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jesuiten_2009-01

Date post: 05-Jul-2018
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  • 8/16/2019 jesuiten_2009-01

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    2009/1ISSN 1613-3889

    Politisch handeln

    J    e

        s    uit    e

        n

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      Jesuiten1 Editorial

    Schwerpunkt

    2 Jesus und die Politik

    4 Christentum und Politik

    7 Institutionen haben Gewicht

    8 Politische Beratung und

    ignatianisches Denken

    10 Von Demokratie und Sommerlagern

    11 Flüchtlingen eine Stimme geben

    12 Die Versuchung unpolitisch zu sein14 Kandidieren

    16 Impulse für Wirtschaft und Gesellschaft

    18 Kurz-Zeugnisse

    19 Stellung beziehen

    20 COMECE

    Geistlicher Impuls

    22 Zwei Banner

    Nachrichten

    24 Neues aus dem Jesuitenorden

    Personalien

    28 Jubilare

    Medien

    29 Was bedeutet Dir Jesus Christus?

    Vorgestellt30 Noviziat Nürnberg

    33 Autoren dieser Ausgabe

    34 Freunde der Gesellschaft Jesu e.V.

    Spenden

    37 Standorte der Jesuiten in Deutschland

            I       n        h

           a        l        t

       A   u   s   g   a   b   e   2   0   0   9   /   1

    2009/1

    Politisch handeln

    Titelfoto: Skulptur vor

    dem Eingang zum

    Europäischen Parlament

    in Brüssel

    © KNA-Bild

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    März 2009/1  Jesui ten   1

    Editorial

    Liebe Leserinnen und Leser,

    2009 ist ein „Super-Wahljahr“: acht Kommu-nalwahlen, fünf Landtagswahlen (Hessen,Brandenburg, Saarland, Sachsen, Thüringen),eine Bundespräsidentenwahl, eine Europa-wahl und schließlich die Wahl des Bundestagsim September. Insgesamt 16 Wahlen findendieses Jahr in Deutschland statt. Da liegt dasThema „Politik“ nahe.

    Das Wort Politik ist nicht immer besonderspositiv besetzt. Manche halten es für die Akti-vität gewisser Eliten, andere für ein schmutzi-ges Geschäft. Wieder andere haben den Ein-druck, dass „die Politik“ nicht wirklich etwasmit dem einfachen Bürger und dessen Nötenzu tun hat. In der aktuellen Finanzkrise schau-en jedoch wieder viele mit großen Erwartun-gen auf die Politik. – Und wie ist es mit unsChristen? Wie ist eigentlich unser Verhältnis

    zur Politik? Bedeutet die Trennung vonKirche und Staat auch, dass die Kirche in der Politik nichts zu suchen hat? Gilt es mitzumi-schen oder sich aus Sorge vor Korruptiondurch Macht und Geld zurückzuhalten?

    Grundsätzlich ist festzuhalten, dass politischesEngagement sich nicht nur auf Parteipolitikbeschränkt. Politisch tätig zu sein, heißt sich

    für das Gemeinwohl zu engagieren. Politik istEinsatz für die Polis, die Stadt, und das kannganz unterschiedlich aussehen: Da gibt es In-teressenvertreter und Lobbyisten, Mitglieder von Verbänden und Vereinen, Gestalter vonStadtvierteln, Angehörige von Menschen-rechtsorganisationen, Aktivisten von Bürger-initiativen und viele andere mehr. All ihrHandeln ist politisches Tun.

    In dieser Ausgabe möchten wir der Frage nachder Bedeutung von politischem Engagementfür uns Christen nachgehen. Dazu werden uns

    eine Reihe von Fragestellungen beschäftigen:Wie war Jesu Verhältnis zur Politik seiner Zeit? Welchen Beitrag kann die christlicheSozialethik zur Gestaltung der Gesellschaftbeitragen? Wie kann man außerhalb der„Politik“ politisch aktiv sein? Was bedeutet eszu kandidieren und welche Risiken birgt es,klar Stellung zu beziehen? Was motiviert

     Jesuiten, sich politisch zu engagieren? Wie

    können sie auf Politik einwirken? WelcheVersuchungen begegnen ihnen auf dem Weg?Und kann Spiritualität etwas für das gesell-schaftliche Engagement beitragen?

    Das Thema „Politik“ ist ein heißes Eisen, undsobald es an die konkrete Umsetzung vonEinzelfragen geht, erhitzen sich die Gemüter leicht. So wünsche ich Ihnen eine anregendeund vielleicht kontroverse Auseinanderset-

    zung mit den verschiedenen Stellungnahmen,Berichten und Zeugnissen dieser Ausgabe.

    Ihr 

    Johannes Maria Steinke SJ

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    2  Jesui ten Aktuell

    Schwerpunkt

    Jesus und diePolitik

    „Das Reich Gottes ist nah!“ Der Rabbi ausNazareth war davon überzeugt, dass Gottseine Herrschaft direkt und unmittelbar inunserer Welt errichten würde – und zwar 

    bald. Ein Mensch, der von dieser Überzeu-gung getragen ist, stellt sich andere Fragen alsdie, die erleben, dass sie noch Zeit haben, weilsich das erwartete Ereignis verzögert. Jesusmusste sich nicht mit der Frage auseinander-setzen, welche Strukturen die Gemeinschaftder Frauen und Männer haben soll, die seineFrohe Botschaft weitertragen wollten. DieseFrage stellte sich jedoch unweigerlich spätes-tens eine Generation danach. Ebenso hat sich

     Jesus nicht grundsätzlich mit dem Verhältnisvon Glaube und Politik oder dem Verhältnisvon Religion und Staat auseinandersetzenmüssen. Wichtig für ihn war nur, dass GottesHerrschaft bald unmittelbare Wirklichkeitwird. Doch auch dieser Frage musste sich – getragen von der Hoffnung auf die Führungdurch den Heiligen Geist – die nächsteGeneration stellen.

    Die Sicht des Lukasevangeliums

    Dem Lukasevangelium wird häufig nachge-sagt, das staatstragendste der vier Evangelienzu sein. Jedenfalls kann man auf den erstenBlick keine Infragestellung der herrschendenVerhältnisse feststellen. Die Geburtsgeschichtebeginnt mit einer Einordnung in das macht-

    politische Gefüge: Augustus war der Kaiser und so wie Jesus später seinen Eltern gehor-sam ist, so gehorchen Maria und Josef dem

    Befehl des Kaisers und nehmen an derVolkszählung teil. Im weiteren Verlauf desEvangeliums ist zwar von Konflikten mit denreligiösen Autoritäten die Rede, doch Ausei-nandersetzungen mit der staatlichen Machtwerden nicht direkt erwähnt. Ganz am Endeversucht Pilatus sogar, Jesus zu retten. Auchder Gegensatz zwischen Jesus und Barrabas,der wegen Mord und Aufruhr verurteiltworden war, erweckt den Eindruck, dass von

     Jesus keine Bedrohung für die staatlicheMacht ausging.

    Liest man das Lukasevangelium aber vor demHintergrund der damaligen staatlichen Propa-

    ganda, so werden Differenzen sichtbar. Für uns – mit einem Abstand von 2000 Jahren – ist esnichts besonderes, dass Jesus als Sohn Gottes,Friedensfürst und Heiland bezeichnet wird.Vergleicht man die Weihnachtsgeschichte

     jedoch mit den Titeln, die Augustus zuge-schrieben wurden, wird die Brisanz deutlich.So heißt es in einer 9 v. Chr. entstandenenInschrift über den Kaiser: „Die Welt wäre demUntergang verfallen, wenn nicht in dem

    heute Geborenen für alle Menschen ein ge-meinsames Heil aufgestrahlt wäre ... JedemKrieg wird er [Augustus] ein Ende setzen undalles herrlich machen. In seiner Erscheinungsind die Hoffnungen der Vorfahren erfüllt.“Statt dem Kaiser dem Rabbi aus Nazarethdiese Titel zu geben bedeutet, dem kaiserli-chen Anspruch Grenzen aufzuweisen.

    Anhaltspunkte im Leben Jesu

    Ihren Anknüpfungspunkt hat diese Haltungdes Evangelisten im Wort Jesu über dieSteuermünze. „Gebt dem Kaiser, was demKaiser gehört, und Gott, was Gott gehört“(Lk 20,25). Natürlich stellt sich hier die Frage,woran sich bemisst, was Gott und was demKaiser gehört. Die Antwort wird vorher gege-

    ben: Die Münze gehört dem Kaiser, weil siedessen Abbild trägt. Konsequent müsste mansagen, dass all das Gott gehört, was sein Abbild

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    trägt, und das ist nach biblischer Auffassung

    auf jeden Fall der Mensch.

     Jesu Aufruf zur Bekehrung und zur Hinwen-dung zum Reich Gottes ist eine Sammlungs-bewegung. Alle Israeliten und später alleMenschen sind eingeladen, sich wieder in denHerrschaftsbereich Gottes zu begeben. Mitdieser Einladung ist nicht nur die Abwendungvom eigenen Fehlverhalten gemeint, sondern

    auch, sich unter den Schutz Gottes zu bege-ben, wann immer menschliche Würde inFrage gestellt und eingeschränkt wird. In der Hinwendung zu den Menschen am Rande der Gesellschaft wird daher der befreiendeCharakter von Jesu Wirken besonders deutlich.

    Die Bestätigung von staatlicher Herrschaft istalso nicht uneingeschränkt. Sie geschieht nur soweit, wie die weltliche Macht ihrerseits die

    eigenen Grenzen anerkennt und den GebotenGottes nicht widerspricht. Aus diesem Grundgeriet Jesus auch mit den staatlichen Herr-

    schern seiner Zeit in Konflikt, denn nur so ist

    zu erklären, dass sein galiläischer Landesherr Herodes ihm ausrichten lässt, er solle sichbesser aus seinem Machtbereich entfernen(Lk 13,31). Im Lukasevangelium endet dieseFlucht aus Galiläa in Jerusalem am Kreuz. Trotzallem, was dieses Evangelium über die Rollevon Pilatus schreibt, macht die Kreuzesin-schrift „König der Juden“ doch daraufaufmerksam, dass es schließlich auch um

    Herrschaftsansprüche ging.

    So muss das Leben von Christinnen undChristen nicht nur von der Weisung desRömerbriefes „Gebt allen, was ihr ihnenschuldig seid“ (Röm 13,7) geprägt sein, son-dern auch vom Widerstandswort der Apostel:„Man muss Gott mehr gehorchen als denMenschen“ (Apg 5,29). In diesem Spannungs-feld entfaltet die befreiende Botschaft von der 

    Herrschaft Gottes ihre Wirkung.

    Ralf Klein SJ

    „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört“:Goldmünzen mit einer Abbildung des Kaisers Nero (l.) und des Kaisers Marcus Aurelius (r.).

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    4  Jesui ten Schwerpunkt: Poltisch handeln

    Schwerpunkt

    Christentum undPolitikDie aktuellen Nachrichten liefern uns täglicheine Fülle von Informationen ins Haus – unddamit auch die Frage, wie wir uns den Pro-blemen von Arbeitslosigkeit, Umweltzerstö-rung, Turbulenzen auf den Finanzmärkten,

    Flüchtlingen, Verletzungen der Menschen-rechte, Hunger, Terror und Krieg gegenüber verhalten sollen oder müssen. Was bedeutendiese Fragen für uns als Menschen, als Chris-tinnen und Christen?

    Glaube ist politisch

    Wenn wir im Sonntagsgottesdienst das Glau-

    bensbekenntnis beten, wird mir bewusst, wiepolitisch christlicher Glaube ist:• Wer sich zu Gott dem Schöpfer bekennt,

    kann nicht gleichgültig sein gegenüberder Zerstörung der Schöpfung und einer unverantwortlichen Ausbeutung der Res-sourcen dieser Erde.

    • Wer sich zu Jesus Christus bekennt, der daszerstreute Volk Israel gesammelt hat, der 

    Zöllnern und Sündern in seiner Mitte einenPlatz gegeben, der Frauen respektiert undKinder zu sich gerufen hat, kann nichtgleichgültig sein gegenüber sozialen Kon-flikten, gegenüber Benachteiligung undAusgrenzung.

