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Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln Einführungsseminar WS 2004/05 Lioba Lenhart...

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Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln Einführungsseminar WS 2004/05 Lioba Lenhart 20.10.2004 3. Sitzung: Kultur
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Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln

Einführungsseminar WS 2004/05Lioba Lenhart

20.10.2004

3. Sitzung: Kultur

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20.10.2004 Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart): Kultur

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Peoples & Bailey, Kapitel 2:„Culture“

Themen:

(1) Definition von Kultur

(2) Kulturelles Wissen

(3) Biologie und kulturelle Unterschiede

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Definition von Kultur

‚Kultur‘ derder zentrale Begriff der Ethnologie, der ihren Gegenstand bezeichnet – allgemein: die Gesamtheit der Kenntnisse

und Verhaltensweisen (technische, wirtschaftliche, religiöse, soziale usw.), die eine bestimmte menschliche Gemein-

schaft kennzeichnen

Dieses Verständnis von Kultur beinhaltet zweierlei: Es gibt keine Menschen ohne Kultur. Die Vorstellung eines

Menschen im „Naturzustand“ ist eine philosophische Hypothese. Kultur ist ganzheitlich zu betrachten: als ein geordnetes

funktionales Ganzes, in welchem alle Teile miteinander als Komponenten eines Systems verbunden sind.

vgl. Sitzung 2: holistische Perspektive

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Der ethnologische Kulturbegriff im Unterschied zu anderen Kulturbegriffen

• Der ethnologische Kulturbegriff unterscheidet sich durch die ganzheitliche Sicht von Kultur von einem eingeschränkten Kulturbegriff, der in unserer Gesellschaft üblicherweise verwendet wird, um die so genannten schönen Künste (bildende, darstellende u.a. Kunst) zu bezeichnen.

• Der ethnologische Kulturbegriff hat nichts mit Kultiviertheit im Sinne von Bildung, intellektuellem Niveau u.ä. zu tun. Im ethnologischen Sinne sind alle Menschen kultiviert, die in soziale Gruppen hineingeboren sind, in ihnen erzogen wurden und in ihrem Kreise leben.

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Kulturdefinition von Peoples & Bailey (2003, S. 25)

„The culture of a group consists of shared, socially learnedknowledge and patterns of behavior [ Die Kultur einer Gruppe besteht aus geteiltem, sozial erlerntem Wissen undVerhaltensmustern ].“

Diese Definition fokussiert folgende Merkmale von Kultur:

Kultur wird von einer Gruppe von Menschen geteilt;

Kultur wird in ihrem Kreise tradiert / sozial erlernt;

Kultur umfasst Wissen und Verhaltensmuster.

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Kultur wird von einer Gruppe von Menschen geteilt.

– Gruppen

- Gruppen, die eine gemeinsame Kultur teilen, variieren in ihrer Größe/Anzahl der Mitglieder und geographischen Verbreitung;

- auch bestimmen unsere Interessen die jeweilige Bestimmung von Gruppen, die Kultur teilen (z.B.

die „westliche Kultur“, die „afrikanische Kultur“, die „Kultur der Yanomamö“ im Amazonasgebiet).

!! Diese Gruppen sind oft territorial unterscheidbare und weitgehend sich selbst erhaltende Einheiten, deren Mitglieder eine kollektive Identität und eine gemeinsame Sprache und Kultur teilen (society).

Die komplexen Gesellschaften moderner National- staaten umfassen jedoch in der Regel viele kulturelle

Gruppen, Identitäten und Traditionen. Und: Kultur ist nicht notwendig lokal gebunden (Bsp.

Diaspora, Migration).

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…Kultur teilen

meint- zumindest, dass die Mitglieder der Gruppe eine gemeinsame

kulturelle Identität teilen – sich und ihre kulturellen Traditionen im Vergleich zu anderen als eigenständig betrachten

- meint oft zudem, dass Kommunikation und Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern ohne größere Missver-ständnisse und ohne Erklärung der Bedeutung von Ver-haltensweisen möglich ist.

!! Nicht alle Westler, Afrikaner oder indigene Amerikaner, z.B. die Yanomamö, teilen Kultur hinsichtlich des

letztgenannten Kriteriums, wohl aber hinsichtlich des zuerst genannten Kriteriums.

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Kultur wird sozial erlernt.

