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Kausalität im Süden

Date post: 30-Oct-2015
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  • Kausalitt im SdenNiklas Luhmann

    Zusammenfassung: Politische Entwicklungsplanungen, die rechtliche und

    monetre Mechanismen benutzen, haben sich als wenig erfolgreich

    erwiesen. Widerstand gegen Modernisierung ist, infolge dieser

    Erfahrung, durch Faktoren wie "Tradition", "Kultur", "Mentalitten"

    erklrt worden. Aber solche Erklrungen sind mehr oder weniger

    tautologisch geblieben. Es wird vorgeschlagen, sie durch einen Faktor zu

    ersetzen, den man als "soziale Konstruktion" von Kausalitt bezeichnen

    knnte.

    Nach jahrzehntelangen Forschungen ber Kausalattribution und

    Wahrnehmung kausaler Beziehungen kann man nicht mehr davon

    ausgehen, da Beziehungen zwischen Ursachen und Wirkungen

    objektive Sachverhalte der Welt seien, ber die dann wahre bzw.

    unwahre Urteile mglich sind. Vielmehr geht es um eine Unendlichkeit

    mglicher Kombination von Ursachen und Wirkungen, die nur extrem

    selektiv genutzt werden kann, wenn ein Zusammenhang von

    bestimmten Ursachen mit bestimmten Wirkungen irgendeinen

    kognitiven oder praktischen Sinn geben soll. In anderen Worten:

    Kausalitt ist ein Medium lose gekoppelter Mglichkeiten, dessen

    Verwendung eine Bildung von relationalen Formen, also eine feste

    Kopplung bestimmter Ursachen und bestimmter Wirkungen erfordert.

    Aussichten auf erfolgreiches Handeln ebenso wie das Beobachten der

    Intentionen anderer hngt von einer solchen Formselektion ab. Dabei

    handelt es sich um soziale Konstrukte, deren Konstruktion jedoch nicht

    wie eine Meta-Ursache, gleichsam als Ursache der Kausalitt selbst, in

    das Kausalschema aufgenommen wird. Vielmehr dient die Formbildung

    als "blinder Fleck", der es berhaupt erst ermglicht, Kausalitt zu

    sehen und zu benutzen.

    Wenn eine Gesellschaft daran gewhnt ist, Kausalitt in personalisierten

  • sozialen Netzwerken zu lokalisieren und Erfolge bzw. Mierfolge vom

    Gebrauch dieser spezifischen Form von Kausalitt zu erwarten, wird es

    sehr schwierig sein, an diesen Bedingtheiten etwas zu ndern, wenn

    nicht als Ersatz gleichermaen handliche Kausalformen zur Verfgung

    gestellt werden knnen. Mehr Geld und mehr Rechtsvorschriften werden

    nur dazu dienen, die Wirksamkeit der Kontakte des Netzwerks zu

    erproben und zu besttigen.

    I.

    Forschungen ber die besonderen Strukturen und Probleme des

    "Mezzogiorno" Italiens sind in groer Zahl durchgefhrt oder jedenfalls

    projektiert und finanziert worden. Im folgenden geht es um eine

    Revision ihrer theoretischen Grundlagen.

    Im typischen Falle geht man von Unterschieden in der "Kultur" oder der

    "Mentalitt" der Bevlkerung des Sdens aus. Man hat empirische

    Befunde genug, die belegen, da es solche Unterschiede gibt. Unsere

    Frage ist, was es besagt und welche Konsquenzen es hat, wenn sie ber

    Begriffe wie "Kultur" oder "Mentalitt" in die Literatur und in die weitere

    Forschung eingefhrt werden.

    Beide Begriffe eignen sich dazu, Unterschiede sichtbar zu machen. In

    der Tat ist der Begriff "Kultur" in der zweiten Hlfte des 18.

    Jahrhunderts konstruiert worden, um vergleichende Darstellungen, sei

    es in regionaler, sei es in historischer Sicht, mit einem bergreifenden

    Begriff zu versorgen. Erfolge in Richtung einer Erweiterung des

    europischen Horizontes bis ins Entlegene und Esoterische sind nicht zu

    bestreiten. Kultur scheint es immer und berall gegeben zu haben,

    solange und soweit es Menschen gibt. Theoretisch hat dieser Begriff

  • jedoch wenig erbracht. Vor allem ist unklar geblieben, wovon sich Kultur

    unterscheidet, wenn alle Artefakte, einschlielich Texte, einschlielich

    sogar der jeweiligen Vorstellung von "Natur" als "Kultur" zu verstehen

    sind. Ebenso unklar bleibt der Begriff der Mentalitt, der sogar die

    wichtige Unterscheidung von kommunikativen und intrapsychischen

    Prozessen, ber die man mindestens seit der Romantik verfgt, ignoriert

    oder doch sabotiert. Wenn aber ein Begriff nicht klarstellen kann, was

    durch ihn ausgeschlossen wird, was also die andere, nicht bezeichnete

    Seite seiner Form ist, sind wissenschaftliche Ertrge nicht zu erwarten.

    Das mag dazu gefhrt haben, da man sich gentigt sah, "harte"

    Naturwissenschaften und "weiche" Geisteswissenschaften (oder

    "science" und "humanities") zu unterscheiden. Zugleich knnte hier

    einer der Grnde liegen, weshalb die Feststellung von Unterschieden in

    der Kultur und den Mentalitten des Sdens im Vergleich zu den Zentren

    der modernen Gesellschaft ebenso inspirativ wie unergiebig geblieben

    ist. Wissenschaftlich, aber auch politisch.

    II.

    Da man so intensiv und so lange mit dem Begriff der Kultur und mit

    Mentalittsvergleichen gearbeitet hat, mag mit bestimmten

    Eigentmlichkeiten der neuzeitlichen Semantik Europas

    zusammenhngen. Wir konzentrieren uns auf zwei Konzepte: auf ein

    vorwiegend technisches Verstndnis von Rationalitt und ein vorwiegend

    liberales bzw. sozialistisches Verstndnis von Freiheit. Die Entstehung

    von Geisteswissenschaften scheint das Ergebnis oder auch die

    Kompensation dafr gewesen zu sein, da mit dieser Engfhrung der

    Semantik von Rationalitt und Freiheit wichtige Probleme der modernen

    Gesellschaft nicht zu fassen waren und dann gleichsam als

  • Restprobleme untergebracht werden muten. Der rationalen

    "Entzauberung" der Welt (Max Weber) entsprach sehr berzeugend eine

    Verinnerlichung des Freiheitsverstndnisses und die Dauerklage ber

    Entfremdung im Gebrauch der angeborenen Freiheit. Aber so

    berzeugend diese Gegenberstellung gelungen war: sie scheint heute

    eine ausreichende Beschreibung der modernen Gesellschaft eher zu

    behindern als zu frdern. Es handelt sich um ein Relikt der

    "brgerlichen" (technisch-rationalen, fortschrittlichen, liberalen oder

    sozialistischen) Gesellschaft.

    Die Vorstellungen ber technische Rationalitt gehen zurck auf eine

    radikale Vereinfachung des aristotelischen Vier-Ursachen-Schemas. Fr

    Aristoteles waren Ursachen alle Bedingungen, denen Seiendes sein Sein

    verdankt, also neben den Wirkursachen auch das angestrebte Ende

    (tlos), die bestimmungsbedrftige Materie und die Form. Davon blieb,

    soweit es um Kausalitt geht, nur eine einzige, die sogenannte

    mechanische Kausalitt.(1) Das Ergebnis war eine gewaltige

    Ausdehnung des Anwendungsbereichs dieser einen Kausalitt. Sie war

    sozusagen nicht mehr auf ein Zusammenwirken mit anderen

    Kausalitten im schn geordneten Kosmos verpflichtet und nicht mehr

    durch deren Interferenzen bedroht und eingeschrnkt. Statt dessen

    mute sie sich andere Einschrnkungen suchen, etwa solche der

    Mathematik (die einen Verzicht auf zeitliche Irreversibilitt implizieren)

    oder in der Form von empirisch getesteten Kausalgesetzen oder

    schlielich in der Form statistischer Wahrscheinlichkeiten des Erzielens

    bestimmten Wirkungen durch die Aktivierung bestimmter Ursachen.

    Zugleich wurden die Zwecke entteleologisiert, das heit: nicht mehr als

    Komponenten der Kausalitt selbst behandelt, sondern nur noch als

    Vorstellungen, die den Einsatz menschlichen Handelns zum Bewirken

    von Wirkungen motivieren. Die Folge ist: da Zwecke einen "Wert"

  • haben mssen und ber die Werte einer sozialen Aufsicht unterliegen

    oder wie man im 19. und 20. Jahrhundert dann sagen wird: Institution

    werden knnen.

    Bei aller Kritik der Konsequenzen moderner technischer

    Kausalrationalitt, wie wir sie bei Max Weber oder beim spten Husserl

    finden: die Institutionalisierung von Rationalitt scheint unangefochten

    in Geltung zu stehen - wenn nicht in Bezug auf das Privatleben so doch

    in den Anforderungen an Organisationen.(2) Die Erwartungen knnen

    sich von der Annahme einer linearen Ursache-Wirkung-Kausalitt schwer

    lsen. Denn wie sollte man sich eigenes Handeln oder das Handeln

    anderer vorstellen, wenn man nicht erwarten knnte, da das Handeln

    im Regelfalle die beabsichtigten Effekte hat. Es ist kaum denkbar, da

    man diese Vorstellung frontal attackiert. So viel Unplausibilitt kann

    selbst die Wissenschaft sich nicht leisten. Und trotzdem werden wir

    fragen mssen, ob Kausalitt richtig verstanden ist, wenn man sie schon

    durch ihren Begriff auf eine feste, technisch verfgbare Koppelung von

    Ursachen und Wirkungen reduziert.

    Parallel zur Festlegung auf technisch-rationale Kausalitt war die liberale

    Theorie vom 17. bis zum 20. Jahrhundert von der Unterscheidung

    Freiheit und Zwang ausgegangen. Die Konzeption einer natrlichen, also

    angeborenen Wahlfreiheit war immer schon ein Erfordernis der Ethik

    gewesen (und dies unabhngig von der Frage der politischen Freiheit,

    die man nur auf Stdte oder Territorialherrschaften bezogen hatte).

