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Keilschriftforschung

Date post: 27-Jan-2017
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Keilschriftforschung Prentice, Rosemary: The Exchange of Goods and Ser- vices in Pre-Sargonic Lagash. Münster: Ugarit-Verlag 2010. 238 S. 8° ¼ Alter Orient und Altes Testament 368. Lw. 78,00. ISBN 978-3-86835-033-3. Das hier zu besprechende Buch 1 von R. Prentice geht auf die von der Autorin 2002 an der University of Oxford vor- gelegte gleichnamige Dissertation zurück 2 und stellt eine detaillierte und umfassende Untersuchung zu den öko- nomischen Strukturen und Kreisläufen innerhalb des präsargonischen Wirtschaftsarchivs des é-munus(é-MÍ) 3 /é- d ba-Ú, wie sie sich anhand der ca. 1780 Verwaltungs- urkunden aus Lagas/Ĝirsu nachweisen lassen, dar. Der For- schungsansatz der Autorin orientiert sich dabei an dem auf den drei gesellschaftlichen Konzepten bzw. Verhaltensprin- zipien Reziprozität (reciprocity), Redistribution (redis- tribution) und Märkte (commercial exchange) basieren- den System des österreichischen Wirtschaftstheoretikers und Kulturanthropologen Karl Polanyi (18861964) zur grundlegenden Beschreibung kultureller Organisation. 4 Auf eine ausführliche Einleitung (S. 111) zur historischen und forschungsgeschichtlichen Einordnung des Wirt- schaftsarchivs folgt in dem Kapitel zur Redistribution(S. 1395) eine umfassende, nach Berufsgruppen der Empfän- ger und spezifischen Verwaltungstermini differenzierende Darstellung des Systems der Gerstezuteilungen (barley ra- tions), wobei zwischen Barley rations for the igi-nu-du 8 , il 2 , ša 3 -dub e 2 -gal, ša 3 -dub-didli (Type 2)(S. 2251), Barley rations for the geme 2 -dumu (Type 3)(S. 5363), Barley ra- tions for the lu 2 -šuku-dab 5 -ba (Type 1)(S. 6981) sowie Wool rations(S. 8289) unterschieden wird. Der Ab- schnitt zum Commercial exchange(S. 97152) widmet sich der Behandlung der importierten und exportierten Gü- ter (Products of exchange[S. 106113]), Fish and onions(S. 125128) sowie dem Internal exchangebeim Personen- und Hausverkauf (S. 129145) und dem ökonomischen Stel- lenwert von Silber (S. 150152). Daran schließt sich als Ab- schluss der ökonomischen Grundkonzepte das Kapitel zur Reciprocity(S. 153203) an, in dem u. a. auf die Recipro- city and the e 2 -MI 2 / d ba-U 2 (S. 159171) exemplarisch dar- gestellt an den Urkunden RTC 19, Nik. 282, VAT 4845 (= VS 27:98), Nik. 314, DP 511, Nik. 310, VAT 4469 (= VS 25:69), AO 4156, Fö 38 (= AWL 189) und AWAS 66 und auf das Prinzip der Internal reciprocity(S. 172197) im Rahmen von Schenkungen durch Angehörige des é-munus/é- d ba-Ú bzw. der m a š -da-ri-aAbgaben an Tempel oder Palast so- wie auf Reciprocity as a mode of exchange(S. 198204) eingegangen wird. Den Abschluss des vorliegenden Bu- ches bildet eine Zusammenfassung und Auswertung der Forschungsergebnisse (S. 205213), woran sich ein Abkür- zungsverzeichnis (S. 215217), eine ausführliche Bibliogra- fie (S. 219232) und ein Index der behandelten Verwal- tungsurkunden (S. 233238) anschließen. Hier wäre nach Ansicht des Rez. auch ein Verzeichnis der behandelten su- merischen Termini, speziell im Rahmen der Verwaltungs- klassifikation (z. B. g ú - b a, k i - g u, k i-s i k i, š à-dub é-gal/ didli etc.) durchaus angebracht gewesen, stellen diese doch für die (inhaltliche) Deutung zahlreicher Verwaltungs- urkunden ein maßgebliches Kriterium dar, während sie gleichermaßen in ihrer Morphologie und Konnotation noch nicht in jedem Fall eindeutig geklärt sind. Bei der Studie der Vf. handelt es sich seit den Pionierarbeiten A. Deimels in den 1920-er Jahren trotz der Arbeiten Y. Rosengartens, Le concept sumérien de consommation dans lavie économique et religieuse (Paris, 1960) bzw. id., Le régime des offrandes dans la sociéte sumérienne dapres les textes présargoniques de Lagaš (Paris, 1960) um die erste komplexe, auch neuere wirtschaftswissenschaftliche Thesen berücksichtigende Ar- beit zu dem von den jeweiligen Ehefrauen (Dimtur, Bara- namtara u. Sasag) der lagašitischen Herrscher Enentarzid, Lugalanda und IriKAgina geführten Wirtschaftskomplex. 5 Obwohl Probleme der sumerischen Grammatik und Lexiko- grafie weitgehend nicht im Fokus der Untersuchung stehen, wären entsprechend weiterführende Anmerkungen, abseits 1 Als gesonderte Abkürzungen verwende ich nachfolgend: Th. E. Balke, Kasus: Thomas E. Balke, Das sumerische Dimensionalkasus- system (= AOAT 331), Münster 2006; DGS: B. Jagersma, A Descriptive Grammar of Sumerian, Ph. D University of Leiden 2010 (http://hdl. handle.net/1887/16107) sowie TCVP: F. Pomponio et al. (Hgg.), Ta- volette Cuneiformi di Varia Provenienza delle collezioni della Banca dItalia, Vol. I, Roma 2006. Der Bedeutung von Personennamen an- gemessen, habe ich bei deren Wiedergabe im allgemeinen den Ver- such einer sinnvollen Deutung, sprich Übersetzung unternommen, obwohl diese angesichts der konnotativen Ambiguität einiger Per- sonennamen nur eine Annäherung an das zugrundeliegende Ver- ständnis darstellen kann. 2 Das hier gekürzte Kapitel über Zwiebeln (S. 127129) ist nun in erweiterter Form in H. D. Baker, et. al. (Hgg.), Your Praise is Sweet. A Memorial Volume for Jeremy Black from Students, Colleagues and Friends, London 2011, 255268 erschienen. 3 Zur Lesung é-munus statt üblichem é-mí/MÍ vgl. die Anmerkun- gen des Rez. in dem Beitrag Die religiösen TitelPa 4 -Pa 4 und NI-a-a im präsargonischen Onomastikonin KASKAL 8 (2011; i. Dr.). 4 Vgl. K. Polanyi, The Great Transformation. Politische und öko- nomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen (Übersetzung von H. Jelinek). Frankfurt/M. 1995 (Originalausgabe 1944). 5 Vgl. dazu auch die rezenten Arbeiten von W. Yuhong, Studies on Old Sumerian Archives from Girsu, I = JAC 16 (2001) 101128; II = JAC 19 (2004) 119; III = JAC 20 (2005) 129 und IV = JAC 21 (2006) 127. DOI 10.1515/olzg-2014-0065 Orientalistische Literaturzeitung 2014; 109(2): 107 121 Brought to you by | Bibliotheque de l'Universite Laval Authenticated | 132.203.227.62 Download Date | 7/6/14 1:03 PM
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Prentice, Rosemary: The Exchange of Goods and Ser-vices in Pre-Sargonic Lagash. Münster: Ugarit-Verlag2010. 238 S. 8° ¼ Alter Orient und Altes Testament 368.Lw. € 78,00. ISBN 978-3-86835-033-3.

Das hier zu besprechende Buch1 von R. Prentice geht aufdie von der Autorin 2002 an der University of Oxford vor-gelegte gleichnamige Dissertation zurück2 und stellt einedetaillierte und umfassende Untersuchung zu den öko-nomischen Strukturen und Kreisläufen innerhalb despräsargonischen Wirtschaftsarchivs des é-munus(é-MÍ)3

/é-dba-Ú, wie sie sich anhand der ca. 1780 Verwaltungs-urkunden aus Lagas/Ĝirsu nachweisen lassen, dar. Der For-schungsansatz der Autorin orientiert sich dabei an dem aufden drei gesellschaftlichen Konzepten bzw. Verhaltensprin-zipien Reziprozität („reciprocity“), Redistribution („redis-tribution“) und Märkte („commercial exchange“) basieren-den System des österreichischen Wirtschaftstheoretikersund Kulturanthropologen Karl Polanyi (1886–1964) zurgrundlegenden Beschreibung kultureller Organisation.4

Auf eine ausführliche Einleitung (S. 1–11) zur historischenund forschungsgeschichtlichen Einordnung des Wirt-schaftsarchivs folgt in dem Kapitel zur „Redistribution“ (S.13–95) eine umfassende, nach Berufsgruppen der Empfän-ger und spezifischen Verwaltungstermini differenzierendeDarstellung des Systems der Gerstezuteilungen („barley ra-tions“), wobei zwischen „Barley rations for the igi-nu-du8,

il2, ša3-dub e2-gal, ša3-dub-didli (Type 2)“ (S. 22–51), „Barleyrations for the geme2-dumu (Type 3)“ (S. 53–63), „Barley ra-tions for the lu2-šuku-dab5-ba (Type 1)“ (S. 69–81) sowie„Wool rations“ (S. 82–89) unterschieden wird. Der Ab-schnitt zum „Commercial exchange“ (S. 97–152) widmetsich der Behandlung der importierten und exportierten Gü-ter („Products of exchange“ [S. 106–113]), „Fish and onions“(S. 125–128) sowie dem „Internal exchange“ beim Personen-und Hausverkauf (S. 129–145) und dem ökonomischen Stel-lenwert von Silber (S. 150–152). Daran schließt sich als Ab-schluss der ökonomischen Grundkonzepte das Kapitel zur„Reciprocity“ (S. 153–203) an, in dem u. a. auf die „Recipro-city and the e2-MI2/dba-U2“ (S. 159–171) – exemplarisch dar-gestellt an den Urkunden RTC 19, Nik. 282, VAT 4845 (= VS27:98), Nik. 314, DP 511, Nik. 310, VAT 4469 (= VS 25:69), AO4156, Fö 38 (=AWL 189) und AWAS 66– und auf das Prinzipder „Internal reciprocity“ (S. 172–197) im Rahmen vonSchenkungen durch Angehörige des é-munus/é-dba-Úbzw. dermaš -da-r i -a–Abgaben an Tempel oder Palast so-wie auf „Reciprocity as a mode of exchange“ (S. 198–204)eingegangen wird. Den Abschluss des vorliegenden Bu-ches bildet eine Zusammenfassung und Auswertung derForschungsergebnisse (S. 205–213), woran sich ein Abkür-zungsverzeichnis (S. 215–217), eine ausführliche Bibliogra-fie (S. 219–232) und ein Index der behandelten Verwal-tungsurkunden (S. 233–238) anschließen. Hier wäre nachAnsicht des Rez. auch ein Verzeichnis der behandelten su-merischen Termini, speziell im Rahmen der Verwaltungs-klassifikation (z. B. gú-ba, ki-gu, ki-s iki, šà-dub é-gal/didli etc.) durchaus angebracht gewesen, stellen diesedoch für die (inhaltliche) Deutung zahlreicher Verwaltungs-urkunden ein maßgebliches Kriterium dar, während siegleichermaßen in ihrer Morphologie und Konnotation nochnicht in jedem Fall eindeutig geklärt sind. Bei der Studie derVf. handelt es sich seit den Pionierarbeiten A. Deimels inden 1920-er Jahren trotz der Arbeiten Y. Rosengartens, Leconcept sumérien de consommation dans lavie économiqueet religieuse (Paris, 1960) bzw. id., Le régime des offrandesdans la sociéte sumérienne d’apres les textes présargoniquesde Lagaš (Paris, 1960) um die erste komplexe, auch neuerewirtschaftswissenschaftliche Thesen berücksichtigende Ar-beit zu dem von den jeweiligen Ehefrauen (Dimtur, Bara-namtara u. Sasag) der lagašitischen Herrscher Enentarzid,Lugalanda und IriKAgina geführten Wirtschaftskomplex.5

Obwohl Probleme der sumerischen Grammatik und Lexiko-grafie weitgehend nicht im Fokus der Untersuchung stehen,wären entsprechend weiterführende Anmerkungen, abseits

1 Als gesonderte Abkürzungen verwende ich nachfolgend: Th. E.Balke, Kasus: Thomas E. Balke, Das sumerische Dimensionalkasus-system (= AOAT 331), Münster 2006; DGS: B. Jagersma, A DescriptiveGrammar of Sumerian, Ph. D University of Leiden 2010 (http://hdl.handle.net/1887/16107) sowie TCVP: F. Pomponio et al. (Hgg.), Ta-volette Cuneiformi di Varia Provenienza delle collezioni della Bancad’Italia, Vol. I, Roma 2006. Der Bedeutung von Personennamen an-gemessen, habe ich bei deren Wiedergabe im allgemeinen den Ver-such einer sinnvollen Deutung, sprich Übersetzung unternommen,obwohl diese angesichts der konnotativen Ambiguität einiger Per-sonennamen nur eine Annäherung an das zugrundeliegende Ver-ständnis darstellen kann.2 Das hier gekürzte Kapitel über Zwiebeln (S. 127–129) ist nun inerweiterter Form in H. D. Baker, et. al. (Hgg.), Your Praise is Sweet. AMemorial Volume for Jeremy Black from Students, Colleagues andFriends, London 2011, 255–268 erschienen.3 Zur Lesung é-munus statt üblichem é-mí/MÍ vgl. die Anmerkun-gen des Rez. in dem Beitrag „Die religiösen ‚Titel‘ Pa4-Pa4 und NI-a-aim präsargonischen Onomastikon“ in KASKAL 8 (2011; i. Dr.).4 Vgl. K. Polanyi, The Great Transformation. Politische und öko-nomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen(Übersetzung von H. Jelinek). Frankfurt/M. 1995 (Originalausgabe1944).