– Soziales Erlernen von Kultur

- geschieht vorwiegend im Kindes- und Jugendalter im Prozess der Enkulturation/Sozialisation (= Weitergabe/An-eignung kulturellen Wissens an die folgende/von der folgenden Generation), vollzieht sich prinzipiell aber ein Leben lang;

- ist Lernen durch Kommunikation, Unterweisung und bewusste und unbewusste Imitation, nicht durch Versuch und Irrtum.

! ! Vorteil des sozialen Lernens: ungleich schneller und effektiver als Lernen durch Versuch und Irrtum.

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Kultur umfasst Wissen und Verhaltensmuster.

Wissen und Verhalten sind wechselseitig aufeinander bezogen

(aber kein Determinismus!). – Kulturelles Wissen

• ist nicht „objektives“ Wissen im Sinne von akkuratem, nachprüfbarem Faktenwissen,

• beinhaltet vielmehr die Grundannahmen einer Gruppe hinsichtlich der von ihr wahrgenommenen Realität.

• Auf dieser Basis ist es ihren Mitgliedern möglich, sinnvoll miteinander zu kommunizieren und zu interagieren und sich so zu verhalten, dass sie überleben, sich reproduzieren und ihre Kultur weitergeben können.

im folgenden gleich mehr

zu kulturellem Wissen

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– Kulturell geprägtes Verhalten

• In jeder Kultur gibt es Verhaltensmuster (patterns of behavior), d.h. verbreitete, deutliche, wiederkehrende Verhaltenstendenzen (Bsp.: Aggressionsverhalten bei Yanomamö im Amazonasgebiet; oder gegenteiliges, friedfertiges, nicht-gewaltsames Verhalten bei Semai in West-Malaysia).

• Die kulturelle Prägung des Verhaltens bedeutet nicht, dass sich alle Mitglieder einer Kultur in gleicher Weise verhalten.

! ! Das Verhalten von Individuen variiert in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter, Persönlichkeitsvariablen, Kontexten, Situationen, Rollen (mit spezifischen Rechten und Pflichten verbundene Verhaltenserwartungen). Zudem sind kulturelle Standards für Verhalten und Verhaltens- erwartungen oft uneindeutig.

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Andere ethnologische Definitionen von Kultur

Es gibt unzählige Versuche von Ethnologen, den Begriff „Kultur“ zudefinieren (A. Kroeber und C. Kluckhohn veröffentlichten in ihrem 1952 erschienenen Buch „Culture“ bereits 175 verschiedene Definitionen!)

Die bekannteste Definition von Kultur stammt von Edward B. Tylor (1871), Begründer der Ethnologie als Wissenschaft im Englisch-sprachigen Raum und Verfasser des ersten ethnologischen Lehrbuchs:

„Culture ... is that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, customs, and other capabilities and habits aquired by man as a member of society.“

betont bereits den inneren Zusammenhang von Kultur (ganzheit-liche Sicht);

und dass Kultur gelernt und somit wesentlich durch gesellschaftliche und nicht durch biologische Kräfte determiniert ist.

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…andere Definitionen:

Eine neuere, in dieselbe Richtung weisende Definition istdie von Ralph Linton (1940):

„Culture is the sum total of knowledge, attitudes andhabitual behavior patterns shared and transmitted by the members of a particular society.“

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… andere Definitionen:

Einige Ethnologen schränken den Begriff „Kultur“ ein:

Kultur ist etwas, das in den Köpfen der Menschen existiert – einIdeen bildendes oder gedankliches System – ein System von gemeinsamen Wissensinhalten und Glaubensvorstellungen, mit dessen Hilfe die Menschen ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen ordnen und Entscheidungen treffen, in deren Sinne sie dann handeln.

Unterscheidung zwischen Ideen über das (richtige) Verhalten und dem tatsächlichen Verhalten („kulturell“ und „sozial“).

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… andere Definitionen:

Ein Beispiel für diese mentalistische Betrachtungsweise von Kulturist die Definition von Ward Goodenough (1970):

„A society‘s culture consists of whatever it is one has to know or

believein order to operate in a manner acceptable to its members. Culture isnot a material phenomenon; it does not consist of things, people, behavior, or emotions: It is rather an organization of these things. It is the form of things that people have in mind, their models for perceiving, relating, and otherwise interpreting them.“

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… andere Definitionen:

Resümee:

Ganz gleich, ob Kultur mentalistisch definiert wird (Goodenough)oder aber, ob in der Definition Wissen und Verhalten berücksichtigt werden (wie bei Peoples & Bailey, Tylor, Linton):

Niemand bestreit die engen Wechselwirkungen zwischen dermentalen und der Verhaltenskomponente von Kultur.