    • Wer sich zum Heiligen Geist bekennt,der das Angesicht der Erde erneuert, kannnicht gleichgültig sein gegenüber gesell-schaftlichen Umbrüchen, neuen sozialen

    Bewegungen und den Zukunftsfragen der Menschheit.

    Christlicher Glaube lebt so in der Spannungvon Glaubenserfahrung und gesellschaftlicher Verantwortung, von Mystik und Politik. Indiesem Sinn war und ist Christentum poli-tisch nicht neutral.

    Christsein im geschichtlich-gesellschaft-lichen Kontext

    Dass der Einfluss des Christentums auf diePolitik sehr unterschiedlich ist, wird für michim Vergleich neutestamentlicher Aussagen mitheutigen Möglichkeiten politischen Wirkensdeutlich.

    • Im römischen Reich waren die frühenchristlichen Gemeinden geduldete oder verfolgte religiöse Minderheiten, angepasstoder im Widerstand.

    • In parlamentarischen Demokratien vonheute können Kirchen ihre Überzeugungendurch öffentliche Stellungnahmen oder durch das Engagement von Christinnenund Christen in politischen Parteien, Inte-

    Grabmal von Papst Papst Leo XIII. in der Lateranbasilika, Rom

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    ressensvertretungen oder zivilgesellschaftli-

    chen Bewegungen einbringen.Möglichkeiten und Grenzen politischen Wir-kens der Kirchen als Glaubensgemeinschaftenentscheiden sich somit an ihrer Stellung im

     jeweiligen politischen System.Unterschiedlich waren und sind auch diegesellschaftlichen Fragen, die sich dem Chris-tentum stellten und stellen: in den Lebens-und Sozialformen einer Agrar- und Feudal-

    gesellschaft oder mit den technisch-ökonomi-schen Entwicklungen einer industriellen oder postindustriellen Gesellschaft.

    Die Entwicklung einer Soziallehre

    „Zeit-gerecht“ lautete der Titel einer Ausstel-lung im Museum Industrielle Arbeitsweltin Steyr, zu deren Gestaltung ich 1991 einge-

    laden war. 100 Jahre zuvor erschien dasSozialrundschreiben Papst Leos XIII. zur Ar-beiterfrage. Die industrielle Revolution im

    19. Jahrhundert mit ihren sozialen Folgen

    hatte eine neue Phase der Ausformulierungder sozialen Dimension der christlichen Bot-schaft bedingt. Nach und nach war deutlichgeworden, dass gesellschaftliche Verantwor-tung nicht mehr nur in karitativer Hilfe für einzelne Menschen in Armut bestehen konn-te. Die Verelendung der Arbeiterschaft undeine menschengerechte Entwicklung forder-ten strukturelle Antworten; sie warfen die Fra-

    gen nach gerechter Entlohnung, rechtmäßi-gem Eigentum, aber auch nach der Rolle desStaates und der Beteiligung an sozialen Bewe-gungen auf.Seither wurde die katholische Soziallehre inAuseinandersetzungen mit den Fragen der

     jeweiligen Zeit weiterentwickelt: weltweit inden Sozialrundschreiben der Päpste und vor Ort mit ortskirchlichen Stellungnahmen. InÖsterreich konnte ich dies im Prozess der

    Vorbereitung des Sozialhirtenbriefes 1990miterleben: In zahlreichen Diskussionsveran-staltungen mit Vertretern von Politik und

       F  o   t  o  :   k  s  o  e   /   B   l  o   d  e  r  e  r

    Pressekonferenz zu „5 Jahre Sozialwort. Eine Initiative der christlichen Kirchen in Österreich“ im Oktober, 2008. Teilnehmer(v.l.n.r.): Alois Riedlsperger SJ; Severin Renolder, Sozialreferat der Diözese Linz; Waltraut Kovacic, Direktorin der EvangelischenAkademie Wien; Metropolit Erzbischof Dr. Michael Staikos, Griech.-Orient. Metropolis von Austria; Herwig Sturm A.B., Vorsitzenderdes Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich; Wilhelm Nausner, Superintendent der Evangelisch-Methodistischen Kirche

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    6  Jesui ten Schwerpunkt: Poltisch handeln

    Interessenorganisationen ging es um das rech-te Verstehen der gesellschaftlichen Herausfor-derungen und eine soziale Gewissensbildungfür Wirtschaft und Politik.Kirchliche Stellungnahmen beabsichtigendabei nicht, wirtschafts- oder sozialpolitischeRezepte anzubieten. Vielmehr wollen siebestehende Fehlentwicklungen aufzeigen undmit ihren Leitideen der Personalität, desGemeinwohls, der Solidarität und der Subsi-diarität Orientierung geben für ein verant-wortliches Handeln in Bezug auf Umwelt,Mensch und die Zukunft der Gesellschaft.

    Vor neuen Herausforderungen

    Gegenwärtig konfrontieren uns Nachrichtenüber die Folgen des Klimawandels und der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise mit tief greifenden Fehlentwicklungen in Wirtschaftund Politik. Diese Probleme zeichneten sichbereits ab, als Anfang 2000 die 14 christlichenKirchen in Österreich das Projekt „Sozial-wort“ starteten und die Katholische Sozial-

    akademie Österreichs mit der Koordinationbetrauten. Als Ergebnis des mehrjährigenDiskussionsprozesses wurde deshalb bereits indem Ende 2003 erschienenen ÖkumenischenSozialwort ein neues Leitbild des Wirtschaftensgefordert und von der Regierung erwartet,die Regulierung der Finanzmärkte voranzu-treiben – begleitet von einem Reformprozessinnerhalb internationaler Institutionen. Zu-

    dem wurde die Aufgabe für Wirtschaft undPolitik formuliert, das Prinzip der Nachhaltig-keit zu verankern und auf ökologische undsoziale Standards zu achten. Eine Evaluationfünf Jahre danach zeigt, dass die Anliegen desSozialworts aktueller sind denn je.Mit Orientierung in Richtung eines gutenund menschenwürdigen Lebens für alle (auchder kommenden Generationen) stellen sichsomit die Fragen nach grundlegenden Refor-

    men in Wirtschaft und Politik. Ihre Schwer-punktthemen sind eng miteinander verknüpftund müssen mit den kommenden sozialen

    Stellungnahmen in die politische Auseinan-dersetzung eingebracht werden:• Die Frage einer neuen Architektur der

    Finanzmärkte mit festen Regeln, damit sieder Realwirtschaft dienen und nicht sichverselbständigen.

    • Die Frage von Global Governance alsSteuerung der globalen Fragen mit Hilfeentsprechender politischer Instrumentarienund Institutionen.

    • Die Frage einer nachhaltigen Entwicklungals soziales Thema im Blick auf die Lebens-möglichkeiten aller Menschen und auch der künftigen Generationen.

    Glaubwürdig durch die Praxis

    Wie ich bei politischen Diskussionen undInterviews für Medien immer wieder erfahre,sind kirchliche Stellungnahmen zu gesell-schaftlichen Fragen nur dann glaubwürdig,wenn erkennbar wird, wie die Kirchen ihre ei-gene Praxis an den Anliegen der sozialen Bot-schaft ausrichten und dafür wirksame Zeichen

    setzen: z.B. im Blick auf eine gerechtereGestaltung der Finanzwirtschaft durch ethi-sche Geldanlage seitens kirchlicher Einrich-tungen oder im Sinn der Schöpfungsverant-wortung durch Ressourcen schonendesWirtschaften.

    So wurden auch bei Präsentation und Eva-luation des Ökumenischen Sozialworts immer 

    konkrete soziale Initiativen aus den christlichenKirchen vorgestellt: Projekte mit Arbeitslosen,Flüchtlingen, behinderten Menschen, Dritte-Welt- und entwicklungspolitische Aktionen,Friedens- und Umweltinitiativen.

    Die Vielfalt der Probleme erfordert eine Viel-falt von Beiträgen. In ihnen übernehmenChristinnen und Christen auf unterschiedli-che Weise Verantwortung für die Gestaltung

    der Welt. Denn: Christentum ist politisch.

    Alois Riedlsperger SJ

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    Schwerpunkt

    Institutionenhaben GewichtWer politischen Einfluss sucht, muss eigeneIdeen und Projekte, eine eigene Agenda oder Ziele haben. Ansonsten wird er oder sieschnell zum Knecht des „Politik-Betriebs“, indem es nicht unerheblich um „politische

    Macht an sich“ geht. Für mich besteht hier ei-ne Analogie zu erfolgreichem Fundraising:Wer angestrengt nach einer Idee oder einemProjekt sucht, nur um an die Unterstützungeines Wohltäters oder an die finanziellen Mit-tel eines bestimmten „Topfes“ heran zu kom-men, der ist nicht mehr dem Geld gegenüber frei, sondern bereits dessen Diener.Wenn ich an uns Jesuiten denke, bin ich daher eher zurückhaltend, wenn es darum geht, ob

    wir nach Berlin oder Brüssel gehen sollten,um dort politischen Einfluss auszuüben, bloßweil wir Jesuiten sind. Wer nach Einladungenschielt, nur um bei den vermeintlich wichti-gen Empfängen dabei zu sein, ist innerlichschon nicht mehr frei. Das betrifft mich selbstund ich weiß um die entsprechende Versu-chung. Der Politik- und Medienbetrieb lebt janicht ganz unwesentlich von Eitelkeit und

    von der Tatsache, dass es tatsächlich einmalsinnvoll sein kann, den einen oder die anderekennen zu lernen.Ich bin überzeugt: Wer sich müht, politischenEinfluss oder Macht zu gewinnen, sollte sichin die entsprechenden Institutionen undStrukturen begeben, die in einem demokrati-schen Rechtsstaat dafür vorgesehen sind,nämlich Parteien, Verbände, Gewerkschaftenusw. Dort gilt es, Mehrheiten zu gewinnen

    und auf diese Weise Gestaltungsmacht zu er-ringen. So „ausgestattet“ kann er oder siedann die nächst höhere Ebene (Parlament

    oder Dachverband) gestalten oder den politi-schen Gegner stellen.Politischer Einfluss, so unscharf dieser Begriff ist, wächst interessanter Weise oft dem zu, der 

    gar nicht ausdrücklich danach sucht. Beson-ders deutlich wird das in Institutionen, die inder Lage sind, ein Milieu, eine Kommuneoder ein bestimmtes Thema zu prägen. Mitdieser Gestaltungsmacht ist dann auch kon-krete Verantwortung verbunden, die über Ei-geninteressen hinausgeht. Institutionen sindbereits als solche politisch und müssen es nichterst werden wollen. Unsere Jesuiten-Schulen

    sind da ein gutes Beispiel. Eine Internatsschu-le wie das Kolleg St. Blasien hat politischesGewicht in der Stadt St. Blasien, womöglichauch im Landkreis – einfach, weil sie da ist. AlsKultur- und Bildungsträger wirkt das Kollegüber den eigenen Tellerrand hinaus: als Arbeit-geber und als kirchliche Institution, vor allemaber durch die Art und Weise, öffentlich zuagieren, „Wohlgeruch“ zu verbreiten (2 Kor 2,15) und den Menschen zu dienen.

    Johannes Siebner SJ

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    Der Parlamentssaal im Reichstagsgebäude in Berlin

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    8  Jesui ten Schwerpunkt: Poltisch handeln

    Schwerpunkt

    Politische Beratungund ignatianischesDenken

    Politikberatung gehört nicht zum Kernge-schäft des Jesuitenordens. Und doch gab es

    immer wieder Jesuiten, auf deren Rat Politi-ker großen Wert legten. Ein prominentes Bei-spiel ist Oswald von Nell-Breuning, der mitseinen Beiträgen zur katholischen Soziallehredie Neugierde Helmut Schmidts weckte unddiesen in Fragen der Sozialpolitik beriet. Auchdessen Nachfolger Helmut Kohl schätzte sei-nen Rat.