5 Vgl. dazu auch die rezenten Arbeiten von W. Yuhong, Studies onOld Sumerian Archives from Girsu, I = JAC 16 (2001) 101–128; II = JAC19 (2004) 1–19; III = JAC 20 (2005) 1–29 und IV = JAC 21 (2006) 1–27.

DOI 10.1515/olzg-2014-0065 Orientalistische Literaturzeitung 2014; 109(2): 107–121

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einer rein funktionellen Beschreibung, gerade für einige derklassifizierenden Ausdrücke, z. B. ùša/ur „Nachbar(in)“,„Ehefrau niederen Ranges“6 in den Wendungen ùšar bá-ra-nam-tar-ra/é-munus sa6-sa6/nam-dumu sa6-sa6

… -me „Nachbarn (= Freunde?) der Baranamtara/des Haus(haltes) der Frau (der) Sasag/der ‚Kindschaft‘ der Sasag …sind sie“ (DP 124 v 1–4; Amherst 2 v7–vi 4; DP 129 viii 2–6),sicher wünschenswert gewesen. In diesen Fällen ist mannachwie vor auf die kommentierenden Einzelbemerkungenin den einschlägigen Texteditionen, z. B. G. J. Selz, AWEL (=FAOS 15/1) oder id., AWAS (= FAOS 15/2), angewiesen.Gleichsam fällt bei der Durchsicht des Buches grundsätzlichauf, dass bei einer Vielzahl der zitierten sumerischen Lexe-me, vornehmlich als Bestandteil von Personennamen undStatus- bzw. Berufsbezeichnungen, die von der Vf. gegebe-ne Umschrift nicht (mehr) dem aktuellen sumerologischenStandard entspricht, ungenau oder gar fehlerhaft ist. Sofehlt etwa eine spezifische umschriftliche Markierung desstimmhaften velaren Nasals mittels /ĝ/ (oder /g/̃) als sume-risches Sonderphonem nahezu durchgehend,7 z. B. bei denLexemen níĝ (S. 85: lu2 e2-nig2-ka „Mann des Vorratshau-ses“ u. p.), nìĝ in „Cella, Kultraum“ im Personennamen nì-ĝ in-mud „(aus)? dem Kultraum erzeugt“8 (S. 85: PN nigin3-mud), saĝ „Kopf, (gezählte) Person“, „Geschenk“ in denPersonennamen saĝ -ĝá-tuku-a „an meinem Kopf Gehal-tener(?)“9 (S. 85: PN sag-ga-tuk-ka) oder saĝ -dnin-ĝ í r -su-da „Ein Geschenk mit (= dank) Ninĝirsu“ (S. 27: sag-dnin-gir2-su-da) oder níĝ in „herumgehen“ im Summenver-merk šu-níĝ in (S. 30: šu-nigin). Da die in den Urkundendes Archivs namentlich genannten Individuen für prosopo-

grafische Untersuchungen eine zentrale Rolle spielen, be-ziehen sich die nachfolgenden einzelnen Bemerkungen desRez. vorrangig auf die jeweils angeführten onomastischenBelege derWirtschaftsurkunden des Archivs.

S. 56–58: Die in den Rationslisten genannten Woll-arbeiterinnen (ki-s iki (-k) „diejenigen des Wollortes“)werden neben klassifizierenden Zusätzen wie saĝ -sa10

„gekaufte Köpfe (= Personen)“, wo saĝ „Kopf“ als Nume-ral-Klassifikator10 verwendet wird (vgl. die Belege für nsaĝ si -U.NU „n Köpfe S.-Pflanzenfasern“ [AWL 134 iv 5;u. p.]), auch als saĝ -dub „Köpfe (= Sklavinnen der) Ta-fel“ und gú-ba(-k) „die des betreffenden (Tafel)randes(?)“ rubriziert, wobei Letztere in Anlehnung an einenwohl auf K. Maekawa, ASJ 2 (1980) 115 zurückgehendenVorschlag von der Vf. in ihrer Funktion als „assistant(s)“beschrieben werden; jedoch sollte nach Ansicht des Rez.abseits einer auf die Leistungsfähigkeit von Arbeitskräf-ten referierenden Deutung, wie sie etwa von R. K. Eng-lund postuliert wird,11 grundsätzlich auch die Möglichkeiteines dimensionalen Verständnisses beider Ausdrücke er-wogen werden, die ausgehend von einer originären Kör-perteilbezeichnung saĝ „Kopf“ bzw. gú „Nacken“ inner-halb administrativer Kontexte „Oben (auf der) Tafel“(saĝ -dub) befindliche Personen bzw. „(am) Rand (derbetr.) Tafel“ (gú-ba(-k)) befindliche Personen bezeich-nen.12 Dass sich hinter attributiven Zuordnungen wie gú-ba-kam, bezogen auf jeweils 1 Wollarbeiterin, bzw. gú-ba-me, bezogen auf in der Regel 2 Wollarbeiterinnen,keine qualitative Minderung der beruflichen Funktionoder Position der jeweiligen Frauen verbirgt, zeigt sichbeispielsweise im Beschäftigungsverlauf der Wollarbeite-rin bára-u4-sù-šè, die in AWEL 6 (Ukg. L 4/9) ii 18–19als „zum betreffenden Rand (der Tafel?) gehörig (= Aus-senstehende?)“ (gú-ba-kam), in VS 25, 69 (Ukg. 6) v 13aber zu den ki-siki -u4-bi- ta-me „ehemalige Wollarbei-terinnen sind sie“ gerechnet wird.

S. 79–82: In dem Abschnitt zu den lú-šuku-dab5-ba „Leute, die ein Versorgungslos übernommen haben“als Empfänger von Gersterationen widmet sich die Vf.auch der Fragestellung, inwieweit administrativen Klassi-

6 Vgl. dazu auch CAD Š 363 s.v. šē‘u, šē’ītu „neighbor“, „wife ofsecondary rank“.7 Nur in seltenen Fällen findet sich eine entsprechende Markierung,z. B. in dem PN nin-ĝ iškim-t i (S. 162) oder beim Possessivsuffix –ĝu10, z. B. in den PNN dnin-šubur-ama-ĝu10 oder lugal-téš-ĝu10

(S. 34 u. p.).8 Zu den mit mud „gebären, erzeugen(?)“ gebildeten sumerischenPersonennamen siehe zuletzt M. Krebernik, Zur Struktur und Ge-schichte des älteren sumerischen Onomastikons, in: M. P. Streck —St. Weninger (Hgg.), Altorientalische und semitische Onomastik(AOAT 296; Münster 2002), 45–47.9 Der Name dieses häufig bezeugten Pflugführers (saĝ -apin-na(-k)), der auch in den Schreibvarianten saĝ -ĝu10-ab-tuku (AWAS7 v 9), saĝ -ĝá-ab-tuku (RTC 74 v 2) und saĝĝa(ŠID)ĝá-tuku-a(RTC 68 ii 5) belegt ist, mag Ausdruck einer besonderen religiösenEmpfindung sein, vgl. hierzu die Passage in der Uruk-Klage saĝ -ĝá-na tuku-bí- ib „(Unermüdliche Schutzgottheit), an seinemKopf nimm ihn in Besitz(?)“ (M. Green, JAOS 104, 273 Text H 36). Zuweiteren „fehlerhaften“ Schreibungen von Personennamen inner-halb des Archivs wie saĝĝa(ŠID)ĝá-tuku-a vgl. die Untersuchungdes Rez. zum altsumerischen Onomastikon „Das AltsumerischeOnomastikon nach den Quellen aus Lagas/Ĝirsu (in Vorbereitungals AOAT Bd. 399).

10 Vgl. ähnliche Fälle im Chinesischen der Form liang tou niu (2–Kopf–Rind) „Zwei Rinder“; diesen und weitere Belege für numeraleKlassifikatoren verdanke ich H. Wiese (Berlin).11 R. K. Englund, Organisaton und Verwaltung der Ur III–Fischerei(BBVO 10), Berlin 1990, 105 mit Anm. 335, 136 u. 177. Dieser behan-delt dort allerdings vornehmlich die Gruppe der saĝ -dub „Voll-arbeiter“ und deren Verhältnis zu den ses/ses-surx-ra „Hilfskräf-te“, „‚Brüder‘-Mannschaft“.12 Zur polysemisch–dimensionalen Verwendung von saĝ „Kopf“vgl. Th. E. Balke, Ex Oriente Lux, Fs. M. Dietrich (= AOAT 281),Münster 2002, 33ff.

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fizierungen von Personen auch diskrete gesellschaftlicheGruppierungen niederen oder höheren Ranges entspre-chen, wobei die Tatsache, dass als Subkategorien zurGruppe der ausnahmslos männlichen lú-šuku-dab5-badie wenig spezifischen Statusbezeichnungen RU- lugal„Untergebene (des) Königs“ und àga- ús „Gefolgsleute,Palastwachen(?)“ erscheinen (z. B. in AWAS 6), eindeutiggegen die Annahme einer homogenen diskreten gesell-schaftlichen Klasse spricht. Gleichsam erscheinen na-mentlich und mit Status-/Berufsangabe genannte Per-sonen, die in späteren Urkunden desselben Typs als lú-šuku-dab5-ba klassifiziert werden, vormals unter denEmpfängern von Gerste- und Emmerzuteilungen für dieLeute von ‚Ansehen‘ (und) Untergebenen des Königs(AWAS 75 xi 3 [Enz. 2]: še-ba zíz-ba lú-igi -níĝ in RU-lugal-ke4-ne), was lú-šuku-dab5-ba als ein weit-gehend administrativ einzuordnendes Attribut ausweistohne konkreten Bezug zu gesellschaftlichen Berufs- undStatusangaben wie z. B. lú-igi-níĝ in „Leute von ‚Anse-hen‘ (< „Leute, die das Auge herumgehen (lassen)“; aberauch diese Personengruppe ist zum einen in sich nichthomogen, wie der Vermerk lú-igi -níĝ in gal-gal „Leu-te von (sehr) großem Ansehen“ (DP 133 iv 1; TSA 5 iii 9)für die 1. Gruppe der Schenkenden in DP 133 (Ukg. L 1)und TSA 5 (Ukg. L 2), zwei Urkunden über „Schenkung(en)reiner Milch (und) reinen Malzes“, anzudeuten scheint,wie andererseits auch die semantische Konnotation derBezeichnung selbst und auch die damit verbundene ge-sellschaftlich (hochrangigere) Stellung noch nicht endgül-tig geklärt sind. Besonders auffällig nach Ansicht des Rez.ist dabei der Umstand, dass sich lú-igi -níĝ in — im Ge-gensatz zu anderen eher allgemeinen klassifizierenden Be-zeichnungen— syntaktisch auch an der Position nachwei-sen lässt, die üblicherweise durch die individuelleBerufsbezeichnung ausgefüllt wird, z. B. in VS 27, 69 (Enz.5) ii 4: en-šu lú-igi-níĝ in-ra e-na-šúm „Er (= Šubur)hat es dem Enšu(gigi), dem Mann von ‚Ansehen‘, gege-ben“ statt des üblichen en-šu(-gi4-gi4) ka-šakan-ra„E., dem Vorsteher des Fettlagers …“ (AWL 118 iv 1, ibid.119 iv 1 u. p.).13 Möglicherweise handelt es danach bei lú-igi -níĝ in originär um eine konkret zu fassende Berufs-bezeichnung, die morphologisch und semantisch(?) mitigi -nu-du8 „Blinder“, „Geblendeter(?)“ zu verknüpfenist).14

S. 125–127: Der von der Vf. im Rahmen des Kap.„Fish and onions“ zitierte Text DP 332 hat nach Ansichtder Kopie tatsächlich singuläres níĝ-sám-má-šè „alsKauf/Tauschobjekt“15, also MA2 (RSP 294) statt MA1 (RSP289), was nach Kontext und Parallelen wie níĝ -sám-ma-kam (DP 392 iii 3, u.p.) wohl als Schreiberfehler ge-deutet werden muss, auch wenn beide Zeichen sich pa-läographisch nicht nahestehen;16 der einzig mir bekannteeindeutige präsargonische Beleg für má-šè „für dasSchiff“ findet sich in der Urkunde ITT 5, 9231 (Enz. 3) inder Passage éš má-šè sur-dè „(si-U.NU-Pflanzenfasern),um sie zu einem Seil für Schiff(e) zu drehen“ (Kol. iii 3).

