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Interview bordt sj bralpha forum

Date post: 29-Nov-2014
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 25.06.2009, 20.15 Uhr Prof. Dr. Michael Bordt SJ Rektor der Hochschule für Philosophie München im Gespräch mit Wolfgang Küpper Küpper: Er ist katholischer Priester, Jesuitenpater und zudem Professor für Philosophie mit den Schwerpunkten Ästhetik und Anthropologie. Und er ist Rektor der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München. Herzlich willkommen, Professor Michael Bordt. Bordt: Danke schön. Küpper: Sie sind 1960 in Hamburg geboren. Ich würde mal sagen, dass das nicht gerade die katholischste Stadt ist, die wir in Deutschland haben. Wie war denn Ihr Werdegang zum Jesuitenorden? Bordt: Das war ein langer Weg. Meine Mutter ist katholisch, mein Vater evangelisch. Ich bin in der katholischen Kirche groß geworden mit Kommunion und Firmung. Danach hatte ich allerdings wie viele Jugendliche in der Pubertät eine große Krise mit der Kirche. Ich bin bis heute meiner Mutter sehr dankbar, dass sie mir da jede Freiheit gelassen hat – in dem tiefen Vertrauen darauf, dass es der liebe Gott schon irgendwie machen wird, dass ich wieder einen Zugang zur Religion bekomme. Ich habe also mit 16, 17 Jahren aufgehört zu glauben und in die Kirche zu gehen. Ich habe mich stattdessen ganz der Kultur hingegeben: Ich wollte Musiker und Dirigent werden, habe komponiert und habe dann nach dem Abitur Zivildienst gemacht, und zwar in einem Heim für geistig und körperlich behinderte Kinder. Diese Erfahrung hat mich tatsächlich an die Grenzen dessen geführt, was ich aushalten konnte. Ich meine damit die Erfahrung mit großer Aggressivität, mit großem Leid, mit sehr starkem Hass der Kinder und mit großen Beziehungsschwierigkeiten innerhalb des Teams, in dem ich arbeitete. Das alles hat dazu geführt, dass ich mir gedacht habe: Das, was mich bisher in meinem Leben gehalten hat, nämlich die Musik, die Kultur, das hält nun nicht mehr, das gibt mir einfach nicht mehr die Kraft, aus der ich leben kann. Küpper: Es waren also im Prinzip zwei Krisen, die da in relativ kurzer Zeit aufeinandergefolgt sind. Die eine Krise führte dazu, dass Sie gesagt haben: "Mit Kirche, mit Religion, mit dem lieben Gott kann ich nichts mehr anfangen." Und dann kam im Zivildienst diese Krise, die Sie auf Dinge aufmerksam gemacht hat, die Sie bis dahin nicht gekannt haben. Bordt: Nein, das Erste war keine Krise gewesen; das war einfach das Gefühl: Dieses Theater muss ich wirklich nicht mehr mitmachen! Das alles hat mich
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks

Sendung vom 25.06.2009, 20.15 Uhr

Prof. Dr. Michael Bordt SJ Rektor der Hochschule für Philosophie München

im Gespräch mit Wolfgang Küpper Küpper: Er ist katholischer Priester, Jesuitenpater und zudem Professor für

Philosophie mit den Schwerpunkten Ästhetik und Anthropologie. Und er ist Rektor der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München. Herzlich willkommen, Professor Michael Bordt.

Bordt: Danke schön.

Küpper: Sie sind 1960 in Hamburg geboren. Ich würde mal sagen, dass das nicht gerade die katholischste Stadt ist, die wir in Deutschland haben. Wie war denn Ihr Werdegang zum Jesuitenorden?

Bordt: Das war ein langer Weg. Meine Mutter ist katholisch, mein Vater evangelisch. Ich bin in der katholischen Kirche groß geworden mit Kommunion und Firmung. Danach hatte ich allerdings wie viele Jugendliche in der Pubertät eine große Krise mit der Kirche. Ich bin bis heute meiner Mutter sehr dankbar, dass sie mir da jede Freiheit gelassen hat – in dem tiefen Vertrauen darauf, dass es der liebe Gott schon irgendwie machen wird, dass ich wieder einen Zugang zur Religion bekomme. Ich habe also mit 16, 17 Jahren aufgehört zu glauben und in die Kirche zu gehen. Ich habe mich stattdessen ganz der Kultur hingegeben: Ich wollte Musiker und Dirigent werden, habe komponiert und habe dann nach dem Abitur Zivildienst gemacht, und zwar in einem Heim für geistig und körperlich behinderte Kinder. Diese Erfahrung hat mich tatsächlich an die Grenzen dessen geführt, was ich aushalten konnte. Ich meine damit die Erfahrung mit großer Aggressivität, mit großem Leid, mit sehr starkem Hass der Kinder und mit großen Beziehungsschwierigkeiten innerhalb des Teams, in dem ich arbeitete. Das alles hat dazu geführt, dass ich mir gedacht habe: Das, was mich bisher in meinem Leben gehalten hat, nämlich die Musik, die Kultur, das hält nun nicht mehr, das gibt mir einfach nicht mehr die Kraft, aus der ich leben kann.

Küpper: Es waren also im Prinzip zwei Krisen, die da in relativ kurzer Zeit aufeinandergefolgt sind. Die eine Krise führte dazu, dass Sie gesagt haben: "Mit Kirche, mit Religion, mit dem lieben Gott kann ich nichts mehr anfangen." Und dann kam im Zivildienst diese Krise, die Sie auf Dinge aufmerksam gemacht hat, die Sie bis dahin nicht gekannt haben.

Bordt: Nein, das Erste war keine Krise gewesen; das war einfach das Gefühl: Dieses Theater muss ich wirklich nicht mehr mitmachen! Das alles hat mich

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also nicht in eine Situation gestürzt, die irgendwie bedrohlich gewesen wäre. Nein, das war so, wie wenn man auf einmal nicht mehr bestimmte Fernsehserien schauen würde: Man wächst da irgendwie raus und denkt sich, ich lasse die machen, aber für mich ist das nichts mehr. Das war also keine Krise. Meine tatsächliche Krise bekam ich dann in dieser soeben beschriebenen Situation, als ich das Gefühl hatte, dass alles, was bis dahin mein Leben zusammengehalten hat, einbricht, und dass ich nicht mehr die Möglichkeit habe, darauf gut reagieren zu können.

Küpper: Was hatte Sie denn bis zu diesem Zeitpunkt gehalten?

Bordt: Die Kultur, die Musik, das Leben in der Literatur, in Opern usw. Ich bin damals sehr viel in Opern gegangen. Der emotionale Push, der von Opern ausgeht, war das, was mich damals gehalten hat.

Küpper: War das alles weg, als Sie in dieses Heim kamen und plötzlich merkten, dass Jugendliche aggressiv und voll von Hassgefühlen sein können?

