Date post: | 09-Mar-2016 |
Category: |
Documents |
Upload: | karlheinz-schweitzer |
View: | 223 times |
Download: | 0 times |
Johann Jährig und seine Zeit
Ein Büdinger forscht bei den Mongolen
In memoriam Walther Heissig. John R. Krueger in Dankbarkeit gewidmet
1. Erste Begegnung mit Johann Jährig
2. Aus der Wetterau an die Wolga
3. Sarepta und die Kalmückenmission
4. Deutsche Forscher im Dienste der Petersburger Akademie
5. Feldforschung in der Steppe
6. Zwei Reisen an den Baikal
7. Jährigs wissenschaftliche Verdienste
1. Erste Begegnung mit Johann Jährig
"Translateur verschiedener Mongolsch. Sprachen, bey der
Rußisch. Kayserl. Akademie der Wissenschaften, ... aus
der Wetterau u. Grafschaft Isenburg Büdingen", hieß es
im Katalog[1] zu einer Ausstellung des Staatlichen
Museums für Völkerkunde München. Wäre nicht unsere
gemeinsame Heimat, die Wetterau, erwähnt worden, hätte
ich mir den Namen Johann Jährig nicht notiert. Auch
meine Ambitionen als Übersetzer spielten dabei eine
Rolle. Schnell geriet Jährig wieder in Vergessenheit, doch
als ich in Heissigs[2] Werk „Die Mongolen. Ein Volk sucht
seine Geschichte“ wieder über meinen Landsmann
stolperte, begann ich zu recherchieren. Zunächst
vergeblich, denn in Bibliotheken und Enzyklopädien fand
ich keine Spur. Ich beschloss daher mich an die
Mongolisten Walther Heissig und John R. Krueger[3] zu
wenden. Beide äußerten unabhängig voneinander die
Überzeugung, dass eine Beschäftigung mit ihm und seiner
Zeit interessant wäre, die Fakten über das Leben von
Johann Jährig seien allerdings spärlich. Vergeblich habe
man die Kirchenbücher der Wetterau aus dem 18.
Jahrhundert gesichtet. Die ausführlichsten Materialien
fänden sich in einer Arbeit von Tamara Konstantinowna
Schafranowskaja[4], veröffentlicht in einem russischen
ethnographischen Sammelband[5], unter dem Titel:
„Johann Jährig – ein Mongolist des 18. Jahrhunderts“.
Ohne die Hilfe der großen Mongolisten hätte ich meine
Nachforschungen einstellen müssen.
In der Bibliothek der Ungarischen Akademie der
Wissenschaften fand ich schließlich den genannten Band.
Auf neun Seiten dokumentiert Schafranovskaja recht
detailliert die Tätigkeit des Translateurs für die Akademie
der Wissenschaften in Petersburg anhand der archivierten
Korrespondenz und der Konferenzprotokolle. Die Autorin
nimmt an, Jährig stamme aus Petersburg, wie viele andere
deutsche Mitarbeiter der Akademie. In der Hauptstadt des
Reiches gab es eine ansehnliche deutsche Kolonie. Die
ersten ausländischen Wissenschaftler hatte Peter der
Große ins Land gerufen, der sehr an Wissenschaft und
Technik interessiert war und sich auch dafür einsetzte,
dass die von ihm gegründete Akademie auch außerhalb
Russlands Ansehen gewann.
Der Satz aus Pallas` Werk „Sammlung historischer
Nachrichten über die mongolischen Völkerschaften“, der
mich neugierig gemacht hatte, muss Tamara
Schafranovskajas Aufmerksamkeit entgegangen sein.
Otto Teigeler erwähnt in seinem Werk[6] über die
Aktivitäten der Mährischen Brüder in Russland Jährig
zweimal und bescherte mir in einer Fußnote den
entscheidenden Hinweis auf Jährigs “Dienerblatt“, das ich
mir in Kopie aus Herrnhut schicken ließ. In Stichworten
verzeichnet es Jährigs Lebensweg von seiner Geburt bis
zum Tode.
John R. Krueger verdanke ich die Bekanntschaft von
Praskovja Aleksejeva, der Bibliothekarin des
Kalmückischen Instituts für Geisteswissenschaft in Elista.
Sie schöpft aus den gleichen Quellen wie Tamara
Schafranovskaja, erwähnt aber im Begleitbrief zum Text
ihres Vortrags[7], dass Jährig von der Brüdergemeine
ausgeschlossen wurde, bevor er in die Dienste der
Akademie trat.
Ein kürzlich in Kalmückien erstelltes Verzeichnis der
Kalmückenforscher bietet keine neuen Erkenntnisse.[8]
In den zeitgenössischen Quellen erscheint Jährig mal als
Johann, mal als Johannes. Die Schreibung des
Familiennamens schwankt zwischen Jährig, Jaerig und
Jarich. Auch in der kyrillischen Transkription gibt es
mehrere Varianten, neben Ierich steht Ierig.
2. Aus der Wetterau an die Wolga
„Ich will dem HErrn singen, denn ER hat eine herrliche
That gethan. 2 Mos 15.1“ lautete die Losung des 17. März
1747, des Tages, an dem Johann Jährig in Herrnhaag bei
Büdingen geboren wurde. Auch die glücklichen Eltern
erwähnt das „Dienerblatt“ der Mährischen Brüder:
Johann Gottlieb Jährig und Anna Barbara geb. Stephan.
Herrnhaag war im Jahre 1738 von der pietistischen
Brüdergemeine unter Führung des Grafen Zinzendorf
gegründet worden, die nach ihrer Verbannung aus Sachsen
im Büdinger Land Zuflucht gefunden hatte. Nachdem es
auf der Ronneburg, die nach dem Toleranzedikt des
Grafen Kasimir seit 1712 religiös Verfolgten als
Unterkunft diente, zu eng geworden war, zogen die Brüder
auf Einladung des Grafen Ernst Casimir von Ysenburg-
Büdingen auf den in unweit der Stadt befindlichen
Herrnhaag. Zinzendorf übersiedelte dorthin 1747 vom
nahegelegnen Schloss Marienborn, wo die Mährischen
Brüder ein theologisches Seminar und ein Pädagogium
unterhielten.
Die Synoden der Mährischen Brüder fanden weiterhin in
Marienborn statt, sogar nachdem die Brüder das Büdinger
Land hatten verlassen müssen. 1769 besuchte Goethe eine
solche Versammlung und schrieb darüber in „Dichtung
und Wahrheit“: „Die trefflichen Männer, die ich auf dem
Synodus zu Marienborn, wohin mich Legationsrat Moritz,
Geschäftsträger des Grafen Ysenburg, mitnahm, kennen
lernte, hatten meine ganze Verehrung gewonnen und es
wäre nur auf die angekommen, mich zu den ihrigen zu
machen.“
Die Konzeption der Gebäude und die Anlage der gesamten
Siedlung folgten dem Plan, das „Leben“ einer Lebens- und
Dienstgemeinschaft zu verwirklichen, in der
Standesunterschiede weitgehend aufgehoben waren. Die
Menschen lebten, nach Geschlechtern getrennt, je nach
Lebenssituation zusammen: die Ledigen oder Verwitweten
in sogenannten Chorhäusern, für die Verheirateten gab es
Familienhäuser.
Als Graf Gustav Friedrich von Ysenburg-Büdingen, Sohn
und Nachfolger von Graf Ernst Casimir, von den
Glaubensbrüdern einen Untertaneneid forderte, vorgeblich
um die wirtschaftlich und missionarisch erfolgreiche
Sektierergemeinde enger an die Grafschaft Büdingen zu
binden, wohlwissend, dass man den Eid verweigern
würde, kam es zum Konflikt. Die Brüdergemeinde
verweigerte sich und der Graf verfügte in seinem
Emigrationsedikt vom 12. Februar 1750 ihre Auflösung,
setzte jedoch gnädig eine Frist von drei Jahren. Die
Gemeinschaft, die damals 18 Häuser und rund 1000
Menschen umfasste, löste sich 1753 auf.
Das „Dienerblatt“ der „Dienstgemeinschaft“ berichtet,
dass Jährig die Jahre 1751 und 1752 in der Kinderanstalt
zu Großhennersdorf verbrachte. Seine Familie hatte
folglich kurz nach dem Edikt das Büdinger Land
verlassen.
Die nächste Eintragungen nennen seinen Beruf: Zeug- und
Buchdrucker und das Datum seiner Aufnahme in die
Gemeine zu Herrnhut, den 9. Juni 1760. Sechs Jahre später
geht er als Buchdrucker nach Barby an der Elbe. Die Stadt
galt zu jener Zeit als bedeutendes Zentrum des deutschen
Geisteslebens. Auch Goethe stattete ihm einen Besuch ab.
Die Herrnhuter Brüdergemeine hatte das dortige Schloss
gepachtet und betrieb in ihm ein Theologieseminar.
„Im Jahre 1748 wurde das Schloss nebst den
Amtsvorwerken vom Kurhause Sachsen dem Grafen
Heinrich dem 28. Reuß in Erbpacht gegeben und derselbe
zu Gunsten der evangelischen Brüdergemeinde bestätigt.
Damals errichtete der Graf Zinsendorf ein theologisches
Seminar und im Jahre 1754 eine höhere Lehranstalt für
künftige Juristen, Theologen und Mediziner aller
Gemeinden. 1789 war jedoch diese Anstallt nach Niesky
verlegt, dagegen kam das Pädagogium, welches sich bis
dahin in Niesky befand, in das Schloss zu Barby. Bei
demselben befand sich eine Buchdruckerei, eine
Buchhandlung, eine Bibliothek und ein Observatorium, zu
welchem ein noch jetzt stehen gebliebener alter
Schlossturm, das Prinzesschen genannt, benutzt wurde,
welches gegen den Spiegel der Elbe 69 Fuß hoch ist.“ [9]
3. Sarepta und die Kalmückenmission
„So wie man in schweren Zeiten auf beßre wartet, und bey
unangenehmen Vorgängen auf zukünftige erfreulichere
hoffet, und sich damit tröstet, so ging es auch dieses Jahr
in Sarepta bey Gelegenheit daß eine ansehnliche
Verstärckung aus Teutschland unterwegens war. Es waren
nemlich in allen 28 Brüder und 11 Schwestern, also 39
Personen, in Amsterdam den 23./12[10]. May unter Seegel
gegangen, und traten am 30./19. Juny nach einer
glücklichen See-Reise in Petersburg ans Land. Sie wurden
von den Brüdern Müller und Lorez, desgleichen vom
Bruder Suter, der von Mosco angekommen war, um sie
vollends nach Sarepta zu begleiten, in herzlicher Liebe
empfangen, und hatten einige Wochen lang einen
vergnügten Sejour in dem Hause der Brüder, wobey sie
von verschiedenen guten Freunden, die ihre tägliche
Versammlungen mit besuchten, viele freundliche und
liebreiche Unterstützung genoßen. Nachdem sie, wie die
vorigen Gesellschaften, den Eid der Treue abgelegt und
unterschrieben hatten, sezten sie nach einem gar
zärtlichen Abschied von denen sie ein stück Weges
begleitenden Brüdern und Freunden am 24. July/4. August
ihre Reise weiter fort. Zu mehrerer Sicherheit war ihnen
von Sei ten der TutelKanzeley ein Lieutenant Namens
Arnoldi und 5 Mann Soldaten mitgegeben worden.
Weil sie Fuhrleute gemiethet, und neben ihrer
Bagage noch andere schwere Fracht hatten, so ging die
Land-Reise bis Tweer bey dem vielen Regen-Wetter etwas
langsam und sie kamen erst am 6./17. August daselbst und
an dem Wolga-Ufer an, woselbst durch Bestellung des
Bruder Suters und die treue Bemühung des Bruder
Brandts und des Herrn Hornungs aus Moskau ein
geräumliches und beqvemes Fahrzeug gekauft, und mit
einigen Zimmern, Küche und Back-Ofen zum beqvemen
Gebrauch der ganzen Reise-Gesellschaft ausgebauet
worden war. Am 18. August waren bereits Personen und
Sachen embarqvirt und es wurde vom Lande abgestoßen.
Bruder Brandt, der die 2 Kinder Johannes und
Anna Pauly und das Madgen Anna Antonin von Moskau
gebracht, und zur weiteren Reise nach Sarepta abgegeben
hatte, fuhr mit bis zu dem Dorfe Gorolima und reiste
sodann nach Moskau zurück. Die ganze Reise auf der
Wolga war zwar etwas langsam, aber sonst angenehm und
wenig beschwerlich, außer daß zulezt die Witterung etwas
rauh und unfreundlich wurde. Der ledige Bruder Andreas
Grüzmacher der schon kräncklich von Petersburg
ausgereiset war, verschied am 19./30. September zwischen
Samara und Saratof bey dem Dorfe Tschernoi Saton und
wurde auf der Colonie Sewastianofka vom Pastor Jannet
begraben. Die übrige Reise-Gesellschaft traf am 2./13.
October sämtlich gesund und wohlbehalten zu ihrer und
der ganzen Gemeine großen Freude in Sarepta ein, als
welche sie am Wolga-Ufer erwartete, und mit Posaunen-
Schall und mit einer Zärtlichckeit, die auch fremde
Zuschauer frappirte und sich nicht gut beschreiben laßt,
empfing, und so mitten im Kriege in ihre Wohnungen des
Friedens begleitete und einführte.
