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Input: Change Management, Kommunikation & Innovation (Fallbeispiele)

Date post: 01-Nov-2014
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SCHWERPUNKT: FEHLER

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In der Produktion gilt der Mensch oft als größte Fehlerquelle.Und wird wegrationalisiert.

SEW-Eurodrive zeigt, dass es anders geht. Dort verbessern die Arbeiter ständig ihre Fabrik.

Sie sind schließlich die Experten.

Text: Christian Sywottek Foto: Michael Hudler

Die Kollektiv-Lösung

Markus Reichert – Experte für konstruktive Zerstörung

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SCHWERPUNKT: FEHLER _SEW-EURODRIVE

• Woran denkt ein Manager, wenn die Zahlen nicht stimmen?Wenn sein Unternehmen ein Koloss ist mit Tausenden Mitarbei-tern? Wenn er in Deutschland Industrieprodukte herstellt?

Johann Soder dachte an die kleine Schreinerwerkstatt, in derer als Kind Drachen baute. Eine Werkbank aus Holz stand da, gespickt mit Werkzeug. Alles war dort, wo der Schreiner es schnellgreifen konnte, auch das Material. Der Schreiner arbeitete zügigund sicher. „Der ganze Arbeitsplatz war genau nach dem Bewe-gungsablauf gestaltet“, erinnerte sich Soder. „Das musste dochauch in jeder Fabrik gehen.“

Soder, 52, ist Geschäftsführer Produktion und Innovation beiSEW-Eurodrive in Bruchsal, gegründet 1931 als SüddeutscheElektromotoren-Werke, mit heute 11000 Mitarbeitern in 43 Län-dern. SEW-Eurodrive produziert Antriebssysteme, Getriebemoto-ren und die entsprechende Elektronik. Wo sich etwas bewegt, sindSEW-Produkte zu finden, in Stadiondächern, Getränkeabfüllanla-gen, Förderbändern in Kieswerken und auf Flughäfen, Montage-trassen und Rolltreppen.

Im Jahr 1995 hatte Soder ein Problem. „Seit den achtziger Jah-ren haben wir in Bruchsal eine eigene Elektronikfertigung aufge-baut, aber die schrieb rote Zahlen und wurde von der Mechaniksubventioniert. Damals gab es nur einen Weg: Entweder wir schaf-fen bei der Elektronik den Durchbruch, oder wir schließen diesesSegment und kooperieren mit einem anderen Unternehmen. Esging uns nicht vorrangig darum, Kosten zu sparen. Wir musstenproduktiver werden.“ Johann Soder baute eine neue Fabrik für die Elektronik. Das Werk funktioniert heute, sieben Jahre nach seiner Fertigstellung, genauso wie am Anfang: Es optimiert sichstetig selbst. Die Mitarbeiter suchen und finden ständig Fehler undbessere Lösungen. Im Jahr 1995 produzierten 200 Menschen rund2300 Geräte jährlich, etwa Frequenzumrichter, die den Motormit der richtigen Spannung versorgen. Heute schaffen 315 Men-schen 30 000 Geräte im Jahr. Wie geht das nur?

„Um Neues zu schaffen, brauchen wir die Weisheit von vie-len“, beschreibt Soder seine Philosophie. „Wer optimieren undFehler beseitigen will, benötigt dafür jeden Mitarbeiter.“ Und wassoll jeder Mitarbeiter tun? Soder spricht gern von der „kreativenZerstörung, und zwar immer dann, wenn es gerade am bestenläuft“. Allerdings braucht es einen entsprechenden Rahmen, wennaus dem Zerstörten etwas Neues, Besseres entstehen soll. Über-sicht ist wichtig, wie in der Schreinerwerkstatt aus Soders Kind-heit. Eine kleine Einheit wie eine Werkstatt lässt sich gut über-blicken. So lassen sich Fehler besser finden. In einer Werkstatt istjeder Werker für seinen Arbeitsplatz verantwortlich – also auchinteressiert an positiven Veränderungen. Und der Werker kenntseinen Arbeitsplatz besser als jeder andere.

Soders Schluss: Die Mitarbeiter sollten entscheiden, was an ihrem Arbeitsplatz geschieht. Deshalb ist das Montageband einerInsellösung gewichen. Eine Insel ist ein Gewirr aus Aluminium-rahmen, darauf montiert die Arbeitsfläche, die Werkzeuge, Flächen

für Material und das Endprodukt. Alles in Griffnähe. Auf jeder Insel wird ein bestimmtes Teil von Anfang bis Ende von ein oderzwei Mitarbeitern komplett gebaut – wie sie das tun, ist ihre Sache. Verantwortlichkeit ist überhaupt das Grundprinzip derneuen Elektronikfertigung. Deshalb werden die Inseln zu Small-Factory-Units (SFU) zusammengefasst, entsprechend den Pro-duktgruppen, die auf ihnen hergestellt werden. Eine SFU umfasstbis zu 20 Inseln – eine übersichtliche Welt, mit einem Segment-betreuer an der Spitze. Der ist allein verantwortlich für die Stück-zahlen, die Personalplanung, für die Qualität und die Kosten.

Die Fehler werden am besten dort vermieden,wo sie entstehen: in der Produktion

Verantwortlichkeit ist die Voraussetzung für das, was SEW mitaußergewöhnlicher Konsequenz betreibt: Nie aufhören nach bes-seren Lösungen zu suchen – und die Mitarbeiter daran entschei-dend beteiligen. Nicht auf ihre Kosten, sondern auch zu ihremVorteil. Optimierung, das ist hier jedem klar, ist eine kollektiveSache. „SEW setzt an beim Managementprinzip“, sagt ArndHuchzermeier, Professor für Produktionsmanagement an der OttoBeisheim School of Management in Vallendar. „Die Mitarbeiterdort sind Prozess-Mitgestalter. Management und Belegschaft arbeiten miteinander, nicht gegeneinander. So entsteht ein orga-nisches System, das sich permanent neu justiert. Der Profit fälltSEW damit in den Schoß, er ist im Grunde das Nebenproduktder Veränderungen.“

SEW-Geschäftsführer Johann Soder – der Mann von der Werkbank

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SCHWERPUNKT: FEHLER

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Bei SEW wird jede Montage-Insel einmal im Jahr Opfer einerkreativen Zerstörung. Die kreativen Zerstörungsseminare dauernzunächst drei Tage, später folgen noch einmal zwei Tage. Jeder,der etwas weiß, ist willkommen: Werker, Meister, Manager, dieSchlosser, die die Montage-Insel später neu aufbauen sollen. DasZiel: zügiger arbeiten, noch weniger Fehler machen – bei besse-ren Arbeitsbedingungen.

„Man muss nicht alles krampfhaft anders machen“, sagt Markus Reichert, 33. Reichert ist Berater der firmeneigenen Wie-pro-Consulting und Moderator der jährlichen Optimierungssemi-nare. Zerstören, sagt er, das sei eher ein Schlagwort. „Man darfdie Dinge auch so lassen, wie sie sind – aber nur nach eingehen-der Prüfung.“

Dafür baut Reichert mit seinen Seminaristen Montage-Inselnaus Pappkartons nach, die genauso groß sind wie die Originale.„Daran kann man in Ruhe ausprobieren“, sagt Reichert. Wie lange läuft man von einem Punkt zum anderen? Was passiert,wenn der Monitor weiter oben hängt? Klebepistole lieber nachrechts, Presse nach links? Brauche ich wirklich zwei Scanner? Kön-nen wir nicht Kombi-Etiketten nehmen? Alles Kleinigkeiten, aberzehn Prozent Produktivitätssteigerung sind locker drin. Wird eineganz neue Insel geplant, können es bis zu 40 Prozent sein. „Soentsteht Geschwindigkeit“, sagt Reichert. „Prozesse optimierenstatt Daumenschrauben ansetzen.“

Nicht nur die Suche nach neuen Lösungen, sondern auch derBeschluss über das, was letztlich verändert wird, wird im Kon-sens gefasst. Das ist insofern ungewöhnlich, weil sich Manager

und Meister etwas von Angelernten sagen lassen, die bei SEWdie Elektronikteile komplettieren.