    Indifferenz

    Das Verhältnis dieses Beraters zu den Bundes-kanzlern wies eine Dimension auf, die wir ausden ignatianischen Exerzitien kennen, die„Indifferenz“: „Der die Übungen gibt, sollsich ... weder zu der einen Seite wenden oder hinneigen noch zu der anderen, sondern in

    der Mitte stehend wie eine Waage unmittelbar den Schöpfer mit dem Geschöpf wirken las-sen und das Geschöpf mit dem Schöpfer undHerrn“ (GÜ 15). Auf die Beratungssituationübertragen heißt das: Der Berater lässt erstensdem Beratenen die Freiheit der Entscheidung;und zweitens identifiziert er sich nicht mitihm. Hierbei ist natürlich klar, dass nur ethischvertretbare Möglichkeiten in Betracht kom-men. Geistige Unabhängigkeit ist die Voraus-

    setzung für eine kluge, unbefangene Ent-scheidung („sanum iudicium“), und jene„ungeordnete Abhängigkeit“ des Beraters, die

    das Gespräch und das Nachdenken stört,verhindert sie. Offenbar beruhte das Ansehenvon Nell-Breuning bei den Kanzlern nebenseiner Kompetenz entscheidend auf der kon-sequenten Beachtung dieser Regeln.Politiker in der Demokratie suchen dieZustimmung der Öffentlichkeit und die Profi-lierung gegenüber dem politischen Gegner – von Waage keine Spur. Insofern überrascht,dass sie die Tugend der Indifferenz nicht unbe-rücksichtigt lassen. Und es spricht für das For-mat der Kanzler, dass sie sich in ihren Beratun-gen der Indifferenz geöffnet haben, um zueiner bestmöglichen Begründung ihrer Ent-scheidungen zu gelangen und um dann auch

    in der Öffentlichkeit den Erfolg beim Wahl-volk einzufahren. Nicht allen gelingt es, dieseSpannung auszuhalten. Es fällt aber auf, dassviele erfolgreiche Politiker am Beginn ihrer Karriere schnell in dem Ruf standen, sich mitguten, kritischen Beratern zu umgeben undderen Widerspruch geradezu einzufordern.

    Diskretion

    Ein zweites Element erfolgreicher Beratung,das wir aus den Exerzitien kennen, ist dieDiskretion: Was im „forum internum“ ausge-tauscht wird, bleibt vertraulich. Nur so kanndas Gespräch frei und fruchtbar sein. In die-sem Punkt sind gute Berater ebenso sensibelwie gute Politiker. Bisweilen legen Politiker sogar Wert darauf, dass die Tatsache der Bera-

    tung geheim bleibt. Ein Beispiel ist das noto-rische Schweigen von Redenschreibern über ihre Tätigkeit (die ja auch Beratung ist).Häufig treten in der Öffentlichkeit Persön-lichkeiten in Erscheinung, die der PolitikRatschläge erteilen oder sie analysieren. Der Sprachgebrauch nennt sie oft politischeBerater; tatsächlich sind sie Publizisten, da siesich primär an die (Medien-)Öffentlichkeitrichten. Auch Politikberatern gelingt es nicht

    immer, der Versuchung des öffentlichenAuftritts zu widerstehen. Politischer Beratungtut das nicht gut.

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    An anderer Stelle geschieht der öffentlicheAuftritt mit Willen des Politikers. Dies ist z.B.das Privileg der Pressesprecher. Sie beratennach innen und unterrichten nach außen dieÖffentlichkeit im Sinne ihres Auftraggebers.Ihre Arbeit ist demokratisch geboten. EinenSchritt weiter gehen die viel zitierten „SpinDoctors“, die versuchen, die Interpretationender Medien zu beeinflussen. Ob das legitim

    ist, sei dahingestellt. Mit dem Geist der Indif-ferenz politischer Beratung hat es aber nichtsmehr zu tun.

    Der Foyerkreis

    Die extreme Gegenposition, radikale Indiffe-renz, nehmen Gesprächskreise ein, in denenVertreter unterschiedlichster Richtungen aus

    Politik und Gesellschaft zu aktuellen politi-schen Grundsatzfragen zielorientiert diskutie-ren. Ein Beispiel dafür ist das vor 20 Jahren in

    Bonn gegründete und heute in Berlin ansässi-ge „Foyer der Jesuiten“, in dem Patres zusam-men mit katholischen Laien aus dem Umfeldvon Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Kir-che (der sog. „Foyerkreis“) Gesprächsabendeveranstalteten. Das Prinzip der Waage ist hier auf die Spitze getrieben: Der Foyerkreis willnicht Berater sein, sondern setzt nur denDiskussionsprozess in Gang und steuert ihn

    durch Moderation. Die Teilnehmer, zu denenauch immer wieder Bischöfe und hochrangigePolitiker gehören, suchen gemeinsam die best-mögliche Antwort. Das Ergebnis bestimmensie frei. Inzwischen haben sich die Jesuiten ausdem Foyer zurückgezogen. Aber auch jetzt istder Foyerkreis eine anschauliche Form politi-scher Gesprächskultur aus dem Geiste desHl. Ignatius – und wegen der – auch partei-politischen – Offenheit und der Diskretion bei

    den Politikern geschätzt.

    Bernhard Vogt

    Politik und Kirche im Gespräch im Katholischen Büro in Berlin im Juni 2008 (v.l.n.r.): Erzbischof Werner Thissen, Hamburg;Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz; Hans Langendörfer SJ, Sekretär der DBK;Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz

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    10  Jesui ten Schwerpunkt: Poltisch handeln

    Schwerpunkt

    Von Demokratieund SommerlagernVon Winston Churchill ist der Spruch über-liefert, Demokratie sei die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von allenanderen. Demokratie ist anstrengend, aber sieist die einzige Form, alle Menschen in die

    Verantwortung zu nehmen. Auch Jugend-verbände leben von demokratischen Entschei-dungsprozessen. Gemeinsam wird beraten,entschieden und gewählt. Dabei gibt es all dieDinge zu sehen, die solche Entscheidungenbegleiten: Satzung, Tagesordnung und Verfah-rensordnung; Anträge, das Protokoll und seineVerabschiedung. Vereinsmeierei könnte mandas nennen. Aber spätestens, wenn ein Jugend-licher das erste Mal in der Minderheit ist und

    sich mit seinem Vorschlag zu den Sommerla-gern trotzdem Gehör verschaffen will, weiß er das alles zu schätzen: Jeder kann so gleichbe-rechtigt gehört werden und die Kraft der lau-ten Stimme, des schnellen oder vielen Redensniemanden an den Rand drängen. Jugendver-bände brauchen diese Verfahrensdemokratie.Denn hier sitzen Freunde nebeneinander. Undwenn man sich jugendlich zu einem Thema in

    Rage geredet hat, dann hilft das Verfahren, da-mit danach keine böse Stimmung überbleibtoder jemand – vielleicht unabsichtlich – nie-dergestimmt wird. Die Voraussetzung dafür ist

     jedoch, dass die Entscheidungen wirklich zäh-len. Es darf keine Instanz geben, die das dannnoch einmal aufhebt und herablassend sagt:Das sei ja alles ganz schön, aber bereits auf ir-gendeiner „wichtigeren“ Ebene anders ent-schieden worden. Demokratie ist eben kein

    Spiel, sondern echtes Leben.

    Bernd Hagenkord SJ

    Schwerpunkt

    Flüchtlingen eineStimme gebenLobbyarbeit hat gemeinhin einen negativenBeigeschmack. In einer Lobby tummeln sichInteressenvertreter, die mit allerlei Annehm-lichkeiten versuchen, Politiker für ihr Partiku-larinteresse einzuspannen, um deren Entschei-

    dungen zu beeinflussen. Machen wir indiesem Sinne Lobbyarbeit? Sicherlich nicht.Aber ich bin überzeugt, dass wir Christen unsin die Gestaltung der Gesellschaft und auchder konkreten Politik einmischen müssen.Denn der christliche Glaube ist kein abstrak-tes dogmatisches System und keine Weltan-schauung, sondern Nachfolge Jesu. Gottes-dienst ist immer auch Dienst an denMenschen und am Aufbau einer gerechteren

    Gesellschaft. Wenn sich der Jesuiten-Flücht-lingsdienst bei anstehenden Gesetzesvorhabenim Ausländerrecht öffentlich zu Wort meldet,dann tun wir dies als Anwälte für Menschen-würde und Humanität. Konkret: Wir sprechenmit den Politikern, den Beamten und den ver-schiedenenInteressengruppen und versuchen bei dieser Gelegenheit, unsere Position deutlich zu

    machen. In diesem Sinne sind wir Lobbyistenfür Flüchtlinge und Migranten. Wir versuchenihre Anliegen zu Gehör zu bringen, in gebün-delter und wohl überlegter Form, und niemalsohne die Interessen der Allgemeinheit, dasGemeinwohl außer Acht zu lassen. Dies erfor-dert Kompetenz und Unterscheidung.

    Der Apostel Paulus schreibt, er sei den Judenein Jude geworden (1 Kor 9,20), um möglichst

    viele zu gewinnen. In der Flüchtlingsarbeitmuss ich immer wieder wie ein Jurist spre-chen. Eine meiner ersten und wichtigsten

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    Erfahrungen dabei war, dass die Wirklichkeitweder weiß noch schwarz ist, sondern meis-tens aus einem mehr oder weniger hellen oder dunklen Grau besteht. Nur die wenigstenFälle, über die wir in der Berliner Härtefall-kommission verhandeln, sind klar und eindeu-tig. Immer gibt es bei dem konkreten Men-schen, um den es geht, gute Argumente, die für sein Bleiberecht in Deutschland sprechen: einlangjähriger Aufenthalt etwa, der Zusammen-halt in der Familie oder die Schulbildung.Meistens stehen aber genauso Argumentedagegen: Oftmals sind dies Strafsachen ausfrüher Vergangenheit wie versuchte Vertu-schung der Identität oder Verurteilung einzel-

    ner Familienmitglieder. Dann gilt es abzuwä-gen, und dies ist niemals leicht.

    Was das eigene Argumentieren erleichtert, istdie Offenheit für den Blick und das Interesseder Gegenseite. Kein Argument ist effektiver,als wenn ich selbst die Ausländerbehörde auf ihren Fehler aufmerksam machen und darle-gen kann, dass jemand doch einen Rechtsan-spruch auf einen Aufenthalt hat. Wichtig ist es,

    im Gespräch zu bleiben. Idealerweise könnenUnterschiede in der Sache ohne Gesichtsver-lust für den jeweils anderen benannt werden.Wenn ich jedoch meine Argumente absolutsetze und dem anderen keine andere Möglich-keit zu handeln zugestehe, dann riskiere ich,ideologisch aufzutreten und ein Gespräch auf Dauer zu verunmöglichen.

    Flüchtlingen und Migranten eine Stimme zugeben, für die Rechte von Menschen auchunabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ein-zutreten – das bedeutet dicke Bretter zu boh-ren. Es erfordert Geduld und einen langenAtem. Ich glaube aber, dass ein solcher Einsatz

    unsere Kirche langfristig auch glaubwürdiger macht. Für Menschen, die ansonsten mitKirche keinerlei Kontakt haben, macht er deutlich sichtbar, dass es uns in erster Linie umdie Menschen und nicht so sehr um das eige-ne institutionelle Überleben geht.

    Martin Stark SJ

    Georg Kardinal Sterzinsky im Gespräch mit Abschiebehäftlingen nach der Segnung der neuen Kapelle in der Haftanstalt

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    Schwerpunkt

    Die Versuchungunpolitisch zu sein

    Am 25.10. und 27.10.2008 wurden zwei Jesuiten in Moskau ermordet. Unmittelbar nach ihrer Ermordung erschienen in der rus-sischen Presse verleumderische Berichte über 

    die ermordeten Mitbrüder, die sie in krimi-nelles Milieu tauchten. Dem Mord wurde der Rufmord hinzugefügt. Die deutsche Bericht-erstattung orientierte sich an den Berichtenaus Moskau und titelte sinngemäß: „Morde an

     Jesuiten – vermutlich keine politischen Hin-tergründe.“ Das Entsetzen über diesen Vor-gang mündete in Berlin eine Woche später ineine Mahnwache vor der russischen Botschaft.200 Freunde und Freundinnen des Ordens

    protestierten zusammen mit Jesuiten und füh-renden Repräsentanten der katholischen Kir-che gegen die Verleumdung der Mitbrüder und gegen die Diffamierung des Wirkens der katholischen Kirche in Russland. Wir hatten unsentschlossen, politisch zu reagieren, öffentlich.

