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Kapitel 6 Komplexe Analysis, Funktionentheorie · Ln kann man anschaulich so deuten, daˇ man die...

Date post: 19-Jul-2018
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Kapitel 6 Komplexe Analysis, Funktionentheorie 6.1 Elementare komplexwertige Funktionen Sei D C und f : D -→ C eine komplexwertige Funktion. Man schreibt oft w = f (z )- analog dazu wie man bei Funktionen einer reellen Ver¨ anderlichen y = f (x) schreibt und spricht dann von einer Abbildung von der z - Ebene in die w - Ebene. Komplexe Zahlen veranschaulicht man am besten in der komplexen Zahlenebene. Hierbei betrachtet man C als reellen Vektorraum R 2 mit Basis {1,i}. Oft verwendet man auch die sogenannte Polardarstellung z = r · e . Hier beschreibt r = |z | den Abstand vom Ursprung und ϕ stellt den Winkel (im positiven Sinn) zwischen der Ursprungsgerade durch z und der Realteilachse dar. ϕ nennt man auch Argument von z , Schreibweise: arg z. Zerlegt man f (z ) in Real- und Imagin¨ arteil f (z )= f (x + iy)= u(x, y)+ i · v(x, y), so kann man f als Vektorfeld von D, aufgefasst als Teilmenge von R 2 , nach R 2 interpre- tieren: f : x y 7 u(x, y) v(x, y) . Hierbei sind u(x, y) und v(x, y) reellwertige Funktionen. In der Betrachtung komplexwer- tiger Funktionen spielt diese Zerlegung in Real- und Imagin¨ arteil eine wesentliche Rolle. Beispiele: a) Sei a C fest vorgegeben. Die Funktion definiert durch f (z )= a · z stellt in der kom- plexen Zahlenebene eine Drehstreckung dar. Dies folgt leicht aus der Rechenregel, 131
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Kapitel 6

Komplexe Analysis,Funktionentheorie

6.1 Elementare komplexwertige Funktionen

Sei D ⊆ C und f : D −→ C eine komplexwertige Funktion. Man schreibt oft w = f(z) -analog dazu wie man bei Funktionen einer reellen Veranderlichen y = f(x) schreibt undspricht dann von einer Abbildung von der z - Ebene in die w - Ebene.

Komplexe Zahlen veranschaulicht man am besten in der komplexen Zahlenebene. Hierbeibetrachtet man C als reellen Vektorraum R2 mit Basis {1, i}. Oft verwendet man auch diesogenannte Polardarstellung z = r·eiϕ. Hier beschreibt r = |z| den Abstand vom Ursprungund ϕ stellt den Winkel (im positiven Sinn) zwischen der Ursprungsgerade durch z undder Realteilachse dar. ϕ nennt man auch Argument von z, Schreibweise: arg z.

Zerlegt man f(z) in Real- und Imaginarteil

f(z) = f(x+ iy) = u(x, y) + i · v(x, y),so kann man f als Vektorfeld von D, aufgefasst als Teilmenge von R2, nach R2 interpre-tieren:

f :

(x

y

)

7→(u(x, y)v(x, y)

)

.

Hierbei sind u(x, y) und v(x, y) reellwertige Funktionen. In der Betrachtung komplexwer-tiger Funktionen spielt diese Zerlegung in Real- und Imaginarteil eine wesentliche Rolle.

Beispiele:

a) Sei a ∈ C fest vorgegeben. Die Funktion definiert durch f(z) = a·z stellt in der kom-plexen Zahlenebene eine Drehstreckung dar. Dies folgt leicht aus der Rechenregel,

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daß man zwei komplexe Zahlen miteinander multipliziert, indem man ihre Betragemultipliziert und ihre Argumente (Winkel) addiert. Ist a = |a|·eiα = |a|(cosα+sinα)und z = |z| · eiϕ = |z|(cosϕ+ sinϕ), dann ist

a · z = |a||z|ei(α+ϕ) = |a||z|(cos(α + ϕ) + i sin(α + ϕ)).

Dies entspricht einer Drehung um den Winkel α gefolgt von einer Streckung mit |a|.

b) Die komplexe Exponentialfunktion z 7→ ez mit

ez = ex+iy = ex · eiy = ex(cos y + i sin y),

wenn z = x+ iy die Zerlegung in Imaginarteil und Realteil von z ist. Somit ist:

Re(ez) = ex · cos y, Im(ez) = ex sin y.

Ferner gilt

|ez| = ex, arg ez = y.

Rechenregeln: Fur z, z1, z2 ∈ C und y ∈ R gilt:

(i)

ez1+z2 = ez1 · ez2 , ez1−z2 =ez1

ez2

(ii)

e0 = 1, eπi = −1, e2πi = 1, ez+2πi = ez

(iii)

eiy = cos y + i sin y, |eiy| = 1.

Die Exponentialfunktion ist fur alle z ∈ C definiert und es ist ez 6= 0 fur alle z.

Unter der Exponentialfunktion werden Geraden der z - Ebene parallel zur ima-ginaren Achse, also Geraden mit der Gleichung Re z = c, in der w - Ebene in Kreiseum den Ursprung mit Radius ec abgebildet. Geraden Im z = k parallel zur reel-len Achse, gehen in Strahlen aus dem Ursprung mit argw = k uber. Der Streifenk1 ≤ Imz < k1 + 2π wird unter der Exponentialfunktion bijektiv in die gelochte w -Ebene C \ {0} abgebildet.

c) Mit Hilfe der Exponentialfunktionen lassen sich weitere wichtige Funktionenf : C −→ C definieren:

– f(z) = cos z = 12(eiz + e−iz).

– f(z) = sin z = 12i

(eiz − e−iz).

– f(z) = cosh z = 12(ez + e−z).

– f(z) = sinh z = 12(ez − e−z).

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Die Eulersche Formel (obige Rechenregel (iii) 1.Teil) gilt dann offensichtlich mitbeliebigen komplexen Zahlen z:

eiz = cos z + i · sin z.

cos z und sin z sind wie im Reellen 2π− periodisch. Es kommen durch die Ausdeh-nung ins Komplexe bei beiden Funktionen auch keine zusatzlichen Nullstellen hinzu.Es gilt

cos z = 0 =⇒ z = ±(2k + 1)π

2k ∈ N

und

sin z = 0 =⇒ z = ±kπ k ∈ N.

Die Additionstheoreme fur Sinus und Kosinus lauten genau wie im Reellen

cos(z1 + z2) = cos z1 cos z2 − sin z1 sin z2,

sin(z1 + z2) = sin z1 cos z2 + cos z1 sin z2,

und es gilt

cos2 z + sin2 z = 1.

d) Wegen ez+2πik = ez ist klar, daß zur Definition einer Umkehrfunktion, die dannwie im Reellen Logarithmus genannt werden wird, eine Wahl getroffen werden muß.Setzt man

Ln(z) := ln(|z|) + i · arg(z),

wobei ln(|z|) der reelle naturliche Logarithmus ist und fur den Winkel arg(z) dieWahl −π < arg(z) ≤ π getroffen wird, dann gilt:

eLn(z) = eln(|z|)+i·arg(z) = |z|ei arg(z) = z.

Man beachte, daß Ln(z) fur z = 0 nicht definiert ist. Ist z0 nicht auf der negativenRealteilachse, dann ist Ln(z) an z0 stetig. An den Punkten der negativen Realteil-achse ist Ln(z) jedoch unstetig, da sich in jeder Umgebung Punkte befinden, derenArgumente sich um fast 2π unterscheiden. Obige Winkelwahl in der Definition vonLn kann man anschaulich so deuten, daß man die komplexe Zahlenebene langs dernegativen Realteilachse aufschneidet.