S. 132–133: Hinsichtlich des charakteristischen „buy-er/seller“–Formulars der Kaufurkunden im Rahmen desAbschnitts zum „commercial exchange“ vgl. zur Kasus-markierung Th. E. Balke, Kasus 175–178 (Ergativ) u. ibid.209 (Terminativ) und ergänze dazu für das Formular PN1-šèVerkäufer PN2-(e)Käufer e-šè-sa10: AWL 192 i 2–5, ibid. 193i 2–5; BiMes 10 i 5–ii 1; DP 31 (= SRU 31) i 2–6, ibid. 32 i10–30; OrNS 42, 236 i 3–5; FT 2 pl. 43 (AO 12174) i 2–5;RTC 16 (= SRU 43) i 3–ii 2, ibid. 17 (= SRU 44) i 1–ii 3,ibid. 18 (= SRU 60) i 2–5, v 3–vi 1 und SRU 35 (= BIN 8,352) i 2–6; zu den präsargonischen Kaufurkunden undderen spezifisches Textformular siehe auch C. Wilcke,Early Ancient Near Eastern Law (München, 2003) 86–92s. v. 8.1.5.

S. 160–168: Im Rahmen ihrer Darlegungen zur „ex-ternal reciprocity“ behandelt die Vf. auch die Semantikdes Verbums šu~taka4 „zur Verfügung überlassen (=schenken)“ (S. 160 f.) in den Urkunden des Archivs,exemplarisch dargestellt u. a. an der bekannten UrkundeRTC 19 (Lugalanda 3).17 Anders als die Vf. sieht Rez. inden angeführten Passagen allerdings keine zwingendeVerknüpfung der verbalen Semantik von šu~taka4, vonder Vf. semantisch als „sending (goods) over a distancewithout any further implication“ bestimmt, bzw. dem

13 Siehe auch DP 293 iii 3–4: en-na-u4-mu lú-igi-níĝ in-ra . . .e-na-š id.14 Gerade bei der gesellschaftlichen und funktionellen Einordnungder igi -nu-du8/igi -nu-du8-ĝ iš/ĝ iš -kíĝ - t i–Arbeiter zeigt sichdurchaus ein Missverhältnis zwischen der sich in den Wirtschafts-urkunden offenbarenden funktionellen Kategorisierung als Hilfskräfte

der Gärtner oder Handwerker und einer auf deren (ursprüngliche) ge-sellschaftliche Stellung rekurrierende Verwendung der Bezeichnung;siehe dazu auch G. J. Selz, UGASL 57–58 und id., AWAS 197f. ad Kol.iii 3. Ein präsargonischer Text aus Zabalam, TCVP 42 i 2 3, erwähntdie Ausgabe von Mehl an eine géme-tur igi-nu-du8

dinanna„Gemetur, der Blinden des Inana(-Heiligtums)“, was eher an eineFunktion innerhalb des Kultpersonals denken lässt.15 Zu dieser Urkunde siehe auch M. Lambert, RA 47 (1953) 67.16 Siehe aber die fehlerhafte Vertauschung(!) von MA1 (RSP 289)und SUD (RSP 336) im PN é-me-lem4-ma (CT 50, 28 ii 4) für kor-rektes é-me-lem4-sù (DCS 8 ii 5 u. p.).17 Dieser Text ist im Hinblick auf seine Textstruktur mit alternieren-den ventivischen und nicht-ventivischen Verbalformen (mu-na-VBvs. e-na-VB) ausführlich bereits bei J. Krecher, Or 54 (1985) 172–174und M. Yoshikawa, Or 48 (1979) 187–188 behandelt; zum Ventivprä-fix /mu-/ vgl. nun im Detail auch B. Jagesma, DGS 497–511.

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vermeintlich damit kontrastierenden šúm „geben“mit derbeschriebenen ökonomischen Transaktion, sondern viel-mehr zwei semantisch distinkte Sachverhaltsaussagen, ei-nen mittels šúm ausgedrückten unmittelbaren Besitz-wechsel Agens → Rezipient bzw. einen mittels šu~taka4

nur indirekt ausgedrückten Besitzwechsel Agens → (Me-diator) → Rezipient. Die Verwendung des letzteren Trans-ferverbums impliziert also keinen unmittelbaren Besitz-wechsel vor Ort unter direkter Beteiligung des Agens, wasauch Belege aus den Ninasu–Opferurkunden wie dnin-a-su ki-en-gi4 šu e-na-taka4 „Sie (= Sasag) hat es (= Op-fergaben) dem Ninasu (in?) Enegi zur Verfügung überlas-sen“ (DP 51 viii 5–7; VS 25, 72 vii 4–5) bestätigen.

Einzelbemerkungen (in Auswahl):

S. 33: Zur Lesung ÉREN = /sur/ in den PNN lugal-surx(ÉREN)-ré-ki-áĝ „Herr, der das (Esel-)Gespann liebt“ undsurx(ÉREN)-téš-ĝu10 „das (Esel-)Gespann (ist) meine Wür-de/Lebenskraft“ vgl. die Anmerkungen des Rez. in AoF (i. Dr.)und die Vf. selbst korrekterweise auf S. 75; S. 34: statt lugal-šà-la-tuku lies lugal-šà-lá-tuku „der Herr hat Erbarmen“; S.35 u. 46 f.: die PNN AN-al-sa6 und AN-mu-dah enthaltensicher keinen Verweis auf den Himmelsgott An, und sind da-her besser diĝ i r-al-sa6 „der (persönliche) Gott ist gnädig“bzw. diĝ i r-mu-daḫ „der (persönliche) Gott hat mich?/ihn hin-zugefügt“ zu lesen; S. 43: statt nin-e-AN-su lies nin-e-an-su „die Herrin kennt sie/ihn“; hier ist AN als Silbenzeichen (-)an-, bestehend aus dem Verbalpräfix /ˀa/ und dem vorderenPers.-Präfix /-n-/ 3.SGPerfektiv, verwendet, wie auch in dem PNinim-den-l í l - lá-an-dab5 „Er gehorcht(e) (wörtl. „hielt“) En-lils Anweisung“ (DP 553 ii 2; u. p.); S. 48: statt den-ki-ur-mulies den-ki- téš -ĝu10 „Enki (ist) meine Würde/Lebenskraft“;zum Bildungsmuster GN-téš -ĝu10 „GN (ist) meine Würde/Le-benskraft“ bei PNN vgl. Th. E. Balke, WOO 6 (2011) 681–683;S. 49: für sipa-Lagas-ki -ága lies sipa-Lagas-ki-áĝ „Hirte,der Lagas liebt“; S. 55: der PN ùšur-dug — lies richtig ùšur-du10( -g) — in TSA 10 ii 10 (so richtig nach Kopie) ist fehler-hafte(?) Verkürzung des PN ùšur-gin7-du10 „Wie der Nach-bar(?) so gut(?)“. Dieser weibliche PN erscheint vornehmlichin der Schreibung ùšar(LÁL.LAGAB)-gin7-du10 (s. CT 50, 33ii 9, viii 1; DCS 4 xvii 70 u. p.), mitunter aber auch als ušur4(LAL.LAGAB)-gin7-du10, so z. B. in DCS 3 xii 4; DP 112 ´ 4und TSA 11 ix 12; S. 56: beim PN nu-mu-na-sum-ĝu10 han-delt es sich um eine finite negierte imperfektive (‚marû‘) Ver-balform und ist daher nu-mu-na-šúm-mu „Sie/er wird es ihmnicht (über)geben“ zu lesen; den weiblichen PN bara-u4-su-se3lies richtig bára-u4-sù-šè „Thron(sitz) bis in ferne Zeit“(AWAS 17 vii 1; AWEL 6 ii 18; DP 32 [= SRU 32] iv 12; TSA 12 ii16; VS 25, 69 ii 6 u. p.); S. 58: statt dba-Ú-ni-kúš lies dba-Ú-ì-kúš „Ba’U ist zufrieden/beruhigt“; S. 85: den PN é-ì-gàra-sú lies é-ì-gàra-sù „Tempel, der Öl (und) Sahne versprengt“;der BN gáb-UŠ×KÍD ist mit P. Steinkeller, OA 19 (1980) 83 f.gáb-dan6 „Reiniger“ (< „Ich will reinigen“) zu lesen, vgl. da-zu auch G.J. Selz, AWAS 88 ad Kol. vi 6, statt RI.HU lies wohlbesser dal-mušen „Vogelverscheucher“; S. 123: statt dam-gàra é-MÍ-rá (Nik. 85 ii 2) lies dam-gára é-munus-ra (e-na-šúm).

Als durchgehend positives Fazit bleibt, dass die vorliegen-de Arbeit einen profunden Einblick in das Wirtschaftssys-tem des „Haus(halts) der (Ehe)frau“ (d. i. Dimtur, Bara-namtara u. Sasag) bzw. des Ba’U-Tempels unter denletzten drei lagašitischen Regenten Enentarzid, Lugalandaund IriKAgina liefert, und insbesondere anhand prosopo-grafischer Einzelstudien zu bestimmten Berufsgruppenbzw. Arbeitsteams wichtige Beobachtungen sowohl zu in-dividuellen Berufskarrieren als auch personellen Ver-schiebungen innerhalb komplexer Arbeitsgruppierungenbietet. Sie erfüllt damit ein innerhalb der Assyriologie seitlangem bestehendes Desideratum,18 wofür der Verfasserinsehr zu danken ist.

Bespr. von Thomas E. Balke, Heidelberg,E-Mail: [email protected]

Heeßel, Nils P.: Divinatorische Texte II. Opferschau-Omi-na. Wiesbaden: Harrassowitz 2012. XII, 469 S., 155 Abb.4° ¼ Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts 5.Hartbd. € 78,00. ISBN 978-3-447-06742-3.

Nach seiner Edition der terrestrischen, physiognomischenund oneiromantischen Omina aus Assur in DivinatorischeTexte I erschließt N. P. Heeßel in Divinatorische Texte IIbis auf einige wenige sich im Archäologischen Museumzu Istanbul befindenden Texte und Textfragmente allebisher in Assur gefundenen Textzeugnisse zur Opfer-schau (insgesamt 117 Texte und Textfragmente). MehrereTexte liegen bereits in Keilschriftkopien von E. Ebeling1

vor, waren jedoch bisher nicht systematisch transliteriertund übersetzt worden, zahlreiche andere werden hiererstmalig ediert. Die Texte bieten eine große thematischeVielfalt an Quellen zur ‚theoretischen‘ Ausprägung derOpferschau: Es gibt Texte zu allen Kapiteln der kano-nischen bārûtu-Serie, außerdem Opferschau-Omina mit‚historischen‘ Apodosen, mit Beschriftungen versehenegraphische Darstellungen von Leber- und Lungenbefun-den, Texte zur Opferschau anhand von Opfervögeln, Öl-Omina sowie ein Exzerpt aus der gesamten bārûtu-Serie.Quellen, welche die praktische Seite der Opferschau be-

18 Der prägnante Überblick J. Bauers zum Urkundematerial undWirtschaftsgefüge in OBO 160/1 (1998), speziell 532–555, bleibt aller-dings weiterhin uneingeschränkt wertvoll.1 E. Ebeling, Keilschrifttexte aus Assur religiösen Inhalts I, WVDOG28, Leipzig 1919 und E. Ebeling, Keilschrifttexte aus Assur religiösenInhalts II, WVDOG 34, Leipzig 1923.