    Auch wenn nach den Religionskriegen normative religise,

    naturrechtliche, ethische Beschrnkungen der Freiheit mehr und mehr in

    Kontroversen (vor allem: in Begrndungskontroversen) gerieten, blieb

    die Freiheit des Individuums als gemeinsame Voraussetzung aller

    Bemhungen um normative Regulierung zurck. Der moderne

    Individualismus eignete sich vorzglich zur Dekonstruktion alter sozialer

  • Einteilungen, vor allem solcher der Nationen, der Stratifikation, der

    Patron/Klient-Gruppierungen, der Kirchen und Sekten und hatte damit

    eine neue Funktion, ein Existenzrecht unter ganz anderen sozialen

    Bedingungen. Freiheit wurde einerseits von Zwang unterschieden;

    andererseits aber auch als in sich beschrnkt gedacht: als Ausschlieung

    von Willkr (licentia), wenn nicht gar als angewiesen auf vernnftigen

    Gebrauch.

    Wenn im Gegensatz zu Zwang definiert, gert die individuelle Freiheit in

    einen unlsbaren Gegensatz auch zur sozialen Ordnung, die ihr immer

    Beschrnkungen setzen mu. Rousseau hatte diesen Konflikt

    bekanntlich durch Eliminierung aller besonderen Abhngigkeiten in der

    Gesellschaft vermeiden wollen, "parce que toute dpendence particuliere

    est autant de force te au corps de l'Etat".(3) Aber um so dramatischer

    tritt er dann im Verhltnis von Individuum und Staat auf. Eben deshalb

    mute man auf Seiten des Individuums mit Vernunftzumutungen

    nachhelfen und auf Seiten des Staates mit verfassungsrechtlichen

    Vorkehrungen. Der beides zusammenfassende Titel lautete bei Rousseau

    volont gnrale.

    Diese Konstellation hat die allmhliche Abschwchung der

    Vernunftzumutung und den Zusammenbruch der Unterscheidung

    empirisch/transzendental berdauert. Sie hat sich zwar als radikaler

    Republikanismus, als Ausschaltung aller intermediren Instanzen der

    Einschrnkung von Freiheit - sei es des Individuums, sei es des Staates

    - nicht durchfhren lassen. Sie hat gleichwohl die politisch-ideologischen

    Kontroversen zwischen Liberalismus und Sozialismus berdauert; denn

    in diesen Kontroversen ging es nur um die Art des Zwanges, der die

    Freiheit unter modernen Bedingungen einschrnkt: staatliches Recht

    oder kapitalistische Fabrikorganisation. Sie findet sich, wieder und

    wieder copiert, in den Programmen der politischen Parteien

  • demokratischer Staaten und in ihrer Wahlkampfrhetorik. Und immer ist

    die Freiheit die positive, der Zwang die negative Seite dieser

    Unterscheidung. Man knnte in Bezug auf diese persistente Prominenz

    von semantisch codiertem Individualismus sprechen.

    In der offiziellen Kultur herrschen diese Schemata der technischen

    Rationalitt und der individuell fundierten Freiheit nach wie vor. Es gibt

    eine romantische Gegenkultur, es gibt zahllose Anstze zur Kritik der

    modernen Gesellschaft; aber solche Bestrebungen leben davon, da

    das, wogegen sie sich wenden, den ersten Platz besetzt hlt. Und doch

    gibt es deutliche Zeichen dafr, da diese beiden aufeinander

    abgestimmten Schemata nur noch wie kulturelle Fiktionen fortexistieren.

    Denn in der sozialwissenschaftlichen Forschung sind sie seit langem

    unter dem Mikroskop empirischer Untersuchungen aufgelst worden.

    Fr die Kausalannahmen gilt dies vor allem dank der sogenannten

    Attributionsforschung. Ausgehend von der Frage, wie Kausalitt

    berhaupt beobachtet werden kann,(4) hat sich das Interesse auf den

    Zurechnungsproze verschoben. Die Frage lautet nicht mehr, welche

    Ursache welche Wirkung hat, sondern wie eine Zuordnung von

    Wirkungen auf Ursachen und von Ursachen auf Wirkungen konstruiert

    wird; und vor allem: wer bestimmt, was dabei unbercksichtigt bleiben

    kann. Und wie immer, wenn die Forschung von Was-Fragen auf Wie-

    Fragen umgestellt wird, kommen dabei Strukturen in den Blick, die den

    Ausschlag dafr geben, da bestimmte Zusammenhnge gesehen und

    andere ebenfalls mgliche Zusammenhnge nicht gesehen werden. Die

    Forschung nimmt, in Begriffe der Kybernetik und der Systemtheorie

    bersetzt, die Perspektive eines Beobachters zweiter Ordnung ein. Das

    heit: sie beobachtet, wie Beobachter, die Kausalaussagen machen,

    beobachten.(5)

  • Die Annahme einer im Individuum immer schon gegebenen, also nur

    durch Vernunft oder durch Zwang einschrnkbaren Freiheit hat ein ganz

    anderes Schicksal gehabt: Sie ist als Unterscheidung

    zusammengebrochen. Wie soll man unterscheiden knnen, so ist zu

    fragen, ob jemand auf Grund von Freiheit oder auf Grund von Zwang

    handelt? Das war schon ein Problem der kantischen Theorie gewesen:

    Wie soll sich jemand moralisch frei entscheiden knnen, wenn er

    zugleich auch rechtlich gezwungen werden knnte und das wei? Oder

    noch lter: wie kann jemand nur um der Tugend willen handeln, wenn

    er wei, da Tugend mit sozialer Anerkennung belohnt wird? Oder

    heute: handelt jemand, den man mit ber-Ich vollgestopft hat, frei oder

    unfrei? Auch hier wirft uns diese Ambiguitt zurck auf ein Problem der

    Beobachtung zweiter Ordnung: Wer zieht in solchen Fllen die Grenze

    zwischen Freiheit und Zwang? Wer konstruiert die Unterscheidung?

    Warum diese und keine andere? Wer ist der Beobachter, der

    beobachtet, wie ein anderer sich seine Freiheit und sein Gezwungensein

    zurechtlegt, wie er external oder internal zurechnet? Auf Grund welcher

    Charaktermerkmale und in welchen Situationen?

    Die empirische Sozialforschung, und zwar weniger die Soziologie als

    vielmehr die Sozialpsychologie, hat die relativ schlichten, und eben

    deshalb wirksamen, Prmissen der technisch-rationalen Kausalitt und

    der individuellen Freiheit pulverisiert. Aber sie hat keinen ebenso

    wirksamen Ersatz geschaffen. Sie hat aufgelst, aber nicht

    rekonstruiert. Daher stellen technisch-rationale Kausalitt und

    individuelle Freiheit immer noch ihre Ansprche, besonders an die

    Politik. Die Technik soll auf Umweltschonung und Risikovermeidung

    umdirigiert werden, was voraussetzt, da man Effekte kennen und

    kontrollieren kann. Die Individuen wollen "emanzipiert" werden (oder

    zumindest wird ihnen eine solche Ambition zugemutet). Und schlielich

  • beruht alle Aufarbeitung von Zivilisationsschden - Therapie,

    Sozialarbeit, Entwicklungshilfe usw. - auf solchen Vorgaben. Man kann

    eine Diskrepanz zwischen verfgbarem Wissen und rhetorischen

    Formulierungen beobachten, auch eine Diskrepanz zwischen dem, was

    man wissen kann, und derjenigen Sprache, mit der man Finanzierungen

    erreichen kann. Aber das sind deutlich bergangssituationen, die auf

    bessere Theorieangebote warten.

    III.

    Auf Grund der Kritik blicher Vorstellungen ber Kausalitt und ber

    Freiheit drfte es nicht schwer fallen, die in diesen Begriffen steckenden

    Beobachtungsdirektiven zu reformulieren. Wir suchen damit Konzepte,

    die historisch und regional vergleichende Untersuchungen anleiten

    knnen und die in ihrer theoretischen Prgnanz den Begriffen "Kultur"

    und "Mentalitt" berlegen sind. Dem liegt die Annahme zugrunde, da

    eine Begriffsrevision nicht nur die Vorstellungen ber Kausalitt und

    Freiheit besser an bereits verfgbares Wissen anpat, sondern zugleich

    bessere Ausgangspunkte fr vergleichende Untersuchungen bietet. Denn

    sie ermglichen es, davon auszugehen, da Kausalitt nicht einfach eine

    freischwebende Konstruktion ist, die nur nach wahr oder unwahr oder

    Funktionieren/Nichtfunktionieren zu beurteilen wre, und da Freiheit

    nicht nur ein normatives Postulat ist in dem Sinne, da mehr davon

    (man sagt: "Emanzipation") gut wre, sondern da es sich in beiden

    Fllen um Konstruktionen handelt, deren Anwendung unter regionalen

    und historischen Sonderbedingungen gelernt werden mu und im

    Bewhrungsfalle nur schwer zu revidieren ist. Bewhrtes lt sich

    schwer stornieren, wenn nicht sehr konkrete bessere Mglichkeiten

    angeboten werden.

  • Fr einen nach Kausalzusammenhngen fragenden Beobachter ist das

    Problem der Zurechnung nur deshalb relevant, weil mit dem Begriff der

    Kausalitt noch keine Festlegung auf bestimmte Zusammenhnge

    zwischen Ursachen und Wirkungen erfolgt. Sowohl in Richtung Ursachen

    als auch in Richtung Wirkungen fhrt Kausalitt in Endloshorizonte - und

    dies nicht nur in linearer Sukzession (also zeitlich), sondern zugleich

    kaskadenhaft in beliebig viele benennbare Mitursachen und

    Nebenwirkungen. Hinzukommt, da wir gewohnt sind, auch mit

    negativen Kausalitten zu rechnen, zum Beispiel mit Unterlassungen,

    mit Ausfall von Elektrizitt (und natrlich mit Folgen eines Todesfalles);

    und da wir auch Strukturen Kausalitt zuschreiben, zum Beispiel der

    "Klassenstruktur" der modernen Gesellschaft oder den feedback-

    Schleifen der Kybernetik. Viele Zuflle, Vorflle, Unflle haben

    weitreichende Folgen (so rechnen wir zu!), weil man mit ihnen nicht

    gerechnet hatte.

