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Ken Wilbers integrale Theorie und Praxis - michaelhabecker.de · 20 Januar-Februar 1-2/2013 · KEN...

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20 Januar-Februar 1-2/2013 · www.connection.de KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG V or etwa 40 Jahren begann ein jun- ger Amerikaner die Arbeit an einem Buch, welches das erste Buch in ei- ner Reihe erfolgreicher Veröffentlichungen werden sollte. Der Name des Buches, das sich immer neuer Auflagen erfreut, lautet Das Spektrum des Bewusstseins, und sein Autor ist Ken Wilber. Inzwischen gibt es circa 20 Bücher dieses Au- tors und viele Online-Veröffentlichungen, zudem ist mittlerweile eine internationale integrale Szene und Bewegung entstanden, deren Zusammensetzung, Vielschichtigkeit und Aktivitäten längst nicht mehr über- schaubar sind. Ein Herzstück der Arbeit Wilbers ist die Erstellung einer »integralen Theorie« und Praxis, der wir uns in diesem Beitrag widmen möchten. MICHAEL HABECKER UND KATHARINA CEMING Im Jahr 2013 wird sich Connection Spirit verstärkt mit der Integralen Bewegung befassen, die auf den Forschungen von Ken Wilber basiert. In dieser Ausgabe machen Katharina Ceming und Michael Habecker den Anfang mit einer Einführung in Wilbers Theorie und Praxis. Ein passendes Schaubild zu Wilbers Grundmodell der vier Quadranten findet ihr auf den Seiten 32/33 in diesem Heft Ken Wilbers integrale Theorie und Praxis Eine Einführung
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Page 1: Ken Wilbers integrale Theorie und Praxis - michaelhabecker.de · 20 Januar-Februar 1-2/2013 · KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG V or etwa 40 Jahren begann ein jun-ger Amerikaner

20 Januar-Februar 1-2/2013 · www.connection.de

KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG

Vor etwa 40 Jahren begann ein jun-ger Amerikaner die Arbeit an einemBuch, welches das erste Buch in ei-

ner Reihe erfolgreicher Veröffentlichungenwerden sollte. Der Name des Buches, das sichimmer neuer Auflagen erfreut, lautet DasSpektrum des Bewusstseins, und sein Autorist Ken Wilber. Inzwischen gibt es circa 20 Bücher dieses Au-tors und viele Online-Veröffentlichungen,zudem ist mittlerweile eine internationaleintegrale Szene und Bewegung entstanden,deren Zusammensetzung, Vielschichtigkeitund Aktivitäten längst nicht mehr über-schaubar sind. Ein Herzstück der Arbeit Wilbers ist dieErstellung einer »integralen Theorie« undPraxis, der wir uns in diesem Beitrag widmenmöchten.

MICHAEL HABECKER UNDKATHARINA CEMING

Im Jahr 2013 wird sich Connection Spirit verstärkt mit der IntegralenBewegung befassen, die auf den Forschungen von Ken Wilber basiert.In dieser Ausgabe machen Katharina Ceming und Michael Habeckerden Anfang mit einer Einführung in Wilbers Theorie und Praxis. Einpassendes Schaubild zu Wilbers Grundmodell der vier Quadranten

findet ihr auf den Seiten 32/33 in diesem Heft

Ken Wilbersintegrale Theorie

und PraxisEine Einführung

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www.connection.de · Januar-Februar 1-2/2013 21

KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG

AQAL

Ken Wilber unterscheidet in seiner integra-len Theorie und Praxis fünf Elemente, die ermit AQAL (all quadrants, all levels) abkürzt:»alle Quadranten, alle Entwicklungsebe-nen, alle Entwicklungslinien, alle Zustände,alle Typen«. Dies sind fünf Wirklichkeitska-tegorien des Wissens und Seins, die nach Wil-ber das Mindeste sind, was benötigt wird,um Wirklichkeit verstehen zu können. Stel-len wir sie nacheinander vor, ohne dabei zuvergessen, dass diese fünf Hintergrund-strukturen in jedem Augenblick unseres Le-bens miteinander zusammenwirken. Beginnen wir mit den Quadranten (Abb. 1). Aus der einfachen Unterscheidung von in-nerlich/äußerlich und individuell/kollektivergeben sich vier »Quadranten«, die laut Wil-ber von Anfang an eine Grundstruktur vonManifestation darstellen: Wo ein Innen ist,da ist auch ein Außen (und umgekehrt), undwo etwas Individuelles ist, da gibt es auchetwas Kollektiv-Gemeinschaftliches (undumgekehrt). Diese Quadranten sind sowohldie Grundperspektiven, mit denen Menschenund alle Lebewesen Welt wahrnehmen, undsie sind gleichzeitig vier Grundperspektiven,mit denen auf »alles« geschaut wird. Auf einen Menschen angewendet, ergebensich daraus vier Menschenbilder (Abb. 2).Welches ist richtig? Im Kontext der Inte-gralen Theorie sind alle richtig, wenn auchnur teilweise, und es geht darum, sie mitein-ander zu verbinden. Folgerichtig lassen sich danach auch – nachWilber – alle Erkenntnisweisen der Mensch-heit zuordnen und als gleichberechtigt be-trachten, als unterschiedliche Erkenntnis-wege zu einer Wirklichkeit. Damit werdenAbsolutismen wie Subjektivismus (»meinBewusstsein bestimmt die Welt«), Objekti-vismus und Atomismus (»nur Materie istwirklich real«), extremer Konstruktivismus(»alles Wissen ist relativ, weil kulturell kon-struiert«) und Systemismus (»alles ist Sy-stem«) vermieden (Abb. 3).

Integraler Philosoph

Von vielen Zuschreibungen ist das Etikettdes Philosophen für Wilber sicher das häu-figste. Als solcher macht er das, was alle Phi-losophen und Philosophinnen zu allen Zei-ten getan haben: Sie sind bemüht, sich selbstund ihren Mitmenschen die Welt, in der sieleben, zu erklären. Wilber ist da keine Aus-nahme, und seine integrale Theorie ist dasModell seiner Weltbeschreibung. Was heu-tigen und zukünftigen Philosophen dabei zu-gute kommt, ist eine Verfügbarkeit von Wis-sen per Mausklick, das zu früheren Zeitenundenkbar war. Jetzt geht es, so könnte mansalopp formulieren, nur noch darum, diesesWissen zu ordnen und Muster, Strukturenund Zusammenhänge darin zu erkennen.Und darin hat es Wilber zur Meisterschaftgebracht. Stellen wir uns ein Spiel vor, des-sen Regeln wir nicht kennen, wie z.B. dasSpiel des american football.Wir schauen zu,sehen, wie sich die Spieler bewegen, undden noch sehen wir nur einen bunten Ab-lauf von Ereignissen. Wir bemerken Tau-sende von Einzelheiten, verstehen das Spieljedoch nicht und kommen vielleicht auch garnicht auf die Idee, dass darin ein tieferer Sinn(oder eine Ordnung) verborgen liegt. Viel-leicht wundern wir uns über bestimmte wie-derkehrende Ereignisse, Regelmäßigkeitenund eine Art geheimnisvoller Regie undfragen uns, ob nicht doch mehr dahintersteckt als nur ein bunter Reigen von Ereig-nissen. Dieses Wundern und die Suche nachden verborgenen Regeln und Mustern nichtnur eines Spiels, sondern der Manifestationinsgesamt mit all ihren Aspekten, ist das, wasWilbers Arbeit ausmacht.

Differenzierung, Integrationund das Spiel des Lebens

Dabei hat er nicht bei Null angefangen, son-dern in einer jahrzehntelangen Fleißarbeitdas zusammengetragen, was andere aus den

unterschiedlichsten Erkenntnisdisziplinendazu bereits geleistet haben, um dann zuschauen, wie alle diese Welt- oder Seinser-klärungsmodelle, derer Wilber habhaft wer-den konnte, zusammenhängen (falls sie esüberhaupt tun). In einer enormen Differen-zierungsleistung hat er in einer »integralen«Synthese Zusammenhänge entdeckt, die sound in dieser Zusammenschau bisher nochvon niemandem beschrieben wurden. Wozusoll das gut sein, könnte man fragen? »Esmacht einfach mehr Spaß, an einem Spiel teil-zunehmen, dessen Regeln man kennt«, könn-te die Antwort lauten. Und das gilt für alleSpiele, unabhängig davon, ob das Spiel nun»american football«, »zwischen mensch licheBe ziehung«, »Spiritualität«, »Weltwirtschafts-system«, »Politik«, »Konflikt«, »Sinn des Le-bens«, »Ökologie« oder anders heißt. So ge-sehen ist Wilbers Arbeit ein Projekt der Freu-de, der Freude am Dasein und an der be-

