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Johannes Agnoli: Von der Kritischen Politologie zur Kritik der Politik

Date post: 15-Jul-2015
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156Bltentrume reiftennicht - er sah aber darin keinenGrund, sich zuunterwerfen und der Gtter und ihrer Macht zu achten. Besser wre esindessen, sich der Gtter und der Macht zu ent-ledigen: dieNegation als Element der Befreiung29 29AlsSchluanmerkung:einemglicheFalsifizierungder TdD gingefrsiegut aus.Ich bin noch des Lernens fhig und lasse michjederzeit eines Besserenbelehren. Da mte abernachgewiesenwerden, daimGegensatzzur Analyse der TdDund zu denhier vorgebrachten Perspektiven I. wir mehr Demokratiehabenalsvor zwanzig Jahren, dasist:dain unserer Ge-sellschaft die Emanzipationsoweit gediehen ist,dader Abbau des Sozialstaats be-gleitetwirdvomAbbaudesMachtstaatsundvonderZulassungflschungsJhiger Ausweise; 2.dieDelegierungvonsekundrenEntscheidungenandieBasis(zumBeispielin der wichtigen Frage nach einer Straenumbenennung oder nachdem Bau einer Um-gehungsstrae) gleichbedeutend ist mit der Verschiebung der Macht vom Palast zum Volk; 3.heute, nach demEinzug der Grnen insParlament und nachdem oppositionellen, institutionskonformenZugzwangderSPDderBundestagsichdazubequemthat, etwasmehr zu seinalsdieFiktionderVolksvertretung(Kelsen- vgLdazuTdD 2004,62);meine These vonder Reprsentationder Herrschaft alsohinflliggewor-denist; 4.derBundestaginseinerGesamtheit(undnichtinder,inderT dDanalysierten StrukturierunginMachtzentren)dasHauptunddasHerz derStaats machtbildet unddie westdeutsche Politik bestimmt, wasunter anderem grundgesetzwidrig wre, da nach dem Grundgesetz die Exekutive: der Kanzler die Richtlinien der Politik be-stimmt.(DaKanzlerKohlsichgrundgesetzwidrigverhltundnichtsbestimmt -ich tue doch nichts;ichrede blogehrt nicht hierher) 5.emanzipatorische Gesetze, z.B.Rechte der Frauenbetreffend, nicht alsFolge des Drucksvonauenzustandekamen,sonderngenuinausderMitte desBundes-tagsvorgeschlagenundnurdertieferenEinsichtderInstitutionenzuverdanken sind; 6.undschlielichdieSymbiosevonkonomieundPolitik,dasengeZusammen-wirkenvondenFhrungsgruppenderkonomieundderPolitik(Spracheder TdD) sichaufgelsthat zugunsteneiner grerenEinflumglichkeitder abhngi-genMassenundeinergrerenAutonomiederGesellschaftgegenberdemStaat des Kapitals. Hier istimmervomBundestagdieRede,vonderBundesrepublikundihremZu-stande.DieKritikgiltaberauchfrandereLnder,istverallgemeinerbarundbe-ziehtsichaufdiewestlicheGesellschaftundihreProduktionsweise,aufdiedaraus entstehendepolitischeForm.DieInvolutionistwedereineErfindungderTdD noch eine westdeutsche Erscheinung. 