    Diese einfache berlegung zwingt uns, in das Kausalschema eine

    Unterscheidung einzubauen, die quer steht zu der Unterscheidung von

    Ursachen und Wirkungen. Kausalitt ist einerseits ein Medium des

    Beobachtens und andererseits eine Form.(6) Als Medium dient

    Kausalitt, wenn man von massenhaft gegebenen, aber nur lose

    gekoppelten, nur hin und wieder, nur unter besonderen Bedingungen

    zusammenwirkenden Kausalfaktoren ausgeht. Kausale Formen ergeben

    sich dagegen bei festen oder doch im Normalfalle erwartbaren

    Kopplungen - so wie man wei, da ein Ei zerschellt, wenn man es auf

    den Boden fallen lt, und es nicht davonschwebt (wie es im Weltraum

    geschehen wrde). Als Medium ist Kausalitt die bloe Mglichkeit einer

    Zurechnung von Wirkungen auf Ursachen. Als Form ist Kausalitt

    vollzogene Zurechnung, die von Situationen, aber auch von

    Auswahlgepflogenheiten des Beobachters abhngt. Man kann, anders

  • gesagt, Kausalitt als Schema einer mglichen Weltbeschreibung

    akzeptieren, ohne mit der spezifischen Zurechnung eines bestimmten

    Beobachters in bestimmten Situationen einverstanden zu sein.

    Medium und Form sind nicht etwa zwei ontologisch getrennte

    Existenzweisen. Vielmehr handelt es sich um ein als Einheit

    konstituiertes Beobachtungsschema, dessen Komponenten einander

    wechselseitig bedingen. So ist auch Sprache ein Medium, dessen

    Elemente (Wrter) nur reproduziert werden, wenn sie fallweise in der

    Form von Stzen so kombiniert werden, da sie einen verstndlichen,

    kommunizierbaren Sinn ergeben. Auch Kausalitt ist Kausalitt nur,

    wenn und soweit dies spezifische Medium zu Formen kondensiert - zu

    Beobachtungen und Beschreibungen vom Typ "A bewirkt B". Die Form

    impliziert, da andere Kausalverlufe dadurch ausgeschlossen sind -

    etwa "Nicht-A bewirkt B". Aber dieser Ausschlu bezieht sich nur auf die

    konkret realisierte Kausalitt. Er lt es durchaus zu, da gleichzeitig

    und in riesigen Mengen andere Kausalverlufe realisiert werden.

    Das Medium erscheint, anders gesagt, nur in seinen jeweils realisierten

    Formen. Als solches bleibt es unsichtbar. Es wird nur dadurch

    reproduziert, da laufend Formen gebildet werden. Wrde das (aus

    welchen Grnden immer) nicht geschehen, gbe es auch keine

    Kausalitt. Ferner folgt aus dieser Unterscheidung Medium/Form, da

    das Medium invariant bleibt, die Formen dagegen variabel reproduziert

    werden: von Moment zu Moment andere. Formenbildung erfolgt strikt

    zeitpunktgebunden, und nur deshalb ist es von Interesse, nach

    Mglichkeiten nahezu-identischer Wiederholung zu fragen im Sinne von:

    Ein Ei fallen lassen, noch ein Ei fallen lassen. Alle

    informationsverarbeitenden Operationen, seien es Bewutseinsakte,

    seien es Kommunikationen, die selbst nur aus Ereignissen bestehen,

    suchen und finden Redundanzen, das heit: Hinweise in dem, was

  • vorliegt, auf das, was folgen wird. Man denke zum Beispiel an

    Wettervorhersage - eine ehemals freie, heute durch Satelliten und

    Fernsehen professionell gewordene Praxis. Nur durch ausreichende

    Redundanzen kann die sequentielle Reproduktion des jeweiligen

    Systems gesichert werden. Nur weil diese Zeitpunktgebundenheit aller

    Beobachtungen Wiederholbarkeit zum Problem, ja der Lebenserfahrung

    nach zur Ausnahme werden lt, gibt es ein Problem des Gedchtnisses

    und des Lernens. Man kann davon ausgehen, da die Hauptfunktion des

    Gedchtnisses im Vergessen, im Wiederfreimachen von Kapazitten fr

    Aufmerksamkeit und fr Kommunikation besteht, da aber eben deshalb

    das wiederholt Vorkommende bevorzugt erinnert und ber alle

    Situationsunterschiede hinweg identifiziert wird. Mit einem Begriff von

    Heinz von Foerster (siehe Frster 1948) kann man sagen, da das

    Gedchtnis auf laufende "Reimprgnierung" angewiesen ist, um die

    heilsame Funktion des Vergessens zu blockieren. In der diffus erlebten

    und rasch wieder vergessenen Wirklichkeit bieten Kausalformen, und

    zwar deshalb, weil es relationale und damit auergewhnliche Formen

    sind, einen besonderen Anreiz fr Erinnerung und fr Lernen. Man

    erwartet und testet gegebenenfalls Wiederholbarkeit. Jemand hatte in

    einer schwierigen Lage geholfen und damit gezeigt, da er ber

    Kompetenz und Macht verfgt, die man in hnlichen Situationen

    wiederbenutzen kann.

    Die Formen, die man im Kausalschema festlegt, um etwas zu erklren

    oder zu planen, fixieren deshalb zugleich Unterscheidungen gegenber

    dem, was auer Acht bleiben und Vergessen werden kann. Das

    Kausalschema ist eine Unterscheidungen bewahrende Struktur (vgl.

    Heylighen 1989). Und selbst wenn Korrekturen notwendig werden, mu

    man zurckgreifen knnen auf das, was sich bewhrt hat, und das, was

    sich nicht bewhrt hat.

  • Eben deshalb versteht es sich keineswegs von selbst, da Menschen

    oder soziale Systeme ber die Fhigkeit verfgen, im Kausalschema zu

    lernen und Gelerntes zu kommunizieren. Das ist nicht zuletzt auch eine

    Frage der dafr geeigneten Sprache. Und selbst wenn diese Fhigkeit als

    selbstverstndlich vorausgesetzt werden kann, und das kann man unter

    heutigen Bedingungen weltweit unterstellen, ist es immer noch eine

    offene Frage, was genau gelernt wird - also wie Kausalformen auffallen,

    wie sie ber eklatante Unterschiede hinweg identifiziert werden, welche

    Rolle dabei Personen spielen in dem Sinne, da Kausalannahmen (Macht

    zum Beispiel), die fr eine Person gelten, fr andere nicht gelten, und

    was fr Unterschiede ber solche Unterschiede kulturellen Lernens

    produziert und reproduziert werden. Die primre Funktion von

    Kausalkonstruktionen drfte es sein, auf Unterschiede aufmerksam zu

    machen und sie zu bewahren; und erst wie das konkret geschieht (ob

    zum Beispiel festgemacht an Personen oder Werkzeugen, an chemischen

    Eigenschaften oder an Rechten, die man durchsetzen kann), dirigiert

    Lernprozesse.

    IV.

    Auch im Verstndnis von Freiheit hilft uns die sozialwissenschaftliche

    Kritik auf den Weg. Denn wenn die Unterscheidung von Freiheit und

    Zwang implodiert und Freiheit nicht mehr durch ihren Gegenbegriff als

    Abwesenheit von Zwang definiert werden kann, mu man ein anderes

    Verstndnis vorschlagen - oder diesen hochgeliebten Begriff aufgeben.

    Die Frage lautet also: woran erkennt jemand, da er frei ist, wenn er es

    nicht daran erkennen kann, da er nicht gezwungen wird?

    Diese Frage verschiebt unser Problem in die weitere Frage nach den

    kognitiven Voraussetzungen von Freiheit. Freiheit entsteht berhaupt

  • erst, wenn man Wahlmglichkeiten erkennen kann. Freiheit wird, kann

    man auch sagen, durch Wissen generiert; was auch heit: durch Wissen

    manipulierbar. Solche kognitiven Bedingungen von Wahlfreiheit nehmen

    nicht die Form von Regeln an, die anzuwenden wren. Sie sind deshalb

    in ihrer Freiheit begrndenden Form nicht leicht zu erkennen. Sie

    erzeugen nur einen Bereich mglicher Optionen, der dann durch Regeln

    und Prferenzbildung eingeschrnkt werden kann. Das heit auch, da -

    im Gegensatz zu methodologischen Annahmen vieler

    "kulturvergleichender" Forschungen - direkte Rckschlsse von Kultur

    auf Verhalten nicht mglich sind.(7)

    Akzeptiert man diesen Ausgangspunkt, dann werden zahllose

    Phnomene lebendig, ohne da zunchst eine Ordnung erkennbar wird.

    Vor allem wird man die Vorstellung aufgeben mssen, da Freiheit mit

    Macht oder mit sozialem Status korreliert. Das kann der Fall sein, wenn

    herausgehobene soziale Positionen mehr Mglichkeiten bieten, sich

    Informationen zu beschaffen; aber dann ist wiederum Kognition die

    eigentliche Quelle von Freiheit und Status eine von vielen Bedingungen.