Man konnte zur Definition eines Logarithmus die Zahlenebene auch langs einer an-deren Halbgerade, die vom Nullpunkt ausgeht, aufschneiden und konnte fur arg(z)irgendein Intervall ϕ < arg(z) ≤ ϕ+2π bzw. ϕ ≤ arg(z) < ϕ+2π der Lange 2π fest-setzen. Wahlt man z.B. die positive Realteilachse mit ϕ = 0 dann ist der so definierte

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Logarithmus an Punkten der negativen Realteilachse stetig – 0 bleibt allerdings stetsausgenommen – und stimmt mit Ln(z) auf den Punkten mit positivem Imaginarteiluberein. Man erhalt auf diese Weise letzlich mehrere mogliche Bildbereiche fur einenkomplexen Logarithmus, die man sich wie zusammengeklebte Blatter um eine senk-recht zur Zahlenebene verlaufende Achse durch den Nullpunkt vorstellen kann. Inder Mathematik spricht man dann von einer mehrblattrigen Funktion und nenntden Bildbereich eine Riemannsche Flache. Den oben definierten Logarithmus nenntman den Hauptzweig oder das Hauptblatt.

Man definiert den komplexen Logarithmus lnc(z) als mehrdeutige Funktion, indemman einer komplexen Zahl nicht eine Zahl sondern eine ganze Menge von Zahlenzuordnet:

z 7→ lnc(z) := {Ln(z) + 2kπi; k ∈ Z}.

Wir werden uns im folgenden jedoch auf den Hauptzweig konzentrieren. Fur diesengilt:

Ln(ez) = ln(|ez|) + i arg(ez) = x + i · y0

fur z = x + i · y. Hierbei ist y − y0 ein ganzzahliges Vielfaches von 2π. Durchy0 ∈ (−π, π] ist y0 eindeutig bestimmt.

Weitere Rechenregeln:

(i) Ln(1) = 0.

(ii) Ln(zw) = Ln(z) + Ln(w) + 2πil fur l ∈ Z.

(iii) Ln(zk) = kLn(z) + 2πil fur l ∈ Z.

Die aus dem Reellen gewohnten Rechenregeln gelten also im Allgemeinen nicht,sondern nur bis auf ganzzahlige Vielfache von 2πi.

Beispiel: Es ist Ln(−i) = −iπ2, Ln(−1) = iπ und Ln((−i)2) = iπ 6= Ln(−i) +

Ln(−i) = 2Ln(−i) = −iπ.

e) Sind z, w ∈ C mit z 6= 0, dann definiert man als Hauptwert einer allgemeinen Potenz

zw := ew·Ln(z)

bzw. im Allgemeinen mehrdeutig als allgemeine Potenz

zw := ew·lnc(z) = {ew·(Ln(z)+2kπi); k ∈ Z}.

Ist w ∈ Z, dann ist zw eindeutig. Die Mehrdeutigkeit des Logarithmus wirkt sichhier nicht aus; denn ist w ganzzahlig, dann ist w · (Ln(z) + 2kπi) = wLn(z) + 2lπimit l ∈ Z. Aber es ist e2lπi = 1 fur l ∈ Z. Also ist w · (Ln(z) + 2kπi) = w · Ln(z).

Im Allgemeinen ist zw jedoch mehrdeutig. Ist beispielsweise w = 1n

mit n ∈ N undn ≥ 2, dann ist

zw = e1n·ln(z)

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und zw als n - te Wurzel hat n verschiedene Werte (der Exponent ist bestimmt bisauf Vielfache von 2π

n. Im Sinne obiger Bemerkungen ist zw dann eine n - blattrige

Funktion. Ist w irrational, dann ist zw ∞ - blattrig, hat also ∞ viele verschiedeneWerte.

6.2 Stetigkeit, Differenzierbarkeit

Konvergenz und Grenzwerte von Folgen bzw. von Funktionen sind wie im Reellen definiert.

Definition: Sei (an)n∈N eine Folge komplexer Zahlen. (an) konvergiert gegen den Grenz-wert a ∈ C, wenn

∀ε∈R+∃n0∈N∀n∈N : n ≥ n0 =⇒ |an − a| < ε.

Schreibweise: limn−→∞ an = a.

Bemerkung: limn−→∞ an = a⇐⇒ limn−→∞ Re(an) = Re a und limn−→∞ Im(an) = Im a.

Definition: Seien D ⊆ C, z0 ∈ D, a ∈ C und f : D −→ C.

a) a heißt Grenzwert von f in z0, wenn fur jede Folge (zn), die gegen z0 konvergiert,die zugehorige Folge (f(zn)) von Funktionsgrenzwerten gegen a konvergiert, also

limn−→∞

zn = z0 =⇒ limzn−→z0

f(zn) = a

Schreibweise: limz−→z0 f(z) = a.

b) f heißt stetig in z0, fallslim

z−→z0

f(z) = f(z0).

c) f heißt stetig in D, falls f in jedem z0 ∈ D stetig ist.

Ob eine Funktion f : C −→ C stetig ist, laßt sich an ihrem Realteil und ihrem Imaginarteilablesen.

Satz 6.2.1: Seien D ⊆ C, z0 = x0 + iy0, f : D −→ C, f(z) = f(x+ iy) = u(x, y)+ iv(x, y).Dann gilt:

f ist genau dann in z0 stetig, wenn u(x, y) und v(x, y) in (x0, y0) stetig sind.

Der Beweis ergibt sich unmittelbar mit Hilfe obiger Bemerkung.

Definition: Sei f : C −→ C eine komplexwertige Funktion mit Real- und Imaginarteil-zerlegung f(z) = u(x, y) + i · v(x, y). Dann nennt man f in z0 differenzierbar, wenn der

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Grenzwert

limz−→z0

f(z) − f(z0)

z − z0

existiert. Unter einem Gebiet in C versteht man eine offene und zusammenhangendeTeilmenge von C. Ist f in jedem Punkt eines Gebiets G ⊆ C differenzierbar, dann heißtf holomorph auf G.

Fur die abgeleitete Funktion verwendet man die gewohnten Notationen:

d

dzf bzw. f ′.

Ist f(z) = u(x, y) + i · v(x, y) differenzierbar in z0 = x0 + iy0, dann stimmen insbesondere(h ∈ R) die Grenzwerte

limh−→0

f(z0 + h) − f(z0)

h= lim

h−→0

u(x0 + h, y0) + iv(x0 + h, y0) − u(x0, y0) − iv(x0, y0)

h=

limh−→0

u(x0 + h, y0) − u(x0, y0) + i(v(x0 + h, y0) − v(x0, y0))

h= ux(x0, y0) + ivx(x0, y0)

und

limh−→0

f(z0 + ih) − f(z0)

ih= lim

h−→0

u(x0, y0 + h) + iv(x0, y0 + h) − u(x0, y0) − iv(x0, y0)

ih=

limh−→0

−i(u(x0, y0 + h) − u(x0, y0)) + v(x0, y0 + h) − v(x0, y0)

h= −iuy(x0, y0) + vy(x0, y0)

uberein. Durch Vergleich von Real- und Imaginarteil erhalt man den ersten Teil des fol-genden Satzes:

Satz 6.2.2:(Cauchy-Riemannsche Differentialgleichungen)

a) Sei G ⊆ C ein Gebiet und ist f = u+ iv : G −→ C differenzierbar in z0 = x0 + iy0.

