergegeben, sei die effektive Äquivalentdosis eines Patien-ten nach Erstellung eines SPECT-Ganzkör-per-Skelettszintigramms 4,0 mSv. Das da-mit verbundene Risiko, an einer strahlen-induzierte Erkrankung zu sterben, ergibt nach ICRP 0,02 % oder 2∙10-4, d.h. letale Konsequenzen sind mit einer Wahrschein-lichkeit von 2 in 10.000 Fällen möglich.

Anschaulicher als das Mortalitätsrisiko ist eine Angabe zum durchschnittlichen Lebenszeitverlust. Eine Abschätzung nach [5] ergibt für einen 50-jährigen Patienten (mit einer normalen Lebenserwartung von 75 Jahren) nach einer Strahlenexposition mit einer Dosis von 4 mSv eine Lebenszeit-verkürzung von etwa 2 Tagen. Dem gegen-über steht ein Lebenszeitgewinn für den Patienten, der durch die innovativen Me-thoden der Nuklearmedizin erzielt werden kann. Dieser Zeitgewinn liegt oft 3 Grö-ßenordnungen (Faktor 1.000) über der ab-geschätzten Lebenszeitverkürzung.

Schlussbemerkungen

Mit diesem Beitrag ist versucht worden, die weniger bekannte Nutzung der Kern-energie in dem Bereich der Nuklearmedi-zin stärker in das Blickfeld der Leserge-meinschaft zu rücken. Beide Bereiche, die Nuklearmedizin und die umweltfreundli-che nukleare Stromerzeugung, können sich auf einen gemeinsamen ursprüngli-chen Impetus berufen, auf die Rede „Atoms for Peace“, die der amerikanische Präsi-dent Eisenhower am 8. Dezember 1953 vor der UN-Vollversammlung hielt.

In einer ideologiefreien Diskussion lie-ßen sich die für Mensch und Umwelt kom-plementären Vorteile beider friedlicher Nut-zungspotenziale aufzeigen, die der MeV-An-wendung zur Erhaltung / Verbesserung des persönlichen Wohlbefindens von Einzelper-sonen und die der MW-Anwendung zu einer Stabilisierung des allgemeinen Wohlbefin-dens großer Bevölkerungsteile hinsichtlich einer nachhaltigen, klimafreundlichen und bezahlbaren Energieversorgung.

Der zeitliche Horizont der zweiten Nut-zungsperspektive im Sinn einer epochal eingesetzten, effizienten Brückentechnolo-gie ist in Deutschland allerdings eng be-grenzt worden. Unter dem Eindruck des schweren Seebebens im März 2011 in Japan und den damit verbundenen katastropha-len Tsunami-Auswirkungen auf das Kern-kraftwerk Fukushima-Daiichi [10, 11] hat die Bundesregierung unter der Kanzlerin Angela Merkel überstürzt den voreiligen „Atomausstieg“ beschlossen. Das zur Um-setzung notwendige Gesetzespaket, das die forcierte Energiewende ermöglichen soll, ist am 6. August 2011 in Kraft getreten [12]. Dementsprechend sind inzwischen die 8 äl-teren KKW-Blöcke vorzeitig abgeschaltet worden, der letzte der weiter betriebenen 9 nuklearen Blöcke soll seine zuverlässige,

Tab. 1: Strahlenexposition eines Standardpatienten (70 kg) bei Röntgen- und unterschiedlichen nuklearmedizinischen Untersuchungen (Quelle: [5])

kostengünstige und umweltfreundliche Stromproduktion in 2022 einstellen.

Referenzen

[1] J. Magill et al., Karlsruher Nuklidkarte, 7. Auflage 2006, Report EUR 22276 EN

[2] M. Volkmer, „Kernenergie Basiswissen“, In-formationskreis Kernenergie, Berlin, 2007

[3] W. Koelzer, „Lexikon zur Kernenergie“, For-schungszentrum Karlsruhe, 1997

[4] www.nuklearmedizin.org/Nuklearmedizin[5] H. Schicha, O. Schober, „Nuklearmedizin“,

6. Auflage, Verlag Schattauer, Stuttgart, 2007

[6] J. Magill (EC/ITU), Private Mitteilung vom 09.09.2010

[7] J. Rendl, „ St. Vincentius-Kliniken Karlsruhe, Klinik für Nuklearmedizin“, Vincenz Aktu-ell 50/07, S. 25-32, auch unter: www.vin-centius-ka.de

[8] J. Braun, Vorlesung „Bildgebende Verfahren in der Medizin – (PET)“ www.charite.de/medinfo/studium

[9] W. Koelzer, „Die Strahlenexposition des Menschen“, Herausgeber: Informationskreis Kernenergie, Berlin, Jan. 2008

[10] B. Kuczera, „Das schwere Tohoku-Seebeben in Japan und die Auswirkungen auf das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi“, atw 56. Jg., Heft 4/5 2011, S. 234-241

[11] L. Mohrbach, „Unterschiede im gestaffelten Sicherheitskonzept: Vergleich Fukushima-Daiichi mit deutschen Anlagen“, atw 56. Jg., Heft 4/5 2011, S. 242-249

[12] Bundesregierung, „Gesetze zur Energiewen-de treten in Kraft“, 05.08.2011, www.bun-desregierung.de/Content/DE/Artikel/2011/ 08/2011-08-05-gesetze

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