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Invasion der Skorpione

Date post: 04-Jan-2017
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MARKEN-ROMAN

GRUSEL-WESTERN

Band 17

Dodge Messer

Invasion der Skorpione

»Schlangenbiß«, sagte Hilfssheriff Halton lakonisch, nachdem er sich kurz über den Toten gebeugt hatte, »weit ist er gerade nicht gekommen.« »Schlangenbiß?« Sheriff Walt Custer schüttelte nachdenklich den Kopf und schien mit dieser einfachen Erklärung nicht ganz einverstanden zu sein. »Nie im Leben. Dieser Mann ist nicht am Schlangenbiß gestorben. Der wurde tausendfach gebissen, aber nicht von einer Schlange. Man muß ihn nur genau ansehen!«

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Custer, ein großer, schlanker Mann von etwa vierzig Jahren, deutete auf die Kleidung des Toten, die in viele kleine Fetzchen zerrissen war. Er kniete neben dem am Boden liegenden Mann nieder und sah sich dessen blauschwarz angelaufenes Gesicht noch einmal gründlich an. Daß ein starkes Gift im Spiel gewesen sein mußte, lag auch für ihn auf der Hand.

»Ihn wird ‘ne Klapperschlange erwischt haben«, meinte der junge, drahtige Hilfssheriff, »hier in der Gegend gibt’s davon ja jede Menge.«

»Aber die Kleidung«, wiederholte der Sheriff noch einmal, »sehen Sie sich das doch mal genau an, Ben. Sie besteht eigentlich nur noch aus kleinen Fetzchen. Und die Haut darunter ist auch eingerissen.«

»Das werden Coyoten getan haben.« »Coyoten hätten ganz anders zugelangt. Nein, hier haben

wir’s mit ‘ner Unzahl kleiner Zähne zu tun.« Sie waren erst seit knapp drei Stunden hinter den vier

Bankräubern her und hatten hier bereits den ersten Mann gefunden. Weit war er tatsächlich nicht gekommen. Das schrecklich aufgedunsene Gesicht des Toten wies ebenfalls eine Unzahl feiner Bißspuren auf. Erstaunlicherweise waren die Augen jedoch unversehrt. Sie starrten zum Himmel hoch, der sich dunkel färbte. Bis zum Einbruch der Dämmerung dauerte es nicht mehr lange.

»Er is’ tatsächlich angefressen worden«, stellte Hilfssheriff Halton fest. Er kniete neben Custer und schluckte. Solch einen zugerichteten Toten hatte er noch nie gesehen. Seine eben noch gespielte Kaltblütigkeit war nicht mehr vorhanden. Er war ein Mann von knapp siebenundzwanzig Jahren, der erst vor wenigen Monaten Hilfssheriff geworden war, dem aber noch jede berufliche Erfahrung fehlte.

»Vielleicht haben Ratten ihn aufgespürt«, sagte er und

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richtete sich schnell wieder auf, bemühte sich um Haltung, unterließ es aber, den Toten anzusehen.

»Auch Rattenbisse sehen anders aus, Ben.« Custer stand vor einem Rätsel. Er ging um die Leiche herum und lehnte sich dann gegen einen Baum. Er rollte sich eine Zigarette, zündete sie an und sah auf den Toten hinunter. »Warum haben sie ihn nicht begraben? Das begreife ich nicht.«

»Weil sie auf der Flucht sind, Sheriff«, antwortete Ben Halton.

»Normalerweise hätten sie wenigstens Steine über ihn gedeckt«, dachte Sheriff Custer laut weiter, »die Zeit nimmt man sich immer.«

»Haben Sie einen bestimmten Verdacht, Sheriff?« »Keinen«, antwortete Walt Custer, »so was habe ich noch

nie gesehen, Ben.« »Wollen wir ihn begraben, Sheriff?« »Packen wir Steine über ihn«, sagte Custer, »auf dem

Rückweg nehmen wir ihn mit nach San Lorenzo. Ich bin dafür, daß Doktor Carnera ihn sich mal genauer ansieht.«

Es war bereits dunkel geworden, als sie den Toten endlich zugedeckt hatten. Ben Halton war aufgefallen, daß der Sheriff sich dabei viel Zeit gelassen hatte. Zuviel Zeit, wie Ben meinte. Während der Dunkelheit war an eine weitere Verfolgung der Bankräuber nicht zu denken. Dazu war das Gelände zu unübersichtlich. Die beiden Männer befanden sich in den Ausläufern der Black Mountains in der Südwestecke von Neu-Mexiko.

Eine schönere, aber auch zugleich wildere Landschaft konnte man sich kaum vorstellen. Tief eingeschnittene, fast dunkle Canyons wechselten ab mit Plateaus, die eben wie Tischplatten waren. Tafelberge, die vom Wind bizarr geformt waren, leiteten über zu Bergwäldern und steil aufragenden Felsen. Straßen oder Wege gab es hier nicht. Man konnte froh

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sein, wenn man auf einen halbwegs passierbaren Maultierpfad traf. Im übrigen war man auf den Instinkt und die Trittsicherheit der Pferde angewiesen.

»Weiterreiten wäre Wahnsinn«, stellte Sheriff Custer fest, »ich denke, wir bleiben über Nacht hier, Ben.«

»Haben Sie das die ganze Zeit über nicht gewollt, Sheriff?« Der junge, drahtige und stets etwas zu energische Hilfssheriff sah Custer prüfend an.

»Stimmt, Ben«, räumte Custer lächelnd ein, »aber keine Sorge, auch die Banditen werden nicht weiterkommen; können sie in dem Gelände hier nicht riskieren.«

»Worauf wollen Sie raus, Sheriff?« »Könnte doch sein, daß die Biester zurückkommen, die den

Mann dort so zugerichtet haben.« »Dann werd’ ich mal Feuerholz sammeln, Sheriff.« Im

Grunde drängte es Ben Halton, trotz der Dunkelheit die Verfolgung wieder aufzunehmen. Er wollte den Banditen auf den Fersen bleiben und sie möglichst bald stellen. Er hatte sehr persönliche Gründe dafür, denn sie hatten seinen Freund Steve Landey angeschossen. Ob er durchkommen würde, stand nicht fest.

Ben Halton beugte sich jedoch der Entscheidung des Sheriffs. Walt Custer war sein großes Vorbild, wenngleich er innerlich manche Entscheidung Custers kritisierte. Der Sheriff war in seinen Augen nicht scharf genug.

»Das Feuerholz können Sie sich sparen, Ben«, sagte Custer, »die Decken werden reichen müssen.«

»Sie wollen die Biester nicht warnen, wie?« »Haargenau, Ben. Und sicherheitshalber werden wir in

einen Baum steigen. Ich möchte nicht überrascht werden.« Ben Halton lächelte etwas geringschätzig. Der Sheriff

übertrieb wieder einmal, war einfach zu vorsichtig. Aber bitte, wenn er darauf bestand, kletterte man eben auf einen Baum.

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»Hoffentlich können die Biester nicht fliegen«, spöttelte Ben Halton.

»Das ist meine Sorge«, antwortete Sheriff Custer ernst, »sonst sitzen wir nämlich ganz schön in der Tinte.«

* * *

Clive Hitman fror. Er saß dicht vor dem kleinen Feuer und hatte sich eine

dicke, verfilzte Decke über den Rücken gezogen. Er trank den heißen Kaffee in kleinen Schlucken und rauchte dazu eine Pfeife. Hin und wieder legte er etwas Holz nach und starrte dann in die Flammen.

Clive Hitman war gut und gern sechzig Jahre alt, arbeitete als Prospektor und besaß eine feine Nase für Kupfer und Silber. Solange er zurückdenken konnte, wanderte er mit seinen Maultieren durch die einsame Bergwelt und spürte nach Metallen. Er war erfolgreich, fand immer wieder neue Lagerstätten dieser Erze, sicherte sich die Schürfrechte und verlor sie dann prompt an den Spieltischen, setzte sie in Whisky um und bezahlte damit Frauen, die ihm für ein paar Tage vorgaukelten, er sei ein Herr von Welt.

Clive, untersetzt, hager und fast schon so etwas wie ein Original, bekannt wie ein bunter Hund in allen Saloons des Südwestens, liebte dieses Leben. An die Zukunft oder an sein Alter dachte er nicht. Er wußte insgeheim, daß er irgendwann einmal draußen in der Wildnis umkommen würde.

Er hatte sein Lager in einem kleinen Talkessel aufgeschlagen und sah zu seinen beiden Maultieren hinüber, die plötzlich unruhig geworden waren. Sie schnaubten, stampften und zerrten an den Leinen, die sie an einem Baumstamm festhielten.

»Was is’ denn, Kinder?« rief er ihnen zu, »is’ doch alles in

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Ordnung.« Dennoch stand er auf und griff automatisch nach seinem

Gewehr. Er ging zu den beiden Tieren hinüber und kontrollierte die Leinen. Wahrscheinlich pirschten sich irgendwo ein paar Coyoten an. Als er zurück zum Feuer gehen wollte, hörte er plötzlich das Geräusch.

So etwas hatte er noch nie gehört, es klang fremd, unheimlich und angsterregend. Gerade er als Prospektor wußte jedes Geräusch zu deuten, doch hier versagte seine Erfahrung.

Es war ein vielfaches Krabbeln. Tausende von kleinen Füßen schienen über die Felsen zu eilen. Darüber lag ein Klappern, als würden Scheren geöffnet und wieder blitzschnell geschlossen. Und dann erklang ein Zirpen, das ihm ebenfalls vollkommen fremd war. Es war nicht das Zirpen von Grillen, sondern ein giftiges, bösartiges Singen, das den Tod verkündete.

Clive Hitman rieselte es kalt über den Rücken. Er bekam es mit der Angst zu tun. Er schaute sich nach allen Seiten um, horchte, wollte feststellen, woher diese Geräusche kamen, doch dies ließ sich nicht feststellen. Es war überall, schien ihn bereits eingekreist zu haben.

Die beiden Maultiere spielten verrückt Verzweifelt rissen sie an den Leinen und ließen sich auch

durch Zurufe nicht mehr beruhigen. Sie keilten aus, schrien wie Menschen, rissen sich los und jagten dann an Clive vorüber, verschwanden in der Nacht.

Clive machte erst gar nicht den Versuch, die Tiere aufhalten zu wollen. Seine Ausrüstung lag in der Nähe des Feuers, viel konnte ihm also nicht passieren. Er kannte seine beiden »Kinder«. Bei Tageslicht würde er nach ihnen suchen und sie wahrscheinlich irgendwo in der Nähe auch finden.

Das fremde, unheimliche Geräusch ebbte ab, das bösartige Zirpen war nicht mehr zu hören. Clive Hitman blieb

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unentschlossen vor dem kleinen Feuer stehen, überlegte. Er besaß einfach nicht die Nerven, sich wieder hinzusetzen. Da war immer noch die Angst in ihm, das Grauen vor Dingen, die er nicht kannte.

Der windgeschützte, kleine Talkessel kam ihm nicht mehr sicher vor. Er erinnerte ihn nun sogar an eine böse Falle, aus der es unter Umständen kein Entrinnen mehr gab. Es war wohl besser, diesen Platz möglichst schnell zu räumen. Er brauchte jetzt eine Stelle, die sich besser verteidigen ließ. Der alte Prospektor ließ sich von seiner Erfahrung leiten und zergrübelte sich nicht unnötig den Kopf. Er hatte in der Vergangenheit immer instinktiv und spontan gehandelt und war dabei gut gefahren. Er raffte ein paar Vorräte zusammen und stieg aus dem kleinen Talkessel. Als er auf dem steil ansteigenden Hang war, hörte er plötzlich wieder das bösartige und giftige Zirpen, das Scharren und Krabbeln von Tausenden von kleinen Füßen, das hornige Klappern von Scheren. Und er hörte den Todesschrei seiner beiden Maultiere.

Er blieb stehen, beugte sich vor, um noch besser hören zu können, nahm das Hufgetrappel eines seiner Maultiere wahr und sah dann das Tier, das in panischer Flucht zurück in den kleinen Talkessel preschte. Es war über und über bedeckt mit Wesen, die Clive Hitman nicht identifizieren konnte, weil die Sicht einfach zu schlecht war. Das Maultier glitt aus, fiel auf die Seite, überschlug sich, keilte mit den Beinen aus und verschwand unter dem Gewimmel und Gezappel jener Wesen, die von einem anderen Stern stammen mußten.

* * *

Sie hießen Jeff Olby, Hale Putnam und Joe Stomper. Sie hatten zusammen mit Carlos Cruce die Bank in San

Lorenzo ausgeraubt und gute Beute gemacht. In den

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Satteltaschen ihrer Pferde befanden sich dicke Banknotenbündel und auch Silber. Sie hätten triumphieren können, denn jetzt waren sie reich und hatten ausgesorgt. Aber das Gegenteil war der Fall, die Angst saß ihnen im Nacken.

Sie hatten Carlos Cruce verloren. Ihr Partner lag irgendwo in den Bergen, gestorben an einem

Schlangenbiß. Das wenigstens redeten sie sich ein, obwohl sie alle insgeheim wußten, daß es keine Schlange gewesen sein konnte. Der sterbende Carlos, der zuletzt vor Schmerzen geschrien und gebrüllt hatte, war nicht mehr in der Lage gewesen, ihnen etwas zu sagen. Er hatte schrecklich gelitten, und sie hatten ihm nicht helfen können.

Die drei Banditen wußten, daß sie verfolgt wurden, doch darüber machten sie sich keine Sorgen. Hier im Gewirr der fast unwegsamen Black Mountains konnten sie jeden Verfolger leicht abschütteln oder sogar in eine Falle locken und erledigen. Es war ihre Absicht, hier in den Bergen erst einmal unterzutauchen, um dann in einem weiten Bogen zurück nach Süden zu reiten und dann nach Mexiko überzuwechseln. Dort wollten sie dann in aller Ruhe ihre Beute je nach Geschmack umsetzen und genießen.

Daran dachten sie jedoch nicht. Sie hockten am kleinen Feuer und stierten in die Flammen.

Sie redeten nicht miteinander, sie horchten in die Nacht hinaus und hatten Angst vor jenen Geräuschen die ihnen selbst jetzt noch in den Ohren klangen. Sie wußten, daß diese seltsamen Geräusche mit Carlos Cruces Tod zusammenhingen.

»Warum reiten wir nicht einfach weiter?« fragte Joe Stomper plötzlich und richtete sich auf. Er war groß und stark, doch er hatte Angst. Er sah zum nächtlichen Himmel hoch, der mit Wolken bedeckt war, die den Mond verblassen ließen.

»Willst du dir unbedingt den Hals brechen?« meinte Jeff Olby, der Anführer der drei Männer. Er war ein schlanker,

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kleiner Mann, ein Energiebündel, hart in seinen Aktionen, grausam.

»Ich will nicht umkommen wie Carlos«, antwortete Joe Stomper.

»Ob Genickbruch oder Schlangenbiß, das kommt aufs gleiche raus«, ließ Hale Putnam sich vernehmen. Sein Ton klang spöttisch, ein wenig überheblich sogar. Er war dicklich und hatte das feiste Gesicht eines Genießers. Stomper war selten aus der Ruhe zu bringen.

»Was mögen das für komische Geräusche gewesen sein?« sinnierte Joe Stomper laut. Er wußte, daß ihn jeder verstand.

»Schlangen sind das nicht gewesen«, räumte Jeff Olby ein. »Ungeheuer«, spöttelte Hale Putnam automatisch. »Vielleicht wären wir besser nach Osten geritten«, überlegte

Stomper halblaut »Kein Mensch hält dich auf, Joe«, sagte Putnam, »schwing

dich in den Sattel und reit los!« Jeff Olby wollte antworten, doch in diesem Augenblick war

wieder das grillenhafte Zirpen zu hören, das keiner von ihnen vergessen hatte. Es sägte an ihren Nerven und ließ auch Olby und Putnam hochspringen.

»Da war’s wieder«, stieß Joe Stomper hervor. »Schnauze«, fuhr Olby ihn gereizt an, »halt doch endlich

mal den Mund!« Das Zirpen wurde lauter, sägender und schriller. Hinzu kam

ein seltsames Scharren und Gekrabbel. Kleine Steinchen rollten und polterten in Schluchten, irritierten zusätzlich die Männer am Feuer.

»Es wird lauter«, sagte Joe Stomper. »Ruhe«, fuhr Olby ihn an, kaum seine Stimme erhebend. »Laßt uns abhauen!« drängte Joe Stomper, als habe er Olbys

Aufforderung nicht gehört. »Das Zirpen geht einem verdammt an die Nieren«, stellte

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Hale Putnam fest. Von Spott war diesmal nichts in seiner Stimme.

»Jetzt will ich’s aber endlich wissen!« Härte war in Olbys Ton. Er griff nach seiner Winchester und rückte sich den Waffengurt mit dem Colt zurecht.

»Du willst doch nicht etwa ‘n Feuerwerk veranstalten?« warnte Hale Putnam. »Die Schüsse sind meilenweit zu hören.«

»Warum verschwinden wir nicht?« drängte Joe Stomper, »noch haben wir ‘ne Chance.«

»Ich bin gleich wieder zurück«, sagte Olby und nickte seinen beiden Partnern zu, »das Zirpen muß irgendein raffinierter Trick sein.«

Er verschwand innerhalb weniger Sekunden in der Dunkelheit, war nicht zu hören. Olby war ein Mann, der sich in der Wildnis auskannte, der sich lautlos in ihr bewegen konnte.

Joe Stomper hielt sein Gewehr ebenfalls in der Hand, während Hale Putnam sich um Gelassenheit bemühte. Er hatte nichts dagegen, daß Jeff den Dingen auf den Grund gehen wollte. Auch er wollte endlich wissen, woran man war.

Die Zeit dehnte sich, das Warten wurde zur Qual. Olby mußte jetzt schon zehn Minuten weg sein. Putnam und Stomper redeten kein Wort, horchten in die Nacht hinein.

Dann hörten sie etwas. Es war ein gellender Schrei, spitz, überrascht, entsetzt!

Dieser Schrei ging in einem Stakkato erstickter Rufe unter, die nicht zu verstehen waren. Dann herrschte Stille, bis das schrille Zirpen wieder zu hören war.

»Wie bei Carlos«, flüsterte Stomper. »Nichts wie weg, Hale!«

»Hol die Pferde«, sagte Putnam, »hau die Sättel drauf, Joe! Beeil dich, das Zirpen wird lauter!«

Während Stomper zu den Pferden hinüberrannte, die in einer Mulde hinter einem dicken Felsblock standen, ging Hale

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Putnam ein paar Schritte in die Dunkelheit hinaus. Nun hatte auch er seine Winchester schußbereit in den Händen. Er rechnete jeden Augenblick mit einem Überfall. Seine bereits aufgepeitschten Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

Das schrille Zirpen wurde noch lauter, sägte an seinen Trommelfellen. Das Scharren war jetzt deutlich zu hören, ein Krabbeln wie von Tausenden kleinen Käferbeinen. Und dann das klappernde Knacken und Schnappen von hornigen Zangen, deren Ursprung er sich nicht zu erklären vermochte.

Von Jeff Olby war nichts mehr zu hören. Selbst wenn er geschrien hätte, wären diese Laute von dem schrillen Zirpen mit Sicherheit überdeckt worden. Unentschlossen blieb Hale Putnam stehen. Er traute sich einfach nicht weiter vor, hatte eine unsagbare Angst vor dem nächsten Schritt.

Er fuhr nervös herum, als er hinter sich ein Geräusch hörte. »Die Gäule sin’ weg!« Joe Stompers Stimme klang gepreßt. »Ausgeschlossen, dann hätten wir doch was gehört.« »Sie sind aber weg«, wiederholte Joe Stomper gereizt, »und

die wissen genau, warum sie abgehauen sind. Ich verschwinde!«

»Und Olby?« »Dem kann kein Mensch mehr helfen, Hale.« »Ich komm’ mit, Joe.« Hale Putnam lief zurück zum kleinen

Feuer und raffte einige Dinge zusammen, die er für den Fußmarsch für wichtig hielt.

»Und was machen wir mit dem Geld?« fragte Stomper und deutete auf die vier Satteltaschen, die die gesamte Beute enthielten.

»Wir verstecken das Zeugs«, schlug Putnam vor »zu Fuß kommen wir damit nicht weit.«

Stomper war sofort einverstanden. Er schaute sich suchend nach einem geeigneten Versteck um, erstarrte und riß weit die Augen auf. Er brauchte wertvolle Sekunden, bis seine vor

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Grauen zugeschnürte Kehle sich öffnete. »Da!« keuchte er. »Da sind sie!« Hale Putnam fuhr herum und riß seine Winchester hoch.

Dann feuerte er Schuß auf Schuß auf die Ausgeburten der Hölle, die über einen kleinen Hügel heraneilten.

Das Zirpen wurde dabei zu einem hohen, singenden Ton, der körperlich schmerzte.

* * *

»Schüsse!« sagte Hilfssheriff Ben Halton und sah Walt Custer überrascht an.

»Ich bin ja nicht taub«, gab der Sheriff zurück, »die Banditen scheinen Schwierigkeiten zu haben.«

»Die Biester, nicht wahr?« »Ich bin ziemlich sicher«, sagte Custer, »scheint heiß

herzugehen.« Er zündete sich eine Zigarette an und horchte auf die

Schüsse, die nach wie vor in rasender Schnelligkeit abgefeuert wurden. Custer unterschied jetzt zwei Gewehre. Die Schützen feuerten die Röhrenmagazine ihrer Winchester in ununterbrochener Reihenfolge ab.

»Wenn man nur wüßte, wie sie aussehen«, meinte Ben Halton nervös.

»Möglich, daß wir sie bald sehen werden«, entgegnete Custer, »ich denke, wir sollten langsam auf den Baum steigen, Ben.«

»Sie wissen, daß ich nicht feige bin, Sheriff«, schickte der junge, drahtige Mann voraus, »aber warum setzen wir uns nicht ab? Bei Tageslicht richten wir bestimmt mehr aus. Dann können wir die Biester wenigstens sehen.«

»Und wohin sollen wir uns absetzen?« fragte Custer gelassen.

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»In Richtung San Lorenzo, Sheriff.« »Und laufen den Biestern direkt in die Arme«, warnte

Custer und schüttelte den Kopf, »stehen wir’s hier durch, Ben. Ich denke, auf dem Baum dort sind wir ziemlich sicher.«

»Ich hab’ Angst«, gestand Halton. »Ich ebenfalls«, sagte Walt Custer mit allergrößter

Selbstverständlichkeit, »ich bin schließlich kein Held, Ben.« »Ich dachte schon, Sie würden mich auslachen.« »Weil Sie Angst haben? Nur ein Geistesgestörter kennt

keine Angst. Ich denke, wir nehmen den Baum dort, er macht ‘nen soliden Eindruck.« Während der Sheriff noch redete, deutete er auf eine mächtige Fichte, die nur von zwei Männern umspannt werden konnte. Sie ragte senkrecht hoch in den Himmel und wies bis in einer Höhe von vielleicht drei Metern keinen Ast auf.

Custer nahm das Lasso und warf es geschickt über einen der ersten, soliden Queräste, dann nickte er seinem Hilfssheriff zu, der die beiden Seilenden in die Hände nahm, um sich dann geschickt hochzuhangeln.

»Ich werde noch die Pferde losbinden«, meinte Sheriff Custer, als Halton oben war, »sie sollen wenigstens abhauen können, wenn sie angegriffen werden.«

»Beeilen Sie sich, Sheriff«, warnte Halton, »die Schießerei hat aufgehört!«

Walt Custer ging zu den beiden Pferden hinüber und band sie so los, daß sie sich ohne Schwierigkeiten losreißen konnten. Dann trug er den Proviant, die Decken und die Gewehre zum Stamm. Ben Halton seilte alles nach oben und wartete dann, bis Custer endlich neben ihm saß.