    Bedenken

    Auf dem Weg zur Mahnwache bewegten unszeitweise einige nahe liegende Argumente, dieuns vor dieser Form des Auftretens warnten.Sie meldeten sich in Form von innerenBedenken oder als Ansprache von außen. Daserste Bedenken lautete: „Ihr gefährdet diekatholischen Ordensleute in Moskau, wennihr politisch auftretet. Denn die Behördenkönnten auf eure Mahnwache ungehalten

    reagieren.“ Die Sorge in diesem Argumentteilten wir. Manchmal können Sorgen auchberechtigt sein. Gefährden wollten wir natür-

    lich niemanden. Andererseits: Sollten wir unsder Gewalt beugen?

    Als nächstes wurde der Ratschlag gegeben:„Macht Druck, aber nicht öffentlich, sondernüber diplomatische Kanäle und Kontakte.“Dahinter steckte die Vorstellung, dass man indieser Situation mehr für die Betroffenen

    bewirken könne, wenn man in den Vorzim-mern der Politik agiert. Auch tauchte dieÜberlegung auf, man verbaue sich Einwir-kungsmöglichkeiten, wenn man jetzt lautwird. Aber das Gegenteil schien uns mindes-tens genauso wahrscheinlich zu sein: Je eher wir bereit sind zu demonstrieren, desto mehr werden wir auch in Hinterzimmern undAmtsstuben wahrgenommen werden, in denen

    einflussreiche Leute sitzen.

    Schließlich erfolgte der Hinweis: „Ihr seidnicht zuständig.“ Unter den „Zuständigen“konnten viele verstanden werden: Die Ermitt-lungsbehörden in Russland, die Kenner der Szene, die Russlandexperten, die Oberen, diePolitiker. Andererseits aber kannten wir die er-mordeten Mitbrüder. Und es waren Mitbrüder.Allein schon daraus ergab sich eine Zuständig-

    keit. Oft stehen die im engeren Sinne „Zustän-digen“ unter Zwängen, die sie weniger freimachen als uns, die wir gerade nicht im Sinne

    Klaus Mertes SJ übergibt das Schreiben an die Russische Botschaft

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    eines Amtes verantwortlich sind. Und unter den Zuständigen gibt es ja vielleicht auch eini-ge, denen wir helfen, wenn das Schweigen zuden Verleumdungen durchbrochen wird.

    Dem Ruf folgen

    Dies ist nur eine Auswahl aus einer Vielzahlvon Bedenken, die den Weg zur Mahnwachesäumten. Nachträglich haben wir sie als „Ver-suchungen“ eingeschätzt. Damit ist nichtgesagt, dass die Einwände falsch und unbe-rechtigt waren. In unserer Suche nach einer angemessenen Reaktion auf die schlimmenMorde und Rufmorde machten sie uns aber eher Angst. Die Lehre von der Unterschei-

    dung der Geister besagt, dass auch bedenkens-werte und gut gemeinte Überlegungen zuVersuchungen werden können. Am Anfanghatte ein „Ruf“ gestanden: das Entsetzen über den Rufmord von Mitbrüdern. Dieses Entset-zen blieb und bleibt. Gewiss kann es gelegent-lich richtig sein, eigenes öffentliches Agierenzu unterlassen, um Menschen nicht zu gefähr-den, effektivere aber stille Wege zu gehen,oder zunächst „die Zuständigen“ handeln zu

    lassen. Aber es blieb für uns die Tatsacheausschlaggebend, dass der Rufmord einöffentlicher Vorgang war und deswegen eine

    öffentliche Reaktion erforderte. Schweigenkönnte in solchen Fällen auch als Zustim-mung gedeutet werden.

    Politische Reaktion

    Die russische Botschaft hat bis heute auf den

    Aufruf der Demonstrierenden in Berlin nichtreagiert. Immerhin wurde die Berichterstat-tung in Deutschland über die Morde inMoskau differenzierter. Niemand unterstellt,dass die Morde von oben befohlen wordensind. Doch das ist kein hinreichender Grund,ihnen und der sich anschließenden Berichter-stattung jeglichen politischen Zusammenhangabzusprechen. Gerade deswegen war und

    bleibt eine öffentliche Reaktion auf dieMorde in Moskau notwendig.

    Das Kapitel ist noch nicht abgeschlossen. Innächster Zeit steht der Prozess gegen dengeständigen angeblichen Täter an. Wir hoffenund drängen weiter darauf, dass es beim Pro-zess unabhängige Beobachter und Berichter-statter geben wird, die an echter Aufklärunginteressiert sind. Das sind wir den Ermordeten

    schuldig.

    Klaus Mertes SJ

    Mahnwache vor der Russischen Botschaft in Berlin

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    14  Jesui ten Schwerpunkt: Poltisch handeln

    Schwerpunkt

    KandidierenVerantwortung wahrnehmen in der und für die Gesellschaft: Dieser Wunsch steht amBeginn eines tätigen politischen Lebens, vor allem dann, wenn ein öffentliches Amt in der Politik übernommen werden soll. Aber dieser Wunsch führt nicht unmittelbar in eine aktive

    Tätigkeit, denn die Demokratie verlangt, dasssich Menschen, bevor sie ein Amt erhalten, ei-ner Wahl stellen.

    Wahlen finden oft statt. Wir haben uns darangewöhnt, aber ein selbstverständlicher Schrittist das für den Einzelnen dennoch nicht. Esverlangt, sich über eigene Ziele, eigene Wün-sche und auch eigene Unsicherheiten Klarheitzu verschaffen. Das gerne öffentlich gepflegte

    Vorurteil, Politiker seien nur auf ihren eigenenVorteil bedacht und wollten eine bequemeKarriere machen, trifft auf die Einzelnen, diekandidieren wollen, nicht zu. Denn eine Kar-riere in der Politik unterliegt vielen Risikenund es bedarf nicht zuletzt der Bereitschaft,sein weiteres Leben ins Licht der Öffentlich-keit zu stellen. Das ist bereits eines der Aus-schlusskriterien, denn das liegt nicht jedem

    Menschen. Ein zweites Kriterium ist, ob jemand die Möglichkeit sieht, seine inhaltli-chen Ziele in einer Partei zu vertreten, d.h. ineinem großen und von vielfältigen Interessenbestimmten Kreis. Für jede verantwortlicheTätigkeit in unserer Gesellschaft gilt, dass nie-mand alleine Erfolge erringt. Doch an wenigenStellen wie in der Partei wird so deutlich, dasses nur in Gemeinschaft gelingen kann, etwas zuerreichen. So will wohl überlegt sein, ob sich

     jemand mit einer Kandidatur für ein politi-sches Amt auf dieses immer notwendige Rin-gen um Zustimmung – in der Partei und in

    einer größeren Öffentlichkeit – einlassen will.Ein politisches Amt ist kein Ort für Einzel-kämpfer.

    Das spürt die Kandidatin bereits beim erstenSchritt in der sehr begrenzten Öffentlichkeitder Wahlversammlung der Partei. Die Mitglie-der, denen man sich dort stellt, mögen vertrautsein, doch wie sie in einer geheimen Wahl ent-scheiden werden, ist offen. Die Unsicherheitüber den Ausgang ist in den verschiedenen

    Parteien unterschiedlich hoch, aber er bleibtimmer ungewiss. Sich konkret zur Wahl zu stel-len, ist ein Schritt ins Offene. Da steht plötzlichvor aller Augen jemand, der nun nach dem, waser bislang getan hat, und nach dem, was er vor-hat, beurteilt werden wird. Für dieses Urteilspielt es eine große Rolle, welchen Eindruck er als Person erweckt. Das erfordert Selbstbe-wusstsein und das erfordert auch Stärke, denn eskann ja auch sein, dass er keine Mehrheit erhal-

    ten wird. In einer solchen internen Wahl sindSieg und Niederlage offen und beide Ergebnis-se wirken sehr unmittelbar auf die Personzurück. Schwerer wird es natürlich, wenn dieWahl in einer Niederlage mündet: Hat die Kan-didatin nicht den richtigen Ton getroffen? Hatsie nur nicht überzeugen können, hat sie Kritikauf sich gezogen oder nur die Zuneigung nichtgewinnen können? Eine Vielzahl von Fragen,

    die naturgemäß nicht alle nach einer geheimenWahl beantwortet werden können.

    War dieser erste Schritt erfolgreich, dann wirddie nächste Kandidatur öffentlicher ablaufen,nämlich auf der Liste der Partei. Das bedeuteteine Vielzahl von Veranstaltungen, auf der der Kandidat Rede und Antwort stehen muss, undFlugblätter und Plakate werden gedruckt. Wieviel Aufmerksamkeit ein Kandidat erregt,

    hängt dann von seinem Platz auf der Liste abund natürlich von der Bedeutung der Partei. Jegrößer eine Partei, umso weniger wird auf die

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    Menschen auf den hinteren Listenplätzengeachtet. In den Wahlkreisen hingegen spielendie Kandidaten eine größere Rolle. Dort ste-hen sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.Dort stellt sich dann erneut die Frage, ob sieMenschen für sich gewinnen können undüberzeugen. Aber der Erfolg wird nicht mehr von einzelnen Menschen abhängen, sondernvon der Rolle der Partei, und er wird davonbestimmt sein, wie sich die Partei in derVergangenheit und im aktuellen Wahlkampf 

    präsentiert hat und ob sie viele Stimmen auf sich ziehen kann.

    Kandidieren ist damit eine höchst öffentlicheAngelegenheit. Das macht das Kandidierenschwerer als etwa eine Bewerbung um eineArbeitsstelle, denn mehr Menschen entschei-

    den über die Kandidatur als z.B. der einzelnePersonalchef eines Unternehmens. Auch sinddie Kriterien weniger gut identifizierbar undstärker mit der Person der Kandidierendenverwoben. Das verlangt eine große innereStärke. Diese Stärke kann man durch Eitelkeitentwickeln, aber das wird nicht lange tragen.Entscheidender ist eine Kraft, die sich aus demstarken Gefühl vonVerantwortung und Zunei-gung zu den Menschen speist, für die man sichpolitisch engagieren will. Zu kandidieren ist

    damit nicht nur der erste Schritt zum ange-strebten Amt. Es ist auch der erste Prüfsteindafür, ob jemand sich zutraut, öffentlich fürseine Ziele einzutreten, und dafür, ob er diePersönlichkeit hierzu ist.

    Andrea Fischer

    Wahlliste für die Briefwahl zur Bundestagswahl

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    Schwerpunkt

    Impulse fürWirtschaft undGesellschaftIgnatianische Anregungen fürVerantwortungsträger

    Kann Spiritualität etwas mit gesellschaftli-chem Engagement zu tun haben oder gardazu inspirieren? Die folgenden acht Einsich-ten aus der ignatianischen Spiritualität sindhierzu bemerkenswert.

    1. Genügend Schlaf 

    Eine Banalität? Wer chronisch hektischen

    Menschen begegnet, weiß wie abstoßend einesolche Begegnung sein kann: Wir werden vomanderen kaum wahrgenommen, höchstensinstrumentalisiert. Genügend Schlaf, dieseRegel, die ein erfahrener Exerzitienmeisterallen Jesuiten mit auf ihren Weg als Seelsorger gibt, ist sicher auch eine goldene Regel für Verantwortliche in Wirtschaft und Gesell-schaft. Unseren Mitmenschen aufmerksam zu

    begegnen ist für Verantwortungsträger undSeelsorger der erste wertvolle Dienst, den wir unseren Nächsten leisten können.

    2. Unser Leben unterbrechen lernen

    Von Johann Baptist Metz stammt das Diktum,die kürzeste Definition von Religion sei„Unterbrechung“. Unsere Religion hat mitihrem Wissen um die conditio humana unddie Notwendigkeit von Rhythmen das

    Unterbrechen unseres Alltages als wichtigekulturelle Errungenschaft erkannt. Die wach-senden Möglichkeiten zu Mobilität und

    Kommunikation verdichten unseren Alltagimmer mehr. Umso wichtiger ist es daher,Unterbrechungen zu leben und damit wieder Distanz zu gewinnen und die Beziehungenwieder lebendig werden zu lassen, aus denenwir leben: unsere Beziehungen zu unserenMitmenschen und zu Gott.