Oft bedingt Wissen das Verhalten, aber durchaus nicht immer,d.h. die Wechselwirkungen sind nicht deterministisch. Kulturelles Wissen gibt den Rahmen und Alternativen für Verhalten vor; konkretes Verhalten von Individuen hängt jedoch von individuellen Besonderheiten, von Kontext und Situation und von Verhaltenserwartungen mit spezifischen Rechten und Pflichten (Rollen) ab.

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(2) Kulturelles Wissen

Die fünf zentralen Elemente des kulturellen Wissens:

(1) Normen• geteilte Ideen oder Regeln darüber, wie Menschen sich in

bestimmten Situationen oder gegenüber bestimmten Personen verhalten sollten.

(2) Werte• Auffassungen darüber, was gut und erstrebenswert ist und was

schlecht ist.

(3) Symbole• Objekte oder Verhaltensweisen, die für etwas anderes stehen.

Symbole sind arbiträr, die Zuordnung zu den Dingen, für die sie stehen, ist willkürlich.

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… Kulturelles Wissen

(4) Klassifikationen der Realität• Phänomene der Realität werden kulturabhängig/aufgrund ihrer

kulturell verschiedenen Relevanz unterschiedlich geordnet und unterschiedlich weit differenziert (Bsp.e: botanische Termini, Verwandtschaftstermini, Farbbezeichnungen);

• Selbst das, was als real gilt/als Realität erachtet wird, kann sich je nach Kultur unterscheiden.

(5) Weltsicht• Diese beinhaltet Vorstellungen von der Welt, von Zeit und

Raum und dem Platz des Menschen darin und seiner Bestimmung (die „großen Fragen“: woher kommen wir?, wer sind wir?, wohin gehen wir?).

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(3) Biologie und kulturelle Unterschiede

Biologischer Determinismus vs. ethnologische Sichtweise:• Der biologische Determinismus behauptet, dass die Kulturen menschlicher Gruppen weitgehend von biologischen oder „rassischen“ Faktoren bestimmt sind. Biologische Unterschiede erklären kulturelle Unterschiede.• Dies bestreiten fast alle Ethnologen. Aus Sicht der Ethnologie sind die biologischen Unterschiede für die Erklärung von kulturellen Unterschieden weitgehend irrelevant.! Damit wird nicht geleugnet, dass das gemeinsame biologische Erbe der menschlichen Spezies Kultur mit Sicherheit beeinflusst – denn die Art und Weise, in der Menschen ihren biologischen Bedürfnissen begegnen, spiegelt sich in ihrer Kultur wider.

wird in den folgenden Seminarsitzungen immer wieder thematisiert (z.B. im Zusammenhang mit Nahrungserwerb)

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…biologischer Determinismus vs. ethnologische Sichtweise

Heuteist man im allgemeinen der Ansicht, dass Kultur, individuelle Besonderheiten und allgemeine menschliche Eigenschaften sich wechselseitig beeinflussen, der Kultur jedoch überragende Bedeutung zukommt.

Das Wissen darumhat sich erst im letzten Jahrhundert durchgesetzt!Im späten 19. und den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts dominierten biologische Erklärungen für kulturelle Unterschiede.Rassistische Ideen außerhalb und in der Wissenschaft waren bis zum zweiten Weltkrieg in Deutschland, aber auch in vielen anderen Teilen der Welt verbreitet – so u.a. auch in den USA.

Die Überwindung des wissenschaftlichen Rassismus und Durchsetzung des Kulturkonzepts war eine der wesentlichen Leistungen der Ethnologie. Maßgeblich waren hier Franz Boas und seine Schüler, die in den USA lehrten.

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Zur biologische Bedingtheit des Menschen

Unstrittig ist die generelle biologische Bedingtheit des Menschen:

– Ohne Wasser, ohne Nahrung, ohne Schutz vor Hitze und Kälte usw. können wir nicht überleben.