»Jetzt fühle ich mich schon bedeutend wohler«, sagte er, »den Baum hier werden sie ja kaum abnagen können.«

»Hoffen wir’s«, meinte Custer gelassen, »es ist verdammt ruhig geworden, finden Sie nicht auch?«

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»Ob sie sich vielleicht schon ranpirschen?« »Wenn die Sonne aufgeht, werden wir mehr wissen«, sagte

Custer, »falls wir dazu dann noch in der Lage sind, Ben.«

* * *

»Nichts«, sagte Custer, als die Sonne aufging und die Berge rot färbte. »Rein gar nichts hat sich getan.«

»Ich hab’ kein Auge zugemacht«, behauptete Ben Halton. »Kleiner Irrtum, mein Junge«, spöttelte der Sheriff, »Ihr

Schnarchen dürfte die Biester vertrieben haben.« »Haben Sie mich festgebunden?« Erst jetzt merkte der junge

Hilfssheriff, daß er angeseilt worden war. Er sah Custer ein wenig verlegen an.

»Muß ich die Frage unbedingt beantworten?« Custer lächelte.

»Haben Sie wenigstens auch mal die Augen zugemacht, Sheriff?«

»Möglich, ich kann mich nicht erinnern, Ben. Ich werde jetzt runtersteigen,«

»Und unsere Pferde?« »Müßten noch da sein.« Steifbeinig seilte der Sheriff sich

ab. Er war innerlich enttäuscht. Er hatte gehofft, daß die Biester sich zeigen würden. Er wollte endlich wissen, mit wem er es zu tun hatte. Leider hatte sich während der langen und kalten Nachtstunden nichts gerührt. Die unbekannten Wesen schienen andere Opfer gefunden zu haben.

Als er den Boden erreicht hatte, wartete er, bis Ben Halton die Gewehre, den Proviant und die Decken heruntergelassen hatte. Erst als er seine Winchester in Händen hatte, ging er hinüber zu den Pferden.

Sie standen still und friedlich dort, wo er sie zurückgelassen hatte. Was ihn kaum wunderte. Er hatte tatsächlich kein Auge

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zugetan. Er hätte ihre Flucht hören müssen. »Und jetzt, Sheriff?« fragte Halton, als er neben dem Sheriff

erschien. »Jetzt werden Sie Kaffee kochen, Ben. Ich mach’ mal ‘ne

kurze Runde. Sollte was sein, dann feuern Sie einen Warnschuß ab, klar?«

»Soll ich nicht besser mitkommen?« Der drahtige Hilfssheriff wollte eindeutig nicht allein zurückbleiben.

»Vergessen Sie den Kaffee nicht«, meinte Custer, ohne auf die Frage einzugehen, »machen Sie ihn so stark, daß ein Löffel drin steckenbleibt. Ich bin hundemüde.«

Walt Custer winkte dem jungen Mann lächelnd zu und machte sich dann auf den Weg. Weit wollte er ohnehin nicht gehen. Er wollte sich nur vergewissern, daß sie nicht plötzlich überrascht wurden. Und was das anbetraf, so dachte er ganz sicher nicht an die Banditen.

Custer erstieg den vor ihm liegenden Grat und sah dann in eine enge und tiefe Schlucht hinunter. Eine Art Saumpfad führte am Hang entlang nach unten. Er brauchte nicht lange nach Spuren zu suchen, er entdeckte, daß die Banditen diesen Weg genommen haben mußten. Diese Schlucht absuchen zu wollen, war sinnlos. Das hätte zuviel Zeit gekostet. Custer wollte sich schon wieder umwenden, als er plötzlich aus der Schlucht heraus ein eigenartiges Geräusch hörte.

Er war sofort hellwach. Der letzte Rest seiner Müdigkeit verflog. Er huschte sofort in Deckung, verbarg sich hinter einem umgestürzten Baumstamm und lauschte intensiv nach unten.

Wenige Sekunden später richtete er sich auf, schüttelte überrascht und erstaunt den Kopf. Das seltsame Geräusch entpuppte sich als eine Art Singsang, der von Minute zu Minute immer lauter wurde. Es handelte sich nur um wenige Töne, die unentwegt und fast monoton wiederholt wurden. Und

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dann sah er den Mann. Er hielt sich wie ein Greis, hatte schlohweißes Haar und ein Bartgestrüpp von gleicher Farbe. Der Mann sah abgerissen aus, schien ein Prospektor zu sein. Er hielt ein Gewehr im Arm und kam über den schmalen Saumpfad direkt auf ihn zu.

Custer blieb in Deckung. Er wollte sich diesen seltsamen Kauz aus nächster Nähe ansehen. Der Mann schlenderte heran, hatte überhaupt keine Eile, wiederholte unentwegt seinen monotonen Singsang und reagierte überhaupt nicht, als Custer sich erhob und sich zeigte. Der Sheriff war auf der Hut. Er hielt seine Winchester schußbereit in der Hüfte.

»Hallo, Mann!« rief er dem Prospektor zu. Der alte Mann reagierte überhaupt nicht. Seine Augen

waren leer und glanzlos, schienen kein Leben zu haben. Er kam ohne jedes Mißtrauen auf Custer zu, schaute durch ihn hindurch, sang.

»Hallo, Mann!« Custer verstärkte den Ton seiner Stimme. Der Prospektor schien taub zu sein, reagierte immer noch

nicht, obwohl ihn nur noch wenige Meter von Custer trennten. Und jetzt begriff der Sheriff. Dieser alte Mann mußte grauenhafte Dinge erlebt haben! Diese Dinge hatten ihm den Verstand geraubt, hatten ihn wahnsinnig werden lassen.

»Da drüben hab’ ich heißen Kaffee«, sagte Walt Custer und nahm den alten Mann bei der Hand, was er sich ohne weiteres gefallen ließ. Custer führte ihn zurück zum Lager und drückte ihn auf einen am Boden liegenden Sattel. Ben Halton stellte keine Fragen. Der junge und energische Mann hatte sofort gemerkt, was mit dem alten Mann los war. Er reichte ihm einen Becher Kaffee, den der Alte wie selbstverständlich entgegennahm.

»Kümmert euch um meine beiden Kinder«, sagte der Mann zwischen zwei Schlucken.

»Ihre beiden Kinder?« Sheriff Custer wußte nicht, was er

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von dieser Bemerkung halten sollte. »Meine beiden Kinder«, wiederholte der alte Mann und

starrte dann in die Flammen. Er war nicht mehr ansprechbar, wie sich zeigte.

»Ob er in der vergangenen Nacht geschossen hat?« raunte Halton dem Sheriff zu.

»Sehen Sie sich doch seine Flinte an«, meinte Custer und schüttelte den Kopf, »in der Nacht haben wir Winchester gehört, Ben.«

»Wer mag er sein?« »Er kommt mir bekannt vor. Ich weiß, daß ich ihn schon

gesehen habe, aber ich weiß nicht, wo ich ihn hinstecken soll.« »Ist er ...?« Ben Halton scheute sich, den Satz und die darin

enthaltene Andeutung zu beenden. »Er ist durchgedreht«, antwortete Custer, »irgendwas hat

ihn um den Verstand gebracht.«

* * *

Sie waren ohne Pferde und Proviant. Die beiden Banditen quälten sich auf ihren hochhackigen

Stiefeln durch den tiefen, weichen Sand, der die Sohle der engen Schlucht bedeckte. Sie redeten längst nicht mehr miteinander, dazu waren sie zu erschöpft. Immer wieder schauten sie sich mißtrauisch und ängstlich um. Sie hatten Angst, selbst jetzt bei Tageslicht noch verfolgt zu werden.

»Da müssen wir rauf«, sagte Hale Putnam, der die Führung übernommen hatte, »weit kann’s nicht mehr sein.«

Er legte endlich eine kleine Pause ein und wischte sich den klebrigen Schweiß von der Stirn. Er deutete auf einen schmalen Saumpfad, der hinauf in ein Gewirr von Buschwald und Felsen führte. Es war genau der Weg, den er und seine Freunde am vergangenen Tag gewählt hatten.

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»Machen wir’s auch wirklich richtig?« fragte Joe Stomper. »Du bist doch auch dagegen gewesen, weiter in die Wildnis

reinzureiten«, antwortete Putnam. »In San Lorenzo werden sie uns lynchen.« »Die werden andere Sorgen haben, Joe. Ich bin jedenfalls

froh, wenn ich raus aus den Black Mountains bin. Ohne Pferde hätten wir ja sowieso keine Chance.«

»Schon gut«, antwortete Stomper, »weiter, Hale! Ich will endlich Menschen sehen!«

Sie schleppten sich auf wunden, durchgescheuerten Füßen den schmalen Pfad hinauf, gingen ganz bewußt ihren Verfolgern entgegen. Sie hatten aufgegeben, wußten, daß sie in den Bergen keine Überlebenschance mehr hatten.

»Stop«, sagte plötzlich eine lässige Stimme, »nehmt die Hände hoch, Jungens, laßt die Waffen fallen!«

»Mann, das hat aber gedauert«, sagte Putnam erleichtert und blieb sofort stehen. Er warf die Winchester zu Boden, gurtete den Waffengurt auf und ließ ihn ebenfalls fallen. Joe Stomper, der hinter ihm war, folgte seinem Beispiel.

»Ich bin Sheriff Custer«, sagte der große, schlaksige Mann, der jetzt aus seinem Versteck hervortrat.

»Hale Putnam und Joe Stomper«, stellte Putnam sich und seinen Partner vor.

»Und woher kommt ihr?« »Aus den Bergen da drüben«, erwiderte Putnam, sich genau

an die Absprache haltend, die er mit Joe Stomper getroffen hatte. Sie waren übereingekommen, den Bankraub nicht zuzugeben.

»Irgendwelche Leute gesehen?« fragte Custer. Während er noch sprach, erschien sein Hilfssheriff auf der anderen Seite des Pfades. Ben Halton sammelte die Waffen ein.

»Drei Reiter«, schwindelte Hale Putnam, »und sie hatten es verdammt eilig.«

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»Habt ihr mit ihnen gesprochen?« »Wir sind in volle Deckung gegangen«, log Putnam weiter,

»die Leutchen machten nicht gerade ‘nen freundlichen Eindruck. Und sie hatten es eilig, aber das sagte ich ja schon.«

»Sonst nichts aufgefallen?« »Aufgefallen?« Hale Putnam lachte gequält auf, »Sheriff,

wir haben ‘nen Blick in die Hölle getan.« »Klingt spannend, Putnam.« »Skorpione, nichts als Skorpione«, schaltete sich Joe

Stomper ein, »aber so groß wie Kaninchen. So was hab’ ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Nichts als Skorpione.«

»Erzählen Sie«, drängte der Sheriff, »aber gehen wir erst mal zurück zum Feuer. Ich glaube, wir haben noch heißen Kaffee.«

Sie marschierten zurück zum Lager, wo sie den alten, verwirrten Mann zurückgelassen hatten.

Er war nicht mehr da! Er war mitsamt seinem Gewehr verschwunden, ohne

irgendeine Nachricht zu hinterlassen. »Soll ich ihm nach, Sheriff?« fragte Ben Halton. »Lassen wir ihn«, meinte Custer, »ich glaube, er wird den

richtigen Weg finden. Das hier ist jetzt wichtiger.« Die beiden Banditen Putnam und Stomper fühlten sich

angesprochen. Nachdem sie Kaffee getrunken hatten, fühlten sie sich bereits etwas wohler.

»Sie haben also Skorpione gesehen«, begann Custer, »darüber möcht’ ich mehr hören.«

»So was kann man eigentlich nicht beschreiben«, antwortete Putnam, »zuerst hört man so ‘ne Art Zirpen, dann Scharren und Krabbeln, dann das Klappern von Scheren. Und wenn man sie dann sieht, bleibt einem fast das Herz stehen.«

»Skorpione, groß wie Kaninchen«, warf Stomper, der große, schwere Mann, ein, »schnell wie Ratten. Wenn nich’ noch

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schneller. Tausende davon sind plötzlich da und kreisen einen ein.«

»So haben wir auch unsere Pferde verloren«, meinte Putnam und schaute sich unwillkürlich in Richtung Schlucht um, »sie rammten ihre Giftstacheln in die Tiere und brachten sie zu Fall. Und dann waren sie über den auskeilenden Tieren und rissen sie in kleine Fetzchen. Mann, so etwas werde ich nie vergessen.«

»Klingt ziemlich abenteuerlich«, stichelte Custer absichtlich.

»Wie Sie darüber denken, Sheriff, ist mir völlig egal«, erwiderte Putnam, »Stomper und ich haben sie gesehen. Wir haben geschossen, was das Zeug hielt und wissen jetzt noch nicht, wie wir überhaupt entkommen konnten.«

»Groß wie Kaninchen«, stellte Stomper noch einmal fest, »Giftstachel so lang wie ‘ne Peitsche.«

»Und Scheren wie Drahtzangen«, fügte Putnam hinzu, »wir haben gehört, wie sie damit die Knochen unserer Pferde geknackt haben.«

»Wo haben sie euch angegriffen?« wollte Sheriff Custer wissen.

»Irgendwo da hinten in den Canyons«, antwortete Putnam, »aber bitte, wenn ihr nicht glaubt, braucht ihr nur nachzusehen. Kein Mensch hält euch auf.«

»Was aus den drei Reitern geworden ist, wißt ihr nicht, wie?« Custer wußte, daß er zwei Banditen vor sich hatte, ließ sich aber nichts anmerken.

»Keine Ahnung, Sheriff«, meinte Putnam, »ich kann nur hoffen, daß sie durchgekommen sind.«

Sheriff Custer zog blitzschnell seinen Colt, als der große, massige Stomper plötzlich hochschnellte. Zuerst glaubte Custer an einen faulen Trick, doch dann hörte auch er das seltsame, hohe Zirpen, das aus der Schlucht kam. Hale Putnam verfärbte

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sich, nagte an seiner Unterlippe, zitterte. Joe Stomper schielte zu den beiden Pferden von Custer und Halton hinüber.

»Keine Dummheiten«, warnte Custer mit scharfer Stimme, »und was das Zirpen anbetrifft, so stammt es wirklich von Grillen, Leute. Nun dreht nicht gleich durch.«

»Mit dieser Zirperei hat’s angefangen«, stieß Stomper hervor. »Mann, Sie haben die Skorpione ja nicht gesehen. Wir müssen weg! Schnell! Noch haben wir vielleicht ‘ne Chance.«

»Ich bin auch dafür, daß wir uns schleunigst absetzen«, drängte Putnam unruhig, »Sheriff, diese Biester sind ungewöhnlich schnell.«

* * *

Die schmucke, kleine Stadt hatte sich gründlich verändert. Vor knapp einem Jahr noch hatten hier Ruhe und

Beschaulichkeit geherrscht. Als dann jedoch Kupfer und Silber gefunden wurden, hatte sich das Bild sehr verschoben. In San Lorenzo trafen sich Prospektoren, Minenarbeiter, Abenteurer und Gauner aller Kaliber, die ohne viel Arbeit einen gründlichen Schnitt machen wollten.

Der ursprüngliche Kern des kleinen Städtchens im äußersten Südwesten von Neu-Mexiko wurde überwuchert von schnell und nachlässig errichteten Häusern, die an windschiefe Baracken erinnerten. Daß in San Lorenzo die Willkür nicht offen regierte, war eigentlich nur noch Sheriff Custer zu verdanken, der sich auch von dem härtesten und abgebrühtesten Banditen nicht ins Bockshorn jagen ließ. Bisher war es ihm gelungen, die gröbsten Auswüchse zu verhindern.

Custers Gegenspieler hieß Steve Lingman. Er besaß in San Lorenzo einige Saloons, in denen attraktive

Tanzgirls dafür sorgten, daß der Umsatz von Woche zu Woche stieg. Lingman residierte in einem Hotel, das ihm

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selbstverständlich ebenfalls gehörte. Erst vor knapp einem Vierteljahr hatte er den General-Store aufgekauft und diktierte die Preise für Ausrüstungsgegenstände aller Art. Wer in den Bergen als Prospektor sein Glück versuchen wollte, mußte seine Ausrüstung und den Proviant mit Überpreisen bezahlen. Lingman diktierte auch die Preise für die Bevölkerung. Dinge des täglichen Bedarfs mußte man in seinem General-Store teuer bezahlen.

Lingman wollte noch mehr. Er war darauf aus, die ganze Stadt in seinen Besitz zu

nehmen. Schneller und leichter ließ sich wirklich kein Gewinn erzielen. Er gab freigiebig Geld zur Erreichung dieses Ziels aus, bezahlte jene Leute, die zu ihm hielten, räumte ihnen kleine Vergünstigungen oder Kredite ein. Er brachte sie nacheinander in seine Abhängigkeit und wußte eigentlich schon jetzt, daß er die nächste Sheriffwahl gewinnen würde.

Steve Lingman sah nicht wie ein Bösewicht aus. Er war ein großer, schlanker und gut aussehender Mann von

zweiundvierzig Jahren, hatte ein sympathisches Gesicht und volles, schwarzes Haar. Der Bart auf seiner Oberlippe unterstrich seine Männlichkeit. Er trug ungewöhnlich elegante Anzüge, die er sich in El Paso schneidern ließ. Er sprach fließend Spanisch, beherrschte aber auch den lässigen Slang der rauhen Männer, die hier lebten. Für die vielen Kinder der hier tätigen Minenarbeiter hatte er stets ein paar Süßigkeiten bei sich. Daß er Kinder nicht ausstehen konnte, spielte dabei keine Rolle. Er wußte, daß die Mütter sich freuten, wenn er ihren Kindern immer etwas zusteckte, wenn er ein lustiges Scherzwort für sie hatte.

Lingman war ein vorausschauender Mann. Die wüste und wilde Zeit hier im Südwesten war längst

vorüber. Es ging nicht mehr um Abenteuer, es ging um Öl wie im Süden von Texas, es ging um Kupfer, Gold und Silber. Wer

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jetzt an die richtigen Schürfrechte herankam, der konnte später Millionen verdienen. Und genau die wollte er an sich raffen. Wer ihm dabei Schwierigkeiten machte, der lebte nicht lange. Steve Lingman hatte seine Kreaturen, die jede geforderte Dreckarbeit für ihn diskret erledigten.

Dieser Steve Lingman stand am Fenster seiner Hotelsuite, die aus drei großen Räumen bestand, die üppig und bequem ausgestattet waren. Er sah auf »seine« Stadt hinunter, beobachtete die Plaza mit dem Brunnen, der Kirche und dem Büro des Sheriffs, an das sich das Gefängnis anschloß. Und dort tat sich etwas. Sheriff Custer, sein Deputy und zwei weitere Männer waren aufgetaucht.

»Diese Idioten«, sagte er zu dem neben ihm stehenden Mann, der etwa dreißig Jahre alt war. Er hieß Marvin Leeds und war seine rechte Hand. Leeds war für die Saloons verantwortlich und verfügte seinerseits über ein paar harte Männer, die man für alles verwenden konnte. Auch sie gingen nach außen hin und für die Bevölkerung von San Lorenzo normalen Berufen nach. Sie waren Angestellte der Saloons und bildeten eine Art Privatarmee für Lingman.

»Sie haben sich doch tatsächlich schnappen lassen«, wunderte sich Leeds kopfschüttelnd.

»Olby und Cruce scheinen auf der Strecke geblieben zu sein«, sagte Lingman.

»Wann räumen wir Custer endlich aus dem Weg?« fragte Leeds, »der Mann wird langsam lästig.«

»In ein paar Monaten sind die Wahlen«, antwortete Lingman, »dann ist er ohnehin vom Fenster.«

»Bis dahin kann er aber noch verdammt viel Ärger machen, Mr. Lingman.«

»Putnam und Stomper tragen keine Handschellen«, stellte Lingman erstaunt fest, »die scheinen Custer was vom Pferd erzählt zu haben.«

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»Gerissen ist Putnam ja.« Leeds lächelte. »Stell fest, was aus Olby und Cruce geworden ist«, befahl

Lingman, »aber Moment mal, Custer läßt Putnam und Stomper ja laufen! Das ändert die Lage.«

Lingman wunderte sich ehrlich. Er war von seiner Voraussetzung ausgegangen, daß man Putnam und Stomper während ihrer Flucht erwischt hatte. Doch nun ließ der Sheriff sie ohne weiteres frei. Seine beiden Handlanger mußten in den nächsten Minuten schon im Saloon auftauchen.

Auf dem Umweg über seine rechte Hand Leeds hatte er sie auf die Bank angesetzt und sie ausplündern lassen. Dabei war es Lingman weniger um das Geld gegangen als vielmehr darum, dem Sheriff eine Niederlage zu bereiten. Für den kommenden Wahlkampf um den Posten des Sheriffs wollte er Custer blamieren, ihn in die Lage eines Versagers hineinmanövrieren.

Leeds hatte die Hotelsuite verlassen. Lingman zündete sich eine Zigarre an und wartete darauf, daß Leeds die beiden Männer ins Hotel bugsierte. Er wollte aus erster Hand erfahren, was draußen in den Bergen passiert war.

Er mußte lange warten. Vom Hotelfenster aus sah er, daß die beiden Männer

Putnam und Stomper von einem Schwarm neugieriger Bewohner umgeben wurden. Die beiden Banditen machten einen aufgeregten Eindruck, schienen eine Menge zu erzählen zu haben. Dann verschwanden sie endlich aus seinem Gesichtskreis und hielten auf einen seiner Saloons zu.

Leeds kam zurück und machte einen betroffenen Eindruck. »Ich weiß nicht, was ich von der Geschichte halten sollte«,

meinte er. »Putnam und Stomper erzählen von riesigen Skorpionen, Mr. Lingman. Sie sollen groß sein wie Kaninchen und giftig wie Klapperschlangen. Olby und Cruce scheint’s erwischt zu haben.«

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»Skorpione so groß wie Kaninchen?« Lingman lachte spöttisch auf. »Putnam scheint Custer ganz schön auf den Arm genommen zu haben. So was gibt’s doch überhaupt nicht.«

* * *

Offiziell hatte die Kupfermine keinen Namen, doch die Arbeiter nannten sie »Teufelsschacht«.

Der Stollenmund befand sich in einem tiefen Taleinschnitt und erinnerte schon in seinem äußeren Aussehen an das verkniffene Maul eines Ungeheuers. In der Nähe eines kleinen Wasserfalls standen die Baracken der Minenarbeiter, die hier lebten. Aus dem Stollen selbst rann ein breites Wasserrinnsal. Die Grube war naß, das Gestein porös und feucht wie ein Schwamm. Erst tief in der Grube wurde sie fester und auch sicherer.

Der »Teufelsschacht« gehörte einer Gesellschaft, die in Albuquerque ihren Sitz hatte. Der Mann, der für Erträge zu sorgen hatte, hieß Marty Yards. Er war ein untersetzter, stämmiger Mann von fünfzig Jahren, der seine Fäuste zu benutzen verstand. Als Vorarbeiter beschäftigte er ein paar handfeste Männer, die für Ordnung zu sorgen hatten.

Die Mine war ergiebig. Das Kupfer konnte hier in Form von kleinen Platten und

Klumpen abgebaut werden, die sich in Flammöfen primitiver Bauart vom Gestein trennen ließen. Diese Öfen, die an Kohlenmeiler erinnerten, standen in einem zweiten, weiteren Tal unterhalb des Stollens. Eine Lorenbahn auf schmalen Gleisen verband beide Talkessel miteinander.

Der Gebirgsbach verschwand hinter diesem zweiten Tal in einer engen und unpassierbaren Schlucht, die noch kein Mensch betreten hatte. Das Wasser stürzte von hier aus wahrscheinlich in unterirdische Kessel, aus denen es kein

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Entrinnen gab. Bisher war keiner der Minenarbeiter neugierig genug gewesen, sich dort abseilen zu lassen.

Der einstmals dichte Gebirgswald war in der näheren und weiteren Umgebung der Mine längst verschwunden. Man hatte das Holz für die Flammöfen und den Schmelzvorgang gebraucht. Neues Brennmaterial wurde jetzt von weit her herangeschafft. Dafür waren Holzkolonnen tätig, die nichts anderes zu tun hatten. Das Grubengelände hatte eine tiefe, häßliche Wunde in die Majestät der Bergwelt geschlagen.