Zum Empfang war sodann ein Liebesmahl, wobey
Lob und Danck gegen unsern lieben Herrn, der Sein Volck
auf der Reise und zu Hause zu bewahren weill, der Innhalt
des Gesangs und der Unterredung ausmachte.“ [11]
Mit diesem Eintrag in seinen Annalen berichtet Christlieb
Suters, der Chronist der ersten elf Jahre der
Missionsstation Sarepta an der Wolga, von der Ankunft
einer „Reise-Gesellschaft“, mit der auch Jährig im Jahre
1769 dort ankam. Im fünften Jahre ihres Bestehens wurde
die Siedlung der Mährischen Brüder im russischen
Gouvernement Astrachan, auf der Bergseite der Wolga, zu
einer Festung ausgebaut.
„Schon im Monat Januar (1769) wurde die Salvegarde mit
20 Mann Soldaten und einem Sergeanten verstärckt, und
der Herr Commendant von Zarizin nahm selbst auf
Insinuation des Herrn Gouverneurs die Bevestigungs-
anstalten in Augenschein. So wie das Früjahr
herannahete, so wurde die Wall- und Graben-Arbeit von
neuem angefangen. Alle vorjährige Bemühung war
vergeblich gewesen und fiel beym Aufthauen wieder ein,
so daß die Bevestigung aufs neue in einen Rill gebracht
und abgesteckt werden muste. Es wurde hiezu und zum
Anstellen der Arbeitsleute, die von den Achtubischen
Bauern für Bezahlung hieher waren gegeben worden, ein
Ingenieur-Officier erbeten, der sich auch den Sommer
über hier aufhielt, bis die meiste Wall- und Graben-Arbeit
vollendet war.“ [12]
1765 hatten fünf mährische Brüder das Gebiet an der
Mündung der Sarpa in die Wolga in Besitz genommen und
der Siedlung, die zunächst aus ein paar Hütten bestand,
den zugedachten Namen Sarepta[13] gegeben.
Otto Teigeler[14] nennt für die Aktivitäten der Mährischen
Brüder an der Wolga auf mehrere Gründe. Zinzendorfs
Überzeugung, die „orientalische Kirche“ sei die wahre
Kirche und seine Behauptung, die Brüderunität stamme
von der griechischen Kirche ab, gaben den Ausschlag. Die
Mährer vermuteten, dass durch die Verfolgungen im 15.
Jahrhundert versprengte Glaubensbrüder im Kaukasus
lebten. Versuche der Brüder Kontakt mit den
Oberhäuptern der orthodoxen Kirche aufzunehmen, stieß
auf keine Gegenliebe, denn mit Ketzern und Sektierern
wollten die Rechtgläubigen nichts zu tun haben. Die ersten
Kundschafter der Herrnhuter, die zu den Völkern am
Polarkreis aufgebrochen waren, landeten als Spione in
russischen Kerkern.
Der Universalgelehrte und geistige Gründervater der
Petersburger Akademie Gottfried Wilhelm von Leibniz
hatte China im Auge, als er Klage führte, die herrschende
Theologie vernachlässige die Mission und legte damit den
Grundstein für die Mission der Herrnhuter im Osten.
Durch Rußland würde sich die Tür nach China öffnen
glaubte Leibniz, und mit ihm Zinzendorf. Bei der
zeitgenössischen „Orientierung“ nach China spielte
vielleicht eine Rolle, dass nach der mittelalterlichen
Kartographie, das irdische Paradies sich im Fernen Osten
befand.[15] Im 18. Jahrhundert waren Chinoiserien, die an
chinesischen Vorbildern orientierte Richtung der
europäischen Kunst, recht populär. Eine vermeintlich heile
Welt bevölkert von Dichtern und Philosophen reizte die
Europäer und machte China für Leibniz zu einem Reich,
„das gleichsam wie ein Europa des Ostens das
entgegengesetzte Ende der Erde ziert" ("Novissima
Sinica").
Nachdem die Petersburger Justiz die Herrnhuter als
Sektierer gebrandmarkt hatte, und im April 1743 das
Dekret der Zarin Elisabeth gegen die „Herrnhuthery“
ergangen war, schlossen sich hinter Zinzendorf und
seinem Sohn, die nach Osten eilten, um die Vorwürfe zu
entkräften, in Riga erst einmal die Kerkertüren. Nach drei
Wochen wurden die Gefangenen zwar wieder freigelassen,
ihr Versuch der Intervention aber war gescheitert. Erst
nachdem die neue Zarin, Katharina II., in ihren
Einwanderungsmanifesten auch die Glaubensfreiheit
versprochen hatte, nahmen die Herrnhuter erneut
Verhandlungen in Russland auf. Besonders am Herzen lag
den Brüdern die Provinz Livland[16], wo sie zahlreiche
Anhänger gewonnen hatten. Geschickt lenkte jedoch die
Zarin das Augenmerk der Gesandtschaft auf die Peripherie
ihres Reiches und besonders auf die Kalmücken an der
unteren Wolga. Vermutlich brachte Katharina II. das
mongolische Volk ins Spiel, um den Brüdern eine
Alternative zu der angestrebten Reformation der
Russischen Kirche zu bieten, denn an der Vorrangstellung
der Orthodoxie wollte die kluge Zarin keineswegs rütteln.
„Wir sollten uns der Calmucken annehmen, die bey
Astrakan wohnen.“[17]
Per Dekret der Herrscherin erhielt die Brüderunität Land
und Privilegien an der Wolga zugesprochen. Die
Petersburger Verwaltung erwartete, aus strategischem
Kalkül, von den Brüdern die Errichtung einer Siedlung
unterhalb Zarizyns, wie sie in den Plänen der
Administration schon vorgesehen war, als Teil der
Verteidigungslinie gegen plündernde Nomaden und den
türkischen Erzfeind. Nach der Stellungnahme des
Russischen Heiligen Synods zur Ansiedlung der Brüder,
welche die Zarin eingeholt hatte, durften die Brüder
„keinen aus den Unterthanen Ihro Kayserlichen Majestät,
unter was vor einem Vorwand solches auch geschehen
möge, kraft der kayserlichen Verordnungen zu ihrer Secte
bekehren“. Die „Heidenmission“ war damit nicht explizit
untersagt. Doch die von den Herrnhutern erstrebte
Erlaubnis wurde weder im Einladungsmanifest von 1764
noch den 1765 folgenden Spezialkonzessionen
ausgesprochen. Der Zarin und ebenso die Herrnhuter
ließen diesen Punkt ungeklärt. Eine Kalmückenmission
fand, entgegen aller Legenden der Mährischen Brüder,
nicht statt. Die Sarepter werteten die nicht erteilte
Erlaubnis als Verbot der Mission. Weitere Hindernisse
bildeten die Sprachschwierigkeiten der „Missionare“ und
das Beharren der Kalmücken, die kaum Neigung zeigten
sich bekehren zu lassen. Wenn sie einen Übertritt zum
Christentum erwogen, dann erschien ihnen die russisch-
orthodoxen Kirche vorteilhafter. Das Verhältnis der Siedlung Sarepta zu ihren Nachbarn
war nicht konfliktfrei. Nicht nur die Kalmücken, auch die
Bewohner Zarizyns sahen mit Argwohn und Unwillen auf
die Brüder. „Incommoditäten“ und „Heimsuchungen“,
die zum großen Teil von den mongolischen Nachbarn
ausgingen, beschreibt Bruder Suter auch in den
beschönigten Ausgaben seiner Jahrbücher. Das Vieh der
Nomaden zertrampelte die Äcker, Brüder würden in der
Steppe ausgeplündert. Die Verständigung war schwierig,
denn weder die Kalmücken, noch die Deutschen sprachen
Russisch. Der biblische Konflikt zwischen Kain und Abel,
zwischen Hirten und Ackerbauern, brach aus.
Die Mongolen leben heute in mehrere Stämme geteilt in
der Mongolei und anderen Teilen Zentralasiens. Nach den
Dialekten unterscheidet man die Gruppen der Ost-
Mongolen oder Chalka, West-Mongolen oder
Kalmücken[18] und Nord-Mongolen oder Burjäten. Die
Chalka sind die Mongolen im engeren Sinne. Sie leben in
der Mongolei, Teilen Nordtibets und Sinkiangs. Die
Burjäten saßen bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts in
den Gebieten um den Baikalsee. Im Zuge der Eroberung
Sibiriens wurden sie nach heftiger Gegenwehr in der Mitte
des 17. Jahrhunderts von den Russen unterworfen. Bei der
Volkszählung 2002 wurden in der Republik Burjätien
981.238 Einwohner ermittelt, davon gehören 35,2% der
Titularnation an. Die Burjäten bekennen sich zum
Lamaismus oder zum Schamanismus.
Der Name Kalmücken wird mit dem türkischen Verb
„kalmak“ (= zurückbleiben) in Verbindung gebracht. Nach
der wahrscheinlichsten Erklärung soll es bedeuten, dass
sie den Islam nicht angenommen haben, aus
mohammedanischer Sicht Ungläubige geblieben sind. Seit
dem 14. Jahrhundert wird dieses Ethnonym in islamischen
Quellen, seit dem 16. Jahrhundert in offiziellen russischen
Quellen und seit dem 18. Jahrhundert auch als
Eigenbezeichnung benutzt.
Im 15.Jahrhundert bildeten die Kalmücken zwischen
Altai, Tienshan, Gobi und dem Balchasch-See eine
mächtige Stammesföderation, die letzte größere
Staatsbildung von Hirtennomaden in Zentralasien. Dem
Expansionsdruck der chinesischen Mandschu weichend,
flohen die Kalmücken 1618 in das Gebiet westlich der
unteren Wolga. Dort schlossen sie ein Bündnis mit den
russischen Zarenhaus, das versuchte sie unter seine
Oberherrschaft zu bringen. Angeblich auf Einladung des
chinesischen Kaisers, tatsächlich aber um der
Eingliederung in das russische Reich zu entgehen, zog die
große Masse der Kalmücken 1771 unter dramatischen
Umständen, großen Opfern an Menschen und Herden,
zurück in die alte Heimat. Die Nachfolger der an der
Wolga verbliebenen Kalmücken und der vereinzelten
Rückkehrer aus China bilden heute das einzige
buddhistische Volk Europas.[19] Nach der russischen
Volkszählung von 2002 stellen sie mit 155 938 knapp über
die Hälfte der Einwohnerschaft der dünnbesiedelten
Republik Kalmückien.
Aus den Dienerblättern erfahren wir, dass der
wissenschaftlich interessierte und sprachlich hochbegabte
Jährig Kontakte zu den Kalmücken unterhielt und ihre
Sprache erlernte. Schon 1772, drei Jahre nach seiner
Ankunft also, hatte Jährig dem Akademiker Gmelin[20],
der sich auf einer Expedition in den Kaukasus befand,
interessante Notizen über die Religion und die Gemütsart
des kalmückischen Volkes übergeben. Im Jahre 1772
betrieb Jährig angeblich eine Indigodruckerei mit Verlust,
weswegen er von der Ältestenkonferenz suspendiert
wurde. 1773 wurde er von der Brüdergemeine
ausgeschlossen.
„Aus den Bemerckungen und Erzählungen der vorigen
jahre läßt sich überdem leicht abnehmen, was die Colonie
der Brüder durch die Entweichung der Callmuken für
vortheilhafte Aussichten in Betracht des Oeconomici
verlohren hatte. Der Handel nahm nicht nur ab, sondern
der Verlust an dem beträchtlichen Waaren-Lager, das
vorzüglich um der Callmuken willen angeschaft worden
war, war so groß, dass er den bisherigen Nutzen weit
überstieg. Die Lebhaftigckeit der Gewerbe in ganz Sarepta
nahm ab, und man gleichsam wieder von vorne anfangen,
weil sich auf eine Art die ganze Scene geändert hatte und
alles nicht mehr eintraf, worauf man noch vor kurzem
sicher hatte rechnen können. Dieser ganze Umsturz war in
Zeit von 14 Tagen geschehen.“
Mit diesen Notizen beendet Christlieb Suter seine
Bemerkungen über die Kalmückenflucht im Jahre 1771
und macht deutlich, in welchem Maße Handwerk und
Wirtschaft der Missionsstation von den Nomaden abhing
und auf deren Bedarf ausgerichtet war. Den leichten
Aufschwung im folgenden Jahr führt er auf die rege
Lobbyarbeit einiger Brüder und die wirtschaftliche
Neuausrichtung Sareptas zurück: „Die verschiedenen
Gewerbe fingen sich mit diesem Jahre wieder an, etwas zu
erholen, wozu die mehrere Bekanntschaft im Lande durch
Reisen einiger Brüder manches bey trug. Bruder Jacob
Lorez, der im April als Vorsteher des ledigen Brüder-
Chores von St. Petersburg hieher gekommen, that die erste
Reise nach Astrachan, um die nöthigen Materialien für die
Fabriken an Baumwolle und Seide einzukauffen, und sich
überhaupt mit dem dortigen Handel näher bekandt zu
machen. Zu gleichem Zweck reisten auch noch mehrere
Brüder dahin. Die Brüder Hasse und Pauly waren in
Simbirsk und auf den Saratofschen Colonien, bey welcher
Gelegenheit der erste Anfang einer baumwollen Spinnerey
unter den Colonisten angefangen wurde. Bruder Christian
Hammel that in Geschäften des Ladens eine Reise nach
Moskau und nahm außer einer Parthie Fische aus der
Sarpa, auch den ersten hier aufgekauften Fisch-Leim zum
Verschicken außer Landes mit.“
Im Bericht über das Jahr 1773 ist die Rede von
Missernten, Streitigkeiten über die Fischereirechte mit den
Einwohnern von Zaryzin, Seuchen und Schäden durch das
Vieh der verbliebenen Nomaden. Gesteigert wurden die
Bemühungen neue Absatzmärkte aufzutun.