Bordt: Das war dort in der Tat ziemlich schnell weg. Das war deswegen schnell weg, weil ich das Gefühl hatte, dass ich dort nicht mehr auftanken kann, dass ich dort nicht mehr das bekomme, was ich brauche, um der Situation in meinem Leben irgendwie gerecht werden zu können. Das war das Schwierige dabei. Der zweite Punkt bezog sich auf die Berufswahl. Nach dem Abitur war klar, dass ich irgendwie Dirigent oder Komponist werde. Nach diesen Erfahrungen kam dann aber sehr schnell die Überlegung in mir auf: Für wen mache ich das eigentlich, wenn ich z. B. Dirigent werde. Ich hatte das Gefühl, dass ich das für ein reines Bildungsbürgertum mache. Die Auseinandersetzung mit der sozialen Realität der Armut oder der, wenn Sie so wollen, Unterprivilegierten hat bei mir sehr stark den Impuls freigesetzt: Ich möchte eigentlich mein Leben nicht fürs Bildungsbürgertum hingeben.

Küpper: Das war Ihnen zu spießig?

Bordt: Pierre Boulez hat damals gesagt, man sollte alle Opernhäuser in die Luft sprengen. Und wenn es eine Unterschriftensammlung dazu gegeben hätte, dann hätte ich meine Unterschrift sicher darunter gesetzt. Mein Blick damals auf dieses Bürgertum sah so aus, dass ich das Gefühl hatte: "Na ja, das sind emotional armselige Menschen, die sich in klassischen Sinfoniekonzerten ihren Push holen, um überhaupt wieder etwas zu fühlen, wo doch eigentlich das Leben selbst so gelebt werden muss, dass da die Emotionen mit dabei sind, dass sie integriert werden! Das Leben muss spannend sein – und nicht die Oper!" Dieses Gefühl hatte ich damals sehr, sehr stark.

Küpper: Wer hat Ihnen denn in dieser Krise geholfen? Sie beschreiben ja soeben das Aufeinanderprallen von zwei Welten: Die eine Welt stößt Sie total ab wegen dieser bürgerlichen Spießigkeit. Die andere Welt ist dieser soziale Brennpunkt. Sie waren damit im Prinzip ein bisschen alleine gelassen, oder?

Bordt: Mir hat damals ein Freund geholfen, der seinerseits in einer charismatischen Gruppe drin war. Ich bin dann nach ungefähr zwei Dritteln meines Zivildienstes ebenfalls in diese charismatische Gruppe hineingekommen. Dort hatte ich dann ein richtiges Bekehrungserlebnis, eine ganz tiefe religiöse Erfahrung, mit der ich mich dann später auch

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theoretisch auseinandergesetzt habe. Es gibt innerhalb der Religionsphilosophie ja auch Strömungen, die auf sehr hohem Niveau so etwas wie Bekehrungserlebnisse analysieren. Das war mir sehr hilfreich, um das, was damals passiert ist, überhaupt integrieren zu können in mein Denken. Jedenfalls war das damals ein Erlebnis, das mein Leben grundlegend verändert hat.

Küpper: Können Sie dieses Bekehrungserlebnis beschreiben? Da denkt der normale Mensch doch an Paulus und andere.

Bordt: Das war wirklich etwas, das von einem auf den anderen Augenblick geschah, und zwar innerhalb eines Gottesdienstes: Ich hatte plötzlich das Gefühl, ich bin vollkommen geliebt und mir kann nichts passieren, egal was kommt. Dieses Gefühl, das wirklich von einem Moment auf den anderen plötzlich da war, war von einer ungeheuren Stärke: Ich kann machen, was ich will, diese Liebe ist da, zu dieser Liebe kann ich immer zurück.

Küpper: Liebe von wem?

Bordt: Von Gott. Ich hatte das Gefühl, es gibt etwas Absolutes, es gibt Gott und er liebt mich und das wird mein Leben für immer tragen.

Küpper: Wenn Sie noch einmal die Relation zu den behinderten Menschen in diesem Heim herstellen: Wie wichtig waren diese Menschen in diesem Zusammenhang für Sie? Gab es da eine Kausalität und wenn ja, wie sah sie aus?

Bordt: Die Kausalität bestand zumindest darin, dass mich diese Arbeit an meine Grenzen geführt hat, sodass ich das Gefühl bekommen habe: Ich suche etwas, das meinem Leben Halt gibt. Denn alles andere, das mich bis dahin getragen hatte, hielt auf einmal nicht mehr. Über die Freundschaft zu meinem Schulkameraden bin ich eben eher zufällig in diese charismatische Gruppe hineingekommen, in der ich dann dieses Erlebnis hatte.

Küpper: Aber das waren noch nicht die Jesuiten.

Bordt: Stimmt, das waren noch nicht die Jesuiten. Eine andere Art von Krise erlebte ich im Anschluss daran, weil ich sehr schnell das Gefühl hatte, dass diese charismatische Gruppe zwar einen echten religiösen Kern hat – das habe ich sehr gut gespürt –, dass aber die Kultur, die sich darum herum bildet, total eng ist. Ich bin deswegen nur zwei, drei Monate dabei gewesen und habe dann einen wirklich langen Weg der Suche angetreten, um zu schauen, wo ich eigentlich diesen religiösen Impuls leben kann, was ich aus diesem religiösen Impuls machen kann. Dieser Weg hat mich nach Taizé geführt: Dort wollte ich mal eintreten. Er hat mich ins Priesterseminar geführt, weil ich mir dachte, ich möchte Diözesanpriester werden. Ich war also immer auf der Suche danach, wie sich dieser Grundimpuls so entfalten kann, dass er wirklich zu mir passt.

Küpper: Aus welchen Gründen ist es mit Taizé nichts geworden?

Bordt: Ich war Feuer und Flamme, dort einzutreten, weil ich dachte, dass das nun endlich der richtige Ort für mich sei. Ich habe dort dann auch gleich den Novizenmeister kennengelernt, der mich dann Exerzitien machen ließ: Er hat mich zehn Tage lang vor allem mit Psalmentexten meditieren lassen. In diesen zehn Tagen hatte ich auch täglich ein Gespräch mit ihm. Aber nach diesen zehn Tagen sagte er zu mir, ich solle doch erst einmal mein Leben

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selbst meistern, solle erst einmal schauen, dass aus mir ein selbständiger Mensch wird. Ich habe im Anschluss daran dann jedes Jahr oder sogar jedes halbe Jahr Exerzitien in Taizé gemacht. Aus diesen Exerzitien heraus hat sich dann aber diese Vision ergeben: Vielleicht ist es doch das Richtige, Jesuit zu werden. Ich hatte damals ja auch in München bei den Jesuiten an der Hochschule für Philosophie studiert, deren Rektor ich jetzt bin. Als ich mein Magisterstudium im Jahr 1988 in Philosophie abgeschlossen hatte, habe ich mir gedacht: "Jetzt wage ich den Schritt!" Wobei man sagen muss, dass die Spiritualität bei den Jesuiten sehr ähnlich derjenigen ist, die ich damals in Taizé kennengelernt hatte: ganz einfach die Stille, das Meditieren und Gott wirklich in der Stille suchen. Denn die Jesuiten stehen ja ebenfalls für Spiritualität und für Exerzitien.