    Hat ein Chirurg mehr Freiheit, der wei, welchen Spielraum er bei der

    Entscheidung fr oder gegen eine Operation und bei ihrer Durchfhrung

    hat; oder ein Obdachloser, der wei, wo man bei welchem Wetter am

    besten bernachtet (Parkbnke, U-Bahnschchte, unter Brcken, in

    Eingngen von Brohusern), und der wei, wo man die vom

    Supermarkt ausrangierten Lebensmittel findet? In jedem Falle wre der

    Obdachlose am Operationstisch ebenso hilflos wie der Chirurg auf der

    Parkbank, wenn es nach Regen aussieht. Der Alltag bietet jede Menge

    von Belegen: Der Strom fllt aus, und man sitzt im Dunkeln. Hier sind

    Raucher im Vorteil, denn sie wissen, wo die Streichhlzer sind. Nur

    wenn der Jugendliche wei, wo die Jugend des Ortes sich abends trifft,

    kann er entscheiden, ob er hingeht oder nicht. Freiheit ist "der Witz des

  • Gefangenen, mit welchem er nach Mitteln zu seiner Befreiung sucht".(8)

    Und ein Politiker (selbst hchsten Ranges) mu wissen knnen, wie die

    Presse auf sein Verhalten reagieren wird, wenn er entscheiden will, was

    er ffentlich tut und was nur im geheimen oder gar nicht.

    So gesehen bedeutet ein unvorbereiteter Milieuwechsel zunchst einmal

    Freiheitsverlust mit unsicheren Chancen des Wiedergewinns. Das erklrt

    zum Beispiel den Widerstand der Einwohner East Londons gegen den

    Umzug in die so schn geplanten New Towns im breiteren Umkreis der

    Metropole.(9) Weitere berlegungen schlieen sich an. Freiheit wird in

    der Gesellschaft symbolisiert, unter anderem, um Prestige und sozialen

    Status zum Ausdruck zu bringen. Aber das kann zu Fehlurteilen fhren.

    Ist die Freiheit eines Chefredakteurs wirklich so gro, wie man annimmt,

    wenn es darum geht, was in die Zeitung aufgenommen wird und was

    nicht und was auf die erste Seite kommt oder als eine unvermeidliche

    Meldung doch eher versteckt wird (vgl. Rhl 1979)? Oder gibt es hier

    viel Berufs- und Milieuwissen, das den scheinbaren

    Entscheidungsspielraum stark einschrnkt, aber faktisch ihn durch

    Einschrnkung berhaupt erst konstituiert?

    Der vielleicht wichtigste Vorzug dieser Annahme, Freiheit werde durch

    Kognition erzeugt, liegt im bergang zu kleinformatigen, geradezu

    mikroskopischen Analysen. Die Sequenzen sowohl des bewuten

    Erlebens als auch der Kommunikation sind durch relativ kurzfristige

    Episoden bestimmt. (Welche Freiheitsgrade hat ein gut erzogener

    Mensch bei der Inszenierung einer Begrung oder beim Akzeptieren

    eines Verlustes?) Gelegenheiten, Alternativen zu sehen, erscheinen und

    verschwinden wieder von Moment zu Moment, sie knnen ergriffen oder

    auch verpat und nur noch retrospektiv erkannt werden, wenn es zu

    spt ist. Da das Leben, das Bewutsein und die Kommunikation durch

    dynamisch stabilisierte Systeme reproduziert wird, ist mit einem

  • dauernden bergang von Episode zu Episode zu rechnen. Erst wenn

    man das einsieht und es der theoretischen Analyse zugrundelegt, kann

    man fragen, welche strukturellen Faktoren Episoden zusammenfassen

    und oft oder immer wieder zur Entdeckung von Freiheit oder Unfreiheit

    fhren. Dann kann man so etwas wie "gute" (= zur Gesellschaft

    passende) Erziehung nennen, und man kann in diesem Konzept auch

    Bedingungen Rechnung tragen, die auf stndige Konfrontation mit

    Zwang hinauslaufen. Die klassische Konzeption der Freiheit durch

    Abwesenheit von Zwang wird nicht systematisch ausgeschlossen, so als

    ob sie empirisch gar nicht vorkommen knnte; aber sie wird als ein

    Grenzfall behandelt, in dem viele oder nahezu alle Episoden durch ein

    und dieselbe Quelle von Zwang determiniert sind - etwa bei

    Entfhrungen.

    Die Freiheit konstituierende Funktion von Wissen ist unabhngig vom

    Streit der Erkenntnistheorien (realistisch, idealistisch, pragmatistisch,

    konstruktivistisch) und von der Wissenschaft selbst. Ein Wissenschaftler

    mu natrlich etwas vom Fach und von Finanzierungsmglichkeiten

    verstehen, wenn er in Bezug auf seine eigenen Forschungen frei

    entscheiden will. Aber diese Freiheit besteht auch dann, wenn die

    Ausgangsannahmen sich spter als falsch erweisen; und sie ist natrlich

    auch unabhngig davon, ob seine Forschungen Hypothesen verifizieren

    oder falsifizieren oder, wie so oft, dies weiteren Forschungen berlassen

    mssen. Freiheit ist ein soziales Konstrukt, und Wissen ist die Form, in

    der Beschrnkungen eingefhrt werden, um Entscheidungen zu

    ermglichen. Kognitive Erwartungen unterscheiden sich, unter anderem

    wegen dieser Funktion, grundstzlich von normativen Erwartungen;

    denn formulierte Normen provozieren geradezu die Freiheit, gegen die

    Norm zu verstoen. Das Paradies war der Ort fr einen Modellversuch in

    genau dieser Frage; und die Welt verdankt einer mutigen Frau die

  • Folgen des Normbruchs: Unterscheidungsvermgen und Freiheit. Die

    Kenntnis des Verbots hat gengt.(10)

    Auch wenn Freiheit als Korrelat von Wissen berall entstehen kann und

    auch, wenn soziale Stratifikation kein sicherer Indikator fr

    Freiheitsverteilung in der Gesellschaft ist, mssen doch weitere Faktoren

    beachtet werden, die differenzierend wirken. In einer Hinsicht geht es

    erneut um ein Attributionsproblem. Was sind die Bedingungen dafr,

    da Freiheit gesehen und auf die Person, die sich entscheidet,

    zugerechnet wird? Oder noch schrfer: wovon hngt es ab, da

    derjenige, der von seiner Freiheit Gebrauch macht, sich selbst als

    Ursache einbringt. Freiheit ist ja ein Konzept fr das Abschneiden der

    Rckfrage nach weiteren Ursachen. Wir wissen, da eine solche

    Personzurechnung als Selbstzurechnung wie als Fremdzurechnung

    kontingent erfolgt und auch anders mglich ist, also von weiteren

    Bedingungen abhngt. Solche Bedingungen knnen psychischer Art

    sein; aber man findet sie auch im System sozialer Kommunikation.

    Wann wird es ermutigt, Selbstzurechnung zu kommunizieren, und wann

    mu man so tun, als ob gar keine Entscheidung vorliege oder sie von

    anderen provoziert wurde (typisch zum Beispiel fr Rechenschaftslegung

    bei kriminellem Verhalten oder sonstigen Formen aufflliger

    Devianz(11)).

    Eine andere Variable liegt in der Frage, wie weit Freiheit nur darin

    besteht, zwischen Grenzsituationen zu whlen. Im eher harmlosen

    Kleinformat heit dies: zwischen Handlung und Unterlassung zu whlen.

    Dies luft zumeist auf eine Wahl zwischen verschiedenen

    Handlungsmglichkeiten hinaus, wobei die Wahl der einen aus zeitlichen

    oder konomischen Grnden das Unterlassen der anderen erfordert.

    Nicht selten sind aber auch die Flle, in denen man sich nicht

    entscheiden kann, eine bestimmte Mglichkeit zu ergreifen (zum

  • Beispiel wegen des Risikos, auf das man sich damit einlassen mte),

    aber auch nicht wei, was man statt dessen tun knnte. Dann liegt das

    Problem nicht in der konomie der Ressourcen, fr die Modelle

    rationalen Entscheidens angeboten werden,(12) sondern es liegt in

    Problemen der Unentschlossenheit, der Risikoaversion, der Rigiditt von

    Prferenzen, also in Systemproblemen, die in einer dynamischen

    Gesellschaft eher negativ bewertet werden.

    Im tragischen Groformat steht nur noch Inklusion oder Exklusion zur

    Wahl. Wenn man nicht "mitmacht" (und wohlgemerkt: freiwillig

    mitmacht), wird man aus bestimmten Netzwerken oder sogar aus dem

    sozialen Leben schlechthin ausgeschlossen. Solche Wahlsituationen

    werden oft als "Moral" dargestellt, um den Ausschlu zu rechtfertigen.

    Sowohl Unterlassen (ohne sinnvolle Alternative) als auch Exklusion sind

    Optionen (und wohlgemerkt: Optionen!), die in einen unspezifizierten

    Raum fhren.(13) Man verliert damit Anhaltspunkte fr weiteres

    Verhalten. Man verliert die Freiheit, und zwar genau deshalb, weil man

    keine kognitiven Anhaltspunkte findet, die einen Spielraum fr freie

    Wahl konstituieren knnten. Das sind, wenn in einer Gesellschaft mit

    solchen Grenzsituationen gespielt wird, starke Sanktionen - viel strker

    als alles, was ber Moral und ber sonstige normative Regulierungen

    erreicht werden kann; denn Normen geben immer noch die Mglichkeit

    der Abweichung frei, ja sind geradezu kognitive Voraussetzungen fr die

    Entscheidung zur Abweichung.(14) Moralen sttzen sich denn auch,

    zumindest in lteren Gesellschaften, auf die Unmglichkeit, die Grenze

    zum "unmarked space" zu berschreiten.

    V.

  • Fr regional orientierte Forschungen geben die theoretischen

    Modifikationen, die an den Begriffen Kausalitt und Freiheit ansetzen,

    nur sehr abstrakte Anhaltspunkte. Das gilt auch dann, wenn man

    einbezieht, da Kausalitt etwas mit einem technischen Verstndnis von

    Rationalitt zu tun hat und Freiheit etwas mit kognitiven Bedingungen

    der Konstitution von Sinn.