– Allen Menschen sind bestimmte Denk- und Verhaltensweisen gemeinsam (z. B. Lidschlagreflex, Lächeln als Signal für Freundlichkeit).

– Es gibt zudem kulturelle Universalien, z. B. Existenz von Religion, Inzesttabu; diese könnten (!) genetische Grundlagen haben.

– Die Fähigkeit, Kultur zu erwerben, hat selbst eine genetische Grundlage.

! Aber: von wenigen Ausnahmen (z. B. Sichelzellenanämie, Laktasedefizienz) abgesehen ist Kultur unabhängig von der genetischen Ausstattung, jeder Mensch kann jede Kultur erlernen!

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Kritik am biologischen Determinismus

Der biologische Determinismus geht davon aus, dass sich genetischeGruppen und kulturelle Gruppen decken dies ist aber nicht der Fall!

Genetische Studien haben gezeigt,• dass es keine genetisch eindeutigen Untergruppen von Homo sapiens

gibt – diese existierten weder in der Vergangenheit, noch gibt es sie heute;• dass die Variationen innerhalb der Gruppen, die als „Rasse“

klassifiziert werden, die Variationen zwischen diesen Gruppen weit übertreffen.

„Rassen“-Klassifikationen sind insofern willkürlich,• dass sie nur bestimmte Merkmale – vorzugsweise äußere Merkmale wie

Hautfarbe, Haarstruktur, Nasenformen, Schädelformen usw. – heranziehen, nicht aber andere - beispielsweise Blutgruppenzugehörigkeit.

!! Die „Rassen“ der früheren Rassenlehre (kaukosoid, negroid, mongolid etc.) beruhen auf Äußerlichkeiten, es fehlt eine handfeste genetische Grundlage. Äußere Ähnlichkeit bedeutet nicht genetische Ähnlichkeit.

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Biologie und Kultur

• Kultur ist unabhäng von Genen. Jeder Mensch kann jede Kultur erlernen.

• Kultur ist im Verlauf der Evolution bei den Primaten als zusätzliches Anpassungsmittel entstanden. Kultur ist nicht auf den Menschen beschränkt: Menschenaffen haben ebenfalls (Proto-)Kultur.

• Das Anpassungsmittel Kultur hat beim Menschen im Laufe der Entwicklung die genetische Anpassung schließlich fast völlig ersetzt.

• Vorteil des Anpassungsmittels Kultur: ist sehr viel schneller und flexibler als genetische Anpassung;

• Nachteil: ist instabiler – vererbt sich nicht automatisch, sondern muss immer wieder neu und langwierig erlernt werden.

!! Kultur ist ein Anpassungsmittel – trotzdem sind nicht alle Teile einer Kultur allein dem Überlebens- und Reproduktionserfolg

dienlich, dies trifft nur in der Gesamtbilanz zu.

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Rassismus heute

!! kulturelle Gruppen genetische Gruppen Gruppen nach Aussehen

Rassismen aller Art gibt es noch immer überall auf der Welt, wenn auch unterschiedlich ausgeprägt! Diese setzen in der „Ungleichungskette“ an einer oder beiden Stellen Gleichheitszeichen.

Bsp.: „der Rhythmus steckt allen Schwarzen im Blut“ - konstatiert für Afrikaner, Afroamerikaner usw. - meint: schwarze Hautfarbe als

gemeinsames Aussehen = gut tanzen können als kulturelles Merkmal = genetische GrundlageTatsächlich handelt es sich hier um kulturelle Konstrukte, auf die man sich geeinigt hat - Konstrukte ohne jede biologische Grund- lage!

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!! Rassismen existieren trotz aller wissenschaftlichen Einsichten weiterhin, sowohl in weniger extremer Form (oft sogar mit positiven Konnotationen besetzt, wie im Fall der „Afrikaner mit Rhythmus im Blut“) als auch im Extrem (in jüngerer

Vergangenheit beispielsweise die rassistische Unterteilung der Bevölkerung in Südafrika während der Apartheid).

!! Gerade die Ethnologie sollte hier emanzipatorisch wirken Kritik äußern, ethnologische Erkenntnisse in die

Öffentlichkeit tragen, sich einmischen!

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Zur nächsten Stunde Kapitel 3 des Lehr-

buchs (Seiten 41-63) lesen !

„Culture and Language“


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