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treffen – wie Opferschau-Rituale, Opferschau-Gebete,Opferschau-Anfragen oder Berichte über durchgeführteOpferschauen – finden sich in den Archiven und Biblio-theken aus Assur bisher nicht. Von den in Assur gefunde-nen Opferschautexten und Fragmenten sind laut N.P.Heeßel 26 der mittelbabylonischen, 68 der mittelassyri-schen, 16 der frühneuassyrischen sowie acht der neuassy-rischen Zeit zuzurechnen. Hervorzuheben ist die text-geschichtliche Bedeutung dieser Opferschautexte, bietensie doch neue Erkenntnisse zum Prozess der Serienbil-dung und Kanonisierung dieser Textgattung. Es zeigtsich, dass es in Assur in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtau-sends v. Chr. neben der bereits länger bekannten mittel-assyrischen auch eine mittelbabylonische Opferschau-Serie gab. Beide Serien haben große Ähnlichkeiten zurkanonischen bārûtu-Serie, weisen jedoch bezüglich ein-zelner Textbausteine Unterschiede auf (vgl. z. B. die Hin-zufügungen oder Weglassungen von Omina, den Aus-tausch von Apodosen oder Verbalformen etc.); diemittelbabylonische Serie weicht darüber hinaus bei denTafelunterschriften ab (wo meistens nur die Summe derOmina und der Schreiber angegeben wird), die mittel-assyrische Serie bei einigen Incipits und Stichzeilen. Be-merkenswerterweise findet sich in Assur nur ein Exem-plar eines zur bārûtu-Serie gehörigen Exzerpt-Textes –einer Textgruppe, die in anderen babylonisch-assyrischenStädten gut vertreten ist. Weitere Aspekte zur Textüberlie-ferung, Entwicklung und Serialisierung waren bereitsThema von N. P. Heeßels 2009 vollendeten Habilitations-schrift (s. S. X), und der Autor plant, diese auch zukünftigweiter aufzuarbeiten (s. S. 19 Anm. 155).

Im Anschluss an die Einführung, in der die Grund-lagen der altorientalischen Opferschau sowie die Überlie-ferung der Opferschau-Texte aus Assur thematisiert wer-den, bietet N. P. Heeßel zunächst einen Katalog deredierten Texte, gefolgt von Umschrift, Übersetzung sowieKommentar aller ihm zugänglichen Opferschau-Texte ausAssur. Es schließen sich Konkordanzen, Listen und Indi-ces an, darunter auch eine Liste mit zwölf von N. P. Heeßelneu erzielten Textzusammenschlüssen. Ein Literaturver-zeichnis, Keilschriftkopien und Ergebnisse durchgeführterKollationen runden den Band ab. Während lediglich füreinige ausgewählte Texte Fotos hinzugefügt worden sind,fände ich es wünschenswert, wenn Fotos aller Texte inausreichender Größe – vielleicht auch Online – zur Ver-fügung gestellt würden, damit darauf etwa zur potentiel-len Klärung schwieriger Textstellen oder für paläographi-sche Untersuchungen zugegriffen werden kann.

N. P. Heeßel ediert in Divinatorische Texte II. nichtnur interessantes neues Quellenmaterial zur Opferschau,sondern bietet darüber hinaus auch zu mehreren einzel-

nen Konzepten anregende Beobachtungen und Deutun-gen (wie etwa zur Interpretation von paṭāru als „einker-ben“ statt „spalten“ [S. 57], zur negativen Konnotationdes auch in medizinisch-therapeutischen Texten belegtenšaḫḫû-Gewandes [S. 76] oder zur Interpretation von šer-šerru in Opferschau-Omina als „rote Schmiere“ [S. 207–208]).

Im Folgenden möchte ich lediglich einige Bemerkun-gen zu einzelnen Aspekten herausgreifen bzw. einigekurze Bemerkungen hinzufügen:

Zu Text 1 II 56: Eine inhaltliche Parallele zu diesem Omen fin-det sich in KUB 4.74, Omen zum ‚Wohlbefinden‘ (vgl. zuletztA. De Vos, StBoT Beih. 5, 1522).

Zu Text 18 Rs. 80: Ist die Protasis BE GÍR 3-ma SAL TIL.MEŠ zu interpretieren als „Wenn es drei Pfade gibt und sieein SAL-Zeichen bilden“? Dass Merkmale auf der Leber dieForm von (einfachen) Keilschriftzeichen (wie z. B. LAL, BAR,KASKAL, GI, TU etc.) annehmen können, findet sich in ver-schiedenen Opferschau-Omina (dazu z. B. S. J. Liebermann, Fs.J. J. Finkelstein, 147–1543 oder in der vorliegenden Arbeit Text27 Rs. 20–90). Auch wenn mir für Lebermerkmale in der Formvon SAL keine weiteren Belege bekannt sind, so kann dochdarauf hingewiesen werden, dass das Zeichen SAL mittelbaby-lonisch – beim Text Nr. 18 = KAR 451 handelt es sich um einmittelbabylonisches Manuskript – aus drei Keilen besteht.4 Al-lerdings ist der Š-Stamm von bašû in dieser Bedeutung in Op-ferschautexten nicht geläufig.

Zu Text 19 und 69: Interessant ist eine auf dem oberenRand dieser beiden Tafeln (also an der bei Aufbewahrung ineiner Reihe anderer Tafeln noch sichtbaren Seite) angebrachteZeichenkombination, die aussieht wie AŠ und ŠÁ (oder wiedas Zeichen SUR), deren Bedeutung unklar ist, für die N. P.Heeßel jedoch eine Funktion als Bibliotheksvermerk vermutet.

Zu Text 23 Rs. 1: Auch wenn in verschiedenen anderenOmina Formen von ṣamāru in Relativsätzen erscheinen, ist esunwahrscheinlich, dass auch hier ú-ṣa-am-m[a-ru-ka?] zu er-gänzen und als Verbalform eines Relativsatzes zu interpretie-ren ist. Denn es fehlt das Determinativpronomen ša, und nachKÚR-ka ist ein Relativsatz ohne ša nicht möglich.

Zu Text 29 Vs. 130 und 150: Statt dnare-pa-še und [i-nan]ar-pa-še ist in VAT 10914 mit der Keilschriftkopie die-na tar-pa-še und [i-n]a tar-pa-še, „im Freigelände“ zu lesen. Zumauch in anderen Omina belegten tarpašû „Freifläche, Gelän-de“ vgl. u. a. AHw 1331a; CAD T 240 („area (?), empty lot (?)“).Die Parallele in TCL 6 Nr. 4 (AO 6454) Vs. 14 und 16 bietet inanar-pa-še-e und macht sowohl für narpašû als auch für tarpa-šû die von W. von Soden, OrNS 22, 259 Anm. 15 vorgeschlage-ne Herleitung von rapāšu plausibel.

2 A. De Vos, Die Lebermodelle aus Boğazköy, StBoT Beih. 5, Wies-baden 2013.3 S. J. Liebermann, The Names of the Cuneiform Graphemes in OldBabylonian Akkadian, in: M. de Jong Ellis (Hrsg.), Essays on the An-cient Near East in Memory of Jacob Joel Finkelstein, Hamden, Con-necticut 1977, 147–154.4 R. Labat und F. Malbran-Labat, Manuel d’épigraphie Akkadienne,Paris 1988, 229 Nr. 554.

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Zu Text 40 Vs. 150: Die Apodosis dürfte als KÚR ÉRIN-kaina ŠU-ka? KAR-im? zu lesen und als „Der Feind wird DeinHeer aus Deiner Hand rauben“ zu interpretieren sein. Zummittels des Verbes ekēmu ausgedrückten Entfernen von Trup-pen in divinatorischen Texten vgl. z. B. AHw 194b, CAD E 66–67 sowie in dieser Arbeit Text 52 Vs. 52.

Zu Text 51 Rs. 620: Interessant sind die bisher nur in eini-gen Texten aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.bekannten, sogenannten ‚Zählzeichen‘ – deren Funktion un-klar ist, die jedoch weder mit der Anzahl der Zeilen, Einträgeoder Omina, noch mit den Schreibern korrelieren. Ob auchder alleinstehende eingeritzte Keil, der sich auf der Rückseitedes Lebermodells aus Boğazköy StBoT Beih. 5: Bo 46 (1236/v)neben vier nahezu parallel eingeritzten Linien befindet, mitdiesen ‚Zählzeichen‘ zu assoziieren ist, bleibt unklar.

Zu Text 72 rechte Kolumne Z. 5‘–6’: Der von N. P. Heeßelaufgrund einer Parallele rekonstruierte Zeilenumbruch mittenim Wort šu-ʼi ist bemerkenswert. Ungewöhnliche Trennungenvon Einheiten am Zeilenende (wenn auch nicht inmitten vonWörtern) finden sich auch auf zwei Lebermodellen aus Boğaz-köy (vgl. A. De Vos, StBoT Beih. 5, 40).

Dem Autor ist zu danken für die schöne Publikation, dieunser Wissen über die Opferschau-Omina um signifikan-tes neues Material erweitert.

Bespr. von An De Vos, Würzburg,E-Mail: [email protected]

Heinz, Marlies / Feldman Marian H. (Hg.): Representati-ons of political power: case histories from times ofchange and dissolving order in the ancient Near East.Winona Lake, Indiana: Eisenbrauns 2007. xii, 212 S.,Zeichn., sw-Abb. 4°. ISBN 978-1-57506-135-1.

Der anzuzeigende Band versammelt 8 archäologisch, an-thropologisch, kunstwissenschaftlich, assyriologisch undhistorisch ausgerichtete Beiträge zu Formen und Forma-ten der Repräsentation politischer Macht. Der historisch-geographische Focus des Bandes ist Alt-Vorderasien, na-mentlich die Regionen Mesopotamien, Syrien, Anatolienund Persien. Die Beiträge sind zwar in ganz unterschiedli-chen Chronotopen situiert, jedoch interessanterweise aufdie ‚historische‘ Phase der altorientalischen Geschichtebeschränkt: je drei Beiträge untersuchen Ereignishorzion-te des 3. (Jahn, Heinz, Pollock) und des 2. Jahrtausendsv. Chr. (Bonatz, Feldman, Pruzsinszky), zwei Beiträge sinddem 1. Jahrtausend gewidmet (Kuhrt, Beaulieu).

„Change is the only constant in history“ (S. vii), mitdiesen Worten eröffnen die Herausgeberinnen Vorwortund Band – und so greifen die einzelnen Beiträge typi-sche Situationen heraus, in denen das Merkmal der Dis-kontinuität in besonderer Weise in der oder für die Aus-gestaltung von politischer Macht, dem zweiten Leitbegriffdieser Studien, manifest wird. Die Binnengliederung desBandes gruppiert die 8 Fallstudien („case studies“) indrei Abschnitte, die typologisch allgemeinere Muster vonDiskontinuitäts-Kontexten beschreiben: Part 1 „Reesta-blishment of Order after Major Disruption“, Part 2„Changing Order from Within“ und Part 3 „Perceptionsof a New Order“.

Der erste Abschnitt über die Wiederherstellung vonOrdnung nach größeren politischen Umwälzungen wirderöffnet durch den Beitrag von Regine Pruzsinszky überEmar and the Transition from Hurrian to Hittite Power(S. 21–37). Darin beschreibt sie am Beispiel der am Mitt-leren Euphrat gelegenen Stadt Emar Phänomene, in de-nen die Veränderung überregionaler Machtstrukturen ineinem lokalen Kontext mittelbare oder unmittelbare Wir-kung enfaltet. Im Mittelpunkt stehen dabei die institutio-nal changes, die als Folge der hethitischen Hegemonie inNordwest-Syrien das (nur scheinbar) homogene Kontinu-um syro-euphratischer Stadtgesellschaften erfassen. DieAmbiguität der politisch-administrativen wie auch reli-giösen Institutionen im Bereich der spätbronzezeitlichenTextdokumentation von Emar ist seit langem bekanntund Gegenstand zahlreicher Detailuntersuchungen. Nochimmer ist allerdings der eigentliche Zeitpunkt des Einset-zens hethitischer Kontrolle über die Stadt und damitpraktisch die gesamte Binnenchronologie des spätbron-zezeitlichen Emar Gegenstand intensiver Diskussion(S. 22 mit Anm. 3). Die Unterscheidung zwischen einer äl-teren (alt-)syrischen und einer jüngeren, syro-hethiti-schen Text-Schicht ist nicht nur in der deutlich veränder-ten Diplomatik einzelner Textgattungen evident; auchsoziopolitische Umstrukturierungen, wie z. B. die sehrviel betontere Position des lokalen Herrschers und derAufstieg einer Familie von Divinations-Spezialisten mitbesonderen Beziehungen zum hethitischen Königshaussind Konsequenz der veränderten Machtverhältnisse, dieEmar allerdings auch deutlich in den Randbereich hethi-tischer Interessen verweisen (im Unterschied z. B. zu Ḫa-lab oder Kargamiš). Die Vizekönige von Kargamiš be-dienten sich hier offensichtlich im wesentlichen derlokalen Machtstrukturen zur Durchsetzung der InteressenḪattis in Emar. Vf. macht deutlich, dass demgegenüberoffenbar der Einfluss der Mittani-Herrscher auf die Stadt,ihre Binnenstruktur und ihre Texttraditionen währenddes 14. Jhs. offenbar von anderer Art war. Freilich wer-

5 W. von Soden, Zum akkadischen Wörterbuch. 54–60, OrNS 22,251–261.

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den diesen Überlegungen durch die Struktur der Text-überlieferung aus Emar Grenzen gesetzt. Besonders nütz-lich ist vor diesem Hintergrund die Aufstellung jener 18Texte, die nach Ansicht der Vf. in die Phase vor der he-thitischen Hegemonie gehören (S. 26–27). Danach scheintdie Stadt Emar in gewissen Abständen Tribut-Leistungenan die hurro-mittanischen Machthaber entrichtet zu ha-ben, ohne dass diese wiederum die Stadt als solche ‚be-saßen‘.