    In einem ersten Schritt kommt es vor allem darauf an, sich von

    begrifflichen Voreingenommenheiten zu lsen, die eine ganz andere

    historische und gesellschaftliche Situation reflektieren, nmlich die

    Situation einiger europischer Lnder (vor allem Englands) im 17. und

    18. Jahrhundert. Man kann natrlich, was Wissenschaft betrifft, viele

    andere Lnder und Namen nennen - neben Bacon (der aber erst im

    Laufe des 17. Jahrhunderts eine Modeautor wird), Locke und Newton

    auch Galilei und Descartes. Aber entscheidend ist die historische

    Verortung im 17. und 18. Jahrhundert - in einer Gesellschaft also, die in

    nahezu allen Funktionsbereichen die alte Ordnung aufzulsen begann,

    deshalb einen technisch-rationalen Begriff von Kausalitt bevorzugte,

    um neue Sicherheiten zu finden, und einen Begriff natrlich-individueller

    Freiheiten, um alte soziale Einteilungen als entbehrlich behandeln zu

    knnen. Aber es war zugleich eine Gesellschaft, die mit einem inhaltlich

    ganz unbestimmten, "offenen" Begriff von Zukunft auskommen und ihn

    mit der Semantik des "Fortschritts" besetzen konnte. Warum aber sollen

    wir uns in einer vllig anderen Situation durch begriffliche Vorgaben

    binden lassen, die damals, und nur damals, berzeugen konnten?

    Die Situation der modernen Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts

    ist eine andere als die einer Epoche, die man als "transitorische

    Moderne" bezeichnen knnte. Es ist keineswegs eine "postmoderne"

    Situation. Der einzige Sinn dieser Rede von "postmodernen"

    Verhltnissen drfte darin liegen, sich um ein Begreifen der modernen

  • Gesellschaft herumzudrcken mit der Behauptung, es sei schon vorbei.

    Tatschlich haben wir aber erst heute die Chance, die moderne

    Gesellschaft angemessen zu beschreiben, weil sie erst heute, und zwar

    in weltweiten Dimensionen, als beobachtbares und beschreibbares

    Faktum vor Augen liegt.

    Bei regionalen Vergleichen werden blicherweise die extremen

    Unterschiede an Realisierung der Leistungsmglichkeiten der

    Funktionssysteme hervorgehoben - in erster Linie Unterschiede der

    wirtschaftlichen Entwicklung, der schul-/hochschulmigen Ausbildung,

    aber auch der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratisierung des

    politischen Systems ber politische Parteien und eine Oppositionskultur.

    Solche Tatbestnde sollen weder bestritten noch bagatellisiert werden.

    Aber sie enthalten nichts spezifisch Modernes, sondern waren immer

    schon vorhanden gewesen. Lediglich die moderne Weltgesellschaft

    verleiht ihnen einen besonderen Aufmerksamkeitswert. Denn man ist

    jetzt mit ihnen in einem umfassenden Gesellschaftssystem konfrontiert,

    und das lt, wenn Unterschiede der Realisierung sichtbar werden, diese

    als unakzeptabel erscheinen. Aber was kann geschehen, wenn man

    wiederum nur auf Konzepte technisch-rationaler Kausalitt zurckgreifen

    kann, etwa der Meinung ist, da man Geld zur Verfgung stellen mte,

    um die Entwicklung zu frdern? Auf enttuschende Erfahrungen reagiert

    man heute mit der Theorie des "Sozialkapitals" (Traditionen,

    Einstellungen, Prestige und Prominenz), das hinzukommen msse, um

    beabsichtigte Innovationen erfolgreich durchfhren zu knnen. Aber das

    ist eine fast schon tautologische Zusatzbedingung, fr die es nur sehr

    enge, lokale und projektabhngige empirische Indikatoren gibt.

    Im brigen geht man bei der Beschreibung unterentwickelter Regionen

    von den vorgefundenen Tatbestnden aus. Inzwischen gibt es jedoch

    Anhaltspunkte genug dafr, da die funktionale Differenzierung der

  • modernen Gesellschaft solche Tatbestnde erst produziert. Typisch

    verstrken die Funktionssysteme der Weltgesellschaft vorgefundene

    Ungleichheiten, weil es fr sie rational ist, Unterschiede zu nutzen. Nur

    wer zahlungsfhig zu sein scheint, erhlt Kredite. Andererseits wandert

    die Arbeit in Billiglohnlnder ab; aber dies nur, wenn das Rechtssystem

    dank staatlicher Garantien funktioniert. Das weltpolitische System legt

    wert auf Ansprechpartner und lokale Adressen in allen Regionen; aber

    die Form des souvernen Zentralstaates pat schlecht auf tribale oder

    auf ethnisch und religis inhomogene Regionen. Bei den heute aktuellen

    Problemen - von Problemen des Hungers, der politischen Korruption bis

    hin zur Entstehung neuer religiser Kulte - handelt es sich keineswegs

    um Relikte einer vergangenen Ordnung, die einer Modernisierung

    unterzogen werden mten, sondern um direkte Korrelate der Moderne

    selbst. Mehr und mehr scheint die moderne Weltgesellschaft sich mit

    Problemen zu befassen, die sie selbst erst erzeugt hat. Auch das lt es

    fraglich erscheinen, ob man gut beraten ist, wenn man meint, die

    blichen Mittel wie Kredite oder Erziehung oder Verfahrensinnovationen

    in Produktion und Verwaltung nur verstrkt einsetzen zu mssen, um zu

    Erfolgen zu kommen.

    Die Modernisierungsforschung, mit der die Soziologie nach dem zweiten

    Weltkrieg eingesetzt und es zu erheblichen Erfolgen gebracht hatte, war

    davon ausgegangen, da "Modernitt" in den einzelnen

    Funktionsbereichen wechselseitige Sttzfunktionen erfllen wrde; da

    also technisch-industriell fortgeschrittene Produktion, Marktwirtschaft,

    wissenschaftliche, nur an eigenen Erfolgsaussichten orientierte

    Forschung, schulisch organisierte Erziehung der Gesamtbevlkerung,

    politische Demokratie mit wohlfahrtsstaatlichen Ausgleichsfunktionen

    und schlielich verbesserte Lebensperspektiven der Einzelmenschen im

    Projekt Moderne integriert werden wrden und da die

  • Gesamtentwicklung einem gnstigen Mix von Evolution und Politik

    berlassen bleiben knnten. Daran vermag man heute kaum mehr zu

    glauben. Zu deutlich sind kaum mehr kontrollierbare Nebenfolgen in

    kologischen und demographischen Hinsichten, in Bezug auf zu hohe

    Risiken, Zukunftsunsicherheit und eine auch nur annhernd ertrgliche

    Wohlstandsverteilung zutage getreten; und auch die Aussichten, dies

    mit regionalen Besonderheiten, also mit Entwicklungsrckstnden zu

    erklren, schwinden mit der Zeit. Im Gegensatz zu jeder klassischen

    Theorie, die funktionale Differenzierung wie Arbeitsteilung behandelt

    hatte, wird man davon ausgehen mssen, da gerade die hohe

    Spezialisierung und Autonomisierung der Funktionssysteme zu

    wechselseitigen Belastungen fhren wird, von denen man nicht

    voraussehen kann, wie sie in Einzelfllen bewltigt werden knnen.

    Da es Erfolge geben kann und gegeben hat, sollte natrlich nicht

    bestritten werden. Ein dogmatischer Pessimismus ist auf jeden Fall

    unangebracht. Die Frage ist nur, ob man mit der vorgeschlagenen

    Revision der Annahmen ber Kausalitt zu besseren Einsichten kommt -

    und wenn nicht im Sinne von Erfolgswissen, dann doch im Sinne von

    Orientierungswissen.

    In der bisherigen Betrachtungsweise ist der Zeitfaktor nicht zureichend

    bercksichtigt worden. Man hat Zeit natrlich im Zusammenhang mit

    Projekten beachtet, also als Zeit, die man voraussichtlich braucht, um

    von der Ursache zur Wirkung zu kommen; oder als Zeitspanne, whrend

    der es vertretbar ist, Umweltvernderungen, die das Projekt betreffen,

    auer Acht zu lassen.(15) Aber in gesellschaftsgeschichtlicher

    Perspektive ist die vordringliche Frage: wieviel Zeit bleibt fr

    Modernisierung, wie schnell mu es gehen?

  • Zu Beginn der europischen Neuzeit und noch im 17. und 18.

    Jahrhundert hatte sich diese Frage nicht gestellt. Modernisierung war

    kein Projekt. Man konnte zwar Innovationen beobachten, und dies auch

    whrend der Lebenszeit von Individuen, und der Buchdruck trug dazu

    bei, neue Kenntnisse zu schtzen und rasch zu verbreiten. Das hatte

    Konsequenzen, zum Beispiel fr die Autoritt des Alters und fr die

    Berufung auf Erfahrung (vgl. nur Thomas 1988). Aber es gab keine

    Dringlichkeit in einer Programmatik gesellschaftlicher Vernderung. Und

    es gab diesen Zeitdruck nicht, weil man keine Vergleichsmglichkeiten

    hatte. Europa konnte sich selbst, so zumindest seit der Mitte des 18.

    Jahrhunderts, als eine dynamische Gesellschaft begreifen, aber der

    eigene Proze der Umstellung auf technische Innovationen, auf

    Rechtsreformen, auf schulische Erziehung usw. hatte nur der Logik des

    Fortschritts zu gehorchen, und die Welt im brigen konnte schlielich

    kolonisiert werden. Erst im 20. Jahrhundert wird die Differenzierung von

    (fortgeschrittenen) Zentren und (zurckgebliebener) Peripherie zum

    Problem. Erst jetzt entsteht aus dem Vergleich von Zentren und

    Peripherien der Moderne die Erwartung und der Anspruch auf schnelle

    Aufhebung dieser im Konzept der modernen, allinklusiven Gesellschaft

    nicht zu rechtfertigenden Differenz. Und whrend Europa sich im

    Horizonte einer offenen, weithin unbestimmten Zukunft Jahrhunderte

    Zeit lassen und sektorale Fortschritte (zum Beispiel Industrialisierung)

    jeweils austarieren und Nebeneffekte auf andere Sektoren, zum Beispiel

    auf den Staat abwlzen konnte,(16) sind unter heutigen Bedingungen

    keine Zeitreserven mehr verfgbar, und angesichts der faktisch

    gegebenen Ungleichheit und ihrer laufenden Reproduktion durch die

    Bedingungen funktionaler Differenzierung wre es blanker Zynismus,

    wollte man den benachteiligten Regionen eine Wartezeit von zwei bis

    drei Jahrhunderten verschreiben.