    3. Worum geht es mir? Prinzip und Fundament 

    meines Engagements

    Bei jungen Erwachsenen, die sich überlegen,

    institutionelle Verantwortung zu überneh-men, steht oft eine bewusste oder unbewussteÜberzeugung, „sich für eine Sache engagierenzu wollen“, so z.B. zu Fragen der Integration,der Bildung oder des nachhaltigen Wirtschaf-tens. Ist einmal der Einstieg geschafft, werdenGrundfragen oder Grundüberzeugungen leichtvom Ringen mit dem aktuellen Tagesgesche-hen überdeckt. Die Dynamik eines „Prinzipund Fundament“ meines Tuns kann den Ver-

    antwortlichen helfen, sich in regelmäßigenAbständen immer wieder neu zu orientieren:Für welche Grundoptionen stehe ich, fürwelche Grundwerte setze ich mich ein? Ineinem zweiten Schritt kann dann geprüftwerden: An welchem Ort oder in welchemBereich kann und will ich mich in diesemAnliegen engagieren?

    4. „Discreta caritas“ – kluge Liebe Dieser Ausdruck bringt die ignatianischeHaltung zur Welt auf den Punkt. Kluge Liebeschaut die Wirklichkeit mit Achtung an. Sienimmt die Welt wahr, wie sie ist; nicht wie siesein sollte oder könnte. Der liebevolle Blicksucht das Gute und Schöne zu sehen, ohne dasBöse und Hässliche beiseite zu drängen. Klug-heit ist bei Ignatius die Gabe der Unterschei-dung der Geister. Wer der Welt klug begegnet,

    wahrt ihr gegenüber die nötige Distanz undFreiheit und er engagiert sich für sie mitLeidenschaft und Hingabe.

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    5. Unterscheidungskriterien

    Als Unterscheidungsregeln gibt uns Ignatiusverschiedene Kriterien an die Hand, die auchim gesellschaftspolitischen Raum ihre Bedeu-tung haben. Mit Blick auf meine begrenzten

    Ressourcen an Zeit, finanziellen Mitteln undemotionaler Kraft muss ich mich immer wie-der neu entscheiden und eventuell begrenzen.Dabei helfen Fragen wie: Wo ist in meinemHandlungsbereich die größere Not? Was er-kenne ich als das höhere Gut? Und was leistetden universaleren Dienst?

    6. Freude und Interesse am Menschen

    Seinen Exerzitienbegleitern legt Ignatius ansHerz, die Begleitung des Exerzitanten mitFreude und Interesse zu übernehmen. DieFreude an der Begegnung ist die Vorausset-zung für eine geistliche Begleitung von Men-schen. Dies scheint mir auch eine Vorausset-zung für ein Engagement zu sein, in dem wir viel mit Menschen zu tun haben. Für wenetwa die Begegnung mit Menschen nacheinem arbeitsreichen Tag schlicht eine Qual ist

    und wer bei einem „Bad in der Menge“ nichtauch Kraft und Freude schöpfen kann, wirdsich auf Dauer schwer tun.

    7. Umgang mit Scheitern

    Scheitern gehört zum Leben dazu. Ignatius rätuns, gerade in den Momenten, in denen „esuns gut geht“, uns auch der Möglichkeit vonMisserfolgen, Scheitern bewusst zu sein. Igna-

    tius lädt uns damit ein, uns unabhängig zu ma-chen von Erfolg und Misserfolg. UnserenSelbstwert und unseren Selbststand sollen wir nicht aus unserer Arbeit ziehen, sondern ausden Beziehungen, aus denen heraus wir leben

     – nicht zuletzt aus der mit Gott.

    8. Gott sendet 

    Ignatius ist von einem trinitarischen Gottes-

    bild geprägt und begeistert. So wie der Vater und der Hl. Geist den Sohn senden, so weißIgnatius sich in die Nachfolge des Sohnes be-rufen. Auch der Christ mit Verantwortung inWirtschaft und Gesellschaft ist eingeladen, sei-ne eigene Sendung zu erspüren. Auch ihm istaufgetragen, den einen Geist im Handeln an-derer zu entdecken. So ist er gerufen, das ei-gene Tun immer wieder an dem Handeln von

     Jesus aus Nazareth auszurichten.

    Tobias Karcher SJ

    Ignatius Vision von La Storta, Gemälde von S. Conca, um 1750, Universität Salamanca

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    Kurz-ZeugnisseWarum ich mich als Jesuitpolitisch engagiere

    Politisches Enga-gement entsteht für 

    mich aus der Be-gleitung von Men-schen und beginntmit der Einladung,die Wirklichkeitwahrzunehmen. Esist mir wichtig, dassPolitiker, die über Abschiebehäftlingeentscheiden, die

    Realität der Haftwenigstens im An-satz kennen. Dazu

    kann man sie herausfordern: durch Berichte,Stellungnahmen und Einladungen zum Be-such der Menschen, die ihre Entscheidungen(er)leben müssen.

    Im Kampf der politischen Meinungen ist mir 

    auch folgender Maßstab wichtig: die Realitätdurch die Augen derer zu sehen, die von der Teilnahme ausgeschlossen sind und nichtfür sich selbst sprechen können, sei es durcheinen fehlenden Aufenthaltsstatus oder durchArmut. Wer Veränderung hin zu mehr Ge-rechtigkeit will, muss überzeugen können:durch konstruktive Vorschläge, Konfrontationund Kritik in einem Prozess, der Beziehungaufbaut.

    Michael Schöpf SJ

    Es war die GCL (Gemeinschaft ChristlichenLebens), die ignatianische Laiengemeinschaft,die mich „politisch“ gemacht hat. Durch siehabe ich gelernt, dass christlicher Glaube einegesellschaftliche Dimension hat.

    1932 geboren, hatte ich das Nazi-System nocherlebt. Eine kleine Minderheit hatte eine gro-ße Mehrheit zu Mitläufern gemacht: jene, diesich politisch nichtinteressieren und al-

    les mit sich gesche-hen lassen. Jetztleben wir wieder ineinem gewissen to-talitären System:dem globalen Wirt-schafts-Wachstums-System. Seine Un-gerechtigkeit, seineUmweltzerstörung,

    seine Menschen-verachtung wirdimmer offensichtli-cher. Es definiert den Menschen als Konsu-menten und Leistungsträger. Wer zu beidemnicht taugt, wird einstweilen noch versorgt – 

     jedoch immer kärglicher; die Entsorgung hatschon begonnen.

    Sind wir wirklich ohnmächtig und könnennur zuschauen? Wo bleibt der christliche Wi-derstand? Wir haben Macht: Was und bei wemkaufe ich? Wo habe ich mein Geld und was ge-schieht mit ihm? Was lese ich und worüber re-de ich? Wen unterstütze ich? Wen wähle ich?

    Ich schreibe, rede und predige gelegentlichdarüber. Auch wenn die Welt nicht durch Po-litik erlöst wird – sich dem Bösen zu wider-

    setzen gehört zur Nachfolge Christi.

    Alex Lefrank SJ

    Michael Schöpf SJ Alex Lefrank SJ

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    Stellung beziehenFriedhelm Hengsbach SJ ist emeritierter Pro-fessor für christliche Gesellschaftsethik undehemaliger Leiter des Nell-Breuning-Instituts(Frankfurt Sankt Georgen).

    Pater Hengsbach, in den vergangenen Jahrzehn-

    ten haben Sie oft zu sozialen Fragen pointiert Stellung bezogen. Warum treten Sie so lautstark

     für Menschen am Rande der Gesellschaft ein? 

    Meine Motivation entspringt aus einer Erfah-rung, die ich sehr früh gemacht habe: Glaubeund Engagement für Gerechtigkeit sind mit-einander verbunden. Der Einsatz für Gerech-tigkeit ist Ausdruck des Glaubens an Gott. Mitdem ersten Johannesbrief könnte man sagen:Der Glaube, den man nicht sieht, wird erfahr-

    bar durch die Liebe, die man sieht.

    Ist das nicht mit einem hohen Risiko verbunden,

    wenn Sie öffentlich Stellung beziehen? 

     Ja. Das liegt daran, dass man von beiden Seitenbedrängt wird, wenn man an der Grenze lebtund arbeitet. Man hat natürlich Freunde undUnterstützer, aber wenn jemand die Positionvon Menschen am Rand einnimmt, wird er 

    von der Mehrheit nicht als zugehörig akzep-tiert. Doch wenn man Glück hat, kommt dieMehrheit mit der Zeit auch zu neuen Ein-sichten. Das habe ich öfter erlebt – nichtzuletzt jetzt mit der Finanzkrise.

    Hatten Sie immer Recht? 

    Nein, nicht immer, aber manchmal schon.[Er lacht.]

    Haben Sie sich viele Feinde gemacht? Klar macht man sich Feinde, aber auch vieleFreun-de. Manches Mal haben Gegner auch

    versucht, über Rom Einfluss zu nehmen.Aber ich habe den Orden als sehr loyal erfah-ren. Wenn es hart auf hart kommt, steht er hin-ter Ihnen.

    Wenn Sie zurückblicken, was hätten Sie anders

     gemacht? 

    Schwer zu sagen. Vielleicht hätte ich manchePosition in den letzten 30 Jahren entschiedener vortragen müssen.Mir ist auch auf-

    gefallen, dass ichfrüher eher grund-sätzliche Position-en vertreten hatte.Über die Jahrehinweg habe ichmich zunehmendauf Details undUmsetzungsfrageneingelassen. Da-

    durch wurde we-niger deutlich, wo-raus ich lebe undwoher ich meinen Optimismus schöpfe, näm-lich aus meiner Orientierung an der bibli-schen Botschaft und der Person Jesu.

    Hätten Sie eine Botschaft oder einen Rat für die 

    nachrückenden Generationen? 

     Ja, wer und wie wir sind, ist kein Ergebnisvon Naturgesetzen oder Sachzwängen. Ichmöchte alle ermutigen, sich mit großerWiderstandskraft zu wehren, wenn sie denEindruck haben, dass über ihre Köpfe hinwegentschieden wird. Wie heißt es doch inLevitikus 26,13 von den Heilstaten Gottes:„Ich habe eure Jochstangen zerbrochen undeuch wieder aufrecht gehen lassen.“

    Das Gespräch führteJohannes Maria Steinke SJ.

    Friedhelm Hengsbach SJ

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    Schwerpunkt

    COMECEDie Katholische Kirche:Inspirationsquelle undWegbegleiterin Europas

    Die katholischen Bischöfe werden bei den eu-ropäischen Institutionen von der COMECE,

    der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft, vertreten. DieCOMECE verfügt über ein ständiges Sekreta-riat in Brüssel, für das ich seit fast drei Jahrenarbeite. In meiner täglichen Arbeit bin ichZeuge des spannenden Dialogs zwischen Poli-tik und Religion. Dieser Dialog steht imDienst eines einzigartigen Projektes: der euro-päischen Einigung.

    Die COMECE entstand 1980 – ein Jahr nachden ersten direkten Wahlen zum EuropäischenParlament. Sie besteht aus den Bischöfen, dievon den katholischen Bischofskonferenzen der EU-Mitgliedstaaten delegiert worden sind.Diese Kommission verfolgt eine dreifacheAufgabe: Kirche und Christen über die EU-Politik zu informieren, die europäische Inte-gration durch Studien und Reflexionen

    zu begleiten und einen Dialog mit den EU-Institutionen zu führen.

    Diese Präsenz der Kirchen auf der europäi-schen Bühne ist das Ergebnis eines langen Pro-zesses. Die Katholische Kirche hat von Beginnan das Projekt der europäischen Einigungunterstützt. Zwar hatten die Gründerväter Eu-ropas, Alcide de Gasperi, Robert Schumanund Konrad Adenauer ein Wirtschaftsprojekt

    entworfen, aber dieses war von Werten inspi-riert, die für die Soziallehre der KatholischenKirche von zentraler Bedeutung sind: Res-

    pekt der Menschenwürde, Solidarität undSubsidiarität. Seit der Gründung der Europäi-schen Gemeinschaft 1957 hat jedoch die EUden Beitrag der Kirchen zur europäischen In-tegration dreißig Jahre lang praktisch igno-riert. Erst mit dem Fall des Eisernen Vorhangs1989 rief die Gemeinschaft alle „Institutionender Sinngebung“ – Kirchen und Religionsge-meinschaften eingeschlossen – dazu auf, erneutüber Sinn und Ziele der europäischen Einigungnachzudenken.