Frauen wie Waltraud Stier, 50, die seit 19 Jahren Platinen,Stecker, Kontakte und Gehäuse zu Umrichtern vereint und ver-hindert hat, dass man ihre Insel so verengt, dass sie sich kaumbewegen kann, und die am Modulkasten eine Klappe durchsetz-te, sodass sie leichter zugreifen kann. „Wenn man sich traut, machtes Spaß“, sagt Waltraud Stier. „Es ist gut, wenn man seine Ideeneinbringen kann, zusammen mit anderen. Und wenn die dannnoch umgesetzt werden, ist das doch toll.“

Sie kennt noch die alte Fabrik. „Primitiv war das, Berge vonPappkartons und Material überall, man musste sich alles zusam-mensuchen.“ Die ersten Seminare sah sie kritisch. „Ich dachteerst: Danach muss ich schaffen wie ein Ochs’.“ Sicher, im Zugeder ständigen Optimierung sei die Arbeit mehr geworden, derDruck sei gestiegen. „Aber heute ist die Arbeit fließender, allesläuft, es ist aufgeräumt. Das ist schon optimal – auch für einenselbst. Und hier bleibt niemand auf der Strecke. Die Zeitvorga-ben sind immer noch in Ordnung.“

Das SEW-Modell der Mitarbeiterbeteiligung an der Produk-tionsplanung zwingt auch die Unternehmensleitung zu Zuge-ständnissen. An Wissen der Mitarbeiter zu kommen, vorgeblich,um ihnen die Arbeit zu erleichtern, aber in Wirklichkeit nur umWege zu finden, sie noch weiter unter Druck zu setzen – dasfunktioniert nicht. SEW hat erkannt, dass Balance notwendig ist.Maschinen und Prozesse sind für alle in der Branche gleicherma-ßen verfügbar, nicht aber die Menschen. Wer langfristig besser seinwill, muss das bessere Personal haben. Optimierung im Sinne vonSEW funktioniert nur mit Mitarbeitern, die mitdenken wollen –also muss man sie gut behandeln. „Rein rechnerisch könnte ichbei den Stückzahlen noch mehr draufsatteln“, sagt Johann Soder,„aber dann kriege ich Widerstand.“

Soder findet es akzeptabel, dass die Arbeiter in der Produk-tion zuweilen schon eine halbe Stunde vor Schichtende ihr Pen-sum geschafft haben. „Niemand kann jeden Tag Höchstleistungbringen. Deshalb kann man eine Produktion auch nicht so pla-nen, als gäbe es keine guten und schlechten Tage.“

Soder denkt an morgen, übermorgen, kommendes Jahr, daran,dass er das Vertrauen seiner Leute braucht, damit sie ihm ihr Wis-sen geben in der Gewissheit, dass er sie nicht übers Ohr hauenwird. „Optimierung ist zu 30 Prozent eine Sache der Betriebs-kultur. Also muss auch ich mich entsprechend verhalten. Wennich heute zwei Teile mehr schaffe, müssen es morgen vier sein –dieses Misstrauen zum Beispiel ist bei den Mitarbeitern mitunternoch da. Aber das gibt es bei mir nicht. Die Vorgaben werdennicht erhöht, solange wir das nicht gemeinsam beschlossen haben,und zwar nach einer Investition.“ Also nach einer Optimierung,die die Arbeitsbedingungen wirklich verändert hat.

Zur Konsequenz des Miteinanders gehört auch: Automatisie-rung ist keine Bedrohung. Soder nutzt Technik, um MenschenIch bastle mir einen Arbeitsplatz – Montage-Insel aus Pappe 33

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frei zu machen für neue Aufgaben. SEW habe schon ewig nie-manden mehr betriebsbedingt entlassen. Maschinen übernehmenArbeiten, bei denen man nicht viel denken muss – pressen, schrau-ben, löten. Der Mensch aber bleibt das flexibelste Werkzeug. Deshalb wird oft per Hand bestückt, obwohl ein Roboter dieseArbeit erledigen könnte – wenn da bloß nicht der ständige Pro-duktwechsel wäre. Ein Roboter kann nicht so einfach umpro-grammiert werden, wie ein Mensch umdenkt. Auch deshalb karrtnoch immer ein Mensch mit seinem Elektrowägelchen das Material an die Montage-Inseln. Woanders gleiten transponder-gesteuerte Transporter führerlos durch die Hallen. Und bleibenauf der Strecke, sobald sich das Anlagendesign verändert. Oderschlimmer noch: Sie verhindern, dass sich etwas ändert. Bei SEWnimmt der Fahrer einfach eine andere Route.

Ständige Verbesserung funktioniert nur im Kollektiv. Eine neue Erkenntnis für viele Manager

Die Optimierungsstrategie setzt nicht auf den schnellen Effekt. Esgeht nicht um Kostenblöcke, sondern ums Prinzip: Intelligenz desSchwarms, kleine Einheiten, Eigenverantwortung, stetes Infrage-stellen dessen, was ist. Nicht darauf warten, dass ein Fehler auf-fällt, sondern gezielt danach suchen. Nur machen, was Sinn hat,das aber konsequent. Möglichst im Konsens.

Ohne Widerstand geht es allerdings nicht ab. Weniger bei denWerkern selbst, meint Johann Soder, sondern eher im mittlerenManagement – also dort, wo in einem System umfassender Beteiligung der größte Machtverlust droht. Für Soder ist dieserWiderstand Folge eines veralteten Verständnisses von Manage-ment. „Viele Führungskräfte sind gierig nach Troubleshooting,weil sie dann nicht denken müssen. Wir aber brauchen hier Men-schen, die genau das tun – nachdenken über die Zukunft.“

Wer sich freimacht vom alten Denken, merkt schnell, wie ent-lastend die Beteiligung von Mitarbeitern an der Prozessgestaltungwirkt. Fehler findet jeder mal, ständige Verbesserung aber ist eineSache des Kollektivs. Eine neue Erkenntnis für viele Führungs-kräfte. Auch Andreas Kohl hat eine Weile gebraucht, um sich andas System zu gewöhnen. Kohl, 50, ist Werkleiter Logistik im Getriebemotorenwerk Graben-Neudorf nahe Bruchsal. Das Werksteckt mitten im Umbau von der Linie zu Inseln, Verantwortlich-keit und Optimierungsseminaren. Kohl hat die Fabrik 1983 mitentworfen – nun gilt sie als veraltet.

„Interdisziplinäre Teams, Kartonwelten – heute ist das fürmich der Haupterfolgsfaktor. Dabei ist es der absolute Gegensatzzu der Welt, aus der ich komme“, sagt Kohl. Der Wirtschafts-ingenieur war früher Leiter der Zentralen Arbeitsvorbereitung,die für die deutschen Werke fleißig plante – und die Johann Soder umgehend auflöste. Kohl ließ sich auf Pilotprojekte nachdem Vorbild der Elektronikfertigung ein. Das war’s dann mit demalten System. „Ich habe noch kein Optimierungsprojekt ohne

eine Produktionssteigerung von mindestens 20 Prozent gesehen“,sagt er. Geplant war sein Werk für 1800 Antriebe pro Tag. Schonjetzt sind es 2500. Zahlen sind jedoch nur die halbe Wahrheit –und vielleicht ist sogar die andere Hälfte noch wichtiger, wennein Unternehmen weg will von der starren Linie hin zur Insel undeinem System, in dem die Mitarbeiter Entscheidungsfreiheit bekommen. Wenn es Gewissheit darüber erlangen will, ob dieserWeg richtig ist.