  • Aber wie schnell kann es gehen? Und vor allem: welche perversen

    Effekte entstehen allein schon dadurch, da es schnell gehen mu?

    VI.

    Einige der Besonderheiten sditalienischer Verhltnisse knnten durch

    diesen Zeitfaktor erklrbar sein, also durch die relative Pltzlichkeit mit

    der Sditalien einem Vergleich mit Norditalien oder anderen, "besser"

    entwickelten Regionen Europas ausgesetzt worden ist. Die alte Ordnung

    hatte die Gesellschaftsstruktur auf eine Einheit von Familie, Eigentum

    und Stratifikation aufgebaut. Demgegenber blieb die Frage, wie

    Vermgensverhltnisse aus landwirtschaftlichen Quellen und auf Grund

    von Handel reguliert und ber Generationen hinweg tradiert wurden,

    zum Beispiel durch arrangierte Heiraten, eine Frage zweiten Ranges -

    wie berall im alten Europa. Ausschlaggebend war die Einheit von

    Familie und Vermgen ("alter Reichtum" im Sinne der aristotelischen

    Adelsdefinition) als Grundlage gesellschaftlicher Differenzierung. Im

    brigen waren in die Stratifikation - und wiederum: hier wie auch sonst

    im alten Europa - Patron/Klient-Verhltnisse eingebaut, die auch

    politische Funktionen mitzuerfllen hatten, da es keine von der Zentrale

    aus steuerbaren Lokalverwaltungen, sondern allenfalls lokale (oft

    grundherrschaftliche) Gerichte gab.

    Diese Ordnung hat den bergang zu einer primr funktional

    differenzierten Gesellschaft nicht berlebt. Die Vernderungen betreffen

    nicht mehr nur die Oberschicht, die sich an anderen Prestige- und

    Einkommensquellen und nicht zuletzt an der jetzt nationalstaatlich

    organisierten Politik orientieren mu. Nach dem zweiten Weltkrieg sind

    auch die buerlich-handwerklichen Familienkonomien in den Strudel

    der "Modernisierung" geraten und verlieren innerhalb von ein bis zwei

  • Generationen ihre alte Bestandssicherheit, ohne da auf struktureller

    Ebene eine Nachfolge erkennbar wre.(17) Demographisch gesehen

    produzieren die Familien Nachwuchs nicht mehr fr Produktion, sondern

    fr Konsum, also im ursprnglichen Sinne "Proleten". Im

    Zusammenhang damit wchst die Bedeutung der Schulen und

    Universitten, die ihrerseits jedoch nicht so organisiert sind, da sie den

    Aufgaben einer sinnvollen Ausbildung und Karriereselektion gerecht

    werden knnten. Im Wirtschaftssystem gibt es nun eine am Markt

    orientierte industrielle Produktion als primre Einkommensquelle fr alle

    Schichten. Entsprechend breitet sich die Geld- und neuerdings auch die

    Kreditabhngigkeit in allen Schichten aus - bis in privateste Bereiche wie

    gestiegene Konsumansprche, Scheidungs- und

    Scheidungsfolgenkosten, Versicherungskosten, Geldausstattung der

    Kinder etc. Aber auch in anderen Funktionssystemen nimmt die

    bertragung von Aufgaben auf Organisationen zu. Es gibt staatliche

    Verwaltungen, die auf die lokale Ebene durchgreifen, was immer den

    Gemeinden oder Regionen an Autonomie konzediert wird. Es gibt

    politische Parteien mit Ortsvereinen bis in kleinste Orte hinein, wobei die

    Kandidatenselektion durch die Machtkmpfe in den Parteizentralen

    bestimmt wird. Es gibt Schulen fr die gesamte Bevlkerung,

    Krankenhuser (statt nur rzte) und Gefngnisse - also organisatorische

    Einrichtungen fr die Versorgung jeder Art von Klientel nach Magabe

    spezifischer Funktionen. Die Funktionssysteme selbst knnen zwar nicht

    als Einheiten organisiert sein, aber im Alltag wirken sie ber die ihnen

    zugeordneten Organisationen und ziehen auf diese Weise die

    entsprechenden Probleme und Bedrfnisse an oder erzeugen sie sogar

    erst durch ihr Angebot. Es gibt von dieser Struktur aus gesehen

    eigentlich keinen Bedarf fr Patron/Klient-Verhltnisse oder Netzwerke

    hnlicher (heute wrde man sagen: "privater") Art.

  • Aber genau hier liegt das Problem. Man kann gerade in Sditalien

    beobachten, da die Gewohnheit, in Netzwerken der Hilfe, der

    Frderung und der erwartbaren Dankbarkeit zu denken, erhalten

    geblieben, aber von der gesellschaftlichen Stratifikation auf die

    Organisationen bertragen worden ist. Die "ansprechbaren" Ressourcen

    liegen jetzt nicht im Eigentum, im Prestige der Familie, in der

    Verpflichtung durch Herkunft und in den sozial weiterreichenden,

    berlokalen Kontakten einer Oberschicht. Sie werden vielmehr aus den

    Kompetenzen "abgezweigt", die Positionen in Organisationen zur

    Verfgung stellen. Oft gengt das Prestige einer Position, um sich fr

    etwas einzusetzen, was mit den Aufgaben des Amtes nichts zu tun hat.

    Die Organisation stellt Signale zur Verfgung, die als Symbole fr

    allgemeine soziale Kompetenzen verwendet werden knnen. Das

    versteht sich freilich nicht von selbst, sondern mu im Netzwerk selbst

    durch stndige Bereitschaft erarbeitet, "verdient" und reproduziert

    werden. Dazu sind zahlreiche soziale Kontakte erforderlich, viel

    mndliche Kommunikation, deren Sinn sich weder aus den

    Organisationsaufgaben ableiten lt noch von unmittelbaren praktischen

    Zwecken her als notwendig verstndlich ist, sondern eine Art

    berschuproduktion hervorbringt, die der Reproduktion von sozialer

    Kompetenz und Bereitschaft dient.

    Legt man die Interpretation von Kausalitt als Formwahl im

    entsprechenden Medium zugrunde und die Interpretation von Freiheit

    als kognitiv (und damit sozial) konstituierter Freiheitsspielraum, wird die

    Persistenz solcher Muster und ihre selbstlufige Reproduktion besser

    verstndlich. Auch hier dient Kausalitt in erster Linie der Bewahrung

    und der Selbstkorrektur von Unterscheidungen - und zwar bezogen auf

    die Faktoren, mit denen man immer schon etwas erreichen konnte. An

    der Ausgrenzung anderer Mglichkeiten mu festgehalten werden, auch

  • wenn man laufend lernen mu, Positionen im Netzwerk umzubesetzen.

    Offenbar knnen sich Muster fr das Entdecken von Kausalformen,

    gerade weil sie sich nicht von selbst verstehen und nicht durch die Natur

    schon vorgegeben sind, nicht so schnell ndern, wie es eine Anpassung

    an die Strukturen der modernen Gesellschaft erfordern wrde. Man kann

    sie nicht so schnell durch etwas anderes, noch nicht Bewhrtes

    ersetzen. (Wie soll man Organisationen trauen, wenn man niemanden

    kennt, der sie beeinfluen kann?) Und offenbar sind auch die kognitiven

    Bedingungen fr die Konstitution begrenzter Freiheiten, fr die

    Zurechnung auf Absichten (statt auf Ansichten) und damit fr das, was

    persnlich zurechenbaren Sinn gibt, nicht so rasch nderbar. Man liest in

    die Organisationen hinein, was man ohne sie nicht mehr realisieren

    kann; und in der Tat: die Organisationen bieten mit ihrer auf

    Entscheidung und Kompetenz bezogenen Selbstbeschreibung zahlreiche

    Mglichkeiten des Austausches von Geflligkeiten. Man kann nicht

    sagen, man knne es nicht. Und wenn es rechtliche Schranken des

    Erlaubten gibt, bietet das Beiseiteschieben der damit gegebenen

    Hindernisse um so mehr Gelegenheiten, guten Willen und

    Hilfsbereitschaft zu demonstrieren. Eine Funktion des Rechts knnte

    geradezu darin liegen, den expressiven Wert der Umgehung oder des

    bewuten Ausschaltens oder Einschaltens der juristischen

    Betrachtungsweise zu steigern.

    Die Reproduktion dieses Umgangs mit Kausalitt und Freiheit wird

    verstndlich, wenn man sich die alltglichen Kommunikationen genauer

    ansieht. Mit Watzlawick (siehe Watzlawick/Beavin/Jackson 1974) kann

    man zwei Ebenen der Kommunikation, mit der speech act Theorie zwei

    Typen oder Funktionsrichtungen der Kommunikation unterscheiden. Auf

    der einen Ebene geht es um die Themen oder die Informationen, die

    behandelt werden - etwa der Auftrag an einen Handwerker, die Planung

  • eines Ausflugs, Berlusconi oder hnliches. Auf der anderen Ebene geht

    es um die Einstellung der Beteiligten zueinander, die zwar nicht explizit

    mitgeteilt, aber implizit zum Ausdruck gebracht wird, also der Ausdruck

    des wechselseitigen Wohlwollens, der Hilfsbereitschaft, aber auch: da

    ein Ja eigentlich ein Nein bedeutet. Die Kommunikation ist immer

    paradox insofern, als sie immer etwas Nichtkommuniziertes

    mitkommuniziert. Aber es wird erwartet, da man versteht - und nicht

    nachfragt. Nicht selten tritt das Gemeinte in direkten Widerspruch zum

    Gesagten; und auch dann wird erwartet, da man versteht, aber nicht

    nachfragt. Da die Kommunikation in solchen Fllen ohne greifbare

    Resultate bleibt, darf nicht mit berraschung vermerkt werden, obwohl

    je nach Sachlage Insistieren zum guten Ton gehren kann. Teilnehmer

    wissen, wann man nachfassen kann - und wann nicht. Jedenfalls ist die

    Unterscheidung der semantischen (konstativen) und der pragmatischen

    (performativen) Aspekte jeder Kommunikation wichtige Voraussetzung

    fr die Teilnahme am Spiel und fr die zutreffende Lokalisierung von

    Kausalitten und Freiheiten.