Marty Yards stand an diesem Morgen am Bachufer und schaute von hier aus hinüber zum Stollenmund. Es war Schichtwechsel. Die durchnäßten Minenarbeiter kamen langsam aus dem Stollen und hatten kaum ein Wort für ihre Ablösung. Die etwa zwanzig Männer sahen erschöpft und abgekämpft aus. Sie wollten möglichst schnell in die Unterkünfte kommen und hier ihre Kleidung trocknen.

Yards wandte sich ab und sah zum Bach hinunter. Mitgefühl für die Männer hatte er nicht. Sie wurden schließlich recht gut bezahlt und rissen sich um den Job. Für jeden, der ging, weil er die Arbeit nicht mehr schaffen konnte, meldeten sich zwei andere. Das war für ihn überhaupt kein Problem.

Er wollte gerade losgehen, als sein Blick von einem seltsamen Gegenstand angezogen wurde, der im Wasser trieb. Zuerst dachte er an einen Otter, doch dann fiel ihm ein, daß sie hier längst nicht mehr waren. Der Lärm hatte sie vertrieben.

Neugierig geworden, ging er noch näher an das Wasser heran und schaute dann ungläubig auf den riesigen Skorpion, der dort tot im strudelnden Wasser trieb. Er war mindestens vierzig Zentimeter lang und mußte seinen Giftstachel verloren haben. Das Tier trieb in die Gegenströmung und war jetzt gut zu erkennen. Einige Fußglieder fehlten ebenfalls.

Dafür waren aber noch die beiden krebsartigen Scheren deutlich auszumachen. Sie erinnerten Yards automatisch an die

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Beißzangen von großen Drahtscheren. Solch einen Skorpion hatte er noch nie in seinem Leben

gesehen. Er kannte Skorpione und wußte, daß die größten davon normalerweise bis zu fünfzehn Zentimeter groß wurden. Das hier war direkt ein Ungeheuer und mußte lebensgefährlich sein. Wahrscheinlich war es weit oben in den Bergen in den Bach geraten und ertrunken.

Er nahm einen Stock und tastete nach dem Spinnentier, wollte es ans Ufer ziehen, um es sich aus nächster Nähe ansehen zu können. Dabei geriet das Ende des Steckens in den Bereich einer der Scheren.

Yards zuckte zusammen, als diese Schere plötzlich zuschnappte. Der Skorpion lebte noch! Der Stock in seiner Hand bewegte sich, ein häßliches Knacken und Brechen war zu hören, dann war der Stecken um ein paar Zentimeter kürzer. Die Krebsschere hatte den Stock glatt durchtrennt.

Was für eine Kraft mußte in diesen Scheren stecken! Yards sah sich verblüfft die Bißstelle an. Eine Axt schien

das Stück Holz abgeschlagen zu haben. Als Yards zum Skorpion hinüberschaute, trieb das riesige Spinnentier bereits wieder in der Strömung und strudelte hinunter in den zweiten Talkessel, in dem die Kupferöfen standen.

Yards schaltete blitzschnell. Die Männer dort unten durften diesen Riesenskorpion auf

keinen Fall sehen, sonst wucherten wieder die unheimlichen Geschichten, die man sich abends gern erzählte. Der Skorpion mußte verschwinden.

Er rannte am Ufer entlang und kümmerte sich nicht um die erstaunten Blicke einiger Minenarbeiter. Er mußte dieses unheimliche Biest abfangen und verschwinden lassen, sonst gab es Unruhe unter den Minenarbeitern.

Der Skorpion hatte sich im Ufergestrüpp verfangen, bewegte sich fast tänzelnd im Wasser. Yards riß seinen Colt

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aus dem Halfter und feuerte in schneller Reihenfolge ein paar gut gezielte Schüsse auf das Spinnentier ab.

Er hatte Erfolg. Das schwere Untier wurde von den Geschossen

auseinandergerissen und war danach nicht mehr zu identifizieren. Die einzelnen Teile wurden vom reißenden Wasser abgetrieben und verschwanden dann aus seinem Blickfeld.

Yards sah zum Stollen hinüber, wo einer seiner Vorarbeiter sofort erschienen war. Yards winkte dem Mann beruhigend zu und zwang sich zu einem Grinsen. Sollten sie annehmen, er habe auf ein Stück Treibholz geschossen.

Als er zurück zu den Baracken ging, hatte er ein sehr ungutes Gefühl. Immer wieder sah er ins Wasser und suchte nach weiteren Exemplaren. Zu seiner Beruhigung kamen keine weiteren Riesenskorpione mehr in Sicht. Es schien sich um ein Einzelexemplar zu handeln. Er hatte die Baracken noch nicht ganz erreicht, als er sah und hörte, daß dies nicht der Fall war.

Einige Minenarbeiter mußten zumindest einen zweiten Riesenskorpion entdeckt haben. Sie standen am Bach und redeten aufgeregt durcheinander. Dann war plötzlich ein gellender Schrei zu hören, der nur in Todesangst ausgestoßen worden sein konnte. Yards rannte los.

»Was liegt an?« brüllte er, als er die Männer erreicht hatte. Sie machten ihm Platz und deuteten auf einen der Minenarbeiter, der am Boden lag und sich vor Schmerzen krümmte.

»Was ist denn?« fragte Yards, sich zur Ruhe zwingend. »Das Biest«, sagte einer der Minenarbeiter und deutete ins

Wasser, »das verdammte Biest.« »Was für ein Biest?« Yards merkte, daß er seine Frage

herausbrüllte, doch er konnte nicht anders. »Ein Skorpion«, sagte ein zweiter Arbeiter, »ein Skorpion,

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Boß, groß wie ‘ne Katze.« »Mit ‘nem langen Peitschenschwanz«, berichtete ein dritter

Mann. »Ihn hat’s erwischt«, sagte ein anderer Mann und deutete

angewidert auf den am Boden liegenden Arbeiter, dessen Gesicht sich bereits blau färbte. In den Mundwinkeln bildeten sich ganze Speicheltrauben. In den Augen des sich krümmenden Mannes nistete der Wahnsinn.

»Wo hat’s ihn erwischt?« wollte Yards wissen. Am liebsten wäre er weggerannt, doch er war der Boß und mußte Überlegenheit zeigen.

»Dort, über dem Handgelenk«, sagte irgendeiner der Minenarbeiter. Yards zwang sich, nach dem Arm zu greifen, hob ihn an und starrte dann auf die Einstichstelle.

Sie war taubeneigroß und schwarz verfärbt. In dieses Schwarz mischte sich jetzt ein grünlich schillernder Farbton, der giftig aussah.

Der Mann brüllte, hechelte nach Luft, schlug um sich, war wie von Sinnen.

»Als hätt’ ‘ne Schlange zugebissen«, sagte einer der Männer.

»Es wird eine gewesen sein«, sagte Yards ohne jede Überzeugungskraft.

»Es war ‘n Skorpion, Boß«, antwortete ihm einer, »’n Skorpion, groß wie ‘ne Katze. Zahlen Sie mich aus, ich hau’ ab. Hier bleib’ ich keine Minute länger!«

* * *

»Was erzählt Stomper denn für einen Blödsinn?« fragte Lingman gereizt. Er befand sich in einem Hinterzimmer eines seiner Saloons und stand Hale Putnam gegenüber. Leeds war es gelungen, den Mann aus dem Saloon zu schleusen, der zum

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Bersten gefüllt war. »Er redet die Wahrheit, Mr. Lingman«, erwiderte Putnam,

»wir haben sie gesehen, Skorpione groß wie Kaninchen. Und schnell wie Ratten. So was werd’ ich für den Rest meines Lebens nicht vergessen.«

»Nun mal langsam, Putnam«, meinte Lingman lächelnd, »mir brauchen Sie keine Märchen zu erzählen. Mir ist es vollkommen gleichgültig, ob Sie die Bank ausgeplündert haben oder nicht.«

»Damit hatten wir nichts zu tun«, sagte Putnam und lächelte für einen kurzen Moment. Schön, den Tip hatte er auf Umwegen erhalten, der Name des wirklichen Auftraggebers war nie gefallen, doch er wußte natürlich, woher der Wind wehte. Lingman war der Auftraggeber, der sich geschickt im Hintergrund gehalten hatte.

»Also, was ist nun wirklich in den Black Mountains gewesen, Putnam? Wo befinden sich Olby und Cruce?«

»Sie kennen sich aber in den Namen aus, Mr. Lingman.« Putnam konnte nicht anders, er mußte und wollte diesem Lingman zu verstehen geben, daß er Bescheid wußte.

»In den Saloons erfährt man so allerhand, Putnam, aber bleiben Sie beim Thema. Wo sind Olby und Cruce abgeblieben?«

»Sie sind tot«, antwortete Putnam und wurde sofort wieder ernst, »die Riesenskorpione haben sie erwischt.«

»Mann, tischen Sie mir keine Märchen auf.« Lingman sprach plötzlich sehr leise und drohend.

»Das sind keine Märchen, Mr. Lingman, glauben Sie mir. Stomper und ich haben die Biester aus nächster Nähe gesehen. Und es is’ ein Zufall, daß wir überhaupt noch verschwinden konnten.«

»Aha, ein Zufall.« »Sie können den Zufall auch Pferde nennen«, korrigierte

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Putnam, »die haben uns nämlich das Leben gerettet. Weil die Skorpione sich zuerst auf sie gestürzt haben.«

»Riesenskorpione also«, Lingman zwang sich zur Ruhe. »Groß wie Kaninchen«, sagte Putnam noch einmal, »Sie

können sich die Biester überhaupt nicht vorstellen. Sie haben Schwänze, die fast dreimal so lang sind wie die Skorpione selbst, sie sehen aus wie kleine Peitschen. Und sie jagten sie in die Tiere. Die hatten keine Chance, genau wie Olby und Cruce.«

»Die Beute braucht jetzt nur noch durch zwei geteilt zu werden«, deutete Lingman kühl an.

»Und Sie glauben, ein Olby wäre reinzulegen gewesen?« fragte Putnam und schüttelte den Kopf, »oder vielleicht Cruce, der auch ganz schön clever war? Nein, nein, Mr. Lingman, schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Unterstellen wir mal, daß es eine Beute gibt, nehmen wir mal an, Olby, Cruce, Stomper und ich hätten wirklich die Bank ausgeraubt, glauben Sie wirklich, wir hätten die Scheine und das Silber draußen in den Bergen gelassen? Glauben Sie wirklich, wir wären Custer freiwillig in die Arme gelaufen?«

»Könnte sich um einen raffinierten Trick handeln, Putnam.« »Es handelte sich um hundsgemeine Angst, Mr. Lingman.

Stomper und ich trauten uns nicht tiefer in die Berge rein. Hoffentlich sind wir wenigstens hier sicher.«

»Reden Sie doch keinen Unsinn, Putnam! Worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Eine Panik können wir hier in San Lorenzo nicht brauchen, denken Sie daran!«

»Glauben Sie etwa immer noch, daß wir diese Riesenskorpione erfunden haben, Mr. Lingman?«

»Und ob ich das glaube, Putnam!« Lingman lächelte spöttisch. »Und was aus Olby und Cruce geworden ist, interessiert mich nicht, das Ist Ihre Sache.«

Hale Putnam wollte darauf antworten, schüttelte dann

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jedoch resignierend den Kopf und verließ schweigend den Raum.

»Ein durchtriebener Halunke«, sagte Lingman, »um ein Haar hätte er selbst mich überzeugt.«

* * *

»Warum haben Sie den Toten nicht mitgebracht?« fragte Doktor Vado, ein bauchiger, quicker Mann von etwa sechzig Jahren. Er praktizierte seit vielen Jahren in San Lorenzo und wurde allgemein respektiert. Er sah Custer aus scharfen, klugen Augen an.

»Offen gesagt, Doktor, mir saß die Angst im Genick«, antwortete der Sheriff. Er wanderte in seinem kärglich eingerichteten Büro umher, »ich wollte nicht auch noch überfallen werden.«

»Haben Sie diese Riesenskorpione mit eigenen Augen gesehen?« erkundigte sich Vado.

»Wir haben sie gehört, Doktor«, schaltete sich Hilfssheriff Ben Halton ein, »dieses schrille Zirpen werde ich niemals vergessen können.«

»Dennoch kann man Ihnen einen Bären aufgebunden haben«, erwiderte Vado trocken, »ein Geräusch sagt noch gar nichts.«

»Sie kennen doch Clive Hitman«, sagte Custer, »was hat diesen Mann zu einem geistigen Wrack gemacht? Hitman soll doch ein ganz vernünftiger Mensch gewesen sein.«

»Ich weigere mich einfach, an Riesenskorpione zu glauben«, erklärte der Doktor nachdrücklich, »so etwas gibt es nicht, so etwas hat es hier in der ganzen Bergregion noch nie gegeben. Wollen Sie mir sagen, woher sie plötzlich gekommen sein sollen? So etwas fällt doch nicht vom Himmel.«

»Ich bin kein Wissenschaftler«, antwortete Custer

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achselzuckend. »Aber ich bin einer, Custer. Und ich sage Ihnen, daß es so

etwas nicht geben kann.« »Dann werden wir solch ein Biest beschaffen müssen«,

meinte« Custer trocken, »falls sie nicht von allein hier aufkreuzen, Doktor.«

»Aber das sind doch Phantastereien, Sheriff. Ich wiederhole noch einmal, daß man Ihnen ...«

»Moment mal«, unterbrach Custer den Arzt und lief zur Tür, »draußen scheint was los zu sein.«

Er öffnete die Tür seines Büros und sah nach draußen. Er entdeckte einen Minenarbeiter, der gerade von einem Pferd sprang und von einigen aufgeregten Menschen umgeben war. Als der Minenarbeiter den Sheriff sah, bahnte er sich einen Weg durch die Menge und kam herauf auf die überdachte Veranda.

»Was ist los?« fragte Custer, »gibt’s Ärger in der Mine?« »Ich hab’ die Brocken hingeschmissen«, antwortete der

Mann hastig, »und wissen Sie auch, warum?« »Keine Ahnung. Oder haben Sie irgendeine Entdeckung

gemacht?« »Wir haben ‘nen Riesenskorpion gesehen«, sagte der Mann

mit lauter Stimme, »er hat einen von uns erwischt. Das hätten Sie mal sehen sollen, Sheriff. Es hat noch nich’ mal ‘ne halbe Minute gedauert, bis er hin war.«

»Kommen Sie rein, Mann, ich will alles genau wissen.« »Hauptsache, Sie haben ‘nen anständigen Schluck für mich,

Sheriff.« »Ist vorhanden. Sie heißen?« »Butch Landing, Sheriff. Ich wette, gleich kommen die

nächsten Minenarbeiter. Da oben in den Bergen will keiner mehr arbeiten.«

Ben Halton goß dem Minenarbeiter ein Glas voll Whisky

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ein und reichte es ihm. Butch Landing goß den scharfen Stoff in sich hinein und schüttelte sich. Dann nickte er Doktor Vado knapp zu. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und berichtete von dem Zwischenfall am Gebirgsbach.

»Das Biest muß direkt aus der Hölle gekommen sein«, schloß er seine hastig und sprunghaft vorgetragene Schilderung, »so was kann nur vom Satan stammen.«

»Beschreiben Sie den Skorpion noch einmal ganz genau«, bat Doktor Vado, der sich nun doch etwas beeindruckt zeigte, »mir kommt es auf jede Einzelheit an.«

»Das Biest ist ein Skorpion«, wiederholte Butch Landing noch einmal, »aber eben so groß wie ‘ne Katze, es hat ‘nen langen Peitschenschwanz mit ‘nem langen Giftstachel. Und dann die Scheren. Wie Kneifzangen!«

»Ein Augenzeuge«, meinte Custer lakonisch zu Doktor Vado und deutete auf den Minenarbeiter.

»Das klingt allerdings interessant. Und wo befindet sich der Skorpion jetzt?«’

»Der is’ nach dem Zustechen im Wasser abgetrieben«, erwiderte Butch Landing.

»Da kommen bereits die nächsten Minenarbeiter«, meldete Ben Halton vom Fenster her und deutete nach draußen, »ein ganzer Wagen voll, wenigstens zehn Männer.«

»Haben sie den Toten bei sich?« wollte Doktor Vado wissen.

»Doktor«, fuhr Butch Landing ihn da gereizt an, »es geht nicht um einen Toten, es geht um die, die noch leben, verdammt. Die Biester werden uns alle töten!«

* * *

»Die Symptome eines Schlangenbisses«, sagte Doktor Vado zu Custer, »es muß sich um ein sehr starkes Gift handeln.«

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Doktor Vado hatte den toten Minenarbeiter untersucht, der mit einem zweiten Wagen in die kleine Stadt gebracht worden war. Mit diesem Wagen waren über ein Dutzend weitere Arbeiter aus den Bergen gekommen. Sie befanden sich ohne Ausnahme in den Saloons und berichteten ausführlich von ihrem Erlebnis.

Unruhe und Nervosität hatte San Lorenzo erfaßt. In der kleinen Stadt summte es wie in einem Bienenkorb. Gerüchte machten die Runde, wurden zusätzlich aufgebauscht und ausgeschmückt.

»Glauben Sie jetzt an Riesenskorpione?« fragte Custer, der sich im Haus des Arztes befand.

»Ich müßte eines dieser Spinnentiere sehen«, gab Doktor Vado zurück.

»Spinnentiere?« wunderte sich Ben Halton, »was haben Skorpione mit Spinnen zu tun?«

»Skorpione gehören zu den Gliederfüßern«, antwortete Doktor Vado beiläufig, »die ersten Gliedmaßen sind bei diesen Tieren als zangen- oder scherenförmige Kiefernfühler ausgebildet. Mehr weiß ich darüber im Augenblick auch nicht, ich werde das erst nachlesen müssen.«

»Olby und Cruce sind von diesen Spinnentieren erwischt worden«, faßte Custer zusammen, »und jetzt dieser Minenarbeiter. Die Riesenbiester müssen verdammt wild sein.«

»Sie glauben also, daß Putnam und Stomper auch Bankräuber sind, Sheriff?«

»Natürlich weiß ich das, aber ich kann ihnen nichts beweisen. Die Beute fehlt, sie haben sie in den Bergen zurückgelassen, weil sie’s sehr eilig hatten.«

»Putnam und Stomper haben Tausende von diesen Riesenskorpionen gesehen?«

»Das haben sie immerhin behauptet, Doktor.« »Das wäre ja schrecklich, Sheriff. Dagegen muß etwas getan

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werden.« »Geben Sie mir einen vernünftigen Rat, Doktor.« »Ich habe keinen, Custer. Rechnen Sie damit, daß die

Skorpione bis hierher nach San Lorenzo kommen werden?« »Darauf weiß ich jetzt keine Antwort, Doktor. Wir müssen

auf jeden Fall auf der Hut sein und die Stadt bewachen lassen. Wir dürfen nicht während der kommenden Nächte überfallen werden.«

»Wir müssen auch alle Rancher und Farmer in der Umgebung warnen, Mr. Custer«, schaltete sich Ben Halton ein.

»Richtig, Ben. Jeder muß Bescheid wissen, was unter Umständen auf ihn zukommen kann.«

»In den Häusern werden wir sicher sein«, meinte Doktor Vado.

»Hoffen wir’s, Doktor.« »Ich brauche einen dieser Riesenskorpione«, redete der Arzt

nachdenklich weiter, »ich muß solch ein Tier studieren, erst dann können wir uns richtig schützen.«

»Ich werde noch einmal rauf in die Berge reiten, Doktor.« »Und ich werde Sie dabei begleiten, Custer.« Doktor Vado

machte einen sehr entschlossenen Eindruck. »Ausgeschlossen, Doktor, die Sache kann unter Umständen

lebensgefährlich werden.« »Ich muß diese Riesenskorpione mit eigenen Augen sehen«,

erklärte der Arzt nachdrücklich, »ich werde mitkommen, Custer, sonst reite ich allein los.«

»Ich komme natürlich auch mit«, rief Ben Halton vom Fenster her.

»Sie werden in der Stadt bleiben, Ben«, sagte Custer, »hier wird bald der Teufel los sein. Für manche Typen ist das ein gefundenes Fressen, um einen Schnitt zu machen.«

»Da kommen schon wieder ein paar Minenarbeiter«, meldete Halton aufgeregt, »viele Leute können nicht mehr am

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›Teufelsschacht‹ sein. Moment, ich glaube, Sie werden verlangt, Sheriff.«

Custer nickte dem Arzt zu und verließ dessen Haus. Er ging schnell ein Stück die Straße hinunter und erreichte die Männer, die nach dem Sheriff gerufen hatten.

»Haben die Biester sich wieder gezeigt?« fragte Custer mit scharfer Stimme, um sich Gehör zu verschaffen. Das Gemurmel der Umstehenden erstarb.

»Wir sind gerade noch rausgekommen, Sheriff«, meldete einer der völlig aufgeregten Männer, »Yards, die Vorarbeiter und vielleicht ‘n halbes Dutzend Jungens sind noch oben. Aber die werden’s niemals schaffen. Die sind völlig eingekreist worden.«

»Ich brauche Freiwillige«, rief Custer, »in einer Viertelstunde treffen wir uns vor dem Sheriffbüro.«

* * *

»Reiten wir mit, Mr. Lingman?« erkundigte sich Leeds. Er stand zusammen mit seinem Chef am Fenster der Hotelsuite. Beide Männer hatten die Worte des Sheriffs mitbekommen, beide Männer wußten, was sich oben an der Kupfermine zugetragen hatte.

»Sie sind verrückt, Leeds«, sagte Lingman und lächelte nachdenklich, »was haben wir mit der Mine zu tun? Gehört sie mir? Nein, nein, lassen wir Custer die Ehre. Vielleicht kommt er gar nicht mehr zurück.«

»So kann man’s natürlich auch sehen, Mr. Lingman.« »Paßt Ihnen mein Entschluß nicht, Leeds? Sie brauchen es

nur zu sagen.« »Und ob er mir paßt, Mr. Lingman, ich bin nicht scharf

darauf, in die Scheren eines Skorpions zu kommen.« »Ich bin gespannt, wie viele Freiwillige sich melden

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werden«, redete Lingman weiter. »Kein Mensch«, gab Leeds zurück und verzog sein Gesicht,

»die ganze Stadt zittert bereits vor Angst.« Vom Fenster aus konnten sie den Platz vor dem Büro des

Sheriffs übersehen. Die Zeit verstrich, doch bis auf Doktor Vado ließ sich kein Freiwilliger blicken.

»Vado natürlich«, sagte Lingman spöttisch, »aber der zählt nicht.«

»Sonst keine Menschenseele«, meinte Leeds, »was ich Ihnen gesagt habe, Mr. Lingman.«

»Custer und Halton«, rief Lingman aus und lächelte böse. Der Sheriff und sein Stellvertreter kamen aus dem Büro und blieben einen Moment lang betroffen auf der Veranda stehen. Dann gingen sie zu Doktor Vado hinunter, der ein schon recht betagtes, aber immer noch stämmiges Pferd am Zügel hielt.

»Das scheint ihn getroffen zu haben«, sagte Lingman und lachte leise.

»Er scheint wirklich mit Freiwilligen gerechnet zu haben«, meinte Leeds spöttisch, »ich glaube, Mr. Lingman, daß die Sheriffwahlen vorgezogen werden müssen.«

»Sieht so aus. Sobald Custer weg ist, spendieren Sie Lokalrunden, Leeds, sorgen Sie in den Saloons für Stimmung.«

Während Leeds ging, sah Lingman den drei Reitern nach, die langsam aus der Stadt ritten. Insgeheim bewunderte er Custer und ärgerte sich gleichzeitig darüber. Es war ja schließlich noch mehr als fraglich, ob Custer wirklich bis hinauf zur Mine reiten würde.

* * *

Marty Yards hörte sie. Sie waren längst im Hauptstollen und krabbelten auf ihren

hornigen Füßen hinter ihm her. Er hatte sich im letzten

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Moment in den Stollen hineingeflüchtet und gehofft, daß sie die Dunkelheit meiden würden. Genau das Gegenteil war der Fall. Die feuchte Dunkelheit schien sie sogar magisch anzuziehen.