Die andere Hälfte ist ungewohnt für einen Manager. „Ich kom-me heute lieber zur Arbeit als früher.“ Sagt Andreas Kohl, und ersagt das nicht einfach so. Warum es so ist? „Sicher, ich muss mitnoch mehr Leuten reden, manchmal fühle ich mich wie in einemDebattierklub. Aber alle Beteiligten haben jetzt mehr Gefühl fürund mehr Kenntnis über die Arbeitsinhalte und Ziele. So lassensich Fehler leichter korrigieren. Und es ist eine transparente Sache – da kann sich niemand nur selbst optimieren, sondern jeder muss auch an die anderen denken.“ Kohl hat erkannt, wieviel ihm das bringt. „Ich empfinde das als Machtgewinn. Ich kannauch mal von bestimmten Dingen lassen. Und trotzdem erreicheich meine Ziele schneller.“

SEW setzt gerade zum nächsten Sprung an. Am Stammsitzin Bruchsal entsteht vom kommenden Jahr an eine neue Fabrikfür große Industriegetriebe. So sitzt die SEW-Entwicklung gleichnebenan – ein wirtschaftlicher Vorteil, der nur möglich ist, weildie Mitarbeiter die Produktivität der Werke nach oben trimmen.Tschechien blieb außen vor. Dafür bekommt das deutsche Hoch-lohnland rund 200 neue Arbeitsplätze. --

Waltraud Stier – die Frau, die sich traut und der es Spaß macht

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SCHWERPUNKT: FEHLER _SEW-EURODRIVE

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SCHWERPUNKT: SPITZENKRÄFTE _FIRMEN-WIKIS

Ein Chef, dem kein Zacken aus der Krone fällt, wenn er verbessert wird: Frank Roebers

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SCHWERPUNKT: SPITZENKRÄFTE

DIE GLÄSERNE FIRMA

Der Chef ist nicht automatisch der Schlaueste.Aus dieser Erkenntnis hat Frank Roebers, Vorstandssprecher der Synaxon AG,

eine radikale Konsequenz gezogen: In seinem Unternehmen darf jeder jederzeit jede Regel ändern.

Text: Jens Bergmann Foto: Olaf Fippinger

Machte aus seiner Neben- die Hauptbeschäftigung: Wiki-Guard Frederic Hahn

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SCHWERPUNKT: SPITZENKRÄFTE _FIRMEN-WIKIS

• Der Vorstandssprecher Frank Roebers sieht nicht nur aus wieein großer Junge, er kann sich auch wie einer begeistern. Stolz erlaubt der 39-Jährige in den Bielefelder Firmenräumen Einblickein das neue zentrale Nervensystem der Synaxon AG. Die bietetFranchise-Systeme und andere Kooperationsmodelle für rund2700 Computerhändler und bündelt deren Einkaufsmacht. DasGehirn des Unternehmens funktioniert wie die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia, an der jedermann mitschreiben kann.Das Wissen der Firma ist in einer Artikel-Sammlung auf derzeitrund 5200 Seiten versammelt – von den Verträgen mit Koope-rationspartnern und Lieferanten bis zu Stellenbeschreibungen derAngestellten. Von Prozessbeispielen bis zur Dokumentation allerlaufenden Projekte. Von einer Liste mit Fachbegriffen bis zu denSpielregeln bei Synaxon.

Mithilfe von Suchbegriffen kann jeder in der Firma das Wikidurchforsten und das gesammelte Wissen anzapfen – bis auf einen kleinen Bereich, der Führungskräften vorbehalten ist und wo unter anderem strategische Fragen diskutiert werden. Jeder kannfast alles erfahren. Und jeder kann, wie bei Wikipedia, jeden Bei-trag kommentieren oder verändern: Ein Klick auf den „Bearbei-ten“-Button genügt. So war beispielsweise eine Mitarbeiterin mitder für den Paketversand zuständigen Firma unzufrieden und for-mulierte die entsprechende Regel im Wiki gemeinsam mit einerAuszubildenden um: Ab sofort wird ein neuer Versender beauf-tragt. Eine Änderung mit Konsequenzen, weil mit dem bisheri-

gen Paketdienst ein konzernweiter Vertrag bestand. Roeberssprach mit seiner Kollegin über die Gründe für die Regeländerung,erkannte sie als sinnvoll, und so hat sie Bestand: Der neue Ver-sender wird beauftragt, bis der alte die Probleme im Griff hat.

In den 16 Jahren, in denen er bei Synaxon arbeitet, habe erkeine solche Veränderung wie die durch das Wiki erlebt, sagtRoebers. Er schwärmt von einer „Kulturrevolution“. Und ist sicheinig mit dem in Kalifornien lebenden Schweizer Computeringe-nieur Peter Thoeny, der als Vordenker von Firmen-Wikis gilt:„Wikis machen Organisationen flacher und anarchischer, auchweil es hier keinerlei exklusive Informationen gibt. Alles wird geteilt.“

Selbstverständlich wäre das Problem mit dem Postversandauch ohne das Mitmach-Netz zu lösen gewesen. Beispielsweisehätte die Angestellte ihren Vorgesetzten darauf ansprechen oderihm eine Mail schicken können. Möglicherweise hätte der sich umdie Sache gekümmert. Möglicherweise aber auch nicht, aus Zeit-mangel oder weil er Besseres zu tun gehabt hätte. Dann wäre sieenttäuscht gewesen und hätte sich weiter über den Paketdienstgeärgert. So etwas passiert in den meisten Firmen tagtäglich, führtzu Frust und dazu, dass wertvolles Wissen brachliegt.

Dieses Phänomen hatte Roebers, der eine Firma leitet, die wesentlich von der Produktion und vom Verkauf von Know-howlebt, schon lange gestört. Er blättert weiter durch das Synaxon-Wiki, in dem sich alle Mitarbeiter auch auf eigenen Homepagesmit Foto, Lebenslauf und Hobbys darstellen können. Von Roe-bers erfährt man unter anderem, dass er Triathlet ist und Reserve-offizier bei der Bundeswehr, was auf ein gewisses Durchhalte-vermögen und Durchsetzungsfähigkeit schließen lässt.

Die Bundeswehr hat ihren eigenen Anteil an Roebers’ Kul-turrevolution. Bei einer Wehrübung vor anderthalb Jahren erfuhrer, dass die Armee – die auch nicht mehr ist, was sie mal war –auf den sogenannten Kontinuierlichen Verbesserungsprozess setzt,auf Ideen von unten also. Der Oberleutnant der Reserve machtedie Probe aufs Exempel und reichte einen Verbesserungsvorschlagein. Reaktion: keine. Für Roebers Anlass, über das Problem nach-zudenken, das fast alle Organisationen haben: Sie passen sichnicht schnell genug an die sich verändernde Umwelt an. Die Men-schen in diesen Organisationen merken das bei ihrer alltäglichenArbeit und wissen häufig auch, wie das zu ändern wäre, dringenaber – trotz Kontinuierlichem Verbesserungsprozess, Betriebli-chem Vorschlagswesen etc. – meist nicht zu den Entscheiderndurch. Die Folge ist eine Kultur des sich Durchwurschtelns.

Roebers hat dieses Phänomen auch in der eigenen Firma beobachtet. „Ich formuliere Regeln und stelle irgendwann fest,dass sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht eingehaltenwerden. Was soll ich tun? Eine Revisionsabteilung gründen, dieregelmäßig alles kontrolliert? Oder die Dinge laufen lassen undirgendwann den Überblick verlieren über das, was wirklich in derFirma passiert?“

Freut sich über mehr Durchblick: die PR-Frau Alexandra Linck

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Die Ursache, erkannte Roebers, ist, dass Wissen nicht schnellgenug dorthin fließt, wo es nützt. Und weil er den Sachen gernauf den Grund geht, überlegte er, wie das zu ändern wäre. Unteranderem erkundigte er sich in einem Arbeitskreis von Managernaus verschiedenen Unternehmen, die sich mit Six Sigma beschäf-tigen, einer mathematischen Qualitätsmanagementmethode. Alledort kannten das Problem des schleppenden Wissenstransfers. Ineinigen Firmen hatte man es durch die Einführung mehr oderminder komplizierter Wissensmanagement-Software mit je nachHierarchie-Ebene unterschiedlichen Zugriffsrechten zu lösen ver-sucht. Vergeblich. Die einhellige Erfahrung war, dass die Leute solche Hilfsmittel nicht nutzen.

Nach diesen ernüchternden Auskünften entdeckte Roebers imInternet ein Gratis-Wissensmanagementsystem, das prima funktio-niert: Wikipedia. An der für jedermann zugänglichen Online-Enzyklopädie arbeiten Tausende Freiwillige ohne Bezahlung mit.Gemeinsam haben die Wikipedianer in erstaunlicher Geschwin-digkeit ein Lexikon geschaffen, das mit der Encyclopaedia Britan-nica mithalten kann. Der Berater Alexander Kornegger, der Syn-axon bei der Einführung des Firmen-Wikis unterstützt hat, sprichtvon „einem konkreten Ausdruck kollektiver Intelligenz“.