Küpper: Dieses Suchen in der Stille, das Meditieren, das Lesen, das Nachdenken, das einem Jesuiten nicht nur zusteht, sondern die eigentliche Grundlage dieses Ordenslebens ausmacht: Das ist, wenn ich das mal so profan ausdrücken darf, doch etwas recht Luxuriöses. Sehen Sie das auch so?

Bordt: Wenn die Auseinandersetzung mit sich selbst und die Auseinandersetzung mit dem, was im Leben eigentlich zählt, luxuriös ist, dann würde ich dem zustimmen. Aber ich sehe das selbst natürlich überhaupt nicht als luxuriös an, das ist vielmehr ganz einfach die Basis. Wenn man diese Basis nicht irgendwie sichert, dann hat der Bau des Lebens darauf gar keinen Sinn. Wenn unsere Gesellschaft so weit kommt, dass das anfängt, luxuriös zu sein: sich zu fragen, was wirklich zählt und worauf es im Leben ankommt, dann kann ich nur sagen: "Oha! Da werden jetzt aber Werte regelrecht umgekehrt!" Denn das ist doch wirklich das, was im Leben entscheidend ist, sich zu fragen: Wer bin ich? Wer ist Gott?

Küpper: Damit wären wir bereits wieder beim Begriff "Krise", der derzeit in aller Munde ist und der sich fast schon zu einem Modewort entwickelt, freilich verbunden mit ganz schwerwiegenden Inhalten. Sie selbst haben ein kleines Büchlein geschrieben mit dem Titel "Was in Krisen zählt". Das sind Antworten eines Jesuiten auf Fragen, die wir momentan alle stellen. Darin ist mir ein Satz aufgefallen, der ziemlich am Anfang steht: Sie wehren sich dagegen, mit moralistischen Argumenten der Krise zu begegnen. Warum haben Sie etwas gegen die Moralisten? Zurzeit haben die Moralisten natürlich Hochkonjunktur, das ist klar. Denn es gibt viele Leute, die sagen: "Klar, es musste ja so kommen mit der Finanzkrise, mit der Wirtschaftskrise, mit der Klimakatastrophe usw.! Wenn wir uns ein bisschen moralischer verhalten würden, dann wäre das alles nicht passiert!"

Bordt: Ich bin zu wenig Experte, um einschätzen zu können, ob diejenigen Leute recht haben, die sagen, dass man das alles bereits hatte kommen sehen. Das Problem ist hingegen die ethische Analyse, wie man sie jetzt an diese Phänomene anlegt. Da entsteht auf einmal der Eindruck: "Diese Manager haben halt ein moralisches Fehlverhalten an den Tag gelegt und deswegen ist es so weit gekommen." Ich glaube, dass man ziemlich weit zurückgehen müsste in der Philosophie, um mit einem genauen Schlaglicht die geistige Situation heute beleuchten zu können. Wenn man sich die ethische Diskussion ansieht, die es ja weltweit gibt, dann sieht man, dass es zwei verschiedene Weisen gibt, über unser Leben und über Ethik nachzudenken. Da gibt es einerseits die Ethik von Immanuel Kant, die in

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Deutschland natürlich sehr prominent ist. Und da gibt es andererseits das, was man eine utilitaristische Ethik oder auch Tugendethik nennen könnte, denn das verschwimmt manchmal. Man kann hier diese Grenzziehung also nicht so genau vornehmen, wie man das gerne hätte. Bei der Ethik Kants besteht das Grundproblem darin, dass dabei der einzelne Mensch halt so sein Leben lebt, und das ist ja auch alles gut und schön so, dass aber irgendwann bestimmte Handlungen und bestimmte Dinge, die wir tun oder nicht tun, auf einmal den Bereich der Moral betreffen. Aber die Fragen, ob wir z. B. Sport treiben oder wie wir unsere persönlichen Beziehungen leben, sind oft nicht unmittelbar moralisch relevant. Moralisch relevant sind nur bestimmte Handlungen, die andere Menschen betreffen. Moralisch nicht relevant ist die Frage, wie wir mit uns selbst umgehen oder wie wir selbst nach Glück streben. Die Tugendethik, die ich in meinem Buch starkzumachen versuche, geht hingegen davon aus, dass es nicht so sehr moralisches Fehlverhalten war, dass man also ethische Regeln verletzt hat und es deswegen zur Krise gekommen ist. Nein, meiner Ansicht nach kam es zur Krise vielmehr deswegen, weil man sich nicht mehr Rechenschaft darüber ablegte, was eigentlich unser Leben gelingen lässt. Das Fehlverhalten kommt also dadurch zustande, dass Werte verdreht werden.

Küpper: Ihnen liegt also, wenn ich das richtig sehe, der aristotelische Ansatz ein bisschen näher als der kantische. Für Sie ist die Frage wichtig: Was muss geschehen, damit ein Leben gelingen kann, damit der Mensch so etwas wie Glück erfahren kann.

Bordt: Genau.

Küpper: Wobei man natürlich auch erst einmal definieren müsste, was Glück ist. Sie sprechen nämlich auch von den falschen Vorstellungen, die der Mensch vom Glück u. U. hat. Bei uns gibt es aber heutzutage ja doch das Problem, dass man dabei zusehen kann und muss, wie überall Werte vernichtet werden, wie Finanzmittel im Nichts verschwinden, wie Firmen bankrottgehen, wie die Arbeitslosigkeit steigt. Manche Leute machen daher an der Tatsache, dass sie einen Arbeitsplatz haben, ihr persönliches Glück fest. Wenn diese Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, sagen sie sich, dass nun ihr Glück zerstört sei, dass sie nun einsam und verlassen seien. Wie kommen Sie mit diesen Verhältnissen zurecht, wenn Sie eine Antwort auf die Frage geben sollen, was in der Krise zählt?