„Wegen Verbeßerung der Gewerbe wurden öftere
Überlegungen angestellt, allein unvorhergesehener
Schaden und Unglück konte nicht verhütet werden, und in
diesem Jahre kam gleichsam alles zusammen, was
manchen Gewerben einen sehr empfindlichen Stoß gab.“
Die Begründung für Jährigs Ausschluss mutet angesichts
der Wirtschaftskrise, die durch die Flucht der Kalmücken,
über Sarepta hereingebrochen war, nicht schlüssig an.
Man muss man davon ausgehen, dass eine Stoffdruckerei
in einer Siedlung von 180 Seelen nur profitabel
wirtschaften kann, wenn ihre Produkte von außen
nachgefragt werden. Mit der Flucht der Kalmücken
erlosch die Nachfrage, nicht nur nach bedruckten Stoffen.
Die Krise war allgemein.
„Der Callmukische Handel wurde in diesem Jahr sehr
beträchtlich und vortheilhaft, die Gewerbe in Sarepta
hatten zugleich guten Abgang, und es war aller Anschein
da, daß sich die Colonie bloß durch das Commercium mit
dieser Nation mit der Zeit von so vielen Außgaben wieder
erholen und praestanda praestiren werde. Man bemühete
sich daher auch auf alle Weise, einen hinlänglichen
Vorrath von allerley Waaren für die Callmuken
anzuschaffen, allein es reichte nie lange zu, weil sie in zu
großer Menge kamen, und sich selbst Händler unter ihnen
fanden, die ganze Parthien auf einmal erhandelten.
Der in Sarepta erbaute frische Toback war eine der
größten Delicatessen für die Callmuken und gleichsam die
Lock-Speise, die sie reizte, oft eine weite Reise zu thun, ob
es gleich an Russischen Tartarischen und Armenischen
Kaufleuten, die den ganzen Sommer über mit ebenden
Waaren die die Brüder hielten, in den Horden
herumzogen, nicht fehlte.“ schrieb Christlieb Suter in
seinem Bericht über das sechste Jahr, 1770[21]
Im Fazit des Jahres 1771 jedoch: „Die Reisen nach den
Jahrmärckten waren dieses Jahr nicht nöthig und auch
nicht möglich, weil die Handlung, wie schon oben
gemeldet worden, durch die Entweichung der Callmuken
einen empfindlichen Stoß bekommen hatte.“[22]
Jährigs Relegation scheint in diesem Licht überzogen, die
Gründe wirken vorgeschoben und dies wiederum
bekräftigt die Vermutung, Jährig habe den Aufenthalt in
der Horde zum Vorwand genommen hatte, mit dem Volk
der Kalmücken „einen seichten, lasterhaften Umgang“ zu
pflegen, und sei deswegen aus der Gemeine
ausgeschlossen worden. Die Tatsache, dass der Chronist
Glitsch ihm den Brudertitel verweigert und ihn im
Namensregister übergeht, spricht auch für die Vermutung,
dass man die wahren Gründe vertuschen wollte.
Für die »Missionsarbeit«, den Lehrbetrieb und anfallende
Übersetzungsarbeiten war Jährig verloren. 1773 mußte er
Sarepta verlassen.[23] Christlieb Suters Jahrbuch gibt über
die Vorkommnisse keinen Aufschluß, auch wird die
Indigo-Druckerei, obwohl der Chronist bei den
Errungenschaften der Sarepter oft ins Detail geht, nicht
erwähnt. Das Jahr 1773 schließt er mit den Zeilen ab:
Die Callmuken waren zwar noch immer die Heyden, die
den Brüdern am meisten vor die Augen kamen, allein ihre
Herzen und Ohren schienen zu allen göttlichen Dingen
veste verschloßen zu seyn, und man konte weiter nichts
dabey thun, als fleißig für sie beten und im übrigen die
angefangene Freundschaft mit ihnen zu unterhalten
suchen.
(...)
Die 2 ledigen Leute David Renatus Nitschmann und
Johann Jährig verließen die Gemeinschaft der Brüder und
engagirten sich in Diensten der Kayserlichen Academie
der Wissenschaften.
Die Anzahl der Sareptischen Einwohner bestand also
beym Beschluß des Jahres aus
58 Eheleuten
69 ledigen Brüdern 1 Wittwer
45 ledigen Schwestern 9 Knäbgen und
14 Mädgen
Summa 196 Personen[24]
4. Deutsche Forscher im Dienste der Petersburger
Akademie
In den zwanziger Jahren des XVIII. Jahrhunderts wurden
auf Befehl Peters des Großen die ersten mongolischen
Handschriften aus den Ruinen des buddhistischen Tempels
Ablaikit[25] nach Petersburg gebracht. Spätere Reisende
und Forscher brachten weitere Blätter in mongolischer
Schrift, meist in Gold oder Silber auf dunkelblauem Grund
geschriebene buddhistische Schriften, einige von ihnen
gelangten aus Petersburg auch nach Schweden, Frankreich
und Deutschland.
„Die Bibliothek ist reich ausgestattet mit tibetischen und
mongolischen Schriften, welche mit Gold, Silber und Tinte
geschrieben sind, aber angesichts der Unkenntnis der
Sprache haben wir keinerlei Zugang. Seit einiger Zeit
unterhalt die Akademie zum Erlernen der erwähnten
Sprachen eingeborene Studenten.“ Dies schrieb Johann
Vollrath Bacmeister[26] im Jahre 1776 über die Bibliothek
der Russischen Akademie der Wissenschaften. Tamara
Konstantinowa Schafranovskaja zitiert den Bibliothekar
in dem Glauben, er beziehe sich auf Jährig. Doch der
Mährische Bruder war kein Student im üblichen Sinne des
Wortes. An der Akademie nannte man ihn Translateur,
und später Emissär der Akademie. Zudem war er nicht
„eingeboren“.
1773 befand sich der Akademiker Peter Simon Pallas[27]
auf dem Rückweg nach Petersburg. Er hatte eine lange
und erfolgreiche Expedition durch den asiatischen Teil
Rußlands hinter sich, als er in Zarizyn, dem heutigen
Wolgograd, Station machte. Von dort sandte er, mit dem
Datum des 13. September 1773, einen Brief an die
Akademie der Wissenschaften, in dem er berichtet, daß ein
gewisser Johann Jährig der Akademie seine Dienste
anbietet.
"Wohlgebohrner Herr,
insonders hochzuverehrender Herr Professor,
hochgeschätzter Gönner,
Ich habe im Augustmonat die Reise nach Kamyschenka
und weiter bis Saratof hauptsächlich auf der Steppenseite
der Wolga abgelegt, eine vollkommene Beschreibung der
auf beiden Seiten belegnen Colonien gesamlet, viele
Gegenden der wüsten Wolgischen Steppe besucht, und bin
mit Ausgang des Monats wieder nach Zarizyn
zurükgekommen, wo ich den Rest des Herbsts mit kleinen
botanischen Reisen und Verschikungen, hauptsächlich der
auf den hiesigen Steppen häufigen Salzpflanzen wegen,
zubringe, und auch den Winter abwarte, weil ich keinen
andern zu meinem Geschäft bequemen Ruheort weiss. Von
allem diesem werde ich mit der nächsten Post Ew.
Hochedelgeb. den umständlichen Raport vor die Akademie
überschikken, weil ich heute nicht die Zeit dazu gewinnen
kann, und gestern erst von einer Reise an der Sarpa zurük
gekommen bin. Ich wolte aber doch nicht den Posttag
verstreichen lassen, ohne Ew. Wohlgeb. einen Aufsaz zu
Überschikken, mit welchem sich ein nicht ungeschikter
Teutscher, der einige Jahre auf der Hernhutischen
Colonie ohnweit Zarizyn wohnhaft war, beij mir gemeldet
hat. Dieser Mensch hat aus eignem Triebe eine Kentniss
der mongalischen und kalmückischen Sprache erworben,
und bezeigt viel Eifer sich mit der Einsamlung historischer
Nachrichten über die kalmükische Nation, und sogar mit
Erlernung der tangutischen Sprache, in welcher die
meisten Religions Geheimnisse dieses Volkes geschrieben
sind, zu beschäftigen. Von seiner Fähigkeit habe ich
verschiedene Proben in Händen und bin auch aus seinen
Gesprächen ganz wohl mit ihm zufrieden. Solte ihm die
Kaijzerliche Akademie der Wissenschaften diejenige
jährliche Ermunterung, welche er in seinem Aufsaz
verlangt, auf dreij Jahr zugestehen wollen, um die
Tangutische Sprache zu erlernen und sich in der
mongalischen volkommen zu machen, so würde mann
ausser den guten Nachrichten, die er während seines
Aufenthalts unter den Kalmükken samlen kann, den
Vortheil von ihm zu hoffen haben, die ansehnliche Menge
tangutischer und mongalisher Schriften, welche die
Akademische Bibliothek besitzt, dereinst übersezt zu
erhalten, welches nicht ohne Nutzen vor die Völkerhistorie
seijn kann. Mann würde auch durch ihn noch mehrere
wichtige, besonders die alte Geschichte der mongalischen
Völker betreffende Schriften ausgeforscht und copirt
bekommen können, und es wären villeicht noch mehrere
schriftliche Urkunden von den salenginskischen Mungalen
zu verschaffen, mit der Übersetzung er sich nützlich
beschäftigen könte. Ich bitte aber auf den Fall, wenn die
Dienste dieses Menschen der Akademie anständig seijn
solten, denselben, wenigstens so lange ich in dieser
Gegend verweilen möchte, an meine Expedition zu
verweisen, damit ich denselben auch beijläufig zu
Einsamlung der mir noch fehlenden Nachrichten über die
kalmükkische Religion und Ceremonialgebräuche den
Winter hindurch gebrauchen könnnte. Ich würde ihn als
denn mit einer gehörigen Instruction versehen und auf
dessen Ausführung Acht haben können. Auch könte ihm
der kleine Gehalt, welchen er zu seiner Unterstützung
verlangt, auf meine Expeditions-Casse, bis zu meiner
Abreise aus diesen Gegenden, angewiesen werden. Ew.
Wohlgeb. verpflichten mich sehr, wenn dieselben den
schriftlichen Aufsaz, welchen ich hierbeij gefügt habe,
nebst meinen Gedanken, der Kaijzerlichen Akademie
vorzulegen und eine baldige Entschliessung der derselben
zu betreiben die Güte haben wolten. Ich verharre in Eijl
mit der alten Hochachtung und wahrhaftesten Ergebenheit
Ew. Hochedelgeb.
gehorsamster Diener
P.S. Pallas
“No. 298 ... empfangen den 18 November 1773 und den
22 ejusdem der Conferenz vorgelesen.“
Das Empfehlungsschreiben von Pallas an den Sekretär der
Petersburger Akademie Johann Albrecht Euler vom 25.
September 1773 wurde von der Konferenz der Akademie
mit dem Resultat erörtert, dass Jährig als Translateur
östlicher Handschriften der Bibliothek der Akademie der
Wissenschaften aufgenommen wurde. Man bewilligte ihm
ein Honorar von 100 Rubeln im Jahr.
Pallas war beeindruckt, dass Jährig aus eigenem Antrieb
die kalmückische Sprache erlernt hatte und sie so
beherrschte, daß er nicht nur mit den Menschen sprechen,
sondern auch lesen und ihre Schrifttum versteht konnte.
Jährig beabsichtigte das Studium der mongolischen
Sprache zu vertiefen, sich mit dem tangutischen
(tibetischen) Schrifttum vertraut zu machen und Wissen
über die Geschichte der Kalmücken zu vermitteln.
In Briefen nach Zaryzyn, an Pallas und Jährig, wurde die
Hoffnung ausgedrückt, daß Jährig das Vertrauen verdiene,
welches die Konferenz ihm entgegenbringt. Pallas äußerte
sich in seiner Antwort zufrieden und teilte mit, daß er
Instruktionen für Jährig zusammenstellt, seine
Verpflichtungen festlegt habe und er mit dem Gouverneur
von Astrachan verhandele, damit Jährig jede mögliche
Unterstützung gewährt werde.
Im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Postkutsche, war die
Zustellung von Briefen und Paketen über lange Distanzen
außerordentlich schwierig und unzuverlässig. Am 24.
Dezember 1774 schickte Jährig seinen vierten Bericht. Er
klagte, daß aus Petersburg niemand auf seinen ersten
Bericht reagiert hatte und bat um die Anweisung seines
Gehalts, das ihm erlauben würde, sich zu den Kalmücken
zu begeben und seine Pflichten gegenüber der Akademie
zu erfüllen. Dieses Schreiben beunruhigte die Konferenz.
Ihr Sekretär leitete die Frage nach den abgeschickten
Papieren, nach den ersten drei Berichten Jährig, die er
selbst nicht hatte ausfindig machen können, an die
Akademiekanzlei weiter.