192 Vonder kritischenPolitOlogie zurKritik der Politik1 Die Kritik desHimmels verwandelt sich indie Kritik der Erde,die Kritik der ReligionindieKritik desRechts,die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik. (Karl Marx) Einer mu denAnfang machen.Und auseher formellenGrnden, daichzurWissenschaftlichenEinrichtung(zuDeutsch:Institut) GrundlagenderPolitikgehre,habeichdieseVortragsreihe einzuleiten:zunchst in der Form einesknappenAbrissesdespo-litikwissenschaftlichenWegs(der immermitpraktischenFormen der politischenAuseinandersetzung amhistorischen OSIbegleitet war); sodann und ebenso knapp, programmatisch und nicht analy-sierendinder Form der Mitteilung,wasnununsere Wissenschaft sei,wassieleistet und zuwelchemBehufe sieberhaupt etwaszu leistenhabe.Feststeht,dasieinzwischenetabliertist,ausdem akademischenBetriebnichtmehrwegzudenken,auchwennvor-witzigePolitikervoreinigerZeitundangesichtsstattfindender Umtriebe meinten,Politologenseien - imGegensatz zuZahnrz-ten - hierzulande berflssig.Damit standen sie festin der Tradi-tion der politischen Kultur der Deutschen. Aber auch unsere Veranstaltung steht festinder deutschen Tra-dition,tritt einbedeutsames Erbe anund knpft bewut an denk-undehrwrdigeErinnerungen.In derTatverweist schonder Ti-tel:"Was istundzuwelchemEndebetreibenwir Politische Wis-senschaft,aufeinesderwichtigstenEreignisseundJahreder neuerenGeschichte,inderenFolgewirdurchausnochstehen: 1789. BekanntlicheinJahrderSpaltungundvollZerlegungen.Die wichtigste wird allenLesern sofort einfallen:1789 verlor dasWas-serseineUnschuld,daTrostwijkundDeimannmittelselektri-schenStromsdasehemalsheilig-nchterneElementinWasser-1 FUBerlin,FachbereichPolitischeWissenschaft,OccasionalPapersNo.20,Juli 1987,in:U.Albrecht,E.Altvater.E.Krippendorff (Hrsg),Washeitundzuwel-chemEndebetreibenwirPolitikwissenschaft?KritikundSelbstkritikausdem Berliner Otto-Suhr-Institut, Westdeutscher Verlag,1989. 193 157und Sauerstoff auseinanderrissen. Andere, historischen Konflikten zuneigend,werdensichdaranerinnern,daimgleichenJahrdie sterreichischenNiederlandeabermalsversuchten,sichvom HerrschaftsbereichdesHabsburgischenDoppeladlersabzuspal-ten.SelbstdieostelbischenLeibeigenenwollten- ohneErfolg-dieKetten der Knechtschaftspalten.Den wenigstenfreilichwird der 14. Juli des gleichen Jahres einfallen: der Tag, an dem ganz Eu-ropaunddieganzeGeschichtesichspaltete;undsiewerdenim stillen des Sturms auf die Bastille gedenken. Indessen:nichtsvonalledem,keineZerrissenheit,keineSpal-tung,keineRevolutionklingtinunseremTitelan.Er weisich vielmehrderdeutschenWissenschaftsgeschichteverpflichtetund meinteinganzandersgeartetesEreignis.Dennam24.Mai1789 (also wenige Wochen vor dem erwhnten Sturm) hielt ein ausdem Schwbischen kommender Professor - nebenberuflich alsDichter ttigan der Universitt zu Jena jene berhmte Antrittsvorlesung, diedenWegzuunsererheutigenVortragsreihewies:Wasist, undzuwelchemEndestudiertmanUniversalgeschichte.Frie-drichSchillerhabehieesspter in Weimarischen Hofkreisen -zwarschwbisch,abergutgesprochen.Pedantenjedochfielder, im Titel der Vorlesung enthaltene syntaktische Fehler sogleich auf. Waswar nunGeschichte:Subjekt undalsoWesen desSatzesund derSache;oderdasbloeObjektdesStudierens,zudemsieim zweiten Teil des Titels abgerutscht war. SubjektoderObjekt?Traditionsgetreusetzenwirheuteden syntaktischen Fehler (und dasProblem) fort und bleiben vorlufig imunklaren,obderPolitischenWissenschaftSubjektwrdezu-kommt und sieHandlungenanleitet;oder