Yards, ein Mann, der normalerweise keine Angst kannte, wurde vom Grauen durchgeschüttelt. Er hatte sie gesehen. Tausende dieser Untiere waren plötzlich vor den Baracken gewesen, schnell und giftig.

Er hörte sie! Wie viele Skorpione es waren, konnte er nicht sagen. Er

blieb kurz stehen, lauschte. Ein Scharren und Krabbeln im Hauptstollen wurde immer intensiver und lauter. Und dann jetzt das sägende Zirpen, das seine aufgepeitschten Nerven folterte. Yards wußte nicht, wohin er sich flüchten sollte. Ihm war längst klar, daß sie ihn überall erreichen würden.

Gab es wirklich keine Rettung mehr? Der Luftschacht! Jawohl, der Luftschacht! Er mußte die Rettung bringen. Er befand sich am Ende des

Hauptstollens und führte steil nach oben durch den Berg. In diesen Luftschacht waren Steigeisen eingelassen worden. Daß er nicht früher an diesen Notausstieg gedacht hatte. Jetzt kam es darauf an, daß er seinen Vorsprung hielt, daß die Bestien ihn nicht doch noch erreichten.

Er hatte kein Licht bei sich, tastete sich durch die feuchte Dunkelheit, stieß mit dem Kopf immer wieder gegen hängendes Gestein, blutete, fühlte aber kaum den Schmerz. Die Angst trieb ihn voran, setzte all seine inneren Reserven frei.

Das entsetzliche Zirpen wurde immer intensiver und schriller, versetzte seinen Körper in schmerzende Schwingungen, quälte seine Trommelfelle, trieb ihn fast in den Wahnsinn hinein. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren, hastete weiter, stöhnte vor Angst und Grauen und stieß mit seinen vorgestreckten Händen endlich gegen die Stollenwand. Hier

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irgendwo mußte der Luftschacht sein. Er riß ein Streichholz an, brauchte Sekunden, bis seine

Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, entdeckte den Aufstieg und schrie vor Wut und Enttäuschung auf.

Das erste Steigeisen war gut zwei Meter über ihm, schien unerreichbar zu sein. Er warf das Streichholz zu Boden, wo es in der Feuchtigkeit sofort verlosch, riß ein zweites an, hörte das näherkommende Scharren und Krabbeln, sprang hoch, sprang nach dem Steigeisen.

Nein, so war es nicht zu schaffen. Yards entdeckte ein paar alte, morsche, verschimmelte

Kisten, stapelte sie übereinander, verlor die Sicht, riß ein neues Streichholz an und sah dann die erste Skorpionbestie.

Sie war nur noch einen Meter von ihm entfernt und ließ ihren hornbewehrten Stachel nach vorn zucken. Der Schwanz des Skorpions war ungewöhnlich lang und beweglich.

Yards brüllte vor Todesangst auf, riß ein ganzes Bündel von Streichhölzern an und warf die Hölzer dem näherkommenden Skorpion entgegen.

Erneut zuckte der Stachel über den hornigen Körper, zischte dicht an seinem linken Fuß vorbei, prallte gegen das Gestein. In diesem Moment drückte Yards sich verzweifelt ab, sprang nach oben. Unter dem Druck seines Körpergewichts brachen die morschen Kisten in sich zusammen, doch seine rechte Hand umklammerte das verrostete und feuchte Steigeisen.

Die Finger drohten abzurutschen, schmerzten. Yards hörte unter sich das Zirpen und Scharren, riß die Beine instinktiv hoch, verklammerte seine Fingergelenke um das Eisen und griff nach. Dann zog er sich langsam hoch, konnte mit der anderen Hand nachgreifen und schwang sich endgültig hoch.

Das Zirpen unter ihm wurde noch schriller. Das scharrende Gekrabbel und das Geklapper der sich öffnenden und wieder schließenden Scheren trieb ihn weiter nach oben. Er betete, daß

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ihn oben am Ausstieg nicht andere Skorpione erwarteten.

* * *

»Ich kann’s nicht mehr sehen«, sagte Vormann Pritchard und wandte den Blick ab. Doch dann, entgegen seinem inneren Wunsch, nahm er wieder den Kopf herum und stierte auf das schwarze Gewimmel zwischen den Baracken und vor dem Stolleneingang.

Tausende dieser Monster schoben sich mit ihren typisch ruckartigen Bewegungen umher, krochen übereinander und zelebrierten eine Art Tanz des Todes. Vom Boden war nichts mehr zu sehen. Er war bedeckt von dieser schwarzen, wimmelnden Masse, aus der die erhobenen Schwanzstachel zuckend hervorschossen.

»Warum bringen sie sich nicht gegenseitig um?« stieß Bondson hervor, ein Minenarbeiter, der sich mit dem Vormann in diese kleine Baracke hineingeflüchtet hatte.

»Nein«, stöhnte Pritchard, »sieh dir das an, Bondson, sie knacken die Baracke.«

Er hatte nicht übertrieben. Ein schwarzer Wall aus Hornsegmenten umgab die Baracke,

in der sich die beiden anderen Vorarbeiter und zwei Minenarbeiter befanden. Die mächtigen Krebsscheren schlugen sich in die Bretter der Baracke und rissen ganze Holzstücke heraus. Das alles geschah mit einer unglaublichen Gier und Verbissenheit, mit einer erstaunlichen Schnelligkeit und mit einem Effekt, der den Atem stocken ließ. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Bretter oberhalb des Steinfundaments aufgebrochen waren.

Die Männer in der Baracke hatten längst mitbekommen, was sie erwartete. Sie schossen aus allen Waffen, die ihnen zur Verfügung standen. Sie brauchten nicht zu zielen, sondern nur

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zu feuern. Jeder Schuß pflügte eine tödliche Gasse in das schwarze, hornige Gewimmel, doch Sekunden später war davon schon nichts mehr zu sehen. Andere Riesenskorpione füllten die Lücken.

»Wir haben Dynamit«, sagte Bondson und deutete auf eine Kiste.

»Sie auch da drüben«, antwortete Pritchard, »laß die Finger von dem Zeug, sonst werden sie auf uns aufmerksam.«

»Wir kommen auch noch dran«, stöhnte der Minenarbeiter, »ich spreng’ mich hoch, bevor ich mich von den Biestern auffressen lasse.«

Pritchard hörte nicht hin. Er sah, daß die ersten dicken Bretterbohlen bereits

aufgerissen waren. Die Krebsscheren der Skorpione hatten ganze Arbeit getan, schienen aus Stahl zu bestehen. Sie drängten sich um den langen Riß, wollten in die Baracke eindringen. Sie wurden von innen mit Schaufelschlägen abgewehrt, getötet und zurückgetrieben.

Dann war plötzlich ein gellender Schrei zu hören! »Einen hat’s erwischt«, flüsterte Pritchard, »sie müssen von

verschiedenen Seiten eingedrungen sein.« »Ich halt’ das nicht mehr aus, ich halt’ das nicht mehr aus«,

stöhnte Bondson und hielt sich die Ohren zu, »die Zwitscherei geht wieder los.«

Das bisher schwache Zirpen steigerte sich zu einem akustischen Inferno. Der Widerstand schien die Riesenskorpione zu reizen.

»Sie werfen Dynamit«, flüsterte Vormann Pritchard, »los, Jungens, zeigt es ihnen.«

Aus den Fenstern flogen Dynamitstangen, deren sehr kurze Lunten zischten und sprühten. Dann detonierten nacheinander die ersten Ladungen. Die hornigen Leiber der Skorpione wurden auseinandergefetzt und zerrissen. Schwarze

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Hornsegmente flogen tausendfältig durch die Luft, prasselten auf das Dach jener Baracke, in der sich Pritchard und Bondson verschanzt hatten.

»Sie hauen ab, sie verschwinden«, sagte Bondson, »sie schaffen es, sie schaffen es!«

Er hatte den Satz noch nicht ganz beendet, als der Luftdruck einer gewaltigen Detonation die Baracke zusammendrückte und auseinanderplatzen ließ.

Die Baracke, in der sich die Belagerten befanden, flog auseinander und wurde zu einem Chaos von Brettern, Bohlen und Balken, die durch die Luft wirbelten. Dazwischen waren die Leiber von Menschen zu sehen, die wie Puppen herumgeschleudert wurden.

»Sie haben sich selbst hochgesprengt«, keuchte Pritchard, »o Gott, sie haben sich selbst hochgesprengt.«

Bondson konnte nicht antworten. Er lag unter einer schweren Bohle und konnte seine Beine nicht mehr bewegen. Er stierte zu Pritchard hinüber, der das Auseinanderplatzen der Baracke, in der sie sich befanden, kaum mitbekommen zu haben schien. Er stand jetzt in der Tür, die nach innen gefallen war, und starrte auf die Riesenskorpione, die das Feld räumten. Sie strömten auf das Loch zu, das die Detonation in den Boden gerissen hatte. Sie verschwanden darin wie eine schwarze Flut, die vom Boden aufgesogen wird.

Trümmer der zerfetzten Baracke regneten auf die noch einigermaßen intakten Baracken herunter, schlugen auf die schwarze Masse der Riesenmonster, die strudelnd und krabbelnd im Boden verschwanden. Es dauerte nur Minuten, bis so die letzten Skorpione verschwunden waren. Zurück blieben die zerfetzten Leiber der hornigen Ungeheuer, die noch zuckten und sich bewegten.

»Geschafft«, sagte Pritchard und dachte wohl erst jetzt an den stöhnenden Bondson. Er ging zu ihm hinüber und griff

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nach der schweren Bohle, die die Beine des Minenarbeiters festhielt

Unter der Bohle hervor schoß der hornige Schwanz eines Skorpions heraus. Der Giftstachel trieb sich tief in den Unterarm des Vormanns, der entsetzt aufbrüllte.

Ein zerquetschter Skorpion war durch den Luftdruck in die Trümmer der umgeblasenen Baracke geschleudert worden, dennoch reagierte das scheußliche Untier und hatte zugeschlagen.

Pritchard hielt sich die Hand, stierte auf den Einstich, der sich bereits verfärbte, der eine bläuliche Farbe annahm. Dann rannte er los, sprang und stolperte über die Trümmer, glitt auf den zerfetzten Leibern der Skorpione aus und schlug zu Boden. Bondson konnte nichts sehen, er hörte nur die gellenden Schreie des Vormanns, die dann plötzlich jäh abbrachen.

* * *

Sie hatten die schwache Detonation gehört, ohne zu ahnen, was sie zu bedeuten hatte.

»Das muß von der Mine her gekommen sein«, sagte Ben Halton.

»Das war oben an der Mine«, bestätigte Sheriff Custer, »und es muß eine mächtige Explosion gewesen sein, sonst hätten wir sie nicht bis hierher hören können.«

»Was hat sie zu bedeuten, Sheriff?« erkundigte sich Doktor Vado.

»Keine Ahnung, aber vielleicht ist den Leuten ein Gegenmittel eingefallen.«

Custer verschärfte das Tempo, das von Ben Halton mühelos gehalten werden konnte. Doktor Vado allerdings blieb zurück. Der alte Mann und sein ebenfalls betagtes Pferd kamen nicht recht voran.

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»Ich werde nachkommen, kümmern Sie sich nicht um mich«, rief er Custer zu.

»Sie können doch unmöglich allein zurückbleiben, das ist zu gefährlich, Doktor.«

»Lassen Sie das mal meine Sorge sein. Los, reiten Sie schon! Vielleicht werden Sie dringend gebraucht, Sheriff.«

Custer überlegte kurz, nickte dann und ließ Doktor Vado zurück. Er verlangte seinem Pferd alles ab. Er benutzte Abkürzungen, um noch schneller zur Mine zu gelangen. Er kümmerte sich auch nicht um seinen Vertreter Halton. Die Sorge um die Minenleute trieb ihn rücksichtslos voran.

»Das sieht ja wüst aus«, sagte er, als sie den ersten Talkessel erreicht hatten, wo die Schmelzöfen standen. Durch die Schlucht konnten sie hinauf zum Stollen sehen.

»Bleiben wir auf den Pferden?« fragte Halton. »Vorerst ja, dann sind wir wenigstens schnell genug.«

Custer zog die Winchester aus dem Sattelfutteral und trieb sein Pferd durch einen leichten Schenkeldruck an, doch das Tier verweigerte ihm den Gehorsam, es zitterte und bebte vor Angst, scheute, stellte hoch.

»Sie bleiben hier, Ben«, befahl Custer und stieg aus dem Sattel, »ich werde mal nachsehen, was wirklich los ist.«

Natürlich hatte er Angst, große Angst sogar. Custer schritt vorsichtig aus, beobachtete den Boden, suchte ihn nach versteckten Skorpionen ab, war bereit, sofort zu feuern. Er passierte den langen Verbindungskorridor zwischen den beiden Talkesseln, stieg bergan und blieb dann betroffen stehen.

Der felsige, feuchte Boden war bedeckt mit den schwarzen, verstümmelten Leibern riesiger Skorpione, wie er sie noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Das aber war es nicht allein.

Eine der Baracken existierte nicht mehr. Dort, wo sie gestanden hatte, befand sich ein brandig aussehender Erdspalt, aus dem es rauchte. Die übrigen Baracken waren durch die

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Druckwelle der Detonation verschoben oder zusammengedrückt worden.

Von Menschen hingegen war nichts zu entdecken. »Ist hier einer?« rief Custer mit lauter Stimme, sich

verzweifelt nach allen Seiten umsehend. »Hier«, ertönte eine schwache Stimme, die aus einer der

zusammengedrückten Baracken kam, »hier! Hilfe!« »Moment, ich komme!« Custer hütete sich, den hin und

wieder noch zuckenden, zerfetzten Leibern und Gliedern der zerfetzten Monster zu nahe zu kommen, mußte Umwege machen, über diese Ungeheuer hinwegsteigen.

Dann entdeckte er den Vormann Pritchard. Der Mann hatte ein fast schwarzes Gesicht, sein Mund war

geöffnet und verzerrt. Er war ganz eindeutig von einem Giftstachel getroffen worden.

»Wo stecken Sie?« rief Custer. »Hier«, tönte es zurück, »passen Sie auf, hier krabbeln noch

ein paar Skorpione rum.« Custer erreichte die Baracke, aus der die Warnung

gekommen war, stieg vorsichtig über die Holztrümmer und winkte dann Bondson zu, der ihn aus Augen ansah, in denen das nackte Entsetzen zu erkennen war. »Vorsicht«, mahnte Bondson, »hier hat’s den Vormann erwischt. Hier müssen noch ein paar von den Biestern sein, Sheriff.«

Custer sah rechts von sich eine Bewegung, riß automatisch den Gewehrlauf herum und feuerte einen Schuß ab. Der halbzerfetzte Skorpion, der ihn hatte angreifen wollen, wurde von dem Geschoß zurückgeschmettert.

Ein zweiter Skorpion tauchte auf, dessen Hinterleib allerdings nicht mehr vorhanden war. Mit den riesigen Scheren klappernd, arbeitete das Untier sich mit einer schier wütenden Verzweiflung auf Custer zu. Der Sheriff ergriff ein hochragendes Stück Brett und erschlug das Monstrum.

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Anschließend half er Bondson hoch, der von einem trockenen Schluchzen durchgeschüttelt wurde.

* * *

Doktor Vado hatte seine Umwelt vergessen und beschäftigte sich ausschließlich mit den zerfetzten und verstümmelten Resten der Riesenskorpione. Er hatte seine mitgebrachte schwarze Ledertasche geöffnet und hantierte mit einem Skalpell. Er interessierte sich vor allen Dingen für die langen Giftstacheln der unheimlichen Monster. Er trennte sie reihenweise von den manchmal immer noch zuckenden Leibern der Spinnentiere und sammelte sie in einem großen Holzeimer, den er neben dem Stolleneingang gefunden hatte.

Ben Halton kümmerte sich um Bondson und ließ sich von ihm genau berichten, was passiert war. Der Minenarbeiter hatte sich inzwischen wieder beruhigt und machte einen gefaßten Eindruck. Doch hin und wieder sah er verstohlen zu seinem Vormann Pritchard hinüber, über dessen Körper Custer eine Plane gedeckt hatte.

Der Sheriff stand nachdenklich vor dem brandigen Erdspalt und schaute in die Tiefe, in der aber nichts zu sehen und nichts zu hören war. Die Skorpione schienen sich auf geheimnisvollen, unterirdischen Wegen abgesetzt zu haben.

Überrascht nahm er den Kopf hoch, als er eine laute Stimme hörte. Hoch über dem Stollenmund stand eine stämmige Gestalt, die winkte. Custer winkte zurück, schwenkte seinen Hut. Danach verschwand die Gestalt für einen kurzen Moment, tauchte dann aber auf einem steilen Pfad auf, der in den Talkessel führte. Custer ging dem Mann entgegen und erkannte Marty Yards, den er natürlich in San Lorenzo oft gesehen hatte.

»Wer hat’s außer mir noch geschafft?« fragte Yards, in

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dessen Gesicht es unaufhörlich zuckte. »Nur Bondson«, antwortete Custer. »Ihr Vormann Pritchard

liegt dort drüben unter der Plane. Die übrigen haben sich in die Luft gesprengt. Ob absichtlich oder nicht, kann ich natürlich nicht sagen.«

»Ich bin durch den Luftschacht entwischt«, sagte Yards, »es war knapp genug, Custer.«

Seine Arme und Hände waren in ununterbrochener Bewegung, als er von seiner Flucht berichtete. In seinem blutig zerschrammten Gesicht zuckte es noch nachhaltiger. Der Mann war fertig mit seinen Nerven, riß sich mit letzter Kraft zusammen.

»Woher kamen sie?« fragte Custer und deutete auf die Kadaver der riesigen Skorpione.

»Unten, von den Schmelzöfen her«, lautete die überraschende Antwort, »aber das war nur ein Teil von ihnen. Die anderen ließen sich über den Wasserfall dort treiben und krabbelten an Land. Sie überschwemmten uns förmlich, wir hatten keine Chance.«

»Und jetzt sind sie dort unten verschwunden«, meinte Custer und deutete in den großen, brandigen Erdriß.

»Warum vernichten wir sie nicht? Dort unten sitzen sie in der Falle!«

»Tausende von Skorpionen?« gab Custer skeptisch zurück. »Ich glaube, daß sie durch Erdspalten abgezogen sind, Yards.«

»Dort unten gibt es nur massiven Fels«, behauptete der Leiter der Kupfermine.

»Sind Sie sicher?« »Drüben unter dem Hang steht das Dynamitdepot«, redete

Yards weiter, »werfen wir rein, was geht, Sheriff.« »Klingt verlockend, Yards, aber wecken wir damit nicht

schlafende Hunde?« »Ich verstehe nicht, Custer!«

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»Wir wissen nicht, was da unten wirklich ist«, redete Custer weiter, »wenn wir Pech haben, reißen wir vielleicht Höhlen auf, in denen sie leben.«

»Kann sein, aber werfen wir wenigstens ein paar Fackeln runter. Ich will sehen, was dort unten los ist. Und wenn sie unten sind, dann, Custer, dann sprengen wir sie hoch!«

»Einverstanden, Yards. Wo sind Fackeln?« »Ich werde sie holen.« »Passen Sie auf die Kadaver auf, Yards, die sind noch

verdammt munter.« Yards lief zum Stollen und mußte tatsächlich einigen

vorzuckenden Giftstacheln von immer noch lebenden Skorpionen ausweichen. Als er mit Fackeln zurückkehrte, hielt er eine Schaufel unter dem Arm. Er legte die Fackeln ab und machte sich daran, alles zu Brei zu schlagen, was sich noch bewegte. Custer, der sich eine Zigarette angezündet hatte, ließ ihn gewähren. Er konnte den Haß verstehen, der in Yards toben mußte.

Nach einer Viertelstunde kam Yards zurück zu Custer, keuchte, war ausgepumpt, machte aber einen wesentlich ruhigeren Eindruck.

»Halten Sie mich ruhig für verrückt, Custer«, sagte er, »aber ich mußte es tun, sonst wäre ich verrückt geworden.«

»An Ihrer Stelle hätte ich kaum anders gehandelt«, gab der Sheriff zurück und nickte, »versuchen wir’s jetzt mal mit den Fackeln.«

Er zündete zwei Fackeln an, wartete, bis sie kräftig brannten und schleuderte sie dann nach unten in den Erdspalt.

Sich überschlagend, funkensprühend und zischend, torkelten die beiden Fackeln nach unten und blieben dann auf einem Vorsprung liegen, rutschten wieder ab und fielen noch tiefer nach unten, bis sie den Boden erreicht hatten.

Custer und Yards beugten sich weit vor, versuchten etwas

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zu erkennen. »Nichts«, sagte Custer. »Tatsächlich«, pflichtete Yards ihm verblüfft bei, »die

Biester haben sich verdrückt.« »Das bestätigt meinen Verdacht, daß sie sich da unten

auskennen«, meinte Custer, »die Sprengung scheint ihnen einen neuen Zugang verschafft zu haben.«

»Wir müssen den Spalt zuschütten«, schlug Yards jetzt vor, »sie dürfen nicht mehr raufkommen.«

»Würden sie das schaffen? Die Wände sind verdammt steil und glatt.«

»Diesen Biestern traue ich alles zu, Custer.« »Und wer schüttet den Spalt zu?« wollte der Sheriff wissen,

»ich glaube nicht, daß Sie einen einzigen Minenarbeiter zur Grube bekommen werden.«

Yards nickte und sah wieder zum Dynamitlager hinüber. »Ich könnte den Spalt zusprengen«, sagte er, »das ist leicht

hinzubekommen, Custer.« »Darüber läßt sich reden, Yards, Hauptsache, Sie bringen

die Scheusale nicht wieder auf Trab.« Der Sheriff ging zu Doktor Vado hinüber, der sich jetzt mit

dem toten Vormann befaßte und dessen Gesicht studierte. Custer mußte sich zusammenreißen, denn der Anblick des Toten ließ ihn zurückschrecken.

»Ich kenne genug Menschen, die an Schlangenbissen gestorben sind«, meinte Doktor Vado kopfschüttelnd und fasziniert zugleich, »so wie Pritchard hat noch keiner ausgesehen. Die Hautverfärbung ist ungewöhnlich. Es muß sich um ein ungewöhnlich starkes, blitzschnell wirkendes Gift handeln.«

»Gegen das kein Kraut gewachsen ist, Doktor?« »Ganz sicher nicht, Sheriff«, lautete die Antwort des Arztes,

»dagegen hilft einzig und allein nur die schnelle Flucht.«

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»Herrliche Aussichten«, meinte Custer, »hoffentlich klappt Yards’ Plan.«

»Was hat er denn vor?« »Er will den Erdspalt dort zusprangen.« »Lächerlich«, meinte der alte Arzt, »die Skorpione sind

längst fort. Irgendwann und irgendwo werden sie wieder auftauchen, dessen bin ich mir ganz sicher.«

* * *

Sheriff Custer hatte die Schmelzöfen passiert und stand nun vor der engen, unergründlichen Schlucht, in die der Gebirgsbach verschwand. Das Wasser schien in Kaskaden über Felsvorsprünge nach unten zu strömen. Zu erkennen war nichts, dazu war die Schlucht zu eng und zu dunkel.

»War schon mal einer dort unten?« fragte Custer den ihn begleitenden Minenarbeiter Bondson.

»Kein Mensch«, antwortete Bondson und schüttelte den Kopf, »wir haben die Schlucht das ›Höllentor‹ getauft.«

»Passender Name«, sagte Custer, »wo tritt der Bach wieder hervor, Bondson?«

Der Minenarbeiter hatte sich gut erholt. Die Quetschungen und Prellungen an seinen Beinen hatten sich als geringfügig erwiesen. Er konnte gut gehen, wenngleich er auch ein wenig hinkte.

