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Johann Jährig und seine Zeit

Date post: 09-Mar-2016
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Sachbuch über das Leben den Mongolisten Jährig.
62
Johann Jährig und seine Zeit Ein Büdinger forscht bei den Mongolen
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Page 1: Johann Jährig und seine Zeit

Johann Jährig und seine Zeit

Ein Büdinger forscht bei den Mongolen

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In memoriam Walther Heissig. John R. Krueger in Dankbarkeit gewidmet

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1. Erste Begegnung mit Johann Jährig

2. Aus der Wetterau an die Wolga

3. Sarepta und die Kalmückenmission

4. Deutsche Forscher im Dienste der Petersburger Akademie

5. Feldforschung in der Steppe

6. Zwei Reisen an den Baikal

7. Jährigs wissenschaftliche Verdienste

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1. Erste Begegnung mit Johann Jährig

"Translateur verschiedener Mongolsch. Sprachen, bey der

Rußisch. Kayserl. Akademie der Wissenschaften, ... aus

der Wetterau u. Grafschaft Isenburg Büdingen", hieß es

im Katalog[1] zu einer Ausstellung des Staatlichen

Museums für Völkerkunde München. Wäre nicht unsere

gemeinsame Heimat, die Wetterau, erwähnt worden, hätte

ich mir den Namen Johann Jährig nicht notiert. Auch

meine Ambitionen als Übersetzer spielten dabei eine

Rolle. Schnell geriet Jährig wieder in Vergessenheit, doch

als ich in Heissigs[2] Werk „Die Mongolen. Ein Volk sucht

seine Geschichte“ wieder über meinen Landsmann

stolperte, begann ich zu recherchieren. Zunächst

vergeblich, denn in Bibliotheken und Enzyklopädien fand

ich keine Spur. Ich beschloss daher mich an die

Mongolisten Walther Heissig und John R. Krueger[3] zu

wenden. Beide äußerten unabhängig voneinander die

Überzeugung, dass eine Beschäftigung mit ihm und seiner

Zeit interessant wäre, die Fakten über das Leben von

Johann Jährig seien allerdings spärlich. Vergeblich habe

man die Kirchenbücher der Wetterau aus dem 18.

Jahrhundert gesichtet. Die ausführlichsten Materialien

fänden sich in einer Arbeit von Tamara Konstantinowna

Schafranowskaja[4], veröffentlicht in einem russischen

ethnographischen Sammelband[5], unter dem Titel:

„Johann Jährig – ein Mongolist des 18. Jahrhunderts“.

Ohne die Hilfe der großen Mongolisten hätte ich meine

Nachforschungen einstellen müssen.

In der Bibliothek der Ungarischen Akademie der

Wissenschaften fand ich schließlich den genannten Band.

Auf neun Seiten dokumentiert Schafranovskaja recht

detailliert die Tätigkeit des Translateurs für die Akademie

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der Wissenschaften in Petersburg anhand der archivierten

Korrespondenz und der Konferenzprotokolle. Die Autorin

nimmt an, Jährig stamme aus Petersburg, wie viele andere

deutsche Mitarbeiter der Akademie. In der Hauptstadt des

Reiches gab es eine ansehnliche deutsche Kolonie. Die

ersten ausländischen Wissenschaftler hatte Peter der

Große ins Land gerufen, der sehr an Wissenschaft und

Technik interessiert war und sich auch dafür einsetzte,

dass die von ihm gegründete Akademie auch außerhalb

Russlands Ansehen gewann.

Der Satz aus Pallas` Werk „Sammlung historischer

Nachrichten über die mongolischen Völkerschaften“, der

mich neugierig gemacht hatte, muss Tamara

Schafranovskajas Aufmerksamkeit entgegangen sein.

Otto Teigeler erwähnt in seinem Werk[6] über die

Aktivitäten der Mährischen Brüder in Russland Jährig

zweimal und bescherte mir in einer Fußnote den

entscheidenden Hinweis auf Jährigs “Dienerblatt“, das ich

mir in Kopie aus Herrnhut schicken ließ. In Stichworten

verzeichnet es Jährigs Lebensweg von seiner Geburt bis

zum Tode.

John R. Krueger verdanke ich die Bekanntschaft von

Praskovja Aleksejeva, der Bibliothekarin des

Kalmückischen Instituts für Geisteswissenschaft in Elista.

Sie schöpft aus den gleichen Quellen wie Tamara

Schafranovskaja, erwähnt aber im Begleitbrief zum Text

ihres Vortrags[7], dass Jährig von der Brüdergemeine

ausgeschlossen wurde, bevor er in die Dienste der

Akademie trat.

Ein kürzlich in Kalmückien erstelltes Verzeichnis der

Kalmückenforscher bietet keine neuen Erkenntnisse.[8]

In den zeitgenössischen Quellen erscheint Jährig mal als

Johann, mal als Johannes. Die Schreibung des

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Familiennamens schwankt zwischen Jährig, Jaerig und

Jarich. Auch in der kyrillischen Transkription gibt es

mehrere Varianten, neben Ierich steht Ierig.

Page 7: Johann Jährig und seine Zeit

2. Aus der Wetterau an die Wolga

„Ich will dem HErrn singen, denn ER hat eine herrliche

That gethan. 2 Mos 15.1“ lautete die Losung des 17. März

1747, des Tages, an dem Johann Jährig in Herrnhaag bei

Büdingen geboren wurde. Auch die glücklichen Eltern

erwähnt das „Dienerblatt“ der Mährischen Brüder:

Johann Gottlieb Jährig und Anna Barbara geb. Stephan.

Herrnhaag war im Jahre 1738 von der pietistischen

Brüdergemeine unter Führung des Grafen Zinzendorf

gegründet worden, die nach ihrer Verbannung aus Sachsen

im Büdinger Land Zuflucht gefunden hatte. Nachdem es

auf der Ronneburg, die nach dem Toleranzedikt des

Grafen Kasimir seit 1712 religiös Verfolgten als

Unterkunft diente, zu eng geworden war, zogen die Brüder

auf Einladung des Grafen Ernst Casimir von Ysenburg-

Büdingen auf den in unweit der Stadt befindlichen

Herrnhaag. Zinzendorf übersiedelte dorthin 1747 vom

nahegelegnen Schloss Marienborn, wo die Mährischen

Brüder ein theologisches Seminar und ein Pädagogium

unterhielten.

Die Synoden der Mährischen Brüder fanden weiterhin in

Marienborn statt, sogar nachdem die Brüder das Büdinger

Land hatten verlassen müssen. 1769 besuchte Goethe eine

solche Versammlung und schrieb darüber in „Dichtung

und Wahrheit“: „Die trefflichen Männer, die ich auf dem

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Synodus zu Marienborn, wohin mich Legationsrat Moritz,

Geschäftsträger des Grafen Ysenburg, mitnahm, kennen

lernte, hatten meine ganze Verehrung gewonnen und es

wäre nur auf die angekommen, mich zu den ihrigen zu

machen.“

Die Konzeption der Gebäude und die Anlage der gesamten

Siedlung folgten dem Plan, das „Leben“ einer Lebens- und

Dienstgemeinschaft zu verwirklichen, in der

Standesunterschiede weitgehend aufgehoben waren. Die

Menschen lebten, nach Geschlechtern getrennt, je nach

Lebenssituation zusammen: die Ledigen oder Verwitweten

in sogenannten Chorhäusern, für die Verheirateten gab es

Familienhäuser.

Als Graf Gustav Friedrich von Ysenburg-Büdingen, Sohn

und Nachfolger von Graf Ernst Casimir, von den

Glaubensbrüdern einen Untertaneneid forderte, vorgeblich

um die wirtschaftlich und missionarisch erfolgreiche

Sektierergemeinde enger an die Grafschaft Büdingen zu

binden, wohlwissend, dass man den Eid verweigern

würde, kam es zum Konflikt. Die Brüdergemeinde

verweigerte sich und der Graf verfügte in seinem

Emigrationsedikt vom 12. Februar 1750 ihre Auflösung,

setzte jedoch gnädig eine Frist von drei Jahren. Die

Gemeinschaft, die damals 18 Häuser und rund 1000

Menschen umfasste, löste sich 1753 auf.

Das „Dienerblatt“ der „Dienstgemeinschaft“ berichtet,

dass Jährig die Jahre 1751 und 1752 in der Kinderanstalt

zu Großhennersdorf verbrachte. Seine Familie hatte

folglich kurz nach dem Edikt das Büdinger Land

verlassen.

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Die nächste Eintragungen nennen seinen Beruf: Zeug- und

Buchdrucker und das Datum seiner Aufnahme in die

Gemeine zu Herrnhut, den 9. Juni 1760. Sechs Jahre später

geht er als Buchdrucker nach Barby an der Elbe. Die Stadt

galt zu jener Zeit als bedeutendes Zentrum des deutschen

Geisteslebens. Auch Goethe stattete ihm einen Besuch ab.

Die Herrnhuter Brüdergemeine hatte das dortige Schloss

gepachtet und betrieb in ihm ein Theologieseminar.

„Im Jahre 1748 wurde das Schloss nebst den

Amtsvorwerken vom Kurhause Sachsen dem Grafen

Heinrich dem 28. Reuß in Erbpacht gegeben und derselbe

zu Gunsten der evangelischen Brüdergemeinde bestätigt.

Damals errichtete der Graf Zinsendorf ein theologisches

Seminar und im Jahre 1754 eine höhere Lehranstalt für

künftige Juristen, Theologen und Mediziner aller

Gemeinden. 1789 war jedoch diese Anstallt nach Niesky

verlegt, dagegen kam das Pädagogium, welches sich bis

dahin in Niesky befand, in das Schloss zu Barby. Bei

demselben befand sich eine Buchdruckerei, eine

Buchhandlung, eine Bibliothek und ein Observatorium, zu

welchem ein noch jetzt stehen gebliebener alter

Schlossturm, das Prinzesschen genannt, benutzt wurde,

welches gegen den Spiegel der Elbe 69 Fuß hoch ist.“ [9]

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3. Sarepta und die Kalmückenmission

„So wie man in schweren Zeiten auf beßre wartet, und bey

unangenehmen Vorgängen auf zukünftige erfreulichere

hoffet, und sich damit tröstet, so ging es auch dieses Jahr

in Sarepta bey Gelegenheit daß eine ansehnliche

Verstärckung aus Teutschland unterwegens war. Es waren

nemlich in allen 28 Brüder und 11 Schwestern, also 39

Personen, in Amsterdam den 23./12[10]. May unter Seegel

gegangen, und traten am 30./19. Juny nach einer

glücklichen See-Reise in Petersburg ans Land. Sie wurden

von den Brüdern Müller und Lorez, desgleichen vom

Bruder Suter, der von Mosco angekommen war, um sie

vollends nach Sarepta zu begleiten, in herzlicher Liebe

empfangen, und hatten einige Wochen lang einen

vergnügten Sejour in dem Hause der Brüder, wobey sie

von verschiedenen guten Freunden, die ihre tägliche

Versammlungen mit besuchten, viele freundliche und

liebreiche Unterstützung genoßen. Nachdem sie, wie die

vorigen Gesellschaften, den Eid der Treue abgelegt und

unterschrieben hatten, sezten sie nach einem gar

zärtlichen Abschied von denen sie ein stück Weges

begleitenden Brüdern und Freunden am 24. July/4. August

ihre Reise weiter fort. Zu mehrerer Sicherheit war ihnen

von Sei ten der TutelKanzeley ein Lieutenant Namens

Arnoldi und 5 Mann Soldaten mitgegeben worden.

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Weil sie Fuhrleute gemiethet, und neben ihrer

Bagage noch andere schwere Fracht hatten, so ging die

Land-Reise bis Tweer bey dem vielen Regen-Wetter etwas

langsam und sie kamen erst am 6./17. August daselbst und

an dem Wolga-Ufer an, woselbst durch Bestellung des

Bruder Suters und die treue Bemühung des Bruder

Brandts und des Herrn Hornungs aus Moskau ein

geräumliches und beqvemes Fahrzeug gekauft, und mit

einigen Zimmern, Küche und Back-Ofen zum beqvemen

Gebrauch der ganzen Reise-Gesellschaft ausgebauet

worden war. Am 18. August waren bereits Personen und

Sachen embarqvirt und es wurde vom Lande abgestoßen.

Bruder Brandt, der die 2 Kinder Johannes und

Anna Pauly und das Madgen Anna Antonin von Moskau

gebracht, und zur weiteren Reise nach Sarepta abgegeben

hatte, fuhr mit bis zu dem Dorfe Gorolima und reiste

sodann nach Moskau zurück. Die ganze Reise auf der

Wolga war zwar etwas langsam, aber sonst angenehm und

wenig beschwerlich, außer daß zulezt die Witterung etwas

rauh und unfreundlich wurde. Der ledige Bruder Andreas

Grüzmacher der schon kräncklich von Petersburg

ausgereiset war, verschied am 19./30. September zwischen

Samara und Saratof bey dem Dorfe Tschernoi Saton und

wurde auf der Colonie Sewastianofka vom Pastor Jannet

begraben. Die übrige Reise-Gesellschaft traf am 2./13.

October sämtlich gesund und wohlbehalten zu ihrer und

der ganzen Gemeine großen Freude in Sarepta ein, als

welche sie am Wolga-Ufer erwartete, und mit Posaunen-

Schall und mit einer Zärtlichckeit, die auch fremde

Zuschauer frappirte und sich nicht gut beschreiben laßt,

empfing, und so mitten im Kriege in ihre Wohnungen des

Friedens begleitete und einführte.