ob sielediglich Gegen-standeines,womglichgarberufsbezogenenStudiumsist - ganz gleich,obinRichtungaufPolitikalsBerufoderzeitgemin Richtung auf administrative Datenverarbeitung. IhrBeginnEndedervierzigerJahrewarbrigensdurchund durchtraditionell: nmlich apologetisch in dem umfassenden Auf-trag,RestbestndederAbneigunggegendennormalenbrgerli-chenVerfassungsstaatebensoabzutragenwieneusichmeldende Zweifelander geschichtlichenGltigkeitderwestlichen Demo-kratienaffirmativabzubauen.Negativwarsienurgegenber demKommunismusimZeichenderunsglichenTotalitarismus-194 Doktrin. Nachtrglich lassen sich aber selbst in dieser rohen Affir-mation und in dieser simplen Apologie Elemente einer kritisch ge-meinten Erziehung entdecken. Mit der, von uns Linken bescholte-nenangelschsisch-US-amerikanischenPolitologiesamtihrerun-befangenenBejahungder kapitalistischenBasisbrach aufgeklrtes westlichesDenkenindieRumpelkammerdeutscherKameral-, Polizey- und staatsrechtlicher Orientierung ein.Nicht, da da viel zu loben wre. Ich kann allerdings nicht verschweigen, da dieda-malsbescholtene Methode und diedahinter stehenden, fragwrdi-genVorstellungenheuteeineneue,wiederkritischeFunktion bernehmen knnten angesichts der bekannten Versuche alternder Historiker,einganzesStckdeutscherVergangenheitunddeut-scherWissenschaftausdemlebendigenProzederGeschichte auszuscheiden, von Deutschland zu trennen und Asienzuzuschla-gen.Gegen die neuere, asiatologische Nazismus-Deutung sieht die affirmative Politologie der Anfnge nicht schlecht aus. Dennoch:affirmativunddamitauchverschleierndbliebsie. Und inihrem Versuch,dasDemokratieverstndnisinDeutsch-landkonsensfhigzumachen,zeigtesiesichwenigeralsDenken undAnstrengungdesBegriffsdennalsGesinnung:aufrichtiges Bekenntnis,Lobpreisung einer Staatsform unter sorgfltiger Um-gehungihreskonomischenUnterleibs,Rckbesinnungaufdie FehlerderdeutschenpolitischenEntwicklungundaufdieschief behandelten Migriffe derersten deutschen Republik.Weimar als Mahnung,alsLehre- niealsVorbild.Vorallemaber:Herr-schaftswissen war sieallemal,ohneemanzipatorischeRationalitt und voll der zweckrationalen Analyse desRegierens. Unter dem schnenScheinfreiheitlich-demokratischerWertordnungenver-barg sich die schlichte Anleitung, wie politische Macht zu erobern, zu handhaben und zubehalten sei. Deutschbliebdieseerste Form der Politischen Wissenschaftin einememblematischenBereich:sieorientiertesichnichtanko-nomischenHintergrndenundangesellschaftlichenKonflikten (anklassenpolitischen Aspekten), sondern an den Institutionen, an derNormativitt desVerfassungsstaats,diezugleichalsdieNor-malittfreiheitlicherZustndefrmlichdargebotenwurde- auf derFolieeiner,durchwirtschaftlichenAufschwungbesttigten Ordnungsqualitt:problemlos,wrdevoll;zhundlistigzugleich 195 158um internationale Anerkennung und um dieHerstellung desinne-ren Konsens erfolgreich bemht. In dieseIdylle - hinter der Verfolgungen,Verbote,Remilitari-sierungunddiercksichtsloseRestaurationdespurenKapitalis-mus sich verbargen - schlug die kritische Politologie ein. Sie deckte die Brche im System der Ruhe und