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Kein Tag ohne Schmerzen

Date post: 15-Mar-2016
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Bericht über Profis und deren körperliche Schmerzen
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KEIN TAG OH N E SCHMERZ Leistungssportler wie Fabian Hambüchen streben immer nur nach Höchstleistungen – dafür schinden sie sich. Schon als Kind. Und dann jahrze hntelang. Der eigene KÖRPER WIRD ZUM GEGNER, Schmerzen werden ignoriert oder mit Tabletten be täubt. Die Spätfolgen sind oft furchtbar Text ALEXANDRA KRAFT Fotos THORSTEN FUTH Schon als Junge gewöhnte sich Kunstturner Fabian Hambüchen an Schmerzen: „Ich wollte ja den Spagat können. Und Erfolg haben“ 2 Sport 136 stern 17/2011
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Kein Tag ohne SchmerzLeistungssportler wie Fabian hambüchen streben immer nur nach höchstleistungen – dafür schinden sie sich. Schon als Kind. Und dann jahrze hntelang. Der eigene KÖrPer WirD zUm gegner, Schmerzen werden ignoriert oder mit Tabletten be täubt. Die Spätfolgen sind oft furchtbarText aLexanDra KraFT Fotos ThorSTen FUTh

Schon als Junge gewöhnte sich Kunstturner Fabian hambüchen an Schmerzen: „ich wollte ja den Spagat können. Und erfolg haben“

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Sogar als seine Achillessehne mit einem Knall riss, spürte Fabian Hambüchen den Schmerz nicht. „Das zog nur ein

bisschen, wie beim Dehnen“, sagt der Turner. Dann grinst er breit und rührt lässig seinen Kaffee. Als der Eishockeyspieler Stefan

Ustorf mit mehr als 100 Stunden-kilometern von einem Puck im Gesicht getroffen wurde, brach sein Kiefer, und er verlor acht Zähne. Ustorf sagt: „Ich hätte ger-ne weitergespielt, aber leider wa-ren da keine Zähne mehr, die ich hätte zusammenbeißen können.“ Ob es wehtat? Ustorf lacht schep-pernd. Die Olympiasiegerin im Diskus-

werfen Ilke Wyludda wurde mehr als zehn Mal an der gerissenen Achillessehne operiert, saß vier Monate im Rollstuhl. Sie schaffte das Comeback. Als sie bei einer Dopingkontrolle alle Medikamen-te aufführte, die sie in letzter Zeit genommen hatte, gab Wyludda 63 an, viele davon Schmerzmittel. Heute sagt Ilke Wyludda: „Seit ich als Kind mit dem Leistungs-sport begann, hatte ich täglich Schmerzen.“No Pain. No gain. Ohne

Schmerz kein Sieg. Im Leistungs-sport ist das die Basis des Erfolgs. Nur wer sich quälen kann, wird siegen. Leistungssportler sollen Herausragendes vollbringen, im Alltag wird aus dem Kampf um die Höchstleistung schnell ein Kampf gegen andere Sportler. Profisportlern geht es nicht nur um den Platz in der ersten Mann-schaft oder die Gunst des Trai-ners, sondern um das finanzielle Überleben: Komme ich – und nicht der Sportskamerad – in die förderungswürdige Spitzengrup-pe und sichere so meinen Lebens-unterhalt? Bei professionellen Mannschaftssportlern wird oft ein Teil des Gehalts als „Auflauf-prämie“ bezahlt, Ersatzspieler verdienen weniger. Oft wird die-ser Verdrängungskampf abseits der sprichwörtlichen Fairness ge-führt. Und schnell wird dann der eigene Körper zum Gegner, den

immer weiter hinausgeschoben werden. Die Spätfolgen dieser Überbeanspruchung können dra-matisch sein, kurzfristig hilft das Verdrängen jedoch durchaus. Ull-mann ergänzt: „Durch diese Fä-higkeit stellt sich der Erfolg über-haupt erst ein.“ Aus der modernen Schmerzthe-

rapie ist bekannt, dass ignorierter Schmerz auch wirklich weniger wehtut. Experten nehmen inzwi-schen an, dass Leitungssportler Schmerzen sogar positiv bewer-ten, als fühlbare Bestätigung, et-was geleistet zu haben. Der Sport-psychologe Professor Hans-Dieter Hermann, er betreut auch die deutsche Fußballnationalmann-schaft, bestätigt das: „Ein Sportler erlebt von Beginn seiner Karriere an Schmerzen, aber weil sie ihm häufig in dem Moment nicht schaden, lernt er sie zu vernach-lässigen.“ Dabei sind Schmerzen Warnsignale und schützen vor schweren Verletzungen. Wie eine dänische Studie belegt, trainieren viele Sportler aber bei offensicht-lich drohenden Verletzungen mit-unter sogar noch härter. Im un-günstigsten Fall wird dann aus einer leichten Blessur ein schlim-mer Schaden.