Trotz aller Schwierigkeiten kam Jährigs Tätigkeit
langsam in Gang. Am 15. April 1775 berichtet er von
einem Besuch in Astrachan und seiner Reise nach
Jenotajewka an der Wolga. Von dort schickte er in
deutscher Übersetzungen kalmückischer Sagen und
Mitteilungen über „die Wunder des Heiligen Dordscho
Shodbah“. Jährig berichtete detailliert über seine
Beschäftigung mit der Lebensweise und der Sprache der
Kalmücken im Wolgagebiet. Seine Briefe und Berichte
wurden regelmäßig auf den Sitzungen der Konferenz
verlesen und anschließend übergab man das gesamte
Material Pallas, der es für seine in Vorbereitung
befindliche „Sammlung historischer Nachrichten über die
mongolischen Völkerschaften“ benutzen wollte. Der erste
Teil dieses Werkes erschien 1776, der zweite erst im Jahre
1801. Die Korrespondenz der Gelehrten und Reisenden
mit der Akademie wird im Archiv der Akademie der
Wissenschaften aufbewahrt. Unter dem Titel „Gelehrte
Korrespondenz der Akademie der Wissenschaften des
XVIII. Jahrhunderts“ wurde eine zweibändigen Ausgabe
veröffentlicht. Die beiden Bände enthalten eine
wissenschaftliche Inventarisierung von Berichten, Briefen,
geschrieben auf Latein, Französisch, Deutsch und
Russisch. In ihnen findet sich auch die Korrespondenz
Jährigs, adressiert an den Sekretär Euler und an den
Kurator Pallas, auf Deutsch geschrieben, mit Annotationen
auf Russisch. Die Briefe belegen, dass Jährig ein
gewissenhafter Mitarbeiter der Akademie war, der
regelmäßig Mitteilung über der Verlauf seiner
Forschungsarbeit machte, regelmäßig seine
Aufzeichnungen und Antwortschreiben schickte.
Im Juni 1775 befand sich Jährig 40 Werst[28] von
Jenotajewka[29] entfernt. In seinem Brief „aus der Steppe“
bat er die Akademie erstens um Gehaltserhöhung, da die
erhaltenen Gelder nicht ausreichten, zweitens ihm einen
Erlaß zu schicken, der ihm erleichtern würde, besonders
fern der Städte, sich auszuweisen und drittens ihm einige
Bücher aus der Bibliothek der Akademie der
Wissenschaften zu schicken, die ihm große Hilfe leisten
würden. Die Konferenz unterstütze die Forderungen Jährig
nach einer Gehaltserhöhung, "welche er mit seinem Eifer
verdient hat", auch die Aussendung eines Erlasses, jedoch
sah sie keine Möglichkeit die Bücher zu schicken. In
seinen nächsten Briefen äußerte Jährig bescheidenere
Literaturwünsche. Er bat, ihm den ersten, schon
erschienenen Teil der Geschichte der mongolischen
Völker von Pallas und einen Mondkalender für das
nächste Jahr. Dieser Kalender wurde von der Akademie
herausgegeben und erfreute sich großer Beliebtheit. Diese
Buchwünsche wurden umgehend erfüllt. Jährig erhielt
Kalender für die nächsten Jahre.
Im Oktober 1775 meldete er seine Übersiedlung ins
Winterquartier. In den Briefen spürt man, daß die
Akademie ihre Verpflichtungen ihn gegenüber nicht
nachkam, ihre Versprechen nicht einhielt. Sie ließ ihm die
materielle Unterstützung nicht rechtzeitig zukommen,
selbst das vereinbarte Honorar wurde nicht regelmäßig
und rechtzeitig gezahlt. Ende 1775 teilte Jährig mit, daß es
ihm gelungen sei "in einem kalmückischen Orden" sich
mit einem Lama anzufreunden, welcher ihm täglich
Unterricht in der kalmückischen Sprache gegeben habe.
Im gleichen Schreiben bat Jährig, ihm die Titel der
kalmückischen Handschriften, die sich in der Bibliothek
der Wissenschaften befanden, mitzuteilen. Er wollte
klären, ob sich unter ihnen wertvolle befanden, die
weiteres Licht auf die Geschichte der Kalmücken
geworfen hätten befanden. Die Abschrift der Titel wurde
von dem Studenten Sokolov, dem späteren Chemiker und
Akademiemitglied betreut, der über gewisse Kenntnisse
der kalmückischen Sprache verfügte.
Zum Jahreswechsel gingen Briefe und verschiedene
Materialien über das Leben und die Religion der
Kalmücken bei der Akademie ein. Anfang 1776 stellte die
Geographische Abteilung der Akademie Jährig Fragen im
Zusammenhang mit der geographischen Karte der
Dsungarei. Jährig beantwortete sie mit seiner üblichen
Sorgfalt.
Der Direktor der Akademie, der weitblickende Orlov
verließ seinen Posten und der nörglerische, kleinliche
Domaschnjev trat seine Nachfolge an. Der neue Mann
beabsichtigte die Wissenschaftler zu disziplinieren und
antreiben. Auch Johann Jährig hatte er auf dem Kieker.
Der Translateur wurde für unzulässig langen Perioden des
Schweigens gerüffelt. Zu seiner Rechtfertigung erklärte
Jährig, er habe lange nicht geschrieben, in der Erwartung
von Empfehlungsschreiben, welche ihm die Akademie
versprochen hatte. Sich von der Akademie zu trennen, läge
jedoch nicht in seiner Absicht. Er hatte 1773 begonnen,
und die dreijährige Vertragsspanne näherte sich ihrem
Ende. Jährig bat die Akademie sich weiterhin seiner zu
bedienen, zu Bedingungen, die man in Petersburg für
geeignet hielt. Der Vertrag wurde um ein Jahr verlängert.
Wiederum trafen bei Akademie von Jährig gesammelte
Materialien ein. Seine Interessen hatten sich ausgeweitet.
Der Translateur "adoptierte die Dsungarei ", erlernte die
"tangutische" Sprache, schickte Übersetzungen der Briefe
des Dalai-Lamas, erklärte den Inhalt einer astrologischen
Sammlung indischer Herkunft, schrieb über kalmückische
Heilmethoden, die im Schlucken von Papierchen mit
magischen Aufschriften bestand.
Der Gouverneur von Astrachan vermittelte Jährig einen
Lehrer des Tibetischen, mit dem er sehr zufrieden war.
Schon bald konnte er Übersetzungen und Auszüge auch
aus Werken in tibetischer Sprache schicken.
Hin und wieder erhielt die Akademie Proben des Pflanzen-
und Tierreichs aus der Steppe in Nähe von Astrachan und
Jenotajevka. In einem dieser Pakete lag die Probe einer
Pflanze, mit der die Kalmücken Pferde heilen. Anfang
1779 traf er einen anderen Reisenden, der mit der
Akademie in Verbindung stand, Karl-Ludwig von Hablitz.
Mit ihm sammelte er eine größere Menge von Kräutern,
welche die Kalmücken zur Heilung verschiedener
Krankheiten benutzten und schickte sie nach Petersburg.
Die Akademie erhielt eine ausführliche Beschreibung und
Häute eines kleinen Tieres, von den Kalmücken Morin
küochüli genannt. Diese nebensächliche Information soll
illustrieren, dass Jährig sich nicht nur als Translateur
betätigte, sondern sich als Autodidakt auch auf anderen
Gebieten der Wissenschaft bewährte. Zu Jährigs
Rechenschaftsberichten gehörten fast immer zahlreiche
Anhänge; ein Heft mit Erzählungen und Beobachtungen;
Auszüge aus einem mongolischen Werk Dschingis Khans;
astrologische Tabellen, in mongolischer Schrift
aufgezeichnet.
Jenotajevka wurde Jährigs Hauptquartier, von dort
unternahm er zahlreiche Expeditionen und hielt sich lange
bei den nomadisierenden Kalmücken auf. Von dem neuen
Gouverneur Jakoby erhoffte er sich die Erlaubnis sie auf
ihren Wanderschaften begleiten zu dürfen. Doch hing
nicht alles von den Behörden, sondern vieles von
persönlicher Initiative ab. Jährig bat, ihm eine möglichst
große Menge chinesischer Aromen und Essenzen zur
Verteilung unter den Geistlichen, im Hinblick auf gute
Beziehungen und Freundschaft, zu schicken. Jährigs
energisches Tun bewog Domaschnjew, der Ausgaben für
wissenschaftliche Arbeit immer mißtrauisch
gegenüberstand, Anfang 1778 den Vertrag mit Jährig um
ein Jahr zu verlängern. Domaschnjew war der Meinung,
daß das Verbleiben Jährig unter den Kalmücken eine
Vielzahl neuer Erkenntnisse über die Geschichte und
Ethnographie dieses Volkes erbringen werde. Pallas
verfolgte Jährigs Tätigkeiten mit Interesse und als 1779
die Entscheidung über die Vertragsverlängerung anstand,
beschloß er den Translateur zur genaueren Erforschung
der mongolischen Völker an den Baikalsse, in den Rajon
Seleginsk zu schicken, wo er auch weiterhin die tibetische
Sprache würde studieren können. Pallas ermahnte Jährig,
dass den natürlichen Gegebenheiten der Orte und
Gegenden, durch die seine Expedition streifte, größere
Aufmerksamkeit zukommen lassen müsse. Am 19. August
1779 befürwortete die Konferenz der Akademie die neuen
Instruktionen.
6. Zwei Reisen an den Baikal
Ende des Jahres ging ein Brief von Jährig ein, in dem er
der Akademie für die Möglichkeit zu einer weiten Reise in
den Osten dankte und bat, ihm einen Rang zu verleihen,
ein Empfehlungsschreiben zu schicken und ihn mit den
nötigen finanziellen Mitteln zu versehen. Auf die
Erfüllung dieser Bitten mußte er Monate warten, Jährig
begab sich auf eine längere Exkursion in die
kalmückischen Ulusse[30]. Die Exkursion endete mit einem
Unfall. Beim Sturz von einem Wagen brach Jährig sich
das Schlüsselbein. Trotzdem gelang es ihm Proben von
Pflanzen, Samen und Mineralien zu sammeln. In
Petersburg untersuchte man Jährigs Pflanzenstängel, aus
denen die Kalmücken unterschiedliche Mittel gegen
Zahnschmerzen herstellten. Adjunkt Georgi, ein Chemiker
wurde mit der Analyse der Stengel und der übersandten
Mittel beauftragt.
Die Reise nach Osten verzögerte sich. Jährig bemühte sich
um Empfehlungsschreiben, auch bei der kalmückischen
Geistlichkeit. Nach Erhalt der Papiere aus Petersburg
machte Jährig sich auf den Weg nach Osten. Schon bei
Saratow, am Oberlauf der Wolga, ging er der Reisekasse
verlustig und bat die Akademie um wenigstens 75 Rubel
zur Weiterreise. Die Beamten in Petersburg zeigte
Verständnis, die nötigen Gelder wurden angewiesen und
Jährig reiste weiter in Richtung Orenburg.
Sowohl aus Saratow, als auch aus Orenburg schickte er
Materialien, die er noch während seines Aufenthalts bei
den Kalmücken im Gebiet von Astrachan gesammelt hatte.
Großes Interesse fand seine "Karte der Länder, die er auf
seinen Reisen zu den Kalmücken in den Jahren von 1773
bis 1780 bereiste". Wertvoll waren auch seine
Erklärungen einiger unverständlicher Termini, die er in
Fischers Geschichte Sibiriens gefunden hatte.
Ende 1780 erreichte ein Brief Jährigs aus Irkutsk die
Akademie. Der Weg von Krasnojarsk nach Irkutsk sei
schrecklich gewesen. Stark Regengüssen hatten den Weg
unterspült. Bald danach erhielt man eine Rechnung über
175 Rubel 38 Kopeken, die Jährig für die Pferde von
Astrachan nach Irkutsk ausgegeben hatte; unterdessen war
er 6283 Werst gereist. Jährig erhielt die Summe, die er zu
Beginn der Reise angefordert hatte. In Irkutsk wollte
Jährig nicht bleiben. Er hoffte möglichst bald nach
Kjachta reisen zu können und die Reise nach Tibet
anzutreten. Sondierungsgespräche bei den höheren
politischen Instanzen hatten keine greifbaren Ergebnisse
gebracht. Die Akademie wandte sich an den Grafen
Alexander Sergejewitsch Stroganow und Außenminister
Nikita Iwanowitsch Panin, aber trotz aller Bemühungen
kam die Reise nach Tibet, wegen der Spannungen
zwischen Petersburg und dem Drachenthron, nicht zu-
stande.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts waren die Burjäten in
das wachsende sibirische Reich Russlands eingegliedert
worden, ein Prozess, der durch die Festlegung der chine-
sisch-russischen Grenze in den Verträgen von Nertschinsk
(1689) und Kjachta (1727) abgeschlossen wurde. Der
Vertrag von Kjachta gestattete den Russen, in der
Mongolei und mit China Handel zu treiben, aber beinahe
noch anderthalb Jahrhunderte danach blieb ihr Einfluss
unbedeutend. Zu Jährigs Zeit beschränkten sich die
Handelskontakte auf eine Karawane nach Peking im Jahr
und die Lieferungen der gefragten Rhabarberwurzeln nach
Kjachta.[31]
Jährig ließ sich in der Siedlung Gusinoje Osero (Gänsesee)
nieder, wo sich ein wichtiger Datsan, ein burjätisches
Kloster, befand.