    Wenn dies ein allgemeines Problem der modernen Kommunikation ist

    und zum Beispiel bei der Analyse von Pathologien in der

    Familientherapie eine bedeutende Rolle spielt, kann man vermuten, da

    im sditalienischen Kontext gerade die Organisationen aktivierende

    Kommunikation sich selbst an diesem Problem der paradoxen

    Kommunikation orientiert, und zwar mit Schwerpunktverlagerung in

    Richtung auf die Ebene der latenten Kommunikation von Einstellungen -

    aus welchen Anlssen und ber welche Informationen auch immer. Die

    Paradoxie der Kommunikation wird dadurch aufgelst, da

    vorausgesetzt wird, da verstanden wird, da die Informationen eine

    untergeordnete Rolle spielen und da es vor allem auf das

    Symbolisieren des Netzwerks ankommt, in dem Geflligkeiten gehandelt

  • und dazu passende Einstellungen zugemutet werden. Von selbst bewegt

    sich nichts - und auch das ist eine wichtige Voraussetzung dafr, da

    das Wohlwollen und Freundschaftsdienste bentigt und ber

    Prestigezuweisungen reproduziert werden.

    Die gleiche Schwerpunktverschiebung in Richtung auf personalisierte

    Einstellungskommunikation findet man auch in der Inszenierung von

    Kultur. Wissenschaft und Kunst werden in erster Linie als Kultur

    gefrdert. Die ffentliche Prsentation von Kultur ermutigt zu einer

    Rhetorik, die riesige Bedeutungsberschsse produziert, ohne erkennen

    zu lassen, was daraus und darauf nun folgen wrde. Kultur (und die

    damit erfabaren Themen wie die Familie, die Jugend, Ethik, Dichtung,

    Europa etc.) wird als eine sich selbst konsumierende Angelegenheit

    zelebriert, fast wie ein Ritual, bei dem das Dabeisein und Gesehen- und

    Gehrtwerden zhlt. Es geht, knnte man vermuten, um die

    Schokoladenseite des Netzwerks oder auch um die Symbolisierung von

    Gemeinsamkeit bei stark divergierenden Interessen. Oder um es

    paradox zu formulieren: das Interesse an Kultur darf kein Interesse

    werden.(18)

    Je deutlicher die Teilnahmebedingungen erkennbar sind, ohne als

    Information kommuniziert zu werden, desto schrfer stellt sich die harte

    Alternative von Inklusion und Exklusion. In dem Mae, als Normen

    "offizieller" Provenienz und vor allem Fragen der Geltung und

    Durchsetzbarkeit des Rechts den Bedingungen persnlicher

    Interaktionen unterworfen werden, mu ein neuer, ebenfalls

    generalisierter Sanktionsmechanismus erfunden werden; und das ist,

    unter Rckgriff auf sehr alte Ordnungsformen, die Unterscheidung von

    Inklusion und Exklusion. Und dies gilt auf allen Ebenen: in den Drfern

    und in den Universitten und in den Beziehungen zwischen

    Privatwirtschaft und staatlicher Verwaltung; und vor allem natrlich fr

  • die professionellen und die zahllosen nichtprofessionellen Politiker.(19)

    Exklusion kann aber nicht wirklich getestet werden, da sie in den

    "unmarked space" fhren wrde, in dem man keine auswertbaren

    kognitiven Strukturen, keine wirksamen Kausalitten, keine nutzbaren

    Freiheiten finden kann. Ausschlu in der Form sozialer Isolierung

    existiert gewissermaen nur als Gercht und nicht in der Form einer von

    Fall zu Fall sinnvoll whlbaren Alternative. Die Reproduktion des

    Netzwerkes erzeugt, um es mit einem lteren sozialpsychologischen

    Begriff zu formulieren, "pluralistic ignorance" in bezug auf das, was

    mglich wre. Das wiederum besttigt die in der Kommunikation

    reproduzierte Ordnung mit all dem, was man dort und nur dort an

    Wirkungsmglichkeiten und an Freiheit finden kann.

    Empiriker knnten daran denken, einen "Peinlichkeitstest" zu

    entwickeln. Was wird in der Kommunikation als peinlich empfunden?

    Offenbar nicht die Bitte um Hilfe, um Intervention in rechtlich und

    organisatorisch geregelte Verlufe (zum Beispiel: Examen,

    Zeugenvernehmungen vor Gericht, Reihenfolge in der Bearbeitung von

    Antrgen, Verteilung von Krankenbetten und rztlicher

    Aufmerksamkeit). Und es ist nicht etwa deswegen nicht peinlich, weil

    dafr Bezahlung angeboten wird,(20) sondern deswegen, weil mit der

    Bitte um einen Gefallen die Anerkennung von Kompetenz, von Einflu,

    von Macht und von gutem Willen verbunden ist. Das Netzwerk zahlt und

    motiviert durch "Honorierung", das heit: durch Selbstreproduktion der

    eigenen Asymmetrien, also wiederum: durch Reproduktion von

    Kausalitten und Freiheiten. Selbstverstndlich sind auch riesige

    Geldsummen involviert und werden gleichsam mithineingezogen in den

    Austausch von Entgegenkommen und Geflligkeiten. Denn wie knnte

    man Freundschaft und zugleich Macht besser beweisen als durch

    Erffnung eines Zugangs zum Geld? Aber Korruption in diesem legalen

  • Sinne, die es ja berall gibt, ist kein isoliert zu betrachtendes

    Phnomen. Vielmehr ist anzunehmen, da das Netzwerk die Grenze

    zwischen Korruption und Nichtkorruption durch eine eigene

    Supercodierung verwischt, und vor allem wohl durch die Supercodierung

    von Inklusion und Exklusion.

    Jeder, der am Netzwerk in diesem Sinne teilnimmt, mu wissen, wie es

    funktioniert. Er braucht nicht zu wissen, warum es so funktioniert, wie

    es funktioniert. Das Netzwerk bentigt zur Lokalisierung von Kausalitt

    und Freiheit keine Orientierung an ffentlichen Problemen. Solche

    Probleme sind zwar Thema der Kommunikation - aber vorwiegend

    deshalb, weil sich die Organisationen, die Anlsse geben zur

    Kommunikation, mit ihnen beschftigen. Die Kommunikation selbst

    verlagert dann aber den stets mitgemeinten Sinn auf die Ebene

    individueller Interessen. Hier und nur hier festigt sich im Alltag ein

    Problembewutsein, das die Kommunikation in Gang hlt. "Individuell"

    ist dabei wiederum netzwerkbezogen zu verstehen, also nicht etwa

    beschrnkt auf persnliche Bedrfnisse und Wnsche von

    Einzelpersonen. Vielmehr berleben in diesem Zusammenhang die

    Familie ebenso wie Patron/Klient-Verhltnisse. Man setzt sich nicht nur

    fr eigenen Interessen, sondern in erheblichem Umfange auch, und um

    so unbefangener, fr die Interessen anderer ein. Das System lebt von

    Vermittlungen und honoriert sie durch Prestigeverteilungen. Die erst im

    18. Jahrhundert aufkommende Unterscheidung von ffentlich und privat

    hat hier noch keine Wurzeln geschlagen. Der "Private" ist noch der

    "idiotes", der sich selbst ausschliet. Aber die bergangssituation zeigt

    sich nicht zuletzt darin, da das System nicht mehr auf

    Familienkonomien gegrndet ist und da Vermittlungsrollen

    organisationsabhngig geworden sind und die normalen Regulative der

    Organisationen stren, wenn nicht sabotieren. So wird es schwierig, von

  • den Zentren aus Organisationen durch Organisation zu kontrollieren,

    denn die Netzwerke stehen den "offiziellen" Zentren nicht zu Verfgung;

    sie sind nicht hierarchisch, sondern heterarchisch konzipiert. So kommt

    es zu einer eigentmlichen Symbiose von Organisationen und

    Netzwerken, die alle planmige Durchgriffskausalitt zum Scheitern

    bringt, aber statt dessen in einem anderen Sinne Formen der Kausalitt

    und lokalisierbare Optionen im System verteilt.

    VII.

    Wenn wichtige Probleme in der sozial verbreiteten Einschtzung von

    Kausalitt und von Wahlfreiheit liegen, sollte verstndlich sein, weshalb

    eine staatliche Politik solchen Verhltnissen gegenber versagt oder

    allenfalls in ihren Angeboten abgesucht wird auf das, was sich unter

    Freunden verwenden lt. Die Prmissen, da ber Recht oder ber

    Geld oder schlielich ber die Bedingungen der Mitgliedschaft in

    formalen Organisationen ein Direktzugriff auf individuelles Verhalten

    mglich und allenfalls mit einer Restquote von unvernnftigem,

    unkonomischem oder schlichtweg kriminellem Verhalten belastet sei,

    treffen nicht zu. Und ebensowenig lassen sich die Probleme im Schema

    Liberalismus/Sozialismus politisieren. Denn die Frage ist ja gerade, ob

    man Zwang so schematisieren kann, da eine Disposition ber

    zwingende Macht - sei es da man sie als Staatsmacht "demokratisch"

    kontrolliert, sei es, da man sie als Wirtschaftsmacht beseitigt - eine

    regionale Entwicklung sozusagen "emanizipiert". Gesellschaft ist ein

    geschichtliches System, eine "historische Maschine", die sich in der

    operativen Reproduktion von Situation zu Situation immer an sich selbst

    orientiert - und das heit: an dem, was sie aus sich selbst gemacht hat.

    Oder um es Nietzscheanisch zu formulieren: ihr irreversibles "Werden"

  • wird vom "Willen zur Macht" zur "Wiederkehr des Gleichen" gezwungen.