Fabian Hambüchen sagt: „Vie-le Jungs aus meiner Turn-gruppe haben früh aufge-

hört, weil sie die Schmerzen nicht aushalten konnten. Mir machte das nichts aus.“ Er erzählt mit breiter Muskelbrust, wie sein Vater ihm als Knirps Arme und Beine dehnte. Bis an die Schmerz-grenze – und mitunter auch darü-ber hinaus. Oft nur mit Tränen in den Augen zu ertragen. „Das musste sein“, sagt der 23-Jährige. „Ich wollte schließlich den Spa- gat können und etwas im Turnen erreichen.“ Die jahrelange Tortur hatte Fol-

gen. „Heute spüre ich kaum noch was“, sagt Hambüchen. Er findet das normal: „Ich muss mich da-rauf verlassen, dass im Training mein Vater weiß, wann es schäd-lich wird. Er sagt mir, wann ich aufhören muss.“ Monatelang litt Fabian Hambü-

chen unter Schmerzen in der

es zu bezwingen gilt. Sportler müssen einfach mehr abkönnen – und das tun sie auch, seit die staatliche Förderung des Spitzen-sports zurückgeschraubt worden ist, mehr denn je. Eine bisher un-veröffentlichte umfassende Stu-die der Uni Heidelberg zeigt, dass die Toleranz für Schmerzen bei Spitzenathleten deutlich höher ist als bei Freizeitsportlern. Denn sie trainieren täglich in Bereichen, die wehtun. So trimmen sie sich auf Spitzenresultate. Wer zu früh auf die Signale des Körpers hört, verliert den Anschluss. Der Psychologe Utz Ullmann

von der Klinik Bergmannstrost in Halle an der Saale, ein Fachmann, der auch intensiv mit Leistungs-sportlern arbeitet, sagt: „Viele Topathleten sind in der Lage, jeg-lichen Schmerz auszublenden.“ Körperliche Grenzen könnten so

ich muss mein hand­gelenk ver­steifen lassen. Künstliche Knie benötige ich auch – und zwei neue Schultern

Stefan Ustorf

acht zähne verlor der eis­hockeyspieler Stefan Ustorf, als ihn ein Puck im gesicht traf. er wollte trotzdem weiterspielen. er ignoriert Ver­letzungen – oder bekämpft sie mit medikamenten

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linken Achillessehne. Turnte Deutsche Meisterschaften und die Weltmeisterschaft 2010. Pau-sierte nur kurz. Im Januar riss die geschundene Sehne dann endgül-tig. „Ich habe nicht gemerkt, dass da mehr im Gange war“, sagt Hambüchen. „Und ich wollte bei der WM dabei sein.“ Nun musste er zusehen, wie die deutschen Turner bei der Europameister-schaft 2011 in seiner Abwesenheit das beste Ergebnis seit Jahrzehn-ten erreichten. Hambüchens er-zwungene Pause könnte ein hal-bes Jahr dauern. Ob die geflickte Sehne den harten Landungen nach teils meterhohen Sprüngen standhalten wird, weiß derzeit niemand. Handball-Nationalspieler Pascal

Hens sitzt in der Geschäftsstelle des HSV, wuschelt seine Haare zurecht und sagt: „In meinem Sport lernt man mit Schmerzen zu leben.“ Handball zählt zu den härtesten Sportarten überhaupt. Die Hoden quetschen, Brustwar-zen verdrehen und Gegenspieler mit voller Wucht über den Haufen rennen, all das ist normal, Ver-letzungen sind an der Tagesord-nung. Hens erklärt: „Unser Trai-ner sagt immer: ‚Das ist nur ein blauer Fleck, den muss du raus-laufen.‘“

Bei seinen Würfen steigt der Zweimetermann Hens oft aus vollem Lauf vor der Ab-

wehr hoch. Wird er geschubst, verliert er schnell die Kontrolle über seinen Körper: „Dann weiß ich, gleich macht es heftig bumm.“ Seine Verletzungsliste: ausge-renkter Ellenbogen, gebrochener Schienbeinkopf, Bruch der Hand, Bandscheibenvorfall.Hens sagt: „Ich fing mit sechs