Bordt: Ich glaube, dass es zwei Säulen sind, die im Leben eines Menschen stimmen müssen, damit er selbst sagen kann, er sei zufrieden mit seinem Leben. Damit ist nun nicht so eine satte, selbstgefällige Zufriedenheit gemeint, sondern gemeint ist: "Ja, ich lebe mein Leben so, dass ich das Gefühl habe, so stimmt es für mich! Selbst dann, wenn es schwierig ist und es Spannungen gibt und selbst wenn in meinem Leben auch Krisen vorkommen, kann ich mein Leben doch bejahen!" Eine dieser beiden zentralen Säulen besteht aus den tiefen persönlichen Beziehungen, also aus Liebe und/oder tiefer persönlicher Freundschaft. Ich glaube, dass es eine ganz wichtige Säule im Leben von uns Menschen ist, dass wir ein Umfeld haben, dem wir uns dazugehörig fühlen und von dem wir sagen: "Wir begegnen diesen Menschen nicht nur deswegen, weil es gerade lustig ist mit ihnen oder weil sie uns etwas nützen, sondern weil es denen wirklich auf mich ankommt und weil es mir wirklich auf ihn, auf sie ankommt. Ich

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möchte also Menschen kennen und mit ihnen mein Leben teilen, die ich um ihrer selbst willen mag und schätze." Die zweite Säule ist, dass wir etwas tun, etwas, das zu uns passt, etwas, das wir selbst als sinnvoll erleben und das für andere Menschen wertvoll ist, das für andere Menschen zählt. Ich glaube, wir wollen irgendwie Spuren hinterlassen im Leben von anderen Menschen, und zwar auch dadurch, dass wir etwas tun, was wichtig ist. Meiner Ansicht nach besteht nun ein großes Problem darin, dass man diese Tätigkeiten, die sinnvoll und für andere wichtig sein müssen, im Zuge der industriellen Revolution reduziert hat auf Lohnarbeit. Das heißt, man hat das Gefühl, das Leben ist dann sinnvoll, wenn man einen bezahlten Arbeitsplatz hat, also einen Arbeitsplatz, mit dem man Geld verdient, während andere Tätigkeiten im Hinblick auf die Frage, ob das eigene Leben gelingt, überhaupt keine Rolle spielen. Wir haben bei uns an der Hochschule einen Kreis von Förderern und Sponsoren, die sich ungefähr vier Mal im Jahr treffen zu einem gemeinsamen Abendessen, bei dem ein Jesuit auch einen Vortrag hält. Dabei haben sich die Leute vorgestellt und eine Dame hat dabei gesagt, sie sei "nur Hausfrau". Wenn man sagt, man sei nur Hausfrau, heißt das, man definiert sich von der Lohnarbeit her, denn eine Hausfrau bekommt nun einmal kein Geld für das, was sie tut. Das heißt, man nimmt von sich selbst an, man würde nicht richtig arbeiten, man würde z. B. nur Kinder erziehen. Ich glaube, hier ist etwas fundamental verkehrt, das sich in der Krise immer weiter durchzieht. Ich glaube, wir leben in einer Gesellschaft, die den Sinn von nicht bezahlten Tätigkeiten wieder ganz neu entdecken muss. Denn was sich jetzt in dieser Krise ja so langsam abzeichnet, ist doch tatsächlich, dass großflächig Arbeitsplätze wegfallen, dass Leute tatsächlich in die Arbeitslosigkeit getrieben werden. Wenn aber arbeitslos zu sein bedeutet, dass der Sinn des Lebens verloren geht, dass der Selbstwert nur deswegen verloren geht, weil man keine Lohnarbeit mehr hat, wird diese Krise tatsächlich zur Katastrophe.

Küpper: Das ist sicherlich eine interessante These, dennoch bleibt die Frage im Raum stehen, wie hierbei bestimmte materielle Fragen gelöst werden können. Derjenige, der seine Arbeit verliert, wird davon ja existenziell berührt, indem er sich dann nämlich fragen muss, wovon er künftig leben soll.

Bordt: Das ist richtig.

Küpper: Und es mag halt nicht jeder von Hartz IV leben, was man ja auch verstehen kann.

Bordt: Genau, aber es ist natürlich eine politische Frage, diese Frage, ob die Politik z. B. die Unternehmen stützt und man sagt, dass das Wichtigste die Sicherung von Arbeitsplätzen sei, oder ob man sagt, dass man die Menschen stützt und Hartz IV aufwertet und die Zeit der Arbeitslosigkeit aufwertet. Es ist in der Tat ein großes gesellschaftliches Problem, dass der Hartz-IV-Regelsatz viel zu niedrig ist. Es geht darum, dass die Menschen tatsächlich auf einem Niveau leben können, bei dem die Grundversorgung auch wirklich gesichert, bei dem die Versicherung gesichert ist, bei dem die Teilnahme am kulturellen Leben gesichert ist usw. Das muss nicht so viel mehr sein als heute, denn ich denke hier z. B. an die Diskussion zum gesicherten, bedingungslosen Grundeinkommen: Hier geht man von einem Betrag von ungefähr 800 bis 1000 Euro im Monat aus, die jedem Bürger

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zustehen sollten. Ich denke, solche gesellschaftlichen Modelle sind in Zukunft ungeheuer wichtig in einer Gesellschaft, der die Arbeit ausgeht. Man muss also auf der einen Seite eine wirtschaftliche Vision für die Arbeitslosen haben, denn die Vision darf nicht Hart IV sein, weil das wirklich grauenvoll ist. Zweitens aber braucht man, und das ist genauso wichtig, eine geistige Vision für Arbeitslose, nämlich die Frage wirklich zu stellen, was deren Leben sinnvoll macht, und zwar unabhängig von Lohnarbeit.

Küpper: Und diese geistige Vision vermissen Sie?

Bordt: Ja, die vermisse ich ganz krass. Denn man muss sich ja nur einmal anschauen, wie in der Politik diskutiert wird: Da geht es immer nur darum, dass man Arbeitsplätze erhalten muss, und nicht darum, was man mit einer Gesellschaft macht, der die Arbeitsplätze ausgehen. Selbst wenn wir die Krise nicht hätten, ist absehbar, dass wir in Zukunft nicht mehr so viel Arbeit haben werden, um in der westlichen Welt auf breiter Front alle Arbeitsplätze sichern zu können.

Küpper: Auf der anderen Seite gibt es hier aber auch den Manager, der sagt: "Ich versuche Arbeitsplätze zu erhalten, und das geht eben nur über Gewinnmaximierung, über Wachstum, über Expansion." Wenn man das nun in Relation setzt zu Ihrer These, dass man Gemeinschaft suchen solle, dass man Menschen lieben und etwas Sinnvolles tun soll, wie ist dann das Handeln des Managers zu bewerten?

Bordt: Wir wollen hier ja sicherlich nicht über einzelne Leute sprechen. Ich bin darüber hinaus auch kein Wirtschaftsfachmann, ich kann mich überhaupt nicht dazu äußern, was wirtschaftlich gesehen sinnvolles Handeln ist. Aber auch für den Manager wäre doch zu hoffen, dass er das Gefühl hat, intakte persönliche Beziehungen zu haben, nicht einen 24-Stunden-Arbeitstag zu leben, bei dem das wegfällt, und in seiner Arbeit etwas zu machen, was für ihn sinnvoll ist. Ein Problem von nicht wenigen Vorstandsvorsitzenden und Managern, die ich kenne, besteht ja gerade darin, dass sie das Gefühl haben, dass die Arbeit, die sie leisten, überhaupt nicht befriedigt, weil sie wissen, dass auch sie nur ein Rädchen im Getriebe sind. Sie empfinden die Verantwortung, für die Sie einstehen müssen, als völlig sinnlos.