    Grosso modo jedenfalls. Es gibt natrlich strukturellen Wandel, auch

    solchen tiefgreifender Art. Da das Patronagesystem binnen relativ

    kurzer Zeit vom Fundament in Familieneigentum auf Positionen in

    Organisationen umgestellt werden konnte, belegt Tiefgang und Tempo

    eines strukturellen Wandels mehr als genug. Eine ganz andere Frage ist

    jedoch, ob ein Strukturwandel politisch herbeigefhrt werden kann oder

    ob er der Evolution berlassen bleiben mu, in der dann "Planung" eine

    mehr oder weniger fatale Rolle spielt. Wir knnen und brauchen diese

    Frage hier nicht zu entscheiden. Wenn man aber annehmen mu, da

    ein Gesellschaftssystem, auch in seinen regionalen Ausprgungen, ein

    historisches System ist, also in jeder Situation Erinnerung an Bewhrtes

    aktiviert und sich selbst anders gar nicht einschtzen kann, liegen

    skeptische Konsequenzen auf der Hand. Auch Kybernetiker und

    Mathematiker zeigen, da ein System, das seinen eigenen Output als

    Input wiedereinfhrt, fr die eigenen Operationen unkalkulierbar wird

    und erst recht von auen nicht wie eine zuverlssige Maschine

    berechnet werden kann;(21) und dies, obwohl, ja weil es operativ

    geschlossen und strukturdeterminiert operiert.

    Forschungen, die Entwicklungen in eher peripheren Gebieten der

    modernen Gesellschaft betreffen, knnen daher kaum, ohne ihren

    eigenen Grundlagen zu widersprechen, dem politischen

    Gestaltungswillen Instrumente zur Verfgung stellen. Zweifel dieser Art,

    die heute weit verbreitet sind, mssen jedoch nicht zur Resignation

    fhren. Sie erffnen, im Gegenteil, Forschungsperpektiven anderer Art,

    die auf eine strkere Differenzierung von Politik und Wissenschaft

    eingestellt sind. Die diskutierten Konzeptvernderungen in Fragen der

    Kausalitt und der Freiheit betreffen "autologische" Theorien. Das heit:

    sie knnen, ja mssen auch auf die Forschung selbst angewandt

  • werden. Und nichts anderes ist gesagt, wenn man davon ausgeht, da

    die moderne Gesellschaft auf einer funktionalen Differenzierung ihrer

    primren Subsysteme beruht. Welche Freiheiten gesehen und welche

    Kausalitten konstruiert werden, variiert daher von System zu System.

    Wenn man dem Rechnung trgt, macht das alle Planungen kompliziert,

    vielleicht entmutigend kompliziert. Man kann dann weder mit einem

    ontologischen Realittsbegriff arbeiten noch mit einer einfachen

    zweiwertigen Wahrheitslogik, die, wenn fehlerfrei angewandt, zu

    Ergebnissen fhrt, deren Wahrheitswerte von jedermann anerkannt

    werden mssen. ber derart vereinfachende Prmissen ist die moderne

    Gesellschaft jedoch seit langem hinausgewachsen, und dies nicht nur,

    weil es noch gewisse "Rckstndigkeiten" in der Entwicklung gibt,

    sondern gerade auch in der Modernitt ihrer Strukturen und

    Semantiken. Es wrde wenig helfen, wollte man das nicht zu Kenntnis

    nehmen und weiterhin von Rationalittszentrismus einer lngst

    berholten europischen Tradition ausgehen.

    (1) Die Beibehaltung des alten Begriffs des "Mechanischen" ist eher verwirrend und hatzu zahllosen Miverstndnissen gefhrt - nicht zuletzt zu der ganz unsinnigenEntgegensetzung von Kausalitt und Freiheit bei Kant. Die Funktion des Begriffes wares gewesen, innerhalb des Aristotelischen Schemas eine der Ursachen im Unterschiedzu den anderen zu bezeichnen. Wenn der Begriff diese Funktion verliert, wird ihmfreigestellt, andere Gegenbegriffe zu suchen, etwa in der Form mechanisch/organischoder Kausalitt/Freiheit. Aber warum soll man ihn berhaupt beibehalten, wenn mansich damit solche Verlegenheiten einhandelt? Im brigen hat der Begriff desMechanischen bei der Umformung des Kausalkonzepts im 17. Jahrhundert einwichtiges Merkmal verloren, das heute wieder wichtig werden knnte, nmlich dasMerkmal der listigen, trickreichen Einfdelung eigener Ziele und Mittel (mechan,machinatio) in einen kosmologisch vorgegebenen Ablauf. Mechanik war in diesemSinne religis suspekt gewesen, whrend sie heute nur noch geisteswissenschaftlichsuspekt ist.

    (2) So jedenfalls erscheint es Forschern aus den Zentren der "westlichen" Zivilisation.Siehe nur Ingersoll/Adams 1986, S. 360-381. Fr viele Weltgegenden, unter anderemfr den Sden Italiens, wird man diese Annahme einschrnken mssen. Sie wirkt hierallenfalls als Rhetorik und als Kontrastfolie fr eine anders wahrgenommene Realitt.

  • (3) Du contrat social; ou, Principes du droit politique II.XI., zit. nach Rouseau 1964, S.391.

    (4) Vgl. Heider 1944; Michotte 1954. Die anschlieende Forschung ist nur noch frSpezialisten zu berblicken, und das scheint verhindert zu haben, da manweitreichenden Konsequenzen fr eine Theorie des Beobachtens und fr denerkenntnistheoretischen Konstruktivismus nachgegangen ist.

    (5) Auf die komplizierten mathematischen und logischen Voraussetzungen einersolchen Theorie des Beobachtens zweiter Ordnung kann hier nur mit Literaturangabenhingewiesen werden. Siehe vor allem von Foerster 1981; ferner etwa Esposito 1992.

    (6) Diese Unterscheidung stammt ursprnglich aus der Wahrnehmungstheorie vonFritz Heider (1926). Fr Zwecke der Wahrnehmungspsychologie reicht es, statt vonFormen von Dingen zu sprechen. Wir bevorzugen den allgemeineren Begriff der Form,der deutlich macht, da es um Unterscheidungen geht. Siehe dazu Luhmann 1990, S.53 ff., 181 ff.; Luhmann/De Giorgi 1992, S. 61 ff..

    (7) Auch Crozier/Friedberg (1977) betonen, da Kultur immer auch zurWiederherstellung von Freiheit, von Ungewiheit und damit von Macht benutzt wird,und sehen darin eine Bedingung der Fortsetzung des "Spiels".

    (8) Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches I, 56.

    (9) Ich beziehe mich auf Diskussionen vor Ort in den 50er Jahren, als in Deutschlandhnliche Planungen (Sennestadt, Espelkamp) unternommen wurden.

    (10) Zum Thema Freiheitsgewinn durch kognitive Ausrstung fr abweichendesVerhalten siehe auch die Fallstudie aus einer britischen Schule von Willis (1979).

    (11) Was hat es in diesem Zusammenhang zu bedeuten, da Jugendliche, die beirassistischen Straftaten erwischt werden, als Motiv "Auslnderfeindlichkeit" nennen,also eine in der Tendenz deutlich ich-bezogene geradezu "stolze" Antwort geben?

    (12) Unter welchen Einschrnkungen immer, was die Subjektivitt der Prferenzen, dieErwartungsunsicherheit, die Informationskosten usw. betrifft.

    (13) In einen "unmarked space" im Sinne des Formenkalkls von George SpencerBrown (1969).

    (14) "Helden" werden sowohl in lteren Gesellschaften, aber auch unter modernenBedingungen in der Politik und in der Welt der Groorganisationen am Tabubrucherkennbar. De Gaulle beendet als General den nicht zu gewinnenden Algerienkrieg.Ebenso Genies in Kunst und Wissenschaft, die das vorher Unakzeptable wagen.

    (15) In der Planungstheorie ist dies eine wichtige Bedingung von "near-decomposability", also eine Bedingung fr die unschdliche Isolierbarkeit vonEinzelprojekten.

    (16) Es wre lohnend, der Hypothese nachzugehen, da England, eben weil hier derProze der Modernisierung sehr frh eingesetzt hatte, einen besonderen Sinn frTradition (zum Beispiel in der Interpretation des common law), einen Sinn fr dieeigenen Institutionen (fr "constitution" im ursprnglichen Sinne des englischenSprachgebrauchs), fr das Establishment einer tonangebenden Schicht usw. bewahren

  • konnte - bis das vergleichsweise Zurckbleiben Grobritaniens in der weltweitenEntwicklung Margret Thatcher die Chance gab, all dies politisch in Frage zu stellen.

    (17) Zu dieser Tendenz unter allgemeineren, berregionalen Gesichtspunkten (die manfr Deutschland vielleicht modifizieren, zumindest zeitlich strecken mte) Lutz 1994.Vgl. auch ders. 1984; 1986.

    (18) Da die Rhetorik der Kultur sich aus genuinen Interessen und einem reichenRepertoire an Fhigkeiten speist, soll natrlich nicht bersehen und nicht unterschtztwerden. Hier mte der Empiriker nach dem Enttuschungsquotienten fragen.

    (19) Fr die Gerichte wird man eine Ausnahme konzedieren mssen; denn das Systemder Gunsterweise wrde ja seine Schwierigkeit und damit seine Existenzberechtigungverlieren, wenn auch die Gerichte durch Direktkontakt einbezogen werden knnten.Deshalb sind Staatsanwlte und Richter auch die Ansatzpunkte fr eine Relegalisierungdes Systems.

    (20) Im Gegenteil: es kommt nicht selten vor, da rzte, Anwlte, Architekten usw.,unentgeltlich handeln, wenn von Bekannten fr Bekannte interveniert worden ist,obwohl Unentgeltlichkeit gar nicht verlangt war, sondern wiederum nur symbolisch alsIndikator fr Grozgigkeit, Ansprechbarkeit, Freundschaftsdienste usw. in dasNetzwerk eingespeist wird.

    (21) Dazu Heinz von Foerster in zahlreichen Publikationen. Siehe von Foerster 1993a,und zuletzt: von Foerster 1993b.

    Kausalitt im SdenNiklas LuhmannI.II.III.IV.V.VI.VII.


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