Zum Empfang war sodann ein Liebesmahl, wobey

Lob und Danck gegen unsern lieben Herrn, der Sein Volck

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auf der Reise und zu Hause zu bewahren weill, der Innhalt

des Gesangs und der Unterredung ausmachte.“ [11]

Mit diesem Eintrag in seinen Annalen berichtet Christlieb

Suters, der Chronist der ersten elf Jahre der

Missionsstation Sarepta an der Wolga, von der Ankunft

einer „Reise-Gesellschaft“, mit der auch Jährig im Jahre

1769 dort ankam. Im fünften Jahre ihres Bestehens wurde

die Siedlung der Mährischen Brüder im russischen

Gouvernement Astrachan, auf der Bergseite der Wolga, zu

einer Festung ausgebaut.

„Schon im Monat Januar (1769) wurde die Salvegarde mit

20 Mann Soldaten und einem Sergeanten verstärckt, und

der Herr Commendant von Zarizin nahm selbst auf

Insinuation des Herrn Gouverneurs die Bevestigungs-

anstalten in Augenschein. So wie das Früjahr

herannahete, so wurde die Wall- und Graben-Arbeit von

neuem angefangen. Alle vorjährige Bemühung war

vergeblich gewesen und fiel beym Aufthauen wieder ein,

so daß die Bevestigung aufs neue in einen Rill gebracht

und abgesteckt werden muste. Es wurde hiezu und zum

Anstellen der Arbeitsleute, die von den Achtubischen

Bauern für Bezahlung hieher waren gegeben worden, ein

Ingenieur-Officier erbeten, der sich auch den Sommer

über hier aufhielt, bis die meiste Wall- und Graben-Arbeit

vollendet war.“ [12]

1765 hatten fünf mährische Brüder das Gebiet an der

Mündung der Sarpa in die Wolga in Besitz genommen und

der Siedlung, die zunächst aus ein paar Hütten bestand,

den zugedachten Namen Sarepta[13] gegeben.

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Otto Teigeler[14] nennt für die Aktivitäten der Mährischen

Brüder an der Wolga auf mehrere Gründe. Zinzendorfs

Überzeugung, die „orientalische Kirche“ sei die wahre

Kirche und seine Behauptung, die Brüderunität stamme

von der griechischen Kirche ab, gaben den Ausschlag. Die

Mährer vermuteten, dass durch die Verfolgungen im 15.

Jahrhundert versprengte Glaubensbrüder im Kaukasus

lebten. Versuche der Brüder Kontakt mit den

Oberhäuptern der orthodoxen Kirche aufzunehmen, stieß

auf keine Gegenliebe, denn mit Ketzern und Sektierern

wollten die Rechtgläubigen nichts zu tun haben. Die ersten

Kundschafter der Herrnhuter, die zu den Völkern am

Polarkreis aufgebrochen waren, landeten als Spione in

russischen Kerkern.

Der Universalgelehrte und geistige Gründervater der

Petersburger Akademie Gottfried Wilhelm von Leibniz

hatte China im Auge, als er Klage führte, die herrschende

Theologie vernachlässige die Mission und legte damit den

Grundstein für die Mission der Herrnhuter im Osten.

Durch Rußland würde sich die Tür nach China öffnen

glaubte Leibniz, und mit ihm Zinzendorf. Bei der

zeitgenössischen „Orientierung“ nach China spielte

vielleicht eine Rolle, dass nach der mittelalterlichen

Kartographie, das irdische Paradies sich im Fernen Osten

befand.[15] Im 18. Jahrhundert waren Chinoiserien, die an

chinesischen Vorbildern orientierte Richtung der

europäischen Kunst, recht populär. Eine vermeintlich heile

Welt bevölkert von Dichtern und Philosophen reizte die

Europäer und machte China für Leibniz zu einem Reich,

„das gleichsam wie ein Europa des Ostens das

entgegengesetzte Ende der Erde ziert" ("Novissima

Sinica").

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Nachdem die Petersburger Justiz die Herrnhuter als

Sektierer gebrandmarkt hatte, und im April 1743 das

Dekret der Zarin Elisabeth gegen die „Herrnhuthery“

ergangen war, schlossen sich hinter Zinzendorf und

seinem Sohn, die nach Osten eilten, um die Vorwürfe zu

entkräften, in Riga erst einmal die Kerkertüren. Nach drei

Wochen wurden die Gefangenen zwar wieder freigelassen,

ihr Versuch der Intervention aber war gescheitert. Erst

nachdem die neue Zarin, Katharina II., in ihren

Einwanderungsmanifesten auch die Glaubensfreiheit

versprochen hatte, nahmen die Herrnhuter erneut

Verhandlungen in Russland auf. Besonders am Herzen lag

den Brüdern die Provinz Livland[16], wo sie zahlreiche

Anhänger gewonnen hatten. Geschickt lenkte jedoch die

Zarin das Augenmerk der Gesandtschaft auf die Peripherie

ihres Reiches und besonders auf die Kalmücken an der

unteren Wolga. Vermutlich brachte Katharina II. das

mongolische Volk ins Spiel, um den Brüdern eine

Alternative zu der angestrebten Reformation der

Russischen Kirche zu bieten, denn an der Vorrangstellung

der Orthodoxie wollte die kluge Zarin keineswegs rütteln.

„Wir sollten uns der Calmucken annehmen, die bey

Astrakan wohnen.“[17]

Per Dekret der Herrscherin erhielt die Brüderunität Land

und Privilegien an der Wolga zugesprochen. Die

Petersburger Verwaltung erwartete, aus strategischem

Kalkül, von den Brüdern die Errichtung einer Siedlung

unterhalb Zarizyns, wie sie in den Plänen der

Administration schon vorgesehen war, als Teil der

Verteidigungslinie gegen plündernde Nomaden und den

türkischen Erzfeind. Nach der Stellungnahme des

Russischen Heiligen Synods zur Ansiedlung der Brüder,

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welche die Zarin eingeholt hatte, durften die Brüder

„keinen aus den Unterthanen Ihro Kayserlichen Majestät,

unter was vor einem Vorwand solches auch geschehen

möge, kraft der kayserlichen Verordnungen zu ihrer Secte

bekehren“. Die „Heidenmission“ war damit nicht explizit

untersagt. Doch die von den Herrnhutern erstrebte

Erlaubnis wurde weder im Einladungsmanifest von 1764

noch den 1765 folgenden Spezialkonzessionen

ausgesprochen. Der Zarin und ebenso die Herrnhuter

ließen diesen Punkt ungeklärt. Eine Kalmückenmission

fand, entgegen aller Legenden der Mährischen Brüder,

nicht statt. Die Sarepter werteten die nicht erteilte

Erlaubnis als Verbot der Mission. Weitere Hindernisse

bildeten die Sprachschwierigkeiten der „Missionare“ und

das Beharren der Kalmücken, die kaum Neigung zeigten

sich bekehren zu lassen. Wenn sie einen Übertritt zum

Christentum erwogen, dann erschien ihnen die russisch-

orthodoxen Kirche vorteilhafter. Das Verhältnis der Siedlung Sarepta zu ihren Nachbarn

war nicht konfliktfrei. Nicht nur die Kalmücken, auch die

Bewohner Zarizyns sahen mit Argwohn und Unwillen auf

die Brüder. „Incommoditäten“ und „Heimsuchungen“,

die zum großen Teil von den mongolischen Nachbarn

ausgingen, beschreibt Bruder Suter auch in den

beschönigten Ausgaben seiner Jahrbücher. Das Vieh der

Nomaden zertrampelte die Äcker, Brüder würden in der

Steppe ausgeplündert. Die Verständigung war schwierig,

denn weder die Kalmücken, noch die Deutschen sprachen

Russisch. Der biblische Konflikt zwischen Kain und Abel,

zwischen Hirten und Ackerbauern, brach aus.

Die Mongolen leben heute in mehrere Stämme geteilt in

der Mongolei und anderen Teilen Zentralasiens. Nach den

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Dialekten unterscheidet man die Gruppen der Ost-

Mongolen oder Chalka, West-Mongolen oder

Kalmücken[18] und Nord-Mongolen oder Burjäten. Die

Chalka sind die Mongolen im engeren Sinne. Sie leben in

der Mongolei, Teilen Nordtibets und Sinkiangs. Die

Burjäten saßen bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts in

den Gebieten um den Baikalsee. Im Zuge der Eroberung

Sibiriens wurden sie nach heftiger Gegenwehr in der Mitte

des 17. Jahrhunderts von den Russen unterworfen. Bei der

Volkszählung 2002 wurden in der Republik Burjätien

981.238 Einwohner ermittelt, davon gehören 35,2% der

Titularnation an. Die Burjäten bekennen sich zum

Lamaismus oder zum Schamanismus.

Der Name Kalmücken wird mit dem türkischen Verb

„kalmak“ (= zurückbleiben) in Verbindung gebracht. Nach

der wahrscheinlichsten Erklärung soll es bedeuten, dass

sie den Islam nicht angenommen haben, aus

mohammedanischer Sicht Ungläubige geblieben sind. Seit

dem 14. Jahrhundert wird dieses Ethnonym in islamischen

Quellen, seit dem 16. Jahrhundert in offiziellen russischen

Quellen und seit dem 18. Jahrhundert auch als

Eigenbezeichnung benutzt.

Im 15.Jahrhundert bildeten die Kalmücken zwischen

Altai, Tienshan, Gobi und dem Balchasch-See eine

mächtige Stammesföderation, die letzte größere

Staatsbildung von Hirtennomaden in Zentralasien. Dem

Expansionsdruck der chinesischen Mandschu weichend,

flohen die Kalmücken 1618 in das Gebiet westlich der

unteren Wolga. Dort schlossen sie ein Bündnis mit den

russischen Zarenhaus, das versuchte sie unter seine

Oberherrschaft zu bringen. Angeblich auf Einladung des

chinesischen Kaisers, tatsächlich aber um der

Eingliederung in das russische Reich zu entgehen, zog die

große Masse der Kalmücken 1771 unter dramatischen

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Umständen, großen Opfern an Menschen und Herden,

zurück in die alte Heimat. Die Nachfolger der an der

Wolga verbliebenen Kalmücken und der vereinzelten

Rückkehrer aus China bilden heute das einzige

buddhistische Volk Europas.[19] Nach der russischen

Volkszählung von 2002 stellen sie mit 155 938 knapp über

die Hälfte der Einwohnerschaft der dünnbesiedelten

Republik Kalmückien.

Aus den Dienerblättern erfahren wir, dass der

wissenschaftlich interessierte und sprachlich hochbegabte

Jährig Kontakte zu den Kalmücken unterhielt und ihre

Sprache erlernte. Schon 1772, drei Jahre nach seiner

Ankunft also, hatte Jährig dem Akademiker Gmelin[20],

der sich auf einer Expedition in den Kaukasus befand,

interessante Notizen über die Religion und die Gemütsart

des kalmückischen Volkes übergeben. Im Jahre 1772

betrieb Jährig angeblich eine Indigodruckerei mit Verlust,

weswegen er von der Ältestenkonferenz suspendiert

wurde. 1773 wurde er von der Brüdergemeine

ausgeschlossen.

„Aus den Bemerckungen und Erzählungen der vorigen

jahre läßt sich überdem leicht abnehmen, was die Colonie

der Brüder durch die Entweichung der Callmuken für

vortheilhafte Aussichten in Betracht des Oeconomici

verlohren hatte. Der Handel nahm nicht nur ab, sondern

der Verlust an dem beträchtlichen Waaren-Lager, das

vorzüglich um der Callmuken willen angeschaft worden

war, war so groß, dass er den bisherigen Nutzen weit

überstieg. Die Lebhaftigckeit der Gewerbe in ganz Sarepta

nahm ab, und man gleichsam wieder von vorne anfangen,

weil sich auf eine Art die ganze Scene geändert hatte und

Page 18: Johann Jährig und seine Zeit

alles nicht mehr eintraf, worauf man noch vor kurzem

sicher hatte rechnen können. Dieser ganze Umsturz war in

Zeit von 14 Tagen geschehen.“

Mit diesen Notizen beendet Christlieb Suter seine

Bemerkungen über die Kalmückenflucht im Jahre 1771

und macht deutlich, in welchem Maße Handwerk und

Wirtschaft der Missionsstation von den Nomaden abhing

und auf deren Bedarf ausgerichtet war. Den leichten

Aufschwung im folgenden Jahr führt er auf die rege

Lobbyarbeit einiger Brüder und die wirtschaftliche

Neuausrichtung Sareptas zurück: „Die verschiedenen

Gewerbe fingen sich mit diesem Jahre wieder an, etwas zu

erholen, wozu die mehrere Bekanntschaft im Lande durch

Reisen einiger Brüder manches bey trug. Bruder Jacob

Lorez, der im April als Vorsteher des ledigen Brüder-

Chores von St. Petersburg hieher gekommen, that die erste

Reise nach Astrachan, um die nöthigen Materialien für die

Fabriken an Baumwolle und Seide einzukauffen, und sich

überhaupt mit dem dortigen Handel näher bekandt zu

machen. Zu gleichem Zweck reisten auch noch mehrere

Brüder dahin. Die Brüder Hasse und Pauly waren in

Simbirsk und auf den Saratofschen Colonien, bey welcher

Gelegenheit der erste Anfang einer baumwollen Spinnerey

unter den Colonisten angefangen wurde. Bruder Christian

Hammel that in Geschäften des Ladens eine Reise nach

Moskau und nahm außer einer Parthie Fische aus der

Sarpa, auch den ersten hier aufgekauften Fisch-Leim zum

Verschicken außer Landes mit.“

Im Bericht über das Jahr 1773 ist die Rede von

Missernten, Streitigkeiten über die Fischereirechte mit den

Einwohnern von Zaryzin, Seuchen und Schäden durch das

Vieh der verbliebenen Nomaden. Gesteigert wurden die

Bemühungen neue Absatzmärkte aufzutun.