Dort gelang es ihm, freundschaftliche Beziehungen zu den
Lamas aufzunehmen, welche ihm ermöglichten seltene
Bücher und Handschriften in mongolischer und tibetischer
Sprache kennenzulernen. Jährig meinte, daß sie für die
Bibliothek der Akademie der Wissenschaften erworben
werden müßten, doch wollte er keine Dubletten kaufen
und bat daher um einen Katalog der mongolischen und
tibetischen Bücher und Handschriften der akademischen
Bibliothek. Unter-Bibliothekar Bacmeister erhielt den
Auftrag, einen Katalog zu erstellen. Doch er erklärte sich
wegen seiner Unkenntnis der mongolischen und
tibetischen Sprache außer Stande und wies auf die
Schwierigkeit hin, in Petersburg jemanden mit den nötigen
Kenntnissen zu finden.
Seinem nächsten Brief aus Transbaikalien legte Jährig die
deutsche Übersetzung einer indischen astrologischen
Handschrift bei. Er klagte, dass das Honorar für den
Sprachlehrer den Großteil seines Gehalts verschlinge und
er daher auf weitere Studien verzichten wolle. In der
gewonnenen Zeit würde er sich der Sammlungen von
Altertümern und Materialien zur Geschichte seiner
Aufenthaltsorte widmen. Die Konferenz schloß sich Pallas
an, der forderte, dass die tibetische Sprache die
Hauptbeschäftigung des Translateurs Jährig sein solle. Das
Sprachenlernen sei ohnehin nie ein Hindernis beim
Sammeln historischer Materialien gewesen, denn Jährig
hatte bisher auch Sprachen gelernt und sich gleichzeitig
mit dem Sammeln beschäftigt. Pallas erhielt den Auftrag,
Jährig zu schreiben, er solle seine Anstrengungen
verdoppeln, die tibetische Sprache zu erlernen. Jährig
erstellte eine Beschreibung des Weges von Tobolsk nach
Kjachta, mit einem Verzeichnis der Siedlungen und
Poststationen, die im Kalender für das kommende Jahr
abgedruckt wurde. Jährigs Angaben erwiesen sich als
genauer und ausführlicher, als die von der Akademie
einige Jahre zuvor veröffentlichten.
Im Januar 1781 hielt sich Jährig in Udinsk auf, um zwei
Schüler für die Akademie zu finden. Man muss annehmen
in Nishnyj Udinsk, schreibt Schafranovskaja.Nimmt man
die Karte aus Pallas Reise III. Theils. I. " .. der
Tobolskischen und Irkutskischen Statthalterschaft" zur
Hand, kommt man zu der Überzeugung, dass dies nicht
stimmen kann. Es handelt sich vielmehr um Udinskoje,
seit 1775 Vjerchneudinskoje, welches heute Ulan-Ude
heißt. Nishneudinsk, das auf der Karte von Pallas
Undinskoi heißt, liegt zu weit entfernt.
Es war beabsichtigt, dass Jährig die beiden Jugendlichen,
burjätische Muttersprachler, im Lesen und Schreiben des
Russischen unterrichten sollte, damit sie der Akademie als
Übersetzer dienen konnten. Der Wojewode[32] von Udinsk
hatte nur einen Schüler gefunden - einen jungen Mann
namens Samuil, der später Samuil Schiffer getauft wurde.
Einen zweiten Schüler beabsichtigte der Statthalter der
Zarin aus einer vornehmen Familie zu wählen. Später
einigte man sich jedoch mit dem jüngeren Bruder Samuils.
Der zweite Schüler wurde Pawel Te-Jährig genannt. In
den Briefen nach Petersburg lobte Jährig ausdrücklich
Begabung, Eifer und Ausdauer seiner Schützlinge.
Hartnäckig bestand er darauf, dass die Akademie den
Unterhalt für Samuil und Pawel zu bestreiten habe. Mit
den üblichen unausweichlichen Verzögerungen wurde die
Versorgung der Schüler schließlich dauerhaft gesichert.
Anfang des Jahres 1782 bat Jährig schließlich um die
Erlaubnis die Schüler von der Liste der Ortsansässigen zu
streichen und beim Zensus mitzuteilen, daß sie in den
Dienst der Akademie getreten seien.
Den größten Teil seiner Zeit verbrachte Jährig in dem
Kloster am Gänsesee. Dort erledigte er seine
Korrespondenz, aber manchmal schrieb er auch „aus der
Steppe“, wie er sich ausdrückte. Damit meinte er die
Pagoden der Umgebung. Jährig studierte weiterhin die
mongolische und die tibetische Sprache. Er beschäftigte
sich mit den Unterschieden zwischen den mongolischen
Dialekten, stellte Abweichungen fest und interessierte sich
für das Altmongolische[33]. Die Ausbildung seiner Schüler
machte gute Fortschritte. Mitte 1781 mußte er sich von
dem Lama trennen, der ihm Tibetisch beibrachte, da der
Mann unverschämte Forderungen stellte. Bald darauf
lernte den alten Lama Bandida kennen. Sie freundeten sich
an. Jährig war voller Lobes und unterstrich in seinen
Briefen des Lamas bedeutsame Hilfe und dessen
Verdienste. Jährig suchte nach einer Möglichkeiten sich
Bandida erkenntlich zu zeigen und bat die Akademie
seinen Lehrer zu belohnen. Die Konferenz erörterte dieses
Ansinnen und auf Vorschlag von Pallas wurde
beschlossen, dem Lama Bandida eine Silbermedaille zu
verleihen. Dem alten Mann bereitete die Medaille sichtlich
große Unannehmlichkeiten. Da er die Erlaubnis sie am
Hals zu tragen, noch nicht erhalten hatte. Jährig
wiederholte seine Bitte, dem Lama die offizielle Erlaubnis
zu schicken, die Medaille am Hals tragen zu dürfen. Jährig
wollte außerdem, daß die Akademie den Lama in die
Reihe ihrer korrespondierenden Mitglieder aufnehme und
ihm jährlich 15 Rubel Honorar zahle. In der ersten und
dritten Frage beschloß die Konferenz sich an den Direktor
der Akademie zu wenden. Es wurde beschlossen, daß es
einem mongolischen Lama weder Freude bereite, noch
zukomme, korrespondierendes Mitglied der Akademie zu
sein. Der Lama empfand dies offensichtlich nicht als
Beleidigung. Kurz nach der Ernennung von Elisabeta
Romanowna Daschkowa[34] zur Direktorin im Jahre 1783
schickte Jährig ihr das Abbild einer buddhistischen
Gottheit im Auftrag Bandidas als Zeichen seiner
Wertschätzung.
Während seines Aufenthaltes im Rajon Gusinoje Osero
sandte Jährig zahlreiche Auszüge und Übersetzungen
verschiedener mongolischer Handschriften und
Aufzeichnungen mündlicher Überlieferungen nach
Petersburg. Sie behandelten die Geschichte, Religion und
das Leben der Mongolen. Er sammelte sakrale Bilder,
schickte sogar Originale und eigens für ihn angefertigte
Kopien. Jährig interessierte sich für tibetische
Handschriften, welche die Ursprünge der Religion in
Indien beleuchteten und die dort existierenden
astrologischen Auffassungen. Aus Gusinoje Osero
schickte er auch Proben von Heilmitteln Tibets und
Indiens, Kräuter, Samen, Mineralien. Die Samen versuchte
man im Botanischen Garten der Akademie der
Wissenschaften auszusäen. Jährig kaufte auch Bücher und
Handschriften, für die Bibliothek der Akademie der
Wissenschaften und stellte innerhalb kurzer Zeit ein
mongolisches Wörterbuch, den "Mongolischen
Wörterspiegel" zusammen, den er in mehreren Etappen
der Akademie schickte.
Der Generalgouverneur von Irkutsk trug ihm auf, die
detaillierte Geschichte der Völker des Gebiets Irkutsk von
der Urzeit bis zur Gegenwart zu schreiben. Abschriften
dieses Werkes "Nachrichten zur Völker-Geschichte des
Nordischen Asiens" erhielt nach und nach auch die
Akademie.
Anfang 1784 verließ Jährig kurzfristig Gusinoje Osero.
Dort wütete eine Pockenepidemie und alle Verbindungen
zur Außenwelt waren abgebrochen. Der Brief über die
Pockenepidemie kam "aus der Einöde". Auf diesen Reisen
war es Jährig geglückt einen unbekannten Weg von
Selenginsk nach Irkutsk zu finden. Der neue Weg war
kürzer als der bisherige. Jährig entdeckte auch noch
andere unbekannte Wege, die er von Berggipfeln aus
überprüfte. Die Konferenz bat Jährig um einen Plan und
Beschreibung der neuen Wege. Er schickte eine
handgezeichnete topographische Karte, die erhalten ist
und sich der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften
befindet. "Plan verschiedener Passagen von der Gränz-
Pforte bis an den Baikal. Mongolischer Translateur
Johannes Jaehrig invent et fecit etc. 1784, mens May". Die
Karte verzeichnete den Baikal und seine Zuflüsse, die
Selenga und ihre Nebenflüsse, sowie die Wege von den
Ufern des Baikal nach Kjachta.
Jährig arbeitete recht schnell und schickte zahlreiche
Päckchen nach Petersburg. Trotzdem begann die Kanzlei
der Akademie sich bei jeder kleinen Verzögerung seiner
Berichte zu sorgen. Man benötigte die Dokumente, um das
Geld zu überweisen. Jährig bekam 1784 eine Anmahnung
der rechtzeitigen Vorlage der Berichte. In seiner Antwort
beklagt sich Jährig über die schwierigen
Lebensbedingungen in den fernen Gegenden, dennoch sei
er bemüht, die Aufträge der Akademie erfüllen. Gerade
war er von einer Reise zu dem höchsten Gipfel zwischen
den Flüssen Selenga und Dshida zurückgekehrt.
Unterwegs hatte er Pflanzenproben und zahlreiche Samen
gesammelt.
1785 traf Jährig in Irkutsk zum ersten Mal Erik
Laxman[35], der damals nicht mehr in den Diensten der
Akademie der Wissenschaften stand, aber dennoch mit
den Wissenschaftlern in Sankt Petersburg einen regen
Schriftwechsel führte. Laxman schrieb nach Petersburg,
daß der Translateur Jährig sehr unzufrieden mit dem alten
Lama war. Offensichtlich zerbrach die Freundschaft. Über
die Gründe machte er keine Angaben. Außerdem habe
Jährig sich beklagt, daß er ohne Rang und Titel von den
örtlichen Behörden keinerlei Hilfe erhalte. Daschkowa
reagierte auf Jährigs Schwierigkeiten mit seiner
Abberufung nach Petersburg. Er sollte zwei Drittel seines
Jahreseinkommens und noch 50 Rubel für die Reise
erhalten. Im Frühjahr 1786 sollte er sich auf den Weg
machen und bis dahin an den bergigen Ufern des
Baikalsees Pflanzen, Samen und Wurzeln sammeln.
Mitte 1786 befand sich Jährig im Gebirge in der Nähe des
Baikals, da er beabsichtigte eine ordentliche
Pflanzensammlung anzulegen. Seine Reise nach
Petersburg wollte er auf dem ersten Schlitten antreten.
Anfang 1787 meldete Jährig, daß er sich bei einem Sturz
vom Pferd verletzt habe, auch hatte er das Geld für die
Reise nach nicht erhalten. Die Reise nach Petersburg
verzögerte sich. Mittlerweile lag die Anweisung
Daschkowas zur Überweisung des Geldes zwei Jahre
zurück. Jährig beschloß, trotz seines schlechten
Gesundheitszustandes, nach Irkutsk zu reisen und dort den
Empfang der Reisemittel abzuwarten. In Petersburg
verdächtigte man ihn, seine Abreise zu verzögern und die
Anordnungen Daschkowas nicht zu befolgen. Jährig fand
in Irkutsk nur eine Assignation über 60 Rubel für die
Reise vor, sein Gehalt hatte er nicht erhalten.
Erik Laxman machte sich an die Lösung des drohenden
Konfliktes. Einem ausführlichen Brief nach Petersburg
legte er eine lange Erklärung Jährigs bei. In Laxmans
Schreiben ist die Rede davon, dass Jährig nur 60 Rubel
erhalten habe. Mit diesem Geld konnte er sich mit zwei
Schülern und Kästen mit Sammlungen nicht auf den Weg
machen. Allein ein Kasten mit Mineralien wog 20 Pud.
Und Laxman wollte dieser Last noch eine bedeutende
Sammlung, die er für die Akademie angelegt hatte,
hinzufügen. Jährig mußte vier Pferde mieten. Von Irkutsk
bis Petersburg würden sie mindestens 350 Rubel kosten.
Daher riet Laxman Jährig in den Rajon Selenginsk
zurückzukehren und nicht unnötig Zeit mit Warten zu
verschwenden.
Schuld war die große Entfernung und die langsame
Briefzustellung. Die Konferenz beschloss Daschkowa die
Schwierigkeiten vorzutragen, damit sie Hilfe anordne. Am
26. Juli 1788 schrieb Laxman, dass er Jährig von den in
Irkutsk eingegangenen Instruktionen und Anordnungen
Daschkowas in Kenntnis gesetzt habe. Er erwähnte auch
die baldige Abreise des Translateurs nach Petersburg.
In Kungur am Ural wurde Jährig sich wegen einer
Erkrankung seines Schülers Schiffer und der
Unmöglichkeit des Weiterkommens längere Zeit
festgehalten. Die Konferenz erreichte am 27. November
1788 ein Brief Jährigs aus Jekaterinburg. Er enthielt
seinen Reisebericht. Am 28. November war Jährig in
Moskau. Petersburg erreicht er Ende 1788. Aber es hielt
ihn dort nicht lange. Auf Anraten seiner
Akademiekollegen von der Medizin eine Stelle als
Translateur bei der Kommission für Rhabarberhandel an.