»Wo tritt der Bach aus?« fragte Bondson halblaut und nachdenklich zurück. »Das, was hier runtergeht, kommt weiter unten im Tal auf keinen Fall wieder ans Tageslicht, das steht fest. Ich nehme an, die Masse verschwindet irgendwo im Berg.«

»Das denke ich auch«, antwortete Custer, »wir haben den Bach ja unten in den Vorbergen gesehen, Bondson, ein Rinnsal, nicht mehr.«

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»Es gibt ja genug Höhlen hier in den Bergen.« »Der Berg soll angeblich massiv sein. Sagt Yards.« »Der hat doch keine Ahnung, wie es im Berg aussieht«,

entgegnete Bondson abfällig, »beim Sprengen sind wir immer wieder auf Hohlräume gestoßen. Und weiter unten wird der Stein porös wie ‘n Schwamm. Hat er Ihnen von den heißen Quellen erzählt?«

»Ich weiß von nichts.« »Wir haben ‘nen Probeschacht nach unten getrieben, weil’s

dort prima Kupfer gibt, doch dann mußten wir die ganze Sache aufstecken. Nach der letzten Sprengung schoß heißes Wasser aus der Wand. Tonnenweise. Aber es reichte nicht aus, den Schacht absaufen zu lassen, es versickerte im Boden.«

»Fließt es immer noch?« »Bestimmt, aber ich war seit Wochen nicht mehr da unten.

Keiner von uns. Die Sache ist unheimlich, verstehen Sie, Sheriff? Wer will sich schon freiwillig umbringen! Wir haben den Probestollen abgeriegelt und eigentlich vergessen.«

Custer nickte nachdenklich. »Glauben Sie, daß die Sache was mit den Skorpionen zu tun

hat?« wollte Bondson wissen. »Ich weiß es nicht«, gab Custer ehrlich zurück, »aber bei

Gelegenheit werde ich mir die Sache mal ansehen.« Die Unterhaltung der beiden Männer wurde unterbrochen.

Vom oberen Tal her waren die Sprengungen zu hören, die Yards angekündigt hatte. Er wollte damit den Erdspalt zuschütten und eine Rückkehr der Monster unmöglich machen.

Custer und Bondson verließen das »Höllentor« und gingen zurück zum Stollen. Staubwolken wehten ihnen entgegen, die mit dunklem Qualm gemischt waren. Aus einer dieser Wolken kam ihnen Doktor Vado entgegen, der seinen Holzeimer in Sicherheit gebracht hatte. Er stellte ihn ab und schüttelte den Kopf.

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»Sinnlos, diese ganze Sprengerei«, sagte er mißmutig, »der Mann will sich doch nur abreagieren.«

»Haben Sie Neuigkeiten herausgefunden, Doktor?« erkundigte sich der Sheriff und deutete auf die hornbewehrten Giftstacheln der Skorpione im Holzeimer.

»Vorerst nichts«, antwortete der Arzt, »ich werde sie in meiner Praxis genauer untersuchen müssen.«

»Ich glaube, wir können jetzt raufgehen«, sagte Bondson, »Yards scheint es geschafft zu haben.«

Custer folgte dem Minenarbeiter und erreichte den Erdspalt, den der Chef der Mine tatsächlich sehr geschickt zugesprengt hatte. Der Erdspalt war nicht mehr zu sehen, nur eine flache, noch rauchende Mulde zeigte an, wo er sich befunden hatte.

»Hier kommt kein Skorpion mehr rauf«, meinte Yards nachdrücklich, »die Suppe hab’ ich ihnen versalzen.«

»Ich würde mir gern mal den Probestollen mit dem heißen Wasser ansehen«, sagte Custer.

»Was versprechen Sie sich davon? Da gibt es nichts zu sehen, Sheriff. Nichts als Wasserdampf und Hitze.«

»Wohin das heiße Wasser versickert, wissen Sie nicht?« »Keine Ahnung, Sheriff, Hauptsache, die heiße Brühe läuft

ab. Wir haben den Probestollen zugemauert, damit nichts passieren kann.«

»Werden Sie die Mine jetzt schließen, Yards?« »Wo denken Sie hin, Sheriff? Ich reite zurück nach San

Lorenzo und bringe die Arbeiter auf Trab.« »Sie werden keinen finden, der hier noch einmal arbeiten

wird.« »Das is’ ‘ne reine Geldfrage«, antwortete Yards, »ich werde

eben mehr Lohn bieten. Sie sollen mal sehen, wie schnell hier wieder gefördert wird.«

»Wenn Sie sich mal nur nicht schneiden, Chef«, sagte Bondson, »für diese Mine hier werden Sie keinen Arbeiter

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mehr finden.« Ein schmatzendes, gurgelndes Geräusch ließ die Männer

herumfahren. Custer riß sofort seine Winchester hoch, suchte nach dem Grund für diese seltsamen Geräusche.

»Das Wasser, Sheriff«, rief Ben Halton, der sich in der Nähe des Wassers aufgehalten hatte, »sehen Sie doch! Es verschwindet!«

Die Männer liefen zum Bach hinüber und starrten auf das Loch im Bachbett, das sich langsam, aber stetig verbreiterte. Es erinnerte an einen gierig geöffneten Mund, der das Wasser in sich hereinsoff. Strudel bildeten sich, wurden schneller. Die Menge des wegsackenden Wassers wurde von Sekunde zu Sekunde immer größer.

»Wir sollten besser abhauen«, ließ Bondson sich vernehmen, »die Sprengungen scheinen den ganzen Untergrund ins Schwimmen gebracht zu haben.«

* * *

Custer verschaffte sich einen Überblick. Er war zusammen mit seinem Stellvertreter Halton in den

Bergen zurückgeblieben und hatte jetzt am späten Nachmittag ein Plateau erreicht, von dem aus er den Verlauf der vielen kleinen und großen Schluchten studieren konnte.

»Sie stehen alle untereinander in Verbindung«, meinte Custer, »Mittelpunkt scheint das ›Höllentor‹ zu sein.«

»Sie glauben, daß die Skorpione von dorther gekommen sind, Sheriff?«

»Ist eine Annahme«, antwortete Custer, »irgendwo müssen die Stachelbestien ja ihr Nest haben, Ben.«

»Warum gerade irgendwo am ›Höllentor‹ Sheriff?« »Denken Sie an das heiße Wasser, Ben. Skorpione sind

normalerweise verdammt kälteempfindlich. Und hier oben in

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den Bergen ist es nachtsüber klirrend kalt.« »Feuchtigkeit und Wärme«, erinnerte sich Ben Halton und

nickte, »das ist es, was sie lieben.« »Und genau das alles haben sie unten hinter dem

›Höllentor‹, Ben.« »Dann könnte man sie ja dort ausräuchern.« »Dazu wissen wir zu wenig vom ›Höllentor‹ Ben. Wir

werden uns die Sache wohl oder übel mal ansehen müssen.« »Ich bin nicht gerade scharf darauf, Sheriff.« »Ich reiß’ mich auch nicht darum, Ben, aber die Sache muß

getan werden. Reiten wir jetzt mal die Stellen ab, wo wir Cruce gefunden haben und wo Hitman und die beiden Banditen von den Skorpionen angegriffen wurden.«

Bis zum Einbruch der Dämmerung waren die beiden Männer unterwegs. Oft waren die Pfade derart steil, daß sie ihre Pferde führen mußten. Doch die Strapazen lohnten sich. Als sie endlich eine längere Rast einlegen konnten, war für den Sheriff der Beweis erbracht.

»Sie müssen aus den schmalen Canyons hochgestiegen sein«, kombinierte Custer »und die wiederum stehen mit dem ›Höllentor‹ tatsächlich in Verbindung.«

»Ich hab’ ‘ne Idee, Sheriff.« »Immer raus damit, Ben.« »Nehmen wir mal an, Sheriff, der Gebirgsbach vor dem

Stollen rauscht runter in irgendein Höhlensystem. Wir könnten das alles glatt zum Einsturz bringen, wenn wir Dynamitladungen einschwemmen. Dazu brauchen wir die Ladungen nur wasserdicht zu verpacken.«

»Gute Idee, Ben. Den Trick sollten wir uns merken.« »Sie wirken nicht gerade begeistert, Sheriff.« Ben Halton

lächelte. »Ich hab’ einfach Angst, daß wir die Skorpione raustreiben,

Ben. Stellen Sie sich mal vor, die würden auf San Lorenzo

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losgehen!« »Und was schwebt Ihnen vor? Wir können doch nicht die

Hände in den Schoß legen.« »Ich setze erst mal auf den Doktor«, antwortete Custer,

»vielleicht findet er ein Mittel, diese Ungeheuer zu vergiften. Das wäre mir die sympathischste Lösung.«

»Reiten wir zurück, Sheriff?« »Bleiben wir hier in den Bergen. Mal sehen, was sich tut.

Bäume gibt’s ja genug.« »Haben Sie vergessen, was Bondson von den Scheren

erzählt hat? Damit raspeln die Skorpione dicke Bretterbohlen durch.«

»Still, Ben, ich glaube, wir müssen bleiben!« Custer hob warnend den Arm. Jetzt hörte auch Ben Halton von weit her ein Zirpen. Es schien aus einer der vielen tiefen Schluchten zu kommen.

»Es wird schwächer«, sagte Custer endlich, »auf uns scheinen die Biester es nicht abgesehen zu haben, Ben.«

»Das Geräusch verschwindet in Richtung Süden«, antwortete Ben Halton, »und genau dort liegt San Lorenzo, Sheriff!«

* * *

»Yards rennt sich die Hacken ab, Mr. Lingman, aber kein Arbeiter wird rauf zur Mine gehen.«

Marvin Leeds hatte sich in Lingmans Hotelzimmer geschoben und lächelte triumphierend.

»Sehr gut«, meinte Lingman, »dann wird die Mine früher oder später verkauft werden müssen.«

»Ich wette, daß Sie der Gesellschaft in Albuquerque ein Angebot machen werden.«

»Bestimmt, Leeds, aber das hat Zeit. Die Burschen müssen

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erst im eigenen Saft schmoren.« »Und dann, Boß?« »Nichts«, redete Lingman weiter, »wir lassen die Mine

ruhen. Eines Tages wird Gras über diese ganze Geschichte gewachsen sein, dann verkaufe ich sie wieder.«

»Einfacher geht’s wirklich nicht.« Leeds nickte. »Je einfacher desto wirkungsvoller, Leeds. Wie ist die

Stimmung in der Stadt?« »Totale Besäufnis«, berichtete Leeds, »ich habe

Lokalrunden geschmissen und die Stimmung angeheizt; wir machen in allen Saloons jetzt Riesenumsätze. Angst macht durstig.«

»Ab morgen trocknen wir die Leute für ein paar Tage ein, Leeds. Danach gibt’s wieder Stoff, aber dafür werden sie dann mehr bezahlen müssen.«

»Schon begriffen, Boß.« »Sind Wachen aufgestellt worden?« »Nachdem Halton doch noch mitgeritten ist, sind sie wieder

in die Stadt zurückgekehrt. Keiner hat Lust, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen.«

»Wäre ja auch sinnlos, Leeds. Hier unten im Tal werden die Skorpione sich bestimmt nicht blicken lassen.«

Beide Männer sahen zur Tür hinüber, wo angeklopft wurde. Leeds öffnete und sah nach draußen, dann riß er weit die Tür auf und ließ eines der Tanzgirls eintreten.

»Was ist denn, Jane?« fragte Lingman unruhig, als das Tanzmädchen hereinwankte.

»Ein ... ein Skorpion«, stieß sie entsetzt hervor und deutete auf ihr linkes Bein. Dann brach sie schon in sich zusammen und blieb dicht vor Lingman liegen, der entsetzt zurückwich und dann unentschlossen auf die junge Frau starrte.

»Nun sieh schon nach«, herrschte Lingman seine rechte Hand an. Leeds schluckte, näherte sich sehr vorsichtig der auf

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dem Teppich Hegenden Frau und kniete dann nieder. »Ein Einstich«, meldete er nach kurzer Prüfung, »direkt

über dem Knöchel.« »Verdammt«, sagte Lingman, »schaff sie raus! Leeds, schaff

sie schon raus! Bring sie zu Doktor Vado.« »Der Skorpion muß im Haus sein«, flüsterte Leeds. »Dann paß eben auf«, brüllte Lingman, der prompt die

Nerven verlor, »nun schwirr schon ab!« Leeds hob die ohnmächtige Frau auf und trug sie zur Tür.

Hier zögerte er. Leeds hatte eindeutig Angst, die Tür zu öffnen. Lingman, der ihm gefolgt war, riß sie auf und drängte Leeds nach draußen. Dann schmetterte er die Tür hastig zurück ins Schloß und horchte.

Er hörte die sich entfernenden Schritte von Leeds, wartete auf einen Schrei oder auf sonst ein irreguläres Geräusch, rannte dann zu einem der Fenster und schaute nach unten auf die Straße.

Leeds kam aus dem Seiteneingang, hielt die ohnmächtige Frau auf den Armen, die jetzt aufwachte und schrecklich schrie. Todesangst und Grauen waren in ihrer spitzen, grellen Stimme.

Aus dem Hotel stürzten Frauen und Männer, die aufgeregt diskutierten, Leeds dann folgten und zusammen mit ihm in der Dunkelheit verschwanden. Lingmans Hände zitterten, als er sich eine Zigarre anzündete. Er war völlig durcheinander. Griffen die Riesenskorpione jetzt die Stadt an? Befanden sie sich bereits im Haus?

Er lief zur Tür, horchte in den Korridor hinein, brachte aber nicht den Mut auf, die Tür zu öffnen. Er hatte gemeine Angst, wie er sie noch nie an sich erlebt und beobachtet hatte.

Er hörte Schritte, die sich der Tür näherten. Lingman eilte zurück zum Tisch und warf sich in einen

Sessel. Er griff nach Papieren, tat so, als arbeite er, hörte das

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Klopfen und mußte sich erst die Kehle freiräuspern, bevor er »Herein« rufen konnte.

Einer seiner engen Mitarbeiter trat herein, ein aalglatter Typ mit kalten Augen. Er hielt eine Kehrschaufel in der linken Hand und grinste.

»Was ist denn jetzt schon wieder los?« fragte Lingman, sich um Gelassenheit bemühend.

»Der Skorpion«, sagte der Aalglatte und grinste spöttisch, »Jane ist von ihm im Vorratsraum erwischt worden.«

»Der Skorpion?« Lingman sah sofort, daß es sich um einen normalen Skorpion handelte, der höchstens acht Zentimeter lang war. Er lachte schrill auf. Und in diesem Lachen war so etwas wie Hysterie.

* * *

Die kleinen, würfelförmigen Lehmhütten nördlich der Stadt gehörten Kleinfarmern, die Mais, Bohnen und Melonen anbauten. Die Campesinos, durchweg Mexikaner, waren arme Leute, die für das Stückchen Land, das sie bebauten, hohen Zins zu zahlen hatten. Daß dieses Geld auf Umwegen in Lingmans Kasse landete, wußten sie nicht.

Die einfachen Hütten waren dunkel. Die Bewohner, die morgens sehr früh auf die Felder hinaus mußten, schliefen bereits. Sie merkten nichts von dem schrecklichen Verhängnis, das auf sie zukam.

Durch einen Graben, der etwa einen Meter tief war und während der Regenzeit Wasser in ein Sammelbecken leitete, wälzte sich ein schwarzer Strom krabbelnder, horniger Beine und Leiber. Dicht an dicht drängten und schoben die Riesenskorpione sich an die Hütten heran, die in der Nähe des Reservoirs standen. Die Spinnentiere, die sich ungewöhnlich schnell bewegten, zirpten nicht. Sie verhielten sich

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vollkommen ruhig. Das Sammelbecken füllte sich mit der schwarzen,

krabbelnden Flut, die Ungeheuer schienen sich hier zu versammeln, warteten scheinbar auf das Zeichen zum Angriff auf die Lehmhütten.

Maultiere und Esel in den niedrigen Ställen witterten instinktiv die tödliche Gefahr. Sie schrien, keilten aus, rissen an den Stricken, die sie an den Futtermulden festhielten. In den Hühnerställen gackerte es, schlugen aufgeregt die Flügel.

In einer der ärmlichen Hütten wurde eine Kerze angezündet. Ein Campesino, ein älterer, hagerer Mann, abgearbeitet

aussehend, hielt eine Laterne in der Hand und ging auf den nahen Stall zu. Dabei passierte er das Wasserreservoir, doch er sah nicht über den Wall in das Sammelbecken hinein. Er öffnete die Stalltür und rief den beiden Eseln beruhigende Worte zu. Der Mexikaner dachte an einen herumstreichenden Coyoten, der die beiden Tiere beunruhigt haben mochte.

Die beiden Esel waren nicht zu beruhigen. Sie stießen röhrende Schreie aus, die von den Tieren in den

anderen Ställen prompt aufgenommen wurden. Innerhalb weniger Sekunden war in sämtlichen Ställen die Hölle los.

In anderen Lehmhütten wurden Kerzen und Laternen angezündet. Verschlafene und ratlose Männer kamen heraus, sahen nach ihren Tieren, riefen sich Fragen zu, die sie nicht beantworten konnten.

Nein, die Campesinos hier in der kleinen Außensiedlung wußten nichts von den Riesenskorpionen!

Man hatte sie nicht gewarnt, wie Custer es vorgeschlagen hatte. Man hatte sie völlig vergessen!

Juan Casillo, der Mann, der als erster seine Hütte verlassen hatte, spürte, daß der Tod sich genähert hatte. Nein, es konnte sich nicht um Coyoten handeln. Hier mußten andere, unheimliche Dinge im Spiel sein. Er dachte an seine Frau, an

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seine vier Kinder, rannte zurück zur Lehmhütte und ... blieb dann wie angewurzelt stehen.

Ein Zirpen ertönte, schrill und laut. Millionen von Grillen schienen sich an diesem schrecklichen Konzert zu beteiligen. Er verharrte nur einen kurzen Augenblick und rannte dann weiter, hielt sich die gepeinigten Ohren zu.

Dann sah er sie! Die schwarze Welle der Hornleiber schwappte über den

Erdwall des Sammelbeckens. Tausende von zangenbewehrten Ungeheuern krabbelten auf stelzigen, hornigen Beinpaaren auf die Lehmhütten zu, schnell, zielsicher und mordgierig.

Juan Casillo brüllte eine Warnung für seine Freunde hinaus, löste sich aus seiner Versteinerung und ergriff die Flucht. Darüber vergaß er aber nicht seine Frau und die Kinder. Er hatte die Tür hinter sich nicht geschlossen.

Er rannte um sein Leben, erreichte die Hütte, schmetterte die Tür hinter sich in den Rahmen, legte den Querbalken vor. Er brauchte seine Familie nicht zu wecken. Seine Frau und die Kinder waren bereits auf den Beinen, sahen ihn aus vor Entsetzen weit geöffneten Augen an.

»Ungeheuer aus der Hölle!« stieß Juan Casillo hervor, »Riesenskorpione! Sie greifen unsere Hütten an!«

Er lief zu einem der Fenster, schob den Blendladen ein wenig zur Seite, fuhr angeekelt zurück. Die schwarze Welle der Hornleiber umbrandete bereits die Wände der Lehmhütte. Das Klappern der Krebsscheren war deutlich zu hören.

Und die Schreie sterbender Campesinos, die nicht mehr zurück in ihre Hütten gekommen waren. Sie schrien spitz und grell, besessen von der panischen Angst vor dem Sterben.

Casillos Frau stellte keine Fragen. Sie kleidete die halbwüchsigen Kinder an, redete beruhigend und tröstend auf sie ein.

»Still!« sagte Casillo und hob warnend die Hand.

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Zuerst war nur das schreckliche Zirpen der Spinnentiere zu hören, das die Trommelfelle ansägte und in schmerzhafte Schwingungen versetzte. Dann jedoch, Casillo hörte es heraus, vernahm er das Bröckeln und Brechen des harten Lehms, aus dem die Wände seiner Hütte bestanden. Und er sah auch im Licht der Laterne, daß die Holztür zitterte und bebte. Die Riesentiere schienen sie eindrücken zu wollen, wenigstens glaubte er das zuerst.

»Betet«, rief er seiner Frau und den Kindern zu, »betet! Jetzt kann uns kein Mensch mehr helfen!«

* * *

Pedro Garincha hatte sich im letzten Augenblick in den Stall geflüchtet.

Er hielt sich verzweifelt die Ohren zu, konnte das grelle und spitze Zirpen der Monster nicht mehr hören. Er glaubte wahnsinnig werden zu müssen. Hinzu kam diese schreckliche Angst, diesen Bestien ausgeliefert zu sein.

Die beiden Schweine im Koben quiekten, rannten in sinnloser Angst gegen die Bretter des Verschlags, das Maultier hatte sich bereits losgerissen und keilte mit den Hinterhufen gegen die Tür.

Garincha, ein noch junger Mann, hatte sich auf den schmalen Heuboden des Stalls hinaufgeflüchtet und stierte auf die Tür, die zitterte und bebte. Er konnte nur ahnen, was das zu bedeuten hatte. Die Riesenskorpione versuchten sie einzudrücken.

Doch dann begriff er, was sie wirklich taten! Holzsplitter wurden unten aus den Brettern herausgerissen,

lange Holzsplitter, die von zangenartigen, mächtigen Scheren ergriffen wurden und im Biß zersplitterten.

Sie fraßen sich durch die Tür, gierig und unaufhaltsam.

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Dann sah er den ersten Riesenskorpion. Zuerst schoben sich nur die schweren Zangen durch die

Öffnung, dann folgte der hornige Leib, der aus Segmenten bestand, dann schnellte der Schwanz hoch, der den langen Giftstachel enthielt. Wie eine drohende Waffe krümmte sich dieser Hornschwanz über den Leib des Skorpions.

Zuerst war das Maultier an der Reihe. Es erhielt einen Stich in die linke Fessel, schrie auf wie ein

Mensch, jagte durch den kleinen Stall, zertrümmerte dabei die Bretter des Schweinekobens und zertrat mit seinen Beinen eine Unzahl der riesigen Skorpione, die jetzt in ununterbrochener Reihe in den Stall einbrachen und das Maultier mit ihren Giftstacheln trafen.

Das Tier sackte auf die Hinterhand, kippte zur Seite und wurde überflutet von dem Gewimmel der schwarzen Hornleiber. Die riesigen Scheren knackten, rissen ganze Fleischportionen aus dem Leib des zuckenden und noch sterbenden Tieres und stopften sie sich in die Mundöffnungen. Das Schmatzen und Reißen war widerlich. Die riesigen Ungeheuer schienen sich in einer Art Blutrausch zu befinden, feierten eine Orgie der Freßgier.

Die Schweine im Koben waren plötzlich still geworden. Garincha wagte keine Bewegung. Er atmete schnell und flach, starrte auf die schreckliche Szene hinunter und stammelte unhörbare Gebete.

Die Skorpione hatten ihr Mahl beendet, ließen ein blutiges Skelett zurück, krabbelten und schoben sich jetzt an den Schweinekoben heran, schlugen wütend ihre Scheren in die Bretter, rissen lange Späne heraus, zerrten an den dünner werdenden Hindernissen und ... fluteten dann in den Koben hinein.

Schrill quietschend, übereinander steigend, zappelnd und in Todesangst drängten die beiden Schweine sich in eine Ecke des

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Stalls und wurden hier von den Skorpionen überwältigt. Garincha schloß die Augen. Er konnte diese Gier nicht länger sehen. Er hörte das Brechen der Knochen, die von den Scheren aufgeknackt wurden, das Reißen und gierige Schmatzen.

Dann herrschte plötzlich Stille. Garincha mußte sich dazu zwingen, die Augen zu öffnen.

Erleichtert stöhnte er auf. Die Ungeheuer der Hölle waren verschwunden, hatten den völlig verwüsteten Stall geräumt. Sie hatten ihn übersehen!

Er blieb ruhig im Heu liegen, rührte sich immer noch nicht, glaubte an einen besonders raffinierten Trick der Bestien, rechnete mit ihrer Rückkehr. Wie lange er so gelegen hatte, wußte er nicht. Er konnte sich später nur noch an schrille Schreie erinnern, von denen er nicht wußte, ob sie nun von Menschen oder von Tieren ausgestoßen worden waren. Er rührte sich erst, als das erste Tageslicht in den Stall fiel.