Jahren an und habe gelernt, jeden Tag ein bisschen mehr Schmerzen auszuhalten.“ 2009 spielte Hens ein halbes Jahr mit üblen Schmer-zen im Fuß, ein Überbein rieb an der Achillessehne. Er ließ sich erst nach dem Ende der Saison operie-ren. An die brutalste Pein, die er je gefühlt hat, erinnert sich Hens bestens: „Als wir bei der WM rausgeflogen sind, tat das bisher noch am schlimmsten weh.“

Kaum eine Schmerzgrenze scheint der Berliner Eishockey-spieler Stefan Ustorf zu kennen: „Ich kann mich in den letzten 20 Jahren nicht an einen Tag erin-nern, an dem mir nichts wehtat.“ Ustorfs Raubbau an seinem Kör-per ist gnadenlos. Als ihn ein Puck vor drei Jahren mit voller Wucht unterhalb des Schienbein-schützers traf, brach sein Fuß – während der Play-offs zur Deut-schen Meisterschaft. „So ein Tref-fer tut schon sehr, sehr weh“, sagt er. Aber Ustorf spielte bis ins Fi-nale weiter. Die Ärzte hatten ihm versichert, der Bruch sei stabil. „Unser Kapitän spielte mit kaput-ten Kreuzbändern“, so Ustorf, „da setze ich doch nicht mit einem ge-brochenen Fuß aus.“

Der heute 37-Jährige spielte einige Jahre in amerikani-schen Profiligen. Im Kampf

um die Plätze im Team störten Verletzungen nur. Heute sagt Us-torf: „Mal ging es um einen Stammplatz, mal um eine Meis-terschaft. Da musst du eine Ver-letzung ignorieren können.“ Der Preis, den Ustorf dafür zahlt, ist hoch. Er sagt: „Ich habe akzep-tiert, dass ich im Alter erheb- liche gesundheitliche Probleme haben werde.“ Dann plaudert er über die Operationen, die er nach Ende seiner aktiven Zeit plant. „Ich weiß schon jetzt, dass ich mir mein Handgelenk ver-steifen lassen muss, ich benötige künst liche Knie und – wenn es die bis dahin gibt – auch zwei neue Schultern.“ Denn seine Arme kann er nach Schulterbrü-chen schon längere Zeit nicht mehr richtig heben.Ob es Momente gab, in denen

selbst ihm die Schmerzen zu viel wurden? Ustorf: „Gab es. Dann nehme ich Schmerzmittel. Nur re-zeptfreie Sachen. Ibuprofen oder Diclofenac.“ Die beiden Medika-mente finden sich in vielen Haus-apotheken, sind allerdings für den kurzfristigen Einsatz gedacht – und nicht als tägliches Helfer-lein. Ustorf sagt, dass er die Pillen jahrelang täglich geschluckt habe. „Im Moment nehme ich nur vor Spielen etwas.“

Fabian hambü­chen schindet sich für sein comeback. Bis zum riss der achillessehne war er einer der besten Turner weltweit. heute weiß er nicht, ob die geflickte Sehne den Be­ lastungen seines Sports stand­ halten wird

Bei Sprungwür­fen knallt der handballer Pas­cal hens oft aus großer höhe auf den harten hallenboden. Schmerzen ge­hören für den nationalspieler zum Sport. Sogar bei der massage nach Training oder Spiel

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Das ist eine weitverbreitete Methode im harten Kampf um Stammplätze und Sponsorengel-der. Aus der Leichtathletik be-richten Ärzte von Sportlern, die ständig pro Tag acht bis neun Dic-lofenac-Tabletten schlucken, weit über der empfohlenen Dosis für Kurzzeitanwendung. Beim Bonn Marathon 2009 konsumierten mehr als 60 Prozent der Starter vor dem Rennen Schmerzmittel. Ein besonders extremer Fall ist Stephanie Ehret, eine der welt-besten Langstreckenläuferinnen: Sie nahm vor und während eines 24-Stunden-Rennens insgesamt zwölf Ibuprofen-Tabletten, doppelt so viel wie ärztlich empfohlen. Ehret gewann in Rekordzeit – und kollabierte im Ziel. Im Kranken-haus wurde drohendes Nierenver-sagen festgestellt.