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„Wegen Verbeßerung der Gewerbe wurden öftere

Überlegungen angestellt, allein unvorhergesehener

Schaden und Unglück konte nicht verhütet werden, und in

diesem Jahre kam gleichsam alles zusammen, was

manchen Gewerben einen sehr empfindlichen Stoß gab.“

Die Begründung für Jährigs Ausschluss mutet angesichts

der Wirtschaftskrise, die durch die Flucht der Kalmücken,

über Sarepta hereingebrochen war, nicht schlüssig an.

Man muss man davon ausgehen, dass eine Stoffdruckerei

in einer Siedlung von 180 Seelen nur profitabel

wirtschaften kann, wenn ihre Produkte von außen

nachgefragt werden. Mit der Flucht der Kalmücken

erlosch die Nachfrage, nicht nur nach bedruckten Stoffen.

Die Krise war allgemein.

„Der Callmukische Handel wurde in diesem Jahr sehr

beträchtlich und vortheilhaft, die Gewerbe in Sarepta

hatten zugleich guten Abgang, und es war aller Anschein

da, daß sich die Colonie bloß durch das Commercium mit

dieser Nation mit der Zeit von so vielen Außgaben wieder

erholen und praestanda praestiren werde. Man bemühete

sich daher auch auf alle Weise, einen hinlänglichen

Vorrath von allerley Waaren für die Callmuken

anzuschaffen, allein es reichte nie lange zu, weil sie in zu

großer Menge kamen, und sich selbst Händler unter ihnen

fanden, die ganze Parthien auf einmal erhandelten.

Der in Sarepta erbaute frische Toback war eine der

größten Delicatessen für die Callmuken und gleichsam die

Lock-Speise, die sie reizte, oft eine weite Reise zu thun, ob

es gleich an Russischen Tartarischen und Armenischen

Kaufleuten, die den ganzen Sommer über mit ebenden

Waaren die die Brüder hielten, in den Horden

herumzogen, nicht fehlte.“ schrieb Christlieb Suter in

seinem Bericht über das sechste Jahr, 1770[21]

Page 20: Johann Jährig und seine Zeit

Im Fazit des Jahres 1771 jedoch: „Die Reisen nach den

Jahrmärckten waren dieses Jahr nicht nöthig und auch

nicht möglich, weil die Handlung, wie schon oben

gemeldet worden, durch die Entweichung der Callmuken

einen empfindlichen Stoß bekommen hatte.“[22]

Jährigs Relegation scheint in diesem Licht überzogen, die

Gründe wirken vorgeschoben und dies wiederum

bekräftigt die Vermutung, Jährig habe den Aufenthalt in

der Horde zum Vorwand genommen hatte, mit dem Volk

der Kalmücken „einen seichten, lasterhaften Umgang“ zu

pflegen, und sei deswegen aus der Gemeine

ausgeschlossen worden. Die Tatsache, dass der Chronist

Glitsch ihm den Brudertitel verweigert und ihn im

Namensregister übergeht, spricht auch für die Vermutung,

dass man die wahren Gründe vertuschen wollte.

Für die »Missionsarbeit«, den Lehrbetrieb und anfallende

Übersetzungsarbeiten war Jährig verloren. 1773 mußte er

Sarepta verlassen.[23] Christlieb Suters Jahrbuch gibt über

die Vorkommnisse keinen Aufschluß, auch wird die

Indigo-Druckerei, obwohl der Chronist bei den

Errungenschaften der Sarepter oft ins Detail geht, nicht

erwähnt. Das Jahr 1773 schließt er mit den Zeilen ab:

Die Callmuken waren zwar noch immer die Heyden, die

den Brüdern am meisten vor die Augen kamen, allein ihre

Herzen und Ohren schienen zu allen göttlichen Dingen

veste verschloßen zu seyn, und man konte weiter nichts

dabey thun, als fleißig für sie beten und im übrigen die

angefangene Freundschaft mit ihnen zu unterhalten

suchen.

(...)

Die 2 ledigen Leute David Renatus Nitschmann und

Johann Jährig verließen die Gemeinschaft der Brüder und

Page 21: Johann Jährig und seine Zeit

engagirten sich in Diensten der Kayserlichen Academie

der Wissenschaften.

Die Anzahl der Sareptischen Einwohner bestand also

beym Beschluß des Jahres aus

58 Eheleuten

69 ledigen Brüdern 1 Wittwer

45 ledigen Schwestern 9 Knäbgen und

14 Mädgen

Summa 196 Personen[24]

Page 22: Johann Jährig und seine Zeit

4. Deutsche Forscher im Dienste der Petersburger

Akademie

In den zwanziger Jahren des XVIII. Jahrhunderts wurden

auf Befehl Peters des Großen die ersten mongolischen

Handschriften aus den Ruinen des buddhistischen Tempels

Ablaikit[25] nach Petersburg gebracht. Spätere Reisende

und Forscher brachten weitere Blätter in mongolischer

Schrift, meist in Gold oder Silber auf dunkelblauem Grund

geschriebene buddhistische Schriften, einige von ihnen

gelangten aus Petersburg auch nach Schweden, Frankreich

und Deutschland.

„Die Bibliothek ist reich ausgestattet mit tibetischen und

mongolischen Schriften, welche mit Gold, Silber und Tinte

geschrieben sind, aber angesichts der Unkenntnis der

Sprache haben wir keinerlei Zugang. Seit einiger Zeit

unterhalt die Akademie zum Erlernen der erwähnten

Sprachen eingeborene Studenten.“ Dies schrieb Johann

Vollrath Bacmeister[26] im Jahre 1776 über die Bibliothek

der Russischen Akademie der Wissenschaften. Tamara

Konstantinowa Schafranovskaja zitiert den Bibliothekar

in dem Glauben, er beziehe sich auf Jährig. Doch der

Mährische Bruder war kein Student im üblichen Sinne des

Wortes. An der Akademie nannte man ihn Translateur,

und später Emissär der Akademie. Zudem war er nicht

„eingeboren“.

Page 23: Johann Jährig und seine Zeit

1773 befand sich der Akademiker Peter Simon Pallas[27]

auf dem Rückweg nach Petersburg. Er hatte eine lange

und erfolgreiche Expedition durch den asiatischen Teil

Rußlands hinter sich, als er in Zarizyn, dem heutigen

Wolgograd, Station machte. Von dort sandte er, mit dem

Datum des 13. September 1773, einen Brief an die

Akademie der Wissenschaften, in dem er berichtet, daß ein

gewisser Johann Jährig der Akademie seine Dienste

anbietet.

"Wohlgebohrner Herr,

insonders hochzuverehrender Herr Professor,

hochgeschätzter Gönner,

Ich habe im Augustmonat die Reise nach Kamyschenka

und weiter bis Saratof hauptsächlich auf der Steppenseite

der Wolga abgelegt, eine vollkommene Beschreibung der

auf beiden Seiten belegnen Colonien gesamlet, viele

Gegenden der wüsten Wolgischen Steppe besucht, und bin

mit Ausgang des Monats wieder nach Zarizyn

zurükgekommen, wo ich den Rest des Herbsts mit kleinen

botanischen Reisen und Verschikungen, hauptsächlich der

auf den hiesigen Steppen häufigen Salzpflanzen wegen,

zubringe, und auch den Winter abwarte, weil ich keinen

andern zu meinem Geschäft bequemen Ruheort weiss. Von

allem diesem werde ich mit der nächsten Post Ew.

Hochedelgeb. den umständlichen Raport vor die Akademie

überschikken, weil ich heute nicht die Zeit dazu gewinnen

kann, und gestern erst von einer Reise an der Sarpa zurük

gekommen bin. Ich wolte aber doch nicht den Posttag

verstreichen lassen, ohne Ew. Wohlgeb. einen Aufsaz zu

Überschikken, mit welchem sich ein nicht ungeschikter

Teutscher, der einige Jahre auf der Hernhutischen

Page 24: Johann Jährig und seine Zeit

Colonie ohnweit Zarizyn wohnhaft war, beij mir gemeldet

hat. Dieser Mensch hat aus eignem Triebe eine Kentniss

der mongalischen und kalmückischen Sprache erworben,

und bezeigt viel Eifer sich mit der Einsamlung historischer

Nachrichten über die kalmükische Nation, und sogar mit

Erlernung der tangutischen Sprache, in welcher die

meisten Religions Geheimnisse dieses Volkes geschrieben

sind, zu beschäftigen. Von seiner Fähigkeit habe ich

verschiedene Proben in Händen und bin auch aus seinen

Gesprächen ganz wohl mit ihm zufrieden. Solte ihm die

Kaijzerliche Akademie der Wissenschaften diejenige

jährliche Ermunterung, welche er in seinem Aufsaz

verlangt, auf dreij Jahr zugestehen wollen, um die

Tangutische Sprache zu erlernen und sich in der

mongalischen volkommen zu machen, so würde mann

ausser den guten Nachrichten, die er während seines

Aufenthalts unter den Kalmükken samlen kann, den

Vortheil von ihm zu hoffen haben, die ansehnliche Menge

tangutischer und mongalisher Schriften, welche die

Akademische Bibliothek besitzt, dereinst übersezt zu

erhalten, welches nicht ohne Nutzen vor die Völkerhistorie

seijn kann. Mann würde auch durch ihn noch mehrere

wichtige, besonders die alte Geschichte der mongalischen

Völker betreffende Schriften ausgeforscht und copirt

bekommen können, und es wären villeicht noch mehrere

schriftliche Urkunden von den salenginskischen Mungalen

zu verschaffen, mit der Übersetzung er sich nützlich

beschäftigen könte. Ich bitte aber auf den Fall, wenn die

Dienste dieses Menschen der Akademie anständig seijn

solten, denselben, wenigstens so lange ich in dieser

Gegend verweilen möchte, an meine Expedition zu

verweisen, damit ich denselben auch beijläufig zu

Einsamlung der mir noch fehlenden Nachrichten über die

kalmükkische Religion und Ceremonialgebräuche den

Page 25: Johann Jährig und seine Zeit

Winter hindurch gebrauchen könnnte. Ich würde ihn als

denn mit einer gehörigen Instruction versehen und auf

dessen Ausführung Acht haben können. Auch könte ihm

der kleine Gehalt, welchen er zu seiner Unterstützung

verlangt, auf meine Expeditions-Casse, bis zu meiner

Abreise aus diesen Gegenden, angewiesen werden. Ew.

Wohlgeb. verpflichten mich sehr, wenn dieselben den

schriftlichen Aufsaz, welchen ich hierbeij gefügt habe,

nebst meinen Gedanken, der Kaijzerlichen Akademie

vorzulegen und eine baldige Entschliessung der derselben

zu betreiben die Güte haben wolten. Ich verharre in Eijl

mit der alten Hochachtung und wahrhaftesten Ergebenheit

Ew. Hochedelgeb.

gehorsamster Diener

P.S. Pallas

“No. 298 ... empfangen den 18 November 1773 und den

22 ejusdem der Conferenz vorgelesen.“

Das Empfehlungsschreiben von Pallas an den Sekretär der

Petersburger Akademie Johann Albrecht Euler vom 25.

September 1773 wurde von der Konferenz der Akademie

mit dem Resultat erörtert, dass Jährig als Translateur

östlicher Handschriften der Bibliothek der Akademie der

Wissenschaften aufgenommen wurde. Man bewilligte ihm

ein Honorar von 100 Rubeln im Jahr.

Pallas war beeindruckt, dass Jährig aus eigenem Antrieb

die kalmückische Sprache erlernt hatte und sie so

beherrschte, daß er nicht nur mit den Menschen sprechen,

sondern auch lesen und ihre Schrifttum versteht konnte.

Jährig beabsichtigte das Studium der mongolischen

Page 26: Johann Jährig und seine Zeit

Sprache zu vertiefen, sich mit dem tangutischen

(tibetischen) Schrifttum vertraut zu machen und Wissen

über die Geschichte der Kalmücken zu vermitteln.

In Briefen nach Zaryzyn, an Pallas und Jährig, wurde die

Hoffnung ausgedrückt, daß Jährig das Vertrauen verdiene,

welches die Konferenz ihm entgegenbringt. Pallas äußerte

sich in seiner Antwort zufrieden und teilte mit, daß er

Instruktionen für Jährig zusammenstellt, seine

Verpflichtungen festlegt habe und er mit dem Gouverneur

von Astrachan verhandele, damit Jährig jede mögliche

Unterstützung gewährt werde.

Im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Postkutsche, war die

Zustellung von Briefen und Paketen über lange Distanzen

außerordentlich schwierig und unzuverlässig. Am 24.

Dezember 1774 schickte Jährig seinen vierten Bericht. Er

klagte, daß aus Petersburg niemand auf seinen ersten

Bericht reagiert hatte und bat um die Anweisung seines

Gehalts, das ihm erlauben würde, sich zu den Kalmücken

zu begeben und seine Pflichten gegenüber der Akademie

zu erfüllen. Dieses Schreiben beunruhigte die Konferenz.

Ihr Sekretär leitete die Frage nach den abgeschickten

Papieren, nach den ersten drei Berichten Jährig, die er

selbst nicht hatte ausfindig machen können, an die

Akademiekanzlei weiter.