wussten Beteiligung am »Spiel des Lebens«. Dabei geht es, um ein verbreitetes Missver-ständnis im Zusammenhang mit der ArbeitWilbers anzusprechen, nicht darum, »alles«zu wissen. Wie sollte das gehen? Ich weiß janoch nicht einmal genau, was hinter meinemRücken oder in meinem Bewusstsein vor sichgeht, geschweige denn, was überall in derWelt oder sogar im Universum geschieht. Er-kenne ich jedoch mehr und mehr die Grund-strukturen, Muster und »Spiel«regeln, nachdenen die Phänomene (und Ereignisse) mei-nes (und des) Lebens ablaufen, dann vertieftsich mein Verständnis darüber, und es er-weitern sich meine gestalterischen Freihei-ten und, damit verbunden, auch meine Be-wusstheit und Verantwortung. Dies ist dasZiel aller Wissenschaft und Erkenntnis. Esnimmt dem Leben nichts von seiner Viel-falt, Buntheit, Freiheit und seinem Myste -rium, doch es erhellt den Bereich, den wirverstehen können, und verhilft uns dazu, un-ser Leben und unsere Welt schöner, verant-wortlicher, solidarischer und auch nachhal-tiger zu gestalten.

Unendlich viel Wissen ist

heute per Mausklick

verfügbar. Jetzt geht

es darum, dieses Wissen

zu ordnen

ARTW

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Individuell

Kollektiv

subjektiv objektiv

inter-objektiv

inter-subjektiv

Individuell

Kollektiv

Der Mensch istein bewusstesund empfinden-

des Wesen

Der Mensch istein biologischesVerhaltens objekt

Der Mensch istTeil von Systemen(Umwelt, Ökologie,Wirtschaft, Politik

Der Mensch istein soziales

Beziehungswesen

Inne

rlich

Inne

rlich

Äußerlich

Äußerlich

Abb. 1: Die vier Quadranten als Perspektiven von und auf Wirklichkeit

Abb. 2: Vier Menschenbilder

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22 Januar-Februar 1-2/2013 · www.connection.de

KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG

Die »vier Quadranten« sind sehr verbreitet.Gibt man »quadrants« in Google ein, er-scheint dort unter »Bilder« eine Vielzahl vonQuadrantendarstellungen. Menschen be-trachten ihr Leben und ihre Arbeit durchdiese Perspektiven und erleben dadurchviel fältige Bereicherungen. Ein sehr direkter Zugang ist das Hinein -spüren in Fragestellungen wie: • Wie geht es mir mit mir selbst? (Wie gehtes mir damit, ein empfindendes Wesen zusein?)

• Wie geht es mir mit anderen? (Wie gehtes mir damit, ein Mensch-in-Beziehungenzu sein?)

• Wie geht es mir mit meinem Körper undmeinem Verhalten?

• Wie geht es mir damit, Teil von Systemenzu sein (Lebens- und Arbeitssituation,Wirtschaft, Politik usw.)?

Entwicklung

Die Bedeutung des Themas Entwicklung,vor allem der Bewusstseinsentwicklung,wurde durch Wilbers Arbeit einer breite-ren Öffent lichkeit zugänglich. Viele Men-schen kennen mittlerweile die »Farben« vonEntwicklungsmodellen wie Spiral Dyna-mics, was zum Teil zu sehr oberflächlichenund auch unverantwortlichen Zuordnungenführt. So werden z.B. Menschen, die die Be-deutung von Familie betonen, schnell als»blau« charakterisiert, da blau im Modellvon Spiral Dynamics die Farbe ist, die fürtraditionelle Werte steht.Bei aller Kritik eines allzu leichtfertigenUmgangs mit dem Thema bleibt doch dieBedeutung festzuhalten, welche die Einbe-ziehung des Entwicklungsaspektes für alleThemen des Wissens und Seins hat. Wir sindsich entwickelnde Wesen in einem sich ent-wickelnden Universum, und das gilt es(auch) zu verstehen und zu berücksichtigen. Die Verbindung von Quadranten/Perspek-tiven und Entwicklung führt zu Darstellun-gen wie Abb. 4, aus der ersichtlich ist, dasses