Vorsichtig stieg er nach unten, räumte die Trümmer der Brettertür zur Seite und traute sich hinaus ins Freie.

Von den Skorpionen war nichts mehr zu sehen, sie mußten sich in ihre Schlupfwinkel zurückgezogen haben. Garincha erreichte die erste Lehmhütte, blieb überrascht stehen. Die harte Lehmwand war durchlöchert worden. An vielen Stellen gab es Öffnungen, durch die ein Fuchs hätte schlüpfen können. Die Ungeheuer mußten sich selbst durch den harten Lehm gefressen haben. Er hörte das Weinen von Kindern. Garincha folgte diesem Weinen und erreichte das Haus seines Freundes Casillo. Juan und seine Frau waren tot. Sie lagen auf dem blutverschmierten Lehmboden und waren von den Monstern angefressen worden.

Auf dem Zwischenboden neben dem Kamin aber lagen Casillos vier Kinder, unversehrt. Garincha war klar, daß Juan und seine Frau sich für ihre Kinder geopfert hatten.

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* * *

»Wir setzen uns ab«, sagte Steve Lingman zu Leeds, »ich lass’ mich doch nicht abschlachten.«

»Dann werden Sie für die kommenden Wahlen keine Chance haben«, warnte Leeds.

»Was mich die Wahlen kümmern!« Lingman wußte inzwischen, was sich in der Siedlung der Campesinos zugetragen hatte. Es stand für Ihn fest, daß er das Tal und die kleine Stadt verlassen würde. Wenn alles vorüber war, konnte man ja immer noch zurückkehren und die Dinge wieder in den Griff bekommen. Jetzt ging es erst einmal um sein Leben.

»Die ersten Wagen sind bereits unterwegs«, sagte Leeds, »ganze Familien haben die Flucht ergriffen.«

»Wir brauchen einen leichten Wagen und vier Pferde«, befahl Lingman, »häng das aber nicht an die große Glocke. Wir nehmen nur wenig Gepäck mit.«

»Ich bin schon weg«, sagte Leeds, der innerlich froh war, daß Lingman die Stadt verlassen wollte. Auch er war von dem allgemeinen Grauen und Entsetzen erfaßt worden. Die Leute standen auf der Straße zusammen, beratschlagten, diskutierten, steigerten sich ungewollt in eine immer wilder werdende Panik hinein.

Als Leeds unten im Hotel war, stieß er auf die Tanzgirls, die neben ihrem Gepäck saßen, jetzt aufsprangen und ihn sofort umringten. Sie bestürmten ihn mit Fragen, die alle darauf hinausliefen, daß Lingman sie aus der Stadt schaffen sollte.

»Wartet hier«, log er sie an, »er hat bereits alles in die Wege geleitet, Mädchen. In einer Viertelstunde steht der Wagen vor dem Hotel. Aber rührt euch inzwischen bloß nicht weg, sonst verpaßt ihr den Anschluß.«

Er grinste in sich hinein, als er das Hotel durch den Hintereingang verließ. Die Mädchen hatte er sich vom Hals

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geschafft. Nicht daran zu denken, daß Lingman für sie sorgen würde. Er brauchte die Pferde für seine eigene, schnelle Flucht.

Als er das Stallgebäude im Hof erreicht hatte, hörte er Stimmen, leise Flüche, Geräusche. Man wollte die.Pferde stehlen!

Leeds schlich durch einen schmalen Seiteneingang in den Stall hinein und sah die drei Minenarbeiter, die gerade dabei waren, die ersten beiden Pferde an die Deichsel zu bringen. Leeds ließ sie gewähren. Er hatte nichts dagegen, daß sie die Arbeit für ihn erledigten. Als die Männer dann jedoch das Tor öffnen wollten, knallte er sie kalt nieder. Jeder Schuß war ein Treffer.

Die Männer wurden wie von unsichtbaren Riesenfäusten zu Boden geworfen und waren sofort tot. Leeds brachte die beiden Pferde unter Kontrolle und führte sie mit dem vierrädrigen Wagen aus dem Stall. Unter dem Dach einer Remise band er sie kurz fest, lief zurück und holte die beiden restlichen Tiere.

Lingman wartete bereits am Hinterausgang. Neben ihm standen ein paar Lederhandtaschen, die prall

gefüllt waren. Es handelte sich um das Geld, das er in den vergangenen Wochen zusammengerafft hatte. Lingman hatte die Waffen nicht vergessen, an der Hauswand lehnten Schrotflinten und Winchester.

Hastig verstauten die beiden Männer die Taschen und die Waffen, setzten sich in den Wagen und stoben los, als säße ihnen der Satan im Genick. Sie benutzten nicht die Hauptstraße, wo man sie leicht gesehen hätte. Leeds, der den Wagen steuerte, fuhr über die weiten Wiesen und kam so notgedrungen am Haus von Doktor Vado vorüber.

Der alte Arzt stand neben seinem kleinen Holzhaus, erkannte Lingman und Leeds und grüßte spöttisch. Lingman übersah diesen Gruß, Leeds hätte den alten Mann am liebsten niedergeschossen. Er fühlte sich gründlich durchschaut.

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Hinter dem Ort erreichten sie wieder die Straße, die nach Santa Rita führte. Lingman entspannte sich, zündete sich eine Zigarre an und grinste erleichtert.

»Geld macht frei«, stellte er zufrieden fest, »in einer Stunde haben wir die Hölle hinter uns.«

»Was werden Sie später den Leuten in San Lorenzo erzählen?« wollte Leeds wissen, der sich auch wohler fühlte.

»Was wohl?« fragte Lingman lächelnd zurück, »wir holen doch Hilfe, Leeds, haben Sie das nicht gewußt?«

»Klar, Mr. Lingman«, meinte Leeds, »und kein Mensch wird Ihnen das Gegenteil beweisen können.«

Sie waren wirklich bester Laune. Vor dem Wagen liefen vier erstklassige Pferde, und die Stadt lag bereits ein gutes Stück hinter ihnen. Was sollte ihnen noch groß passieren? Für die scherenbewaffneten Monster waren sie bereits jetzt unerreichbar.

»Was ist denn da hinten los?« fragte Leeds nach einer guten Weile. Die Straße stieg an und führte hinauf zu dem flachen Einschnitt, dem einzigen befahrbaren Stück Weg inmitten der bizarren Hügelkette.

»Wagen!« Lingman richtete sich steil auf, kaute nervös auf seiner Zigarre herum.

»Die Straße muß verstopft sein«, sagte Leeds, »das hat uns gerade noch gefehlt.«

»Die kommen ja zurück«, stellte Lingman fest. »Anhalten, Leeds, ich will wissen, was da los ist!« Er hatte sich nicht getäuscht. Ein paar Farmwagen, schwer und solide konstruiert, bespannt mit Maultieren und hochbepackt mit Hausrat, kamen in schneller Fahrt die Straße herunter, entwickelten eine fast schon lebensgefährliche Geschwindigkeit.

Dann erschienen ein paar Reiter, dann wieder zwei leichtere Wagen, die von Pferden gezogen wurden. Das alles sah nach panischer Flucht aus.

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Lingman war aus dem Wagen gestiegen und winkte den Reitern zu. Einer von ihnen scherte aus, ritt auf Lingman zu. Das Gesicht des Reiters – es handelte sich um einen Cowboy – war geprägt vom Entsetzen.

»Was ist denn da oben auf dem Paß los?« rief Lingman dem Reiter entgegen.

»Gesperrt«, erwiderte der Reiter, »Skorpione, nichts als Skorpione! Sie haben den ganzen Paß besetzt und schieben sich langsam runter. Kein Durchkommen!«

»Und wie sieht’s ohne Wagen aus?« Lingman schaltete sofort. Immerhin verfügten er und Leeds über vier erstklassige Pferde, die sich schließlich auch reiten ließen.

»Die Biester haben uns eingekesselt«, rief der Reiter, schlug seinem Tier die Sporen in die Flanken und preschte wieder los.

»Ich kann’s einfach nicht glauben«, sagte Lingman und schaute seine rechte Hand Leeds verblüfft an.

»Ich würd’ mich lieber darauf verlassen, Boß«, sagte Leeds, »oder sollen wir mal näher ranfahren?«

»Sind Sie verrückt, Leeds?« brüllte Lingman, »nichts wie zurück, wir werden versuchen, nach Sherman zu kommen, Los, worauf warten Sie denn noch? Geben Sie den Gäulen die Peitsche!«

* * *

Custer und sein Stellvertreter Halton waren seit Tagesanbruch unterwegs.

Sie hatten eine vollkommen ruhige Nacht verbracht und nichts mehr vom Zirpen der Skorpione gehört. Nun waren sie unterwegs zurück zum Minengelände. Custer wollte gewissen Dingen auf den Grund gehen. Ihn beschäftigte nach wie vor die Frage, von woher die Riesenskorpione kamen, wo sie ihre Nester hatten.

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»Sie wollen tatsächlich rein in den Stollen?« fragte Halton, als sie ihr Ziel erreicht hatten. Vor ihnen lag der große Kessel mit dem riesigen Stollenmund, den Baracken und dem Loch, in das der Gebirgsbach sich jetzt ergoß. Es war noch wesentlich größer geworden und nahm alles Wasser hinter dem Wasserfall in sich auf.

»Fackeln sind ausreichend vorhanden«, meinte Custer. »Sie, Ben, werden draußen Wache halten und mich warnen, falls es Ärger geben sollte.«

»Sie lassen sich da auf ‘ne lebensgefährliche Sache ein, Sheriff«, warnte Halton. Sie waren von den Pferden gestiegen und führten sie sehr vorsichtig über den steilen Pfad hinunter in den Kessel.

»Wenn wir sie erwischen wollen, müssen wir das Übel an der Wurzel fassen«, antwortete Custer, »gern tu ich’s bestimmt nicht, Ben, mir ist ganz schön mulmig im Magen.«

Der von Yards zugesprengte Erdspalt war ein wenig abgesackt, die Mulde noch tiefer geworden, sonst aber waren hier keine Veränderungen zu entdecken. Die beiden Männer brachten ihre Pferde zum überhängenden Felsen, wo sich auch die Dynamitvorräte in der kleinen Blockhütte befanden. Custer steckte sich einige Dynamitstäbe samt Zünder und Lunte in die Lederjacke, ergriff einige Fackeln und machte sich dann auf den Weg.

Zuerst ging alles ziemlich glatt. Dank der brennenden Fackel fand er ohne Schwierigkeiten den Weg, zumal auf dem Boden die schmalen Gleise der Feldlorenbahn lagen. Nach etwa zehn Minuten – er mochte knapp hundert Meter zurückgelegt haben, zweigten die Gleise nach links ab, rechts senkte sich ein wesentlich schmalerer Stollen nach unten ab, der schon bald rechts steil abfiel.

Wasser tropfte von der Stollendecke, versprühte zischend in den Flammen der Fackel. Custer, der noch halbwegs aufrecht

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gehen konnte, hatte bald das Gefühl, daß es wärmer wurde. Das Gestein um ihn herum schien sich mit der Wärme des heißen Wassers aufgeladen zu haben.

Er mußte die nächste Fackel anzünden, dann über Geröll steigen, das von der Stollendecke herabgefallen war, erreichte schließlich ein Hindernis, das ihm restlos den Weg versperrte. Hängendes Gestein hatte den Stollen scheinbar in sich zusammenbrechen lassen. Als er das lose Gestein jedoch näher untersuchte, schöpfte er wieder Hoffnung. Er steckte die Fackel in loses Gestein und räumte mit seinen Händen die dicken Steinbrocken zur Seite, bis er einen schmalen Durchschlupf geschaffen hatte.

Ihm war nicht wohl in seiner Haut! Ganz gewiß nicht! Platzangst hatte er zwar nicht, aber hier tief unter dem Fels kam er sich doch vor wie in einer riesigen Falle, die jeden Augenblick zuschnappen konnte.

Seltsame Geräusche drangen an sein Ohr, die nicht nur vom tropfenden Wasser herrühren konnten. Der Berg über ihm schien zu arbeiten, sich zu bewegen, sich dauernd unter Druck zu verformen.

Er leuchtete mit der Fackel durch den geschaffenen Durchschlupf, seufzte, auf und riskierte es. Er wand sich durch die schmale Passage hindurch wie ein Aal und war überrascht, daß hinter diesem Hindernis alles wieder in Ordnung war. Bis auf die deutlich spürbare Wärme.

Er legte seine Hand auf den felsigen Boden, spürte sofort, daß das Gestein wirklich warm war. Unter seinen Füßen mußten irgendwo die heißen Quellen sprudeln und toben. Custer kam jetzt zügig voran, konnte sich wieder aufrichten und blieb stehen, als der Stein zu sprechen begann.

Er redete natürlich nicht wirklich, doch die Vibration unter seinen Füßen erinnerte ihn an Schallwellen. Er legte sich auf den hier trockenen Boden und preßte sein Ohr gegen das

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Gestein. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Unter dem Stollen mußte Wasser fließen. Das Strudeln und Gurgeln der Massen war deutlich zu vernehmen.

Endlich hatte er die Wand erreicht, die die Minenarbeiter errichtet hatten.

Sie machte einen sehr soliden Eindruck, glänzte feucht im Licht der Fackel und strömte eine Hitze aus, die er auf seinem Gesicht fühlen konnte. Hinter dieser Sperrwand schien sich die Hölle zu befinden.

Nachdenklich wog Custer einen der Dynamitstäbe in der Hand. Sollte er es riskieren und eine Sprengladung anbringen? Sollte er diesen Zugang zur Hölle aufsprengen, gleich, was danach passierte? Durfte er dieses Risiko eingehen?

Versuchsweise trat er mit der ganzen Stiefelsohle gegen die verschmierten Steinbrocken, um deren Festigkeit zu prüfen. Er warf sich überrascht zurück, als die Steine diesem Druck sofort nachgaben und nach hinten hin wegpurzelten.

Eine große Lücke klaffte in der Sperrwand, eine Lücke, die groß genug war, ihn hindurchzulassen. Warmer Wasserdunst schlug ihm entgegen, der sich feucht auf seine Haut legte.

Und er hörte das Sprudeln und Spritzen von Wasser, als würde ein riesiger Wasserkessel zum Erhitzen gebracht.

* * *

»Schon wieder zurück?« Doktor Vado schien sich die ganze Zeit über nicht vom

Fleck gerührt zu haben. Er stand hinter dem Haus und hatte gerade Lingman angerufen, der nervös und gereizt in seinem Wagen saß.

»Ich wollte Hilfe holen«, sagte Lingman. »Natürlich, Mr. Lingman«, antwortete der alte Arzt ohne

jeden Spott in der Stimme, »versuchen Sie’s aber erst gar nicht

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in Richtung Sherman, da haben bereits andere aufgeben müssen.«

»Wieso?« Lingman sah den Arzt unruhig und nervös an. »Der Weg ist abgeriegelt«, redete der Arzt weiter, »die

Ungeheuer sind überall. Sie haben San Lorenzo eingekesselt. Hier kommt kein Mensch mehr raus. Wir werden uns selbst helfen müssen.«

»Und wie? Haben Sie ein Rezept gegen diese Bestien?« »Nichts«, bedauerte Doktor Vado, »die Skorpione fressen

sich durch Holz und Lehm. Wahrscheinlich werden sie auch mit Fels und Stein fertig.«

»Einer scheint’s aber geschafft zu haben, sich abzusetzen«, schaltete sich Leeds gehässig ein.

»Sie meinen natürlich Sheriff Custer und Ben Halton, nicht wahr?« Der alte Arzt lächelte.

»Genau die«, schnappte Leeds wütend weiter zu, »wo sind denn die Hüter des Gesetzes? Die haben sich längst in Sicherheit gebracht.«

»Glauben Sie, was Sie wollen, Leeds«, erwiderte Doktor Vado, »ein Mensch, der vor Angst fast umkommt, muß wahrscheinlich so sprechen.«

Lingman stieß Leeds an, der daraufhin die Pferde wieder antraben ließ. Ungesehen erreichten sie endlich den Hinterhof des Hotels, wo Lingman aus dem Wagen stieg.

»Ob Vado nur geblufft hat?« fragte Leeds unsicher. »Wir sind eingekesselt«, antwortete Lingman, »die Biester

lassen keinen mehr raus aus dem Talkessel.« »Aber irgend was müssen wir doch machen!« Leeds’

Stimme klang scharf. »Nun hören Sie mal genau zu, Leeds«, antwortete Lingman,

»wir haben eine Chance, wenn wir schnell und schlau sind.« »Wirklich, Boß?« Leeds sah seinen Arbeitgeber ungeduldig

an.

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»Ich denke an den Spritkeller«, redete Lingman weiter, »den bauen wir uns zu ‘ner Festung aus.«

»Sie kommen durch Holz und Lehm und wahrscheinlich auch durch Fels und Stein«, wiederholte Leeds das, was Doktor Vado bereits gesagt hatte.

»Aber an Eisenblech werden sie sich die Scheren abbeißen, Leeds. Das ist unsere Chance!«

»Wir polstern den Spritkeller mit Eisenblechen aus, das ist es!« Marvin Leeds hatte sofort verstanden. »Im Magazin des Store liegen genug Bleche herum.«

»Genau die meine ich«, sagte Lingman eindringlich, »die Dachbleche für Siedler. Damit bauen wir uns einen Bunker, den kein Skorpion mehr knacken kann.«

»Ich mach’ mich sofort an die Arbeit. Aber was ist, wenn wir dabei beobachtet werden?«

»Die Dachbleche gehören mir«, sagte Lingman, während sein Gesicht hart und grausam wurde, »ich möchte den sehen, der mich an dieser Arbeit hindern will!«

Leeds entwickelte ungewöhnliche Energien. Er schleppte sich mit den Blechen ab, während Lingman

diesen Transport mit der schußbereiten Winchester überwachte. Als Leeds weit über ein Dutzend der rechteckigen Bleche herbeigeschafft hatte, trugen die beiden Männer sie durch den Hintereingang des Hotels in den Spritkeller. Es zeigte sich, daß sie ausgezeichnet zugeschnitten waren. Der blinde und zugleich glückliche Zufall spielte erfreulich mit.

Der Spritkeller war nicht sonderlich groß. Es handelte sich um einen rechteckigen Raum von nur

wenigen Quadratmetern, der bis zur Decke mit Holzkisten gefüllt war, die Spirituosen aller Art enthielten. Diese Kisten störten jetzt natürlich, denn sie standen dicht an den gemauerten Wänden, die ja gerade durch die Blechplatten zusätzlich abgesichert werden sollten.

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Leeds und Lingman schleppten die Kisten aus dem Keller, stapelten sie oben im Gang und auf der Treppe auf. Dann schleiften und zerrten sie die Bleche nach unten und lehnten sie gegen eine der Wände.

»Ich hole Hammer und Nägel«, sagte Leeds, der sich wie Lingman keine Pause gönnte, »ein paar Balken und ‘ne Säge können auch nicht schaden.«

»Machen Sie schon, Marvin«, drängte Lingman ungeduldig, »ich weiß nicht, wieviel Zeit wir noch haben!«

* * *

Die kleine Stadt traf ihre Vorbereitungen. Doktor Vado saß im Sattel seines alten Pferdes und ritt

durch die Hauptstraße. Überall waren geschäftige Menschen zu sehen, die ihre Häuser zur Verteidigung herrichteten. Sie nagelten die Türen und Fenster zu, wählten dazu möglichst dicke Bretter und Bohlen. Die Familien igelten sich ein, jeder handelte auf eigene Faust.

Doktor Vado hatte längst eingesehen, daß an eine gemeinsame Verteidigung nicht zu denken war. Jeder dachte nur an sich oder eben noch an seine Familie. Dröhnende Hammerschläge waren zu hören. Rufe, Flüche. Die einstmals recht hübschen Häuser verwandelten sich nach und nach in klobige Festungen, die uneinnehmbar aussahen. Ob sie allerdings das hielten, was sie versprachen, stand für Doktor Vado auf einem anderen Blatt.

Eine Gruppe von Frauen, Kindern und Männern hatte den Kirchturm besetzt und die schmale, steile Treppe so hergerichtet, daß sie sie mit einem Lasso anhieven konnten. Die Stimmung unter diesen Menschen war besonders gut und optimistisch. Sie fühlten sich hier oben unangreifbar.

Vado betrat einen der Saloons.

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Er war bis auf einen alten Mann leer. Dieser alte Mann war ein stadtbekannter Trinker, der die Gelegenheit nutzte und sich bediente. Er stand schon mächtig unter Alkohol.

»Alles frei heute, Doktor«, sagte er mit schwerer Zunge, »nehmen Sie auch ‘nen Schluck?«

»Wollen Sie sich nicht in Sicherheit bringen?« fragte Doktor Vado, während er nach der Flasche griff, die der Mann ihm entgegenhielt.

»Hier in ‘nem Saloon fühl’ ich mich sicher«, erwiderte der Trinker und rülpste wohlig auf, »un’ warum verstecken Sie sich nicht, Doktor?«

»Das hat noch Zeit«, meinte Doktor Vado, der in Wahrheit nicht wußte, wie er sich verhalten sollte. Er goß sich ein Glas ein und trank.

»Bleiben wir doch zusammen, Doktor«, schlug der Trinker vor, »wenn die Biester kommen, sin’ wir schon so voll, daß wir überhaupt nichts mehr merken.«

»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Vado lächelnd, »ich komme gleich zurück. Bis dahin.«

Es interessierte ihn zu erfahren, wie Lingman und Leeds sich geschützt hatten. Als er das Hotel erreicht hatte, hörte er das aufgeregte Schreien der Tanzgirls. Er folgte diesem Geschrei und traf sie im Korridor hinter der Rezeption. Sie standen auf einer mit Whiskykisten vollgestellten Treppe und hämmerten mit ihren Fäusten gegen die sehr solide aussehende Tür des Spritmagazins.

»Das Schwein, dieses dreckige Schwein«, schluchzte eines der Mädchen, als es Doktor Vado entdeckt hatte. Die dicke Schminke im Gesicht war zerlaufen.

»Ich bin sicher, Sie reden von Lingman«, erwiderte der alte Arzt ironisch.

»Dieser Feigling hat sich da unten eingeschlossen. Da is’ Platz genug für ein gutes Dutzend Menschen oder noch mehr,

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aber glauben Sie, er läßt einen von uns rein?« »Nein, das glaube ich auch nicht«, sagte Doktor Vado.

»Leeds dürfte noch bei ihm sein. Was hämmern sie denn da unten im Keller herum?«

»Sie haben Blechplatten nach unten geschafft und nageln damit alle Wände zu, Doktor.«

»Wenn es um ihn geht, hat er Ideen«, meinte Vado spöttisch, »kann durchaus sein, daß er überleben wird.«

»Und was wird aus uns, Doktor?« »Ich habe kein Patentrezept«, erwiderte der alte Mann

achselzuckend, »das heißt, da kommt mir gerade eine Idee.« »Doktor, bitte«, drängte das Tanzgirl, das jetzt von den

übrigen Frauen umgeben wurde. »Klettert in den Wassertank«, sagte Doktor Vado, »kann

sein, daß ich dort auch noch aufkreuzen werde.« Sie hatten ihn sofort verstanden, stürmten aus dem Korridor

und liefen hinaus in den Hof. Sie blieben einen Moment unschlüssig vor dem großen Blechbehälter stehen, der drei Meter hoch über dem Boden auf festen, quadratisch gelegten Stämmen lagerte. Dann schleppten sie eine Leiter herbei und stiegen nacheinander nach oben. Das Tanzgirl, das mit dem alten Arzt gesprochen hatte, hielt eine Axt in Händen und keilte den zentralen Verschluß auf, bis das im Bassin enthaltene Wasser herausströmte.

Nacheinander verschwanden die Frauen in ihren bunten Flitterkleidern im Behälter. Doktor Vado konnte nur hoffen, daß sie dort überlebten.

Sie winkten ihm dankbar zu, als er um das Hotel herumging, sein altes Tier am Zügel führend.