Um herauszufinden, wie und warum Wikipedia so gut funk-tioniert, betätigte sich Roebers im vergangenen August „mit zit-ternden Fingern“ selbst als Autor. Er schrieb einen Artikel überein Thema, mit dem er sich gut auskennt: die Qualitätsmanage-mentmethode Six Sigma. Der Artikel sei gut gewesen, sagt Roe-bers, aber das Layout schlecht, weil er sich damals noch nicht mitdem für ihn ungewohnten Wiki-Editor auskannte. Roebers beob-achtete, was passierte: Fünf Minuten nach Beenden seines Arti-kels hatte irgendjemand den Text in Form gebracht. 20 Minutenspäter war er mit Links versehen. Es folgten in kurzer Zeit rund20 weitere Editionen und Diskussionsbeiträge, die, so Roebers,„alle sinnvoll waren“. Mittlerweile gibt es rund 500 Anmerkun-gen zu und Veränderungen an Roebers Text.

Der Vorteil eines Wikis: Es ist einfach zu bedienen, und man muss niemanden fragen

Warum machen sich so viele Leute so viel Arbeit?Weil sie sich auf unkomplizierte Weise nützlich machen kön-

nen. Und weil diese Leistung sichtbar und damit anerkannt wird.Auf Knopfdruck werden alle, die an einem Artikel mitgearbeitethaben, mit ihrem jeweiligen Beitrag angezeigt und können sichauf ihrer individuellen Wikipedia-Homepage zusätzlich selbst dar-stellen. Von einem Autor, der fleißig zu Roebers Six-Sigma-Textbeigetragen hat und unter dem Namen „Wikipediamaster“ fir-miert, erfährt man etwa, dass er Wirtschaftsingenieur in Frankenist und sich für erotische Fotos interessiert.

Roebers war fasziniert und beschloss, bei Synaxon ein Wikieinzuführen. Technisch war das kein Problem, weil die Software

frei ist. Widerstände gab es in der Firma trotzdem, unter ande-rem von IT-Leuten und einigen Führungskräften. Mancherbefürchtete, dass die Idee der kollektiven Firmenintelligenz imChaos enden würde. Doch Roebers ließ sich nicht beirren: Im vergangenen Oktober wurde das Firmen-Wiki eingeführt. Übermehrere Wochen hinweg gaben alle alles Wissenswerte in einergemeinsamen Kraftanstrengung in das System ein. Jeder Mitar-beiter ist seitdem angehalten, das, was er tut, im Wiki zu doku-mentieren, was nicht alle toll finden, weil es erst einmal Mehrar-beit bedeutet – und auch mehr Kontrolle. Roebers geht mit gutem Beispiel voran und arbeitet konsequent firmenöffentlich.Mittlerweile sei das Wiki ein Arbeitsmittel, das viele ganz selbst-verständlich nutzen.

Die Hemmschwelle für Nutzer ist gering, hat auch Tim Bar-tel, Betriebswirt an der Universität zu Köln, bei einer Befragungvon Mittelständlern nach ihren Erfahrungen mit Wikis herausge-funden. Die wesentlichen Vorteile von Wikis sind demnach ihreleichte Bedienbar- und Durchschaubarkeit: Jede Änderung an ei-nem Beitrag wird sofort sichtbar. Man muss nicht fragen, sondernkann einfach machen. Deshalb, so Bartel, könnten anders als beivielen komplizierten Wissensmanagement-Systemen Mitarbeiter„einfacher motiviert werden, ihr Wissen einzubringen“.

Allerdings sind Wikis kein Wundermittel. Wo tiefgestaffelteHierarchien, Fürsten mit Herrschaftswissen und ein Klima derAngst vorherrschen, nutzt das schönste Mitmach-Netz nichts.

Ist fasziniert von der Intelligenz des Systems: der IT-Leiter Frank Weber

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Bei der Synaxon AG waren die Voraussetzungen gut. Mit 140Mitarbeitern und lediglich zwei Führungsebenen (Vorstände undAbteilungsleiter) ist das Unternehmen übersichtlich. Mehr als 80Prozent der Mitarbeiter sind Akademiker; Berührungsängstegegenüber EDV hat kaum jemand. Nicht zuletzt gibt es viel for-malisierbares Wissen und festgelegte Abläufe, die gut dokumen-tiert werden können.

Dass nach der Installierung des Wikis keine Anarchie ausge-brochen ist, liegt einerseits daran, dass alle Beiträge namentlichgezeichnet werden müssen. Und an der fehlertoleranten Wiki-Technik: Alle Versionen eines Beitrags lassen sich auf Knopfdruckwiederherstellen; im Falle von Vandalismus geht also keine wich-tige Information verloren.

Dennoch hat sich eine Menge geändert bei Synaxon. Vor allem sei die Firma transparenter geworden, sagt die PR-Frau Alexandra Linck: „Ich weiß viel mehr über das, was meine Kol-legen in den einzelnen Abteilungen machen, als früher.“ Auch

gebe es mehr Diskussionen: „Leute, die sich früher nie getraut hät-ten, etwas zu sagen, nutzen das Wiki, um ihre Meinung kundzu-tun.“ So stieß ein Buchhalter eine Diskussion über das Beurtei-lungssystem an. Bei Synaxon werden alle Mitarbeiter halbjährlicheingestuft: A bedeutet prima, B okay und C, dass der Job in Gefahr ist. Die Menschen in die Kategorien Schwarz, Weiß undGrau einzuteilen sei nicht in Ordnung, schrieb der Buchhalter. ImErgebnis wurden Details des Beurteilungssystems geändert, beider Einteilung blieb es aber.

Auch wenn sich nicht jeder mit jedem Veränderungsvorschlagdurchsetzen könne, werde sich viel offener auseinandergesetzt, findet auch der IT-Leiter Frank Weber. „Ein Teil des Flurfunks hatsich ins Wiki verlagert.“ Gleichzeitig erleichtere es Kommunika-tion: Jeder in der Firma kann die für ihn relevanten Wiki-Seitenauf seine Beobachter-Liste setzen und wird dann automatischüber Änderungen auf diesen Seiten informiert. „Die kann manganz schnell überfliegen – das ist viel effektiver, als E-Mails

Ein kleiner Nachteil des Wikis: Weil sich ein Teil des Flurfunks dorthin verlagert hat, gibt es nur noch wenige Gründe, den Schreibtisch zu verlassen

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auszutauschen“, sagt Weber. Ihn fasziniert vor allem die Intelli-genz des Systems: „Die Mitarbeiter haben mehr als die Hälfte derRegeln hier im Unternehmen geändert – und alle Änderungen erwiesen sich als sinnvoll.“

Die neue Transparenz bei der Arbeit ist faszinierend. Und für manche auch beängstigend

So wurde etwa das Verbot des privaten Internetsurfens durcheine lebensnähere Vorschrift ersetzt: In den Arbeitspausen ist eserlaubt, solange Pornoseiten und andere inkriminierte Inhalte gemieden werden. Woraufhin jemand die Frage aufwarf, ob pri-vates Surfen nicht als geldwerter Vorteil zu versteuern wäre – wasnach einigem Hin und Her verneint wurde.