Marian H. Feldman untersucht in Frescoes, Exotica,and the Reinvention of the Northern Levantine Kingdomsduring the Second Millennium B.C.E. (S. 39–65) den Zu-sammenhang zwischen dem Auftreten neuer Darstel-lungs- und Dekorationstechniken und der Etablierungder levantinischen Königreiche zum Beginn der Spät-bronzezeit. Es ist das Ensemble der Fresco-Dekoration‚ägäischen Typs‘ im Bereich von Wänden und Fussbödenin den Palästen von Alalakh (Tell Atchana), Qatna (TellMishrife) und Tell Kabri, die technisch, stilistisch undformal einen radikalen Bruch mit älteren Traditionen ver-körpern. Ungeachtet der Schwierigkeiten einer absolutenChronologie, der stratigraphisch-chronologischen Plat-zierung der Befunde in den einzelnen Grabungsortenund nicht zuletzt der extrem fragmentarischen Erhal-tungszustände, stellt die Vf. überzeugend den „exo-tischen“ Charakter dieser Fresken heraus. Als Referenz-horizonte dienen sowohl die Tradition der Wandmalereiin Alt-Vorderasien wie auch die des ägäischen Raumes(wobei allerdings im Vergleich die doch sehr unter-schiedlichen Gebäudefunktionen [Paläste vs. Privathäu-ser] zu berücksichtigen sind). „Distinctions in the archi-tectural contexts of the Levantine and Aegean frescoesindicate an aspect of functional difference between thetwo corpora, bolstering the case for understanding theLevantine examples as exotica, and specifically, exoticadeployed in conjunction with the ruling elite“ (S. 44–45).Die soziopolitische Reorganisation der Levante-Regionim Verlaufe der Mittel-Bronzezeit findet ihren Ausdruckin einer neuen, prestigiösen Dekorationskultur der Reprä-sentationsräume der vielen konkurrierenden Kleinkönig-tümer.

Marlies Heinz greift mit Sargon of Akkad: Rebel andUrsuper in Kish (S. 67–86) ein mittlerweile ‚klassisches‘Beispiel für scheinbar tiefgreifende Neuorganisation poli-tischer Macht- und Repräsentationsformen in Mesopota-mien. Den Angaben der Quellen folgend beschreibt sieSargons Biographie als die eines Usurpators. Doch tat-sächlich zeigt die Zusammenschau der verschiedenenZeugnisse, dass zwar einerseits die überkommenen poli-tischen (personalen) Strukturen aufgebrochen werden;dass aber andererseits Sargon ganz bewusst traditionel-

len, etablierten Mustern folgt, um ein Maximum an Ak-zeptanz und Legitimität zu erreichen. Dabei wird mitHeinz’ Beitrag ein Widerspruch in der Bewertung der his-torischen Überlieferung ersichtlich, der zu einer differen-zierteren Auseinandersetzung mit Natur und ‚Sitz-im-Le-ben‘ der Quellen auffordert. Ob tatsächlich allerdings diekulturelle Differenz zwischen ‚Akkadern’ und ‚Sumerern‘so groß war, wie hier unterstellt („the otherness of theAkkadians was ideologically hidden (...)“. S. 81) ist ange-sichts des derzeitigen Kenntnisstandes über die Rolle se-mitisch-sprachiger Bevölkerungsgruppen vor der Akka-de-Zeit kaum anzunehmen. Die Strategie, sich alsBewahrer lokaler Traditionen zu gerieren ist ebenso uni-versal wie das Gegenteil, die Zerstörung sämtlicher über-kommener Strukturen. Beides kann kaum als ‚Proprium‘akkadischer Herrschaftspolitik gewertet werden. Die am-bivalente Natur der Beobachtung von Traditionen istnicht ohne weiteres durch Verweis auf ‚Propaganda‘ auf-zulösen. Indem in Heinz’ Beitrag deutlich wird, wie sehrSargon bei aller personellen Diskontinuität sich sachli-chen und strukturellen Kontinuitäten verpflichtete, wirddie Einordnung dieses Beitrages in den ersten Abschnittdes Bandes nicht recht klar.

Denn der zweite Abschnitt ist den „Veränderungender Ordnung von innen heraus“ gewidmet. Susan Pollockwidmet ihren Beitrag The Royal Cemetery of Ur: Ritual,Tradition, and the Creation of Subjects (S. 89–110) eben-falls einer seit langem bekannten Evidenz: die FD-III-zeit-lichen Gefolgschaftsbestattungen des sogenannten Kö-nigs-Friedhofs von Ur. Tatsächlich hat der Befund dieserumfangreichen Co-Bestattungen zu durchaus wider-sprüchlichen Interpretationen Anlass gegeben, sowohlmit Blick auf die konkret zugrunde liegenden gesellschaft-lichen Bedingungen, als auch die Bewertung des Brau-ches unter der Perspektive typologischer Merkmale desfrühen Staates. Es ist dieser Aspekt, den Pollock ins Zen-trum ihrer Überlegungen stellt („to understand how bondsof allegiance to a state are created among its subjects“, S.91). Auf dem Hintergrund soziologischer, politologischer,kulturhistorischer und(!) anthropologischer Überlegun-gen wird die dort vorgefundene etwa 150-jährige Begräb-nis-Sitte als Spiegel einer zwar institutionalisierten, abernoch wesentlich an personale Präsenz gebundene Monar-chie interpretiert. Gegenüber der op. com., nach der dieBegräbnisse des Königsfriedhofes allgemein der städti-schen/staatlichen Elite zuzuweisen sind, interpretiert Pol-lock die Bestatteteten als Persönlichkeiten, die kultischeoder organisatorische Aufgaben in den großen Familien-Haushalten wahrnahmen. Die Unterschiede in der Aus-stattung der Begräbnisse ist ihr ein Indikator für die indi-viduellen Traditionen der verschiedenen Familien; in der

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Konfiguration der Gefolgschaftsbestattung käme dann der‚metaphorische Tod eines gesamten Haushaltes‘ zum Aus-druck (S. 100), eingebunden in eine tradierte Routine, dienicht zuletzt in umfangreichen Festritualen umgesetztwurde. Das Verschwinden dieser Tradition bringt sie mitder Herausbildung einer institutionell konzipierten ‚Amts-Monarchie‘ in Verbindung (S. 105). Angesichts durchausvergleichbarer politischer Figurationen in anderen Zen-tren der frühdynastischen Zeit bleibt freilich offen, wes-halb der Befund von Ur nach wie vor nahezu isoliert in dermesopotamischen Geschichte ist.

Dominik Bonatz stellt die visuelle Repräsentationvon Herrschaft ins Zentrum seiner Betrachtungen überThe Divine Image of the King: Religious Representation ofPolitical Power in the Hittite Empire. Am Beispiel der bild-lichen Darstellung hethitischer Herrscher in monumenta-len Felsreliefs untersucht er „religious representation“als mögliche Kategorie dieser Visualisierungen köng-licher Macht. Es geht ihm dabei um die religiösen Funk-tionen, welche gegebenenfalls neben, zusätzlich zu, odergar an Stelle einer primär „säkularen“ (p. 110) Konnotati-on zugeschrieben werden müssten. Nun ist das Vorherr-schen sakraler Kontexte in der Ikonographie des überlie-ferten hethitischen Herrscherbildes seit langem bekannt.Gibt es also eine funktionale Parallelität in der religiousvisual culture (Bonatz gebraucht den Begriff visual praxis)und den nicht-religiösen Anteilen? Ein solcher Ansatzgeht nicht nur davon aus, dass für die Zeugnisse des he-thitisch-anatolischen Kulturkreises die funktionalen Ka-tegorien religiös bzw. nicht-religiös (/ politisch) seman-tisch eindeutig unterschiedliche Phänomenologienhervorbringen; angesichts der intensiven gegenseitigenDurchdringung dieser Kategorien, welche für die religiösfundierten Weltanschauungen jener Kulturen typisch ist,keineswegs selbstverständlich. Eine weitere Schwierig-keit besteht im Bereich der Sprache der Bilder, d. h. derFrage, inwieweit die Ikonographien rhetorische bis hinzu propagandistischen Absichten unterliegen (vgl. bes.124 f.). Schließlich sind auch die Möglichkeiten einer Per-zeptions-Soziologie naturgemäß begrenzt, d. h. eine Un-tersuchung der Wirkung dieser Monumente auf die Be-trachter kann sich allenfalls auf indirekte bzw.konsekutive Evidenzen (z. B. Nachahmung) stützen. DieSchwierigkeit wird am Beispiel des Motivs des DivineWarrior (S. 115 ff.) deutlich. Während im Repertoire derbegrenzt zugänglichen Darstellungen in Heiligtümern (S.121 „private“) die sakralen Funktionen und Aspekte desKönigtums im Vordergrund stehen, herrscht an den soge-nannten „public places“ das Motiv des divine warrior vor.Die Fels-Reliefs werden in diesem Sinne als politischeWillenskundgebungen, als geopolitische Einschreibun-

gen in die Landschaft im Zusammenhang territorialerstaatlicher Expansion gedeutet (S. 123). Doch es bleibtdie Frage, wer eigentlich dargestellt ist, zumal dasselbeMotiv sich in der Ikonographie der Siegel wiederfindet:eine anthropomorphe Gottheit, ein vergöttlichter Ahnherrdes Regenten, oder der derzeitige Herrscher mit gött-lichen Attributen? Dieses Problem ist nicht ohne weiteresdurch Beiziehung schriftlich überlieferter Evidenz zu lö-sen, auch wenn Kontingenz, die Bonatz für die Bilderpostuliert, natürlich in gleicher Weise für Texte Gültigkeithat: Die Dynamiken und die Stimuli, die jene aktive undvitale Bildlichkeit durch Kombination alter und neuerElemente erzeugen, sind auch in den Texten wirksam.Die Konsequenzen eines solchen iconic clustering führennach Bonatz im 13. Jh. zu einer grundlegenden Verände-rung des medialen Repertoires, nämlich einer sakralenIkonographie.

Mit Nabonidus the Mad King: A Reconsideration ofHis Steles from Harran and Babylon (S. 137–166) stelltPaul A. Beaulieu wiederum eine einzige Herrscherpersön-lichkeit in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Zur Per-son Nabonids liegen mehrerere Überlieferungssträngevor, die teilweise Unterschiedliches berichten. Besondersdas Thema des Wahnsinns, das in der alttestamentlichenÜberlieferung ihren Weg in die europäische Geschichtegefunden hat, kann durch die babylonischen Quellennicht erklärt werden. Beaulieu versucht nun, anhand dermonumentalen Inschriften der Harran-Stele und der Ba-bylon-Stele das Königsideal zu fassen, das Nabonidselbst von sich vermitteln wollte. Eine wichtige Rollekommt dabei der Gruppe der Literaten zu, die in einemSpannungsfeld von tradiertem Kanon und Formen kreati-ver Adaption und Neukombination die Text-Vorlagen fürdie Inschriften schufen. Ausgehend von einer „mystiqueof the monarchy“ als eigenständigem Themen- bzw. Mo-tivfeld der Schreiberausbildung wird im Falle Nabonidsdas Bild des exemplarischen Herrschers auf den „religio-us leader“ und auf den „teacher of wisdom“ fokussiert(S. 142). Im Milieu der Schreiberausbildung würde alsoein Königsbild konstruiert und perpetuiert, das bestimm-te Aspekte tradierter Figurationen hervorhebt, anderehingegen weitestgehend ausschaltet. In zunächst auffäl-ligem Kontrast zu den mesopotamischen Traditionensteht dabei die Sîn-Theologie (148 ff.), welche jedoch, wieBeaulieu zeigt, eingebunden ist in eine dreigliederigeTheologie: die Kongruenz der Götter Nabû, Sîn und Anû,die in mystischen, theologisch-spekulativen Texten derSpätzeit expliziert wird. Zudem gelingt über diese Kon-gruenz eine Anbindung an die tradierten Mythologemevon Schöpfung und Zerstörung und nicht zuletzt erklärtsich die bislang nicht überzeugend gedeutete Zeichen-

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theologie, mit deren Hilfe Nabonid in blasphemischerWeise – so das Strophengedicht (V 180–220) – Esangilaals Tempel des Gottes Sîn definiert (S. 162). Nabonid be-dient sich also offenbar der Autorität traditioneller meso-potamischer Weisheit und Gelehrtenkunst in Form ihrerRegeln und Argumentationsmuster, um seine politischeTheologie zu legitimieren. Tatsächlich sind es genau die-se Aspekte, die sich die Polemik gegen Nabonid zu Nutzemacht (s. z. B. das sog. Strophengedicht), gerät er dochdadurch in Konflikt genau mit den Kreisen, deren Kom-petenzen er sich zuschreibt, nämlich den gelehrten Eli-ten, den Hütern der alten Traditionen.