Die Hauptstraße war jetzt wie leergefegt. Die Bewohner hatten sich endgültig in ihren Häusern verschanzt und warteten voller Angst auf die Invasion der Skorpione, die irgendwann erfolgen mußte.

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Als Doktor Vado mühsam in den Sattel stieg, hörte er von fern her ein feines Zirpen.

* * *

Das Wasser war sehr heiß und verbrühte fast seine Haut. Es sprühte mit hohem Druck durch das poröse Gestein über

ihm, regnete auf ihn herab und durchnäßte ihn. Custer spielte bereits mit dem Gedanken umzukehren, als er hinter diesem heißen Wasserschleier Luft schnappen konnte.

Er blieb stehen, war überwältigt von dem Anblick, der sich seinen Augen bot.

Die fast verlöschende Fackel hatte sich wieder erholt, brannte und beleuchtete den Beginn einer riesigen Halle, deren Boden in Bewegung war. Felskessel, mit Wasser gefüllt, kochten tatsächlich. Heißes Wasser spritzte aus diesen natürlichen Kesseln hoch, blubberte und zischte. Der Wasserdampf lagerte sich unter der hohen Decke ab und wurde dann von einem Luftzug abgetrieben. Hatte Yards davon nichts gewußt?

Hatte er diesen unterirdischen Dom seinen Arbeitern absichtlich verschwiegen? Oder hatte der Mann sich bereits von den ersten heißen Dampfschwaden abschrecken lassen?

Sheriff Custer beugte sich vor, um noch besser sehen zu können. Er wollte herausfinden, woher das Wasser kam und wohin es abfloß. Nachdem seine Augen sich an dieses schauerliche Schauspiel gewöhnt hatten, bemerkten sie nämlich eine Bewegung in den Kesseln, die unentwegt überkochten.

Er war sich seiner Sache nicht vollkommen sicher, aber er glaubte zu verstehen.

Der Gebirgsbach, der nach der Sprengung vor dem Stollen im Erdreich verschwunden war, ergoß sich in die riesigen

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Felskessel, wurde hier erhitzt und schickte sein Wasser dann weiter nach unten. Die Strömung des Wassers war jetzt deutlich zu sehen. Um ganz sicher zu sein, zündete der Sheriff eine weitere Fackel an und warf die abgebrannte Fackel in einen der überkochenden Kessel.

Der Fackelschaft wurde sofort von einer heftigen Strömung erfaßt, herumgewirbelt und dann von Kessel zu Kessel weitergespült. Schließlich verschwand der Fackelschaft in der Dunkelheit.

Custer leuchtete den Boden ab, auf dem er stand. Eine Art Kesselstein war unter seinen Stiefelsohlen. Custer

riskierte einen Schritt nach dem anderen, arbeitete sich weiter nach unten, hielt sich an der pitschnassen Wand fest und glitt immer wieder aus. Doch er schaffte es, erreichte eine Art Plateau und sah in eine zweite Riesenhöhle hinein.

Und da waren sie! Tausende von Riesenskorpionen lagen träge auf feuchtem,

dampfendem Sand, dazwischen krabbelte eine Unzahl kleinerer Skorpione herum, die sich in dieser Waschküchenatmosphäre besonders wohl fühlten. Eine idealere Brutstätte hätten diese Spinnentiere sich gar nicht aussuchen können.

Der Strom des heißen, kochenden Wassers flutete an dieser Höhle vorbei, sorgte für stetige Wärme und Feuchtigkeit.

Custer kam ein Gedanke. Wenn es ihm gelang, den Abfluß zu blockieren, dann mußte

der Spiegel des kochenden Wassers innerhalb weniger Minuten ansteigen und die Riesenskorpione erreichen und ertränken. Ihnen blieb dann nur noch die Flucht durch die Schlupflöcher, die sie bisher benutzt hatten. Und diese Ausgänge mußten sich seiner Schätzung nach tief unten im »Höllentor« befinden!

* * *

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Doktor Vado hatte wirklich Mut. Er ritt diesem schrillen Zirpen entgegen, wollte sich einen

Überblick verschaffen. Er brauchte nicht weit zu reiten. Schon nach knapp fünf Minuten Trab sah er den schwarzen, sich unentwegt bewegenden Saum, der sich auf die Stadt zuschob.

Das Zirpen schwoll an, ließ bereits die Trommelfelle vibrieren. Das alte Pferd unter Vado wurde unruhig und scheute. Der alte Mann nahm es herum, redete beruhigend auf das Tier ein, drehte es erneut und beobachtete die Angreifer.

Sie schoben sich von allen Seiten ringförmig auf San Lorenzo zu. Die Schnelligkeit der Spinnentiere war erstaunlich. Sie überwanden jedes Bodenhindernis.

Doktor Vado brauchte sein Pferde nicht anzutreiben. »Wie sieht’s bei Ihnen aus, Doktor?« hörte er eine Stimme,

als er wieder in der Stadt war. Er erkannte Yards, der aus den Vorbergen gekommen sein mußte. Sein Pferd war sehr unruhig und schweißbedeckt.

»Sie kommen«, sagte Doktor Vado. »Von den Bergen her ebenfalls, sie haben uns vollkommen

eingeschlossen.« »Dann wird es nicht mehr lange dauern, bis wir dran sind,

Yards.« »Wollen Sie sich so einfach von den Scheren aufknacken

lassen?« »Ich werde zu den Damen dort oben im Wassertank

steigen«, sagte Vado lächelnd. Er stieg vom Pferd, hatte plötzlich seinen Colt in der Hand und ... erschoß das Pferd.

»Es hat einen schnellen Tod verdient«, sagte er und wandte sich ab, »ich hätte es nicht ertragen, wenn es zwischen die Scheren der Spinnenmonster geraten wäre.«

»Ist im Tank auch noch für mich Platz, Doktor?« »Bestimmt«, sagte Vado, »ich habe bis zuletzt auf Custer

gesetzt, aber er scheint es nicht geschafft zu haben.«

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»Vielleicht hat es ihn längst erwischt«, meinte Yards, »hören Sie doch, das Zirpen wird immer schriller, das ist das Zeichen für den Angriff, soviel weiß ich bereits.«

Sie stiegen über die Leiter hinauf in den Wassertank. Yards zog die Leiter hoch und stöhnte auf, als bald darauf die ersten Bestien zwischen den Häusern auftauchten.

* * *

Sie hatten den Spritkeller in einen Tresor verwandelt. Leeds und Lingman kontrollierten noch einmal die Bleche,

die sie mit langen Krampen und Nägeln an der Wand befestigt hatten. Um einen zusätzlichen Schutz zu erreichen, hatten sie passende Balken gesägt und sie quer durch den Raum von Wand zu Wand gekeilt. So wurden die Bleche noch zusätzlich gegen die Steinwände des Kellers gepreßt.

»Sie kommen«, sagte Lingman, der dort stand, wo die Tür gewesen war, »ich kann die Bestien deutlich hören.«

»Hier erwischen sie uns nicht«, murmelte Leeds nervös. »Ausgeschlossen«, bestätigte Lingman, der sich ebenfalls

Mut machen wollte, »durch das Blech werden sie niemals kommen.«

So sicher waren sie sich ihrer Sache wohl nicht. Sie liefen ununterbrochen durch den kleinen Raum und prüften den Sitz der Blechverkleidung. Später hielten sie sich die Ohren zu. Das Zirpen war fast unerträglich laut geworden, ließ die Bleche vibrieren und wurde durch sie noch zusätzlich verstärkt.

»Da, Leeds, hören Sie doch!« Lingman stand dort, wo die Tür gewesen war. Er hörte ein

Raspeln und Splittern, ein Sägen und Nagen. Er preßte sein Ohr gegen die hier doppelt liegenden Bleche und zuckte wie unter einem Peitschenhieb zurück, als eine Skorpionschere kreischend über das Blech glitt.

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* * *

»Das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte Yards. Er starrte auf die schwarze, wimmelnde Masse, die den

Boden zwischen den Häusern bedeckte. Vor- und zurückschnellend, in ununterbrochener Bewegung, scharrten die Gliedmaßen der Riesenskorpione über den Boden. Die Monster verschwanden im Hintereingang des Hotels und waren wenig später schon oben an den Fenstern zu sehen, wo sie die Vorhänge herabzerrten.

Dann klumpten sie sich offensichtlich im Korridor zusammen, was Yards nicht verstehen konnte.

»Sie müssen Leeds und Lingman im Spritkeller gewittert haben«, sagte Doktor Vado, »jetzt wird es sich zeigen, ob ihr Bunker halten wird.«

»Sie kommen zum Wassertank, Doktor!« »Ganz ruhig«, sagte der alte Mann, »warten wir ab, wie sie

sich verhalten werden.« Während er noch redete, schaute er vorsichtig über den

Rand des viereckigen Blechtanks auf die Ungeheuer hinunter. Sie wirkten unschlüssig, schlugen ihre riesigen Scheren in die mächtigen Holzblöcke, die den Tank trugen, rissen lange Späne aus den Stämmen, schienen aber zu merken, daß sie hier nicht viel ausrichten konnten. Der schwarze und wimmelnde Teppich teilte sich, ein Teil verschwand wieder zwischen den Häusern, der andere Teil belagerte den Tank und machte sich daran, die Holzstämme in kleine Fetzen zu reißen.

Die Frauen verhielten sich erstaunlich tapfer. Sie hockten am Boden des Blechtanks und drängten sich aneinander. Panik brach jedoch nicht aus.

»Nein, sie hauen ab«, sagte Yards leise zu Vado, »sehen Sie doch, Doktor, sie stecken erst mal auf.«

Page 83: Invasion der Skorpione

»Diese Runde geht an uns«, meinte der alte Arzt, »hoffen wir, daß sie uns vergessen werden.«

»Sie sind in der Kirche«, flüsterte Yards und schluckte vor Grauen, »sehen Sie doch, Doktor, sie reißen förmlich die Wand auf.« Er hatte nicht übertrieben. Die Riesenskorpione schlugen ihre kräftigen Scheren in den harten Lehm und rissen große Löcher in die Wand. Nachdem sie den ersten Ansatzpunkt für die Scheren hatten, kamen sie sehr schnell voran. Der harte Lehm bröckelte aus der Wand, wurde in Brocken und Klumpen herausgerissen. Und schon schoben sich die ersten Bestien in das kleine Kirchenschiff hinein.

Yards und Doktor Vado konnten alles ganz genau sehen. Zwischen dem Hotel und dem General-Store war eine Gasse, die zum Markt führte. In direkter Linie dahinter stand die kleine Kirche.

»Sie ahnen, daß sie keine Chance haben«, flüsterte Yards erregt, »sie wissen es, Doktor. Mann, kann man denn wirklich nicht helfen? Sie nagen ja den Turm an.«

»Setzen Sie sich zu den Frauen und beruhigen Sie sie!« antwortete Doktor Vado. »Bitte, Yards, setzen Sie sich!«

Der alte Mann blieb allein am Rand des Wasserbassins stehen und beobachtete jede Einzelheit. Tausende von Scheren zerbröselten den harten Lehm zwischen den Feldsteinen, aus denen der Turm errichtet worden war. Mit vereinten Kräften zogen und zerrten die Riesenskorpione die Steine zur Seite, angetrieben von einer unstillbaren Freßgier und von einer Energie, die der Arzt sich nicht erklären konnte. Ein erster Riß in der Turmwand. Die Menschen, die im Turm Zuflucht gesucht hatten, schrien gellend. Sie hatten längst begriffen, daß sie keine Chance mehr hatten. Die Männer feuerten aus Revolvern und Gewehren in das schwarze Gewimmel hinunter, doch sie richteten damit nichts aus. Die Bestien ließen sich nicht vertreiben, ja der Widerstand schien sie nur noch

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zusätzlich anzuheizen. Ein reißendes Brechen übertönte das schrille Zirpen. Der

Turm schwankte, zeigte einen langen, klaffenden Riß, der vom Glockenstuhl bis hinunter zur Erde fuhr, dann schwankte das Gebilde, neigte sich langsam zur Seite. Gellende Hilfeschreie! Doktor Vado hielt sich wie die Frauen und Yards die Ohren zu, doch er blieb stehen, wollte Augenzeuge sein. Der Turm knickte im unteren Drittel ab und schlug dann krachend auf den Marktplatz. Eine ungeheure Staubwolke wallte hoch, hüllte die Einzelheiten gnädig ein. Als diese Staubwolke sich endlich verzogen hatte, waren die Trümmer des Turms bedeckt von einer schwarzen, zuckenden Masse von Skorpionleibern. Von den Menschen konnte Doktor Vado nichts entdecken. Sie befanden sich unter den Trümmern des Turms und unter der schwarzen, wimmelnden Decke der hornigen Leiber.

Der alte Mann wandte sich ab, hatte Tränen in den Augen.

* * *

Die Fackel hatte sie aufmerksam gemacht. Ohne jede Vorwarnung und ohne jeden Übergang war das schrille Zirpen der erregten Skorpione zu hören. Sheriff Custer sah, daß einige besonders große Tiere sich sofort in Bewegung setzten und auf ihn zuliefen. Sie waren ungemein schnell.

Custer zog sich zurück, aber er blieb Herr der Situation. Wenn er jetzt sinnlos die Flucht ergriff, dann hatte er keine Chance, noch einmal zurück ans Tageslicht zu kommen. Er mußte sie jetzt und hier stoppen und zurückwerfen.

Er blieb hinter der Biegung stehen, suchte festen Halt auf dem glitschigen Kesselstein.

Und da schob sich bereits die erste Bestie um die Ecke. Der hornige Schwanz stand bogenförmig über den Hornsegmenten des Körpers, bereit, den Giftstachel in das Opfer zu schlagen.

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Sheriff Custer reagierte blitzschnell. Mit der brennenden Fackel stieß er das riesige Spinnentier

von dem schmalen Grat ab und beförderte es hinunter in einen der kochenden Felskessel.

Er hatte sich eine äußerst günstige Position ausgesucht, schleuderte ein Monster nach dem anderen mit der Fackel in das kochende Wasser. Die Riesenskorpione verbrühten augenblicklich darin, stießen aber im Augenblick des Hineinfallens ins Wasser einen neuen Ton aus, den Custer noch nicht gehört hatte. Es handelte sich um eine Art kurzen Pfiff.

Nachdem er ein gutes Dutzend der scheußlichen Angreifer abgewehrt hatte, ließ sich kein Riesenskorpion mehr sehen. Hatten die Spinnentiere begriffen, daß sie nichts ausrichten konnten? Natürlich konnten sie keinen Verstand im menschlichen Sinne haben, aber die kurzen Pfiffe waren wohl eine Art Warnung.

Custer zog sich vorsichtig zurück, wurde dann immer schneller. Er kannte ja nicht die Höhlen und Gänge hier in der Waschküche des Teufels. Die Bestien waren vielleicht schon dabei, ihm den Weg abzuschneiden, um ihn doch noch zu erwischen.

Er erreichte die Mauer, die von Yards’ Leuten errichtet worden war, schlüpfte durch den schmalen Spalt und rannte, so schnell er konnte. Custer erreichte das natürliche Hindernis, zwängte sich hindurch und hatte es dann nicht mehr sonderlich schwer. Als er den Hauptstollen erreicht hatte, war alles nur noch eine Kleinigkeit.

Sein Stellvertreter Halton lief ihm erleichtert entgegen. »Endlich«, sagte er, »Sie waren gut und gern eine Stunde

lang weg, Sheriff.« »Habe ich überhaupt nicht gemerkt, Ben. Hier alles in

Ordnung?«

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»Bisher hat sich nichts gerührt, Sheriff. Und wie war’s bei Ihnen?«

»Ich hab’ die Bruthöhle der Bestien entdeckt«, sagte Custer, »aber erst mal weg von hier, sie waren hinter mir her.«

Ben Halton holte die Pferde und sah Custer dann fragend an. »Ich glaube, Ben, wir führen Ihren Plan aus«, sagte Custer. »Welchen Plan, Sheriff?« »Wir sprengen das Höllentor zu, Ben. Ich bin sicher, daß sie

dann in ihren Höhlen ersaufen werden.« »Ich bin sofort dabei, Sheriff. Und wie wollen wir’s

machen?« »Mir geht’s um das Höllentor, Ben. Sind die Gleise der

Feldbahn noch in Ordnung?« »Soll ich nachsehen, Sheriff?« »Gehen Sie die Gleise ab, Ben, bis hinunter zu den

Schmelzöfen. Wenn ich mich richtig erinnere, laufen die Loren da unten gegen einen Prellbock.«

»Stimmt genau, Sheriff, daran erinnere auch ich mich.« »Gut, dieser Prellbock muß weg, Ben, dann laufen die

Loren geradewegs runter in das Höllentor.« »Begriffen, Sheriff; kann ich den Prellbock wegsprengen?

Dann geht’s schneller.« »Hier, das müßte reichen.« Custer warf seinem Stellvertreter

zwei Dynamitstangen samt Zündern und Zündschnüren zu. Dann lief er zum Stollen und zerrte von einem Abstellgleis eine Feldlore auf das Hauptgleis. Der Mechanismus der Drehweiche machte ihm dabei keine Schwierigkeiten. Custer holte aus dem Dynamitdepot alles an Sprengstoff, was er fand. Bis auf einen kleinen Rest packte er die Kisten in die Lore und schätzte Entfernung und Zeit, die die Lore brauchte, um im Höllentor zu verschwinden.

Entsprechend lang wählte er die Zündschnur, dann eine zweite, dann eine dritte. Er wollte kein Risiko eingehen. Die

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Zündung dieser höllischen Ladung mußte garantiert sein. Custer legte drei gesonderte Zündungen an die Ladung und hatte dann endlich Zeit für eine Zigarette. Er nickte zufrieden, als unten vom zweiten Talkessel her eine dumpfe Detonation zu hören war. Ben hatte also den Prellbock weggesprengt. Die Lore konnte also ungehindert in das Höllentor rasen.

»Die Gleise sind in Ordnung«, meldete Ben Halton, als er zurück zu Custer gekommen war, »es kann eigentlich nichts schiefgehen, Sheriff.«

»Drücken wir uns die Daumen, Ben!« Custer und Halton drückten die Lore an den Hang und

zerrten dann den Baumstamm aus dem Eisenrahmen, der den Minenarbeitern normalerweise als Bremse diente.

Der Sheriff zündete alle drei Zündschnüre, nickte Halton zu und versetzte der Lore dann einen kräftigen Stoß.

Zuerst langsam, fast zögernd, ein wenig torkelnd und schwankend, rollte die Lore über die schmalen Schienen, nahm immer mehr Fahrt auf und donnerte schließlich hinunter in den zweiten Talkessel der Minenanlage.

* * *

»Ruhig bleiben«, sagte Doktor Vado, als unter dem Wasserbehälter ein Schnappen, Reißen und Zerren zu hören war. Er schaute vorsichtig über den Rand des Tanks und zuckte entsetzt zurück.

Die Skorpione schienen sich jetzt auf den Wasserbehälter konzentrieren zu wollen.

Es wimmelte und krabbelte um die mächtigen Holzstämme, die stahlharten Scheren rissen wütend Holzsplitter aus den Stützbalken. Sie arbeiteten mit rasender Besessenheit und behinderten sich fast gegenseitig.

»Warum schießen wir nicht?« fragte Yards, der sich neben

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den Arzt geschoben hatte. »Das macht sie nur noch verrückter, Yards«, antwortete

Doktor Vado, »hoffentlich rutscht der Behälter nur ab und kippt nicht um.«

»Dann bring’ ich mich lieber um«, sagte Yards. »Ich glaube, ich werde es dann auch tun«, gab Vado leise

zurück, »ich bin kein Held.« »Gibt es denn kein Mittel, um die Bestien zu vertreiben?«

stöhnte Yards wütend und verzweifelt. Er drehte sich nach den Tanzgirls um, die sich aneinanderschmiegten und vor Angst zitterten. Er lächelte ihnen starr zu, wollte ihnen damit Mut machen, wußte aber im gleichen Moment, daß dieser Versuch sinnlos war.

Ein bösartig klingendes Knirschen ging durch die Stämme, die sich neigten, leicht verrutschten. Der große Wassertank aus Blechplatten kippte leicht zur Seite, blieb aber noch auf der mächtigen Auflage liegen.

Das Zirpen der Riesenmonster war wieder lauter geworden, steigerte sich, wurde schrill und schriller. Die Kraft der mächtigen Scheren schien sich zu verdoppeln. Nach einem weiteren Ächzen und Knirschen sackte der Tank noch weiter in eine Schräglage. Es war nur noch eine Frage von wenigen Minuten, bis er entweder abrutschte oder von seiner Auflage abkippte.

Yards hielt es nicht länger. Er hatte seinen Colt in der Hand und feuerte in

ohnmächtiger Wut in die schwarzen, hornigen Leiber hinein, sah das Blut aufspritzen, lachte und grölte und schien von Sinnen zu sein.

Die Ernüchterung kam sehr schnell, als wieder eine Bewegung durch die Holzstämme ging, doch erstaunlicherweise rutschte der Blechtank jetzt zurück in die Waagerechte. Die gierigen Monster hatten Stämme

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aufgerissen, die ein Zurückrutschen des Tanks ermöglichten. Die Tanzgirls weinten. »Wir schaffen es«, sagte Doktor Vado und nickte ihnen zu,

»haltet durch, Mädchen. Wir schaffen es!« Eines der Tanzmädchen, das die Blechwand des Tanks

angestiert hatte, sprang plötzlich hoch. Alles geschah blitzschnell, weder Yards, die Mädchen noch

Vado konnten eingreifen. Das Tanzgirl, ein noch junges Mädchen, schrie gellend und spitz auf, warf sich über den Rand des Tanks und stürzte sich nach unten.

Doktor Vado beugte sich über den Rand und starrte aus weit geöffneten Augen auf das junge Mädchen, das inmitten der schwarzen Hornleiber aufschlug. Peitschenartig zuckten die Schwänze vor und trieben die Giftstachel in den Körper der schreienden, jungen Frau. Sie raffte sich auf, lief ein paar Schritte, torkelte, fiel auf die Knie, jagte wieder hoch und schleppte ein gutes Dutzend der widerlichen Skorpione mit sich, die ihre Scheren bereits in ihre Beine geschlagen hatten.

Sie schrie noch, als sie fiel und dann von den schwarzen Leibern überflutet wurde.

»Bleibt unten«, mahnte Doktor Vado, als ein paar Tanzgirls aufstehen wollten, Angst und Panik in den Augen, »bleibt sitzen, sag’ ich!«

Er wunderte sich selbst, woher er diese kraftvolle Stimme nahm. Die Frauen duckten sich, preßten sich wieder aneinander. Aber die Panik war aus ihren Augen, sie weinten nur noch.

»Sehen Sie doch, Doktor«, rief Yards plötzlich, »Doktor, sehen Sie doch! Sie verschwinden, sie ziehen sich zurück! Was kann das bedeuten?«

Nein, Yards hatte sich nicht getäuscht. Die Riesenskorpione formierten sich zu einer breiten

Kolonne, die schnurstracks die Stadt verließ und in Richtung

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Nordwesten wegzog. Das Zirpen wurde dabei überlagert von Lauten, die an schrille Pfiffe erinnerten.

»Gerettet«, stieß Vado hervor, »ich glaube, daß wir es überstanden haben.«

»Werden sie zurückkommen, Doktor?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte der alte Arzt, »hoffentlich

verschwinden sie für immer dort, wohin sie gehören, nämlich in die Hölle!«

* * *

»Sheriff, nein! Tun Sie’s nicht!« Ben Halton war wie versteinert, sah Custer nach, der in

Riesensätzen zu der Lore hinunterrannte, die in der Verbindungsschlucht zwischen den beiden Talkesseln aus den Gleisen gesprungen war.

Die drei Lunten sprühten und zischten. Custer ging es darum, die Sprengladung zu retten. Sie durfte

nicht sinnlos hier zwischen den beiden Talkesseln verpuffen. Er brauchte die riesige Sprengkraft des Dynamits, um die Bestien aus der Hölle erledigen zu können.