Dann existieren die partiellen Ableitungen von u und v nach x und y und es geltendie Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen:

ux(x0, y0) = vy(x0, y0) und uy(x0, y0) = −vx(x0, y0).

Ferner gilt:

f ′(z) = ux(x, y) − iuy(x, y) = vy(x, y) + ivx(x, y).

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b) Umgekehrt, ist f(z) = u(x, y) + iv(x, y) fur reelle in einer Umgebung von z0 stetigdifferenzierbare Funktionen u und v, die die Cauchy - Riemannschen Differential-gleichungen erfullen, dann ist f in einer Umgebung von z0 stetig differenzierbar.

Es reicht also nicht aus, daß die Funktionen u(x, y) und v(x, y) in x und y stetig differen-zierbar sind, sonderen es mussen fur sie zusatzlich die Cauchy - Riemannschen Differen-tialgleichungen gelten.

Fur die Differentiation gelten dieselben Rechenregeln wie im Reellen:

Satz 6.2.3:

(i) (Linearitat)(af + bg)′ = af ′ + bg′ fur a, b ∈ C.

(ii) (Produktregel)(f · g)′ = f ′ · g + f · g′.

(iii) (Quotientenregel)

(f

g)′ =

f ′g − g′f

g2g 6= 0.

(iv) (Kettenregel)(g ◦ f)′(z) = g′(f(z)) · f ′(z) . 1

6.3 Integration

Eine stetige komplexwertige Funktion einer reellen Veranderlichen f(x) = u(x) + iv(x)wird integriert, indem man Realteil und Imaginarteil integriert, d.h.

∫ b

a

f(x) dx =

∫ b

a

u(x) dx+ i

v(x) dx.

Sei nun G ⊆ C ein Gebiet und f : G −→ C stetig. Dann stellt sich die Frage, wie man f

von einem Punkt P bis zu einem Punkt Q der komplexen Zahlenebene integrieren kann.Zunachst ist klar, daß es verschiedene glatte Kurven gibt, die P mit Q verbinden. EinIntegral wird also zumindest zunachst von der Verbindungskurve abhangen.

Fur a, b ∈ R sei C : [a, b] −→ G Parametrisierung einer Kurve K mit C(a) = P undC(b) = Q. Hierbei wird G zugleich als Teilmenge von R2 identifiziert mit C aufgefaßt. Ist

f(z) = u(x, y) + iv(x, y)

1Hierbei bedeutet ◦ die Komposition g nach f.

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die Real- und Imaginarteilzerlegung von f, dann sind auch u und v stetig.

Definition: Sei K eine glatte Kurve mit regularer Parametrisierung C : [a, b] −→ G.

Dann ist das komplexe Kurvenintegral langs K definiert als

K

f(z) dz :=

K

f(C(t)) · C ′(t) dt.

Hierbei ist C(t) komplex parametrisiert und es gilt

f((C(t)) · C ′(t) = (u(x(t), y(t)) + iv(x(t), y(t))) · (x′(t) + iy′(t))

= u(x(t), y(t) · x′(t) − v(x(t), y(t)) · y′(t) + iu(x(t), y(t) · y′(t) + v(x(t), y(t)) · x′(t).

Parametrisiert man reell mit C(t) = (x(t), y(t)), verwendet die Real- und Imaginarteil-zerlegung von f und benutzt die reellen Vektorfelder

g1(x, y) =

(u(x, y)−v(x, y)

)

und g2(x, y) =

(v(x, y)u(x, y)

)

dann kann man das komplexe Kurvenintegral in der Form

K

f(z) dz =

K

g1 dv + i

K

g2 dv =

∫ b

a

(u,−v)(x′, y′) dt+ i

∫ b

a

(v, u)(x′, y′) dt =

=

∫ b

a

u(x(t), y(t))x′(t)−v(x(t), y(t))y′(t) dt+ i

∫ b

a

u(x(t), y(t))y′(t)+v(x(t), y(t))x′(t) dt.

schreiben. Hierbei haben wir fur das vektorielle Bogenelement dv geschrieben. Das kom-plexe Kurvenintegral ist also in zwei reelle Kurvenintegrale – das zweite multipliziert miti – zerlegt worden.

Man verwendet fur das komplexe Kurvenintegral auch haufig folgende Schreibweisen:

K

f(z) dz =

K

(u+ iv) (dx+ idy) =

K

u dx− v dy + i

K

u dy + v dx =

=

∫ b

a

ux′ − vy′ dt+ i

∫ b

a

vx′ + uy′ dt,

wobei zur Ubersichtlichkeit bei den Funktionen die Argumente weggelassen wurden.

Beispiele:

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a) Fur f(z) = z2 soll das komplexe Kurvenintegral langs der Kurve K gegeben durcht 7→ t+ it2 , −1 ≤ t ≤ 1 berechnet werden.

Parametrisiert man reell so ist C(t) = (x(t), y(t)) mit x(t) = t, y(t) = t2 undC ′(t) = (1, 2t).

Mit z = x+ iy ist f(z) = (x+ iy)2 = x2 − y2 + i(2xy). Mit f(z) = u(x, y) + iv(x, y)ist dann

u(x, y) = (x2 − y2) und v(x, y) = 2xy.

Somit

K

f(z)dz =

∫ 1

−1

(t2 − t4,−2t3) · (1, 2t) dt+ i

∫ 1

−1

(2t3, t2 − t4) · (1, 2t) dt =

∫ 1

−1

t2 − 5t4 dt+ i

∫ 1

−1

4t3 − 2t5 dt = −4

3.

b) Sei c ∈ C, n ∈ Z und f(z) = (z − c)n. Es soll das Kurvenintegral von f um denKreis vom Radius r und der Gleichung |z − c| = r berechnet werden.

Kreise lassen sich leicht komplex parametrisieren:

C(t) = c+ r · eit, 0 ≤ t < 2π.

Mit c = a+ bi erhalt man mit

x(t) = a+ r cos t, y(t) = b+ r sin t, 0 ≤ t < 2π

eine reelle Parametrisierung von K. Es errechnet sich

x′(t) = −r sin t, y′(t) = r cos t.

Interpretiert man dies komplex, so ist

C ′(t) = r · i · eit.

Dies hatte man genauso erhalten, wenn man die komplexe Parametrisierung nach tabgeleitet hatte.

Mit f(C(t)) = (c+ eit − c)n ergibt sich somit

K

f(z) dz =

∫ 2π

0

(rieit)n · ireit dt = i · rn+1 ·∫ 2π

0

ei(n+1)t) dt

= i · rn+1 ·∫ 2π

0

cos((n+ 1)t) + i sin((n+ 1)t) dt.

Fur n = −1 erhalt man:

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K

f(z) dz = 2πi.

Fur n 6= −1 ergibt sich jedoch mit∫

cos((n + 1)t) dt = 1n+1

· sin((n + 1)t) bzw.∫

sin((n+ 1)t) dt = − 1n+1

· cos((n+ 1)t), daß

K

f(z) dz = 0.

Man beachte, daß fur negatives n die Funktion in z = z0 einen Pol besitzt, daß abernur fur n = −1 das Umlaufintegral nicht Null ist.

Die folgenden Rechenregeln fur komplexe Integrale ergeben sich direkt aus jenen fur reelleKurvenintegrale.

Satz 6.3.1:

a) (Linearitat)

K

af(z) + b(g(z) dz = a

K

f(z) dz + b

K

g(z) dz.

b) Ist K∗ die entgegengesetzt durchlaufene Kurve, so gilt:

K

f(z) dz = −∫

K∗

f(z) dz.

c) Ist K = K1 + . . .+Km, dann gilt

K

f(z) dz =

K1

f(z) dz + . . .+

Km

f(z) dz.

d) Bezeichnet L(K) die Lange der Kurve K , dann gilt:

|∫

K

f(z) dz| ≤ L(K) · maxz∈K

(|f(z)|.