Im dritten Abschnitt, der Neuordnungen („Perceptionsof a New Order“) gewidmet ist, stehen wiederum zwei un-terschiedliche Chronotope nebeneinander. Amelie Kuhrtsetzt sich in ihrem Beitrag Cyrus the Great of Persia:Images and Realities (S. 169–191) mit Fakten und Fiktio-nen zur Person eines – ähnlich wie Nabonid – von denZeitgenossen sehr unterschiedlich wahrgenommenen vor-derasiatischen Herrschers auseinander. In einer kurzenForschungsgeschichte („evidence shaping the traditionalimage of Cyrus“, S. 170–172) resümiert Kuhrt zunächst,wie aus den durchaus divergierenden Überlieferungenemischer und etischer Provenienz in der historischen Dar-stellung der europäischen Moderne für Kyros den Großendas Paradigma eines toleranten Herrschers herausgebil-det wird. Dieses Bild – geformt wesentlich an hebräi-schem und bestimmten Teilen griechischen Schrifttums –schien auch durch Primär-Evidenz, z. B. die Art der Stadt-anlage seiner Residenz Pasargadae oder auch z. B. eineeinseitige Auslegung des „Kyros-Zylinders“ als Deklara-tion der Grundlagen persischer Politik Bestätigung zu fin-den. Ein „critical reassessment“ (S. 172– 176) dieser Inter-pretationen zeigt, in welchem Umfang sie auf selektiverEvidenzerhebung und -deutung beruhen. In den Informa-tionen der sogenannten Chroniken, einer chronographi-schen Gattung mit langer Tradition in den mesopota-mischen Kulturen, sieht sie ein nahezu objektivesKorrektiv („The chronicle’s dispassionate statements (ter-se as they may be) are, where we have them, extremelyreliable“, S. 176). Auch wenn man dieser Einschätzungwohl nur bedingt zustimmen wird, ergänzen diese Textedie Perspektiven um Elemente, die z. B. die babylonischeWahrnehmung des ‚Eroberers‘ und seine zumindest par-tielle Akzeptanz im Rahmen mesopotamischer Traditio-nen und Interessenbildung. In der weiteren Argumentati-on konzentriert sich Kuhrt auf Hinweise, z. B. in derArchitektur Pasargades, die das Expansionsstreben desAchämenidenherrschers als neues politisches Programmdes Königs illustrieren.

Brit Jahn’s Beitrag über The Migration and Sedentari-zation of the Amorites from the Point of View of the SettledBabylonian Population (S. 193–209) beschließt den Band.Sie bietet einen Abriss der historischen Quellen der keil-schriftlichen Überlieferung über das Vordringen amoriti-scher Bevölkerungsgruppen nach Mesopotamien. Nebenhistoriographischen Texten stellt sie Hinweise auf Jahres-namen, literarische Texte (Mythen, Hymnen, Sprichwör-ter, Klagelieder), Königsinschriften zusammen und zeich-net in ihnen Motive und Strukturen für das durchausambivalente Bild (negativ wie positiv) der Amoriter nach.Sie stellt heraus, dass entsprechende Repräsentationenoffensichtlich durch Assimilations- und Adaptionsprozes-se schließlich funktionslos werden.

Der Sammelband bietet interessante Einsichten zu gutdokumentierten Konstellationen, die als Auftakt, Momentoder Konsequenz von politischen oder kulturellen Umbrü-chen gelten. Dabei wird deutlich, dass sich derlei case his-tories nicht ohne Weiteres systematisierenden Parad-gimen unterwerfen lassen. Als Nachteil mag man geradeangesichts der Unterschiedlichkeit der Beiträge das Feh-len systematisch erschließender Indices erachten. Zwar istein Nachweis über die Autoren zitierter Sekundärliteraturbeigefügt, nützlicher wären jedoch wohl Nachweise zuDenkmälern, Textstellen, Orten und Themen. Die ‚For-schungsgeschichten‘ wiederum zeigen, wie sehr jede In-terpretation individuellen Konstellationen von Befundund Erkenntnisinteresse unterliegt. Insofern die Beiträgeauch aktuelle Ansätze in der disziplinären Auseinander-setzung dokumentieren, sind sie im Sinne einer kritischenkomparatistischen historischen Forschung zum ThemaRepresentations of Political Power sicher willkommen.

Bespr. von E. Cancik-Kirschbaum, Berlin,E-Mail: [email protected]

Jacobs, Bruno / Rollinger, Robert (Hg.): Der Achämeni-denhof. Wiesbaden: Harrassowitz 2010. XVII, 941 S.,59 Abb., 18 Tab. gr. 8° ¼ Classica et Orientalia 2.Hartbd. € 118,00. ISBN 978-3-447-06159-9.

Das Buch bietet mit seinen fast 1.000 Seiten die Zusam-menstellung der Vorträge des Kolloquiums „GriechischeGeschichtsschreibung und Altvorderasien: Der Achäme-nidenhof“, das auf dem Landgut Castelen bei Basel vom23.–25. Mai 2007 stattfand. Diese Veranstaltung ist derzweite Kongress, der unter dem Thema „Vorderasien imSpannungsfeld klassischer und altorientalischer Überlie-

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ferungen“ geführt wurde. Ziel dieser Symposia ist es, dieklassischen Überlieferungen mit den altorientalischenZeugen zu konfrontieren. Neben den Achämeniden be-schäftigte man sich 2006 mit den Schriften des Ktesias’,2008 bestimmten Herodot und seine Sicht auf den Orientdie Tagung.1 Dieser Ansatz ist insofern begrüßenswert,da die mit den Themen beschäftigten Fachrichtungen zu-meist nur begrenzt den direkten Austausch pflegen, dennfür Althistoriker und Altphilologen bilden die Texte derbetreffenden antiken Schriftsteller längst einen eigenenForschungsstrang, während die Altorientalisten die Per-serzeit, die zunehmend Beachtung findet, aus ihrer spezi-fischen Sicht betrachten. Die nun enge Diskussion führteunter anderem zu der Frage nach dem Orientbild im Wes-ten und dem Wahrheitsgehalt des griechischen Schrift-tums, das, wie die Herausgeber zu Recht schreiben, „mehrüber das Publikum verrät als über die historische Realität“(2). Obwohl diese Erkenntnis nicht neu ist, wird man alsAltorientalist teilweise immer noch seitens der Altertums-wissenschaftler damit konfrontiert, dass Ereignisse imPerserreich auf eine bestimmte Weise stattgefunden ha-ben müssten, da es in dieser Form zum Beispiel bei Hero-dot überliefert sei. Eine kritische Betrachtung der klassi-schen Quellen und ein Abgleich mit den altorientalischenZeugen ist deswegen nicht nur willkommen, sondern auchnotwendig.

Nach einer Einführung der Herausgeber (1–10), diealle Beiträge kurz vorstellt, gliedert sich das Buch in sie-ben Abschnitte, in denen die Aufsätze jeweils einemHauptthema unterstellt sind.

Der erste Hauptabschnitt ist betitelt „Vergleichsper-spektiven und systemtheoretischer Ansatz“ und bietet mitdem Beitrag von dem auf höfische (mittelalterliche) Kul-tur spezialisierten Althistoriker Jan Hirschbiegel, „Hof.Zur Überzeitlichkeit eines zeitgebundenen Phänomens“(13–37), eine distanzierte und gleichzeitig fächerübergrei-fende Basis zu den im Band besprochenen Thema.

Giovanni B. Lanfranchi beschäftigt sich in seinem Ar-tikel über „Greek Historians and the Memory of the Assyri-an Court“ (39–65) mit der von den Assyrern propagiertenGrausamkeiten gegenüber Feinden und deren Übernahmevon den Persern im Spiegel der griechischen Autoren.

Michael Jursa präsentiert mit der Abhandlung „Derneubabylonische Hof“ (67–106) eine Institution, die si-cherlich anregend für die persische Hoforganisation war.Obwohl die schriftlichen Quellen – der „Hofkalender“

und das „Palastarchiv“ des Nebukadnezar – sparsamsind, geben sie doch einen Überblick über das Hofper-sonal mit seinen Aufgaben. Vor allem ist interessant,dass man aufgrund der Listen der Nahrungsmittel weiß,dass nicht nur deportierte unterworfene Herrscher im Pa-last lebten und diplomatische Boten aus anderen Län-dern dort versorgt wurden, sondern dort auch speziali-sierte Handwerker aus Ägypten, Iran, der Levante undKleinasien wohnten, von denen einige als Gefangene insLand gekommen waren. Das Wirken von fremden Hand-werkern am Hof hat Tradition im Alten Orient, so dassdiese Tatsache nicht verwundert.2 Betrachtet man vordem neubabylonischen Hintergrund den Gründungstextdes Dareios I. aus Susa,3 der die Handwerker des Palast-baus auflistet, die aus zahlreichen Satrapien des per-sischen Großreichs stammten und die aufgrund ihrerHerkunft als Spezialisten für unterschiedliche Tätigkeitengalten, zeigt sich eine von den Persern bewusst fort-geführte Tradition. Der Hofkalender gibt Auskunft überdie verschiedenen Titel der Beamten und ihre Zuständig-keiten, wobei zahlreiche Hoftitel zu notieren sind, bei de-nen die im Titel genannte Funktion nichts mehr mit demAufgabenbereich der betreffenden Person zu tun hatte.Jursa weist bezüglich des viel diskutierten Titels rab ša-rēšī (Obereunuch) auf iranische und elamische adäquateBezeichnungen hin, die ihrerseits auf eine Deutung desTitels als „Oberkämmerer“ hindeuten (87).

Als ein weiterer Vorläufer für den Hof der Achämeni-den kommen die Elamer in Betracht, denen sich DanielT. Potts in seinem Beitrag „Monarchy, Factionalism andWarlordism: Reflections on Neo-Elamite Courts“ (107–137) widmet. Allerdings lassen weder die archäologi-schen noch die inschriftlichen Hinterlassenschaften einauch nur annähernd vollständiges Bild entstehen. Viel-mehr sind die Untersuchungen durch Schwierigkeiten ge-prägt, da allein schon die fremden (= assyrischen) undeinheimischen (= elamischen) Königslisten sich nichtentsprechen (133).

Im letzten Beitrag der ersten Sektion schaut Alessan-dra Coppola mit „Alexander’s Court“ (139–152) auf einen

1 J. Wiesehöfer / C. Binder / R. Rollinger (Hrsg.), Die Welt des Ktesi-as / Ctesias’ World, Classica et Orientalia 1, Wiesbaden 2011; R. Rol-linger / B. Truschnegg / R. Bichler (Hrsg.), Herodot und das Per-sische Weltreich, Classical et Orientalia 3, Wiesbaden 2011.

2 Hochqualifizierte Handwerker werden als „Geschenk auf Zeit“von einem Herrscher einem befreundeten Herrscher geliehen, vgl.zum Beispiel einen Brief des ugaritischen Königs, der – vergeblich –in Ägypten um Handwerker bittet: Texte aus der Umwelt des AltenTestaments N.F. 3, Gütersloh 2006, 256f. Siehe auch die allgemei-nen Überlegungen zu wandernden Handwerkern von W. Burkert,Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Lite-ratur, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaf-ten Jg. 1984, Ber. 1, Heidelberg 1984, 26–28.3 Bauinschrift des Dareios I.: R. Schmitt, Die altpersischen Inschrif-ten der Achaimeniden, Wiesbaden 2009, 127–134.

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jüngeren Hof, in dessen Organisation sich ein Nachlebendes achämenidischen Hofes spiegeln könnte, gilt Alexan-der der Große doch durchaus auch als ein Bewundererder orientalischen Pracht. Coppola zeigt anhand zahlrei-cher Passagen, dass die griechischen Quellen kritisch ge-sehen werden müssen, waren sie doch von Griechen fürGriechen geschrieben und propagierten Alexander als ei-nen den Orientalen überlegenen Herrscher, der es nichtnur dem Perserkönig gleichtat, sondern ihn noch über-trumpfte. Mit der beschriebenen Übernahme orienta-lischer Sitten und deren Überhöhung durch den Make-donenherrscher versuchte man, Alexander gegen dieOrientalen abzusetzen. Coppola kommt zu dem Ergebnis,dass der Hof Alexanders grundsätzlich makedonisch ge-prägt war, wenngleich gelegentlich vom Osten lokaleSitten adaptiert wurden, so dass eine eigene Prägung ent-stand. So kann er nur bedingt als Spiegel für die Rekon-struktion des persischen Hof dienen.