Er schaffte es im letzten Moment, riß die Zündschnüre aus der Ladung und warf sie mitsamt den Zündern weit von sich.

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie knallten, aber keinen Schaden anrichteten.

Nach Luft schnappend, lehnte Custer sich gegen die umgekippte Lore und winkte dann Halton zu, der ihm entgegenrannte.

»Das war knapp, Sheriff, ich hätte den Mut nicht gehabt.« »Ich werd’ ihn dann auch nicht mehr haben, Ben. Kommen

Sie, schaffen wir das Zeug wieder rauf. Anschließend gehen wir noch mal die Gleise ab. Oder noch besser, wir lassen die Lore erst vor dem zweiten Talkessel frei.«

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Sie schufteten wie die Berserker, rackerten sich ab. Sie trugen die schweren Holzkisten aus der Feldlore, richteten sie auf und setzten sie zurück auf die ausgeleierten Gleise. Nachdem sie ihr einen Stoß versetzt hatten, rollte sie ohne Schwierigkeiten nach unten, wurde immer schneller und jagte dann über den Endpunkt hinaus in die tiefe, unergründliche Schlucht.

»Was war denn das?« wunderte sich Custer und horchte angestrengt, »haben Sie das Zirpen nicht mitbekommen, Ben?«

»Doch, hab’ ich auch gehört.« »Ob sie vielleicht schon ausbrechen? Jetzt wird es aber Zeit.

Holen Sie eine Lore runter, Ben, ich werde mal nachsehen.« Custer wartete die Antwort seines Stellvertreters erst gar

nicht ab, lief nach unten in den zweiten Talkessel, wo die Schmelzöfen standen, passierte sie und erreichte die Stelle, an der der Prellbock gestanden hatte. Er konnte jetzt wesentlich mehr sehen, da das Wasser fehlte, das im oberen Talkessel in dem großen, strudelnden Loch verschwand.

Er richtete sich auf, schüttelte sich. Eine Kolonne schwarzer Skorpionleiber marschierte in

stetigem Strom durch das jetzt trockene Bachbett und verschwand im Gebirge. Custer begriff. Die Masse der Bestien war unterwegs gewesen, kehrte wohl jetzt von einem Raubzug zurück in die Nester.

Er fragte sich, ob die Riesenmonster vielleicht San Lorenzo einen mörderischen Besuch abgestattet hatten. Hastig wandte er sich um, lief zurück zu Halton, der die zweite Lore vorsichtig nach unten bugsierte, bis er die Stelle erreicht hatte, wo die Dynamitkisten lagen.

»Wir haben Glück gehabt«, sagte Custer und berichtete von seiner Beobachtung, »um ein Haar hätten wir nur einen Teil der Biester erwischt.«

»Sind sie schon alle im Berg, Sheriff?«

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»Das dauert meiner Schätzung nach noch zehn Minuten. Wir können uns also Zeit nehmen.«

Sie beluden die zweite Lore, sorgten dafür, daß die Ladung sich nicht bewegen konnte, brachten neue Zünder und neue Zündschnüre an. Dann nagte Custer zögernd an der Unterlippe.

»Warten wir noch, Ben?« fragte er. »Ich würd’ nicht mehr warten, Sheriff. Die Masse muß im

Berg sein. Ich kann’s kaum erwarten, daß die Bestien absaufen.«

»Falls unsere Rechnung aufgeht, Ben. Also, dann riskieren wir’s!«

Custer zündete die Lunten und versetzte der Lore einen leichten Stoß. Sie rollte sofort los, schwankte erneut, blieb aber auf den Schienen, wurde schneller und raste schließlich ohne Zwischenfälle durch das zweite Tal direkt auf das Höllentor zu.

Bevor diese geballte Ladung vollends den Boden der engen und unergründlichen Schlucht erreichte, wurde sie gezündet.

Ein dumpfes Grollen war zu hören, das sich dann grell ausweitete. Ein schwarzer Rauchpilz stieg aus der engen Schlucht, die Felsen bebten und zitterten. Der Luftdruck, der aus dem Höllentor kam, pfiff durch die Schlucht, die die beiden Talkessel miteinander verband. Dann erst rutschten die Felsen der Höllenschlucht in sich zusammen. Ein ohrenbetäubendes Reißen und Knirschen war zu vernehmen, dann wallte eine gelbe Staubwolke hoch und hüllte alles ein.

»Das hat hingehauen, Sheriff«, sagte Halton und nickte nachdrücklich, »dieses Höllentor bekommen die Bestien nie wieder auf!«

»Sie haben aber noch einen Notausgang«, antwortete Custer und deutete hinauf zum oberen Talkessel, »haben Sie den Stollen vergessen, Ben? Wir haben noch ‘ne Menge zu tun!«

* * *

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»Was war denn das?« fragte Yards, als von den Bergen her ein dumpfes Grollen zu hören war.

»Custer«, antwortete Doktor Vado sofort, »das kann nur Custer gewesen sein.«

»Der muß ja unseren ganzen Dynamitvorrat in die Luft gejagt haben«, wunderte sich Yards.

»Und bestimmt nicht ohne Grund, Yards. Bald werden wir mehr wissen.«

Sie halfen den Tanzgirls aus dem Wassertank und führten sie um den Leichnam ihrer Freundin herum, die schrecklich zugerichtet worden war. Nachdem die Frauen im Hotel verschwunden waren, gingen Vado und Yards die Straßen ab. Überall lag totes, zerrissenes Vieh herum, das von den Ungeheuern bis auf die Knochen abgefressen worden war. Einige Fenster in den Obergeschossen der Häuser öffneten sich, Fragen wurden dem Arzt zugerufen.

»Bleibt vorerst in den Häusern«, rief Doktor Vado zurück, »kann sein, daß sie noch mal zurückkommen.«

Die Bewohner der kleinen Stadt hielten sich an die Warnung des Arztes, der mit selbstverständlicher Autorität sprach. Vado und Yards überquerten den Platz und suchten nach den Opfern aus dem Kirchturm. Sie fanden nur schrecklich verstümmelte Körper. Die Monster hatten ganze Arbeit getan.

Es waren nicht die einzigen Opfer, wie sich leider herausstellte. Die Riesenskorpione hatten zwei Holzhäuser aufgeknackt und deren Bewohner getötet. Darunter befanden sich leider auch einige Kinder.

»Sie hätten nicht zu sterben brauchen«, sagte Doktor Vado bitter, »in Lingmans Spritkeller hätte man ein Dutzend Menschen unterbringen können.«

»Dafür möchte ich ihm die Zähne einschlagen«, erregte sich

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Yards, »ich bin gespannt, wann er sich aus seinem Bunker heraustraut.«

»Fragen wir ihn doch, Yards.« Während sie zurück zum Hotel gingen, benutzten sie

kleinere Seitengassen. Überall waren die Spuren der Riesenskorpione zu sehen, deren Scheren bereits furchtbar gewütet hatten. Viele Häuser waren praktisch im letzten Moment vor dem Aufknacken bewahrt worden, als die Monster sich aus unerklärlichen Gründen so plötzlich zurückgezogen hatten.

»Bessert die Häuser aus«, rief Doktor Vado, »Leute, nutzt die Chance, bessert die Häuser aus, noch haben wir’s nicht endgültig überstanden.«

Die beiden Männer passierten den Saloon, in dem Doktor Vado den Trinker zurückgelassen hatte.

Der Mann lebte! Er saß auf einem Tisch, war sturzbetrunken, hielt eine

Flasche in der Hand und lallte. »Das begreif ich nicht«, sagte Yards kopfschüttelnd, »wieso

haben die Bestien ihn nicht gefressen? Eine leichtere Beute hätten sie doch gar nicht haben können.«

»Sehen Sie sich mal den Boden an«, erwiderte der Arzt und deutete auf die dunklen Flecken auf dem Holzfußboden. Der Trinker mußte mit seinem Whisky sehr freigebig umgegangen sein, hatte flaschenweise den begehrten Stoff verschüttet.

»Sie glauben ...?« »Ich glaube, daß die Bestien gegen Alkohol was haben«,

meinte Doktor Vado, »genau werden wir’s nie erfahren.« »Ab sofort werde ich ein Trinker«, sagte Yards. »Besser nicht, Yards«, warnte der Arzt, »das geht mit

Sicherheit ins Auge.« Sie ließen den Mann zurück, der gerade wieder eine volle

Whiskyflasche an der Tischkante zerschmetterte und den

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Alkohol zu Boden fließen ließ. Doktor Vado und Yards erreichten das Hotel, gingen durch

den hinteren Korridor und erreichten die Treppe, die zum Spritkeller führte.

»Ihr könnt rauskommen, ihr Helden«, rief Yards nach unten, »die Biester haben sich verzogen.«

»Das ist doch ein Trick«, hallte es dumpf zurück. Es war Lingmans Stimme.

»Würden wir hier sonst stehen?« »Wir haben Zeit«, lautete Lingmans Antwort, dem ein

spöttisches Auflachen folgte, »wir haben sehr viel Zeit.« »Macht euch nur nicht in die Hosen«, brüllte Yards gereizt

zurück, um sich dann zu Doktor Vado umzuwenden, »am liebsten würde ich sie in ihrem Sprit ersäufen.«

»Den können die Leute sich hier abholen, Yards«, schlug Doktor Vado vor, »eine kleine Aufmunterung kann nicht schaden.«

»Sie rechnen also mit einer Rückkehr der Monster, Doktor?«

»Das hängt von Sheriff Custer ab«, antwortete der Arzt, »ich weiß nicht, was er da oben in den Bergen in die Luft gesprengt hat!«

* * *

Sheriff Custer kam aus dem Hauptstollen gerannt, winkelte scharf nach links ab und warf sich in Deckung.

Sekunden später erfolgten in schneller Reihenfolge dumpfe Detonationen aus der Mine. Rauch quoll aus dem breiten Stollenmund, ein knirschendes Reißen ging durch den Berg.

»Das war’s, Ben«, rief Custer seinem Stellvertreter zu, »der Stollen ist dicht. Da kommt kein Skorpion mehr durch.«

»Sollen wir das Bachbett noch zusprengen, damit das

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Wasser wieder runter ins Höllentor kann?« »Das hat noch Zeit.« Custer lächelte nachdenklich, dachte

an die riesigen Felskessel, in denen das Wasser kochte. Er wollte alle Monster brühen. Sie sollten ertrinken, verbrühen, ersticken. Sie mußten für immer verschwinden, durften nie wieder zurück ans Tageslicht.

Er ging zusammen mit Halton zum Bachbett und beobachtete dann den Gebirgsbach, der in dem tiefen Trichter verschwand, der sich im Bachbett gebildet hatte. Gurgelnd und rauschend schoß das kristallklare Wasser in den Schlund.

»Bereiten Sie inzwischen die letzte Ladung vor«, bat er Ben, »ich schau noch mal rüber zum Stollen.«

Träge zog der dunkle Rauch ab. Custer preßte sich sein Halstuch vor den Mund und wagte sich ein paar Schritt in den Berg hinein. Dann aber, als das Gestein über ihm knisterte, zog er sich blitzschnell wieder zurück, rannte ein Stück vom Stollenmund weg und schaute dann fasziniert zu, wie der Eingang zur Mine in sich zusammenrutschte.

»Damit ist es endgültig«, sagte Custer zu Halton, der inzwischen neben ihm stand.

»Hoffentlich bekommen Sie keinen Ärger mit der Minengesellschaft«, sagte Halton skeptisch, »die Burschen denken doch nur ans Geld.«

»Hier wird niemals wieder geschürft werden«, antwortete der Sheriff und schüttelte den Kopf, »den Menschen möchte ich sehen, der sich noch einmal in diesen Vorhof der Hölle reingetraut, Ben.«

Die beiden Männer blieben vor der Mulde stehen, die sich über dem Erdspalt gebildet hatte.

»Scheint in Ordnung zu sein«, meinte Halton. »Yards ist Fachmann, der Spalt ist für immer geschlossen«,

gab Custer lächelnd zurück, »und jetzt, Ben, sind Sie an der Reihe, ich denke, die Monster kochen jetzt.«

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Ben Halton hatte alles gründlich vorbereitet. An einem langen Seil ließ er die letzte Sprengladung ins

Wasser gleiten, nachdem er die lange Lunte angezündet hatte. Er hatte alles wasserdicht verpackt und dazu das Wachspapier verwendet, das er im Dynamitdepot gefunden hatte. Das Wasser ergriff die Sprengladung und riß sie hinunter in den strudelnden Trichter, bis das festgezurrte Seil sich straffte.

Sekunden später bebte der Boden unter den Füßen der beiden Männer, das Gestein gab nach, sackte weg. Custer und Halton sprangen blitzschnell zur Seite, schauten auf die Wassersäule, die bereits in sich zusammenfiel und beobachteten dann, wie das Wasser wieder seinen alten Lauf nahm.

»Wir sollten von hier verschwinden«, sagte Custer, »ich traue dem Gestein hier nicht mehr.«

Sie holten ihre Pferde und führten sie durch die schmale Verbindungsschlucht hinunter in den zweiten, tieferen Talkessel und dann von dort aus auf den schmalen Zufahrtsweg, auf dem die Mine zu erreichen war.

Sie hatten Glück und den genau richtigen Zeitpunkt gewählt.

Im oberen Talkessel senkte sich der Boden weiter ab, der Bach füllte die große, flache Mulde aus, versickerte nur wenig, bildete einen flachen See, füllte den Talkessel dann aus und schoß erst dann in Kaskaden herunter in den zweiten Kessel.

»Aus und vorbei«, kommentierte Custer dieses Ereignis, »diese Mine existiert nicht mehr, Ben.«

Sie blieben auf dem höher gelegenen Verbindungsweg stehen und sahen zu, wie sich nun auch das zweite Tal mit Wasser füllte. Die Schmelzöfen wurden umspült, schließlich bedeckt. Dann ergoß sich das Wasser weiter und rauschte hinunter ins Höllentor.

Custer und Halton stiegen auf ihre Pferde und ritten dann

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langsam hinunter nach San Lorenzo.

* * *

»Ich sehe nichts«, sagte Doktor Vado. Er stand in einem der Saloons, die Lingman gehörten, und genehmigte sich einen Drink. Yards stand am rückwärtigen Fenster und beobachtete das Magazin des Store, das ebenfalls Lingmans Besitz war.

Die Bewohner der kleinen Stadt verproviantierten sich ausgiebig, richteten sich auf eine längere Belagerung durch die Bestien ein.

»Lingman bekommt einen Tobsuchtsanfall, wenn er aus seinem Bunker raussteigt«, kommentierte Yards lächelnd, »sie plündern ihn restlos aus.«

»Was er jahrelang mit ihnen gemacht hat«, antwortete der alte Arzt, »für einen Lingman gibt es hier in San Lorenzo keine Zukunft mehr.«

Er schaute hoch in den Spiegel und sperrte Mund und Augen auf, drehte sich langsam um und ging dann Custer entgegen.

»Mensch, Custer, wie mich das freut«, stieß Vado hervor, »ich wußte, daß Sie zurückkehren würden.«

»Ich glaube, ich bringe gute Nachrichten«, meinte Custer und nickte Yards zu, »mal abgesehen von der Mine, die nicht mehr existiert, dürften die Riesenskorpione erledigt sein. Ließ sich einfach nicht anders machen.«

»Zum Henker mit der Drecksmine«, sagte Yards, »ich will nichts mehr von ihr hören. Ich hab’ in den vergangenen Stunden eine ganze Menge gelernt.«

»Gut zuhören, Yards: Sie und Ihre Leute haben über einer Hölle gearbeitet.«

»Waren die Bestien etwa eine Etage unter uns?« Yards starrte den Sheriff entgeistert an.

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»Besser hätt’ ich das nicht ausdrücken können«, antwortete Custer, »ein Wunder, daß so lange überhaupt gearbeitet werden konnte.«

»Und jetzt ist alles hin?« »Statt der Kupfermine gibt’s da oben jetzt zwei nette

Bergseen«, schaltete sich Ben Halton ein, »sollten Sie sich bei Gelegenheit mal ansehen.«

Custer und Halton hatten nichts gegen einen Schluck einzuwenden, den Yards ihnen brachte. Dann berichteten sie von dem, was sich oben in den Bergen zugetragen hatte.

Anschließend waren Doktor Vado und Yards an der Reihe. Custer trank schweigend und ruckartig sein Glas leer, als er von den grauenhaften Dingen erfuhr, die in San Lorenzo passiert waren.

»Sie haben also auch diese kurzen Pfiffe gehört«, wunderte er sich dann, »wir nämlich auch. Damit scheinen die Monster sich untereinander verständigt zu haben.«

»Und sie wurden zurückgepfiffen, nachden Sie, Custer, im Berg waren«, mutmaßte Doktor Vado, »anders kann ich mir den schnellen Rückzug nicht erklären.«

»Vielleicht fürchteten sie um ihre Brut«, warf Ben Halton ein, »möglich wär’s doch, wie?«

»Mal ‘ne andere Frage«, wechselte Yards das Thema, »wird man uns das glauben?«

»Wir besitzen immerhin einige Beweisstücke, die man nicht vom Tisch fegen kann«, erklärte Doktor Vado, »man wird uns glauben müssen.«

»Oder für die größten Lügner von Neu-Mexiko halten«, sagte Ben Halton.

»Moment, was ist das?« Yards sprang auf und hob warnend den Arm. »Das klingt wie Regen, aber jetzt, um diese Jahreszeit?!«

Die Männer stürzten aus dem Saloon, liefen durch eine der

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schmalen Seitengassen und erreichten das Magazin des Store. Die Menschen, die sich hier bedienten, waren ebenfalls schon auf das Rauschen aufmerksam geworden, flüsterten ratlos und schon wieder ängstlich miteinander.

»Du lieber Himmel«, stöhnte Doktor Vado auf und deutete hinüber auf die Berge.

»Nichts wie weg«, brüllte Sheriff Custer, »Leute, bringt euch in Sicherheit, es muß gleich hier sein!«

Während er noch warnte, rannte er bereits los, erinnerte sich dann an Vado, der nicht gut zu Fuß war, lief zu ihm zurück, zerrte ihn in den Saloon zurück und stieß ihn derb die Treppe hoch, bis sie das Obergeschoß erreicht hatten.

Yards und Halton folgten, klammerten sich an den mächtigen Holzposten und warteten auf den Aufprall.

Er erfolgte Sekunden später! Das große Haus erzitterte und bebte in allen Fugen, geriet

aus dem Gleichgewicht und legte sich schief. Halton stürzte zu Boden und wäre um ein Haar über die Treppe nach unten gerutscht, mitten hinein in die strudelnden Wasser, die durch den Saloon rauschten.

Innerhalb weniger Sekunden war bereits alles wieder vorüber.

Vorsichtig trauten sich Custer und Yards nach unten, wateten durch das Wasser und stellten fest, daß es fast lauwarm war.

»Es stammt aus dem Berg«, sagte Custer, »es muß irgendwo durchgebrochen sein.«

»Und die Skorpione?« »Sehen wir nach, ob welche durchgekommen sind, Yards.« Sie betraten die Straße, die sich in einen einzigen, großen

Schlammtümpel verwandelt hatte. Sie schauten der Wasserlawine nach, die sich in der Ebene nach Süden hin verlief.

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Nach wenigen Minuten konnten sie sicher sein, daß kein Skorpion hatte entwischen können. Diese Monster der Hölle waren samt und sonders im Berg zurückgeblieben.

»Können Sie sich das erklären?« fragte Yards erleichtert. »In etwa schon«, erwiderte Custer, »die Skorpione waren in

Grotten, die tiefer lagen. Das Wasser ist angestiegen, hat sich in oberen Höhlen gesammelt und ist dann durch den Fels gebrochen. Das Gestein dürfte die Monster abgesiebt haben.«

»Klingt so gut, daß ich daran glauben werde«, meinte Yards, »gut, daß die Leute ihre Häuser so verstärkt haben. Bis auf den Saloon und das Hotel ist ... Mein Gott, Lingman und Leeds! Sie sind im Spritkeller.«

Sheriff Custer verstand augenblicklich. Er rannte hinter Yards her, der auf das Hotel zuhielt, das

ebenfalls aus dem Lot geraten war. Doch darauf kam es jetzt nicht an. Es ging um die beiden Menschen in ihrem sicheren Bunker, um zwei Menschen, die ihn nicht hatten verlassen wollen.

Custer und Yards wateten durch das noch abfließende Wasser, erreichten den Korridor und standen dann vor der steilen Treppe, die hinunter zum Spritkeller führte. Das Wasser stand bis zur obersten Stufe.

»Lingman, Leeds!« Yards brüllte, so laut er nur konnte, doch die Antwort blieb aus.

»Lingman, Leeds!« Keine Antwort. Yards wandte sich zu Custer um, hob die Schultern. »Da ist nichts mehr zu machen«, sagte er dann leise, »sie

wollten zu sicher gehen.« Sie gingen langsam zurück auf die Straße, blieben auf den

hölzernen Gehsteigen, sofern sie noch intakt waren und erreichten Doktor Vado und Halton.

»Die Flutwelle hat sämtliche Kadaver der Skorpione

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weggetrieben«, sagte Doktor Vado erregt, »damit sind auch alle Beweisstücke verschwunden, Sheriff.«

»Trauern Sie ihnen nicht nach, Doktor«, meinte Halton, »Sie haben ja die Stachelschwänze oben von der Grube.«

»Eben nicht«, sagte der alte Arzt und senkte den Kopf, »ich habe sie heute morgen verbrannt, weil ich sie nicht mehr brauchte.«

* * *

Sheriff Custer saß auf der überdachten Veranda seines Büros und hatte sich den Hut tief ins Gesicht geschoben. Er träumte ein wenig, hatte keine Probleme. Seit den schrecklichen Ereignissen in San Lorenzo waren viele Monate vergangen. Die Stadt war ruhig, die Menschen hatten vieles vergessen, zumal sie kaum über das redeten, was sie erlebt hatten. Sie wollten sich nicht als Schwindler oder Aufschneider bezeichnen lassen.

»Hallo, Custer«, machte sich Doktor Vado bemerkbar. Der Sheriff schob sich den Hut ins Genick und stand auf. »Ich wollte Sie zu ‘nem kleinen Schluck einladen«, sagte

Doktor Vado, »stellen Sie sich vor, einer meiner Patienten hat seine Rechnung vom vorigen Jahr bezahlt.«

»Wunder über Wunder, Doktor. Aber ich bin dabei.« Sie gingen über die Hauptstraße, grüßten nach allen Seiten.

Einen Steve Lingman gab es in der kleinen Stadt nicht mehr, auch die Abenteurer hatten längst das Feld geräumt. In der Stadt herrschte wieder beschauliche Ruhe.

Custer und Doktor Vado passierten gerade eine schmale Gasse, als sie plötzlich wie angewurzelt stehenblieben.

Ein schrilles Zirpen! Sie sahen sich an, wie auf Kommando, schluckten. Sie

nickten sich zu und pirschten sich dann vorsichtig durch die

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Gasse, hielten auf das schrille Sägen und Zirpen zu, das sie nur allzugut kannten, das sie niemals vergessen würden.

Sie kamen auf eine weite Wiese, suchten sie mit ihren Augen ab.

Das Zirpen wurde noch schriller und schnitt bereits in ihre Trommelfelle.

Dann sahen sie die beiden Kinder. Es waren ein Junge und ein Mädchen, beide vielleicht acht Jahre alt, verspielt und arglos.

Custer wollte ihnen bereits eine Warnung zurufen, doch in diesem Moment zupfte Doktor Vado ihn am Arm und lächelte befreit.

Der kleine Junge hüpfte wie ein Frosch vor und schlug mit der halb geöffneten Hand ins hohe Gras.

»Ich hab’ sie, ich hab’ sie!« schrie er dann mit heller Stimme und lief zu dem kleinen Mädchen zurück. Er hatte die Hand zu einer Faust geschlossen und hielt sie sich gegen das rechte Ohr.

»Eine Grille«, sagte Doktor Vado. »Schönes Zirpen«, behauptete Sheriff Custer, »könnte ich

stundenlang hören!«

E N D E


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