Ufern solche Diskussionen nicht aus? „Nein“, sagt Roebers.„Das regelt sich von selbst. Außerdem“, fährt er mit einem Zwin-kern fort, „weiß ich jetzt, wen ich künftig beim Thema geldwerteVorteile ansprechen kann.“

Die Wiki-Idee ist die eines sich selbst regulierenden Systems.„Entscheidend ist, dass nicht zu viele Vorgaben gemacht wer-den“, sagt Peter Schütt, Leiter Wissensmanagement der IBM Soft-ware Group Deutschland, wo man schon seit einiger Zeit auf dieTechnik setzt. „Am besten hat irgendwer eine spinnerte Idee, unddie wird dann kritisiert und weiterentwickelt. Zwar sind mancheKommentare Verschlimmbesserungen. Aber insgesamt schaukeltsich das Ganze qualitativ immer hoch.“

Entscheidend dabei sind Vorbilder, die einen gewissen Stil prägen – Chefs wie Roebers, die selbstbewusst genug sind, sichverbessern zu lassen. Angst davor, an Autorität zu verlieren undzum „Grüß-August mit Haftungszulage“ zu mutieren, hat er nicht.Allerdings ist er davon überzeugt, dass Instrumente wie das Wikialthergebrachte Hierarchien infrage stellen. „Auf lange Sicht wirdWissen Macht schlagen, es wird eine neue Elite entstehen.“ Imeigenen Unternehmen fielen ihm dank des Wikis bereits neue Talente auf. Eines ist Frederic Hahn, der unter anderem für dieBetreuung der Partnerbetriebe zuständig war – und sich nachFeierabend als Wikipedia-Autor betätigt. Dort hat er an Artikelnüber Obstbaumschnitt, Anagramme und die Kunst, störende Geräusche des Computers zu unterdrücken („Silencing“) mitge-arbeitet. Vom Firmen-Wiki war er begeistert und stürzte sich indie Arbeit, was Roebers auffiel, der ihm den Job des Wiki-Guardsverschaffte. Hahn soll das Firmen-Gehirn pflegen, auf Qualitätachten, neue Projekte initiieren und seine Kollegen motivieren, ihrWissen preiszugeben. Er hat den Eindruck, dass manche dies mitgemischten Gefühlen tun, weil sie fürchten: Wenn jeder weiß,was ich tue, bin ich auch leicht zu ersetzen. Hahn sieht es so: „DieZeiten, in denen es ausgereicht hat, auf seinem Wissen zu sitzenund so seine Stelle abzusichern, sind vorbei.“

Techniken wie die Wikis sorgen für bislang ungeahnte Trans-parenz in Arbeitsbeziehungen: Jeder kann sehen, was jeder leistet.

Und sie erlaubt eine viel effektivere Zusammenarbeit, die Unter-nehmen erhebliche Wettbewerbsvorteile verschaffen kann. Das istRoebers’ langfristiges Ziel, deshalb ist er bei seiner Arbeit an dergläsernen Firma noch ein paar Schritte weitergegangen: Nebendem Wiki für Synaxon gibt es eines für den engeren Kreis derFranchise-Nehmer und eines für den weiteren Kreis der Partner-Firmen. Auch sie können mit ihren Beiträgen Einfluss auf die gel-tenden Regeln der Zusammenarbeit nehmen: eine für die auf strik-te Vorgaben und eine klare Aufgabenteilung beruhende Franchise-Branche unorthodoxe Idee. Die Beteiligung der Partner ist nochschleppend, deshalb macht der Berater Alexander Kornegger imAuftrag Synaxons derzeit bei ihnen Wiki-Werbung.

Roebers will die Beiträge der Partner auch honorieren. Er beziffert den Wert des Know-hows, das Synaxon ihnen liefert, aufjährlich 500 000 bis 700 000 Euro – wenn die Partnerfirmen zudiesem Wissen etwas beitrügen, hätten sie Anrecht auf einen gerechten Anteil. Den Glaubenssatz der Open-Source-Gemeinde– alle arbeiten gratis – hält Roebers für überholt. Auch diese Er-kenntnis hat er im Netz gewonnen. Dort tummelt er sich in dervirtuellen Welt von „Second Life“ und hat festgestellt, dass dieNeulinge dort vor allem eine Frage beschäftigt: wie man Geld ver-dienen kann. Roebers hat schon eine Idee: Er will eine virtuelleGalerie in der zweiten Welt gründen. --Weitere Informationen über Firmen-Wikis: www.twiki.org

Und hier steht es, das unscheinbare Firmengehirn

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SCHWERPUNKT: BILDUNG _UNTERNEHMEN UNIVERSITÄT

Die große MaschineUniversitäten sind träge Apparate.

Unternehmerisches Denken könnte sie in Schwung bringen.Ohne dass der Ausverkauf der Wissenschaft droht.

Text: Ralf Grötker Foto: Thomas Eugster

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Neue Ideen entstehen im Gespräch: Professor Randolph Nesse mit einem Kollegen

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SCHWERPUNKT: BILDUNG

• „Worüber haben Sie Ihre Ansichten geändert?“ So lautete dasThema, das die Wissenschaftsorganisation Edge Foundation beiihrer jüngsten Umfrage einem ausgewählten Kreis internationalbekannter Forscher stellte. „Früher habe ich geglaubt, dass Uni-versitäten eine bevorzugte Heimstatt der Wahrheit seien“, ant-wortete Randolph Nesse, Professor für Psychologie und Psy-chiatrie an der University of Michigan und einer der Befragten.Heute sehe er das anders: „DieKommissionen an den Fakultä-ten geben sich alle Mühe, dafürzu sorgen, dass die meisten Stel-len mit Leuten wie ihnen selbstbesetzt werden. Neue Forschungs-gebiete, die etablierte Dogmeninfrage stellen, haben keineChance, durch die Maschen die-ses Siebes zu schlüpfen.“

Nesse urteilt aus eigener Erfahrung: Anfang der neunzigerJahre hat er eine eigene For-schungsrichtung begründet. Der„darwinistischen Medizin“, wie erseinen fachübergreifenden Ansatzgenannt hat, geht es um Ant-worten auf die großen Fragen:Warum werden wir kurzsichtig?Warum gibt es Alzheimer? Wa-rum Krebs? Wozu 2,5 MillionenJahre menschlicher Evolution,wenn all diese Handicaps, Leidenund Krankheiten immer nochexistieren?

Ein ganz neues Paradigma im wissenschaftlichen Spartenbetriebdurchzusetzen ist sicherlich nichteinfach. Doch Nesse steht damitnicht allein. Überall beklagen Wissenschaftler, dass das akademi-sche System innovative und selbstständige Forschung durch kom-plexe und undurchsichtige Praktiken bei der Vergabe von Stellen und Mitteln erschwere. In Deutschland kommt dazu der Unmutüber eine chronische Unterfinanzierung in allen Bereichen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern oder den USA. Während etwa die ETH Zürich pro Jahr und Student einen Etatvon ungefähr 45 000 Euro zur Verfügung hat, sind es an einerdeutschen Vorzeige-Universität wie der TU München gerade einmal 14 000 Euro.

Wie ist der akademischen Welt zu helfen?

Nun gibt es eine Form der Organisation, die es wohl besserals das universitäre System vermag, Kapital herbeizuschaffen,Ressourcen wirksam einzusetzen und zu einem akzeptablen PreisErgebnisse abzuliefern: das private Unternehmen. Doch die Wis-senschaft funktioniert nach anderen Gesetzen als die Wirtschaft.In der Forschung zählen neue Erkenntnisse und die Anerkennungder wissenschaftlichen Gemeinschaft in Form von Auszeichnun-

gen, Jobangeboten und Einla-dungen zu wichtigen Kongressenmehr als finanzieller Gewinn.

Dass neue Erkenntnisse im-mer richtig sein müssen, folgtdaraus nicht: So ist es zum Bei-spiel üblich, dass über wissen-schaftliche Experimente nur imErfolgsfall in Fachpublikationenberichtet wird. Negativ-Ergeb-nisse fallen unter den Tisch. Randolph Nesse erklärt das amBeispiel des Zusammenhangszwischen Stresshormonen undDepressionserkrankungen. „In allen Übersichtsartikeln zumThema, die ich gelesen habe, gehen die Experten davon aus,dass zwischen Depression undStresshormonen ein Zusammen-hang besteht. Aber in der Pri-märliteratur konnte ich nichts davon bestätigt finden.“

Wie kann das sein? Möglich,dass wirtschaftliche Interessenvon Antidepressiva-Herstellernhier mit hineingewirkt haben,vermutet Nesse. „Aber in derHauptsache wird es daran liegen,

dass die meisten Forscher, die ihr Leben damit zugebracht habenzu zeigen, wie durch Stress Depressionen verursacht werden, diepositiven Ergebnisse am überzeugendsten fanden und die nega-tiven einfach uninteressant.“

Es führt also vermutlich nicht weiter, den Gegensatz zwischeneiner der Wahrheit verpflichteten Wissenschaft und einer demProfit nachjagenden Wirtschaft zu betonen. Vielleicht sollte manlieber überlegen, wie Wissenschaftler als Wissenschaftler unter-nehmerisch handeln können?