Den zweiten Abschnitt des Buches, „Der Achämeni-denhof im Spiegel ausgewählter Quellen und Quellen-gruppen“, beginnt mit dem Artikel von Reinhold Bichler:„Der Hof der Achaimeniden in den Augen Herodots“(155–187). Das vielversprechende Thema kommt aber zueinem unerwarteten Ergebnis: Die einzelnen Episoden,die von Geschehnissen an persischen Königs- oder Satra-penhöfen berichten, erzählen nicht von Ereignissen inwohlorganisierten und von mit zahlreichem Personalausgestatteten Palästen, sondern erscheinen als „Kam-merspiele“, in denen die wenigen Handelnden vor un-scharf gezeichneten Fassaden agieren. Das mag zum ei-nen daher rühren, dass Herodot die Paläste nie miteigenen Augen sah und die Berichte seiner Zeitgenossen,die vor Ort waren, ihm keine weiteren Informationenüber Kulisse lieferten. Die überlieferte Präsentation vonXerxes mit seinem Gefolge in Sardis fällt etwas anschau-licher und ausführlicher aus, vielleicht weil Herodot hier-für zahlreiche Augenzeugen zur Verfügung standen. He-rodots Bild von den Persern als einfache, ungeschliffeneund damit archaisch raue und kämpferische Menschenmachte es der griechischen Welt plausibler zu verstehen,warum diese Barbaren gegen sie siegen konnten.

Ein weiterer griechischer Historiker wird von Christo-pher Tuplin vorgestellt: „Xenophon and AchaemenidCourts: A Survey of Evidence“ (189–230). Der Autorkommt zu einem ähnlichen Ergebnis wie Bichler, wenn-gleich die Kyropädie (205 ff.) auf den ersten Blick ergiebi-ger erscheint. Nur spiegeln die erbaulichen königlichenSzenen oft eher das Bekannte aus dem eigenen Umfeld wi-der als das fremde Orientalische und beschreiben den si-cherlich nicht in dieser Form vorhandenen Müßiggangund die Prunksucht. Der reale Ort der Geschehnisse, weil

dem Autor unbekannt, bleibt hingegen unbeschrieben.Tuplin diskutiert unter anderem das Fehlen einer Erwäh-nung von Persepolis (192 f.) bei Xenophon als einen derOrte, die der König ebenso regelmäßig aufsuchte wie Ba-bylon, Susa und Ekbatana, und fragt, ob nicht doch eineKenntnis dieses Ortes vorlag. Vom archäologischen Stand-punkt wäre hinzuzufügen, dass Persepolis sich in der ar-chitektonischen Anlage deutlich vom Palast in Susa unter-scheidet, der sich wiederum in seinem Baukonzept gutmit der sogenannten Südburg in Babylon vergleichenlässt. Das wirft die Frage auf, ob Persepolis mit seinen of-fenen, für die Organisation eines großen Hofes ungüns-tigen Hallen eine andere – unbekannte4 – Funktion alsdie eines zentralen Verwaltungszentrums des Reiches ein-nahm und deswegen dem Westen unbekannt oder un-wichtig blieb (siehe hierzu den interessanten Ansatz vonHuff, der den Apadana als Palast mit Wohnräumen rekon-struiert; 311–374). Obwohl man bei Xenophon eine aus-führliche Beschreibung von Architektur, Ausstattung undPersonal in den griechischen Quellen vermisst, dürfen sei-ne Beschreibungen vom Achämenidenhof, im Gegensatzzu einheimischen, also achämenidischen oder auch baby-lonischen Quellen (siehe oben, Beitrag Jursa), die in ersterLinie karge Verwaltungstexte sind, als anschaulich gelten.

Ausführlicher und detailreicher wird die räumlicheUmgebung in der Bibel geschildert, wie Hans-Peter Ma-thys in seinem Artikel „Der Achämenidenhof im AltenTestament“ (231–308) vor allem am Buch Ester zeigt. Obder Autor des Buches oder seine angenommenen Recher-chen in der Bibliothek von Alexandria dafür verantwort-lich sind, ist unbekannt. Interessanterweise aber stim-men sie teilweise mit den architektonischen Fundenüberein (Erwähnung eines Hofes und Thronsaals sowievon Säulen [Apadana?]), was aber nichts über die Au-thentizität der Geschichte sagt. Die Sitten und Gebräucheentsprechen dem typisch westlichen Bild der ausschwei-fenden und luxusliebenden Perser. Der Achämenidenhofdient in der Bibel nur als entfremdeter Ersatzschauplatzfür Lehrstücke über Auseinander- und Durchsetzungendes jüdischen Volks mit seiner andersgläubigen Umweltund propagiert so das erfolgreiche Leben der jüdischenDiaspora.

Der dritte Teil des Bandes widmet sich den Realienund Befunden: „Die achämenidischen Residenzen und

4 Die These, dass in Persepolis die Feierlichkeiten für ein Neujahrs-fest stattfanden, entbehrt jeder Basis, siehe zum Beispiel H. Sancisi-Weerdenburg, Nowruz in Persepolis, in: H. Sancisi-Weerdenburg / J.W. Drijvers, Through Traveller’s Eye. Achaemenid History VII, Lei-den 1991, 171–175. Zur identitätsstiftenden Bedeutung siehe im re-zensierten Werk den Beitrag von Huff (311 ff.).

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ihre Architektur“. Dietrich Huff bestreitet alleine diesenTeil mit seinen „Überlegungen zu Funktion, Genese undNachfolge des Apadana“ (311–374). Anhand genauerBetrachtungen der Ausgrabungsberichte der nördlichenRaumgruppen des Apadana und durch Vergleiche mitspäterer Architektur weist er nach, dass es in Persepolisdurchaus Wohntrakte gegeben haben könnte. Diese hät-ten sich um die Säle gruppieren können, die mehr-geschossig zu denken wären. Die Säle hätten sich – inAnalogie zu späteren Bauten – nach innen zum Haupt-saal öffnen können. Huff zeigt anhand zahlreicher Bau-ten, dass diese Tradition bereits vor-achämenidische Vor-läufer hatte, in Pasargadae ausgeprägt wurde und dannbis ins 20. nachchristliche Jahrhundert reichte. Somitwerden von Huff die Bauten in Persepolis als eindeutigeKönigsresidenzen angesehen. Dennoch wird man sichfragen müssen, warum der größte und südliche Teil desPalastes in Susa ganz mesopotamischen Vorstellungenentsprach, obwohl er zeitlich nach den Gebäuden in Pa-sargadae erbaut wurde. Waren diese Orte mit einer ande-ren Funktion und damit auch abweichenden Bedeutungversehen als Susa? Es stimmt nachdenklich, dass dieseStädte wahrscheinlich nicht den Griechen bekannt wa-ren, könnte man doch annehmen, dass über die gewalti-gen Säulenhallen berichtet worden wäre.

Im vierten Teil geht es um „Hofgesellschaft und Hofze-remoniell“. Das Thema von Bruno Jacobs ist „HöfischerLebensstil und materielle Prachtentfaltung“ (377–409).Die griechischen Texte, vor allem die Kyropädie, bietenmit zahlreichen detailfreudigen Beschreibungen ein Bild,das von einem Reichtum und Luxus am persischen Hofezeugt. Diese ist jedoch nicht, wie gerne polemisch in dengriechischen Texten vermerkt, als Dekadenz oder Merkmaleiner Verweichlichung zu deuten, sondern gehört zur Hie-rarchisierung und Selbstinszenierung der persischen Herr-scher, die damit der altorientalischen Tradition folgen.

Erich Kistler versucht einen Blick auf „Achämeni-dische Becher und die Logik kommensaler Politik im Reichder Achämeniden“ (411–451). Die in den griechischen Tex-ten propagierte Politik des Großkönigs, seine Gefolgsleutemit Geschenken in Form von Trinkgefäßen zu belohnen5

und so ihren sozialen Rang zu bestätigen, aber damit auchihre Abhängigkeit zu erkaufen, verursachte einen Umlaufder Gefäße in den Satrapien. Die Sitte, Geschenke von ei-nem König zu erhalten und wiederum ihm auch Geschen-ke zu machen, ist seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. für denAlten Orient belegt.6 Bei der hier vorgetragenen These

geht es vor allem um die in den griechischen Texten – alt-orientalische Schriftquellen bieten diesbezüglich keineBelege – erwähnten Becher und Schalen, die typische Ge-schenke gewesen sein sollen. Nach Kistler sprechen reicheGrabinventare für diese These, da in ihnen Schalen undBecher aus kostbarem Metall zutage kamen. Allerdingsmuss hinzugefügt werden, dass die meisten bislang be-kannten Gefäße aus Edelmetall nicht aus regulären Gra-bungen stammen. Bronzegefäße hingegen fanden sichvermehrt in Gräbern, meist aus dem levantinisch-syri-schen Bereich. Dass die Bronzen in Gräbern mit relativ rei-cher Ausstattung zutage kamen, sagt allerdings nichts da-rüber aus, wie sie zu dem einstigen Besitzer kamen: alsGeschenk eines Königs beziehungsweise des (Statrapen-)Hofs oder käuflich erworben. Vielmehr sprechen die ande-ren reichen Beifunde eher dafür, dass die Becher oderSchalen zum Lebensstandard des Verstorbenen gehörten.Das gilt auch für die gefundenen Edelmetallgefäße – siebelegen lediglich, dass wertvolle Gefäße mächtigen unddamit reichen Personen gehört haben. Ebenso bestätigengoldene Gefäße mit (Königs-)Inschriften nur, dass daskostbarste Material bei den Ranghöchsten der Hierarchieverwendet wurde. Ein Geschenkaustausch kann, abermuss meines Erachtens nicht grundsätzlich bei allen wert-vollen Gefäßen angenommen werden. Die von Kistler pro-pagierten Gegengeschenke seien auf den sogenanntenTributbringerreliefs in Persepolis abgebildet, da dort zahl-reiche Völkerschaften Gefäße tragen. In einer bis datomünzfreien Kulturlandschaft, in der meist mit Hacksilbergehandelt wurde, – die Dareikoi und Sigloi des Perserrei-ches fanden vor allem in Kleinasien Verwendung –, wirdman sich genauso gut vorstellen können, dass die zurSteuerabgabe auferlegten Schekel Edelmetall in Form vonGefäßen abgeliefert wurden. So würde es sich bei den Dar-stellungen am Apadana nicht um Präsente handelte. Kist-lers These beruht auf den zahlreichen, den Geschenkaus-tausch bestätigenden griechischen Texten; es bleibtaufgrund fehlender orientalischer Belege dennoch offen,inwieweit besonders die achämenidischen Schalen undBecher Indikator für bewusste Verflechtungen und Ab-hängigkeiten mit den Satrapien waren.

Maria Brosius stellt das „Hofzeremoniell“ vor (459–471), das allerdings ausschließlich aus Texten der grie-chischen Schriftsteller bekannt ist. Vor allem die Prosky-nese wird erwähnt, bei der Brosius offen lässt, ob es sichum Verbeugung, Kniefall oder Niederwerfen handelt. Daältere altorientalische Texte den Ausdruck vom „Küssender Füße“ als Demutsbezeugung kennen,7 handelt es

5 Vgl. für die vorachämenidischen Zeiten K. Radner, Eine bronzeneSchale mit neuassyrischer Inschrift, SAAB 13, 1999–2001, 17–25 bes.21.

6 Siehe zum Beispiel Texte aus der Umwelt des Alten TestamentsN.F. 3, Gütersloh 2006, 3 f., 76, 111 f.

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sich um eine Sitte, die Kyros sicher in Babylonien ken-nengelernt und von dort übernommen hatte. Da das so-genannte Schatzhausrelief in Persepolis aber nur eineVerbeugung zeigt, scheint es unterschiedliche Grade die-ser Geste gegeben zu haben.

Einem weiteren Ritus widmet sich Carsten Binder, in-dem er „Das Königszeremoniell der Achaimeniden“ be-spricht, das nur aus dem sehr jungen Text Plutarchs be-kannt ist (473–497). So wird von Binder die Quelle zuRecht im Detail auf Authentizität geprüft; sein Ergebnisbestätigt, dass die Textstelle für die Rekonstruktion desKrönungszeremoniells ungeeignet ist.