a. nicht nur eine Entwicklung gibt, sondernwir uns

b. in unterschiedlichen Kompetenzen (undIntelligenzen) entwickeln (wie Identität,Kognition, Verhalten, Ethik usw.), und dassauch das Phänomen Entwicklung indivi-duell/kollektiv und innerlich/äußerlich zuunterscheiden ist. Alle vier Aspekte, alseine

c. weitere Erkenntnis, beeinflussen sichwechselseitig und entwickeln sich mitein-ander in einer »Tetra-Evolution«.

Neben den unterschiedlichen »Linien« vonEntwicklung spricht Wilber auch noch von»Ebenen« als dem gemeinsamen Nenner derunterschiedlichen Linien. Man hat bei-spielsweise herausgefunden, dass sich beialler Unterschiedlichkeit die meisten Kom-petenzen der Menschen in einer Ebenen-Fol-ge präkonventionell – konventionell – trans-konventionell entfalten. Zuerst machen wiretwas irgendwie (z. B. Sprechen als Brab-beln), dann lernen wir das Sprechen so, wiewir es gesagt bekommen, und dann könnenwireine weitergehende und über das Ge-lernte hinausgehende eigene Sprachkom-petenz entwickeln.

Typen

Typen werden nicht annähernd so oft er-wähnt wie Quadranten und Entwicklung,doch sie sind als Basiskategorie gleicher-maßen wichtig, weil Typen (oder Typolo gien)uns daran erinnern, dass Wirklichkeit nichtnur hierarchisch (oder besser holarchisch),sondern auch heterarchisch aufgebaut ist.Während wir bei echten Entwicklungsab-folgen von »mehr oder weniger komplex«oder »mehr oder weniger bewusst« sprechenkönnen, sind Typen gleichberechtigt, gleich-wertig und anders, aber nicht besser oderschlechter. Typen werden in Merkmalsaus -prägungen unterschieden, z. B: 2er Typologien wie Yin/Yang, maskulin/femi-nin, introvertiert/extrovertiert

3er Typologien wie Das Wahre/Schöne/Gute,die Dreifaltigkeit Gottes, die ayurvedi-schen Ernährungstypen vatta, pitta undkapha

4er Typologien wie die Elemente, die Him-melsrichtungen

5er Typologien wie die fünf chinesischen Ele-mente

7er Typologien wie Wochentage8er Typologie wie Myers Briggs9er Typologien wie das Enneagramm12er Typologien wie Astrologie38er Typologie wie Bachblüten

Es gibt nicht die integrale Typologie, sonderndie integrale Theorie und Praxis macht sichden teilweise schon sehr alten Erfahrungs-schatz von Typisierungen der Menschheit zu-nutze und setzt Typen je nach Aufgabenstel-lung ein. Auch Typen lassen sich durch dieQuadranten betrachten, und es gibt Typen inallen Quadraten. Die Unterscheidung vonVertikale (Entwicklung) und Horizontale(Typen) ist wesentlich für ein Weltverständ-nis und bestimmt (meist unreflektiert) wei-te Teile gesellschaftlicher Kontroversen. Wasist besser/schlechter, und was ist lediglich an-ders und alternativ? Wenn aus echten Ty-pen (wie Hautfarben) Hierarchien gemachtwerden, entstehen Rassismen und Totalita-rismen jeglicher Art, und wenn aus echtenHierar chien Typen gemacht werden, ist dasErgebnis Egalitarismus (Mitgefühl ist dannnicht besser als Mord, sondern lediglich an-ders und alternativ). Die integrale Theoriestrebt die Vermeidung von beidem an.

Zustände

Während Quadranten, Entwicklung und Ty-pen für allgemeine Kategorien stehen, erin-nert uns das fünfte AQAL-Element »Zu-stände« (engl. states) daran, dass sich in alldiesen Kategorien Inhalte befinden, die wirauch schon angesprochen haben. Zuständestehen für die Veränderlichkeit und das »al-les fließt« eines sich entwickelnden Univer-sums von Augenblick zu Augenblick, inner-lich und äußerlich, individuell und kollektiv,

Es geht bei Wilber nicht

darum, »alles« zu wissen.