Ordnung, die krassen Unter-schiedeimScheindernivelliertenWohlstandsgesellschaftauf.Sie verstandsichalsoppositionell,undzwarimdurchausradikalen Sinne des Wortes: kulturellindiffuser Feindseligkeit gegen die so-genannteKonsumgesellschaft,soziokonomischschonprziser klassenpolitischorientiert.Wissenschaftlichwichtigundweittra-gendwarihrkritischerPolitikbegriffineinerUmwelt,inder durch Wohlstand, Integration und passive Zustimmung, durch die IdeologiedessozialenFriedensundderenmachtpolitischeTech-nik dasPolitischezum Schwachsinn desGemeinwohls verkom-menwarundseinewesentlicheEigenschaftderHerrschaftund derMachtausbung verlorenhatte.DiekritischePolitologieent-larvte(indertheoretischenFortfhrungderFrankfurterSchule) dieTrennungvomScheinderWerteunddemSeinderMacht, vomIdealundLeben indemparlamentarischen Verfassungsstaat: dasAuseinanderklaffenvonVerfassungsnormundVerfassungs-wirklichkeit, von Proklamation und Exekution. Die kritische Politologie fandhierin ihre Aufgabe, ihre Berech-tigung - undihreGrenze.Beides:Berechtigung undGrenze,las-sensichzeitlichnichteingrenzen.Daswillheien:ihreAufgabe istkeineswegszuende;ihrKampfgehtvielmehrindemgleichen Mae weiter, wie Normen permanent durchbrochen und den poli-tischenForderungenangepat,dasist:geopfe,rtwerden.Ebenso sieunsallenweiter auf demWegeiner mglichenoder auch nurutopischalsOrientierungverstandenenEmanzipation.Ihre eigenstndige Entdeckung bleibt solange gltig, wie der politische Staat frdie Reproduktion der kapitalistischenGesellschaft sorgt. Der Bruch zwischen Norm und Wirklichkeit wird tglich erfahren _undindieseWundemutglichundohneErbarmennachwie vor hineingebohrt werden:daalleStaatsgewalt vom Volkeaus-geht,nurdademVolkalleGewaltausdenHndengerissen wurde; dadie Wrde desMenschen unantastbar sei und der Staat siezuschtzen undzuachtenhabe,whrendinWirklichkeit der 196 StaateinegehobenereWrdefrsichbeanspruchtundvonden Menschenverlangt,siezu schtzen undzuachten.In derEntlar-vungsolcherZusammenhngevonGrundgesetzundpolitischen PraktikenwirddieInstitutionalsWiderspruchbegriffen undzu-gleichgezeigt,zuwessenGunstenderWiderspruchausgetragen wirdundwieausemanzipatorisch scheinendenForderungenEr-fordernisse der Disziplinierung und der Repression entstehen. Nur bleibtdiekritischePolitologiedabeistehen,klemmtsich ein indasbekannte Spielvonpro und contra und begibt sichalso - ihremAnspruchgem- aufdieSuchenachdengutenund schlechtenSeitenderbrgerlichenStaatsinstitutionen.Derent-deckteWiderspruchgertinsMechanisch-Moralischeundindie Abhngigkeit jeweils guter oder wenig'erguter Macht- undKraft-konstellationen.Andersgesagt:er lstsichinderschlichtenGe-genberstellung vomgutenoder schlechtenGebrauchder Politik (oderder Verfassung)auf,bersetztsichindieAbwgungguter und schlechter legislativer und exekutiver Ttigkeit - um amEnde indieFragedesPersonalsabzudriften.ImSchluakkordheit es dann:GutePolitikerinnenundPolitikerbrauchtdasLand,im Grunde also eine Herrschaft mit menschlichem Gesicht. Demzugrundeliegt,dadieVerltung vonNorm undWirk-lichkeithistorisch-materialistischoderidealistisch,dasbleibt