Trotz aller Schwierigkeiten kam Jährigs Tätigkeit

langsam in Gang. Am 15. April 1775 berichtet er von

einem Besuch in Astrachan und seiner Reise nach

Jenotajewka an der Wolga. Von dort schickte er in

deutscher Übersetzungen kalmückischer Sagen und

Mitteilungen über „die Wunder des Heiligen Dordscho

Shodbah“. Jährig berichtete detailliert über seine

Page 27: Johann Jährig und seine Zeit

Beschäftigung mit der Lebensweise und der Sprache der

Kalmücken im Wolgagebiet. Seine Briefe und Berichte

wurden regelmäßig auf den Sitzungen der Konferenz

verlesen und anschließend übergab man das gesamte

Material Pallas, der es für seine in Vorbereitung

befindliche „Sammlung historischer Nachrichten über die

mongolischen Völkerschaften“ benutzen wollte. Der erste

Teil dieses Werkes erschien 1776, der zweite erst im Jahre

1801. Die Korrespondenz der Gelehrten und Reisenden

mit der Akademie wird im Archiv der Akademie der

Wissenschaften aufbewahrt. Unter dem Titel „Gelehrte

Korrespondenz der Akademie der Wissenschaften des

XVIII. Jahrhunderts“ wurde eine zweibändigen Ausgabe

veröffentlicht. Die beiden Bände enthalten eine

wissenschaftliche Inventarisierung von Berichten, Briefen,

geschrieben auf Latein, Französisch, Deutsch und

Russisch. In ihnen findet sich auch die Korrespondenz

Jährigs, adressiert an den Sekretär Euler und an den

Kurator Pallas, auf Deutsch geschrieben, mit Annotationen

auf Russisch. Die Briefe belegen, dass Jährig ein

gewissenhafter Mitarbeiter der Akademie war, der

regelmäßig Mitteilung über der Verlauf seiner

Forschungsarbeit machte, regelmäßig seine

Aufzeichnungen und Antwortschreiben schickte.

Im Juni 1775 befand sich Jährig 40 Werst[28] von

Jenotajewka[29] entfernt. In seinem Brief „aus der Steppe“

bat er die Akademie erstens um Gehaltserhöhung, da die

erhaltenen Gelder nicht ausreichten, zweitens ihm einen

Erlaß zu schicken, der ihm erleichtern würde, besonders

fern der Städte, sich auszuweisen und drittens ihm einige

Bücher aus der Bibliothek der Akademie der

Wissenschaften zu schicken, die ihm große Hilfe leisten

würden. Die Konferenz unterstütze die Forderungen Jährig

Page 28: Johann Jährig und seine Zeit

nach einer Gehaltserhöhung, "welche er mit seinem Eifer

verdient hat", auch die Aussendung eines Erlasses, jedoch

sah sie keine Möglichkeit die Bücher zu schicken. In

seinen nächsten Briefen äußerte Jährig bescheidenere

Literaturwünsche. Er bat, ihm den ersten, schon

erschienenen Teil der Geschichte der mongolischen

Völker von Pallas und einen Mondkalender für das

nächste Jahr. Dieser Kalender wurde von der Akademie

herausgegeben und erfreute sich großer Beliebtheit. Diese

Buchwünsche wurden umgehend erfüllt. Jährig erhielt

Kalender für die nächsten Jahre.

Im Oktober 1775 meldete er seine Übersiedlung ins

Winterquartier. In den Briefen spürt man, daß die

Akademie ihre Verpflichtungen ihn gegenüber nicht

nachkam, ihre Versprechen nicht einhielt. Sie ließ ihm die

materielle Unterstützung nicht rechtzeitig zukommen,

selbst das vereinbarte Honorar wurde nicht regelmäßig

und rechtzeitig gezahlt. Ende 1775 teilte Jährig mit, daß es

ihm gelungen sei "in einem kalmückischen Orden" sich

mit einem Lama anzufreunden, welcher ihm täglich

Unterricht in der kalmückischen Sprache gegeben habe.

Im gleichen Schreiben bat Jährig, ihm die Titel der

kalmückischen Handschriften, die sich in der Bibliothek

der Wissenschaften befanden, mitzuteilen. Er wollte

klären, ob sich unter ihnen wertvolle befanden, die

weiteres Licht auf die Geschichte der Kalmücken

geworfen hätten befanden. Die Abschrift der Titel wurde

von dem Studenten Sokolov, dem späteren Chemiker und

Akademiemitglied betreut, der über gewisse Kenntnisse

der kalmückischen Sprache verfügte.

Zum Jahreswechsel gingen Briefe und verschiedene

Materialien über das Leben und die Religion der

Kalmücken bei der Akademie ein. Anfang 1776 stellte die

Page 29: Johann Jährig und seine Zeit

Geographische Abteilung der Akademie Jährig Fragen im

Zusammenhang mit der geographischen Karte der

Dsungarei. Jährig beantwortete sie mit seiner üblichen

Sorgfalt.

Der Direktor der Akademie, der weitblickende Orlov

verließ seinen Posten und der nörglerische, kleinliche

Domaschnjev trat seine Nachfolge an. Der neue Mann

beabsichtigte die Wissenschaftler zu disziplinieren und

antreiben. Auch Johann Jährig hatte er auf dem Kieker.

Der Translateur wurde für unzulässig langen Perioden des

Schweigens gerüffelt. Zu seiner Rechtfertigung erklärte

Jährig, er habe lange nicht geschrieben, in der Erwartung

von Empfehlungsschreiben, welche ihm die Akademie

versprochen hatte. Sich von der Akademie zu trennen, läge

jedoch nicht in seiner Absicht. Er hatte 1773 begonnen,

und die dreijährige Vertragsspanne näherte sich ihrem

Ende. Jährig bat die Akademie sich weiterhin seiner zu

bedienen, zu Bedingungen, die man in Petersburg für

geeignet hielt. Der Vertrag wurde um ein Jahr verlängert.

Wiederum trafen bei Akademie von Jährig gesammelte

Materialien ein. Seine Interessen hatten sich ausgeweitet.

Der Translateur "adoptierte die Dsungarei ", erlernte die

"tangutische" Sprache, schickte Übersetzungen der Briefe

des Dalai-Lamas, erklärte den Inhalt einer astrologischen

Sammlung indischer Herkunft, schrieb über kalmückische

Heilmethoden, die im Schlucken von Papierchen mit

magischen Aufschriften bestand.

Der Gouverneur von Astrachan vermittelte Jährig einen

Lehrer des Tibetischen, mit dem er sehr zufrieden war.

Schon bald konnte er Übersetzungen und Auszüge auch

aus Werken in tibetischer Sprache schicken.

Page 30: Johann Jährig und seine Zeit

Hin und wieder erhielt die Akademie Proben des Pflanzen-

und Tierreichs aus der Steppe in Nähe von Astrachan und

Jenotajevka. In einem dieser Pakete lag die Probe einer

Pflanze, mit der die Kalmücken Pferde heilen. Anfang

1779 traf er einen anderen Reisenden, der mit der

Akademie in Verbindung stand, Karl-Ludwig von Hablitz.

Mit ihm sammelte er eine größere Menge von Kräutern,

welche die Kalmücken zur Heilung verschiedener

Krankheiten benutzten und schickte sie nach Petersburg.

Die Akademie erhielt eine ausführliche Beschreibung und

Häute eines kleinen Tieres, von den Kalmücken Morin

küochüli genannt. Diese nebensächliche Information soll

illustrieren, dass Jährig sich nicht nur als Translateur

betätigte, sondern sich als Autodidakt auch auf anderen

Gebieten der Wissenschaft bewährte. Zu Jährigs

Rechenschaftsberichten gehörten fast immer zahlreiche

Anhänge; ein Heft mit Erzählungen und Beobachtungen;

Auszüge aus einem mongolischen Werk Dschingis Khans;

astrologische Tabellen, in mongolischer Schrift

aufgezeichnet.

Jenotajevka wurde Jährigs Hauptquartier, von dort

unternahm er zahlreiche Expeditionen und hielt sich lange

bei den nomadisierenden Kalmücken auf. Von dem neuen

Gouverneur Jakoby erhoffte er sich die Erlaubnis sie auf

ihren Wanderschaften begleiten zu dürfen. Doch hing

nicht alles von den Behörden, sondern vieles von

persönlicher Initiative ab. Jährig bat, ihm eine möglichst

große Menge chinesischer Aromen und Essenzen zur

Verteilung unter den Geistlichen, im Hinblick auf gute

Beziehungen und Freundschaft, zu schicken. Jährigs

energisches Tun bewog Domaschnjew, der Ausgaben für

wissenschaftliche Arbeit immer mißtrauisch

gegenüberstand, Anfang 1778 den Vertrag mit Jährig um

Page 31: Johann Jährig und seine Zeit

ein Jahr zu verlängern. Domaschnjew war der Meinung,

daß das Verbleiben Jährig unter den Kalmücken eine

Vielzahl neuer Erkenntnisse über die Geschichte und

Ethnographie dieses Volkes erbringen werde. Pallas

verfolgte Jährigs Tätigkeiten mit Interesse und als 1779

die Entscheidung über die Vertragsverlängerung anstand,

beschloß er den Translateur zur genaueren Erforschung

der mongolischen Völker an den Baikalsse, in den Rajon

Seleginsk zu schicken, wo er auch weiterhin die tibetische

Sprache würde studieren können. Pallas ermahnte Jährig,

dass den natürlichen Gegebenheiten der Orte und

Gegenden, durch die seine Expedition streifte, größere

Aufmerksamkeit zukommen lassen müsse. Am 19. August

1779 befürwortete die Konferenz der Akademie die neuen

Instruktionen.

Page 32: Johann Jährig und seine Zeit

6. Zwei Reisen an den Baikal

Ende des Jahres ging ein Brief von Jährig ein, in dem er

der Akademie für die Möglichkeit zu einer weiten Reise in

den Osten dankte und bat, ihm einen Rang zu verleihen,

ein Empfehlungsschreiben zu schicken und ihn mit den

nötigen finanziellen Mitteln zu versehen. Auf die

Erfüllung dieser Bitten mußte er Monate warten, Jährig

begab sich auf eine längere Exkursion in die

kalmückischen Ulusse[30]. Die Exkursion endete mit einem

Unfall. Beim Sturz von einem Wagen brach Jährig sich

das Schlüsselbein. Trotzdem gelang es ihm Proben von

Pflanzen, Samen und Mineralien zu sammeln. In

Petersburg untersuchte man Jährigs Pflanzenstängel, aus

denen die Kalmücken unterschiedliche Mittel gegen

Zahnschmerzen herstellten. Adjunkt Georgi, ein Chemiker

wurde mit der Analyse der Stengel und der übersandten

Mittel beauftragt.

Die Reise nach Osten verzögerte sich. Jährig bemühte sich

um Empfehlungsschreiben, auch bei der kalmückischen

Geistlichkeit. Nach Erhalt der Papiere aus Petersburg

machte Jährig sich auf den Weg nach Osten. Schon bei

Saratow, am Oberlauf der Wolga, ging er der Reisekasse

verlustig und bat die Akademie um wenigstens 75 Rubel

zur Weiterreise. Die Beamten in Petersburg zeigte

Verständnis, die nötigen Gelder wurden angewiesen und

Jährig reiste weiter in Richtung Orenburg.

Sowohl aus Saratow, als auch aus Orenburg schickte er

Materialien, die er noch während seines Aufenthalts bei

den Kalmücken im Gebiet von Astrachan gesammelt hatte.

Großes Interesse fand seine "Karte der Länder, die er auf

seinen Reisen zu den Kalmücken in den Jahren von 1773

Page 33: Johann Jährig und seine Zeit

bis 1780 bereiste". Wertvoll waren auch seine

Erklärungen einiger unverständlicher Termini, die er in

Fischers Geschichte Sibiriens gefunden hatte.

Ende 1780 erreichte ein Brief Jährigs aus Irkutsk die

Akademie. Der Weg von Krasnojarsk nach Irkutsk sei

schrecklich gewesen. Stark Regengüssen hatten den Weg

unterspült. Bald danach erhielt man eine Rechnung über

175 Rubel 38 Kopeken, die Jährig für die Pferde von

Astrachan nach Irkutsk ausgegeben hatte; unterdessen war

er 6283 Werst gereist. Jährig erhielt die Summe, die er zu

Beginn der Reise angefordert hatte. In Irkutsk wollte

Jährig nicht bleiben. Er hoffte möglichst bald nach

Kjachta reisen zu können und die Reise nach Tibet

anzutreten. Sondierungsgespräche bei den höheren

politischen Instanzen hatten keine greifbaren Ergebnisse

gebracht. Die Akademie wandte sich an den Grafen

Alexander Sergejewitsch Stroganow und Außenminister

Nikita Iwanowitsch Panin, aber trotz aller Bemühungen

kam die Reise nach Tibet, wegen der Spannungen

zwischen Petersburg und dem Drachenthron, nicht zu-

stande.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts waren die Burjäten in

das wachsende sibirische Reich Russlands eingegliedert

worden, ein Prozess, der durch die Festlegung der chine-

sisch-russischen Grenze in den Verträgen von Nertschinsk

(1689) und Kjachta (1727) abgeschlossen wurde. Der

Vertrag von Kjachta gestattete den Russen, in der

Mongolei und mit China Handel zu treiben, aber beinahe

noch anderthalb Jahrhunderte danach blieb ihr Einfluss

unbedeutend. Zu Jährigs Zeit beschränkten sich die

Handelskontakte auf eine Karawane nach Peking im Jahr

und die Lieferungen der gefragten Rhabarberwurzeln nach

Kjachta.[31]

Page 34: Johann Jährig und seine Zeit

Jährig ließ sich in der Siedlung Gusinoje Osero (Gänsesee)

nieder, wo sich ein wichtiger Datsan, ein burjätisches

Kloster, befand.