Satz 6.3.2: Sei G ⊆ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet und f : G −→ C sei stetigdifferenzierbar.

a) (Cauchyscher Integralsatz) Sei K eine in G verlaufende geschlossene Kurve, die sichnur endlich oft uberschneidet. Dann gilt:

K

f(z) dz = 0.

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b) Seien a1, a2 ∈ G und K1, K2 Kurven mit Anfangspunkt a1 und Endpunkt a2. Danngilt: ∫

K1

f(z) dz =

K2

f(z) dz.

Beweis: a) Wir nehmen vereinfachend an, daß K doppelpunktfrei ist. Da f stetig dif-ferenzierbar ist, sind fur f = u + iv die Cauchy - Riemannschen Differentialgleichungenerfullt, d.h.

ux = vy und uy = −vx.

Betrachte die Vektorfelder g1 = (u,−v) und g2 = (v, u). Dann gilt:

rot g1 = 0 und rot g2 = 0.

Die Kurve K kann man als Rand einer in G liegenden Flache F auffassen. Nach dem Satzvon Green (Satz 3.3.1) gilt dann:

K

g1 dv = 0 und

K

g2 dv = 0.

Folglich

K

f(z) dz =

K

g1 dv + i

K

g2 dv = 0 + 0 = 0.

b) folgt aus a) .

2

Bemerkungen:

• Ist G nicht einfach zusammenhangend, so gilt Satz 6.3.2 im Allgemeinen nicht. Dieszeigt obiges Beispiel im Fall n = −1.

• In der Situation von Satz 6.3.2 b) ist das Integral von a1 nach a2 wegunabhangig.Man schreibt dann einfach ohne Bezug auf die verbindende Kurve

∫ a2

a1

f(z) dz

Der folgende Satz entspricht dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung vonFunktionen einer reellen Veranderlichen.

Satz 6.3.3: Sei G ⊆ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet und f : G −→ C sei stetigdifferenzierbar.

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a) Fur fest gewahltes a1 ∈ G und variables z ∈ G ist

F (z) :=

∫ z

a1

f(ζ) dζ

eine Stammfunktion von f(z) , d.h. es gilt:

F ′(z) = f(z).

b) Verschiedene Stammfunktionen von f unterscheiden sich nur um eine Konstante.

c)∫ a2

a1

f(ζ) dζ = F (a2) − F (a1).

Wir wenden uns jetzt nicht einfach zusammenhangenden Gebieten zu.

Satz 6.3.4: Sei G einfach zusammenhangend und K1, K2 seien geschlossene Kurven in G.Ferner sei A eine Teilmenge von G , die von K1 und K2 in gleicher Orientierung einmalumlaufen werde. g : G \ A −→ C sei stetig differenzierbar. Dann gilt:

K1

g(z) dz =

K2

g(z) dz.

Folgerung 6.3.5: Sei G ⊆ C einfach zusammenhangend und f : G −→ C sei stetigdifferenzierbar. Ferner sei a ∈ G, r > 0, n ∈ Z und K eine geschlossene doppelpunktfreieKurve in G, so daß der Kreis Cr(a) um a mit Radius r im Innern von K liegt. Dann gilt:

K

f(z)

(z − a)ndz =

Cr(a)

f(z)

(z − a)ndz

und

K

1

(z − a)dz =

Cr(a)

1

(z − a)dz = 2πi

Beweis: Mit A = {a} und g(z) = f(z)(z−a)n folgt die Behauptung unmittelbar aus Satz 6.3.4.

Der Wert des letzten Integrals wurde im zweiten Beispiel vor Satz 6.3.1 berechnet. 2

Satz 6.3.6: (Cauchysche Integralformel) Sei G ein einfach zusammenhangendes Gebiet,f : G −→ C sei stetig differenzierbar. K sei eine positiv orientierte geschlossene doppel-punktfreie Kurve. Sei M die von K umschlossene Menge. Es gelte M o ⊆ G und es seiz ∈M o. Dann gilt:

142

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f(z) =1

2πi

K

f(ζ)

(ζ − z)dζ.

Insbesondere ist also f(z) durch die Funktionswerte auf K bestimmt.

Man kann zeigen, daß die Differentiation von f(z) in der Cauchyschen Integralformel mitder Integration auf der rechten Seite vertauscht, d.h. es ist

f ′(z) =1

2πi

K

f(ζ)

(ζ − z)2dζ.

Iteriert man diesen Prozess, so erhalt man

f (n)(z) =n!

2πi

K

f(ζ)

(ζ − z)n+1dζ.

Diese Gleichung nennt man die Cauchysche Integralformel fur die n - te Ableitung undgilt wiederum fur alle Punkte z aus M o, d.h. aus dem Inneren der Kurve K. Insbesonderesind auch alle Ableitungen von f(z) durch die Werte von f auf dem Rand K bestimmt.Man sieht, daß holomorphe Funktionen beliebig oft differenzierbar sind.

6.4 Potenzreihen, Laurentreihen

Eine Reihe der Form

∞∑

k=0

ak(z − z0)k

mit ak, z0, z ∈ C nennt man Potenzreihe mit Entwicklungspunkt z0 und Koeffizienten ak.

Diese Definition entspricht genau jener von reellen Potenzreihen.

Wie bei reellen Potenzreihen gelten fur die Untersuchung auf Konvergenz dieser Reihendas Majorantenkriterium, das Quotientenkriterium und das Wurzelkriterium. Im Unter-schied zum Reellen ist der Definitionsbreich (reell betrachtet) 2 - dimensional, z.B. tritt andie Stelle des Konvergenzintervalls ein Konvergenzkreis und das Wort Konvergenzradiusgewinnt erst bei komplexen Potenzreihen so richtig seine Bedeutung. Genaueres regelt derfolgende Satz.

Satz 6.4.1: Gegeben sei∞∑

k=0

ak(z−z0)k. Bezeichne M die Menge aller z ∈ C, fur die diese

Potenzreihe konvergiert. Dann gibt es nur die folgenden Moglichkeiten.

143

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a) Es gibt ein r ∈ R+, so daß

{z ∈ C; |z − z0| < r} ⊆M ⊂ {z ∈ C; |z − z0| > r}.

Man nennt dann {z ∈ C; |z − z0| ≤ r} den Konvergenzkreis der Potenzreihe und r

ihren Konvergenzradius. Fur jedes 0 < % < r konvergiert die Reihe fur alle z mit|z − z0| ≤ r gleichmaßig und absolut.

b) Die Potenzreihe konvergiert fur alle z ∈ C. In diesem Fall sagt man, die Potenzreihebesitzt den Konvergenzradius ∞. Die Potenzreihe konvergiert uberall gleichmaßigund absolut.

c) Die Potenzreihe konvergiert nur fur z = z0. In diesem Fall besitzt die Potenzreiheden Konvergenzradius 0.

Ist die Funktion f durch

f(z) =∞∑

k=0

ak(z − z0)k

gegeben, dann ist f(z) in den Punkten im Inneren des Konvergenzkreises stetig.

Man beachte, daß im Teil a) des Satzes keine Aussage uber die Konvergenz der Potenz-reihe auf dem Rand des Konvergenzkreises getroffen wird. Auf dem Rand kann absoluteKonvergenz, nicht absolute Konvergenz oder auch gar keine Konvergenz vorliegen. Diesist wie bei reellen Potenzreihen.