Küpper: Das sind Beobachtungen, die Sie direkt machen, denn Sie haben mit Managern zu tun, die zu Ihnen kommen und Kurse belegen nach dem Motto: "Wie gestalte ich mein Leben sinnvoll" usw.

Bordt: Ja, sie kommen zu unseren Vorträgen und Workshops.

Küpper: Kann man denn diese Manager wirklich bewegen? Oder sind sie unempfänglich für das, was Sie sagen? Denn die geistige Ebene fehlt ja, wie Sie gesagt haben, weitgehend: Es sei nicht üblich, genau darüber zu diskutieren; man ziehe sich stattdessen auf das Finanzielle, auf die Buchhaltung, auf die Aktienkurse usw. zurück. Wann kommt denn dieser andere Impuls?

Bordt: Ich glaube, dass es eine Sache ist, zu sehen, dass das, was im Leben zählt, tiefe Beziehungen und eine sinnvolle Tätigkeit sind. Das ist ja klar, d. h. es gibt nur wenig Leute, die mein Buch gelesen haben und dann sagen, das sei Humbug, in Wirklichkeit zähle nur Schönheit, Geld usw. Aber von der Einsicht, dass das richtig ist, ist es ein weiter Weg zu der Fähigkeit, das auch zu realisieren. Denn oft sind die Menschen ja auch ganz einfach in

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sehr konkreten Beziehungen, Schwierigkeiten, Strukturen usw. gefangen, sodass sie nicht einfach so mal sagen können: "Jetzt nehme ich davon Abschied und jetzt strukturiere ich mein Leben um!" Denn diese Menschen haben ja auch Verantwortung.

Küpper: Das geht also nicht auf Knopfdruck. Dennoch sagen Sie, die Krise sei eine Chance für einen Neubeginn. Damit hätte die Krise auch wirklich ihren Wortsinn erfüllt, denn eigentlich heißt "krisis" im Griechischen "Unterscheidung" und nicht nur "missliche Lage". Es soll also in einer Krise eigentlich etwas positives Neues entstehen. Sie haben es soeben schon angedeutet, dass das nicht von heute auf morgen und auf Knopfdruck möglich ist: wie dann?

Bordt: Ich glaube, dass das ein sehr langer Prozess ist. "Neubeginn" ist vielleicht auch schon zu positiv gesagt: Ich glaube, das ist eher eine Neuorientierung, dass es in eine neue Richtung geht, bei der man gucken muss, was das heißt und was man deswegen wie genau umstellen muss.

Küpper: Hilft da die ignatianische Meditationsübung? Ist das ein Weg, um zur Ruhe zu finden, zur inneren Mitte zu kommen? Bei der ignatianischen Meditation geht das freilich nicht anstrengungslos, sondern nur unter Einsatz aller Kräfte, die in diesem Fall eben sozusagen in der Ruhe liegen.

Bordt: Ich bin davon überzeugt. Wobei es aber ein Missverständnis wäre, wenn man Meditation als ein "zur Ruhe kommen" auffasst. Wenn Leute, die sehr viel arbeiten – das müssen nicht Manager sein, aber jedenfalls Leute, deren Leben voll ausgefüllt ist mit ihrer Tätigkeit –, anfangen zu meditieren, dann haben diese Leute natürlich alle die Vorstellung: "Wunderbar, jetzt kommen wir mal richtig zur Ruhe und zu unserer Mitte!" Was sie jedoch, wenn sie mal ein, zwei, drei Tage still sind, merken, ist, dass sie völlig nervös werden. Sie merken, dass sie eigentlich überhaupt nicht zur Ruhe kommen. "Meditieren" heißt für mich, manchmal wie mit einer Lupe auf das eigene Leben zu schauen und zu merken, wie unruhig das eigene Leben eigentlich ist, wie getrieben das eigene Leben ist. Schauen Sie, auch für mich als Rektor der Hochschule für Philosophie ist es keinesfalls so, dass ich, obwohl ich nun schon seit 20 Jahren meditiere, da immer absolut zur Ruhe käme. Man darf sich das nicht so vorstellen, dass diese halbe Stunde Meditation oder die Messe morgens etwas ist, von dem ich sage: "Ja, das ist eine wunderbare Ruhe, in der ich komplett abschalten kann." Nein, da merke ich leider erst einmal, was da an Spannungen in meinem Leben vorhanden ist. Ich glaube, die Chance der Meditation oder der Exerzitien besteht darin, einen realistischen Blick auf sich selbst zu gewinnen und dann im Alltag vielleicht zu merken: "Ich müsste jetzt mal was machen!" Wenn man mal wirklich zur Ruhe kommt und sich sich selbst stellt, dann merkt man, dass es im eigenen Leben Spannungen gibt, die mit den Beziehungen zu tun haben, und dass es wichtig wäre, dafür nun endlich mal wieder etwas zu tun, also mit dem eigenen Mann, der eigenen Frau, den eigenen Kindern zu sprechen usw. Das sind Dinge, die in der Realität aber erst einmal umgesetzt werden müssen, denn oft ist es sehr schwierig, sie umzusetzen.

Küpper: Geht so etwas ohne Hilfestellung? Kann man von sich aus zu diesem inneren Punkt finden? Oder braucht man immer jemanden, der einem sagt, wie man das anstellt, der einen begleitet, der diesen ganzen Prozess

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mitmacht? Wenn Sie als Jesuit meditieren, dann machen Sie das ja nicht alleine, sondern Sie machen das mit anderen zusammen. Damit wären wir wieder bei den so wichtigen Beziehungen zu den Menschen.

Bordt: Meditation ist für mich wie ein Gang durch die Wüste: Da ist es gut, einen Führer dabei zu haben, der sich ein bisschen auskennt.

Küpper: Wir haben von der Finanz- und Wirtschaftskrise gesprochen: Das ist das Thema, das uns momentan am meisten bedrängt und bei dem wir alle das Gefühl haben, dass da etwas schiefgelaufen ist. Wir wollen hier keine Anklage erheben, aber der Verweis auf so etwas wie Tugenden – Sie haben vorhin bereits davon gesprochen –, auf Kardinaltugenden wie Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung usw. sei doch erlaubt. Ist das Gespür für diese Tugenden verloren gegangen, ist deshalb die momentane Krise so schlimm?