    Inzwischen sah sich auch die EU dazu ge-zwungen, die religiöse Realität Europas in ih-rer Gesetzgebung zu berücksichtigen und denStatus und die Rolle der Kirchen in den Mit-gliedstaaten anzuerkennen. Heute sieht Artikel17 des künftigen Vertrags über die Arbeitsweiseder EU, der Bestandteil des LissabonnerVertragswerks ist, vor, dass die EU die Staat-Kirche-Beziehungen in den jeweiligen Mit-

    gliedstaaten anerkennt und respektiert, unddass sie einen offenen, transparenten und regel-mäßigen Dialog mit den Kirchen führt.Obwohl der Artikel 17 noch nicht in Kraftgetreten ist, wird dieser Dialog bereits seit vie-len Jahren mit der EU-Kommission und demEuropäischen Parlament praktiziert. „Dialog“ist hier keine Leerformel, denn die euro-päischen Institutionen haben in den Kirchen

    Partner erkannt, mit deren Hilfe das europäi-sche Projekt vorangebracht werden kann.Häufig konsultiert die EU-Kommission dieZivilgesellschaft, bevor sie neue Gesetze erlässt.So kann auch die praktische Erfahrung der Kirchen, etwa aus dem Bereich sozialer undkaritativer Einrichtungen, eine wertvolleExpertise für den europäischen Gesetzgeber darstellen.

    In den europäischen Institutionen arbeitenviele Christen, besonders aus der jüngeren Ge-neration. Ihre tägliche Arbeit in der Kommissi-

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    on, dem Parlament oder dem Ministerrat istgeleitet von ihrem Glauben und dem Willen,dem Gemeinwohl zu dienen. Jedoch fällt esmanchmal schwer, den Sinn des eigenen Enga-gements im Auge zu behalten, sei es aufgrundder manchmal schwerfälligen Hierarchie der EU-Institutionen, sei es, weil die politischeGroßwetterlage den Gläubigen Gegenwindbeschert. Diese Christen finden dann bei der COMECE Unterstützung, Expertise und Rat.

    Die COMECE befindet sich an einem Kon-takt- und Reibungspunkt zwischen Kircheund Politik. Sie ist die Vorhut einer Katholi-schen Kirche, die manchmal die Herausforde-rung des europäischen Projektes verkennt.Manche Katholiken sind sogar offene Euros-keptiker. Dem gegenüber stehen die europäi-schen Institutionen, in denen sich manche an-ti-religiöse Tendenz manifestiert, und in denengewisse Stimmen dazu aufrufen, den gesell-

    schaftlichen Beitrag von Kirchen und Gläubi-gen zu ignorieren. Schließlich steht diesesGegenüber von Kirche und Politik auf einembeweglichen Boden: der europäischen Inte-gration. Dieses Projekt muss immer wieder neu erfunden und ständig an die Heraus-forderungen unserer Zeit angepasst werden.Auf diesem Boden muss sich die COMECEständig neu positionieren, ohne ihre Rolle zu

    verkennen. Da nämlich die Politik manchmal – besonders in Wahlperioden – versucht ist, sichder Kirche anzudienen, um sich selber aufzu-werten, gilt es aufmerksam zu bleiben und einegewisse Distanz zur politischen Sphäre zu be-wahren. Distanz erlaubt nämlich Kritik undbietet daher der Kirche die Möglichkeit, dieRolle eines wachsamen Begleiters einzuneh-men auf dem schwierigen Weg einer stets neuzu erfindenden europäischen Gesellschaft.

    Johanna Touzel Europafahnen am Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel

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    Geistlicher Impuls

    Zwei BannerIgnatius stellt im Exerzitienbuch (Nr. 136 bis148) die Betrachtung der „Zwei Banner“ vor.Ihre Bildwelt scheint heute völlig überholt zusein – doch Rittertum und Dämonen sind jawieder aktuell, nicht nur in Romanen undInternetspielen. Etwas modernisiert lade ichSie daher zu dieser Betrachtung ein:

    Jerusalem und Babylon

    Ich stelle mir vor dem inneren Auge „Jerusa-lem“ vor, nach Ignatius ein demütiger, schö-ner und freundlicher Ort. Christus erhebtdort sein Banner und sammelt seine Jünger.Er hält ihnen eine Rede und sendet sie in dieganze Welt, damit sie diese für ihn „erobern“.

     Jerusalem, in der Bibel die Stadt Gottes, istSymbol des guten Zusammenlebens der Menschen: Dort herrschen Eintracht undLiebe, Gerechtigkeit und Frieden. Ich überle-ge mir, wo ich solche Jerusalem-Orte kenne:vielleicht ein geglücktes Familienleben, eingut geführtes Unternehmen mit Frieden un-ter den Mitarbeitern und sinnvollen „Produk-ten“, ein heiliger Ort, an dem die Besucher 

    die Nähe Gottes erfahren, oder eine herrlicheLandschaft, in der man sich entspannt, guteGespräche führt und heil wird an Leib undSeele etc.

    Nun stelle ich mir vor dem inneren Auge„Babylon“ vor, nach Ignatius ein Feldlager, indem der „Teufel“ sich niederlässt – auf einemThron von Feuer und Rauch, in furchtbarer und schrecklicher Gestalt. Der Teufel erhebt

    dort sein Banner und sammelt die Dämonen,er hält ihnen eine Rede und sendet sie in dieganze Welt, damit sie die Menschen zum

    Bösen verführen. Babylon, in der Bibel dieverdorbene Stadt, ist Symbol des vom Bösenzerfressenen Lebens: Dort herrschen Unrecht,Lüge, Gemeinheit, Habgier, Gewalt. Ich über-lege, wo ich solche Babylon-Orte kenne:vielleicht aus dem Fernsehen die Hölle vonDarfur, ein Bordell mit Zwangsprostitution,eine „Heuschrecke“, die für ihren Profitandere nur auffrisst, oder vielleicht ein Fami-lienleben, in dem Gewalt, Drogen, Missbrauchregieren und die Kinder und Kindeskinder unabwendbar in diesen Abgrund mit hinein-gerissen werden.

    Verführung zum Bösen

    Ignatius präzisiert, wie die unter dem Banner des Teufels ausgesandten Dämonen in dreiStufen zum Bösen verführen: Zuerst verlo-cken sie zu Reichtum, dann zu Ehrsucht unddann zu Hochmut. Ich male mir das für heu-te aus: Das Einfallstor ist die Gier: Ich willGeld scheffeln, konsumieren, Lust maximie-ren. Aus dem Besitz folgt der Ruhm: Wer viel

    hat, ist vor anderen viel wert; ich fühle michgroß und wichtig, erfolgreich und mächtig,werde gelobt und bewundert. Schließlichwerde ich hochmütig: Ich bin so selbst-bewusst, dass ich das Lob der anderen nichtmehr brauche; ich bin mir selbst genug, fürch-te nichts, brauche auch Gott nicht mehr. Ichnehme nur noch mich und meine Bedürfnis-se wahr. Meine Welt ist alles. Ich bin Gott.

    Einladung zum Guten

    Nun präzisiert Ignatius, wie die unter demBanner Christi ausgesandten Jünger in dreiStufen fürs Gute werben: Zuerst laden sie zuArmut ein, dann zum Ertragen von Schmä-hungen, dann zur Demut. Auch dies male ichmir für heute aus: Als Jünger Christi klebt der 

    Mensch weniger am Besitz, er arbeitet mehr für die anderen als für sein Geld, er lernt zuteilen, loszulassen, wird bescheidener und

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    gastfreundlicher; durch Verzichte spürt er, dasses höhere Werte gibt. Zudem ist er bereit,Schmähungen zu ertragen – hier zucken wir zusammen, denn das widerstrebt uns imInnersten: Wer freiwillig verzichtet oderbescheiden lebt, wer selbstlos sich für andereeinsetzt, muss Spott oder Widerstand ertragen;wer für Gerechtigkeit kämpft, wird bald vonden Profiteuren des Unrechts niedergedrückt.Schließlich wird der Jünger Christi – werde ich

     – demütig: Ich akzeptiere Grenzen, meine unddie der anderen; ich mache mich nicht größer,als ich bin; ich bin mit Wenigem zufrieden; ichdiene denen, die mich brauchen; ich verdankemein Leben Gott; ich trage Leiden.

    Gebet

    Am Ende der Übung lädt Ignatius zum Gebetein: Ich bitte, dass ich zum Jünger Christierwählt werde und diesen Weg gehe: arm; be-reit, Schmähungen zu ertragen; demütig. Ichrichte dieses Gebet an Maria, dass sie für michbei ihrem Sohn eintrete, an Christus und an

    den Vater. Ich schaue auf mich selbst, blickeaber auch auf die Welt, die Gesellschaft unddie Wirtschaft, die Politik und die Kirche. Ichsehe, wie die zwei Banner, das von Christusund das des Teufels, darum ringen, Einfluss zubekommen. Ich bete, dass in dieser Welt undin mir „Jerusalem“ wachse und „Babylon“besiegt werde.

    Diese Übung will nicht erreichen, dass ichmich für das Banner Christi entscheide, denndie Übung setzt voraus, dass die Entscheidungfür das Gute schon gefallen ist. Sie will viel-mehr, dass ich der göttlichen Kraft zum Gutenimmer mehr Raum gebe. Sie zielt daraufab, dass ich das Böse im Alltag besser erkenneund entschiedener bekämpfe – ein zugleichpsychologischer wie politischer Kampf. Gottkämpft ihn und er will, dass ich mitwirke.

    Stefan Kiechle SJ

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    24  Jesui ten Nachrichten

    Nachrichten

    Neues aus dem Jesuitenorden

    Pater von Gemmingen verlässtRadio Vatikan

    Nach über 25 Jahren als Chefredakteur der 

    deutschsprachigen Sektion von Radio Vatikansteht Eberhard von Gemmingen SJ vor neuenHerausforderungen: Zum Jahresbeginn 2010wechselt der jetzt 72-Jährige in das Provinzia-lat nach München, um von Pater Eugen Hil-lengass SJ (78) die Leitung der Spendenzentra-le der Deutschen Provinz zu übernehmen.Pater von Gemmingen ist in Deutschlandbekannt als Fernsehkommentator wichtiger kirchlicher Ereignisse, darunter der Welt-

     jugendtag 2005 in Köln und die Bayernreisevon Papst Benedikt XVI. 2006. Zuletzt hat er anlässlich der Diskussion über die Aufhebung

    der Exkommunikation für die vier Bischöfeder Piusbruderschaft in zahlreichen Interviewsund Talkrunden um Verständnis für das Anlie-gen des Heiligen Vaters geworben.Nachfolger von Pater von Gemmingen inRom wird sein Mitbruder Bernd HagenkordSJ (40), der derzeit den letzten Abschnitt seiner Ordensausbildung in Chile absolviert. Zuvor war er Jugendseelsorger in Hamburg. Er ist seit1992 Jesuit und war bisher auch publizistischmit mehreren Veröffentlichungen zum Thema

     Jugend und Spiritualität aktiv.

    Wechsel im Amt des Rektors vonFrankfurt Sankt Georgen

    Am 25. Januar wurde Wendelin Köster SJ imBeisein des Provinzials der Deutschen Provinzder Jesuiten, Stefan Dartmann SJ, in das Amtdes Rektors des Kollegs Sankt Georgen in

    Frankfurt eingeführt. Pater Köster, 69 Jahrealt, trat 1959 in die Gesellschaft Jesu einund wurde 1969 zum Priester geweiht. Nacheiner Zeit in der Jugendarbeit wurde er 1982Regens des Priesterseminars in Sankt Georgen.1995 wurde Pater Köster an die Generalskurieder Gesellschaft Jesu in Rom gerufen, wo er bis 2008 als Assistent des Generaloberen für die Zentraleuropäische Assistenz zuständig

    gewesen ist und in dieser Funktion auch die35. Generalkongregation vom Januar bis März2008 mit vorbereitet und als Mitglied an ihr teilgenommen hat.Als Rektor trägt Pater Köster ab sofort dieGesamtverantwortung für das Kolleg SanktGeorgen, das die Philosophisch-TheologischeHochschule Sankt Georgen und das Priester-seminar umfasst. Zugleich ist er der Obereder dortigen Jesuitenkommunität. Zusätzlich

    übernimmt er auch das Amt des Spirituals amPriesterseminar in Limburg.