David Audretsch ist ein Fan von allem, was mit Gründung und Innovation zusammenhängt. Dabei ist er, ähnlich wie

Randolph Nesse stellt große Fragen:„Warum werden wir kurzsichtig? Warum gibt es Alzheimer?“

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SCHWERPUNKT: BILDUNG _UNTERNEHMEN UNIVERSITÄT

Randolph Nesse, jemand, den man selbst als einen Wissenschafts-Unternehmer bezeichnen könnte. Seit bald fünf Jahren baut er als Direktor am Max-Planck-Institut für Ökonomik in Jena einenForschungszweig auf, den es in dieser Form in Deutschland bis-lang nicht gegeben hat: Entrepreneurship Studies. Audretsch erforscht, wie Innovation zustande kommt und welche die Mechanismen sind, mit denen Wissen aus der universitären For-schung in die Wirtschaft ‚über-springt‘ (vgl. brand eins 08/2004).Ob er schon einmal darübernachgedacht hat, inwiefern wis-senschaftliche Tätigkeit selbst als unternehmerisch begriffenwerden kann?

„Gerade vergangene Wochewar ich bei einer Veranstaltungan der Colorado State Univer-sity“, fängt Audretsch an zu er-zählen. „Dort haben die Leutedarüber geredet, dass das ‚Über-springen‘ von Wissen aus derHochschulforschung in die Un-ternehmen viel weniger wichtigsei, als wir alle bislang angenom-men haben. Erfolgreiche Wissen-schaftler verhalten sich selbstunternehmerisch in der Art undWeise, wie sie auf neue Ideenkommen, sich um die Finanzie-rung ihrer Forschung kümmern,Mitarbeiter rekrutieren und ihreProjekte innerhalb der Wissen-schaft vermarkten.“

Audretsch hat auch eine Idee,wie es der Wissenschaft künftiggelingen kann, ihren Hang zurProduktion von ‚immer mehr vom Gleichen‘ zu überwinden:durch Wettbewerb. „Wissenschaftler, die sich trauen, abseits derüblichen Pfade zu denken, haben heute die Chance, ein Star zuwerden“, sagt der Ökonom. Zum einen hätten der zunehmendglobalisierte Markt für Forscher und die Internet-Kommunika-tion dazu geführt, dass innovative Wissenschaftler einen viel grö-ßeren Einfluss haben als früher. Gleichzeitig erschlössen sich neben den herkömmlichen Pfaden der akademischen Karriereneue Wege, Berühmtheit zu erlangen.

Der junge Ökonom Tyler Cowen zum Beispiel hat nicht alsVerfasser wissenschaftlicher Aufsätze Furore gemacht, sondern

als Betreiber des populären Blogs „Marginal Revolution“. Jemandwie Richard Florida (der Vordenker der „Kreativen Klasse“, vgl.brand eins 05/2007) ist nicht als Wirtschaftsprofessor, sondern als Buchautor, der sich an ein breiteres Publikum wendet, zuRuhm und Ehren gekommen. So wirkt Popularität in der Öffent-lichkeit am Ende zurück in die Fachwelt.

„Man muss sich die Wissenschaft wie eine große Maschinevorstellen“, sagt Audretsch. „Dagibt es ein großes Rad im Innern: Das ist die Idee der Wissenschaft um ihrer selbstwillen – das Basismodell derwestlichen Universitäten. Ring-förmig darum schließt sich einzweiter Kreis. Das ist die ange-wandte Forschung: Wissen, dasder Gesellschaft nützlich ist.“Wenn man sich einen historischgewachsenen Universitäts-Cam-pus wie den der Stanford Univer-sity anschaut, kann man sehen,dass er diesem Prinzip nachemp-funden ist: in der Mitte die tra-ditionellen Disziplinen, die derreinen Wissenschaft gewidmetsind, drum herum die neu er-schaffenen Institute, die sich mitangewandter Forschung befassen.

Um die Maschine der Wis-senschaft anzutreiben, sagt DavidAudretsch, brauche man beideRäder. Und dazu möglichst noch ein drittes, das die Verbreitungvon Wissen und Forschung zurAufgabe hat: Inkubatoren undForschungsparks, aber auch Insti-

tutionen wissenschaftlicher Politikberatung wie die Woodrow Wilson School oder die Hertie School of Governance in Berlin.

Die große Maschine Wissenschaft funktioniert jedoch nichtüberall gleich. Ausgerechnet in Deutschland haben die Kon-strukteure eine wichtige Funktion hinzugefügt: die Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Sie betreibt Avantgarde-Forschung. Die Wissenschaftler, die an den 78 Instituten der MPG arbeiten, sindvon den Verpflichtungen der akademischen Lehre entbundenund dürfen sich allein der Forschung widmen. Für Großprojek-te und technische Anlagen gibt es Mittel, von denen man an den Universitäten nur träumen kann. Das Wichtigste aber 3

David Audretsch beobachtet das Wissen beim Fließen und setzt auf

den Wettbewerb der hellsten Köpfe

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SCHWERPUNKT: BILDUNG _UNTERNEHMEN UNIVERSITÄT

ist, dass die MPG bei der Besetzung wissenschaftlicher Themenkonkurrenzlos flexibel agieren kann. Die Ausrichtung und derCharakter eines Instituts werden allein von den dazu berufenenDirektoren bestimmt – Menschen, die wie David Audretsch Forschungsfelder bis ins Detail definieren. Verlässt ein Direktordas Institut, wird seine Abteilung geschlossen. Ähnlich werdenauch ganze Institute dichtgemacht oder umgewidmet, sobald die von ihnen entwickelte For-schungsrichtung den Mainstreamerreicht hat.

Nirgendwo sonst in Deutsch-land gibt es, gerade für junge Forscher, solche Freiräume undMöglichkeiten wie an den Max-Planck-Instituten. Nirgends sonstwird so viel und langfristig inneue Ansätze investiert, von de-nen völlig unklar ist, ob sie sichjemals werden bewähren kön-nen. Dies alles ist ein ungeheurerGewinn. Man könnte aber auchsagen: Deutschland hat Inno-vation und wissenschaftlichesUnternehmertum von den Uni-versitäten zu den Max-Planck-Instituten verlagert.

Die Forscher, die zu weitausschlechteren Bedingungen anden Universitäten arbeiten, sehensich einer unfairen Konkurrenzausgesetzt. „Immer wieder rekru-tiert die Max-Planck-GesellschaftSpitzenleute aus gut organisiertenund erfolgreichen Universitäts-instituten, um ihre eigenen Po-sitionen zu besetzen“, klagtenkürzlich einige Professoren in einem Beitrag in der »FrankfurterAllgemeinen Zeitung«. Die Zweiteilung des deutschen Wissen-schaftssystems stellten sie infrage: Diejenigen „Max-Planck-Insti-tute, deren Forschungsaktivitäten parallel zu jenen an Universi-täten laufen oder laufen könnten“, so die Forderung, sollten „inunser Universitätssystem eingebunden werden“. Ob das eine guteIdee ist?

Einerseits ist die Konzentration auf die reine Forschung, wiesie in Deutschland den Max-Planck-Instituten gewährt wird, inter-national eine Besonderheit. An amerikanischen Elite-Universitätenwird gelehrt und geforscht. Auf der anderen Seite ist aber auch

das betont homogene deutsche Universitätssystem ein speziellerFall. Wo es wenig Möglichkeiten zur Differenzierung gibt, lassensich wenig wahrnehmbare Effekte produzieren. „Wenn man obenGeld hineinwirft, macht es unten nicht einmal ein Geräusch“ –so soll ein früherer Kanzler der TU München, Ludwig Kronthaler,die Malaise deutscher Universitäten beschrieben haben.

Für potenzielle Geldgeber ist das System nicht besonders attraktiv. „Niemand investiertgern in Universitäten, die einfachnur den Status quo aufrechter-halten wollen“, sagt David Au-dretsch. „Aber wenn man mitseiner Forschung gesellschaft-liche Probleme wie Umwelt-schutz, Ernährung oder Migra-tion anspricht, kann man schonleichter Förderer gewinnen.“

Ähnlich denkt auch StephanGutzeit, ein bedachtsam spre-chender und seriös auftretenderjunger Mann, der vor einigen Jahren, fast noch als Student, inBerlin ein eigenes College ge-gründet hat: das European Col-lege of Liberal Arts, ECLA. Ersagt: „Die Unis müssen deutlichmachen, wie sie für eingesetztesGeld wirklich Veränderungenschaffen. Dann werden sie Leutedazu bringen, sich als Mäzene zu engagieren, die das bisher niegetan haben.“ Junge Menschenaus aller Welt sollen am ECLA in den Genuss eines Studiumskommen, wie Gutzeit selbst es in den USA erlebt hat: Lektüre

humanistischer Klassiker, intensive Diskussionen und gute Be-treuung – als Startkapital für eine spätere Karriere in Wirtschaft,Politik oder Wissenschaft. Mittlerweile wird das ECLA im Allein-gang von einer New Yorker Stiftung betrieben. Stephan Gutzeitarbeitet heute im Vorstand einer 2005 gegründeten und von derUnternehmerin Johanna Quandt getragenen Stiftung, die am Ber-liner Universitätsklinikum Charité angesiedelt ist.