sichgleichverkanntwird.DiekritischePolitologiebegreift nicht,dadieNormalsTeilderWirklichkeitsichinobjektive Zwangsregelungen und in mit Staatsgewalt durchsetzbare Regulie-rungen umsetzt. AndieserGrenzeistdiekritischePolitologiekeineswegsge-scheitert.SieliefertimmernochwichtigesnegativesMaterialder Reflexion.Abersiekreistinzwischenumsichundumihrever-dienstvolle Aufgabe herum:ein endloser Proze desProtestes oh-ne Revolte. AufgefangenwurdederProzeerstdamit,daderKreismit den ebensokritischen, aber diesmal radikalen Kategorien einer ur-sprnglichen marxschenAnalyse durchbrochen wurde, die anstel-ledesSchutzes der Norm dieVernderung der Wirklichkeit setz-te.UnterdemumstndlichenNameneinerRekonstruktionder Kritikderpolitischenkonomie,begleitetvoneinerT ransfor-mationsmelodie,diedieVerhltnisseausdrcklichzumTanzen 197 159bringenwollteundnichtzuletztauchvonttlichenStraenaus-schreitungennachhaltiguntersttzt,meldetesichderbergang vonderKritikamVorgefundenen(zwecksBesserung)undvom Vergleich zwischen IdealundLeben zur Kritikder Politikan:zur AbsageundzurnegativenwissenschaftlichenAufgabe.Esgeht nichtmehr darum,dieVerflschungderNormdurchdiePolitik aufzuzeigen.VielmehrwirddiepolitischeNormzurDiskussion undzurDestruktiongestellt.Esgilt,demVolkMitteilungzu machenberdaswahreWesenderKonstitution.Marx?Aber dochnicht.ImmanuelKantstandundstehtPatebeiderInfra-gestellungderNormenundderallgemein-bewutlosenZustim-mung.SchonKantbegriffalsodaswahreWesender Verfassung alsdas,wasesseit jeherwenn auch unter verschiedenen Formen - gewesen:Ordnung, Unterordnung, OligarchiealsPrinzip Herr-schaft,indessenGriffallegesellschaftlicheAutonomie(beiKant dieAutonomie desmoralischenSubjekts)undalleemanzipatori-schen Bestrebungen (beiKant immer noch Kausalitt durch Frei-heitgenannt)indieStrukturen der institutionellen Strategieein-gezwngt werden und sich darinauflsenzu bloen funktionellen Teilen eines stabilen und interessierten Reproduktionssystems. HeuteistdiekritischePolitologiein Fragezu stellen,weildie Frage sichanders stellt. In drftiger Zeit(Hlderlin) gengt das AbwgendergutenundschlechtenPolitiknichtmehr;unddie ausgewogeneInnerlichkeit desselbstzufriedenen, brgerlichen In-dividuums hilft auch nicht weiter.Die notwendig gewordeneKri-tik der Politik kann sich mit der im Grunde immer noch affirmati-ven,weildieNormativittdesbrgerlichenStaatsdurchausak-zeptierendenberprfungdernormgemenGarantiesubjekti-ver Rechte nicht mehr abfinden.Noch weniger interessiert sie sich frdieFrage,obInstitutionenreform- undbesserungsbedrftig seien(alslppischesBeispiel:obdieFragestundedesBundestags volksnherundeffektivergestaltetwerdensollte).DieKritik der Politik stellt vielmehr dieFrage nach demherrschaftssichern-den Charakter aller Reformen und vergit also die Frage nach dem CU!bononichtundnachderZweckrationalittirrationalenVer-haltens der politischen Macht.Im Mittelpunkt steht nicht die Kla-geunddasKlagenber dieUntchtigkeit derProtagonistenund dieLgenhaftigkeitdeslegitimatorischenVerfahrens(wobeider 198 Aspektohnehinnichtbercksichtigtwird,inwiefernUntchtig-keitundLgenhaftigkeitnur