Bordt: Ich glaube, es ist das Gespür verloren gegangen, worauf es im Leben ankommt. Es ist nicht so, dass das Gefühl für Tugenden weggebrochen wäre. Nein, das Problem ist grundsätzlicher. Ich glaube, es liegt wirklich an der Frage, wie wir unser Leben ausrichten sollen. Die Kardinaltugenden leiten sich ab vom lateinischen cardo. Ich habe ja früher immer gedacht, das wären die Tugenden der Kardinäle, aber dem ist nicht so.

Küpper: Die haben diese Tugenden vielleicht auch.

Bordt: Hoffen wir es! "Cardo" heißt jedenfalls "Dreh-, Angelpunkt einer Tür". Das bedeutet, die Kardinaltugenden sind im Grunde genommen der Dreh- und Angelpunkt, auf den es ankommt bei der Frage, wie wir unseren Charakter entwickeln müssen, damit unser Leben gelingen kann. Ich glaube, so etwas wie z. B. Mut oder Zivilcourage ist etwas, das enorm wichtig ist in unserer Zeit, wo wir von Vorstellungen des gelungenen Lebens geradezu überflutet werden, die eigentlich völlig sekundär sind. Nehmen Sie als Beispiel die Vorstellung vom absolut gelingenden Sexualleben, die Vorstellung, wie Partnerschaft gelebt werden soll, die Vorstellungen von Reichtum, schnellen Autos usw. Der erfolgreiche Mensch, der Mensch mit dem super Body ist der Mensch, der angeblich ein gelungenes Leben lebt. Die Bilder in den Medien, im Fernsehen, vor allem in der Werbung lassen uns nämlich nicht unberührt. Wenn wir solche Bilder sehen, dann denken wir uns: "Wenn ich so wäre, dann würde mein Leben gelingen!" Sich diesem Strom zu widersetzen und nein zu sagen, zu sagen, dass es darauf überhaupt nicht ankommt, ist enorm wichtig. Natürlich wird man selbst auch von diesen üblichen Vorstellungen beeinflusst im eigenen emotionalen Leben, in dem, wie und was man fühlt. Dennoch muss man sich widersetzen, muss sich sagen, dass es auf andere Dinge ankommt: Das ist eine Tugend – die Zivilcourage, die ja mit der klassischen Tugend des Mutes, der Tapferkeit zusammenhängt –, die heute sehr wichtig ist. Es ist wichtig, dass man auch mal gegen den Strom schwimmen kann.

Küpper: Es gibt aber doch das Problem, dass wir in einer globalisierten Massengesellschaft leben, d. h. wir haben mit Problemen zu tun, die nicht nur auf München, auf Bayern, auf die Bundesrepublik beschränkt sind, sondern sich auf die ganze Welt erstrecken. Es gibt also eine immense Menge von Menschen, die eigentlich über das nachdenken müssten, was Sie vorschlagen, damit wir auf diesem Weg etwas weiter kommen. Sehen Sie denn irgendwelche Chancen, dass wir Anstöße geben können, die

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weltweit von allen gleichermaßen beachtet werden? Oder bräuchte man da nicht doch wieder hilfreiche Mitstreiter, die ganz weit oben stehen? Ich nenne hier als Beispiel den neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama, dem man ja messianische Tugenden zuspricht, die er allerdings erst noch beweisen muss. Der wäre doch eigentlich ganz wichtig in so einem Prozess. Oder nehmen wir die Menschen aus Asien, die heutzutage im Wirtschaftsleben so heftig mitmischen, dass wir uns manchmal fragen müssen, ob wir da überhaupt noch mithalten können. Wie kommen also kommunistische Chinesen mit dieser Ansicht zurecht? Wie können sie solche philosophischen Überlegungen, wie Sie sie vertreten, adaptieren?

Bordt: Ich empfinde es als etwas im luftleeren Raum argumentiert, wenn Sie fragen, wie die Chinesen darauf reagieren. Aber es wäre interessant, mit Chinesen darüber ins Gespräch zu kommen. Das bin ich aber noch nicht. Es wäre interessant zu erfahren, ob auch sie diesen beiden Prioritäten zustimmen würden, also der Liebe bzw. den tiefen persönlichen Beziehungen und der Tätigkeit, die für einen selbst sinnvoll und für andere Menschen wichtig ist. Ich kann auch Barack Obama überhaupt nicht einschätzen. Was man jedoch bereits jetzt klar erkennen kann, sind diese irrsinnigen Projektionen, die auf Obama vor allem vor seiner Wahl geworfen wurden. Das hat ja auch mit den Hoffnungen zu tun, die die Menschen haben: z. B. mit der Hoffnung darauf, dass es einem Präsidenten nicht um sich selbst geht, dass er also die Macht, die er als Präsident hat, nicht deswegen haben möchte, weil er es selbst so toll findet, mächtig zu sein, sondern weil er eine Vision hat, wie eine bessere Politik aussehen kann, und die Macht braucht, um diese Vision durchsetzen zu können. Ob das stimmt, kann ich überhaupt nicht beurteilen, weil ich ihn nicht kenne. Aber sehr interessant ist jedenfalls diese Hoffnung, die man mit ihm verbindet. Das zeigt doch, wie ich finde, dass man durchaus optimistisch sein kann, dass sich etwas bewegen lässt. Dafür aber braucht es auch in Deutschland einen viel breiteren gesellschaftlichen Diskurs: Solange vonseiten der Politik immer noch gesagt wird, wir müssen quasi um jeden Preis Arbeitsplätze erhalten, heißt das, dass man sich im Grunde genommen überhaupt keine Alternativen dazu ansieht, Alternativen, wie man das Leben der Bürger sinnvoll machen kann, auch wenn Arbeitsplätze wegfallen. Diese gesellschaftlichen Diskussionen müssen also meiner Meinung nach dringend geführt werden.

Küpper: Nun könnte natürlich auch der Vorwurf aufkommen, dass sich ein Jesuit bei seinen Überlegungen zu diesen Fragen recht leicht tut, denn er ist ja in eine Gemeinschaft einbezogen, lebt mit Gleichgesinnten zusammen, hat u. a. das Gelübde der Armut abgelegt, muss sich also um materielle Fragen des Alltags nicht wirklich kümmern, und einen Arbeitsplatzkampf kennt er ebenfalls nicht. Bei Menschen, die heutzutage bei VW oder BMW Kurzarbeit leisten oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind, sieht das ganz anders aus: Diese Menschen zweifeln und verzweifeln sehr wohl an ihrer materiellen Existenzgrundlage. Wie kommen wir da klar?

Bordt: Wie kommen wir damit klar? Sie meinen sicherlich, wie ich damit klarkomme.

Küpper: Ja, selbstverständlich. Sie sind einfach, wenn ich das mal so sagen darf, der wohlbehütete Jesuit im Gegensatz zu dem Menschen, der draußen im

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Leben steht und kämpfen muss und der sich z. B. täglich fragen muss, wie er seine drei Kinder durchbringt.