    Eberhard von Gemmingen SJ

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    Pater Köster löst im Amt des Kollegsrektorsvon Sankt Georgen Thomas Gertler SJ ab,der im Sommer 2009 als Nationalpromotor für die Gemeinschaft Christlichen Lebens(GCL) nachAugsburg wechseln wird.

    Neue Strukturen des Ordens in Europa

    Am 8. Dezember 2008 hat der Generalobereder Jesuiten, Pater Adolfo Nicolás SJ, eineneue Assistenz errichtet: Die Assistenz vonZentral- und Osteuropa (Europa Centro-Orientalis, ECO). Sie umfasst alle Provinzen

    und Regionen, die bisher zur zentraleuropäi-schen und osteuropäischen Assistenz gehörthaben. Mit diesem verwaltungspolitischenSchritt will die Generalskurie den Verände-rungen im Zuge der europäischen Vereini-gung seit den 90er Jahren und dem daraus fol-genden apostolischen HerausforderungenRechnung tragen. Der neuen Assistenz gehö-ren neben den deutschsprachigen Provinzen(Deutschland, Österreich und Schweiz) auch

    die osteuropäischen Provinzen an (Kroatien,Litauen, Polen, Rumänien, Russische Region,Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn).

    Engagement des Ordensin der Hochschul-Seelsorge

    Mit zwei aktuellen Personalentscheidungen hatder Provinzial der Deutschen Provinz deutlichgemacht, welch hohen Stellenwert die Arbeitmit jungen Menschen für den Orden in dennächsten Jahren haben wird: Herbert Rieger SJübernimmt nach Abschluss seines Terziats dieLeitung der KHG in München und löst damit

    Dominik Terstriep SJ ab, der im Herbst nachSchweden wechseln wird. In Frankfurt gibtMartin Löwenstein SJ die Leitung der KHG an

     Joachim Hartmann SJ ab.

    Bischöfe gründen Weltkirchen-Institutin Sankt Georgen

    Nach mehr als zweijährigen Vorarbeiten sind

    die Entscheidungen gefallen: Die DeutscheBischofskonferenz gründet zum 29. Juni 2009ein „Institut für Weltkirche und Mission“.Angesiedelt wird es an der JesuitenhochschuleStankt Georgen in Frankfurt/Main und miteinem von der Bischofskonferenz getragenenStiftungslehrstuhl ausgestattet. Erster Inhaber wird der zur Zeit in Prag lehrende Sozialethi-ker Prof. Dr. Albert-Peter Rethmann (48).

    Der ehemalige Sekretär des MünsteranerBischofs Reinhard Lettmann wird das Institutzusammen mit dem derzeit in Venezuela täti-gen Missionswissenschaftler Markus Luber SJ(38) aufbauen. Wie der Vorsitzende der Kom-mission Weltkirche der Bischofskonferenz, der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, erläu-terte, solle das Institut der wissenschaftlichenReflexion der weltkirchlichen Arbeit neueImpulse geben, nachdem die traditionelle

    Missionswissenschaft ihren angestammtenPlatz an den Hochschulen in Deutschlandweitgehend eingebüßt habe.

    Wendelin Köster SJ

       F  o   t  o  :  p  r   i  v  a   t

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    26  Jesui ten Nachrichten · Personalien · Medien

    Für das Institut skizzierte Erzbischof Schickvornehmlich vier Aufgaben: Es solle dazubeitragen, das weltkirchlich-missionarischeSelbstverständnis der Kirche wissenschaftlichzu vertiefen und zu entfalten (Forschung).Dies umfasse die theologische Begleitung der 

    weltkirchlichen Einrichtungen und das Ge-spräch mit der Theologie in Afrika, Asien, La-teinamerika und Osteuropa. Zum zweitensollten weltkirchliche und missionarischeFragen in die Ausbildung des pastoralenNachwuchses und in die Fortbildung vonMitarbeiterinnen und Mitarbeitern der welt-kirchlichen Arbeit eingebracht werden(Lehre). Zudem solle das interdisziplinäre

    Gespräch zwischen den theologischen undaußertheologischen Disziplinen und denMissionswissenschaften befördert werden.Schließlich sollten Fachkräfte für die wissen-schaftlichen und praktischen Bereiche der weltkirchlich-missionarischen Arbeit ausge-bildet werden. (KNA)

    Rahner Lectures 2009

    Am 30. März 2009 jährt sich zum 25. Mal der Todestag von Karl Rahner SJ (1904-1984). Ausdiesem Grund wird das Karl-Rahner-Archiv

    (München) unter Leitung von Andreas BatloggSJ in Zusammenarbeit mit der Hochschule für 

    Karl Rahner SJ

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      a  r   l  -   R  a   h  n  e  r  -   A  r  c   h   i  v

    Sitz des Weltkirchen-Instituts an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt

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    Philosophie „Rahner Lectures“ organisieren.Die künftig jährlich stattfindenden Vorlesungensollen das Andenken an das Leben und Werk des

     Jesuitentheologen wach halten.Referent der ersten Rahner Lectures ist KarlKardinal Lehmann, Mainz, von 1964 bis 1968Assistent Karl Rahners, seit 1995 Mitheraus-geber der „Sämtlichen Werke“ und seit 2006Vorsitzender des Kuratoriums der Karl-Rah-ner-Stiftung. Die „Rahner Lectures“ findenin diesem Jahr statt am 24. und 25. April in der Hochschule für Philosophie (Kaulbachstr. 31,80539 München).Weitere Informationen im Internet unter 

    .

    450 Jahre Jesuiten in München

    Im Oktober 1559 kamen die ersten Jesuitennach München, um im Auftrag von Herzog Al-brecht V. von Bayern ein Kolleg zu eröffnen. Das450-Jahre-Jubiläum 2009 ist für die Jesui-ten in den Münchner Häusern Anlass, sich einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen und all de-

    nen Dank zu sagen, die den Orden bis heutevertrauensvoll begleitet und unterstützt haben.Dafür sind zahlreiche Veranstaltungen in St.Michael und in der Hochschule für Philoso-phie geplant, vor allem eine Festwoche imMai mit Vorträgen, Symposien und Diskussio-nen sowie einem Festgottesdienst. Die kon-kreten Planungen sindab sofort auf einer eige-

    nen Seite im Internetaufgelistet, auf der auchweitere Informationenund Materialien zu die-sem Jubiläum bereit ge-stellt werden sollen.

    Personalnachrichten

    • P. Dieter Böhler ist von P. General zumProfessor für Exegese des Alten Testaments ander Philosophisch-Theologischen Hochschu-le Sankt Georgen ernannt worden.• P. Klaus Dietz hat im Januar das Amt desPfarrers in der Gemeinde St. Eugenia in Stock-holm übernommen.• P. Andreas Falkner wird nach 10 JahrenSeelsorgsarbeit Mannheim verlassen und über-nimmt im Juli 2009 das Amt des Haus-geistlichen im Kloster Maria Hilf, Dernbach,bei den Dernbacher Schwestern.

    • P. Philipp Görtz wird ab dem kommendenSchuljahr 2009/10 am Aloisiuskolleg in BonnBad Godesberg als Schulseelsorger mitarbeiten.• P. Josef Höfner ist im Januar zusätzlich zuseinen Aufgaben in der Pfarrei St. Lars zumSpiritual im Priesterseminar in Uppsalaernannt worden.• P. Klaus Jochum arbeitet seit Januar im Seel-sorgeteam des St.-Katharinen-Hospitals inFrechen mit. Zugleich ist er weiterhin Mit -

    arbeiter in der Redaktion von „Geist undLeben“.• P. Georg Schmidt ist seit Januar 2009 Regio-nalsekretär in der Generalskurie in Rom.• Br. Michael Schöpf hat durch P. Mark Rotsa-ert, den Präsidenten des Rates der Europäi-schen Provinziäle (CEP), zum 01.11.2008 dieErnennung zum Direktor von JRS Europe inBrüssel erhalten.

    • P. Vitus Sedlmair ist zu Beginn des neuen Jahres aus dem Südsudan nach Tansania gewech-selt und wird dort als Seelsorger in der Jesuiten-Pfarrei in Dar-es-Salaam mitarbeiten.

    Zusammengestellt von Thomas Busch

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    28  Jesui ten Schwerpunkt: Poltisch handeln

    07. April

    P. Andreas Falkner

    75. Geburtstag

    08. April

    P. Helmut Engel

    P. Peter Köster

    P. Wendelin Köster

    50. Ordensjubiläum

    14. April

    P. Alfred Welker

    70. Geburtstag

    15. April

    P. Bruno

    Schlegelberger

    75. Geburtstag

    17. April

    P. Wendelin Köster

    70. Geburtstag

    18. April

    P. Markus Laier

    75. Geburtstag

    25. AprilP. Hermann

    Husemann (ZIM)

    60. Ordensjubiläum

    26. April

    P. Herbert Günther

    60. Ordensjubiläum

    P. Reinhard

    Neudecker

    50. Ordensjubiläum

    03. Mai

    P. Heinz Bretfeld75. Geburtstag

    04. Mai

    P. Josef Bill

    50. Ordensjubiläum

    12. Mai

    P. Klemens Stock

    75. Geburtstag

    16. Mai

    P. Peter Ehlen

    75. Geburtstag

    25. Mai

    P. Reinhold Wehner

    70. Geburtstag

    06. JuniP. Horst Wernet

    80. Geburtstag

    P. Konrad Landsberg

    (ZIM)

    70. Geburtstag

    14. Juni

    P. Rupert Lay

    80. Geburtstag

    26. Juni

    P. Oskar Wopperer

    70. Geburtstag

    29. JuniP. Josef Jaksch

    70. Priesterjubiläum

    P. Franz

    Scharfenberger

    50. Priesterjubiläum

    P. Otto Syré

    Langjähriger Superior

    in verschiedenen Kom-

    munitäten der Nord-

    deutschen Provinz

    * 09.03.1913

    + 29.10.2008

    P. Cyrill MehlerJugendarbeit in Nürn-

    berg und St. Blasien,

    Seelsorger und Exerzi-

    tienleiter

    * 13.07.1925

    + 14.12.2008

    P. Alois Koch

    Seelsorger und Publizist

    zu Fragen von Sportund Ethik

    * 27.12.1932

    + 02.02.2009

    Wir gedenken im

    Gebet auch der

    Verstorbenen aus

    dem Kreis unserer

    Leserinnen und Leser.R.I.P.