Wie sollte das auch gehen?

Individuell

Kollektiv

PhänomenologiePsychologie

Strukturalismus

Physik, ChemieBiologie

NeurologieVerhaltens -forschung

System -wissenschaften

ÖkonomieÖkologie

HermeneutikKulturelle Soziologie

Inne

rlich

Äußerlich

Abb. 3: Quadranten als Erkenntnisperspektiven

Individuell

Kollektiv

Inne

rlich

Äußerlich

Abb. 4: Quadranten und Entwicklung

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KEN WILBER UND DIE INTEGRALE BEWEGUNG

in unterschiedlichen typologischen Ausprä-gungen. Wilber unterscheidet a. phänomenologische Zustände (wie Freu-de, Trauer, Langeweile usw.), physiologi-sche Zustände und systemische Zustände

b. außergewöhnliche Zustände (die als Er-gebnis bestimmter Methoden wie Medi -tation oder Extremsport eintreten und

c. die Hauptzustände des Seins mit Wachen,Träumen und traumlosen Tiefschlaf.

Diese in der Erläuterung etwas trockenenfünf AQAL-Kategorien werden in der An-wendung auf konkrete Themen, wie sie imRahmen dieser Veröffentlichungsreihe derConnection vorgesehen ist, sehr viel leben-diger werden.

Wie geht es weiter?

Die Publikationen Wilbers, insbesondere seinintegrales Modell, haben eine enorme Ver-breitung gefunden und zu einer Vielzahl vonanwendungsorientierten Veröffentlichungengeführt, auch im deutschsprachigen Raum. Ob»Integrale Beziehungen«, »Integrale Medi-zin«, »Integrales Tantra«, »Integrale Politik«oder »Integrales Business«, unzählige Men-schen sind durch Wilbers Arbeit inspiriert undnutzen die von ihm formulierten Modelle fürihr Leben. Parallel dazu wächst, wenn auchnoch im Verborgenen, ein akademisches In-teresse daran, und hin und wieder wird Wilberauch durch den Main stream wahrgenommen. Aufgrund einer Stoffwechselerkrankungwird Wilber selbst voraussichtlich keine neu-en Bücher mehr veröffentlichen können. Esliegt jetzt, nach seinen Worten, an uns, die in-tegrale Theorie und Praxis weiter voranzu-bringen. Die Veröffentlichungsreihe in derConnection ist ein weiterer Schritt dazu.

Ist das alles?

Nehmen wir an, die von Wilber entwickelteintegrale Landkarte, oder auch ein andererVersuch von Wirklichkeitsbeschreibung, wä-re in etwa ein zeitgemäßes Instrument, Wirk-lichkeit umfassend zu beschreiben, und neh-men wir weiterhin an, es gelingt durch einekritische Diskussion und Forschung, die Land -karte und die Praxis weiterzuentwickeln undmit dem Wissensfortschritt auf dem jeweilsaktuellen Stand einer Zeit zu halten – ist dasalles, was es zu erkennen gilt, oder ist da nochetwas anderes? Bereits in seinem ersten BuchSpektrum des Bewusst seins hat Wilber, der sel-ber seit Jahrzehnten ein spirituell Praktizie-render ist, darauf hingewiesen, dass die Weltder Formen und Manifestationen lediglich ei-ne Seite einer nicht-dualen Medaille ist, de-ren andere Seite die der Leerheit oder Ab-solutheit ist, welche sich jeder Kategorisie-rung, einschließlich dieser, entzieht. Mit einem Hinweis auf dieses Unnennbareim O-Ton von Ken Wilber möchten wir die-se Einführung beschließen:

»Göttlichkeit hat ein letztes Geheimnis, wel-ches sie jedem ins Ohr flüstert, wenn derGeist ruhiger wird als Nebel bei Sonnenun-tergang: Der Gott dieser Welt wird innengefunden, und du weißt, dass er innen ge-funden wird – in jenen lautlosen stillen Au-genblicken, wenn der Geist sich beruhigt, derKörper sich in der Unendlichkeit entspanntund die Sinne sich ausdehnen, um eins mitder Welt zu werden – in jenen schimmern-den Augenblicken treten ein subtiles Leuch-ten, ein heiterer Glanz, eine brillant trans-parente Klarheit hervor, als die wahre Na-tur aller Manifestation, immer und immerwieder herausbrechend, in einem mitfüh -lenden Glanz, vor dem sich alle Vorbilderzurückziehen, eine Liebe, die so unbändig ist,dass sie sowohl Licht als auch Dunkel, Gutals auch Böse, Vergnügen und Schmerz glei-chermaßen in Bewunderung umarmt.