Dort gelang es ihm, freundschaftliche Beziehungen zu den

Lamas aufzunehmen, welche ihm ermöglichten seltene

Bücher und Handschriften in mongolischer und tibetischer

Sprache kennenzulernen. Jährig meinte, daß sie für die

Bibliothek der Akademie der Wissenschaften erworben

werden müßten, doch wollte er keine Dubletten kaufen

und bat daher um einen Katalog der mongolischen und

tibetischen Bücher und Handschriften der akademischen

Bibliothek. Unter-Bibliothekar Bacmeister erhielt den

Auftrag, einen Katalog zu erstellen. Doch er erklärte sich

wegen seiner Unkenntnis der mongolischen und

tibetischen Sprache außer Stande und wies auf die

Schwierigkeit hin, in Petersburg jemanden mit den nötigen

Kenntnissen zu finden.

Seinem nächsten Brief aus Transbaikalien legte Jährig die

deutsche Übersetzung einer indischen astrologischen

Handschrift bei. Er klagte, dass das Honorar für den

Sprachlehrer den Großteil seines Gehalts verschlinge und

er daher auf weitere Studien verzichten wolle. In der

gewonnenen Zeit würde er sich der Sammlungen von

Altertümern und Materialien zur Geschichte seiner

Aufenthaltsorte widmen. Die Konferenz schloß sich Pallas

an, der forderte, dass die tibetische Sprache die

Hauptbeschäftigung des Translateurs Jährig sein solle. Das

Sprachenlernen sei ohnehin nie ein Hindernis beim

Sammeln historischer Materialien gewesen, denn Jährig

hatte bisher auch Sprachen gelernt und sich gleichzeitig

mit dem Sammeln beschäftigt. Pallas erhielt den Auftrag,

Jährig zu schreiben, er solle seine Anstrengungen

Page 35: Johann Jährig und seine Zeit

verdoppeln, die tibetische Sprache zu erlernen. Jährig

erstellte eine Beschreibung des Weges von Tobolsk nach

Kjachta, mit einem Verzeichnis der Siedlungen und

Poststationen, die im Kalender für das kommende Jahr

abgedruckt wurde. Jährigs Angaben erwiesen sich als

genauer und ausführlicher, als die von der Akademie

einige Jahre zuvor veröffentlichten.

Im Januar 1781 hielt sich Jährig in Udinsk auf, um zwei

Schüler für die Akademie zu finden. Man muss annehmen

in Nishnyj Udinsk, schreibt Schafranovskaja.Nimmt man

die Karte aus Pallas Reise III. Theils. I. " .. der

Tobolskischen und Irkutskischen Statthalterschaft" zur

Hand, kommt man zu der Überzeugung, dass dies nicht

stimmen kann. Es handelt sich vielmehr um Udinskoje,

seit 1775 Vjerchneudinskoje, welches heute Ulan-Ude

heißt. Nishneudinsk, das auf der Karte von Pallas

Undinskoi heißt, liegt zu weit entfernt.

Es war beabsichtigt, dass Jährig die beiden Jugendlichen,

burjätische Muttersprachler, im Lesen und Schreiben des

Russischen unterrichten sollte, damit sie der Akademie als

Übersetzer dienen konnten. Der Wojewode[32] von Udinsk

hatte nur einen Schüler gefunden - einen jungen Mann

namens Samuil, der später Samuil Schiffer getauft wurde.

Einen zweiten Schüler beabsichtigte der Statthalter der

Zarin aus einer vornehmen Familie zu wählen. Später

einigte man sich jedoch mit dem jüngeren Bruder Samuils.

Der zweite Schüler wurde Pawel Te-Jährig genannt. In

den Briefen nach Petersburg lobte Jährig ausdrücklich

Begabung, Eifer und Ausdauer seiner Schützlinge.

Hartnäckig bestand er darauf, dass die Akademie den

Unterhalt für Samuil und Pawel zu bestreiten habe. Mit

den üblichen unausweichlichen Verzögerungen wurde die

Page 36: Johann Jährig und seine Zeit

Versorgung der Schüler schließlich dauerhaft gesichert.

Anfang des Jahres 1782 bat Jährig schließlich um die

Erlaubnis die Schüler von der Liste der Ortsansässigen zu

streichen und beim Zensus mitzuteilen, daß sie in den

Dienst der Akademie getreten seien.

Den größten Teil seiner Zeit verbrachte Jährig in dem

Kloster am Gänsesee. Dort erledigte er seine

Korrespondenz, aber manchmal schrieb er auch „aus der

Steppe“, wie er sich ausdrückte. Damit meinte er die

Pagoden der Umgebung. Jährig studierte weiterhin die

mongolische und die tibetische Sprache. Er beschäftigte

sich mit den Unterschieden zwischen den mongolischen

Dialekten, stellte Abweichungen fest und interessierte sich

für das Altmongolische[33]. Die Ausbildung seiner Schüler

machte gute Fortschritte. Mitte 1781 mußte er sich von

dem Lama trennen, der ihm Tibetisch beibrachte, da der

Mann unverschämte Forderungen stellte. Bald darauf

lernte den alten Lama Bandida kennen. Sie freundeten sich

an. Jährig war voller Lobes und unterstrich in seinen

Briefen des Lamas bedeutsame Hilfe und dessen

Verdienste. Jährig suchte nach einer Möglichkeiten sich

Bandida erkenntlich zu zeigen und bat die Akademie

seinen Lehrer zu belohnen. Die Konferenz erörterte dieses

Ansinnen und auf Vorschlag von Pallas wurde

beschlossen, dem Lama Bandida eine Silbermedaille zu

verleihen. Dem alten Mann bereitete die Medaille sichtlich

große Unannehmlichkeiten. Da er die Erlaubnis sie am

Hals zu tragen, noch nicht erhalten hatte. Jährig

wiederholte seine Bitte, dem Lama die offizielle Erlaubnis

zu schicken, die Medaille am Hals tragen zu dürfen. Jährig

wollte außerdem, daß die Akademie den Lama in die

Reihe ihrer korrespondierenden Mitglieder aufnehme und

ihm jährlich 15 Rubel Honorar zahle. In der ersten und

Page 37: Johann Jährig und seine Zeit

dritten Frage beschloß die Konferenz sich an den Direktor

der Akademie zu wenden. Es wurde beschlossen, daß es

einem mongolischen Lama weder Freude bereite, noch

zukomme, korrespondierendes Mitglied der Akademie zu

sein. Der Lama empfand dies offensichtlich nicht als

Beleidigung. Kurz nach der Ernennung von Elisabeta

Romanowna Daschkowa[34] zur Direktorin im Jahre 1783

schickte Jährig ihr das Abbild einer buddhistischen

Gottheit im Auftrag Bandidas als Zeichen seiner

Wertschätzung.

Während seines Aufenthaltes im Rajon Gusinoje Osero

sandte Jährig zahlreiche Auszüge und Übersetzungen

verschiedener mongolischer Handschriften und

Aufzeichnungen mündlicher Überlieferungen nach

Petersburg. Sie behandelten die Geschichte, Religion und

das Leben der Mongolen. Er sammelte sakrale Bilder,

schickte sogar Originale und eigens für ihn angefertigte

Kopien. Jährig interessierte sich für tibetische

Handschriften, welche die Ursprünge der Religion in

Indien beleuchteten und die dort existierenden

astrologischen Auffassungen. Aus Gusinoje Osero

schickte er auch Proben von Heilmitteln Tibets und

Indiens, Kräuter, Samen, Mineralien. Die Samen versuchte

man im Botanischen Garten der Akademie der

Wissenschaften auszusäen. Jährig kaufte auch Bücher und

Handschriften, für die Bibliothek der Akademie der

Wissenschaften und stellte innerhalb kurzer Zeit ein

mongolisches Wörterbuch, den "Mongolischen

Wörterspiegel" zusammen, den er in mehreren Etappen

der Akademie schickte.

Page 38: Johann Jährig und seine Zeit

Der Generalgouverneur von Irkutsk trug ihm auf, die

detaillierte Geschichte der Völker des Gebiets Irkutsk von

der Urzeit bis zur Gegenwart zu schreiben. Abschriften

dieses Werkes "Nachrichten zur Völker-Geschichte des

Nordischen Asiens" erhielt nach und nach auch die

Akademie.

Anfang 1784 verließ Jährig kurzfristig Gusinoje Osero.

Dort wütete eine Pockenepidemie und alle Verbindungen

zur Außenwelt waren abgebrochen. Der Brief über die

Pockenepidemie kam "aus der Einöde". Auf diesen Reisen

war es Jährig geglückt einen unbekannten Weg von

Selenginsk nach Irkutsk zu finden. Der neue Weg war

kürzer als der bisherige. Jährig entdeckte auch noch

andere unbekannte Wege, die er von Berggipfeln aus

überprüfte. Die Konferenz bat Jährig um einen Plan und

Beschreibung der neuen Wege. Er schickte eine

handgezeichnete topographische Karte, die erhalten ist

und sich der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften

befindet. "Plan verschiedener Passagen von der Gränz-

Pforte bis an den Baikal. Mongolischer Translateur

Johannes Jaehrig invent et fecit etc. 1784, mens May". Die

Karte verzeichnete den Baikal und seine Zuflüsse, die

Selenga und ihre Nebenflüsse, sowie die Wege von den

Ufern des Baikal nach Kjachta.

Jährig arbeitete recht schnell und schickte zahlreiche

Päckchen nach Petersburg. Trotzdem begann die Kanzlei

der Akademie sich bei jeder kleinen Verzögerung seiner

Berichte zu sorgen. Man benötigte die Dokumente, um das

Geld zu überweisen. Jährig bekam 1784 eine Anmahnung

der rechtzeitigen Vorlage der Berichte. In seiner Antwort

beklagt sich Jährig über die schwierigen

Lebensbedingungen in den fernen Gegenden, dennoch sei

Page 39: Johann Jährig und seine Zeit

er bemüht, die Aufträge der Akademie erfüllen. Gerade

war er von einer Reise zu dem höchsten Gipfel zwischen

den Flüssen Selenga und Dshida zurückgekehrt.

Unterwegs hatte er Pflanzenproben und zahlreiche Samen

gesammelt.

1785 traf Jährig in Irkutsk zum ersten Mal Erik

Laxman[35], der damals nicht mehr in den Diensten der

Akademie der Wissenschaften stand, aber dennoch mit

den Wissenschaftlern in Sankt Petersburg einen regen

Schriftwechsel führte. Laxman schrieb nach Petersburg,

daß der Translateur Jährig sehr unzufrieden mit dem alten

Lama war. Offensichtlich zerbrach die Freundschaft. Über

die Gründe machte er keine Angaben. Außerdem habe

Jährig sich beklagt, daß er ohne Rang und Titel von den

örtlichen Behörden keinerlei Hilfe erhalte. Daschkowa

reagierte auf Jährigs Schwierigkeiten mit seiner

Abberufung nach Petersburg. Er sollte zwei Drittel seines

Jahreseinkommens und noch 50 Rubel für die Reise

erhalten. Im Frühjahr 1786 sollte er sich auf den Weg

machen und bis dahin an den bergigen Ufern des

Baikalsees Pflanzen, Samen und Wurzeln sammeln.

Mitte 1786 befand sich Jährig im Gebirge in der Nähe des

Baikals, da er beabsichtigte eine ordentliche

Pflanzensammlung anzulegen. Seine Reise nach

Petersburg wollte er auf dem ersten Schlitten antreten.

Anfang 1787 meldete Jährig, daß er sich bei einem Sturz

vom Pferd verletzt habe, auch hatte er das Geld für die

Reise nach nicht erhalten. Die Reise nach Petersburg

verzögerte sich. Mittlerweile lag die Anweisung

Daschkowas zur Überweisung des Geldes zwei Jahre

zurück. Jährig beschloß, trotz seines schlechten

Gesundheitszustandes, nach Irkutsk zu reisen und dort den

Page 40: Johann Jährig und seine Zeit

Empfang der Reisemittel abzuwarten. In Petersburg

verdächtigte man ihn, seine Abreise zu verzögern und die

Anordnungen Daschkowas nicht zu befolgen. Jährig fand

in Irkutsk nur eine Assignation über 60 Rubel für die

Reise vor, sein Gehalt hatte er nicht erhalten.

Erik Laxman machte sich an die Lösung des drohenden

Konfliktes. Einem ausführlichen Brief nach Petersburg

legte er eine lange Erklärung Jährigs bei. In Laxmans

Schreiben ist die Rede davon, dass Jährig nur 60 Rubel

erhalten habe. Mit diesem Geld konnte er sich mit zwei

Schülern und Kästen mit Sammlungen nicht auf den Weg

machen. Allein ein Kasten mit Mineralien wog 20 Pud.

Und Laxman wollte dieser Last noch eine bedeutende

Sammlung, die er für die Akademie angelegt hatte,

hinzufügen. Jährig mußte vier Pferde mieten. Von Irkutsk

bis Petersburg würden sie mindestens 350 Rubel kosten.

Daher riet Laxman Jährig in den Rajon Selenginsk

zurückzukehren und nicht unnötig Zeit mit Warten zu

verschwenden.

Schuld war die große Entfernung und die langsame

Briefzustellung. Die Konferenz beschloss Daschkowa die

Schwierigkeiten vorzutragen, damit sie Hilfe anordne. Am

26. Juli 1788 schrieb Laxman, dass er Jährig von den in

Irkutsk eingegangenen Instruktionen und Anordnungen

Daschkowas in Kenntnis gesetzt habe. Er erwähnte auch

die baldige Abreise des Translateurs nach Petersburg.