Bordt: Ich sehe mich lediglich als jemanden, der ein Angebot für eine Diskussion macht. Ich sehe mich keinesfalls als Moralapostel, der zu den Leuten sagt: "Ihr müsst bessere Beziehungen leben und sollt nur noch sinnvolle Tätigkeiten ausüben!" Nein, ich glaube zwar, dass meine Überlegungen richtig sind, aber mich möchte darüber lediglich mit Leuten ins Gespräch kommen. Ich habe ja bereits betont, dass ich den Hartz-IV-Satz für politisch geradezu skandalös halte. Die Kinderarmut in Deutschland stellt einen gesellschaftlichen Skandal dar! Da muss die Politik etwas ändern, da muss sie etwas tun. Denn es kann einfach nicht angehen, dass in unserem Land Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, mit wirklicher Armut konfrontiert sind. Aber das eine schließt das andere ja nicht aus. Natürlich bin ich von Armut nicht direkt betroffen, aber ich bin auf der anderen Seite eben auch Rektor der Hochschule für Philosophie München, denn auch an unserem Orden gehen die finanziellen Probleme der heutigen Zeit nicht einfach vorbei. Das heißt, wir müssen nun eine Stiftung aufbauen, die in zehn Jahren über ein Kapital von zehn Millionen Euro verfügt, damit wir unsere Hochschule weiterführen können. Es ist eine enorme Arbeit, die ich da machen muss, wenn ich immer wieder schauen muss, wie ich dafür Gelder akquirieren kann. Es ist natürlich richtig, dass mir das existenziell nicht so an die Nieren geht, weil wir Jesuiten diesbezüglich ja relativ unabhängig sind. Wir könnten das als Jesuiten also ganz lässig sehen: Wenn die Hochschule für Philosophie geschlossen werden müsste, weil wir nicht mehr die nötigen finanziellen Mittel hätten, dann könnte ich immer noch irgendwo Pfarrer sein, weil ich ja Priester bin. Das stimmt also. Aber ich würde trotzdem nicht sagen, dass ich deswegen mit dem normalen Wirtschaftsleben nichts zu tun hätte, dass das für mich eine völlig ferne Welt sei. Ich glaube, dass das, was ich sage bzw. sagen möchte, nur ein Mosaikstein ist in einem Geflecht von anderen Lösungen. Denn letztlich brauchen wir dafür einen wirklich breiten gesellschaftlichen Konsens, wenn wir in diese Richtung gehen wollen.

Küpper: Und es ist natürlich das Vorrecht des Philosophen, einen Denkanstoß zu geben und nicht gleich mit der Exceltabelle kommen und sagen zu müssen, wie die genaue Bilanz aussieht und dass man deshalb dieses und jenes tun müsse. So etwas maßen Sie sich jedoch gar nicht an, sondern Sie versuchen Denkanstöße zu geben, die den Horizont erweitern sollen.

Bordt: Richtig. Und die Gefahr gerade in so einer Krisensituation ist ja die, dass sich Menschen zu irgendwelchen Prognosen oder auch Forderungen hinreißen lassen, die sie überhaupt nicht überschauen können. Nehmen wir als Beispiel Opel: So ein Unternehmen rauszulösen aus General Motors ist viel komplizierter, als man sich das vorstellt. Um überhaupt erst einmal einen Überblick zu bekommen, wie so etwas gehen könnte, braucht es irrsinnig viel Arbeit. Diese Forderung einfach auf die Fahne zu schreiben, dass Opel aus dem Konzern rausgelöst werden muss, ist ein bisschen eine Irreführung im Hinblick auf die damit verbundenen Schwierigkeiten. Ich finde es daher gefährlich, wenn Leute in solchen Situationen Dinge sagen und Forderungen erheben, bei denen sie gar nicht überschauen können, was das für Schwierigkeiten mit sich bringt.

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Küpper: Gilt denn Ihr Denkanstoß auch für die anderen beiden großen Krisenszenarien von heute, also auch für den weltweiten Terrorismus und für unsere globale Umweltproblematik, die Klimaerwärmung?

Bordt: Ich glaube, dass Terrorismus, Klimaveränderung und Finanzkrise eine gemeinsame Wurzel haben. Ich gebe aber sofort zu, dass das spekulative Philosophie ist. Die gemeinsame Wurzel ist die Ungerechtigkeit, die auch mit dem Welthunger und der Weltarmut zu tun hat. Wir dürfen nicht vergessen, dass nach wie vor täglich 24000 Menschen an Armut, an Hunger oder an den Folgen der Armut sterben. Damit sind wir hier in Deutschland nicht unmittelbar konfrontiert: Nur an den Grenzen Europas bekommen wir ein bisschen was davon mit oder übers Fernsehen. Aber eigentlich ist das die offene Wunde unserer Erde, unserer Welt. Ich glaube, solange hier nicht eine gerechte Lösung gefunden wird, solange diese Weltarmut nicht besiegt wird, werden sich auch diese Krisen nicht beruhigen. Ich glaube, dass das etwas mit dem mehr Haben-Wollen, mit dem immer mehr Haben-Wollen, dem Konsum der westlichen Welt zu tun hat, die die politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten hat, das dann auch gegenüber den ärmsten Ländern der Welt durchzusetzen. Aber das ist natürlich ein riesengroßes Problem. Bei der Klimakatastrophe und auch bei der Wirtschaftskrise scheint es mir ganz deutlich zu sein, dass das etwas damit zu tun hat.

Küpper: Sie sprechen und argumentieren als Philosoph, als Rektor der Hochschule für Philosophie München, die vom Jesuitenorden getragen wird. Vielleicht vermisst jetzt in unserem Gespräch der eine oder andere den Bezug zur Kirche und zur Katholizität. Wie würden Sie sich da einordnen?

Bordt: Schauen Sie, wenn man sagt, dass das Wichtigste im Leben das Lieben und eine wirklich sinnvolle Tätigkeit sei, dann ist das sozusagen eine säkulare Umformulierung dessen, was die zentralen Dinge des christlichen Glaubens sind. Lieben ist nämlich der Punkt, um den es im Christentum geht: dass wir einander lieben. Dass wir zweitens mit Gott die Schöpfung weiter vorantreiben, ist ebenfalls zentral: Das heißt, dass wir etwas tun, was sinnvoll und für andere Menschen wichtig ist. Selbst wenn das so formuliert wird, dass das nichts mit Kirche und Theologie zu tun hat, sind das die zentralen Punkte unseres Glaubens. Meine Auffassung ist, dass die Kirche und die Theologie in den letzten 30, 40 Jahren leider an gesellschaftlicher Orientierungsfunktion verloren haben und dass dieses Bedürfnis nach Orientierung von der Theologie auf die Philosophie übergegangen ist. Es ist daher heute die Aufgabe der Philosophie, Orientierung zu bieten. Deswegen haben wir Jesuiten überhaupt eine Hochschule für Philosophie. Denn man könnte sich ja fragen, warum ein Orden dafür dermaßen viele Mittel, auch finanzielle Mittel einsetzt.