In ihrem Auftrag reiste Jährig erneut nach Sibirien,
diesmal mit seiner Sophia, der Schwester des ordinierten
Akademikers der Petersburger Akademie der
Wissenschaften Tobias Johann Lowitz.[36] Im Januar 1791
war das Ehepaar Jährig schon in Kjachta.
Im gleichen Jahr sprach ihm die Akademie der
Wissenschaften in Anerkennung seiner Dienste eine
Pension auf Lebenszeit zu. Jährig war nun nicht mehr an
die Akademie gebunden, dennoch beschäftigte er sich bis
zu seinem Tode weiterhin mit der mongolischen und
tibetischen Sprache und sandte wie früher
Rechenschaftsberichte und Resultate seiner Arbeit. Nur
seltener als zuvor. Jährig arbeitete an der Grammatik der
mongolischen Sprachen (Grundlagen der mongolischen
Sprachen). Im Jahre 1792 sandte er die "Anfangsgründe
der Tibätischen Schrifft- und Sprachlehre". Innerhalb von
zwei Jahren beendete Jährig die "Mongolische
Buchstaben-Forschung" mit Erklärungen, wie man die
mongolischen Schriftzeichen beim Druck mongolischer
Texte wiedergeben müsse. Ende April 1795 kehrte er nach
Petersburg zurück.
Im Juni 1795 berichtete der Konferenzsekretär Euler den
Versammelten, dass Johann Jährig, der Translateur, der
soviel für das Studium der Sprachen und Geschichte der
mongolischen Völker geleistet hatte, Pensionär seit 1791
und Mitglied der Wirtschaftsgemeinschaft der Kranken,
am Morgen des 15. Juni 1795 verstorben war. Georg von
Asch berichtet in einem Brief an Heyne in Göttingen: "Der
Mongalische Translateur Johann Jährig ist auch bald nach
seiner Zurückkunft von Kiachta alhier den 15./26. Junius
95 gestorben. Seine verwittwete Frau, eine Schwester
unseres Chymikers Hm. Lowitz, ist ohne Kinder und ohne
Vermögen nachgeblieben"
Das übliche Schema der Kolonialisierung nichtrussischer
Völker, militärische Unterwerfung, russische Verwaltung
und Steuern, Handel und Raubhandel und am Ende
orthodoxe Mission, wurde bei den Kalmücken nicht
angewandt, denn sie waren nicht von den Russen besiegt
worden, sondern hatten sich freiwillig der russischen
Oberhoheit unterstellt. Das Verhältnis der beiden Völker
zueinander war nicht einfach. Khan Ayuki[37] hielt sich
dem Zaren Peter I. für ebenbürtig. Die Russen wollten die
Kalmücken jedoch zu ihren Untertanen machen. Da der
kalmückische Adel die Taufe als Flucht aus dem
Stammesverband betrachtete, konnte nur äußerst
vorsichtig missioniert werden, wenn den Russen daran
gelegen war, den Herrscher der Kalmücken nicht zu
verprellen und nicht der Streitkraft der Kalmücken
verlustig zu gehen. Als 1791 eine Gruppe von 900
Kalmücken aus Unzufriedenheit mit ihrer Aristokratie zur
Russisch-Orthodoxen Kirche konvertieren wollte,
vermittelten die Russen sogar zugunsten der
kalmückischen Aristokratie. Sie schlichtete den Streit und
die Heiden bleiben ungetauft.[38] Das Kalkül der
russischen Regierung durch zur Missionierung neue
Untertanen zu gewinnen, mit ihnen die Grenztruppen zu
verstärken und gleichzeitig die kalmückische
Zentralgewalt zu schwächen, ging auch zwanzig Jahre
nach der Kalmückenflucht nicht auf. Mit der Konversion
war der Wegzug und die Trennung von vertrautem Land
und Leuten verbunden, denn die kalmückische
Aristokratie verlangte, dass die Konvertiten weit entfernt
angesiedelt wurden. Sich taufen zu lassen, bot die
Möglichkeit, den Bruch mit der kalmückischen
Zentralgewalt zu legitimieren. Die Kosaken hatten große
Interesse an Konvertiten, die einen zusätzlichen
Verteidigungsring um ihre Siedlungen bildeten und
„mieteten Christen“, wie ein Zeitzeuge schreibt, für
„täglich eine gewisse Portion Brodt und Brandtwein“. Der
Übertritt zum Christentum war meist Mittel zum Zweck
und rein formal, wie sich auch aus der Eidesformel
schließen lässt, die keine Silbe über den neuen Glauben
enthält:
»Ich entsage und fluche allem Aberglauben, dem ich von
Jugend auf ergeben gewesen bin.
Ich entsage und fluche allen irrigen und abergläubischen
Burchanen und Göttinnen, die vormals Menschen gewesen
sind, namentlich Dschagdschamuni, Sunkuba, Abidaba,
Manschuschari, Maidari, Jamandaga, Aerlikchan,
Lumchan, Dontschingtängäri, Okintängäri, Darääkkä,
dem Dalailama und Bokdolama und allen anderen
zahllosen Götzen.
Ich entsage und fluche dem verderblichen Aberglauben an
die Wiedergeburt, sowohl in menschlichen Körpern als
andern Kreaturen, ferner der Lehre vom Weltgebäude und
der ganzen lügenhaften Clerisey, Lamen, Chutukten und
allen abgöttischen Priestern, auch allen ihren Gläubigen
und Nachfolgern.
Ich entsage und fluche allen geformten und gedruckten
Götzenbildern, und aller Anbetung der Sterne und des
Mondes, die nur Geschöpfe des einigen wahren Gottes
sind. Ich entsage und fluche dem dreifachen Heiligthum
(Gurban Aerdäni), nämlich allen den lügenhaften Göttern
und Göttinnen, den abgöttischen Lamen und aller
Clerisey, auch allen ihren Schriften und Lehren, allen
Opfern, Fasten und Reliquien der sogenannten Schalir-
Urulä, überhaupt allen meinem bisherigen Aberglauben
fluche ich, und speie darauf.«
5. Feldforschung in der Steppe
In ihrem Vortrag erklärt Praskovja Aleksejeva, was
deutsche Wissenschaftler im 18. Jahrhundert in den
unwegsamen Landesteil des Russischen Imperiums
suchten:
„Die Siedlung der deutschen Kolonisten an der Wolga fiel
in die Zeit der Erforschung der natürlichen Ressourcen,
Beschreibung der Völker Rußlands von
Expeditionsgruppen der Peterburger Akademie der
Wissenschaften. Für die Expeditionsteilnehmer waren
spezielle Fragebögen und Arbeitspläne zusammengestellt
worden, nach denen sie sich an dem Ort, wo sie die
Untersuchung durchführten, zu richten hatten. Dieser
Plan umfaßte zehn Punkte: Erforschung der Boden- und
Gewässerbeschaffenheit, Beschreibung der heimischen
Minerale, Mineralwässer, Methoden der Zucht von Vieh,
Schafen, Bienen, Seidenraupen, Untersuchung der
Hilfsmittel für Fischfang und Jagd, Herstellung der Dinge
des täglichen Bedarfs, Wissen der Astronomie, ihre
Sprache, Sitten, Bräuche, Bestattung, Sehenswürdigkeiten.
Dieser Arbeitsplan war für alle fünf Expeditionsgruppen,
an deren Spitze Peter Simon Pallas (1741-1811), Johann
Peter Falck (1727-1774), Iwan Iwanowitsch Lepjochin
(1740-1802), Samuel Gottlieb Gmelin (1744-1774),
Johann Anton von Güldenstädt (1745-1781) standen,
gleich. Man muß anmerken, daß die Wege der
Expeditionen in der Untersuchungsregion zweimal, zu
verschiedenen Jahreszeiten zurückgelegt wurden. Aus
diesem Grund hielt sich die Expedition von Pallas
zweimal, im Herbst 1773 und im Frühjahr 1774 an dem
Unterlauf der Wolga auf.
Für die Reisenden war Sarepta ein anziehender Ort, wo
Landsleute lebten, mit denen man sich in der
Muttersprache unterhalten konnte, wo sie Unterkunft zur
Erholung fanden, die Gesundheit mit den örtlichen
Wässern wiederherstellen konnte, freiwillige Helfer unter
den Deutschen von Sarepta fanden, die mit der
Lebensweise und der Sprache der nomadisierenden
Kalmücken vertraut waren.“
1767 beauftragte die Zarin die Petersburger Akademie,
wissenschaftliche Forschungsreisen, "besondere
Expeditionen", zu unternehmen, von denen sie sich mehr
versprach als nur wissenschaftliche Erkenntnisse. 10000
Rubel stiftete sie zur Finanzierung. An der 1724
gegründeten Petersburger Akademie wirkten namhafte
Wissenschaftler: der Mathematiker Leonhard Euler,
Nicolaus und Daniel Bernoulli, der Historiker Gerhard
Friedrich Müller, die Astronomen Louis und Joseph
Nicolas Delisle, der Naturforscher Caspar Friedrich Wolff
und dreißig Jahre lang der berühmte und vielseitige
Lomonossow. Für die ausgedehnten Forschungsreisen
suchte man nach Gelehrten einer neuen Generation, nach
jungen Leuten, die den Strapazen standhalten würden.
Peter Simon Pallas war einer von ihnen. In der Vorrede zu
seinem Buch „Reise durch die verschiedenen Provinzen
des Russischen Reiches“[39], schrieb er: „Die vor einigen
Jahren von unsrer Großen Monarchin zum Besten der
Wissenschaften und der Menschlichkeit überhaupt an die
Russisch-Kaiserliche Akademie der Wissenschaften
ergangenen allergnädigsten Befehle und zufolge derselben
gemachten Veranstaltungen sind der Welt zur Genüge
bekannt. Ich habe die Ehre, unter der Zahl derjenigen zu
erscheinen, welche so glücklich gewesen sind, zur
Ausführung dieser hohen Befehle gewählt zu werden.
Nach dem zuerst beliebten Plan würde die Begierde,
welche man natürlicherweise nach wichtigen Neuigkeiten
zu haben pflegt, noch lange nicht gestillt worden sein. Es
war nämlich festgesetzt worden, daß die zur Untersuchung
und Beschreibung der natürlichen und andern
Merkwürdigkeiten des Reiches abgeschickten
Naturforscher erst nach geendigten Reisen ihre
Bemerkungen bekanntmachen sollten; allein die Liebe zu
den Wissenschaften, welche unter den vortrefflichen
Eigenschaften Seiner Erlaucht, des Herrn Grafen
Wladimir Orlow[40], der Kaiserlichen Akademie Direktors,
vorzüglich glänzet, hat dem Verlangen der gelehrten Welt
ein Genüge zu leisten und die Ausgabe unsrer Reise-
nachrichten zu beschleunigen gesucht.“
Als die große Monarchin den Thron bestiegen hatte und
sich ein Bild von der Größe ihres Reiches machen wollte,
stellte sich heraus, daß der Zarenhof nicht einmal über
eine Landkarte verfügte. Sie mußte beschafft werden.
Nach diesem Vorfall erging der „allergnädigste Befehl“
das Imperium zu erforschen.
"Nachrichten von unbekannten Gegenden, wie die meisten
von mir bisher beschriebnen, sind kundigen Lesern ange-
nehm ...“, schreibt Pallas im Vorwort zu seiner "Reise
durch verschiedene Provinzen des Russischen Reichs".
Das Publikum, das er anspricht, kann seine Reise
miterleben. Pallas überschreitet gerade den Ural, als der
erste Teil seines in deutscher Sprache geschriebenen
Reisetagebuchs 1771 in die Hände der europäischen Leser
gelangt. Er durchforscht noch Sibirien, als 1773 der
zweite Band die Druckerei der Sankt-Petersburger
Akademie der Wissenschaften verläßt. Zwei Jahre nach
Reiseende erscheint 1776 der dritte Teil, über die fernsten
Regionen Ostsibiriens, krönender Abschluß des mit
zahlreichen Kupfern prächtig ausgestatteten Werkes, das
nunmehr 2000 Seiten umfaßt. Reisebeschreibungen waren
im Zeitalter der Postkutsche Bestseller auf dem Buchmarkt
des 18. Jahrhunderts. Sie dienten als willkommene
Handbücher und Leitfäden, Land und Leute
kennenzulernen. Es festigte nicht nur das soziale Prestige,
über fremde Kulturen und Völker informiert zu sein.
Reisen und Wissensvermittlung gehörten untrennbar zur
bürgerlichen Aufklärungsbewegung. Vor allem nach
England, Frankreich, Italien und Holland führten die Bil-
dungsreisen, niemals aber in das Innere Rußlands,
obgleich das Netz der Poststationen bis nach Sibirien
reichte. Zwar zog der Glanz der neuen Metropole
Petersburg in ganz Europa Bewunderer und Verehrer an,
doch blieben die Weiten jenseits des Urals, die
unermeßliche Taiga und russischen Steppengebiete
touristisches Niemandsland. Sibirien, das Land der vom
Zaren Verbannten und zur Zwangsarbeit Verurteilten, galt
für Reisende als wenig attraktiv.