Das bist du!

Die Hinweise, Gott zu finden, sind einfach:Entspanne Geist und Körper; schau mit Ver-ehrung und Hingabe in das Herz; fühle dieStrahlung von Licht und Liebe, die deinenganzen Körper und deinen gesamten Geistdurchdringt, und in aller Natur und jeder Na-tion überall ist. Ein Strom von leuchtendemMitgefühl erschafft und erhält den gesamtengrobstofflichen und manifesten Bereich, einStrom mit sehr vielen Namen – der HeiligeGeist, Sambhogakaya, Saguna Brahman, Ar-wah oder die göttliche Luminosität, Keter,der subtile Körper.Es ist ein Strom, der über -all einfach der Klang deines schlagendenHerzens ist, in Einklang mit dem Pulsierender Welt. Du kannst nicht nach diesem Geist (engl. spi-rit, im Gegensatz zu mind)Ausschau halten,denn er ist es, der schaut. Du kannst diesenGeist nicht sehen, denn er ist es, der sieht.Du kannst diesen Geist nicht finden, denn erist es, der findet. Wenn du das verstehst, dann

hat der Geist verstanden, wenn du das nichtverstehst, dann ist es der Geist, der nicht ver-steht. Verstehe es oder auch nicht, gerade dasist Geist.Die erstaunliche, geheime und letzte Wahr-heit beginnt heraufzudämmern: Der erleuch -tete Geist – der reine Geist selbst – ist nichtschwer zu erlangen, sondern unmöglich zuvermeiden. Wie kannst du jemals ohne die-sen Geist gewesen sein, der gerade jetzt die-sen Satz liest?Zeige mir das Selbst, das du vor dem Urknallhattest, und ich werde dir den Geist des ge-samten Kosmos zeigen. Und dieser reine,zeitlose, formlose Geist: Das bist du!«

Quellen und Hinweisedeutschsprachig:• Zu Ken Wilber: www.integralesleben.org/il-home/

il-integrales-leben/ken-wilber/• Zu Wilbers Gesundheit: www.integralesleben.org/

il-home/il-integrales-leben/ken-wilber/ken-wilber-ueber/seine-gesundheit/

• Glossar zum Integralen:www.integralesleben.org/fileadmin/user_upload/INTEGRALES_LEBEN/Grundlagen/IF-Was_ist_integral_Glossar.pdf

• Grundlagen des Integralen: www.integralesleben.org/il-home/il-integrales-leben/grundlagen-des-integralen/

• Pointing out Instruktion »Von dir zur Unendlichkeit...«: www.integralesleben.org/il-home/il-integrales-leben/meditation/meditation-interaktiv/

• englischsprachig:Ken Wilbers Homepage: www.kenwilber.com/IntegralLife: www.integrallife.com/

In unseren folgenden Ausgaben schreiben KatharinaCeming und Michael Habecker über die Themen:Spiritualität, Lehrer/innen, Psychologie, Wirtschaft undGeld und Sexualität, jeweils aus integraler Perspektive.Auch andere Beiträge von Connection werden sich,speziell im Jahr 2013, mit dem Integralen befassen –nicht durchgehend, aber immer wieder.

Wie kannst du jemals ohne

diesen Geist gewesen sein,

der gerade jetzt diesen

Satz liest?

MICHAEL HABECKER, Autor,Seminarleiter, Musiker undPädagoge. LangjährigeBeschäf tigung mit der inte-gralen Theorie und Praxis.Co-Autor des Buches Wissen,Weisheit, Wirklichkeit.

PROF. DR. DR. KATHARINACEMING, Jg. 70, promoviertein Philosophie zu MeisterEckhart und Johann GottliebFichte und in Theologie zumVerhältnis von Menschen -rechten und Religion. 2008erhielt sie den Mystikpreisder Theophrastus Stiftung.

Sie lebt als freie Seminarleiterin und Publizistinin Augsburg. www.quelle-des-guten-lebens.de

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