vorgetuschteMethodenderHerr-schaftsind);sonderndieAnklagegegendasPrinzip,daHerr-schaftnaturnotwendigundhchstenszubndigensei;undals Schluerkenntnis,vomRichterstuhlder Vernunftausgesprochen, daHerrschen: dadasautokratische oder oligarchische oder par-lamentarische Bestimmen ber Gesellschaft allemal zu negieren sei - mgedieForm desStaatessein wie sie wolle(Hlderlin).Die Mitteilungalso,diedazumachenist seitensder politischenWis-senschaft, bezieht sich nicht auf dasgestrte Verhltnis der Politik zur Verfassung.Siezeigtvielmehran,dadieVerfassungdieRe-gelung eines gestrten gesellschaftlichen Verhltnisses ist. AberselbstdieswreimmernochGesinnung,keinBewut-sein,emotio,keineratioagendi.Esgengtnicht,angesichtsder MistndedieZustndeverantwortlichzumachen,sichmitder Feststellungzubegngen,dadieFormStaatinzwischenals falschesProjekterwiesen,alsgescheiterterVersuchindieGe-schichteeingegangenist;daergesellschaftlicheProblemeweder lst,nochdasVersprechender brgerlichenRevolution(vonder proletarischengarzuschweigen)einlsenkann- dieVerspre-chungeneher neutralisiert und den Erfordernissen der Reproduk-tion opfert.AlleKritik, will siemehr seinalsGesinnunghat ein KriteriumandessenKategoriediebersetzung des richtigenDenkensindieAnleitungzumHandelnmglichwird. IndiesemZusammenhangbraucheichanMarxensFeuerbach-Thesen nicht zu erinnern. Methodisch ist das Vorgehen aber schon seitKanthinlnglichbekannt,beidessenallgemeinerKritikdas KategorialeinderSprachederKritikderreinenVernunftzum KategorischeninderKritikderpraktischenVernunftwerden mute.Gewi istesfr dieKritik der Politik ein weitausmhsa-meresGeschft,dasKriteriumderKategorieaufzufinden,alsfr diekonservative Affirmation, die sich ambonum commune frm-lichaufgeilt;aberauchalsfrdiekritischePolitologie,diesich blo um die bessere, humanere, an der Freiheit und der Solidaritt orientierte Politikkmmern mchte. Denn esgehtbei diesemGe-schftwederumdieWiederherstellungderIdentittvonNorm und Wirklichkeit noch um dieLobpreisung desGemeinwohlsals Zielsallen politischen Handelns. Will manaber andere Verhltnis-199 160seschaffenund nicht blo verbesserteHerrschaft, sowird dieKa-tegorievonvornhineinselbstkeineformale(bonumcommune) nocheinenormativ-moralische(guteVerfassunggegenschlechte Politik) sein knnen, sondern eine materiale. Wird aber eineKate-goriedesDenkensinhaltlich,weilsiezurPraxisdrngt,sokann siewiederum umeine Norm, umeinen Orientierungspunkt nicht herumkommen- widersprchlich,alsodialektischgenug.Kritik der Politik hat Sinn und Substanz nur,wenn sienicht zu l'art pour l'art verkommt - wie etwa beiNietzsche -, sondern sich alsMittel zumZweckbegreift.UndhierkanndieKategoriederKritikin-haltlichwerden,nur wenn siemit dem Zielder Emanzipationzu-sammenfllt:dieGarantiederAbschaffungderHerrschaft nichtbloderVerteidigungderMenschenrechte,dieHerrschaft voraussetzt). Kommt dieseKategorie aber zum Konkreten,kommt esbeiihr alsozum Schwur, somuin ihr aucheineKonkretion,eine>,Ver-wachsung, alsoeine wirklicheVerltung mit ihrer Erscheinungs-weiseenthaltensein.LebtenwirinschnenZeitenundimZei-chen