Den schnellen Griff zur Ta- blette gibt es auch im Profi-fußball. In der italienischen

Liga zum Beispiel nahmen 2007, laut Turiner Staatsanwaltschaft, 80 Prozent der Spieler sehr oft Schmerzmittel. In der Deutschen Fußballliga sind die Medikamente ebenfalls beliebt. Legendär ist der Satz des ehemaligen Schalker Profis Jermaine Jones über das Schmerzmittel Diclofenac: „Vor jedem Training eine, an den Spiel-tagen zwei und manchmal auch mehr.“ Der Bremer Profi Ivan Klasnić verklagte die Werder-Ärz-te nach einer Nierentransplan-tation. Die Ärzte hätten ihn trotz Vorerkrankung der Nieren regel-mäßig mit hoch dosierten Schmerzmitteln behandelt, das könne letztendlich zur Schädi-gung des Organs geführt haben.Schmerzforscher Toni Graf-

Baumann sagt: „Fußballer schlu-cken Ibuprofen oder Diclofenac mit einer Selbstverständlichkeit, als würden sie Kaffee trinken.“ Solch eine unkontrollierte, oft-mals hoch dosierte Einnahme kann Leber, Nieren sowie den Ma-gen-Darm-Trakt irreversibel und schwer schädigen. Graf-Baumann saß bei der Fußball-WM in der medizinischen Kommission, für ihn ist der Schmerzmittel-Miss-brauch keine Überraschung.

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Besonders bei Fußballern bliebe zwischen Liga- sowie Pokal-Spie-len, Champions League und viel-leicht noch dem Nationalteam selten genug Regenerationszeit. Muskeln und Gelenke seien stän-dig überstrapaziert, statt Erholung gebe es dann eben Schmerzmittel. Graf-Baumann sagt: „Das kann zu der kuriosen Situation führen, dass Fußballer ein Turnier spielen können, obwohl sie eine Muskel-verletzung haben, die sich durch den Einsatz womöglich noch ver-stärkt.“

Paolo Guerrero, Stürmer beim HSV, ließ sich über Wochen trotz schmerzender Achilles-

sehne fit spritzen. Erst als seine Mutter Petronila ein Machtwort sprach, pausierte er. Mit Erfolg. Die Sehne erholte sich, Guerrero kehrte schmerzfrei ins Team zu-rück.Ilke Wyludda hingegen hatte

niemanden, der sie aufhielt. Die Diskuswerferin war Europameis-terin und holte 1996 Gold bei Olympia. Dafür richtete sie ihren Körper zugrunde: Patellasehnen-riss, Kreuzbandriss. Arthrose im Knie. Zweimal riss die Achilles-sehne. Wunden an den Füßen, die kaum verheilten. Haut musste transplantiert werden. 2003 riss sie sich bei einem

Sturz die Kreuzbänder. Nach der Operation schloss sich die Wunde am vom Sport vorgeschädigten Bein nicht. Eine Knochenin-fektion bildete sich. Wyludda, die inzwischen Ärztin ist und als Schmerztherapeutin arbeiten will, kämpfte fast acht Jahre dagegen an. Trotz unerträglicher Schmer-zen. Und trotz mehrerer Blutver-giftungen. Im Dezember 2010 soll-te die Wunde verschlossen wer-den. Aber nach der OP verbreitete sich die Infektion im gesamten Körper. Bald darauf wurde ihr das rechte Bein oberhalb des Knies amputiert.Wochen später sitzt Ilke Wylud-

da auf ihrem Bett und sagt: „Der Erfolg als Sportlerin war mir wich-tiger.“ Und wiederholt ihr Mantra: „Um an die Weltspitze zu kom-men, müssen Grenzen überwun-den werden.“ Müde lächelt sie.

Gerade hat sie sich aus dem Roll-stuhl hochgewuchtet. Zum Hals führt ein Schlauch. „Darüber be-komme ich Opiate“, sagt sie. Seit der Amputation leidet sie unter starken Phantomschmerzen. „Nach meiner aktiven Zeit woll-

te ich nicht mehr mit Schmerzen leben müssen“, sagt Ilke Wyludda. Deswegen habe sie sich im linken Knie ein künstliches Gelenk ein-setzen lassen. Sie zuckt mit den Schultern: „Ist wohl leider schief-gegangen, mein Plan.“

nach der aktiven zeit wollte ich ohne Schmerzen leben. ist wohl leider schief ­ ge gangen

ilke Wyludda

ilke Wyludda gewann 1996

olympiagold im Diskuswerfen.

Sie wurde mehr als zehn mal

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Sturz musste ihr ende 2010

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