Satz 6.4.2: Sei f(z) =∞∑

k=0

ak(z − z0)k eine Potenzreihe mit Konvergenzradius r > 0.

(i) f(z) ist fur alle z mit |z − z0| < r beliebig oft differenzierbar. Es gilt:

f ′(z) =∞∑

k=1

k · ak(z − z0)k−1

und die Reihe fur f ′(z) hat den gleichen Konvergenzradius wie die Reihe fur f(z).

(ii) Es gilt

an =1

n!f (n)(z0).

Insbesondere ist die Darstellung von f(z) als Potenzreihe eindeutig.

Es stellt sich die Frage, ob eine differenzierbare Funktion in eine Potenzreihe entwickeltwerden kann. Im Reellen dient dazu die Taylorrreihe

∞∑

n=0

f (n)(x0)(x− x0)

n

n!.

144

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Diese konvergiert, wenn in einer Umgebung von x0 nur dann gegen f(x0), wenn dasRestglied gegen 0 geht. Es ist aber nicht immer der Fall, daß die Taylorreihe gegen f

konvergiert. Fur komplexe differenzierbare Funktionen ist die Situation besser.

Satz 6.4.3: Sei G ⊂ C ein Gebiet, z0 ∈ G und f : G −→ C in G differenzierbar. Dannlaßt sich f in eine Potenzreihe um z0 mit positivem Konvergenzradius r entwickeln. DerRadius ist kleiner gleich dem Abstand von z0 vom Rand ∂G.

Nach Satz 6.4.2 sind Potenzreihen in ihrem Konvergenzkreis beliebig oft differenzierbar.Somit folgt aus Satz 6.4.3

Folgerung 6.4.4: Sei f : G −→ C differenzierbar. Dann ist f in G beliebig oft differen-zierbar. Ist

∞∑

n=0

ak(z − z0)k

die Potenzreihendarstellung um z0, dann ist

f (n)(z0) = n! · an.

Also ist eine holomorphe Funktion lokal stets durch eine Taylorreihe

f(z) =∞∑

i=0

f (n)(z0)

i!(z − z0)

i

darstellbar.

Ist eine komplexwertige Funktion an z0 ∈ C nicht definiert, aber fur alle Punkte ineinem Kreisring um z0, dann nennt man z0 eine Singularitat oder singulare Stelle von f.Typisches Beispiel ist etwa z0 fur f(z) = 1

z−z0.

Im folgenden werden wir annehmen, daß f in einem Kreisring um eine Singularitat holo-morph ist.

Satz 6.4.5: Sei f im Kreisring R = {z ∈ C; r < |z − z0| < R} holomorph.

a) Dann gilt fur alle z ∈ R

f(z) =∞∑

i=−∞ai(z − z0)

i :=∞∑

k=0

ak(z − z0)k +

∞∑

k=1

a−k

(z − z0)k.

b) Fur die Koeffizienten ak gilt:

ak =1

2πi

K%

f(ζ)

(ζ − z0)k+1dζ.

145

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Hierbei ist K% fur r < % < R der Kreis um z0 mit Radius %. Die Koeffizienten sindalso eindeutig bestimmt. Man nennt die Reihe

∞∑

i=−∞ai(z − z0)

i

die Laurentreihe von f um z0.

c) Die Teilsummen∞∑

k=0

ak(z − z0)k bzw.

∞∑

k=1

a−k

(z − z0)k

der Laurentreihe konvergieren absolut und gleichmaßig in jedem Teilring von R.

Bemerkungen: In Satz 6.8.1 wurde nicht vorausgesetzt, daß im Inneren des Kreisringes,insbesondere in z0 eine Singularitat existiert. Ist f im Inneren ebenfalls holomorph, dannwird aus der Laurentreihe um z0 die Taylorreihe um z0 (vgl. 6.4.4), d.h. es gilt wegen derEindeutigkeit ci = 0 fur alle negativen Indices i.

Unter dem Hauptteil einer Laurentreihe∑∞

i=−∞ ai(z − z0)i versteht man den Teil mit

negativen Indices, also1∑

i=−∞ai(z − z0)

i.

Ist dieser Hauptteil 0, dann liegt eine Potenzreihe vor und an der Stelle z0 liegt keine Sin-gularitat vor. Im Gegenteil, die durch die Reihe dargestellte Funktion ist an z0 holomorph.Liegt an einer z0 also eine Singularitat vor, so ist hierfur der Hauptteil der Laurentreiheverantwortlich.

Man unterscheidet drei verschiedene Arten von Singularitaten. Besteht der Hauptteil derLaurentreihe von f um z0 aus unendlich vielen von 0 verschiedenen Summanden, dannnennt man z0 eine wesentliche Singularitat von f. Besteht der Hauptteil nur aus endlichvielen Summanden und ist a−n 6= 0 und a−i = 0 fur alle i > 0 dann nennt man dieSingularitat z0 einen Pol n - ter Ordnung. Letztlich, ist der Hauptteil 0, so nennt man z0

eine hebbare Singularitat.

Beispiele:

a) Fur die Funktion f(z) = e1z erhalt man aus der Exponentialreihe, indem man z

durch1

zersetzt, die Laurentreihe

e1z = 1 +

1

z+

1

2!z2+

1

3!z3+ . . .

um die wesentliche Singularitat z0 = 0.

146

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b) Die rationale Funktion1

(z − z0)nhat an z = z0 einen Pol der Ordnung n.

c)sin z

zbesitzt an z = 0 eine hebbare Singularitat.

6.5 Residuensatz und Anwendungen auf reelle Inte-

grale

Sei G ⊆ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet mit stuckweise stetig differenzierbarerRandkurve K = ∂G.

Die Funktion f sei bis auf endlich viele Ausnahmepunkte z1, . . . , zn in G stetig differen-zierbar. Ziel ist es zunachst, das Umlaufintegral

K

f(z) dz

zu berechnen. Hierzu legt man um jeden Ausnahmepunkt zi einen Kreis Ci ⊂ G mitRadius ri . Die Radien seien hierbei so gewahlt, daß sich die Kreise Ci weder schneidennoch beruhren. Alle Kreise seien positiv orientiert.

Mit Hilfe des Cauchyschen Integralsatzes sieht man (vgl. Skizze), daß es lediglich daraufankommt die Kurvenintegrale um die einzelnen Kreise zu berechnen und aufzusummieren.

Die Kreise Ci werden in der Skizze negativ durchlaufen, daher

K

f(z) dz −n∑

k=1

Ck

f(z) dz = 0 .

Es gilt also:

147

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K

f(z) dz =n∑

k=1

Ck

f(z) dz.

Die Ausgangsfrage reduziert sich also auf die Berechnung von Kurvenintegralen langsgeschlossener Kurven um einen Ausnahmepunkt. Solche Kurvenintegrale lassen sich beientsprechender Bauart von f mit Hilfe der Cauchyschen Integralformel berechnen.

Beispiel: Sei

f(z) =eiz

z2 + 1.

Fur r > 0 bezeichne K+r die geschlossene Kurve, die sich aus dem von links nach rechts

durchlaufenen Intervall [−r, r] und der positiv orientierten oberen Halfte H+r des Kreises

um 0 von Radius r in der komplexen Zahlenebene zusammensetzt.

Die Nullstelle i des Nenners von f liegt im Innern von K+r , wenn r groß genug ist. Es ist

dann mit

g(z) =eiz

z + i

und nach der Cauchyschen Integralformel

K+r

f(z) dz =

K+r

g(z)

z − idz = 2πi · g(i) = 2πi · e

−1

2i= πe−1 .