Die Stiftung, erklärt Gutzeit, versteht sich als gemeinnützigerRisikokapitalgeber – „nicht nur für Unternehmungen, sondernauch für gemeinnützige Ideen“. Gerade bereite man die Aus-lobung eines Charité-Preises für Veränderung vor, berichtet

Stiftet Universitäten zu Reformen an: Stephan Gutzeit

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er. „Was und wer damit gefördert werden soll, ist völlig flexibel:Das können Projekte sein, die einen oder 100 000 Euro kosten.“Eine Krankenschwester kann sich ebenso beteiligen wie ein Chef-arzt. Projekte, die der Charité-Stiftung zusagen, erhalten die volleUnterstützung, auch von der Familie Quandt.

Auf ähnliche Weise engagiert sich die Stiftung bereits bei einem Projekt, in dem es um die Verbesserung der Facharztaus-bildung geht. Heute, sagt Ste-phan Gutzeit, verlaufe die Aus-bildung zum Facharzt für alle jungen Ärzte gleich, egal, ob siespäter einmal in die Forschunggehen, Chefarzt werden odereine Firma für Pharmaprodukteoder medizinische Dienstleistun-gen gründen wollen. Vor einigerZeit kamen mehrere junge Ärz-te, die sich überlegt hatten, wieman die Ausbildungswege stär-ker differenzieren könne, auf die Stiftung zu. „Wenn wir das hinkriegen, lösen wir ein richtiges Problem in der deutschenUniversitätsmedizin“, sagt Gutzeit.

Die Stiftung Charité macht vor, wie man Anreize für akade-mische Reformen von unten schaffen kann. Aber wie sieht es mitVeränderungen an der Spitze aus? In einem Unternehmen sind esmeistens die Generalisten, denen steile Karrieren gelingen. An derUniversität ist es umgekehrt. Dort stehen ganz oben in der Hie-rarchie Spezialisten, die von professionellem Management imZweifel recht wenig verstehen. Dies hat seinen Grund im fest verwurzelten Misstrauen gegenüber der Wirtschaft.

Schon im Jahr 1909, berichtet der Bildungswissenschaftler undlangjährige Präsident der Universität Harvard, Derek Bok, habesich einer seiner ehemaligen Studenten besorgt darüber geäußert,dass „die Leute, die heute in Harvard das Sagen haben, kaummehr als Geschäftsleute sind, die ein großes Kaufhaus führen, dasErziehungsdienstleistungen an ein Millionenpublikum verkauft“.

Statt professionelle Manager anzuheuern, könnte man aberauch Wissenschaftler selbst in Führungsaufgaben hineinwachsenlassen. Josef Aldenhoff, Hochschulprofessor und Leiter der 2004privatisierten Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Kiel,hat Erfahrungen mit beiden Modellen gesammelt. „Ich bin skep-tisch gegenüber Medizinern und anderen Wissenschaftlern, dieManagementkurse belegen. Die werden nie besser werden als ein guter Verwaltungsmann und stattdessen meinen, überall mit-reden zu können.“

Allerdings, räumt Aldenhoff ein, sei die Annäherung beiderSeiten nicht immer einfach. „Die meisten guten Verwaltungs- und

Finanzleute denken einfach anders als Wissenschaftler.“ Deshalbsei es so wichtig, Strukturen zu schaffen, in denen beide gezwun-gen seien, miteinander zu reden.

In Kiel ist dies geschehen. Aldenhoff leitet seine Einrichtunggleichberechtigt an der Seite eines kaufmännischen Geschäfts-führers. „Wenn wir uns nicht einigen können“, sagt er, „müssenwir den Vorstand des Universitätsklinikums um eine Entschei-

dung bitten.“ Das Modell derwissenschaftlich-kaufmännischenDoppelspitze in Forschung undLehre könnte durchaus Beispiel-charakter haben. Schließlich klagtjeder deutsche Professor nachden ersten Jahren im Amt darü-ber, dass immer mehr von derohnehin knappen Zeit, die ihmfür eigene Forschungen bleibt, fürVerwaltungsaufgaben draufgeht.Wenn es gelänge, diese Arbeiten

an Forschungskoordinatoren und Manager abzugeben, wäre diessicherlich ein Gewinn.

Allerdings kommt es bei allem Bemühen um professionellesManagement darauf an, einen klaren Blick dafür zu bewahren,was das eigentliche Ziel des Unternehmens ist. In den USA haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Universitäten, dieerst auf den Ausbau ihrer Football-Mannschaften und später, abden achtziger Jahren, auf die Vermarktung von Patenten gesetzthaben, dabei mehr Geld verloren als gewonnen. Diesen Schlusszieht der US-Bildungsforscher Derek Bok in seinem Buch „Uni-versities in the Marketplace“: „Von mehr als 200 Patentbüros an amerikanischen Universitäten hat im Jahr 2000 nur ein Bruch-teil mehr als zehn Millionen Dollar erzielen können – und diegroße Mehrheit konnte überhaupt keine nennenswerten Summeneinnehmen.“

„Am Ende ist entscheidend, dass man Kaufleute hat, die dasFlorieren der Universität und nicht das Bilden von Rücklagen alserste Priorität betreiben“, betont der Kieler Klinikchef und Pro-fessor Josef Aldenhoff. Eine Überlegung, die auch der Wirtschaftnicht schadete, wie Stephan Gutzeit ergänzt: „In der Medizinführt der scharfe Wettbewerb zwischen den Pharma-Multis nichtvon allein schon zu mehr Innovation, sondern zu immer mehr Me-too-Produkten. Neue Medikamente kommen vielmehr vonden Start-ups.“

Aus diesem Grund fördert die Charité-Stiftung nicht nurHochschulreformen, sondern ebenso Ausgründungen aus derForschung – als Investition in Ideen. Unternehmertum muss ebennicht heißen, nur noch in schnellen Renditen zu denken. --

An den Universitäten herrscht Misstrauen gegenüber der Wirtschaft.

In der Wirtschaft herrscht Unverständnis über die Motive

der Wissenschaft.

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brand eins: Lange haben wir uns das Lamento anhören müssen, die Deutschen seien ideenlos, unbeweglich, innovationsfeindlich.Neuerdings aber loben laut »Handelsblatt« Business-Monitor dreiViertel der deutschen Manager die Rahmenbedingungen für Inno-vationen im Lande als „sehr gut“ oder „gut“. Sind wir vielleicht garnicht so schlecht? Andreas Frank: Die Rahmenbedingungen haben sich in der Tatgebessert. In den Unternehmen selbst aber sieht es anders aus.Offensichtlich verwechseln viele Manager Entscheidungs- mit Innovationsfreude. Viele halten ihr Unternehmen für innovativer,als es wirklich ist. Wenn man – wie wir es für unsere Untersu-chung getan haben – mal nachbohrt, wie Ideen im Unternehmengefordert und gefördert werden, wissen viele keine Antwort mehr.Es gibt eine gravierende Diskrepanz zwischen dem allgemeinenInnovations-Anspruch auf der einen Seite und mangelhafter Innovations-Verantwortung auf der anderen. Ernüchternd war dieSelbsteinschätzung von 104 Ansprechpartnern auf der Ebene Vor-stand, Geschäftsleitung und Konzernentwicklung: Nicht einmalein Drittel von ihnen hielt sich selbst für zuständig.