Arthur Keaveney beschäftigt sich mit „The Chiliarchand the Person of the King“ (499–508) und kommt zudem Schluss, dass dieser hohe Hofbeamte, der häufigdann in Texten erwähnt wird, wenn von Intrigen um denThron berichtet wird, eine besondere Macht entfaltenkann, weil es keine genaue Nachfolgeregelungen gab.

Hier schließt sich der Beitrag von Josef Wiesehöferüber „Günstlinge und Privilegien am Achaimenidenhof“anhand der griechischen Quellen an (509–530). Reale Ge-schenke (s. Beitrag Kistler) und ideelle Geschenke inForm von Positionen und Titeln bilden den Rahmen fürdie Aufstiegsmöglichkeiten am Hof.

Im fünften Teil wird „Der Achämenidenhof als religi-ons-, rechts- und wirtschaftspolitische Instanz“ beleuch-tet. Albert de Jong beginnt mit „Religion at the Achaeme-nid Court“ (533–558) und diskutiert das Verhältnis derachämenidischen Herrscher zum Zoroastrismus, den sei-ner Meinung nach diese mitgeprägt haben.

Robert Rollingers Beitrag hat zum Thema die „ExtremeGewalt und Strafgericht. Ktesias undHerodot als Zeugnissefür den Achämenidenhof“ (559–666). Besonders bei Ktesi-as spielt die Willkür der brutalen Gewalt des Perserkönigseine dominante Rolle, die aber nicht die tatsächlichen Ver-hältnisse widerspiegelt. Vielmehr wird im „miroir grecque“die demokratische Freiheit (des griechischen Bürgers) derangeblichen Unfreiheit (des persischen Untertanen) gegen-über gestellt. So müssen die Schilderungen beider Schrift-steller sehr differenziert gesehen werden.

Der Hofverwaltung widmet sich wiederum Wouter F.M. Henkelman in seinem Beitrag „‚Consumed before theKing‘. The Table of Darius, that of Irdabama and Irtaštu-na, and that of his Satrap, Karkiš“ (667–775). Die Per-sepolis Fortification Tablets bieten eine Fülle an Informa-tionen über das Prozedere der Verwaltung, die auf dieZeit der Anwesenheit des Königs ausgerichtet war. DieStellung des Herrschers wird unter anderem dadurch ge-

kennzeichnet, dass große Mengen von Nahrungsmittelnfür seine Tafel organisiert wurden, an denen aber wiede-rum auch unterschiedliche Personen des Hofes teilhattenund die somit zum redistributivem System gehörten. DasPrivileg der Tafel galt ebenfalls für zwei Palastdamenund einen Satrap aus Kerman. Henkelman wirft zudemnoch einen Blick auf die „Rund“-Reisen des Königs, diesich nicht auf die Palaststädte Ekbatana, Persepolis, Susaund Babylon beschränken (713 ff.), wie anhand von Täfel-chen mit Nahrungslisten deutlich wird.

In the „Babylonians at Susa. The Travels of Babyloni-an Businessmen to Susa Reconsidered“ (777–813) beschäf-tigt sich Caroline Waerzeggers mit dem Hintergrund derReisen von Babyloniern nach Susa, das in allen Fällen ein-deutig mit Susa in Elam identifiziert werden darf. Waer-zeggers Ergebnis aufgrund der Texte tendiert dahin, dassdie Reisen der Händler nach Susa, die immer dann statt-fanden, wenn der Perserkönig sich dort aufhielt, in ersterLinie keinen merkantilen Grund hatten, sondern mit derSteuerpolitik im Großreich in Verbindung zu bringen sind.

Im sechsten Abschnitt bildet „Der Achämenidenhofals Machtzentrum und Paradigma“ das Thema. Der poli-tischen Kontrolle der Satrapien seitens des Hofs widmetsich Matt Waters in „Applied Royal Directive: Pissouth-nes and Samos” (817–828). Er korrigiert die verbreiteteAnsicht, dass Satrapen im Agieren selbständig waren, so-lange sie den Steuerforderungen nachkamen, und belegt,dass der Großkönig sehr wohl alle Handlungen seiner Sa-trapen bestimmte.

Auch Deniz Kaptan geht in ihrem Beitrag „From Xe-nophon to Kritoboulos: Notes on Daskyleion and the Sa-trapal Court“ (829–852) der Frage nach dem Verhältnisvon Zentrum und Peripherie nach. Die bei Xenophon er-wähnten Vorgänge am Satrapenhof, die vom Umfeldnachgeahmt wurden, aber ihrerseits eine gewünschteImitation des Hofes des Großkönigs waren, versucht Kap-tan mit den archäologischen Hinterlassenschaften inVerbindung zu setzen. Auch wenn die Ausgrabungen inDaskyleion wenig dazu beitragen können, nimmt dieAusschmückung von westanatolischen Gräbern vor allemmit seinen Jagd- und Symposiumsszenen Themen der hö-fischen Repräsentation auf. Bezüglich der Frage, ob dieWiedergabe dieser Themen ‚angeordnet‘ oder nicht dochfreiwillig gewählt wurde, möchte ich zum einen auf Bru-no Jacobs8 hinweisen, der 2002 zu dem Ergebnis kam,

7 Chicago Assyrian Dictionary 11 = N Part II, Chicago 1980, 59: na-šāqu 3b.

8 B. Jacobs, Achämenidische Kunst – Kunst im Achämenidenreich.Zur Rolle der achämenidischen Großplastik als Mittel der herrscher-lichen Selbstdarstellung und der Verbreitung politischer Botschaf-ten im Reich, Archäologische Mitteilungen aus Iran und Turan 34,2002, 345–395.

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dass die Sujets der Großkunst in Kleinasien auf Eigenini-tiative der lokalen Herrscher zurückzuführen sind. Zumanderen ist zu beachten, dass die Darstellungen der Kö-nigsgräber in der Fars nicht nur anders als in Kleinasiengestaltet, sondern vor allem auch thematisch grundsätz-lich anders besetzt sind.

Das Thema von Margret C. Miller ist der schon vonKistler (s. o.) angesprochene königliche Geschenkaus-tausch sowie die im letzten Artikel genannte Imitationdes höfischen Lebens: „Luxury Toreutic in the WesternSatrapies: Court-Inspired Gift-Exchange Diffusion“ (853–897). Miller weist unter anderem anhand stilistischer Ele-mente nach, dass Gefäße und andere Gegenstände ausEdelmetall in der kleinasiatischen Satrapie Lydien so-wohl in offiziellen Ateliers als auch in privaten Werkstät-ten gefertigt werden konnten (860 f.).

Das Buch schließt mit einer einem Resümee und ei-ner Zusammenschau von A. Kuhrt (901–912) und JanHirschbiegel (913–924) ab. Es folgt ein Eigennamen- undOrtsnamenindex, bedauerlicherweise aber kein Sach-und vor allem kein Textstellenregister.

Da die Tagungsteilnehmer, respektive die Autoren,ihre Vorträge vor dem Treffen einsandten, bestand dieMöglichkeit auf Ausführungen der Kollegen einzugehen.Das führte zu einer fruchtbaren Verwebung mancher Ar-tikel.

Die Altorientalisten danken für eine kritische Heran-gehensweise an die Texte der antiken Schriftsteller, die„neu“ gelesen einige fest verankerte Bilder über die Per-ser revidieren beziehungsweise die sich als Quellen fürdie Achämenidenforschung untauglich erwiesen haben.Ein wenig bedauerlich ist, dass die archäologische Seitenicht mehr zur Rate gezogen wurde und die Veranstal-tung durch Althistoriker und Gräzisten dominiert wurde.Sicherlich bieten die archäologischen Funde und Befun-de nur für wenige Fragen präzise Antworten, aber dasgilt – wie in diesem Band deutlich vorgeführt – ebensofür die griechischen Quellen (vgl. zum Beispiel BeitragBinder). Insgesamt handelt es sich um einen sehr lesen-werten Band, der mit neuen Erkenntnissen und innovati-ven Idee aufwarten kann.

Bespr. von Ellen Rehm, Münster, E-Mail: [email protected]

Berndt, Dietrich (Hg.): Emilie Haspels, Midas City Exca-vations and Surveys in the Highlands of Phrygia. I amthe Last of the Travelers. With contributions by HaletÇambel. Istanbul: Arkeoloji ve Sanat Yayınları 2012.195 S., 91 Abb., 1 Kart. 8° ¼ Archaeology and Publicati-ons. Brosch. € 25. ISBN 978-605-396-029-4.

Im Gegensatz zu vielen anderen Wissenschaftszweigensind die Ergebnisse der Altertumswissenschaft generellund so auch die der Archäologie wesentlich durch diezeitgeschichtlichen Umstände, unter denen sie erarbeitetwurden, und die Persönlichkeit der ForscherInnen ge-prägt, die sie erarbeitet haben. Deshalb muss die Be-schäftigung mit der Forschungsgeschichte immer ein we-sentlicher Bestandteil jeder wissenschaftlichen Arbeitsein.

Vor diesem Hintergrund kommt dem autobiographi-schen Buch von Emilie Haspels, das von Dietrich Berndtunter Mitwirkung von Halet Çambel in gründlicher undvorbildlich distanzierter Form herausgegeben wurde,eine besondere Bedeutung zu. Denn es erschließt nichtnur die Hintergründe der bis heute grundlegenden Arbei-ten E. Haspels zur Kultur des phrygischen Berglandes,sondern es vermittelt einen lebensnahen Einblick in dieArbeits- und Lebensbedingungen während der späten1930er, den 1940er und den 1950er Jahre in verschiede-nen Regionen der Türkei; so werden erst durch diesesBuch die beschwerlichen Hintergründe der Entstehungvon E. Haspels „The Highlands of Phrygia: Sites and Mo-numents“ (Princton 1971) verständlich,1 das bis heuteden Ausgangspunkt für jedwede Beschäftigung mit derKultur des phrygischen Berglandes darstellt. Nach derLektüre dieser autobiographischen Zeilen wird deutlich,wie die genannten Arbeiten von E. Haspels in wesentli-chen Teilen erst durch ihre Persönlichkeit und ihre so be-dingte Herangehensweise möglich wurden.

Jedoch ist der Bericht der Ausgräberin über ihre Le-bens- und Arbeitsbedingungen in Midas Stadt nicht nurfür Spezialisten der phrygischen Kultur interessant. Viel-mehr erschließt er in leicht geschriebener Form unddurch die Herausgeber ergänzt mit wichtigen Details undreichhaltig bebildert das Alltagsleben in einer Region derTürkei, die bis heute zu den wenig besuchten gehört.Aus diesem Grund ist das Buch gerade auch für die Erfor-schung der Zeit der frühen Republik außerhalb der Me-tropolen eine reichhaltige Quelle, zumal es nur wenig

1 Das gilt ebenso für E. Haspels weniger bekanntes, jedoch ebensowichtiges Werk zur antiken Vasenmalerei (E. Haspels, Eski YunanBoyalı Keramiği, Istanbul 1946).

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vergleichbare Berichte gibt. Sowohl Ethnologen als auchHistorikern kann dieses Werk als Quelle dienen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der eher als Nebeneffektin diesem Werk an vielen Stellen aufscheint, ist die Proble-matik im Verhältnis zwischen verschiedenen Forscherper-sönlichkeiten, der Einfluß einzelner Charaktere auf die wis-senschaftliche Arbeit und die Auswirkungen dieser in denseltensten Fällen sichtbaren Faktoren auf die Ergebnisseund deren Publikation. Es wird exemplarisch deutlich, wiedas, was man letztendlich in einem Grabungsbericht nach-lesen kann, verschiedensten und für den Leser letztlichkaum zu kalkulierenden Einflüssen unterworfen ist. Diesewerden hier im Falle der Erforschung des phrygischenHochlandes in seltener Deutlichkeit aufgezeigt; ebensowird deutlich, wie unterschiedlich die Verhaltensweisenauch bedeutender Forscherpersönlichkeiten dem Gastlandund/oder Kollegen gegenüber sein konnten.

Das Buch vermittelt so in kurzweiliger Sprache, er-gänzt mit biographischen Details und anekdotischen Pas-sagen ein vielschichtiges Bild verschiedenster Lebens-bereiche in der Türkei der 1930er und 1940er Jahre, wieman es nicht häufig findet. Es ist ein großes Verdienstder Herausgeber dieses Bandes, der von E. Haspelsnicht fertig gestellt wurde, durch ihre Anmerkungen,ein Glossar und Register zu einem interessanten Buchgemacht zu haben. Ihrer Beharrlichkeit ist es außerdemzu verdanken, dass das Buch in der nun vorliegendenund gegenüber der ursprünglichen nun vor allem tech-nisch deutlich verbesserten Fassung erneut gedrucktwurde.

Bespr. von Andreas Schachner, Istanbul,E-Mail: [email protected]

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