Das Kurvenintegral laßt sich jedoch auch folgendermaßen ausdrucken:

K+r

f(z) dz =

∫ r

−r

eix

x2 + 1dx+

H+r

f(z) dz.

Fur jedes r > 0 gilt dann

148

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∫ r

−r

eix

x2 + 1dx = πe−1 −

H+r

eiz

z2 + 1dz.

Fur r −→ ∞ verschwindet das rechte Integral, denn mit 6.3.1 d) ergibt sich

(∗)∣∣∣∣

H+r

eiz

z2 + 1dz

∣∣∣∣≤ L(H+

r ) · maxz∈H+

r

∣∣∣∣

eiz

z2 + 1

∣∣∣∣≤ πr

|eia · e−b|r2 − 1

≤ πr

r2 − 1.

Wegen limr−→∞

πr

r2 − 1= 0 ist

limr−→∞

H+r

eiz

z2 + 1dz = 0.

Bei der Abschatzung in (*) wurde im Zahler ausgenutzt, daß fur z = a + ib und z ∈ H+r

stets e−b ≤ 1 ist, da der Halbkreis in der oberen Halbebene liegt und somit b ≥ 0 ist.Ferner ist fur reelles a stets |eia| = 1.

Fur z1, z2 ∈ C ist |z1 + z2| ≥ |z1| − |z2|. Dies fuhrt bei der Abschatzung in (*) im Nenner

zu |z2 + 1| ≥ r2 − 1 und somit zu1

|z2 + 1| ≤ 1

r2 − 1fur z ∈ H+

r .

Insgesamt ergibt sich:

limr−→∞

∫ r

−r

eix

x2 + 1dx =

∫ ∞

−∞

eix

x2 + 1dx = π · e−1.

Mit eix = cos x+ i sin x folgt dann

∫ ∞

−∞

cosx

x2 + 1dx+ i

∫ ∞

−∞

sin x

x2 + 1dx = π · e−1.

Vergleich von Real- und Imaginarteil liefert letztlich folgende Ergebnisse

∫ ∞

−∞

cosx

x2 + 1dx = πe−1 bzw.

∫ ∞

−∞

sin x

x2 + 1dx = 0.

Betrachtet man das erste der beiden uneigentlichen Integrale, so sieht man, daß man durchRechnung im Komplexen ein Ergebnis erhalten hat, welches rein reell gerechnet nicht soleicht zu erzielen gewesen ware. Diese Methode laßt sich verallgemeinern.

Definition: Sei G ⊆ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet. f sei in G \ {z0} holo-morph und K ⊂ G sei eine positiv orientierte geschlossene doppelpunktfreie Kurve um

149

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z0. Dann nennt man

Res(f, z0) :=1

2πi

K

f(z) dz

das Residuum von f an z0.

Satz 6.5.1:(Residuensatz)

Sei G ⊆ C einfach zusammenhangendes Gebiet und K eine ganz in G liegende geschlos-sene doppelpunktfreie positiv orientierte Kurve. f : G −→ C sei bis auf endlich vieleAusnahmepunkte z1, . . . zn innerhalb von K stetig differenzierbar. Dann gilt:

K

f(z) dz = 2πin∑

i=1

Res(f, zi).

Zur Berechnung von Residuen ist folgendes Resultat nutzlich.

Satz 6.5.2: Sei G ⊆ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet. f sei in G \ {z0} stetigdifferenzierbar undK ⊂ G sei eine positiv orientierte geschlossene doppelpunktfreie Kurveum z0. f(z) sei gegeben durch

f(z) =g(z)

(z − z0)n.

g : G −→ C sei stetig differenzierbar. Dann gilt:

Res(f, z0) =1

(n − 1)!g(n−1)(z0).

6.6 Fundamentalsatz der Algebra

Satz 6.6.1: (Satz von Liouville) Sei f : C −→ C stetig differenzierbar und beschrankt,d.h.

∃C>0 ∀z∈C |f(z)| < C.

Dann ist f(z) konstant.

Beweis: Sei z ∈ C beliebig vorgegeben und sei K der Kreis um z mit Radius r. Nach derCauchyschen Integralformel fur die erste Ableitung gilt :

|f ′(z)| =∣∣

1

2πi

K

f(ζ)

(ζ − z)2dζ∣∣ ≤ C

K

1

(ζ − z)2dζ ≤ M

2π· 2πr · 1

r2.

150

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Fur die letzte Ungleichung wurde Rechenregel 6.3.1.d) angewandt.

Laßt man r gegen 0 gehen, so folgt |f ′(z)| = 0. 2

Satz 6.6.2: (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes Polynom

f(z) =n∑

i=0

aizi, ai ∈ C, an = 1

vom Grad n ≥ 1 besitzt mindestens eine komplexe Nullstelle.

Beweis: Annahme es sei f(z) 6= 0 fur alle z ∈ C. Dann ist

g(z) :=1

f(z)

eine stetig differenzierbare Funktion von C nach C. Es ist

lim|z|−→∞

|f(z)| ≥ lim|z|−→∞

||zn| −n−1∑

i=0

|ai||zi|| = ∞.

Folglich istlim

|z|−→∞|g(z)| = 0.

Somit ist g(z) beschrankt und nach dem Satz von Liouville ist g(z) dann eine Konstante.Dann ist aber auch f(z) konstant, im Widerspruch zur Annahme. 2

Folgerung: Jedes Polynom

f(z) =n∑

i=0

aizi, ai ∈ C, an = 1

vom Grad n ≥ 1 laßt sich als ein Produkt von n Linearfaktoren schreiben, d.h.

f(z) = (z − z1) · . . . · (z − zn) .

Beweis: Dies ergibt sich aus dem Fundamentalsatz der Algebra sofort mit Hilfe vonPolynomdivision und Induktion. 2

6.7 Geometrische Eigenschaften holomorpher Funk-

tionen

Sei G ⊂ C ein Gebiet und f : G −→ C holomorph. Zerlegt man f in Real- und Ima-ginarteil, also f = u + iv, dann gilt fur die Funktionaldeterminante von f aufgefaßt alsTransformation im R2 Funktion

151

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uxvy − vxuy.

Da f holomorph ist, gelten die Cauchy - Riemannschen Differentialgleichungen, also ux =vy und uy = −vx. Somit folgt fur die Funktionaldeterminante

|f | = |∂(u, v)

∂(x, y| = u2

x + v2x = u2

x + u2y = |f ′(z)|2.

Ist f ′(z) 6= 0, dann folgt, daß f in einer Umgebung von z injektiv ist, d.h. hinreichendkleine Gebiete um z haben Gebiete als Bilder. Diese Eigenschaft holomorpher Abbildungennennt man Gebietstreue.

Satz 6.7.1: Sei G ⊂ C ein Gebiet und f : G −→ C holomorph. Sei z0 ∈ G mit f ′(z0) 6= 0.

a) Seien C1 und C2 differenzierbare Kurven durch z0, die sich unter dem Winkel αschneiden, dann schneiden sich die Bildkurven f(C1) und f(C2) ebenfalls unter demWinkel α. Die Orientierung des Winkels bleibt hierbei erhalten(Diese Eigenschaftnennt man Winkeltreue)

b) Sei C eine differenzierbare Kurve durch z0. Die Lange eines Tangentenvektors vonC durch z0 verandert sich unter f um den Faktor |f ′(z0)|. Die Verzerrung hangt alsonur von z0 und f ab und nicht von der Kurve bzw. ihrer Parametrisierung. (DieseEigenschaft nennt man die Ahnlichkeit im Kleinen.)