Küpper: Diese Hochschule ist allerdings sehr erfolgreich, denn z. B. die Abbrecherquote ist bei Ihnen an der Hochschule erheblich niedriger als im Fach Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität, wo nach den ersten Semestern ungefähr 90 Prozent der Studienanfänger dieses Studium wieder abbrechen. Demgegenüber sind das bei Ihnen nur ungefähr 40 Prozent. Das heißt doch wohl auch, dass man irgendwie einen näheren und besseren Kontakt zu den Studierenden gewinnt, wenn man offen argumentiert.

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Bordt: Richtig, das stimmt. Aber wir könnten ja z. B. auch eine Fakultät für Orchideenkunde oder Ornithologie haben: Auch hier hätten wir dann eine geringere Abbrecherquote. Aber auch hier würde man sich fragen, warum die Jesuiten Ornithologie betreiben. Mit der Philosophie ist es genauso. Aber die Philosophie ist ja nun einmal auch die Basis für die Theologie – zumindest der Theorie nach und auch gemäß dem, was Papst Benedikt möchte. Aber faktisch ist es so, dass der Anteil der Philosophie innerhalb des Theologiestudiums konstant nach unten geht bzw. auf einem sehr niedrigen Level verharrt. Wir sind aber der Überzeugung, dass einer der Gründe für die Krise der Theologie auch darin liegt, dass dort keine fundamentale Philosophieausbildung mehr geleistet wird. Wichtiger ist aber noch etwas anderes: Ich glaube, dass in unserer Gesellschaft heute die Philosophie wertorientierend die Funktion einnehmen kann, die früher die Theologie innehatte: Diese Funktion besteht darin, eine Gesprächsplattform zu bilden, auf der sich Kirche und nicht-kirchliche Welt treffen können. Es ist also wichtig, dass wir Jesuiten innerhalb der Kirche an die Grenze gehen und den Dialog gerade mit Leuten suchen, die nicht kirchlich oder religiös gebunden sind.

Küpper: Sind Theologen in der Fragestellung vielleicht ängstlicher als Philosophen?

Bordt: Nein, das glaube ich nicht.

Küpper: Wenn Sie behaupten, dass die Deutungskraft der Theologen nachgelassen habe in den letzten 20, 30 Jahren, dann fragt man sich natürlich, woran das liegt: Haben die Theologen nicht mehr den Mut, offen zu reden, offen zu diskutieren, während das der Philosoph leichter betreiben kann?

Bordt: Ich glaube nicht, dass das eine Frage von Ängstlichkeit ist, das ist stattdessen auch eine Frage des geistigen Klimas, das in der Theologie herrscht. Wenn man innerhalb der Theologie z. B. brisante Themen der Moral diskutiert, dann wird sich jemand, der nicht bereits fest Professor ist, hüten, öffentlich irgendetwas zu diesem Thema, das ja gesellschaftlich relevant ist, zu sagen. Und zwar aus ganz naheliegenden Gründen – also könnte man hier insofern doch von Ängstlichkeit sprechen. Aber ich glaube, dass das einfach an der Atmosphäre liegt, die sich in den letzten Jahrzehnten innerhalb der Theologie herausgebildet hat und die das freie Nachdenken einfach schwierig macht, wenn man z. B. im akademischen theologischen Sektor eine Karriere machen möchte. Das sind Dinge, die …

Küpper: … eigentlich absolut betrüblich sind.

Bordt: Ja, das ist absolut betrüblich. Denn zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen braucht es eben auch kreatives Nachdenken. Für Kreativität braucht man jedoch einen angstfreien Raum. Und wenn dieser angstfreie Raum nicht mehr gegeben ist, dann gibt es keine Kreativität mehr, dann wird die ganze Diskussion steril.

Küpper: Das ist wieder – zu Recht, denn ich persönlich finde das sehr gut – die Freiheit des Ordensmannes, die wir hier hören. Was müsste denn geschehen, damit auch im Bereich der Theologie mehr freie Räume geschaffen werden? Wer sitzt da am Hebel, wer müsste da etwas machen? Die Studenten, die Professoren?

Bordt: Selbstverständlich müsste das von den Professoren ausgehen. Aber das müsste eben auch von der Seite Roms ausgehen: und zwar von einer

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vertieften Einsicht in das, worum es in der Theologie geht. Es gibt einfach enorme Spannungen zwischen der Art und Weise, wie zumindest in Deutschland viele Leute Theologie treiben bzw. treiben würden, und den Vorgaben Roms. Das ist meiner Meinung nach wirklich ein Spannungsverhältnis.

Küpper: Wir haben bei verschiedenen Papstreisen in der jüngsten Vergangenheit aber auch immer wieder erlebt, wie schwierig diese Diskussion ist. Diese Diskussion verläuft dann eben auch in den Medien z. T. sehr einseitig, weil bestimmte Schlagworte im Raum stehen und alles andere übertönen, was an guten Dingen eben auch gesagt worden ist. Das, was z. B. zu den Themen "Gerechtigkeit" und "Frieden" richtigerweise gesagt wurde, wurde vom Thema "Kondomverbot" regelrecht erschlagen.

Bordt: Richtig, das stimmt.

Küpper: Sie haben gesagt, dass die Hochschule für Philosophie München viel Geld sammeln muss, damit sie weiterhin existieren kann. Besteht echte Sorge, dass sie eines Tages verschwinden könnte?

Bordt: Ja, die besteht durchaus, wie man leider sagen muss. Denn der Orden ist einfach nicht mehr in der Lage, diese 1,2 Millionen Euro, die die Hochschule jedes Jahr als Zuschuss des Ordens braucht, aufzubringen. Der Orden ist, wenn Sie so wollen, überaltert: Jeder zweite Jesuit in Deutschland ist älter als 63 Jahre. Die Diözesen haben uns in den letzten Jahren viele Verträge gekündigt, wir haben also viel weniger Einkommen. Ja, das ist tatsächlich ein großes Problem für uns.

Küpper: Vielleicht hört ja auch der eine oder andere Manager zu, der Ihnen unter die Arme greifen kann, weil er jetzt gelernt hat, dass es, um auch als Manager von einem gelungenen Leben sprechen zu können, auf die wirklich wesentlichen Dinge im Leben ankommt. Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihren Besuch im alpha-Forum. Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Hochschule und für Ihr persönliches Wirken.

Bordt: Herzlichen Dank.

© Bayerischer Rundfunk


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