Haben Sie dafür eine Erklärung?Mit Innovation ist es wie mit der Altersvorsorge: Jedem ist klar,dass das Thema immer wichtiger wird. Aber nur eine Minderheitsetzt sich damit gründlich auseinander. Unter 208 Top-Managerngroßer Unternehmen, die wir zum Innovationsmanagement befragt haben, fanden sich nur 14 sehr engagierte, enthusiastischeInnovationsförderer. Bei der großen Mehrzahl aber konnte voneinem systematischen Innovations-Management keine Rede sein.

Wozu brauchen Unternehmen überhaupt Innovationsmanager?Sollte sich nicht jeder Mitarbeiter in seinem Bereich für Neuerungenund Verbesserungen zuständig fühlen? Natürlich, denn erfahrungsgemäß stecken Mitarbeiter voller guterIdeen. Nur gefragt sind die eben nicht. Um dieses Potenzial zu erschließen, braucht es erst einmal auf oberster Ebene ein Be-kenntnis: „Liebe Mitarbeiter, wir wollen, dass ihr neue Ideen ent-wickelt. Wir schaffen euch Platz, Luft und Ressourcen fürs Quer-denken. Wir leben das vor. Und wir setzen hier und heute einenVerantwortlichen ein, der sich systematisch darum kümmert.“

Innovationsverantwortlichen könnnte es leicht genauso ergehen wieGleichstellungsbeauftragten: Man ernennt jemanden und erklärt damit das Thema für erledigt. Da gibt es tatsächlich Parallelen. Mir haben Innovationsmanagerberichtet, dass ihre Aufgabe zum Teil eine Art Deckmäntelchen-funktion habe. Deshalb ist es ja so wichtig, dass die Innovations-verantwortlichkeit möglichst hoch in der Hierarchie angesiedeltwird. Bei vielen Mittelständlern kümmert sich der Inhaber nochselbst um Neuerungen. Deshalb leiden Firmen dieser Größe häu-fig auch weniger am Mangel an Ideen, sondern vielmehr an

„Ich kümmere michdrum. In zwei Jahren.“Interview: Harald Willenbrock Foto: Hartmut Nägele

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EINSTIEG _NACHGEFRAGT

Was Menschen treibt

Innovation? Super Sache. Brauchen wir. Denken wir. Und kehren gleich wieder zur Tagesordnung zurück.

Eine Umfrage in großen deutschen Unternehmen offenbart: Über Innovation reden viele gern. Eigentlich alle.

Zu einer echten Chance aber verhelfen ihr nur wenige, hat der Berater Andreas Frank herausgefunden.

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16 BRAND EINS 06/08

EINSTIEG _NACHGEFRAGT

Kapital, um Neuerungen umzusetzen. In größeren Unternehmenkann man sich eher hinter Strukturen verstecken. Verantwortlich-keiten sind häufig unklar. Zuständig sind immer die anderen, imZweifel die Geschäftsführung. Und der mangelt es an Zeit.

Wie bitte? Es fehlt an Zeit für gute Ideen?43 Prozent aller Geschäftsführer haben die Verantwortung für Innovationen schlicht wegdelegiert, ans Marketing etwa oder andie Personalabteilung. Fast ein Viertel erklärte ausdrücklich, vorlauter Arbeit keine Zeit für Innovationen zu haben. Von der Assis-tentin eines IHK-Hauptgeschäftsführers beispielsweise hieß es:„Herr Soundso bittet mich, Ihnen auszurichten, dass er für Inno-vationen verantwortlich sei, er aber in den nächsten zwei Jahrenkeine Zeit habe, sich um Innovationen zu kümmern.“ Schlimmerals solches Abblocken ist die (falsche) Selbsteinschätzung, die dahintersteckt: Wir sind ohnehin schon innovativ genug.

„Alte Messlatten taugen halt nicht für Neuerungen“, schreiben Siein Ihrer Studie. Wie installiert man neue?Indem man zunächst einmal systematisch jene Hürden identifi-ziert, an denen neue Ideen scheitern. In jedem Unternehmen gibtes Bedenkenträger, die immer wissen, warum etwas nicht funk-tionieren wird und wie man es schon immer anders und bessergemacht hat. Diese Leute muss man integrieren und von Verhin-derern in Förderer verwandeln. Einer der wenigen innovations-begeisterten Marketingdirektoren, mit denen wir sprachen, hat unsgesagt: „Es gibt immer tausend Gründe dagegen und manchmalnur einen einzigen dafür. Da muss man sich schon was trauen.Und die Frage, die sich wohl viele stellen, lautet: Warum denn,wenn’s auch so läuft?“ Begeisterungsfähigkeit gilt nun mal nichtals Management-Tugend. Außerdem wird in vielen Unternehmender Begriff „Innovation“ als schönfärberische Umschreibung fürzeitraubende oder gar schmerzhafte Reorganisationsprozesse ver-standen. Kein Wunder, dass so etwas keine Begeisterung weckt.

Woran erkennt man ein innovationsfreundliches Unternehmen?Innovationsfreude zeigt sich daran, ob Manager in der Firma sind,die Ideen fördern und fordern. Ob Mitarbeiter sich mit neuenIdeen profilieren und Karriere machen können – oder ob sie alsStörer des Betriebsfriedens angesehen werden. Ein ziemlich ver-räterisches Indiz können Personalbewertungsbögen sein: Nur inwenigen wird abgefragt, mit welchen und wie vielen Ideen einMitarbeiter zum Unternehmenserfolg beigetragen hat.

Angenommen, Sie wären selbst Vorstandsvorsitzender und wolltenIhr Unternehmen mit frischen Ideen auf Trab bringen. Was wärenIhre ersten, wichtigsten Maßnahmen?Ich würde ein Team von Innovations-Förderern schaffen und beimir und meinen Vorstandskollegen anfangen. Ich würde Ideen derMitarbeiter nicht mehr durch den Filter des Mittelmanagements

laufen lassen, sondern sie mir, zusammen mit allen anderen Vor-stands- und Geschäftsleitungskollegen, regelmäßig persönlich prä-sentieren lassen. Ich würde mich außerdem dazu verpflichten, ingenau definierter, kurzer Zeit über die Umsetzung von Ideen zuentscheiden. Mit anderen Worten: Ich würde Innovation, diesenhäufig missbrauchten Begriff, zu meiner ganz persönlichen Sachemachen.

Möglicherweise lohnt sich solch ein Aufwand ja gar nicht: Forscherder European Business School haben kürzlich die Innovationskraftvon 295 Unternehmen mit ihrer wirtschaftlichen Performance ver-glichen und herausgefunden: Es lagen nicht diejenigen vorn, dieselbst mit Innovationen den Markt gestalteten, sondern jene, diesich Marktveränderungen erfolgreich angepasst hatten. Natürlich kann man auch als Nachahmer Geld verdienen. Damitgibt man aber bald die Zügel aus der Hand. Irgendwann kannman mangels Differenzierung nur noch an der Preisschraube dre-hen, und das gelingt deutschen Unternehmen verdammt schwer. Dem Kostensparen als Konzept sind Grenzen gesetzt. Innovationaber eröffnet im Prinzip unendliche Potenziale.

Sie stellen selbst in Ihrer Studie fest: Das Wort Innovation ist ver-braucht; man möchte es am liebsten für eine Weile nicht mehr hören. brand eins gibt Ihnen jetzt und hier die Chance, wirklich innovativ zu sein und einen frischen, unverbrauchten Begriff in dieWelt zu setzen. Wissen Sie einen? Darüber habe ich lange und vergeblich nachgedacht. Ich fürchte,es gibt vorläufig keinen besseren. Innovation ist ein ausgelutsch-tes Wort. Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als den Begriff immer wieder neu mit Leben zu füllen. --

Als Strategie-Planer und Markenberater hat Andreas Frank immer wieder

erlebt, wie gute, neue und Erfolg versprechende Ideen in Unternehmen sang-

und klanglos untergingen. Mit seiner Untersuchung „Deutschland – ein Land

der Innovatoren?“ ist der 46-Jährige aus Erkrath bei Düsseldorf den Ursachen

der Innovationsmüdigkeit, den Motiven und Einstellungen im Management

auf den Grund gegangen. Die Studie basiert auf Interviews mit 208 Innova-

tions-Verantwortlichen (und solchen, die es sein sollten) in deutschen Unter-

nehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Unter www.frankundlange.de ist eine

Zusammenfassung ab Juli kostenlos zu beziehen.


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