    Personalien

    Jubilare Verstorbene

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    Medien

    Was bedeutet DirJesus Christus?85 Jesuiten geben einepersönliche Antwort

    Die von Willi

    Lambert SJ undStefan KiechleSJ im Echter-Verlag herausge-gebene Reihe„IgnatianischeImpulse“ ist zueiner Erfolgsge-schichte gewor-den: Seit ihrem

    Start mit sechsBänden im Feb-ruar 2004 zählendie „Impulse“mittlerweile 35Titel.Konsequent wirddabei das program-matische Konzept

    der Reihe durchgehalten: „Ignatianische Im-pulse greifen aktuelle und existentielle Fragenwie auch umstrittene Themen auf. Weltoffenund konkret, lebensnah und nach vorne ge-richtet, gut lesbar und persönlich anregendsprechen sie suchende Menschen an und hel-fen ihnen, das alltägliche Leben christlich zudeuten und zu gestalten. Die Themen orientie-ren sich an dem, was Jesuiten heute als ihreLeitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube

     – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.“

    Zu den Ausnahme-Titeln der Reihe zählt der  jetzt von Vitus Seibel SJ herausgegebene Band:„Was bedeutet Dir Jesus Christus?“ DerUntertitel macht das Besondere dieses Projek-tes deutlich: „85 Jesuiten geben eine persönli-che Antwort“.Vitus Seibel: „Jesuiten gelten ge-meinhin als kühl und sachlich, distanziert undintellektuell. Die Glaubenzeugnisse in diesemBand zeigen eine andere Seite auf. Jesuitenlassen ihr Herz sprechen. Es sind kleineLiebensgeschichten, die von Wegen und

    Umwegen, von Zweifeln und Wankelmut, vonVersagen und Neubeginn, von Ergriffenseinund Freude erzählen.“Um es vorwegzunehmen: Vitus Seibel ist mitseinem Projekt, Mitbrüder direkt auf das anzu-sprechen, woraus sie als Ordensmenschenleben und wie sie sich von Jesus prägen lassen,ein spannendes und zum Nachdenken ein-ladendes Buch gelungen. Die alphabetischangeordneten Beiträge geben einen repräsen-

    tativen Querschnitt der Jesuiten in Deutsch-land wieder: Vertreten sind alle Altersgruppen,die unterschiedlichsten apostolischen Profile,Brüder und Patres, bekannte und eher imStillen wirkende Jesuiten.Die Bitte des Herausgebers um eine Kurzfor-mel des Glaubens vermeidet bereits im Ansatzweitschweifige Abhandlungen. Die strengenVorgaben erweisen sich für den Leser als wohl-

    tuend: Kein Beitrag ist länger als eine Seite. Beialler Unterschiedlichkeit der Antworten undVerschiedenartigkeit des Stils ist doch ein „roter Faden“ erkennbar: Das Leben mit und aus der Begegnung mit Jesus, die Prägung durch dieSchule der Exerzitien, und die Bereitschaft, sichauf diesem Weg immer weiter zu verändernund zu entwickeln. „Kurzformeln“ bedeutetdaher auch keine plakativeVerkürzung, sonderndie Konzentration auf das Wesentliche. In 85

    lebendigen und persönlichen Varianten.

    Thomas Busch

    Ignatianische Impulse 3394 Seiten, Würzburg 2008ISBN 978-3-429-03074-2

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    30  Jesui ten Vorgestellt

    Vorgestellt

    NoviziatEinfach verrückt

    Viele der vierzehn jungen Männer um diedreißig aus fünf verschiedenen Nationen, diesich derzeit in unserem Noviziat in Nürnbergbefinden, werden von ihren Freunden – und

    manchmal auch von den eigenen Eltern – für verrückt erklärt. Wie kann man nur das Studi-um abschließen oder bereits erfolgreich ineiner Karrierelaufbahn stehen, dann alles auf-geben und den Weg in eine Ordensgemein-schaft einschlagen? Und das in heutiger Zeit,wo doch das Leben ausgekostet werden willund die Institutionen von Orden und Kircheim Generalverdacht stehen, lebensverneinendzu sein? Was kann zu diesem radikalen Schritt

    bewegen?

    Von Gott berührt

    Lukas hat während seiner Studienjahre dasWort Gottes als kraftvoll und wegweisendentdeckt. Er hat sich in Exerzitien der Sinn-frage des Lebens gestellt: „Was oder wer ist eswert, dass ich mich mit allen Kräften einsetzeund mühe?“ Er ist anders geworden als dieGleichaltrigen, überlegter, entschiedener. ImLeben und in der Botschaft Jesu hat er einen

    Schatz erahnt, den er suchen wollte, für den er sein bisheriges Leben verrückte, ihm eineneue Richtung gab. In den Monaten desNoviziats hat er viel Zeit für das Beten. Lukaswird Christus immer tiefer kennen und ver-stehen lernen. Vor allem in den dreißigtägigenExerzitien kann eine persönliche Freund-schaft wachsen. Dann werden Leben und Wort

     Jesu auf fruchtbaren Boden fallen. Hier liegtdas Geheimnis des geistlichen Eifers im Novi-

    ziat, den der Provinzial bei seinem letzten Be-such freudig festgestellt hat.

    Mittagsgebet im Refektor des Noviziats in Nürnberg

       F  o   t  o  :   S  a  u  e  r   b  e  c   k

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    Aller Anfang ist schwer

    Die ersten Schritte nach dem Ordenseintrittfallen den jungen Männern nicht immer leicht. Meist war es ihnen zuvor wichtiggewesen, sich mit guten Freunden regelmäßigzu treffen. Häufige Besuche in der eigenen

    Familie waren die Regel. Jetzt beschränken sieden Kontakt per Telefon oder Email, um Ab-stand zu gewinnen und sich offen auf eineneue Gemeinschaft und den geistlichen Pro-zess einlassen zu können. Manchmal haben sievorher schon gut verdient und konnten selbstüber ihr Geld verfügen. Jetzt leben sie aus ei-ner gemeinsamen Kasse und sollen mit sech-zig Euro im Monat auskommen. Hat ihnenvor einigen Monaten noch die Mutter die

    Wäsche gewaschen oder sogar das Zimmer aufgeräumt, so finden sie im Noviziat nureine Köchin vor. Für das Zimmer, das Putzen

    im Haus, für die eigene Wäsche und für dasKochen an jedem zweiten Wochenende sind

     jetzt die Novizen selbst verantwortlich. Auchwar es zuvor jedem selbst überlassen, was er amWochenende machte. Jetzt gibt es gemeinsameUnternehmungen, der Novizenmeister schicktsie in die „Experimente“ und teilt ihnen Auf-gaben zu. Auch wünscht sich der junge Mannmanchmal eine Partnerin an der Seite, wie er es vielleicht zuvor schon erlebt hat. Es ist nichteinfach, die alten Bilder und Erlebnisse loszu-

    lassen. Schritt für Schritt soll der Novize sichselbst kennen lernen, seine Wünsche, Bedürf-nisse und Kräfte. Er soll sie auf Christus aus-richten und ein Mensch werden, der immer freier wird von sich, um auf die Welt schauenund für Menschen in Not leben zu können.Dies unterscheidet einen Jesuitennovizen vonmanch anderer „kirchlicher“ Gruppierung.

    Mit dem Gesicht zur Welt

    Noviziat ist kein Selbstfindungstrip, keinKreisen um sich, keine liturgische Befriedi-gung in einer abgeschiedenen Sonderwelt.Über das Priesterseminar der Piusbruderschaftin Regensburg schrieb die SüddeutscheZeitung den Titel: „Mit dem Rücken zur Welt“. Unsere Spiritualität und Ausbildung

    will uns hingegen befähigen, offen der Welt zubegegnen: „Mit dem Gesicht zur Welt“ müss-te man den Weg betiteln, den der Jesuitenno-vize lernen soll. Er wird wahrnehmen undhinschauen, was sich in der Welt tut, was dieMenschen bewegt. Er soll empfindsam wer-den für Gottes Anruf, der ihm aus der Welt,vor allem von den Armen, entgegenkommt. Inden kleinen Praktika im Noviziat und in dengrößeren „Experimenten“ im Krankenhaus,

    bei Randgruppen und in der Jugendarbeitwird der Novize lernen, Gott mitten in dieser Welt zu finden.

    Novizen beim Basketballspiel vor dem Rupert-Mayer-Haus

       F  o   t  o  :   S  a  u  e  r   b  e  c   k

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    32  Jesui ten Vorgestellt · Autoren dieser Ausgabe

    Mit anderen für andere leben lernen

    Ein Kandidat des Ordens kam nicht zumgemeinsamen Mittagsgebet. Als ich ihn darauf ansprach, meinte er: „Gemeinsames Beten, dasist nicht jesuitisch!“ Nachdem ich ihm klar gemacht hatte, wie bedeutsam einst fürIgnatius die Pilgergemeinschaft mit seinenGefährten war und wie wichtig sie uns heuteist, hat er sich verabschiedet. Er wollte nichtmit Novizen und einer sechsköpfigenStammkommunität, davon vier ältere Mitbrü-der, so eng zusammenleben müssen. Dankbar nehme ich wahr, wie unsere Novizen ein neu-

    es Gespür für das Teilen des Lebens in der Ge-meinschaft haben. Wie sie einander achten,miteinander ringen, sich korrigieren, mitei-nander feiern, beten und lachen. Das Leben inGemeinschaft ist bereits Teil der Sendung für uns als Jesuiten, das wird der Novize bei unslernen: Kein Zeitverlust, sondern eine größe-re Kraft für das Apostolat. „Gemeinsam sindwir stärker als einsam“, pflege ich zu sagen.

    Als Sünder zum Gefährten Jesu berufen

    Manch einer meint, wenn er als Novizebeginnt, schon auf der Schwelle der Heiligkeitzu stehen. Im Laufe des Noviziats wird er hof-fentlich entdecken, dass er auch mit seinenGrenzen und Schwächen geliebt und gebrauchtwird. Mich erfüllt tiefe Freude, wenn ich

    spüre, dass ein Novize angesichts seiner Schwächen die Barmherzigkeit Gottes dank-bar annimmt. Weil sie sich als Sünder geliebtund gerufen erfahren, können diese jungenMänner am Ende der zwei Jahre der Prüfungöffentlich ihre Gelübde versprechen und demHerrn sagen: „Hier bin ich, sende mich!“ Ver-rückt, beunruhigend und doch so sinnvoll.

    Josef Maureder SJ

    Novizenmeister

    Liebe Leserinnen

    und Leser,

    der Beitrag unseres Novizenmeisters hatIhnen einen Eindruck davon vermittelt,was für eine radikale Neuausrichtung desLebens es für einen jungen Menschenbedeutet, wenn er sich entschieden hat,sich bei uns Jesuiten auf die Nachfolge

     Jesu einzulassen. Und Sie haben sicher gespürt, mit welch großem Ernst dieser Weg in Angriff genommen wird, inGemeinschaft mit anderen und austiefem Gottvertrauen. Denn Berufung

    bedeutet nicht, dass sich der einzelne ausder Palette der Lebensmöglichkeiteneine besonders außergewöhnlicheVariante auswählt, sondern Berufung istein Ruf, der von Gott selbst ausgeht.

    Die Freude über die wachsende Zahl der Novizen verbindet sich mit Dank auch andie Arbeit unserer Berufungspastoral, mitder wir jungen Menschen helfen wollen,

    echte Berufung von bloßen Stimmungenzu unterscheiden. Sowohl die „Promotio“als auch das Noviziat sind für uns Jesuitenkostbare Einrichtungen, kostbar, aber auchkostenträchtig. Mit Ihrer Unterstützunghelfen Sie, dass diese ersten Schritte in dasOrdensleben der Beginn eines langen undintensiven Einsatzes für andere Menschenwerden können.

    Ignatianisch gesprochen:„Gott mitten in dieser Welt finden.“

    Dafür meinenherzlichen Dank!

    Eugen Hillengass SJ

    Leiter Projektförderung

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    März 2009/1  Jesui ten   33

    Autoren dieser Ausgabe

    Thomas BuschMünchen. Öffentlichkeits-referent im Provinzialatder Jesuiten

    Andrea FischerBerlin. Ehem. Bundes-ministerin für Gesundheit(1998-2001), Publizistinund Kommunikationsberaterin

    Bernd Hagenkord SJChile. Terziat

    Stefan Kiechle SJMannheim. Leiterder Offenen Tür

    Ralf Klein SJBerlin. Lehrer undGeschäftsführer amCanisius-Kolleg

    Josef Maureder SJNürnberg. Novizenmeisterfür die deutschsprachigenProvinzen

    Klaus Mertes SJBerlin. Rektor CK undChefredakteur JESUITEN

    Richard Müller SJMünchen. BildredaktionJESUITEN

    Alois Riedlsperger SJWien. Mitarbeiter in derKatholischen Sozialakademie

    Österreichs (KSÖ)

    Johannes Siebner SJSt. Blasien. Direktor desKollegs St. Blasien

    Martin Stark SJBerlin. Leiter desJesuiten-Flüchtlingsdienstes

    (JRS) Deutschland

    Johannes MariaSteinke SJLudwigshafen. Mitarbeiter

    im Heinrich Pesch Haus

    Johanna TouzelBrüssel. Pressesprecherinvon COMECE

    Bernhard VogtBerlin. Gruppenleiter imPresse- und Informationsamtder Bundesregierung

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    34  Jesui ten Freunde der Gesellschaft Jesu

    Freunde der Gesellschaft Jesu e.V.

    Informationen:

    Freundeder Gesellschaft Jesu e. V.

    Seestraße 14

    80802 München

    Fon 089 38185 - 213

    Fax 089 38185 - 252

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