In Kungur am Ural wurde Jährig sich wegen einer

Erkrankung seines Schülers Schiffer und der

Unmöglichkeit des Weiterkommens längere Zeit

festgehalten. Die Konferenz erreichte am 27. November

1788 ein Brief Jährigs aus Jekaterinburg. Er enthielt

seinen Reisebericht. Am 28. November war Jährig in

Page 41: Johann Jährig und seine Zeit

Moskau. Petersburg erreicht er Ende 1788. Aber es hielt

ihn dort nicht lange. Auf Anraten seiner

Akademiekollegen von der Medizin eine Stelle als

Translateur bei der Kommission für Rhabarberhandel an.

In ihrem Auftrag reiste Jährig erneut nach Sibirien,

diesmal mit seiner Sophia, der Schwester des ordinierten

Akademikers der Petersburger Akademie der

Wissenschaften Tobias Johann Lowitz.[36] Im Januar 1791

war das Ehepaar Jährig schon in Kjachta.

Im gleichen Jahr sprach ihm die Akademie der

Wissenschaften in Anerkennung seiner Dienste eine

Pension auf Lebenszeit zu. Jährig war nun nicht mehr an

die Akademie gebunden, dennoch beschäftigte er sich bis

zu seinem Tode weiterhin mit der mongolischen und

tibetischen Sprache und sandte wie früher

Rechenschaftsberichte und Resultate seiner Arbeit. Nur

seltener als zuvor. Jährig arbeitete an der Grammatik der

mongolischen Sprachen (Grundlagen der mongolischen

Sprachen). Im Jahre 1792 sandte er die "Anfangsgründe

der Tibätischen Schrifft- und Sprachlehre". Innerhalb von

zwei Jahren beendete Jährig die "Mongolische

Buchstaben-Forschung" mit Erklärungen, wie man die

mongolischen Schriftzeichen beim Druck mongolischer

Texte wiedergeben müsse. Ende April 1795 kehrte er nach

Petersburg zurück.

Im Juni 1795 berichtete der Konferenzsekretär Euler den

Versammelten, dass Johann Jährig, der Translateur, der

soviel für das Studium der Sprachen und Geschichte der

mongolischen Völker geleistet hatte, Pensionär seit 1791

und Mitglied der Wirtschaftsgemeinschaft der Kranken,

am Morgen des 15. Juni 1795 verstorben war. Georg von

Asch berichtet in einem Brief an Heyne in Göttingen: "Der

Page 42: Johann Jährig und seine Zeit

Mongalische Translateur Johann Jährig ist auch bald nach

seiner Zurückkunft von Kiachta alhier den 15./26. Junius

95 gestorben. Seine verwittwete Frau, eine Schwester

unseres Chymikers Hm. Lowitz, ist ohne Kinder und ohne

Vermögen nachgeblieben"

Das übliche Schema der Kolonialisierung nichtrussischer

Völker, militärische Unterwerfung, russische Verwaltung

und Steuern, Handel und Raubhandel und am Ende

orthodoxe Mission, wurde bei den Kalmücken nicht

angewandt, denn sie waren nicht von den Russen besiegt

worden, sondern hatten sich freiwillig der russischen

Oberhoheit unterstellt. Das Verhältnis der beiden Völker

zueinander war nicht einfach. Khan Ayuki[37] hielt sich

dem Zaren Peter I. für ebenbürtig. Die Russen wollten die

Kalmücken jedoch zu ihren Untertanen machen. Da der

kalmückische Adel die Taufe als Flucht aus dem

Stammesverband betrachtete, konnte nur äußerst

vorsichtig missioniert werden, wenn den Russen daran

gelegen war, den Herrscher der Kalmücken nicht zu

verprellen und nicht der Streitkraft der Kalmücken

verlustig zu gehen. Als 1791 eine Gruppe von 900

Kalmücken aus Unzufriedenheit mit ihrer Aristokratie zur

Russisch-Orthodoxen Kirche konvertieren wollte,

vermittelten die Russen sogar zugunsten der

kalmückischen Aristokratie. Sie schlichtete den Streit und

die Heiden bleiben ungetauft.[38] Das Kalkül der

russischen Regierung durch zur Missionierung neue

Untertanen zu gewinnen, mit ihnen die Grenztruppen zu

verstärken und gleichzeitig die kalmückische

Zentralgewalt zu schwächen, ging auch zwanzig Jahre

nach der Kalmückenflucht nicht auf. Mit der Konversion

war der Wegzug und die Trennung von vertrautem Land

Page 43: Johann Jährig und seine Zeit

und Leuten verbunden, denn die kalmückische

Aristokratie verlangte, dass die Konvertiten weit entfernt

angesiedelt wurden. Sich taufen zu lassen, bot die

Möglichkeit, den Bruch mit der kalmückischen

Zentralgewalt zu legitimieren. Die Kosaken hatten große

Interesse an Konvertiten, die einen zusätzlichen

Verteidigungsring um ihre Siedlungen bildeten und

„mieteten Christen“, wie ein Zeitzeuge schreibt, für

„täglich eine gewisse Portion Brodt und Brandtwein“. Der

Übertritt zum Christentum war meist Mittel zum Zweck

und rein formal, wie sich auch aus der Eidesformel

schließen lässt, die keine Silbe über den neuen Glauben

enthält:

»Ich entsage und fluche allem Aberglauben, dem ich von

Jugend auf ergeben gewesen bin.

Ich entsage und fluche allen irrigen und abergläubischen

Burchanen und Göttinnen, die vormals Menschen gewesen

sind, namentlich Dschagdschamuni, Sunkuba, Abidaba,

Manschuschari, Maidari, Jamandaga, Aerlikchan,

Lumchan, Dontschingtängäri, Okintängäri, Darääkkä,

dem Dalailama und Bokdolama und allen anderen

zahllosen Götzen.

Ich entsage und fluche dem verderblichen Aberglauben an

die Wiedergeburt, sowohl in menschlichen Körpern als

andern Kreaturen, ferner der Lehre vom Weltgebäude und

der ganzen lügenhaften Clerisey, Lamen, Chutukten und

allen abgöttischen Priestern, auch allen ihren Gläubigen

und Nachfolgern.

Ich entsage und fluche allen geformten und gedruckten

Götzenbildern, und aller Anbetung der Sterne und des

Mondes, die nur Geschöpfe des einigen wahren Gottes

sind. Ich entsage und fluche dem dreifachen Heiligthum

(Gurban Aerdäni), nämlich allen den lügenhaften Göttern

Page 44: Johann Jährig und seine Zeit

und Göttinnen, den abgöttischen Lamen und aller

Clerisey, auch allen ihren Schriften und Lehren, allen

Opfern, Fasten und Reliquien der sogenannten Schalir-

Urulä, überhaupt allen meinem bisherigen Aberglauben

fluche ich, und speie darauf.«

Page 45: Johann Jährig und seine Zeit

5. Feldforschung in der Steppe

In ihrem Vortrag erklärt Praskovja Aleksejeva, was

deutsche Wissenschaftler im 18. Jahrhundert in den

unwegsamen Landesteil des Russischen Imperiums

suchten:

„Die Siedlung der deutschen Kolonisten an der Wolga fiel

in die Zeit der Erforschung der natürlichen Ressourcen,

Beschreibung der Völker Rußlands von

Expeditionsgruppen der Peterburger Akademie der

Wissenschaften. Für die Expeditionsteilnehmer waren

spezielle Fragebögen und Arbeitspläne zusammengestellt

worden, nach denen sie sich an dem Ort, wo sie die

Untersuchung durchführten, zu richten hatten. Dieser

Plan umfaßte zehn Punkte: Erforschung der Boden- und

Gewässerbeschaffenheit, Beschreibung der heimischen

Minerale, Mineralwässer, Methoden der Zucht von Vieh,

Schafen, Bienen, Seidenraupen, Untersuchung der

Hilfsmittel für Fischfang und Jagd, Herstellung der Dinge

des täglichen Bedarfs, Wissen der Astronomie, ihre

Sprache, Sitten, Bräuche, Bestattung, Sehenswürdigkeiten.

Dieser Arbeitsplan war für alle fünf Expeditionsgruppen,

an deren Spitze Peter Simon Pallas (1741-1811), Johann

Peter Falck (1727-1774), Iwan Iwanowitsch Lepjochin

(1740-1802), Samuel Gottlieb Gmelin (1744-1774),

Johann Anton von Güldenstädt (1745-1781) standen,

gleich. Man muß anmerken, daß die Wege der

Expeditionen in der Untersuchungsregion zweimal, zu

verschiedenen Jahreszeiten zurückgelegt wurden. Aus

diesem Grund hielt sich die Expedition von Pallas

zweimal, im Herbst 1773 und im Frühjahr 1774 an dem

Unterlauf der Wolga auf.

Page 46: Johann Jährig und seine Zeit

Für die Reisenden war Sarepta ein anziehender Ort, wo

Landsleute lebten, mit denen man sich in der

Muttersprache unterhalten konnte, wo sie Unterkunft zur

Erholung fanden, die Gesundheit mit den örtlichen

Wässern wiederherstellen konnte, freiwillige Helfer unter

den Deutschen von Sarepta fanden, die mit der

Lebensweise und der Sprache der nomadisierenden

Kalmücken vertraut waren.“

1767 beauftragte die Zarin die Petersburger Akademie,

wissenschaftliche Forschungsreisen, "besondere

Expeditionen", zu unternehmen, von denen sie sich mehr

versprach als nur wissenschaftliche Erkenntnisse. 10000

Rubel stiftete sie zur Finanzierung. An der 1724

gegründeten Petersburger Akademie wirkten namhafte

Wissenschaftler: der Mathematiker Leonhard Euler,

Nicolaus und Daniel Bernoulli, der Historiker Gerhard

Friedrich Müller, die Astronomen Louis und Joseph

Nicolas Delisle, der Naturforscher Caspar Friedrich Wolff

und dreißig Jahre lang der berühmte und vielseitige

Lomonossow. Für die ausgedehnten Forschungsreisen

suchte man nach Gelehrten einer neuen Generation, nach

jungen Leuten, die den Strapazen standhalten würden.

Peter Simon Pallas war einer von ihnen. In der Vorrede zu

seinem Buch „Reise durch die verschiedenen Provinzen

des Russischen Reiches“[39], schrieb er: „Die vor einigen

Jahren von unsrer Großen Monarchin zum Besten der

Wissenschaften und der Menschlichkeit überhaupt an die

Russisch-Kaiserliche Akademie der Wissenschaften

ergangenen allergnädigsten Befehle und zufolge derselben

gemachten Veranstaltungen sind der Welt zur Genüge

bekannt. Ich habe die Ehre, unter der Zahl derjenigen zu

erscheinen, welche so glücklich gewesen sind, zur

Page 47: Johann Jährig und seine Zeit

Ausführung dieser hohen Befehle gewählt zu werden.

Nach dem zuerst beliebten Plan würde die Begierde,

welche man natürlicherweise nach wichtigen Neuigkeiten

zu haben pflegt, noch lange nicht gestillt worden sein. Es

war nämlich festgesetzt worden, daß die zur Untersuchung

und Beschreibung der natürlichen und andern

Merkwürdigkeiten des Reiches abgeschickten

Naturforscher erst nach geendigten Reisen ihre

Bemerkungen bekanntmachen sollten; allein die Liebe zu

den Wissenschaften, welche unter den vortrefflichen

Eigenschaften Seiner Erlaucht, des Herrn Grafen

Wladimir Orlow[40], der Kaiserlichen Akademie Direktors,

vorzüglich glänzet, hat dem Verlangen der gelehrten Welt

ein Genüge zu leisten und die Ausgabe unsrer Reise-

nachrichten zu beschleunigen gesucht.“

Als die große Monarchin den Thron bestiegen hatte und

sich ein Bild von der Größe ihres Reiches machen wollte,

stellte sich heraus, daß der Zarenhof nicht einmal über

eine Landkarte verfügte. Sie mußte beschafft werden.

Nach diesem Vorfall erging der „allergnädigste Befehl“

das Imperium zu erforschen.

"Nachrichten von unbekannten Gegenden, wie die meisten

von mir bisher beschriebnen, sind kundigen Lesern ange-

nehm ...“, schreibt Pallas im Vorwort zu seiner "Reise

durch verschiedene Provinzen des Russischen Reichs".

Das Publikum, das er anspricht, kann seine Reise

miterleben. Pallas überschreitet gerade den Ural, als der

erste Teil seines in deutscher Sprache geschriebenen

Reisetagebuchs 1771 in die Hände der europäischen Leser

gelangt. Er durchforscht noch Sibirien, als 1773 der

zweite Band die Druckerei der Sankt-Petersburger

Page 48: Johann Jährig und seine Zeit

Akademie der Wissenschaften verläßt. Zwei Jahre nach

Reiseende erscheint 1776 der dritte Teil, über die fernsten

Regionen Ostsibiriens, krönender Abschluß des mit

zahlreichen Kupfern prächtig ausgestatteten Werkes, das

nunmehr 2000 Seiten umfaßt. Reisebeschreibungen waren

im Zeitalter der Postkutsche Bestseller auf dem Buchmarkt

des 18. Jahrhunderts. Sie dienten als willkommene

Handbücher und Leitfäden, Land und Leute

kennenzulernen. Es festigte nicht nur das soziale Prestige,

über fremde Kulturen und Völker informiert zu sein.

Reisen und Wissensvermittlung gehörten untrennbar zur

bürgerlichen Aufklärungsbewegung. Vor allem nach

England, Frankreich, Italien und Holland führten die Bil-

dungsreisen, niemals aber in das Innere Rußlands,

obgleich das Netz der Poststationen bis nach Sibirien

reichte. Zwar zog der Glanz der neuen Metropole

Petersburg in ganz Europa Bewunderer und Verehrer an,

doch blieben die Weiten jenseits des Urals, die

unermeßliche Taiga und russischen Steppengebiete

touristisches Niemandsland. Sibirien, das Land der vom

Zaren Verbannten und zur Zwangsarbeit Verurteilten, galt

für Reisende als wenig attraktiv.