desAufbruchs, wredieVerltung leicht auszumachen:sub-jektiv,klassenmig,kulturell-hegemonisch.In der von Hlderlin gemeinten, drftigen Zeit aberkann sichdasKonkreteder Eman-zipationnurmitdemSubversivenvermhlen.Also:subversive Wissenschaft,diezwecksUmkehrungderschiefenWirklichkeit nichtnurTabusverletztundzerstrt,Wertsystemesystematisch auseinandernimmt und auf ihrematerielleInteressiertheit zurck-fhrt;sonderndiegeheiligstenFormenallergesellschaftlichko-nomischenund politischenKonservationundRestaurationanzu-greifen bereit ist.Dazu sind Vernunft und Wissenschaft vonnten, daEmotionen,Gefhle undsonstigeBetroffenheitenbekanntlich seitjeherzugleichAdressatenundMittelderEroberungundder Stabilisierung der Herrschaft dienlich sind. AusderKategorieEmanzipationwirdalso- schonkantisch -einkategorischerImperativ.DavonistbeiMarxauchdieRede. Allerdings:ebensowenig wiediebloeKritik an den Mistnden unsreicht fr unsere emanzipatorisch gerichtete wissenschaftliche Arbeit,dawirzurKritikder Zustndeund derenNormen kom-menmssen,sowenighilftunsKantskritischeMoralweiter. Ganz abstreifen mchte ich den alten Philosophen ausKaliningrad 200 (vormalsKnigsberg)dochnicht.Immerhinzeigter unsformell, wiekollektiveInhalteeinzubringen sind;und auchdieForm,die nurdesInhaltsbedarf,umhandlungsfhigzusein:Handleso, da die Maximedeines Willens jederzeit zugleich alsPrinzip einer allgemeinenGesetzgebunggeltenknne.WasdiesesGrundge-setzderreinenpraktischenVernunftalsUrteilskriteriumder brgerlichenPolitikzurFolgehabenknnte,braucheichnicht nher auszufhren.Kant geht aber noch weiter undgibt durchaus einen Inhalt an,der im Einklang steht mit unserem wissenschaftli-chenProgramm:Handleso,dader Mensch nieMittel,sondern Zweck ist.Dieser Imperativ kann schon alsGrundlageeiner Kri-tikderPolitikdienen.AneinemBeispielkanndiesverdeutlicht werden, dasbrigenskeinbeliebigesBeispiel ist,vielmehr dieOf-fenbarungderwirklichenLogikdesbrgerlichverfatenStaats: amWahlakt,alsdemPunkt,andemdieausdrcklicheNorm die Wirklichkeit besttigt und sich nicht zu ihr in Widerspruch setzt. Ideologischentspricht dasRechtderRegierten,ihreRegieren-denzuwhlen,derWrdedesMenschenundder,dieseWrde substanziellausmachendenMndigkeit.Undrechttutdiekriti-schePolitologie - umnocheinmallobendauf siezurckzukom-men- demMenschendieseWrdezuvindizieren:ihn alsZweck der WahlhandlungundalsSubjektdesWahlakteszuverteidigen. Die Vindizierung sprengt aberohne eszu wollendieGrenzen der kritischen Politologie und gert bei nherem Zusehen zur Kri-tikderPolitik.SiewillnmlichdieNormfrbareMnzeneh-men,denWhlerfrdaswirklicheSubjekt,seineReprsentation denZweck.DieNormhingegengibtdieWirklichkeitwider undzeigtsichalsdiewahreMnze.Um dieStimmen der Whler wirdbekanntlich geworbenwieinderMarktwirtschaft um den Kunden.Der Kunde aber, alsangeworbener Kufer einer Ware,ist politikkonomisch immer Mittel,nieZweck.Nicht nur dieKritik derPolitischenkonomiehatdiesberzeugendnachgewiesen. SelbsteinentschiedenerApologetderkapitalistischenProdukti-ons- undDistributionsweisekmesichlcherlichvor,sheerim Zielder Werbung(imAdressaten auf dem