Winkeltreue (d.h. inclusive Orientierung) Abbildungen G −→ C nennt man konform.Holomorphe Funktionen sind nach obigem Satz konform, ausgenommen kritische Punkte,d.h. Punkte z mit f ′(z) = 0.

Beispiele und Folgerungen:

a) f(z) = ez ist uberall konform.

Geraden parallel zur imaginaren Achse werden auf Kreise um den Ursprung abgebil-det. Der Einheitskreis wird weder auf eine Gerade noch auf einen Kreis abgebildet.

Geraden parallel zur reellen Achse werden in Strahlen aus dem Ursprung abgebildet.

(b) f(z) = z2 ist an der Stelle z0 = 0 nicht winkeltreu. Es gilt f ′(0) = 0. Die Vorausset-zung von Satz 4.7.1 ist also nicht uberflussig.

c) Ist f : G −→ C mit f(z) = f(x+ iy) = u(x, y) + iv(x, y) holomorph und f ′(z) 6= 0in G, dann sind im R2 die Kurven u(x, y) = const. und v(x, y) = const. zueinanderorthogonal, da sie unter f in Parallelen (moglicherweise nicht in die ganze Parallele)zu den Koordinatenachsen, d.h. der Realteilachse bzw. der Imaginarteilachse derw - Ebene, abgebildet werden (denn ist u(x0 + iy0) = k, dann ist f(x0 + iy0) =(k, v(x0, y0)) ).

152

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Definition: Gebrochen lineare Funktionen der Form

f(z) =az + b

cz + dmit det

(a b

c d

)

6= 0

heißen Mobiustransformationen.

Beispiele:

a) Translationen sind Mobiustransformationen. In f(z) =az + b

cz + dist dann c = 0 und

a

d= 1. Wegen c = 0 folgt aus der Determinantenbedingung ad− bc 6= 0, daß a 6= 0

und d 6= 0.

b) Drehstreckungen, also Abbildungen der Form z 7→ e·z sind Mobiustransformationen.

In f(z) =az + b

cz + dist hier c = b = 0 und

a

d= e.

c) Setze ∆ = ad− bc. Ist c 6= 0 in f(z) =az + b

cz + d, dann kann man wegen

(∗) f(z) =ac(cz + d) − a

cd+ b

cz + d=a

c− ad− bc

c(cz + d)=a

c− ∆

c(cz + d)

die Mobiustransformation f als Komposition der Drehstreckung z 7→ −c2z∆

, der

Translation z 7→ z− cd

∆, der Inversion z 7→ 1

zund letztlich der Translation z 7→ z+

a

czusammensetzen.

d) Mit Hilfe der Umformung (*) sieht man leicht, daß Mobiustransformationen injektivsind und daß a

cim Fall c 6= 0 die einzige komplexe Zahl ist, die nicht im Bild von f

auftaucht.

Mit Komposition bilden Mobiustransformationen eine Gruppe. Sind f und g Mobiustrans-formationen mit

f(z) =a1z + b1

c1z + d1

bzw. g(z) =a2z + b2

c2z + d2

dann ist

g(f(z)) =a3z + b3

c3z + d3

mit

153

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(a3 b3c3 d3

)

=

(a2 b2c2 d2

)

·(a1 b1c1 d1

)

.

Satz 6.7.2: Eine Mobiustransformation bildet Kreise auf Kreise oder Geraden ab, sowieGeraden in Kreise oder Geraden.

Mobiustransformationen lassen sich mit Hilfe der Riemannschen Zahlenkugel besser be-schreiben. Diese ist folgendermaßen definiert.

Im R3 setzt man eine Kugel mit Durchmesser 1 auf die (x, y) - Ebene, so daß sie diese imUrsprung beruhrt. Die (x, y) - Ebene werde in der ublichen Weise mit C identifiziert. Ver-bindet man z ∈ C mit dem Nordpol (0, 0, 1) der Kugel, so schneidet die Verbindungsgeradedie Kugeloberflache S in genau einem Punkt. Man erhalt auf diese Weise eine Bijektionvon C mit S \ {(0, 0, 1)}. Nimmt man nun zu C einen Punkt ∞ genannt hinzu, dannkann man diese Konstruktion zu einer Bijektion von C∪{∞} und der Kugeloberflache Sfortsetzen. Die so konstruierte Bijektion ρ : C ∪ {∞} −→ S nennt man stereographischeProjektion. S nennt man Riemannsche Zahlenkugel.

Das Bild des Einheitskreises unter ρ nennt man den Aquator der Kugel. Das Innere desEinheitskreises korrespondiert zur Sudhalbkugel, das Außere zur Nordhalbkugel.

Man kann somit Mobiustransformationen auf die Riemannsche Zahlenkugel S ausdehnen.

Hierzu muß dann, wenn

f(z) =az + b

cz + d

ist,

f(−dc) = ∞ und f(∞) =

a

c

gesetzt werden. Da Mobiustransformationen mit c 6= 0 als Funktionen von C \ {−dc} nach

C injektiv sind, vgl. Beispiel d) vor Satz 4.7.1 , und genau eine komplexe Zahl nichtim Bild liegt, ist die Erweiterung zu einer Funktion von S −→ S eindeutig. ∞ mußdann jene komplexe Zahl sein, die nicht im Bild liegt. Diese ist a

c. Falls c = 0 ist, also

wenn sich die Mobiustransfromation nur aus einer Translation und einer Drehstreckungzusammensetzt, ist bei der Erweiterung ∞ das Bild von ∞. Ist c = 0, dann folgt ausder Determinantenbedingung a 6= 0 und d 6= 0. Mit nachfolgenden Rechenregeln ist dannac

= −dc

= ∞. Somit ist dann auch fur Mobiustransformationen f mit c = 0 die obigeangegebene Erweiterung von f gultig.

In allen Fallen ist die Erweiterung eine bijektive Abbildung von S nach S.

Man beachte, daß in C ∪ {∞} fur z ∈ C folgende Rechenregeln sinnvoll sind:

154

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z

∞ = 0, z + ∞ = ∞,z

0= ∞, z · ∞ = ∞.

Bei den letzten beiden Regeln ist z 6= 0.

Unter der stereographischen Projektion korrespondieren Geraden und Kreise in C zu Krei-sen auf der Zahlenkugel. Dies begrundet, daß man Geraden in C als Kreise mit unendli-chem Radius auffassen kann. Auf der Zahlenkugel sind Mobiustransformationen kreistreueAbbildungen.

Beweis von Satz 6.7.2: Da Translationen und Drehstreckungen Kreise in Kreise undGeraden in Geraden abbilden, genugt es wegen der Zerlegung einer Mobiustransformationgemaß Beispiel c) vor Satz 4.7.1 zu zeigen, daß der Satz fur die Inversion z 7→ 1

zrichtig

ist.

Im R2 ist eine Gerade durch die Gleichung

a1x+ a2y + c = 0, (a1, a2) 6= (0, 0)

gegeben. Mit z = x+ iy und a =a1

2+a2

2i geht diese Gleichung in

az + az + c = 0

uber. In der komplexen Zahlenebene hat ein Kreis die Form

|z − a|2 = r2 bzw. zz − az − az + aa = r2.

Die allgemeine Form eines Kreises oder einer Geraden in der komplexen Zahlenebene kannman also durch

(∗) c1zz − az − az + c2 = 0

beschreiben. Hierbei sind c1, c2 ∈ R und a ∈ C mit c2 · c1 < aa.

Dividiert man (*) mit zz durch so erhalt man

c2

zz− a

z− a

z+ c1 = 0

bzw. mit f(z) =1

z=

1

z

155

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c2f(z)(f(z) − af(z) − af(z) + c1 = 0.