Nun aber erregte Pallas` Beschreibung gerade jener

Gegenden, in die kaum ein Westeuropäer vorzudringen

wagte, unerhörtes Aufsehen. Bald zählt sie zu den

meistgelesenen und weitverbreitetsten Schriften des 18.

Jahrhunderts. Die Nachfrage übersteigt die Auflagenhöhe.

Journale bringen ausführliche Inhaltsangaben aus den

Expeditionsberichten. Nicht zu zählen auch die

Schwarzdrucke in deutscher, englischer und französischer

Sprache, die das Werk in kürzester Zeit außerhalb

Rußlands bekanntmachen. 1773 erscheint in Leipzig ein

Auszug aus dem ersten Teil. Die "Bewegungsgründe" sieht

der anonyme Herausgeber nicht nur im aktuellen

Page 49: Johann Jährig und seine Zeit

Leserinteresse, sondern in der Bedeutung dieser

Reisebeschreibung, die er für "eines der vorzüglichsten

deutschen Werke dieses Jahrhunderts" hält. "Erdbe-

schreibung, Naturkunde, Geschichte, ja selbst Philosophie

und Litteratur haben alle durch dieses treffliche Buch ge-

wonnen." Der Herausgeber ist überzeugt, dass "dieser

Auszug Lesern, die das größere Werk nicht besitzen"

(Bücher waren damals sehr teuer), "nicht gleichgültig

seyn" wird, "und diejenigen, die es, um von noch wenig

,bekannten Dingen glaubwürdige Erzählungen zu finden,

und nicht bloß Zeitvertreibs halber, in die Hand nehmen,

werden darin gewiß vielfältig ihre Rechnung finden".

Pallas' wissenschaftlich exakte Darstellung, seine Bilder

voller Detailtreue und Realismus waren "glaubwürdig".

Sie entfernten sich von den in Westeuropa

vorherrschenden Klischees und Vorurteilen gegenüber

asiatischen und orientalischen Völkerschaften, die zum

Zarenreich gehörten oder in dessen unmittelbarer

Nachbarschaft lebten. Noch immer wurden im 18.

Jahrhundert stereotype Meinungen und oberflächlich aus

Zeitungen, Journalen oder aus. den Reise- und

Gesandtschaftsberichten des 16. und 17.Jahrhunderts

abgeschriebene Wundergeschichten und Legenden

weitergetragen. Wohl war inzwischen der Kenntnis~ stand

über das russische Imperium beträchtlich angewachsen,

und die in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts von

Franzisk Locatelli verfaßten Lettres Mosovites,in denen

diese Völker als "barbarisch" und "wann es gleich Men-

schen sind, so sind es doch nur solche, die diesen Nahmen

kaum verdienen", beschrieben werden, forderten bereits

allerorts zu leidenschaftlicher Kritik heraus. Doch das

Faktenwissen über die fremdnationalen Sitten,

Lebensgewohnheiten und Rechtsverhältnisse war dürftig.

Page 50: Johann Jährig und seine Zeit

Pallas' Reisebeschreibung bot die Möglichkeit,

Pauschalurteile neu zu überprüfen.“

Mit diesen Worten charakterisiert Marion Lauch die

Rezeption der "Reise durch verschiedene Provinzen des

Russischen Reichs"[41] im Nachwort zu einer gekürzten

Wiederauflage des Werkes anlässlich des 175. Todestages

des Forschers.

Page 51: Johann Jährig und seine Zeit

7. Jährigs wissenschaftliche Verdienste

1779 wurden Auszüge von Jährigs Berichten über die

Hautfarbe, die Mittel gegen Hautkrankheiten,

Wasserratten, die Mittel der Kalmücken gegen den Brand,

die Mittel dieser Nomaden, welches Nasenbluten

hervorruft, über eine Pflanze Prenantes chondrilloides

genannt, gedruckt. Die Veröffentlichungen erregten die

Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen. In der

bibliographischen Ausgabe "Russische Bibliothek"

erschienen seine Beschreibungen ausführlich.

Einige Jahre später hielt Pallas einen Vortrag über die

Reisen Jährigs in den Rajonen Astrachan und Selenginsk.

Auszüge des Vortrages wurden 1788 in "Nova acta" ver-

öffentlicht. Der Adjunkt der Geschichte der Petersburger

Akademie der Wissenschaften und ihr Bibliothekar Busse

gab das "Journal von Russland" heraus. Im Jahre 1796

veröffentlichte er darin einen Artikel über die

mongolischen Bücher, Handschriften und Zeichnungen,

die Jährig nach Petersburg geschickt hatte. So findet sich

in den Ausgaben des 18. Jahrhunderts der Name Johann

Jährig mehr als einmal. Kenntnis von den übrigen

nachgelassenen Handschriften haben wir in erster Linie

durch das Akademiemitglied Dorn, der sie im Jahre 1846

in Druck gab. In seinem Werk "Das Asiatische Museum"

finden sich Abschriften der Handschriften Jährigs,

hauptsächlich über das Studium der mongolischen

Sprachen und die Geschichte der mongolischen Völker.

Auch viele Jahre später taucht der Name Jährig immer

wieder in der Literatur auf. Am häufigsten wird über seine

Materialsammlungen zur mongolischen

Sprachwissenschaft geschrieben. Vollkommen

offensichtlich, daß in der zweiten Hälfte des 18.

Jahrhunderts "sich mit dem Sammeln von Material für das

Page 52: Johann Jährig und seine Zeit

Studium der mongolischen Sprache der Translateur der

Akademie J. Jährig beschäftigt hat, von welchem

zahlreiches Material über die mongolische und andere

Sprachen erhalten ist".

Friedrich von Adelung erwähnt Jährig in seinem 1815

erschienenen Werk „Catherinens der Grossen Verdienste

um die vergleichende Sprachenkunde“[42].

„Noch ein eifriger Sammler aus dieser Periode verdient

hier eine Stelle, nämlich Johann Jährig , vormals Mitglied

der Herrnhutischen Brüdergemeine zu Sarepta, wo ihn

Pallas auf seiner ersten Reise im Jahre 1773 kennen

lernte, und wegen seiner ausgezeichneten Kenntnis der

Kalmückischen Sprache willig machte, für den Dienst der

Akademie eine Reise zu unternehmen und Nachrichten

über die Mongolischen Völkerschaften einzusammeln.

Jährig erfüllte diese Absicht vollkommen, und obgleich

ohne gelehrte Vorbildung dehnte er seine Sammlungen

doch auf alle Gegenstände aus, die auf Sprachen, Sitten,

Religion, Geschichte und Altertümer der ihm zur

Beobachtung empfohlenen Völker Bezug haben, und noch

jetzt sind seine im Archiv der Kaiserl. Akademie der

Wissenschaften aufbewahrten Papiere, obgleich schon hie

und da, ohne gerühmt zu werden, benutzt, von dem

höchsten Interesse. Er lieferte außerdem an Bacmeister

und Pallas sehr reiche und schätzbare Beiträge zu ihren

Sprachsammlungen, welche sich jetzt in meinem Besitze

befinden(...).“

Eine Arbeit Jährigs über die religiösen Vorstellungen und

Bräuche der Mongolen wurde auf Betreiben Daschkowas

vom Pastor der Lutheranischen Kirche in Petersburg

rezensiert und herausgegeben. Damit reißt die Erwähnung

des Namens Johann Jährigs ab.

Page 53: Johann Jährig und seine Zeit

Zu Pallas` 1776 in deutscher Sprache erschienener

zweibändigen "Sammlungen historischer Nachrichten

über die mongolischen Völker" leistete Jährig einen

wichtigen Beitrag. Die Korrespondenz belegt, daß Jährig

„zweifellos interessiert gewesen wäre, klarzustellen, in

welchem Maße es Pallas gelungen war, die von ihm

geschickten Materialien, für seine Arbeit über die

mongolischen Völker zu nutzen“, merkt Schafranovskaja

an.[43]

Wäre Jährigs Manuskript "Anfangsgründe der Tibätischen

Schrifft- und Sprachlehre"[44] jemals in Druck gegangen,

würde die Tibetologie ihn als einen ihren Gründungsväter

würdigen. Erik Laxman setzt sich in seinen „Sibirischen

Briefen“, herausgegeben 1769 von August Ludwig

Schlözer, mit der Frage auseinander, ob die tibetische

Sprache in Europa bekannt sei. Nichts außer ein paar

Fragmenten[45] und einer falschen Übersetzung der

französischen Gebrüder Fourmont der Texte aus Ablaikit,

die Peter der Große nach Rom und Paris geschickt hatte.

Französische Windmacherei, urteilt er scharf. La Croze

habe in seinem Werk Elementa linguae Tangutanae die

tibetische Schrift gar mit der mongolischen verwechselt.

Die Kenntnisse sind gering und von einer Grammatik des

Tibetischen ist noch keine Rede. Ohne die Verdienste des

Ungarn schmälern zu wollen, muß man anmerken, daß

Sándor Csoma de Kőrösi[46], gerade acht Jahre alt, noch

die Schulbank drückte. Erst 1819 begann Csoma seine

Wanderschaft auf der Suche nach der Urheimat der

Ungarn und nicht um das Tibetische zu erforschen. Seine

Grammatik entstand nur, da er nicht an sein Ziel, zu den

Uiguren gelangen konnte.

Page 54: Johann Jährig und seine Zeit

Johann Jährigs Lehrer des Tibetischen waren keine

Muttersprachler sondern Lamas, deren Kenntnisse

vermutlich auf die Sakralsprache, das klassische Tibetisch

und die heiligen Texte und Formeln beschränkt waren,

bestenfalls konnten sie in Lhasa studiert haben[47]. Das

Tibetische verfügtüber eine reiche mittelalterliche

Literatur, meist wortgetreue Übersetzungen aus dem

Sanskrit, wobei dem Charakter des Tibetischen Gewalt

angetan wurde. Hinsichtlich der Lehrer war Csoma in

einer besseren Lage. Er lernte von Muttersprachlern, die

zudem in der Lage waren, die Gedankengebilde des

tibetischen Lamaismus zu erklären.

„Das Tangutische ist für einen Forscher des mongolische

Lehrbegriff, eben so notwendig als das Griechische und

Hebräische für einen christlichen Theologen. Unter den

Kalmuken befanden sich ehemals Geistliche, welche

Tangutisch verstanden, aber jetzt ist dieser Fall so selten,

daß sie diejenigen, die bloß mit Fertigkeit Tangutisch

lesen könne, für große Geister halten. Die Schwierigkeit

die tangutische Sprache zu erlernen, hat vermutlich die

Europäer abgeschreckt sich damit zu beschäftigen. Wer

diese Sprache erlernen wollte, müßte entweder zu den

Mongolen nach der Gränze von China, oder noch besser

nach Tibet reisen, oder sich Lehrer aus diesen Gegenden

verschreiben lassen.“[48]

Lajos Ligeti, ein ungarischer Orientalist, der Anfang des

20. Jahrhunderts ein Jahr bei den Mongolen der Inneren

Mongolei, also in China, forschte, beklagt ebenso wie

Bergmann über hundert Jahre vor ihm, in seinem

Reisebericht „Gelbe Götter, gelbe Menschen“, darüber,

dass die tibetischen Sprachkenntnisse seiner geistlichen

Gewährsmänner nicht gerade glänzend waren.[49] Wie

Page 55: Johann Jährig und seine Zeit

auch immer die linguistische Bedeutung von Jährigs

Grammatik einzuschätzen wäre, ein wichtiges Stück

Wissenschaftsgeschichte ist sie auf jeden Fall.

Johann Jährig war ein wissbegieriger Mensch. Er

interessierte sich nicht nur für die Sprachwissenschaft,

sondern auch für Geschichte und Ethnographie der

mongolischen Völker. Seine Aufmerksamkeit richtete

sich, wohl durch die Vermittlung der tibetischen Texte

angeregt, auch auf indische Materialien zur

Religionsgeschichte und Astrologie. Er untersuchte er

alles, was er auf seinen Reisen zu sehen bekam. Der

Translateur betrieb sechzehn Jahre lang, unter

schwierigsten Bedingungen, was man heute Feldforschung

nennen würde, teilnehmende Beobachtung im Sinne

Malinowskis. Doch anders als der berühmte

Kulturanthropologie hielt Johann Jährig nicht auf Distanz

zu seinem „Forschungsgegenstand“. Jährig glaubte, wie

sein Zeitgenosse Busse berichtet, „unter den Nomaden so

gute Menschen gefunden zu haben, als sonst nirgends zu

finden wären, sein Herz verführte ihn; er wollte alles für

gut gehalten wissen, was seinen lieben Mongolen

zugehörte. Er war kein Gelehrter, seine besten Jahre hatte

er unter ihnen verlebt; seine Wissbegierde war vielleicht

erst unter ihnen gereizt worden; er zog in aller Absicht

seine zahmen Menschen, denn so pflegte er sie zu nennen,

den Europäern vor; auch ihre Sprache fand er nicht allein

weit bildlicher, weit dichterischer, denn dies hätte man

ihm wohl zugestehen können, er fand sie auch weit

wortreicher und gebildeter, als die deutsche. Viele

Ausdrücke glaubte er schlechterdings nicht übertragen,

viele nur schwach nachbilden zu können.“

Page 56: Johann Jährig und seine Zeit

Es sei erwähnt, dass der Livländer Benjamin Bergmann[50]

von Sarepta aus die an der Wolga verbliebenen,

beziehungsweise dorthin zurückgekehrten Kalmücken

besuchte und in seinem Werk „Nomadische Streifereien

unter den Kalmücken in den Jahren 1802 und 1803“[51]

harsche Kritik an Jährigs Übersetzungen übt. „Der

verstorbene Jährig, dieser enthusiastische Verehrer der

Mongolen, ist fast der einzige gewesen, welcher sich in

literarischer Hinsicht bei den mongolischen

Völkerschaften aufgehalten hat. Wir verdanken ihm auch

unstrittig sehr wichtige Materialien, allein, Jährig besaß

bey einer ausgebreiteten Bekanntschaft mit den

mongolischen Dialekten zu wenig andere nöthige

Kenntnisse, die bey einer solchen Unternehmung

erforderlich sind, und wenn er sie auch besessen hätte, so

war sein Kopf so voll überspannter Begriffe, daß er auf

keinen Fall der Mann war, der uns die mongolischen

Völkerschaften gehörig kennen lehren könnte.“

Pallas urteile falsch über „literarischen, philosophischen

und theologischen Kenntnisse der Mongolen“ (...), „da er

keine besseren Proben als die Jährigschen Fragmente vor

Augen hatte; allein bin ich überzeugt, daß derselbe eine

weit vortheilhaftere Meinung von den mongolischen

Schriften bekommen würde, wenn er sie im Original

gelesen hätte. Die Kraft des Ausdrucks, die Schönheit

einzelner Stellen, welche in allen Schriften der Mongolen

angetroffen wird, konnte keine Jährigsche Feder

nachzeichnen, ohne statt reizender Formen,

Carrikaturbilder hervorzubringen. Wenn wir die

Dichtungswerke einer Homer oder Ossian, nach der

Übersetzung eines Kanzleischreibers beurtheilen wollten,

so dürften sie uns ohne Zweifel nicht anders als

abgeschmackt vorkommen.“[52]