Markt)denZweck des Produzierens.Ihm ist undbleibt der Zweck die Umwandlung der WertschpfunginGewinn; derKunde spielt die RolledesMit-tels.InderFortsetzungderKritikderPolitischenkonomiein 201 161dieKritikderPolitikbersetztsichdaskonomische insPoliti-sche:der Whleristnach der indieVerfassungsnormgegossenen WirklichkeitalsStimmenurMittelzurMachtverteilungund MachtgewinnungderParteien.DerartgerinntdasWahlrecht-doch zur baren Mnze. InsofernistderKantscheImperativmehralsGrundlageeiner kritischenBetrachtungderpolitischenPraktiken.Erdrngtviel weiter und verlangt nach einer Fassung, die wirklich und nicht nur formell die Kategorie der Kritik der Politik auffllt. HandlenachderMaxime,alleVerhltnisseumzuwerfen,in denenderMenscheinerniedrigtes,eingeknechtetes,einverlasse-nes,ein verchtliches Wesenist(Marx). DieAbschaffungdesobjektiven,durchausinteressierten,also besonderenInteressenzweckdienlichenZwangscharaktersder Gesellschaft:zudiesemEndesollPolitischeWissenschaftbetrie-ben werden. 202 Der Markt, der Staat unddasEnde der Geschichtel IchhabedasfrdiesenKongrevorgeseheneManuskript eingereicht,nochverfat.DazuschienmirdieGeschwindigkeit der Vernderungen zu schnell, in denen wir stehen. Man stelle sich vor: ich reichte ein Manuskript ein, und kurz darauf brche in Un-termerzbachoderinObervoltadieWeltrevolutionaus.Unddie Geschichtealso,statt zu Endezugehen,fingevon neuemundin ganz anders gearteten Formen an. Indessen:esgibtRichtigesanFukuyamas2 Unsglichkeit.We-derdurchdenSiegdespurenKapitalismus,nochdurchdender Staatsform,dieallgemeinhinLiberaldemokratiegenanntwird, ging die Geschichte zu Ende. Aber wohl eine sehr genau bestimm-bareEpoche gesellschaftlicher Entwicklung.Ichmeine wederden Fordismus noch die Moderne, die sich ohnehin immer wieder von neuemeinstellt.ImmermehrindieBruchegehenaberBinnen-markt und Nationalstaat. Sie halten die genderte Wirklichkeit: die AusweitungdesMarktsunddieEingrenzung,vielleichtdieDe-formierung der Politik nicht mehr aus.Esist schon eine Frage,ob dasVerhltnisdieserbeiden,geschichtlichmiteinandergekoppel-tenGrensichgenderthat.Beachtenswert,dadasalte,von MarxaufgedeckteProblemunssichimmerwiederstellt:Markt und Staat,konomie undPolitik,ob demMarkt oder dem Staat, obderkonomieoder derPolitikVorrang,zumindest sichtbare Autonomiezukme,wennalteBegrenzungenhinflligwerden undGesellschaftenausufern.Die genderte Wirklichkeit:sieliegt inderOhnmachtnationalstaatlicherGrenzenundinderIrrele-vanzbeschrnkter Mrkte.Wir stehen inmitten der Bildung einer Weltmarktgesellschaft,inderProduktion,Distribution,Repro-1 Vortrag auf einemSymposion,dasvom28.11.bis1.12.96anderMartin-Luther-UniversittHalle-Wittenbergstattgefundenhat.- Erschienenin:RichardSaage/ Gunnar Berg (Hg.),Zwischen Triumpf und Krise.ZumZustandund zur Zukunft der liberalen Demokratie nach demZusammenbruch der Diktaturen in Osteuropa, Opladen 1998. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Leske + Budrich Ver-lags. 2FrancisFukuyama:DasEndederGeschichte.Wostehenwir?,Mnchen1992. (B.A.) 203


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