Also erfullen die Bildpunkte (ersetze a durch a) wieder eine Kreis- oder eine Geradenglei-chung. 2

Satz 6.7.3: Schreibt man drei beliebigen paarweise verschiedenen Punkten P1, P2, P3 derZahlenkugel S drei paarweise verschiedene Punkte Q1, Q2, Q3 als Bildpunkte vor, danngibt es genau eine Mobiustransformation f mit f(Pi) = Qi.

Beweis: Korrespondieren z1, z2, z3 bzw. w1, w2, w3 zu den Punkten Pi bzw. Qi dann be-rechnet sich die Mobiustransformation aus der 6 - Punkteformel

(w − w1)(w2 − w3)

(w − w3)(w2 − w1)=

(z − z1)(z2 − z3)

(z − z3)(z2 − z1).

Hierbei ist fur zi = ∞ bzw. wj = ∞ der Faktor der Formu− zi

v − zi

bzw.u− wj

v − wj

gleich 1 zu

setzen.

Man verifiziert leicht durch Auflosen der Formel nach w, daß w(z) eine Mobiustransfor-mation mit den gewunschten Eigenschaften ist.

Ist f(z) = az+bcz+d

irgendeine Mobiustransformation mit w(zi) = wi, dann ist mindestenseiner der Koeffizienten a, b, c, d von 0 verschieden und kann durch Kurzen zu 1 gemachtwerden. Die vorgegebenen drei Punktepaare bestimmen dann die restlichen Koeffizienteneindeutig. 2

6.8 Einige Anwendungen der komplexen Analysis

Sei G ⊆ R2 und f : G −→ R zweimal stetig differenzierbar. Dann nennt man f harmo-nisch, wenn

fxx + fyy = 0.

(Diese Gleichung nennt man auch Laplacesche Differentialgleichung und schreibt dafurmit dem Laplace Operator ∆f = 0, vgl. die Bemerkungen nach Satz 2.2.1).

Sei g = (v1, v2)> ein ebenes stetig differenzierbares Vektorfeld mit rotg = 0, d.h. g ist

wirbelfrei. Dann besitzt g in jedem einfach zusammenhangenden Teilgebiet von G einePotentialfunktion f . Ist g zusatzlich quellenfrei, d.h. ist divg = 0, dann gilt v1x + v2y = 0.Daher gilt

fxx + fyy = v1x + v2y = 0,

also ist f harmonisch.

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Ist f(z) holomorph und f(z) = u(x, y) + iv(x, y) die Zerlegung von f in Real- und Ima-ginarteil. Dann folgt aus den Cauchy - Riemannschen Differentialgleichungen, daß u(x, y)und v(x, y) harmonische Fuktionen sind; denn

(ux)x = (vy)x = (vx)y = (−uy)y.

Man beachte hierbei, daß aus der Holomorphie folgt, daß f beliebig oft differenzierbar ist.Daher ist insbesondere v zweimal stetig differenzierbar und es gilt (vy)x = (vx)y.

Es gilt jedoch auch die Umkehrung.

Satz 6.8.1: Sei G ⊆ R2 einfach zusammenhangend. Ist u : G −→ R harmonisch, danngibt es eine holomorphe Funktion f mit Real- und Imaginarteilzerlegung

f = u+ iv.

v nennt man dann konjugiert harmonisch zu u und f ein komplexes Potential von u.

Beweis: Da u harmonisch ist, gilt fur das Vektorfeld

g = (−uy, ux)>,

daß rotg = (−uy)y + (ux)x = 0. Da G einfach zusammenhangend ist, besitzt somit g einePotentialfunktion v mit vx = −uy und vy = ux. Folglich gelten fur u und v die Cauchy -Riemannschen Differentialgleichungen. Daher ist f = u+ iv holomorph. 2

Physikalische Interpretationen.

a) Eine holomorphe Funktion interpretiert man als das komplexe Potential eines ebenenwirbel - und quellenfreien Stromungsfeldes.

Mit f = u+ iv sind die Aquipotentiallinien durch u(x, y) = c = const. gegeben.

Holomorphe Funktionen sind winkeltreu, daher sind die Kurven u(x, y) = c = const.und v(x, y) = k = const. zueinander orthogonal (vgl. Beispiel c) nach Satz 6.7.1).

v(x, y) = k stellen die Stromlinien des Stromungsfeldes dar.

Das Vektorfeld (ux, uy) stellt das Geschwindigkeitsfeld dar und hat die komplexeDarstellung ux + iuy. Mit den Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen folgt

ux + iuy = ux − ivx = f ′(z). Punkte mit f ′(z) = 0 stellen somit Staustellen dar.

b) Genauso beschreibt ein komplexes Potential einen zeitunabhangigen Temperatur-fluß.

Die Aquipotentiallinien stellen hierbei die Isothermen dar, also Kurven gleicher Tem-peratur. Die Stromlinien sind hier die Kurven großten Temperaturgefalles.

c) Ein drittes physikalisches Gebiet, welches durch das komplexe Potential beschriebenwird, ist die Elektrostatik.

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Satz 6.9.2: Auf dem einfach zusamenhangenden Gebiet D∗ ⊆ R2 sei g∗ : D −→ R

eine harmonische Funktion. Annahme f(z) = u + iv sei holomorph im einfach zusam-menhangenden Gebiet D und es gelte f(D) ⊂ D∗. Dann ist die Komposition

g(x, y) := g∗(u(x, y), v(x, y))

harmonisch auf D.

Beweis: g∗ ist harmonisch. Also gibt es nach Satz 6.9.1 eine harmonisch konjugierteFunktion h∗ und eine holomorphe Funktion f ∗ = g∗ + ih∗. Die Verkettung holomorpherFunktionen ist nach der Kettenregel holomorph. Somit ist f ∗(f) = g∗(u, v) + ih∗(u, v)holomorph und daher ist nach den Bemerkungen vor Satz 6.9.1. g∗(u, v) harmonisch. 2

Unter dem Dirichlet-Problem versteht man die folgende Fragestellung:

Gegeben sei ein Gebiet G ⊂ R2 mit stuckweise regularem Rand ∂G. Auf ∂G sei eineFunktion u0 : ∂G −→ R definiert, die beschrankt ist und bis auf eine Nullmenge N stetigist. Gesucht wird eine Funktion u : G ∪ ∂G −→ R mit

(i) u(x, y) stimmt auf ∂G mit u0 uberein.

(ii) In G gilt: ∆u = uxx+uyy = 0. Insbesondere ist u in G zweimal stetig differenzierbar.

(iii) u ist beschrankt und stetig in G ∪ ∂G \N.

Aus Satz 6.9.2 resultiert hierzu die folgende Vorgangsweise: Kennt man die Losung desProblems in einem schonen Gebiet, so versucht man das gegebene Gebiet bijektiv holo-morph auf das schone Gebiet abzubilden, lost dort das Dirichlet - Problem und transfor-miert die Losung zuruck.

Konkret kann dies z.B. so aussehen, daß man das Potential u zwischen zwei koaxialenKreiszylindern kennt und das Potential zwischen zwei ineinander liegenden Kreiszylindermit verschiedener aber paralleler Achse zu bestimmen hat. Da die (im Prinzip unend-liche) zylindrische Ausdehnung in die dritte Dimension auf die Losung keinen Einflußhat, handelt es sich um ein ebenes Problem. Es ist dann das Ringgebiet zwischen zweiexzentrischen Kreisen A und I bijektiv holomorph abzubilden auf einen konzentrischenKreisring. Dies laßt sich mit einer Mobiusabbildung durchfuhren.

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