Nun aber erregte Pallas` Beschreibung gerade jener
Gegenden, in die kaum ein Westeuropäer vorzudringen
wagte, unerhörtes Aufsehen. Bald zählt sie zu den
meistgelesenen und weitverbreitetsten Schriften des 18.
Jahrhunderts. Die Nachfrage übersteigt die Auflagenhöhe.
Journale bringen ausführliche Inhaltsangaben aus den
Expeditionsberichten. Nicht zu zählen auch die
Schwarzdrucke in deutscher, englischer und französischer
Sprache, die das Werk in kürzester Zeit außerhalb
Rußlands bekanntmachen. 1773 erscheint in Leipzig ein
Auszug aus dem ersten Teil. Die "Bewegungsgründe" sieht
der anonyme Herausgeber nicht nur im aktuellen
Leserinteresse, sondern in der Bedeutung dieser
Reisebeschreibung, die er für "eines der vorzüglichsten
deutschen Werke dieses Jahrhunderts" hält. "Erdbe-
schreibung, Naturkunde, Geschichte, ja selbst Philosophie
und Litteratur haben alle durch dieses treffliche Buch ge-
wonnen." Der Herausgeber ist überzeugt, dass "dieser
Auszug Lesern, die das größere Werk nicht besitzen"
(Bücher waren damals sehr teuer), "nicht gleichgültig
seyn" wird, "und diejenigen, die es, um von noch wenig
,bekannten Dingen glaubwürdige Erzählungen zu finden,
und nicht bloß Zeitvertreibs halber, in die Hand nehmen,
werden darin gewiß vielfältig ihre Rechnung finden".
Pallas' wissenschaftlich exakte Darstellung, seine Bilder
voller Detailtreue und Realismus waren "glaubwürdig".
Sie entfernten sich von den in Westeuropa
vorherrschenden Klischees und Vorurteilen gegenüber
asiatischen und orientalischen Völkerschaften, die zum
Zarenreich gehörten oder in dessen unmittelbarer
Nachbarschaft lebten. Noch immer wurden im 18.
Jahrhundert stereotype Meinungen und oberflächlich aus
Zeitungen, Journalen oder aus. den Reise- und
Gesandtschaftsberichten des 16. und 17.Jahrhunderts
abgeschriebene Wundergeschichten und Legenden
weitergetragen. Wohl war inzwischen der Kenntnis~ stand
über das russische Imperium beträchtlich angewachsen,
und die in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts von
Franzisk Locatelli verfaßten Lettres Mosovites,in denen
diese Völker als "barbarisch" und "wann es gleich Men-
schen sind, so sind es doch nur solche, die diesen Nahmen
kaum verdienen", beschrieben werden, forderten bereits
allerorts zu leidenschaftlicher Kritik heraus. Doch das
Faktenwissen über die fremdnationalen Sitten,
Lebensgewohnheiten und Rechtsverhältnisse war dürftig.
Pallas' Reisebeschreibung bot die Möglichkeit,
Pauschalurteile neu zu überprüfen.“
Mit diesen Worten charakterisiert Marion Lauch die
Rezeption der "Reise durch verschiedene Provinzen des
Russischen Reichs"[41] im Nachwort zu einer gekürzten
Wiederauflage des Werkes anlässlich des 175. Todestages
des Forschers.
7. Jährigs wissenschaftliche Verdienste
1779 wurden Auszüge von Jährigs Berichten über die
Hautfarbe, die Mittel gegen Hautkrankheiten,
Wasserratten, die Mittel der Kalmücken gegen den Brand,
die Mittel dieser Nomaden, welches Nasenbluten
hervorruft, über eine Pflanze Prenantes chondrilloides
genannt, gedruckt. Die Veröffentlichungen erregten die
Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen. In der
bibliographischen Ausgabe "Russische Bibliothek"
erschienen seine Beschreibungen ausführlich.
Einige Jahre später hielt Pallas einen Vortrag über die
Reisen Jährigs in den Rajonen Astrachan und Selenginsk.
Auszüge des Vortrages wurden 1788 in "Nova acta" ver-
öffentlicht. Der Adjunkt der Geschichte der Petersburger
Akademie der Wissenschaften und ihr Bibliothekar Busse
gab das "Journal von Russland" heraus. Im Jahre 1796
veröffentlichte er darin einen Artikel über die
mongolischen Bücher, Handschriften und Zeichnungen,
die Jährig nach Petersburg geschickt hatte. So findet sich
in den Ausgaben des 18. Jahrhunderts der Name Johann
Jährig mehr als einmal. Kenntnis von den übrigen
nachgelassenen Handschriften haben wir in erster Linie
durch das Akademiemitglied Dorn, der sie im Jahre 1846
in Druck gab. In seinem Werk "Das Asiatische Museum"
finden sich Abschriften der Handschriften Jährigs,
hauptsächlich über das Studium der mongolischen
Sprachen und die Geschichte der mongolischen Völker.
Auch viele Jahre später taucht der Name Jährig immer
wieder in der Literatur auf. Am häufigsten wird über seine
Materialsammlungen zur mongolischen
Sprachwissenschaft geschrieben. Vollkommen
offensichtlich, daß in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts "sich mit dem Sammeln von Material für das
Studium der mongolischen Sprache der Translateur der
Akademie J. Jährig beschäftigt hat, von welchem
zahlreiches Material über die mongolische und andere
Sprachen erhalten ist".
Friedrich von Adelung erwähnt Jährig in seinem 1815
erschienenen Werk „Catherinens der Grossen Verdienste
um die vergleichende Sprachenkunde“[42].
„Noch ein eifriger Sammler aus dieser Periode verdient
hier eine Stelle, nämlich Johann Jährig , vormals Mitglied
der Herrnhutischen Brüdergemeine zu Sarepta, wo ihn
Pallas auf seiner ersten Reise im Jahre 1773 kennen
lernte, und wegen seiner ausgezeichneten Kenntnis der
Kalmückischen Sprache willig machte, für den Dienst der
Akademie eine Reise zu unternehmen und Nachrichten
über die Mongolischen Völkerschaften einzusammeln.
Jährig erfüllte diese Absicht vollkommen, und obgleich
ohne gelehrte Vorbildung dehnte er seine Sammlungen
doch auf alle Gegenstände aus, die auf Sprachen, Sitten,
Religion, Geschichte und Altertümer der ihm zur
Beobachtung empfohlenen Völker Bezug haben, und noch
jetzt sind seine im Archiv der Kaiserl. Akademie der
Wissenschaften aufbewahrten Papiere, obgleich schon hie
und da, ohne gerühmt zu werden, benutzt, von dem
höchsten Interesse. Er lieferte außerdem an Bacmeister
und Pallas sehr reiche und schätzbare Beiträge zu ihren
Sprachsammlungen, welche sich jetzt in meinem Besitze
befinden(...).“
Eine Arbeit Jährigs über die religiösen Vorstellungen und
Bräuche der Mongolen wurde auf Betreiben Daschkowas
vom Pastor der Lutheranischen Kirche in Petersburg
rezensiert und herausgegeben. Damit reißt die Erwähnung
des Namens Johann Jährigs ab.
Zu Pallas` 1776 in deutscher Sprache erschienener
zweibändigen "Sammlungen historischer Nachrichten
über die mongolischen Völker" leistete Jährig einen
wichtigen Beitrag. Die Korrespondenz belegt, daß Jährig
„zweifellos interessiert gewesen wäre, klarzustellen, in
welchem Maße es Pallas gelungen war, die von ihm
geschickten Materialien, für seine Arbeit über die
mongolischen Völker zu nutzen“, merkt Schafranovskaja
an.[43]
Wäre Jährigs Manuskript "Anfangsgründe der Tibätischen
Schrifft- und Sprachlehre"[44] jemals in Druck gegangen,
würde die Tibetologie ihn als einen ihren Gründungsväter
würdigen. Erik Laxman setzt sich in seinen „Sibirischen
Briefen“, herausgegeben 1769 von August Ludwig
Schlözer, mit der Frage auseinander, ob die tibetische
Sprache in Europa bekannt sei. Nichts außer ein paar
Fragmenten[45] und einer falschen Übersetzung der
französischen Gebrüder Fourmont der Texte aus Ablaikit,
die Peter der Große nach Rom und Paris geschickt hatte.
Französische Windmacherei, urteilt er scharf. La Croze
habe in seinem Werk Elementa linguae Tangutanae die
tibetische Schrift gar mit der mongolischen verwechselt.
Die Kenntnisse sind gering und von einer Grammatik des
Tibetischen ist noch keine Rede. Ohne die Verdienste des
Ungarn schmälern zu wollen, muß man anmerken, daß
Sándor Csoma de Kőrösi[46], gerade acht Jahre alt, noch
die Schulbank drückte. Erst 1819 begann Csoma seine
Wanderschaft auf der Suche nach der Urheimat der
Ungarn und nicht um das Tibetische zu erforschen. Seine
Grammatik entstand nur, da er nicht an sein Ziel, zu den
Uiguren gelangen konnte.
Johann Jährigs Lehrer des Tibetischen waren keine
Muttersprachler sondern Lamas, deren Kenntnisse
vermutlich auf die Sakralsprache, das klassische Tibetisch
und die heiligen Texte und Formeln beschränkt waren,
bestenfalls konnten sie in Lhasa studiert haben[47]. Das
Tibetische verfügtüber eine reiche mittelalterliche
Literatur, meist wortgetreue Übersetzungen aus dem
Sanskrit, wobei dem Charakter des Tibetischen Gewalt
angetan wurde. Hinsichtlich der Lehrer war Csoma in
einer besseren Lage. Er lernte von Muttersprachlern, die
zudem in der Lage waren, die Gedankengebilde des
tibetischen Lamaismus zu erklären.
„Das Tangutische ist für einen Forscher des mongolische
Lehrbegriff, eben so notwendig als das Griechische und
Hebräische für einen christlichen Theologen. Unter den
Kalmuken befanden sich ehemals Geistliche, welche
Tangutisch verstanden, aber jetzt ist dieser Fall so selten,
daß sie diejenigen, die bloß mit Fertigkeit Tangutisch
lesen könne, für große Geister halten. Die Schwierigkeit
die tangutische Sprache zu erlernen, hat vermutlich die
Europäer abgeschreckt sich damit zu beschäftigen. Wer
diese Sprache erlernen wollte, müßte entweder zu den
Mongolen nach der Gränze von China, oder noch besser
nach Tibet reisen, oder sich Lehrer aus diesen Gegenden
verschreiben lassen.“[48]
Lajos Ligeti, ein ungarischer Orientalist, der Anfang des
20. Jahrhunderts ein Jahr bei den Mongolen der Inneren
Mongolei, also in China, forschte, beklagt ebenso wie
Bergmann über hundert Jahre vor ihm, in seinem
Reisebericht „Gelbe Götter, gelbe Menschen“, darüber,
dass die tibetischen Sprachkenntnisse seiner geistlichen
Gewährsmänner nicht gerade glänzend waren.[49] Wie
auch immer die linguistische Bedeutung von Jährigs
Grammatik einzuschätzen wäre, ein wichtiges Stück
Wissenschaftsgeschichte ist sie auf jeden Fall.
Johann Jährig war ein wissbegieriger Mensch. Er
interessierte sich nicht nur für die Sprachwissenschaft,
sondern auch für Geschichte und Ethnographie der
mongolischen Völker. Seine Aufmerksamkeit richtete
sich, wohl durch die Vermittlung der tibetischen Texte
angeregt, auch auf indische Materialien zur
Religionsgeschichte und Astrologie. Er untersuchte er
alles, was er auf seinen Reisen zu sehen bekam. Der
Translateur betrieb sechzehn Jahre lang, unter
schwierigsten Bedingungen, was man heute Feldforschung
nennen würde, teilnehmende Beobachtung im Sinne
Malinowskis. Doch anders als der berühmte
Kulturanthropologie hielt Johann Jährig nicht auf Distanz
zu seinem „Forschungsgegenstand“. Jährig glaubte, wie
sein Zeitgenosse Busse berichtet, „unter den Nomaden so
gute Menschen gefunden zu haben, als sonst nirgends zu
finden wären, sein Herz verführte ihn; er wollte alles für
gut gehalten wissen, was seinen lieben Mongolen
zugehörte. Er war kein Gelehrter, seine besten Jahre hatte
er unter ihnen verlebt; seine Wissbegierde war vielleicht
erst unter ihnen gereizt worden; er zog in aller Absicht
seine zahmen Menschen, denn so pflegte er sie zu nennen,
den Europäern vor; auch ihre Sprache fand er nicht allein
weit bildlicher, weit dichterischer, denn dies hätte man
ihm wohl zugestehen können, er fand sie auch weit
wortreicher und gebildeter, als die deutsche. Viele
Ausdrücke glaubte er schlechterdings nicht übertragen,
viele nur schwach nachbilden zu können.“
Es sei erwähnt, dass der Livländer Benjamin Bergmann[50]
von Sarepta aus die an der Wolga verbliebenen,
beziehungsweise dorthin zurückgekehrten Kalmücken
besuchte und in seinem Werk „Nomadische Streifereien
unter den Kalmücken in den Jahren 1802 und 1803“[51]
harsche Kritik an Jährigs Übersetzungen übt. „Der
verstorbene Jährig, dieser enthusiastische Verehrer der
Mongolen, ist fast der einzige gewesen, welcher sich in
literarischer Hinsicht bei den mongolischen
Völkerschaften aufgehalten hat. Wir verdanken ihm auch
unstrittig sehr wichtige Materialien, allein, Jährig besaß
bey einer ausgebreiteten Bekanntschaft mit den
mongolischen Dialekten zu wenig andere nöthige
Kenntnisse, die bey einer solchen Unternehmung
erforderlich sind, und wenn er sie auch besessen hätte, so
war sein Kopf so voll überspannter Begriffe, daß er auf
keinen Fall der Mann war, der uns die mongolischen
Völkerschaften gehörig kennen lehren könnte.“
Pallas urteile falsch über „literarischen, philosophischen
und theologischen Kenntnisse der Mongolen“ (...), „da er
keine besseren Proben als die Jährigschen Fragmente vor
Augen hatte; allein bin ich überzeugt, daß derselbe eine
weit vortheilhaftere Meinung von den mongolischen
Schriften bekommen würde, wenn er sie im Original
gelesen hätte. Die Kraft des Ausdrucks, die Schönheit
einzelner Stellen, welche in allen Schriften der Mongolen
angetroffen wird, konnte keine Jährigsche Feder
nachzeichnen, ohne statt reizender Formen,
Carrikaturbilder hervorzubringen. Wenn wir die
Dichtungswerke einer Homer oder Ossian, nach der
Übersetzung eines Kanzleischreibers beurtheilen wollten,
so dürften sie uns ohne Zweifel nicht anders als
abgeschmackt vorkommen.“[52]
Polemik sei bezeichnend für die wissenschaftliche
Auseinandersetzung jener Zeit gewesen, „die sogar
Rezensionen mit Überschriften «Leichenstein auf die
Gelehrsamkeit des Herrn ... und ähnlichem versah“,
kommentiert Walther Heissig einen harschen Ausfall des
Mongolisten Isaak Jacob Schmidt gegen Peter Simon
Pallas.[53]
Johann Jährigs Handschriften sind erhalten. Eine Vielzahl
von Material, aufgezeichnet in schwer lesbaren gotischen
Schriftzeichen, in Archiven, kaum erforscht, dem großen
Kreis der Forscher wenig zugänglich.