Page 57: Johann Jährig und seine Zeit

Polemik sei bezeichnend für die wissenschaftliche

Auseinandersetzung jener Zeit gewesen, „die sogar

Rezensionen mit Überschriften «Leichenstein auf die

Gelehrsamkeit des Herrn ... und ähnlichem versah“,

kommentiert Walther Heissig einen harschen Ausfall des

Mongolisten Isaak Jacob Schmidt gegen Peter Simon

Pallas.[53]

Johann Jährigs Handschriften sind erhalten. Eine Vielzahl

von Material, aufgezeichnet in schwer lesbaren gotischen

Schriftzeichen, in Archiven, kaum erforscht, dem großen

Kreis der Forscher wenig zugänglich.

Johannes Heinrich von Busse, Adjunkt und Bibliothekar

der Akademie, berichtet in dem von ihm herausgegebenen

„Journal von Russland“[54] über Jährig. „... gab Herr

Jährig, die mongolischen Schriften, deren Verzeichnis hier

folgt, an die Bibliothek der Akademie ab, und erklärte

dabei zugleich alle die Mongolische Weisheit, welche die

Akademie schon besaß, und von der Herr Bacmeister so

rühmlich spricht, für Stückwerk, das heißt für lauter

ausgerissene Blätter, die des Aufbewahrens nur deswegen

würdig scheinen könnten, weil sie einmal da wären. Er

ordnete sie indessen, so gut es sich tun ließ, und dann

mussten sie den neuen Ankömmlingen Platz machen, aus

denen dann freilich auch ich zum ersten Mal lernte, wie

ein Mongolisches Buch eigentlich aussieht. Die Mongolen

nämlich schreiben oder drucken mit in hölzerne Formen

eingeschnittenen, also beweglichen Lettern ihre Weisheit

auf einzelne Blätter, die mehr als Foliobreite, und kaum

die Breite eines Oktavblattes zur Länge haben; diese

einzelnen Blätter eines Buches werden zwischen zwei

langen Hölzern von eben der Länge und Breite

Page 58: Johann Jährig und seine Zeit

eingepresst, und mit ledernen Riemen

zusammengebunden...“

Busses Journal enthält einen Katalog der mongolischen

Schriften der Petersburger Akademie, außerdem

publizierte 1934 der Akademiker Kozin die Übersicht

Asiatisches Archiv des Instituts für Orientalistik der

Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Jährigs

Materialien sind zu finden im "Alten Fundus", der die

Jahre 1640 - 1840 umfasst. Im alphabetischen Register

erscheinen unter seinem Namen: Über die tibetische

Sprache, datiert 1792, Mongolen und Ölöten; der

historische Aufsatz "Erdeni schastir", Iteggel, die

kalmückische Version des Sutras „Medetei mede ygeiigi

ilgagtschiö“ in deutscher Übersetzung, das Kalmückische

Alphabet, u.v.a.

Im „Journal von Russland“ erschien ein Verzeichnis des

Inhaltes Mongolischer und Tübetischer theils gedruckter,

theils geschriebener Bücher und Schriften ... , gesammelt

durch Johannes Jährig[55].

Die meisten mongolischen und kalmückischen Texte der

Sammlung Georg von Asch sind, wie die, in dem

Briefwechsel des Barons mit der Akademie zu Göttingen,

erhaltenen Listen und Briefen zeigen, in den Jahren 1781,

1790-92 und 1794-95 beschafft worden: In der

Hauptsache sind sie Johann Jährig zu verdanken. Mit dem

Tode des Translateurs endeten die Sendungen

mongolischer Texte durch Georg von Asch an die

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.

Mit seiner Forschung leistete Jährig einen Beitrag zur

Vermittlung buddhistischer Weltvorstellungen, die über

Petersburg und Göttingen, die Übersetzungen und Werke

Heinrich Julius Klaproths, Isaac Jacob Schmidts, Kõrösi

Page 59: Johann Jährig und seine Zeit

Csomas und anderer, in das philosophische Werk

Schopenhauers einflossen.[56]

Wenn man Johann Jährig „nur“ als Translateur aus dem

Mongolischen und Tibetischen sieht, wird man seinen

Leistungen nicht gerecht, denn er war nebenbei nicht nur

Sammler naturwissenschaftlicher Nachrichten, sondern

auch Geschichtsschreiber und Kartograph. Bergmanns

Kritik an seinen Übersetzungen zeigt, dass sie ihm erstens

als Grundlage seiner Kalmückenforschung dienten,

zweitens rügt er nur den Stil der Übertragung, worüber

sich unendlich streiten lässt, ohne Fehler aufzuzeigen.

Bergmann muss ein Sprachgenie gewesen sein, denn nach

eigenen Angaben erlernte er die Sprache innerhalb von

zweieinhalb Monaten so gut, dass er schon schwierige

Texte übersetzen konnte. Sein Lehrmeister war Bruder

Conrad Neiz, der einst zum Übersetzer bestimmt worden

war, aber nach Teigeler „nur einen absolut marginalen

Teil seines Lebens zum Spracherwerb bei den Kalmücken

verbracht hatte“[57]. Neiz diktierte Bergmann seine

Übersetzungen und überließ es dem unbescheidenen

Livländer, sie zu feilen.

Jährigs Zeitgenossen Adelung und Busse erkennen seine

Leistungen an. Peter Simon Pallas begnügt sich mit dem

anfangs zitierten Satz.

Page 60: Johann Jährig und seine Zeit

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[1]Heissig W.: Frühe deutsche Berührungen mit der mongolischen Kultur und Geschichte. In: Die Mongolen. Hrsg.: W. Heissig, C. C. Müller (Ausstellungskatalog Haus der Kunst München). München 1989, Bd. 2, pp. 101-105 [2] (* 1913 in Wien; † 2005) Mongolist und Zentralasienkundler. Veröffentlichte Werke zur mongolischen Geschichte und Sprache. [3] (* 1927) Professor für Uralistik und Altaiistik an der Universität von Bloomington, Indiana, U.S.A. [4] Historikerin, Mitarbeiterin der Kunstkammer in Sankt Petersburg [5] Schafranovskaja, T. K. ; Mongolist XVIII. veka Iogan Ierig (Johann Jährig, ein Mongolist des XVIII. Jahrhunderts) in: Strany i narody vostoka, Moskau, S.156 [6] Teigeler, Otto, Die Herrnhuter in Rußland, Ziel, Umfang und Ertrag ihrer Aktivitäten, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2006 [7] Alexejeva, P. E. , Iogan Ierig i kalmykovedenije, mater. nauč. konf. II. Sareptskich streč, Volgograd, 1997. S. 54 – 57 (Johann Jährig und die Kalmückenforschung, Material der wiss. Konf. II, Sarepter Treffen)

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[8] Učenje issledovateli kalmykii (XVII – načalo XX. vv.) Elista, 2006 [9] Historische Mitteilungen und Beschreibung der Stadt Barby im Jahre 1841 vom früheren Konrektor Conradi [10] man gab damals das Datum nach dem Julianischen Kalender, der in Russland noch gültig war und dem Gregorianischen Kalender an [11] Suter, Christlieb; Geschichte der Gemeine Sarepta 1765 – 1775, hrsg. von Otto Teigeler, Herrnhut, 2006, S. 150-151 [12] ebd. S. 147 [13] 1. Könige, 17, 9 [14] Teigeler, Otto, Die Herrnhuter in Rußland, Ziel, Umfang und Ertrag ihrer Aktivitäten, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2006, S. 223 [15] vgl. Lucian Boia, L´Occident. Une interprétation historique; Paris, 2007 [16] Russische Ostseeprovinz, umfasste zur Zeit ihrer größten Ausdehnung das heutige Lettland und Estland [17] vgl. Teigeler, S. 337 [18] vgl. Pallas, Bergmann, Schorkowitz [19] Schorkowitz, Dittmar: Die soziale und politische Organisation bei den Kalmücken (Oiraten) und Prozesse der Akkulturation vom 17. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Frankfurt, 1992 Quincey, Thomas de: The Revolt of the Tartars, 1837 [20] Gmelin, Johann Georg (* 10. August 1709 in Tübingen: † 20. Mai 1755 ebd.) Sibirienforscher und Verfasser der Flora Sibirica. [21] Suter, S. 186 [22] Suter, S. 230 [23] Vgl. Teigeler, S. 413 [24] Suter, S. 260 [25] Ablaikit ist ein Nebenfluss des Irtysch südlich von Ust-Kamenogorsk [26] Bacmeister, Johann Vollrath (1732-1788). Assessor, Bibliothekar in St. Petersburg [27] (* 1741 in Berlin; † 1811 ebd.) Naturforscher, Geograph, Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg. Er unternahm 1768-74 und 1793/94 Expeditionen durch Sibirien und den Süden des Russischen Reiches. [28] entspricht 1.066,8 m [29] Städtchen nördlich von Astrachan an der Wolga [30] Ulus = Stamm, Volk (mong.) [31] vgl. Fischers Weltgeschichte Zentralasien, S. 286 [32] Statthalter der Zarin [33] Mongolisch vor dem 13. Jahrhundert. [34] Tochter des Grafen Woronzow, Busenfreundin der Zarin, genannt Katharina die Kleine [35] Erik Laxman (* 1737 Turku, Finnland; † 1796 auf der Reise nach Tobolsk). Pastor, Professor der Ökonomie, Naturwissenschaftler. [36] (*1757 in Göttingen; † 1804 in St. Petersburg) Chemiker und Pharmazeut. Sohn des Astronomen und Geographen Georg Moritz Lowitz. [37] Ayuki; *1642, † 1724, reg. 1669-1724; Khan der Kalmücken an der Wolga [38] Teigeler, S. 251 [39]Sankt Petersburg, 1771 [40] russischer Staatsmann und Gelehrter [41] Philipp Reclam jun., Leipzig, 1987 [42] Adelung, Friedrich von: Catherinens der Grossen Verdienste um die vergleichende Sprachenkunde, St. Petersburg, 1815, Reprint: Buske Verlag, Hamburg, 1976 [43] Schafranowskaja, S. 157 [44] Alexandre Sladkevich kommt das große Verdienst zu, dem St. Petersburger Archiv die Kopien der 12 ersten Seiten der Handschrift, abgerungen zu haben. [45] A. A. Giorgi: Alphabetum Tibetanum missionum Apostolicorum commodo editum; Rom, 1762 [46] (1784 in Kőrös, Siebenbürgen; † 1842 in Darjeeling, Indien) Forschungsreisender, der als Begründer der Tibetologie gilt. [47] Vgl. Fischer Weltgeschichte. Zentralasien; Hrg. Gravin Hambley, Frankfurt am Main, 1966, S. 302 [48] Bergmann, S.19 [49] Lajos Ligeti (1902 – 1987); vgl. Sárga Istenek, sárga emberek. Egy év Belső-Mongólia lámakolostoraiban, Budapest, 1934, bzw. die französische Übersetzung: Rapport pre ́liminaire d'un voyage d'exploration fait en Mongolie chinoise 1928-1931, Leipzig, 1933 [50] Bergmann, Benjamin Fürchtegott Balthasar (1752 – 1856) evangelischer Theologe und Ethnologe

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[51] Riga, 1804; Oosterhout, 1969 (Reprint). S.16f [52] S. 18 [53] vgl. Sagang Sečen, Geschichte der Mongolen und ihres Fürstenhauses, Zürich, 1985, S. 448 [54] Dritter Jahrgang, Zweiter Band, Januar bis Junius 1796 , St. Petersburg, 1796 [55] In: "Journal von Rußland", 3. Jahrgang, 1789, 2. Band, 126-134 [56] In der 2. Auflage seiner: Über den Willen in der Natur : eine Erörterung der Bestätigungen, welche die Philosophie des Verfassers seit ihrem Auftreten durch die empirischen Wissenschaften erfahren hat. Frankfurt/M., 1854 gibt Schopenhauer im Kapitel Sinologie in einer Fußnote eine Literaturempfehlung zum Buddhismus [57] vgl. Teigeler. S. 449


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