Johannes Heinrich von Busse, Adjunkt und Bibliothekar
der Akademie, berichtet in dem von ihm herausgegebenen
„Journal von Russland“[54] über Jährig. „... gab Herr
Jährig, die mongolischen Schriften, deren Verzeichnis hier
folgt, an die Bibliothek der Akademie ab, und erklärte
dabei zugleich alle die Mongolische Weisheit, welche die
Akademie schon besaß, und von der Herr Bacmeister so
rühmlich spricht, für Stückwerk, das heißt für lauter
ausgerissene Blätter, die des Aufbewahrens nur deswegen
würdig scheinen könnten, weil sie einmal da wären. Er
ordnete sie indessen, so gut es sich tun ließ, und dann
mussten sie den neuen Ankömmlingen Platz machen, aus
denen dann freilich auch ich zum ersten Mal lernte, wie
ein Mongolisches Buch eigentlich aussieht. Die Mongolen
nämlich schreiben oder drucken mit in hölzerne Formen
eingeschnittenen, also beweglichen Lettern ihre Weisheit
auf einzelne Blätter, die mehr als Foliobreite, und kaum
die Breite eines Oktavblattes zur Länge haben; diese
einzelnen Blätter eines Buches werden zwischen zwei
langen Hölzern von eben der Länge und Breite
eingepresst, und mit ledernen Riemen
zusammengebunden...“
Busses Journal enthält einen Katalog der mongolischen
Schriften der Petersburger Akademie, außerdem
publizierte 1934 der Akademiker Kozin die Übersicht
Asiatisches Archiv des Instituts für Orientalistik der
Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Jährigs
Materialien sind zu finden im "Alten Fundus", der die
Jahre 1640 - 1840 umfasst. Im alphabetischen Register
erscheinen unter seinem Namen: Über die tibetische
Sprache, datiert 1792, Mongolen und Ölöten; der
historische Aufsatz "Erdeni schastir", Iteggel, die
kalmückische Version des Sutras „Medetei mede ygeiigi
ilgagtschiö“ in deutscher Übersetzung, das Kalmückische
Alphabet, u.v.a.
Im „Journal von Russland“ erschien ein Verzeichnis des
Inhaltes Mongolischer und Tübetischer theils gedruckter,
theils geschriebener Bücher und Schriften ... , gesammelt
durch Johannes Jährig[55].
Die meisten mongolischen und kalmückischen Texte der
Sammlung Georg von Asch sind, wie die, in dem
Briefwechsel des Barons mit der Akademie zu Göttingen,
erhaltenen Listen und Briefen zeigen, in den Jahren 1781,
1790-92 und 1794-95 beschafft worden: In der
Hauptsache sind sie Johann Jährig zu verdanken. Mit dem
Tode des Translateurs endeten die Sendungen
mongolischer Texte durch Georg von Asch an die
Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.
Mit seiner Forschung leistete Jährig einen Beitrag zur
Vermittlung buddhistischer Weltvorstellungen, die über
Petersburg und Göttingen, die Übersetzungen und Werke
Heinrich Julius Klaproths, Isaac Jacob Schmidts, Kõrösi
Csomas und anderer, in das philosophische Werk
Schopenhauers einflossen.[56]
Wenn man Johann Jährig „nur“ als Translateur aus dem
Mongolischen und Tibetischen sieht, wird man seinen
Leistungen nicht gerecht, denn er war nebenbei nicht nur
Sammler naturwissenschaftlicher Nachrichten, sondern
auch Geschichtsschreiber und Kartograph. Bergmanns
Kritik an seinen Übersetzungen zeigt, dass sie ihm erstens
als Grundlage seiner Kalmückenforschung dienten,
zweitens rügt er nur den Stil der Übertragung, worüber
sich unendlich streiten lässt, ohne Fehler aufzuzeigen.
Bergmann muss ein Sprachgenie gewesen sein, denn nach
eigenen Angaben erlernte er die Sprache innerhalb von
zweieinhalb Monaten so gut, dass er schon schwierige
Texte übersetzen konnte. Sein Lehrmeister war Bruder
Conrad Neiz, der einst zum Übersetzer bestimmt worden
war, aber nach Teigeler „nur einen absolut marginalen
Teil seines Lebens zum Spracherwerb bei den Kalmücken
verbracht hatte“[57]. Neiz diktierte Bergmann seine
Übersetzungen und überließ es dem unbescheidenen
Livländer, sie zu feilen.
Jährigs Zeitgenossen Adelung und Busse erkennen seine
Leistungen an. Peter Simon Pallas begnügt sich mit dem
anfangs zitierten Satz.
(c) 2011
Karlheinz Schweitzer
edition zinkhund
Usinger Straße 21
D- 61239 Ober-Mörlen
Diese Arbeit ist auch als sehr schönes Büchlein
zum Preis von 6 Euro frei Haus erhältlich.
Weitere Publikationen finden Sie hier:
www.edition-zinkhund.com
www.karlheinz-schweitzer.com
[1]Heissig W.: Frühe deutsche Berührungen mit der mongolischen Kultur und Geschichte. In: Die Mongolen. Hrsg.: W. Heissig, C. C. Müller (Ausstellungskatalog Haus der Kunst München). München 1989, Bd. 2, pp. 101-105 [2] (* 1913 in Wien; † 2005) Mongolist und Zentralasienkundler. Veröffentlichte Werke zur mongolischen Geschichte und Sprache. [3] (* 1927) Professor für Uralistik und Altaiistik an der Universität von Bloomington, Indiana, U.S.A. [4] Historikerin, Mitarbeiterin der Kunstkammer in Sankt Petersburg [5] Schafranovskaja, T. K. ; Mongolist XVIII. veka Iogan Ierig (Johann Jährig, ein Mongolist des XVIII. Jahrhunderts) in: Strany i narody vostoka, Moskau, S.156 [6] Teigeler, Otto, Die Herrnhuter in Rußland, Ziel, Umfang und Ertrag ihrer Aktivitäten, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2006 [7] Alexejeva, P. E. , Iogan Ierig i kalmykovedenije, mater. nauč. konf. II. Sareptskich streč, Volgograd, 1997. S. 54 – 57 (Johann Jährig und die Kalmückenforschung, Material der wiss. Konf. II, Sarepter Treffen)
[8] Učenje issledovateli kalmykii (XVII – načalo XX. vv.) Elista, 2006 [9] Historische Mitteilungen und Beschreibung der Stadt Barby im Jahre 1841 vom früheren Konrektor Conradi [10] man gab damals das Datum nach dem Julianischen Kalender, der in Russland noch gültig war und dem Gregorianischen Kalender an [11] Suter, Christlieb; Geschichte der Gemeine Sarepta 1765 – 1775, hrsg. von Otto Teigeler, Herrnhut, 2006, S. 150-151 [12] ebd. S. 147 [13] 1. Könige, 17, 9 [14] Teigeler, Otto, Die Herrnhuter in Rußland, Ziel, Umfang und Ertrag ihrer Aktivitäten, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2006, S. 223 [15] vgl. Lucian Boia, L´Occident. Une interprétation historique; Paris, 2007 [16] Russische Ostseeprovinz, umfasste zur Zeit ihrer größten Ausdehnung das heutige Lettland und Estland [17] vgl. Teigeler, S. 337 [18] vgl. Pallas, Bergmann, Schorkowitz [19] Schorkowitz, Dittmar: Die soziale und politische Organisation bei den Kalmücken (Oiraten) und Prozesse der Akkulturation vom 17. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Frankfurt, 1992 Quincey, Thomas de: The Revolt of the Tartars, 1837 [20] Gmelin, Johann Georg (* 10. August 1709 in Tübingen: † 20. Mai 1755 ebd.) Sibirienforscher und Verfasser der Flora Sibirica. [21] Suter, S. 186 [22] Suter, S. 230 [23] Vgl. Teigeler, S. 413 [24] Suter, S. 260 [25] Ablaikit ist ein Nebenfluss des Irtysch südlich von Ust-Kamenogorsk [26] Bacmeister, Johann Vollrath (1732-1788). Assessor, Bibliothekar in St. Petersburg [27] (* 1741 in Berlin; † 1811 ebd.) Naturforscher, Geograph, Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg. Er unternahm 1768-74 und 1793/94 Expeditionen durch Sibirien und den Süden des Russischen Reiches. [28] entspricht 1.066,8 m [29] Städtchen nördlich von Astrachan an der Wolga [30] Ulus = Stamm, Volk (mong.) [31] vgl. Fischers Weltgeschichte Zentralasien, S. 286 [32] Statthalter der Zarin [33] Mongolisch vor dem 13. Jahrhundert. [34] Tochter des Grafen Woronzow, Busenfreundin der Zarin, genannt Katharina die Kleine [35] Erik Laxman (* 1737 Turku, Finnland; † 1796 auf der Reise nach Tobolsk). Pastor, Professor der Ökonomie, Naturwissenschaftler. [36] (*1757 in Göttingen; † 1804 in St. Petersburg) Chemiker und Pharmazeut. Sohn des Astronomen und Geographen Georg Moritz Lowitz. [37] Ayuki; *1642, † 1724, reg. 1669-1724; Khan der Kalmücken an der Wolga [38] Teigeler, S. 251 [39]Sankt Petersburg, 1771 [40] russischer Staatsmann und Gelehrter [41] Philipp Reclam jun., Leipzig, 1987 [42] Adelung, Friedrich von: Catherinens der Grossen Verdienste um die vergleichende Sprachenkunde, St. Petersburg, 1815, Reprint: Buske Verlag, Hamburg, 1976 [43] Schafranowskaja, S. 157 [44] Alexandre Sladkevich kommt das große Verdienst zu, dem St. Petersburger Archiv die Kopien der 12 ersten Seiten der Handschrift, abgerungen zu haben. [45] A. A. Giorgi: Alphabetum Tibetanum missionum Apostolicorum commodo editum; Rom, 1762 [46] (1784 in Kőrös, Siebenbürgen; † 1842 in Darjeeling, Indien) Forschungsreisender, der als Begründer der Tibetologie gilt. [47] Vgl. Fischer Weltgeschichte. Zentralasien; Hrg. Gravin Hambley, Frankfurt am Main, 1966, S. 302 [48] Bergmann, S.19 [49] Lajos Ligeti (1902 – 1987); vgl. Sárga Istenek, sárga emberek. Egy év Belső-Mongólia lámakolostoraiban, Budapest, 1934, bzw. die französische Übersetzung: Rapport pre ́liminaire d'un voyage d'exploration fait en Mongolie chinoise 1928-1931, Leipzig, 1933 [50] Bergmann, Benjamin Fürchtegott Balthasar (1752 – 1856) evangelischer Theologe und Ethnologe
[51] Riga, 1804; Oosterhout, 1969 (Reprint). S.16f [52] S. 18 [53] vgl. Sagang Sečen, Geschichte der Mongolen und ihres Fürstenhauses, Zürich, 1985, S. 448 [54] Dritter Jahrgang, Zweiter Band, Januar bis Junius 1796 , St. Petersburg, 1796 [55] In: "Journal von Rußland", 3. Jahrgang, 1789, 2. Band, 126-134 [56] In der 2. Auflage seiner: Über den Willen in der Natur : eine Erörterung der Bestätigungen, welche die Philosophie des Verfassers seit ihrem Auftreten durch die empirischen Wissenschaften erfahren hat. Frankfurt/M., 1854 gibt Schopenhauer im Kapitel Sinologie in einer Fußnote eine Literaturempfehlung zum Buddhismus [57] vgl. Teigeler. S. 449